Skip to main content

Full text of "Monatsschrift für Geburtskunde und Frauenkrankheiten"

See other formats


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  preserved  for  generations  on  library  shelves  before  it  was  carefully  scanned  by  Google  as  part  of  a  project 
to  make  the  world's  books  discoverable  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 
to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 
are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  culture  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  marginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  file  -  a  reminder  of  this  book's  long  journey  from  the 
publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prevent  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  technical  restrictions  on  automated  querying. 

We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  of  the  file s  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  flies  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  from  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machine 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  large  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encourage  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attribution  The  Google  "watermark"  you  see  on  each  file  is  essential  for  informing  people  about  this  project  and  helping  them  find 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  responsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can't  off  er  guidance  on  whether  any  specific  use  of 
any  specific  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  means  it  can  be  used  in  any  manner 
any  where  in  the  world.  Copyright  infringement  liability  can  be  quite  severe. 

About  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organize  the  world's  Information  and  to  make  it  universally  accessible  and  useful.  Google  Book  Search  helps  readers 
discover  the  world's  books  while  helping  authors  and  publishers  reach  new  audiences.  You  can  search  through  the  füll  text  of  this  book  on  the  web 


atjhttp  :  //books  .  qooqle  .  com/ 


Über  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Regalen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfügbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 

Das  Buch  hat  das  Urheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nutzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  partnerschaftlicher  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.  Nichtsdestotrotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  verhindern.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 

Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  für  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  für  diese  Zwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google -Markenelementen  Das  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppen  zu  erreichen. 


Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter  http  :  //books  .  google  .  com  durchsuchen. 


ML+iiFs^y 


*fti 


4L 


L4tsih,ii// 


Monatsschrift 

für 

GEBURTSKUNDE 

und 

Frauenkrankheiten. 

Im  Verein  mit  der 
Gesellschaft  für  Geburtshülfe  in  Berlin 

herausgegeben  von 

Dr.  0.  S.  F.  Cred6, 

Hofratb  ,  ord.  Prof.  und  DJrector  der  Entbindung«  •  Anstalt  in  Leipzig  etc. 

Dr.  0.  Hecker, 

ord.  Prof.  and  Dlreetor  der  Entbindung«  -  Anstalt  In  München  etc. 

Dr.  Ed.  Martin, 

Geh.  Rath,  ord.  Prof.  nndDirector  der  Entblndungs- Anstalt  in  Berlin,  Ritter  etc. 

Dr.  F.  A.  von  Bitgen, 

Geb.  R*th,  ord.  Prof.  nndDirector  der  Entbindung* -Anstalt  in  Glossen, 
Comthnr  etc. 

IVeittiebnter  Band. 

Mit  drei  Tafeln  Abbildungen. 


Berlin,  1862. 

Verlag  von  Atagnat  Hirichwald, 

68  U.  d.  Linden,  Ecke  der  8chadow-Stra4.se. 


Inhalt 


Heft   L    o.    IL 

Seite 
XI.    Ueber    die    Veränderungen    des    Körpergewichtes    bei 
Schwangeren,     Gebärenden    und   Wöchnerinnen.     Von 
Dr.  U,  K.  Qauner,  ehemaligem  Assistenzarzte  der  Gebär- 
anstalt in  München 1 

II.   Verhandlungen  der  Gesellschaft  fürGeburtshfilfe  in  Berlin: 
Martin:   Ueber  sweinndiwamig  von  ihm  eingeleitete 

Frühgeburten 68 

Pagenstecher:   Ein  Beitrag  zur  Statistik  des  Kaiser- 
schnittes nebst  einem  Anhange:  Ueber  Qsteomalacie  11t 
Kugelmann:  Nene  Uterussonde.    (Kit  Abbildung.)    .  .  129 
Strassmann:  Erfahrungen  Über. die  Cr  ed&  sehe  Methode 
cur  Lösung  der  Nachgeburt 132. 

HI.    Geburtshinderniss  durch  Verklebung  des  äusseren  Mutter- 
mundes  144 

Geburtshinderniss  durch  Verschliessung  der  Vagina 
mittels  organlsirter  plastischer  Häute.  Vom  Physicus 
Dr.  Boih  in  Eutin 150 

IV.     Notisen  aus  der  Journal -Literatur: 

Althaus:  Die  Resultate  der  Ovariotomie  in  England  .  164 
Legrand:    Neuer    Fall    von    Tod    nach    einer   Jod- 
einspriteung  in  eine  Eierstockskyste 156 

V.    Literatur: 

Das   Nabelbläschen,   ein    constantes   Gebilde   in   der 

Nachgeburt  des  ausgetragenen  Kindes ,  von  Schnitze. 

Leipzig,  bei  Engelmann,  1861.   4 166 

Das  schrägverengte  Becken,  von  Seiten  der  Theorie 

und  Praxis,   nach   dem  gegenwärtigen  Stande  der 

Wissenschaft  von  Simon  Thomas,  Prof.  su  Leyden. 

Leyden  *.  Leipsig.    1861.    Fol .157 


IV  Inhalt. 


Heft   ID. 


8«ite 
VI.  Schrägverengtes  Becken  mit  Ankylosis"  sacro-iliaea 
nebet  Bemerkungen  über  Simon  Thomas'  Ansicht  der 
Deformität  von  Dr.  JB.  Olshausen,  Assistenzarzt  am 
Entbindungsinstitute  su  Halle.  (Hierin  eine  Tafel  mit 
fünf  Abbildungen.)  v, 161 

VII.  Sechs  Fälle  von  Ute  ras  nnicornis,  darunter  einer  mit 
Schwangerschaft  in  einem  verkümmerten  Nebenhorne. 
Von  Dr.  Arnold  Roeenburger  in  Basel.  Mit  einer  Vor- 
bemerkung von  Prof.. Dr..  A.  Kuemaul  in  Erlangen  .  .  186 

VIII^  Sechsundvierzigster  Jahresbericht  über  die  Ereignisse 
in  dem  Entbindungsinstitute  bei  der ,  königl.  sa^chs. 
chirurgisch -medicinischen  Akademie  zu  Dresden  im 
Jahre  1860.  Von  Prof.  Dr.  Grenser,  königl.  sUchs. 
Hofrath  etc. ' 202 

lX.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur: 

Cookie:  Spontane  Berstung  einer  Eierstockskyste  .  .  226 
Spencer  Weih:   Spontane  Beratung  einer  Eierstocks- 
kyste mit  ungünstigem  Ausgange 227 

Spencer  Welle :  Zwei  Fälle  von  Ovarrotomie 227 

B.  Brown:   Ovariotomie 227 

Spencer  Welle:  Fall  von  Ovariotomie  mit  glücklichem 

Ausgange 227 

v.  Scanzoni:    Ueber  Coccygodynie 228 

Simpson:  Fall  von  Coccygectomie  bei  Cocoygodynie  230 
Baker  Breton:    Ueber   die   chirurgische  Behandlung 

.   .    der  Uterusfibroide 231 

G.  Braun:   Ueber  das  technische  Verfahren  bei  ver- 
nachlässigten Querlagen  und   über  Decapitations- 

Instrumente     232 

v,  Scanzoni:  Ein  Fall  von  Anwendung  des  Aucbenisters 

am  Kreissbette 234 

Mathieu:  Embryotome  cache*  mit  beweglichen  Stäben 

und  Kettensäge .  .  .  234 

Olivier:  Einige  Betrachtungen  über  Eierstockskysten  235 
Stadthagen:  Ueber  einen  hochgradigen  Defect  sämmt- 

licher  vier  Extremitäten  eines  lebenden  Neugeborenen  237 
Pollock:  Ungewöhnliche  Kindeslage  bei  Zwillingen  238 
Dunsmure:  Fall  von  Zerreissnng  der  Gebärmutter    .  238 


Inhalt*  V 

8*Jte 
X.    Literatur: 

Martin  t  Handatlas  der  Gynäkologie  und  Geburtehülfe. 
Berlin  1802«  71  Tafeln  mit  Einleitung  und  er- 
klärendem Texte 239 


Heft    IV, 


XI.    Verhandlungen   der  Gesellschaft   für  Qebnrtshnlfe   in 

Berlin 241 

-  •  Strasamann:  Ueber  eine  eigentümliche  Hyperplasie 

der  Decidua.    (Hierzu  eine  Abbildung.) 242 

Martin:  Fall  von  glücklieber  Entbindung  durch  De- 

•  capitation 247 

Martin:   Geburt    bei    durch    Knochenwucherung   am 

•     Kreuzbeine  und   schräg  verengtem  Becken,    Con- 
glutinatio  orificii  uteri.    Wendung  auf  die  Füsse, 
Extraction ,  Erhaltung  von  Mutter  und  Kind ....  261 
Lücke:    Ueber  Entstehen  und  Wachsthum   von  Ge- 
schwülsten während  der  Schwangerschaft     261 

XII.  Ueber  die  Wendung  auf  die  Füsse  bei  ^Querlagen  mit 

•  Vorfall  eines  Armes.    Von  Dr.  Bpondli,  Privatdocent 

in  Zürich 271 

XIII.  Ueber  die  Frequenz  der  Nabelschnurumschlingung  und 
■den  Einflus8  derselben  auf  den  Ausgang  der  Geburt 
für  das  Kind.    Von  Prof.  Dr.  Gustav  Veit  in  Rostock  290 

XIV.  Bericht  über  einen  glücklich  ausgeführten  Kaiserschnitt. 
Von  Wilhelm  Jurran,  Wundarzt  und  Geburtshelfer  in 
Penig ,  \ 304 

XV;    Notizen  aus  der  Journal -Literatur: 

Constantin    Paul:    Ueber    den    -Einfluss    der    Blei- 

intoxication  auf  die  Frucht 312 

Goeehler:  Fall  von  Placenta  praevia  centralis  ....  312 
Coatilhee:  Granulationen  der  Uterinschleimhaut,  durch 
Höllenstein    geheilt;     erste    Schwangerschaft    im 
43.  Jahre.  Verwachsung  des  äusseren  Muttermundes  313 
Frislo:    Dystokie    in    Folge    von    Obliteration    der 

Beneide 314 

PouU:  Ein  seltenes  Geburtahinderniss 315 

Born:  Der  Kautochukblasentampon ,  ein  nothwendiger 
Bestandteil  der  Hebamm  eng  erat  hschaften 3)5 


VI  Inhalt. 

Ferd.  Weher:  Meine  Methode  der  Ansetzung  ron 
-  Blutegeln  auf  den  Muttermund 316 

Koeggerath:  Vier  Fälle  Ton  Injection  einer  ätienden 
Flüssigkeit  in  die  Uterinhöhle;  Nutaen  and  Ge- 
fahren dieser  Methode * 816 

Chinin  in  der  Geburtshülfe    817 

Lloyd:  Vorfall  der  Gebärmotter  in  Folge  mehrjährigen 
Bestehens  eines  Dammrisses 817 

Arbeiter:  Behält  der  Frnchthalter  noch  längere  Zeit 
nach  dem  Tode  Schwangerer  seine  selbstständige 
Tbatigkeit?     819 

Kühn:  Ans  der  gynäkologischen  Klinik  des  Prof. 
C.  Broun  in  Wien * 820 

Statistische  Tabelle  über  die  Vorkommniste  in  der 
Kreis-  und  Local- Gebäranstalt  in  München  im 
Etatjahre  1860—1861 820 


Heft    V. 

XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.    Nekrolog.    Von 

Dr.  Spiegelberg,  Professor  in  Freibarg 821 

XVIJ.  Ueber  die  GewichtsverKnderang  der  Neugeborenen. 
Von  Dr.  H.  Haake,  Privatdoeent  der  Geburtshülfe  in 
Leipsig 839 

XVIII.    Ein    Instrument    aar   Messung    des    Beckens.     Von 

Dr.  Howitz  au  Kopenhagen.   (Mit  einem  Holaschsitte.)  855 

XIX«  Nutaen  und  Nachtheile  des  Tampons  in  der  Geburts- 
hülfe. Von  Obermedieinalrath  Dr.  Vogler,  Brunnen - 
und  Badearzt  su  Wiesbaden 861 

XX.    Notisen  aus  der  Journal -Literatur: 

Karl  Martin  (Wolfstein  in  der  Pfale) :  Ein  Kaiser- 
schnitt wegen  osteomalazischen  Beckens    ....  372 

Leven:   Extrauterine  Schwangerschaft 373 

Habit:  Ein  Fall  von  Papillom  des  Gebärmutterhalses  374 
Oruise:   Fall  von  mangelhafter  Entwickelung  der 

weiblichen  Geschlechtstheile 375 

SaiUy:  Die  Albuminurie  als  Hülfsmittel  sur  Unter- 
scheidung   der    Epilepsie    und    Eclampsie     der 

Schwangeren 376 

Goldschmidt:    Ueber  die   Fungositäten  des  UterUs  376 


Inhalt.  VII 

Seite 
Edward  Jackson :  Ein  Fall  von  Blasensoheidenfistel  877 

Demarquai:  Hypertrophische  Verlängerung  der 
Portio  vaginalis,  mit  gleichieitigem  Bestehen 
eines  Fibroides 377 

Q.  Braun:  Ueber  Hydatlden  -  Degeneration  der 
Choriomotten  als  Ursaehe  des  Abortus 879 

Maschka:  Mittheilung,  betreffend  das  Leben  der 
Neugeborenen  ohne  Atomen 380 

Virchow:  Ueber  puerperale  diffuse  Metritis  und 
Parametritis 881 

Hummel:  Vernachlässigte  Querlage,  Deeapitation 
mit  BraurCs  Schlüsselhaken 383 

Peschko:  Kaiserschnitt  wegen  Anomalie  des  Beckens  384 


XX?.-  Literatur: 


Klinik  der  Geburtskunde.  Beobachtungen  und  Unter- 
suchungen aus  der  Gebäranstalt  zu  München  von 
Dr.  C.  Hecker,  o.  5.  Professor  der  Geburtskunde, 
und  Dr.  L.  Buhl,  o.  ö\  Professor  der  patholog. 
Anatomie  an  der  Ludwig-Maximilians-Universit&t 
daselbst.  Leipzig,  Verlag  von  Wilhelm  Engelmann, 
1861.    342  Pag.  mit  9  lithogr.  Tafeln 386 


Heft    VL 

XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Geburtshülfe  in 

Berlin 401 

Virchow:  8pina  bifida  oocipitis,  Hyperplasia  cerebri 
mit  Enoephalocele  und  Hernia  diaphragmatica  .  401 

Martin:  Präparat  eipes  neugeborenen  Knaben  mit 
Hernia  diaphragmatica    408 

Virthow:  Ein  neugeborenes  Kind  mit  einer  mehr 
als  faustgrossen  Sacralgeschwulst 407 

Wietfeldt:  Eine  Traubenmole 409 

Langerhans:  Vorfall  der  Darme  durch  Vereiterung 
und  Durchbrach  eines  Kabelbruches  bei  einem 
Kinde -. 411 

'Langerhans:  Schwangerschaft  einer  Frau,  welche 
in  den  ersten  Monaten  an  wiederholten  Gebär- 
mutterblutungen  litt  und  die  letzten  neun  Wochen 
eine  auffallende  Menge  Wasser  verlor 411 


VIII  Inhalt. 

8eIto 
Winekei:  Untersuchungen  über  die  Gewicht«  Verhält- 
nisse bei  hundert  Neugeborenen  in  den  ersten 
Tagen  nach  der  Geburt 416 

XXIII.  Mittbeilungen  über  die  Thätigkeit  und  die  Ver- 
handlungen der  Gesellschaft  für  Gebortshülfe  zu 
Leipiig  im  siebenten  Jahre  ihres  Bestehens: 

L   Jahresbericht,  erstattet  durch  den  d.  Z,  Secretftr 

Dr.  med.  Emil  Apollo  Meissner •  .  443 

IL  Ueber  einige  Hülfsmittel  bei  derVaginalinspection. 
Zweiter  Artikel.    Von  Dr.  Hermann  Ploss  ....  466 

XXIV.  Notizen  aus  der  Journal -Literatur: 

Demarquay:   Ovariotomie ..».,.  469 

Spencer  WeUs:  Ueber  einige  heilbare  Ursachen  der 

Unfruchtbarkeit 470 

Zepuder:  Zur  Frankenhäuser1  sahen  Hypothese  über 

die.  Geschlechtsbestimmung  des  Fötus 471 

Fiedler:  Ueber  das  Verhalten  des  Fötalpulses  aur 

Temperatur  und  sum  Pulse  der  Mutter  hei  Typhus 

abdominalis 471 

Westphalt  Entbindung  auf  u.  aus  einem  Wate r-Closet  472 
Panck:   Die  organische  Verbindung  der  Tuba  mit 

dem  Eierstocke » 472 

Cdbaneüasi  Behandlungsweise  des  Kindbettfiebers ; 

Auszog  einer  der  ntedicinischen  Akademie  in  der 

Sitzung  des  18.  Mars  1862  vorgelesenen  Abhandlung  474 

XXV.    Literatur: 

Ueber  die  Operation  der  Blasenscheidenfistel  durch 
die  blutige  Naht  mit  Bemerkungen  Über  die  Heilung 
der  Fisteln,  Spalten  u.  Defecte,  welche  an  anderen 
KÖrpertheilen  vorkommen.  Von  Dr.  Gustav  Simon, 
Prof.  d.  Chirurgie  in  Rostock.  Rostock,  Stiller1  Bche 
Hofbuchhandlung,  1862 476 

Die  Wendung  auf  die  Ffisse  bei  engem  Becken.  Ein 
.  .  historisch -kritischer  Versuch  von  Dr.  W.  Franke, 
Privatdocent  an  der  Universität  Halle.  Halle, 
C.  E.  M.  Pfeffer,  1862 479 

Q.  Gerhardt,,  De  situ .  e,t  magpitqdine  cordis  gra- 
vidarum.   Jen.  1862 479 


Ueber  die  Veränderungen  des  Körpergewichtes  bei 
Schwangeren,  Gebärenden  und  Wöchnerinnen. 

Inaugnral-Dissertation 

▼Oll 

Dr.  U.  R.  Gassner, 

ehemaligem  Assistenzarzte  der  Gebftranstalt  in  München. 

EiileiUig. 

Vorliegende  Arbeit,  auf  deren  Veröffentlichung  Herr  Pro- 
fessor Hecker  in  seinem  jüngst  erschienenen  Werke  *)  ver- 
wiesen hat,  verdankt  ihre  Entstehung  einem  Principe,  das 
gegenwärtig  alle  Zweige  der  Naturwissenschaften  und  der 
damit  verwandten^Jf^OlOT  bjjröfeeiit  und  sie  gegenüber  der 
apriorisüschenll^mimg^aiig^^Bhati  nämlich  dem  Streben 
nach  ObjectnfyäL  .  Man  hat  in  allen  Disciplinen,  insoweit 
es  ausführbar  fwar  uiid -fflörßniilftCmit  zu  grossen  Schwierig- 
keiten zu  kämjJtät  hatte^  diesen  Weg  mit  Erfolg  zur  Förderung 
der  WiseenschafKjfety^ej^  und.  dadurch  dem  verwerflichen 
Subjectivismus  immeP^engep»  Grenzen  gesteckt,  so  dass 
allmälig  an  die  Stelle  der  vagen,  zu  vielen  Widersprüchen 
führenden  Bezeichnungen  des  Raum-  und  Zeitmaasses  eine 
wissenschaftliche,  auf  objectiven  Messungen  beruhende,  all- 
gemein verständliche,  widerspruchslose  Sprache  tritt  Je  nach 
dem  Bedürfnisse  und  der  Zulässigkeit  ist  und  wird  dieselbe 
in  den  verschiedenen  Fächern  verschieden  cultivirt,  am  meisten 
in  der  Physik  und  Mineralogie,  Chemie  und  Physiologie,  diesen 
zunächst  in  der  Geburtshülfe,  am  wenigsten  in  der  inneren 
Heilkunde.  Es  wäre  überflüssig,  wollte  ich  nur  bezüglich 
der  Geburtshülfe  alles  das  aufzählen,   was  in  dieser  Hinsicht 


1)  Heektr  u.  Buhl,  Klinik  der  Gebnrtokunde.     Leipsig,    bei 
Engelmann,  1861. 
Monatuehr.  f.  Qeburtak.  ISN.  Bd.  XIX.,  Hft  1  n.  9.  1 


2  I.     Gassner,  Ueber  die  Veränderungen 

geleistet  wurde,  da  dies  ohnehin  bekannt  genug  ist.  Hai 
man  sich  doch  mit  der  .objectiven  Bestimmung  des  Raumes 
und  der  Zeit  in  letzterer  Wissenschaft  nicht  zufrieden  ge- 
geben, sondern  in  jüngster  Zeit  KristeUer  (Monatsschrift  für 
Geburtskunde  und  Frauenkrankheiten,  XVII.  Band,  3.  Heft, 
1861)  sogar  den  originellen  Vorschlag  gemacht,  bei  ein- 
schlägigen operativen  Hülfeleistungen  sich  einer  Geburtszange 
zu  bedienen,  die  vermöge  ihrer  dynamometrischen  Construction 
neben  ihrer  Eigenschaft  als  Extractionsmittel  den  Geburts- 
helfer in  den  Stand  setzt,  die  während  der  Operation  auf- 
gewandte Kraft  in  Zahlen  auszudrücken. 

Ungeachtet  der  eifrigen  Bemühungen,  die  man  sich  in 
der  besprochenen  objectiven  Richtung  gab,  blieb  doch  noch 
so  manches  Feld  aus  verschiedenen  Gründen  unbebaut.  So 
begegnet  man  in  unserem  Fache  allenthalben  noch  manchen, 
einer  individuellen  Auffassung  entstammenden  Ausdrücken,  und 
trifft  dieser  Vorwurf  besonders  die  Verhältnisse  des 
Körpergewichtes  des  Weibes  in  seinen  durch  die 
Schwangerschaft,  Geburt  und  das  Wochenbett 
hervorgerufenen  Veränderungen  und  den  daraus 
abzuleitenden  Schlussfolgerungen,  die  Quantität 
der  amniotischen  Flüssigkeit  und  deren  Be- 
ziehungen zu  Mutter  und  Kind  unter  normalen 
und  anomalen  Zuständen,  den  Einfluss  der  Masse 
des  mütterlichen  Organismus  auf  die  Massen- 
entwickelung  des  befruchteten  Eies  überhaupt  und 
des  Kindes  insbesonders  und  die  sich  ergebenden 
Consequenzen  etc.  etc.   • 

Die  Verhältnisse  näher  zu  beleuchten  und  ihr  Verständnis 
durch  Zahlen  dauernd  zu  befestigen,  brachte  den  Verfasser 
zu  dem  Entschlüsse,  sich  den  darauf  gerichteten  Unter- 
suchungen zu  unterziehen.  Dass  derartige  Arbeiten  mit  vieler 
Mühe  verbunden  sind  und  Zeit  und  Geduld  in  hohem  Grade 
in  Anspruch  nehmen,  wird  mir  jeder  Fachmann  gern  zugestehen, 
wenn  er  diese  Abhandlung  zu  Ende  gelesen  hat.  Wenn 
gleichwohl  die  Frucht  dieser  Untersuchungen  vorzugsweise  nur 
einen  theoretischen  Werth  beanspruchen  darf,  so  dürfte  doch, 
wie  es  sich  im  Verlaufe  der  Abhandlung  zeigen  wird,  auch 
4ie  eine  oder  andere  praktische  Regel  daraus  abzuleiten  sein. 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  3 

Das  meinen  Untersuchungen  zu  Grunde  gelegte  Material, 
das  ich  der  grossen  Güte  und  I  Jberalität  meines  hochgeehrten 
Lehrers  und  Vorstandes,  des  Herrn  Professor  Hecker,  ver- 
danke, ist  gross  genug,  um  dem  dai;.;s  genommenen  Re- 
sultate die  Bedeutung  einer  Thatsache  zu  erleihen;  es  umfasst 
nämlich  eine  Reihe  von  320  weiblichen  geschlechtsreifen  In- 
dividuen, von  denen  der  grösste  Theil  (193)  mehrmals  im 
Laufe  der  letzteren  Schwangerschaftsmonate,  während  der 
Geburt  und  im  Wochenbette  zu  den  Bestimmungen  der  Ge- 
wichtsveränderungen benutzt  wurde,  während  von  den  noch 
übrigen  127  Frauen  die  einen  entweder  nur  vor  oder  nach 
der  Geburt  ihrer  Kinder  gewogen  wurden-. 

Wie  sich  die  Fälle  nach  Erst-  und  Mehrgeburt,  nach 
einfacher  und  Zwillingsgeburt,  nach  Früh-,  Zeit-  und  Spät- 
gehurt etc.  vertheilen,  ist  statt  der  ermüdenden  Aufzählung 
am  besten  den  betreffenden  Tabellen  zu  entnehmen. 

Was  die  Cautelen,  die  eine  Garantie  für  die  Richtig- 
keit der  Untersuchungen  abgeben  müssen,  betrifft,  will  ich 
auf  die  Darstellung  derselben  näher  eingehen. 

Ich  bediente  mich  einer  sehr  feinen  auf  0,1  Gramme 
Zulage  noch  reagirenden,  sogenannten  physiologischen  Decimal- 
Waage, l)  die  zum  Schutze  gegen  Staub  in  einem  eigens 
dazu  angefertigten  dichtschliessenden  Schranke  aufbewahrt 
wurde,  und  war  bemüht,  sie  vor  ihrem  Gebrauche  jedes  Mal 
auf  ihre  richtige  Einstellung  zu  prüfen.  Um  das  Netto-Gewicbt 
zu  erhalten,  zog  ich,  um  in  der  mercantilischen  Sprache  zu 
reden,  von  dem  Brutto  die  schon  bekannte  Tara  ab.  So 
mussten  Schwangere,  in  der  ersten  Geburtsperiode  kreisende 
Frauen  und  die  Anstalt  verlassende  Wöchnerinnen  nach  voll- 
ständiger Entkleidung  in  einem  anstossenden  Cabinette  zu 
diesem  Zwecke  ein  talarähnliches  Gewand  von  bekanntem 
Gewicht  anziehen,  während  Kreissende  der  zweiten  und  dritten 
Geburtsperiode,  Neuentbundene  und  Wöchnerinnen  bis  zum 
siebenten  Tage  des  Wochenbettes  ebenfalls  entblösst  und  dann 
in  zuvor  genau  gewogene,  wohl  durchwärmte  Leintücher  gehüllt 
in  einer  eigens  zu  diesem  Zwecke  construirten,  muldenförmigen, 


l)  Scho&nemann's  Patentwage  ans  der  Werkatätte  von  «7.  Pintut 
xx.  Comp,  in  Brandenburg  a.  H. 

1* 


4  I.     Gassner,  Ueber  die  Veränderungen 

mit  vier  Füssen  versehenen,  bettladeähnlichen  Waagschale 
gewogen  wurden,  welche  letztere,  aus  Fichtenholz  gefertigt, 
eine  Länge  von  6'  und  eine  Tiefe  von  1'  besass,  und  bei 
ihrem  Gebrauche,  ohne  den  Boden  mit  ihren  Füssen  zu 
berühren,  auf  dem  17a'  vom  Horizonte  entfernten  sogenannten 
Stehbrette  der  Waage  ruhte.  Mit  Füssen  liess  ich  diese 
Mulde  desshalb  versehen,  um  auf  der  einen  Seite  den  etwa 
widerstrebenden  Individuen  den  versöhnlicheren  Anblick  einer 
schmalen  Bettlade  zu  gewähren  und  auf  der  anderen  Seite 
jede  Gefehr  bei  einem  unlieben  Zufalle  z.  B.  bei  einem  allen* 
fallsigen  Verlieren  des  Gleichgewichtes  der  das  Stehbrett 
überragenden  Hebelarme  von  vornherein  zu  verhüten. 

Um  die  Transferirung  der  zu  Wägenden  von  dem  Geburts- 
oder Wochenbette  in  die  beschriebene  Waagschale  zu  er- 
leichtern, wurde  die  Waage,  auf  der  sie  ruhte,  jedes  Mal 
ganz  in  die  Nähe  des  ersteren  gebracht  Nachgeburt,  das 
vor,  mit  oder  nach  Austossung  derselben  ausgeschiedene 
Blut,  die  excrementiellen  oder  während  der  Entbindung  er- 
brochenen Stoffe  wurden  nach  sorgfältiger  Sammlung,  gleich- 
wie alles  inter  partum  genossene  Getränke  in  Gelassen  gewogen, 
deren  Gewicht  schon  bekannt  war.  Eine  gleiche  Genauigkeit 
wurde  hinsichtlich  der  Bestimmung  der  Gewichtsverhältnisse 
der  Neugeborenen  beobachtet 

Auf  solche  Weise  gelangte  man  nicht  allein  zu  dem 
Nettogewichte,  sondern  war  auch  bei  Berücksichtigung  eben- 
besprochener und  gleich  zu  erwähnender  Umstände  in  der 
Lage,  die  Gewichtsveränderungen  zu  analysiren,  d.  h. 
die  die  letzteren  hervorbringenden  Factoren  mit  Ausnahme 
eines  einzigen  (Stoffabgabe  durch  die  Haut  und  Lungen)  in 
ihrem  Antheiie  an  der  Verminderung  der  Körpermasse  näher 
kennen  zu  lernen. 

Um  eine  Gleichmässigkeit  der  Verhältnisse1) 
zu  erzielen,  wurden  die  Wägungen  der  Schwangeren  immer 
nach  Ablauf  eines   Zeitraumes   von  H  Tagen   genau  zu  der- 

1)  Die  auf  der  klinischen  Abtheilong  befindlichen  Schwangeren 
sind  sämmtlich,  so  lange  keine  Aendernng  von  ärztlicher  Seite 
getroffen  wird,  demselben  Kostreglement  in  Beziehung  auf  Quantität 
und  Qualität  unterworfen,  so  dass  dadurch  eine  Gleichmassigkeit 
der  Zufuhr  von  Nahrungsmitteln  gegeben  ist. 


des  Körpergewichtes  bei  Sehwangeren  etc.  5 

selben  Stunde  (Nachmittags  3  Uhr)  vorgenommen,  und  alle 
Umstände,  die  auf  die  Zu-  oder  Abnahme  des  Körpergewichtes 
einen  Einfluss  üben,  wie  z.  B.  reichlicher  Genuss  von  Wasser, 
längere  Retention  des  Harns  und  der  Fäcalmassen,  Oedem 
der  unteren  Extremitäten,  ferner  Schweiss,  diarrhoische  Aus- 
leerungen, geringe  Nahrungszufuhr  in  Folge  mangelnder  Ess- 
lust etc.  etc.  aufgezeichnet  und  bei  der  Beurtheilung  genau 
gewürdigt;  ebenso  wurden  in  gleicher  Absicht  zu  den  Be- 
stimmungen des  durch  die  Geburt  bedingten  Gewichtsverlustes 
des  mütterlichen  Körpers  nur  solche  Kreissende  benützt, 
bei  denen  der  Muttermund  bereits  über  2"  eröffnet,  also  der 
Blasensprung  relativ  bald  zu  gewärtigen  war,  so  dass,  da  die 
noch  übrige  Geburtsarbeit  im  Durchschnitte  höchstens  2  bis 
3  Stunden  in  Anspruch  nahm,  die  Menge  der  auf  der  Lungen- 
und  Haut -Oberfläche  während  dieser  kurzen  Zeit  verdunsteten 
Flüssigkeit  mit  Hinweglassung  jener  ziemlich  seltenen  Fälle, 
in  denen  eine  sehr  grosse  Anstrengung  in  der  ersten  oder 
zweiten  Geburtsperiode  (Drangweben)  von  Schweiss  gefolgt 
wird,  nur  eine  ganz  unbedeutende  sein  kann.1)  Abgesehen 
davon,  dass  der  Fehler,  der  sich,  wenn  man  diese  Art  der 
Stoffabgabe  ganz  unberücksichtigt  Hesse,  bei  der  Berechnung 
des  Details  des  Gesammtverlustes  (in  Folge  der  Geburt) 
ergeben  würde,  ein  kleiner  ist  und  durch  approximative  Zahlen 
gestützt  auf  die  physiologischen  Untersuchungen  von  Valentin 
und  Sequin,  wonach  die  innerhalb  24  Stunden  von  einem 
Erwachsenen  ausgeathmete  Menge  von  Wasser  0,5  Kilogramme, 
die  auf  der  Hautoberfläche  verdunstende  Flüssigkeit  1,0  Kilo- 
gramme, also  in  unserem  Falle  die  Quantität  der  auf  diesen 
Wegen  vermittelten  Stoffabgabe  für  2—3  Stunden  125—187 
Gramme  beträgt,  wieder  corrigirt  werden  kann,  lässt  sich  am 
Geburtsbette  eine  hierauf  bezügliche  exacte  physiologische 
Untersuchung  ans  begreiflichen  Gründen  nicht  anstellen  und 
muss  man  sich  daher  mit  den  angeführten  Ziffern  begnügen. 


1)  Wenn  der  Zeitraum,  der  seit  der  letzten  Wägung  einer 
Kreissenden  verstrichen  war,  swei  Stunden  überschritten  hatte 
und  das  Fruchtwasser  noch  nicht  abgeflossen  war,  so  wurde 
die  Wägung  wiederholt,  so  dass  in  riefen  Fällen  »wischen 
letster  Wägung  und  Beendigung  der  Geburt  nur  eine  Zeit  von 
Vt— %  Stande  lag. 

l 


6  I.    Gauner,  Heber  die  Veränderungen 

Einer  directen  quantitativen  Bestimmung  ist  auch  das 
Fruchtwasser  entzogen  und  kann  die  Menge  desselben  nur 
durch  Subtraction  des  Gewichtes  des  Kindes,  der  Nach- 
geburt, der  während  der  Entbindung  entleerten  Excremente, 
des  zwischen  der  letzten  Wägung  vor  —  und  ersten  nach 
der  Geburt  durch  Lungen  und  Haut  ausgeschiedenen -Wassers, 
der  etwa  erbrochenen  Speisen  und  Getränke,  von  dem  durch 
die  Geburt  bedingten  Gesammtverluste  des  mütterlichen  Korpers, 
nachdem  zu  letzterem  alles  inter  partum  in  den  Verdauungs- 
kanal  Aufgenommene,  —  das,  wie  schon  erwähnt,  vor  der 
Verabreichung  an  die  Kreissende  genau  gewogen  wurde  — , 
addirt  worden  war,  bestimmt  werden.  Die  Methode,  das 
Fruchtwasser  in  einem  untergelegten  Geßsse  zu  sammeln, 
hat  ihre  Bedenken;  denn  einmal  ist  sie  der  Kreissenden  sehr 
unbequem,  und  dann  gelingt  es  wohl  fast  nie,  die  ganze 
Menge  dieser  Flüssigkeit  zu  erhalten,  da  sie,  durch  die  Con- 
tractionskraft  des  Uterus  beim  Blasensprunge  meist  mit  einer 
Vehemenz  und  in  einem  Strahle  ausgestossen,  entweder  das 
Gefass  nicht  trifft  oder  von  demselben  unter  einem  Winkel 
theilweise  zurückgeworfen  wird,  ferner  da  das  sogenannte 
zweite  oder  Nachwasser  ohnehin  wegen  der  dem  Kinde  und 
der  Mutter  zu  leistenden  Assistenz  nicht  gesammelt  werden 
kann.  —  Ein  anderer  Weg,  zur  Kenntniss  der  Quantität  des 
Liquor  Amnii  direct  zu  gelangen,  wäre  ausserdem  noch 
folgender:  mehrere  4 — 5  untergebreitete  Leintücher  von  be- 
kanntem Gewichte  nach  dem  Blasensprunge  zu  wägen  und 
aus  der  Gewichtszunahme  die  Menge  des  sogenannten  ersten 
Wassers  zu  berechnen,  sie  sodann  durch  frische  zu  ersetzen, 
um  nach  der  Geburt  des  Kindes  sie  sofort,  ehe  sich  Blut 
beimischt,  herauszunehmen  und  aus  Mer  Zunahme  auch  das 
Quantum  des  Nachwassers  und  durch  Addition  beider  ge- 
wonnenen Zahlen  die  Gesammtmenge  des  Fruchtwassers  zu 
bestimmen.  .  Diese  Methode  ist  indess  nicht  zu  gebrauchen, 
da  die  rasche  Verdunstung  des  auf  die  grosse  Oberfläche 
der  Linnen  vertheilten  Fruchtwassers  abgesehen  von  den 
damit  verbundenen  sehr  vielen  Umständlichkeiten  und  von 
dem  grossen  Zeitaufwand  die  Rechnung  unmöglich  macht, 
und  da  der  Weg  der  Subtraction  zu  einem  vollkommen 
richtigen  Resultate   führt.      Bei   dieser    Gelegenheit    will    ich 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  7 

gleich  erwähnen,  das*  ich  in  Ermangelung  eines  bessere* 
Verfahrens  zur  Bestimmung  der  Menge  des  Lochialsecretes 
mich  dieser  Methode  der  Unterbreitung  von  Leintüchern 
bedient  habe. 

Das  Wochenbett  anlangend  wurden  in  jedem  concretea 
Falle,  zum  Verständnisse  der  Gewichtsabnahme  alle  hierbei 
concorrirenden  Factoren  als  Stillen  oder  Nichtstillen  des 
Kindes,  Verschiedenheit  hinsichtlich  der  Menge  des  Lochial- 
secretes und  der  entleerten  Excremente,  Form  der  Per- 
spiration (Gegenwart  oder  Abwesenheit  von  Wochenschweisseo), 
Quantität  der  eingeführten  festen  und  flüssigen  Nahrung,  im 
Verlaufe  der  Schwangerschaft  entstandene  und  in  das  Wochen- 
bett hinübergenommene,  mehr  weniger  bedeutende  Oedeme 
der  unteren  Extremitäten  und  was  dergleichen  mehr  ist, 
thunlichst  berücksichtigt.  Ganz  besonders,  mit  minutiöser 
Genauigkeit,  achtete  ich  darauf  in  jenen  30  Fällen,  in  welchen 
die  Gewichtsabnahme  in  Beziehung  zu  den  einzelnen  Wochen- 
bettstagen festgestellt  wurde,  und  nahm  auch  hier,  um  eine 
Gleichmässigkeit  der  Verhältnisse  herbeizufuhren,  die  Wägungeh 
der  Wöchnerinnen  jeden  Tag  genau  zu  derselben  Stunde 
(Nachmittags  2  Uhr)  vor. 

Ehe  ich  zur  Mittheilung  der  gewonnenen  Resultate  schreite, 
möchte  ich  noch  einige  Worte  der  Rechtfertigung 
anführen,  um  den  Vorwurf  der  Inhumanität  oder  mindestens 
Indecenz  abzuwehren,  der  mir  vielleicht  von* einem  alba 
ängstlichen  Diätetiker  oder  allzu  scrupulösen  Ethiker  gemacht 
werden  könnte,  der  eine  in  der  Furcht,  durch  die  Ausführung 
fraglicher  Untersuchungen  würden  die  krankmachenden  occa- 
sionellen  Momente  der  durch  Schwangerschaft,  Geburt  und 
Wochenbett  ohnehin  erhöhten  Prädisposiüon  gegenüber  ver- 
mehrt, und  der  andere  im  Wahne,  das  Sittlichkeitsgefühl 
verletzt  zu  sehen.  Indess  kam,  wie  zu  erwarten  war,  im 
Verlaufe  meiner  Untersuchungen  als  eclatanter  Beweis  für 
die  Unschädlichkeit  der  Methode  nie  ein  Fall  von  Erkrankung 
eines  zu  dem  genannten  Zwecke  verwendeten  Individuums 
zur  Beobachtung,  der  auch  nur  im  Entferntesten  in  Beziehung 
zu  den  beim  Wägen  ausgeführten  Manoeuvres  zu  bringen 
gewesen  wäre;  sodann  findet  gewiss  jeder  Vorurteilsfreie 
nichts  die  Menschenwürde  und  das  ethische  Gefühl  Verletzendes 


g  I.     Qa$tnert  Ueber  die  Veränderungen 

darin,  dass  sich  ein  Weib  zu  einem  wissenschaftlichen  Zwecke 
obigen  Untersuchungen  unterziehen  muss;  die  betreffenden 
Personen  selbst,  die  am  ersten  zur  Einsprache  berechtigt 
gewesen  wären,  setzten  in  der  Regel  viel  weniger  Widerstand 
diesem  Unternehmen  entgegen,  als  man  es  vermuthen  sollte, 
besonders  wenn  man  sich  die  Mühe  nicht  gereuen  lieas,  in 
ihnen  ein  gewisses  Interesse  an  der  Sache  selbst  zu  erwecken, 
soweit  dies  bei  ungebildeten  Laien  durch  eine  populaire 
Conversation  zu  erreichen  ist  Uebrigens  bat  man  auch  schon 
an  anderen  Orten  angefangen,  ähnliche  Untersuchungen  sogar 
an  Kranken  anzustellen. l) 

Nach  diesen  einleitenden  Worten  wende  ich  mich  der 
Darstellung  des  Ergebnisses  meiner  Arbeiten  zu  und  beginne 
zum  bessern  Verständniss  auf  die  Tabelle  L  verweisend 
mit  den 


Gewichteveränderungen  des  Weibes  in  den  letzten  drei 
Schwangerschaftsmonaten. 

Gewichtszunahme. 

a)  Mittel  derselben. 
« 
Es  ist  ein  einfaches  Rechenexempd ,   dass  das  Wachs* 

thum  des  befrachteten  Eies  und  die  Vermehrung  der  Uterus- 
substanz eine  Gewichtszunahme  des  Mutterkörpers  bedingen 
muss,  sofern  nicht  anomale  die  Körperernährung  beeinträch- 
tigende Zustände  diese  Massenvermebrung  hindern,  durch 
krankhafte  gesteigerte  Ausscheidung  anderer  Stoffe  aus  dem 
mütterlichen  Organismus  ausgleichen,  oder  wenn  das  letztere 


1)  So  werden  Privatmittheilungen  infolge  in  einigen  Spitälern 
von  Paris  and  auf  der  internen  Abtheilung  des  Tübinger  Kranken- 
hauses die  Patienten  zum  Zwecke  der  Ermittelung  des  Einflusses 
einer  Krankheit  auf  den  Consum  von  Körpermas 8 e  etc.  bei  deren 
Aufnahme  in's  Spital,  öfters  im  Verlaufe  der  Krankheit  und  im 
Falle  einer  günstigen  Wendung  der  letzteren  auch  im  Verlaufe 
der  Beconvalescenz  ohne  nachweisbare  nachtheilige  Wirkung 
gewogen.  Was  nun  Kranken  nicht  schadet,  ist  gewiss  ^bei  Ge- 
sunden am  allerwenigsten  *u  befürchten. 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  9 

in  hohem  Grade  der  Fall  ist,  sogar  eine  Gewichtsverminderung. 
Dass  unter  physiologischen  Bedingungen  die  Gewichtszunahme 
constant  ist,  geht  überdies  aus  der  Tabelle  II.  zur  Genüge 
hervor,  wornach  sirfh  ein  Verbältniss  der  Abnehmenden  zu 
den  Zunehmenden  herausstellt 

im  achten  Monate  von  0  :    8, 
„   neunten    „         „     1  :  11,5, 
„    zehnten    „         „     1  :    6,24. 
Was   nun    die   Durchschnittszahlen    für   die   Gewichts- 
zunahme einer  Schwangeren  im  letzten  Dritttheil  ihrer  Gra- 
vidität betrifft,  so  haben  die   Untersuchungen  in  dieser  Be- 
ziehung (Tabelle  II)  ergeben,  dass  das  Weib  im  Mittel 

im  achten  Monate  um   2,4  Kilogrammes, 

„   neunten     „        „1,69         „ 

„   zehnten     „        „     1,54         „ 
an   Körpermasse    zunimmt,    oder   pro   mille   berechnet   auf 
1  Kilogramme  schwangere  Frau  ein  Zuwachs 

im  achten  Monate  von  37,9  Grammes, 

„   neunten     „        „     27,0 

„   zehnten      „        „    24,73       „ 
trifft 

b)  Abweichungen  vom  Mittel. 

Von  diesen  mittleren  Zahlen  kommen  häufige  Abweichungen 
nach  oben  und  unten  vor  und  ist  dies  bezüglich  der  89  In- 
dividuen, die  im  zehnten  Schwangerschaftsmonate  zugenommen 
haben,  aus  folgenden  Ziffern  zu  ersehen: 
Eine  Gewichtszunahme  vonO—  7a  KU.  erfuhren  11  Schwangere, 

»  »  n    1%       *       t>  yt  ""  t> 

1»  M  W        *•         *         „  „  11  „ 

n  »  »  2 — 3  „  „  20  „ 

w  *  »  3     4  „  „  o  „ 

t»  w  r*  *     &  »  *  4  » 

»  W  79  5 — 6  „  „  7  „ 

Bei  der  Erklärung  dieser  Schwankungen  kommen 
nach  Ausschluss  der  excessiv  nach  unten  und  oben  vom 
Mittel  sich  entfernenden  Abweichungen  zwei  Umstände  in 
Betracht,  nämlich  der  Einfluss  der  Körpermasse  und  die  Zahl 
red  Schwangerschaften   auf  die  Grösse  der  Gewichtszunahme. 


10  I.     Gatnur,  Ueber  die  Veränderungen 

Den  ersten  Punkt  betreffend  hat  sich,  wie  folgende 
Tabellen  zeigen,  durch  zahlreiche  Beobachtungen  bis  zur 
Evidenz  die  Tbatsache  ergeben,  dass  der  weibliche  Körper 
während  der  letzten  zwei  Monate  ders  Schwangerschaft  im 
geraden  Verhältnisse  zu  der  Grosse  seiner  Masse  an  Gewicht 
zunimmt.    So  vertheilen  sich 

21  Fälle,  wo  im  neunten  Monate  eine  Zunahme  stattfand,  und 
89      „       „     „  zehnten       „       „  „  „ 

in  diesem  Sinne  wie  folgt: 

Neunter  Monat 
Körpergewicht 
,       ou  Zahl  der  Falle.        Mittlere  Zunahme, 

der  Schwangeren. 

75—70,5  Rilogrammes  3  2,2  Kilograinmes. 

70—65,5  „  5  2,088 

65—60,5  „  5  2,03 

60—55,5  „  5  1,9 

55—50,5  „  3  1,62 

Zehnter  Monat. 
Körpergewicht 

der  Schwangeren.      Zahl  der  Fälle'        Mitt,ere   Zunfthme- 
75—70,5  Kilogrammes  7  2,55  Kilogramme*.  • 

70-65,5  „  20  2,3 

65—60,5  „  24  2,1 

60—55,5  „  '       27  m      1,9 

55-50,5  „    .  11  1,5 

Hinsichtlich  des  zweiten  Punktes  inachte  sich  der 
Einfluss  der  Zahl  der  Schwangerschaften  auf  das  Verhalten  der 
Massenzunahme  in  der  Art  geltend,  dass  sich  in  89  Fällen 
bei  Vergleichung  der  23  Erstgeschwängerten  mit  den  66  Mehr- 
geschwangerten eine  Differenz  der  Gewichtszunahme  von 
0,2  Kilogramme  zu  Gunsten  der  letzteren  herausstellte,  wie- 
wohl hei  den  ersteren  das  mittlere  Körpergewicht  um  0,8  Kilogr. 
mehr  betrug.  Es  wurde  sich  hier  eine  passende  Gelegenheit 
finden,  über  den  Einfluss  der  Grösse  der  Körpermasse  und 
der  Zahl  der  Schwangerschaften  auf  die  Massenentwicklung 
des  Eies  mich  näher  zu  verbreiten,  allein  ich  habe  es  vor- 
gezogen, diesem  Gegenstände  ein  eigenes  Capitel  anzuweisen 
(s.  später). 

Während  die  excessiv  hohen  Zahlen  der  Gewichtszunahme 
hu  pathologischen  Zuständen  —  in  8  Fällen  in  hochgradigem 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  H 

Oedem  der  unteren  Extremitäten  und  der  Bauchdecken  in  der 
Regio  hypogastrica ,  in  6  Fällen  in  hartnäckiger  lange  an- 
haltender Constipation  —  ihre  Erklärung  finden,  konnten 
keinerlei  die  die  excessiv  niederen  Zahlen  erklärenden  Momente 
im  gegebenen  Falle  nachgewiesen  werden. 

v  Gewicht  sab  nähme. 

Dagegen  sind  in  allen  jenen  Ausnahmsfällen,  in  denen 
eine  Gewichtsverminderung  im  Verlaufe  des  neunten  und 
zehnten  Monates  eintrat,  tiberall  greifbare,  die  Nutrition 
wesentlich  störende  Ereignisse  zur  Beobachtung  gelangt.  Unter 
diesen  will  ich  vorzugsweise  das  Absterben  und  Ver- 
weilen der  todten  Frucht  im  Cavum  uteri  hervor- 
heben, ein  Phänomen,  das  in  3  Fällen  beobachtet  jedes  Mal 
eine  sehr  nennenswerthe  Gewichtsabnahme  (2 — 3  Kilogrammes) 
innerhalb  8 — 14  Tagen  zur  Folge  hatte.  Diese  Constanz  der 
Gewichtsabnahme  dürfte  in  Fällen,  in  welchen  keine  fötalen 
Herztöne  zu  hören,  überhaupt  die  Zeichen  des  Lebens  nicht 
vorhanden  sind  und  andere  die  Körpergewichtsverminderung 
erklärende  Momente  vollkommen  fehlen,  sogar  ein  diagnosti- 
sches Zeichen  für  das  Abgestorbensein  der  Frucht  abgeben, 
und  verhalf  uns  dieser  Umstand  auch  in  der  That  schon 
einmal  zu  einer  solchen  Diagnose,  deren  Richtigkeit  durch 
die  Geburt  einer  todtfaulen  Frucht  erwiesen  wurde.  Wodurch 
nun  bei  solchen  Anomalien  diese  Abnahme  der  Masse  des 
mütterlichen  Körpers  zunächst  hervorgebracht  wird,  bin  ich 
allerdings  nicht  in  der  Lage,  direct  zu  zeigen,  und  vermuthe 
ich  wohl  mit  Recht,  dass  die  retrograde  Metamorphose  der 
Frucht  nach  dem  Tode  und  die  Verkleinerung  des  Eies  durch 
Resorption  von  Fruchtwasser  den  wesentlichsten  Antheil  daran 
haben;  denn  vergleicht  man  solche  todtfaulen  Kinder  mit 
lebenden  aus  demselben  Monate,  so  bemerkt  man,  dass  das 
Gewicht  ersterer  gegenüber  dem  der  letzteren  bei  sonst 
gleicher  Entwicklung  nach  der  Länge  und  Breite  auffallend 
gering  ist,  so  dass  man  sich  im  concreten  Falle  sagen  muss, 
dieses  Kind  hat  vor  intrauterin  erfolgtem  Ableben  ganz 
gewiss  ein  grösseres  Körpergewicht  gehabt  als  nach  4er 
Geburt.  Es  Ist  denkbar,  dass  auf  dem  physikalischen  Wege 
der  Exosmose  und  Endosmose    eine   Stoflabgabe   von  Seite 


12  I*     0aw««r,  Ueber  die  VeritndernogeD 

des  in  seinen  meisten  Gewebstheilen  .molekular  und  fettig 
degenerirten  Fötus,  vermittelt  durch  den  Funiculus  umbilicalis, 
die  Placenta,  die  epidermislose  Cutis,  theils  an  das  Frucht- 
wasser, tbeils  direct  an  den  Uterus  geschieht  —  Für  die 
Verkleinerung  des  Eies  in  Folge  von  Volumsverminderung 
des  abgestorbenen  Foelus  und  Resorption  von  Fruchtwasser 
spricht  die  Gewichtsverminderung  des  mütterlichen  Körpers, 
die  fast  ebenso  constante  Abnahme  der  Leibesperipherie, 
ferner  die  stets  zu  beobachtende  Eigentümlichkeit  der  un- 
verletzten Eihäute,  selbst  während  einer  Wehe  eine  gewisse 
Schlaffheit  und  Einstülpbarkeit  (sobald  der  untersuchende 
Finger  gegen  die  Blase  andrückt)  zu  besitzen,  in  Folge  derer 
die  Ruptur  der  Velamente  in  der  Regel  erst  erfolgt,  nachdem 
die  unversehrte  Blase  zwischen  den  äusseren  Genitalien  längere 
Zeit  sichtbar  war,  und  endlich,  wenn  man  will,  auch  der 
frühzeitige  Eintritt  der  Geburt  als  Folge  der  Incongruenz 
der  ausdehnenden  Kraft  des  Eies  und  der  renitirenden  Kraft 
des  Uterus  (Scanzoni).  Wenn  nun  auch  die  Behauptung  von 
Eichttaedt,  dass  dem  Eintritte  der  Geburl  nach  physiologi- 
schem Gesetze  eine  Volumsverminderung  des  Eies  durch 
spontanes  Fruchtwasserverschlingen  von  Seite  des  Foetus  als 
ursächliches  Moment  vorangehe,  der  Begründung  entbehrt, 
so  lässt  sich  doch  nicht  läugnen,  dass  unter  anomalen  Ver- 
hältnissen sich  die  Bedingungen  für  eine  Volumsverminderung 
(in  Folge  der  Resorption  von  Fruchtwasser  bei  Gegenwart 
einer  todtfaulen  Frucht  im  Uterus)  des  Eies  finden  können 
und  letztere  den  Eintritt  der  Geburt  zu  einer  abnormen  Zeit 
zur  Folge  haben  kann. 

Factoren  der  Gewichtszunahme. 

Es  bleibt  nun  noch  übrig,  die  Frage  zu  beantworten, 
ob  die  im  Vorausgehenden  nachgewiesene  Gewichtszunahme 
des  Weibes  innerhalb  der  letzten  3  Schwangerschaftsmonate 
unter  normalen  Verhältnissen  ausschliesslich  nur  auf  Rechnung 
der  durch  die  Schwangerschaft  im  mütterlichen  Organismus, 
in  specie  im  Genitalapparate  bedingten  Vorgänge  zu  setzen 
oder  auch  theilweise  in  Beziehung  zu  bringen  sei  zu  den  im 
Allgemeinen  günstigeren  Nutritionsverhältiüssen,  in  welche 
Schwangere  durch  ihre  Aufnahme  in  die  Gebäranstalt  in  Folge 


des  Körpergewichte«  bei  Schwangeren  etc.  13 

von  Ruhe,    Sorglosigkeit,   geordnete    Diät,    Reinlichkeit   etc. 
gelangen. 

Diese  Frage  ist  im  Allgemeinen  dahin  zu  beantworten, 
dass  zwar  das  Wachsthum  des  Eies  und  der  Uterussubstanz, 
sowie  der  Säftereicbthum  des  ganzen  Genitalapparates  einen 
grossen  Antbeil  an  der  Gewichtszunahme  des  mütterlichen 
Körpers  haben,  dass  aber,  wie  es  die  in  der  Tabelle  III. 
nachgewiesenen  Schwankungen  der  Gewichtsverhältnisse  inner- 
halb kleinerer  Zeiträume  darthun  und  wie  es  schon  apriori 
die  hohen  Zahlen  der  Gewichtszunahme  plausibel  machen, 
auch  im  Gesammtorganismug  Schwangerer  sich  Bedingungen 
zur  Vermehrung  seines  materiellen  Substrates  finden.  —  Ganz 
abgesehen  davon,  dass  um  die  fragliche  Zeit  der  Gravidität 
"die  seröse  Infiltration  der  unteren  Extremitäten  als  Ausdruck 
einer  physiologischen  Circulationsbehinderung  ein  ganz  gewöhn- 
liches Phänomen  ist  und  in  höheren  Graden  als  Oedem  bei 
Erstgeschwängerten  unter  100  Fällen  42  Hai  und  bei  Mehr- 
geschwängerten bei  einer  gleichen  Anzahl  von  Fällen  25  Mal 
beobachtet  wurde,  abgesehen  ferner  von  den  durch  mechanische 
Compression  der  Venae  ifiacae  hervorgerufenen  Varicositäten 
der  ausserhalb  der  Fascien  liegenden  Venen  der  unteren 
Extremitäten,  kann  es  auch  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass 
bei  der  grossen  Unthätigkeit  und  dem  guten  diätetischen 
Regime  der  in  Gebäranstalten  verpflegten  Schwangeren  nach 
Abzug  des  zum  Schwangerschaftszwecke  verwendeten  Materials 
immerhin  noch  ein  Plus  von  Nutritionsmaterial  dem  Organismus 
entweder  in  Form  eines  organischen  (Blut,  Lymphe  etc.) 
oder  organisirten  StofTes  (Fett,  Zellgewebe,  Muskelgewebe  etc.) 
assimilirt  wird  und  so  als  Massenvermehrung  zur  Zunahme 
des  Körpergewichtes  beiträgt. 

Wie  viel  Kilogrammes  nun  auf  jeden  einzelnen  der 
genannten  Factoren  zu  setzen  seien,  lässt  sich  schlechterdings 
nicht  bestimmen,  da  vor  allen  Dingen  die  Gewichtsdifferenz 
des  Eies  in  den  3  letzten  Monaten  seiner  Entwicklung,  ebenso 
die  Gewichtsdifferenz  des  Uterus  innerhalb  dieser  Zeit  genau 
gekannt  sein  musste,  um  nach  Subtraction  dieser  gefundenen 
Differenz  von  der  Gesammtzunahme  den  noch  übrig  bleibenden 
Zahlenrest    als    Antbeil    der    allgemeinen    Massenvermehrung 


14  *•    &«MM4r,  Ueber  die  Verände  magern 

des  mütterlichen  Körpers  ansprechen  zu  können.  Indessen 
will  ich  es  doch  versuchen,  die  Gewichtsdifferenz  des  Eies 
in  den  letzten  3  Monaten  seiner  Entwicklung  wenigstens  durch 
approximative  Zahlen  anzudeuten.  —  Da  beiläufig  die  Gewichts- 
zunahme eines  Kindes 

im  achten  Monate  0,5  Kilogramme, 
„    neunten     „       0,75        „ 
„    zehnten     .,      0,75        „ 
beträgt,  die  Quantität  des  Fruchtwassers  (siehe  später) 

im  achten  Monale  ein  Plus  von  0,375  Kilogramme, 

„   neunten     „        „       „       „    0,25 

„    zehnten     „         „       „       „     0,25 
erhält  und  die  Nachgeburt  in  d:    en  3  Monaten  je  um  0,084  Kilo- 
gramme an  Gewicht  zunimmt,  so  wird  sich  darnach  für  den 
achten  Monate  eine  Gewichtsdifferenz  des  Eies  von  ca.  1,0  Kilogr. 
neunten    „        „  „  „      „      „     „    1,0    „ 

zehnten    „        „  „  „     „      „     „    1,0    „ 

herausstellen.  Nimmt  man  noch  schätzungsweise  an,  dass  das 
Wachsthum  der  Uterussubstanz  und  der  Säftereichthum  in 
der  Genitalsphäre  in  jedem  einzelnen  Monate  besprochener 
Schwangerschaftszeit  eiu  Plus  von  0,125  Kilogramme  zu  den 
eben  genannten  Differenzen  hinzufügt,  so  ist  die  vorhin 
ausgesprochene  Behauptung  gerechtfertigt,  dass  die  Gewichts- 
zunahme zwar  vorzugsweise  durch  die  localen  Vorgänge  im 
sexuellen  Gebiete  bedingt  ist,  dass  aber  daran  auch  der 
Gesammtorganismu8  des  schwangeren  Individuums  participire ; 
es  ist  daher  erlaubt,  den  Satz  aufzustellen,  dass  der  Gesammt- 
organismus  während  der  Schwangerschaft  (wenigstens  während 
der  letzten  3  Monate  derselben)  in  Folge  seiner  grösseren 
Vitalität  eine  primäre  Erhöhung  der  Fähigkeit  zu  assimiliren, 
Organisches  und  Organisirtes  zu  produciren,  erfahrt,  um 
secundär  aus  dem  Ueberschusse  der  assimilirten  Stoffe  der 
speciellen  Aufgabe,  nämlich  dem  Aufbaue  eines  neuen  Wesens, 
zu  genügen. 

Nach  welcher  Richtung  die  Assimilation  ihre  Thätigkeit 
besonders  entfaltet,  ob  in  der  gleichmässigen  Vermehrung 
aller  Blutbestandtheile  oder  in  einer  ungleichmässig  grossen 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc. 


15 


Producüon  des  einen  oder  anderen  Blutbestandtheiles  z.  ß. 
der  rothen  oder  weissen  Blutkörperchen  (Plethora- Chlorose 
ähnliche  Blutbeschaflenheil),  des  Blutserums,  des  Fibrins 
(fibrinöse  Blutkrase  Schwangerer  nach  Kiwiach)  oder  ob  in 
der  Verwendung  des  vermehrten  Plasma  zur  Neubildung  von 
Geweben,  lässt  sich  auf  Grund  des  im  Vorausgehenden  Aus- 
einandergesetzten nicht  entscheiden. 

Eine  Erklärung  für  die  Zunahme  des  Gesammtorganismus, 
abgesehen  von  dem  Antheile  des  wachsenden  Eies,  in  der 
Annahme  erblicken  zu  dürfen,  dass  in  Folge  der  physiologi- 
schen Cession  der  Catamenien  das  Blutquantum,  das  perioden- 
weise in  den  9  Monaten  der  Schwangerschaft  auszuscheiden 
gewesen  wäre  und  im  Ganzen  vielleicht  ein  mittleres  Gewicht 
von  2  Kilogrammes  bedingt  haben  würde,  im  Organismus 
zurückgehalten  dessen  Massenzunalmie  verursache,  ist  un- 
statthaft, weil  für's  erste  das  wachsende  Ei,  insbesonders  das 
Kind,  noch  weit  mehr  mütterliches  Blut  su  seiner  Entwicklung 
bis  zur  Reife  gebraucht  als  das  in  Folge  der  Menstruatio 
suppressa  im  Körper  der  Mutter  zurückgehaltene,  ferner  weil 
die  Grösse  der  Zunahme  in  den  letzten  3  Monaten  (1,425  Kilo- 
gramme) die  Quantität  des  Menstrualblutes  dreier  Monate 
(0,6  Kilogramme)  weit  übersteigt. 

Tabelle  I. 


Mittleres 

Körpergewicht 

einer  Schwangeren 

am  Ende 

des  10.  Monates. 

einer  am   normalen 
Schwangerschafts- 
ende 
Neuen  tbondenen. 

einer  Wöchnerin 

des 

7.— 8.  Wochenbetts - 

t«ges. 

Zahl 

der 

Falle. 

Mittel 
des  Körper- 
gewichtes in 
Kilogrammes 
ausgedrückt. 

Zahl 

der 

Fälle. 

Mittel 
des  Körper- 
gewichtes in 
Kilogrammes 
ausgedrückt. 

Zahl 

der 

Fälle. 

Mittel 
des  Körper- 
gewichtes in 
Kilogrammes 
ausgedrückt. 

242 

62,8 

190  • 

56,26 

269 

51,45 

16 


I.     Gattner,  Ueber  die  Veränderungen 


2 

c 
o 
£ 


0* 

s 


CO 


3 


s 

TT 


CA 


13 


«0 


13 

e 


u 

s- 

•o 


1 

~ 

•  43 

1   3  3 

h  o  • 

1  « -J 

83g£a 

S 
8 

§ 

CO 

CN 

CN 

rechnet 
angerei 
r  Abna 

i 

CN 

CO 

slHl 

3 
3" 

e,    bei 
Schw 
eis  de 

ftd0a 

S<*aM 

fa  . ...  . 

m* 

~ 

«-4 

m  V  *•  © 
*  o  a  C 

*5M 

c 

© 

o 
t- 

04 

cc 

• 

•c 

i    5"ä> 

-    -- 



•«  B  8 

• 

ittcl 

esam 

Abi 

2*S 

3 

Sa 

& 

p 

o 

5   •  ** 

u 

9    U  JS 

CD 

43 
U 

ml 

© 

CN 

8 

©f 

5 

«c 

ce 

<© 

I 

00 

i 

g 

fcT 

1                      43 

mm     V 

WS 

* 
s 

o 
3 
M 

l 

3. 

cT 

•  *c 

■« 

2J  * 

.12  • 

SO 

u 

9 

ß 

ja 

S 

^L 

© 

3' 

*o 

0 
0 

3 
M 

©f 

CN 

CN 

(3 

P  *» 

© 

.  a 

««a 

bto 

«o  8 

1 

CN 

r» 

9  -« 

«i  © 

i 

T+ 

£* 

o 

~«  a  © 

« 

1        4j«0 

te 

«43   fl 

a 

o  S 

* 

OS 

•  ES 

00 

mi 

C3> 

k  ■*- 

« 

ao 

i-  'O 

TJ 

D 

4 

V 

h 

« 

3    * 

bo 

X 

it 

so 

4    ^ 

4 
f 

■ 
00 

C< 

o 

INI 

£ 

V      ■ 

■  m 

CD 

3i 

ö 

£4= 

"    1 

des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc. 


17 


Tabelle  in. 

Körpergewichtsveränderungen  des  Weibes  in  den  12  letzten  Wochen 
der  Schwangerschaft. 


•   © 

c 

Zahl 

Mittel  der  Zun  ahme, 

bL  O 

*°    «MD 

der  Schwangeren, 
die  an  Gewicht 

Mittel 
der  Gewichts- 

berechnet für  die 
Gesammtzahl   der 

*  • 

CO 

Schwangeren  nach 

-'S 

CO   ü 

«0 

zu- 
genommen. 

ab- 
fecoiyimei». 

zunahme.     Abnahme. 

Abzug  des  Mittels 
der  Abnahme. 

KUogr. 

KHotfr. 

Kilogramme. 

29. 

3 

3 

— 

0,67 

— 

0,67 

30, 

3 

3 

— 

0,79 

0,79 

31. 

6 

4 

g 

0,78 

0,86 

0,235 

32, 

7 

7 

— 

0,905 

— , 

0,906 

33. 

14 

10 

4 

M« 

0,35 

0,72 

34, 

19 

14 

:i 

0,9]  5 

0,72 

0,485 

35, 

ff 

21 

7 

1,275 

0,1166 

0,716 

Stf. 

4t 

30 

11 

0,920           0,65 

0,626 

37. 

61 

46 

16 

1,26       1      0,425 

0,745 

38, 

77 

53 

24 

0,9 

0,735 

0,4 

39. 

so 

54 

26 

1,045 

0,55 

0,63 

40. 

54 

34 

SO 

1,125 

0,91 

0,37 

Anmerkung.    Die  mittlere  Gewichtszunahme  in  diesen  zwölf 
Wochen  beträgt  sonach  7,09  Kilogramme»,  ein  Resultat,  das  dem 
auf  Tab.  II.  verzeichneten  bedeutend  widerspricht;  dieser  Wider- 
spruch erklärt  sich  dadurch,   dass   in  den  grösseren  Zeiträumen, 
wovon  dort  die  Rede  ist,    die  grössere  Gewichtszunahme  wieder 
durch    grössere    Gewichtsabnahme    ausgeglichen   wurde,    so   dass 
schliesslich  als  Mittel  eine  Gewichtszunahme  sich  herausstellte 
im  achten  Monat  von  2,4  Kilogrammes, 
„    neunten      „         „     1,69  Kilogramme, 
„    zehnten      „         „     1,64  „ 

Tabelle  IV. 


Innerhalb 
eines 
Zeit- 
abschnittes 
von 


betrug  bei 
einer  Anzahl 


die  Zunahme  des  Körpergewichtes 
berechnet 


nach 
Kilo- 
grammes. 


als 

Procent 

d.  mütterl. 

Körpers. 


I  in  I 

Proportion  |  auf 

zu  dem  1  Kilogr. 

mfltterl.  '       Weib 

Körper.  I  (pro  mille). 


3  Monaten 
ante  partum 

2  Monaten 
ante  partum 

1  Monate 
ante  partum 


8  Indivuen 

106 


4,8 

3,05 

1,54 


Procent. 
7,68 
4,9 
2,473 


llonatsscbr.  f.  Geburtsk.  1862.  Bd.  XIX.,  Hfl.  1  u.  2. 


Gramm  es. 

1  :  13,2     i       76,8 

1  :  20,42  j       49,0 

1  :  40,43  24,73 

2 


lg  I.     Gassner  y  Ueber  die  Veränderungen 

II. 

Gewichtsveränderungen  des  Weibes  in  Folge  der  Geburt 

Gewichtsverlust. 

a)  Mittel  desselben 

<r)  In  Folge  der  rechtzeitigen  Geburt. 

Die  Ausstossung  des  vollkommen   entwickelten  Eies  am 
normalen  Schwangerschaftsende,  sowie  der  damit  verbundene 
Abgang  von  Blut  und  Exkrementen  bedingt,  nach  dem  Mittel 
von  190  Fällen  berechnet,  einen  Gewichtsverlust  des  mütter- 
lichen Körpers   von  6,564  Küogrammes,    so  dass,   da   das 
mittlere  Körpergewicht  einer  am  normalen  Schwangerschaft^- 
ende  Kreissenden  62,8  Küogrammes  beträgt,  1  Kilogramme  Weib 
in  Folge  der  Entbindung  0,1045  Kilogramme  oder  104,5  Grammes 
verliert,  wornach  sich  folgende  Proportion  ergibt: 
Grösse  des  Gewichtsverlustes  :  Grösse  des  Körpergewichtes 
=  1  :  9,57. 
Nach    Procenten    berechnet    ist    die    Gewichtsabnahme 
=  10,45  ProcenL 

ß)  in  Folge  der  Frühgeburt. 

Die  Verminderung  der  Körpermasse  durch  die  Entleerung 
des  Uteruscontentums  bei  Frühgeburten  gestaltet  sich  nach 
den  einzelnen  Monaten  in  der  Art,  dass  die  Grösse  der 
Gewichtsabnahme  entsprechend  der  fortschreitenden  Enl- 
Wickelung  des  Eies  mit  der  Zahl  der  Monate  steigt,  wie  aus 
folgender  Tabelle  hervorgeht. 

Zahl  Mittlere  Auf  1  Kilogramme 

der  Fälle.     Abnahme.       Kreissende    berechnet. 

Anf.  d.  6.  Monats  2  3,485  Kilogr.  66,08  Grammes. 

Ended.7.     „  1  4,00        „  70,0 

Anf.  d.  8.     „  3  4,32        „  74,0 

Ended.9.     „  5  4,85        „  85,0 

y)  in  Folge  der  Zwülingsgebnrt. 

Der  Gewichtsverlust  in  Folge  der  Zwillingsgeburt  ist 
bedeutend;  doch  ist  zu  bedenken,   dass  die  Zahl  der  hieber- 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  19 

gehörigen  Fälle  zu  gering  ist,  um  dem  daraus  gewonnenen 
Resultate  die  Bedeutung  einer  Thatsache  beilegen  zu  können. 
In  zwei  Fällen  von  Zwülingsgeburt  entziffert  sich  eine  mittlere 
Abnahme  von  11,815  Kilogrammes,  oder  auf  1  Kilogramme 
Weib  trifft  ein  Verlust  von  132,1  Grammes. 

b)  Abweichungen  vom  Mittel. 

Wie  bezüglich  der  Zunahme  der  Körpermasse  während 
der  Schwangerschaft,  so  kommen  auch  in  Bezug  auf  die 
Grösse  des  durch  die  Geburt  gesetzten  Gewichtsverlustes 
häufige  Differenzen  vor,  wie  aus  Tabelle  VI.,  zu  ersehen  ist, 
die  mit  Ausschluss  der  excessiv  nach  oben  und  unten  vom 
Mittel  sich  entfernenden  Abweichungen  ihre  Begründung  darin 
finden,  dass  sich  im  Allgemeinen  die  Grösse  des  in  Rede 
stehenden  Verlustes  nach  der  Grösse  des  Körpergewichtes 
der  Kreissenden  richtet,  so  dass  also  diesem  Gesetze  ent- 
sprechend kräftig  entwickelte  Frauen  in  Folge  der  Geburt 
eine  bedeutendere  Abnahme  ihres  Gewichtes  erfahren  als 
schwächere.  Diese  Behauptung  bestätigt  nachstehende  Zu- 
sammenstellung : 


Körpergewicht 

Zahl 

Mittlerer 

der  Kreissenden. 

der  Fälle. 

Gewichtsverlust. 

80 — 70,5  Kilogrammes 

26 

8,01 

Kilogrammes. 

70-68,0 

13 

7,37 

>» 

67,5—65,5 

28 

7,25 

»» 

65—60,5 

50 

6,60 

»» 

60—55,5 

48 

6,30 

M 

55—50,5 

17 

5,20 

n 

50—45,6 

7 

4,50 

»» 

Ausserdem  macht  sich  auch  noch,  wie  bei  der  Schwanger- 
schaft in  Betreff  der  Zunahme,  so  hier  hinsichtlich  der  Ab- 
nahme ein  Einfluss  der  Zahl  der  Geburten  in  der  Weise 
geltend,  dass  die  Primiparae  (V8)  gegenüber  den  Multiparae 
(%)  bei  sonst  fast  ganz  gleichen  Körpergewichtsverhältnissen 
einen  geringeren  Gewichtsverlust  erleiden,  und  zwar  beträgt 
die  Differenz  0,31  Kilogramme. 

Was  die  einen  ungewöhnlich  hohen  und  niederen  Gewichts- 
verlust ausdrückenden,  &°s  dem  Gesetze  der  proportionalen 
Abnahme   nicht  zu  begreifenden   Zahlen  (von  9  — 15   Kilo- 

2* 


20  I-     Oatsner,  lieber  die  Verl  od  orangen 

grammes  nach  aufwärts  und  von  4—3  Kilogramines  nacli 
abwärts)  betrifft,  finden  in  allen  28  Fällen  denen  sie  an- 
gehören, die  einen  ihre  Erklärung  meist  in  enormen  Mengen 
von  Fruchtwasser,  in  Metrorrhagie,  Zwillingsgeburten,  starker 
Evacuatio  alvi  während  der  Entbindung  etc.,  —  die  anderen  in 
einer  geringen  Entwicklung  des  ganzen  Eies,  besonders  des 
Kindes  bei  einer  minimalen  Menge  der  amniotischen  Flüssigkeit. 

c)  Factoren  des  Gewichtsverlustes, 
a)  Mittlere  Crosse  der  einzelnen  Factoren. 

Das  ausgestossene  Ei  bildet  den  Hauptfactor  und  beträgt 
sein  Gewicht  im  Durchschnitte  5,76  Kilogrammes,  auf  welche 
sich  seine  Bestandteile  in  folgender  Weise  vertheileu: 
Mittleres  Gewicht  des  Kindes  =  3,283  Kilogrammes, 

„  „        „    Fruchtwassers  =  1,877  „ 

„  „       der  Nachgeburt      =*=  0,600  „ 

Die  anderen  Factoren  sind:  die  durch  Lunge  und  Haut 
während  der  Entbindung  abgegebenen  Stoffe,  die  inter  partum 
ausgeschiedenen  Excremente,  sowie  das  in  der  Nachgeburts- 
periode und  mit  der  Hinwegnahtne  der  Nachgeburt  entleerte 
Blut;  ihr  Antheil  an  der  Verursachung  des  Gewichtsverlustes 
ist  ein  geringer  und  beträgt  nur  0,804  Kilogramme,  wovon 

auf  das  Blut im  Mittel  0,250  Kilogramme, 

„  die  Excremente „       „       0,404  w 

„    „    Lungen-  und  Haut-  j 


treffen. 


ausdunstung  <     "       "      °,15° 


ß)  Schwankungen  der  Grosse  der  Factoren  —  ihre  Ursachen. 

Ich  muss  auch  hier  wieder  darauf  aufmerksam  machen, 
dass  nicht  unerhebliche  Gewichtsschwankungen  einzelner  oder 
aller  Factoren  vorkommen,  die  entweder  in  pathologischen 
Vorgängen  oder  in  dem  Gesetze  der  unter  physiologischen 
Verhältnissen  dem  Körpergewichte  proportionalen  Massenrer- 
mehrung  des  Eies  ihre  Ursache  haben,  und  die  auch  schon 
apriori  aus  den  Schwankungen  der  Grösse  des  Gewichts- 
verlustes begriffen  werden. 

Solche  pathologische,  die  Gewichtsschwankungen  der 
Factoren  verursachende  Erscheinungen  sind:    schlechte   Ent- 


des  Körpergewichte»  bei  Schwangeren  etc. 


21 


wicklung  des  Kindes,    Hydramnios,    profuse    Schweisse    und 
Diarrhöen,  Metrorrhagie  etc.  etc. 

Das  Gesetz  der  der  Grösse  des  mütterlichen  Körper- 
gewichtes proportionalen  Massenverinebrung  des  Eies  macht 
sich  in  folgenden  Tabellen  in  ecla tanter  Weise  geltend: 


Körpergewicht 

Zahl 

Mittleres  Körpergewicht 

der 

der 

der 

Kreissenden. 

Fälle. 

betreffenden 

Kinder. 

80 — 75,5  Kilogrammes 

6 

3,677  Kiio§ 

pammes. 

75— 70,5 

w 

27 

3,541 

»» 

70;— 66,5 

n 

49 

3,416 

»» 

65—60,5 

» 

70 

3,260 

n 

60—55,5 

1»          • 

56 

3,203 

•f 

55—50,5 

11 

23 

2,995 

w 

60—454 

♦1 

7 

2. 

Zahl 

2,835 

11 

Körpergewicht 

Mittleres 

Gewicht 

der 

der 

der  betreffenden 

Kreissenden. 

Falle. 

Frnchtwassermenge. 

80 — 75,5  Kilogrammes 

3 

2,535  Kilogrammes. 

75—70,5 

n 

17 

2,665 

w 

70-65,5 

w 

32 

2,125 

1» 

65—60,5 

« 

48 

1,780 

11 

60-55^ 

n 

35 

1,745 

11 

55  —  50,5 

w 

14 

1,185 

11 

50—45,5 

ff 

4 

1,095 

11 

45—40,5 

w 

1 

0,750 

1t 

Körpergewicht 

3. 

Zahl 

Mittleres  Gewicht 

der 

der 

der  betreffenden     * 

Krebsenden. 

Falle. 

Nachgebarten. 

80 — 754  Kilogrammes 

3 

0,750  Kilogrammes.   . 

75—70,5 

n 

23 

0,666 

fl 

70—65,5 

>t 

38 

0,665 

1f 

65—604 

» 

53 

0,626 

11 

60-55,5 

w 

49 

0,570 

11 

55—50,5 

»♦ 

22 

0,517 

11 

50—454 

n 

5 

0,420 

» 

22 


I.    Gastner,  Ueher  die  Veränderungen 


Es  sei  mir  gestattet,  an  diesem  Platze  einige  Notizen 
über  das  Verhältnis*  des  Gewichtes  des  Kindes  zu  dem  des 
Fruchtwassers  und  der  Nachgeburt  einzuflechten. 

Aus  der  grossen  Reihe  der  darüber  geführten  Unter- 
suchungen erhellt  die  Thatsache,  dass  das  Fruchtwasser 
und  die  Nachgeburt  ein  dem  Körpergewichte  des  Kindes 
proportionales  Gewicht  haben,  so  dass  also  nicht  eine  Com- 
pensation  in  der  Weise  stattfindet,  dass  bei  einem  grossen 
Kinde  wenig  Fruchtwasser,  bei  einem  schlecht  entwickelten 
Kinde  viel  Fruchtwasser  etc.  etc.  vorhanden  ist.  Die  Con- 
gruenz  der  eben  besprochenen  Beziehung  des  Kindes  zu  den 
Nachgeburtstheilen,  in  specie  zu  der  Placenta,  ist  so  selbstredend, 
dass  selbst  ein  directer  Beweis  dafür  nicht  geführt  zu  werden 
brauchte;  denn  es  ist  unschwer  einzusehen,  dass  die  Placenta 
als  fötales  Nutritions-  und  Respirationsorgan  eines  dem  Um- 
fange ihrer  Function  angemessenen  materiellen  Substrats  bedarf. 

Die  gesammte  Thatsache  wird  aufs  Bestimmteste  nach 
beiden  Richtungen  durch  folgende  Zahlenverhältnisse  bewiesen: 

1. 

Ztihl 

der 

Fälle. 

1 

1 

7 
51 
66 
23 

5 
2. 

Zahl 

der 

Fälle. 

1 

2 

8 

60 
83 
A3 

3 


Körpergewicht 
des 
Kindes. 
5,00  Kilogrammes 
487 
4,00 
3,65 
3,20 
2,70 
2,30 

Körpergewicht 

des 

Kindes. 

5,0  Kilogrammes 

4,5 

4,0 

3,5  „ 

3,0 
2,5 
2,0 


Mittleres  Gewicht 
des  betreffenden 
Fruchtwassers. 
4,200  Kilogrammes, 
3,500 
2,320 
2,010 
1,910 
1,445 
1,350 

Mittleres  Gewicht 
der  betreffenden 
Nachgeburten. 
1,125  Kilogrammes, 
0,905 
0,845 
0,685 
0,582 
0,498 
0,416 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  23 

Aus  dem  Vergleiche  der  Massenverbältnisse  des  Eies 
der  Primiparae  mit  denen  des  Eies  der  Multiparae  resultirt 
als  Erläuterung  des  geringeren  Gewichtsverlustes  Ersterer 
gegenüber  den  Letzteren  die  Thatsache,  dass  unter  sonst  ganz 
gleichen  Verhältnissen  das  Ei  der  Primiparae  um  0,322  Kilo- 
gramme dem  Gewichte  des  Eies  der  Multiparae  nachsteht, 
und  zwar  ist  diese  Diflerenz  die  Summe  folgender  Differenzen 
der  einzelnen  Bestandteile  des  Eies: 

Das  Kind  einer  Primipara  wiegt  im  Mittel  um  0,104  Kilo- 
gramme weniger  als  das  einer  Multipara. 
Das   Fruchtwasser   einer   Primipara   wiegt  im  Mittel   um 

0,202  Kilogramme  weniger  als  das  einer  Multipara. 
Die    Nachgeburt    einer    Primipara    wiegt    im    Mittel    um 
0,016  Kilogramme  weniger  als  die  einer  Multipara. 

Vergleich  der  Grösse  des  Eies  und  der  Masse  des  mütter- 
lichen Körpers  mit  der  Dauer  der  Geburt,  insbesondere 
der  ersten  Geburtsperiode  (bis  zum  Blasensprunge  und 
sur  vollständigen  Erweiterung  des  Orificii  uteri). 

«)  Vergleich   der   Grösse    des   Eies   mit   der   Dauer 
der  Geburt. 

Da  in  jedem  concreten  Falle,  einige  Eventualitäten  aus- 
geschlossen, die  Quantität  aller  durch  den  Geburtsact  aus 
der  Uterinhöhle  ausgestossenen  Bestandteile  des  Eies  unter 
Anwendung  der  in  der  Einleitung  näher  besprochenen  Cau- 
telen  äusserst  genau  bestimmt  werden  kann,  so  ist  klar,  dass 
die  durch  Addition  der  gefundenen  einzelnen  Zahlenwerthe 
erhaltene  Totaisumme  das  Gewicht  des  ganzen  Eies  ausdruckt, 
und  es  erlaubt  ist,  aus  der  Grösse  des  Gewichtes  auf  die 
Grösse  seines  Gubiscben  Inhaltes  und  seiner  Peripherie  eineh 
Schluss  zu  ziehen.  Diese  Berechnung  der  Einlasse  habe  ich 
nun  an  154  Individuen  angestellt  und  zwar  in  der  Absicht, 
unter  genauer  Aufzeichnung  der  Dauer  der  Geburt  und  ihrer 
Perioden,  besonders  des  Eröffnungsstadiums  zu  ermitteln,  ob 
bei  Geburten,  die  die  normale  Schwangerschaft  beenden, 
mit  der  Zunahme  des  Gewichtes  des  Eies,  id  est,  mit  der 
Zunahme  seines  cubischen  Inhaltes  und  seiner  Peripherie  auch 
die  Zahl  der  Stunden  der  Geburtsdauer,  besonders  der  ersten 


24  I»    Gauner,  Ueber  die  Veränderungen 

Geburtsperiode  zu  —  oder  im  umgekehrten  Verhältnisse  mit 
der  Abnahme  der  Grösse  des  Eies  auch  die  Zahl  der  Geburts- 
dauer abnimmt 

Es  brachte  mich  zu  dieser  Idee  der  Umstand,  dass  grosse 
Ausdehnung  der  Gebärmutter  in  Folge  von  vielem  Frucht- 
wasser, grossem  Kinde,  Zwiüingsfröcbten,  kurz  in  Folge  eines 
Eies  von  ungewöhnlicher  Grösse  ziemlich  allgemein  als  ein 
indirectes,  die  Uterussubstanz  verdünnendes  und  daher  ihr 
Contractionsvennögen  verminderndes ,  ätiologisches  Moment 
der  sogenannten  primären  Wehenschwäche  angeklagt  wird 
(Naegde,  Scanzoni  u-  v.  a.  A.)'. 

Die  Beurtheilung  der  Grösse  des  Eies  darf  nicht 
gesondert,  sondern  nur  mit  Beziehung  auf  das  Gesetz  der 
dem  Körpergewichte  der  Mutter  proportionalen  Massenent- 
wicklung des  Eies  geschehen,  so  dass  man  also  nicht  ab- 
solut, sondern  nur  relativ  von  einem  grossen  oder  kleinen 
Eie  sprechen  darf.  Dieser  Umstand  muss  von  vorneherein 
zur  Vermeidung  falscher  Schlüsse  berücksichtigt  werden; 
denn  es  handelt  sich  um  die  Ermittelung  des  Einflusses  der 
zu  dem  Gewichte  des  Mutterkörpers  improportional  grossen 
oder  kleinen  Eier  auf  die  Geburlsdauer;  ausserdem  ist  klar, 
dass  ein  der  Masse  des  Körpers,  dem  es  angehört,  propor- 
tional entwickeltes  Ei  im  Allgemeinen  auch  in  einem  Uterus 
wurzeln  wird,  der  es  mit  einer  der  Oberfläche  des  Eies 
entsprechend  reichen  Muskellage  umschliesst  Es  ist  daher 
am  geratensten,  die  Grösse  des  Eies,  aus  der  sich  die  Ober- 
fläche begreift,  als  procentigen  Werth  seines  Mutterkörpers 
hinzustellen,  wie  dies  in  der  hierauf  bezüglichen  Tabelle  VIII. 
geschehen  ist,  um  daraus  auf  eine  improportionale  Erhöhung 
oder  Verminderung  setner  Peripherie  zu  schliessen,  und  diesen 
Schluss  weiter  auf  die  Relation  dieser  Erhöhung  oder  Ver- 
minderung zu.  der  Geburtsdauer  ausdehnen  zu  können. 
Zum  besseren  Verständnisse  der  ebenerwähnten  Tabelle 
will  ich  die  mittleren  Zahlenverhältnisse  des  Pro- 
centes  des  ganzen  Eies,  der  Dauer  der  Geburt  etc.  hier, 
folgen  lassen: 

Das  ganze  Ei  beträgt  im  Mittel  9,21  Procent  des 
mütterlichen  Körpers  einer  Kreissenden  von  dem  be- 
kannten Durchschnittsgewichte,  — 


/ 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  25 

oder  in  Proportion  ausgedrückt  verhält  sich  die  Masse 
des  Eies:  Körpennasse  der  Motter  =  1  :  10,81  — 
oder  auf  1  Kilogramme   kreissendes  Weib  kommen  im 
Mittel  92,1  Grammes  EL 

Die  mittlere   Dauer  der  ganzen  Geburt  umfasst  in 
diesen  154  Fällen  (44  Primiparae  und  1 10  Multiparae) 
12  Stunden,  die  Eröffnungsperiode  (bis  zur  vollständigen 
Erweiterung   des  Muttermundes   und    dem   gewöhnlich 
gleich  darauf  folgenden  Blasenspruuge)  10  Stunden. 
Ich  wiederhole,   dass  ich  bei  der  Beurtheilung  des  frag- 
lichen Einflusses   der  improportionalen  Grösse   oder  Kleinheil 
des  Eies  auf  die  Geburtsdauer  den   Accent    nicht    auf   die 
ganze  Geburtsdauer,    sondern   nur    auf  den  Zeitraum  lege, 
der  das   erste  Geburtsstadium   ausfällt.     Denn  erstens  bleibt 
während  des  Letzteren  wegen  Mangel  mechanischer  die  Geburt 
retardirender    Hindernisse    die   Beobachtung   reiner,    sodann 
sind    einerseits   im    zweiten   Stadium  nicht   mehr   dieselben 
Volumsverhältnisse  des  Eies  vorbanden   wie  im  ersten,   die 
Kraft  des   Uterus,   der  sich  nach  dem  Abfluss  des  Frucht- 
wassers  um   ein   Contentum    von    geringerem   Volumen    mit 
relativ    vermehrter    Muskelmasse    zusammenzieht,    hat    sich 
geändert,  abgesehen  davon,  dass  andererseits  in  der  Beschaffen- 
heit des  Beckens,  der  Weichtheile  und  dem  kindlichen  Kopfe 
unzählige,   für   unsere   Berechnung   gar  nicht   abzuwägende, 
hindernde  oder  die  Geburtsbescbleunigung  wesentlich  fördernde 
Momente  liegen. 

Die  Untersuchungen  Aber  den  in  Rede  stehenden 
Einfluss  der  improportionalen  Grössenverhältnisse  des  Eies 
auf  die  Dauer  der  ganzen  Geburt  und  des  ersten  Geburts- 
stadiams  insbesondere  haben,  wie  Tabelle  VIII.  zeigt,  ein 
durchaus  negatives  Resultat  ergeben;  denn  auf  der  einen 
Seite  ist  zur  Verkleinerung  gleicbprocentiger  Eier  eine  ver- 
schieden lange  Zeitdauer  erforderlich  und  auf  der  anderen 
Seite  umfasst  das  erste  Geburtsstadium  bei  verscbieden- 
prooentigen  Eiern  eine  gleiche  Anzahl  von  Stunden.  Dieses 
Resultat  ist  gegen  alle  Vermuthung  ausgefallen;  denn  man 
sollte  a  priori  denken,  dass  zur  Verkleinerung  eines  impro- 
portional grossen  Eies  eine  längere  Zeit  erfordert  werde  als 
zur  Verkleinerung  eines  improportional  kleinen  Eies,  da  im 


26  I-     Gauner  t  Ueber  die  Veränderungen 

ersten  Falle  die  Conlractionskraft  des  unverhältnissmässig  stark 
ausgedehnten  und  darum  muskelärmeren  Uterus  auf  mehrere 
Punkte  (wegen  der  grösseren  Oberfläche)  vertbeilt  schwächer  und 
langsamerwirken  muss  als  im  letzteren  Falle,  wo  die  Contracüons- 
kraft des  unverhältnissmässig  wenig  ausgedehnten  und  darum 
muskelreicheren  Uterus  auf  wenigere  Punkte  (wegen  der  kleineren 
Oberfläche  des  Eies)  vertheilt  stärker  und  schneller  wirken  muss. 

Allein,  wie  bemerkt,  diese  Vermuthung  hat  ihre  Wider- 
legung gefunden  in  einer  Reihe  von  Thatsachen;  ich  will 
beispielshalber  nur  eine  die  Sache  besonders  beleuchtende 
Thatsache  hier  anfuhren;  so  dauerte  in  einem  Falle,  wo  das 
Ei  13,08  Procent  des  mütterlichen  Körpers  betrug,  also 
relativ  ungemein  gross  war,  die  ganze  Geburt  nur  7,  die 
erste  Geburtsperiode  nur  5l/2  Stunden,  während  in  einem 
anderen  Falle,  wo  das  Ei  nur  7,544  Procent  des  mütterlichen 
Körpers  betrug,  also  relativ  sehr  klein  war,  die  ganze  Geburt 
nicht  weniger  als  35,  das  erste  Geburtsstadium  32  Stunden 
in  Anspruch  nahm  (vide  Tabelle  VIII.). 

Sieht  man  sich  nach  einer  Erklärung  dieses  scheinbaren 
Paradoxon  um,  so  kann  dieselbe  nur  darin  liegen,  dass  die 
Verschiedenheit  der  Kräfteentfaltung,  die  sich  durch  die  ver- 
schieden lange  Geburtsdauer  unter  den  vorhin  angegebenen 
widersprechenden  Erscheinungen  hinlänglich  manifestirt,  durch 
ein  ungleichmässiges  Vorsichgehen  des  Wachsthuius  des  Uterus 
in  allen  v  seinen  Gewebselementen  oder  nur  in  seinen  Huskei- 
fibrillen  während  der  Schwangerschaft  bedingt  wird. 

Dasselbe  sagt  Litzmann  (Handwörterbuch  der  Physiologie 
von  Rudolph  Wagner,  pag.  64,  Band  IIL,  Art.  Schwanger* 
schaft)  mit  folgenden  Worten:  „Das  Wacbsthum  scheint 
nicht  immer  in  allen  Gewebselementen  des  Uterus  gleich- 
massig  vorzugehen.  Zwar  liegen,  soviel  mir  bekannt  ist, 
directe  Beobachtungen  über  diesen  Gegenstand  nicht  vor. 
Allein  wenn  auch  der  anatomische  Nachweis  zur  Zeit  noch 
fehlt,  so  werden  wir  doch  durch  die  Verschiedenheiten  in 
der  Dicke  und  Consistenz  der  Uterinwandungen  und  diesen 
entsprechende  Differenzen  in  der  Action  bei  der  Geburt,  wie 
sie  uns  die  tägliche  Erfahrung  zeigt,  zu  einer  solchen  An- 
nahme berechtigt.  Bald  finden  wir  dünne,  glatte,  fast  darm- 
äbnliche  Uterinwände  mit  einer  sehr  energischen  Contractions- 


de»  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  27 

kraft.  Hier  scheinen  fast  ausschliesslich  die  Muskelfasern 
entwickelt  zu  sein.  In  anderen  Fällen  sind  die  Wandungen 
dick,  massig,  schwer,  oder  weich  und  schwammig,  ihre  Con- 
tractionskraft  ist  namentlich  im  Anfange  der  Geburt  gering; 
diesem  liegt  wahrscheinlich  eine  luxuriöse  Entwickelung  des 
Bindegewebes  und  der  Gefasse  zum  Grunde." 

Allerdings  ist  die  Verschiedenheit  des  Muskelreichthums 
des  Uterus  die  Hauptsache  der  in  Tabelle  VIII.  erwiesenen 
Negation  jeder  dem  Gewichte  id  est  dem  Volum  des  Eies 
proportionalen  Dauer  der  Geburt,  insbesondere  des  ersten 
Stadiums;  allein  es  giebt  ausserdem  noch  zwei  andere  hierbei 
concurrirende*  Factoren,  nämlich  die  Verschiedenheit  der 
Widerstandsfähigkeit  der  Velamente  des  Eies  und  endlich  die 
Mannichfaltigkeit  der  Reizempfindlichkeit  der  Uterinnerven;  sie 
können  seihst  bei  grossem  Muskelreichthume  eine  beträchtliche 
Verzögerung  der  Geburt  verursachen. 

Der  Nachweis,  ob  im  gegebenen  Falle  Muskelreichthum, 
oder  Muskelarmuth  des  Uterus,  grosse  oder  geringe  Reiz- 
empßnglichkeit  der  Uterinnerven,  grosse  oder  geringe  Wider- 
standsfähigkeit der  Velamente  eine  Incongruenz  der  Geburts- 
dauer und  der  dem  Körpergewichte  der  Kreissenden  proportional 
oder  improportional  entwickelten  Eimasse  herbeigeführt  haben, 
ist  schwer,  oder  nach  Umständen  gar  nicht  zu  entscheiden. 

Theoretischer  Seils  sieht  man  sich  gezwungen,  anzu- 
nehmen, dass  der  Uterus  Erstgebärender  ärmer  an  Muskel- 
substanz ist  als  der  von  Mehrgebärenden,  da  trotz  der  gewiss 
erhöhten  Reizempfänglickeit  desselben,  und  trotz  des  schon 
erwähnten  kleinern  Volums  des  Eies  —  dennoch  die  Geburt 
um  ein  Beträchtlicheres  länger  dauert  als  bei  Wiederholt- 
gebärenden. So  ist  das 
Gewicht  des  Eies  der  44  Pp,  im  Mittel  =  5,58  Kilogrammes, 

„        „       „      „  llOMp.  „      w      =5,90 
und  gestalten  sich  daraus  folgende  Proportionen: 

Gewicht  des  Eies  von  Pp.  :  Kpgewicht  =  1  :  11,1 
„         „       „       „    Mp.  :  „         =  1  :  10,7 

Die  Differenz  der  Geburtsdauer  war  ziemlich  bedeutend; 
denn  während  bei  110  Mehrgebärenden 

die  ganze  Geburt  10,40  Stunden, 
„    erste  Periode     8,63       „ 


28  !•     0a$9%er,  lieber  die  Veränderungen 

die  zweite  Periode  1,40  Stunden, 
„    dritte        „       0,37       „ 
dauerte,  nahm  bei  Erstgebärenden 

die  ganze  Geburt  einen  Zeitraum  von  15,52  Stunden, 
„    erste  Periode      „  „  „     12,80        „ 

m    zweite     M  „  „  „       i,oO         „ 

„    dritte      „  „  „  „      0,42        „ 

in  Anspruch. 

ß)  Vergleich  der  Masse  des  mütterlichen  Körpers 
mit   der  Dauer  der  Geburt. 

Man  will  die  Beobachtung  gemacht  haben,  dass  schlecht 
genährte  Kreissende,  oder  besser  gesagt  Frauen,  deren 
Körpergewicht  das  Mittel  nicht  erreicht,  in  der  Regel  eine 
kräftigere  Wehenthätigkeit  entfalten  und  in  relativ  kürzerer 
Zeit  gebären  als  Kreissende  von  einer  Körpermasse,  die  das 
Mittel  übersteigt 

Diese  Wahrnehmung  entbehrt  jedoch  einer  gründlicheren 
Unterlage,  da  sie  nur  flüchtig  auf  dem  Wege  der  Schätzung 
erworben  ist.  Ich  bin  nun  zur  Erledigung  dieser  Frage 
objectiv  zu  Werke  gegangen,  und  haben  meine  Untersuchungen, 
wie  dies  nachstehende  Tabelle  zeigt,  nicht  nur  die  vorbin 
angegebenen  Beobachtungen  als  unrichtig  erwiesen,  sondern  sie 
constatiren  auch  im  Allgemeinen  die  vollkommene  Beziehungs- 
losigkeil  der  Masse  einer  Kreissenden  auf  die  Intensität  der 
Wehen  und  auf  die  dadurch  bedingte  kürzere  oder  längere 
Geburtsdauer;  aus  dem  Resultate  dieser  Untersuchung  geht 
vielmehr  hervor,  dass  die  Kreissenden  ohne  Unterschied  der 
Grösse  ihrer  Körpermasse  im  Durchschnitte  eines  gleichlangeu 
Zeitraumes  zur   Vollendung   des   Geburtsgeschäftes   bedürfen. 


Körpergewicht 

Zahl 

Mittlere  Dauer 

der 

der 

der 

Kreissenden. 

Fälle. 

Geburt. 

80 — 75,5  Kilogrammes 

5 

15,4  Stunden, 

75  —  70,5 

21 

9,0        „ 

70—65,5 

40 

11,4        „ 

66—60,5 

60 

11,7        „ 

60—55,5 

51 

12,4        „ 

55—50,5 

18 

11,8        „ 

50—45,5 

8    . 

12,2        „ 

des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  29 

Diese.  Zahlen  beweisen  die  Richtigkeit  des  über  die 
Irrelevanz  der  Grosse  der  Körpermasse  in  Beziehung  auf 
die  Geburtsdauer  eben  Gesagten  im  grossen  Ganzen,  schliessen 
aber  nicht  aus,  dass  Fälle  vereinzelt  vorkommen  können,  wo 
bei  einer  auffallend  schlechten  Ernährung  des  Körpers,  bei 
grosser  Abmagerung  der  Kreissenden,  die  Geburt  dennoch 
in  unglaublich  kurzer  Zeit  (74  —  2  Stunden)  beendet  worden 
ist.  Das  thalsächlicbe  Vorkommen  solcher  Fälle  erklärt  sich 
daraus,  dass  in  Folge  der  durch  die  Schwangerschaft  im 
mütterlichen  Organismus  veränderten  Blutvertheilung,  gemäss 
welcher  das  Blut  in  grösserer  Menge  zu  den  Generations- 
organen, vorzugsweise  zu  den  Beckengenitalien  (Litzmann) 
strömt,  und  hier  seine  Verwendung  findet,  diese  Theile, 
darunter  auch  der  Uterus  auf  Kosten  des  übrigen  gleichgültig 
ob  gesunden  oder  kranken  Körpers  ihre  Masse  vermehren, 
nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  das  Quantum,  was  zum 
Wachstbum  dieser  Theile  dem  gesunden  Organismus  ent- 
zogen wird,  wie  dies  schon  im  Vorausgehenden  (s.  Gewichts- 
zunahme in  Folge  der  Schwangerschaft)  bewiesen  wurde, 
bei  gesteigertem  Appetite  und  gesunder  Verdauung  nicht  nur 
wieder  ersetzt  wird,  sondern  sogar  eine  Vermehrung  der 
Masse  des  Mutterkörpers  erfolgt,  während  der  kranke  Orga- 
nismus in  Folge  der  Schwangerschaft  und  der  durch  die 
Krankheit  selbst  bedingten  Nutritionsstörung  eine  Gewichts- 
abnahme erfährt.  Der  Uterus  ist  im  letzteren  Falle  als  ein 
wahrer  Parasit  des  übrigen  Mutterkörpers  anzusehen. 

.  Da  also  die  Muskelsubslanz  des  Uterus  in  Folge  der 
physiologisch  verstärkten  Blutzufuhr  auch  im  kranken  Körper 
ein  entsprechendes  Wachsthum  erfährt,  die  Contractionen 
dieses  Organs  aber  einmal  erwacht  von  der  sonstigen  Be- 
schaffenheit des  übrigen  Körpers  nicht  abhängen,  so  ist  es 
einleuchtend,  dass  auch  elend  genährte  Frauen  relativ  rasch 
gebären  können,  wenn  keine  anderweitigen  mechanischen  oder 
im  Organe  selbst  liegenden  dynamischen  Einflüsse  störend 
einwirken.  Gegentheilig  lässt  sich  auch  für  die  Thals  ach  e, 
dass  hie  und  da  primäre  Wehenschwäche  oder  mindestens 
ein  verschleppter  Geburtsverlauf  in  Folge  von  Muskelarmulh 
des  Uterus  auch  bei  sonst  überaus  kräftig  entwickelten  Frauen 
vorkömmt,   eine  Erklärung  darin  finden,  dass   diese  Muskel- 


30  !•     Gassner,  Ueber  die  Veränderungen 

armuth  ihrerseits  wieder  in  einer  abnorm  grossen  Ausdehnung 
des  Organs  durch  ein  improportional  grosses  Ei  begründet, 
also  nur  relativ  vorbanden  ist,  oder  dass  in  dem  Falle,  wo 
das  Ei  eine  proportionale  Entwickelung  seiner  Grösse  erlangt 
hat,  die  absolute  Muskelarmuth  in  einer  auf  Kosten  der 
Muskeln  vermehrten  Production  anderer  Gewebselemente  des 
Uterus,  z.  B.  des  Bindegewebes,  der  Gefasse  etc.,  oder  in 
der  eigentümlichen  Neigung  des'  Körpers  zur  Fettbildung 
ihre  Ursache  findet. 

Was  nun  die  Theorie  der  Aetiologie  der  primären 
Wehenschwäche  betrifft,  ist  dieselbe,  soweit  sie  die  abnorme 
grosse  Ausdehnung  des  Uterus  durch  ein  improportional 
grosses  Ei  betrifft,  dahin  zu  vervollständigen,  dass  man  den 
Beisatz  macht:  die  abnorm  grosse  Ausdehnung  des  Uterus 
durch  ein  improportional  grosses  Ei  ist  zwar  in  vielen  Fällen 
die  nächste  Veranlassung  zur  Rarefaction,  id  est  zur  relativen 
Muskelarmuth  dieses  Organes;  allein  sie  ist  es  nicht  immer, 
was  daraus  hervorgeht,  dass  Fälle  zur  Beobachtung  kommen, 
wo  das  Ei  in  bedeutendem  Grade  unverhältnissmässig  gross 
war,  und  dennoch  die  Geburt  in  einem  sehr  kurzen  Zeit- 
räume beendet  wurde,  so  dass  man  gezwungen  ist,  anzu- 
nehmen, hier  muss  trotz  der  grossen  Ausdehnung  ein  un- 
verhältnissmässig grosser  Muskelreichthum  vorhanden  gewesen 
sein,  der  durch  Neutralisation  der  Nachtheile  des  grossen 
Volums  des  Eies  die  physiologische  Harmonie  zwischen 
Geburtsobject  und  austreibenden  Kräften  bewirkt  hat  Es 
ist  vielmehr  die  causa  proxima  der  Wehenschwäche,  die 
relative  Muskelarmuth  allein,  die  bei  relativ  grossem  und 
kleinem  Volum  des  Uteruscontentums  vorhanden  sein  und 
die  verschiedensten  Ursachen  haben  kann. 

Menge  des  Fruchtwassers,  dessen  Beziehungen  zu  der  Hasse 

des  mütterlichen  und  kindlichen  Körpers,   zu  der  ersten 

und  wiederholten  Schwangerschaft  und  zu  der  Lage 

des  Kindes. 

a)  Menge  des  Fruchtwassers. 

Ueber  die  Zuverlässigkeit  der  Methode,  welche  bei  den 
Untersuchungen  über   die   Quantität  des  Liquor  Amnii  ein- 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  31 

gehalten  wurde,  ist  das  Geeignete  bereits  in  der  Einleitung 
näher  auseinandergesetzt  worden,  und  kann  ich  daher  gleich 
an  die  Mittheilung  des  Resultates  gehen. 

Die  mittlere  Menge  des  Fruchtwassers  wurde  häufig  fiber- 
und  unterschätzt,  weil  der  Beurtheilung  bei  einer  ungenügenden 
Methode  noch  überdies  eine  grosse  die  Inconvenienzen  und 
Ausnahmen  einzelner  Fälle  wieder   ausgleichende   Zahlenreihe 

fehlte. 

* 

Meinen  auf  163  Fälle  ausgedehnten  Untersuchungen  zu- 
folge beträgt  im  Mittel  die  Menge  dieser  Flüssigkeit  am 
Ende  des 

siebenten  Monats  1,004  Kilogramme  (    3  Fälle), 
achten  „        1,365  „  2      „ 

neunten         „        1,618  „  4      „ 

zehnten         „        1,877  „  154      „ 

und  in  einem  Falle  von  Zwillingsgeburt  4,01  Kilogramm  es, 
berechnet  auf  1  Kilogramme  kreissendes  Weib  beträgt  die 
Menge  des  Fruchtwassers  am  Ende  des 

siebenten   Monats   17,87  Grammes, 
achten  „        24,40        „ 

neunten  „        27,00        „ 

zehnten  „        30,00        „ 

bei  Zwillingsgeburt  53,40        „ 

Ans  diesem  Klimax  der  Zahlen  geht,  wenn  es  erlaubt 
ist,  auf  einer  so  niedrigea  Zifter  einen  Schluss  zu  gründen, 
hervor,  dass  gegen  die  Behauptung  von  Litzmann  (Hand- 
wörterbuch der  Physiologie  von  R.  Wagner,  Art.  Schwanger- 
schaft, pag.  93,  Band  III.)  und  von  v.  Scanzoni  (Lehrbuch 
der  Geburtshülfe,  pag.  97)  die  Menge  des  Fruchtwassers  in 
der  zweiten  Hälfte  der  Schwangerschaft  nicht  ab-  sondern 
zunimmt. 

b)   Beziehungen    der   Menge    des    Fruchtwassers   zu 
der  Grösse  der  mütterlichen  und  kindlichen  Kurper- 
masse, sowie  zur  ersten  und  wiederholten 
Schwangerschaft. 

Wie  schon  weiter  oben  gezeigt,  kommen  nicht  unbeträcht- 
liche Differenzen  des  Gewichtes   des  ganzen  Eies  und  seiner 


32  I-     G*amerf  Ueber  die  Veränderungen 

Bestandtbeik»,  mithio  auch  des  Fruchtwassers  vor,  und  wurde 
dort  auch  mit  Ausschluss  der  excessiven  Abweichungen  vom 
Mittel  als  Grund  bievon  die  Ueberanstimroung  der  Massen- 
entwicklung  des  Eies  mit  der  relativen  Körpermasse  der 
Mutter  angegeben.  Ebenso  wurde  schon  gesagt,  dass  je 
grösser  das  Kind,  um  so  mehr  Fruchtwasser  vorhanden  ist, 
ferner  dass  bei  Erstgebärenden  die  Menge  des  Fruchtwassers 
um  0,202  Kilogramme  weniger  beträgt  als  bei  Mehrgebärenden. 

Ich  kann  mich  daher  kurz  fassen  und  beschränke  mich 
bloss  auf  die  Kambaftmacbung  der  variirenden  Quantität  frag- 
licher Flüssigkeit. 


Quantität  des 

Fruchtwasser*. 

Zahl  der  beobachteten  Fälle 

6,50  Kilogrammes 

Q 

6,00 

•» 

1 

5,50 

*» 

0 

5,00 

n 

I 

4,50 

n 

1 

4,25 

<» 

1 

4,00 

t» 

2 

3,50 

»« 

1 

3,175 

r 

8 

2,66 

n 

23 

2,09 

»» 

27 

1,64 

n 

38 

1,20 

T» 

26 

0,755 

n 

20 

0,25 

r» 

5 

Hinsichtlich  der  excessiv  grossen  Menge  von  Frucht- 
wasser ist  zu  bemerken,  dass  die  hierher  gehörigen  15  Fälle 
Mutter  und  Kinder  betreffen,  von  denen  erstere,  lauter 
Wiederholtgebärende,  ein  Körpergewicht  von  68  Kilogrammes, 
also  6  Kilogrammes  über  das  Mittel,  und  letztere  ein  Körper- 
gewicht von  3,65,  also  0,367  Kilogrammes  über  das  Mittel 
haben,  und  ist  in  letzterer  Beziehung  hervorzuheben,  dass 
demnach  die  betreffenden  Kinder  in  ihrer  Nutrition  durch 
die  enorme  Quantität  ihrer  umgebenden  Flüssigkeit  keineswegs 
beeinträchtigt  worden  sind. 


des  Körpergewichte  der  Seh  watiger  ob  etc.  33 

Die  Fälle,   iü  denen  die  Menge  des  Fruchtwassers  das 

**'      Gewicht  von  0,5  -Kilogramme  nicht  erreicht,  gehören  Müttern 

■■P1      von  58  Kilogrammes  und  Kindern  von  3,06  Kilogrammes  an. 

ny,       c)  Beziehung  der  Menge  des  Fruchtwassers  zu  der 

Lage  des  Kindes. 
*)  Poatttonswoclftsel  dos  vorliegenden  Kopfes. 
Unter  diesen  154  Fällen  wurde  22  Mal  ein  im  Verlaufe 
der  leUten  3 — 4  Schwangerschaftswochen  erfolgter  Positions- 
^f  M      Wechsel,  d.  h.  eine  durch  Drehung  des  Kindes  um  seine  Langen- 
flJÜIb      achse    bewirkte    Veränderung    der   Stellung   des    kindlichen 
Kopfes  zum  Beckeneingange  durch  die  untrüglichsten  Zeichen 
constatirt,  ebenso  in  zwei  Fällen  die  sogenannte  Culbute,  des 
aß      Kindes,  d.  h.  eine  durch  Drehung  des  Fötus  um  seine  Quer- 
achse  bedingte    Veränderung    seiner   Stellung    zum    unteren 
Uterinsegmente. 

Die  Resultate  der  zu  verschiedenen  Zeiten  vorgenommenen 
Untersuchungen   differirten  nämlich   so   sehr,  dass  man  sich 
bei    unbefangener   Beurtheikmg    sagen    musste:    da   bei   der 
ersten  Untersuchung  der  Kopf  resp.  Scheitel  in  erster  Posi- 
tion  (Hinterhaupt  nach  links,    Fusse   deutlich  rechts  oben, 
Herztöne  links  unten)  vorlag,   bei  der  zweiten  Untersuchung 
derselben  Schwangeren  aber  die  zweite  Position  (Hinterhaupt 
nach  rechts,  Füsse  deutlich  links  oben,  Herztöne  rechts  unten) 
angetroffen  wurde,  und  so  auch  wieder  umgekehrt  eine  zweite 
in   die  erste  Position  überging,  —  so  niuss  im  vorliegenden 
Falle    eine   Umdrehung   des   Kindes   um    seine   Längenachse 
stattgefunden  haben,  eine  Tbatsache,  die  ich  mit  dem  Namen 
Positionswechsel  belege;  dass  diese  Tbatsache,  die  sich 
4        bei  aufmerksamer  Untersuchung  und  Vergleichung  des  gegen- 
|        wärtigen  Befundes  mit  dem  Resultate  früherer  Untersuchungen 
I        letebt  nachweisen  lässt,  nicht  vereinzelt  oder  gar  als  seltener 
i         Ausnahmefall  vorkommt,  erhellt  aus  ihrem  Frequenzverhältnisse 
zu  jenen  Längenlagen  des  Kindes,  wo  ein  Positionswechsel 
nicht    erfolgt,  das  =  1  :  7.     Diese  grosse  Frequenz  erregt 
eioigermassen  eine  Verwunderung  darüber,   dass  dieses  that- 
sächlich  häufige  Phänomen  seither  unbeachtet  geblieben  ist. 
Ich  war  nebenbei  auch  bemüht,   dem  ätiologischen  Mo- 
mente dieses  Phänomens  nachzuforschen,  und  habe  gefunden, 

Mon»U«obr.  f.  Oebnrtak.  1889.  Bd.  XIX.,  Hfl,  U.i.  3 


34  I-     &a***6r,  tTeber  die  Verltiideniiigen 

dass  es  in  der  relativ  grossen  Fruchtwassermenge  liegt,  die 
dem  Kinde  hinreichende  Räumlichkeit  bietet,  um  durah  spontane 
Actionen  oder  durch  passive  Bewegung  bei  den  verschiedensten 
Stellungsveränderungen  der  Mutter  im  Stehen,  Liegen,  Sitzen  etc. 
die  besprochene  Drehung  um  seine  Längenachse  ausführen 
zu  können.  Die  mittlere  Fruchtwassermenge  beträgt  nämlich 
in  diesen  22  Fällen  3,505  Kilogramme*,  also  0,888  Kilo- 
grammes  Ober  das  Mittel  (der  154 'Fälle),  und  steht  zu 
dem  Körpergewichte  der  betreffenden  Mdtter  in  dem  Vor* 
hältittsse  =  1  :  25,2,  so  dass  also  auf  1  Kilogramme  Weib 
0,0897  Kilogramme  oder  89,7  Grammes  Fruchtwasser,  also 
um  9,7  Grammes  pro  roille  Aber  das  Mittel  trifft.  ~-  Die  zu 
diesen  Fällen  von  Positionswechsel  gehörigen  Kinder  haben 
eine  mittlere  Entwickelung  erreicht;  Air  Durchschnittsgewicht 
ist  =  3,4  Kilogramme. 

Fassen  wir  alle  ätiologischen  Momente  des  Position*- 
Wechsels  kurz  zusammen ,  so  beruhen  sie  vor  »Wem  auf  zwei 
Umständen,  auf  grosser  Räumlichkeit  des  Cavum  uteri  in 
Folge  einer  relativen  Vermehrung  der  Fruchtwassermenge 
imd  nur  minleren  Entwickelung  dos  Fötus,  und  zweitens 
auf  einer  activen  oder  vorzugsweise  passiven  Bewegung  des 
letzteren.  Die  passive  Bewegung  kommt  zu  Stande  nach 
dem  Gesetze  der  Schwere  durch  die  verschiedenen  Stellung*- 
Veränderungen  der  Schwangeren  zu  dem  Horizonte. 

ß)  Culbute  des  Fötus. 

Was  die  zwei  Fälle  von  Culbute  betrifft,  war  hier  die 
Quantität  der  amniotischen  Flüssigkeit  noch  weit  grosser  als 
in  den  22  Fällen  von  Positionswechsel;  ihre  Menge  beträgt 
3,4  Kilogramme«,  pro  male  58,2  Grammes,  gegenüber  einem 
Kinde  von  8,471  Kilogrammes  Körpergewicht,  und  entspricht 
die  Grösse  dieser  Differenz  auch  der  grösseren  Riomüchkett, 
die  die  Drehung  des  kindlichen  Körpers  in»  seine  Querachse 
gegenüber  der  um  die  Längenachse  voraussetzt. 

y)  Kindeslagen. 

In  TöbeJle  IX.  sind  die  verschiedenen  Lagen  und  die 
dazu  gehörigen  mittleren  Quantitäten  der  Amnionflüssigkeit 
nebeneinandergestellt,    ich   enthalte    mich   aber,   die 


des  Körpaiyawtahto»  b*i  SofawftBg&rea  etc.  35 

gezogenen  Schlüsse  als.  allgemein  gütig  hinzustellen,  da  die 
Zahl  der  Fälle  mir  nicht  hoch  genug  erscheint;  aus  dieser 
Tabelle  geht  allerdings  wenigstens  für  die  concreto  Zahl  von 
154  FäUen  die  Thatsaclie  hervor,  dass  bei  Gesichts*-,  Beckeriend- 
und  Querlagen,  ferner  bei  Prolapsu**  der  Nabelschnur  und 
einer  oberen  Extremität  des  Kindes  die  Frucbtwasaermenge 
nicht  unbeträchtlich  vermehrt  ist,  und  es  liegt  daher  dieVer- 
muthung  nahe,  dass  dieser  Umstand  mit  zu  den  ätiologischen 
Momenten  oder  doch  wenigstens  zu  den  Bedingungen  dieser 
ungewöhnlichen  (Gesichts-  und  Beckenendlagen)  und  anomalen 
(Querlagen  und  PreJapsus  der  Nabelschnur  und  des  Vorfalles 
einer  Extremität)  Phänomene  zählt;  es  ist  klar,  dass  das 
untere  Segment  der  Uterinhöble  bei  Gesichts*  und  Beckenend- 
fagpn  wegen  der  hier  postirten  grösseren  KörperabschniUe 
des  Kindes  (Streckung  des  Halses  bis  zur  Berührung  des 
Hinterhauptes  mit  dem  Nacken  —  Steiss,  Anliegen  der  in 
dreifacher  Beugung  befindlichen  uuteren  Extremitäten  an  das 
untere  Rümpfende)  einen  grösseren  cubischen  Inhalt  haben 
muss  als  dies  bei  ScheiteJlagen  noth wendig,  und  dass  diese 
Vermehrung  des  cubischen  Iahaltes  nächst  den  resp.  Kindes- 
theilen  nur  allein  durch  reichlichere  Production  von  Frucht- 
wasser zu  Stande  kommt.  Damit  ist  jedoch  nur  gesagt, 
dass  aus  dem  vorhin  angegebenen  Grunde  bei  fraglichen 
Lagen  constant  eine  das  Mittel  relativ  überschreitende  Frucbt- 
wassermenge vorhanden  sein  muss,  nicht  aber,  dass  um- 
gekehrt bei  viel  Fruchtwasser  solche  Lagen  immer  vorkommen 
müssen.  Dass  grosse  Quantitäten  dieser  Flüssigkeit  der 
Amnionhöhle  auch  bei  Querlagen  in  der  Regel  nicht  fehlen, 
beweist  zum  Theil  vorhegende  Tabelle,  noch  mehr  aber 
die  in  diesem  Punkte  übereinstimmenden  Beobachtungen  der 
meisten  Autoren;  ea  darf  dalier  angenommen  werde u,  dass 
fiel  Fruchtwasser  mit  zu  den  Bedingungen  des  Zustande- 
kommens solcher  Lagen  angesehen  werden  muas,  nicht  aber 
darf  so  geschlossen  werden,  dass  darum  auch  dort  einr 
Querlage  vorbanden  sein  muss,  wo  eine  grosse  Menge  Frucht- 
wasser gegeben  ist;  mit  einem  Worte,  das  Uebermaass  dieser 
Flüssigkeit  als  einzige  Ursache  ansehen  zu  wellen,  ist  aus 
dem  Grunde  nicht  geeUUat,  well  auf  der  einen  Seite  erfahrung»- 
gemäss  oft  enorme  Quantitäten  des  Liquor  Amnii  vorhanden 

3* 


36  *•    Qa**nery  Ueber  die  Ve  rinde  rangen 

sind  and  trotzdem  keine  dieser  ungewöhnlichen  oder  anomalen 
Lagen  statt  hat,  and  weil  auf  der  anderen  Seite  noch  andere 
wesentliche  Causalmomente  für  das  Zustandekommen  einer 
Querlage  in  der  zweiten  Hälfte  der  Schwangerschaft,  nämhch 
abnorme  Erschlaffung  and  Ausdehnbarkeit  des  Uteruspareft» 
chymes  (v.  Scanzont),  mit  Leichtigkeit  in  fast  allen  Fällen 
nachweisen  lassen  (Erschlaffung  der  Uterussubstanz  entweder 
mittels  des  Tastsinnes  oder  durch  Anamnese  —  chronische 
Uterusblennorrhoen,  häufige  Schwangerschaften  etc.  —  constatirt). 

Uebrigens  schliesst  dies  nicht  aus,  dass  die  nie  fehlende 
grosse  Fruchtwassermenge  als  ein  das  Zustandekommen  einer 
Querlage  begünstigendes  Moment  hinzutritt. 

Die  Gonstanz  des  Vorkommens  grosser  Quantitäten  dieser 
Flüssigkeit  bei  Querlagen  hat  ihren  Grand  in  einem  und 
demselben  ätiologischen  Momente,  wie  die  Querlage  selbst, 
nSmlich  in  der  abnormen  Erschlaffung  und  Ausdehnbarkeit  der 
Uterussubstanz,  so  dass  in  Folge  davon  wegen  der  geringen 
renitirenden  Kraft  des  Uterus  das  ganze  Ei  zu  einem  relativ 
grösseren  Volumen  sich  expandiren  kann,  was  durch  eine 
reichlichere  Secretion  von  Fracht wasser  "geschieht 

Von  dem  Gesetze  der  Abhängigkeit  der  Masse  des  Eies, 

insbesondere  des  Kindes  von  der  Masse  des  mütterlichen 

Körpers  —  und  von  der  praktischen  Verwerthnng 

desselben. 

a)   Gesetz   der    Abhängigkeit   der   Masse   des   Eies, 

insbesondere  des  Kindes  von  der  Masse 

des  mütterlichen  Körpers» 

Jedes  neugeborene  Wesen  verräth,  sofern  es  nicht  monströs 
oder  durch  Krankheitseinflüsse  in  seiner  Entwicklung  zurück- 
geblieben ist,  nicht  nur  durch  die  morphologische  Anordnung 
aller  seiner  Thefle  seine  Klasse,  Ordnung,  Familie,  Gattung, 
Species,  Varietät,  sondern  steht  auch  in  Bezug  auf  das  Quantum 
seiner  Körpermasse  in  einem  ganz  bestimmten  Verhältnisse 
zu  dem  Quantum  der  Körpermasse  seines  Mutterthieres;  denn 
aller  Welt  ist  bekannt,  dass  grosse  voluminöse  Tbiere  auch 
grosse  Junge  oder  grosse  Eier,  kleine  Thiere  wiederum  kleine 
Junge  oder  kleine  Eier  gebären. 


des  Körpergewichte*  bei  Schwangere«  etc.  37 

Diese  Analogie  beweist  freilich  das  an  die  SpiUe  dieses 
Capitels  geschriebene  Gesetz  nur  für  Klassen,  Ordnungen  etc. 
gütig  v  allein  ich  habe  schon  weiter  oben  bei  Gelegenheit  der  . 
Analyse  des  Gewichtsverlustes  in  Folge  der  Geburt  durch 
Zählen  bewiesen,  dass  nicht  nur  die  Frucht,  sondern  das 
ganze  Ei,  also  auch  das  Fruchtwasser  und  die  Nachgeburt 
in  ihrer  Maftsenentwiekelung  im  Allgemeinen  von  der 
Körpermasse  einer  gesunden  Mutter  abhängig  ist,  dass  die 
Ernährung  des  Kindes  proportional  zu  der  Ernährung  seiner 
Mütter  vor  sieh  gebt;  dadurch  ist  die  Anwendbarkeit  des  in 
Eede  stehenden  Gesetzes  nicht  Mos  auf  Klassen,  Ordnungen  etc., 
sondern  au*h  auf  die  in  derselben  Klasse,  Ordnung,  Familie, 
Speciee  etc.  eta  vorkommenden  individuellen  Differenzen  in 
der  Grösse  der  Körpermasse  constatirl. 

4)  Praktische  Verwerthung   dieses   Gesetzes. 

Dieses  Gesetz  ist  von  der  praktisch  grössten  Wichtigkeit, 
indem  dadurch  der  Geburtshelfer  in  der  Lage  ist,  nach  Aus- 
schluss aller  jener  Fälle,  jn  denen  durch  krankhafte  Processe,  . 
die  entweder  schon  vor  der  Schwangerschaft  bestanden,  sieh 
noch  in  ihren  Wirkungen  in  die  Zeit  der  Gravidität  fort- 
erstrecken oder  erst  in  diesem  Zeiträume  auftreten,  die 
Mutrition  wesentlich  gestört  wurde,  mit  grösster  Wahrschein-1 
liebkeit  aus  dem  Gewichte  der  gesunden  Mutter  das  Gewicht 
des  Kindes  am  Ende  der-  Schwangerschaft  zu  berechnen, 
daraus  Schlüsse  auf  die  grössere  oder  geringere  Entwicklung 
des  letzteren  zu  ziehen,  besonders  in  Bezug  auf  die  cubische 
Beschaffenheit  des  Kopfes  und  dieselben  bei  BeckenanoBalieo, 
die  das  Product  eines  bereits  schon  längst  abgeschlossenen 
Krankhetaproeesses  —  RbachWs  —  sind ,  in  jenen  Fällen  zu 
verwerthen,  welche  es  bisher  zweifelhaft  Uessen,  ob  der 
Einleitung  der  künstlichen  Frühgeburt  oder  einer  späteren 
operativen  Nachhülfe  der  Vorzug  einzuräumen  sei.  Nun  sah 
osan  aber  zuweilen  bei  der  Discussion  dieser  Frage  von  der 
Grösse  des  Kindes  als  einem  Gegenstande,  -der  nach  dem 
gegenwärtigen  Stande  der  Dinge  der  Prognose  noch  nicht 
zugänglich  sei,  vollkommen  ah  und  hielt  sich,  wiewohl  die 
tagliche  Erfahrung  diese  Praxis  nicht  bestätigen  konnte,  bei 


38  I-    Ga*9*trt  Üeber  die  VerÄnforrnigen 

Aufstellung  Ton  Indicationen  faßt  ausschliesslich  an  den  Grad 
der  Beckenverengerungen. 

Berücksichtigt  man  aber  in  Zukunft  nicht  nur  die  mütter- 
lichen Becken  Verhältnisse,  sondern  auch  die  Grössenverbflltnisse 
des  Kindes,  die  sich  aus  dem  Gewichtsverhallnisse  desselben 
zu  seiner  Mutter,  das  im  Mittel  =  1  :  19,13  ist,  leicht  und 
genau  berechnen  läset,  abgesehen  von  FIHen,  in  denen  durch 
anomale  Ernäbrungsvorgänge  die  Rechnung  unmöglich  gemacht 
wird,  so  wird  es  dem  Geburtshelfer  leichter  werden,  zu  ent- 
scheiden, ob  das  eine  oder  andere  Heilverfahren,  ob  künst- 
liche Frühgeburt,  exspeetatire  Methode,  Zange,  Perforation, 
Kaiserschnitt  angezeigt  ist;  es  wird  dann  z.  B.  kaum  ungerecht- 
fertigt erscheinen,  sich  in  einem  concreten  Falle,  wo  eine 
Beekenverengerung  von  3"  Conjugata  vera  diagnoscirt  wurde 
und  aus  dem  zuvor  constatirten  Körpergewichte  der  Mutter 
ein  Gewicht  des  vollkommen  ausgetragenen  Kindes  von  7  oder 
selbst  über  7  Pfund  mit  der  allergrössten  Wabrscbemlichkeit 
prognosticirt  werden  kann,  zur  Einleitung  der  künstlichen 
Frühgeburt  zu  entschliessen ,  da  es  doch  zu  den  grössten 
Seltenheiten  gehört,  dass  ein  so  stark  entwickeltes  Kind  ohne 
sehr  schwierige,  das  Leben  ungemein  bedrohende  operative 
Hülfeleistung  bei  der  angeführten  Beckenbeschaffenheit  geboren 
wird;  man  wird  bei  hochgradiger  Beckenenge,  wenn  man 
weiss  oder  doch  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  voraus- 
setzen darf,  dass  der  Kopf  des  betreffenden  Kindes  sehr 
gross  ist,  die  Kreissende  nicht  durch  eine  sehr  schwierige 
Application  der  Zange  und  darauffolgende  fruchtlose  Tractionen 
mit  derselben  ermüden  und  dadurch  ihren  ADgemeinzustand 
vor  Ausführung  einer  anderen  ursprünglich  schon  angezeigten 
Operation  z.  B.  je  nachdem  Perforation  und  Kephalothrypsie 
oder  Kaiserschnitt  bedeutend  gefährden. 

Ich  begnüge  mich  damit,  diese  Idee  der  praktischen 
Verwerthung  des  Gesetzes  der  Abhängigkeit  der  Massen- 
entwickelung  des  Eies,  resp.  des  Kindes  von  der  Masse  des 
mütterlichen  Körpers  angedeutet  zu  haben  und  will  zur  Be- 
gründung des  Gesetzes  selbst  noch  einige  dafür  spreehende 
Momente  hervorheben,  sowie  die  Einwürfe,  die  man  tbefls 
gegen  dieses  Naturgesetz,  theils  gegen  dessen  praktische  An- 
wendung erheben  könnte,  von  vorn  herein  beseitigen. 


d*p  KörpwgawU ht*0  der  $chwftngajen  etc.  39 

Die  diesem  Gesetze  parallel  gebenden  oder  besser  von 
ihn?  bediogUn  Erscheinungen  sind: 

1)  die  den  Körpergewichte  der  Mutter  proportionale 
Zvoahqie  der  Körperrosse  während  (1er  letzten  3  Schwanger* 
scfeaftsmonqte, 

2)  die  der  Hasse  des  schwangeren  Körpers  proportionale 
Zunahme  der  Leibesperipherie  als  Maass  der  Itaumextension 
des  Eies,  was  nachstehende  Tabelle  zeigt: 

Die  MtUel  des  Leibesumfanges  einer  am  normalen 
Schwangerschaftsende  Kreissenden  =  100,5  Gentimetres. 


Körpergenioht 

Zahl 

Mittel 

4er 

der 

des    betreffenden 

Kreiesenden. 

Fälle. 

Leibesumfanges. 

80 — 75,5  Kilogramme« 

3 

110,3  Ceutimetres, 

75—70,5 

M 

16 

106,2 

70—65,5 

» 

34 

103,0 

65—60,5 

n 

38 

100,24 

60—55,5 

n 

27 

98,0 

55—50,5 

» 

14 

\jUyOU                           „ 

50—45,5 

» 

5 

92,0 

45-  40,5 

f» 

3 

90,01        „ 

Diese  Zahlen  bestätigen  ausserdem  die  Wahrnehmung, 
dass  das  absolute  Maass  des  Leibesumfanges  an  sich,  ohne 
in  Beziehung  zu  dem  Körpergewichte  der  betreffenden 
Schwangeren  oder  Kreissenden  gebracht  zu  werden,  in  dia- 
gnostischer Hinsicht  zu  vielen  Irrthümern  Veranlassung  geben, 
io  einem  Falle  z.  B.  aus  der  Höhe  der  Centimetreszahl  (110  Cm.) 
zur  Vermuthung  einer  Zwillingsschwangerschaft  oder  -Cjeburt, 
im  anderen  Falle  aus  der  niederen  Ziffer  der  Centimetres 
(90  Cm.)  zur  Annahme  einer  Frühgeburt  führen  würde, 
während,  wie  soeben  in  der  Tabelle  gezeigt»  diese  Zahlen 
der  Ausdruck  einer  dem  Körpergewichte  proportionalen  Ex- 
tension des  Eies  am  normalen  Schwangerschaftsende  sind. 

Der  Umfang  des  Leibes  Erstgebärender  beträgt  bei  sonst 
gleichen  Gewichtsverhaltnissen  1,3  Centimetre  weniger  als  bei 
Mebrgebärenden,  ganz  übereinstimmend  mit  der  geringeren 
Entwicklung  des  befruchteten  Eies.  Es  ist  hier  am  Platze, 
nach  der  Ursache  dieser  Thatsache  zu  fragen;  ich  kann  das 
ätiologische  Moment  nur  darin  finden,  dass  der  straffe  Uterus 


40  !•    &**•**",  Ueber  df«  Veiftaderaogoa 

Erstgeschwängerter  auf  der  einen  Seite  bei  seiner  grosseren 
Widerstandsfähigkeit  der  Extension  des  Eies  hinderlicher  ist 
als  der  nachgiebigere  schlaffere  Uterus  Mehrgeschwängerter, 
auf  der  anderen  Seite  aber  auch  die  Bhitzufuhr  zur  Placeota 
wegen  des  kleineren  Calibers  der  von  straffen  Fasern  eines 
erstgeschwängerten  Uterus  umlagerten  Arterien  langsamer  und 
ärmer  ist  als  bei  dem  mehrgeschwängerten  Uterus  von  Arterien 
mit  grossem  Lumen. 

3)  Der  dem  Körpergewichte  proportionale  Gewichtsverlust 
in  Folge  der  Geburt. 

Die  gegen  das  im  Allgemeinen  nachgewiesene 
Gesetz  der  Abhängigkeit  der  Massenentwickelung 
des  befruchteten  Eies  von  der  Masse  des  Mutter- 
bodens, in  dem  es  wurzelt,  aufzubringenden  Entwürfe  mögen 
etwa  folgende  sein: 

1)  Von  einer  und  derselben  Mutter  sind  bald 
kräftige,  bald  schwächliche  Rinder  geboren  worden. 
Diese  Behauptung  stützt  sich  allerdings  auf  Thatsachen ;  allein 
man  hat  in  diesen  Fällen  allen  nur  möglichen,  die  NutriUou 
fördernden  und  störenden,  während  der  Schwangerschaft  auf- 
getretenen Einflössen  Rechnung  zu  tragen  und  zu  berück- 
sichtigen, dass  die  Körpermasse  desselben  Individuums  nicht 
jedes  Jahr  dieselbe  ist,  sondern  nach  uberstandenen  Krank- 
heiten oder  selbst  diese  noch  ausgeschlossen  aus  rein 
individuellen,  den  Stoffwechsel  verändernden  Ursachen  zu 
verschiedenen  Zeiten  auch  verschieden  und  oft  bedeutend 
verschieden  aufgefunden  wird.  Es  ist  sonach  nur  erlaubt, 
von^dem  Status  praesens  der  Grösse  der  Körpennasse  einen 
Schluss  auf  die  Entwickelung  des  Eies  etc.  der  gegenwärtigen, 
nicht  aber  einer  vergangenen  oder  zukünftigen  Schwanger- 
schaft unter  Anwendung  aller  Cautelen  zu  ziehen. 

2)  Es  kommen  bei  Müttern  von  dem  ganz 
gleichen  Körpergewichte  Schwankungen  der  Ge- 
wichtsverhältnisse der  Kinder  vor,  ohne  dass  gerade 
eine  nachweisbare  Krankheit  in  der  Schwanger- 
schaft stattgehabt  hat  Auch  dieser  Einwand  basirt  auf 
Thatsachen;  allein  dieser  jedenfalls  nur  ganz  exceptionellen 
Fälle  wegen,  in  denen  noch  obendrein  die  Gewichtsdifferenz 
der    Kinder   eine    ganz    unbedeutende    ist,    das   Gesetz    der 


de«  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  41 

Abhängigkeit  der  Massenentwickelung  des  Eies  von  der  Masse  > 
des  Matterkörpers  umzustotsen,  wäre  gewiss  nicbl  gerechtfertigt 
Den  Grund  dieser  Schwankungen  suche  ich  in  der  relativ 
nicht  so  seltenen  Wahrnehmung,  dass  die  Dauer  der  Schwanger- 
schaft keine  scharf  abgegrenzte  ist,  was  in  Bezug  auf  die 
Thiere  eine  längst  constatirte  Tbatsache  ist,  und  für  das 
menschliche  Weib  neuerdings  wieder  von  Hecker  (Klinik 
der  Geburtskunde,  Leipzig  1861),  auf  Grund  zuverlässiger 
Angaben  über  den  Conceptionstermin  bekräftigt  worden  ist, 
sondern  dass  in  der  Zahl  der  Tage  noch  im  Bereiche  der 
Physiologie  Schwankungen  stattfinden,  und  darum  auch  die 
Frucht  bei  verschieden  langer  Dauer  ihrer  intrauterinen  Ver- 
einigung mit  der  Mutter  eine  verschiedene  ülassenentwiekeiung 
erfahren  wird;  doch  sind  die  Differenzen ,  wie  schon  erwähnt, 
unbedeutend,  im  Mittel  höchstens  0,15  —  0,25  Kilogramme. 

Ob  das  Sperma  des  Vaters  bei  der  Verursachung  dieser 
Differenzen  auch  eine  Rolle  mitspielt,  überhaupt  auf  die 
Massenentvvickelung  des  Eies  influenzirt,  möchte  ich  dahin- 
gestellt sein  lassen,  da  ich  bei  meinen  Untersuchungen  nicht 
in  der  Lage  war,  die  GewichtsverhäJtnisse  des  Erzeugers  zu 
constätiren;  auf  indirectem  Wege  jedoch  drängt  sich  mir  die  ' 
Ansicht  auf,  als  wäre  die  Körpermasse  des  Mannes,  von  dem 
das  befruchtende  Sperma  herrührt,  bezüglich  der  Massen- 
entwickelung der  Frucht  ganz  irrelevant,  da  aus  den  Tabellen 
zu  invident  das  Gesetz  der  Abhängigkeit  der  Massenentwickelung 
der  Frucht  von  der  Mutter  in  den  Vordergrund  tritt,  und  a  priori 
sich  sehr  ungezwungen  begreifen  lässt,  dass  das  Ei  in  der 
physiologischen  Breite  in  dem  Maasse  sich  ernähren  wird, 
als  es  sein  Material  vorfindet,  dass  das  Ei  sich  so  nähren 
wird,  wie  sich  die  Mutter  ernährt. 

Gegen  die  praktische  Verwerthung  dieses  Ge- 
setzes in  diagnostischer,  prognostischer  und  thera- 
peutischer Hinsicht  lässt  sich  allenfalls  einwenden, 
dass  bei  der  Unmöglichkeit  der  Coitstaftirung  aller  die  Nutrition 
der  Mytter  und  des  Kindes  alterirenden  Momente  im  concreten 
Falle  leicht  grosse  Irrthümer  in  Berechnung  des  Gewichtes 
des  ausgetragenen  Kindes  und  in  Benätzung  des  Resultates 
zu  geburtshdlfJichen  therapeutischen  Maassregeln  (künstliche 
Frühgeburt,    exspectatives  Verfahren,    Wahl    der   operativen 


42  I.     Q*m**rf  üeber  die  Veränderung«» 

Halfeleistung,  ob  Zange,  ob  Perforation,  ob  Kepfaalothryptie, 
ob  Kaiserschnitt)  begangen  werden  können* 

Dieser  Einwurf  lässt  sich  indess  dadurch  beseitigen,  dass 
dieses  Gesetz,  wenn  auch  nicht  in  allen  Fällen,  so  doch  in 
den  meisten  praktisch  verwerthet  werden  kann,  und  dass 
eine  Unvollkonimenheit,  welche  die  Gradeintheilung  der 
Beckenverengerungen  in  ihrer  Anwendung  auf  geburtshilfliche 
Verfahren  in  höherem  Grade  theilt,  noch  keineswegs  einer 
Unbrauchbarkeit  gleichkommt.  Wem  wird  es  z.  B.  einfallen, 
dem  Eroflhetseio  des  äusseren  und  inneren  Muttermundes 
eines  schwangeren  Uterus  deshalb  alle  praktische  Verwerthung 
in  Bezug  auf  die  Diagnose  des  Schwangerschaftsmonales  ab- 
zusprechen, weil  der  Geburtshelfer  sich  in  dieser  Richtung 
unter  100  Fällen  20  Mal  täuschen  wird? 

Ausserdem  soll  dieses  Gesetz  nicht  als  einziger  Weg- 
weiser zur  Diagnose  der  Grösse  des  fraglichen  Kindes  führen ; 
vielmehr  kann  die  Anwendung  dieses  Gesetzes  zu  gedachtem 
Zwecke  noch  controlirt  und  unterstützt  werden  durch  die 
gesammte  geburtshülfliche  äussere  und  innere  Untersuchung; 
es  soll  ferner  die  Anwendbarkeit  dieses  Gesetzes  auf  geburts- 
hülfliches  Heilverfahren  weiter  nichts  als  nur  ein  Supplement 
zu  den  Betrachtungen  der  Indicationen  bei  einem  Missverhält- 
nisse zwischen  den  Aperturen  und  Räumen  des  Beckens  und 
der  Grösse  des  kindlichen  Kopfes  sein,  d.  h.  es  soll  in 
einem  gegebenen  Falle  nach  Ermittelung  des  Grades  der 
Beckenverengerung  bei  Aufstellung  der  Indication  nicht  allein 
auf  diese  Diagnose,  sondern  auch  auf  die  Frage,  wie  viel 
wiegt  das  betreffende  Kind  am  normalen  Schwangerschaftsende 
und  wie  gross  wird  es  um  diese  Zeit  demgemäss  sein, 
Rücksicht  genommen  werden.  >  ' 

Ich  bin  freilich  nicht  in  der  Lage,  aus  der  Erfahrung 
Beweise  für  die  Brauchbarkeit  dieses  Gesetzes  in  gedachter 
Richtung  anführen  zu  können,  und  muss  es  der  Zukunft- 
überlassen,  darüber  zu  urtheilen.  Indess  lohnt  es  sich  gewiss 
der  Mühe,  künftighin  in  Fällen  von  Beckenanomalien,  wo  in 
der  Schwangerschaft  keine  Krankheit  intercurrirte,  dieses 
Gesetz,  das  ich  als  factisch  bewiesen  habe,  praktisch  zu 
verwertheu,  da  es  keinem  Zweifel  unterliegt,  dass  die  Frage 
nach  dem  Gewichte  und  nach  der  Grösse  des  Kindes  von  der 


de»  Körpergewichtes  bei  8cbwa»ge*en  etc. 


43 


allergrössten  Wichtigkeit  und  ihre  richtige  Beantwortung  von 
nicht  minder  grossem  Werthe  ist. 

•  Ein  Umstand  indess  schwächt  die  praktische  Bedeutung 
dieses  Gesetzes  in  allerdings  nicht  unerheblichem  Grade,  nämlich 
die  Unmöglichkeit  der  Einfuhrung  in  die  Privatpraxis;  nur 
in  Gebaranstalten  kann  man  sich  auf  die  damit  verbundenen 
Umständlichkeiten  einlassen. 

Tabelle  V. 


Zahl 
der 

Fälle. 

Mittleres 
Körper- 
gewicht 
einer 
KreUsenden. 

Mittleres  Zahlenverhältniss  des  durch  die 

Geburt    bedingten   Gewichtsverlustes    des 

mütterlichen  Körpers  berechnet 

nach 
Kilo- 
gramme!. 

Als 

Proceot 
dei  Körper- 
gewichtes 
einer 
KreisseriÜen. 

10,45 

Jl^hSf       kreidende« 
g  Jli«r         1        Weib 
Kreidenden.  !  <P«  -"«O. 

189 

Kilogramme. 
62,8 

5,564 

1    Gramme«. 
1  :  9,67            104,5 

Tabelle  VL 

Schwankungen  des  durch  die  Geburt  bedingten  Gewichts- 
verlustes des  mütterlichen  Körpers. 

Der  Verlast  berechnet 


Zahl 

der 

Fälle. 


nach 
Kilo- 
gramm es. 


Zahl 

der 

Fälle. 


als 

Procent 

des  mütterl. 

Körpers. 


in  auf     ' 

Proportion       1  Kilogr. 
«um  mütterl.        Weib 
Körper.      ,  ^pro  mille). 


Procent. 

1 

15,0 

1 

22 

1  : 

1 

14,0 

1 

20 

!      1: 

3 

11,5 

1 

17 

1  : 

1 

11,0 

6 

.16 

I      1: 

3 

10,0 

4 

15 

1  : 

1 

9,5 

7 

14 

1  : 

5 

ö,0 

10 

13 

1  : 

7 

8,6 

19 

12 

1  : 

13 

8,0 

83 

11 

1  : 

16 

7,5 

23 

10 

1  : 

18 

7,0 

37 

9 

1  : 

21 

6,5 

33 

8 

1  : 

32 

6,0 

9 

7 

1  : 

24 

5,5 

6 

6 

1  : 

16 

5,0 

— 

15 

4,5 

— 

— 

9 

4,0 

— 

4 

3,6 

— 

:    4,54 
:    6,0 
:    6,9- 
:    6,26 
:    6,67 
7,14 
;    7,7    ' 
8,33 
9,09 
10,0 
11,1 
12,6 
:  14,3 
16,66 


Gramraes. 
220 
200 
170  * 
160 
150 
140 
130 
120 
110 
100 

90 

80 

70 

60 


44 


I.    (?a#tiwr,  Ueber  die  VftritaifontiJffen 


a 


0 

.0 


11 


~-°    © 

^  ©£  £ 


»-  <ü  «0 

5  l  I 


©■g 


SS 

5- 


© 

.0 


iS 


O 


SS  ß  3jj 
•"8  fit 


SB* 


1 

5  *t 


3  2 
-SS 

SS* 


IS   j 

O.a. 


** 


8.» 


■3 
a 

5 

CO 

OQ 


tu" 


*s 


05 


a 


PQ 


t 


£ 


.0 


«0 

.0 
© 


- 1  i  £  I 

«j-*       ! 


E  - 

ff  43 

öS 


»«5 

©•0  2: 

£  •  S    I 


o 


M 


CO 


c 


-.2fe  £ 


«•  0  -5  o       5  »a 


S<5^ 


©f 

»o 


CO 
00 
CM 

c*f 


Sa 


»giwS 

*"~S  PS 


CM  2    C  J 


2  5 


I! 


~ 


H- 


.  -  t  3  S 
-  £     ~ 


Cd 


•gs 

»4  A 


«o  ««   0 

®  -0    » 
©    »£ 

so» 


u 

■PS. 


o  B  a 

£  *  s 


»O  w 

Ol    bC 

CO   o 

eo'g 


HI 


■°-i  • 

g 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc. 


Tabelle  VUL 
Vergleich  der  Grösse  des  Eies  mit  der  Dauer  der  Geburt. 


'. 

•    Grösse 

des  reifen 

Dane 

>r  der 

Zahl 

Zahl 

Zahl 

Eies  als 

der 
Fälle. 

der 
Primi- 

der 
Multi- 

Pro cent 
des  mtitterl. 

ganzen 

ersten 
ftahfirt«. 

parae. 

parae. 

Körpers 
*  berechnet. 

Geburt. 

,     periode. 

Pro  cent. 

Standen. 

Standen. 

4 

1 

3 

13,08       | 

22 

7 

20,5 
5,6 

1 

1 

— 

11,1 

l 

29 
36 

27 
84 

3 

2 

1 

10,675    j 

26 
24 

24 
14 

26 

6 

20 

9,62 

14 

18 

8 

33 
26 
20 
17 
16 

12 

12 

6 

32 
20 
18 
15 
14 

69 

21 

48 

9,247    < 

12 
11 
7 
6 
5 
2 

19 
18 
15 

9,4 

9 

5,8 

6,1 

4,2 

1,3 

14,6 

15 

18 

48 

12 

36 

.      «.'S     < 

1 

10 
9 

4 
3 

8 

7,8 
3 
2 

2 

1 

1 

1,882 

21 

16 

2 

1 

1 

7,644      j 

36 
1 

32 
0,6 

46  I-     Q*uner,  Ueber  die  Veränderungen 

Tabelle  IX. 

Parallele  zwischen  den  Kindeslagen  und  der  Fruchtwassermenge. 


Zahl 

Mittleres 

i 
„.,.,        1  Mittleres 
Mittlere  j  VKmnäktß 

des       1  %mm  kÄ_ 

Auf 

der 

Gewicht 

1  Kilogr. 

Kindeslagen. 

beobach- 

der be- 

W«ib 

teten 
Fälle. 

treffenden 
Kinder. 

Frucht- 
wassers. 

treffenden 
Mütter. 

treffen 
sonach 

Kilogr. 

Kilogr.     |     Kilogr. 

Gramme». 

Scheitellagen 

142 

3,266 

*1,766          62,36 

28,04 

Gesichtslagen 

2 

3,529 

2,933     .     64,436 

46,46 

Beckenend- 

lagen .... 

8 

3,046 

2,8              66,2 

42,9 

Querlagen  .  . 

2 

3,166 

2,319 

62,6 

,87,0 

Anmerkung.  1.  Nach  Weglassnng  jener  22  Fälle,  in  denen 
ein  Positionswechsel  des  Kindes  beobachtet  wurde,  beträgt  die 
mittlere  Menge  des  Frachtwassers  bei  Scheitellagen  für  den  noch 
bleibenden  Rest  von  120  Fällen  nur  mehr  1,611  Kilogramme,  so 
das*  auf  1  Kilogramme  Weib  nur  mehr  26,82  Grammes  Frucht- 
wasser treffen. 

2.  ä)  In  drei  Fällen  von  Nabe lschnnr Vorfall  beträgt  im  Mittel 

die  Menge  des  Fruchtwassers  2,66  Kilogramme«. 
b)  In  zwei  Fällen  von  Vorfall  eines  Armes  neben  dem 
vorliegenden  Kopfe  beträgt  die  mittlere  Quantität  der 
amniotischen  Flüssigkeit  2,82  Kilogrammes;  verglichen 
mit  dem  Körpergewichte  der  Mutter  entziffern  sich 
ad  a)  auf  1  Kilogramme  Weib  41,2  Grammes  Fruchtwasser, 
ad  6)    •    1  '        .  »      37,6         „ 

3.  Eliuiinirt  man  nun  auch  noch  diese  fünf  Fälle,  sowie  die 
zwei  Fälle  von  Culbute  aus  der  Zahl  der  normalen  Scheitel- 
lagen, so  ist  das  mittlere  Gewicht  des  Fruchtwassers  für  die 
übrigen  113  Fälle  nur  mehr  =  1 ,64  Kilogramme  und  pro  tnille 
=  24,6  Grammes. 


III. 

Gewichtsverändemngen  des  Weibes  in  Folge  des 
Wochenbettes. 

Gewichtsverlust. 

a)  Mittel  desselben. 

a)  In  Folge  eines  Wochenbettes  nach  rechtzeitiger  Gebort. 

In  Folge  der  puerperalen  Se-  und  Excrelionen  sowie  der 

im  Wochenbette  üblichen  blanden  Diät  verliert  eine  Wöchnerin, 

die  am  normalen  Ende  der  Schwangerschaft  geboren  hat  und 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc. 


47 


als  Neueutbundene  das  mittlere  Körpergewicht  von  56,25  Kilo- 
grammes    besitzt,     innerhalb    172,43    Stunden    nach    ihrer 
Entbindung,   berechnet    nach   238   Fällen,    hn   Durchschnitte 
4,5715  Kilogramme*,  so  dass  demnach  der 
Gewichtsverlust  des  Weibes  :  Körpergewicht  der  Neuentbundenen 

=  1  :  12,305, 
oder  auf  1  Kilogramme  neuen tbundenes  Weib  ein  Gewichts- 
verlust von  81,27  Grammes  trifft,  oder,  was  dasselbe  sagen 
will,    der   Körper   der   Neuentbundenen   8,127   Procent   an 
Gewicht  verliert. 

ß)  In  Folge  eines  Wochenbettes  nach  Frühgeburten. 

In  den  Wochenbetten,  die  auf  Frühgeburten  folgten, 
verhielt  sich  die  mittlere  Abnahme  des  Körpergewichtes  wie 
folgt. 


Anfang  d.  6. Monats 
Ende  des  7.       „ 
Anfang  d.  8.       „ 
Ende  des  9.       „ 


Zahl 

der 
Fälle. 


MUtlere 

Abnahme 

des 

Körper- 
gewichts. 

1,165  Kilogr. 
3,120       „ 
8,300       „ 
4,600       „ 


Auf  1  Kilogr. 
Neuentbundene 
trifft  ein 
Gewichts- 
verlust 
von 

27,320  Gr. 
67,505    „ 
60,138    „ 
79,279   „ 


Innerhalb 

172  Stunden. 
168        „ 
176        „ 
176        „ 


y)  In  Folge  des  Wochenbettes  nach  Zwillinge  geburt. 

Entsprechend  dem  grösseren  Gewichtsverluste  in  Folge  von 
Zwilliiigsgeburt  übertrifft  auch  die  Abnahme  der  Körpermasse 
im  darauffolgenden  Wochenbette,  das  Mittel  um  1,5035  Kilo- 
gramme (in  2  Fällen),  so  dass  innerhalb  180  Stunden  nach 
der  Entbindung  auf  1  Kilogramme  von  Zwillingen  Neuentbundene 
ein  Gewichtsverlust  von  105,9  Grammes  trifft,  24,6  Grammes 
über  das  Mittel. 


f )  Berechnet  nmefe  den  einseinen  Tagen  «et  Wochenbette«. 

Wie  sich  der  aus  einer  Anzahl  von  30  Fallen  berechnete 
initiiere  Gewichtsverlust  von  4,8675  Kilogrammes  auf  die 
eioxelnen  Tag«  des  Wochenbettes  vertheilt,  ist  aus  der 
Tabelle  XI.  ziT  ersehen.  Auffallend  ist  die  Grösse  der  Zahl, 
die  den  Gewichtsverlust  des .  ersten  WochenbettsUges  aus- 
drückt,   sich   aber,    wie  ich   später   zeigen   werde,   aus   der 


48  l-    Qa****r,  Ueber  die  Veränderungen 

vermehrten  Diurese  in  Folge  der  Resorption  des  in  dar 
Schwangerschaft  entstandenen  ödematösen  Infiltrates,  sowie 
aus  der  grösseren  Masse  der  aus  der  Uterinhöhle  entleerten 
Lochia  cruenta  recht  gut  erklären  läset.  Ebenso  lallt  es  auf, 
dass  vom  6.  —  7.  Tage  nach  der  Entbindung  die  Grösse  des 
Gewichtsverlustes  wieder  steigt,  nachdem  sie  jeden  Tag  bis 
zur  genannten  Zeit  stetig  fiel;  es  mag  diese  Eigenthürolich- 
keit  ihren  Grund  darin  linden,  dass  das  Kind  ein  grösseres 
Quantum  Muttermilch  zu  sich  nimmt  und  gewöhnlich  nach 
Verlauf  mehrerer  Tage  post  partum  bei  der  Mutter  eine 
Defacation  erfolgt 

f)  Bei  Brat*  und  Mehrgebärenden,  stillenden  und  nicht 
stillenden  Wöchnerinnen. 

Bezüglich  des  Einflusses  der  Erst-  und  Mehrgeburt, 
sowie  des  Säugungsgeschäftes  auf  die  Abnahme  der  Körper« 
masse  in  Folge  des  Wochenbettes  ergeben  die  Untersuchungen, 
dass  1  Kilogramme  Erstgebärende  gegenüber  1  Kilogramme 
Mehrgebärende,  um  4,58  Gramnies  weniger  —  und  1  Kilo- 
gramme stillende  Wöchnerin  gegenüber  1  Kilogramme  nicht 
stillende  Wöchnerin  um  0,1  Gramme  mehr  im  Durchschnitte 
(als  Mittel  von  238  Fällen)  verliert  Ueberraschend  gering 
ist  die  Differenz  des  Gewichtsverlustes  stillender  und  nicht 
stillender  Frauen,  und  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  bei 
nicht  stillenden  Wöchnerinnen  das  Minus  des  Brustdrüsen- 
secretes  durch  ein  Plus  des  Lochialflusses  wieder  aus- 
geglichen wird. 

b)  Abweichungen   vom  Mittel 

In  Tabelle  XII.  sind  die  Schwankungen  des  durch  das 
Puerperium  gesetzten  Körpergewichtsverlustes  übersichtlich 
vorgefahrt,  und  finden  dieselben  innerhalb  ihrer  physiologischen 
Breite  ihre  Erklärung 

a)  in  dem  Gesetze,  dass  die  Grösse  der  durch  die  puer- 
peralen Vorgänge  verursachten  Gewichtsabnahme  im  geraden 
Verhältnisse  zu  der  Grosse  der  Körpermasse  der  betreffenden 
Wöchnerin  steht. 


des  Korpergewichtes  bei  Schwangeren  etc. 


49 


Zum  Beweise  dieses  Gesetzes  diene 

folgende  Zusammen* 

Stellung: 

• 

Korpergewicht 

Zahl 

Mittlere 
Abnahme 

Angabe  der  Zeit 

der 

der 

der 

nach  der 

Neuentbundenen. 

FSlIe. 

Körpermasse, 

Entbindung. 

74,5  —  70Kilogr. 

1 

8,15  Kilogr. 

192,0  Stunden. 

69,5  —  65 

n 

17 

6,53      „ 

175,0       „ 

64,5—60 

M 

46 

6,545    „ 

170,6       „ 

59,5  —  55 

»* 

72 

4,602    „ 

172,6       „ 

54,5  —  50 

>» 

68 

3,955    „ 

172,3       „ 

49,5  —  45 

w 

25 

3,385    „ 

174,7       „ 

44,5—40 

w 

7 

3,265    „ 

172,0       „ 

39,5—35 

n 

2 

2,71       „ 

180,0       „ 

b)  und  c)  in  der  erwähnten  Thatsache,  dass  Erst* 
gebärende  gegenüber  den  Mehrgebärenden  (Differenz  =  4,58 
Granunes  pro  mille)  und  nicht  stillende  Mutter  gegenüber 
den  stillenden  (Differenz  =  0,1  Gramme  pro  mille)  eben 
geringeren  Verlust  ihrer  Körpermasse  erfahren. 

Was  die  excessiv  vom  Mittel  nach  Oben  sich  entfernenden 
Abweichungen  der  in  Rede  stehenden  Abnahme  betrifft,  so 
lässt  sich  in  allen  24  hieher  gehörigen  Fällen  der  Grund 
dafür  in  vorhanden  gewesenen  ungewöhnlichen  oder  patho- 
logischen Vorgängen  nachweisen;  so  in  1  Falle  enormes 
Oedem  der  unteren  Extremitäten  und  der  Bauchdecken,  das 
einen  Umfang  der  Unterschenkel  von  49  Centimetres  und 
fast  Unvermögen,  sich  von  der  Stelle  zu  bewegen,  bedingte; 
in  10  Fällen  wenn  auch  nicht  gerade  so  hochgradige,  so 
doch  immerhin  bedeutende  ödematöse  Infiltration  der  unterhalb 
der  Venae  iliacae  gelegenen  Theile  des  Körpers,  und  dem- 
gemäss  sehr  vermehrte  Diurese  (Resorption);  in  8  Fällen 
profuse  Lochia  cruenta  und  serosa;  in  1  Falle  Metrorrhagie 
am  zweiten  Tage  des  Wochenbettes,  in  4  Fällen  anhaltende 
diarrhoische  Ausleerungen. 

Auch  die  19  Fälle  von  excessiv  nach  unten  vom  Mittel 
sich  entfernenden  Abweichungen  des  Körpergewichtsverlustes 
anlangend    findet    sich    eine    Erklärung   hiefür   in    folgenden 

Monataaobr.  f.  GeburUk.  1869.  Bd.  XIX.,  Hft.  1  u.  2.  4 


50  I-     Gauner  t  Ueber  die  Veränderungen 

Umständen,  die  im  coucreten  Falle  entweder  vereinzelt  oder 
in  Combination  mit  einander  beobachtet  wurden:  sparsamer, 
fast  unterdrückter  Wochenßuss,  Unterlassung  des  Stillens, 
meistens  das  erste  Wochenbett  (in  16  Fällen),  Retention 
der  Fäces,  Genuss  grosser  Quantitäten  von  Wollblumenthee 
(2—3  Maass  im  Tage). 

b)  Factoren  des  Gewichtsverlustes. 

Der  Gewichtsverlust  im  Wochenbette  wird  herbeigeführt: 

a)  durch  die  Ausscheidung  der  Lochien  und  der  Milch; 

b)  durch  vermehrte  Harnabsonderung  am  ersten  und  zweiten 
Tage  nach  der  Entbindung,  die  ihren  Grund  in  der 
Resorption  des  mehr  weniger  vorhandenen  Oedems  der 
unteren  ExfrmniiäleiL  Jii£3  , 

c)  durch^die  in  der4tegd-  et\Va$  vermehrte  Lungen-  und 
Haut*^ümjtup£  o  C 

d)  durck  die  EttltefcrängJ  fler1  Fäcqfe,  deren  Gewicht  im 
Mittel  (5,34  KiLagj^cajne  beträgt 

e)  durch  die^ücl^hilduag  yiejv  äusseren  und  inneren  Geni- 
talien. " 

Den  Anlheil  dieser  Factoren  au  der  Hervorbringung  des 
erwähnten  Massenverlustes  durch  Zahlen  auszudrücken,  wie 
dies  bei  der  Analyse  der  durch  die  Geburl  bedingten  Gewichts- 
abnahme geschah,  bin  ich  nicht  in  der  Lage,  da  die  Er- 
füllung einer  solchen  Aufgabe  eine  viel  zu  complicirte  Unter- 
suchung erfordert,  deren  Ausführung  in  unserem  Falle  an 
der  Opposition  der  zur  Untersuchung  herbeizuziehenden 
Individuen  und  an  dem  Mangel  an  Zeit  scheiterte.  Ich  muss 
mich  daher  darauf  beschränken,  im  Allgemeinen  die  Bedeutung 
der  einzelnen  Factoren  zu  besprechen  und  durch  vereinzelte 
Beobachtungen  dem  Verständnisse  näher  zu  bringen. 

Nach  Untersuchungen,  die  ich  an  2  Wöchnerinnen  (Primi- 
parae von  ziemlich  gleichem  Körpergewichte)  nach  der  oben 
in  der  Einleitung  angegebenen  Methode  zur  Ermittelung  der 
Quantität  des  Lochialflusses  angestellt  habe,  ergibt 
sich  folgendes  Resultat: 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  51 

Mittlere  Menge  der  Lochia  cruenta  (vom  1. — 3.  Tage  post  partum) 

=  1,00  Kilogramme. 
„  %         n         n        serosa    (vom  4.  —  6.  Tage  post  partum) 

=  0,28  Kilogramme. 
n  vi  n         n       ftlDa        (vom  6. — 8.  Tage  post  partum) 

=  0,205  Kilogramme. 
Mittlere   Menge    des    innerhalb   der   ersten  8  Tage   post  partum 
entleerten  Lochialsecretes  =  1,485  Kilogramme. 

Dass  die  Differenz  der  Menge  der  Lochien  einer  stillenden 
und  nicht  stillenden  Wöchnerin  im  Ganzen  und  an  den  ein- 
zelnen Tagen  nicht  unbedeutend  ist,  geht  aus  folgenden 
Tabellen  hervor  und  bestätigt  die  in  dieser  Richtung  schon 
längst  gemachte  Erfahrung  durch  folgende  Zahlen werthe ;  dass 
ebenso  bei  Erst-  und  Mehrgebärenden  eine  Differenz  der 
Menge  des  Lochialsecretes  vorhanden,  ist  mehr  als  wahr- 
scheinlich ;  ingleichen  wird  die  Menge  der  Lochien  auch  zu 
der  Grösse  der  Körpermasse  der  betreffenden  Wöchnerin  im 
geraden  Verhältnisse  stehen,  wiewohl  ich  dies  nicht  direct 
zu  beweisen  vermag,  sondern  meine  Vermuthung  sich  nur 
auf  Analogien  stützt. 

Die  Menge  des  Lochialsecretes  beträgt  bei  der  erstgebärenden 

stillenden  Wöchnerin  nichtstillenden  Wöchnerin 

(Körpergewicht  ==  53  Kilogr.)  (Körpergewicht  =  51  Kilogr.) 

Gratnmes.  Gramme«. 

24  Standen  Postpartum  400,  L  ochUcruento    ft   £,    670>  LochUcruenU    .   & 

1*        .  „  160)  8  1  •«     860)  *        •  W 


bt)  iO  '  I    60 


00 


96        „  „  „         70)  Lochia  serosa  f   •  ©      160 1   Lochia  serosa  f  ©  ^ 

120        „  n  »       130  i   =0,2  Kilogr.  f  |  7     200»  =0,36  Kilogr.  >  |  *[ 

168        „  „  „         60      LochlÄ  alba  1  •  S      120       Lochia  alba  J  -  IS 

192        \  "  ;         tot  ~  °'14  KÜ°^;  ©    8       J  =0,27  Kilogr.  '  5  J 

Hinsichtlich  der  Milchmenge,  die  innerhalb  der  ersten 
acht  Tage  nach  der  Geburt  von  dem  Neugeborenen  aus  den 
Brüsten  gesogen  wird,  fand  ich  als  Mittel  von  drei  Fällen  «in 
-  Gewicht  von  2,15  Kilogrammes. 

Dass  die  Diurese  vermehrt  ist,  bedarf  in  allen  jenen 
Fällen,  wo  ein  Oedem  in  1  —  2  Tagen  nach  der  Entbindung 
vollkommen  verschwunden  ist,  keines  Beweises. 


52  !•     Gauner ,  Ueber  die  Veränderungen 

Um  einen  Begriff  von  Vermehrung  der  Diurese  im  Wochen- 
bette zu  bekommen,  erwähne  ich  eines  Falles,  wo  in  Folge 
der  Resorption  eines  enormen  Oedems  der  unteren  Extremi- 
täten und  der  Bauchdecken  der  regio  hypogastrica  eine 
Wöchnerin,  die  einen  Gesamintgewichtsverlust  von  16,5  Kilo- 
grammes  innerhalb  8  Tagen  post  partum  erlitten  hat,  in 
einem  Zeitraum  von  42  Stunden  10  Kilogrammes  hellen 
sehr  wasserigen  (mit  dem  Gatheter  genommenen)  Urin  entleerte. 

Der  Grad  der  Vermehrung  der  Diurese  richtet  sich  selbst- 
verständlich nach  dem  Grade  des  vorhandenen  Oedems. 

Nach  Wägungen  des  Genitalapparates  von  an  verschiedenen 
Tagen  gestorbenen  Wöchnerinnen  lässt  sich  approximativ  be- 
stimmen, dass  durch  die  retrograde  Metamorphose  der 
Genitalien,  insbesondere  des  Uterus  innerhalb  192  Stunden 
post  partum  eine  Gewichtsdifferenz  von  0,3 — 0,4  Kilogramme 
zu  Stande  kömmt. 

Im  Allgemeinen  darf  man  daher  sagen,  dass  die  Aus- 
scheidung der  Lochien  und  der  Milch,  die  vermehrte  Harn- 
absonderung, soweit  letztere  in  der  Ausleerung  des  resorbirteu 
von  der  Schwangerschaft  ins  Wochenbett  hinüber  genommenen 
öderaatösen  Infiltrats  ihre  Ursache  hat,  sowie  die  Rückbildung 
der  Genitalien  die  Hauptfactoren  des  Gewichtsverlustes  dar- 
stellen, denen  gegenüber  die  übrigen  zwei  Factoren,  nämlich 
die  vermehrte  Lungen-  und  Hautausdünstung,  sowie  die  Ent- 
leerung der  Fäces,  unbedeutend  erscheinen;  da  letztere  mehr 
einen  vorübergehenden  als  länger  bestehenden  Massenverlust 
bedingen,  so  kann  man  sie  besser  aus  der  Reihe  der  genannten 
Factoren  streichen  und  den  Gesammtverlust  nur  auf  Rechnung 
der  Entleerung  der  Milch,  Lochien  und  des  Harns,  sowie 
der  Massenverminderung  der  Genitalien  bringen;  denn  das 
durch  die  vermehrte  Lungen-  und  Hautausdünstung  Ab- 
geschiedene wird  durch  die  Einfuhr  von  Getränken  in  den 
Körper,  ebenso  das  Gewicht  der  entleerten  Darmexcremente 
durch  die  Zufuhr  von  Nahrungsloffen  sogleich  oder  kurz 
darauf  wieder  ersetzt 


des  Körpergewichtes  l>ei  Schwangeren  etc. 


53 


i 
I 


© 

rhalb 
einer 
i   hat, 

|8 

OD 

© 

s 
e 

eS 

.2* 
"0 

1    § 

©           (5 

OB'Sfi 

u 

"© 

0    5    • 

a  ©  u 
3  £  *• 

0      C? 

«•-  © 

o 

^ 

1 

1  5 

2    ^ 

«  £ 

0    0 

00 

h. 

o  g  © 

ee 

Pu. 

ö 

>rfS  a 

m  P 
iwic 
ftse) 

c  *  «  5 

G     <n     ©     © 

.2* 

3 

o 

rale 
ergc 
icha 

.2  S..g  g 

CO 

TS 

of 

S.6-S 

&w«g 

©f 

© 

rH 

durch  die  puer; 
erursachten  Kö; 
ichen   Schwange 
berechnet 

•*    E    O   -+* 

0     B     ?     2 

XI 

du 

8 
X 

91 

«         * 

H. 

T-l 

'2 

M         S 

-.2      g 

0 

"•♦3 

fl   2J 

©   o 

«     CO 

0   k        © 

o  PS  g 

© 
© 
O 

Cm 

*0 

©     - 

1           £  © 

s  s  ■ 

£  2.-9.S 

"© 

X  —   Q* 

«tt         0 

S 

C      CD 

*6   • 

_         © 

od* 

x 

Cm 

©      ^> 

£  ,*  * 

Ol 

►  0 

e  •  © 

1       ©  »o  •« 

.2* 

CO 

•S  s 

BD 

© 

x 
*3 

CO 

CO     . 

!       NDDfl          | 

a 

2 

«f 

cCQ    b 

■S  a 

|Q 

lg« 

1     T      ■". 

3      1      Ü 

1  S 

c  tu 

1    * 

© 

o- 

Ci 

IE* 

3 

a   ' 

Oh 

iO 

CO 

n 

^a 

c 

« 

6. 

w     04 

3 

t  i 

8  £ 
I'i 

0 
B 

II 

§ 
1 

fee 

o 

'S 

ja 

'S 

n    co 

i3  « 

i 

© 

£ 

0U 

u     OD 

0 

B 
X 

.2* 

I 

'S 

iO 

CO 

^ 

^ 

00 

•H 

JA 

— 

du 

«a 

^ 

a 

eo 

« 

* 

X 

t<- 

Cm 

■ 

54 


I.     Gastner  7  Ueber  die  Veränderungen 


Tabelle 

Abnahme  des  Körpergewichtes  einer  Wöchnerin 


Gesammtsahl 

Zahl  der  Wöchnerinnen,  die 

der 
Fälle. 

zum 

ersten  Male 

geboren 

haben 

iam 
wiederholten 
Male  geboren 

haben 

das 

Neugeborene 

stillten 

das 

Neugeborene 
nicht  stillten 

30 

6 

25 

16 

14 

3 

Ne 
entbun 

Mittleres  Körpergewicht  dieser 

0' 
u- 
denen 

6 

neuentbund. 

Primip. 

!            35 
neuentbund. 
Multip. 

16 

neuentbund. 
Stillenden 

14 
neuentbund. 
Nicht- 
stillenden 

Kilogr. 
54,35 

i 

Kilogr. 
53,5 

Kilogr. 
64,6 

Kilogr. 
55,0 

Kilogr. 
63,58 

Mittel  d 

es  Gewichts  verli 

istes  innerhalb  192  Stunden  post  partum 
berechnet  für 

30 
Fälle 

5 

Primiparae 

25 
Multiparae 

16 
Stillende 

14 
Nichtstillende 

nach 
Kilogr. 

pro 
mille 

nach 
Kilogr. 

pro 
mille 

nach 
Kilogr. 

pro 
mille 

nach 
Kilogr. 

pro 
mille 

nach 
Kilogr. 

pro 
mille 

4,8676 

Gramm. 
89,646 

4,0635 

Gramm. 
75,953 

6,0 

Gramm. 
91,743 

6,184 

Gramm. 
94,25 

4,543 

Gramm 
84,74 

de»  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc. 


56 


XL 

an  den  einzelnen  Wochenbettstagen. 


Mittlerer    Gewichtsverlust    einer    Wöchnerin    an    den    einseinen 

Wochenbettstagen    berechnet    nach  Kilogrammes    und   pro  mille 
des  Körpergewichts  der  betreffenden  Neuentbundenen, 

und  swar  für 

Zeitraum 

nach 

der 
Gebart. 

alle  30  Fälle 

• 

5  Primip. 

26  Multip. 

16  Stillende, 
darunter 

3  Primip.  u. 
13  Multip. 

14  Nicht- 
stillende, 
darunter 
2  Primip.  u. 
12  Multip. 

nach      pro 
Kilogr..  mille 

nach  1    pro    |  nach 
Kilogr.   mille  Kilogr. 

pro 
mille 

nach  1    pro 
Kilogr.!  mille' 

nach  i    pro 
KilogrJ  mille 

Stunden. 

Gramm. 

Gramm. 

Gramm. 

^ 

Gramm. 

Grairm. 

24 

1,956 

86,0 

2,26 

42,05 

1,9 

34,844 

2,036 

37,37 

1,863 

34,8 

48 

0,816 

15,013 

0,6026 

11,263 

0,856 

16,7 

0,821 

15,0     1  0,81 

16,12 

72 

0,64 

9,9 

0,515 

9,9 

0,6466 

9,9 

0,667 

11,96      0,407 

7,6 

96 

0,5666 

10,4 

0,1026 

1,91  i  0,656 

12,02 

0,56 

10,99  |  0,57 

10,2 

120 

0,27 

4,97 

0,01 

0,187  !  0,322 

5,8 

0,283 

5,15  j  0,265 

4,76 

144 

0,1435 

2,64 

0,4 

7,46     '  0,1 

1,9 

0,183  !    3,3271  0,1 

1,87 

168 

0,2675 

4,92 

0,0       1 0,0       1 0,326 

6,9 

0,3          5,46  |  0,23 

4,3 

192 

0,31 

6,703 

0,18 

13,34 

0,306 

5,56 

0,345 

6,9 

0,308 

6,76 

56 


I.     Gasmer,  Ueber  die  Veränderungen 


Tabelle  XTT. 

Schwankungen  des  durch  die  puerperalen  Processe  innerhalb 

172,43  Stunden  post  partum  bedingten  Gewichtsverlustes 

berechnet 


Zahl 

der 

Fälle. 

nach 

Kilo- 

grammes. 

Zahl 

der 

Fälle. 

als 

Procent 
des  Körper- 
gewichtes 
der  Neu- 
entbnndenen. 

in 
Proportion 
zu  dem 
Körper- 
gewichte der 

Neu- 
entbundenen. 

auf 
1  Kiiogr.  un- 
entbnndenes 

Weib 
(pro  niille). 

Procent. 

Grammai! 

1 

16,5 

1 

24 

1  :      4,167 

240 

3 

9,0 

1 

15 

1  :      6,667 

160 

2 

8,5 

3 

14 

1  :      7,143 

140 

2 

8,0 

10 

13 

1:      7,7 

130 

6 

7,5 

9 

12 

1  :      8,34 

120 

7 

7,0 

10 

11 

1:      9,09 

110 

9 

6,6 

27 

10 

1:    10,0 

100 

18 

-      6,0 

26 

9 

1:    11,1 

90 

20 

5,6 

46 

8 

1:    12,6 

80 

36 

6,0 

60 

7 

1  :    14,3 

70 

32 

*6 

16 

6 

1  :    16,67 

60 

28 

4,0 

12 

6 

1:    20,0 

60 

36 

3,6 

9 

4 

1:    26,0    . 

40 

18 

3,0 

6 

3 

1  :    33,34 

30 

18 

2,5 

3 

2 

1:    60,0       | 

20 

7 

2,0 

1 

1 

1  ;  100,0 

10 

4 

1,6 

— 

— 

— 

— 

1 

1,0 

— 

— 

— 

— 

4 

0,6 

— 

— 

— 

— 

1 

0,34 

— 

— 

-     i 

— 

des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc. 


57 


IV. 

Differenz  des  Körpergewichtes  in  Folge  der  Geburt  und 

der  puerperalen  Processe  innerhalb  der  ersten  acht  Tage 

des  Wochenbettes. 

Gewichtsverlust. 
a)  Mittel  desselben 

a)  in  Folge  von  rechtzeitiger  Gebort  und  darauffolgendem 
Puerperium. 

In  Folge  der  Vorgänge  bei  der  rechtzeitigen  Geburt 
und  innerhalb  der  ersten  8  Tage  des  Wochenbettes  verliert 
das  Weib,  das  am  normalen  Schwangerschaftsende  ein 
Körpergewicht  von  63,245  Kilogrammes  hat,  im  Mittel  be- 
rechnet nach  201  Fällen  11,395  Kilogrammes  oder  18,02  Pro- 
cent, also  beinahe  den  fünften  Theil  ihrer  Körpermasse,  so 
dass  sich  die 

Abnahme  :  Körpergewicht  =  1  :  5,55  verhält, 
oder  auf  1  Kilogramme  hochschwangeres  Weib  ein  Gewichts- 
verlust von  180,2  Grammes  kommt 

ß)  in  Folge  von  Frühgeburt  und  darauffolgendem  Puerperium. 

Hinsichtlich  der  Verminderung  der  Körpermasse  bei 
Frühgeburten  als  Folge  der  Geburt  und  der  Vorgänge  in 
den  ersten  8  Tagen  des  Wochenbettes  ist  zu  bemerken, 
dass  übereinstimmend  mit  früheren  Angaben  mit  der  Zahl 
der  Monate  die  Grösse  des  Massen  Verlustes  steigt,  wie  dies 
aus  folgender  Zusammenstellung  hervorgeht: 

Mittlere 


Monat. 

Anfang  des  6.  Monats 
Ende      „   7.      „ 
Anfang   „  8.      „ 
Ende      „  9.      „ 


Zahl 

der 

Falle. 

2 

1 

3 
5 


Annahme 

des 
Körper- 
gewichte«. 

4,65  KUogr. 
7,12      „ 
7,62      „ 
9,255    „ 


Auf  1  Kilogr. 
Weib  trifft 

ein  Gewichts- 
verlust Ton 

93,38  Grammes 
126,00       „ 
134,00       „ 
163,00       „ 


58  I*     Gauner,  Ueber  die  Veränderungen 

y)  in  Folge  von  Zwillingageburt  und  darauffolgendem 
Puerperium. 

Der  Gewichtsverlust  an  Körpermasse  in  Folge  von 
Zwillingsgeburt,  die  am  normalen  Schwangerschaftsende  ein- 
getreten ist,  und  dem  darauf  folgenden  Wochenbette  (ersten 
8  Tage  desselben)  beträgt  als  Mittel  von  2  Fällen  17,89  Kilo- 
gramme^ so  dass  sich  auf  1  Kilogramme  Weib  eine  Abnahme 
von  238  Grammes  oder  58  Grammes  über  das  Mittel  entziffert. 

8)  bei  Eni-  und  Btehrgebärenden.    . 
Die  Differenz  der  Procente  der  Abnahme  bei  Erst-  und 
Mehrgebärenden  ist  zu  Gunsten  der  letzteren  =  0,69;  oder  auf 
1  Kilogramme  Erstgebärende  kommt  ein  Gewichtsverlust  von 

176,1  Grammes, 

1  Kilogramme  Mehrgebärende  kommt  ein  Gewichtsverlust  von 

183,0  Grammes. 

b)  Abweichungen  vom  Mittel. 
Aus  dem  im  Verlaufe  dieser  Abhandlung  Auseinander- 
gesetzten begreift  sich  von  selbst,  dass  wie  in  dem  Grössen- 
werthe  einzelner  Factoren,  so  auch  in  dem  der  Gesammt- 
summe  der  Massenabnahme  Schwankungen  (vide  Tabelle  XIV) 
vorkommen  müssen,  und  verweise  ich  in  Bezug  auf  das 
Verständnifts  derselben  statt  aller  Wiederholungen  auf  das 
früher  bei  Gelegenheit  der  Erklärung  der  Schwankungen  der 
Gewichtsabnahme  in  Folge  der  Geburt  und  des  Wochenbettes 
bereits  Gesagte,  und  bemerke  nur  noch,  dass  wie  bei  den 
einzelnen  den  Massenverlust  zusammensetzenden  Factoren  sich 
auch  laut  folgender  Zusammenstellung  in  der  Gesammtabnahme 
der  Einfluss  der  Grösse  der  Körpermasse  auf  die  Grösse  des 
Verlustes  geltend  macht 


Körpergewicht  der  ain 

Zahl 

Mittlere 

Annahme 

normalen  Schwange  rschafts- 

der 

in  Folge 

von  Geburt 

ende  Kreissenden. 

Falle. 

and  Wochenbett. 

80 — 75,5  Kilogramme« 

v    28 

13,85  Kilogramme» 

70—65,5 

39 

12,242 

w 

65—60,5 

65 

11,155 

>» 

60-55,5 

50 

10,218 

n 

OO  —  Ov,ö             „ 

16 

9,24 

»» 

50-45,5 

3 

6,93 

n 

des  Körpergewichte«  bei  Schwangeren  etc. 


I 


© 

• 

Kilogramm 
issendes 
Weib 
o  mille). 

• 
© 

£ 

8 

S 

*© 

"3 

§  2 

I  8 
0 

• 

o  © 

©        u 

©* 

o* 

2   ^ 

fc-    60 

e 

0 

i   * 

•  2 

«8 

Pn 

O 

©  a 

• 

.2* 

i 

tage 

rperiu 

chnet 

d  Proportioi 

zu  dem 
örpergewich 
r  Kreissendi 

2 

»o 

•*4 

0 

*o 

Vorgi 
s  Puei 
s  bere 

T-« 

43 

du 
S 

•c 

00 

c  ©  © 

•~        M    © 

durch   di 
Tagen  d 
des  Weih 

04 

^4 

©   « 

—      .2  © 

0* 

*■♦* 

°* 

e      ä^ 

53 

CO 

h   Itniss   des 
ersten   acht 
gewichtes 

als  Procei 
des 
Körpergewic 
der  Kreissen 

<M 
© 

CO 

*© 

X) 

T-t 

S 

£  2 

2?  I 

0 

5* 

s 

m 
i 
S 

U  s 

5  ■- 
js 

M 

'3 

1 

| 

TS 

I 

s=    - 

* 

;,     i 

9 

Ä 

^    «<S             ■ 

E 

jfl 

*  E 

..SEx4       g 

£  *  S  £  «'S 
Slr*l    2 

so  fct  s      i3 

S 

s 

«fl 

o 

K 

m 

0^ 

"3 

0  «> 

H 

'S  OT 

cT 

Oh 

M    e& 

9 

«o 

5 

- 

i 

8 

i 

#4 

s 

■  #4 

-O 

■2 

c- 

J 

B 

S 

A 

'C 

PN 

60 


I.     Gastner,  Ueber  die  Veränderungen 


Tabelle  XIV. 

Schwankungen  des  durch  die  Vorgänge  bei  der  rechtzeitigen 

Geburt   und    in   den    ersten    acht   Tagen    des   Puerperiums 

bedingten  Körpergewichtsverlustes  des  Weibes  berechnet 


Zahl 

der 

Fülle. 

nach 

Kilo- 

grammes. 

Zahl 

der 

Fälle. 

als 
Procent 
des  Körper- 
gewichtes 
der 
Kreissendeu. 

in 
Proportion 
sa  dem 
Körper- 
gewichte 
der 
KreisBenden. 

anf 

1  Kilogr. 

kreissendes 

Weib 
(pro  inille). 

Procent. 

Gramme». 

1 

25,0 

1 

32 

1  :  3,125 

320 

1 

20,5 

1 

30 

1  :  3,34 

800 

1 

19,5 

1 

28 

1  :  8,57 

280 

2 

17,6 

2 

26 

1  :4,0 

250 

6 

16,5 

3 

24 

1  :  4,17 

240 

2 

16,0 

3 

23 

1  :  4,36 

230 

3 

15,6 

3 

22 

1  :  4,64 

220 

2 

16,0 

17 

21 

1  :4,8 

210 

3 

14,6 

18 

20 

1  :6,0 

200 

6 

14,0 

30 

19 

1  :  6,26 

190 

8 

13,6 

24 

18 

1  :  5,56 

180 

10 

18,0 

29 

17 

1  :6,9 

170 

18 

12,6 

26 

16 

1  :  6,25 

160 

10 

12,0 

20 

16 

1  :  6,67 

150 

21 

11,6 

10 

14 

1  :  7,14 

140 

27 

11,0 

6 

13 

1  :7,7 

130 

18 

10,6 

3 

12 

1  :  8,34 

120 

17 

10,0 

4 

11 

1:9,1 

110 

12 

9,6 

— 

— 

— 

14 

9,0 

— 

— 

— 

11 

8,5 

— 

— 

— 

6 

8,0 

— 

— 

— 

— 

7 

7,6 

— 

— 

— 

— 

3 

7,0 

— 

— 



__ 

4 

6,6 

— 

— 





3 

6,0 

— 

— 



— 

1 

6,6 

— 

— 

— 

— 

2 

5,0 

— 

— 

— 

— 

1 

4,5 

— 

— 

— 

— 

des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  6] 


V. 

Wiederersatz  des  durch  die  Geburt  und  die  puerperalen 
Vorgänge  verursachten  Körpergewichtsverlustes. 

Es  wäre  von  Interesse  für  mich  gewesen,  den  Wieder- 
ersatz des  durch  die  Geburt  und  die  puerperalen  Processe 
herbeigeführten  Gewichtsverlustes  des  Körpers  an  sich  und 
in  seinen  Beziehungen  zu  dem  hiezu  erforderlichen  Zeitraum, 
zur  etwaigen  folgenden  Schwangerschaft,  ferner  zur  Erst- 
und Mehrgeburt  verfolgen  und  Vergleiche  zwischen  dem 
Verhalten  der  Gewichtsveränderungen  desselben  Individuums 
in  verschiedenen  Schwangerschaften,  Geburten  upd  Wochen- 
betten anstellen  zu  können;  allein  auf  der  einen  Seite  machten 
die  Ausfahrung  dieses  Unternehmens  die  Hausgesetze  der 
Anstalt,  deren  zufolge  gesunde  Wöchnerinnen  am  achten 
oder  neunten  Tage  nach  der  Entbindung  entlassen  werden 
müssen,  und  auf  der  anderen  Seite  die  Kurze  der  Zeit  in 
Folge  meines  Austrittes  aus  meinem  bisherigen  Wirkungskreise 
unmöglich. 

Indess  hat  mir  der  Zufall  einige  Mal  glücklich  mitgespielt, 
so  dass  ich  in  10  Fällen  nach  Verlauf  von  3 — 6  Wochen 
nach  der  letzten  Entbindung  das  Körpergewicht  der  betreffenden 
als  Neuentbundene  und  bei  der  Entlassung  (8  Tage  post  partum) 
gewogenen    Individuen    ermitteln    konnte;    das    Resultat   ist 


1)  Bei  6  Individuen,  die  3  —  4  Wochen  nach  der  Ent- 
bindung ebensoviel  als  unmittelbar  post  partum  wogen,  war 
der  durch  die  puerperalen  Vorgänge  verursachte  Gewichts- 
verlust (4,5  Kilogrammes  im  Durchschnitte)  innerhalb  der 
angegebenen  Zeil  sonach  wieder  vollkommen  ersetzt 

2)  Bei  1  Individuum,  das  im  Wochenbette  in  Folge 
profuser  Lochien  und  bedeutender  Wochenschweisse  8,2  Kilo- 
grammes an  Körpergewicht  verloren  hatte,  betrug  die  Gewichts- 
zunahme innerhalb  4  Wochen  vom  Tage  der  Entlassung  aus 
der  Anstalt  an  gerechnet  nur  6  Kilogrammes,  so  dass  der 
Gewichtsverlust  in  Folge  des  Wochenbettes  noch  nicht  ganz 
ersetzt  war. 


62  I.     G<u**er,  Ueber  die  Veränderungen 

3)  Bei  3  Individuell,  die  6  Wochen  nach  der  Entbindung 
nachgewogen  wurden  und  in  Folge  der  puerperalen  Vorgänge 
5,15  Kilogrammes  ihrer  Körpermasse  verloren  hatten,  zeigte 
sich  ein  Plus  der  Gewichtszunahme  von  2,3  Kilogrammes 
über  den  Wiederersatz  hinaus. 

Schlösse  aus  diesen  Daten  zu  ziehen  ist  bei  einer  so 
geringen  Anzahl  von  Fällen  unstatthaft  Es  ist  indess  apriori 
vorauszusehen,  dass,  da  die  Restitution  der  verlorenen  Körper- 
masse und  der  Zeitraum,  dessen  sie  bedarf,  im  concreten 
Falle  von  den  Nutritions  Verhältnissen ,  denen  das  einzelne 
Individuum  angehört,  und  die  bei  der  verschiedenen  socialen 
Stellung  auch  sehr  verschieden  sind,  einzig  und  allein  abhängt, 
darauf  hingerichtete  Untersuchungen  bezüglich  der  Zunahme 
der  Körpermasse  und  der  Zeit,  innerhalb  welcher  der  Wieder- 
ersatz geschieht,  verschiedene  Resultate  zu  Tage  fördern  werden. 


VI. 

R  6  s  u  m  L 

Am  Ende  dieser  Abhandlung  dürfte  es  nicht  ungeeignet 
erscheinen,  die  aus  meinen  Untersuchungen  gewonnenen  und 
im  Vorausgehenden  ausführlich  besprochenen  Thatsachen  als 
Schlussstein  des  Ganzen  und  zu  leichterer  Uebersicht  in 
aphoristischer  Weise  zu  recapituliren. 

A.     Schwangerschaft. 

1)  Es  ist  ein  physiologisches  Gesetz,  dass  der  mütter- 
liche Körper  während  der  drei  letzten  Schwangerschaftsmonate 
eine  Zunahme  seiner  Masse  erfahrt,  die  so  bedeutend  ist, 
dass  sie  durch  das  Wachsthum  des  Eies  aHein  nicht  erklärt 
werden  kann,  sondern  angenommen  werden  muss,  dass  der 
mütterliche  Organismus  als  solcher  eine  Vermehrung  seiner 
Elemente,  unbekannt  welcher,  eingeht.  —  Eine  Gewichts- 
abnahme ist  pathologisch.  Die  Zunahme  der  Körpermasse 
innerhalb  der  angegebenen  Zeit  beträgt  den  dreizehnten  Theil 
des  Körpers. 


de«  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  63 

2)  Die  Grösse  der  Zunahme  des  Körpers  steht  innerhalb 
der  physiologischen  Grenze  im  geraden  Verhältnisse  zu  der 
Grösse  des  Quantum  seiner  Masse. 

3)  Erstgeschwängerte  erfahren  gegenüber  den  Mehr- 
geschwängerten bei  sonst  gleichen  Gewichtsverhältnissen  eine 
geringere  Vermehrung  ihres  Körpergewichtes,  und  hegt  der 
Grund  hiervon  vorzugsweise  darin,  dass  das  Ei  Erst- 
geschwängerter wegen  der  grösseren  Resistenzkraft  des  Uterus 
sich  nicht  so  sehr  ausdehnen,  also  auch  keinen  solchen 
cuhischen  Inhalt  und  den  entsprechenden  Massengehalt  er- 
reichen kann,  wie  bei  dem  schlafferen  der  Expansion  des  Eies 
weniger  hinderlichen  Uterus  Mehrgeschwängerter. 

4)  Das  intrauterine  Verweilen  einer  abgestorbenen  Frucht 
ist  constant  von  einer  nicht  unbeträchtlichen  Abnahme  der 
mutterlichen  Körpermasse  gefolgt,  und  dürfte  dieser  Umstand 
seiner  Constanz  wegen  als  diagnostisches  Hülfsmittel  in  Gebär- 
anstalten in  jenen  Fällen  benützt  werden,  in  welchen  die 
wiederholt  angestellte  Auscultation  des  schwangeren  Abdomens 
bezüglich  des  Vorhandenseins  der  fötalen  Herztöne,  besonders 
wenn  letztere  früher  schon  einmal  deutlich  gehört  worden 
waren,  ein  negatives  Resultat  ergiebt  In  diesen  Fällen  würde, 
vorausgesetzt,  dass  alle  Vorsicht  zur  Hintanhaltung  von 
Täuschungen  in  Dezug  auf  die  Ursachen  der  Gewichts- 
veränderung in  Anwendung  gekommen  sind,  eine  Tag  für. 
Tag  sich  wiederholende  Abnahme  für,  —  eine  Zunahme  aber 
gegen  das  Abgestorbensein  des  Fötus  sprechen. 

B.     Geburt. 

1)  Der  Gewichtsverlust  in  Folge  der  Geburt  beträgt  im 
Mitte]  beinahe  den  neunten  Tbeil  des  Körpergewichtes  einer 
Schwangeren,  die  das  Ende  des  zehnten  Monates  ihrer 
Gravidität  erreicht  hat,  wird  hauptsächlich  durch  das  aus- 
gestossene  Ei,  nebenbei  aber  auch  durch  das  in  der  Nach- 
geburtsperiode abgegangene  Blut,  die  inter  partum  entleerten 
Excremente  und  durch  die  auf  Lungen-  und  Hautoberfläche 
verdunstete  Flüssigkeit  herbeigeführt.  Was  die  Bedeutung 
der  letztgenannten  drei  Factoren  gegenüber  dem  erstgenannten 
Hauptfactor  in  ihrem   Antheile    an    der  Hervorbringung    der 


64  I-     Gauner,  Ueber  die  Veränderungen 

Gewichtsabnahme  betrifft,   so  ergiebt  sich  eia  Verhältniss  der 
Nebenfactoren  zum  Hauptfactor  wie  1  :  7,164. 

2)  Je  näher  die  Geburt  dem  normalen  Ende  der  Schwanger- 
schaft geruckt  ist,  um  so  grösser  ist  der  durch  ersten» 
herbeigeführte  Massenverlust,  ganz  entsprechend  der  mit  der 
Zahl  der  Schwangerschaftsmonate  sich  steigernden  Gewichts- 
zunahme des  Eies. 

3)  Erstgebärende  erleiden  gegenüber  den  Hehrgebärenden 
bei  sonst  gleichen  Gewichtsverhältnissen  eine  geringere  Ab- 
nahme, die  übrigens 

4)  in  Folge  der  Zwillingsgeburt  weit  über  das  Mittel 
hinaufreicht. 

5)  Die  Grösse  der  Abnahme  steht  durchgehends,  soweit 
nicht  ungewöhnliche  oder  pathologische  Verhältnisse  obwalten, 
im  geraden  Verhältnisse  zu  der  Grösse  des  Quantums  der 
Körpermasse. 

6)  Aus  diesem  Gesetze  erklären  sich  zum  Theil  die 
Abweichungen  der  Grösse  des  Gewichtsverlustes  im  Mittel. 

7)  Das  Gewicht  des  ganzen  reifen  Eies  —  Kind,  Frucht- 
wasser und  Nachgeburt  —  beträgt  den  10,8.  Theil  des 
Körpergewichtes  einer  Kreissenden. 

8)  Die  Masse  der  einzelnen  Bestandteile  des  Eies  am 
normalen  Ende  der  Schwangerschaft  verhält  sich  a)  zur 
Gesammtmasse   des  Eies  und  b)  untereinander  so,   dass  das 

ad  a)  Gewicht  des  Kindes  :  Gewichte  des  Eies  =  1  :  1,766 

„        „   Fruchtwassers  :  „  „       n    =  1  :  3,070 

„      der  Nachgeburt       :  ,  „       „    =  1  :  9,600 

ad  b)  Gewicht  des  Fruchtwassers:  Gewichte  des  Kindes  =  1  :  1,750 
„      der  Nachgeburt      :  „  „         „      =  1  :  6,471 

»        »  »  :         „  »Frucht- 

wassers =*  1  :  3,130 

9)  Gorrespondirend  mit  den  sub  2  A.  und  5  JB.  auf- 
geführten Thatsachen  ist  das  Gesetz,  dass  das  ganze  Ei  und 
seine  einzelnen  Bestandtheile  ihre  Masse  proportional  der 
Grösse  der  Masse  des  mütterlichen  Substrates  vermehren, 
d.  h.  dass  das  Gewicht  des  Eies  und  seiner  Bestandtheile, 
also  das  Gewicht  des  Kindes,  des  Fruchtwassers  und  der 
Nachgeburt,  proportional  zu  dem  Körpergewichte  der  Mutter  ist. 


des  Körpergewichtes  bei  Schwangeren  etc.  65 

10)  Das  ausgetragene  Ei  Erstgebärender  ist  kleiner  als 
das  der  Mehrgebärender  (vide  sub  3  A.  und  3  B.) 

11)  Die  improportionale  Grösse  oder  Kleinheit  des  Eies 
hat  auf  die  Dauer  der  Geburt  nicht  den  mindesten  Einfluss, 
und  findet  diese  Thatsache  ihre  Erklärung  in  der  Verschieden- 
heit des  Muskelreichthums  des  Uterus,  der  Hannichfaltigkeit 
seiner  Reizempfanglichkeit  und  der  verschieden  grossen 
Widerstandsfähigkeit  der  Velamente  des  Eies. 

Die  improportionale  Entwicklung  des  letzteren  äussert 
nur  dann  ihre  die  Geburt  retardirende  Wirkung  wenn  mit 
dem  Wachstbum  des  Eies  das  Wachsthum  der  Muskelsubstanz 
nicht  gleichen  Schritt  hielt,  sondern  eine  improportional 
schwache  Muskellage  des  Uterus  ein  unverhältnissmässig  grosses 
Ei  umschliesst. 

12)  Es  ist  aber  nicht  absolut  nothwendig,  dass  in  allen 
Fällen  durch  eine  ungewöhnlich  grosse  Expansion  des  Eies 
auch  eine  entsprechende  Verdünnung  der  umgebenden  Uterin- 
wandungen, also  relative  Muskelarmuth  und  als  Folge  davon 
Wehenschwäche  verursacht  wird;  denn  es  liegen  Fälle  vor, 
die  zu  der  Ueberzeugung  drängen,  dass  bei  ungewöhnlicher 
Ausdehnung  des  Eies  auch  eine  ungewöhnlich  grosse  Ver- 
mehrung der  Muskelsubstanz  des  Uterus  stattgehabt  hat,  da 
trotz  enormer  Grösse  des  Eies  dennoch  die  Geburt  in  relativ 
sehr  kurzer  Zeit  beendet  war. 

13)  Die  Grösse  der  Körpermasse  einer  Kreissenden  hat 
keinen  Einfluss  auf  die  Zeitdauer  der  Geburt;  denn  kräftig 
entwickelte  Frauen  bedürfen  im  Durchschnitte  zur  Vollendung 
ihrer  Geburtsarbeit  weder  einer  kürzeren .  noch  längeren  Zeit 
als  schwächliche  Individuen. 

14)  Die  Menge  der  amniotischen  Flüssigkeit  nimmt  im 
Verlaufe  der  letzten  drei  Schwangerschaftsmonate  nicht  ab, 
sondern  zu. 

15)  In  allen  jenen  Fällen,  wo  ein  Positionswechsel  oder 
eine  Culbute  des  Kindes  im  Cavum  uteri  stattfand,  war  eine 
unverhältnissmässig  grosse  Quantität  Liquor  Amnii  vorhanden, — 
und  ist  letzterer  Umstand  unter  anderen  mit  als  ein  ätiologisches 
Moment  des  Positionswechsels  anzusehen. 

MonatMehr.  f.  Geburtsk.  1883.  Bd.  XIX.,  Hft.  1  a.  3.  5 


66  I.     Gastner,  üeber  die  Veränderungen 

16)  In  allen  jenen  Kindeslagen,  die  zu  ihrem  Zustande- 
kommen oder  zu  ihrem  Bestehen  einer  grösseren  Räumlich- 
keit des  unteren  Abschnittes  des  Uterincavums  bedürfen,  als: 
Gesichts-,  Beckenend-  und  Querlagen,  erwies  sich  das  Vor- 
handensein einer  unverhältnissmässig  grossen  Fruchtwasser- 
menge als  ein  diese  Lagen  begünstigendes  Moment 

17)  Nach  dem  sub  9  B.  ausgesprochenen  Gesetze  ist 
der  Geburtshelfer  in  der  Lage,  nach  Ausschluss  aller  jener 
Fälle,  die  durch  intercurrirende  pathologische  Processe  die 
Anwendbarkeit  dieses  Gesetzes  unmöglich  machen,  mit  der 
grössten  Wahrscheinlichkeit  aus  dem  Gewichte  der  gesunden 
Mutter  das  Gewicht  des  Kindes  zu  berechnen,  daraus  Schlüsse 
auf  die  grössere  oder  geringere  Entwicklung  —  cubische 
Beschaffenheit  des  Kopfes  —  desselben  zu  ziehen,  und  bei 
Beckenanomalien  in  Folge  von  Rhachitis  diese  Schlüsse  in 
Beziehung  auf  die  Wahl  des  geburtshülflichen  Heilverfahrens, 
ob  künstliche  Frühgeburt,  exspectative  Methode,  Zange,  Per- 
foration etc.  practisch  zu  verwerthen. 

18)  Die  Grösse  der  Peripherie  des  Abdomens  steht  am 
normalen  Ende  der  Schwangerschaft  oder  zu  Anfang  der 
rechtzeitigen  Geburt  im  geraden  Verhältnisse  zu  der  Grösse 
des  Körpergewichtes  der  Schwangeren.  Es  ist  diese  Thatsache 
im  Auge  zu  behalten  bei  der  Vermtjthupg  von  Zwillingen 
(wegen  eines  Leibesumfanges  von  110  Centim&tres)  oder  bei 
der  Diagnose  des  Schwangerschaftsmonates,  um  z.  B.  wegen 
eines  Leibesumfanges  von  90  Centimetres  nicht  etwa  erst 
den  achten  oder  neunten  Monat  anzunehmen,  während  diese 
geringe  Peripherie  im  zehnten  Monate  eben  dem  Körper 
proportional  ist 

Dieses  Gesetz  harmonirt  mit  den  sub  2  A.  und  sub  5 
und  9  B.  genannten  Thatsachen. 

C.    Wochenbett 

1)  Der  durch  die  puerperale  Se-  und  Excretionen,  ins- 
besondere durch  die  Ausscheidung  der  Lochien  und  der 
Milch,  die  vermehrte  Harnabsonderung,  sowie  durch  die  Rück- 
bildung der  Genitalien  hervorgerufene  Verlust  des  Körper- 
gewichts beträgt  innerhalb  der  ersten  acht  Tage  post  partum 
im  Mittel  den  zwölften  Theil  des  mütterlichen  Körpers; 


des  Korpergewichtes  bei  Sehwangeren  etc.  67 

2)  ist  um  so  grösser,  je  näher  die  dem  betreffenden 
Wochenbette  vorausgegangene  Geburt  dem  normalen  Schwanger- 
schaftsende gerockt  ist; 

3)  erscheint  bei  Erstgebärenden  sowie  bei  Nichtstillenden 
bei  sonst  ganz  gleichen  Körpergewichtsverhältnissen  um  etwas 
geringer  als  bei  Mehrgebärenden  und  stillenden  Wöchnerinnen ; 

4)  steht  im  geraden  Verhältnisse  zu  der  Quantität  der 
Körpermasse  der  Neuentbundenen. 

Vergleiche  Ziffer  2  A  —  5,  9,  18  B. 

5)  Die  Quantität  des  in  demselben  Zeiträume  aus- 
geschiedenen Locbialsecretes  ist  bei  nicht  stillenden  Wöchnerinnen 
unverhältnissmässig  grösser  als  bei  stillenden/  und  wird  durch 
diesen  Umstand  die  auffallend  geringe  Differenz  des  Gewichts- 
verlustes stillender  und  nicht  stillender  Wöchnerinnen  erklärt. 

6)  Der  überraschend  grosse  Gewichtsverlust  am  ersten 
Tage  des  Wochenbettes  hat  seinen  Grund  in  der  vermehrten 
Harnsecretion  in  Folge  der  gleich  nach  der  Entleerung  des 
Uteruscontentums  stattfindenden  Resorption  des  durch  die 
Schwangerschaftsvorgänge  verursachten  serösen  Infiltrats,  ferner 
in  der  am  ersten  Tage  sehr  reichlichen  Ausscheidung  des 
Lochialflusses  und  in.  dem  fast  nie  fehlenden  Schweisse. 

D.    Gesammtgewichtsverlust   in   Folge    von  Geburt 
und  Wochenbett 

1)  Der  Gewichtsverlust  in  Folge  der  Geburt  und  des 
Wochenbettes  beträgt  im  Mittel  fast  den  fünften  Theil  des 
Körpergewichtes  des  hochschwangeren  Weibes. 

2)  Der  Einfluss  der  Erst-  und  Mehrgeburt,  des  Stillens 
oder  Nichtstillens,  sowie  der 

9&)  Grösse  der  mütterlichen  Körpermasse  auf  die  Grösse 
des  Verlustes  macht  sich  consequenterweise  auch  in  Bezug 
auf  den  Gesammtgewichtsverlust  geltend. 

E.    Wiederersatz  des  Gewicht?erlustes. 

Es  lässt  sich  vermuthen,  dass  der  durch  das  Wochen- 
bett erlittene  Massenverlust  des  weiblichen  Körpers  innerhalb 
3 — 4  Wochen  —  und  der  durch  Geburt  und  Wochenbett 
verursachte  Gesammtverlust  in  Folge  des  Wiedereintrittes  in 
die  früheren  Nutritionsverhältnisse  in  6 — 7  Wochen  Voll- 
öl 


gg  IL    Verhandinngen  der  Gesellschaft 

kommen  restituirt  wird;  indess  concurriren  hier  so  viele  die 
Nutrition  fördernde  und  beeinträchtigende  Umstände,  das« 
apriori  ohne  statistischen  Anhaltspunkt  die  Angabe  der 
mittleren  Zeit,  innerhalb  welcher  die  Restitution  vor  sich 
geht,  eine  blosse  Vermuthung  ist 


n. 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  fttr  Geburtshülfe 

In 

Berlin. 

Sitzung  vom  8.  October  1861. 

Herr  Martin  theilte  über  zwei  und  zwanzig  von  ihm 
eingeleitete 

künstliche  Frühgeburten 
Folgendes  mit: 

In  einer  mehr  als  sechs  und  zwanzig  Jahre  langen,  theils 
klinischen,  theils  privaten  Praxis  hat  sich,  abgesehen  von 
den  nicht  allzu  seltenen  Fällen,  in  welchen  lebensgefährliche 
Blutungen  wegen  Placenta  praevia  während  der  letzten  drei 
Monate  der  Schwangerschaft  zu  der  Einlegung  des  Kolpeurynter 
oder  Tampon,  und  damit  zur  Einleitung  der  Frühgeburt 
nöthigten,  zwei  und  zwanzig  Mal  (und  zwar  fünfzehn  Mal 
während  der  Jahre  1835 — 58  in  Jena,  sieben  Mal  von  1858 — 61 
in  Berlin)  die  Indication  zur  künstlichen  Frühgeburt  mir  dar- 
geboten. Viele  der  hier  zu  berichtenden  Fälle  verdanke  ich 
dem  Zutrauen  meiner  Collegen  und  früheren  Schüler,  welche 
nach  aufgetretener  Indication  zur  künstlichen  Frühgeburt  die 
einer  schweren  Entbindung  Entgegengehenden  an  mich  und 
in  der  Regel  zur  Klinik  verwiesen. 

Da  bei  drei  Müttern  die  Operation  zwei  Mal  vorgenommen 
wurde,  so  vertheilen  sich  die  22  Operationen  auf  19  Frauen, 
und  zwar  waren  es  fünf  zum  ersten  Male  Schwangere,  acht  zum 
zweiten  Male,  drei  zum  dritten  Male,  zwei  zum  vierten  Male,  eine 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  69 

zum  fünften  Male,  zwei  zum  siebenten  und  eine  zum  neunten 
Male  Schwangere1,  welche  der  Operation  sich  unterzogen. 

Was  zuerst  die  Anzeigen  zu  den  Operationen  an- 
langt, so  gab  am  häufigsten  und  zwar  zwanzig  Mal 

I.  Enge  des  Geburtskanals  die  Aufforderung  zum 
Einschreiten  in  der  angedeuteten  Weise.  Diese  beruhte  19 
Mal  auf  Verengung  des  Beckens  und  die  letztere  war  bei 
der  grossen  Mehrzahl  bedingt  durch  in  der  Kindheit  überstandene 
Rbachitis.  Die  aus  der  genannten  Ursache  vollzogenen  neun- 
zehn Operationen  betrafen  jedoch  nur  sechszehn  Frauen,  da 
bei  drei  derselben  die  Operation  wiederholt  zur  Anwendung 
kam.  Alle  diese  16  Frauen  zeigten  eine  sehr  erhebliche  Ver- 
kürzung des  geraden  Durchmessers,  indem  die  Conjugata  ex- 
terna (Diameter  Baudelocquei)  zwischen  5"  Sm  und  6"  9* 
und  die  Conjugata  diagonalis  (die  Linie  zwischen  dem  unteren 
Rande  der  Schamfuge  und  dem  Vorberge)  3  Zoll  5  Linien  bis 
4  Zoll  1  Linie  maass. 

Bei  mehreren  dieser  Frauen  fand  sich  aber  zugleich  eine 
erhebliche  Verkürzung  der  Querdurchmesser  des  grossen 
Beckens,  und  zwar'bei  sieben  dermaassen,  dass  der  vordere 
Querdurchmesser  zwischen  den  Spinae  ossium  ilium  an- 
teriores (Sp.  J.),  —  welcher  nach  einer  in  der  geburtshülf liehen 
Klinik  zu  Berlin  .während  der  letzten  drei  Jahre  angestellten 
sorgfältigen  Messung  bei  375  Schwangern  338  Mal  mehr  als 
8%  Zoll,  unter  diesen  289  Mal  sogar  über  9  Zoll  zu  halten 
pflegt,  —  nur  zwischen  78/4  Zoll  bis  8Va  Zoll,  der  hintere 
Querdurchmesser  aber  zwischen  den grössten  Ausbiegungen 
der  Cristae  ossium  ilium  (Cr.  J.),  —  welcher  bei  den 
375  Schwangeren  369  Mal  mehr  als  9  Zoll  maass,  —  nicht 
mehr  als  7%  bis.  9  Zoll  betrug.  In  diesen  sieben  Fällen 
hatte  man  daher  genügenden  Grund  eine  allgemeine  Raum- 
beschränkung des  Beckenkanals  zu  diagnosticiren. 

Diese  allgemeine  Beckenenge,  welche  sowohl  da, 
wo  sie  als  eine  gleichmässige  auftritt,  bei  den  sogenannten 
Zwergbecken,  als  auch  in  denjenigen  Fällen,  in  welchen 
sie  sich  mit  vorwiegender  Verkürzung  eines  Durchmessers 
vergesellschaftet  zeigt,  —  z.  B.  so  dass  die  Conjugata  im 
höheren  Grade  als  die  übrigen  Durchmesser  verkürzt  ist  — 
die    besondere    Beachtung    von    Seiten    des    Geburtshelfers 


70  H.     Verhandlungen  der  Gesellschaft 

fordert,  diese  Verkürzung  der  sämmtlichen  Durchmesser  einer 
oder  mehrerer  Aperturen,  erschwert  erfahrungsgemäss  die 
Geburt  eines  ausgetragenen  Kindes  in  überraschender  Weise, 
auch  dort,  wo  die  Verkürzung  der  einzelnen  Durchmesser 
eine  nicht  sehr  beträchtliche  ist,  z.  B.  nicht  mehr  als  V«  Zoll 
erreicht  Die  Geburtserschw&ung  beruht  dabei  nicht  allein 
direct  auf  dem  räumlichen  Missverhältniss,  sondern  sehr  häufig 
auf  einer  wahrscheinlich  in  Folge  des  allseitigen  Druckes, 
welchen  der  untere  Gebärmutterabschnitt  zwischen  dem  Kinds- 
kopfe und  dem  engen  Beckeneingange  erfährt,  eintretenden  Com- 
plication  mit  Wehenfehlern,  namentlich  mit  dem  Tetanus  uteri, 
durch  welchen  die  Erweiterung  des  Muttermundes  im  höchsten 
Grade  verzögert  wird.  Nach  Ueberwindung  dieses  Hindernisses 
keilt  sich  der  Kopf,  dessen  Hinterhaupt  in  solchen  Fällen  nicht 
selten  auffallend  tief  herabsinkt,  in  der  Beckenhöhle  dermaassen 
ein,  dass  es  grosse  Schwierigkeiten  macht,  die  Zangenlöffel 
zwischen  Kopf  und  Beckenwand  empor  und  an  die  ent- 
sprechende Stelle  zu  führen,  geschweige  denselben  auszuziehen. 
Hinsichtlich  dieser  Einkeilung  macht  sich  vorzüglich  der 
Umstand  geltend,  dass  die  Aushöhlung*  des  Kreuzbeins  in 
diesen  Becken  oft  eine  geringere  ist,  als  gewöhnlich,  und  dass 
überdies  nicht  selten  die  Verkürzung  der  Durchmesser  gegen 
den  Beckenausgang  zunimmt. 

Bei  dieser  allgemeinen  Beckenenge,  welche  ich  in 
Jena  und  Umgegend  nicht  allzuselten  als  Geburtshinderniss 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatte, *)  ist  häufig  schon  die  erste 


1)  Folgende  drei  Falle  schwerer  Entbindung  Erstgebärender 
wegen  constatirter  allgemeiner  Beckenenge  ans  meinem  früheren 
Wirkungskreise  mögen  hier  mitgetheilt  werden.  , 

Der  erste  Fall,  welcher  mich  zugleich  von  dem  Ungenügenden 
der  alleinigen  Perforation,  und  der  Notwendigkeit  der  Kephalo- 
thryp8ie  oder  einer  anderen  directen  Verkleine  ruugsoperation 
des  kindlichen  Schädels  bei  erheblicher  Beckenenge  überzeugte, 
betraf  eine  37  Jahre  alte  mittelgrosse  Baue rf rau,  welche  am  Morgen 
des  20.  April  1842  in  einem  l1/»  Stunden  von  Jena  entfernten 
Dorfe  zu  kreissen  begonnen  hatte.  Die  zu  Anfang  der  Geburt 
vorhandenen  Krampf  wehen  verzögerten  trotz  der  nach  ärztlicher 
Vorschrift  angewendeten  Arzneien  die  Erweiterung  des  Mutter- 
mundes bis  zum  Morgen  des  22. ,  an  welchem  ich  hinzugerufen 
wegen    bereits    eingetretener  Verlangsamung   der   Herztöne    der 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  71 

Geburt  für  die  Mutter,  wie  für  die  Frucht  verderblich,  theils 
indem  die  Geburt  viele  Tage  sich  hinzieht,  und  mit  schweren 


Fracht  und  sehr  beträchtlicher  Kopfgeschwulst  mich  veranlasst 
sah,  die  Aasziehung  des  in  der  Beckenhöhle  feststehenden  Kopfes 
mit  der  Kopfzange  an  versuchen.  Allein  der  mit  einer  so 
beträchtlichen  Geschwulst  bedeckte  Kopf,  dass  die  anwesende 
Hebamme  an  ihrer  anfanglichen  Diagnose  irre  geworden,  jetzt 
den  Steiss  an  fühlen  glaubte,  füllte  das  Becken  so  vollständig 
ans,  dass  trotz  entsprechender  Anstrengung  derselbe  nicht  von 
der  Stelle  bewegt  werden  konnte.  Da  inzwischen  die  Herztöne 
der  Frucht  aufgehört  hatten,  wurde  der  Schädel  sofort  mit  dem 
trepanförmigen  Perforatorium*)  ausgiebig  geöffnet,  und  das  Hirn 
mittels  Einspritzung  warmen  Wassers  entleert.  Als  der  Kopf 
auch  jetzt  den  erneuten  Tractionen  mit  der  Zange  nicht  folgte, 
wartete  ich  bis,  gegen  Abend,  um  die  Wirkung  der  Fäulniss  auf 
die  Nachgiebigkeit  des  Kopfes  zu  benutzen.  Jetzt  erst  gelang 
es,  den  Kopf  mit  der  Zange  zu  Tage  zu  fördern.  Auch  die  Aus- 
ziehung der  Schultern  des  keineswegs  ungewöhnlich  grossen 
Knaben  forderte  einen  beträchtlichen  Kraftaufwand;  die  Nach- 
geburt folgte  bald.  Die  Enthundene  starb  zwölf  Stunden  später 
nach  heftigen*  Delirien.  Die  Section  ergab  eine  Durchreibung 
der  Scheide  dem  Vorberge  entsprechend,  die  beiden  Svnchondroses 
sacroiliacae  geborsten,  so  dass  die  Spalte  %— 1"  weit  klaffte. 
Sp.  J.  =•  7"  10"',  Querdurchmesser  des  Beckeneinganges  =  4"  2"', 
des  Ausganges  =  3"  6'",  der  gerade  Durohmesser  des  Einganges 
—  3"  2'",  der  Beckenhöhle  =  4"  1'",  des  Ausganges  =  3"  1'". 
Der  zweite  Fall  ereignete  sich  am  23.  Mai  1846  in  der  ge- 
burtshülflichen  Klinik  zu  Jena.  Eine  27  Jahre  alte  Primipara  (J.W.) 
bot  nach  14  stündigen  kräftigen  Geburtswehen,  fünf  Stunden  nach 
dem  Blasensprunge  die  Zeichen  einer  Quetschung  der  mütter- 
lichen Weichtheile  an  der  linken  Seite  im  Becken:  allmälig 
zunehmenden  Schmerz  an  der  betroffenen  Stelle  und  Anschwellung 
der  tiefer  gelegenen  Theile.  Es  wurde  deshalb  von  dem  die 
Kreissende  beobachtenden  Praktikanten  in  meiner  Gegenwart  die 
Zange  an  dem  ungewöhnlich  quer,  in  der  Beckenhöhle  stehenden 
Kopf  der  Frucht  angelegt,  und  mittels  kräftiger,  fast  V4  Stunde 
lang  fortgesetzter  Tractionen  ein  in  Folge  von  Berstung  des 
Sinns  longitndinalis  (wie  die  Section  ergab)  abgestorbener  Knabe 
von  sechs  Pfund  Gewicht  extrahirt.  Die  Nachgeburt  folgte  ohne 
Störung.  Eine  bald  auftretende  Perimetritis  und  Peritonitis 
endigte  am  zwölften  Tage  mit  dem  Tode  der  Mutter.  Die 
Section  bestätigte  ausser  dem  linksseitigen  Beckenabseesse 
und  Peritonäalezsudate,    die  während  der  Geburt  in  Folge  der 

*)  Die  Abbildung  desselben  a.  Martin,  Handatlas  der  Gynäkologie  und 
Geburtabfilfe.    Berlin  1862.    Taf.  LX1X.,  Flg.  5. 


72  II«   Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Quetschungen  der  den  Beckenkanal  auskleidenden  Weicbtheüe 
verbunden  ist,  theils  indem  Berstungen  der  Beckensymphysen, 
zumal  bei  forcirten  Entbindungen  mit  der  Zange  u.  s.  w.  iu 
Stande  kommen. 

Zufolge  der  von  mir  und  Anderen  (z.  B.  Fr.  C.  Nägele) 
gemachten  Erfahrungen  halte  ich  bei  allgemeiner  Becken- 
enge,  mag  sie  eine  ebenmässige,  oder  mit  vorwiegender  Ver- 
kürzung eines  einzelnen  Durchmessers  verbunden  sein,  die 
Einleitung  der  Frühgeburt  auch  bei  Erstgebärenden 
vollständig  gerechtfertigt,  ja  dringend  geboten,  sobald 
als  ein  erheblicher  Grad  der  allseitigen  Verkürzung  der  Durch- 
messer nachgewiesen  ist  Zu  diesem  Nachweise  reicht  aber, 
wie  begreiflich,  die  Messung  der  Conjugata  diagonalis  keines- 
wegs aus,  sondern  es  bedarf  einer  allseitigen  Ausmessung  des 
Beckens,   insbesondere   auch  der  Messung  des  Umfangs  der 

Beckenmessung  gestellte  Diagnose  einer  Peivis  ubiqne  justo 
minor,  indem  Sp.  J.  =  9"  1'",  Cr.  J.  =  9"  9'",  Conjng.  exter. 
«  67, ",  Conjng.  diagonalis  =  4",  Conjug.  vera  -=  3"  4'", 
Querdurchmesser  im  Beckeneingange  =  4"  6'",  die  schrägen 
Durchmesser  =  4"  J'"  maassen.  In  der  Beckenhöhle  maass  der 
gerade  Durchmesser  =  3"  9'",  der  Querdurchmesser  =a  8"  10'", 
in  der  dritten  Apertur  der  gerade  Durchmesser  =  3"  3'",  der 
Querdurchmesser  3"  3"'. 

Ein  drittes  Beispiel  von  sehr  erheblicher,  durch  Tetanus 
uteri  und  Vorfall  der  Nabelschnur  complicirter  Geburtsverzöge- 
rung  in  Folge  von  allgemeiner  Beckenenge  bot  der  geburtshülf- 
lichen  Poliklinik  die  27  Jahre  alte  ledige  A.  K.  in  G.,  einem  zwei 
Stunden  von  Jena  entfernten  Dorfe,  welche  stets  durch  ihre 
Kleinheit  aufgefallen  war,  und  erst  als  zweijähriges  Kind  gehen 
gelernt  hatte«  Am  rechtzeitigen  Ende  ihrer  ersten  von  anhaltendem 
Kummer  und  Verdruss  gestörten  Schwangerschaft,  stellten  sieb 
am  11.  August  1857  Wehen  ein,  welche  den  Muttermund  troti 
verschiedener  Medication  nicht  früher  als  am  14.  Vormittags 
so  erweiterten,  dass  man  jetzt  die  Verkleinerung  und  Aus- 
ziehung des  in  Folge  des  Druckes  auf  die  vorgefallene  irreponible 
Nabelschnur  abgestorbenen  Kindes  mit  dem  Kephalothryptor  be- 
werkstelligen konnte.  Die  Wöchnerin  starb  in  Folge  von  Peri- 
tonäalezsudat  und  Lungenödem  drei  Tage  später,  und  die  Section 
ergab:  Conjug.  vera  =  3"  1'",  diagonalis  3"  10'",  Querdurch- 
messer des  Beckeneingangs  =  4"  9'",  während  an  der  Lebenden 
8p.  J.  =  9",  Cr.  J.  «  10"  1"',  Conjug.  externa  «  6"  6'",  und 
die  beiden  schrägen  Durchmesser  des  grossen  Beckens  je  7"  6'" 
gemessen  waren. 


für  Geburtahülfe  in  Berlin.  73 

Höften,  welchen  ich  in  derartigen  Fällen  erheblich  unter  dem 
Normalmaasse  (31—36  Zoll)  nämlich  zwischen  26—28  Zoll 
gefunden  habe.1) 

Zwei  Beispiele  allgemeiner  Beckenenge,  welche  zur 
künstlichen  Frühgeburt  bei  der  ersten  Schwangerschaft  An- 
lass  gaben,  mögen  hier  ihre  Stelle  finden. 

Die  ledige  C.  Q.  war  nur  4  Fuss  2  Zoll  gross,  von 
äusserst  zierlichem  Knochenbaue,  kindlichen  Händen  und  Füssen, 
und  seit  dem  fünfzehnten  Lebensjahre  regelmässig  menstruirt 
Seit  Anfang  Februar  1848  zum  ersten  Male  schwanger  meldete 
sie  sich  im  September  zur  Aufnahme  in  die  Entbindungs- 
anstalt zu  Jena.  Die  Beckenmessung  ergab  Conjugata  externa 
=  6V2  Zoll,  C.  diagonalis  =  4  Zoll  1  Linie ,  so  dass  man  bei 
dem  üblichem  Abzüge  von  3  Zoll  5  Linien  resp.  8  Linien 
den  geraden  Durchmesser  des  Beckeneingangs  =  3  Zoll 
1 — 5  Linien  anzunehmen  hatte;  der  vordere  Querdurchmesser 
des  grossen  Beckens  (Sp.  J.)  maass  7%  Zoll,  der  hintere 
(Cr.  J.)  8V2  Zoll  —  Nachdem  die  allgemeine  Beckenenge 
constatirt  war,  wurde  in  der  34.  Woche  der  Schwangerschaft, 
am  3.  October  1848,  die  künstliche  Frühgeburt  zunächst 
mittels  der  Uterusdouche  einzuleiten  versucht  Allein  trotz 
vier  und  dreissig  Douchen  von  bis  zu  35°  ßäaum.  erwärmtem 
Wasser  mittels  eines  Kitoüch' sehen  Apparats  war  bis  zum 
13.  October  nur  eine  mangelhafte  Wehenthätigkeit  erzielt, 
dagegen  eine  beträchtliche  Anschwellung  der  Mutterlippen  ver- 
ursacht Desshalb  legte  ich  jetzt  einen  konischen  Press- 
schwamm in  den  noch  wenig  geöffneten  Muttermund  ein. 
Zwölf  Stunden  später  hatte  sich  die  nach  dem  Gebrauche  der 
Douche  eingetretene  blasenartige  Anschwellung  der  hinteren 
Mutterlippe  verloren,  und  der  Muttermund  zu  Silbergroschen- 
grosse  erweitert,  wenn  auch  die  Ränder  desselben  sich  noch 
hart  anfühlten.    Gegen  Mittag  des  15.  October  endlich  sprang 


1)  Ueber  die  Beckenmesstrog  bei  Schwangeren  und  Gebärenden, 
soweit  dieselbe  von  praktischem  ftutzen  ist,  und  über  eine 
Modification  des  Baudelocquey sehen  Compas  d'epaisseur,  um  den- 
selben in  jedem  geburtshilflichen  Bestecke  unterzubringen,  werde 
ich  mich  in  einer  der  folgenden  Sitzungen  aussprechen;  die  Ab- 
bildung des  letzteren  findet  sich  auf  Tafel  LXIX. ,  Fig.  1  meines 
Handatlas  der  Gynäkologie  und  Geburtshülfe.    Berlin  1862, 


74  n.    Varhandhuigeii  der  Gesellschaft 

die  Fruchtblase.  Der  Kopf  rückte  in  das  Becken  herab, 
erschien  aber  gegen  Abend  so  fest  im  Becken  eingekeilt,  dass 
ich,  als  die  Herztöne  der  Frucht  verlangsamt  wurden,  mich 
zur  Extraction  mittels  der  Kopfzange  genöthigt  sah.  Das  zu 
Tage  geförderte  lebende  Mädchen  wog  5  Pfund  4  Loth,  Und 
war  12  Zoll  resp.  17  Zoll  lang;  dasselbe  wurde,  da  die 
Mutter  an  einer  Metroperitonitis  mit  nachfolgender  Diarrhoe 
erkrankte,  von  einer  anderen  Wöchnerin  gesäugt,  und  gedieh 
in  erwünschter  Weise,  obschon  das  Kind  bis  zum  Jahre  1858, 
in  welchem  es  mir  aus  den  Augen  gekommen  ist,  auch  nur 
eine  geringe  Körpergrösse  erreicht  hat  Die  Mutter  genas, 
so  dass  sie  am  4.  December  die  Klinik  völlig  wohl  verlassen 
konnte  und  1850  eine  zweite  künstliche  Frühgeburt  daselbst 
durchmachte,  welche  sofort  mittels  des  Pressschwamms  ein- 
geleitet wurde,  jedoch  nur  für  die  Mutter  ein  günstiges 
Resultat  ergab. 

Die  andere  zum  ersten  Male  schwangere  (L.  Pf.), 
welche  wegen  beträchtlicher  allgemeiner  Beckenenge  mittels 
künstlicher  Frühgeburt  entbunden  wurde,  hatte  in  der  Kind- 
heit an  Rbachitis  gelitten,  und  erst  im  vierten  Jahre  gehen 
gelernt.  Die  Beckenmessung  ergab  Sp.  J.  =  8  Zoll,  Cr.  J. 
=  8%  Zoll,  Troch.  =  10%  ZoD,  Conj.  extern.  =  6  Zoll, 
diagon.  =  33/4 — 4  Zoll.  Die  letzte  bis  dahin  regelmässige 
Menstruation  sollte  Ende  Juni  1858  Statt  gefunden  haben. 
Dem  Einlegen  des  elastischen  Catheters  in  die  Gebärmutter- 
höhle wurde  am  26.  Februar  1859  eine  einmalige  Anwendung 
der  Cterusdouche  und  ein  Abführmittel  aus  Sal  amarum 
vorausgeschickt  Bei  der  Einführung  des  Katheters  floss 
Fruchtwasser  ab,  fünf  Minuten  darauf  stellten  sich  Wehen  ein, 
welche  jedoch  bald  sehr  schmerzhaft  und  wenig  wirksam 
wurden,  so  dass  ich  alle  Stunden  Rad.  ipecacuanhae  gr.  ij. 
zu  geben  verordnete.  Sechszehn  Stunden  nach  Beginn  der 
Wehen  kam  der  lebende  Knabe  in  erster  Schädellage  durch 
kräftige  Wehen  zu  Tage,  und  zeigte  einen  rothen  Druck- 
streifen oberhalb  der  linken  Schläfe,  welche  vor  dem  Vorberge 
herabgetrieben  war;  er  wog  5  Pfund  27  Loth;  seine  Kopf- 
durchmesser betrugen  3V8  Zoll,  4%  Zoll,  47/8  Zoll.  Das 
Wochenbett  verlief  bis  auf  vorübergehende  Ischurie  glücklich. 


ffir  Gebnrtehülfe  in  Berlin.  75 

Bei  partieller  Beckenenge  hingegen,  welche  wie  überall 
am  häufigsten,  so  auch  in  allen  von  mir  hier  zu  nennenden 
Fällen  den  geraden  Durchmesser  des  Eingangs  betraf,  und 
die  Folge  der  in  der  Kindheit  überstandenen  Rhachitis  war, 
halte  ich,  falls  überhaupt  von  der  künstlichen  Frühgeburt 
dabei  die  Rede  sein  kann,  die  Verkürzung  also  nicht  so  be- 
trächtlich ist,  dass  nur  der  Kaiserschnitt  dem  Kinde  Rettung 
zu  bringen  vermag,  das  Abwarten  der  ersten  oder  mehrerer 
Geburten  für  gerathen,  indem  man  nicht  selten,  sogar  gegen 
Erwartung,  die  erste  Geburt  glücklich  für  Mutter  und  Kind 
verlaufen  sieht.  Die  Umstände,  welchen  die  allein  im 
geraden  Durchmesser,  sogar  bis  zu  2%  Zoll  verengten 
Becken  bei  der  ersten  Geburt  diesen  Vorzug  verdanken, 
sind  folgende: 

1)  Die  ersten  Kinder  der  in  der  Kindheit  rbachitisch 
gewesenen  Mütter  pflegen,  wie  bereits  Stein  d.  J.  dargethan, 
klein  und  von  nicht  sehr  harten  Schädelknochen,  daher 
fügsam  zu  sein,  so  dass  dieselben,  wenn  schon  mit  stark 
verschobenen  Kopfknochen  oder  mit  seichteren  oder  tieferen 
Knocheneindrücken  am  Schädel,  den  engen  Beckenkanal 
passiren,  ohne  dadurch  immer  am  Leben  gefährdet  zu  werden, 
oder  das  Leben  und  die  Gesundheit  der  Mutter  zu  gefährden. 

2)  Die  Wehen  erscheinen  zumal  bei  der  ersten  Geburt 
solcher  Frauen,  welche  in  Folge  von  Rhachitis  partiell  verengte 
Becken  haben,  wenn  nicht  anderweite  besondere  Umstände  vor 
der  Geburt  einwirkten,  kräftig,  die  Configuration  der  Gebär- 
mutter pflegt  eine  normale,  daher  die  Kindeslage  und  Ein- 
stellung eine  für  den  Geburtsverlauf  günstige  zu  sein.  Dazu 
kommt,  dass  die  bei  der  ersten  Geburt  noch  unverletzten 
Gewebe  der  mütterlichen  Weichtheile  im  Becken  länger  den 
partiellen  Druck,  dem  sie  während  der  Geburt  ausgesetzt  werden, 
ertragen,  ohne  durchrieben  zu  werden  oder  zu  zerreissen. 

3)  Vor  Allem  aber  trägt  zu  dem  günstigen  Verlaufe  der 
Geburten  bei  partiell -gerad verengten  Becken  der  Umstand 
bei,  dass  neben  dem  vorspringenden  Vorberg  und  dem  nicht 
selten  gleichzeitig  nach  innen  hervorragenden  Schamfugen 
knorpel,  in  Folge  des  nicht  verkürzten,  ja  bisweilen  sogar 
verlängerten  Querdurchmessers  Raum  genug  sich  findet,  um 
das  vollere  Hinterhaupt  mit  dem  hinteren  grösseren  Quer- 


76 


,11.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


durchmesser  herabrücken  zu  lassen,  während  bei  dieser  seit- 
lichen Vorlagerung  des  Kopfes  der  kleinere  und  nachgiebigere 
vordere  Querdurchmesser  des  Schädels  zwischen  den 
Schläfengegenden  in  den  verkürzten  geraden  Durchmesser 
gelangt,  und  hier  passiren  kann.  Da  dieser  vordere  Quer- 
durchmesser nach  einer  Messung  an  200  Neugeborenen  durch- 
schnittlich nur  3  Zoll  beträgt,  *)  während  der  hintere  zwischen 


1)  Folgende  tabellarische  Zusammenstellung  von  200  in  der 
geburtshilflichen  Klinik  sn  Berlin  während  der  letzten  drei 
Jahre  angestellten,  aus  einer  weit  grösseren  Zahl  ohne  Auswahl 
herausgezogenen  Schädelmessungen  an  100  neugeborenen 
reifen  Knaben  und  100  Mädchen  mag  das  gegenseitige  Verhältniss 
der  verschiedenen  8chädeldurchmesser  veranschaulichen.  Zu- 
gleich wird  aus  der  Tabelle  ersichtlich,  dass  die  Maasse  der 
neugeborenen  Mädchen,  wie  deren  Gewicht,  durchschnittlich 
geringer  sind,  als  die  der  Knaben,  von  welcher  Regel  allein  der 
vordere  Querdurchmesser  eine  Ausnahme  zu  machen  scheint. 

Eine  Zusammenstellung  der  Resultate  folgender  Tab  eile  ergiebt 

1.  für  den  vorderen  Querdurchmesser  zwischen  den  beider- 

seitigen unteren  Enden  der  Kronennaht: 

bei  Knaben    bei  Mädchen 

weniger  als  3"  fand  sich  derselbe     27  ( .-    -a  j  29 

-   »"      »         n  ,  60    77:73    44 

3''l"bis3''3'''.         .  „  22  L2724 

darüber     „         „  „  i|23.27j   3 

2.  für  den  hinteren  Querdurchmesser  zwischen  den  beiden 

Scheitelhöckern : 

bei  Knaben    bei  Madchen 
weniger  als  3"  3"'  betrug  derselbe     TJ^  .  RR  \  12 


3"  4" 


3. 


43  :  55 
67 


43 
46    3? 


bis    3"  5"'         „  »36) 

=   3"6'"         .  „         62J 

darüber  „  „  5(*"  ,wi   6 

für  den  geraden  Durchmesser  zwischen  der  Stirn  und  dem 
Hinterhauptsbeine : 

bei  Knaben    bei  Mädchen 


69 


28 


J41 
25 


weniger  als  4"  2"'  betrug  derselbe  22  j  KO 

4"  8*    bis   4"  5'"         „  -  30    52: 

=  4"  6'"         w  w  38; 

darüber  n  „  10 148:31|    6 

4.  für   den    grösseren  Diagonaldurchmesser  vom  Kinn    bis  zum 

Hinterhauptsbein: 

bei  Knaben    bei  Mädchen 

weniger  als  4"  11'"  betrug  derselbe   16 j Aa    ^U* 

=  6"  „  „  30|46:60,43 

von  6"  1'"  bis  6"  8 '"        „  »33  26 

darüber  „  „  2l|64:40j14 

5.  für  den  kleineren  Diagonaldurchmesser  zwischen  dem  unteren 

Ende   des  Hinterhauptbeins    am  Nacken   und    dem  hinteren 
Winkel  der  grossen  Fontanelle: 


fikr  Geburtehülfe  in  Berlin. 


77 


den  Scheitelböckern  31/*  Zoll  zu  messen  pflegt,  und  überdies 
nachgiebigere  Endpunkte    als  der  hintere  Querdurchmesser 


bei  Knaben,  bei  Mädchen 

weniger  als  3"  2'"  betrog  derselbe  20  L0     .„(21 
Yon3"8'"bis8"6'"      „  „  12iOT**7|26 

•  n  n 

darüber  „  - 


62)  (45 

lö!  68:63] 


Querdurchmesser : 

Gerader 

Längerer  |  Kürzerer 

a. 

6. 

Durch- 

Diagonal- 

vorderer. 

hinterer. 

messer. 

durchmessen 

Zoll. 

Linien. 

Kna- 1  Mftd- 

Kna- 1  Mäd- 

Kna- 

Mäd- 

Kna- 

Mäd- 

Kna- 

Mäd- 

ben. 1  chen. 

ben.  1  chen. 

ben. 

chen. 

ben. 

chen. 

ben. 

chen» 

2 

2 

—  !     1 

2 

3 

1 

2 

6 

7 

7 

2 

8 

— 

2 

2 

9 

19 

14 

1 

2 

2 

10 

— 

4 

2 

11 

— 

1 

1 

1 

3 

— 

60 

44 

6 

9 

— 

— 

— 

— 

10 

12 

3 

1 

2 

8 

2 

1 

— 

— 

— 

— 

3 

4 

3 

2 

6 

7 

— 

2 

— 

— 

— 

— 

5 

2 

3 

3 

14 

14 

30 

so 

— 

— 

— 

— 

8 

22 

3 

4 

1 

1 

4 

8 

— 

— 

— 

— 

8 

3 

3 

6 

— 

*    1 

2 

6 

— 

— 

— 

— 

1 

1 

8 
8 

6 

7 

z 

1 

62 
2 

39 

• 

— 

— 

— 

52 
1 

46 

3 
8 

8 
9 

z 

— 

2 

1 

6 

6 

2 

— 

— 

6 

4 

4 

3 

10 

1 

— 

8 

11 

— 

— 

— 

— 

1 

9 

21 

1 

1 

2 

3 

1 

— 

— 

— 

— > 

3 

2 

1 

— 

— 

— 

2 

-*- 



— 

— 

4 

3 

1 

— 

1 

— . 

3 

— 

— 

— 

— 

28 

88 

2 

1 



_ 

4 

1 

5 

— 

— 

— 

— 

2 

2 

— 

1 





6 

— 

— 

— 

— 

38 

26 

8 

2 

1 

1 

7 

2 



8 

— 

— 

— 

— 

1 

1 

9 

— 

— 

— 

— 

6 

4 

8 

9 

— 

— 

10 

— 

— 

— 

— 

—  . 

— 

2 

2 

11 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

2 

1 

— 

— 

1 

1 

30 

48 

1 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

7 

8 

— 

— 

5 

2 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

6 

9 



— 

6 

3 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

20 

14 

_ 

— 

6 

4 

3 

6 

6 

1 

6 

6 

— • 

— 

— 

— 

— 

— 

16 

13 

— 

— . 

6 

9 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

1 

1 

— 

— 

100 

100 

100 

100 

100 

100 

100 

100 

100 

100 

gO  II.    Verhandlungren  der  Gesellschaft 

3.  Aus  demselben  Grunde  zeigen  sich  auch  die  Wehen 
bei  späteren  Geburten  der  mit  verengtem  Becken  behafteten 
Frauen  minder  regelmässig,  und  dürfen  wegen  drohender 
Durchreibung  und  Zerreissungen  nicht  in  dem  Maasse  ge- 
steigert oder  so  lange  abgewartet  werden,  als  bei  Erst- 
gebärenden, deren  Geburtswege  noch  nicht  den  nachteiligen 
Einwirkungen  des  Druckes  ausgesetzt  waren.  — 

Erwägt  man  alle  diese  Verhältnisse,  so  wird  es  einleuch- 
ten, dass  bei  den  gerad-verengten  Becken  mittleren 
Grades  ohne  gleichzeitige  Verkürzung  der  übrigen 
Durchmesser  das  Abwarten  der  ersten  oder  auch  wohl 
mehrerer  Geburten  empfohlen  werden  darf  und  tnuss,  und 
die  künstliche  Frühgeburt  erst  alsdann  für  indicirt  zu  halten 
ist,  wenn  sich  gezeigt  hat,  dass  die  Geburt  eines  ausgetragenen 
Kindes  bei  dem  vorliegenden  Becken  für  die  Mutter  oder  das 
Kind  verderblich  werde. 

Ein  bestimmtes  Maass  für  die  Conjugata  als  In- 
dicans  für  die  künstliche  Frühgeburt  festzustellen,  scheint  um 
so  weniger  rathsam,  je  mehr  die  Schwierigkeit  der  Geburl 
hier  zugleich  von  der  Grösse  des  Kindes,  insbesondere  seines 
Kopfes,  sowie  von  dessen  Härte  abhängt,  so  dass  in  einzelnen 
von  mir  beobachteten  Fällen  bei  einer  Conjugata  von  weniger 
als  3  Zoll  auch  noch  die  Früchte  wiederheiter  Zeugung  glück- 
lich geboren  wurden,  während  dies  in  andern  Geburtsfällen 
nicht  der  Fall  war,  obschon  die  Conjugata  der  Mutter  mehr 
als  3  Zoll  maass.     Sehr  viel  hängt  dabei  ab: 

1)  von  der  Gestalt  des  Beckeneingangs,  ins- 
besondere, ob  der  Vorberg  etwa  nach  der  einen  Seite  hin 
verschoben  ist,  und  diese  entsprechende  Hälfte  des  Becken- 
eingangs dadurch  vorzugsweise  verengt  wird, 

2)  von  der  Art  und  Weise,  in  welcher  der  Kopf  sich 
dabei  auf  den  Beckeneingang  einstellt,  ob  mit  dem 
dickeren  Hinterkopfe  auf  der  engeren  Hälfte,  oder  umgekehrt 
mit  der  schmäleren  Stirn;  ein  Verhältniss,  welches  ich  in 
mehreren  Beispielen  von  Geburt  durch  ein  ungleich  verengtes 
Becken  so  einflussreich  gefunden  habe,  dass  dieselben  Frauen 
(abgesehen  von  dem  bereits  erwähnten  wichtigen  Einflüsse  der 
beträchtlichern  Grösse  und  Härte  des  Schädels  bei  Knaben) 
das  eine  Mal  leicht  und  rasch,   das   andere  Mal  nicht  ohne 


für  Geburtehülfe  in  Berlin.  81 

Kunsthülfe  eDtbunden  wurden,  oder  erst  dann  einen  glück- 
lichen Erfolg  der  Wehen  sahen ,  wenn  sich  aus  der  ungünstigen 
Schädelstellung  etwa  eine  Gesichtslage  spontan  herausgebildet 
hatte.  Indem  das  dickere  Hinterhaupt  auf  der  engeren 
Beckenhälfte  stehen  blieb,  und  alhnälig  die  Stirn,  endlich  das 
Gesicht  in  die  Beckenhöhle  herabgelangte,  erfolgte,  wie  ich 
beobachtete,  die  Geburt  oft  rasch,  u.  A.  bei  einer  Frau 
zwei  Mal  in  derselben  Weise  mit  der  entsprechenden  Drehung 
des  Kinns  unter  den  Schambogen. 

Für  diese  nicht  sehr  seltene  ungleichmassige  Becken- 
verunstaltung bietet,  wie  ich  bei  einer  anderen  Gelegenheit1) 
gezeigt  habe,  die  Wendung  auf  den  Fuss  unter  den  dort 
dargelegten  Umständen  ein  Mittel,  das  Leben  auch  der  reifen 
Frucht  zu  retten. 

Bei  denjenigen  Mebrgebärenden,  bei  welchen  ich  die  Früh- 
geburt wegen  vorwiegend  gerad- verengter  Becken  eingeleitet 
habe,  Hess  die  innere  wie  die  äussere  Beckenmessung  nach 
dem  angenommenen  Durchschnittsabzuge  von  3  Zoll  5  Linien 
für  die  Conjugata  externa ,  und  von  8  Linien  für  die  Diagonal- 
Conjugata  eine  Conjugata  vera  von  2  Zoll  7  Linien  bis  3  Zoll 
4  Linien  annehmen.  Sämmüicbe  Frauen  hatten  eine  bis 
sieben  schwere  Entbindungen  von  todten  Kindern  mittels  Zange 
oder  Perforation  oder  Kephalothrypsie  bereits  erduldet,  und 
in  Folge  davon  mehr  oder  weniger  schwere  Wochenbetten 
durchgemacht.  — 

In  einem  Falle  war  die  Raumbeschränkung  des  Geburts- 
kauales durch  eine  in  der  Beckenhöhle  und  zwar  an 
der  hintern  Wand  festsitzende  solide  Geschwulst 
bedingt. 

Die  betreffende  Beobachtung,  welche  in  der  geburtshülf- 
licben  Klinik  der  Universität  Berlin  am  27.  Juli  1859  und 
den  folgenden  Tagen  gemacht  wurde,  indem  ich  durch  Ein- 
legung eines  elastischen  Katheters  die  künstliche  Frühgeburt 
mit  günstigem  Erfolge  für  die  Mutter  einleitete,  ist  von  dem 
damaligen  Assistenten  der  Klinik,  Dr.  Olshauten  bereits  in 
dieser  Zeitschrift,  Bd.  XVIII.,  S.  362  ff.  veröffentlicht  worden 
und  mag  daher  hier  nur  dorthin  verwiesen  werden. 

1)  S.  Monatsschrift  für  Gebnrtsk.,  XV.  Bd.,  S.  16  ff. 
XonttMchr.  t  GeburUk.  1862.  Bd.  XIX.,  Hfl  X  u.  2.  6 


32  H-    Verhandlungen  der  0  es  ellschaft 

II.  Von  denjenigen  indicaiionen  zur  künstlichen  Früh- 
geburt, welche  durch  Zufälle  und  Erkrankungen,  die 
das  Leben  der  Mutter  bedrohen,  gegeben  werden,  sind 
mir,  abgesehen  von  den  hier  näher  nicht  zu  besprechenden 
Fällen  von  Gebärmutterblutungen  in  Folge  von  Placenta 
praevia  u.  s.  w.  nur  zwei  Beispiele  von  anhaltenden  belligsten 
Athembeschwerden  zur  Behandlung  gekommen.  Diese  Atem- 
beschwerden mit  dauernder  Schlaf-  und  Appetitlosigkeit, 
Unvermögen  zuliegen  und  zugeben  und  ödematöser  Anschwellung 
der  Beine  ohne  Eiweissurin  waren  die  Folge  von  enormer 
Ausdehnung  der  Gebärmutter  durch  Hydramnios. 
Die  beiden  Fälle  mögen  hier  folgen. 

1.  Hydramnios,  Zwillingsschwangerschaft  mit  ein- 
fachem Mutterkuchen.  Eihautstich  in  der  31. 
Schwangerschaftswoche.  Erhaltung  der  Mutter. 

Frau  N. ,  84  Jahre  alt,  in  W.,  einem  V4  Stunde  von 
Jena  entfernten  Dorfe,  eine4  grosse,  wohlgebaute,  früher  stets 
gesunde  Frau,  welche  bereits  vier  gesunde  Kinder  rechtzeitig 
glücklich  geboren  und  die  Menstruation  Mitte  März  1858 
zum  letzten  Male  bemerkt  hatte ,  erlitt  Anfang  Mai  desselben 
Jahres  anhaltenden  Aerger  und  Kummer,  welchen  häufige, 
ziehende  Schmerzen  in  beiden  Seiten  des  Leibes  schon  im 
Juni  folgten.  Während  des  Juli  und  August  bemerkte  sie 
eine  so  auffallende,  rasche  Ausdehnung  des  Leibes,  dass  sie 
bis  zum  September  einer  Hochschwangeren  glich,  obschon 
sie  erst  sechs  Monate  schwanger  war;  zugleich  trat  bei  Ab- 
magerung des  Oberkörpers  starkes  Oedem  der  Beine  auf. 
Deshalb  und  wegen  der  Anfang  October  sich  mächtig  stei- 
gernden Alhembeklemmung ,  suchte  Frau  N.  Hülfe  in  der 
geburtshülflichen  Poliklinik.  Man  fand  den  Leib  enorm  aus- 
gedehnt, ausgebreitete  Fluctuation  zeigend,  2%  Elle  im  Um- 
fange, und  eine  Elle  von  der  Herzgrube  zur  Schamfuge  messend. 
Kindestheile  waren  durch  die  gespannten  Bauchdecken  nicht 
zu  fühlen,  während  der  vorliegende  Kindestheil  klein  und  leicht 
beweglich  erschien.  Ein  wiederholtes  Abführmittel  erleichterte 
wenig.  Die  peinlichen  Zufalle  erlangten,  nachdem  in  Folge 
einer  Durcbnässung  am  10.  Oktober  eine  Pneumonie  hinzu- 
getreten war,   bis  zum  lö.  einen   höchst  bedenklichen  Grad; 


für  Gebartahülfe  in  Berlin.  83 

die  schläflose  Kranke  inusste  fortwährend  in  einer  halbsitzen- 
den Stellung  zubringen;  endlich  gesellte  sich  zu  der  Athem- 
noth  Bluthusten.    Unter  diesen  Umständen  vollzog  ich  Abends 
10  Uhr  mit  dem  Meissner'schen  Instrumente  den  Eihautstich, 
höher  oben  in  der  Gebärmulterhöhle,  damit  die  enorme  Quan- 
tität Fruchtwasser  nicht  plötzlich,-  sondern   allmälig  abfliesse. 
Das   aufgefangene,  mit   Salpetersäure    versetzte  Fruchtwasser 
zeigte   eine    deutliche    Gerinnung,    somit   Eiweissgehalt.     Im 
Laufe    des    folgenden    Tages    traten    Wehen ,     ein     welche 
unter  fortdauerndem  Wasserabflüsse  am  frühen  Morgen  des 
18.  October  einen  2  Pfund  28.  Loth  ^chwefen,  todten  Knaben 
in    erster  Fusslage  austrieben.     Der   Leib   der  Mutter  blieb 
stark  ausgedehnt  und  es  bestätigte  sich  jetzt  die  bereits  aus- 
gesprochene Vermuthung,   dass  eine  Zwillingsschwangerschaft 
bestehe.     Nachdem   die  Wehen  mehrere   Stunden   ausgesetzt 
hatten   und    der  Muttermund   wieder   zusammengefallen    war, 
dagegen  Blutabgang  aus   den  Genitalien  und   in  Folge  davon 
Ohnmachtsanwandlungen   sich   eingefunden,   eröffnete  ich  um 
Mittag  die  zweite  Fruchtblase,  wobei  sich  ebenfalls  eine  sehr 
beträchtliche  Menge  Fruchtwassers  entleerte.    Nach  2  Stunden 
erfolgte  die  Geburt  eines  zweiten,  4  Pfund  28  Loth  schweren 
Knaben,  ebenfalls  in  erster  Fusslage.    Die  Gebärmutter   zog 
sich  jetzt   gehörig   zusammen,    und    die  Nachgeburt   konnte 
%  Stunde  später  ohne  Mähe  weggenommen  werden;  sie  wog 
2  Pfund  16  Loth;    der   sehr   grosse  Mutterkuchen   war   ein 
gemeinschaftlicher,  auf  dessen  Innenfläche  deutliche  Coinmu- 
nicationsäste  zwischen  den  Gefässen  der  beiden  Nabelschnüre 
bestanden.    In  dem  gemeinschaftlichen,  ziemlich  festen  Chorion 
lagen,  nur  theilweise  damit  verklebt,  die  beiden  Amnien,  welche 
unter  einander  innig  verbunden  waren;    die   sehr  sulzreicbe 
ödematöse  Nabelschnur  des  ersten  Kindes  inserirte  nahe  an 
der  Verbindungsstelle  der  beiden  Amnien.    Die  beiden  Knaben 
zeigten  bei  der  am  folgenden  Tage  angestellten  Section  keine 
•Pemphigusblasen,  wohl  aber  Oedem  der  Kopf-  und  Bauchhaut, 
viel  blutiges  Serum  .in  dem  Arachnoidealsacke,   wenig  in  den 
Brustfell-  und  Herzbeutelsäcken,  beträchtliche  Mengen  hellen 
Serums  in  den  ausgedehnten  Baucbfellsäcken,   die  Milz   über 
das  Dreifache  vergrösserl     Die  Wöchnerin   genas  unter  einer 
einfachen  Behandlung  in  wenig  Wochen  vollständig. 


84  H.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

3.     Hydramnios    bei    einer    zum    siebenten    Male 
Schwangeren,  Eihautsticb  in  der  28.  Schwanger- 
schaftswoche,  Zwillinge   mit  einfachem   Mutter- 
kuchen.   Erhaltung  der  Mutter. 
Frau  Bierbrauer  Z.  in  S.,  einem  fünf  Stunden  von  Jena 
entfernten  Dorfe,  32  Jahre  alt,   gracil,   war  früher  bis  auf 
lastige  Fussschweisse  gesund,  und    überstand   sechs  voraus- 
gegangene Schwangerschaften  und  Geburten,  zuletzt  vor  zwei 
Jahren,  glücklich.    Anfang  Februar  1853  war  die  Menstruation 
zum   letzten  Male    aufgetreten.     Frau  Z.  glaubte   sich  seit 
dieser  Zeit   von  Neuem    schwanger.    Ende   April   hatte    sie 
nach  einem  starken  Regen   bei  dem  Ausräumen  ihres  Milch- 
kellers  die  Füsse  durchnässt,    und   litt  seit  dieser  Zeit  an 
peinlichen  Leibschmerzen,  unter  welchen  die  Ausdehnung  des 
Unterleibs  rasch  auffallend  zunahm,  sodass  derselbe  am  Ende 
des  Monats  Juli   dem    einer  Hochschwangeren   glich.     Nach 
einem   heftigen  Aerger   steigerten   sich   die   vorhandenen  Be- 
schwerden  dermaassen,   dass  jetzt  Hülfe   bei   einem   in   der 
Nähe    wohnenden   Arzte   gesucht   wurde.     Dieser  verordnete 
anhaltendes    Liegen,     wodurch    die    vorhandene    Geschwulst 
der  Füsse  sich  verlor,  ferner  Abführmittel ,  Schröpf  köpfe  und 
Vesicatorien.     Dessenungeachtet    nahmen    die  Beklemmungen 
und    die    nächtliche    Unruhe     zu    und    stiegen    zu    einem 
solchen   Grade,    dass  mein   Rath  am   3.  August   1853   ver- 
langt wurde.     Ich   fand   die  Schwangere   ächzend   und   weh- 
klagend, seit  mehreren  Tagen  ununterbrochen  in  halbsitzender 
Stellung,  weil  sie  nicht  mehr  liegen  konnte,  die  Zunge  gelb- 
braun belegt,   Durst  hellig,  Appetit  mangelnd.     Der  Bauch 
war   enorm,   gleichmässig   ausgedehnt,    zeigte  in  der  Nabel- 
gegend einen  Umfang   von  3  Fuss  8  Zoll,  und  bot  bei  der 
Percussion  bis  zu  den  Rippen  hinauf  einen  leeren  Schall,  im 
Epigastrium  und  dem  linken  Hypochondrium  hingegen  Magen- 
und  Darmton.    Während  man  ausgebreitete  Fluctuation  nach- 
weisen konnte,  war  das  Uteringeräusch  nicht  zu   entdecken. 
Bei   der  inneren  Exploration   fand   ich  das   Scheidengewölbe 
ziemlich  hoch,  elastisch  gespannt,  den  stark  nach  hinten  ver- 
zogenen Scheidenlheil  zu   einem  dünnen  wulstigen  Ring  ver- 
strichen,  den  Muttermund   geöffnet,   aber   unnachgiebig;  der 
hindurch   geschobene  Zeigefinger,  erreichte  die  elastisch  ge- 


für  Gebnrtsbülfe  in  Berlin.  85 

spannten  Eihäute,  welche  mit  Unebenheiten  bedeckt  erschienen. 
Die  Harnblase  enthielt  sehr  wenig  dunkelgelben  Urins  ohne 
Eiweissgebalt.  —  Die  Indieation  zur  Zerreissung  der  Eihäute 
und  somit  zur  Frühgeburt  war  durch  die  Lebensgefahr  dec 
Mutter  gegeben.  Demgemäss  sprengte  ich  sofort  die  Eihäute 
einige  Zoll  oberhalb  des  inneren  Hutlermundes  mittels  eines 
eingeschobenen  männlichen  Katheters,  und  entleerte  über 
14  Pfund  eines  geruchlosen,  in  der  Siedhitze  nicht  gerinnen- 
den Fruchtwassers.  Der  Uterus  zog  sich  merklich  zusammen, 
und  der  Steiss  einer  Frucht  zeigte  sich  sofort  im  Muttermunde, 
während  deutlich  Uteringeräusch  in  beiden  Seiten  der  Mutter 
wahrgenommen  werden  konnte.  Als  ich  die  Kranke  Abends 
verliess,  fühlte  sie  sich  wesentlich  erleichtert.  Am  folgenden 
(4.  August)  Morgen  9  Uhr,  traten  lebhafte  Wehen  ein,  welche 
gegen  Mittag  zuerst  einen  lebenden  etwa  7  Monate  alten, 
stärkeren  Knaben  in  der  Beckenendlage,  und  bald  darauf  einen 
etwas  schwächeren  aber  ebenfalls  athmenden  Knaben  in  der 
Kopflage  austrieben.  Auch  hier  fand  sich  an  der  von  der  an- 
wesenden Hebamme  in  üblicher  Weise  entfernten  Nachgeburt, 
welche  mir  sammt  den  Früchten  sofort  zugeschickt  wurde,  nur 
ein  Chorion  und  ein  Mutterkuchen,  dagegen  zwei  Amnien, 
an  deren  Verbindungsstelle  der  30  Zoll  lange  Nabelstrang  des 
zweiten  Kindes  sich  inserirte.  Die  Wöchnerin  erholte  sich 
bald,  sodass  sie  am  *11.  September  desselben  Jahres  sich  mir 
in  Jena  vorstellen  konnte. 

III.  Die  dritte  Reihe  der  Indicalionen  für  die  künstliche 
Frühgeburt,  nämlich  derjenigen,  welche  nach  dem  Ausdrucke 
der  Compendien  durch  das  habituelle  Absterben  der 
Früchte  in  den  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft 
gegeben  werden,  bedarf,  soweit  meine  Erfahrung  reicht,  zunächst 
noch  einer  eingehenderen  Erörterung,  bevor  sie  aus  der  Reihe 
der  theoretischen  Aufstellungen  in  das  Gebiet  der  rationellen 
Praxis  übergehen  kann.  Abgesehen  von  den  Gefahren,  welche 
dem  Kinde  wie  der  Mutter  von  der  Geburt  bei  engem  Becken 
drohen ,  wovon  hier  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann ,  da  sie  der 
ersten  Reihe  der  Indicationen  zu  Grunde  liegen,  bleiben  hier 
nur  Krankheiten  der  Frucht  zu  besprechen,  welche  bei 
längerer  Fortsetzung  des  Intrauterinlebens  das  Kind  bedrohen. 
Unter  den  Fötalkrankheiten  aber,  welche   sich  bei  demselben 


96  n.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Elternpaare  constant  wiederholen  und  somit  ein  Absterben 
der  Fruchte  in  den  spateren  Monaten  auf  einander  folgender . 
Schwangerschaften  herbeiführen,  kenne  ich  aus  eigener,  ob- 
schon  vielfaltiger  Beobachtung  nur  die  eine,  welche  ich  den 
Hydrops  sanguinolentus  foetus  genannt  habe.1)  Und 
diese  Krankheit,  bei  welcher  die  Früchte  eine  mehr  oder 
weniger  beträchtliche  Ansammlung  von  Flüssigkeit  mit  ge- 
schrumpften Blutkörperchen  gemischt,  sowohl  in  verschiedenen 
serösen  Säcken,  z.  B.  in  der  Schädelhöhle,  der  Brust-  und 
Bauchhöhle,  als  auch  in  dem  Unterhautzellgewebe,  und  fast 
constant  in  der  Nabelschnursulze  zeigen,  bei  welcher  die  Epi- 
dermis nicht  selten  in  grösseren  oder  kleineren  Blasen  er- 
hoben oder  abgestossen  erscheint,  —  diese  Krankheit  des  Fötus 
habe  ich  da,  wo  sie  wiederholt  den  Tod  oder  das  Sterben 
der  Früchte  (denn  in  seltenen  Fällen  geringerer  Entwicklung 
der  Krankheit  lebten  die  Früchte  unter  der  Geburt,  athmeten 
auch  wohl  einige  Male  unvollkommen  nach  derselben)  zur 
Folge  hatte,  und  wo  ich  den  Vater  examiniren  konnte,  stets 
nur  bei  vorausgegangener  sogenannter  constitutioneller  Syphilis 
der  Eltern  angetroffen.  Bei  dieser  Ursache  habituellen  Ab- 
sterbens  der  Früchte  kann  aber  meines  Erachtens  die  künst- 
liche Frühgeburt  nichts  nützen,  vielmehr  ist,  wie  ich  mehr- 
fach erprobt  habe,  eine  consequente  Cur  der  Eltern  vor 
einer  neuen  Zeugung  das  einzige  wirksame  Mittel  der  Wieder- 
kehr des  traurigen  Leidens  vorzubeugen. 


Was  die  Schwangerschaftszeit  anlangt,  in  welcher 
ich  die  Einleitung  der  Frühgeburt  vornahm,  so  war  ich  zwei 
Mal  (in  den  beiden  Fällen  von  exquisitem  Hydramnios),  durch 
die  drohende  Lebensgefahr  der  Mutter  gezwungen,  bereits  um 
die  dreissigste  Woche  die  Operation  zu  verrichten.  —  Zwei 
Mal  veranlasste  mich,  und  zwar  bei  derselben  Frau,  welche 
ich  zwei  Jahre  vorher  mit  Erhaltung  von  Mutter  und  Kind 
mittels  des  Kaiserschnitts  von  einem  ausgetragenen ,  noch 
jetzt  lebenden  Mädchen  entbunden  hatte,  die  hochgradige 
Beckenenge  die  Operation  in  der  32.  Schwangerschaftswoche 


1)  Siehe   (7.  QeutebrUekt  Dias.  in.  De  hydrope  eangninolento 
foetus.    Jenae  1843. 


für  Geburkrhaife  in  Berlin.  87 

vorzunehmen.  —  In  der  drei  und  dreißigsten  Woehe  nöthigte 
%mich  eine  sehr  beträchtliche  allgemeine  Beckenenge,  sowie 
die  ani  Kreuzbeine  festsitzende  unnachbiebige  Geschwulst  zur 
Operation«  —  Keines  von  den  in  so  früher  Zeit  gebornen 
Kindern  konnte  erhalten  werden,  obschon  5  (darunter  ein 
Paar  Zwillinge  beim  Hydramnios)  nach  der  Geburt  lebhafte 
Atbembewegungen  machten,  und  drei  dieselben  bis  über  zwölf 
Stunden  fortsetzten. 

Fünf  Mal  wurde  die  Frühgeburt  in  der  vier  und  dreissig- 
sten  Woche  erregt,  und  dabei  drei  Kinder  dauernd  erhalten, 
ein  Kind  starb  8  Tage  dt  an  Atrophie,  ein  anderes  kam 
todt  zur  Welt  —  Zehn  Mal  leitete  ich  die  Frühgeburt  in 
der  fünf  und  dreissigsten  Woche  ein,  und  hatte  unter  diesen 
zehn  Kindern  nur  zwei  Todtgeborene,  das  eine  unter  Ent- 
wicklung von  Fäulnissgasen  im  Uterus,  nach  Einspritzung 
von  Wasser  in  denselben,  das  andere,  nachdem  die  Geburl 
vom  Fruchtwasserabflusse  ab  noch  dreissig  Stunden  gedauert 
hatte.  —  In  einem  Falle,  bei  einer  Secundipara,  welche 
l1/*  Jahr  zuvor  mittels  der  Kephalothrypsie  entbunden  war, 
hatte  eine  in  der  drei  und  dreissigsten  Schwangerschaftswoche 
aufgetretene  Bronchitis  mit  lebhaftem  Fieber  mich  gezwungen, 
die  Einleitung  der  Frühgeburt  bis  in  die  sechs  und  dreißigste 
Woche  hinauszuschieben.  Bei  der  indess  erreichten  Grösse 
der  Frucht  (welche  5  Pfund  12  Loth  wog),  und  bei  der 
beträchtlichen  Beckenenge,  gelang  dem  Hülfe  leistenden 
Assistenten  die  Ausziehung  des  in  der  Fusslage  mit  Vorfall 
der  Nabelschnur  sich  einstellenden  Kindes  nicht  rasch  genug, 
um  dasselbe  zu  retten. 


Unter  den  bei  den  22  künstlichen  Frühgeburten  (mit 
Einschluss  der  zwei  Paar  Zwillinge  bei  den  Fällen  von  Hydramnios) 
beobachteten  Kindeslagen  waren  siebenzehn  Schädellagen, 
vier  Beckenlagen  mit  vorgefallenen  Füssen,  drei  Querlagen.  — ■ 
Complicationen  mit  Vorfall  der  Nabelschnur  kamen  bei 
einer  Scbädellage  und  bei  einer  Fusslage  vor;  Wehenfebler 
wurden  fünf  Mal  als  Ursachen  der  Geburtszögerung  notirt 

Die  Ausfübrungsmethoden  zur  Einleitung'  der 
Frühgeburt  wurden  meißt  so  gewählt,  dass  die  weniger 


gg  II.    Verhandlungen  der  Ge«ellsehaft 

eingreifenden  zuerst  zur  Anwendung  kamen,  und  nur,  wenn 
diese   im   Stich    Hessen,   zu   den    eingreifenderen    geschritten« 
wurde. 

1.  Das  mildeste  Mittel  schien  die  Anwendung  der  Brust- 
sauger von  Kaoutschouk;  sie  wurden  bei  drei  Frauen  in 
Gebrauch  gezogen,  und  zwar  alle  4 — 2  Stunden  aufgesetzt, 
und  10 — 25  Hinuten,  später  noch  länger  in  Wirkung  gelassen. 
Obschon  sie  in  einem  Falle  14  Mal  applicirt  wurden ,  konnte 
ich  einen  erheblichen  Einfluss  auf  die  Contraction  der  Ge- 
bärmutter nicht  constatiren,  jedenfalls  keinen  solchen,  dass 
dadurch  allein  die  Frühgeburt  angeregt  ward.  Dagegen  klagten 
die  Frauen  früher  oder  später  über  Schmerzen  an  den  Brust- 
warzen und  Brüsten,  sodass  ich  mich  veranlasst  sah,  in  allen 
übrigen  Fällen  von  diesem  Mittel  abzusehen. 

2.  Den  Kolpeurynter  oder  den  Scheidentampon 
habe  ich,  abgesehen  von  den  zahlreichen  Fällen,  in  welchen 
ich  durch  heftige  Blutungen  zu  Folge  von  Placenta  praevia 
u.  s.  w.  mich  veranlasst  fand  davon,  und  zwar  mit  befriedi- 
gendem Erfolge  Gebrauch  zu  machen,  zwei  Mal  zur  Einleitung 
der  Frühgeburt  eingelegt  In  dem  einen  Falle  bei  einer  zum 
siebenten  Male  Schwangeren  geschah  dieses,  nachdem  drei 
Tage  lang  die  Brustsauger  angewendet  waren  und  der  Eintritt 
einer,  wenn  schon  massigen  Uterinblutung  auf  den  Gehrauch 
der  warmen  Scheidedouchen  auch  diese  bei  Seite  setzen  liess; 
der  Scheidentheil  verstrich  während  der  57  Stunden  lang 
fortgesetzten  Kolpeurysis,  allein  der  Muttermund  blieb  mangel- 
haft erweitert,  weshalb  sodann  ein  konischer  Pressschwamm 
eingelegt  wurde,  und  28  Stunden  spater  die  Geburt  eines 
lebenden  Rindes  erfolgte.  In  dem  anderen  Falle  machte  ich 
nach  vierzehn  Mal  wiederholter,  jedoch  vergeblicher  Einspritzung 
von  erwärmter  Aqua  picea  in  die  Gebärmutterhöhle  (welche 
nur  Anfangs  wehenartige  Schmerzen  hervorriefen,  aber  die 
Geburt  nicht  in  den  Gang  brachten),  Gebrauch  vom  Kolpeu- 
rynter. Hier  erfolgte  unter  langsam  sich  entwickelnden  Wehen 
die  Erweiterung  des  Muttermundes,  und  20  Stunden  später 
die  Geburt  eines  todten  Kindes. 

Dass  ich  für  jeden  Fall  eines  neuen,  noch  nicht  gebrauch- 
ten Kofyeurynters  mich  bediente,  ist  selbstverständlich  für 
Jeden,  der  weiss,  wie  leicht  Debertragungen  von  Krankheit»- 


fflr  Geburtahülfe  in  Berlin.  89 

kamen   auf  die   weiblichen  Genitalien  während  der  Zeit  des 
Kreissens  und  des  Wochenbettes  bedenkliebe  Polgen  haben. 

3.  Die  Uterus-  oder  richtiger  Scheidend ouebe  wurde 
in  zwölf  Fällen  zur  Einleitung  der  Frühgeburt  angewendet, 
und  zwar  in  den  sechs  ersten  Fällen  mittels  eines  nach 
Kiwiseh9  s  Angabe  construirten  hydraulischen  Apparats,  bei 
welchem  die  Wassersäule  eine  Länge  von  über  8  Fuss  hatte, 
und  die  untere  Oefftrang  des  Scheidenrohres  fast  zwei  Linien 
im  Durchmesser  zeigte,  später  mittels  einer  tüchtigen  Klyso- 
pompe.  Die  Temperatur  des  10 — 15  Hinuten  lang  in  die 
Scheide  und  an  den  Muttermund  strömenden  Wassers  betrug 
zu  Anfang  und  in  den  letzten  seebs  Fällen  stets  nicht  über 
29 — 30°  Räaum.  In  denjenigen  Fällen,  in  welchen  ich  die 
Wehenthätigkeit  und  somit  den  Eintritt  der  Geburt  dadurch 
zu  bestimmen  hoffte,  steigerte  ich  die  Temperatur  nicht  selten 
allmälig  bis  zu  35°  Reaum.,  ohne  damit  jedoch  durchweg  das 
Ziel  zu  erreichen.  Nur  in  zwei  Fällen  führte  die  Scheiden- 
douche  allein  zum  Ziele: 

1)  Bei  einer  zum  dritten  Male  Schwangeren,  Frau  G. 
(1847),  welche  ein  Jahr  zuvor  bereits  eine  künstliche  Früh- 
geburt mittels  Uterusdouche  und  Pressschwamm  glücklich 
überstanden  hatte,  veranlassten  eilf  innerhalb  drei  Tagen  ge- 
gebene warme  Douchen  die  Geburt,  jedoch  eines  todten  Kindes 
in  der  Steisslage.  Ob  die  in  diesem  Falle  folgende  Endo- 
und  Perimetritis,  zu  welcher  sich  Gastro -Enteritis  gesellte 
und  welche  am  neunten  Tage  nach  der  Geburt  mit  Per- 
foration des  Oesophagus  und  Austritt  von  Mageninhalt  nebst 
zwei  Spulwürmern  in  den  linken  Pleurasack  endigte,  in  ursäch- 
lichem Zusammenhange  mit  dem  Gebrauche  der  Uterusdouche 
zu  bringen  sei,  ist  mir  zweifelhaft,  da  andere  Causalmomente 
für  eine  ernstere  Erkrankung  in  dem  Verhalten  der  Wöch- 
nerin gegeben  waren. 

2)  E.  D.  aus  S.,  eine  zum  zweiten  Male  Schwangere, 
welche  zwei  Jahre  zuvor  nach  dreitägigem  Rreissen  durch 
einen  auswärtigen  Kollegen  mittels  Perforation  von  einem 
todten  Kinde  entbunden  und  hierauf  7  Wochen  lang  bettlägerig 
gewesen  war,  meldete  sieb  im  März  1852  zu  ihrer  Entbindung 
in  der  Entbindungsanstalt  zu  Jena.  Sie  war  4  Fuss  9  Zoll 
gross    und   zeigte   folgende  Beckenmaasse:  Sp.  J.  =  8"  3", 


QO  II.    Verhandlungen  4er  Gesellschaft 

Cr.  J.  -  9",  Troch.  — '  10",  Conj.  ext.  «  6"  6W,  diagon.  -  4". 
Die  letzte  Menstruation  sollte  Ende  Juli  1851  stattgefunden 
haben;  deragemäss  und  nach  dem  sorgfältig  erhobenen  Befunde 
bestand  die  Schwangerschaft  über  acht  Monate.  Da  die  Ein- 
leitung der  Frühgeburt  durch  die  Beckenverbältnisse,  zumal  in 
Betracht  der  Torausgegangenen  schweren  Entbindung  inditirt 
erschien,  wurde  am  24.  März  in  der  fünf  und  dreißigsten 
Schwangerscbaftswocbe  mit  dem  Gebrauche  der  Douche  begonnen. 
Nach  der  fünften  Douche,  zuletzt  von  35°  Reaun.  warmen 
Wasser  traten  am  Nachmittage  des  26.  März  kräftige  Wehen 
auf,  welche  am  27.  früh  2  Uhr  die  Blase  mit  den  Füssen 
der  Frucht  in  den  Scheidenausgang  herab  drängten.  Zwei 
Stunden  später  erfolgte  der  Blasensprung,  die  Frucht  rückte 
mit  einer  Drehung  aus  der  zweiten  in  die  erste  Fusslage 
herab;  die  Lösung  der  Arme,  wie  des  Kopfes  gelang  ohne 
Aufenthalt.  Der  lebende,  11"  resp.  17"  lange,  4  Pfd.  12  Lth. 
schwere  Knabe  zeigte  folgende  Kopfdurchmesser  3V4",  4", 
4%".  Die  Nachgeburt  folgte  nach  %  Stunde,  und  das 
Wochenbett  verlief  so  günstig,  dass  die  Mutter  mit  ihrem 
Kinde  am  10.  April  in  ihre  Heimath  zu  reisen  im  Stande  war. 

In  drei  Fällen  machte  trotz  vielfacher  und  energischer 
Anwendung  der  Douche  die  Geburt  und  insbesondere  die  Er- 
weiterung des  Muttermundes  so  geringe  Fortschritte,  dass  ich 
mich  endlich  zur  Einlegung  des  Pressschwammes  entschloss; 
einmal  folgte  auf  den  Gebrauch  dw  Douche,  wie  schon  an* 
gegeben,  eine  wenn  schon  nicht  bedenkliche  Blutung,  sodass 
ich  von  deren  weiteren  Gebrauche  absah  und  dafür  des  Kolpeu- 
rynters  mich  bediente,  dem  schliesslich  auch  nocb  der  Press- 
schwamm folgte.  —  In  den  sechs  jüngsten  Fällen  bediente 
ich  mich  der  Uterusdocbe  nur  als  Vorbereitung  für  die  Ein- 
legung des  elastischen  Katheters,  und  zwar  je  2 — 3  Mal  in 
einem  Zeiträume  von  12  —  24  Stunden.  Ich  habe  dadurch* 
nicht  sowohl  den  Eintritt  von  Weben ,  als  eine  Auflockerung 
des  Scheidentheils  erzielt. 

4.  Der  Pressschwamm  kam  in  vier  Fällen  zur  An- 
wendung, stets  nach  vorausgeschickter  Scheidendouche.  In 
sämmüichen  Fällen  kamen  kräftige  Wehen  nach  mehreren, 
bis  28  Stunden,  der  mangelhaft  erweiterte  Muttermund  gab 
nach,  und  die  Geburt  erschien  durch  dieses  Mittel  wesent- 


föT  Gebortthülfe  in  Berlin.  91 

lieh  gefördert  Da  die  Einlegung  stets  nach  wiederholtem 
Gebrauche  der  Douche  und  damit  erzielter  Auflockerung  und 
Eröffnung  des  Muttermundes  Torgenommen  wurde,  mjftbte 
dieselbe  keine  erbeblichen  Schwierigkeiten.  Der  Ausgang  er- 
schien für  die  Mütter,  obschon  eine  derselben  an  Endo-  und 
Perimetritis  erkrankte,  günstig;  von  den  Kindern  kam  das 
eine  in  Folge  von  Hyperämie  der  Hirnhäute  und  seröser  Aus- 
schwjtzung  in  die  Pia  mater  todt  zur  Welt.  Ein  Beispiel  von 
erfolgreicher  Anwendung  des  Pressschwammes  mag  hier  folgen. 

Frau  W.  Sek.,  32  Jahre  alt,  4'  6"  hoch,  zierlich,  hatte 
als  Kind  iya  Jahre  lang  an  der  englischen  Krankheit  gelitten, 
jedoch  erst,  nachdem  sie  bereits  geben  konnte;'  Anne  und 
Beine  zeigten  geringe  Spuren  von  Krümmung.  Die  Menstrua- 
tion war  im  17.  Lebensjahre  eingetreten,  kehrte  anfangs 
regelmässig,  nach  einer  Erkältung  im  zwanzigsten  Jahre  un- 
pünktlich, zumal  während  des  Sommers  aussetzend,  wieder. 
Im  zweiundzwanzigsten  Lebensjahre  verbeirathet,  wurde  sie 
1846,  48,  49,  51  stets  von  todten  Früchten,  wiederholt 
wegen  Querlage  mittels  der  Wendung  auf  die  Füsse  ent- 
bunden; die  Wochenbetten  verliefen  im  Ganzen  ohne  Störung. 
Nachdem  am  9.  Juni  1853  die  Menstruation  zuletzt  sich  ge- 
zeigt, die  Frucbtbewegungen  siebenzehn  Wochen  darauf  (Anfang 
October)  zuerst  wahrgenommen  waren,  die  Geburt  also 
am  16.  März  1854  zu  erwarten  stand,  meldete  sich  die 
Schwangere  von  dem  Wunsche,  ein  lebendes  Kind  au  gebären, 
durchdrungen  auf  den  Rath  ihrer  früheren  Aerzte,  welche  be- 
trächtliche Beckenenge  als  Ursache  der  unglücklichen  Geburten 
erkannt  hatten,  ata  9.  Januar  1854  in  der  Entbindungs- 
anstalt zu  Jena,  um  sich  der  künstlichen  Frühgeburt  zu  unter- 
ziehen. Die  Beckenmessung  ergab  Sp.  J.  —  10",  Cr.  J. 
—  10",  Troch.  «  ll1/*",  Conjug,  extern.  —  6V4",  diagonalis 
*m  3"  '10'",  so  dass,  da  auch  die  Scbamfuge  eine  nach  innen 
vorspringende  Leiste  bildete,  die  Conjugata  vera  nicht  grösser 
als  3"  angenommen  werden  konnte. 

Dazu  kam,  dase  die  Pfanoengegenden,  insbesondere  die 
linke,  nach  innen  prominirten,  und  dadurch  den  Beckenkanal 
noch  ungünstiger  gestalteten.  Da  ich  durch  die  innere  und 
äussere  Exploration  auch  jetzt  eine  Querlage  der  Frucht  con- 
statirte,  so  liess  ich  die  Schwangere  zunächst  anhaltend,  auch 


92  H.   Verhandinngen  der  Gesellschaft 

des  Nachts,  eine  elastische  Leibbinde  mit  seitlich  unterge- 
schobenen Tüchern  tragen,  und  die  Lage  auf  der  linken  Seite 
einbflten,  jedoch  ohne  merklichen  Erfolg. 

Am  Abend  des  30.  Januar  1855,  also  im  Beginne  der 
34.  Schwangerschaftswoche,  wo  der  Scheidentheil  als  ein  ya* 
langer  Zapfen,  der  Muttermund  als  eine  kleine  Spalte  gefühlt 
wurde,  versuchte  ich  zunächst  durch  Aufsetzen  der  Brust- 
zieh er  Wehen  zu  erregen.  Allein  obschon  diese  Anziehung 
der  Brustwarzen  durch  je  zwei  Stunden  am  folgenden  Tage, 
und  am  1.  Februar,  im  Ganzen  neun  Mal,  zuletzt  durch  drei 
Stunden  wiederholt  wurde,  erfolgten  doch  keine  Wehen,  so  dass 
ich  endlich  Abends  5  Uhr  die  Uterusdouche  mittels  des 
hydraulischen  Apparats  10  Minuten  lang  und  zwar  mit  35°  R. 
warmem  Wasser  in  Anwendung  zog. 

Bei  der  um  10  Uhr  Abends,  nachdem  sich  Ziehen  im 
Kreuz  mit  Eröffnung  des  Muttermundes  eingefunden,  wieder- 
holten Douche  stellte  sich,  —  abgesehen  von  einem  schon 
nach  der  ersten  Einspritzung  aufgetretenen,  jetzt  verstärkten 
heftigen  ziehenden  Schmerz  in  der  linken  Seite  der  Brust 
und  dem  linken  Arme,  welcher  drei  Stunden  währte  und  den 
Arm  wie  gelähmt  empfinden  liess,  —  ein  nicht  -ganz  uner- 
heblicher Blutabgang,  und  Nachts  gegen  12  Uhr  ein  lebhafter, 
V4  Stunde  anhaltender  Schuttelfrost  ein,  so  dass  ich  von  dem 
weiteren  Gebrauche  der  Douche  abstand.  Gegen  Morgen 
des  2.  Februar  wurden  die  ziemlich  häufigen  Wehen  wieder 
seltener,  und  gegen  10  Uhr  Vormittags  fand  ich  den  Mutter- 
mund zwar  wulstig,  aber  keineswegs  erweitert;  deshalb  legte 
ich  den  Kolpeurynter  ein  und  füllte  denselben  mit  warmem 
Wasser.  Am  Abend  ward  derselbe  herausgenommen,  jedoch 
da  die  Erweiterung  des  Muttermundes  wenig  vorgeschritten 
war,  von  Neuem  applicirt,  ebenso  am  folgenden  Morgen  und 
Abend.  Erst  am  Morgen  des  4.  Februar  traten  lebhafte 
Wehen  ein,  und  gestatteten,  da  dieselben  regelmässig  wieder- 
kehrten, Abends  7  Uhr  den  Kolpeurynter  wegzulassen.  Gegen 
11  Uhr  Nachts  bemerkte  man  eine  auffallende  Hitze  und 
Empfindlichkeit  der  angeschwollenen  Mutterlippen  und  leb- 
hafte Schmerzhaftigkeit  des  Mutterkörpers  bei  leichtem  Drucke 
auf  die  Bauchdecken,  so  dass  jetzt  zehn  Blutegel  auf  die 
letzteren  applicirt  wurden.  Zur  directen  Erweiterung  des  immer 


für  Gebnrtshülfe  in  Berlin.  93 

noch  engen  Muttermundes  legte  ich  sodann  einen  konischen 
Pressschwamm  ein.  Um  8  Uhr  des  folgenden  ltyorgen 
(5.  Februar)  erschien  der  Scheidentheil -weich,  der  Mutter- 
mund 1"  weit,  ein  kleiner  Kindestheil  über  dem  Beckeneingang. 
Der  noch  immer  quer  über  dem  Beckeneingange  liegende 
Kindeskörper  wurde  jetzt  durch  äussere  Handgriffe  gewendet, 
sodass  der  Kopf  in  den  Muttermund  gelangte,  und  hierauf 
die  Kreissende  auf  die  linke  Seite  gelagert,  von  welcher  der 
Kopf  hereingeschoben  war.  Nochmals  10  Blutegel  an  den 
Unterleib,  Borax  $ß  mit  Rad.  ipecacuanh.  gr.  '/4  stündlich. 
Nachdem  das  Fruchtwasser  im  Laufe  des  Nachmittags  unbe- 
merkt abgeflossen  war,  bildete  sich  eine  beträchtliche  Kopf- 
gescbwulst,  während  man  die  Herztone  der  Frucht  in  der 
rechten  Seite  der  Mutter  fortdauernd  deutlich  hörte.     Abends 

10  Uhr  erschienen  die  Wehen  nach  eingetretener  Brechneigung 
regelmässiger  und  der  Muttermund  über  2  Zoll  weit,  und  um 

11  Uhr  trieben  kräftige  Druckwehen  das  Kind  aus  den  Ge- 
burtswegen hervor.  Dasselbe,  ein  lebender  Knabe,  wurde 
durch  Reiben  bald  zum  vollständigen  Athmen  gebracht,  wog 
51/«  Pfund,  war  12,  resp.  18  Zoll  lang  und  zeigte  auf  der 
rechten  Seite  des  Schädels  einen  rothen  Druckstreifen  von 
der  Einwirkung  des  Promontorium  und  einen  merklichen  Ein- 
druck an  der  linken  Schläfe,  welche  hinter  der  nach  innen 
hervorragenden  Schamfuge  gelegen  hatte.  Die  Kopfdurch- 
messer hatten  folgende  Maasse:  vorderer  Querdurcbroesser 
-  2"  10"',  hinterer  —  3"  2'",  gerader  Durchmesser  _  4%", 
diagonaler  =  5"  3'".  Die  Nachgeburt  folgte  nach  V4  Stunde.  — 
Der  bei  der  Geburt  anwesende  Ehemann  versicherte  mich: 
„wenn  ich  der  Entbundenen  die  ganze  Stadt  Jena  schenken 
könnte,  so  würde  ihr  dieses  Geschenk  nicht  so  lieb  sein,  als 
der  lebende  Sohn".  —  Nach  Beseitigung  der  vorhandenen 
•Metritis,  zu  welcher  sich  noch  in  Folge  einer  Erkältung  am 
neunten  Tage  eine  Pneumonie,  und  später  eine  Phlegmasia 
alba  dolens  gesellte,  erholte  sieb  die  Wöchnerin  bald  und 
das  Kind  gedieh  an  der  Brust  einer  Amme  dermaassen,  dass 
Mutter  und  Kind  am  4.  März  in  ihre,  fünf  Stunden  entfernte 
Heimath  entlassen  werden  konnten. 

5.     Das    Einspritzen    von    erwärmtem    Wasser, 
Theerwasser  oder  dergl.   zwischen  das  Ei  und  die 


94  'I-    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Gebärmutterwandung  wurde  vier  Hai  in  Gebrauch  ge- 
zogen.    Die  Einzelfälle  waren  folgende: 

a)  Bei  einer  wiederholt  durch  die  mannichfaltigsten  Ope- 
rationen wegen  beträchtlicher  Beckenenge  (Conj.  diagon.  3"  8") 
schwer  und  von  todten  Kindern  entbundenen  Bauerfrau,  welche 
mir  von  ihrem  früheren  Geburtshelfer  zur  Einleitung  der 
Frühgeburt  zugeschickt  wurde,  machte  ich  nach  vergeblicher 
Anwendung  der  Brustsauger  (Dec.  1854)  binnen  36  Stunden 
vier  Einspritzungen  von  je  fünf  Unzen  erwärmten  Theer- 
wassers,  wobei  sich  kräftige  Wehen  einstellten ;  sechs  Stunden 
nach  der  letzten  Einspritzung  wurde  ein  lebendes  Mädchen 
glücklich  geboren.  Die  Nachgeburtsperiode  und  das  Wochen- 
bett verliefen  ohne  Störung,  und  die  Mutter  reiste  nach 
14  Tagen  mit  ihrem  Kinde  wieder  in  ihre  Heimath. 

I)  Christine  W.St,  25  Jahre  alt,  3'  11"  gross,  blond, 
zeigte  eine  Verkrümmung  der  Wirbelsäule,  so  dass  die  untern 
Brust-  und  die  Lendenwirbel  eine  starke  Krümmung  nach 
rechts,  die  oberen  Brust-  und  Halswirbel  einen  geringeren 
Bogen  nach  links  bildeten,  dabei  war  der  Knochenbau  im 
Ganzen  gracil.  Beide  Schienbeine  erschienen  nach  vorn  und 
innen  geknickt,  ebenso  die  Vorderarme.  Die  Schwangere  will 
vom  2 —  7.  Lebensjahre  an  der  englischen  Krankheit  gelitten 
haben,  und  erst  mit  dem  20.  Jahre  und  seitdem  unregel- 
mässig menstruirt  gewesen  sein.  Nachdem  sie  Anfang  October 
1855  die  Regel  verloren  und  im  Februar  Kindesbewegungen 
bemerkt  hatte,  kam  sie  am  29.  April  1856  in  die  Ent- 
bindungsanstalt zu  Jena,  wo  die  Beckenmessung  einen 
Hüftumfang  von  28l/i\  Sp.  J.  -  81//,  Cr.  J.  «  8%", 
Troch.  —  9 Vi  Conj.  ext.  -  5"  10w,  Kreuzbeinbreite  2"  8'*, 
Conj.  diagon.  =  3"  10  "  ergab.  Die  rechte  Pfanne  fühlte  man 
nach  innen  hereingedrängt.  Nachdem  man  sich  vom  Leben 
der  Fmcht  mittels  der  Auscultation  überzeugt  und  die  erste 
Scbädellage  durch  innere  und  äussere  Exploration  constatin 
hatte,  wurde  am  6.  Mai  Abends  6  Uhr  die  erste  Einspritzung 
von  30°  K.  warmem  Wasser  mittels  eines  in  die  Gebär- 
mutterhöhle etwa  3  Zoll  tief  eingeschobenen  silbernen  Kathe- 
ters vorgenommen,  worauf  sich  in  der  Nacht  ruckweise 
Schmerzen  im  Unterleibe  einstellten  und  der  bisher  zapfen- 
ähnliche  Scheideulheil  am  folgenden  Tage  fast  verstrichen  er- 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  95 

schien.  Uro  10  Uhr  Vormittags  des  7.  Mai  zweite  Ein- 
spritzung; danach  einmaliges  Erbrechen.  Der  Puls  der  Mutter 
zeigte  um  Mittag  während  der  Wehe  in  je  5  Secunden 
8,  9,  9,  10,  10,  9,  9,  8.  Nachmittag  4  Uhr:  Scbeidentheil 
sehr  fein  verstrichen,  Muttermund  1  Zoll  im  Durchmesser, 
Wehen  regelmässig  alle  4  Minuten  wiederkehrend,  Wehenpause 
nicht  ganz  schmerzlos.  Abends  6  Uhr  schlug  der  Puls  während 
der  Wehe  in  je  5  Secunden  7,  7,  8,  8,  9,  9,  8,  8,  7,  7.  Abends 
7%  Uhr  8,  8,  9,  9,  10,  10,  10,  9,  9,  8,.  8.  Kurz  vor  8  Uhr 
Muttermund  fast  vollständig  erweitert;  3/49  Uhr,  die  Frucht- 
blase bleibt  auch  ausser  der  Wehe  gespannt  Nach  10  Uhr 
Abends  erbricht  die  Kreissende  wiederholt;  die  Wehen  kehren 
in  der  Nacht  selten  wieder,  bis  am  8.  Mai  froh  gegen  5  Uhr 
die  Blase  springt  An  dem  durch  den  Muttermund  hindurch- 
tretenden Kopf  findet  man  die  kleine  Fontanelle  links  und 
vorn,  die  Pfeünaht  im  rechten  schrägen  Durchmesser.  Kräf- 
tige Wehen  treiben  den  Kopf  um  6  Uhr  Morgens  in  den 
Beckenausgang  herab  und  gemäss  dem  Mechanismus  der  ersten 
Schädelstellung  zu  Tage.  Der  5  Pfund  14  Loth  schwere, 
12,  resp.  18  Zoll  lange  Knabe  war  Anfangs  scheintodt,  kam 
aber  nach  Reiben  und  Besprengen  mit  frischem  Wasser  zum 
vollen  Athmen.  Die  Nachgeburt  wurde  %  Stunde  später  ent- 
fernt. Das  Wochenbett  verlief  ohne  Störung,  sodass  die  Matter 
mit  dem  gesunden  Kinde  am  30.  Mai  in  ihre  Heimath  ent- 
lassen werden  konnte. 

e)  Die  ledige  M.,  21  Jahre  ak,  4'  5"  grosß,  hatte  in  der 
Kindheit  an  scrophulösen  Erkrankungen  gelitten;  sie  verlor  die 
seit  dem  18.  Jahre  eingetretenen  Regeln  Anfang  December  1854, 
behauptete  jedoch  bereits  Ende  October  concipirt  zu  haben. 
Die  Beckenmessung  ergab  Sp.  J.  —  8",  Cr.  J.  —  9",  Tr.  -  10", 
Conj.  eitern.  —  63/4",  Gonj.  diag.  »  4V4",  also  allgemeine 
Verkürzung  der  Durchmesser  um  fast  %".  Nach  Darreichung 
eines  Abführmittels  wurde  in  der  34.  Schwangerschallswoche 
am  Mittage  des  31.  Juli  1855  eine  Einspritzung  von  ca.  $vj  er- 
wärmter Aqua  picea  in  die  Gebärmutterhöhle  gemacht.  Nach 
der  dritten  Einspritzung  traten  Wehen  auf,  welche  jedoch  in 
er  Nacht  zum  2.  August  wieder  nachliesBen,  nach  weiteren 
11  Einspritzungen  zwar  wiederkehrten,  jedoch  den  Scheiden- 
tfaeil  ungenügend  verkürzten  und  den  Muttermund  nicht  ge- 


96  H.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

hörig  erweiterten.  Da  das  Fruchtwasser  bereits  abgeflossen 
war,  legte  ich  am  4.  August  gegen  Mittag  den  Kolpeurynter 
ein  und  füllte  denselben  mit  warmem  Wasser.  Seit  einem 
am  Morgen  vorher  eingetretenen  Froste  hörte  man  keine  Fötal- 
herztone mehr.  Am  5.  August  Morgens  8V2  Uhr  wurde  end- 
lich ein  4  Pfund  schweres,  todtes  Mädchen  in  erster  Schädel- 
lage geboren.  Die  Mutter  erholte  sich  bald,  sodass  sie  schon 
am  17.  August  die  Klinik  verlassen  konnte.  Die  Section  des 
Kindes  ergab  ausser  mehrfachen  Ecchymosen  am  Herzen  und 
den  Lungen  massige  seröse  Ausschwitzungen  in  der  Schädel- 
und  Brusthöhle. 

d)  Frau  B.  aus  A.,  40  Jahre  alt,  4'  6"  gross,  miltel- 
mässig  genährt,  soll  als  Kind  an  Kopf-  und  Gesichtsaus- 
schlägen gelitten,  aber  nicht  (?)  rhachitisch  gewesen  sein. 
Seit  dem  20.  Lebensjahre  schwach  und  selten  menstruirt 
wurde  sie  1843  nach  dreitägigem  Kreissen  mittels  der  Kopf- 
zange sehr  schwer  von  einem  todten  Knaben  entbunden,  und 
litt  im  Wochenbette  10  Tage  lang  an  Ischurie.  Eben  so 
schwer  war  die  zweite,  1848  erfolgte  Entbindung  von  einem 
todten  Mädchen,  und  auch  die  1850  stattgehabte  dritte 
Entbindung  von  einem  todten  Mädchen  mittels  wiederholt  an- 
gelegter Zange  hatte  längere  Harnbeschwerden,  Fluor  albus, 
Hartleibigkeit  und  andere  Zeichen  einer  langwierigen  Ent- 
zündung der  Beckenorgane  zur  Folge.   Als  sie  Anfang  November 

1856  von  Neuem  schwanger  geworden,  schlug  man  ihr  die 
künstliche  Frühgeburt  vor   und   sandte   sie  deshalb   im  Juli 

1857  in  die  Entbindungsanstalt  zu  Jena.  Da  die  Becken- 
messung Sp.  J.  -  9",  Cr.  J.  -  9y4",  Troch.  -  10V4",  Con- 
jug.  extern.  —  6"  4'",  Conj.  diagon.  =  33/4"  ergab,  die 
Schamfuge  nach  hmen  ungewöhnlich  hervorspringend,  das 
Kreuz  tief  eingezogen,  die  Lendenwirbel  nach  rechts  scolio- 
tisch,  der  rechte  Oberschenkel  im  oberen  Drittel  nach  aus- 
wärts gekrümmt  sich  zeigten,  also  eine  Verkürzung  der  Con- 
jugata  vera  auf  3"  nachgewiesen  war,  wurde  am  10.  Juli  1857 
Abends  die  Frühgeburt  mittels  Einspritzen  von  beiläuGg  sechs 
Unzen  29°  warmen  Wassers  durch  einen  in  die  Gebärmutter- 
höhle eingeführten  neusilbernen  männlichen  Katheter  ein- 
geleitet Ausser  dem  Gefühle  von  Wärme  im  Unterleibe  trat 
keine  Veränderung  ein,   ebenso   wenig  unmittelbar  nach  der 


für  Gebtortahtilfe  in  Berlin.  97 

zweiten,  am  folgenden  Morgen  gemachten -Einspritzung.  Gegen 
Mittag  des  11.  Juli  stellten  sich  Frösteln  und  eine  Ohn- 
machtsanwJmdlung  ein,  ebenso1  um  3  Uhr  Nachmittags,  nach- 
dem Mittags  '  1  Uhr  eine  weitere  Einspritzung  von  warmem 
Wasser  gemacht  war.  Bei  der  vierteil  Injection  Abends  7  Uhr 
ging  eine  geringe  Menge  Blut  ab,-  und  erfolgte  in  der  Nacht 
mehrmaliges  Erbrechen  unter  wehenartigen  Schmerzen.  Am 
12.  Juli  Morgens  8  Uhr  neue  Injection,  der  nach  einer  Stande 
Zittern,  Angst  und  Beschleunigung  des  Pulses  folgte.  Hitze 
der  Haut,  der  Scheide,  Kopfweh  neben  Frösteln  und  Durst. 
Sa  -  der  Scheidentheil  sich  wenig  verändert  hatte ,  vielmehr 
fest  geblieben*  war,  wurden,  um  die-Geburt  zu«  befördern,  von 
Mittag  an  alle  8—4  Stunden  Scheiden -Douchen  mit  32° 
warmen  Wasser  gemacht.  Während  das  allgemeine  Unwohl- 
sein zunimmt,  wird  der  Uterus  empfindlich,  und  der  harte 
scharfrandige  Muttermund  -erweitert  sich  nicht  Aber  1"  im 
Durchmesser.  Am  14.  Morgens  erscheinen  die  Abgänge  aus 
den'  Geburtswegen  sehr -übelriechend,  faulig,  bräunlich,  <gegen 
11  Uhr  folgte  ein  heftiger  Prostanfall  mit  Erbrechen.  Nach  einem 
warmen  Sitzbade,  dem  inneren' Gebrauche  von  Castoreum  mit 
Borax  und  Ihcisionen  des  unnachgiebigen  Muttermundes  kommt 
endlich  der  Kopf  gegen  Mitternacht  auf  den  Beckengrund 
herab,  während  bei  der  Exploration  Fäulnissgase  abgehen. 
Am  15.  Juli  früh  l3/4  Uhr  wird  endlich  nach  eitler  Dosis 
Seeale  cornutum  ein  todtes,  4  V2  Pfund  schweres  Mädchen, 
dessen  Körper  mit  einer  schwarzbraunen  stinkenden  Masse 
bedeckt  ist,  mittels  der  Kopfzange  in  erster  Schädellage  ex- 
trahirt.  Die  faule  Nachgeburt  folgte  alsbald.  Die  Entbundene 
welche  sehr  erschöpft  war,  zeigte  alle  Erscheinungen  der 
Icborämie  und i  starb  am  80.  Juli.  .  Die  Seetion  ergab  die 
Produkte  der  Endometritis  septica  und  jauchigen  Zerfall  der 
Thromben  in  den '  Uterinvenen.  —  Die  Ausmessung  des 
präparirten  Beckens  zeigte  Sp.  J.  *->  8"  5'",  Cr.  J.  =  9", 
Troch.  -10";  Conjug.  externa  =>  ft"  7"',  diagonal.  «  3"  4'", 
Vera  =  2"  11"',  Querdurchmesser  im  Beckeneingange  =  4"  9'", 
innerer  rechter  und  linker  schräger  Durchmesser  4"  5'" ; 
Dicke  der  Schamfuge  =  %". 

Die  Ergebnisse   der  sogen.  CoÄen'schen  Methode  waren 
somit,   wenn  schon  in   den  beiden ;  zuerst  erzählten   Fällen 

MoMtMcbr.  f.  GeburUk.  1833.  Bd.  XIX.,  Hfl.  U.2,  7 


gg  II.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

befriedigend .  in  den  beiden  übrigen ,  zumal  im  letzteren  Falle, 
der  Art,  dass  ich  ferner  keinen  Gebrauch  davon  machen 
werde.  Mag  darüber  gestritten  werden  können,  ob  in  dem 
letzten  Falle  der  Eintritt  der  Fäulniss  im  Uterus  allein  von 
dem  Gebrauch  der  Injection  in  die  Gebärmutterhöhle  aus- 
gegangen sei,  immerhin  bleibt  die  Möglichkeil  nicht  zu  be- 
zweifeln, dass  bei  einem  nicht  leicht  zu  verhütenden  Blutergusse 
zwischen  Uteruswand  und  Ei  das  wiederholte  Einspritzen  von 
Wasser,  und  damit  auch  der  in  dem  eingeschobenen  Rohre, 
Catheter  oder  dergl.  befindlichen  Luft  die  Bedingungen  der 
Fäulniss  (Wärme,  zersttzungsfähige  animale  Substanz,  Feuch- 
tigkeit und  atmosphärische  Luft)  gegeben  sind,  welche  einen 
ungünstigen  Ausgang  herbeizuführen  vermögen. 

6.  Am  häufigsten  und  zwar  in  den  zehn  jüngsten  Fällen 
ohne  Ausnahme  habe  ich  die  Einlegung  eines  elastischen 
Katheters  in  die  Gebärmutterhöhle  als  wehenerregendes 
Mittel  benutzt.  In  sechs  Fällen  waren  2  —  3,  in  einer  Zeit 
von  24t  Stunden  gegebene  Vaginaldouchen  vorausgeschickt, 
nachdem  der  Darmkanal  durch  Gebrauch  von  Bitterwasser 
oder  dergl.  entleert  war.  Es  bedarf  kaum  der  Erwähnung, 
dass  stets  ein  neuer,  noch  nicht  gebrauchter  Katheter  ange- 
wendet wurde.  Die  Einführung  desselben  durch  den  Mutter- 
halskanal machte  nicht  selten,  zumal  bei  hochstehendem 
Scheidentheile  einige  Mühe,  und  gelang  in  der  Regel  nur  bei 
Armirung  des  Katheters  mit  dem  Silberdrahte ;  doch  wurde  der 
Katheter,  sobald  als  der  Mutterhals  passirt  war,  über  den 
Siberdraht  weiter  vorgeschoben,  der  Draht  zurückgezogen. 
Zwei  Mal  war  der  Muttermund  vorher  mittels  des  von  mir 
bei  Nichtschwangeren  wegen  Enge  des  Muttermundes  vielfach 
mit  gutem  Erfolge  gebrauchten,  in  einer  Uterussonde  verbor- 
genen Doppelmessers  *)  von  innen  nach  aussen  eingeschnitten. 
Vier  Mal  geschah  es,  dass  bei  Einführung  des  Katheters  das 
Fruchtwasser  sofort  abfloss,  in  einem  anderen  Falle  erfolgte 
der  Wasserabfluss  zwei  Stunden  später.  In  acht  Fällen  traten 
die  Wehen  5  Minuten  bis  12  Stunden  nach  Einlegung  des 
Katheters   auf  und   entwickelten  sich  regelmässig.    Bei  drei 


1)  S.  Martin,  Handatlas  der  Gynäkologie  und  Geburtshülfe. 
Berlin  1862.    Taf,  LXVIU.,  Fig.  6,  6  a. 


für  Gebnrtshfilfe  in  Berlin.  99 

Frauen  schob  ich,  als  nach  5 ,  bezüglich  12  und  16  Stunden 
keine  gehörigen  Wehen  zu  Stande  gekommen  waren,  einen 
zweiten  stärkeren  Katheter  neben  dem  ersten  ein,  und  ver- 
anlasste damit  alsbald  den  Beginn  wirksamer  Geburtswehen. 
Die  Ausstossung  oder  Entwicklung  der  Frucht  erfolgte 
1  Mal  12  Stunden  nach  Einleguog  des  Katheters. 


1 

>» 

16  Stunden 

2 

11 

18  Stunden 

1 

V 

20  Stunden 

1 

»> 

22  Stunden 

1 

w 

24  Stunden 

1 

»» 

30  Stunden 

1 

» 

42  Stunden 

1 

« 

52  Stunden 

Von  den  zehn  Kindern  kamen  6  lebend  zur  Welt,  von 
den  Maltern  erkrankte  eine  an  Metritis  und  Lymphangioms, 
der  sie  erlag;  eine,  bei  welcher  das  lebende  Kind  wegen  Ver- 
langsamung der  Herztöne  desselben  mit  der  Zange  extrahirt 
werden  musste,  erlitt  einen  Beckenabscess,  nach  dessen  Ent- 
leerung sie  genass;  zwei  Mütter  erkrankten  an  Metroperito- 
niÜ6,  zu  welcher  sich  bei  der  einen  Scarlatina  puerperalis 
und  Furunculosis  gesellte,  beide  wurden  geheilt;  die  übrigen 
sechs  Mütter,  von  welchen  zwei  wegen  bedrohlicher  Erschei- 
nungen für  die  Mutter  oder  das  Kind  mit  der  Zange,  zwei 
andere,  (die  eine  wegen  Querlage  des  Kindes,  die  andere  wegen 
irreponibelen  Nabelschnurvorfalls)  mittels  der  Wendung  auf 
den  Fuss  von  lebenden  Kindern  entbunden  werden  mussten, 
überstanden  das  Wochenbett  ohne  alle  Störung. 

Zwei  Beispiele  von  Einleitung  der  Frühgeburt  durch  die 
Einlegung  eines  Katheters  in  die  Gebärmutterhöhle  mögen 
hier  folgen. 

a)  Frau  W.  L.  aus  H.,  36  Jahre  alt,  44  6"  gross,  blond, 
weiss  nichts  von  überstandener  englischer  Krankheit,  wurde 
im  achtzehnten  Lebensjahre  menstruirt,  und  31  Jahre  alt  1854 
in  ihrer  Heimath  von  einem  unter  der  Geburt  abgestorbenen 
Knaben,  nach  vergeblichen  Versuchen  mit  der  Kopfzange 
durch  einen  auswärtigen  Collegen,  endlich  von  mir  mittels 
Perforation  und  Kephalothrypsie  entbunden.  Sie  erkrankte  in 
jenem  Wochenbette  an  Metritis  und  Phlegmasia  alba  dolens, 

7* 


100  II.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

'  Nachdem  sie  ihre  Menstruation  am  24.  August  1857  zuletzt 
'  bemerkt 'hatte,    und    die   Kindesbewegungen   vor  Weihnacht 
aufgetreten   waren,    kam    sie    am    12.    April    1858   in    die 
'Entbindungsanstalt  fcu  Jena    mit  'ftdematös  angeschwollenem 
linkem  Beiire.    Die  jetzt   wiederholte  Beckenmessung  ergab 
Sp.  J.  ='7"  9'",  Cr.  J.  =  9",  Treten.  i=  10",  Conj.  extern. 
=  6"  6"',  #diagon.  =  4".    Die  Kreuzgegend  erschien  stark 
eingezogen  und  der  Processus  spindstts  des  letzten  Lenden- 
wirbels stark  herabgeruckt   Den  bei  der  früheren  Entbindung 
eingerissenen  Muttermund  fand  man  geoühet,  wulstig,  darüber 
den  vorliegenden  Kindeskopf;  die  Herätöne  hörte  man  an  der 
rechten  Seite  der  Mutter.     Am  15.  April  Mittags  2  Uhr  schob 
ich  einen  elastischen,  mit  Mandrin   armirten  Katheter  hinter 
der  vorderen  Wand  der  Gebärmutter  etwa   6"  hoch  hinauf! 
'  Als  Abends  7  Uhr  keine  Wehen  eingetreten,  führte  ich  einen 
'  zweiten  Katbeter'  zwischen  Eihäute  und  Uteruswand  etwa  9" 
hoch4  ein.     Einige'  Stünden  später,    nachdem   leichte  Wehen 
sich  eingestellt,   begann  ein  anhaltender  Fruchtwasserabfluss. 
Gegen  6  Uhr  Morgens  (16;  April)  wurden  die  Wehen  stärker 
und' 'häufiger;  um* 7  Uhr  früh  trat  ein  sehr  heftiger  Schüttel- 
frost' mit  beschleunigtem  Pulse   und  nachfolgender  Hitze  und 
1  Durst  auf.    Dessenungeachtet  nahmen  die  sehr  empfindlichen 
Wehen  an  Häufigkeit  und  Wirksamkeit  zu ,  und  nach  mehr- 
'  maligem  Erbrechen  fand  ich  um  10  Uhr  Vormittags  den  Mutter- 
:  mund  1"  hn  Durchmesser,  den  Kopf  im  Beckeneingange,  die 
kleine   Fontanelle  rechts,    dabei  einen   massigen  Blutabgang. 
Sehr  kräftige  Wehen  trieben  sodann  den  Kopf,  entsprechend 
dem  Mechanismus  der  zweiten  Schädellage,  in  die  Beckenhöhle 
herab.     Als  Nachuiittags   21/*  Uhr  die   Kreissende   sehr   er- 
:  schöpft  wurde,  und  der  Blutabgang  fortdauerte,  extrahrrte  ich 
nach  eingeleiteter  Chloroformnarkose   mittels    der  Kopfzange 
'nach    einigen   deichten   Incisiönen   in   den   narbig  verhärteten 
Damm  den  Kopf,  und  entwickelte  ein  lebendes  Mädchen  von 
5  Pfand  ll'Loth,   11  %>"  resp.  17":  Länge;    die  Kopfdurch- 
messer betrugen  2"  9'",  3"'3'",  3"  11'",  4"  9"'.  Dem  Kinde 
folgten  einige  beträchtliche  Blutcoagula,   Und   die  Nachgeburt 
nach  V4  Stunde.     Die  sich  entwickelnde  Melriüs  wurde  bald 
beseitigt,    und   das  Kind,   von   einer  Amme   genährt,    gedieh 


für  Geburtehülfe  in  Berlin.  10J, 

vortrefflich*    sodass  Mutter  und  Kind  nach  einigen  Wochen., 
gesund  aus  der  Entbindungsanstalt  entlassen  werden. konnten. 

J)  Frau,  Ä,  27  Jahre  alt,  4'  gross,  von.  sehr  zierlichem., 
Knochenbaue,  überstand,  obschon  sorgfältig  gepflegt,  in  der. 
Kindheit  die  englische  Krankheit,  wurde  später  aber  gesund* 
und  von  einer  ungewöhnlichen  Energie.    Die  erste  Entbindung 
im  Frühlinge  des  Jahres  1857  war  eine  äusserst  langwierige; 
die    sehr    anstrengende    Zangenoperation     eines    erfahrenen, 
Collegen  förderte  ein  todtes  Kind  zur  Welt»    Mitte  September.. 
1858  war  die  Menstruation  wieder  ausgeblieben,   die  ersten 
Kindesbewegungen,  zeigten    sich    in   den   ersten   Tagen    des.. 
Februar.,  Die. von  mir  vorgenommene  Beckenmessung  ergab; . 
Hfiflenumfang  29'<,   Sp.  J.  ==  8V2",   Cr.  J.  =  9Va",  TVoch«. 
=F  10V>  Conjug,  ext.  —  6  V*",  diagon.  =  3"  8'<'.    Da  der 
gerade  Durchmesser  hiernach  nahezu  3"  betrug  und    auch 
die  Querduxchmesser   des   Beckens    unter  der  Norm  waren, 
somit  der  Beckenraum  durchweg  verengt  erschien,  wurde  am.. 
7.  Mai  1859  nach  Verordnung  eines  Abführmittels  aus  Bitter- 
wasser, die  Uterusdouche  mit  einer  Klysopompe,  29°  warm, 
10  Minuten  lang  zwei  Mal  angewendet   Die  Nacht  zum  8.  Mai  • 
verlief  unter  geringem' Ziehen  im  Kreuze  ruhig.   Am  folgenden 
Morgen    schob   ich   in    den.  aufgelockerten,    wenig    offenen., 
Muttermund   einen  elastischen  .  Katheter  .  ein.    Die  im  Laufe 
des  Tages  eintretenden  Wehen  verstrichen  den  Scheidentbeil: < 
bis  Abends  7,  Uhr,  und  erweiterten  den  Muttermund  zu  Vt" ■• 
Durchmesser.    Nachts  12  Uhr  erschien  der  Muttermund  fast 
vollständig  erweitert,  die  Fruchtblase  stellte  sich.    Am  9»  Mai 
früh  V22  Uhr  trat  die  Fruchtblase  vor  den  Scheidenausgang, 
heraus  und  wurde  daher  gesprengt;  ich  .fand  die  rechte  Schul- 
ter im  Beckeneingange,    davor  eine  Nabelschnurscblinge ,  den 
Kopf  der  Frucht  über  der  rechten.  Weiche  hinter  den  Bauch- 
decken.   Nach,  eingeleiteter  Ghloroformnarcose  führte,  ich  in . 
der  linken . Seitenlage  der  Kreissenden  sofort  die  rechte  Hand, 
von  hinten  in  die  Scheide  und  die.  Gebärmutter  ein,  holte, dea 
rechten  Fuss  herab,  und  vollzog  nach  vorsichtiger  Umdrehung 
des.  Kindes   die   Extraction   auf  dem   Querbette,     Das  etwa 
4  Pfand  schwere  Mädchen  kam  zwar  zum  anscheinend  voll- 
ständigen Athnaen  und  Schreien;  allein  nach  12 »Stunden  er- 
lo$cb  das  zarte  Leben.     Die  Mutter  überstand- das. Wochen- 


102  II.    Verhandlungen  der  OeeeJbcnaft 

bett  ohne  besondere  Zußlle.  —  Anfang  Juni  1860  blieb  die 
Menstruation  wieder  aus;  Anfang  September  wurden  wieder 
Kindesbewegungen  wahrgenommen,  die  Schwangere  befand 
sich  dabei,  mit  Ausnahme  von  Hartleibigkeit,  wohl.  Nach 
Bestätigung  des  früheren  Befundes  bei  der  Beckenmessung 
wurden  am  10.  Januar  1861,  etwa  in  der  35.  Schwanger- 
schaflswoche  in  derselben  Weise,  wie  das  vorhergehende  Mal, 
zwei  Scheidendouchen  gegeben,  und  am  11.  Januar  Morgens 
9  Uhr  durch  Einlegung  eines  elastischen  Katheters  die 
Wehenthätigkeit  angeregt.  Gegen  Abend  traten  Gebärmulter- 
contractionen  auf,  dieselben  wurden  aber  später  so  schmerz- 
haft, dass  die  Kreissende  dringend  die  Anwendung  des 
ihr  von  dem  vorigen  Male  wohlbekannten  Chloroforms  ver- 
langte. Unter  leichter  Chloroform -Narkose  erweiterte  sich  am 
12.  Januar  früh  9  Uhr  der  Muttermund  vollständig,  so  dass 
jetzt  der  eingelegte  Katheter  entfernt  werden  durfte.  Eine 
halbe  Stunde  später  sprang  die  Fruchtblase  und  der  Kopf 
trat  in  der  ersten  Stellung  in  das  Becken  herab.  Trotz  sehr 
kräftiger  wohlverarbeiteter  Wehen  rückte  der  Kindeskopf, 
welcher  das  enge  Becken  vollkommen  ausfüllte,  nur  langsam 
vor,  und  blieb  von  4  Uhr  früh  auf  dem  Beckenboden  unbe- 
weglich stehen.  Da  die  Kopfgeschwulst  eine  sehr  beträcht- 
liche geworden  und  die  Kreissende  von  dem  stundenlangen 
heftigen  Pressen  und  Drängen  im  hohen  Grade  erschöpft  war, 
legte  ich  unter  erneuerter  Chloroform -Narkose  um  5  Uhr 
früh  die  Kopfzange  nicht  ohne  Mühe  an,  und  extrahirte  nach 
5  Minuten  langer  Arbeit  einen  scheintodten ,  aber  wohlgebil- 
deten Knaben  von  mehr  als  5  Pfund  Gewicht,  welcher  durch 
anhaltendes  Reiben,  Besprengen  mit  kaltem  Wasser  u.  s.  w. 
allmälig  zum  vollständigen  Athmen  kam,  und  bald  an  der 
Brust  einer  tüchtigen  Amme  trefflich  gedieh.  Die  Nachge- 
burtsperiode und  das  Wochenbett  verHefen  ohne  bemerkens- 
werthe  Zufalle,  und  das  Kind  hatte  im  October  bereits  zwei 
Zähne. 

7.  Der  Eihautstich,  die  älteste  Methode  zur  Einleitung 
der  Frühgeburt,  wurde  von  mir  in  zwei  Fällen  angewendet, 
und  zwar  in  den  bei  Erörterung  der  Indicationen  bereits  aus- 
führlich mitgetheilten  beiden  Fällen  von  Eiwassersucht  Der 
Erfolg  war   bei   diesem  eigenthümlichen  Leiden  ein  rascher 


für  Geburtshülfo  in  Berlin.  103 

und  für  dfe  Mütter  durchaus  befriedigender,  wahrend  die 
Fruchte  (beide  Male  Zwillinge)  wegen  der  frühen  Schwanger- 
schaftszeit (28.  und  31.  Woche),  in  welcher  operirt  werden 
musste,  am  Leben  nicht  erhalten  werden  konnten. 


Anderweite  nach  Einleitung  der  Frühgeburt  zur  Vollendung 
derselben  nölhig  gewordene  Operationen  waren: 

Zwei  Mal  die  Wendung  durch  äussere  Handgriffe 
auf  den  Kopf  wegen  Querlage  der  Frucht  mit  vollkommen 
günstigem  Erfolge  für  die  Mutter  und  das  Kind. 

Zwei  Mal  die  innere  Wendung  auf  den  Fuss  und 
zwar  einmal  wegen  Schulterlage  der  Frucht  mit  Vorfall  einer 
Nabelschnurschlinge,  das  andere  Mal  wegen  irreponiblen  Nabel- 
schnurvorfalls neben  dem  Kopfe,  und  Druck  auf  die  Nabel- 
schnur. In  beiden  Fällen  wurden  die  Kinder  lebend  zu  Tage 
gefordert,  und  die  Mütter  genasen  ohne  Störung  des  Wochenbetts. 

Vier  Mal  wurde  die  Extractioti  an  den  vorliegenden 
oder  eingeleiteten  Füssen  ausgeführt,  und  dadurch  drei  Kin- 
der erhalten,  das  vierte  starb  ab,  indem  die  Hindurchführung 
des  bereits  zu  gross  und  fest  gewordenen  Kopfes  durch  das 
sehr  enge  Becken  dem  anwesenden  Assistenten  nicht  rasch 
genug  gelang. 

Vier  Mal  wurde  der  Kindskopf,  als  derselbe  in  der 
Beckenhöhle  stecken  blieb,  und  für  die  Mütter  oder  die 
Früchte  Gefahr  eintrat,  mittels  der  Kopfzange  ausgezogen 
Drei  Kinder  und  Mütter  wurden  dadurch  erhalten,  das  vierte 
Kind  war  schon  mehrere  Stunden  abgestorben  und  faul. 

Als  Endresultat  dürfte  aus  den  vorstehenden  zweiund- 
zwanzig Operationsfällen  hervorgehen,  dass  die  künstliche  Früh- 
geburt, womöglich  erst  in  der  34.  oder  35.  Schwangerschafts- 
woche, am  erfolgreichsten  nach  einigen  vorbereitenden  warmen 
Scheidendouchen  mittels  Einlegung  eines  elastischen  Kathe- 
ters in  die  Gebärmutterhöhle  einzuleiten  sei.  Für  die  Fälle 
von  lebenbedrohender  Eiwassersucbt  bleibt  hingegen  das  Ab- 
lassen des  Fruchtwassers  das  geeignete  Verfahren. 


Nach  vollendeter  Niederschrift  vorstehender  Mittheilung 
führte  die  Güte  des  Doetor  Moritz  in  Graudenz  mir  noch  einen 
für  die  künstliche  Frühgeburt  geeigneten  Fall  zu,  welcher  von 


104  II.    Verhandlungen  4»r  Getelltcliaft 

den  Praktikanten  meiner  .Klinik:  mit  lebhaftem  Interesse  Ter-, 
folgt)  hier  angereiht  werden  mag. 

Durch  Rhachitis.  veranlasste  Beckenenge,  mittleren 
Grades.     Drei   Entbindungen    durch  Perforation. 
Künstliche     Frühgeburt     mit    Wendung     durch 
äussere   Handgriffe.    Erhaltung  der  Mutter  und,, 
des  Kindes. 

Die  Nagelscbmiedsfrau  Zuchotoska  aus  Löbau,  37  Jahre 
alt,  klein,  zierlich  v  blond,  hatte,  nachdem  sie  bereits  geben, 
konnte,  sechs  Jahre  lang  an  der  englischen  Krankheit  gelitten 
und  dabei  stets  im  Bette  gesessen.  Seit  dem  zwanzigsten  Jahre 
menstruirt,  abortirte  sie  im  zweiten  Monate  vor  13  Jahren  in 
Folge  der  Pocken.  Bei  den  drei  folgenden  Geburten  musste 
das  ausgetragene  Kind  perforirt  werden,  nachdem  im  achten 
Monate  der  vierten  Schwangerschaft  von  dem  behandelnden 
Arzte  die  künstliche  Frühgeburt  mittels  der  Tamponade  der 
Scheide  vergeblich  versucht  war.  Nachdem  die  Menstruation 
im  März  1861  zuletzt  sich  gezeigt ,  sandte  der  frühere 
Arzt  der  Z.  dieselbe  am  9.  November  an  mich;  damit  die 
Frühgeburt  eingeleitet  werde.  Die  kleine  pockennarbige 
blasse  zarte  Frau  zeigte  einen  Hüftenumfang  von  89  Centim., 
Sp.  J.  =  9"  2<",  Cr.  J.  =="  9"  3"<,  Rechter  schräger  Durch- 
messer am  grossen  Becken  =  6"  7'",  linker  =  6"  5".  Conj. 
extern.  =  6",  Conj.  diagon.  =  3"9<".  Der  Muttergrund  stand 
in  der  Herzgrube,  der  Scheidentbeil,  ein-  zierlicher  fester 
Zapfen  erschien,  hoch  an  der  linken  Beckenwand  fixirt;  der 
vorliegende  Theil  war  mit  Bestimmtheit  nicht  zu  erkennen.  Die 
äussere  Untersuchung  erwies  eine  Schieflage  des  Kindes,  Kopf 
links  über  der  Weiche.  Obschon  die  Schwangere  weder  über 
den  Beginn  der  Schwangerschaft,  noch  über  den  Eintritt  der 
Kindesbewegungen  bestimmten  Aufschluss  zu  geben  vermochte, 
entschloss  ich  midi  dodij  die  künstliche  Frühgeburt  ein- 
zuleiten. Nach  Darreichung  eines  Abführmittels  aus  Bittersalz 
wurde  am  14.  Nov.  1861  Abends  5  Uhr  die  erste  Douche 
mit  30°  warmen  Wasser  10  Minuten  lang  gegeben   und  am 

15.  Morgens    8   Uhr   und  i  Abends   6  Uhr   wiederholt:    Der 
Scheidentheil -zeigte  sich,   ohne  dass  Wehen  aulgetreten,  am 

16.  Morgens    8  Uhr   aufgelockert,   der   Muttermund  <  durch* 


ffi*  GpVvbliiilfe  in  B^xlin,  105  : 

gängig,  sodass  ich  ohne  Muhe  auf  dein  Querbette  einen  armir- 
ten  elastischen  Katbeter  in  die  linke  Seite  der  Gebärmutter 
10  7- 11"  hinaufscbob.  Obgleich  im  Laufe  des  Tages  all- 
mälig  Fruchtwasser  abfloss,  bemerkte,  man  Abends  6  Uhr 
doch  nur  eine  massige  Erweiterung  des  Muttermundes  und 
keine  deutliche  Weben.  Deshalb  schob  ich,  nachdem  durch 
äussere  Handgriffe  der  über  der  linken  .Weiche  liegende  Kinds-  . 
köpf  in  den  Beckeneingang  hineingeschoben  war,  und  die 
Kreissende  auf  der  linken  Seite  lag,  einen  zweiten  stärkeren 
Katheter  neben  den  vorher  eingelegten  in  die  Gebärmutter 
fast  vollständig  ein,  wonach  eine  geringe  Menge  Blut  und 
ziemlich  viel  Fruchtwasser  abfloss,  Eine  Stunde  später, 
zeigten  sich  deutliche  Wehen  von  je  2  Minuten  Dauer,  alle 
10  Minuten  wiederkehrend.  Der  Kopt  des  Kindes  blieb:  über 
dem  Muttermunde,  welcher  jedoch  gegen  Mitternacht  noch 
eine  ziemliche  Spannung  zeigte,  so(dass  ich  einige  Dosen  Päd. 
tpecacuanbae  reichen  liess.  Nachdem  Eibrechen  erfolgt  war, . 
trat  der  Kopf  in  zweiter  Schädelstellung  in. den  Beckeneingang 
herein  und  bedeckte  sich  mit  einer  Kopfgescbwulst.  Da  die 
Weben  sehr  schmerzhaft,  die  Scheide,  sehr  beiss  und  die 
vordere  .wie  hintere,  Mutterlippe  beträchtlich  angeschwollen 
waren  (Puls  112),  nahm  ich  (J7.  Nov.)  4  Uhr  früh  die:  beiden 
Katheter  weg.  Um  8  Uhr  war  die  Hitze  der  Scheide  ge- 
mindert, der  vorliegende  Kopf  vor  dem  Promontorium  herab- 
gedrängt, von  den  geschwollenen  Mutterlippen  vorn  und  hinten 
umgeben,  und  die  Wehen  äusserst  schmerzhaft,  daher  ordnete 
ich  eine  leichte  Chloroformnarcose  an.  AUmälig  ward  das 
linke  Scheitelbein  tiefer  herabgedrängt,  die  grosse  Fontanelle 
in  der  linken  Beckenhälfte  zu  fühlen.  Das  seit  8  Uhr  ab- 
fliessende  Meconium  liess  ebenso  wie  die  wechselnde  Frequenz 
der  Herztöne  (140 — 86)  für  das  Leben  des  Kindes  fürchten, 
als  nach  einer  Lagerung  der  Kreissenden  auf  die  rechte  Seite 
um  11  Uhr  die  Mutterlippen  zurückwichen  und  das  Hinter- 
haupt in  das  Becken  hereinrückte,  so  dass  die  Lambdanaht 
deutlich •  fühlbar  wurde,  und  gegen  %12  Uhr  Mittags  die. 
Geburt  eines  bald  aufschreienden  Knaben  rasch  erfolgte.  Der- 
selbe wog  6  Pfund  '2  Loth  und  zeigte  folgende  Kopfdurch- 
messer: 2%",<3V4",  4"2'",  4"'10"'>  8"  7'".  Der  Schädel 
war  auf  der  rechten  Hälfte  beträchtlich  abgeflacht. und. zeigte 


106  H*    Verhandlungen  der  GeeeHichaft 

daselbst  in  der  Schläfengegend  eine  tiefe  Impression,  mit 
Sugillaüon  der  Haut  neben  dem  hervorgetretenen  Stirnbein- 
rande ;  ahnlich,  jedoch  minder  tief,  war  der  Eindruck  auf  der 
linken  Schläfe  (entsprechend  der  innen  hervorspringenden 
Schamfuge)  mit  Röthung  der  Haut,  von  welchem  ein  ge- 
rötheter  Hautstreifen  über  dem  linken  Ohre  zum  Hinterhaupt 
verlief.  Das  linke  Scheitelbein  war,  abgesehen  von  der  be- 
trächtlichen Kopfgeschwulst,  stark  hervorgetrieben.  Die  Nach- 
geburt von  Meconium  grün  gefärbt,  1%  Pfund  schwer,  folgte 
einem  massigen  Drucke  auf  den  Mutterkörper. 

Die  Mutter  war  sehr  erschöpft,  blass  und  erlitt  eine 
Stunde  später  eine  Nachblutung,  welche  den  Gebrauch  der 
Tr.  cinnamoni,  des  Seeale  corn.  und  der  Compression  des 
Mutterkörpers  forderte.  Wegen  hoher  Empfindlichkeit  des 
Uterus  wurden  Abends  kalte  Umschläge  verordnet,  welche  am 
folgenden  Tage  mit  einer  Eisblase  bedeckt  bis  zum  sechsten 
Tage  in  Anwendung  blieben.  Innerlich  verordnete  ich  allein 
eine  Emulsio  papaverina  mit  Liq.  kali  acetici.  Das  Kind  zeigte 
am  zweiten  Tage  als  Folgen  der  Hirnreizung  oder  des  Blut- 
ergusses ia  die  Schädelhöhle  an  der  Impressionsstelle  Zuckungen 
der  Gesicbtsmuskeln  und  der  rechten  Körperhälfte,  genas  aber 
nach  Anlegung  eines  Blutegels  an  die  Stirne,  und  gedeiht  am 
12.  December  an  der  Brust  der  genesenen  Mutter. 


Herr  Kauffmann  bestätigt  den  Zusammenhang  zwischen 
habituellem  Absterben  und  latenter  Syphilis  durch  eine  Beob- 
achtung aus  früherer  Zeit.  Eine  Frau,  die  mehrfach  todte 
Kinder  von  7 — 8  Monaten  geboren  hatte,  wandte  sich  an  ihn 
im  Anfange  ihrer  vierten  Schwangerschaft  Herr  K.  suchte 
den  Grund  dieser  Anomalie  in  einer  Anaemie  der  Schwan- 
geren, die  sich  durch  Durchsichtigkeit  der  Haut,  Blässe  der 
Lippen  und  odematöses  Ansehn  der  Wangen,  Hände  u.  s.  w. 
aussprach.  Eine  eingeleitete  China-  und  Eisenkur  in  Ver- 
bindung mit  Mineralsäuren  Hess  das  Kind  auch  in'  der  That 
lebend  das  normale  Ende  der  Schwangerschaft  erreichen;  es 
wurde  anscheinend  gesund  geboren,  später  indess  von  einem 
ausgebreiteten,  syphilitischen  Ausschlage  befallen. 

Herr  Abarbaneü  beobachtete  einen  Fall  habituellen  Ab- 
sterbens,   in  welchem   er  eine  syphilitische  Infektion  gänslich 


für  Gefaurtshtilfe  in  Berlin,  107 

in  Abrede  stellt  Eine  Frau,  die  zehn  Jahre  lang  nach  ihrer 
ersten  Entbindung  wegen  einer  damals  zurückgebliebenen 
chronischen  Metritis  unfruchtbar  war,  wurde  nach  endlicher 
Beseitigung  dieses  Uebels  wiederholt  schwanger,  trug  aber  die 
vier  ersten  darauf  folgenden  Kinder  nicht  aus,  sondern  abortirte 
erst  zwei  Mal  und  gebar  die  beiden  letzten  Kinder  todt  im 
sechsten  und  siebenten  Monate.  Erst  die  fünfte  Schwanger- 
schaft führte  zur  Geburt  eines  lebenden  gesunden  Kindes. 

Herr  Krieger  will  auch  die  Syphilis  nicht  als  alleinige 
Ursache  des  habituellen  Absterbens  gelten  lassen.  Eine  Frau, 
die  er  lange  Zeit  an  Milzanschwellung  behandelte  und  bei 
der,  so  wie  bei  ihrem  Manne  keine  Spur  syphilitischer  Er- 
krankung je  vorgekommen  war,  gebar  im  Jahre  1855  ein  leben- 
des Kind,  welches  sieben  Wochen  alt  an  einer  Zellgewebs- 
entzöndung  des  Halses  starb.  Im  Jahre  1856  abermals  ein 
lebendes  Kind,  welches  drei  Wochen  alt  an  Ikterus  und 
Lungenlähmung  starb.  Bei  der  folgenden  Schwangerschaft  1858 
erkrankte  sie  an  wassersüchtiger  Anschwellung  der  Schenkel 
und  des  Unterleibes  mit  grosser  Athemnoth,  gebar  etwa  vier 
Wochen  zu  früh  ein  scheintodtes  Kind,  welches  zwar  im 
Bade  noch  zuckte,  indess  nicht  athmete;  die  Placenta  war 
ähnlich  einer  Traubenmole  degenerirt.  Bei  der  nächsten 
Schwangerschaft  1860  litt  sie  wieder  an  erheblichen  Oedemen 
und  gebar  drei  Wochen  zu  früh  ein  todtes  wassersüchtiges 
Kind  mit  enormer  Hypertrophie  der  Nieren.  Die  Placenta  abermals 
zum  Theil  in  eine  Traubenmole  verwandelt  Als  ätiologisches 
Moment  kann  er  nur  eine  in  früherer  Zeit  überstandene  Inter- 
mittens  mit  chronischer  Milzanschwellung  bezeichnen. 

Herr  Brandt  sab  in  einer  Ehe  zwei  Kinder  todtfaul 
geboren  werden,  das  dritte  kam  zwar  lebend  zur  Welt,  wurde 
aber  bald  von  einem  Pemphigus  befallen,  dem  es  erlag.  Der 
Vater  litt  an  Acne  syphilitica. 

Herr  Martin  behauptet,  dass  ihm  unter  einer  verhält- 
nis8mässig  grossen  Anzahl  von  Beobachtungen  wiederholt  bei 
demselben  Elternpaare  frühzeitig  todtgeborener  Früchte  kein 
Fall,  den  er  genauer,  auch  durch  Nachforschung  bei  dem 
Vater  habe  verfolgen  können,  vorgekommen  sei,  in  welchem 
nicht  vorausgegangene   syphilitische   Affectionen    bei    beiden 


108  II.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Eltern  oder  doch  beim  Vater  stattgefunden  hatten..  Er  bfob- . 
achtete  wiederholt,  dass  Eltern  im  Anfange  ihrer  Ehe  gesunde 
Kinder  zeugten,  später  aber,  nachdem  der  Ehemann  oder  die 
Frau  eine  syphilitische  Infection  sich  zugezogen,  mehrere  an 
der  von  ihm  unter  dem  Namen  Hydrops  sanguinolentus 
beschriebenen  Krankheit  abgestorbene,  oder  doch  bald  an 
Pemphigus  u.  s*  w.  erkrankende  Kinder  zur  Well  brachten. 
Umgekehrt  sah  er  auch  mehrere  Male,  dass  dergleichen  Eltern- 
paare nach  mehrfachem  habituellen  Absterben  ihrer  Kinder, 
sobald  als  sie  eine  antisyphilitische  Kur  durchgemacht,  später 
lebende  Kinder  zeugten,  so  wie  in  einem  Falle  dieselbe  Frau, 
welche  in  erster  Ehe  mit  einem  syphilitischen  Manne  und 
selbst  angesteckt  drei  in  der  genannten  Weise  abgestorbene 
Kinder  gebar,  in  zweiter  Ehe  mit  einem  gesunden  Manne 
viele  recht  gesunde  und  kräftige  Kinder  zur  Welt  brachte. 
Dennoch  behaupte  er  nicht,  dass  es  keine  weitere  Ursache 
des  habituellen  Absterbens  der  Früchte  im  Mutterleibe  gebe, 
und  wünsche  sehr  die  Mittheilüng  genau  beobachteter  und 
insbesondere  hinsichtlich  der  Todesart  der  Früchte  fest- 
gestellter Fälle  von  habituellem  Absterben  der  Früchte 
bei  welchen  Syphilis  der  Eltern  mit  Sicherheit  aus- 
geschlossen sei. 

Herr  Krittdler  macht  darauf  aufmerksam,  dass  Syphilis 
allein  nicht  Ursache  sein  könne,  auch  wenn  sie  unbezwetfelt 
festgestellt  sei;  dejin  da  viele  lebend  geborene  Kindernach 
der  .Geburt  deutliche  Zeichen  angeborener  Syphilis  trügen,  so 
müsse,  notwendig  noch  ein  Mittelglied  vorhanden  sein,  wel- 
ches eben  das  vorzeitige  Absterben  bedinge. 

Durch  mehrere,  in  der  Debatte  vorgebrachte  andere  Fälle 
todtgeborener  Früehte ,  die .  zwar  nicht  als  Belege  für  habi- 
tuelles Absterben  gelten  können,  wjurde  indess  die  Frage  an- 
geregt und  länger  discutirt,  was  unter, der  Bezeichnung. „todt- 
faul"  zu  verstehen  sei. 

Herr  Kriegpr.  unterscheidet  zwei  Arten  todtfauler  Früchte. 
Die  einen,  welche,  erst  im.  Momente  der  Geburt  die  geschlos- 
senen Eihäute  sprengen ,  zeigten  ,  auch  bei  vorgeschrittener 
Maceration  immer  einem  süssüchen  faden  Geruch;  die  anderen, 
bp   denen   durch   frühzeitige   Sprengung  der  Blase,  die  Luft 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  109 

schon  längere  Zeit  freien*  Zutritt  gehabt,  hätten  den  fauli&en 
Verwesungsgeruch  wie  jede  tbicMsche  Masse.  Der  Fäll,  den 
er  im  Sinne  gehabt,  beträfe  die  erste  Art  und  sei  dort  der 
Tod  jedenfalls  nicht*  lange  vor  der  Geburt  erfolgt;  indess  be- 
wiesen ja'  einzeihe  ZwiHingsschwangerschaften ,  wo  ein  mace- 
rirter  Foetus  beben  einem  lebenden  Kinde  geboren  werde, 
dass  auch  ein  langes  Verweilen  im  Uterus  ohne  Luftzutritt 
die:  Fäulniss  nicht  zu  Stande  kommen  lasse. 

1  Herr  Martin  erklärt  sich  gegen  die  Bezeichnung  „  todt- 
faul "  für  die  Fruchte ,  welche , '  nachdem  sie  längere  Zeit 
(Woihen,  Monate)  abgestorben  bei  unversehrten, Eihäuten  in 
dem  Fruchtwasser  verweilten,  wie  gewöhnlich  rasch,  etwa 
ririt  der  Nachgeburt  eines  alisgetragenen  Zwillings,  geboren 
werden.  Dergleichen  Früchte  zeigten  nafch  seiner  Erfahrung 
einesthells  die  Produkte  dei1  Krankheiten  uüd  Läsionen,  denen 
sie  Pflegen  sind  z.  B.  Exsudate  auf  der  Körperoberfläche, 
Verwachsung  öder  AbrdssuAg  der  Nabelschnur,  Reste  innerer 
Krankheiten  u.  s.w. ,  —  andererseits  die  Erscheinungen  der 
Macer ation:  geschrumpfte  Epidermis,  Lockerung  aller  Gebilde 
auch -der  Knochenvertrimhmgen  u:  s.  w.  -  In -keinem*  Falle  der 
Art  habe  er  Entwicklung  von  Fäulnissgasen  gesehen,  wenn 
die  auch  länger  abgestorbenen  Früchte  bald  nach  dem  Blasen- 
sprunge geboren  seien  und  wünsche  deshalb  für  diese  Fälle 
eine  andere  Bezeichnung;  der  eigentümlich  fade  süssliche 
Geruch ,  welchen  man  an  den  in  Folge  von  Hydrops  sangui- 
nolentus  abgestorbenen  Früchten  wahrnehme,  sei  vom  Fäulniss- 
geruche  wesentlich  verschieden,  und  scheine  der  genannten 
Krankheit  anzugehören.  Wahre  Fäulniss  der  Früchte  im 
Mutterleibe  mit  Bildung  von  Fäulnissgasen  habe  er  nur  da 
beobachtet,  wo  atmosphärische  Luft  zu  der  abgestorbenen 
Frucht  hinzugetreten  war,  wie  es  bei  vorgefallenen  Kindes- 
theflen  oder  bei  vergeblichen  Operationsversuchen  mittels  Ein- 
führung, wenn  auch  nur  der  halben  Hand  vorkomme.  Ein 
exquisiter  Fall  der  Art  sei  während  des  vergangenen  Früh- 
jahres in  der  geburtshülflichen  Poliklinik  beobachtet;  hier 
habe  nach  vergeblichen  Repositionsversucben  der  vorgefallenen 
Nabelschnur  die  Frucht,  als  sie  wegen  sehr  verzögerter 
Erweiterung  des  Muttermundes  36  Stunden  später  extrahirt 
sei,   einen   solchen   Grad   von   Fäulniss  mit  Emphysem   der 


110 


II.    Verhandinngen  der  Gesellschaft 


Haut  gezeigt,  dass  die  Operation  einen  ungewöhnlichen  Kraft- 
aufwand erforderte.  Die  Mutter  überstand  das  Wochenbett 
glücklich. 

Herr  Krieger  beruft  sich  auf  die  bisher  gebräuchliche 
Bezeichnungsweise,  die  man  nicht  so  leicht  umstossen  könne; 
auch  sei  die  Wassersucht  nicht  constatirt,  er  glaube  die  Er- 
scheinungen eher  durch  Imbibition  erklären  zu  können. 

Herr  Martini  „Wie  soll  ein  todter  Körper  imbibiren, 
so  dass  sich  grössere  Mengen  von  blutiger  Flüssigkeit  in  den 
serösen  Säcken  ansammeln  ?" 

Herr  Krieger:  „Nicht  sowohl  von  aussen  aus  dem  Frucht- 
wasser als  aus  dem  Blutserum.4' 

Die  Debatte  schloss  hier,  da  nicht  genug  eingehende 
Beobachtungen  todtfauler  Kinder  vorlagen.  Es  wurde  aber 
allgemein  der  Wunsch  ausgesprochen,  diesem  Gegenstande 
eine  dauernde  Aufmerksamkeit  zuzuwenden,  um  bei  einschlag- 
lichen Beobachtungen  namentlich  durch  genaue  Sectionen  die 
eigentümlichen  Veränderungen  der  Früchte  festzustellen. 


No. 


Zustand  der  Matter  vor  der  Operation. 
Allgemeinzustand.  I    Beckenverhältnissc 


Ehefrau  des 
Bäckers 

Hamm**, 

SO  Jahre, 
in   sehr 

ärmlichen 
Verhält- 
nissen. 

Elherfeld. 


Vierte 
Geburt. 


Seit  fünf  Jahren  langsam,  in 
der  letzten  Schwangerschaft 
rapid  fortschreitende  Osteo- 
malacie  mit  Marasmus  und 
anhaltendem  chronischem 
Magen  -  und  Qronchial- 
catarrh.  Die  Frau  befand 
sich  cur  Zeit  der  ersten 
Untersuchung  in  der  ersten 
Geburtsperiode.  Stark  über- 
hängender Bauch,  geringe 
und  seltene  Wehen,  die  bis 
zum  Abend  sich  steigerten 
uud  die  künstliche  Beendi- 
gung der  Geburt  vor  Ab- 
flugs des  Fruchtwassers 
möglich  machte. 

Entbindung  am  9.  Septem- 
ber 1052.  bei  fast  erreichtem 
Ende  der  Schwangerschaft. 


Allseitig  zusammi 
gedrücktes  Beck« 
mit  stark  schnab 
förmiger  Symphj 
und  sich  berührend 
absteigenden  Scha 
beinästen.  Conjugi 
des  Eingangs  doi 
das  vorspringen 
u.  heruntergedrücl 
Kreuzbein  auf  1  Z 
verkleinert,  Qu« 
durchmesserdesAi 
gangs  l8/4— 2  Z< 
Schlüssellochformij 
Gestalt  des  Schal 
bogens. 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  Hl 

Der  Secretär  verliest  folgenden  von  Dr.  Pagenstecher 
in  Elberfeld  eingeschickten  Aufsatz. 

Ein  Beitrag  zur  Statistik  des  Kaiserschnittes 
nebst  einem  Anhange:  lieber  Osteomalacie. 

Von  den  nachstehend  mitgetheilten  Kaiserschnitten  sind 
die  fünf  ersten  bereits  in  diesem  Journal  1854  und  1858  ver- 
öffentlicht, die  fünf  letzten  sind  neu  hinzugekommen.  Ich  müsste 
diesen  zehn  Fällen  noch  einen  hinzufügen,  dessen  Protokoll 
mir  aber  zur  Zeit  abhanden  gekommen  ist  Die  Tabelle  ent- 
halt auszugsweise  aus  den  Journalnotizen  das  Wichtigste  über 
Allgemeinverhältnisse  wie  über  Beckendeformitäten  der  Mütter, 
über  den  Zustand  der  Kinder  vor  der  Operation  und  über 
den  Ausgang  der  Operation  für  beide  Theile.  Zum  Schluss 
sind  dann  die  Resultate  dieser  Fälle  übersichtlich  zusammen- 
gestellt, sowie  einige  klinische  Bemerkungen  über  Osteomalacie 
hinzugefügt. 


instand  des  Kindes 

Ausgang 

vor  der 

Bemerkungen. 

Operation. 

für  die  Mutter. 

für  das  Kind. 

3a s  Kind  lebte  nnd 

Die       Mutter 

Das           Kind 

Der  Fall  ist  in  Buseh-Siebold's 

lag:  mit  dem  Kopfe 

genas     nach 

wurde       bei 

Journal,  1854,  Heft  1  mit- 

vor. 

2—3        Mo- 

künstlicher 

getheilt. 

naten. 

Auffütterung 

Auffallend  war  die  rapide 

am       Leben 

Erweichung    der    kranken 

erhalten. 

Knochen     in     den    ersten 
Wochennach  der  Operation, 
die    eine  vollkommene  Be- 
weglichkeitgestattete, ohne 
dass    im  Harne    eine  Aus- 
scheidungsmehrung        der 
Salze  nachgewiesen  werden 
konnte. 

Die      Operation     wurde 
unter  sehr    günstigen   All- 
gemein Verhältnissen,    aber 
zur  rechten  Zeit  und  ohne 

vorgangige      Entbinduags- 

versuche  gemacht. 

112 


II.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


No. 


Namen 

und 
Stand. 


Geburts- 
zahl. 


Zustand  der  Matter  Tor  der  Operation. 
AHge  meinzustand.  Becken  Verhältnisse 


Ehefrau  des 

Arbeiters 
Mungenberg, 
40  Jahre, 
in  ganz 
ärmlichen 
Verhält- 
nissen. 
Elberfeld. 


I  Ehefrau  des 

Arbeiters 
Rudolf, 

28  Jahre, 
in  ganz 

ärmlichen 
Verhält- 
nissen. 

Elberfeld. 


Kennte 
Gebnrt. 


Zweite 
Gebnrt. 


Die  Frau  hat  seit  der  zwei- 
ten Schwangerschaft  an 
Knochenschmerzen  im 

Schoosse  und  in  den  Hüften 
gelitten,  die  vier  letzten 
Kinder  todt  unter  müh- 
samster Zangenoperation 
geboren  und  während  dieser 
letzten  Schwangerschaft 
fast  gar  nicht  aufstehen 
können.  Allgemeinzustand 
leidlich;  häufige  Cardialgie 
mit  Oppression,  Säure  u.  s.  w. 
Die  Geburt  hatte  vor  einigen 
Stunden  begonnen ,  die 
Wehen  waren  regelmässig, 
die  Blase  sprang  kurz  vor 
der  Operation. 

Entbindung  am  4.  De- 
cember  1857  bei  vollkommen 
ausgetragener  Frucht. 


Die  Frau  hat  vor  drei  Jahren 
ihr  erstes  Kind  nach  müh- 
samer Geburtsarbeit  lebend 
geboren,  dann  vier  Monate 
sich  gar  nicht  bewegen 
können.  Wiederkehr  der 
Kn  och  eng  ch  merzen  in  dieser 
Schwangerschaft;  im  letzten 
Vierteljahre  hat  die  Kranke 
nur  auf  dem  Bettrande 
sitzen  können.  Die  Geburt 
hatte  vor  20  Stunden  be- 
gonnen, das  Fruchtwasser 
war  vor  12  Stunden  ab- 
geflossen, etwa  1  —2  Stunden 
vor  meiner  Ankunft  war 
Ruptura  uteri  und  Austritt 
des  Kindes  in  die  Bauch- 
höhle erfolgt,  unter  Eintritt 
von  Kälte,  Pulslosigkeit 
und  vollständigem  Verfalle 
der  Gesichtszüge. 

Entbindung  am  9.  No- 
vember 1858  bei  erreichtem 
Schwangerschaftsende. 


Ziemlich  hoher  Stai 
des  Promontor 

Schnabelförmige 
Compression  d< 

Symphyse  und  di 
absteigenden  Schar 
heinäste ,  die  vol 
kommen  aneinand* 
lagen ,  Abstand  d< 
Tub'era  1  Zoll,  AI 
stand  desPromonto; 
vom  Tuber  4— 41/« 
Abstand  der  Spim 
iliacae  8  Zoll,  Coi 
jugata  extern.  6  Zol 


Das  Becken  war  nac 
dem  Sectionabefand 
wesentlich  halbseiti 
verengt  durch  di 
Hineinrücken  de 
letzten  Lendenwii 
bels,  welcher  nac 
rechts  und  vorn  s 
weit  in  den  Becker 
eingang  hineinragt« 
dass  die  ganze  recht 
Beckenhälfte  in  Fori 
eines  zu  %  g* 
schlossenen  Oval 
von  der  übrigen  Oel 
nung  des  kleine 
Beckens  abgeapen 
wurde,  indem  ihi 
gegenüber  der  enl 
sprechende  horizoi 
tale  Schambeinac 
eine  spitze  Ein 
knickung  nach  hin 
ten  zeigte.  Eingangs 
conjugata  8  Zoll 
Querdurchmesser  de 
Ausgangs  1  Zoll, 


fttr  Gebnrtoh&lfe  in  Berlin. 


113 


ustand  des  Kindes 

Ausgang 

vor  der 

Bemerkungen. 

Operation. 

für  die  Mutter. 

für  das  Kind. 

>as  Kind  lebte  nnd 

Die       Mntter 

Das           Kind 

Mitgetheilt  in  Btuch-Siebold's 

lug  mit  dem  Kopfe 

genas         in 

wurde      von 

Journal,  1858. 

vor. 

3— 4Wochen, 

der     Mutter 

Die  Operation  konnte  in 

nachdem  sie 

gesäugt   und 

günstigster  Zeit  und  ohne 

eine    leichte 

am       Leben 

vorgangige      Entbindungs- 

circnmscripte 

erhalten. 

versnche   gemacht  werden. 

Peritonitis 

Die  Nachgeburt  war  adhä- 

am         Ende 

rent     und     musste    gelöst 

der    zweiten 

werden.  Tüchtige  Blutungen 

Woche  fiber- 

und mangelhafteContraction 

standen 

der  früher  sehr  energischen 

hatte. 

Gebärmutter  waren  die 
Folge.  Der  Wochenfluss 
erfolgte  bis  zum  Ende  der 
ersten  Woche  grossentheils 
aus  der  Hautwunde. 

)as  Kind  war  todt 

Die       Mntter 

War  todt. 

Mitgetheilt  wie  Fall  2. 

und       lag      voll- 

starb 26  Stun- 

Der Riss  des  Uterus  lief 

kommen    beweg- 

den nach  der 

vom  Cervicaltheil  bis  sum 

lich  .  im  Bauche. 

Operation  in 

rechten   breiten  Bande  an 

Folge       der 

der     Hinterfläche     hinauf. 

Ruptur    und 

Die  Substanz  war  gesund, 

der    in   dem 

die   nächsten  Umgebungen 

Bauche     er- 

stark verdünnt,  wohl  noch 

folgten  Blu- 

in Folge  der  Ueberausdeh- 

tung. 

nung  und  ungleichmässigen 
Zusammensiehung. 

Es  erschien  wahrschein- 
lich, dass  das  Anstemmen 
des  Uterus  gegen  die  spitze 
Einknickung  des  Scham- 
beins in  Verbindung  mit 
sehr  unpassender  Anwen- 
dungwehenf ordernder  Mani- 
pulationen das  Zerreissen 
der  Gebärmutter  zu  Stande 
gebracht  hatte. 

*Mon*Uftchr.  f.  Oeburtak.  1SÖ2.  fi<l.  XIX.,  Hfl.  1  a,  2, 


114 


II.     Verhandlungen  der  Gesellschaft 


No 


Namen 

und 
Stand. 


Znstand  der  Mutter  vor  der  Operation. 
Allgemeinzastand.  Beckenverhältni*s< 


Unverehel. 

Bauers- 

tochter 

Holterkoff, 

in  leid- 
lichen Ver- 
hältnissen. 
Somborn. 


Ehefrau 

Hamm  et i 

vide  No.  1. 

Elberfeid. 


Erste 
Gebart. 


Fünfte 
Gebart. 
Zweiter 
Kaiser- 
schnitt. 


Gesund  and  kräftig  von 
Muskulatur,  massig  stumpf- 
sinnig und  hochgradig 
rhachitisch  gebaut.  Körper- 
grösse  knapp  31/,  Fuss; 
Schädel  flach  und  stark 
eckig  verbreitert,  Rohren- 
knochen sämmtlich ,  zum 
Tbeil  winklicht  verbogen. 
Die  Geburt  hatte  mit  sehr 
geringen  Wehen  Abends 
vorher  begonnen,  das 
Frachtwasser  war  allmälig 
seit  früh  Morgens  abge- 
gangen. 

Die  Entbindung  hatte  statt 
bei  erreichtem  Schwanger- 
schaftsende am  8.  März  1868 
Mittags  1  Uhr. 


Die  Fran  hatte,  nachdem  sie 
im  Jahre  1862  durch  den 
Kaiserschnitt  entbanden 
worden  war,  mehrfach  an 
Rückfällen  derOsteomalacie 
gelitten  und  war  in  dieser 
letzten  Schwangerschaft 
hochgradig  marastisch  ge- 
worden. Die  Beckenknochen  i 
schmerzten  heftig,  seit  Mo- 
naten hatte  die  Frau  nicht 
gehen  und  sitzen  können. 
Der  Bauch  hatte  eine 
enorme  Ausdehnung  erlitten 
und  hing  bis  zu  den  Knieen; 
seine  fast  papierdünnen 
Decken  waren  mehrfach 
nekrotisch.  Ich  sah  die 
Kranke  übrigens  seit  Jahren 
zum  ersten  Male  wieder 
am  Tage  der  Entbindung, 
nach  vollkommen  ausge- 
tragener Schwangerschaft, 
28.  März  1868. 


Allseitig  vereng 
Becken,  mit  eil 
Conjugata  des  £ 
gangs   von  2%  Zi 


Eine  genaue  Unt 
snchung  des  Beck« 
war  durch  den  üb 
hängenden  Bat 
und  durch  die  l 
mö'glichkeit,  unt 
halb  der  Symph; 
einzudringen,  si 
erschwert.  Bei 

Schambeinäste  Iaj 
bis  zn  den  Si 
knorren  fest 
einander,  die 
seitige  Verengen 
hatte  noch  sugen< 
men  nnd  die  errei 
baren  Knochen  wa 
fühlbar  verdünnt. 


für  GebnrUhfilf«  in  Berlin. 


115 


Zustand  des  Kindes 

▼or  der 

Operation. 


Ausgang 
für  die  Matter,    für  das  Kind. 


Bemerkungen. 


Das  Kind  lebte  und 
lag  mit  dem  Kopfe 


Die  Mutter 
genas  in  sehr 
kurser  Zeit 
und  stillte 
ihr  Kind 
selbst 


Das  Kind  lebte. 


Das  Kind  war  bei 
beginnender  Ge- 
burt todt,  sollte 
aber  Tags  zuvor 
noch  gelebt 

haben. 


Die  Mutter 
starb  80  Stun- 
den nach  der 
Entbindung 
an  unstill- 
barer Blu- 
tung in  dem 
Leibe. 


War  todt. 


Mitgetheilt  wie  Fall  2. 

Die  Heilung  erfolgte  ohne 
alle  Eiterung,  obsehon  die 
Operirte  schon  am  dritten 
Tage  aufstand  und  eine 
tüchtige  Schüssel  Kartoffeln 
▼erspeiste.  Die  Narbe  war 
▼ollkommen  fest  in  Haut 
und  weisser  Linie,  doch 
haben  steh  später  zwei 
oder  drei  kleine  nussgrosse 
Lücken  in  der  Vereinigung 
der  Linea  alba  gebildet. 


Der  Uterus  lag  mit  der  ein* 
geschlossenen  Frucht  dicht 
hinter  der  Bauchdecke, 
welche  nur  aus  der  äusserst 
▼erdünnten  Haut  bestand 
und  ganz  ausser  der  eigent- 
lichen Unterleibshöhle  vor 
den  Oberschenkeln  der  Frau. 
Die  Wände  derGebärmutter 
selbst  waren  papierdänn  und 
▼ollkommen  durchsichtig, 
den  Eihäuten  gleich.  Doch 
aog  sie  sich  nach  Entfernung 
des  Kindes  ziemlich  zu- 
sammen. Die  Blutung  war 
im  ersten  Augenblicke  un- 
bedeutend, füllte  aber  bis 
zum  anderen  Tage  den 
Bauch  bis  su  derselben 
Ausdehnung  und  Form ,  die 
er  vor  der  Entbindung  be- 
sessen hatte. 

Mitgetheilt  wie  Fall  2. 


*• 


116 


II.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


Namen 

und 
Stand. 


TJnverehel. 
Dienstmagd 

Helmrich, 
21  Jahre  alt, 

in  leid- 
lichen Ver- 
hältnissen. 

Elberfeld. 


Ehefrau  des 
Tagelöhners 

Prosper- 
aehild, 

34  Jahre, 
in  äusserst 

ärmlichen 

Verhält- 
nissen. 

Elberfeld. 


Geburts- 
zahl. 


Erste 
Geburt. 


Sechste 
Geburt. 


Zustand  der  Matter  vor  der  Operation. 


Allgemeinzustand. 


Gesunde,  gut  ernährte  Frau 
von  rhachitischem  Bau; 
Körpergröße  3'  8".  Alle 
Röhrenknochen  sklerotisch, 
fast  winklich  verbogen ; 
die  Gelenkenden  verdickt. 
So  machen  die  Oberschenkel 
einen  nach  vorn  und  aussen 
vorspringenden  Bogen  von 
36  Grad.  Die  Schwanger- 
schaftwar ausgetragen;  die 
Geburt  hatte  am  18.  Januar 
1859  früh  Morgens  be- 
gonnen; Nachmittags  ging 
falsches  Fruchtwasser  ab, 
und  wurde  demnächst  die 
Operation  vorgenommen. 


Hat  fünf  Kinder  ohne  Kunst- 
hülfe, das  letzte  vor  vier 
oder  fünf  Jahren  geboren; 
ist  in  den  letzten  Jahren 
häufig  „gichtbrüchig";  in 
dieser  letzten  Schwanger- 
schaft fast  ganz  „lahm* 
gewesen  durch  anhaltende, 
sehr  heftige  Schmerzen  in 
den  Becken-  und  Hüft- 
knochen. Die  Frau  war 
sehr  abgemagert  und  ver- 
fallen. Die  Geburt  hatte 
angeblich  36  Stunden  vor 
meiner  Ankunft  und  am 
Ende  des  achten  Schwanger- 
schaftsmonates begonnen ; 
zur  Zeit,  als  ich  ankam, 
war  das  Fruchtwasser  schon 
12  Stunden  abgeflossen; 
der  Bauch  hing  weit  über 
die  Oberschenkel  hinab,  die 
Leisten  und  Oberschenkel 
waren  excoriirt,  durch  die 
sehr  verdünnten  Bauch- 
wände und  durch  den  Uterus 
konnte  man  ein  Knie  und 
eine  Kniescheibe  des  Fötus 
deutlich  durchfühlen, 
22.  MKrz  1860, 


Beckenverhältnisse. 


Hoher  Stand  des  Pro 
montor,     Conjugati 
2%  Zoll.     Allseitig« 
entsprechende 
Beckenvereng'ernng. 


Der  Abstand  derTuben 
betrug  %—  %  Zoll 
die  absteigendei 

Aeste  standen  dich 
aneinander,  unter  dei 
Symphyse  wichen  sie 
etwas  weiter  aus 
einander,  aberwede 
hier  noch  zwischei 
den  Sitzbeinknorrei 
vermochte  der  unter 
suchende  Finger  ein 
zudringen.  Zuspitsunj 
derSymphyse,  schlüs 
sellochförmige  Ge 
stalt  des  Scham 
bogens. 


Air  Geburtehfilfe  in  Berlin. 


117 


Znstand  des  Kindes 

vor  der 

Operation. 


Aasgang 
für  die  Mutter,    für  das  Kind. 


Bemerkungen. 


Das  Kind  lebte  und 
lag  mit  dem  Kopfe 


Die  Mntter 
starb  am 
11.  Tage  an 
Blutung  aus 
der  wieder 
eröffneten 

Uteruswunde. 


Wurde 
Leben 
halten. 


er- 


Das  Kind  hatte  im 
Laufe  des  Tages 
noch  Bewegungen 
gemacht  und  leb  te, 
trotzdem  wir  seine 
Herztöne  nicht  zu 
su  hören  ver- 
mochten. Es  lag 
mit    dem    Kopfe 


Die  Mutter 
starb  an  Er- 
schöpfung 
am  zweiten 
Tage  nach 
der  Entbin- 
dung. 


Das  Kind  lebte, 
war         aber 
scheintodt. 
Es        wurde 
zum    Leben 
zurückge- 
bracht, starb 
aber  dann  in 
8     oder     14 
Tagen      aus 
Mangel      an 
passender 
Ernährung. 


Die  Operation  ging  sehr 
leicht  von  Statten.  Der 
Zustand  der  Kranken  war 
in  den  ersten  Tagen  nach 
Wunsch ;  der  üble  Ausgang 
wurde  herbeigeführt  durch 
einen  kleinen  Blute rguss 
«wischen  Uteruswunde  und 
Bauchdecke ,  der  wahr- 
scheinlich am  sechsten  oder 
siebenten  Tage  in  Folge 
unvorsichtigen  Aufstehens 
der  Kranken  .  entstanden 
war.  Die  genaue  Vereini- 
gung des  unteren  Wund- 
winkels wurde  dadurch 
unmöglich,  das  Blut  ver- 
jauchte, die  Uteruswunde 
öffnete  sich  und  die  Kranke 
starb  an  Blutung  in  die 
Bauchhöhle  am  28.  Jan.  1859. 

Die  Operation  ging  ohne 
üble  Zufalle  von  Statten; 
die  Nachgeburt  lag  unten 
im  Schnitte  vor,  wurde 
aber  ohne  Verletzung  gelöst. 
Die  äusseren  Verhältnisse 
und  das  Allgemeinbefinden 
der  Frau  waren  zu  un- 
günstig, als  dass  ein  guter 
Ausgang  hätte  erzielt  wer- 
den können. 


120 


II.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


Geburts- 
■ahl. 


Zustand  der  Mutter  vor  der  Operation. 
Allgemeinsustand.  Beckenverhältnisse. 


geflossen,  als  ich  am  4.  Mai 
1861  gerufen  wurde. 

Der  Bauch  hing  weit 
fiber  die  Oberschenkel  hinab, 
richtete  sich  dann  in  jeder 
Wehe  vollständig  auf,  so 
dass  der  Nabel  die  höchste 
Stelle  bildete.  Die  Wehen 
waren  sehr  stürmisch,  mit 
kaum  minutenlangen  Pau- 


Ehefrau  des 
Consulenten 
JBUbr, 
32  Jahre, 
in  ziemlich 
günstigen 
Verhält- 
nissen. 
Somborn. 


10.   Ehefrau  des      Erste      Klein     gewachsene,     kaum 

Geburt.       4  Fuss   grosse   Frau,    mit 

sklerosirten ,      verbogenen 

Röhrenknochen;  Ernährung 

gut. 

Die  Geburt  hatte  schon 
über  einen  gansen  Tag  ge- 
dauert, das  Fruchtwasser  war 
seit  15  Stunden  abgeflossen, 
als  ich  die  Kranke  am  18.  Mai 
1861  sah.  Die  Gebärende 
war  durch  sehr  stürmische 
Wehen  erschöpft,  der  Bauch 
hing  vollkommen  über  den 
Schambogen  hinunter,  die 
stark  gefüllte  Blase  war 
aus  dem  kleinen  Becken 
hinausgedrängt,  es  war  un- 
möglich, den  Katheter  au 
appliciren. 

Das  Gesicht  des  Kindes 
lag  vor,  die  Stirne  vorn 
und  links,  es  war  fest  in 
den     Beckeneingang     ein- 

fekeilt,  namentlich  in 
essen  linker  Hälfte,  wäh- 
rend rechts  das  Promontor 
erreicht  werden  konnte. 


Die  Resultate,  die  sich  aus  vorstehender  Tabelle  ergeben, 
sind  folgende: 

Zunächst  ist  hervorzuheben,  dass  die'  Operation  immer 
in  der  Privatpraxis  ausgeführt  werden  musste,  und  zumeist 
unter  den  ungunstigsten  äussern  Verhältnissen  soweit  Wohnung, 
Nahrung  und  Pflege  der  Kranken  dahin  gerechnet  werden 
dürfen. 


Das  Becken  stand  seh 
steil  durch  den  hohei 
Stand  des  Promon 
tors;  es  ragte  diesei 
rechts  weiter  vor  all 
links,  so  dass  ein< 
asymmetrische  Ver 
engerung  des  Becken 
eingangs  nachgewie- 
sen werden  konnte 
Diagonaleonjugati 
wurde  auf  2*/4  Zoll 
die  wirkliche  be 
dem  hohen  Stand« 
des  Promontors  au 
2'/4  Zoll  geschätzt 
Der  Beckenausgan g 
war  in  allen  Dimen- 
sionen verengert, 
aber  in  geringeren 
Grade. 


für  Geburtshfilfe  in  Berlin. 


121 


astand  des  Kindes 

vor  der 

Operation. 


>as  Kind  sollte 
sieh  im  Lanfe  des 
Tages  noch  be- 
wegthaben; seine 
Herztöne  waren 
nicht  sn  hören. 


Ausgang 
für  die  Matter,    für  das  Kind. 


Die  Matter 
starb  an  Blu- 
tung am  vier- 
ten Tage. 


Das  Kind  kam 
todtzurWelt. 


Bemerkungen. 


Die  Frau  hatte  während  des 
ersten  Geburtstages  einen 
sehr  quälenden  Bronchial- 
catarrh  erworben.  Ein 
heftiger  Hustenanfall  gab 
Veranlassung  zum  Bersten 
der  vorher  vollkommen 
geschlossenen  Uterinwunde 
und  zu  reichlicher  Blutung 
in  die  Bauchhöhle.  Die 
Kranke  wurde  eiskalt  und 
starb  innerhalb  12  Stunden 
nach  Eintritt  der  Blutung. 
Die  Placenta  lag  in  der 
unteren  UterusschnitthSlfte. 


Zehn  Mal  wurde  operirt,  sechs  Mal  bei  osteomalacischem 
Becken,  darunter  zwei  Mal  bei  derselben  Frau,  und  vier  Mal 
bei  rbachitischem  Becken. 

Die  Osteomalacie  (1,  2,  3,  5,  7,  9)  war  immer  florid, 
und  das  mit  ihr  verbundene  Allgemeinleiden  (Abmagerung, 
Cardialgie,  Bonchialcatarrh ,  Oedem)  weit  fortgeschritten;  in 
einem  Falle  (3)  war  Ruptur  des  Uterus  und  intraabdominelle 


122  H*    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Blutung  vor  der  Operation  eingetreten,  im  fünften  Falle  war  die 
Frau,  an  welcher  der  Kaiserschnitt  zum  zweiten  Male  ausgeführt 
wurde,  sterbend,  nachdem  sich  schon  mehrfache  Nekrose  der 
äusserst  abgemagerten  Bauchdecken  eingestellt  hatte.  Die  an 
rhachitischer  Beckenverengerung  leidenden  Frauen  4,  6, 
8,  10  Hessen  in  Bezug  auf  ihr  Allgemeinbefinden  vor  Beginn 
der  Geburt  keinen  Ausstellungen  Baum. 

Den  Zustand  der  Kinder  anlangend,  so  waren  sicher 
abgestorben  vor  der  Geburt  No.  3,  5  und  10,  sterbend  in 
Folge  von  Zerquetschung  des  Schädels  No.  8,  scheintodt  No.  7, 
die  fünf  andern  lebten. 

Um  eine  Uebersicht  über  die  Resultate  zu  gewinnen, 
müssen  wir  zunächst  feststellen,  dass  von  den  zehn  Müttern 
gesund  waren  vier  (4,  6,  8,  10),  an  hochgradiger  Osteoma~ 
lacie  und  entsprechendem  Marasmus  leidend  vier  (1,  2,  7,  9) 
und  sterbend  zwei  (3  und  5),  während  von  zehn  Kindern 
drei  gestorben  (3,  5,  10),  eins  sterbend  (8)  und  eins  schein- 
todt war  (7).  Nach  Abzug  der  zwei#  sterbenden  Mütter  und 
der  vier  gestorbenen  und  sterbenden  Kinder  würden  acht 
Mütter  und  sechs  Kinder  übrigen,  für  welche  der  Endausgang 
aus  unsrer  Tabelle  zu  berechnen  ist.  Von  diesen  vierzehn 
Individuen  wurden  nur  sieben  erhalten,  drei  Mütter  und  vier 
Kinder,  ein  fünftes  Kind  starb  unter  der  Entbindung,  und  ein 
sechstes  starb  nach  8  Tagen  an  Nahrungsmangel. 

Im  Ganzen  stellt  sich  das  Verhältniss  der  Genesenen  für 
die  Mütter  auf  40  Procent,  für  die  Kinder  auf  70  Procent, 
und  der  Durchschnitt  für  beide  zusammen  auf  50  Procent. 
Ein  Verhältniss,  welches  summarisch  betrachtet,  keinesfalls 
ungünstiger  sein  kann,  als  das  der  Perforation,  bei  welcher 
sicher  50  Procent  geopfert  werden  müssen.  Dabei  muss  her- 
vorgehoben werden,  dass  im  sechsten  Fall  der  Tod  der  Mutter 
wahrscheinlich  durch  unvorsichtiges  Aufstehen  und  dadurch 
herbeigeführtes  Bersten  der  Uterinwunde  herbeigeführt  wurde. 

Die  Falle,  in  denen  ein  günstiger  Ausgang  für  die  Mutter 
erzielt  wurde,  sind  1,  2  und  4,  die  zwei  ersten  bei  osteoma- 
lacischem,  der  letzte  bei  rhachitischem  Becken,  so  dass  auf 
sechs,  oder  nach  Abzug  der  zwei  Fälle  3  und  5,  auf  vier 
Osteomalacieen  zwei  und  auf  vier  rhachitische  Beckenverenge- 
rungen eine  Heilung  kommen.     In  den   zwei  ersten  Fällen 


für  Gebortshülfe  in  Berlin.  123 

wurde  die  Operation  frühzeitig,  im  dritten  zwar  etwas  später 
vorgenommen,  aber  doch  zu  einer  Zeit,  wo  die  Kreissende 
durch  übermässige  Geburtsarbeit  oder  gar  durch  ungeeignete 
Entbindungsversuche  noch  nicht  erschöpft  war.  Von  den  sieben 
gestorbenen  Frauen  befanden  sich  nur  zwei  in  gleichgünstiger 
Lage,  Frau  Hamrnes,  No.  5,  welche  an  Osteomalacie  sterbend 
war,  und  Helmrich,  No.  6;  welche  wahrscheinlich  unter  dem 
Einfluss  äusserer  Schädlichkeit  zu  Grunde  ging.  So  stellt 
sich  also  für  diese  Kategorie  das  Verhältniss  der  Genesenen 
zu  den  Gestorbenen  wie  3  zu  1,  wenn  man  FaD  fünf  aus- 
schliesst. 

Die  sieben  gestorbenen  Mütter  gingen  zu  Grunde, 
eine  an  Ruptur  des  Uterus  (3), 
eine  an  Marasmus  der  Osteomalacie  (5), 
zwei  an  Erschöpfung  bei  gleicher  Ursache  (7  u.  9), 
zwei  an  Blutung  in  der  Bauchhöhle  (6  u.  10), 
eine  an  eitriger  Peritonitis  (8). 
Die  Fälle  3,  5  und  6  sind   schon  besprochen;  bei   den 
andern  vier  hatte  die  Geburt  bereits  ein  bis   anderthalb  Tag 
gedauert,    war   das  Fruchtwasser  schon   zwölf  und  fünfzehn 
Stunden  abgeflossen,  oder  waren  gar  schon  Entbindungsversuchc 
gemacht  worden,    ehe  man  sich  zur  Operation    entschloss. 
Man  kann  aus  der  immerhin  geringen  Zahl  von  Beobachtungen 
doch   das  Resultat  feststellen,  dass   ein   günstiger  Erfolg  da 
erzielt   wurde,    wo  frühzeitig,  d.    h.    vor  dem  Blasensprunge 
operirt  werden  konnte,  während   in   den   andern  Fällen   die 
allgemeine  Erschöpfung  der  Gebärenden  und  die  nachlassende 
Contractionsfähigkeit  des  Uterus  die  Hauptschuld   des   Übeln 
Ausganges  trugen. 

Ueber  die  Technik  der  Operation  ist  Nichts  Neues  zu 
berichten.'  Der  Schnitt  wurde  in  allen  Fällen  durch  die  Linea 
alba  geführt,  und  meist  bis  über  den  Nabel  verlängert,  so 
dass  alle  Manipulationen  vollkommen  bequem  gemacht  werden 
konnten.  Die  einige  Male  im  Uterusschnitt  vorliegende  Nach* 
geburt  wurde  niemals  durchschnitten,  sondern  immer  seillich 
gelöst  Das  wesentliche  Hindemiss  für  einen  guten  Ausgang 
lag  in  der  erschöpften  Contractionsfähigkeit  des  Uterus,  wo 
dann  nach  Entfernung  des  Kindes  die  Wunde  weit  klaffte  und 
blutete,  oder  im  Verlaufe  dar  nächsten  Tage  sich  wieder  öffnete. 


124  H*    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

ehe  gehörige  Verklebung  erfolgt  war.  Leichtes  Reiben  des 
Gebärmuttergrundes,  Eisstückchen,  in  die  Höhle  des  Uterus 
gelegt,  Mutterkorn  innerlich  angewendet  waren  ohne  grossen 
Einfluss;  ich  glaube,  dass  eine  durchlaufende  in  die  Gebär- 
multerhöhle  hinabhängende  Naht  zu  versuchen  ist,  um  wenig- 
stens einen  einstweiligen  Verschluss  der  Wunde  herbeizu- 
führen. 

Zwei  Mal  lag  das  Netz  vor  dem  Uterus,  einmal  lag  in 
ihm  eine  locker  haftende  und  leicht  zu  lösende  Kyste,  welche 
entfernt  wurde.  Uebrigens  wurde  das  Netz  nach  Durchtren- 
nung der  Haut  zurückgeschoben. 

In  keinem  Falle  hatten  wir  einen  wesentlichen  Darm- 
vorfall zu  beklagen;  starkes  Anziehen  der  Hautwundränder 
im  Augenblicke  der  Extraction  des  Kindes  genügte,  um  diesen 
Uebelstand  ohne  Schwierigkeit  zu  vermeiden. 

Kalte  Umschläge,  feuchte  Einwickelungen,  Morphium  und 
Eispillen,  absolute  Diät  wurden  während  der  ersten  Tage  nach 
der  Operation  angewandt 

Die  Heilung  erfolgte  in  Fall  1  nach  ziemlich  langwieriger 
Eiterung  und  nur  durch  Vereinigung  der  Haut,  in  Fall  2  mit 
gleichzeitiger  Bildung  einiger  brackenartiger  Stränge  in  der 
Linea  alba,  und  in  Fall  4  durch  directe  Vereinigung  der  ganzen 
Linea  alba,  obschon  die  Kranke  in  den  ersten  Tagen  nach  der 
Operation  aufstand  und  später  keine  Bauchbinde  trug.  Als 
ich  nach  1  —  2  Jahren  die  Operirte  wiedersah,  halten  sich 
zwei  nussgrosse  Brüche  in  der  Linea  alba,  gebildet. 

Es  bleiben  einige  Worte  über  die  Osteomalacie  zu 
sagen.  Es  kommt  diese  Krankheit  in  unserer  Gegend  häufig 
vor,  zumeist  allerdings  in  den  grösseren  Städten,  während 
auf  dem  Lande  die  Rhachitis  vorwiegt  Uebrigens  habe  ich 
wiederholt  beobachtet,  dass  früher  rhachitische  Frauen  später 
osleomalacisch  wurden.  Die  Krankheit  befallt  fast  ausschliess- 
lich Frauen  des  Proletariats;  feuchte,  dunkle  und  enge  Woh- 
nungen, karge  Kost,  hauptsächlich  aus  Kartoffeln  bestehend, 
rasch  aufeinander  folgende  Schwangerschaften  waren  die 
äusseren  Umstände,  unter  denen  sich  das  Uebel  entwickelte. 
In  einem  Falle  sahen  wir  die  Krankheit  bei  einer  Dame  besseren 
Standes  allein  unter  dem  Einflüsse  einer  überschwemmt  ge- 
wesenen Wohnung  entstehen;  bei  einer  anderen  gleichen  Standes 


für  Geburtsbülfe  in  Berlin.  125 

gab  eine  gewaltsame  Zangenentbindung  t<Jie  Ursache  ab,  bei 
einer  dritten  war  keine  äussere  Ursache  aufzufinden.  Alle 
übrigen  Fälle,  und  ich  habe  deren  40 — 50  notirt,  betrafen 
Frauen  des  geringsten  Arbeiterstandes  oder  des  vollkommenen 
Proletariats,  und  waren  überall  die  oben  erwähnten  äusseren 
Einflüsse  leicht  nachweisbar.  Von  hohem  Einflüsse  auf  die 
Entwickelung  und  den  Verlauf  des  Leidens  waren  die  Schwanger- 
schaften, einige  Male  führte  die  Krankheit  in  einer  einzigen 
Schwangerschaft  zu  hober  Verbiegung  der  Beckenknochen, 
während  andere  Male  nach  Ablauf  der  Schwangerschaft  eine 
wesentliche  Remission  oder  gar  eine  scheinbare  Heilung  ein- 
trat, bis  dann  später,  in  der  Regel  mit  einer  folgenden 
Empfangniss  die  Krankheit  wieder  exacerbirte.  Die  rapideste 
Entwickelung  bot  Fall  1,  wo  innerhalb  vierzehn  Tage  nach 
der  Geburt  die  vorher  erkrankten  aber  noch  unnachgiebigen 
Knochen  vollständig  erweichten,  Osteomalacia  cerea.  Ueberhaupt 
exacerbirte  das  Leiden  meistens  im  Wochenbette,  und  be- 
sonders nach  gewaltsamen  Zangenentbindungen.  Einmal  habe 
ich  beobachtet,  dass  die  Krankheit  gegen  das  Ende  der  Puber- 
tätsperiode und  unabhängig  von  Schwangerschaft  eintrat,  bei 
einer  Frau  von  42  Jahren,  deren  jüngstes  Kind  damals  zehn 
Jahre  alt  war.  Die  Dauer  der  Krankheit  war  zumeist  eine 
sehr  langwierige,  eine  Verschlechterung  ist  zuweilen  schnell, 
eine  Besserung  nur  sehr  langsam  und  unvollständig  möglich: 
Eisen,  Leberthran,  Kalk  und  daneben  Salzbäder  leisteten 
ziemlich  gleichviel,  d.  h.  sehr  wenig. 

Die  charakteristischen  Erscheinungen  der  Krankheit  sind 
etwa  folgende: 

Schmerz  in  den  befallenen  Knochen.  Derselbe 
begann  in  den  vom  Beginn  beobachteten  Fällen  immer  an 
einem  oder  an  beiden  Sitzbeinknorren;  er  war  spontan 
vorhanden,  aber  durch  jeden  Druck  leicht  zu  steigern.  All- 
mälig  verbreitete  sich  derselbe  zur  Symphyse  und  zum  Sitz- 
beinstachel, ging  dann  auf  die  übrigen  Beckenknochen,  aufs 
Kreuz  und  auf  die  letzten  Lendenwirbel  über.  Recht  früh 
wurden  die  Hüftgelenke,  in  schwereren  Fällen  die  Schultern 
schmerzhaft.  Charakteristisch  ist,  dass  Druck  den  Schmerz 
in  den  Hüftgelenken  nur  massig  vermehrt,  während  die, 
Functionsstörung  eine  sehr  bedeutende  ist   Schon  in  ziemlich 


126  H.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

früher  Periode  der  Krankheit  werden  alle  Bewegungen  inq 
Gelenk  des  Schmerzes  halber  vermieden.  Man  kann  sich 
ohne  Schwierigkeit  überzeugen,  dass  ein  grosser  Theil  dieses 
Schmerzes  durch  die  Spannung  der  am  Becken  befestigten 
Musculatur  vermittelt  wird,  während  vorsichtige  passive  Be- 
wegungen viel  leichter  ertragen  werden.  So  sind  denn  die 
Gehversuche  der  Kranken  recht  bezeichnend;  der  ganze 
Schenkel  ruht  im  Hüftgelenk  unbeweglich  auf  dem  die  Erde 
nicht  verlassenden  Fusse,  nun  wird  abwechselnd  bei  fixirten 
Zehen  die  Ferse  und  bei  fixirter  Ferse  die  Fussspitze  vor- 
geschoben und  solchergestalt  eine  sehr  mühsame  Fortbewegung 
vermittelt.  Gleichzeitig  ist  das  Sitzen  durch  den  vorzugs- 
weise die  Sitzknorren  treffenden  Schmerz  unmöglich,  und  da 
bei  vorgeschrittenem  Leiden  Kreuz-  und  Lendenwirbel  mit 
ergriffen  sind,  so  können  die  meisten  Kranken  nur  in  der 
Seitenlage  abwechselnd  auf  einem  und  dem  andern  Trochanter 
ausdauern.  Ist  dagegen  ein  Sitzknorren  ziemlich  schmerzlos, 
das  Uebel  mehr  einseitig  entwickelt,  so  wählen  die  Kranken 
eine  schiefe  halbsitzende  Stellung  auf  der  gesunden  Seite  mit 
möglichster  Vermeidung  jeden  Druckes  auf  die  erkrankten 
Knochen. 

So  schwankt  das  Leiden  mit  mannichfachen  Remissionen 
und  Exacerbationen  hin  und  her,  Monate  und  Jahre  lang; 
häufig  wiederkehrende,  zuletzt  anhaltende  Catarrhe  der 
Bronchien  und  des  Magens  gesellen  sich  constant  hinzu, 
die  Kranken  werden  anämisch,  Fett  und  Musculatur  magern 
aufs  äusserste  ab,  während  in  einzelnen  Fällen  gleichzeitig  die 
Körpergrösse  messbar  abnimmt. 

Was  nun  endlich  die  Knocbenveränderungen  anlangt, 
so  sind  sie  in  entwickelten  Fällen  während  des  Lebens  nach- 
weisbar als  Verbiegungen,  Verkleinerungen  in  Breite  und  Länge 
und  als  Erweichungen.  Es  ist  selbstredend,  dass  der  Process 
in  umgekehrter  Reihenfolge  stattfinden  muss,  dass  die  Resorption 
der  Kalksalze ,  d.  h.  die  Erweichung  der  Verbiegung  und  Ver- 
kleinerung voran  gebe,  während  allerdings  kleinere  Grade  von 
Verbiegung  eher  erkannt  werden  können  als  eine  leichtere 
Erweichung,  die  immer  nur  aus  der  im  Leben  selten  nach- 
weisbaren Biegsamkeit  zu  ersehen  ist 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  127 

So  bleibt  denn  neben  den  functionellen  Störungen  als 
erstes  klinisches  Zeichen  der  Knochenerkrankung:  die 
Verbiegung.  Dass  dieselbe  ein  bestimmtes  Schema  ein- 
halten müsse,  glaubt  heut  zu  Tage  wohl  Niemand  mehr;  sie 
entwickelt  sich  vielmehr  abgesehen  von  der  gleich  zu  besprechen- 
den Möglichkeit  einer  Infraction  wesentlich  unter  dem  Drucke 
der  Körperlast  und  unter  dem  Einflüsse  der  Muskel- 
wirkungen« Der  letzte  Factor  verliert  seine  Bedeutung  aber 
fast  dadurch,  dass  die  am  Becken  befestigten  Oberschenkel- 
muskeln  fast  gar  nicht  gebraucht  und  aus  diesen,  wie  aus 
allgemeinen  Gründen  sehr  rasch  atrophisch  werden.  Bei 
einiger  Aufmerksamkeit  kann  man  sich  auch  sehr  leicht  über- 
zeugen, dass  die  Lagerung  der  Kranken  und  die  daraus  resul- 
tirenden  Druckverhältnisse  bedingend  sind  für  die  Becken- 
deformität Bei  den  meisten  Kranken  sind  beide  Seiten  des 
Schambogens,  die  Tubera,  und  die  Kreuzdarmbein  fugen  gleich- 
zeilig  erkrankt,  das  grade  Sitzen  und  die  Rückenlage  sind 
gleicbmässig  unmöglich;  so  liegen  die  Kranken  Monate  lang 
abwechselnd  auf  einem  oder  dem  andern  Trochanter  und  es 
entwickelt  sich  die  bekannte  Querverengerung  des  Beckens 
mit  Zuspitzung  der  Symphyse,  während  dort,  wo  bei  vorzugs- 
weise einseitiger  Erkrankung  eine  halbsitzende  Stellung  auf 
dem  gesunden  Sitzknorren  eingehalten  wird,  auch  die  Körper^ 
last  mehr  in  der  senkrechten  wirkt  Das  Becken  verengt  in 
der  Höhe,  Promonlor  und  Lendenwirbel  rücken  nach  unten 
und  vorn  bei  gleichzeitiger  Verengerung  des  Beckenausganges 
durch  Heranrücken  des  erkrankten  Tuber.  Es  wird  daneben 
eine  stellenweise  höher  entwickelte  Knochenerkrankung  auch 
einzelne  stärkere  Einbiegungen  gestatten,  und  endlich  die 
Verkleinerung  und  Schrumpfung  aller  Beckenknochen 
einen  gewissen  Antheil  an  der  Beckenverengerung  haben 
müssen. 

Die  Verdünnung  ist  zuweilen  während  des  Lebens 
nachzuweisen  an  den  zugängigen  Knochen  des  Schambogens, 
wenn  der  Prozess  beide  Hälften  in  ungleichmässiger  Entwicke- 
lung  befiel. 

Die  Erweichung  vermochten  wir  nur  in  Fall  1,  bei 
rapidem  KrankbeOsverlauf  während  des  Wochenbettes  zu  er- 


128.  H.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

kennen.  Ein  massiger  Druck  reichte  hin,  um  den  Finger 
durch  eine  Stelle  des  Schambogens  zu  führen,  die  früher  un- 
durchdringlich geschlossen  war.  In  einem  anderen  Falle 
haben  wir  die  forcirte  Zangenextraction  nach  vorgängiger 
Perforation  gemacht,  und  ebenfalls  eine  geringe  Nachgiebigkeit 
zu  erkennen  geglaubt. 

Eine  vollkommene  Infraction  existirte  nur  in  Fall  3, 
sie  betraf  die  Verbindungsstelle  des  Hüft -Schambeins,  und  ging 
spitzwinklig  nach  hinten.  Durch  welchen  besondern  Mechanis- 
mus sie  zu  Stande  gekommen,  wurde  nicht  ersichtlich. 

Dass  der  ganze  Knochenprozess  wesentlich  beruht  auf 
Resorption  des  Knochenkalks  ist  pathologisch  wie  klinisch 
bekannt  Wir  haben  wiederholte  Harnuntersuchungen  beson- 
ders in  Fällen  rapider  Entwicklung  des  Leidens  vorgenom- 
men, ohne  irgend  welche  Vermehrung  der  Harnsalze  nachweisen 
zu  können.  Der  Harn  war  vielmehr  specifisch  leicht,  1008 
bis  1012,  von  etwas  vermindertem  Volum,  sehr  blass,  und 
von  vermindertem  Salzgehalt.  Gleiches  gilt  von  der  Milch, 
die  ferner  z.  B.  in  Fall  1,  bei  rapider  und  fehlbarer  Knochen- 
erweichung kaum  einige  Tage  in  spärlicher  Menge  abgeson- 
dert wurde.  So  müssen  wir  uns  damit  begnügen,  zu  wissen, 
dass  reichlich  Kalkablagerungen  auf  Darm-  und  Bronchial- 
Schleimhaut  stattfinden,  woselbst  sie  die  Quelle  der  für 
hochgradige  Osteomalacie  constanten  Catarrhe  dieser  Organe 
abgeben. 

Die  charakteristische  Schilderung  der  Osteomalacie  erregte 
bei  der  überaus  grossen  Seltenheit  dieser  Krankheit  in  Berlin 
das  ungetheilte  Interesse  der  Gesellschaft  Von  den  An- 
wesenden konnte  Niemand  aus  eigener  Beobachtung  in  Berlin 
einen  Beitrag  zu  dem  verlesenen  Aufsatze  liefern. 

Herr  Martin,  der  mehrere  Fälle  von  Osteomalacie  in 
Jena  und  Umgegend  beobachtet  hat  (z.  B.  einmal  mit  exqui- 
siter Verunstaltung  des  Beckens  bei  einem  Fräulein,  welches 
viele  Jahre  in  der  Irren -Heil-  und  Pflegeanstalt  gelebt  hatte 
(Neue  Zeitschr.  f.  Geburtskunde,  Band  XV.,  S.  69— 73)  und 
einmal  bei  einer  zum  achten  Male  Schwangeren  durch  die 
hochgradige  Beckenverengerung  in  Folge  neunjähriger  Knochen- 


flttr  Gebnrtehülfd  in  Berlin.  129 

erweichung  zum  Kaiserschnitte  genöthigt  war,  berichtete,  das* 
er  bei  einem  Aufenthalte  zu  Kopenhagen  in  den  letzten 
Monaten  von  den  Professoren  Levy  und  Ipsen  daselbst 
Folgendes  gehört  habe:  Obschon  die  Krankheit  in  Dänemark 
kaum  vorkomme,  habe  man  in  Kopenhagen  vor  längerer  Zeit  bei 
drei  Frauen,  welche  in  einem  dumpfen,  schlechten  Gefängnisse 
detinirt  waren,  die  höchsten  Grade  der  Osteomalacie  gefunden. 
Nach  dem  vor  etwa  15  Jahren  stattgefundenen  Umbau  der 
Gefängnisse  sei  ein  Beispiel  dieser  Krankheit  nicht  wieder 
beobachtet  Auch  in  Holstein  scheine  nach  Michaelis  die 
Krankheit  kaum  zu  existiren;  jedoch  habe  Litzmann  sich 
einmal  durch  diese  Beckenverunstaltung  zum  Kaiserschnitte 
genöthigt  gesehen. 


Sitzung  vom  12.  November  1861. 

Der  Vorsitzende  zeigt  den  am  22.  October  erfolgten  Tod 
des  Professor  Dr.  Leubuseher  an,  und  weist  auf  die  Verdienste 
bin,  welche  der  leider  so  früh  verstorbene  College,  als  ausser- 
ordentliches Mitglied  der  Gesellschaft,  durch  rege  Teilnahme 
an  deu  Sitzungen  und  Debatten  sich  auch  um  diesen  Kreis 
erworben.  Auf  seinen  Antrag  erheben  sich  die  Anwesenden, 
als  Zeichen  ihrer  Achtung,  von  ihren  Sitzen. 

Herr  Dr.  Kugelmann  in  Hannover  (ausw.  Mitglied)  hat 
an  den  Präsidenten  eine  von  ihm  erfundene  Gebärmuttersonde 
eingeschickt,  welche  in  Abwesenheit  dieses  von  dem  Secretär 
vorgezeigt  wurde.  Beigefügt  für  die  Gesellschaft  waren 
folgende  Zeilen  mit  Abbildung: 

Neue  Uterus-Sonde. 

Die  bisher  gebräuchlichen  Uterus-Sonden  haben  folgende 
Üebelstände: 

1)  Der  Maassstab  ist  auf  der  Sonde  selbst  durch  Linien, 
Zahlen  und  Erhöhungen  bezeichnet.  Durch  die  mangelnde 
Glätte  ist  die  Sonde  bei  der  Einführung  empfindlicher  und 
verursacht  öfters  Verletzungen  der  Uterinschleimhaut.  Bei 
den  für  die  Harnröhre  bestimmten  Instrumenten   (Katheter, 

MonfctMohr.  f.  GebarUk.  18S9.  Bd.  XIX.,  Hft.  1  n.  8.  9 


130  H*    Verbandlungen  der  Gesellschaft 

Sonden  etc.)  sind  Rauhigkeiten  längst  als  erheblicher  Fehler 
anerkannt  und  werden  sorgfältig  gemieden. 

2)  Die  Länge  des  Uterus  muss  durch  Fixiren  des  Fingers 
an  der  Sonde  bestimmt  werden,  wodurch  selbst  bei  der 
grössten  Uebung,  bei  Lagenveränderungen,  Fluor  albus  etc. 
Ungenauigkeiten  bisweilen  nicht  zu  vermeiden  sind. 

3)  Bei  Flexionen  muss  die  Sonde  wiederholt  eingeführt 
werden,  um  die  Länge  bis  zur  Knickungsstelle  und  die  Total- 
länge des  Uterus  zu  bestimmen. 

Diese  Uebelstände  werden  durch  die  Sonde  vermieden, 
welche,  nach  meiner  Angabe,  der  Instrumentenmacher  A.  Ehr- 
hardt  hier,  angefertigt  hat 

Auf  der  convexen  Seite  einer  durchaus  glatten,  nach  der 
Beckenaxe  gebogenen,  neusflbernen  Sonde,  befindet  sich  ein, 
der  Breite  derselben  entsprechender,  gut  federnder  Maassstab 
von  demselben  Metall.  Durch  zwei  nach  vorn  offene  Klam- 
mern wird  derselbe  an  die  Sonde  gedrückt  An  seinem 
oberen  Ende  ist  ein  flacher  Knopf  angelöthet  Der  Maassstab 
geht  so  durch  den  Griff,  dass  die  leichte  Verschiebbarkeit 
nicht  beeinträchtigt  ist,  steht  unten  so  weit  unter  dem  Sonden- 
schafte b  vor,  als  der  überragende  Knopf  der  Sonde  beträgt 
und  ist  durch  eine  kleine  Flügelschraube  leicht  zu  fixiren. 
Auf  der  Rückseite  ist  der  Griff  durch  einen  Schieber  zu  öffnen, 
um  den  Maassstab  zum  Reinigen  herauszuheben.  — 

Vor  dem  gewöhnlichen  Gebrauche  stellt  man  den 
Maassstab  auf  die  Normallänge  Nt  um  durch  den  Knopf  des- 
selben zu  wissen,  wann  man  bis  zur  Normaltiefe  eingedrungen 
ist,  lüftet  die  Schraube,  zieht  den  Maassstab  zurück,  fuhrt 
die  Sonde  bis  in  den  Fundus  uteri,  schiebt  den  Knopf  des 
Maassstabs  bis  an  das  Orif.  uteri  und  fixirt  wieder  durch  die 
Schraube.  —  Das  Vorschieben  des  Maassstabs  geschieht  leicht, 
indem  man  Zeige-  und  Mittelfinger  an  das  Ende  des  Griffs 
legt,  durch  den  Daumen. 

Wie  bei  Flexionen  zu  verfahren  ist,  erhellt  von  selbst. 
Ist  man  bis  zur  Flexionsstelle  gelangt,  so  kann  man,  ohne 
die  Sonde  zu  entfernen,  äusserlich  das  Maass  ablesen  und 
dann  die  ganze  Länge  bestimmen. 

Die   beigefügte  Zeichnung  entspricht  der  halben  Grösse. 


für  GebnrtoMIfe  in  Berlin. 


131 


a-b. 
b. 


e — d. 


e. 


Sonde. 

Unteres  Ende  des  Sonden- 
schafts, welches  das  Maass 
markirt. 


Normallänge  des  Uterus  nach 
Kiwisch's  Sonde  =  2"  lm 
Pariser  Maass. 

Knopf  und  oberes  Ende  des 
beweglichen  Maassstabes. 
Schraube   zum   Fixiren   des 
Maassstabes. 

Schieber  auf  der  Rückseite 
des  Griffes. 

Klammern,  welche  den  Zu- 
sammenhang des  Maassstabes 
mit  der  Sonde  bewirken. 
Durchschnitt    des     Sonden- 
griffes. 


132  H*    Verhandlungen  der  GeselUchaft 

Von  demselben  Verfasser  (Kugelmann)  war  die  Be- 
schreibung der  Exeision  eines  Gebärmutterpolypen  eingeschickt, 
welche  der  Gesellschaft  vorgelesen  wurde. 

Herr  Kauffmann  referirte  über  das  in  der  vorigen 
Sitzung  eingegangene  Buch  des  Dr.  A.  ffegar:  Pathologie 
und  Therapie  der  Placentarretention.  Die  fleissige  und  gedie- 
gene Arbeit  des  Verfassers,  der  reiche  literarische  Nachweis, 
den  er  in  diesem  Buche  bietet,  und  die  wissenschaftliche  Be- 
handlung des  Gegenstandes  machen  es  dem  Referenten  schwer 
einen  genügenden  Auszug  davon  zu  geben,  und  hält  er  es 
um  so  mehr  für  Pflicht  auf  das  Studium  des  Buches  selbst 
hinzuweisen.  Kommt  die  Therapie  auch  nicht  auf  besonders 
neue  Verfahren  und  bat  jeder  wissenschaftlich  gebildete  Ge- 
burtshelfer auch  in  praxi  gewiss  die  angegebenen  Regeln 
meist  befolgt,  so  entbehrte  der  Gegenstand  doch  bisher  einer 
eingehenden  Arbeit,  und  sind  wir  dem  Verfasser  für  die 
übersichtliche  Behandlung  des  pathologischen  Theils  jedenfalls 
vielen  Dank  schuldig. 


Sitzung  vom  26.  November  1861. 

An  das  in  der  der  letzten  Sitzung  gehaltene  Referat 
über  Hegar:  Pathologie  und  Therapie  der  Placentarretention 
knüpfte  sich  eine  Debatte  über  Placentarretention ,  welche  von 

Herrn  H.  ßtrassmann  eröffnet   wurde.     Dieser  theilte 
einen  in  letzter  Zeit  verfassteil  Aufsatz  mit,  in   welchem   er 
seine    in    der    geburtshülflichen    Klinik    und    Poliklinik    der 
Universität  als  Secundärarzt  derselben  gemachten 
Erfahrungen  über  die  Credfache  Methode  zur 
Lösung  der  Nachgeburt 
zusammengestellt  hatte. 

Schon  längst  hat  die  allgemeine  Ansicht  der  Geburts- 
helfer zu  Gunsten  des  activen  Verfahrens  in  der  Nachgeburts- 
periode entschieden,  und  es  wäre  den  Anhängern  des  passiven 
Verhaltens  längst  jeder  Grund  zur  Opposition  genommen, 
wenn  nicht  mit  der  bisher  üblichen  Weise  der  Entfernung 
der  Placenta  eine  Reihe  von  Uebelständen  innig   verbunden 


für  Geburtshtilfe  in  Berlin.  133 

wäre.  Die  von  Credt  aufs  Neue1)  aufgenommene  Methode 
der.  Herausbeforderung  des  Fruchtkuchens  mittels  äusseren 
Drucks  auf  den  Uterus  schien  nun  die  beste  Vermittelung 
zwischen  den  beiden  extremen  Richtungen  zu  sein,  indem  sie 
einerseits  nicht  die  Hände  müssig  in  den  Scbooss  legen  lässt, 
andererseits  aber  jeden  Eingriff  vermeidend  nur  den  Bestre- 
bungen der  Natur  zu  Hälfe  zu  kommen  sucht  Ich  hatte 
mir  deshalb  seit  Langem  vorgenommen,  dieselbe  sorgfältigst 
zu  prüfen,  und  dieser  Vorsatz  ward  nur  noch  mehr  befestigt 
seit  meinem  Aufentbalte  in  der  hiesigen  Entbindungsanstalt. 

In  der  Privatpraxis  freilich,  wo  man  die  Hülfsleistungen 
in  der  Nachgeburtsperiode  selbst  verrichtet  oder  durch  zu- 
verlässige Hebammen  verrichten  lässt,  mögen  auf  den  ersten 
Blick  die  Vortheile  der  neuen  Methode  nicht  so  sehr  ein- 
leuchtend erscheinen,  dass  man  sich  veranlasst  sähe,  das  alte 
Verfahren,  von  dem  man  nie  Nachtheil  gesehen  und  mit  dem 
man  in  der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  ausgekommen,  auf- 
zugeben. Anders  gestaltet  sich  aber  das  Verhältniss  in  der 
klinischen  oder  poliklinischen  Praxis,  wo  der  Natur  der  Sache 
nach  das  Geburtsgeschäft  öfters  weniger  geübten  Händen  über- 
lassen werden  muss.  Unter  solchen  Umständen  drängt  sich 
sehr  bald  das  Bedürfnis«  auf,  ein  Verfahren  angeben  zu 
können,  das  mit  Sicherheit  und  auch  bei  länger  dau- 
ernder Anwendung  ohne  Beleidigung  der  mütter- 
lichen Genitalien  zum  Ziele  führt.  Diese  Sicherheit 
bietet  aber  das  alte  Verfahren  in  manchen  Beziehungen  nicht, 
denn  immer  hegt  hierbei  die  Gefahr  des  vorzeitigen  Zuges 
oder  Abreissens  der  Nabelschnur,  selbst  ohne  besonderes  Ver- 
schulden des  Geburtshelfers  bei  weichen,  dünnen,  zumal  fau- 
lenden Nabelschnüren,  bedenklich  nahe. 

Das  Bedürfniss  nach  einem  von  Gefahren  ganz  freien 
Handgriffe  war   es  indess  nicht  allein,  was  bestimmte,    die 


1)  Zur  Vervollständigung  der  von  Ortdi  in  seinem  Anfsats 
gegebenen  historischen  Zusammenstellung  der  Behandlungsweisen 
der  Nacbgeburtsperiode,  will  icb  hier  Anführen,  dass  sich  fai 
einer  Schrift  Joh.  D.  Busch1»  (Beschreibung  zweier  menschlicher 
Missgebarten,  Marburg  1802)  folgende  Stelle  findet:  „ich  mani- 
pnlirte  einige  Minuten  von  Aussen  gelinde  und  so  ging  die  Nach- 
geburt leicht  und  gkMdtah  ab.* 


134  II'    Verhandlungen  der  Gesell* chaft 

Credfsche  Methode  sorgfaltigst  zu  prüfen,  sondern  auch  der 
Ausspruch  ihres  Autors,  dass  die  allgemeine  Ausübung  $gmes 
Verfahrens  das  Gespenst  der  angewachsenen  Placenten  ganz 
verscheuchen  werde,  da  ihm  solche  Verwachsungen  seit  der 
alleinigen  Anwendung  der  äusseren  Manipulationen  nicht  mehr 
vorgekommen  seien.  Die  gegnerischen  Stimmen  haben  schon 
auf  der  Königsberger  Naturforscher- Versammlung  diesen  Punkt 
namentlich  bestritten  und  behauptet,  dergleichen  Verwachsungen 
würden  immer  wieder  zur  manuellen  Lösung  zurückführen, 
eine  aprioristische  Behauptung",  da  keiner  der  Gegner  das 
Verfahren  erprobt  hatte.  Ich  stellte  mir  daher  die  doppelte 
Aufgabe:  1)  zu  erfahren,  ob  [die  äusseren  Manipulationen 
überhaupt  prompt  reussiren,  2)  ob  auch  bei  alleiniger  und 
consequenter  Anwendung  derselben  so  abnorm  feste  Verbin- 
dungen des  Fruchtkuchens  mit  der  Gebärmutter  vorkommen, 
dass  selbst  die  durch  den  äusseren  Druck  gesteigerte  Energie 
der  Uteruscontractionen  die  Lösung  nicht  zu  bewirken  im 
Stande  ist.  Diese  beiden  Fragen  sind  jetzt  freilich  schon 
nahezu  vollständig  erledigt,  gleichwohl  scheint  es  nicht  über- 
flüssig, hier  auch  meinerseits  noch  einen  weiteren  Beitrag  zu 
veröffentlichen. 

Ich  habe  das  Credf  sehe  Verfahren  sehr  oft  ausgeführt 
und  besitze  von  160  Fällen  genaue  Notizen.  Die  Resultate, 
zu  denen  ich  gelangt  bin,  sind  folgende:  Die  Methode  ist  voll- 
ständig sicher  und  führt  fast  immer  zum  Ziele,  vorausgesetzt, 
dass  nicht  bereits  anderweite  Lösungsversuche  störend  ein- 
gewirkt haben.  Es  ist  nicht  schwer,  sich  die  nöthige  Uebung 
zu  verschaffen,  und  der  Erfolg  bei  hinreichender  Geübtheit 
ein  so  prompter,  dass  man  nur  höchst  ungern  in  jenen  sehr 
seltenen  Ausnahmsfallen  zu  einer  anderen  Art  der  Heraus- 
beförderung seine  Zuflucht  nimmt. 

Es  bat  sich  auch  bei  meinen  Beobachtungen  heraus- 
gestellt, dass  der  Handgriff  im  Allgemeinen  müheloser  gelang, 
je  früher  er  angestellt  wurde,  am  Sichersten,  wenn  ich  un- 
mittelbar nach  der  Geburt  des  Kindes  das  Manöver  begann. 
Indess  ist  die  Zeit,  die  seit  der  Ausstossung  der  Frucht  ver- 
flossen, von  keinem  wesentlichen  Belange:  ich  habe  in  einem 
Falle  nach  zwei,  in  einem  anderen  noch  nach  drei  Stunden 
die  Placenta  mit  grosser  Leichtigkeit  herausgedrückt.  In  beiden 


för  GeburtshtÜfe  in  Berlin.  135 

Fallen  war  der  Nabelstrang  abgerissen;  da  aber  die  Blutung 
unqjheblich  war,  so  war  die  vermeintlich  unumgängliche 
manuelle  Lösung  bis  zu  meiner  Ankunft  verschoben  worden. 
Die  Halbentbundene  wie  ihre  Geburtshelfer  waren  beide  gleich 
sehr  überrascht,  die  Sache  auf  so  einfache  Weise  erledigt  zu 
sehen. 

Es  bat  sich  ferner  gezeigt,  dass  schwere  Placenten  im 
Allgemeinen  leichter  herausgeschnellt  werden,  als  solche  von 
geringem  Gewichte,  indess  giebt  weder  bedeutende  Grösse,  wie 
z.  B.  einer  Zwillings-Nacbgeburt,  noch  Kleinheit  oder  Weich- 
heit ein  wesentliches  Hinderniss  för  die  Herausbeförderung 
mittels  Druck  ab.  Ich  habe  unter  meinen  Beobachtungen 
Fälle  aus  dem  Anfange  des  sechsten  und  dem  Ende  des  fünften1) 
Schwangerschaftsmonats,  wo  die  Placenta  ohne  alle  Schwierig- 
keit durch  den  Credf  sehen  Handgriff  entfernt  wurde. 

Anlangend  die  Zeit,  welche  die  Manipulation  erfordert, 
so  genügen  in  den  meisten  Fällen  1 — 2  Minuten,  bäußg  fahrt 
die  Placenta  schon  beim  ersten  Auflegen  der  Hand  aus  der 
Scheide  heraus;  nur  in  sehr  wenigen  Fällen  erforderte  das 
Verfahren,  die  Pausen  eingerechnet,  10 — 15  Minuten.  Die 
Fälle,  in  denen  mir  das  Verfahren  misslungen,  fallen  bis  auf 
wenige,  die  ich  unten  noch  ausführlich  mittheilen  werde,  in 
die  Anfangszeit  meiner  geburtshülflichen  Thätigkeit  und  sind 
lediglich  auf  Rechnung  der  Ungeübtheit  zu  schieben,  da  sich 
die  betreffenden  Placenten  leicht  in  alter  Weise  entfernen 
Hessen. 

In  den  allermeisten  Fällen  wird  die  Nachgeburt  mit  Ei- 
häuten und  etwanigen  CoaguMs  mit  einer  gewissen  Schnellig- 
keit bis  vor  die  Genitalien  getrieben.  Ich  habe  über  diesen 
Punkt  durchaus  dieselbe  Ansicht  wie  Credt  gewonnen  und 
kann  Bpiegdberg*)  nicht  beipflichten,  wenn  er  angiebt,  dass 
„in  der  Mehrzahl  der  Fälle  die  Nachgeburt  in  der  Scheide 
liegen  bleibt "  und  aus  ihr  entfernt  werden  muss.  Freilich 
muss  man  sich  nicht  scheuen,  dreist  zu  drücken.  Dagegen 
geschieht  es  nicht  selten,  dass,  obwohl  die  Placenta  vor  den 


1)  Placenten  aus  früherem  Zeiträume  habe   ich  immer  mit 
den  Fingern  wegnehmen  müssen. 

2)  Wüwburg.  Medic.  Zeitschr.,  II.,  1861. 


136  H*   Verhandlungen  der  GeseUachaft 

Genitalien  liegt,  ein  TKfeil  der  Eihäute  noch  im  Uterus  steckt 
und  herausgezogen  werden  muss. 

Liegt  der  grösste  Theil  der  Placenta  bereits  in  der 
Scheide,  wenn  man  zu  den  äusseren  Manipulationen  schreitet, 
so  kommt  die  völlige  Aussonderung  mehr  dadurch  zu  Stande, 
dass  der  nach  abwärts  gedrückte  Uterus  dieselbe  herausdrängt, 
als  durch  die  eingeleiteten  Contractionen.  Wenn  übrigens 
Credt  sagt,  dass  der  Uterus  unter  dem  Drucke  der  Hand 
meist  seine  normale  Höhe  nicht  verlasse,  so  kann  ich  dem 
nicht  ganz  beistimmen.  Heiner  Erfahrung  nach  steht  derselbe 
unmittelbar  nach  gelungenem  Manöver  etwas  tiefer,  als  dies 
gewöhnlich  nach  Aussonderung  der  Placenta  der  Fall  ist, 
und  weicht  erst  später,  allerdings  ziemlich  bald,  in  die 
normale  Höhe  zurück. 

Es  fördert  sehr,  wenn  man  beim  Drucke  diejenigen  Stellen 
besonders  berücksichtigt,  an  denen  nach  der  Conformation 
des  Uterus,  wie  dies  bei  dünnen  Bauchdecken  oft  möglich  ist, 
der  Sitz  der  Placenta  vermuthet  wird.  Ich  habe  vorwiegend 
den  Druck  auf  die  hintere  Wand,  nächstdem  auf  die  eine  oder 
andere  Seitengegend  geübt.  Dieser  Punkt  ist  sehr  wesentlich 
und  macht  bei  gehöriger  Berücksichtigung  die  Bemühungen 
fast  augenblicklich  erfolgreich.  Der  Sitz  der  Placenta  ist 
übrigens  nicht  schwer  zu  entdecken,  denn  wenn  man  die 
ersten  streichenden  Bewegungen  am  Uterus  gemacht  und  diesen 
dadurch  zur  Contraction  gebracht  hat,  so  fühlt  man  meist  die 
Placentalstelle  etwas  stärker  hervorgetrieben. 

Ganz  besonders  eclatant  zeigt  sich  der  Vorzug  der 
Credfschen  Methode  in  den  Fällen,  wo  Lage-  und  Gestalt- 
veränderungen des  Uterus  Ursache  der  erschwerten  Aus- 
sonderung der  Placenta  wird,  oder  wo  dieselbe  durch  den  Uterus 
an  die  Symphyse  angedrückt  liegt,  indem  in  dem  ersieren 
Falle  durch  den  Druck  nach  hinten  und  abwärts  die  Deviation 
ausgeglichen,  in  dem  letzteren  aber  durch  dies  Manöver  die 
Placenta  von  dem  Schambeinkamme  abgebracht  wird.  Es  ist 
dieser  letztere  Punkt  um  so  mehr  zu  betonen,  als  die  alte 
Methode  hier  gar  nicht  zum  Ziele  führt,  da  die  eingebrachten 
zwei  Finger  nicht  hoch  genug  an  der  Symphyse  hinaufgebracht 
werden  können. 


ffir  Gebnrtaaülfe  in  Berlin.  137 

Das  CracWsche  Verfahren  ist  für  die  überwiegend  grösste 
Mefcrzahl  der  Halbentbundenen  nicht  besonders  schmerzhaft 
Unter  160  genau  notirten  Fällen  ist  nur  sieben  Mal1)  über 
grössere  Scbmerzhaftigkeit  geklagt  worden,  und  nur  einmal 
musste  ich  wegen  alliugrosser  Empfindlichkeit  des  Leibes 
beim  Betasten  (in  Folge  von  traumatischer  Peritonitis  während 
der  Schwangerschaft,  die  am  achten  Tage  ihres  Bestehens 
einen  Partus  praematurus  im  neunten  Monate  veranlasste)  von 
vorn  herein  von  diesem  Verfahren  Abstand  nehmen. 

In  keinem  meiner  Fälle  —  und  es  ist  ein  ganz  Theil 
darunter,  die  ich  bereits  seit  fast  einem  Jahre  controlire  — - 
habe  ich  von  dem  Verfahren  einen  Nachtheil  gesehen. 

Ich  komme  nun  zur  zweiten  Frage,  nämlich  ob  auch  bei 
alleiniger  Anwendung  der  äusseren  Manipulationen  Fälle  von 
sogenannter  Verwachsung  der  Placenta  vorkommen.  Ich  muss 
gestehen,  dass  ich  .in  der  That  eine  geraume  Zeit  von  ihrer 
Nichtexistenz  überzeugt  war.  Ich  bin  wiederholt  gerufen  wor- 
den, um  „angewachsene"  Placenten,  die  dem  Zuge  durchaus 
nicht  folgen  wollten,  zu  entfernen  und  habe  sie,  mitunter 
überraschend  leicht,  durch  Compression  herausgeschnellt 
Aber  ich  bin  in  der  letzten  Zeh  eines  anderen  belehrt  wor- 
den in  zwei  Fällen,  die  ich  von  Anfang  bis  zu  Ende  beob- 
achtete, und  also  dafür  einstehen  kann,  dass  weder  vorzeitiger 
Zug  an,  der  Nabelschnur  noch  sonst  eine  Beleidigung  des 
Uterus  stattgehabt  Der  erste  Fall  betraf  eine  Drittgebärende 
mit  Piacent  jpraev.  lateral,  die  bei  der  ersten  Blutung  am 
Anfange  des  neunten  Monats  stark  anämisch  geworden  war. 
In  den  darauf  folgenden  Wochen  hatten  nur  unbedeutende 
Blutabgänge  Statt,  und  erst  wieder  der  Eintritt  der  Wehen- 
thäügkeit  markirte  sich  durch  eine  stärkere  Hftmorrbagie, 
die  indess  durch  das  Sprengen  der  Blase  bald  sistirt  wurde. 
Die  Geburt  endete  mit  der  Ausstossung  eines  neunmonat- 
lichen lebenden  Mädchens  in  erster  Schädellage.  Ich  legte 
sofort  nach  der  Geburt  des  Kindes  nie  Hand  auf  den  Uterus 
und  begann  das  Manöver.    Es  folgten  energische  Contractionen, 


1)  Unter  diesen  160  Füllen  sind  58  operativ  beendigt  worden, 
davon  87  In  der  Chloroformnarkose;  in  diesen  letzteren  Fällen 
kommt  die  Scnmer*haftigkeit  des  Verfahrens  gmr  nicht  in  Betracht. 


138  H.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

die  einen  Tbeil  der  Placenta  in  die  Scheide  trieben.  Diese 
gelangte  indes»  nicht,  auch  auf  wiederholte  Compression  des 
Uterus ,  nach  aussen.  Eine  eintretende  Blutung  nöthigte  mich 
endlich  zur  Hinwegnahme.  Als  ich  mit  zwei  Fingern  einging, 
zeigte  es  sich,  dass  die  Placenta  nur  mit  dem  nach  vorn 
sitzenden  Theile  des  unteren  (vorliegenden)  Randes  adhärirte, 
ein  Verhalten,  welches  sich  mit  grösster  Bestimmtheit  touchiren 
liess.  Nachdem  die  Adhärenzen  mit  den  Fingernägeln  durch- 
drückt, konnte  die  Placenta  weggenommen  werden.  Sie 
zeigte  an  ihrer  Uterinfläche  am  unteren  Rande,  meist  in  der 
Nachbarschaft  alter  Blutheerde  knorpelharte  Spitzen  und  Zacken, 
die  bis  lU"  das  Niveau  der  Uterinfläche  überragten. 

Der  zweite  Fall  betrifft  gleichfalls  eine  Plac.  praev.,  aber 
marginalis  bei  einer  Fünftgebärenden.  Die  unter  der  Geburt 
entstandene  Blutung  war  durch  den  vorrückenden  Kopf  ge- 
stillt worden.  Wegen  Abnahme  der  Herztöne  legte  ich  die 
Zange  an  und  entwickelte  einen  lebenden  Knaben.  Darauf 
übte  ich  die  Compression  des  Uterus  fast  eine  Stunde  lang 
ohne  Erfolg,  bis  mich  das  inzwischen  ergossene  Blut,  in  Rück- 
sicht auf  die  schon  bestehende,  allerdings  nicht  sehr  bedeu- 
tende Anämie  zur  manuellen  Lösung  drängte.  Die  Adhäsion 
befand  sich  an  dem  rechten  Rande  der  an  der  hinteren  Wand 
sitzenden,  im  Uebrigen  völlig  gelösten  Placenta,  und  die 
Trennung  gelang  leicht.  An  der  Uterinfläche  des  Frucht- 
kuchens ausser  feinen  Kalkeinsprengungen  nichts  Besonderes. 

Ich  glaube,  diese  beiden  Fälle  sind  beweisend  für  die 
Existenz  genuiner,  d.  h.  nicht  durch  unzweckmässiges  Ver- 
fahren veranlasster,  abnorm  fester  Adhärenzen.  Ich  war  in 
beiden  Fällen,  während  der  ganzen  Nachgeburtsperiode  gegen- 
wärtig, war  hinreichend  in  dem  Credf  sehen  Verfahren  geübt 
und  habe  dasselbe  sofort  instituirt.  Sie  sind  um  so  mehry 
beweisend,  als  sich  in  dem  einen  Falle  die  Verwachsungs- 
residuen  anatomisch  nachweisen  Hessen.  Es  musste  indess 
auflallen,  dass  beide  Fälle  Plac.  praev.  betrafen,  und  ich  ge- 
stehe, dass  ich  anfänglich  nur  zu  geneigt  war,  das  Misslingen 
des  Manövers,  das  ich  so  oft  als  erprobt  gefunden,  auf  Rech- 
nung der  bei  Plac.  praev.  obwaltenden  eigentümlichen  Um- 
stände zu  schieben,  zumal  darauf,  dass  man  es  einmal  immer- 
bin  mit   einem    durch   die    voraufgegangene   Blutung   mehr 


far  Gebnrtahülfe  in  Berlin.  139 

weniger  atonischen  Uterus  zu  thun  hat,  ferner  darauf,  dass 
die.  meist  schon  bestehende  Anämie  kein  allzulanges  Zu- 
warten gestattet.  Allein  diese  Annahme  ist  nicht  stichhaltig, 
wie  mich  neun  andere  zu  meiner  Behandlung  gekommene 
Fälle  von  Plac.  praev.,  in  denen  die  Entfernung  mittels  Druck 
ohne  alle  Schwierigkeit  gelang,  und  ein  in  der  letzten  Zeit 
Torgekommener  Fall  überzeugt  haben,  den  ich  hier  noch 
anfuhren  will. 

Eine  36jährige  Erstgebärende  kommt  nach  dreissig- 
.stundigem  Krassen,  wovon  vier  auf  die  Austreibungsperiode 
kommen,  um  sechs  Uhr  Morgens  mit  einem  lebenden  Mädchen 
in  erster  Schädellage  nieder.  Der  Praktikant  übte  während 
fast  zwei  Stunden  die  Compression  des  Uterus  ohne  Frfolg, 
bis  ihn  die  starke  Blutung  nöthigte,  Hülfe  zu  verlangen.  Als 
ich  ankam,  erzählte  mir  derselbe,  er  habe  sich  nicht  getraut, 
die  Placenta  wegzunehmen,  da  im  Muttermunde  nichts  von 
derselben  zu  fühlen  gewesen.  Der  Uterus  stand  in  der  Höhe 
des  Nabels,  die  rechte  Gegend  des  Fundus  etwas  stärker  ge- 
wölbt, im  Muttermunde  kein  Theil  des  Kuchens.  Da  die  Blu- 
tung stand,  machte  ich  sofort  wieder  Compressionsversuche, 
aber  selbst  nach  halbstündiger  Anwendung  der  Manipulationen 
ward  von  der  Placenta  nichts  fühlbar.  Es  blieb  nun  nichts 
weiter,  als  die  Lösung  mittels  eingeführter  Hand  übrig. 
Diese  war  mit  grossen  Schwierigkeiten  verknüpft,  da  sich  der 
innere  Muttermund  mittlerweile  beträchtlich  verengt  hatte. 
Nur  am  oberen  Rande  der  Placenta  fanden  sich  neben  klei- 
neren Blutergüssen  bis  knorpelharte  Massen,  die  an  der 
Uterinfläche  prommirten. 

Dies  sind  die  einzigen  Fälle  accreter  Placenten  unter 
beiläufig  665  Geburten,  über  die  ich  genaue  Berichte  besitze, 
die  ich,  seitdem  ich  das  Crede't&e  Verfahren  übe  und  seit- 
dem es  von  den  Praktikanten  in  der  Poliklinik  geübt  wird, 
gesehen  habe.  In  allen  übrigen  unter  der  Diagnose  der  Ver- 
wachsung der  Placenta  mir  zur  Beendigung  übertragenen  Ge- 
burten Hess  sich  die  Entfernung,  und  häufig  überraschend 
leicht  durch  Compression  de^  Uterus  bewirken. 

Ich  muss  hiernach  also  die  Existenz  abnorm  fester  Ver- 
bindung des  Fruchtkuchens  mit  dem  Uterus  auch  bei  alleini- 
ger  und   consequenter  Anwendung  der  Credf  sehen  Methode 


140  n.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

aufrecht  erhallne,  muss  indess  zugestehen,  dass  durch  dies 
Verfahren  die  sogenannten  Verwachsungen  in  der  That  seltener 
zu  werden  scheinen,  wie  ich  aus  einer  vergleichenden  Zu- 
sammenstellung früherer  Jahre  mit  dem  eben  abgelaufenen 
entnehmen  kann,  da  sich  kaum  ein  anderer  Grund  für  die 
relative  Häufigkeit  derselben  in  früheren  Jahren  auffinden  lässt. 

Ich  brauche  wohl  kaum  zu  erwähnen,  dass  ich  damit 
durchaus  nicht  einer  „Placentitis"  als  Ursache  jener  Ver- 
wachsungen das  Wort  rede.  Im  Gegentheil,  was  ich  als  Ad- 
härenzen gesehen  und  untersucht  habe,  lässt  sich  mit  grösster 
Wahrscheinlichkeit  als  Umwandlungsproduct  des  Blutfaserstoffs 
(aus  hämorrhagischen  Heerden)  ansehen.  Der  einzige  Fall,  der 
eine  Placentitis  vorzustellen  schien,  betraf  eine  Piacent,  aus 
dem  Ende  des  achten  Monats,  deren  zugehöriger  Fötus  be- 
reits beträchtliche  Fäulnisserscheinungen  aufwies.  Es  fand  sich 
hier  mitten  in  der  Placenta  ein  gelb-grünlicher,  breiig-weicher 
Cotyledo,  der  täuschend  das  Bild  der  Eiterung  darbot  Es 
zeigten  sich  sowohl  eiterähnliche  Einsprengungen  an  der  freien 
Fläche,  als  namentlich  ein  dicker  puriformer  Belag  an  der 
Basis  desselben«  Das  Mikroskop  zeigte  indess  keine  Spur  von 
Eiterkörperchen,  sondern  nur  fettigen  Detritus.  — 

Was  die  Incarcerationen  anlangt,  so  ist  mir  unter  jenen 
665  Fällen,  über  die  ich  genauere  Berichte  besitze,  nicht 
einer  zur  Beobachtung  gekommen.  In  den  Fällen,  die  ich 
gesehen,  wurde  ich  immer  erst  in  der  Nachgeburtsperiode  von 
Hebammen  hinzugerufen.  Starker  Zug  an  der  Nabelschnur 
und  manuelle  Entfernungsversuche  hatten  eingestandener- 
maassen  stattgehabt  In  zwei  Fällen,  in  denen  die  Beendigung 
des  Nachgeburtsgeschäfts  nicht  drängte,  versuchte  ich  den 
Credf sehen  Handgriff.  Es  waren  beide  Fälle  exquisite  Bei- 
spiele von  Strictur  des  Tubarostiums,  und  die  Diagnose  schon 
bei  Betastung  des  Uterus  zu  stellen.  Die  äusseren  Manipula- 
tionen hatten  beide  Male  keinen  Effect;  in  dem  einen  Falle 
bemerkte  ich  sogar  deutlich  eine  stärkere  Zusamraenziehung 
an  der  stricturirten  Stelle  während  der  Compression  des 
Uterus.  Für  diese  Fälle  passt  also  das  Oecfc'sche  Verfahren 
nicht,  wenngleich  ich  nach  meiner  Erfahrung  unbedingt  zu- 
geben muss,   dass  ich  in  allen  Fällen  von  Incarceration  der 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  141 

Pkcenta  in  dem  unzweckmässigen  Verhalten  der  Hülfeleisten- 
den eine  ausreichende  Aetiologie  fand. 

Soll  ich  am  Schlüsse  meine  durch  ihre  geringe  Ansah! 
allerdings  wenig  maassgebenden  Beobachtungen  zusammen* 
fassen ,  so  reduciren  sie  sich  auf  folgende  Sätze? 

1)  Das  von  Credt  in  Gebrauch  gezogene  Verfahren  ist 
in  der  weitaus  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  völlig  sicher, 
bietet  kaum  mehr  Schmerz  wie  das  alte  und  theilt  dessen 
Uebelstände  nicht,  ja  es  führt  noch  dann  zum  Ziele,  wenn 
jenes  nicht  mehr  anwendbar,  z.  B.  bei  abgerissener  Nabel- 
schnur, oder  wenn  die  Placenta  auf  dem  Schambeinkamme 
aufliegt 

2)  Es  giebt  selbst  bei  alleiniger  und  consequenter  An- 
wendung der  äusseren  Manipulationen  —  allerdings  selten  — 
so  innige  Verbindungen  des  Fruchtkuchens  mit  der  Uterin- 
wand, dass  die  Zerreissung  der  Adhärenzen  mit  den  Fingern 
der  einzige  Weg  ist,  um  die  Lösung  zu  ermöglichen. 

Auf  die  Anfrage  des  Präsidenten,  ob  das  Credfsehe  Ver- 
fahren sich  allgemeinen  Eingang  gewonnen  habe,  nahm  Herr 
Wegscheider  das  Wort  und  sprach  sich  günstig  über  den 
Erfolg  aus,  den  er  in  ungefähr  30 — 40  danach  behandelten 
Fällen  dadurch  erzielt  habe.  Nur  in  einem  Falle  habe  er 
sich  seitdem  gezwungen  gesehen,  von  vorn  herein  darauf  zu 
verzichten,  da  Patientin  früher  eine  heftige  Pneumonie  über- 
standen, dann  aber  während  der  Schwangerschaft  durch  eine 
schmerzhafte  Leberanschwellung  an  hochgradiger  Dyspnoe  ge- 
litten habe,  welche  in  Verbindung  mit  der  grossen  Empfind- 
lichkeit des  Unterleibes  jeden  Druck  desselben  contraindicirt 
hatten.  Leider  folgte  die  Nachgeburt  indess  dem  alten  Ver- 
fahren nicht ;  da  nach  zwölf  Stunden  der  Abgang  nicht  erfolgt 
war,  lösste  Herr  W.  ungefähr  V4  derselben,  welches  aus  dem 
zusammengezogenen  Muttermunde  hervorhing,  von  der  Haupt- 
masse ab,  und  stand  von  operativen  Versuchen  ab,  da  keine 
gefahrdrohenden  Erscheinungen  vorhanden  waren.  In  lünf 
bis  sechs  Tagen  stiess  sich  der  Rest  als  jauchige  Masse  ab, 
welche  durch  Einspritzungen  entfernt  wurde,  und  Patientin 
genas. 


142  H.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Herr  Hofmeier  ist  mehrfach  mit  dem  Credf&chen  Ver- 
fahren nicht  zum  Ziele  gekommen,  äussert  indess  die  Ver- 
muthung,  dass  er  wohl  nicht  kräftig  genug  gedrückt  habe, 
wenigstens  habe  der  eben  gelesene  Vortrag  eine  viel  grössere 
Gewalt  als  nöthig  dargestellt,  als  er  bisher  ausgeübt  habe. 

Derselben  Ansicht  war  früher  Herr  Kauffmann,  der  indess 
durch  die  Praxis  selbst  von  der  Unschädlichkeit  eines  stärkeren 
Druckes  überzeugt  ist.  Eine  dem  Credf  sehen  Verfahren  nicht 
folgende  Nachgeburt  sollte  nun  auf  die  frühere  Weise  entfernt 
werden,  der  sehr  dünne  Nabelstrang  riss  indess  ab,  und  da  kein 
Grund  zu  operativem  Einschreiten  vorlag,  so  versuchte  Herr  K. 
nun  zum  zweiten  Male  und  zwar  in  verstärktem  Maasse  die 
Compression  des  Uterus  und  kam  diesmal  zum  erwünschten 
Ziele  ohne  nachtheiligen  Einfluss  für  die  Mutter.  Seitdem 
hat  er  das  Credf&che  Verfahren  öfter  mit  Erfolg  geübt,  findet 
indess  dass  bei  einzelnen  Wöchnerinnen  der  Druck  eine  so 
unangenehme  Schmerzempfindung  erregt,  dass  nicht  nur  er  in 
diesen  Fällen  dem  alten  Verfahren  den  Vorzug  giebt,  son- 
dern auch  von  Wöchnerinnen  selbst  darauf  verwiesen  wurde. 

Herr  Kristeller  findet  das  Credfsche  Verfahren  das 
naturgemässeste ,  da  es  auf  dieselbe  Weise  wie  die  Natur 
selbst  a  tergo  auf  das  Geburtsobject  wirke,  es  empfehle  sich 
namentlich  da,  wo  die  Placenta  noch  sehr  hoch  sitze,  und 
auch  er  habe  gefunden,  dass  ein  kräftiger  Druck  sehr  gut 
ertragen  werde.  Die  spontane  Ausstossung  der  Nachgeburt 
und  namentlich  die  früher  gebräuchliche  Lösung  durch  Ein- 
gehen mit  der  Hand  seien  doch  in  der  That  nicht  schmerz- 
los und  deshalb  dürfe  eine  theilweise  Schmerzhaftigkeit  dieser 
Operation  nicht  zu  sehr  ins  Gewicht  fallen.  Er  wende  das 
Verfahren  indess  nicht  in  jedem  Falle  an,  da  er  nicht  gleich 
nach  der  Geburt  die  Placenta  entferne.  Bei  der  Untersuchung 
10 — 15  Minuten  nachher,  finde  er  oft  die  Placenta  von  selbst 
in  die  Scheide  herabgetrieben  und  dann  entferne  er  sie  durch 
einfachen  Zug.  Sei  indess  die  Placenta  noch  im  Uterus, 
dann  übe  er  den  Druck  und  könne  ihm  nur  ein  günstiges 
Zeugniss  ausstellen. 

Ein  missverstandener  Ausdruck  in  dem  Aufsatze  des 
Herrn  Strasemann  gab   zu  einer  Controverse  über  die  Be- 


v       für  Geburtshülfe  in  Berlin.  143 

deutung  der  Achsenstellung  des  Uterus  in  der  Nachgeburts- 
periode Veranlassung,  die  indess  durch  Erklärung  beseitigt 
wurde. 

Herr  Martin  hat  ebenfalls  die  Erfahrung  gemacht,  das» 
in  mehreren  Fällen  die  Entfernung  der  Nachgeburt  mittels  der 
Credf  sehen  Handgriffe  der  Kreissenden  sehr  empfindlich  war. 
In  einzelnen  Fällen  ist  er  überhaupt  damit  nicht  zum  Ziele 
gekommen,  so  dass  er  die  Placenta  nach  der  früheren  Methode 
wegnehmen  musste.  Er  glaubt  nicht,  dass  ein  Versehen  in 
den  Manipulationen  von  seiner  Seite  Grund  dieser  Erfolglosig- 
keit gewesen  sei,  doch  räume  er  ein,  dass  er  eine  zu  grosse 
Gewaltanwendung  vermeide.  Was  Credä's  Angabe  betreffe, 
dass  seit  Einführung  seiner  Methode  die  Adhäsionen  in  der 
Leipziger  Anstalt  gänzlich  verschwunden  seien,  so  könne  er 
dies  doch  nur  einem  günstigen  Zufalle  zuschreiben,  denn  auch 
er  habe  es  in  seiner  Klinik  seit  einem  Jahre  zur  Regel  ge- 
macht, die  Entfernung  der  Nachgeburt  immer  zuerst  mittels 
des  Druckes  auf  den  Mutterkörper  zu  versuchen.  Dennoch 
habe  er  in  drei  Fällen  der  Poliklinik,  wo  er  bestimmt  ver- 
sichern könne,  dass  keine  anderweiten  Manipulationen  vorher 
gegangen  seien,  nach  erfolgloser  Anwendung  der  Credfachen 
Methode  bei  der  darauf  indicirten  Wegnahme  der  Nachgeburt 
durch  Einführung  der  ganzen  Hand  unzweifelhafte  Adhäsionen 
vorgefunden,  die  sich  auch  an  der  gelösten  Placenta  deutlich 
hätten  nachweisen  lassen.  Uebrigens  sei  die  Existenz  von 
festen  Adhäsionen  des  Mutterkuchens  durch  mehrfache 
Sectionen  hinreichend  dargethan.  In  einem  FaHe  sei  eine 
vorhandene  Strictur  des  Uterus  um  die  adhärente  Stelle  des 
Mutterkuchens  durch  die  Knetung  des  Uterus  dem  äusseren 
Befunde  nach  gesteigert  worden. 

Er  könne  daher  seine  Ansicht  nur  dahin  aussprechen, 
dass  es  trotz  methodischer  Reibung  und  Compression  des 
Uterus  immer  noch  Fälle  geben  werde,  in  welchen  eine  an- 
dere Methode  der  Entfernung  der  Nachgeburt  eintreten  müsse; 
n  welchem  Verhältnisse  diese  zu  jenen  ständen,  sei  freilich 
bis  jetzt  nicht  zu  bestimmen;  jedenfalls  sei  indess  die 
Credf sehe  Methode  jederzeit  zuerst  zu  versuchen  und  sie 
als  gewöhnliches  Verfahren  in  die  Praxis  eingeführt  zu  haben, 
sei  ein  anerkennenswerthes  Verdienst  Credt's. 


X44         HL  J?oiA,. Gebttrtabindernws  durch  Verkfebung 

Auf  die  Frage  des  Herrn  Wegscheider ,  wie  sich  die 
Wirkung  jler  Credf sehen  Methode  bei  Frühgeburten  stelle, 
entgegnet  Herr  Strassmann,  dass  er  vom  fünften  Monat  an 
dieselbe  mit  günstigem  Erfolge  geübt  habe;  über  frühere 
Sehwangerschaftsperioden  könne  er  nach  seiner  jetzigen  Er- 
fahrung noch  nicht  urtheilen. 


IIL 

(toburtshinderniss  durch  Verklebung  des  äusseren 
Muttermundes. 

Vom 

Physicus  Dr.  Roth  in  Eutin. 

In  der  neuesten  Zeit  hat  DepauL  die  Aufmerksamkeit 
des  ärztlichen  Publikums  auf  eine  seltene  Erschwerung  des 
Geburtsherganges  geleitet ,  indem  derselbe  ausführlich  drei 
Geburtsfalle  mittheilt,  bei  welchen  der  äussere  Muttermund 
verschlossen  gefunden  wurde,  so  dass  die  kräftigen  Wehen 
denselben  nicht  auszudehnen  vermochten,  um  die  Frucht  durch- 
zulassen. Diese  Beobachtungen  finden  sich  ausführlicher  in 
der  Monatsschrift  für  Geburtskunde,  Bd.  XVL,  5,  wie  auch 
in  den  Jahrbüchern  d.  ges.  In-  und  Ausländischen  Median, 
Bd.  109,  pag.  57,  mitgetheilt.  Depaul  nämlich  fand  bei 
dem  von  ihm  beobachteten  Falle  da,  wo  er  das  orif.  uteri 
zu  suchen  hatte,  eine  quer  laufende  Hervorrag  ung,  welche 
er,  wohl  mit  Recht,  für  eine  Andeutung  (oder  vielmehr  den 
letzten  Rest)  der  vorderen  Muttermundslippe  hielt  Ebenso 
beschreibt  er  die  beiden  Geburtsfalle,  welche  von  Jacqvez 
und  Alonso  beobachtet  wurden.  Diese  beiden  Aerzte  be- 
merkten ebenfalls  an  der  Stelle  des  Muttermundes  jene 
querlaufende  Hervorragung.  Alle  drei  schlugen  sie  bei 
diesem  Geburtshindernisse  dasselbe  ärztliche  Verfahren  ein, 
indem  sie  an  der  Stelle,  wo  sie  die  Hervorragung  fanden, 
eine  künstliche  Oeflfhung,  verbunden  mit  einem  Kreuzschritte 
machten,  aus  welchem  dann  die  Kinder  bald  hervortraten. 


des  Äusseren  Muttermundes.  145 

So  dankenswerth  es  ist,  dass  D&paul  die  Veranlassung 
zur  Besprechung  dieses  seltenen  Vorfalles  giebt,  so  ist  doch 
nicht  zu  übersehen,  dass  der  eingeschlagene  Weg  zur  Be- 
seitigung des  Leidens  nicht  der  von  der  Erfahrung  erprobte 
und  gut  geheissene  ist.  Es  wird  nicht  immer  der  Operation 
bedürfen,  und  um  so  mehr  ist  dieselbe  zu  umgehen,  da  sie 
nicht  ganz  ohne  Gefahr  sein  dürfte,  da  sie  jedenfalls  die 
Wöchnerin  und  die  Umstehenden  sehr  beängstigen  wird  und 
zu  anderen  Störungen  des  Geburtsherganges  sehr  leicht  Ver- 
anlassung geben  kann.  Ich  will  mir  erlauben  dasjenige  mit-' 
zutheilen,  was  mein  verstorbener,  sehr  hochgeschätzter  Lehrer 
Franz  Carl  Nägele  in  seinen  Vorlesungen  Aber  diese  Vor- 
kommenheit  sagte  und  diesem  dann  eine  eigene  Beobachtung 
anfügen. 

In  seinem  Lehrb.  d.  Geburtshülfe  für  Hebammen,  Thl.  IL, 
pag.  255  (der  Leitfaden  bei  seinen  Vorlesungen)  sagt  Nägele: 
„Ferner  kann  der  Muttermund  durch  ein  fadenartiges  Gewebe, 
welches  den  Wehen  ein  hartnäckiges  Hinderniss  entgegen  zu 
setzen  im  Stande  ist,  verschlossen,  eigentlich  verklebt  sein, 
so  dass  er  schwer  aufzufinden  ist  und  man  in  die  Täuschung 
gerathen  kann  zu  glauben,  es  sei  kein  Muttermund  vor- 
handen. " 

Zu  diesem  Satze  machte  Nägele  bei  seinem  Vortrage 
noch  folgende  Bemerkungen,  indem  derselbe  sagte:  Es  komme 
bisweilen  vor,  dass  der  Muttermund  bei  den  kräftigsten  Wehen 
sich  nicht  öffnen  wolle.  In  solchen  Fällen  finde  man  bis- 
weilen da,  wo  man  das  Orif.  uteri  zu  suchen  habe,  den 
unteren  Gebärmutterabscbnitt  straff  über  den  Kopf  des  Kindes 
gespannt,  aber  keine  Oeffnung  an  demselben.  Untersuche 
man  nun  ab0r  genauer,  so  finde  man  an  dieser  Wölbung  ein 
sehr  kleines  Grübchen  mit  nach  Innen  geschlagenen  Rändern, 
ähnlich  einem  Schnürloche.  —  Diese  Beschreibung  des  ver- 
klebten Orif.  uteri  weicht  von  der  Beschreibung  DepauTs  und 
von  meiner  Wahrnehmung  ab,  indem  Nägele  eine  Vertiefung, 
die  übrigen  Beobachter  aber  eine  Hervorragung  fanden;  bei 
meinem  Falle  war  es  jedoch  so,  dass  ich  hinler  der  Hervor- 
ragung eine  spaltartige  Vertiefung  zu  bemerken  glaubte.  — 
Diese  Andeutung  des  Muttermundes,  führt  Nägele  fort  werde 
Jeicht  übersehen  und  er  glaube,  dass,  wo  man  das  Orificium 

MonAUiohr.  f.  GeburUk.   1863.  Bd.  XIX..  HA.  1  u.  1,  10 


146  HI     Roth,  Geburtsfainderniss  durch  Verklebung 

fehlend  glaubte  und  ein  Orificium  mit  dem  Messer  machte, 
dieses  Fälle  von  Verklebung  des  Muttermundes  gewesen  seien. 
Ferner  sagte  er:  „die  Lehrbücher  der  deutschen  und 
englischen  Geburtshelfer  (es  war  vor  32  Jahren)  sagen  nichts 
über  dieses  Geburtshinderniss ;  obgleich  ältere  Schriftsteller 
etwas  Aehnliches  anführen,  so  hat  man  es  doch  nicht  in  die 
Lehrbücher  übergetragen.4' 

In  den  Heidelberger  klinischen  Annalen  beschreibe  schon 
W.  J.  Schmitt  zwei  solcher  Fälle  und  füge  noch  einen  ähn- 
lichen Fall  aus  Schweden  an.  Ausserdem  habe  er  selbst 
schon .  einen  ähnlichen  Fall  bei  Paul  Portal  gefunden. 
Mad.  Lachapeüe  habe  mehrere  solcher  Fälle  sehr  schön  be- 
schrieben. Darauf  lehrt  Nägele  weiter:  Man  bringe  während 
einer  Wehe  die  Fingerspitze  gegen  diese  markirte  Stelle,  drücke 
fest  gegen  dieselbe  und  so  werde  man  über  dem  Finger  ein 
knisterndes  Zerreissen  fühlen,  worauf  sich  das  Orif.  uteri 
schnell  erweitere.  Er  habe  diese  Fälle  mehrfach  beobachtet 
und  dabei  immer  mit  Gegendruck  mit  dem  Schnellesten  Er- 
folge verfahren.  —  Es  bestehe  dieses  Hinderniss  in  einer 
Verklebung  des  Orif.  uteri  extern,  durch  ein  Gewebe,  welches 
mit  dem  Finger  leicht  durchbrochen  werden  könne;  sollte 
jedoch  das  Orif.  uteri  zu  hoch  liegen,  so  könne  man  dazu 
einen  weiblichen  Katheter  benutzen. 

In  meiner  31jährigen,  nicht  eben  geringen  geburtshülf- 
licben  Praxis  ist  mir  bis  vor  ca.  einem  Jahre  kein  solcher 
Fall  vom  Verklebung  des  Muttermundes  zur  Behandlung  vor- 
gekommen; auch  habe  ich  keinen  derartigen  Fall  in  den  Ent- 
bindungslisten der  Hebammen  meines  Kreises  bemerkt,  welche 
ich  mir  seit  20  Jahren  halbjährlich  einliefern  lasse,  und  welche 
sich  über  eine  jährliche  Zahl  von  pptr.  250  Entbindungen 
erstrecken. 

Hieraus  würde  resultiren,  dass  sich  obiges  Geburts- 
hinderniss zu  anderen  Geburten  etwa  verhake  wie  1 :  5000. 

Nach  diesen  Bemerkungen  bleibt  es  mir  noch  übrig  im 
Folgenden  den  von  mir  beobachteten  Fall  derselben  Art  mit- 
zutheilen : 

Am  4.  Dec  1860,  Abends,  wurde  ich  aufgefordert,  in 
elftem  eine  Stunde  entfernten  Dorfe  einer  Frau  A...  bei  ihrer 
Entbindung  beizustehen.     Die  Kreissende   war  Erstgebärende, 


des  Knsseren  Muttermundes.  147 

mit  achtzehn  Jahren  verheirathet  und  jetzt  neunzehn  Jalire 
alt.     Sie   war  wohlgebaut,   kräftig;  die  Schwangerschaft  war 
wohl  r erlaufen  und  durch  nichts  gestört  worden;  die  Rechnung 
war  zu  Ende.    Seit  Tages  vorher  waren  Wehen  eingetreten, 
die  aber  bis  zu  meiner  Ankunft  höchst  schwach  und   seilen 
waren.    Bei  meiner  ersten  Untersuchung  fand  ich  den  Kindes- 
kopf im  kleinen  Becken  angelangt,   wohinein  derselbe  etwa 
mit  V8  seiner  Höhe  reichte.     Der  Kopf  war  prall  mit  dem 
unteren  Abschnitte    der   Gebärmutter    überzogen   und   weder 
die  Hebamme  noch  ich,   konnten  ein  Orif.   uteri  auffinden; 
ich    bemerkte   jedoch    in    der    Führungslinie,    etwas    mehr 
nach   vorne,    einen   kleinen   länglichen  Wulst  (Hervor- 
ragung), welchen  ich  für  einen  Rest  der  vorderen  Lippe  des 
Muttermundes  hielt,  um  so  mehr,   als  ich  hinter  demselben 
eine   kleine  längliche  Vertiefung  zu  bemerken  glaubte. 
Nägele**  Mittheilungen  kamen  mir  sofort  in  Erinnerung  und 
glaubte  ich   fest,   dass   dieses   ein  Fall  von  Verklebung  des 
Muttermundes  sein  müsse.     Da  aber  keine  fruchtenden  oder 
doch  nur  sehr  geringen  Wehen  dann  und  wann  eintraten,  so 
gab  ich  einige  Dosen  Borax,   die  ieh  bei  mir  führte,   theils 
um  eine  grössere  Wehentbätigkeit  hervorzurufen,   theils   um 
zu  erfahren,  ob  durch  dieselben  sich  nicht  eine  andere  Sach- 
lage bemerkbar   und    meine   vorläufige   Diagnose   verändern 
werde.    Diese  Pulver   verstärkten    die  Wehen   bald  kräftigst 
und  drängten  den  Kindeskopf  tiefer  ins  Becken  herab;  aber 
trotz  wiederholter  Untersuchung  durch  die  Hebamme,  welche 
diesen  Fall  genau  kennen  lernen  sollte,  und  mich,  konnten 
wir    keine    Veränderung    des    ursprünglichen    Sachverhalts, 
namentlich  kein  Oefliien  des  Orif.  uteri  entdecken.   Ich  führte 
daher    meinen   Finger   wiederum   eift,    suehte    den   kleinen 
Wulst  am  unteren  Abschnitte  der  Gebärmutter  auf  und  legte 
die  Fingerspitze  fest  dagegen.    Bei  der  nächsten  Wehe  zog 
ich,  stark  gegendrückend,  diesen  Wulst  bin  und  her  und  suchte 
meine  Fingerspitze   hinter   demselben   in   die  längliche  Ver- 
tiefung, welche  ich  dort  zu  fühlen  glaubte,  zu  drängen,  was 
der  Wöchnerin  momentan  einen  lebhaften  Schmerz  verursachte, 
und  sogleich  bildete   sich  um   meine  Fingerspitze  das  runde 
Orif.  uteri,   wie  wir  es  bei  jeder  anfangenden  Geburt  immer 
finden.    Ueber  meinem  Finger  entdeckte  ich  die  Eihäute.    Ich 

10* 


148  UI.    Roth,  GeburtahiDderniss  durch  Verklebung 

dehnte  noch  die  entstandene  Oeffhung  mit  dem  Finger  nach 
allen  Seiten  vorsichtig  aus,  um  alles  Hemmende  zu  zerstören. 
Eine  knisternde  Empfindung,  wie  Nägele  angiebt,  habe  ich 
in  meiner  Fingerspitze  nicht  empfunden.  Bei  der  nach  etwa 
10  Minuten  folgenden  Untersuchung  fand  ich  das  Orif.  uteri 
über  3  Zoll  weit  geöffnet,  welches  bei  kraftigen  Weben  in 
kurzer  Zeit  ein  kräftiges  lebendes  Kind  durchtreten  und  ge- 
boren werden  liess. 

Es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  von  Geburtshelfern 
bei  Entbindungen  Abnormitäten  am  Muttermunde  gefunden 
werden  können  und  gefunden  werden,  die  eine  Operation  er- 
forderlich machen,  wie  Depaid  und  Viele  vor  ihm  sie  vor- 
geschlagen und  ausgeführt  haben.  Zu  diesen  Abnormitäten 
des  Orif.  uteri  gravidi  rechne  <ich  die  knorpelartigen  Ver- 
härtungen und  Narben  an  demselben,  entstanden  durch 
Krankheiten  oder  vorhergegangene  schwere  oder  künstliche 
Entbindungen;  die  bautartigen  Querstreifen,  wodurch  man  den 
Muttermund  in  zwei  Hälften  getheilt  gefunden  haben  will; 
Geschwülste  am  und-  im  Muttermunde  als  Geburtshinderniss 
beobachtet  hat;  endlich  die  krebsartigen  Entartungen  an  dem- 
selben. Aber  der  besprochene  vorliegende  Fall  von  Geburts- 
hinderniss, wobei  das  Orif.  uteri  blos  durch  ein  Gewebe  ver- 
klebt gefunden  wird,  —  die  tlrei  Entbindungsfalle,  welche 
Depaul  L  c.  mittheilte,  scheinen  unzweifelhaft  in  dieselbe 
Kategorie  zu  gehören  —  scheint  mir  durchaus  nicht  den 
operativen  Eingriff  zu  rechtfertigen.  Dass  die  Operation  von 
JacqueZj  Alonso  und  DepatU,  welcher  für  diesen  Zweck 
ein  besonderes  Hysterotom  erfunden  haben  will,  mit  raschem 
Erfolge  ausgeführt  worden,  dürfte  —  in  extenso  ausgeführt, 
d.  h.  dass  jene  nach  der  Eröffnung  des  Uterus  hinter  der 
von  allen  dreien  beobachteten  Hervorragung  noch  einen 
Kreuzschnitt  in  den  unteren  Abschnitt  der  Gebärmutter 
machten  —  ebensowenig  ihre  Berechtigung  erweisen ,  wie  sie 
zu  erweisen  im  Stande  ist,  dass  nicht  schon  der  blosse  Einstich 
hinter  der  Hervorragung  vollkommen  ausreichend  gewesen 
wäre,  die  Geburt  zu  ermöglichen,  indem  auch  hierdurch  das 
krankhafte  Gewebe  schon  zerstört  werden  musste.  Wenn 
aber  TT.  J.  Schmitt,  Mad.  Lachapdle  und  Nägele  und 
auch  meine 'Beobachtung  nachgewiesen  haben  f  dass  es  nicht 


des  Äusseren  Muttermundes.  149 

nothwendig  sei,  bei  Geburtshindernissen  obiger  Art  Instru- 
mentaleingriffe vorzunehmen,  so  kann  ich  von  meinem  Stand- 
punkte aus  die  von  Depaul  empfohlene  Operation  nicht 
billigen.  Ueberdem  glaube  ich  auch,  dass  der  Geburtshelfer 
jeder  Kreissenden  die  Rücksicht  schuldig  ist,  dass  er  stets 
möglichst  schonend  und  jeden  Operativeingriff,  wenn  nicht 
durchaus  erforderlich,  sorgfältig  vermeidend  zu  verfahren  habe 
und  in  Fällen,  wo  er  mit  dem  Finger  fast  ohne  Schmerz 
dieselbe  Hälfe  bringen  kann,  keine  schneidende  Instrumente 
zur  Anwendung  bringen  darf. 

Was  nun  die  Natur  des  besprochenen  Leidens  betrifft, 
so  kann  dasselbe  wohl  nicht  angeboren,  sondern  es  muss 
wohl  die  Folge  eines  abnormen  Zustandes  während  der 
Schwangerschaft  sein ,  welcher  entweder  durch  den  Vorgang 
der  Schwangerschaft  selbst  oder  durch  äussere  Schädlichkeiten 
hervorgerufen  wurde.  So  wie  sich  im  Uterus  durch  die 
Schwängerung  die  Decidua  bildete,  so  konnte  der  plastische 
Ausscbwitzungsprocess  sich  auf  das  Collum  bis  zum  Orif.  uteri 
fortsetzen,  und,  wenn  auch  dort  verschwindend,  doch  hier 
erhalten  bleiben,  um  so  mehr,  als  vielfältige  Ursachen 
während  der  Schwangerschaft  einen  fortwährenden  Reizungs- 
zustand des  Muttermundes  zu  erhalten  im  Stande  sind.  —  Es 
ist  wohl  nicht  zweifelhaft,  dass  das  die  Erweiterung  des  Orif. 
uteri,  auch  bei  den  kräftigsten  Wehen,  verhindernde  Gewebe 
plastisches  Exsudat  ist,  welches  den  äussersten  Rand  des 
Orif.  uteri  zusammenleimt,  so  zwar,  dass  die  hintere  kleinere 
Lippe  bis  auf  den  äussersten  Rand  durch  die  Ausdehnung 
des  Uterus  in  denselben  übergehen  kann,  während  die  vordere 
im  jungfräulichen  Zustande  wulstiger  hervorstehende  Lippe  in 
den  hier  besprochenen  Fällen  eine  Erhabenheit  zurück  liess, 
welche,  weil  mehr  abstehend,  nicht  .wohl  am  äussersten  Rande, 
sondern  mehr  oberwärts  mit  verleimt  werden  konnte.  — 
Wenn  Nägele  die  incriminirte  Stelle  des  Uterus  ähnlich 
„einem  Schnürloche"  bezeichnete,  so  dürfte  es  möglich  bleiben, 
dass  nach  dem  ersten  oder  zweiten  Monate  der  Schwanger- 
schaft, wo  sich  die  Ungleichmässigkeit  der  Muttermunds- 
lippen bei  Erstgeschwängerten  ausgleicht,  die,  die  plastische 
Ausschwitzung  bedingende,  äussere  Ursache  einwirkte,  in 
welchem  Falle  jene  einen  gleichmässigen  gelippten,  länglich 


150  H.    Roth,  GeburtahinderniM  durch  Verklebtmg 

gespaltenen  oder  runden  Muttermund  antreffen  und  die 
NcUjM$che  Beobachtung  und  Bezeichnung  rechtfertigen  wird. 
—  Denken  wir  uns  nun  diese  plastische  Verbindungsschicbt 
aus  sehr  vielen  einzelnen,  dehnbaren  Fäden  oder  aus  einem 
breiten  Gewebe  gebildet,  von  welchem  die  einzelnen  Molecülen 
auf  jedem  Punkte  des  Gewebes  gleicluuässig  und  fest  anein- 
ander hängen,  so  dürfte  keine  Kraft  im  Stande  sein,  den 
Kindeskopf,  der  als  ein  sehr  stumpfer  Keil  wirkt,  mit  solcher 
Wirkung  gegen  das  verklebte  Orif.  uteri  zu  drängen,  dass  da- 
durch das  verklebende  Gewebe .  durchbrochen  werden  könnte, 
weit  eher  würde  das  Gewebe  der  Gebärmutter  an  irgend  einer 
Stelle  des  unteren  Gebärmiitterabschnitts  gerreissen,  es  sei 
denn,  dass  das  verklebende  Gewebe  auf  einmal  in  seiner  un- 
endlichen Menge  von  Molecülen  zerspränge,  was  wiederum 
von  seiner  Elasticität  verhindert  werden  dürfte.  Ganz  anders 
aber  wird  das  Verhältnis  sich  gestalten,  wenn  während  der 
höchsten  Spannung  des  Gewebes  durch  eine  Wehe  die  Lage 
der  einzelnen  Molecülen  zu  einander  durch  einen  Gegendruck 
nrit  der  Fingerspitze  verändert  und  die  Spannung  des  Ge- 
webes über  das  Maass  gesteigert  wird.  Diese  Störung  in 
der  völligen  Gleichmässigkeit  in  der  Adhäsion  der  einzelnen 
Molecülen,  diese  aufs  Höchste  gesteigerte  Spannung  des  Ge- 
webes über  seine  mögliche  Dehnbarkeit  hinaus  muss  ein  Zer- 
reissen  desselben  zur  Folge  haben  und  das  Auseinanderwei- 
chen der  MuUermiindslippen  durch  die  folgenden  Weben 
gestatten« 


Geburtshinderniss  durch  Versohliessung  der  Vagina 
mittels  organisirter  plastischer  Häute. 

An  das  Oben  erörterte  Thema  reiht  sich  dieses,  als 
innerlich  nahe  verwandt  an  und  da  mir  von  demselben  zwei 
eigene  Beobachtungen  zu  Gebote  stehen,  so  gestatte  ich  mir, 
diese  dem  Obigen  anzuhängen. 

1)  Vor  vielen  Jahren  wurde  ich  aufgefordert  einer  jungen 
Erstgebärenden,  Ehefrau  2?...,  bei  ihrer  Entbindung  beizu- 
stehen. Die  Frau  war  gesund,  kräftig,  etwa  24  Jahre  aH 
und  hatte  während  der  Schwangerschaft  keine  besondere  Ab- 


-d«8  »msseroo  Muttorotmdea.  151 

weichungen  in  ihrem  Befinden  bemerkt,  namentlich  wusste 
sie  gar  nicht  anzugeben,  dass  sie  während  der  Schwanger- 
schaft ungewöhnliche  Empfindungen  und  Erscheinungen  in 
oder  an  ihren  Geschlechtstheilen  wahrgenommen  habe,  ms- 
besondere  habe  sie  gar  keinen  Ausflugs  bemerkt,  die  Weben 
waren  ziemlich  kräftig  und  hatten  schon  beiläufig  24  Stunden 
gedauert,  waren  aber  nicht  im  Stande  gewesen,  den  Kopf  des 
Kindes  weiter  herabzutreiben,  als  bis  in  die  Mitte  des.  kleinen 
Beckens,  wo  er  beharrlich  stehen  blieb.  Bei  meiner  Unter- 
suchung bemerkte  ich  gleich  hinter  dem  Introitus  vaginae  ein 
hautartiges  Hinderniss,  welches  meinen  Finger  mit  einem 
scharfen  Rande  umschloss.  Ich  konnte  den  Finger  bis  zur 
Hälfte  durch  die  Oeffhung  bringen,  was  der  Frau  Schmerzen 
machte.  Ich  orientirte  mich  genauer  und  fand,  dass  eine 
halbmondförmig  gebildete,  dünne  Haut  das  Hinderhiss  bildete, 
welche  an  der  linken  Scheidenwand  ihre  Basis  hatte  und  sieh 
an  den  Wandungen  der  Scheide  herumzog,  nach  unten  bis 
auf  den  Damm ,  nach  oben  bis  zur  Harnröhre.  Bei  ausein- 
ander gehaltenen  Schamlippen  machte  ich  mit  einer  Scheere 
einen  Einschnitt,  worauf  dieses  Häutchen  spurlos  verschwurt 
den  zu  sein  schien.  Als  ich  hier  kein  Hinderniss  mehr  fand, 
führte  ich  meinen  Finger  tiefer  ein,  um  den  Stand  der  Sache 
naher  zu  untersuchen.  Zu  meiner  Verwunderung  aber  fand 
ich  2"  höher  ein  ähnliches  meinen  Finger  zurückhaltendes 
Hinderniss.  Auch  hier  machte  das  forcirte  Hindurchdrängen 
des  Fingers  durch  die  gebliebene  Oeflhung  ebenfalls  Schmerz. 
Ich  nahm  aber  wahr,  dass  das  Hinderniss  durchaus  gleich- 
artig war,  dass  es  gebildet  wurde  durch  ein  halbmond- 
förmiges dünnes  Häutchen,  welches  straff  durch  die  Scheide 
gespannt  war,  dieses  hatte  aber  seine  Basis  an  der  rechten 
Wand  der  Scheide  und  dehnte  sich  an  den  Wandungen  ans 
nach  unten  bis  auf  die  Kreuzbeinparthie  und  nach  oben  bis 
auf  die  vordere  Wand,  da  etwa,  wo  diö  Harnblase  in  die 
Harnröhre  übergeht  Der  durchdringende  Finger  vermochte 
dieße  Haut  nicht  zu  zerreissen,  und  so  musste  ich  ein  Messer 
bis  zur  Spitze  mit  Leinewand  umwickeln,  um  unter  Leitung 
des  Fingers  auf  diese  Weise  die  abnorme  Haut  zu  zerstören. 
Kaum  aber  hatte  ich  dieselbe  berührt,  so  zerriss  oder  verlor 
sich  auch  dieses  Hinderniss,  so  dass  ich  den  Rest  nicht  mehr 


152         IIL   Rotk>  Geburtahindenrfas  durch  Verklebnng 

bemerken  konnte.  Das  Kind  trat  nun  bald  herunter  and 
wurde  ohne  weitere  Kunsthülfe  geboren. 

Durch  die  Kraft  der  Wehen,  wodurch  der  Uterus  zu 
kräftigen  Zusammenziehungen  veranlasst  wird,  wird  ohne 
Zweifel  die  Vagina  in  thätige  Mitleidenschaft  versetzt,  sie  dehnt 
sich  mit  aus,  geräth  wenigstens,  wofür  die  vermehrte  Schleim- 
absonderung spricht,  in  vermehrte  Thätigkeit  —  Jene  falschen 
Membranen  sind  wohl  nicht  erst  während  oder  kurz  vor  der 
Entbindung  entstanden,  sondern  ihre  Festigkeit  spricht  für 
ein  schon  längeres  Bestehen.  Es  ist  mir  auch  nicht  glaublich, 
dass  dieselben  schon  früher  in  dem  straffen  Zustande  be- 
standen, worin  ich  sie  vorfand,  weil  bei  so  ausgeprägtem 
Hindernisse  man  ohne  Zweifel  schon  länger  vor  der  Ent- 
bindung ärztlichen  Rath  gesucht  haben  würde.  —  Auffallend 
war  es  mir,  dass  diese  Membranen,  die  durch  das  Zerren 
meines  Fingers  nicht  zerreissen  wollten,  sogleich  scheinbar 
spurlos  verschwanden,  als  kaum  der  scharfe  Rand  derselben 
mit  einem  schneidenden  Instrumente  berührt  wurde.  Diese 
auffallende  Erscheinung  erklärte  ich  mir  dadurch,  dass  erst 
nach  der  Aufhebung  der  bestehenden  Adhäsion  unter  den 
Molecülen  am  Rande  dieser  Membranen  die  Zusammenziehungen 
der  Vagina  jetzt  mit  Leichtigkeit  das  Etnreissen,  Zersprengen 
derselben  bewerkstelligen  konnten,  was  ihr  vorher  bei  aller 
Anstrengung  der  höchsten  Kraft  nicht  möglich  war. 

2)  Im  September  1857  wurde  ich  aufgefordert  der 
Wittwe  3f...  wegen  heftiger  Leibschmerzen  beizustehen,  man 
glaube,  dass  sie  schwanger  sei.  Daselbst  angekommen,  ver- 
sicherte die  Frau,  die  schon  seit  mehreren  Jahren  Wittwe 
war,  die  Leute  meinten  es,  aber  sie  sei  nicht  schwanger, 
sondern  habe  nur  heftige  Leibschmerzen,  die  ganz  so  wie 
Wehen  seien.  Diese  Versicherungen  bei  einem  sehr  ausge- 
dehnten Leibe  machten  mich  stutzig,  da  die  Frau  sich  sagen 
rousste,  dass  eine  Lüge  sehr  bald  entschleiert  werden  würde. 
Sie  war  44  Jahre  alt,  kräftig,  blühend,  etwas  corpulent 
und  hatte  sich  angeblich  im  letzten  halben  Jahre  ohne 
Störung  ihrer  Gesundheit  befunden.  Da  sie  keinerlei  Be- 
wegungen ,  wie  von  einem  Kinde ,  in  ihrem  Unlerleibe  gefühlt 
haben  wollte,  so  dachte  ich  schon  an  Ueberfüllung  des  Uterus 
mit  Blut,  mit  Wasser  oder  Luft.   Ich  schritt  zur  Untersuchung 


des  iuser«n  Muttermundes.  ^      153 

und  fand  bald  bei  dar  äusseren  Untersudrang  des  Leibes 
Kindestheile,  die  ich  durch  Druck  und  Reizung  bald  zu  mir 
deutlich  fühlbaren  Bewegungen  reizte.  leb  erklärte  der  Frau 
die  Grundlosigkeit  ihrer  Behauptung  und  schritt  nun  zur  innern 
Untersuchung;  aber  wie  erstaunte  ich  nach  Lage  der  Kindes- 
theile in  Uterus  keinen  Kopf  im  wohlgebauten,  ja  weiten 
Becken  zu  finden,  wo  sich  ebenfalls  keine  andere  vorliegende 
Kindestheile  bemerkbar  machten,  sondern  meine  Fingerspitze 
stiess  etwa  in  der  Mitte  des  kleinen  Beckens  auf  eine  straff 
ausgespannte  Scheidewand,  so  straff,  dass  ich  sie  nicht 
aufwärts  drängen  konnte,  um  etwas  jenseits  zu  entdecken, 
und  so  vollständig  die  Scheide  in  ihrem  ganzen  Lumen  ver- 
schliessend,  dass  sich  auch  nirgends  eine  Oeffnung  entdecken 
Hess.  Die  Membran  war  sammetartig  dem  Gefühle  nach  und 
scheinbar  sehr  dick.  Die  vor  derselben  liegenden  weiblichen 
Geschlechtsorgane  waren  durchaus  normal,  und  wusstexlie  Frau 
keine  Ursache  anzugeben,  wodurch  diese  Abnormität  entstan- 
den seift  könnte,  namentlich  wollte  sie  während  der  Schwanger- 
schaft keine  Krankheitserscheinungen  an  ihren  Genitalien  be- 
merkt haben,  insonderheit  keinen  Schleimfluss,  keinen  Schmerz, 
keine  kranke  Empfindungen.  —  In  der  Furcht,  es  möchte 
der  Kindeskopf  fast  auf  der  dicken  Membran  stehen,  vermied 
ich  es  zunächst  scharfe  stechende  Instrumente  in  Anwendung 
zu  ziehen,  und  da  die  Zerstörung  der  Membran  mit  dem 
Finger  nicht  gelingen  wollte,  so  versuchte  ich  es  mit  dem 
Blasensprenger.  Geöffnet  drängte  ich  denselben  fest  gegen 
die  Membran,  schloss  ihn  dann  und  riss  das  Gefasste  ohne 
Schmerz  ab.  Als  ich  das  Instrument  hervorzog,  hielt  es  ein 
Stückchen  einer  rothen  fleischartigen  Masse  gefasst  Ich 
brachte  den  Blasensprenger  wieder  ein  und  riss,  abermals 
ihn  in  die  entstandene  Vertiefung  einsetzend,  mehrere  Male 
ähnliche  Stücke  dieser  fleischartigen  Masse  ab,  wobei  keine 
Blutung  sich  einstellte.  Darauf  setzte  ich  den  Finger  in  die 
entstandene  Vertiefung  und  suchte  mit  demselben  tiefer  und 
hindurch  zu  wühlen.  Dieses  gelang,  und  als  ich  versuchte 
die  Membran,  die  mir  sehr,  etwa  3  bis  4*  dick  zu  sein 
schien,  zu  zerreissen,  verschwand  dieselbe  so  rasch  und  ahne 
Gewalt,  dass  ich  dadurch  frappirt  wurde,  als  ob  die  Membran 
plötzlich  unter  der  Einwirkung  meines  Fingers  mit  einem  ge* 


154  IV.    Nottaen  ««0  der  Journal -Literatur. 

wiese!)  Geräusche  gerspränge.  Die  Lappen  derselben  hingen 
darauf  schlaff  an  den  Wandungen  der  Vagina  herab,  aber  vofti 
Kindeakopfe  oder  anderen  vorliegenden  Theilen  lies»  sich  für 
jetzt  nichts  bemerken.  Mach  einiger  Ruhe  tob  dieser,  wenn 
auch  nicht  schmerzhaften,  doch  spannenden  Operation  stellten 
sieb  wieder  Wehen  ein  und  Hessen  flach  einiger  Zeit  dtn 
Kindeftkopf  in  erster  Lage  erkennen.  Einige  Stunden  später 
wurde  ohne  weitere  Kunsthülfe  ein  munteres  Knibchen  ge- 
boren. Im  Wochenbette  und  auch  nach  demselben,  fanden 
keine  Weitere  Störungen  statt. 

Auch  dieser  Fall  von  Verschliessung  der  Geschlechte- 
tbeile,  so  dass  dadurch  die  Geburt  des  Kindes  verhindert 
wurde,  muss  durchaus  während  der  Schwangerschaft  ob  durch 
Krankheitszust&nde,  ob  durch  instrumentale  Verletzung  in  bös- 
licher Absicht,  muss  dahin  gestellt  bleiben  entstanden  sein 
und  zeigt  wiederholt  darauf  hin,  wie  spröde  die  plastischen 
Membranen  unter  der  Spannung  durch  die  Wehen  werden. 
Dieser  Fall  aber  zeichnet  sich  überdem  noch  dadurch  aus, 
dass  die  abnorme  Membran  so  sehr  organisirt  sich  zeigte, 
dass  sie  wie  eine  rotfie  fleischartige  Masse  erschien  und  dass 
sie  eine  so  immense  Dicke  angenommen  hatte. 


IV. 
Notizen  ans  der  Journal -Literatur. 

Alihaut:   Die  Resultate   der  Ovariotomie   in  England. 

Die  noch  in  Deutschland  bestehende  Sehen  der  Chirurgen 
vor  der  Ovariotomie  sucht  Verf.  zu  mindern,  indem  er  uns  eines- 
teils nachweist,  dass  die  Operation  keineswegs  zu  denen  gehört, 
welche  die  grösste  Mortalität  besitzen,  anderntheils,  dass  er  nach 
ßpanmr  Well*,  der  gegenwärtig  ala  Hauptchampion  der  Ovariotomie 
in  England  angesehen  werden  muss,  die  Bedingungen  mittheilt, 
deren  Erfüllung  die  Sterblichkeit  nach  der_  Ovariotomie  ver- 
mindern soll.     Es  sind  folgende: 

1)  Nur  zur  Operation  geeignete  Fälle  dürfen  gewählt  werden, 
d.  h.  es  müssen  Patientinnen,  welche  gleichzeitig  an  Erkrankungen 
der  Mieren   und   Lungen   etc.    leiden,   von   der  Operation   aus- 


IV.    Notiien  au*  der  Journal -Literatur.  155 

geschlossen  bleiben.    Adhäsionen  der  Kyste  mit  dem  umgebenden 
Tbeilen  oder  fester  Kysteninhalt  geben  keine  Contraindication  ab. 

2)  Ist  das  Stadium  der  Krankheit,  in  welchem  die  Operation 
zur  Ausführung  kommt,  von  grosser  Wichtigkeit  Es  dürfte  am 
besten  sein,  das  mittlere  Stadium  der  Krankheit  zur  Operation 
au  wählen,  wenn  die  Geschwulst  bedeutende  Beschwerden  macht 
und  der  allgemeine  Kräftezustand  anfängt  au  leiden,  aber  noch 
kein  Marasmus  eingetreten  ist. 

3)  Das  Chloroform  ist  absolut  nöthig,  um  die  Wirkung  des 
operativen  Eingriffs  au  verringern. 

4)  Gewisse  Vorsichtsmaasa  regeln  bei  der  Ausführung  der 
Operation  sind  von  grosser  Wichtigkeit. 

Die  Luft  des  Operationszimmers ,  welche  auf  circa  17°  R. 
enrlirmt  tot,  wird  durch  WasserdSmpfe  feucht  erbalten;  Patientin 
ist  leicht,  jedoch  warm  bekleidet.  Der  Assistenten  (am  besten 
drei  bis  vier)  und  sonstiger  Zuschauer  dürfen  nicht  au  viele  sein, 
auch  sollen  sich  dieselben  vorher  nicht  in  Secirsälen  oder 
Leichenhänsern  beschäftigt  haben.  Der  Einschnitt  muss  gerade 
die  Mittellinie  des  Bauches  treffen.  Sollte  man  die  Grenaen  der 
Kyste  nicht  ausfindig  machen  können,  so  ist  es  besser,  dieselbe 
au  öffnen,  als  das  Peritoneum  unnötigerweise  von  den  Bauch- 
decken loszulösen.  Die  Flüssigkeit  aus  der  Kyste  wird  mittels 
eines  grossen  Troikarts,  der  mit  einer  Kautschukröhre  in  Ver- 
bindung steht,  entleert,  wodurch,  und  dies  ist  wichtig,  die 
Patientin  vor  aller  DurchnKssung  geschützt  bleibt.  Die  Adhäsionen 
trennt  man  besser  mit  der  Hand  als  mit  dem  Messer,  vielleicht 
könnte  man  bei  sehr  festen  den  Ecraseur  anwenden.  Beim 
Herausziehen  der  Kyste  muss  man  sioh  vorsehen,  dass  man  nur 
diese  und  nichts  Anderes  mitzieht  und  ist  der  Stiel  der  Kyste 
mit  Ligaturen  oder  Klemmer  zu  sichern.  Nie  darf  man  sich  mit 
einer  einzigen  Ligatur  begnügen,  da  dieselbe  leicht  abgleitet  und 
man  dann  nachher  die  blutenden  Gefasse  nicht  finden  kann. 

Das  Peritonänm  ist  auf  das  Sorgfältigste  von  dem  Kysten- 
inhalte  und  coagulirtem  Blute  au  reinigen,  was  am  besten  mit 
ganz  weichen  Schwämmen  geschieht.  Der  Stumpf  des  Stieles  ist 
ausserhalb  der  Bauchhöhle  an  fixiren«  um  die  Zersetzungsprodncte 
so  viel  wie  möglich  der  Bauchhöhle  und  der  allgemeinen  Circulaiion 
fern  zu  halten.  Zur  Vereinigung  der  Wundränder  benutzt  man 
die  umschlungene  Naht. 

5)  Die  Nachbehandlung  ist  von  grösster  Wichtigkeit  -und 
besteht  namentlich  in  grösster  Beinhaltung,  Buhe  und  Gaben 
von  Opium  gegen  den  Schmerz.  Letzteres  wird  am  besten  durch 
den  Mastdarm  applieirt.  Sehr  angenehm  ist  den  Kranken  ein 
warmes  Cfataplasma  von  Leinsamen.  Die  Nahrung  besteht  fn 
den  ersten  fünf  Tagen  nur  in  Flüssigkeiten  nnd  wird  am  besten 
mir  dann  verabreicht,  wenn  Pat.  darnach  verlangt.  Der  fötide 
Stumpf  wird  mit  einem  Muslinbeutel  bedeckt,  der  Kohlen pnlv er 


156  V.    Literatur. 

enthalt  und  den  man  täglich  ein  oder  swei  Mal  wechselt,  damit  die 
Kranke  durch  den  Üblen  Geruch  nicht  sum  Erbrechen  gereist  wird. 
Schliesslich  giebt  Verf.  noch  eine  TJebersicht  der  in  den 
lotsten  drei  Jahren  in  den  Londoner  Hospitälern  vorgenommenen 
Ovariotomien,  deren  Zahl  sich  auf  86  beläuft,  nnd  16  Fälle 
davon  mit  Heilung  endigten.  Auffallend  bei  dieser  Statistik  tat, 
dass  in  den  sogenannten  grossen  Hospitälern  kein  einsiger  Fall 
▼on  Heilnng  vorgekommen  ist,  während  in  den  beiden  kleinen 
Speeialho spitälern  (Samen tan  Free  Hospital  und  London  Snrgical 
Home)  16  Fälle  Ton  Radicalcur  vorkamen. 

(Wien.  med.  Wochenschrift,  No.  19  u.  20,  1861.) 


Legrand:  Nener  Fall  tob  Tod  nach  einer  Jodeinspritsnng 
in  eine  Elerstockskyste. 

Eine  46jährige  Frau  litt  seit  etwa  10  Jahren  an  einer  Eierstocks« 
kyste.  In  den  ersten  6  Jahren  wurde  sie  8 — 9  Mal  pnnktirt  nnd 
jedes  Mal  war  danach  eine  Jodinjection  (Tct.  jodi,  Aq.  dest.  «* 
gr.  60,  Kali  hydrojod.  2  Milligr.)  gemacht  worden.  Die  letste 
dieser  Einspritzungen  schien  endlich  eine  Radicalheilnng  herbei- 
führen su  wollen.  Nach  vier  Jahren  füllte  sich  die  Kyste  indess 
wieder,  es  wurde  eine  neue  Punktion  gemacht  und  eine  bedeutende 
Menge  einer  dicklichen  und  dunkler,  als  früher  gefärbten  Flüssig- 
keit entleert.  Unmittelbar  darauf  die  Jodeinspritsnng  wie  früher. 
Nach  einem  Monate  schon  und  dann  wieder  nach  drei  Monaten 
musste  dasselbe  Verfahren  wiederholt  werden. 

Unmittelbar  nach  dieser  letsten  Einspritsung  trat  Uebelkeit 
und  Erbrechen  ein  und  es  folgten  die  Erscheinungen  einer  heftigen 
Peritonitis,  welche  27  8tunden  nach  der  Operation  sum  Tode  führte. 
(Gas.  des  hdpitaux,  No.  120,  1861.) 


V. 
Literatur. 


Das  Nabelbläschen,  ein  constantes  Gebilde  in  der 
Nachgeburt  des  ausgetragenen  Kindes,  von  Schultte. 
Leipsig,  bei  Engtlmann,  1861.     4. 

Die  unter  vorstehendem  Titel  erschienene  Monographie  handelt 
nicht  nach  Verf.  von  der  embryogene tischen  Bedeutung  des  Nabel- 
blaachens,  sondern  lediglich  von  dem  constant  (?)  naehsuweisenden 
Ueberreste  desselben  in  der  reifen  Nachgeburt  des  Menschen. 
Nach  Vorführung  interessanter  historischer  Belege  geht  \^xt  su 


IV.     Literatur.  157 

seinen  eigenen  Untersuchungen  über.  In  150  genau  untersuchten 
Nachgeburten  ausgetragener  Kinder  fand  er  146  Mal  das  Nabel- 
bläschen, in  den  meisten  davon  war  der  Ductus  omphalo-entericus 
.mit  blossem  Auge,  in  allen  durch  das  Mikroskop  nachweisbar. 
Von  den  übrigen  vier  Fällen  erwies  sich  in  sweien  das  Ei  ver- 
letzt, indem  der  Ductus  omphalo-entericus  mit  deutlich  ab- 
gerissenem Ende  nachgewiesen  werden  konnte. 

Das  Nabelbläschen  liegt  auch  im  aufgetragenen  Ei  «wischen 
Amnion  und  Chorion  und  bleibt,  wenn  das  «wischen  beiden 
Eihäuten  liegende  Gewebe  eine  gallertartige  sähe  Beschaffenheit 
hat,  bei  Trennung  der  ersteren  am  Amnion  haften;  hat  dagegen 
jenes  Gewebe  eine  mehr  trockene ,  membranartige  Beschaffenheit 
angenommen,  so  bleibt  es  am  Chorion  haften  und  ist  dann 
manchmal  schwer  aufsufinden.  In  seiner  Entfernung  von  der  8telle 
der  Insertion  des  Nabelstranges  in  den  Mutterkuchen  variirt  das 
Nabelbläschen  bedeutend;  selten  liegt  es  im  Bereiche  der  Placentae 
meist  dagegen  mehrere  Zolle  Ton  deren  Bande  entfernt.  Ebenso 
▼erschieden  ist  die  Grösse  und  Form  des  Nabelbläschens.  Die 
weissgelbe  Masse,  welche  bald  nur  eine  mittlere  Trübung  dar- 
stellt, bald  die  Hauptmasse  des  gansen  Bläschens  ausmacht,  seigt 
sieh  unter  dem  Mikroskope  als  ausammengesetst  aus  theils 
kugeligen ,  theils  unregelmässig  gestalteten ,  stark  lichtbrechenden 
Körperchen  von  sehr  wechselnder  Grösse,  und  ist  su  betrachten 
als  das  Resultat  einer  Fettmetamorphose  der  Wand  des  Nabel* 
bläsohens  und  swar  der  Bindegewebesellen  dieser  Wand. 

Dass  der  Ton  der  Vesicula  sum  Nabelstrang  gehende  Faden 
der  Ductus  sei  und  nicht  etwa  Ueberbleibsel  eines  Vas  omphalo* 
meseraieum  wird  dadnrch  sweifellos,  dass  er  in  selteneren  Fällen 
von  einem  oder  mehreren  Strängen  begleitet  ist,  welche  ohne 
Zweifel  jenen  Gefässen  angehören. 

Wichtig  bleibt  nach  Verf.  das  persistirende  Nabelbläschen 
für  die  genetische  Deutung  von  Missbildungen.  Jedes  Doppel- 
monstrum, welches  einen  gemeinsamen  Darmnabel  hat,  besitst 
ein  einsiges  Nabelbläschen.  Die  sn  den  Gruppen  der  Pjgopageu 
und  Cephalopagen  gehörigen  Doppelmonstra  dagegen  haben  sicher 
swei  Dottergänge ,  höchst  wahrscheinlich  auch  swei  Nabelbläschen. 

Die  Tom  Verf.  untersuchten  Nachgeburten  von  in  getrennten 
Eiern  gelegenen  Zwillingen  besassen  stets  swei  Dottergänge  mit 
swei  Nabelbläschen. 


Das  schrägverengte  Becken,  von  Seiten  der  Theorie 
und  Praxis,  nach  dem  gegenwärtigen  Stand  der 
Wissenschaft  Ton  Simon  Thomat,  Prof.  su  Leyden. 
Levden  u.  Leipzig.     1861.    Fol. 

Die    umfangreiche    Monographie     serfällt     in    swei    Haupt- 
abschnitte, deren  erster  auf  25  Seiten  eine  Beschreibung  aller 


158  v-    Literatur. 

derjenigen  ankylotischen  schrägverengten  Becken  mit  den  be- 
treffenden Geburtsgeschichten  liefert,  welche  Nägele  in  seiner 
Monographie  noch  nicht  beschrieben  hatte.  Dass  der  Verfasser 
gerade  diese  sämmtlichen  Fälle,  aber  auch  nur  diese,  in  seine 
Arbeit  aufgenommen  hat,  muss  befremden,  da  viele,  ja  vielleicht 
die  meisten  dieser  Becken  schon  weit  genauer  beschrieben  sind, 
als  Simon  Thomas  es  thut,  während  manche  der  von  Nägele  er* 
wähnten,  aber  nieht  von  ihm  selbst  untersuchten  Becken  einer 
genaueren  Beschreibung  eher  werth  waren.  Verf.  kann  deshalb 
bei  einer  solchen  Auswahl  nur  den  Zweck  gehabt  haben,  seine 
Arbeit  der  Nägele'echen  Monographie  als  Ergänzung  ad  die  Seite 
zu  stellen.  Das  Verdienstlichste  in  dem  ersten  Abschnitte  ist  die 
genaue  Beschreibung  zweier  vom  Verf.  selbst  während  des  Lebens 
erkannter  schrägverengter  Becken  mit  der  genauen  Anamnese  und 
den  Geburtsgeschichten.  Beide  Fälle  sind  schon  in  holländischen 
Journalen  früher  beschrieben  wurden.  Die  eine  Frau  war  das 
erste  Mal  durch  Perforation  entbunden  und  in  den  folgenden 
vier  Schwangerschaften  durch  künstliche  Frühgeburt  jedes  Mal 
ohne  Erfolg  für  das  Kind.  In  ihrer  sechsten  Geburt  verweigerte 
sie  die  künstliche  Frühgeburt  und  starb  unentbunden  an  Ruptura 
uteri.  Das  Becken  zeigte  sich  nur  massig  verengt,  aber  im 
höchsten  Grade  asymmetrisch;  die  Differenz  der  schrägen  Durch- 
messer des  Eingangs  betrug  1"  6'".  Die  linke  Öynchondrosis 
sacro-iliaca  war  ankylosirt.  Obgleich  nach  der  Anamnese  ein 
entzündliches  Leiden  der  Beckenknochen  in  der  Kindheit  statt- 
gefunden zu  haben  schien,  zeigten  sich  die  Beckenknochen  doch 
überall  glatt  und  ohne  Osteophytbildung.  Der  zweite  Fall  betrifft 
eine  Frau  mit  hochgradig  verengtem  schiefen  Becken,  welche 
8.  Thomas  in  ihrer  ersten  Geburt,  nach  einem  vergeblichen  Zangen- 
versuche durch  den  Kaiserschnitt  entband.  Sie  starb  am  zweiten 
"frage  nach  der  Entbindung.  Das  Becken  ist  eines  der  schiefsten 
und  zugleich  der  engsten,  welche  beschrieben  sind.  Die  Ankylosis 
sacro-iliaca  ist  linkerseits.  Spuren  entzündlicher  Erkrankung 
fehlen  am  Becken. 

Verf.  zählt  mit  seinen  beiden  Fällen  21  schräg  vor  engte, 
ankylotische  Becken  der  Reihe  nach  auf.  Dazu  kommen  29  schon 
von  Nägele  beschriebene  (vier  Wiener  Becken  in  Nägele'*  Mono- 
graphie lässt  Verf.  als  Becken  dieser  Gattung  nicht  gelten),  also 
im  Ganzen  60  Fälle,  in  welchen  durch  die  Sectton  schrägveredgte, 
ankylotische  Becken  nachgewiesen  wurden. 

Unter  de»  an  Lebenden  erkannten,  »bei  durch  die  Seoxiom 
noch  nicht  bestätigten  Fällen  lässt  8.  Thomcm  nur  zwei  von  Hayn 
und  Hohl  diagnoaticirte  als  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  richtig 
gelten,  während  acht  Fälle  {Ritgen  drei  Fall«;  Meigs,  Halder, 
Lehmann,  Giordano,  Biquard  je  ein  Fall)  nicht  mit  Wahrschein- 
lichkeit für  schrägovale  Becken  zu  halten  sind.  Diese  sämmt- 
lichen Fälle  Bind  der  Reihe  nach  aufgeführt.   Pag.  36 — 3U  werden 


V.    Literatur.  lftß 

noch  drei  Becken  mit  angeborenen  Formfehlern  and  Defecten 
des  Kreuzbeins  beschrieben.  Diese  sind  in  Besag  auf  die  Ent- 
stehung schrägverengter  Becken  überhaupt  von  Wichtigkeit, 
sprechen  aber  nicht  für  des  Verfassers  eigene  Theorie. 

Simon  Thomas  bestreitet  dann  die  von  Nägele  vermuthete 
Häufigkeit  dieser  Becken.  In  dem  Abschnitte  über  die  Aetiologie 
(pag.  42 — 49)  spricht  er  sich  mit  Entschiedenheit  für  die  alleinige 
Entstehung  schrägverengter  Becken  mit  Ankylosis  sacro»iliaoä 
durch  entsündliche  Knochenaffectionen  im  Kindesalter  aus.  Er 
schliesst  sich  hier  am  meisten  JB.  Martin  an ,  welcher  den  Knochen* 
defect  auf  der  durch  die  Synostose  bedingte  Ernährungsstörung 
aurlickführt.  8.  Thomas  hält  also  mit  Martin  die  Synostose  für 
das  Primäre  und  verwirft  vollständig  jede  Ansicht,  welche  von 
einem  angeborenen  Defect  des  Kreuabeins  die  Deformität  her^ 
leitet.  Wie  weit  #.  Thoma»  hierin  Recht  habe,  habe  ich  bei 
Gelegenheit  der  Besehreibung  eines  neuen  Beckens  dieser  Gattung 
(s.  das  Aprilhett  v.  J.  dieser  Zeitschrift)  au  zeigen  gesucht  und* 
habe  dort  den  gansen  Abschnitt  über  die  Aetiologie  dieser  Becken 
in  8.  Thoma»  Arbeit  einer  genaueren  Kritik  untersogen. 

Die  Diagnose  der  Beckenform  (pag.  50—64)  will  der  Verf. 
besonders  durch  folgende  Punkte  begründen  i  1)  durch  das  Höher- 
stehen einer  Spina  und  Crista  o.  iL,  2)  durch  den  verschiedenen 
Abstand  der  Procp«  spinös,  lumbal,  von  den  Hfiftbeinkämmen, 
8)  durch  die  Messung  der  hinteren  Stdbocborden,  4)  durch  die 
NUgeWnchen  äusseren  schrägen  Durchmesser.  Letztere  Unter- 
suchung fährt  immer  zur  Diagnose;  aueh  in  des  Verfassers  eigenen 
beiden  Fällen  (ob  auch,  wenn  die  Differenz  der  schrägen  Durch- 
messe! nur  circa  2'"  beträgt,  wie  bei  dem  Hallenser  Becken  und 
dem  von  Becker-  Paetsch?).  Aufmerksam  soll  man  schon  werden, 
wenn  die  Anamnese  auf  frühere  Erkrankungen  der  Beckenknoehen 
sohliessen  läset,  sowie  bei  geringem  Hinken  eines  Individuum. 
Eine  Ankylosis  sacro-iliaca  kann  man  bei  bestehender  Schiefheit 
annehmen,  wenn  1)  die  Anamnese  oder  der  Befund  ven  Narben 
am  Gesäss  dafür  sprechen,  2)  die  Crista  sacralis  dem  einen 
Darmbeinkamme  mehr  genähert  ist,  als  dem  anderen,  8)  die 
Differenz  der  Nägele1  sehen  Maasse  erheblich  ist,  4)  die  hinteren 
Stenocborden  ungleich  sind,  der  Schambogen  eng  und  der  Quer« 
durchmeseer  des  Ausgangs  zU  klein  ist. 

Der  Abschnitt  über  den  Einflute  der  Deformität  auf  die 
Geburt  (pag.  66—61)  ist  interessant  und  lehrreieh.  Voran  geht 
eine  Zusammenstellung  über  42  Geburten  bei  28  Frauen  mit 
schrägovalen  Becken,  von  denen  jedoch  zwei  durch  die  Autopsie 
noch  nicht  bestätigt  sind.  21  Frauen  starben  in  Folge  ihrer 
ersten  Geburt,  3  in  Folge  der  zweiten,  1  in  der  sechsten  Geburt. 
Kur  eine  starb  nicht  in  Folge  einer  schweren  Entbindung.  Unter 
der  Kunsthülfe  kam  7  Mal  die  Perforation  und  1  Mal  der  Kaiser- 
schnitt, 4  Mal  die  künstliche  Frühgeburt  und  häufig  die  Zange  vor. 


JjfjO  V.     Literatur. 

Fünf  Frauen  starben  unentbunden,  2  erlitten  eine  Ruptur*  uteri 
und  2  eise  Fractur  des  Schambeins.  Von  48  Kindern  wurden 
84  todt,  9  lebend  geboren.  Für  die  Matter  hält  8.  Thonuu  die 
Beckenendlagen  für  günstiger ;  für  die  Kinder  mit  Hapn  und  Hohl 
die  Kopflagen.  Bei  Kopf-  und  Beckenendelagen  iet  diejeuige 
Lage  des  Kindes  die  gunstigere,  bei  welcher  der  Rücken  des 
Kindes  der  abgeplatteten  Seite  sugekohrt  ist.  Aus  der  Literatur 
ist  nämlich  in  11  Fällen  die  genaue  Kopflage  bekannt.  Sechs  Mal 
stand  das  Hinterhaupt  auf  der  weiten  Hälfte  des  Beckens,  6  Mal 
auf  der  engen.  Zwei  der  ersteren  Fälle  ereigneten  sich  in  der  fünften 
und  sechsten  Geburt  bei  einem  so  weiten  schräg  oralen  Becken,  da» 
überhaupt  kein  Qeburtshinderniss  stattfand;  in  den  Tier  übrigen 
Geburten  starb  3  Mal  die  Mutter  unentbunden ,  1  Mal  24  Stunden 
nach  der  durch  die  Perforation  beendigten  Geburt.  Bei  den 
6  engständigen  Geburten  dagegen  wurde  1  Mal  der  Kaiserschnitt 
gemacht,  1  Mal  die  Mutter  durch  Perforation  gerettet;  8  Mal 
genügte  die  Zange.  Versuche  mit  Kinderachädeln  an  skelettirten, 
•chrägverengten  Becken  bewiesen  die  Richtigkeit  obiger  Be- 
hauptung, dass  die  Stellung  des  Hinterhauptes  über  der  ver- 
engten  Seite  günstiger  ist.  Auch  an  meinem  schrägoYalen  Becken, 
welches  linkerseits  verengt  ist,  kann  ich  einen  Kindesschädel, 
den  ich  aur  Hand  habe,  in  aweiter  Scheitelbeinlage  nicht  durch 
den  Beckeneingang  hindurchfuhren,  aber  wohl  in  erster,  bei  tief 
gestelltem  Hinterhaupte.  Sollte  sich  in  der  That  diese  Ansicht 
Simon  Thema**  in  praxi  bewahrheiten,  so  erlitte  dadurch  die 
neuerdings  vorgebrachte  Lehre,  hei  seb  ragverengten  Becken 
durch  die  Wendung  das  Hinterhaupt  aus  der  engen  Seite  in  die 
weitere  su  bringen,  einen  argen  Stoss  oder  sie  müsste  geradesu 
umgekehrt  werden,  vorausgesetat,  dass  es  immer  gelänge,  das 
Kind  su  drehen,  wie  man  will. 

Zur  Therapie  (pag.  62—64)  bemerkt  der  Verf.,  dass  die 
Wendung  ihm  niemals  durch  die  Beckenform,  höchstens  durch 
Compticationen,  wie  KabelschnurvorfaU  etc.,  bedingt  schiene, 
und  stets  nur  da  aulässig  aei,  wo  die  Perforation  sicher  unnüthig 
ist.  Denn  wo  sie  nüthig  sei,  solle  man  lieber  den  vorangehenden 
Kopf  perforiren.  —  Von  den  sieben  grossen  Blättern  mit  gut 
ausgeführten  Lithographieen  enthalten  die  vier  ersten  Abbildungen 
der  swei  vom  Verf.  beobachteten  schrägverengten  Becken.  Die 
fünfte  giebt  Abbildungen  von  einem  Becken  mit  angeborenem 
Kreusbeindefecte,  ohne  Ankyloais  sacro-iliaca.  Die  sechate  giebt 
die  genauen  Zeichnungen  der  Durchschnitte  von  fünf  solcher 
Ankylosen;  die  siebente  endlich  Abbildungen  zweier  kindlicher 
Becken  mit  entsündlichen  Zerstörungen  eines  Ilioftacralgelenks. 
Die  Form  und  Ausstattung  des  ganzen  Werkes  ist  elegant  und 
fast  tu  anspruchsvoll.  OUhausen. 


VI. 

Schrägverengtes  Becken  mit  Ankylosis  sacro-iliaca 

nebst  Bemerkungen  über  Simon  Thomas'  Ansicht 
der  Entstehung  der  Deformität 


Dr.  R.  Olshausen, 

Assistenzarzt  am  Entbinduugsinstitute  zu  Halle. 
(Hierzu  eine  Tafel  mit  fünf  Abbildungen.) 

Seit  einiger  Zeit  bin  ich  im  Besitze  eines  schrägovalen 
Beckens  mit  Synostose  der  linken  Synchondrosis  sacro-iliaca. 
Zu  der  Trägerin  dieses  Beckens,  einer  Frau  von  gut  gebautem 
Körper,  wurde  in  ihrer  ersten  Geburt  Herr  Dr.  Bötticher 
in  Berlin  gerufen.*  Da  ö^e  Geburt  ungewöhnliche  Schwierig- 
keiten darbot,  begehrte  Herr  Dr.  Bötticher  meinen  Beistand 
und  war  so  gütig,  nach  dem  an  Ruptura  uteri  erfolgten 
Tode  der  Person,  mir  das  Becken  zu  überlassen,  wofür  ich 
ihm  hiermit  meinen  herzlichsten  Dank  sage. 

Das  Becken  ist  von  mittlerer  Grösse.  Zwei  Lendenwirbel 
sind  mit'  ihm  natürlich  verbunden.  Die  rechte  Synchondrosis 
sacro-iliaca  und  die  Symphysis  o.  pubis  sind  künstlich  ge- 
heftet. Die  Knochen  sind  compact  aber  ziemlich  gracil,  wie 
die  stark  durchscheinenden  Darmbeinschaufeln  beweisen;  das 
Gewicht  des  Beckens  mit  den  zwei  Lendenwirbeln  beträgt 
nur  21  Loth.  Es  zeigt  sämmtliche,  wesentliche  Merkmale 
der  schrägverengten,  ankylotischen  Becken.  Die-  Schiefheit 
ist  vielleicht  beträchtlicher  als  bei  irgend  einem  der  bisher 
beschriebenen  Becken,  indem  die  Differenz  der  Distantiae 
sacro-cotyloideae  hier,  wie  bei  keinem  jetzt  bekannten,  2"  9"' 
beträgt. ')     Der  Unke   Seitentheil    des   Kreuzbeins   fehlt  fast 

1)  Alle  Maassangafcen  sind  Pariser  Zoll  und  Linien. 
MonaU.chr.  f.  Gebartek.  1962.  Bd.  XIX.,  Hfl.  8.  '       H 


162  VI.    OUhauten,  Schrftgverengtes  Becken 

vollständig;  in  Folge  dessen  steht  das  Promontorium  weit 
links  hinter  der  Symph.  o.  p.  mit  seinem  Mittelpunkt  der 
linken  Linea  arcuata  auf  %"  genähert;  die  beiden  Lenden- 
wirbel bilden  eine  Scoliose  nach  links,  mit  gleichzeitiger 
Achsendrehung  nach  dieser  Seite  hin.  Das  Kreuzbein  hat 
eine  stark  von  oben  und  links  nach  unten  und  rechts  gehende 
Richtung.  Die  rechte  Darmbeinschaufel  ist  mit  ihrer  Con- 
cavität  stark  nach  vorn  gerichtet;  die  linke  steht  (um  4°) 
steiler  als  die  rechte,  sieht  nach  rechts  und  ein  wenig  nach 
hinten.  Der  linke  Tuber  o.  ischii  ist  zurückgewichen;  in 
Folge  dessen  sieht  die  Oeffnung  des  sehr  spitzen  Scham- 
bogens  (von  69°)  etwas  nach  links.  Das  linke  Acetabulum 
ist  weit  mehr  nach  vorn  gerichtet  als  das  rechte.  Die  linke 
Linea  arcuata  verläuft  nur  schwach  gebogen;  die  rechte 
ziemlich  stark  gekrümmt. 

Die  einzelnen  Theile  des  Beckens  bieten  folgende  Eigen- 
tümlichkeiten: Das  aus  fünf  Wirbeln  bestehende  Kreuzbein 
zeigt  die  auffälligste  Asymmetrie,  indem  der  linke  Seitentbeil 
nach  oben  zu  fast  völlig  fehlt;  auch  nach  unten  zu  ist  det- 
derselbe  erheblich  schmäler  als  rechterseits.  Dieses  zeigen 
folgende  Breitenmaasse : 

1  rechts    link« 

Kürzeste  Entfernung   zwischen  dem  oberen 

Rande  des  ersten  falschen  Wirbels  und 

der  Linea  arcuata  interna     1"10'",      5"V 

Von  der  Mitte  des  Promontor.  zur  Syncbondr. 

oder  Synostos 2"  8"',  9y2'". 

Nach  den  Seitenrändern  des  Kreuzbeins 

von  der  Mitte  des  zweiten  Wirbelkörpers  1 "  6 '",  1". 

„      ,  dritten  „  1"5'",    11'". 

Das  Kreuzbein  ist  sowohl  von  den  Seiten  her  als  von 
oben  nach  unten  wenig  ausgehöhlt.  Die  Verbindung  des  ersten 
und  zweiten  Wirbels  springt  sogar  ein  wenig  vor.  Die 
Foramina  sacralia  anteriora  sind  links  erheblich  kleiner  als 
rechts;  dies  gilt  besonders  von  dem  obersten  Foramen,  welches 
nur  5'"  im  grössten  Durchmesser  hat,  während  das  rechte 
9'*'  missL  Dasselbe  lässt  sich  von  den  Foramina  sacralia 
posteriora  und  besonders  wieder  von  dem  obersten  sagen. 
Die   Seitenränder    des   Kreuzbeins  unterhalb   der  Synchondr. 


mit  AakylotU  sacro-iliae*  etc.  163 

sacro-iliaca  sind  auffallend  verschieden;  der. rechte  Rand  ist 
nämlich  normal  scharfkantig;  der  linke  zu  einer  7'"  braten 
Fläche  von  links  her  abgeplattet  (Fig.  3,  d)  vermutfehdi 
durch  den  Druck  der  Gesässmuskeln. 

Die  Synostose  des  linken  Bio -sacral- Gelenks  ist  ganz 
vollkommen.    An  der  oberen-  (vorderen)  Fläche  ist  die  Synostose 
durch  einen   flachen,  aber  deutlichen,   völlig  glatten  Wulst, 
welcher  dem  Auge  als  directe  Fortsetzung  der  Linea  arcuata 
interna  erscheint,  markirt  (Fig.  1,  a).    An  der  Vorder-  und 
HinterQäche  ist  die  genaue  Stelle  des  synostosirten  Gelenks 
durch  keine  Spur  angedeutet.    Die  Höhe  des  Gelenks  Usst 
sich  deshalb  mit  Genauigkeit  nicht  bestimmen.    Misst  man 
jedoch   an  den   wahrscheinlichen,    d.  h.  denen  der  rechten 
Seite  analogen  findpunkten,  so  findet  man  links  wie  auch 
rechts  1""  5'"  Höhe.    Nägele  und  alle  Autoren   nach  ihm 
geben  an,   dass   die  Synostose  eine  geringere  Höhe  habe  als 
die  Synchondr.  sacro-iliaca  der  gesunden  Seite.    Der  Augen- 
schein lässt  dies  glauben   und  ebenso  eine  Messung,  welche 
nach  dem  höchsten  Punkt  der  Incis.  isch.  maj.  ausgeführt 
wird  (etwa  d  in  Fig.  1).   Aber  dieser  Punkt  entspricht  durch- 
aus nicht  der  Verschmelzungsstelle,   sondern  ein  tiefer  ge- 
legener Punkt  am  Kreuzbein  (etwa  e  in  Fig.  1)  wie  ein  Blick 
auf  jede  normale  Synchondr.   sacro-iliaca  zeigt     Den   ver- 
muthlich  richtigen  Punkt  findet  man  durch  Vergleich  mit  der 
anderen  Seite;  er  muss  demselben  Foram.  sacrale  ant  ent- 
sprechen,   welchem   das  untere  Ende  des  Gelenks  auf  der 
anderen  Seite  entspricht 

Im  Bereiche  der  Synostose  ist  Osteophytbildung  nirgends 
wahrzunehmen;  der  Knochen  erscheint  überall  glatt.  Nur  in 
der  Nähe  der  Spina  post.  sup.  befindet  sich  am  Darmbeine 
ein  2'"  hoher  Stachel,  welcher  jedoch  von  der  Synostose 
V4"—  V*"  entfernt  liegt  (Fig.  4,  a). 

Wichtig  ist  die  Stellung  des  Kreuzbeins.  Dasselbe 
steht  mit  seiner  linken,  atrophischen  Hälfte  deutlich  niedriger 
als  .mit  der  rechten;  es  stehen  deshalb  alle  Foramma  sacralia 
anteriora  und  posteriora  linkerseits  erheblich  tiefer  als  rechter- 
seits.  Die  Längenachse  des  Kreuzbeins  ist  demzufolge  stark 
schief  nach  unten  und  reöhts  gerichtet;  die  vier  unteren 
Kreuzbeinwirbel  bilden  eine  schwache  Scoliose  naih  rechts; 


164  VI. .  OWfcat**»,  Scbragverengtei  Becken 

die  vordere  Fläche  des  Kreuzbeins  sieht  etwas  nach  rechts 
gegen  die  Symph.  o.  p.  zu.  Nur  der  obere  Rand  des  ersten 
Kreuzbeinwirbels  siebt,  wie  auch  die  Lendenwirbel,  schon 
etwas  nach  links. 

Die  Verschiebung  des  Kreuzbeins  am  linken  Hüftbeine 
ist  eine  mehrfache.  Hauptsächlich  ist  sie  verticaL  Das  Kreuz- 
bein ist  mit  seiner  linken  Hüfte  am  Hüftbeine  herabgesunken 
oder  letzteres  in  die  Höbe  geschoben.  Dies  ergiebt  sich  aus 
Folgendem: 

Vom  oberen  Rande  des  letzten  Foramen  sacrale  ant.  zur 
Synchondr.  sacro-iliaca  in  der  Höhe  der  Linea  arcuata  sind 
links  2 'Ml'",  rechts  2"  8"',  während  man  von  der  aller- 
dings  schwachen  Scoliose  des  Kreuzbeins  nach  rechts,  eher 
ein  uragekehres  Verhältniss  erwarten  sollte.  .  Viel  deutlicher 
noch  ist  die  Verschiebung  am  obersten  Foramr  sacr.  ant; 
denn  rechts-  liegt  sein  oberer  Rand  fast  in  der  Höhe  der 
Linea  arcuata  int.  (Fig.  1,  4),  links  dagegen  6'"  tiefer  (Fig.  1,  c). 
Auf  eine  solche  verücale  Verschiebung  der  synostosirten  Knochen 
gegen  einander  ist  bisher  nur  wenig  aufmerksam  gemacht; 
auch  Litzmann ,  welcher  die  Verschiebung  beider  Knochen 
zu  einander  stark  urgirt  und  darauf  Schlüsse  baut,«  spricht 
fast  nur  von  einer  Verschiebung  des  Darmbeins  am  Kreuzbeine 
nach  hinten,  welche  er  durch  Messungen  beweist.  Vielleicht 
ist  bei  anderen  schrägverengten  Becken  diese  verticale  Ver- 
schiebung unerheblicher  als  an  dem  vorliegenden. 

Die  Verschiebung  des  Darmbeins  nach  hinten  ist  dagegen 
an  unserem  Präparate  nicht  bedeutend,  \vie  der  Augenschein 
zur  Genüge  beweist  (auch  an  Fig.  4  deutlich).  Folgende 
.Messung  constatirt  diese  Verschiebung:  Die  Entfernung  der 
Spin,  post  sup.  zum  vorderen  Punkt  der  Synchondr.  sacro-iliaca 
misst  rechts  2"  41/«'/\  links  2"  81/*'".  Eine  ganz  genaue 
Messung  auf  1'" — 2"'  ist  hier  jedoch  auf  der  Seite  der 
Synostose  nicht  möglich,  weil  die  Verschmelzungsstelle  nicht 
genau  kenntlich  ist. 

Die  Sitzbeine  zeigen  folgende  Verschiedenheiten.  Der 
linke  Tuber  o.  ischii  ist  nach  ein-  und  rückwärts  geschoben. 
Der  Schambogen  sieht  in  Folge  dessen  etwas  nach  links;  das  linke 
Xuberculum  ileo-pectineura  ist  deutlich  ausgeprägt,  während 
rechts  atine  Stelle  kaum  kenntlich  ist.    Dicht  vor  dem  linken 


mit  Ankyloris  tsero-Ulaea  etc..  165 

Tuberculum  ileo-pectineunt  bildet  die  Linea  arcuata  interna 
einen  */»"  langen,  ziemlich  scharfen  Kamm,  welcher  rechts 
ebenfalls  fehlt  Die  linke  Spina  ischii  ist  ein  spitz  aus- 
laufender Stachel.  Die  rechte  endet  mit  einer  breiten  Kante. 
Der  linke  Schenkel  des  Schambogens  ist  3"  5'"  lang;  der 
rechte  nur  3"  2'".  Die  beiden  Pfannen,  sowie  die  Foram. 
obturat  zeigen  in  jeder  Richtung  gleiche  Dimensionen. 

Wenn  das  Becken  mit  einer  Neigung  des  Einganges  von 
circa  60°  hingestellt  wird,  so  ist  seine  Höhe  am  rechten 
Darmbeinkamme  =  6%";  links  an  derselben  Stelle  =  hll%". 
Die  Höhe  des  kleinen  Beckens  vom  Tuberculum  ileo-pectineum 
aus  gemessen,  beiderseits  =  3V4". 

Die  Darmbein  seh  auf  ein  zeigen  eine  ganz  ungleiche 
Form.  Diese  zeigt  sich  schon,  ohne  Messung,  beim  blossen 
Anblick,  wie  durch  Vergleichung  der  Fig.  2  und  3  leicht 
erhellt.  Das  linke  Darmbein  ist  von  vorn  nach  hinten  kürzer, 
aber  von  oben  nach  unten  breiter  als  das  rechte;  denn  die 
Crista  o.  iL  hat  rechtg     link8 

von  der  Spin.  a.  sup.  zur  Spin,  post  sup. 

mit  dem  Faden  gemessen     =  9V4",    8%".  ' 

Die  directe  Entfernung  zwischen  beiden 

Punkten =  5"  9'",  5"  2'". 

Die  Höhe  (geringste  Entfernung  zwischen 
.    der  Incis.  isch.  maj.  und  dem  Ansätze 

des  Glutaeus  max.) =3"6'",3"8V*'". 

Die  Crista  o.  iL  ist  links  etwas  stärker  gekrümmt  als 
rechts.  Die  Incis.  isch.  maj.  misst  rechts  in  der  Breite  2"  2'"; 
links  1"  6'"  (s.  Fig.  2  und  3).  Hieran  ist  zum  Theil  die 
geringere  Lange  des  linken  Darmbeins  Schuld,  vorzugsweise 
aber  das  Zurück-  und  Aufwärtsschieben  des  Sitzbeins.  Die 
rechte  Crista  0.  iL  steht  %" — 1"  höher  als  die  linke.  Die 
linke  Darmbeinschaufel  hat  gradiere  Ränder,  was  besonders 
an  ihrem  Tuber  auffallt«  Der  Längenunterschied  der  Lineae 
arcuatae  ist  iolgender:  rochtg  linkg 

Von  der  Synchondros.   sacro-ü.  zum 

Tuberc.  ileo-pectin 2"  7'",        1"  6'". 

Vom  Tuljerc.  ileo-pectin.  zur  Symph. 

ö.  pub .  2"87a"',  J[^_Vj 

5"  BW,'*"  W%'". 


166  VI.    0frfa«#0»,  Sehrlgverengtes  Betben 

Diese  Differenz  von  9'"  an  den  Lineae  arcuatae  kommt 
nur  zum  Theil  auf  Rechnung  der  Verschiebung,  da  die  Ver- 
schiebung des  Hüftbeins  nach  rückwärts  nur  circa  4'"  betrügt. 
Eine  Einknickung  der  gestreckten  Linea  arcuata  ist  nirgend 
vorhanden.  Erwähnen  muss  ich  auch,  dass  ein  Foramen 
nutritium  an  der  Innenfläche  der  Darmbeinschaufel  sich  weder 
rechts  noch  links  findet. 

Folgende  äussere  und  innere  Haasse  werden  die  Form 
und  Grösse  des  Beckens  näher  erkennen  lassen. 

Am  grossen  Becken  misst  die  Conj.  externa  =  6Va". 
Der  Abstand  der  Spin,  anter.  sup.  o.  iL  =  8"  1'". 

„    Cristae  o.  U =  9"  1"\ 

„        „  „    Spin,  post  sup.    .  .  .  =  1"  7'". 

,,        „        defe  Proc.  spin.  vertsacral.1. 

vom  Darmbeinkamme  rechts  =     5V9'". 
links  =  11 V'. 
Von  der  Spin.  post.  sup.  dextr.  zur  Spin,  ant 

sup.  sini$t =  5"  7"'. 

Von  der  Spin.  post.  sup.  sinistr.  zur  Spin,  ant 

sup.  dextra    .  '. =6"  10'". 

Vom  Proc.  spin.  des  letzten  Lendenwirbels  zur 

Spin.  ant.  sup.  sinistr. =■  5". 

Vom  Proc.  spin.  des  letzten  Lendenwirbels  zur 

Spin.  ant.  sup.  dextra =  6"  6'". 

Auf  die  Wichtigkeit  dieser  schrägen  Durchmesser  für  die 
Diagnose  machte  bekanntlich  schon  Nägele  aufmerksam,  auf 
die  verschiedene  Entfernung  der  Proc.  spinosi  von  den  Darmbein- 
kämmen besonders  Martin  in  Berlin. 

Kleines  Becken.  Der  Eingang  stellt  ein  Oval  dar,  dessen 
grösster  Durchmesser  von  der  Synostos.  sacro-iliaca  zur 
Mitte  des  rechten,  horizontalen  Schambeinastes  ver- 
läuft   =  4"   11"', 

der  Querdurchmesser  dieses  Ovals  .  .  .  .  =  3/'3I4"'. 
Die  Schiefheit  des  Eingangs  ist  so  beträchtlich,  dass 
wenn  beide  Tubera  o.  ischii  gleich  weit  vorn  stehen,  eine 
von  der  Symph.  o.  pubis  gerade  nach  rückwärts«  gezogene 
Linie  nicht  das  Promontorium  trifft,  sondern  die  rechte 
Synchondr.  sacro-iliaca. 


mit  Ankyloais  sacro-iliaca  etc.  Jß7 

Die  Conjugata  vera =  8"  10'". 

diagonalis ±=  4"   21/a"/. 

Querdurchmesser    zwischen    den    TuWc. 

ileo-pectin =  3"  11%"'. 

Rechter  schräger  Durchmesser =  3"    3"'. 

Linker         „  „  =  4"  11'". 

Distant.  sacro-cotyl.  dextr.  .  * =  4"   3"'. 

„      sinislr =  1"   5"'. 

Die  Peripherie  des  Beckeneingangs  beträgt  l3ya"  (statt 
normaler  Weise  16");  davon  kommen  auf  die  rechte  Hälfte  8"; 
auf  die  linke  52/2". 

Beckenweite,  gerader  Durchmesser =  4"  4'". 

querer  „  =  3"  8"'. 

Beckenenge,   gerader  „  =  4"  5"'. 

„  querer  „  =  2"  7'". 

Hintere  Stenochorde  (Entfernung  der  Spin. 

o.  ischii  vom  Ende  des  Kreuzbeins)  rechts  =  2"  4"'. 
Hintere  Stenochorde  (Entfernung  der  Spin. 

o.  ischii  vom  Ende  des  Kreuzbeins)  links  =  1"  5"'. 
Beckenausgang,  gerader  Durchmesser  (vom 

Ende  des  ersten  Steissbeinwirbels)  .  .  =  4"  2'". 
Das  Becken  ist  also  durchaus  kein, allgemein  zu  enges, 
wie  manche  der  schrägovalen,  z.  B.  das  von  Hecker  be- 
schriebene; die  rechte  Beckenhälfte  zeigt,  zumal  an  der  Peri- 
pherie des  Eingangs,  die  ganz  normale  Weite  von  8";  auch 
die  Conjug.  vera  bleibt  nicht  hinter  der  Norm  zurück;  die 
äusserst  erhebliche  Verengerung  der  linken  Hälfte  aber  und 
die  zugleich  entstehende,  ungünstige  Form  des  Beckens  waren 
bei  der  Geburt  Hinderniss  genug,  das  Kind  nicht  lebend 
passiren  zu  lassen.  Aber  nicht  allein  der  Eingang,  sondern 
auch  alle  tieferen  Beckenraume  zeigen,  was  nicht  bei  jedem 
schrägverengten  Becken  der  Fall  ist,  eine  gam?  beträchtliche 
Asymmetrie  und  Verengerung  der  linken  Seite,  wie  die  einfache 
Vergleichung  der  hinteren  Stenochorden  (Differenz  =  ll"') 
ergiebt  Die  Asymmetrie  nimmt  nun  zwar  in  den  unteren 
Räumen  nicht  zu  im  Vergleich  zu  den  oberen;  der  linke 
Sitzbeinstachel  ragt  aber  in  Folge  der  Verschiebung  des  Sitz- 
beins derartig  nach  innen  vor,  dass  er  allein  ein  Geburts- 
hinderniss  hätte  abgeben  können  und  bei  der  grösseren,  absoluten 


Igg  VI.    OltKauten,  Schr&gverengtes  Becken 

Enge  des  Beckenausgangs  im  Vergleiche  zum  Beckeneingange 
wäre  es  sehr  wohl  möglich,  dass  bei  diesem  Becken  ein 
günstig  gestellter  nicht  zu  grosser  Kopf  den  Eingang  des 
Beckens  ungehindert  hätte  passiren  können  und  erst  durch 
die  Beckenenge  aufgehalten  worden  wäre.  Einen  skelettirten 
Schädel  von  12Va"  Peripherie  kann  ich  allerdings  durch  den 
Eingang,  mit  tiefgestelltem  Hinterhaupte,  ohne  Hinderniss 
hindurchbringen,  durch  die  Beckenenge  aber  in  keiner  Weise. 
Die  Geburt  gab  keine  Gelegenheit,  einen  solchen  Einfluss  des 
Beckenausgangs  zu  beobachten,  da  bei  hochstehendem  Kopfe 
die  Perforation  ausgeführt  wurde.  Die  in  anderer  Beziehung 
interessante  Geburtsgeschichte  werde  ich  in  Kurzem,  bei  einer 
anderen  Gelegenheit,  veröffentlichen.  Wenn  ich  sie  nicht  der 
Beschreibung  des  Beckens  beigefügt  habe,  so  ist  dies  deshalb 
geschehen,  weil  weder  im  Leben  die  Beckenmessung  (äussere 
und  innere)  gemacht  wurde,  noch  vom  Geburtsmechanismus 
bei  der  künstlichen  Beendigung  der  Geburt  die  Rede  war. 

Da  in  Bezug  auf  die  Entstehung  der  beschriebenen  Becken- 
deformität die  leider  unvollkommen  erhobene  Anamnese  nur 
ermittelt  hat,  dass  die  Trägerin,  wenigstens  seit  einigen 
Jahren,  immer  ein  wenig  gehinkt  hat,  so  würde  ich  mich 
hier  kaum  auf  die  schwierige  und  vielfach  discutirte  Frage 
der  Entstehung  solcher  Becken  überhaupt  einlassen,  wenn 
nicht  ganz  neuerdings  Simon  Thomas  in  Leyden  in  einer 
eigenen  Monographie1)  diesen  Punkt  wieder  ausführlich  be- 
sprochen hätte.  Ich  glaube,  dass  die  bestimmt  ausgesprochene 
und  exclusive  Ansicht  dieses  Forschers  eine  Widerlegung  verdient. 

Bekanntlich  difleriren  die  Ansichten  der  Forscher  über 
die  Entstehung  schrägverengter  Becken  mit  Ankylose  haupt- 
sächlich in  der  Art,  dass  die  Einen  ein  Vitium  primae  formaüonis, 
die  Anderen  eine  entzündliche  Erkrankung  im  Kindesalter  (in 
einzelnen  Fällen  vielleicht  im  Fötalleben)  als  Ursache  des 
Fehlers  betrachten.  Die  Meinungen  der  einzelnen  Autoren 
gehen  wiederum  vielfach  auseinander,  besonders  in  der  Frage, 
ob  die  Ankylose  (sei  es  als  Vitium  primae  formaüonis  oder 
als  Entzündungsproduct)  das  primäre  und  wesentliche  sei,  den 


1)  Simon  Thomas  t  Das  schrägverengte  Becken,  von  Seiten 
der  Theorie  and  Praxis  etc.,  Leyden  n.  Leipaig  1861. 


mit  Ankylosis  aaoro-iliaca  etc.  169 

Defect  des  Kreuzbeins   bedinge  oder  ob  dieser  Defect  das 
ursprungliche  und  die  Ankylose  nur  nebensächlich,  secundär  sei. 

An  ein  Vitium  primae  conformationis,  und  zwar  besonders 
in  Bezug  auf  die  Ankylose  glaubten  Nägele,  Robert,  Vrolik; 
an  Priorität^  des  Kreuzbeindefectes  bei  diesem  Fehler  der 
ersten  Bildung:  Unna,  Kirchhoff  er,  Moleschott,  Hohl, 
Siebold,  Lambl  u.  A.  m.  Doch  wollten  Mehrere  der  Genannten, 
z.  B.  Hohl,  nicht  ausnahmslos  für  alle  derartigen  Becken 
diese  Erklärung  angewandt  wissen. 

Nachdem  nun  Bet8chlerl)  zuerst  im  Jahre  1840  auf 
die  Entstehung  der  Deformität  durch  entzündliche  Processe 
aufmerksam  gemacht  hatte,  stellte  E.  Martin2)  diese  Ursache 
als  die  alleinige  mit  Bestimmtheit  auf  und  vertheidigte  diese 
Ansicht  gründlich.  Er  sieht  die  Ankylose  als  Folge  eines 
entzündlichen  Processes  und  den  Kreuzbeindefect  als  Folge 
der  durch  die  Ankylose  bedingten  Ernährungsstörung  an« 
Ihm  stimmten  Rosshirt,  Danyau,  Ritgen,  Hayn  in  den 
meisten  Punkten  bei.  Litzmann9)  wies  in  seiner  gründ- 
lichen Monographie  die  entzündliche  Entstehung  keineswegs 
vollständig  ab,  zeigte  aber  zugleich  auf  weiter  unten  zu  er- 
wähnende Weise,  dass  sie  entschieden  für  eine  grosse  Anzahl 
der  Fälle  nicht  passe. 

Der  neueste  Forscher  nun,  Simon  Thomas,  spricht 
wiederum  die  Meinung  aus,  dass  alle  schrägverengteft  Becken 
mit  .Synostosis  sacro-iliaca  einem  entzündlichen  Gelenkleiden 
ihre  Entstehung  verdanken,  dass  die  Synostose  durch  Be- 
hinderung der  Ernährung  die  Entwickelung  der  Seitentheile 
des  Kreuzbeins  hindere  und  dass  an  eine  defecte  Bildung  des 
Kreuzbeins  durch  Mangel  der  Kreuzbeinflügel  in  keinem  Falle 
zu  denken  sei.  Simon  Thomas  sagt  selbst  (p.  43),  dass 
diese  letztere  Ansicht  sich  vorzugsweise  auf  negative  Beweise 
stütze,  während  die  Anhänger  der  Entzündungstheorie  durch 
Beschreibung  einschlägiger  Präparate  positive  Beweise  für  ihre 
Ansicht  beigebracht  haben.    Hierin  stimmen  wir  ihm   bis  zu 


1)  BeUchler  in  der  Neuen  Zeitschr.  f.Geburtsk.,  IX.,  1840,  p.  121. 

2)  E.  Martin,  De  pelvi  oblique  ovata  cum  ancylosi ...;  pro- 
gramma;  Jenae  1841,  und  Neue  Zeitschr.  f.  Geburtsk.,  XV.,  1844,  p.48. 

3)  Litzmann,  Das  schrägoyale  Becken,  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung etc.,  Kiel  1853. 


170  VT*    Olshauten,  SchrKgrerengtes  Becken 

einem  gewissen  Grade  bei.  Dass  in  der  That  eine  mangel- 
hafte Entwicklung  des  Kreuzbeins  schrägverengte  Becken 
mit  Synostose  bedingen  könne,  ist  noch  nicht  positiv 'erwiesen; 
es  ist  nur  wahrscheinlich  gemacht  und  zwar  auf  folgende  Art : 
Es  sind  eine  Anzahl  Becken  mit  angeborener,  defecter 
Bildung  des  Kreuzbeins  bekannt;  besonders  Hohl1)  hat  auf 
p.  11,  29  und  56  seiner  Monographie  mehrere  derartige 
Präparate  beschrieben.  Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  das 
auf  p.  29  beschriebene  Becken  (auch  abgebildet  in  HoKFs 
Lehrbuch  der  Geburtsb.,  2.  Aufl.,  1862,  p.  33,  Fig.  12), 
eines  zwanzigwöchentlichen  Kindes;  hier  fehlt  rechterseits  der 
Knochenkern  für  den  Fhlgel  des  ersten  Kreuzbeinwirbels; 
zugleich  hat  das  Becken  eine  schrägovale  Gestalt  Ferner 
haben  Robert9)  und  Martin  (1.  c.  p.  16,  Anm.  9)  solche 
Becken  erwähnt.  Ja  Simon  Thomas  selbst  beschreibt  (p.  36 
und  37)  zwei  neue  Beispiele,  in  denen  bei  erheblich  ver- 
kümmertem Seitentheile  des  Kreuzbeins  auf  einer  Seite  das 
Becken  zugleich  asymmetrisch  ist.  Beiden  fehlt  jedoch  die 
Ankylosis  sacro-iliaca.  Das  zweite  Becken  (p.  37),  dem 
Nosocomium  zu  Leyden  gehörig,  hat  eine  schrägovale  Form 
und  ist  nach  Simon  Thomas*  eigenen  Ausspruch  den 
Nägele1  sehen  Becken  in  vielen  Punkten  gleich;  nur  sei  es, 
meint  er,  weniger  schief  und  verengt.  Die  Schiefheit  ist 
jedoch  recht  erheblich,  denn  die  Differenz  der  schrägen  Durch- 
messer des  Eingangs  beträgt  11'"-,  die  der  Distantiae  sacro- 
cotyl.  =  1"  1'";  in  dem  zuerst  beschriebenen"  der  beiden 
Becken,  dem  Museum  anatomicum  in  Groningen  gehörig,  ist 
die  Schiefheit  wohl  noch  erheblicher;  denn  es  differiren  die 
Distantiae  sacro-cotyl.  um  IV2";  die  schrägen  Durchmesser 
allerdings  nur  um  8'".  Bei  beiden  Becken  ist  nach  Simon 
Thomas9  Meinung  der  Defect  des  Kreuzbeins  ein  Vitium  primae 
conformationis ;  aber  sie  seien  von  den  Nägele'&chen  Becken 
weit  verschieden  —  weil  ihnen  die  Synostose  fehle.  Darin 
begeht  eben  Simon  Thomas,  wie  die  Mehrzahl  derer,  welche 
derselben  Ansicht  sind,  einen  entschiedenen  Fehler,  dass  sie 

1)  Hohl,   Zur  Pathologie  des  Beckens.    Zwei  Abhandlungen. 
Leipzig  4852. 

2)  F.  Robert ,   Beschreibung   eines   im  höchsten  Grade   qner- 
verengten  Becken.     1842. 


mit  Ankylosis  saoro-iliaea  eto.  171 

die  Synostose  für  etwas  ganz  Wesentliches  halten  und  die 
Meinung  derer  gar  nicht  beachten,  welche  die  Synostose  für 
accidentell  erklären,  wie  Hohl,  Lüzmann  n.  A.  Simon 
Thomas  widerlegt  deshalb  nur  die  von  Nägele  ursprünglich 
aufgestellten  fünf  Gründe,1)  was  in  mancher  Beziehung  über- 
flüssig oder  wenigstens  unzureichend  ist;  denn  die  modificirte 
Ansicht,  nach  welcher  der  Defect  das  Wesentliche  und  Primäre 
ist,  nicht  die  Synostose,  kann  sich  auf  die  ursprünglichen 
N&gele'&chen  Gründe  nicht  mehr  stützen,  sondern  beansprucht, 
vorzugsweise  deshalb  berücksichtigt  zu  werden,  weil  die 
Entzündungstheorie  *ur  Erklärung,  wenigstens  für  viele  Fälle 
nicht  ausreicht.  Es  kam  also  darauf  an,  dass  Simon  Thomas 
diese  Theorie  durch  bessere,  positive  Gründe  stützte,  als  es 
bisher  geschehen  ist  oder  wenigstens  die  gegen  sie  gemachten 
Einwände  beseitigte/ 

Von.  jeher  sprach  gegen  dieselbe  der  Umstand,  dass  bei 
der  Mehrzahl  aller  schrägverengten  Becken  mit  Synostose 
Spuren  entzündlicher  Processe  fehlen,  sowie,  dass  die  Anamnese 
von  solchen  Krankheiten  meist  Nichts  berichtete.  Simon 
Thomas  giebt  sich  nun  Mühe ,  die  Unwahrheit  dieser  Angabe 

1)  Simon  Thomas'  ganze  Monographie  scheint  überhaupt,  in 
Bezug  auf  die  Lehre  von  dem  schrägverengten  Becken,  eine 
Ergänzung  der  ersten  NägeleyBcheti  Monographie  darstellen  zu 
sollen.  Es  werden  in  ihr  alle  dem  Verfasser  aus  der  Literatur 
bekannten,  schrägverengten  Becken  beschrieben,  mit  Ausnahme 
derer,  welche  schon  in  der  Nägele' sehen  Arbeit  enthalten  sind, 
Da  nun  manche  Becken,  welche  Nägele  selbst  nicht  gesehen  hat, 
von  ihm  nur  unvollkommen  beschrieben  worden  sind,  manche, 
ja  die  meisten  neueren  Becken  aber  schon  recht  vollständig  und 
genau,  so  können  wir  in  dieser  Zusammenstellung  keinen  anderen 
Zweck  erblicken,  als  gewisse rmaassen  alle  anderen  Monographien, 
mit  Ausnahme  der  Nägele*  achen,  überflüssig  zu  machen.  Diesen 
Zweck  möchte  jedoch  der  Verf.  schwerlich  erreichen.  —  So 
wenig  wir  nun  auch  diese  Zusammenstellung  lobend  erwähnen 
oder  dem  Abschnitte  über  die  Aetiologie  der  Beckengattung  unseren 
Beifall  zollen  können,  so  erkennen  wir  doch  gern  an,  dass  der 
Verfasser  sich  durch  die  Beschreibung  seiner  beiden  schrägverengten 
Beoken  mit  genauer  Anamnese,  Geburte verlauf  eto.  ein  Verdienst, 
um.  die  Lehre  von  schrägverengten  Becken  erworben  hat  (in 
holländischer  Sprache  hat  Simon  Thomas  diese  Fälle  schon  früher 
bekannt  gemacht)  und'  halten  in  seiner  Monographie  besonders 
den  Abschnitt  über  den  Geburtsrerlauf  für  beachtungswerth. 


172  VI-    OUkoMM,  SchrSgverengtes  Beeken 

zu  zeigen.  Von  den  60  bisher  beschriebenen  Becken,  welche 
Simon  Thomas  anerkennt,  soll  es  bei  neun  bekannt  sein, 
dass  die  betreffenden  Frauen  an  einer  Krankheit  der  Becken- 
knochen gelitten  haben,  in  drei  Fällen  sollen  sich  Zeichen 
Torangegangener  Periostitis  am  Becken  finden,  in  zwei  Fällen 
ein  Bruch  des  Schambeins  (wahrscheinlich  beide  Male  durch 
die  Zangenoperation  bewirkt!)  und  in  fünf  Fällen  gleichzeitig 
Coxartbrocace  vorhanden  sein.  Diese  19  Fälle,  meint  Simon 
Thomas,  sprächen  evident  für  seine  Ansicht;  nur  vier  Fälle 
sprächen  dagegen,  in  denen  sich  weder  aus  der  Betrachtung 
des  Beckens,  noch  aus  der  sorgfaltig  angestellten  Anamnese 
auf  entzündliche  Erkrankung  der  Beckenknochen  schliessen 
lässt;  und  27  Fälle,  in  denen  die  Anamnese  nicht  bekannt 
sei  (aber  auch  keine  Osteophytbildung  vorbanden  ist),  sprächen 
nicht  zu  Gunsten  irgend  einer  Ansicht  —  Ich  möchte  statt 
dieser  Gruppirung,  die  nicht  genau  ist,  folgende  gehen:  Die 
Anamnese  sprach  in  sechs  Fällen  für  ein  während  des  Lebens 
vorhanden  gewesenes  Leiden  der  Beckenknochen  (Frenzel- 
Otto,  Simon  Thomas  erster  Fall,  Sinclair,  Betschier, 
Ritgen,  Holst);  in  den  drei  letztgenannten  Fällen  fand  sich 
zugleich  Osteophytbildung  an  der  Synostose.  In  drei  anderen 
Fällen  sprach  nur  das  Becken  selbst,  nicht  die  Anamnese 
für  die  genannte  Entstehung  (Hayn,  Vbigtel-Martin,  Hecker- 
Paetsch).  In  acht  Fällen  fand  sich  ausser  der  Synost.  sacro- 
iliaca  ein  abgelaufener  coxalgischer  Process,  meist  mit  mehr 
oder  weniger  vollständiger  Ankylose  im  Hüftgelenke.  In 
zwei  dieser  Fälle  (Rosshirt  und  Nägele,  No.  5)  war  die 
Synost.  sacro-iliaca  auf  der  dem  coxalgischen  Process  entgegen- 
gesetzten Seite;  in  fünf  auf  der  gleichen  (Fabbri,  LambPs 
Marseiller  Becken,  Nägele,  No.  24,  Danyau,  Sandifort)\ 
in  dem  Falle  von  Nägele,  No.  12,  waren  beide  Hüftgelenke 
erkrankt,  aber  nur  das  rechte  Iliosacra)  -  Gelenk  ankylotisch. 
Sehr  bemerkenswerth  ist,  dass  die  am  Darmbeine  befind- 
lichen Osteophyten  in  einzelnen  dieser  Fälle  wohl  bis  in  die 
Nähe  der  Uiosacral- Synostose  sich  erstreckten,  diese  letztere 
selbst  aber  in  allen  Fällen  davon  frei  zu  sein  scheint 
und  nur  jenen  glatten  Wulst  zeigt,  welcher  sich  an  der 
oberen  Fläche  der  Synostose,  in  ihrer  Längenrichtung,  bei 
einer  grossen  Anzahl  aller  scbrägverengten  Becken  findet  und 


mit  Ankylosis  »Aero-iHaca  etc.  -173 

gewiss  eine  andere  Erklärung  als  die  einer  periostalen  Auf- 
lagerung verfangt.  Nor  in  Fabbri'z  Fall  war:  „eine  un- 
regelmässige Aufwulstung  mit  glatter  Oberfläche u  vorhanden. 

Bei  allen  übrigen  Becken  (c.  34)  fehlt  also  jede  Osteophyt- 
.  bildung  und  zeigt  die  Mehrzahl  derselben,  ausser  jenem  glatten 
Wulst  an  der  oberen  (vorderen)  Fläche  der  Synostose,  an 
der  hinteren  und  unteren  Fläche  derselben  auch  nicht  einmal 
ein  solches  Zeichen  der  Verschmelzung.  Es  erscheint  deshalb 
sehr  zweifelhaft,  ja,  man  muss  sagen,  höchst  unwahrscheinlich, 
dass  in  allen  diesen  (inclusive  der  coxalgischen  Becken  c.  40) 
Fällen  ein  entzündlicher  Process,  im  ge wohnlichen,  klinischen 
Sinne  des  Wortes,  die  Synostose  bedingt  habe.  Um  so 
weniger  kann  man  dies  glauben,  wenn  man  an  anderen,  nicht 
schrägverengten  Becken  die  so  uilgemein  häufigen,  mehr  oder 
minder  vollkommenen  Verknöcherungen  des  Iliosacralgelenks 
in  Augenschein  nimmt.  In  dem  hiesigen,  anatomischen 
Meckel' sehen  Museum  habe  ich  an  drei  Becken  fünf  mehr 
oder  minder  vollständige  Synostoses  sacro-iliacae  gesehen. 
Die  Präparate  sind: 

No.  2971  besteht  aus  zwei  Lendenwirbeln,  dem  Kreuz- 
beine, dem  linken  Dannbeine  und  Oberschenkel.  Letzterer  ist 
mit  der  Pfanne  ankylotisch  verbunden  und  bat  dieselbe  nach 
innen  perforirt.  Auf  der  oberen  (vorderen)  Fläche  der 
Syncbondros.  sacro-iliaca  finden  sich  Osteophytauflagerungen, 
welche  Kreuzbein  und  Darmbein  mit  einander  verbinden. 
Der  grösste  Theil  des  Gelenks  scheint  von  Verknöcherung 
frei  zu  sein. 

No.  2943  (bez.  Feraina  annor.  52,  L.  V.  888).  Voll- 
ständiges Becken.  Die  Verknöcherung  betrifft  beiderseits  allein 
die  obere  Fläche  des  Gelenks  und  wird  beiderseits  durch 
<>'" — 8'"  hohe,  unregelmässige  Knochenwülste  gebildet.  Die 
linksseitige  Exostose  ist  zugleich  mit  dem  Proc.  transv.  des 
letzten  Lendenwirbels  verwachsen.  Die  nach  der  Höhlung 
des  kleinen  Beckens  gerichteten  GelenkQäcben  sind  von  Ver- 
knöcherung frei;  wahrscheinlich  auch  die  hinteren  Seiten, 
soweit  die  schlechte  Maceration  ein  Unheil  erlaubt.  Das 
Becken  ist  symmetrisch  geformt.  Beide  schräge  Durchmesser 
messen  4"  6"\ 


174  VI-    0l$haus4ut  Scbrigrereagtes  Backen 

No.  2942.  Di«  Verknöcherung  betrifft  an  diesem  roll- 
ständigen  Becken  beide  Hüftkreuzbeinfugen  zu  ihrem  grfrssten 
Theile.  Nur  der  spitz  zulaufende  untere  Theil  beider  Gelenke 
zeigt  c.  4'"  hoch  eine  Trennung  des  Kreuzbeins  und  der  Darm- 
beine. Die  Knochenwulste  an  der  oberen  (vorderen)  Fläche 
sind  mehrere  Linien  hoch,  höchst  unregelmässig  geformt.  Das 
Becken  ist  symmetrisch;  der  Eingang  etwas  querelliptisch, 
von  vorn  nach  hinten  massig  verengt.  Die  vollständige  Ver- 
knöcherung beider  Gelenke,  mit  Ausnahme  des  untersten, 
kleinen  Theils,  wurde  durch  einen  horizontal  durch  beide 
Gelenke  geführten  Sägeschnitt  erwiesen. 

In  diesen  fünf  Fällen  von  Synostosis  sacro-iliaca  zeigt 
nirgends  das  Kreuzbein  einen  Defect,  eine  Verschleierung; 
die  Becken  deshalb  keine  Asymmetrie.  Gewiss  ist  es  in  den 
vielen  ähnlichen  Fällen  nicht  anders;  wenigstens  kommen 
erhebliche  Kreuzbeindefecte  dabei  wohl  nicht  vor,  sonst  würde 
Creve  (die  Krankheiten  der  Beckenkuochen  etc.),  welcher 
in  drei  anatomischen  Sammlungen  c.  250  solcher  .Ankylosen 
der  Hüftkreuzbeinfuge  sah,  solche  Defecte  des  Kreuzbeins 
und  asymmetrische  Becken  gewiss  erwähnen.  Wenn  nun  aber 
bei  solchen  mehr  oder  weniger  vollständigen  Ankylosen, 
wenigstens  in  der  Regel,  Osteophytbildung  vorhanden  ist, 
warum  fehlt '  sie  dann  in  der  grossen  Mehrzahl  aller  Fälle 
von  schrägverengten  Becken,  wo  doch  die  Ankylose  immer 
eine  ganz  vollkommene  ist.  Dieses  spricht  zum  mindesten 
dafür,  dass  eine  Gelenkentzündung  in  gewöhnlichem  Sinne 
des  Wortes  nicht  vorhanden  war.  Allenfalls  könnte  eine  so- 
genannte adhäsive  Entzündung,  d.  h.  'ein  auf  die  weichen 
Theile  des  Gelenks  beschränkter  Process  stattgefunden  haben, 
welcher  vielleicht  ohne  Symptome  im  Leben  verlaufen  kann. 
Dieses  deutet  Simon  Thomas  an,  sprioht  es  aber  lange 
nicht  so  entschieden  aus,  wie  Hayn, l)  welcher,  ähnlich 
wie  schon  früher  Kiwi8ch>  eine  langsam  durch  entzündliche 
Processe  entstehende  Verknöcherung  annahm. 

Einen  entzündlichen  Process  in  diesem  Sinne,  der  während 
des  Lebens,    sei  es  in  der  Kindheit  oder  später  die  Ver- 


1)    Hayn,    Beiträge   ssur   Lehre    vom   schrftgovalen   Becken. 
Königsberg  1852. 


mit  Ankjlosis  eaoro-iliaca  etc.  175 

knöeherung  herbeigeführt,  wollen  aber  auch  die  Anhänger 
der  Nägele'schen  Theorie  nicht  leugnen.  Nägele  selbst  und 
Unna  nahmen  allerdings  eine  angeborene  Synostose  an; 
Robert  spricht  sich  so  aus,  dass  man  seine  wahre  Meinung 
nicht  erfährt;  viele  Andere  aber,  besonders  Hohl  und  Litzmann 
glauben  für  die  Mehrzahl  der  Fälle  an  eine  im  Leben  ent- 
standene Ankylose.  Es  fragt  sich  bei  einem  solchen  Ver- 
knöcherungsprocess  vor  Allem,  was  ihn  veranlasst,  ob  z.  B. 
Trauihen,  wie  in  einigen  wenigen  Fällen  nach  der  Anamnese 
wahrscheinlich  wird  oder,  wie  Litzmann  für  viele  Fälle  will, 
ein  verstärkter  Druck  des  Hüftbeins  gegen  das  Kreuzbein. 
Auf  diesen  letzteren  Punkt  kommen  wir  unten  noch  zurück. 
Ausserdem  handelt  es  sich  für  die  schrägverengten  Becken 
vorzugsweise  darum,  ob  der  Defect  des  Kreuzbeins  die  Folge 
der  Synostose  sein  kann  oder  nicht  und  woher  derselbe  in 
letzterem  Falle  rühre. 

Die  Cardinalfrage  bleibt  also  die,  ob  die  Synostose  oder 
der  Defect  das  Primäre  sei;  nicht  ob  der  Ankylose  eine 
Gelenkentzündung  zu  Grunde  liege  oder  nicht.  Denn  an  einen 
solchen  Ursprung  der  Ankylose  glaubt  heutzutage  vielleicht 
Jeder;  und  die  Nägele- Unna'sdkie  Annahme,  dass  auch  die 
Ankylose  angeboren  sei,  dürfte  nur  noch  wenige  Anhänger 
finden.  Ich^würde  dies  auf  geringeren  Umwegen,  als  ge- 
schehen ist,  gezeigt  haben,  wenn  nicht  Simon  Thomas  noch 
immer  seiner  Theorie  diejenige  der  congenitalen  Ankylose 
entgegensetzte,  ohne  Rücksicht  auf  Hohl,  Litzmann  und 
Hayn.  Aus  diesem  Grunde  bin  ich  näher  auf  das  Gesagte 
eingegangen. 

Jetzt  fragen  wir  zunächst:  Kann  der  Kreuzbeindefect 
die  Folge  der  Synostose  sein?  —  Es  ist  eine  ausgemachte 
Sache,  dass  nach  Ankylosen  einer  unteren  Extremität  im 
Hüft-  oder  Kniegelenke,  die  unterhalb  der  Ankylose  befind- 
lichen Röhrenknochen  nicht  selten  im  Wachsthume  gegen  die 
der  anderen  Seite  zurückbleiben.  Man  muss  zunächst  daran 
denken ,  dass  die  •  vermutlich  geringeren  Bewegungen  der 
ankylotischen  Extremität  eine  mangelhaftere  Ernährung  der 
Muskeln,  sowie  der  Knochen  bedingen;  es  ist  aber  ebenso 
wahrscheinlich,  dass  in  Folge  der  durch  die  Ankylose  ge- 
setzten Veränderungen  der  eineu  Epiphyse  die  Ernährung  des 


176  VI.    Olshausen,  Schrägverengtes  Becken 

Knochens  von  dieser  aus  nun  nicht  mehr  in  normaler  Weise 
geschehen  kann;  und  auf  dieselbe  Weise  liesse  es  sich  be- 
greifen, wenn  am  Kreuzheine,  nach  Verknöcherung  der  Facies 
auricularis  die  zunächst  gelegenen  Knochenpartieen  atrophirten 
oder  die  Kreuzbeinhälfte  doch  die  einmal  erlangte  Breite  be- 
hielte. Hierbei  muss  jedoch  erstlich  der  enorme  Schwund 
auffallen ,  welcher  sich  bei  nicht  wenigen  der  schrägverengten 
Becken  findet  und  bei  einigen  derselben,  z.  B.  dem  meinigen 
und  mehreren  von  Nägele  beschriebenen,  zum  fast  voll- 
ständigen Hangel  des  einen  Seitentheils  des  Kreuzbeins  wird. 
Um  so  mehr  muss  dies  auffallen,  als  doch,  so  viel  bekannt, 
die  Facies  auricularis  des  Kreuzbeins  in  Bezug  auf  die  Er- 
nährung nicht  diejenige  Bedeutung  für  den  Knochen  hat  als 
für  einen  Röhrenknochen  seine  Epiphyse.  Schwer  begreiflich 
bliebe  es  auch  immer,  wje  durch  eine  auf  diese  Art  gestörte 
Ernährung  in  manchen  Fallen  sogar  die  unteren  Kreuzbein- 
wirbel, welche  gar  nicht  bis  an  die  Gelenkfläche  hinanreichen, 
zu  ihrem  Defect  kämen. 

Hierauf  machte  bekanntlich  schon  Nägele  aufmerksam. 
Weit  wichtiger  aber  und  noch  kaum  hervorgehoben,  scheint 
mir  der  Umstand  zu  sein,  dass  ja  immer  das  Kreuzbein  den 
Defect  zeigt  und  nicht  das  Hüftbein  oder  letzteres  doch  nur 
inconstant  und  in  unerheblichem  Grade.  Naturlich  muss  man 
hier  von  den  coxalgischen  Becken  absehen,  bei  welchen  das 
Hüftbein  der  von  Coxitis  befallenen  Seite  stets  und  in  er- 
heblichem Grade  atrophirt  ist  Diese  Atrophie  kommt  aber 
auf  Rechnung  des  coxalgischen  Processes  und  findet  sich 
regelmässig  auch  in  den  Fällen  ohne  Synostosis  sacro-iliaca. 
In  den  übrigen  Becken  ohne  Coxitis  ist  nun  freilich  ungemein 
häufig,  vielleicht  constant,  eine  Verkürzung  der  Linea  arcuata 
interna  der  synostotischen  Seite  nachweisbar  und  diese  wurde 
früher  ganz  allgemein  als  Atrophie  des  Hüftbeins  gedeutet. 
Litzmann  zeigte  aber  durch  genaue  Messungen,  dass  diese 
Verkürzung  grossen  Theils  auf  der  vielleicht  constanten  Ver- 
schiebung des  Hüftbeins  am  Kreuzbeine  nach  hinten  beruht 
und  dass  das,  was  vor  der  Synostose  fehlt,  hinter  derselben 
zu  viel  ist,  indem  {las  Hüftbein  hier  zu  weit  hinausragt. 
Litzmann  hält  demnach  die  Atrophie  des  Hüftbeins  für  sehr 
unerheblich,  wenn  er  sie  auch  nicht  ganz  leugnet.    Jedenfalls 


mit  Ankylosis  aacro-iliaca  etc.  177 

ist  diese  Atrophie  mit  der  des  (Kreuzbeins  gar  nicht  zu  ver- 
gleichen. Weshalb,  fragt  man.  deshalb  mit  Recht,  wird  in 
Folge  der  Synostose  constant  das  Kreuzbein  so  e^ieUich 
-atrophisch;  das  Hüftbein  kaum  oder  gar  nicht 

Wichtiger  noch  und  ein  fast  directer  Gegenbeweis  gegen 
die  Theorie  von  Martin  und  Simon  Thomas  ist  die  schon 
erwähnte  Thatsache  der  Verschiebung  des  Hüftbeins  am 
Kreuzbeine.  Dieses  Argument,  von  Litzmann  mit  Recht 
stark  hervorgehoben,  ist  von  Simon  Thomas,  bei  der  Frage 
nach  der  Aetiologie  der  schrägverengten  Becken,  ganz  ignorirt 
worden.  Die  Verschiebung  des  Hüftbeins  am  Kreuzbeine  ge- 
schieht regelmässig  nach  innen  und  oben.  Litzmann  betont 
besonders  die  Verschiebung  nach  hinten  und  hat  sie  an 
allen  Becken,  welche  er  sah,  durch  Messung  gefunden.  An 
meinem  Becken  ist  die  Verschiebung  nach  hinten  nur  gering, 
2"'  höchstens  4'"  betragend;  die  Verschiebung  nach  oben 
beträgt  dagegen  6'"—  7'". 

Litzmann  hat  nun  schon  die  Bedeutung  dieser  Constanten 
Verschiebung  genügend  hervorgehoben.  Ist  die  Synostose 
das  Primäre,  so  ist  nicht  einzusehen,  wie  bei  eintretender 
Atrophie  des  Kreuzbeins  die  Verschiebung  nachträglich  zu 
Stande  kommen  sollte.  Diesen  Punkt  erwähnt  Simon  Thomas 
in  seinem  ganzen  Capitel  über  die  Aetiologie  gar  nicht. 

Wollen  wir  nun  auch,  Angesichts  der  oben  angeführten 
neun  Fälle,  in  welchen  entweder  die  Anamnese  oder  das 
Becken  selbst  oder  Beides  für  Entstehung  der  ganzen  Ab- 
normität aus  entzündlicher  Knochenkrankheit  sprach  (wozu 
auch  P.  Dubois'a  Fall  *)  von  querverengtem  Becken  zu  rechnen 
ist),  diese  Möglichkeit  für  einige  Fälle  nicht  leugnen,  so 
scheint  sie  doch  für  die  Mehrzahl  problematisch.  Ja  selbst 
in  einigen  der  genannten  neun  Fälle  ist  diese  Entstebungsart 
durchaus  nicht  sehr  wahrscheinlich.  Von  Holsfs  Fall  wissen 
wir  nur,  dass  die  Kranke  im  19.  Jahre,  also  nach  fast  voll- 
ständiger Ausbildung  des  Skeletts,  in  Folge  eines  Falles 
Blutspeien  und  Erbrechen  bekam   und  neun  Monate  lang  mit 


1)  F.  Robert,  Ein  durch  mechanische  Verletzung  ....  quer- 
verengten  Becken,   im  Besitze  von  P.  Duhoit.     Berlin  1853. 
Mon»U*ctar.  f.  Oeburtuk.  18«*.   Bd.XlX.,  Hfl.  8.  12 


178 


VI.    OUhausm,  Schrftgrerengte«  Becken 


heftigen  Schmerzen  im  Kreuz  und  Racken  das  Bett  hüten  musste. 
Am  Becken  findet  sich  nun  an  der  Synostose  allerdings  einige, 
nicht  erhebliche  Osteophytbildung ,  aber  eine  beträchtliche 
Schiefheit.  Man  könnte  mit  E.  Martin  einigermaassen  ver- 
muthen,  dass  bei  frühzeitiger  Entstehung  der  Synostose  der 
Defect  des  Kreuzbeins  erheblicher  sei,  als  bei  später. 
Stellen  wir  nun  von  den  wenigen  Fällen,  wo  wir  den  Zeit- 
punkt der  angeblich  ursächlichen  Krankheit  kennen,  diesen 
mit  der  Schiefheit  des  Beckens  zusammen,  so  ergiebt  sich 
Folgendes : 

Zeitpunkt 
der  Krankheit 
Fall.  aer  Becken- 

knochen. 
Simon  Thomas  (Fall  1)  7  Jahre 
Ro88hirt  (coxalgisch)    10      „ 


Oifferenc 

Differenz 

der  schrägen 

*der  Distant. 

Durchmesser. 

sacro-cotyl. 

1"    6'" 

1"  10'". 

1" 

1"     9"'. 

5ya'" 

ioy,"'. 

1"   5"' 

2"    3'". 

11'" 

1"10'" 

2"    5"'. 

10'" 

Danyau  (coxalgisch)    10      „ 
Fabbri  (coxalgisch)  10— 12  n 

Ritgen 12      „ 

Höht     19      „ 

Fremd- Otto   .  .  .    erwachsen 

Diese  Zusammenstellung  zeigt  nicht,  wie  man  erwarten 
sollte,  dass  der  Defect  des  Kreuzbeins  bei  schon  ausgebildeten 
Knochen  gering  ist  und  zeigt  überhaupt  kein  regelmässiges 
Verhältniss  zwischen  dem  Grade  der  Atrophie  des  Kreuzbeins 
und  der  Zeit  der  Entstehung  der  Synostose. 

Schliesslich  muss  noch  erwähnt  werden,  dass  gerade 
die  zwei  Fälle,  welche  unter  allen  die  deutlichsten  Spuren 
entzündlicher  Erkrankung  der  Beckenknocben  zeigen,  nämlich 
die  Becken  von  Voigtel- Martin  (im  Halleschen  anatomischen 
Museum)  und  von  Hecker -Paetsch  (in  der  Berliner  Ent- 
bindungsanstalt) gerade  den  geringsten  Defect  des  Kreuzbeins 
und  die  geringste  Asymmetrie  zeigen.  Am  Halenser  Becken 
ist  dieselbe  so  unbedeutend,  dass  man  erst  durch  die  Synostosis 
sacro-iliaca  auf  die  schrägovale  Form  aufmerksam  wird.  Es 
beträgt  bei  dem  Halenser  Becken  die  Differenz  des  schrägen 
Durchmessers  2'",  die  Differenz  der  Distant."  sacro-cotyl.  5'", 
bei  dem  Berliner  Becken  die  Differenz  des  schrägen  Durch- 
messers 17i'">  die  Differenz  der  Distant.  sacro-cotyl.  S1/*"* 


mit  Ankylosis  sacro-iiiao»  etc.  179 

Scheint  somit  die  primitive  Entstehung  der  Ankylose  für 
die  Mehrzahl  der  Fälle  unwahrscheinlich,  so  kommen  wir 
dazu,  einen  primären  Defect  des  Kreuzbeins  anzunehmen  und 
werden  dazu  um  so  mehr  veranlasst,  als  solche  Becken  mit 
ganz  unzweifelhaften,  angeborenen  Kreuzbeindefecten,  auch 
von  fötalen  Skeletten  existiren,  ja  selbst  mit  schrägoTaler 
Form  vorkommen.  Das  von  Hohl  beschriebene,  oben  schon 
erwähnte  Skelett  eines  zwanzigwöchentlichen  Kindes  mit  Defect 
des  Knochenkerns  für  den  obersten  rechten  Flügel  des 
Kreuzbeins  bat  ebenfalls  schon  eine  deutliche  schrägovale  Form; 
es  beträgt  bei  diesem  Skelett,  welches  ich  vor  mir  habe,  der 
rechte  schräge  Durchmesser  des  Eingangs  c.  1"  3V2'",  der 
linke  nur  1"  V2'". 

Die  schräge  Gestalt  dieses  Beckens  lässt  sich  natürlich 
nicht  aus  dem  verstärkten  Drucke  eines  Schenkels  auf  das 
Darmbein  erklären.  Hier  ist  ohne  Zweifel  HohPs  Erklärung 
richtig:  Die  Dehnung  des  Beckens  nach  den  Seiten  hin,  die 
Krümmung  der  Lineae  arcuatae  erfolgt  bei  jedem,  auch 
dem  normalen  Becken  erst  mit  der  gehörigen  Entwickelung 
der  Kreuzbeinflügel,  dem  Breiterwerden  des  Kreuzbeins.  Des- 
halb hat  auch  jedes  Kinderbecken,  bei  dem  normaler  Weise 
das  Kreuzbein  verhältnissmässig  schmal  ist,  einen  längsovalen 
Eingang  und  schwach  gebogene  Lineae  arcuatae.  Ist  nun, 
wie  in  dem  obigen  Falle,  das  Kreuzbein  einseitig  besonders 
schmal,  so  ist  die  Streckung  der  Linea  arcuata  damit  begreiflich 
und-  ebenso  die  Schiefheit  des  Beckens.  Das  Hinüberschieben 
der  Schambeinfuge  auf  die  andere  Seite  aber  und  die  ganze 
Form  der  schrägverengten'  Becken  mit  Synostose  hieraus  zu 
erklären,  möchte  ich,  mit  Litzmann,  Bedenken  tragen. 

Wenn  Simon  Thomas  nun  verlangt,  dass  Hohl  an 
jenem  Becken  erst  die  Synostose  hätte  nachweisen  müssen, 
um  einen  gültigen  Beweis  zu  liefern,  so  hat  er  eben  HohVs, 
und  Anderer  Meinung  nicht  verstanden  oder  nicht  verstehen 
wollen,  da  die  Synostose  verrauthlich  niemals  angeboren  ist, 
sondern  erst  allmälig  während  des  Lebens  entsteht.  Wenn 
man  nun  aber  asymmetrische  oder  schrägovale,  völlig  aus* 
gewachsene  Becken  ohne  Synostose,  wenn  auch  nur  wenige, 
kennt,  so  fragt  es  sich,  weshalb  denn  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle   die   Synostose   später  hinzutritt.     Nach   Lüzmann  ist 

12* 


180  VI.    OUhausen,  Sehr  Hg  verengtes  Beoken 

dies  dii  Folge  davon,  dass  bei  asymmetrischen  Becken  die 
Körperlast  ungleich  vertheilt  ist  und  auf  den  Schenkel  der 
defecten  Seite  der  grösste  Theil  der  Körperlast  fällt  Durch 
den  verstärkten  Druck,  welchen  der  betreffende  Schenkelkopf 
nun  auf  die  Pfanne  ausübt,  entsteht  1)  die  Verschiebung  des 
Hüftbeins  nach  hinten,  oben  und  innen,  2)  die  Abplattung 
des  Schambeins,  der  Linea  arcuata,  3)  die  Synostose.  Die 
erste  dieser  Folgen  wurde  schon  oben  erwähnt  und  die 
Richtung  der  Verschiebung  ist,  bei  der  Richtung,  in  welcher 
der  Schenkelkopf  drückt,  begreiflich,  ja  natürlich.  Die  Ab- 
plattung  der  Linea  arcuata  auf  diesen  Druck  zu  schieben,  ist 
so  natürlich,  dass  Nägele  und  viele  andere  Autoren  sich  in 
ihrer  Beschreibung  so  ausdrückten,  dass  das  Schambein  wie 
durch  einen  Druck  von  aussen  und  vorn  abgeplattet  und 
verschoben  erscheine,  ohne  dass  sie  damals  an  einen  solchen 
Druck  in  der  That  glaubten.  Hierdurch  wird  es  denn  auch 
begreiflich,  dass  nicht  nur  alle  Becken  unserer  Gattung  ganz 
dieselbe  Form  haben,  sondern  dass  sie  ganz  ebenso  bei 
coxal glichen  Becken  ohne  Ankylose,  sowie  bei  rhachitischen 
Becken  vorkommt,  wenn  Scoliosen  der  Wirbelsäule  eine  un- 
gleiche Vertheilung  des  Körpergewichts  auf  beide  Schenkel  zur 
Folge  haben.  Auch  Simon  Thomas  leitet  diese  charakteristische 
Form  von  der  genannten  Ursache  nach  Litzmann  ab,  ohne 
im  Uebrigen  dessen  consequente  Auflassung  auch  nur  zu 
erwähnen. 

Endlich  soll  die  Synostose  Folge  dieses  Druckes  sein. 
Dass  Knochen  durch  einen  starken  gegenseitigen  Druck  ver- 
schmelzen können,  ist  gewiss  gefiug.  Man  hat  dies  öfter 
beobachtet  an  den  Rippen  bei  starken  Verkrümmungen  der 
Wirbelsäule;  hier  sind  freilich  keine  Gelenke,  welche  etwa 
der  Verwachsung  hindernd  in  den  Weg  treten;  aber  auch 
die  Wirbel  können  bei  eben  solchen  Verkrümmungen  mit 
einander  verschmelzen;  am  häutigsten  sind  es  hier  die  Procc. 
obliqui,  seltener  die  Wirbelkörper,  weil  sie  erst  nach  völligem 
Schwund  der  dicken  In lervertebral Scheiben  mit  einander  in 
Berührung  treten  können. *)  Man  könnte  vermuthen ,  dass 
_ 

1)  Rokitansky,  Handbuch  der  pathologischen  Anatomie,  Bd .  I ., 
1844,  p.  27t, 


%  mit  Ankylosis  Bacro-iliaca  etc.      k  181 

auch  an  Klumpfässen,  wo  die  Knochen  doch  oft  lange  Zeit 
in  ganz  anomaler  Weise  gegen  einander  gedrängt  werden, 
solche  Synostosen  vorkämen;  doch  ist  dies,  so  viel  mir  bekannt, 
nicht  beobachtet  worden.  Vielleicht  ist  hier  die  stärkere 
Beweglichkeit  der  Gelenke,  welche  beim  Gange  stets  zur 
Wirkung  kommt,  Schuld,  dass  sich  Ankylosen  nicht  bilden 
können.  Die  Hüftkreuzbeinfuge  aber  ist,  wenn  auch,  nach 
Luschka,  mit  einer  Synovialmembran  und  allen  Attributeil 
eines  wahren  Gelenks  versehen,  jedenfalls  von  sehr  geringer 
Beweglichkeit  und  somit  lässt  sich  wohl  denken,  dass  ein 
verstärkter  Druck  und  ein  solcher  findet,  wie  es  scheint,  bei 
Asymmetrie  des  Kreuzbeins,  stets  auf  der  defecten  Seite  statt, 
eine  Verknöcherung  zu  Wege  bringt.  Dass  der  Synostose 
ein  entzündlicher  Process  und  sogenannte  adhäsive  Entzündung 
vorausgehen  müsse,  ist  wahrscheinlich,  und  es  wäre  deshalb' 
auch  sehr  begreiflich,  wenn  dieser  Process  sich  auf  die  zu* 
nächst  gelegenen  Knochenpartieen  verbreitend,  eine  Periostitis 
und  Osleophythildungen  hervorbrächte.  Somit  braucht  nicht 
jede  Osteophytbildung  für  die  Ansicht  von  Simon  Thomas 
zu  sprechen,  wie  dieser  noch  immer  glaubt.  Es  spricht  eine 
solche  Osteophytbildung  nur  emigermaassen  gegen  die  An- 
nahme einer  congenitalen  Synostose,  die  aber  von  den  neueren 
Autoren  fast  vollständig  verworfen  ist. 

Es  lässt  sich  nun  nicht  leugnen,  dass  bei  der  explicirten, 
besonders  von  Litzmann  dargelegten  Entstehungsweise  der 
schrägverengten  Becken  mit  Synostose,  besonders  ein  Punkt 
noch  nicht  erklärt  .ist,  nämlich  die  Häufigkeit,  ja  das  fast 
constante  Vorkommen  der  Synostose  bei  solchen  Kreuzbein- 
defecten.  Auffällig  muss  es  erscheinen,  dass  wenn  bei 
angeborenen  Defecten  des  Kreuzbeins  in  der  Regel  dieser  ein- 
seitig verstärkte  Druck  sich  im  Zuslandebringen  einer  Synostose 
äussert,  dass  diese  Synostose  bei  einfachen  Scoliosen  der 
Wirbelsäule  nicht  häufiger  entsteht,  da  doch  erwiesenermaassen 
das  Schiefwerden  des  Beckens,  die  Abplattung  der  Linea 
arcuata  durch  diesen  Druck  a'uch  hier  sich  findet.  Die 
Synostosen  in  Folge  einfacher  Scoliosen  sind  aber  sehr  selten, 
ja  nach  Litzmann  ist  ein  solches  Zustandekommen  einer 
Synostofafe    sacro-iliaca    noch    nicht    ganz    zweifellos'   nach- 


182  Vjl.    OUhausen,  Bchr&gverengtea  Becken 

gewiesen.    Folgende  Erklärung  ist  hier  vielleicht  nicht  un- 
richtig. 

Eine  Scoliose  der  Wirbelsäule  gleicht  sich  gewöhnlich 
schon  in  ihrem  Entstehen  durch  eine  compensatorische  Scoliose 
aus;  nur  in  einzelnen  Fällen  wird  ein  stärkerer  Druck  des 
Körpers  auf  den  einen  Schenkel  stattfinden.  Der  Körper, 
an  welchem  primäre  Scoliosen  zu  Stande  kommen,  besitzt 
aber  krankhaft  nachgiebige  Knochen.  Wenn  nun  bei  dieser 
Beschaffenheit  der  Knochen,  ein  Schenkelkopf,  einen  stärkeren 
Druck  auszuüben  beginnt,  so  wird  er  zwar  auf  das  Darmbein 
eine  evidente  Wirkung  ausüben ,  die  wir  ja  an  der  Abplattung 
sehen;  die  durch  das  Darmbein  auf  die  Iliosacralverbindung 
fibertragbare  Wirkung  wird  aber  durch  die  Nachgiebigkeit 
des  Knochens  verhindert.  Dieser  knickt  vielmehr  an  einer 
zwischen  Synchondr.  sacro-iliaca  und  Tuberc.  ileo-pectineum 
gelegenen  Stelle  der  Linea  arcuata  ein.  Diese  Einknickung 
sehen  wir  allerdings  an  der  Mehrzahl  aller  schrägverengten 
Becken  ohne  Ankylose,  so  dass  Martin  (in  seinem  Programm, 
p.  13  u.  14,  und  Neue  Zeitschr.  f.  Gebk.,  XIX.,  p.  134  u.  135) 
hierin  einen  constanten  Unterschied  zwischen  den  Becken 
mit  und  ohne  Ankylose  finden  wollte.  Dies  ist  nach  Litzmann 
(das  schrägovale  Becken,  p.  19)  nicht  zulässig,  wie  durch 
zwei  Beispiele  bewiesen  werden  kann;  doch  ist  allerdings  die 
Regel,  dass  ankylotische  Becken  in  der  Linea  arcuata  keine 
Knickung  zeigen,  nicht  ankylotische  dagegen  sie  besitzen. 
Litzmann  •  drückt  sich  über  diesen  Punkt  so  aus,  dass  er 
sagt,  die  Knickungsslelle  könne  sich  der  Synchondr.  sacro- 
iliaca  mehr  und  mehr  nähern,  schliesslich  in  der  Synostose 
verschwinden.  Richtiger  ist  vielleicht  oder  doch  präciser  die 
eben  gegebene  Erklärung:  Ist  der  Knochen  relativ  fest,  so 
pflanzt  sich  der  vom  Schenkel  ausgeübte  Druck  durch  die 
Knochen  bis  auf  das  Iliosacralgelenk  fort;  ist  er  weich,  so 
erleidet  er  eine  Einknickung  an  der  Linea  arcuata.  Letzteres 
ist  bei  den  meistens  rhachitischen  Scoliosen  der  Fall.  Bei 
noch  weicherer  Beschaffenheit  des  Knochens,  wie  beim 
osteomalacischen  Knochen  wirkt  der  normale  Druck  der 
Scbenkelköpfe  bekanntlich  noch  anders,  indem  er  die  Pfanne 
mit  der  gaifeen  Seitenwand  in  die  Höhle  des  kleineiiQeckens 


mit  Ankylocis  sacro-UiA«»  etc.  183 

hineindrängt,  auch  wohl  den  erweichten  Pfannenboden  nach 
innen  treibt.  Dies  geschieht  in  seltenen  Fällen  auch  beim 
rhachitischen  Becken,  wodurch  das  sogenannte  pseudo- 
osteomalacische  Becken  zu  Stande  kommt 

Andere  erhebliche  Schwierigkeiten,  als  die  angeführte, 
stellen  sich  übrigens  der  Annahme  der  Zttefnann'schen 
Theorie  nicht  entgegen.  Der  verschiedene  Grad  der  Schief- 
heit bei  den  Becken  oder,  mit  anderen  Worten,  der  verschieden 
hochgradige  Defect  des  Kreuzbeins  ist  zu  begreifen.  Wie 
Hohl  gezeigt  hat,  kann  bei  Defecten  des  obersten  Kreuzbein- 
wirbels der  zweite  Wirbel  für  ihn  mehr  oder  weniger  vicariirend 
eintreten ;  es  kann  aber  auch  der  ursprüngliche  Defect  des 
einen  oder  mehrerer  Wirbel  eine  verschiedene  Ausdehnung 
haben,  wie  schon  die  wenigen  bisher  beschriebenen  Präparate 
von  evident  angeborenen  Defecten  deutlich  zeigen.  Wenn 
Simon  Thomas  deshalb  gegen  die  Nägele'sche  Theorie  noch 
geltend  macht,  dass  durchaus  nicht,  wie  Nägele  meine,  der 
Kreuzbeinflügel  bei  den  schrägverengten,  ankylo tischen  Becken 
vollständig  fehle,  sondern  dass  er  nur  verkümmert  sei,  so 
spricht  dies  in  keiner  Weise  gegen  Nägele1^  Theorie.  Es 
kann  eben  der  primäre  Defect  grösser  oder  geringer  sein. 
.  Simon  Thomas  giebt  zum  Beweise,  dass  der  Kreuzbeinflügel 
in  der  That  vorhanden  sei,  in  seiner  Monographie  auf  Taf.  VI." 
die  horizontalen  Durchschnitte  der  Ankylosen  von  fünf  schräg- 
verengten Becken;  diese  fünf  Becken  waren  sämmtlich  exquisite 
Präparate,  an  denen  der  blosse  Anblick  in  der  That  für  einen 
vollständigen  Mangel  der  Flügel  des  Kreuzbeins  auf  der 
TOikylotischen  Seite-  sprach.  Auf  dem  Durchschnitt  zeigte 
sich  nun,  seiner  Meinung  nach,  dass  die  Stelle,  welche  der 
Synostose  entsprach  und  sich  durch  grössere  Dichtigkeit  der 
Knochensubstanz  auszeichnete,  eine  nach  aussen  gekrümmte 
Linie  bildete.  Es  hat  sich  deshalb  seiner  Ansicht  nach  der 
Kreuzbeinflügel,  der  allerdings  verkümmert  vorhanden  ist,  in 
das  Darmbein  hineingedrückt  und  sich  so  dem  äusseren 
Blicke  gewissermaassen  entzogen.  Die  Abbildungen  von 
Simon  Thomas  überzeugen  uns  nun  nicht  (wenigstens  drei 
derselben  durchaus  nicht),  dass  an  den  Becken  die  Stelle 
der  Synostose "  sicher  erkannt  werden  konnte*  Und  wenn 
dies  wirklich  der  Fall  war,   so  steht  doch  noch  ganz  dahin, 


184  VI-    OfaUaM»,  öchriffrerengtee  Bocken 

ob  xu  diesen  immerhin  sehr  schmalen  Seitcntheilen  des  Kreuz- 
beins wirklich  ein  eigener  Knochenkern  für  den  Flügel,  wie 
am  normalen  ßecken,  beigetragen  hat  Die  ganze  Frage 
scheint  uns  aber  nach  dem  oben  Gesagten  ziemlich  überflüssig 
and  habe  ich  sie  nur  aus  Rocksicht  auf  Simon  Thomas 
erwähnt  Es  ist  deshalb  auch  fieDeicht  zum  Ueberfluss  ge- 
schehen, wenn  ich  in  Fig.  5  einen  horizontalen  Durchschnitt 
der  ankylotischen  Stelle  von  meinem  Becken  in  naturgetreuer 
Abbildung  gegeben  habe.  Wenn  nun  auch  an  dieser  Figur 
zwischen  den  Endpunkten  der  Ankylose,  a  and  A,  ein  ziemlich 
breiter,  undeutlich  begrenzter  Streifen  dkhterer  Knochensubstanx 
sichtbar  ist,  so  kann  man  doch  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen, 
wo  nun  die  Verschmelzungsstelle  sich  genau  befindet,  wo  das 
Kreuzbein  anfangt  und  das  Darmbein  aufhört  Ebenso  wenig 
habe  ich  dies  an  einem  Durchschnitt  des  auf  p.  174  be- 
schriebenen Becken  (No.  2942  des  hiesigen  anatomischen 
Museums)  mit  doppelseitiger  Ankylose  sehen  können.  Der 
horizontal  durch  beide  Ihosacralsynostosen  geführte  Sägeschnitt 
giebt  die  Verwachstmgsstelle  der  Knochen  nicht  an. 


Wir  beanspruchen  nun  keineswegs,  in  dem  Gesagten 
alle  Punkte,  welche  für  die  eine  oder  die  andere  Ansicht 
über  die  Entstehung  schrägverengter  Becken  mit  Ankylose 
sprechen,  vollständig  erwogen  zu  haben  oder  gar  zu  einer 
definitiven  und  unangreifbaren  Entscheidung  gekommen  zu 
sein,  wie  es  Simon  Thomas  von  sich  zu  glauben  scheint; 
wir  wissen  vielmehr,  dass  zu  einer  endgültigen  Entscheidung 
noch  Manches  fehlt,  nämlich  ausser  einschlägigen  Präparaten 
aus  fötalem  oder  frühem  Kindesalter  besonders  eine  genaue 
Geschichte  der  Entwickelung  des  Beckens.  Andeutungen  über 
diesen  Punkt  gaben  schon  Martin  und  Robert  in  ihren 
angeführten  Schriften.  Ausführlicheres  darüber  theilten  Hohl 
und  neuerdings  Schwegd1)  und  Litzmann2)  mit  Doch 
bleibt   noch   Manches   zu    erforschen.     Unsere  Absicht   war 

1)  Sckwegel,  Die  Entwicklungsgeschichte  der  Knochen  des 
Stammes  n.  der  Extremitäten.  Sitzungsberichte  der  k.  k.  Akademie 
su  Wien,  Bd.  XXX.,  Jfo.  17,  1868. 

2)  Lüsmamn,  Die  Formen  des  Beckens,  insbesondere  .... 
Berlin  1861. 


mit  Ankyloaig  «AQfo-iÜACA  ato.  18Ö 

lediglich,  der  von  Simon  Thema*  mit  voller  Bestimmtheit 
für  alle  Fälle  in  Anspruch  genommenen  Erklärung  entgegen- 
zutreten lind  ihre  Unhaltbarkeit  zu  zeigen. 

Das  Gesagte  fassen  wir  in  folgendem  Resumä  zusammen: 

1)  Die  Entstehung  schrägverengler  Becken  mit  Ankylosis  sacro- 

iliaca  im  extrauterinen  Leben  nach  Martina  und  Simon 
Thomas'  Erklärung  ist  für  einige  Fälle  wahrscheinlich. 
Für  die  Mehrzahl  aller  Fälle  lässt  sie  gegründete  Zweifel 
gegen  sich  aufkommen. 

2)  Man  wird  hierdurch  darauf  geleitet,   an  eine  angeborene 

Deformität  zu  denken.  Die  Ankylose  braucht  jedoch 
nicht  congenital  zu  sein;  vermuthlicb  ist  es  nur  der 
Defect  des  Kreuzbeins.  Hierfür  sprechen  die  mehrfach 
erwähnten  Präparate  von  fötalen  und  Kinderbecken,  sowie 
die  schrägovalen  Becken  Erwachsener  ohne  Ankylose. 

3)  Die  Ankylose  entsteht  nach  Litzmann's  sinnreicher  Er- 

klärung am  wahrscheinlichsten,  wie  auch  die  eigentüm- 
liche, schrägverengte  Beckenform,  die  Verschiebung  des 
^Hüftbeins  und  der  platte  Knochenwulst  auf  der  oberen, 
vorderen  Seite  der  Ankylose  durch  den  einseitig  ver- 
stärkten Druck  von  einer  Pfanne  her.  Für  solche  Ent- 
stehungsart der  Synostose  fehlt  es  nicht  an  Analogieen. 

4)  Diese  Erklärung  wird  um  so  wahrscheinlicher,  als  dadurch 

zugleich  die  Beckenform  bei  coialgischen  Becken  und 
Scoliosen  erklärt  wird.  Der  einzige  Grund,  welcher  da- 
gegen spricht,  das  fast  constante  Vorkommen  der  Ankylose 
bei  Defecten  des  Kreuzbeins,  während  dieselbe  bei  ein- 
fachen Scoliosen  fast  ebenso  constant  fehlt,  ist  einer 
Erklärung  fähig. 

5)  Simon  Thomas  hat  wohl  die  Nägele'ache  Ansicht,  nach 

welcher  die  Synostose  selbst  angeboren  und  die  primäre 
Anomalie  sein  sollte,  zu  widerlegen  gesucht,  auf  die 
viel  wahrscheinlichere  Modification  dieser  Ansicht  durch 
Lüzmann  aber  gar  keine  Rücksicht  genommen  und  ist 
deshalb  seine  Beweisführung  höchst  ungenügend. 


186     VII.   Eosemburgery  Sechs  F&Ue  tob  Utem  unicornli, 

VII. 

Sechs  Fälle  von  Uterus  unicornis,  darunter  einer 

mit  Schwangerschaft  in  einem  verkümmerten 

Nebenhorne. 

Von 

Dr.  Arnold  Rosenhurger  in  Basel. 

Mit  einer  Vorbemerkung 

▼on 

Professor  Dr.  A.' Kussmaul  in  Erlangen. 

Vorbemerkung. 

Als  mir  im  Herbst  1859  die  pathologisch -anatomische 
Sammlung  der  hiesigen  medicinischen  Klinik  anvertraut  wurde, 
fand  ich  unter  einer  grösseren  Zahl  missbildeter  weiblicher 
Geschlechtstheile  auch  drei  Uteri  unicornes.  Im  Laufe  der 
letzten  zwei  Jahre  habe  ich  hierzu  noch  drei  andere  erworben, 
zwei  davon  wurden  hier  bei  klinischen  Sectionen  gefunden, 
einer  mit  Schwangerschaft  im  verkümmerten  Nebenhorne  ist 
uns  als  ein  Präparat  von  Graviditas  tubaria  geschenkt  worden. 

Herr  Dr.  Arnold  Rosenhurger  aus  Basel  hat  sich  die 
Beschreibung  der  sechs  Präparate  zum  Gegenstande  seiner 
Inaugural- Dissertation  (Erlangen,  1861)  genommen,  doch 
durfte  diese  trotz  der  gewissenhaften  Genauigkeit,  mit  welcher 
ihr  Verfasser  seine  Aufgabe  gelöst  hat,  das  gewöhnliche  Loos 
der  heutigen  Dissertationen  tbeilen  und  wenig  bekannt  werden. 
Auf  den  Wunsch  des  Herrn  Dr.  Rosenhurger  ersuche  ich 
daher  die  geehrte  Redaction  dieser  Zeitschrift,  seiner  Arbeit 
durch  Aufnahme  in  eines  ihrer  Hefte  einen  grösseren  Leser- 
kreis zu  verschaffen.  Es  sind  besonders  interessant  die  Fälle 
1,  5  und  6.    Fall  6  scheint  sogar  ganz  einzig  dazustehen. 

Ich  erlaube  mir,  diese  Gelegenheit  zu  einer  persönlichen 
Bemerkung  zu  benutzen. 

Herr  Prof.  Stoltz  in  Sirassburg  hat  im  verwichenen 
Jahre   eine    kleine   Abhandlung   veröffentlicht:    „Note   sur  le 


darunter  einer  mit  Schwangerschaft  etc.  187 

developpement  incomplet  d'une  des  moities  de  l'uterus  etc., 
Strasbourg  1^60",  welche  er  angeblich  schon  1856  in  der- 
selben Gestalt  der  Academie  des  sciences  vorlegte,  ohne  dass 
bis  zum  Jahre  1860  ein  Bericht  von  Seiten  der  Akademie 
erfolgt  wäre.  Auf  Seite  1  dieser  kleinen  Schrift  findet  sich 
eine  Bemerkung,  welche  ich  so  zu  deuten  gezwungen  bin, 
dass  Herr  Stoltz  die  Originalität  meiner  Abhandlung  über 
den  Uterus  unicornis  mit  und  ohne  verkümmertes  Nebenborn, 
welche  in  meinem  1869  erschienenen  Werke  über  den  Mangel, 
die  Verkümmerung  und  Verdoppelung  der  Gebärmutter  u.  s.  w. 
enthalten  ist,  bezweifelt.  Oder  um  mich  deutlicher  aus- 
zudrücken, Herr  Stoltz  vermuthet,  dass  ich  unbefugter  Weise 
mit  seinen  Pferden  meinen  Acker  gepflügt  hätte,  eine  Ver- 
dächtigung, die  ich  hiermit  entschieden  zurückweise.  Mir  ist, 
bis  die  Note  des  Herrn  Stoltz  1860  erschien,  von  seinen 
Untersuchungen  nichts  bekannt  gewesen,  als  das  Wenige,  was 
die  „Compt.  rend.  de  l'Acad.  d.  sc."  und  die  „Gaz.  med.  de 
Paris,  1856"  davon  mittheilten,  und  was  ich  auch  redlich 
in  meinem  Buche,  S.  124  u.  a.  a.  0.  angeführt  und  benutzt 
habe.  Meine  Abhandlung  über  den  Uterus  unicornis  und  die 
Schwangerschaft  in  verkümmerten  Uterushörnern  ist  nicht 
weniger  mein  Eigenthum,  als  die  übrigen  Theile  meines 
Buches,  und  nicht  einmal  die  Anregung  dazu  habe  ich  von 
Herrn  Stoltz  empfangen. 

Meinen  Freunden  und  den  zahlreichen  Mitgliedern  des 
naturhistorisch- medicinischen  Vereins  in  Heidelberg  ist  dies 
wohl  bekannt,  denn  sie  konnten  die  ganze  Entwicklungs- 
geschichte meines  Werkes,  welches  innerhalb  eines  Jahres 
abgefasst  und  Stück  für  Stück  der  Gesellschaft  in  seinen 
wichtigsten  Ergebnissen  vorgelegt  wurde,  genau  verfolgen. 
Zuerst  veranlasste  mich  ein  zufällig  beobachteter  interessanter 
Fall  von  Eileiter -Schwangerschaft,  das  Verhalten  des  gelben 
Körpers  bei  Graviditas  tubaria  überhaupt  zu  prüfen.  Ich 
untersuchte  die  unter  diesem  Namen  in  Heidelberg  auf- 
bewahrten Präparate  und  erkannte  sie  als  Fälle  von  Schwanger- 
schaft in  verkümmerten  Nebenhörnern.  Dies  hatte  gerade 
keine  grossen  Schwierigkeiten,  nachdem  uns  Rokitansky 
und  Virchow  die  Unterscheidungsmerkmale  von  Tuba  und 
rudimentärem  Nebenhorne  in  geschwängertem  Zustande  kennen 


188     VII.   Baienburg&r,  Sech«  Fälle  ron  Ute  ras  unicornis, 

gelehrt  hatten,  und  einige  Jahre  vorher  (1854)  in  Würzborg, 
wo  ich  das  ganze  Universitätsjahr  1853/54  zubrachte,  Scanzoni 
sein  Präparat  beschrieben  und  öffentlich  demonstrirt  hatte. 
Die  Herren  Professoren  Geh.  Hofrath  Dr.  Lange  und  Dr.  Kuhn 
in  Heidelberg  nahmen  lebhaft  Antheil  an  meiner  Untersuchung 
der  beiden  in  ihren  Sammlungen  befindlichen  Präparate  und 
kamen  bald  mit  mir  zum  Schlüsse,  dass  Hey f eider  und 
Czihak  Uterus  -  Schwangerschaften  für  Eileiter  -  Schwanger- 
schaften angesehen  hatten.  Eine  fortgesetzte  Vergleichung 
zahlreicher  in  der  Literatur  aufbewahrter  Fälle  von  Eileiter- 
Schwangerschaft  musste  mich  nothwendig  zu  der  weiteren 
Erkenntniss  fuhren,  dass  die  Geburtshelfer  öfter  verkümmerte 
Uterushörner  für  Eileiter  hielten,  zu  welcher  Ueberzeugung 
Herr  Stoltz  schon  vor  mir  gekommen  war;  dazu  musste 
aber  Jedermann  kommen,  wer,  mit  der  nöthigen  und  leicht 
zu  erwerbenden  Sachkenntniss  ausgerüstet,  eine  Revision  der 
Literatur  in  dieser  Richtung  vorzunehmen  sich  entschloss. 
Dass  ich  einigen  Fleiss  auf  meine  Nachforschungen  ver- 
wandte, geht  daraus  hervor,  dass  ich  innerhalb  eines  Jahres 
nicht  nur  alle  jene  Fälle  auffand,  welche  Herr  Stoltz  in 
seiner  Note  aus  der  Literatur  anführt,  obwohl  er  sich  mehr 
als  30  Jahre  Zeit  zu  seinen  Nachforschungen  nahm,  sondern 
auch  noch  einige  andere,  die  ihm  unbekannt  geblieben  sind, 
z.  B.  die  von  Drejer,  Ingleby,  Behse,  ungerechnet  den  ob€n 
erwähnten  von  Scanzoni. 

Nehme  sich  doch  Herr  Stoltz  die  Mühe,  die  Vorrede  zu 
meinem  Buche,  ferner  die  Verbandlungen  des  naturhistorisch- 
mediciniscben  Vereins  in  Heidelberg  vom  Jahre  1857  — 1859, 
S.  102,  139  und  178,  den  amtlichen  Bericht  über  die  Ver- 
sammlung deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  in  Carlsruhe 
'  im  September  1858,  wo  ich  die  Heidelberger  Präparate  vor 
Deutschen  und  Franzosen  demonstrirte  (auch  Herr  Stoltz 
war  Mitglied  der  Versammlung),  endlich  den  ganzen  Inhalt 
meines  Buches  mit  dem  seiner  Note  zu  vergleichen.  Ich 
zweifle  nicht,  dass  der  viel  verdiente  Mann  mir  Gerechtigkeit 
widerfahren  lassen  und  seine  Bemerkung  zurücknehmen  wird. 


darunter  einer  mit  Schwangerschaft  etc.  189 

Beschreibung  der  Präparate. 

I.    Uterus  unicornis  sinister  cum  rudimento  cornu 
alterius  gravido. 

•  Dieses  höchst  werthvolle  Präparat  wurde  mit  einigen 
anderen  im  Herbste  1860  von  dem  Director  des  christlichen 
Krankenhauses  in  Fürth,  Herrn  Dr.  Fronmüller  sen.,  der 
pathologisch -anatomischen  Sammlung  der  Universität  Erlangen 
zum  Geschenke  gemacht,   und  mit  einigen  Notizen  begleitet. 

Dasselbe  stammt  von  einer  24jährigen  Magd,  welche  in 
der  Nacht  vom  5.  auf  den  6.  Mai  des  Jahres  1851  in's 
Hospital  zu  Fürth  gebracht  wurde  und  daselbst  nach  wenigen 
Stunden  verschied.  —  Sie  hatte  seit  Neujahr  ihre  Regeln 
nicht  mehr  gehabt  und  war  öfters  von  periodischen  heftigen 
Schmerzen  im  Unterleibe  heimgesucht  worden. 

Bei  der  am  7.  Mai  erfolgten  Section  fand  sich  in  der 
Unterleibshöhle  viel  ergossenes  Blut  Bei  Eröffnung  der 
Unterleibshöhle  konnte  man  sofort  Kindes theile  in  der  halb- 
durchsichtigen  Eiblase  erkennen,  und  die  Placenta,  aus 
welcher  die  Verblutung  erfolgt  war.  Der  Uterus  war  nicht 
sehr  entwickelt;  in  demselben  zeigte  sich  eine  hinfällige  Haut. 

Ein  Blick  genügt,  um  jedem  Sachkenner  die  Ueber- 
zeugung  zu  verschaffen,  dass  einer  jener  seltenen  Fälle  vor 
uns  liegt,  wo  das  verkümmerte  Nebenhorn  einer  einhörnigen 
Gebärmutter  zur  Entwickelungsstätte  eines  befruchteten  Eies 
gedient  bat.  Diese  Beobachtung  reiht  sich  somit  an  die 
von  Herrn  Prof.  Kussmaul  in  seinem  Werke  über  den 
Mangel,  die  Verkümmerung  und  Verdoppelung  der  Gebärmutter 
S.  124  — 163  gesammelten. 

Es  besteht  das  Präparat  aus  einem  linken  ein- 
hörnigen  Uterus  mit  einem  Stück  der  Scheide  und  der 
Harnblase,  rechts  mit  einem  Nebenhorne  verbunden, 
das  zu  einem  fast  faustgrossen  Fruchtsacke  angewachsen  ist, 
aus  dem  eine  Nabelschnur  tritt,  woran  eine  fünfmonatliche 
Frucht  hängt. 

Der  entwickelte  linke  Uterus  ist  von  walzenförmiger 
Gestalt  und  nach  links  gebogen.  Seine  Krümmung  beginnt 
schon  im  obersten  Theile  des  Mutterhalses  und  nimmt  zu  bis 


190     VII.   Rosenburger,  Sechs  Fälle  von  Uterus  unicornis 

gegen  die  Einsenkungsstelle  des  Eileiters  hin.  Die  vordere 
Wand  der  Gebärmutter  ist  leider  theilweise  weggeschnitten, 
im  Uebrigen  mehrfach  zerschnitten.  Die  hintere  Fläche  ist 
leicht  convex.  Aus  der  nach  links  gerichteten  Spitze  des 
Uterus  entspringen  der  linke  Eileiter,  das  Lig.  ovarii  mit 
seinem  Eierstocke  und  das  Lig.  teres.  Die  Lange  des  Uterus 
vom  Fundus  bis  zur  vorderen  Muttermundslippe  beträgt 
33/4"  P.  M.,  wovon  31'"  auf -den  Körper  und  14"'  auf 
den  Hals  kommen.  Im  Querdurchmesser  von  der  Insertion 
der  Tuba  Fallopii  bis  zum  Abgange  des  Verbindungsstuckes 
rechterseits  misst-  er  27"'. 

Wegen  des  defecten  Zustandes  des  Uterus  sind  die 
Dickenverhältnisse  der  Wände  nicht  mehr  genau  festzustellen. 
Im  Allgemeinen  nimmt  die  Dicke  der  Wände  vom  Mutterhalse 
gegen  den  Fundus  und  insbesondere  die  Spitze  desselben 
merklich  ab.  Denn  während  dieselbe  am  inneren  Muttermunde 
Ober  4"'  beträgt,  nimmt  sie  gegen  die  Spitze  hin  bis  auf 
weniger  als  1'"  ab. 

Die  Decidua,  welche  der  obigen  Notiz  zufolge  entwickelt 
war,  ist  weggenommen. 

Der  Cervicalkanal  ist  in  seinem  oberen  Theile  nach  links 
gekrümmt.  Die  Palmae  plicatae,  zwei  mittlere  Längs-  und 
zahlreiche  Querfalten  sind  deutlich  entwickelt. 

Die  Länge  der  Vaginalportion  beträgt  4'".  Der  Mutter- 
mund ist  in  jungfräulichem  Zustande.  Er  bildet  eine 
querovale  Spalte.  Die  Lippen  sind  wulstig,  frei  von  Einrissen 
und  Narben.  Von  der  Mutterscheide  ist  nur  ein  ganz  kleiner 
Rest  mit  Querrunzeln  auf  der  Schleimhaut  erhalten. 

Aus  der  convexen  Seite  des  linken  Uterus  entspringt 
—  mit  seinem  unteren  Rande  in  der  Höhe  des  Orificium 
uteri  intern  um,  mit  seinem  oberen  Rande  ungefähr  in  gleicher 
Ebene  mit  der  Einsenkungsstelle  des  linken  Eileiters,  —  ein 
plattes,  2 — 3"'  dickes  und  l3/4"  breites,  muskulöses  Band, 
von  8'"  Länge,  das  den  linken  Uterus  mit  seinem  Neben- 
hörne  verbindet.  Dieses  rudimentäre  Hörn  ist  zu  einem 
kugelförmigen  Fruchtsacke  ausgedehnt,  von  der  Grösse  einer 
Kinderfaust.  An  der  grössten  Peripherie  misst  der  Frucht- 
sack 8y2".  Seine  Durchmesser  betragen  von  hinten  nach 
vorn  31'",  von   rechts   nach  links  35'"  und  von  oben  nach 


darunter  einer  mit  Schwangerschaft  etc.  191 

unten  32'".  Er  besteht  aus  seinem  peritonealen  Ueberzuge, 
einer. mit  sehr  erweiterten  Gelassen  durchzogenen  Muskellage 
und  dem  seine  Innenfläche  bekleidenden  Mutterkuchen  nebst 
seinen  Eihäuten.  Das  muskulöse  Verbindungsstück  zwischen 
den  beiden  Hörnern  ist  mehrfach  eingeschnitten,  ohne  dass 
ein  die  beiden  Hohlen  verbindender  Kanal  aufgefunden  wurde. 

Die  Muskelschichte  des  Fruchtsackes  ist  am  dicksten 
in  der  Nähe  des  Verbindungsstückes,  wo  sie  8'"  misst,  und 
verdünnt  sich  ziemlich  rasch  nach  rechts  gegen  die  Rissstelle 
hin  bis  auf  die  Dicke  von  nur  l/%"4. 

Am  unteren  Umfange  des  Fruchtsackes  entspringen 
nach  vorn  (8'"  vom  Verbindungsstücke  entfernt)  das  runde 
Mutterband,  und  mehr  nach  aussen  das  Lig.  ovarü  mit  seinem 
Eierstocke.  Der  rechte  Eileiter  entspringt  5'"  unterhalb  der 
Rissstelle.  Sein  Ostium  uterinum  mündet  auf  einer  papillen- 
formigen  Erhabenheit  4'"  vom  vorderen  Rande  der  Rissstelle. 
Es  ist  dieser  Eileiter,  wie  auch  der  linke,  für  eine  Borste 
nur  theilweise  durchgängig.  Die  Länge  der  beiden  Mutler- 
trompeten ist  ungeßhr  dieselbe,  sie  beträgt  bei  beiden 
etwa  40"'. 

Betreffs  der  Gestalt  und  Grössenverhältnisse  zeigen  die 
beiden  Eierstöcke  ein  verschiedenes  Verhalten.  Der  linke 
Eierstock  ist  von  platter,,  länglich- ovaler  Gestalt  und  hat 
mehrfache  Narben  geborstener  Graafscher  Follikel.  Seine 
Länge  beträgt  15'",  seine  Dicke  4'",  bei  einer  Breite 
von  12"'.  Das  rechte  Ovarium  ist  fast  dreieckig  mit  ab* 
gerundeten  Ecken,  länger  (17'")  und  breiter  (14"')  als  das 
linke,  und  von  beträchtlicher,  nach  aussen  zunehmender 
Dicke  (7'");  was  von  einem  kirschgrossen  Corpus  luteum 
herrührt 

Ungeßhr  V*"  nach  Innen  von  der  Rissöilhung  des 
Fruchtsackes,  und  zwar  an  dessen  hinterer  oberen  Wand 
inserirt  sich  die  magere,  sulzlose  Nabelschnur,  deren  Länge 
7YS"  beträgt.  An  ihr  hängt  eine  gutgebildete  männliche 
Frucht  in  einem  Alter  von  fünf  Monaten.  Ihr  Kopf  ist  etwas 
behaart,  die  Augenlider  sind  nicht  mehr  verwachsen,  die 
Nägel  gebildet,  der  Penis  durchbohrt,  aber  das  Scrotum  ist 
leer.  Vom  Scheitel  bis  zum  Steisse  beträgt  die  Länge  der 
Frucht  77a". 


192     VII.    Rotenburgs,  Sechs  FKUe  von  Uterus  unicornis, 

IL     Uterus  unicornis   sinister. 

Margarethe  Müller,  von  welcher  dieses  Präparat  her- 
rührt, starb  40  Jahre  alt  am  6.  October  1860.  Dieselbe 
war  in  psychischer,  wie  in  sexueller  Entwicklung  zurück- 
geblieben, von  Jugend  auf  schwächlich,  kränklich,  albern, 
eigensinnig  und  unverträglich.  Die  Person  hatte  nur'  einige 
Male  in  ihrem  Leben  spärliche  Blutungen  aus  den  Genitalien 
gehabt,  die  man  als  menstruale  betrachtete,  das  erste  Mal 
angeblich  in  ihrem  16.  Jahre.  Sie  war  lange  Jahre  Belegerin 
und  Packerin  in  der  hiesigen  grossen  Spiegelfabrik,  litt  viel 
an  Mercurialismus,  verlor  alle  Zähne,  sah  mit  40  Jahren  aus 
wie  eine  70jährige,  und  starb  furchtbar  abgemagert  an 
Tuberculosis  pulmonum!  (Vgl.  Näheres:  Kussmaul,  Unter- 
suchungen über  den  constituL  Mercurialismus,  Würzburg  1861, 
S.  187.)  Der  Körperbau  war  weiblich,  ebenso  das  Becken, 
welches  keine  gröbere  Anomalie  darbot;  Brüste  klein,  die 
Pubes  vorhanden,  die  äussere  Scham  bot  nichts  Auffallendes. 

Aufbewahrt  ist  der  Uterus  (No.  865  der  Sammlung)  mit 
seinen  Adnexis  und  der  Scheide,  mit  der  Harnblase  nebst 
den  Ureteren  und  den  dazu  gehörigen  Nieren,  ferner  der 
untere  Theil  des  Rectum. 

Beide  Nieren  sind  atrophisch  und  zeigen  einen  grob* 
porösen  Bau  durch  eine  sehr  grosse  Zahl  von  Kysten,  deren 
Grösse  von  gerade  noch  mit  blossem  Auge  sichtbarem  Um- 
fange bis  zu  dem  einer  Erbse  und  Bohne  wechselt  Die 
linke  Niere  ist  namentlich  reich  an  grösseren  Kysten.  Die 
Rindensubstanz  sehr  schmal.  Die  normalen  Harnleiter  führen 
in  die  kleine  zusammengezogene  Blase,  deren  Wand  2'"  dick 
ist     Die  Harnröhre  ist  eng  und  etwas  mehr  als  1"  lang. 

Die  Scheide  ist  sehr  dürftig  ausgebildet  und  hat  nur 
eine  Länge  von  17"'.  Man  kann  kaum  mit  dem  kleinen 
Finger  in  dieselbe  eindringen.  An  ihrem  Eingange  befindet 
sich  auf  der  hinteren  Wand  eine  häutige  halbringiörmige 
dünne  Leiste  von  1  bis  2'",  die  nach  vorn  immer  schmäler 
werdend  allmälig  sich  verliert.  Die  innere  Oberfläche  -der 
Scheide  zeigt  in  ihrem  unteren  Theile  eine  vordere  und  eine 
hintere  schwache  Längsfalte  mit  mehr  weniger  deutlichen 
Querfallen  dazwischen;  im  oberen  Theile  ist  sie  glatt  und  in 


darunter  einer  mit  Schwangerschaft  etc.  I93 

der  Gegend  des  Scheidengrundes  mit  einigen  flachen,    weiss- 
lichen  Narben  gezeichnet. 

Vom  Uterus  ist  das  linke  Hörn  ausgebildet.  Es  hat 
dasselbe  eine  kegelförmige  Gestalt,  krümmt  sich  stark  nach 
links,  aus  seiner  Spitze  entspringen  die  linke  Tuba,  das 
Lig.  ovarii  mit  seinem  Eierstocke  und  Lig.  rotundum  sinistrutn. 
Die  hintere  wie  die  vordere  Flache  dieses  Hornes  sind  convex. 
Das  Fleisch  ist  in  der  Gegend,  wo  der  Körper  aus  dem 
Halstheil  entspringt,  am  stärksten  entwickelt  und  somit  liier 
die  Wand  am  dicksten. 

Ein  eigentlicher  Scheideritheil  der  Gebärmutter  ist  nicht 
vorhanden,  die  Muttermundslippen  sind  kaum  angedeutet. 
Der  Scheidengrund  geht  trichterförmig  sich  verjungend  fast 
unmittelbar  in  den  Kanal  des  Mutterhalses  über.  Der  Hals- 
kanal ist  weiter,  als  der  Kanal  des  Körpers.  Die  Plicae 
palmatae  bilden  unregelmässige  in  der  Längs-,  wie  in  der 
Querrichtung  verlaufende  Erhabenheiten,  welche  mit  einer 
Anzahl  von  hir$e  korogrossen  mit  hellem  Inhalte  gefällten 
Bläschen  besetzt  sind. 

Der  Halstheil  des  Uterus  weicht  nur  in  seinem  oberen 
Theile  und  wenig  nach  links  ab,  während  der  Körper  in 
einem  stumpfen  Winkel  von  demselben  abgeht.  Die  Länge 
des  Mutterhalses  beträgt  IG'",  die  des  Uteruskörpers  18"'. 
Die  Dicke  der  Wandungen  des  Mutterhalses  beträgt  in  der 
unteren  Hälfte  3'"  beiderseits,  sie  nimmt  aber  bis  auf  4"' 
gegen  die  Abgangsstelle  des  verkümmerten  Nebenhornes  zu. 
Die  Wände  des  linken  Uteruskörpers  sind  beiderseits 
ziemlich  gleich  dick  (3'")  und  verdünnen  sich  erst  gegen 
die  Spitze  bin,  wo  sie  beim  Uebergange  in  den  Eileiter  nur 
mehr  1V2'"  betragen. 

Die  Höhle  des  Körpers  ist  am  engsten  gegen  die  In- 
sertion des  Eileiters  zu,  erweitert  sich  dann  gegen  die  Mitte, 
um  wieder  gegen  den  inneren  Muttermund  hin  sich  zu  ver- 
engern. Die  weiteste  Stelle  hat  eine  Breite  von  3'"  und  die 
engste  von  2"'.  Der  innere  Muttermund  misst  2"',  der 
äussere  2V2'"  und  der  Cervicalkanal  in  der  Mitte  4'". 

In  die  Spitze  des  linken  Hornes  inserirt  sich  die  linke 
Tuba  (55"'  lang),  an  deren  Fimbrien  eine  fast  haselnüss- 
grosse  Hydatide  sich  befindet. 

Monatsschr.  f.  Gebortsk.  1862.  Bd.  XIX.,  Hft.  3.  13 


194     VII.    Roienburger,  Sech«  Falle  von  Ute  ms  unicornis, 

Von  der  nach  rechts  gerichteten  Convexität  des  ent- 
wickelten Hornes  geht  in  der  Höhe  des  inneren  Muttermundes 
das  rechte  verkümmerte  Nebenhorn  ab,  in  Form  eines 
langen,  schmalen,  sich  im  weiteren  Verlaufe  allmälig  ver- 
breiternden muskulösen  Bandes.  Die  Länge  dieses  soliden 
Stranges  beträgt  5",  die  Dicke  1V2'".  Bei»  seinem  Abgange 
hat  er  eine  Höhe  von  3'",  am  Ende  von  6'".  Dieses  bohnen- 
förmig  angeschwollene  Ende  zeigt  eine  kleine  etwa  ein  Hirse- 
korn fassende  mit  dem  rechten  Eileiter  communicirende  Höhle. 
Von  dieser  Anschwellung  entspringen  das  dicke  Lig.  teres, 
die  Tuba  und  das  Lig.  ovarii  mit  seinem  Eierstocke.  Der 
Eileiter  (40"'  lang)  ist  aufgeschnitten  und  zeigt  durchwegs 
einen  Kanal. 

Der  linke  Eierstock  ist  sehr  lang  (21/»")  und  schmal 
(6'")»  3'"  dick,  von  glatter  Oberfläche.  Auf  dem  Durch- 
schnitte entdeckt  man  einige  wenige  Graafsche  Follikel 
innerhalb  eines  derbfaserigen  homogenen  Stroma.  Das  rechte 
Ovarium  ist  bedeutend  kurzer,  nur  22'"  lang,  aber  dabei 
breiter  (7V2'")  und  etwas  dicker.  Beim  Durclitchnitte  zeigen 
sich  keine  Graafschen  Bläschen.  Auf  der  Oberfläche  gleich- 
falls keine  Narben. 

Die  Serosa  bildet,  indem  sie  von  den  beiden  Uterus- 
hornern  zum  Mastdarme  übergeht,  eine  Excavatio  recto- 
uterina  ohne  eine  Andeutung  einer  Falte,  welche  von  der 
hinteren  Wand  der  Harnblase  zur  vorderen  Wand  des  Mast- 
darms striche. 

Dieser  Uterus  gehört  somit  in  die  dritte  Reihe  der  in 
Cap.  7  des  oben  genannten  Werkes  (S.  117)  beschriebenen 
Formen  von  Uterus  unicornis: 

HI.     Uterus   unicornis   dexter. 

Die  inneren  Genitalien  von  einer  an  Pneumonie  49  Jahre 
alten  im  Juli  1851  verstorbenen  ledigen  Handschuhnäheriu 
aus  der  medicinischen  Poliklinik.  Sie  hatte  wenig  Kinder- 
krankheiten zu  bestehen.  Die  Menstruation  trat  ein*  im 
16.  Jahre,  seitdem  regelmässig  vierwöchentlich.  Nie  chlorotisch. 
Cessatio  mensium  zwei  Jahre  vor  dem  Tode  und  sechs  bis 
acht  Jahre  vorher  Variola. 


darunter  einer  mit  Schwangerschaft  etc.  195 

An  diesem  Präparate  (No.  439)  fehlen  die  äusseren 
Genitalien.  Von  der  Harnblase  ist  noch  ein  kleiner  Theil 
mit  der  Einmündung  des  rechten  Harnleiters,  nebst  der  be- 
treffenden Niere  erhalten.  Im  Sectionsprotocoll  ist  aus- 
drücklich bemerkt,  dass  die  Einmündungssteile  des 
linken  Ureters,  sowie  dieser  und  die  linke  Niere 
fehlten.  Die  Scheide  mit  dem  entwickelten  rechten  Hörne 
und  das  zu  einem  langen  soliden  Strange  ausgezogene  linke 
verkümmerte  Hörn,  nebst  ihren  Eileitern,  Eierstöcken  und 
runden  Mutterbändern  sind  vorhanden. 

Das  rechte  entwickelte  Hörn  biegt  in  einer  fast  hori- 
zontalen Richtung  vom  obersten  Theile  des  Halses  nach  rechts 
ab.  Die  Gestalt  des  Uterus  ist  im  Ganzen  walzenförmig  mit 
einer  leichten  Compression  zwischen  Hals-  und  Körpertheil, 
welch*  letzterer  gegen  aussen  hin  etwas  länglich  eiförmig 
anschwillt.  Der  ovale  wulstige  Muttermund  führt  in  den  mit 
ausgebildeten  Plicis  palmatis  versehenen  2'"  wehen  Mutterhals. 
Die  Höhle  des  Körpers  ist  im  Ganzen  enger  als  der  Hals- 
kanal, am  weitesten  (1%'")  in  seiner  Mitte  und  verengert 
sich  gegen  den  inneren  Muttermund  und  die  Insertion  der 
Tuba  hin.  Die  Länge  des  Halstheiles  der  Gebärmutter  be- 
tragt 10'",  die  des  Körpers  21'".  Von  der  Spitze  des 
rechten  Hornes  geht  das  Lig.  teres,  die  Tuba  (circa  44'" 
lang)  und  das  Lig.  ovarii  mit  seinem  Eierstocke  ab. 

Das  rechte  Ovarium  ist  von  normaler  Grösse  nnd  Gestalt, 
17"'  lang,  9"'  breit,  4'"  dick,  und  an  der  Oberfläche  finden 
sich  mehrere  grössere  und  zahlreiche  Narben,  wie  sie  nach 
dem  Beraten  Graafscher  Follikel  in  Folge  der  Reifung  der 
Eier  sich  bilden. 

Der  rechte  Eileiter  beschreibt  einen  Bogen  um  sein 
Ovarium  und  die  Fimbrien  sind  an  ihrer  inneren  Seite  mit 
dem  äusseren  Rande  desselben  verwachsen,  während  die  nach 
aussen  liegenden  Fimbrien  frei  und  7'"  lang  sind.  Das 
Ostium  fimbriatum  offen. 

Von  der  convexen  Seite  des  rechten  Hornes  geht  an  der 
Uebergangsstelle  vom  Halse  in  den  Körper  das  linke  ver- 
kümmerte Hörn  ab  in  Form  eines  schmalen,  soliden, 
gelblichen,  muskulösen  Stranges  von  der  enormen  Länge  von 
6"  10"'t  der  bis  in  die  Mitte  seines  Verlaufes  2'"  hoch  und 

13*  v 


196     VII.   Rotenburger ,  Sechs  Falle  von  Uterus  unicornis, 

1"'  dick  ist,  bis  zum  Abgange  des  Lig.  teres  auf  das  Doppelte 
seines  Umfanges  sich  vergrössert  und '  schliesslich  zu  einem 
soliden  länglich  rundlichen,  10'"  langen,  7'"  breiten  und  3'" 
dicken  Körper  anschwillt.  Das  Lig.  teres  ist  4'"  breit  und 
11/*'"  dick. 

Wie  das  verkümmerte  Hörn  unmittelbar  in  das  Lig.  teres 
übergeht,  so  hängt  auch  Jn  unmittelbarem  Zusammenhange 
damit  ein  platter,  6"'  breiter,  42'"  langer,  sehr  derber 
Körper  von  weissgelblicher  Farbe,  der  an  seinem  oberen, 
dickeren,  der  Länge  nach  halbirten  Ende  sich  als  ein  Ovarium, 
jedoch  ohne  Narben  an  der  Oberfläche  und  ohne  deutliche 
Graa/'sche  Follikel  in  seinem  Inneren,  präsentirt.  An  sein 
Ende  und  zwar  an  die  obere  Fläche  ist  durch  ein  binde- 
gewebiges 7 '"  breites  Zwischenstuck  ein  durch  seine  Fimbrien 
als  Infundibulum  eines  rudimentären  Eileiters  kenntlicher  9"' 
langer  Schlauch  befestigt. 

Die  wenig  entwickelte  Scheide  hat  an  ihrem  unteren 
Theile  zahlreiche  Querrunzeln,  sie  lässt  den  kleinen  Finger 
eindringen.     Ihre  Länge  beträgt  2V2". 

Die  erhaltene  rechte  Niere  hat  eine  Länge  von  4"  bei 
22'"  Dicke  und  zeigt  auf  dem  Durchschnitte  normale  Structur. 

IV.     Uterus  unicornis   sinister. 

Das  Becken  eines  neugeborenen  Mädchens,  mit  seinen 
Eingeweiden  und  den  äusseren  Genitalien,  sowie  auch  beiden 
Nieren  und  Nebennieren  mit  ihren  Gelassen,  in  natürlicher 
Lage  erhalten.     (No.  417.) 

Das  Becken  ist  von  guter  (Konfiguration.  Der  quere 
Durchmesser  des  grossen  Beckens  (von  der  Spina  oss.  ilei 
ant  sup.  einerseits  zu  der  entsprechenden  der  anderen  Seite) 
misst  2  Vi",  und  die  äussere  Conjugata  19  V,  wobei  zu 
bemerken  ist,  dass  sowohl  über  dem  Kreuzbeine,  als  über 
der  Symphysis  oss.  pubis  die  Weichtheile  bis  auf  geringe  ' 
Reste  entfernt  sind. 

Die  äusseren  Genitalien  sind  normal  gebildet.  Der  Mons 
veneris  und  die  grossen  Schamlippen  sind  fettreich.  Letztere 
bedecken  die  Nymphen  und  die  hinter  ihrem  Präputium  ver- 
borgene Clitoris.  Das  Vestibulum  ist  eng.  Das  Hymen  ist 
in  Form  einer  balbmqnd förmigen  Klappe  vorhanden. 


4»ranter  einer  mit  Schwangerschaft  etc.  197 

Durch  die  circa  1'"  weile  Harnröhrenmündung  gelangt 
man  in  die  langgezogene  Blase,  zu  deren  Seite  die  Arteriae 
umbilicales  verlaufen.  Es  münden  zwei  Uretern)  in  die  Blase, 
und  es  kommen  dieselben  von  den  gelappten  Nieren,  die  in 
Grösse  und  Lage  nichts  Abnormes  bieten. 

Der  sehr  wohl  ausgebildete  Uterus  stellt  einen  walzen- 
förmigen, in  seinem  oberen  Theile  länglich  eiförmigen  nach 
links  und  etwas  nach  vorwärts  gebogenen  Körper  dar,  der 
sich  gegen  die  Insertion  des  Eileiters  hin  etwas  zuspitzt 

Das  Bauchfell  senkt  sich  zwischen  Uterus  und  Mast- 
darm hinab  und  bildet  eine-  tiefe  Grube  zwischen  beiden, 
ohne  dass  ein  Lig.  recto-vesicale  bemerklich  ist. 

Aus  der  Spitze  des  linken  Hornes  entspringt  das  Lig.  teres, 
die  Tuba  Fallopii  (1"  lang)  und  das  Jjg.  ovarii  mit  dem 
Eierstocke  nebst  dem  acht  geschlängelte  Gänge  bildenden 
Nebeneierstocke. 

Das  linke  Ovarium  ist  lang  (7'")  und  schmal  (2"'). 
Seine  Oberfläche  ist  glatt,  aber  an  seinem  vorderen  Rande 
ist  es  mit  mehreren  in  ziemlich  regelmässigen  Abständen  auf- 
einanderfolgenden Einkerbungen  versehen. 

Ungefähr  7'"  unterhalb  der  Spitze  des  linken  Hornes 
geht  das  rechte  verkümmerte  Nebenhorn  ab  in  Form 
eines  sehr  schmächtigen,  anfangs  platten,  gegen  sein  Ende 
hin  mehr  rundlichen  soliden  Bandes,  welches  ein  wenig 
kürzer  ist,  als  das  linke  Hörn.  Nach  einem  Verlaufe  von 
circa  7'"  geht  ein  Lig.  teres,  ein  Eileiter  und  ein  Lig.  ovarii 
mit  seinem  Ovarium  von  ihm  ab. 

Die  Tuba  hat  eine  Länge  von  ll4".  Das  rechte  Ovarium 
ist  lang  (11 '")  und  schmal  (2"'),  mit  wenigeren  und  un- 
regelniässigeren  Einkerbungen  versehen,  als  das  linke. 

V.     Uterus   unicornis   sinister. 

Dieses  Präparat  wurde  von  der  chirurgischen  Klinik  der 
pathologisch -anatomischen  Sammlung  überlassen. 

Es  stammt  von  einem  acht  Jahre  alten  Mädchen,  das 
wegen  einer  im  dritten  Lebensjahre  nach  Geschwüren  im 
Munde  und  am  Zahnfleische  zu  Stande  gekommenen  Ver- 
wachsung   des    mittleren    Theües    der   Unterlippe    mit    dem 


198     VII*   Bo04tiburgertSech§  Falle  von  Uteras  omcoraii, 

Unterkiefer  in  die  chirurgische  Klinik  gebracht  und  daselbst 
am  10.  April  1860  operirt  wurde. 

Nachdem  -die  Wunde  am  22.  schon  vollkommen  ver- 
einiget war,  entwickelte  sich  am  27.  ein  Erysipel,  in  Folge 
dessen  das  Kind  am  7.  Mai  starb. 

Die  am  8.  Mai  vorgenommene  Section  ergab:  Erysipelas 
capitis,  faciei  und  thoracis;  Oedema  pulmon.  acut.;  ferner 
parenchymatöse  Entzündung  der  linken  hypertrophischen  Niere; 
Mangel  der  rechten  Niere;  Uterus  unicornis  sinister. 

Das  Becken  mit  seinen  Weichtheilen  und  Eingeweiden, 
wie  auch  die  linke  Niere  und  beide  Nebennieren,  sind  in  ihrer 
natürlichen  Lage  erhalten. 

Im  Verhältnisse  zum  Alter  ist  das  Becken  geräumig. 
Der  Abstand  der  beiden  oberen  Darmbeinstachel  beträgt  6". 
Der  gerade  Durchmesser  des  Beckeneinganges  misst  2"  7'". 

Die  äusseren  Genitalien  sind  normal  gebildet  Der 
Schamberg  ist  fettreich,  ebenso  die  haarlosen  grossen  Scham- 
lippen, zwischen  denen  die  Nymphen  vorn  etwas  hervorragen. 
Das  Vestibulum  vaginae  ist  eng.  Die  Harnröhrenmündung 
für  eine  %'"  dicke  Sonde  durchgängig.  In  die  Scheide  kann 
man  mit  einer  Sonde  durch  die  halbmondförmige,  wohl  aus- 
gebildete Scheidenklappe  eindringen. 

Die  Beckenhöhle  enthält  ihre  Eingeweide  in  folgender 
Lagerung:  hinter  der  Schamfuge  liegt,  dieselbe  etwa  V 
überragend,  die  contrahirte  mehr  als  wallnussgrosse  dick- 
wandige Harnblase.  Sie  ist  vorn  aufgeschnitten,  man  erblickt 
die  stark  gefaltete  Schleimhaut  und  erkennt  nur  ein  link- 
seitiges  Ostium  uretericum. 

Der  Mastdarm  tritt. links  von  der  Mittellinie  des  Kreuz- 
beins herab.  Nach  aussen  von  ihm  liegt  der  linke  Ureter, 
welcher  mit  einer  grossen  (4"  langen  und  2"  dicken)  Niere 
zusammenhängt.  Diese  Niere  liegt  links  von  der  Wirbelsäule 
hinter  dem  Bauchfelle  an  normaler  Stelle  und  ist  enorm  an- 
geschwollen. Bei  der  Section  bot  sie  alle  Erscheinungen 
einer  frischen  parenchymatösen  Nierenentzündung. 

Rechts  vom  Mastdarme,  ungefähr  an  der  Vereinigungs- 
stelle des  Kreuzbeins  mit  dem  Darmbeine,   liegt  ein  mehr  als 


darunter  einer  mit  Schwangerschaft  etc.  199 

2"  langer,  nur  3'"  breiter  und  etwa  1VV"  dicker,  derber, 
solider  Körper,  der  nach  unten  mit  der  inneren  Hälfte  des 
das  rechte  Uterushorn  repräsentirenden  muskulösen  Bandes 
innig  verwachsen  ist. 

Bei  näherer  Untersuchung  zeigt  dieser  Körper  eine  deut- 
liche Scheidung  in  Mark-  und  Rindensubstanz.  Die  Gefasse 
treten  durch  einen  Hilus  mit  lockerem  Bindegewebe  in  denselben. 

Die  erhärtete  und  mit  Carminlösung  imbibirte  Rinden- 
substanz besteht,  nach  Herrn  Prof.  Thiersch,  der  einige 
Präparate  anfertigte,  unter  dem  Mikroskop  aus  narbigem 
Bindegewebe  mit  Gefassen  und  kleinen  gewundenen  Kanälen 
mit  Zellenbeleg.  Dazwischen  Onden  sich  Zellengruppen  v  mit 
platten,  kantigen,  stark  imbibirten  Kernen.  Diese  Zellen 
sind  durchscheinend  und  von  polyedrischer  Gestalt  (Fett- 
zellen?) Die  Rinde  enthält  ferner  noch  kugelige  Hohlräume 
von  der  Grösse  eines  Glomerulus  an  abwärts,  welche  theils 
leer,  theils  mit  einem  körnigen,  vielleicht  geronnenen,  theils  , 
mit  einem  zelligen  (?)  Inhalte  erfüllt  sind. 

Es  ist  vsomit  kein  Zweifel, »dass  man  es  mit 
einem  degenerirten  drüsigen  Organe,  wahrschein- 
lich einer  Niere,   zu  thun   hat. 

Hinter  der  Blase  gehen  die  Hörner  des  Uterus,  das 
wohlgebildete  linke  und  das  zu  einem  muskulösen  Faser- 
strange umgewandelte  rechte  nach  beiden  Seiten  ab. 

Das  linke  Hörn  geht  gegen  das  Tuberculum  ileo- 
pectineum  sin.,  ohne  dasselbe  zu  erreichen.  Es  stellt  einen 
länglicheiförmigen  Körper  von  15'"  Länge  dar,  welcher  an 
seiner  Ursprungsstelle  in  der  Nähe  des  Orificium  internum 
2'"  dick  ist  und  gegen  sein  Ende  hin  bis  zu  4"'  anschwillt. 
Von  der  Spitze  dieser  Anschwellung  gehen  das  linke  Lig.  teres, 
der  Eileiter  und  das  Lig.  ovarii  mit  dem  betreffenden  Eier- 
stocke ab. 

Der  Eileiter  ist  schmal,  20'"  lang  und  hat  einen 
geschlängelten  Verlauf.  In  die  Bauchöffnung  desselben  kann 
eine  Sonde  bequem  einige  Linien  weit  eingeführt  werden, 
bis   sie  durch   die  Krümmung  des  Eileiters  aufgehalten  wird. 

Die  Oberfläche  des  linken  Eierstocks  ist  ganz  glatt  und 
bohnenförmig.  Seine  Länge  beträgt  9'",  bei  einer  Breite 
von  5'"  und  einer  Dicke  von  3"'. 


200     VII.   Bonnburgtr,  Sechs  Fälle  von  Uterus  unicornis, 

Der  Halstheil  des  Uterus  liegt  in  der  Tiefe  des  Beckens 
hinter  dem  Blasenhalse  unzugänglich  verborgen. 

Der  derbe,  rundliche  Muskelfaserstrang,  welcher  das 
rechte  Hörn  darstellt,  tritt  gleichfalls  unter  einem  spitzen 
Winkel  von  dem  Halstheile  des  Uterus  und  der  Mittellinie 
des  Beckens  seitlich  ab,  wie  das  linke  Hörn.  Seine  untere 
Hälfte  ist,  wie  schon  bemerkt,  mit  dem  oben  beschriebenen 
drüsigen  Organe  in  der  hinteren  rechten  Beckenpartie  ver- 
wachsen, und  dadurch  etwas  nach  hinten  gezogen.  Die 
obere  Hälfte  wendet  sich  mehr  nach  vorn,  schwillt  an  ihrem 
Ende  etwas  an,  so  dass  sie  hier  2"'  dick  wird.  Die  ganze 
Länge  beträgt  bis  zum  Abgange  des  Lig.  teres  1Y2". 

Der  Eileiter  ist  ll/a"  lang,  verläuft  etwas  weniger  ge- 
schlängelt als  der  linke.  In  sein  Osüum  abdominale  kann 
man  mit  einer  Sonde  fast  4"'  weil  eingehen. 

Der  glatte  Eierstock  hat  eine  Länge  von  9'",  eine  Breite 
von  4'"  und  eine  Dicke  von  2V2'". 

Das  Parovarium  ist  rechts  sehr  schön  zu  sehen,  während 
es  auf  der  linken  Seite  nicht  so  deutlich  hervortritt. 

VI.     Uterus  unicornis  sinister  cum   rudimento   colli 

dextri  accreto,  rudjmeiUo  ligamentoso  cornu  dextri, 

et   dissepimento  transversali   in   fundo 

vaginae  dextro. 

Dieses  Präparat  ist  unter  No.  300  eingetragen  und 
rührt  angeblich  von  einem  10  Jahre  alten  Mädchen  her. 

Es  ist  der  ganze  Urogenitalapparat  mit  der  Aorta  ab- 
dominalis, Vena  cava  ascendens  und  dem  Endstucke  des 
Rectums  erhalten. 

Die  äusseren  Genitalien  sind  von  normaler  Grösse.  Die 
grossen  Schamlippen  unbehaart;  Glitoris  und  die  kleinen 
Schamlippen  gut  gebildet  und  von  den  grossen  bedeckt. 

Die  Harnblase  hat  die  Gestalt  einer  Birne  und  ist  28'" 
lang,  rechte  und  linke  Hälfte  sind  gleich  gut  entwickelt.  Sie 
mündet  in  die  11'"  lange  und  ziemlich  weite  Harnröhre. 
Es  ist  nur  eine  Niere  und  zwar  die  linke  mit  ihrem 
Ureter  (ö1/*"  lang)  vorhanden.  Sie  ist  von  einer  dem 
Alter  entsprechenden  Grösse  (3"  lang)  und  zeigt  dem 
äusseren  Ansehen  nach   keine    Abnormitäten   in   ihrem   Baue. 


darunter  einer  mit  Schwangerschaft  etc.  201 

In  der  Harnröhre  ist  nur  die  Einmündungsstelle  des  linkeu 
Harnleiters  zu  bemerken. 

Die  Scheide  ist  im  unteren  Theile  enger  (circa  4'"  weit) 
als  im  oberen,  wo  sie  ungefähr  6"'  weit  ist.  An  ihrem 
Eingange  besitzt  sie  eine  Scheidenklappe  in  Gestalt  einer 
häutigen  ringförmigen  schmalen  Leiste.  Der  untere  Theil 
ihrer  Wand  hat  Längsfalten,  während  sie  im  oberen  Ab- 
schnitte nahezu  glatt  ist.  Der  Scheidenkanal  erstreckt  sich 
nach  links  um  4'"  höher  hinauf,  als  nach  rechts,  wo  der- 
selbe durch  eine  zarte  mit  einer  feinen  Oeffnung  versehene 
Membran  verschlossen  ist,  nach  deren  Eröffnung  man  in 
einen,  eine  kleine  Bohne  fassenden  Hohlraum  und  in  diesem 
erst  zu  einem  Muttermunde  gelangt.  Dieser  kleine  durch 
die  Membran  von  der  übrigen  Scheide  getrennte 
Raum  muss  als  die  oberste,  durch  ein  Septum 
getrennte  rechte  Hälfte  des  Scheidengrundes  an- 
gesehen werden,  da  ers  in  ein  Orificium  uteri 
dextrum   führt. 

Aus  dem  linken  Abschnitte  der  Scheide  gelangt  man 
durch  ein  feines  Orificium  uteri  sinistrum  in  einen  nach 
oben  sich  erweiternden  Va'"  langen  Halskanal  mit  Längs-  und 
Querfalten,  der  linkshin  sich  krümmend  in  den  Kanal  des 
Körpers  eines  linken  Uterushornes  von  fötaler  Grösse  (7 "'Länge) 
übergeht  Das  rechte  Orificium  uteri  ext.  führt  in  einen 
nur  3"'  langen  schmalen  Halskanal,  der  durch  eine  feine 
Oeffnung  mit  dem  unteren  Theile  des  linken  Halskanals 
zusammen  mündet.  So  ist  nur  ein  Rudiment  vom 
untersten  Theile  des  Collum  uteri  dextri  vorhanden 
und  mit  dem  Collum  uteri  sinistri  zu  einer  Masse 
verwachsen,  wodurch  dann  der  vorhandene  Uterus  unten 
am  dicksten  erscheint  und  nach  aufwärts  schon  im  Halstheile 
sich  bedeutend  verschmälert.  Sein  Durchmesser  an  der  Basis 
beträgt  4 Vs'",  da  wo  das  linke  Hörn  vom  Halse  abbiegt,  3'". 

Statt  des  rechten  Uterushornes  findet  sich  ein 
13'"  langes,  schmächtiges  Muskelband,  welches  von 
dem  unteren  Dritttheile  des  linken  Hornes  oberhalb  des 
Orificium  internum  abgeht.  Dieser  Strang  ist  2'"  breit  und 
V2'"  dick,  verdickt  sich  wenig  an  seinem  Ende,  von  dem 
das    Lig.    teres    und    das    Lig.    ovarii    dextr.    abgehen.     Die 


2Q2      VIII.    Grenter,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignisse 

rechte  Toha  mangelt  Dagegen  finden  sieb  am  äussersten 
Ende  des  rechten  Eierstockes  fransenartige  Bildungen,  das 
Rudiment  des  Infundibulum  tubae. 

Vom  linken  Home  geht  eine  2"  lauge  dünne  Tuba 
Fallopii  ab.  Neben  ihr  befindet  sich  das  Lig.  ovarii  mit  dem 
9'"  langen  und  4'"  breiten  Eierstocke.  Das  rechte  Ovarium 
ist  doppelt  so  lang  als  das  linke,  3'"  breit  und  circa  1'" 
dick,  das  linke  ist  2"'  dick.  Die  beiden  Eierstöcke  haben 
eine  durchweg  glatte  Oberfläche. 

Der  Mastdarm  ist  von  der  Dicke  eines  Fingers.  Zwischen 
Uterus  und  Mastdarm  findet  sich  eine  tiefe  Excavatio  recto- 
uterina.    ' 

An  dem  Präparate  sind  beide  Nebennieren  erhalten. 


VIII. 


Sechsundvierzigster  Jahresbericht  über  die  Er- 
eignisse  in   dem   Entbindungsinstitute    bei   der 
königl.  sächs.  chirurgisch-medicinischen  Akademie 
zu  Dresden  im  Jahre  1860. 

Von 

Professor  Dr.  Grenser, 

königl.  sächs.  Hofrath  etc. 

Im  Verlaufe  des  Jahres  1860  wurden  610  Schwangere, 
Gebärende  und  Wöchnerinnen  in  der  Anstalt  verpflegt,  von 
denen  6  Schwangere  und  18  Wöchnerinnen  vom  vorigen  Jahre 
im  Bestand  verblieben  waren  und  586  neu  eintraten. 

Geboren  haben  574,  und  zwar  im  Januar  48,  im 
Februar  46,  im  Harz  64,  im  April  47,  im  Hai  58,  im 
Juni  41,  im  Juli  44,  im  August  47,  im  September  50,  im 
October  44,  im  November  44.  im  December  41.  Davon 
gebaren  zum  ersten  Haie  311,  zum  zweiten  Haie  178, 
zum  dritten  Haie  47,  zum  vierten  Haie  15,  zum  fünften 
Haie  13,   zum  sechsten  Haie  3,  zum  siebenten  Haie  3, 


ia  dem  Entbindniigsinstftiite  etc.  bu  Dresden  im  J.  1860.    203 

zum  achtel)  Male  2  and  zum  neunten  Male  ebenfalls  2. 
Von  den  Gebärenden  waren  43  verbeiratbet,  12  verwittwet 
oder  geschieden  und  519  ledigen  Standes.  137  hatten  ihre 
Heimath  in  Dresden,  385  in  anderen  Orten  Sachsens,  52  im 
Auslande.  550  waren  evangelisch -lutherischer,  23  römisch- 
katholischer  und  1  deutsch -katholischer  Confession. 

Was  das  Alter  der  Gebärenden  anlangt,  so  waren  vier 
erst  16  Jahre,  die  älteste  44  Jahre;  die  meisten  standen  in 
dem  Alter  von  22  bis  26  Jahren. 

568  Geburten  waren  einfache,  6  Mal  wurden  Zwillinge 
geboren.  In  516  Fällen  reichten  die  Natur  kr  äfte  zur 
Vollendung  der  Geburt  hin,  in  58  waren  operative  Ein- 
griffe nötbig,  und  zwar  35  Mal  die- Zange,  6  Mal  die 
Wendung,  2  Mal  die  Extraction  an  den  Füssen,  1  Mal  die 
Perforation  und  Kephalothrypsie,  1  Mal  der  Kaiserschnitt  bei 
einer  an  Eclampsie  Verstorbenen,  1  Mal  die  künstliche  Er- 
regung der  Frühgeburt  und  12  Mal  tbeils  die  künstliche 
Wegnahme,  theils  Lösung  der  Nachgeburt  v 

Von  den  Früchten  stellten  sich  zur  Geburt: 
338  in  erster  Schädellage,    "  * 
200   „   zweiter        „         (14  Mal  ohne  Drehung), 
2   „  erster  Gesichtslage, 

1  „  zweiter        „ 

7   „   erster  Steisslage, 

4  „   zweiter       „ 

2  „   erster  Fusslage, 

5  „   zweiter       „ 

6  „   Querlage. 

In  15  Fällen  blieb  der  Geburtsmechanismus  unermittelt, 
und  zwar  4  Mal  wegen  Abortus,  2  Mal  bei  unzeitiger  Geburt 
und  9  Mal,  weil  die  Kinder  bereits  auf  dem  Wege  nach  der 
Anstalt  geboren  worden  waren. 

Die  Geburtsdauer  betrug  in  15  Fällen  nur  bis  zwei 
Stunden,  am  häufigsten  8 — 12  Stunden,  in  2  Fällen  über 
vier  Tage. 

Die  Zeit  der  Beendigung  der  Geburt  fiel  am  häufigsten 
in  die  Stunden  zwischen  10  und  11  Uhr  Abends  und 
6 — 7  Uhr  Morgens. 


204      Till.    Qren*er,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignin« 

Gesund  entlassen  wurden  572  Wöchnerinnen,  ab- 
gegeben an  das  Stadtkrankenhaus  2;  4  Wöchnerinnen  und 
eine  Schwangere  ver starben. 

Geboren   wurden  580  Kinder,   davon  276   männlichen 
und  300  weihlichen  Geschlechts,  während  bei  4  Abortus  das* 
Geschlecht  unbestimmt  blieb. 

Von  den  Rindern  waren  ausgetragen  547;  früh- 
zeitig 24  (13  Knaben  und  11  Mädchen i;  unzeitig  5 
(1  Knabe  und  4  Mädchen).  Scheintodt  kamen  zur  Welt  23 
(14  Knaben  und  9  Mädchen).  Todtgeboren  wurden  im 
Ganzen  30,  als  14  Knaben  und  16  Mädchen;  davon  5  un- 
zeitig, 8  frühzeitig  in  macerirtem  Zustande,  1  wegen  Syphilis 
der  Mutler,  2  wegen  Fracturen  der  Schädelknochen  und 
Blutextravasate  während  schwieriger  Zangenoperationeu .  7  wegen 
Druck  der  Nabelschnur,  6  wegen  fötaler  Krankheiten,  als 
Peritonitis,  Pericarditis,  Pleuritis  und  Hydrocephalus. 

Das  grössle  Gewicht  eines  ausgetragenen  Neugeborenen 
(Knaben)  betrug  ll1/«  Pfund,  die  grössle  Länge  22  Zoll. 
Der  kürzeste  Nabelstrang  maass  11.  Par.  Zoll,  der  längste 
37  Par.  Zoll.  Die  Insertion  des  Nabelstranges  war"  171  Mal 
central,  345  Mal  seitlich,  55  Mal  marginal  und  5  Mal 
velamental.  Der  grösste  Mutterkuchen  hatte  9  und  10  Zoll 
in  seinen  Durchmessern.  15  Mal  zeigte  die  Placenta  faser- 
stoffige Ablagerungen  in  ihrem  Gewehe,  2  Mal  kalkige. 

Bei  den  6  Zwillingsgeburten  wurden  3  Mal  2  Knaben 
und  3  Mal  je  1  Knabe  und  1  Mädchen  geboren.  Die  Zwillinge 
kamen  sämmtlich  lebend  zur  Welt,  zwei  starben  jedoch  schon 
in  den  ersten  Tagen  an  Lehensschwäche.  Sie  stellten  sich 
zur  Gehurt:  in  zwei  Fällen  der  ersle  in  erster  Schadellage, 
der  zweite  in  zweiter  Schädellage,  ein  Mal  der  erste  in  erster 
Fusslage,  der  zweite  in  zweiter  Schädellage  ohne  Drehung, 
ein  Mal  der  erste  in  erster  Steisslage,  der  zweite  iu  zweiter 
Schädellage,  ein  Mal  der  erste  in  erster  Schädellage,  der 
zweite  in  zweiter  unvollkommener  Fusslage  und  endlich  ein 
Mal  der  erste  in  zweiter  Schädellage  und  der  zweite  in  erster 
Steisslage.  Die  Placenta  war  in  fünf  Fällen  eine  gemein- 
schaftliche, fest  verwachsene,  jedoch  ohne  Communication  der 
Fötalgefässe,    während  jede  Frucht  ihr  Chorion  und  Amnion 


in  dem  Entbindiingfiiiistitute  etc.  zu  Dresden  im  J.  1860.     205 

hatte,  von  denen  das  eine  Chorion  mit  dem  anderen  in  der 
Rege]  verklebt  war.  Nur  in  einem  Falle  waren  die  beiden 
Eier  vollkommen  von  einander  getrennt 

Anomalien  der    Schwangerschaft. 

Abortus  im  engeren  Sinne  wurden  vier  beobachtet. 
Der  erste,  im  vierten  Monate  wurde  veranlasst,  wie  es  schien, 
durch  primäre  Erkrankung  und  Absterben  des  Eies.  Die 
kleine,  welke  Placenta  wurde  erst  26  Stunden  nach  dem 
Embryo  ausgestossen,  der  Blutabgang  blieb  massig.  —  Im 
zweiten  Falle,  der  eine  kräftige  29jährige  Bauernmagd  betraf, 
die  schon  zwei  Mal  geboren  hatte,  wurde  das  Tragen  schwerer 
Futterkörbe  als  Veranlassung  zu  einer  Metrorrhagie  im  vierten 
Schwangerschaftsmonate  angegeben.  Tags  darauf  traten  Wehen 
ein,  die  den  Embryo  bis  in  den  Muttermund  drängten,  von 
wo  aus  «ich  derselbe  leicht  entfernen  Hess.  Auch  hier  ging 
öie  Nachgeburt  erst  26  Stunden  später  ab.  —  Der  dritte 
Fall  betraf  eine  35jährige  Aufwärlerin,  die  im  dritten  Monate 
ihrer  zweiten  Schwangerschaft  plötzlich  Wehen  fühlte,  an- 
geblich, ohne  sich  irgend  einer  Schädlichkeit  ausgesetzt  zu 
haben.  Diese  förderten  unter  massigem  Blutabgange  den 
Embryo  und  23/4  Stunden  später  die  noch  in  der  Bildung 
begriffene  Placenta  heraus.  —  Im  vierten  Falle  wiederholte 
sich  der  Abortus  zum  zweiten  Male  bei  einer  35jährigen 
Köehin,  nachdem  diese  die  Nacht  zuvor  mit  ihrem  Liebhaber 
auf  dem  Tanzboden  zugebracht  hatte.  Die  Blutung  war 
reichlich.  Die  kleine  Nabelschnur  erschien  am  Bauche  des 
EiÄbryo  zu  einem  dünnen  Fädeben  zusammengedreht,  so  dass 
Torsion  der  Nabelschnur  als  Ursache  des  Absterbens  des 
Embryo  und  seeundär  des  Abortus  angenommen  werden  muss. 

Unzeitige  Geburten  fanden  fünf  statt,  in  zwei  Fällen 
hatte  ein  starker  Schüttelfrost  den  erfolgten  Tod  des  Fötus 
angezeigt  und  die  Fötus  kamen. in  macerirtem  Zustande  zur 
Welt  In  einem  Falle  war  die  Schwangere  eine  Treppe 
herabgestürzt  und  erlitt  darnach  Blutabgang.  Das  Wochenbett 
verlief  bei-  Alien  ohne  Störung. 

Frühgeburten  zählten  wir  im  Gauzen  22,  darunter 
zwei  Mal  Zwillinge.  Von  den  Früchten  wurden  10  todtgeboren, 
davon    8    in    macerirtem   Zustande;    drei    zeigten    sich    sehr 


jJOti      VIII.    Grauer,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignisse 

lebensschwach  und  starben  in  den  ersten  Tagen.    Bemerkens- 
wert!) sind  folgende  Fälle: 

1.  Ein  22 jähriges  Dienstmädchen,  Erstgebärende,  wurde 
am  13.  Mai  Nachmittags  krank  in  die  Anstalt  gebracht  Sie 
befand  sich  im  achten  Schwangerschaftsmonate.  Ihr  Gesicht 
erschien  gedunsen,  die  Respiration  sehr  beschleunigt,  Puls  124; 
die  Percussion  des  Thorax  ergab  linkerseits  bis  zur  fünften 
Rippe  leeren  Ton,  die  Auscultation  daselbst  bronchiales 
Athmeu.  Wehenthätigkeit  schwach  beginnend.  Sie  erhielt 
Cataplasmata  emollientia  in  die  linke  Seite  der  Brust  und  des 
Rückens  und  ein  schwaches  Infus,  rad.  ipecac.  Am  16.  Mai 
erfolgte  in  erster  Schädellage  die  Geburt  eines  5  Pfund  schweren, 
sehr  lebensscbwacben  Mädchens,  welches  sehr  bald  starb. 
Unmittelbar  nach  der  Geburt  trat  2war  Erleichterung  der 
Brustsyroptome  ein,  allein  schon  am  18.  Mai  vermehrte  sich 
wieder  die  Dyspnoe  bedeutend  und  gleichzeitig  klagte  die 
Kranke  aber  Schmerzen  im  Unterleibe,  dem  Fundus  uteri 
entsprechend.  Die  physikalische  Untersuchung  der  Brust  ergab 
auch  rechterseits  Dämpfung  bis  zur  dritten  Rippe  herauf  und 
bronchiales  Athmen,  weshalb  auch  auf  dieser  Seile  Cata- 
plasmen  applicirt  wurden.  Am  folgenden  Tage  steigerte  sich 
die  Dyspnoe  noch  mehr,  30 « Respirationen  in  der  Minute; 
Abends  wilde  Delirien,  mit  maniakischer  Aufregung,  kleiner 
Puls.  Am  20.  Mai  früh  völlige  Bewusstlosigkeit;  Abends 
7  Uhr  trat  unter  den  Erscheinungen  der  Lungenlähmung  der 
Tod  ein.  Die  Seclion  ergab:  die  Dura  Mater  gespannt,  stark 
injicirt,  die  inneren  Häute  massig  injicirt,  aber  blassgelb  in- 
filtrirt  Nach  unten  verstärkt  sich  die  Infiltration  in 'der 
vorderen  und  mittleren  Schädelgrube  bis  zur  Basis.  Hirn- 
substanz blutreich,  Ventrikel  mit  gefärbtem  Serum  reichlich 
erfüllt  In  der  linken  Pleurahöhle  zwischen  Lungenbasis  und 
Zwerchfell  eigentümlich  sauer  riechende,  schmutzig  braune 
Flüssigkeit  in  geringer  Menge;  die  Lunge  in  den  unteren  und 
hinteren  Partieen  durch  eine  liniendicke,  gelbe,  frisch  fibrinöse 
Schwarte  fest  verwachsen,  luftleer  comprimirt.  In  der  rechten 
Pleurahöhle  einige  Drachmen  trübes  Serum,  die  Pleura  selbst 
mit  frischen  fibrinösen  Ablagerungen  bedeckt,  nur  der  untere 
Lappen  der  Lunge  an  der  hinteren  Fläche  luftleer.  Im 
Herzbeutel  einige  Drachmen  trübes  Serum;  das  äussere  Blatt 


in  dem  Entbindungsinstitnte  et«.  211  Dresden  im  J.  1860.     207 

stark  injicirt ,  stellenweise  ecchymosirt,  uod  mit  weichen, 
fibrinösen  Ablagerungen  bedeckt.  Das  Endocardium  mit  zahl- 
reichen, grossen  Ecchymosen.  In  der  Bauchhohle  etwas 
trübe,  bräunliche  Exsudatflüssigkeit,  das  Bauchfell  in  der 
Umgebung  des  Uterus  stark  injicirt ;  die  Innenfläche *  der 
Gebärmutter  mit  blassgelbem  Exsudat  bedeckt.  Der  Magen 
zeigt  im  Fundus  gerade  vor  der  Cardia  nach  hinten 
ein  thalergrosses,  rundes,  scharfrandiges  Loch;  die 
angrenzenden  Zwerchfellpartien  sind  missfarbig,  erweicht 
und  nach  der  Pleurahöhle  zu  ebenfalls  perforirt,  so  dass 
der  Finger  durchgesteckt  werden  kann.  Die  vollständige 
Diagnose  war  daher  in  dem  angegebenen  Falle:  Eiterige 
Meningitis,  Hirnhyperämie,  doppelseitige  Pleuritis 
mit  consecutiver  partieller  Compression  des  Lungen- 
gewebes, Pericarditis,  Endometritis,  geringe  cen- 
trale Peritonitis,  Erweichung  und  Perforation  des 
Magens,   sowie  des  Zwerchfells. 

2.  Am  17.  April  fand  in  Wehen  Aufnahme  ein  28 jähriges 
Dienstmädchen,  Erstgebärende,  mit  stark  ödematos  geschwollenen 
Schenkeln  und  Schamiippen.  Die  Geburt  eines  frühzeitigen, 
5  Pfund  schweren,  lebenden  Mädchens,  erfolgte  leicht  in  erster 
Schädellage.  Eine  nähere  Untersuchung  ergab  blasendes 
Geräusch  beim  ersten  Herzton,  den  Harn  sehr  stark 
eiweisshaltig.  Sie  erhielt  ein  Infus,  hb.  Digitalis  und 
aromatische  Fomentationen  über  die  Schamlippen.  So  ver- 
minderte sich  zwar  in  den  ersten  Tagen  des  Wochenbettes 
das  Oedem,  die  Diurese  wurde  reichlicher  und  der  Eiweiss- 
gehalt  des  Harnes  vermindert,  allein  die  chronische 
Harnaffection  mit  consecutiver  Bright'scher  Nieren- 
krankhett  dauerte  fort,  weshalb  die  Kranke  mit  ihrem 
Kinde,  welches  sie  stillte,  am  1.  Mai  an  das  Stadtkranken- 
haus abgegeben  wurde. 

3.  Eine  Näherin  aus  Dresden,  28  Jahre  alt,  zum  zweiten 
Male  schwanger,  suchte  am  12.  Juni,  im  sechsten  Monate 
ihrer  Schwangerschaft,  wegen  plötzlich  eingetretener 
Metrorrhagie  Zuflucht  in  der  Anstalt.  Der  Muttermund 
nahm  gerade  die  Fingerspitze  auf.  Da  Symptome  beträcht- 
licher Depletion  nicht  vorhanden  waren,  wurde  nur  ruhige, 
horizontale  Lage  und  das  Elixir  ackl.  Hallen  verordnet.     So 


208       VIII.    Qrert*ery  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignisse 

stand  die  Blutung  bis  zum  1 7.  Juni  gänzlich  und  die  Schwangere 
konnte  am  20.  desselben  Monats  gesund  entlassen  werden. 
Am  18.  August,  in  der  34.  Schwangerschaftswoche,  erschien 
die  Person  wieder,  weil  sich  Wehen  eingestellt  hatten.  Seit 
ihrer  Entlassung  hatte  sie  sich  wohl  befunden  und  keinen 
Blutverlust  wieder  gehabt.  Für  den  vorzeitigen  Eintritt  der 
Wehen  wusste  sie  keinen  Grund  anzugehen.  Die  Erweiterung 
des  Muttermundes  nahm  50  Stunden  in  Anspruch;  darauf 
wurde  in  zweiter  Schädellage  ein  asphyktischer  Knabe  ge- 
boren, der  bereits  15  Stunden  nach  seiner  Geburt  starb, 
und  zwar  an  Atelectasis  pulmonum,  wie  die  Section  lehrte. 

4.  Eclampsia  gravidarum.  Sectio  caesarea  post 
mortem.  Die  Betreffende,  kräftiger  Constitution,  27  Jahre 
alt,  zum  ersteh  Male  schwanger,  war  zu  Anfang  des  Monats 
März  als  Hausschwangere  aufgenommen  worden  und  befand 
sich  angeblich  vollkommen  wohl,  als  sie  die  Nachricht  erhielt, 
sie  sei  von  ihren  Eltern  wegen  ihrer  Schwangerschaft  Ver- 
stössen worden.  Diese  Nachricht  afficirte  sie  so,  dass  sie 
bis  in  die  Nacht  hinein  schluchzte  und  ächzte.  Am  anderen 
Morgen  (am  7.  März)  stellte  sich  heftiges  Erbrechen  ein  und 
darauf  gegen  Mittag  ein  vollständiger  Anfall  von  Eclampsie, 
weichem  in  Kurzem  noch  drei  andere  Anfälle  von  gleicher 
Intensität  folgten.  Ein  versuchter  Aderlass  blieb  ohne  Erfolg, 
weil  an  beiden  Armen  die  Venen  zu  wenig  entwickelt  waren. 
So  beschränkte  sich  die  Behandlung  auf  Eisumschläge  auf 
den  Kopf,  Sinapismen,  Essigklystiere  und  die  Darreichung 
einiger  Dosen  Calomel.  In  den  Nachmittagsstunden  traten 
noch  zwei  Paroxysmen  auf,  welche  aber  weit  schwächer 
waren.  Der  Harn  zeigte  nur  sehr  geringen  Eiweissgehalt. 
Vom  8. — 10.  März  blieb  die  Kranke  ganz  verschont  *  und 
hrachte  ausserhalb  des  Bettes  zu ;  im  Harne.  Hess  sich  keine 
Spur  von  Eiweiss  mehr  entdecken.  Am  16.  März  früh  brachen 
plötzlich  neue  eclamptische  Convulsionen  aus  und  das  Bewusst- 
sein  kehrte  auch  in  den  freien  Intervallen  nicht  wieder.  Die 
Untersuchung  des  Harnes  wies  jetzt  wieder  Eiweissgehalt 
nach.  Da  Eisumschläge,  Sinapismen  und  Essigklystiere  nichts 
änderten,  wurde  die  Kranke  in  ein  warmes  Essigbad  ge- 
bracht und  dabei  der  Kopf  mit  kaltem  Wasser  übergössen. 
Nichtsdestoweniger  wiederholten  sich  die  Paroxysmen  bis  mr 


in  dem  Entbindangsinttitate  ete.  tu  Dresden  im  J.  1890.     209 

Zahl  von  37,  es  trat  Lungenödem  ein,  der  Puls  wurde  «immer 
frequenter  und  kleiner  und  so  starb  die  Schwangere  desselben 
Nachmittags  unter  den  Symptomen  der  Lungenlähmung.  Bald 
nach  ihrem  Tode  wurde  vorschriftsmässig  der  Kaiserschnitt 
gemacht,  obwohl  Herztöne  der  Frucht  schon  seit  dem  8.  Harz 
sich  nicht  mehr  vernehmen  liessen.  Die  todte  Frucht,  ein 
Mädchen,  von  18  Zoll  Länge  und  8  Pfund  Schwere  trug 
schon  Spuren  der  Haceration  an  sich.  Die  Section  des 
Leichnams  der  Mutter  ergab:  zähe  Beschaffenheit  der  Substanz 
des  Gehirns  und  des  oberen  Theils  des  Rückenmarks,  massiges 
Oedem  des  Hirns  und  seiner  Häute,  enormes  Lungenödem, 
keine  Structuryeränderung  in  den  Nieren.  Bei  der 
Section  des  Leichnams  des  Fötus  fanden  sich  ver- 
breitete venöse  Hyperämi*  der  ineisten  Organe,  sowie  kleine 
Extravasate  und  Ecchymosen  am  Schädelperiost,  den  Pleuren, 
dem  Pericardium  und  der  Valvula  mitralis. 

Zu  den  eben  beschriebenen  vier  Fällen,  wo  als  Ursache 
der  Frühgeburt  verschiedene  Krankheiten  der  Schwangeren 
sich  herausstellten,  kommt  noch  einer,  wo  Syphilis  der  Mutter 
als  causales  Moment  der  Frühgeburt  angesehen  werden  niusste. 
In  zwei  Fällen  schien  Zwillingsschwangerschaft  die  Frühgeburt 
veranlasst  zu  haben,  namentlich  wegen  zu  grosser  Menge 
Fruchtwassers.  Neun  Mal  dagegen  fährte  primär  erfolgter  Tod 
der  Frucht  die  Frühgeburt  herbei,  worunter  in  fünf  Fällen  fötale 
Krankheiten,  namentlich  Peritonitis  und  Hydrocepbalus  sich 
nachweisen  liessen.  In  den  übrigen  Fällen  blieb  die  Ursache 
der  Frühgeburt  unermittelt.  Von  den  frühzeitig  geborenen 
13  Knaben  und  11  Mädchen  stelltön  sich  18  mit  dem  Schädel 
voraus  zur  Geburt,  4  mit  dem  Steiss  voraus  und  2  in 
Querlage.  Bei  sämmtlichen  22  Frühgeburten  verlief  die 
Eröffnungsperiode  nur  langsam,  in  12  Stunden  bis  3  Tagen, 
während  die  Austreibungsperiode  sehr  schnell  beendet  wurde. 

Wie  bei  mangelnder  Disposition  des  Uterus  zur  Früh- 
geburt bisweilen  die  schädlichsten  Einwirkungen  von 
Schwangeren  ausgehalten  ^werden,  ohne  die  Früh- 
geburt zu  erregen,  zeigte  recht  auffallend  das  Beispiel 
einer  Kutschersfrau,  welche  im  neunten  Schwangerschafts- 
monate von  einem  Pferde  einen  Hufschlag  gegen  die  rechte 
Seite  des  Unterleibes  erhielt,   worauf  starke  Schmerzen  und 

MonalMchr.  f.  OebarUk.  1868.  Bd.  XIX..  Hfl.  8.  i 4 


210      VIII.    GrenMr,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignisse 

Metrorrhagien  eintraten,  die  sie  nötbigten,  zwei  Tage  das 
Bett  zu  hüten.  Trotz- der  noch  immer  bestehenden  Schmerzen 
und  des  noch  fortdauernden,  obwohl  verminderten  Blutabganges 
stand  denn  die  Frau  auf,  verrichtete  ihre  gewöhnlichen,  nicht 
selten  anstrengenden  Geschäfte  und  gebar  einen  Monat  später, 
am  normalen  Ende  der  Schwangerschaft,  einen  wohlgebildeten, 
71/*  Pfund  schweren  Knaben,  welchen  sie  stillte.  Geburt 
und  Wochenbett  verliefen  normal. 

In  medicoforensischer  Beziehung  bemerkenswert«  waren 
vier  Fälle,  wo  Schwangere  noch  im  letzten  Monate 
der  Schwangerschaft  über  ihren  Zustand  in  völliger 
Ungewissheit  sich  befanden.  Eine  davon,  eine  23jfthrige 
Bauermagd,  hatte  sich  wegen  veAneintlieher  Wassersucht  an 
die  chirurgische  Klinik  gewendet  und  freute  sich  nicht  wenig, 
als  man  ihr  sagte,  dass  sie  schwanger  sei;  vierzehn  Tage 
später  wurde  die  Person  in  der  geburtshfilflichen  Klinik  von 
einem  9  Pfund  schweren  Mädchen  ziemlich  leicht  entbunden. 

Endlich  erwähnen  wir  noch  eine  auffallend  starke, 
dunkelreissbleifarbene  Pigmentablagerung  im  Ge- 
sichte einer  Schwangeren,  so  dass  diese  fast  das  Aussehen 
einer  Mulattin  hatte.  Die  Warzenhöfe  und  die  weisse  Linie 
des  Bauches  waren  ähnlich  pigroentirt. 

Anomalien   der  Geburt. 

Enge  Becken  kamen  16  Mal  zur  Beobachtung,  wovon 
15  in  Folge  von  Rhach-itis  verengte.  Die  Conjugata 
interna  maass  in  vier  dieser  Fälle  3"  6'",  in  vier  3"  4'", 
in  zwei  3"  2— 3'",  in  zwei  3"  und  in  drei  2"  7—8"'. 
Die  Dauer  der  Rhachitis  war  nicht  maassgebend  fär  die 
Verkürzung  der  Conjugata,  so  <3ass  z.  B.  zwei,  welche  an- 
geblich bis  zum  sechsten  und  siebenten  Lebensjahre  an  der 
englischen  Krankheit  gelitten  hatten,  eine  Conjugata  von 
3"  6'"  zeigten,  während  zwei,  die  nur  bis  zum  fünften  Jahre' 
rhachitisch  gewesen  waren,  eine  Verkürzung  der  Conjugata 
bis  zu  2"  7'"  herab  darboten.  Davon  konnten  den  Natur- 
kräften überlassen  bleiben  sieben  Fälle,  ein  Mal  sogar 
bei  einer  Conjugata  von  2"  7'";  das  Kind,  ein  aufgetragenes, 
8  Pfund  schweres  Mädchen,  kam  lebend  zur  Welt,  zeigte 
aber  einen  auffallend  weichen,  configurablen  Schädel;  überhaupt 


ia  dam  Eatbtadaogsinftitnfce  etc.  cu  Dresden  im  J.  1860.    211 

wurden  in  diesen  bei  rhachilischer  Beckenenge  von  den  Natur- 
kräften allein  beendeten  Geburten  6  Kinder  lebend  und  1 
todt  geboren.  In  den  übrigen  8  Fallen  machte  sich  6  Mal 
die  Zangenoperation  nöthig,  wodurch  3  Kinder  lebend  und  3 
todt  zur  Welt  gefordert  wurden.,  ein  Mal  die  Perforation  mit 
nachfolgender  Kephalothrypsie  und  in  einem  Falle  wurde  die 
Frühgeburt  künstlich  erregt;  siehe  unter  geburishülflichen 
Operationen. 

Der  16.  Fall  von  Beckenenge  betraf  ein  allgemein  zu 
enges  Becken,  wo  während  der  Geburt  zugleich 
Eclampsie  «intrat.  Der  Fall  ist  kürzlich  folgender:  Eine 
22jährige  Dienstmagd  aus  dem  sächsicben  Voigtlande,  von 
untersetztem,  kräftigem  Köqierlpaue,  brünett,  zeigte  bei  ihrer 
Aufnahme  in  die  Anstalt  beträchtlichen  Hängebauch  und  sehr 
hohen  Kopfstand.  Am  28.  Öctober  früh  stellten  sich  die 
ersten  Wehen  ein,  die  bis  10  Uhr  Abends  eine  Erweiterung 
des  Mutlermundes  bis  zur  Tbalergrösse  bewirkt  hatten,  als 
urplötzlich  ein  eclamptiscber  Anfall  ausbrauch.  Nach  einer 
Venäsection  von  16  Unzen,  Eisumschlägen,  Sinapismen,  Essig- 
klystieren  und  der  Darreichung  von  4  Gran  Calomel  trat  Ruhe 
ein,  bis  IV4  Uhr  Morgens,  wo  der  zweite  Paroxysmus  aus- 
brach, welchem  bis  Mittag  noch  zwölf  andere  folgten,  so  dass 
im  Ganzen  vierzehn  conyulsivische  Anfalle  aufgetreten  waren, 
ehe  der  Muttermund  eine  solche  Erweiterung  erlangte  und 
der  Kopf  der  Frucht  so  stand,  dass  die  Zange  angelegt 
werden  konnte.  Wegen  Harnverhaltung  hatte  sich  mittlerweile  , 
die  Application  des  Katheters  in  der  Knie -Ellenbogenlage 
nöthig  gemacht;  der  entzogene  Harn  gerann  beim  Kochen 
bis  zur  Hälfte,  war  mithin  sehr  stark  eiweissbaltig.  Die 
Zangenoperatiou  erforderte  grossen  Kraftaufwand  und  es  kam 
dabei  zur  Fracüirirung  eines  Scheitel-  und  Stirnbeins  der 
Frucht;  dieselbe,  weiblichen  Geschlechts,  war  todt,  maass 
18  Zoll  und  wog  81/«  Pfund.  Die  Blutung  in  der  Nach- 
geburtsperiode war  sehr  reichlich.  Die  eclamptischen  Anfalle 
mit  fortdauernder  Bewusstlosigkeit  in  den  Intervallen  wieder- 
holten sich  noch  während  und  nach  der  Entbindung  und 
führten  bereits  sechs.  Stunden  danach  den  Tod  der  Wöchnerin 
herbei.  Section:  Pia  mater  und  Araohnoidea  durch  Exsudat 
miteinander  verklebt,  blutreich;  auf  der  Oberfläche  der  rechten 


212      VIII.    Orenser,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignis«« 

Hemisphäre  in  der  Stirngegend  unter  den  Häuten  ein  Bhit- 
extravasat  1V2"  lang  und  V2"  breit.  Lungen  theilweise 
ödematös,  das  Pericardium  und  Endocardium  etwas  getrübt, 
das  Herz  etwas  vergrösser t,  sehr  dickwandig.  Beide  Nieren 
in  der  Substantia  cortic.  ziemlich  blutreich ,  das  Nierenbecken 
mit  Ecchymosen  besetzt;  der  rechte  Ureter  an  einzelnen 
Stellen  um  das  Dreifache  ausgedehnt.  Die  Beckenmessung 
im  Leichnam  ergab:  Conjugata  3"  4'",  Querdurchmesser  des 
Eingangs  4"  3'". 

Hängebauch  kam  ausser  bei  den  Schwängern,  wo  die 
Conjugata  beträchtlich  verkürzt  war,  noch  b«i  27  anderen 
Mehrgebärenden  vor  und  wurde  durch  Emporhalten  während 
der  Geburt  in  allen  Fällen  unschädlich  gemacht 

Schiefheit  der  Gebärmutter  höheren  Grades  beob- 
achteten wir  fünf  Mal;  in  zwei  Fällen,  wo  das  Fruchtwasser 
vorzeitig  abgegangen  war,  bildete  sich  in  deren  Folge  eine 
nicht  unbeträchtliche  Anschwellung  der  vorderen  Muttermunds- 
lippe, weshalb  erweichende  Sitzbäder  in  Gebrauch  gezogen 
wurden. 

Ebenso  mussten  wegen  Rigidität  des  Muttermundes 
erweichende  Sitzbäder  bei  einer  Erstgebärenden  angewendet 
werden. 

Vollständige  Atresie  des  Muttermundes  erforderte 
bei  einer  28jährigen  Erstgebärenden  die  blutige  Eröffoung 
während  des  -Geburtsactes.  Die  Person  war  während  ihrer 
Schwangerschaft  wegen  Excoriationen  an  den  Muttermunds- 
lippen und  im  Cervicalkanal  zu  wiederholten  Malen  mit 
Argent.  nitric.  fus.  intensiv  cauterisirt  worden.  In  Folge 
dieser  Cauterisation  war  Verwachsung  des  Mutter- 
mundes entstanden.  Bei  Aufnahme  der  Gebärenden  zeigte 
sich  das  untere  Uterinsegraent  sehr  verdünnt,  der  Mutterhals 
völlig  verstrichen  und  der  Muttermund  so  glatt  verwachsen, 
dass  sich  kaum  eine  Andeutung  davon  fühlen  Hess;  der  Kopf 
stand  im  Beckeneingange.  Kräftige  Wehen  drängten  das 
untere  Uterinsegment  bis  in  die  Beckenhöhle,  wobei  dasselbe 
bis  zur  Dünne  eines  Papierblattes  gewöhnlicher  Starke  aus- 
gedehnt wurde,  während  der  Muttermund  festverwachsen  blieb. 
Es  wurde  deshalb  mittels  des  Oslander' sehen 
Hysterotoms   an  der  verwachsenen   Stelle  während 


in  dem  EatbinduDgainstitute  etc.  zu  Dresden  im  J.  1860.    213 

einer  Wehe  ein  Einschnitt  gemacht,  welcher  zugleich 
die  Eihäute  traf,  so  dass  das  Fruchtwasser  dabei  abschoss. 
Unmittelbar  darauf  erweiterte  sich  der  Muttermund  bis  zur 
Tbalergrösse  und  nach  anderthalb  Stunden  erfolgte  in  zweiler 
Scbädellage  die  Geburt  eines  bereits  längere  Zeit  abgestorbenen 
Knaben  von  5  Pfund  Gewicht.  4)as  Wochenbett  verlief  ohne 
Störung. 

Eine  häutige  Verwachsung  des  unteren  Dritt- 
tbeils  der  äusseren  Schamlippen  fanden  wir  bei 
einer  22jährigen  Erstgebärenden.  .Während  des  Einschneiden 
des  Kindeskopfes,  welches  sehr  allmälig  erfolgte,  gerade  in 
dem  Momente,  als  wir  eine  Incision  zu  machen  beabsichtigten, 
beobachteten  wir,  wie  zuerst  am  unteren  Theile  der 
Verwachsung,  dicht  über  dem  Schambändchen,  eine  Oefihung 
in  Form  einer  Längenspalte  entstand,  welche  sich  nach  vorn 
vergrössernd  innerhalb  fünf  Minuten  die  Brücke  bis  zur 
Scheidenmündung  immermebr  verkleinerte  und  zuletzt  voll- 
kommen trennte.  Kurz  darauf  erfolgte  in  erster  Schädellage 
die  Geburt  eines  14  Pfund  schweren  Mädchens,  wobei  der 
Damm  unversehrt  blieb.  Um  Wiederverwachsung  zu  ver- 
hüten, wurde  in  den  ersten  Tagen  des  Wochenbettes  ein 
beöltes  Leinwandbäuschchen  zwischen  die  Wundränder  gelegt 

Vorfall  der  vorderen  Scheidenwand  kam  in  fünf 
Fällen  bei  Gebärenden  vor;  das  Zurückhalten  der  herab- 
getretenen Scbeldenwand  mittels  der  Finger  genügte,  um 
weiteren  Nachtheilen  vorzubeugen. 

Struma  massigen  Grades  complicirte  sich  drei  Mal  mit 
der  Geburt,  ohne  bedenkliche  Athemnoth  zu  veranlassen. 

In  drei  Fällen  von  Oedem  der  Schamlippen  und 
der  Schenkel  zeigte  der  Harn  EiweissgehalL  Die  Geburten 
verliefen  dabei  normal  und  Oedem  und  Albuminurie  verloren 
sieb  schon  in  den  ersten  Tagen  des  Wochenbettes. 

Ausser  dem  oben  beschriebenen  Falle  von  Eclarapsie, 
complicirt  mit  Beckenenge,  kam -am  16. -Juli  ein  zweiter  zur 
Beobachtung,  welcher  einen  glücklichen  Ausgang  nahm.  Eine 
26jährige  Erstgebärende  wurde  in  Wehen  in  die  Anstalt  auf* 
genommen.  Es  Hessen  sich  weder  Fruchtbewegungen,  noch 
Herztone  der  Frucht  wahrnehmen;  die  Schwangerschaft  war 
erst  bis  zur  36.  Woche  vorgerückt,  der  Muttermund  ziemlich 


214     Vm.    Grauer,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereigated 

vollständig  erweitert  und  ein  vorliegender  Fruchttbeil  liess 
sich  mit  dem  Finger  nicht  erreichen.  Beim  Einfähren  der 
ganzen  Hand  fand  man  die  erste  Schulterlage  und  schritt 
deshalb  sofort  zur  Wendung.  Währenddem  traten  eclatnptische 
Convulsionen  ein,  so  dass  der  gefasste  rechte  Fuss  angeschlungen 
und  gewartet  werden  musste.  Nachdem  der  Anfall  vorüber 
war,  liess  sich  die  Wendung  durch  den  doppelten  Handgriff 
unschwer  beenden,  und  man  schritt  sofort  zur  Extraction, 
wodurch  eine  bereits  macerirte  frühzeitige  Frucht  zur  Welt 
gefördert  wurde.  Während  der  Extraction  zeigte  sich  ein 
dritter  convulsivischer  Anfall,  welchem  nach  der  Entbindung 
noch  zwei,  aber  von  weit  geringerer  Intensität,  folgten. 
Darauf  blieben  die  Anfälle  von  selbst  aus  und  die  Wöchnerin 
konnte  bereits  am  neunten  Tage  des  Wochenbettes  gesund 
entlassen  werden.  Der  Leichnam  der  Frucht  zeigte  bei  der 
Section  fötale  Peritonitis. 

Metrorrhagie  in  der  Eröffnungsperiode  in  Folge  theil- 
weiser  Abtrennung  der  Placenta  bei  gehörigem  Sitze  derselben, 
wurde  durch  künstliches  Sprengen  der  Blase  gestillt. 

Wegen  ungewöhnlich  rapiden  Verlaufs  der  Austreibungs- 
periode, wurden  zwei  Kinder  mit  der  Glückshaube  ge- 
boren. Da  die  Eihäute  sogleich  eröffnet  wurden,  erwuchs 
daraus  weder  den  Müttern,  noch  den  Rindern  ein  weiterer 
Nachtheil. 

Vorfall  des  Armes  neben  dem  Kopfe  fand  zwei  Mal 
statt-.  Die  Reposition  des  Armes  gelang  in  beiden  Fällen  leicht 
.  Ebenso  kam  Vorfall  der  Nabelschnur  in  zwei  Fällen 
vor.  In  dem  einen  Falle  liess  sich  die  Schlinge  mittels  der 
Hand  vollständig  reponiren  und  das  Kind  wurde  lebend  ge- 
boren. In  dem  zweiten  Falle  ereignete  sich  der  Vorfall  der 
Nabelschnur  bei  rhachitisch  verengtem  Becken,  als  der  Mutter- 
mund erst  einen  Zoll  im  Durchmesser  erweitert  war  und  alle 
Repositionsversuche  blieben  fruchtlos,   daher  der  Fötus  starb. 

Dammrisse  höheren  Grades  sahen  wir  sieben,  doch 
erstreckte  sich  in  keinem  Falle  die  Ruptur  bis  in  den  Sphincter 
des  Afters.  In  sechs  Fällen  gelang  unter  Mithülfe  des 
Gollodiumverbandes  die  prima  reunio;  in  einem  Falle  trat 
Eiterung  ein  mit  reichlicher  Granulation,  welche  eine  theil- 
weise  Schliessung  der  Wunde  bewirkte. 


in  d«n  Entbind  aag»in«titvte  etc.  zu  Dresden  im  J.  1Ä60.     215 

Präcipitirte  Geburten*  fanden  im  Ganzen  zehn  statt. 
Davon  war  in  acht  Fällen  die  Geburt  bereits  auf  dem  Wege % 
nach  der  Anstalt  erfolgt  (ein  Mal  in  einem  Strassengraben, 
ohnweit  dem  Dorfe  Plauen,  zwei  Mal  auf  der  Strasse,  zwei 
Mal  in  einer  Droschke,  ein  Mal  auf  einem  Fleischerwagen, 
ein  Mal  auf  dem  Markte,  ein  Mal  auf  der  Treppe).  Jn  keinem 
Falle  war  hieraus  den  Müttern  oder  den  Kindern  irgend  ein 
NachtheU  erwachsen. 

Einen  Anfall  von  Starrkrampf  beobachteten  wir  bei 
einer  23 jährigen,  zum  zweiten  Male  gebärenden  Fabrikarbeiterin, 
welche  am  28.  August  früh  7  Uhr  in  der  zweiten  Geburts- 
periode in  die  Anstalt  gebracht  worden  war.  Die  Wehen 
waren  schwach  und  der  Muttermund  zeigte  die  Grösse  eines 
Zebnneugroschenstückes,  als  nach  vorausgegangenem  leichten 
Kopfschmerz  unerwartet  ein  Anfall  von  Starrkrampf  eintrat, 
während  welchem  die  Kranke  regungs-  und  besinnungslos 
mit  steifen  Gliedern  dalag.  Der  Anfall  währte  trotz  aller 
angewendeten  Analeptica  und  Bubefacientia  von  Vormittag 
7*10  Uhr  bis  Nachmittags  5  Ubr.  Darauf  klagte  die  Kranke 
nur  über  leichten  Schwindel  und  Kopfschmerz  und  gab  an, 
dass  solche  Anfalle  von  Starrkrampf  bei  ihr  seit  der  Kindheit 
habituell  seien.  Die  Wehen  schwiegen  darauf  ganz  und  der 
Muttermund  zog  sich  wieder  einigermaassen  zusammen.  So 
befand  sich  die  Person  wohl  bis  zum  12.  September,  an 
welchem  Tage  von  Neuem  Wehen  eintraten.  Die  Geburt  eines 
9  Pfund  schweren,  gesunden  Knaben  erfolgte  am  13.  Abends; 
im  Wochenbette  blieb  die  Person  frei  von  weiteren  Anfällen. 

Endlich  erwähnen  wir,  als  in  gerichtlich -medicini scher 
Hinsicht  bemerkenswert!),  eine  Verheimlichung  der  Ge- 
burt und  Kindesmord.  Die  Betreffende,  eine  23  Jahre  , 
alte  Dienstmagd,  kam  am  8.  Mai  in  die  Anstalt  unter  der 
Angabe,  sie  sei  von  ihrer  Herrschaft  wegen  Mutterblutung 
hineingeschickt  wordea  Bei  der  Untersuchung  fanden  wir  eine 
Placenta  in  der  Scheide,  die  sogleich  entfernt  wurde.  Dieselbe 
zeigte  sich  als  einem  reifen  Kinde  angehörig,  6  Zoll  in  ihrem 
Durchmesser  haltend,  mit  einem  8  Zoll  langen  Nabelschnurrest, 
welcher  scharf  abgeschnitten  schien.  Da  die  Person  durchaus 
läugnete,  ein  Kind  geboren  zu  haben,  wurde  der  Fall  ge- 
richtlich angezeigt.    Bei  der  gerichtlichen  Haussuchung  fand 


216     VIII.   Ortnier,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignete 

man  den  Leichnam  eines  ausgetragenen  Kindes  und  die 
Person  gestand  nun  ein,  ihr  Kind  nach  der  Geburt  erwürgt 
zu  haben. 

Geburtshülfliche   Operationen. 

Von  den  vorgekommenen  35  Zangenoperationen 
wurden  indicirt: 

10  durch  Wehenschwäche, 

14  durch  Missverhältniss  zwischen  der  Grösse  der  Frucht 
und   Weite    der    Geburtswege,    wobei    sich  Kopf- 
geschwulst bildete, 
6  durch  rhachitisch-  verengtes  Becken, 
1  durch  allgemein  zu  enges  Becken, 
1  durch  Eclampsie, 

1  durch  Rigidität  des  Dammes, 

2  durch  Abgang  von  Meconium  bei  vorliegendem  Schädel. 

Sa.  35. 

Die  Operation  wurde  ausgeführt  25  Mal  bei  erster  und 
10  Mal  bei  zweiter  Schädellage.  So  wurden  extrahirt  23  Knaben 
und  12  Mädchen,  davon  32  (22  Knaben  und  10  Mädchen) 
lebend  (darunter  12  asphyktisch),  und  3,  nämlich  2  Mädchen 
und  1  Knabe,  todt  Als  Ursache  des  Todes  war  zu  starke 
Compression  des  Gehirns  während  der  schwierigen  Zangen- 
entbindung anzunehmen.  Das  Wochenbett  verlief  in  29  Fällen 
ohne  jede  Störung,  4  Mal  folgte  Peritonitis  mit  glücklichem 
Ausgange,*  1  Mal  langanhaltende  Endometritis,  die  jedoch 
auch  glücklich  endete,  und  1  Mal  erfolgte  der  Tod  in  dem 
oben  beschriebenen  Falle  von  Eclampsie,  complicirt  mit  all* 
gemein  zu  engem  Becken. 

Die  Wendung  wurde  6  Mal  vollzogen,  und  zwar  5  Mal 
auf  einen  Fuss,  1  Mal  auf  den  Kopf.  Ueber  den  ersten 
Fall  siehe  die  künstliche  Frühgeburt.  Ueber  den  zweiten, 
welcher  sich  bei  der  von  Eclampsie  ergriffenen  Gebärenden 
nöthig  machte,  ist  bereits  unter  den  Anomalien  der  Geburt 
berichtet  worden.  Zwei  ganz  ähnliche  Fälle  kamen  im  Juli 
und  September  bei  einer  Zweit-  ynd  einer  Erstgebärenden 
vor.  Beide  Male  war  die  Geburt  in  der  32.  Schwangerschafts- 
woche eingetreten,  in  beiden  Fällen  fand  sich  erste  Schulter- 
lage   und    die   Früchte   waren    bereits    macerirt.     Bei    der 


iaüem  EntbindnngBiiittitate  etc.  su  Dresden  im  J.  1860.     217 

Erstgebärenden  musste  wegen  starker  Metrorrhagie  die  Ex- 
traction  an  den  Füssen  folgen.  In  dem  fünften  Falle  kam 
eine  Drittgebärende  mit  völlig  erweitertem  Muttermunde  und 
springfertiger  Blase  in  die  Anstalt;  auch  hier  stellte  sich  der 
Fötus  in  erster  Schulterlage  zur  Geburt;  die  Wendung  war 
leicht,  die  Austreibung  des  Fötus  wurde  den  Naturkräften 
überlassen,  doch  machten  sich  das  Lösen  der  Arme  und  die 
Entwicklung  des  Kopfes  noth wendig;  das  Kind,  ein  7V4  Pfund 
schweres  Mädchen,  war  zwar  asphyktisch,  wurde  aber  bald 
zum  Athmen  und  Schreien  gebracht. 

Die  Wendung  auf  den  Kopf  kam  bei  einer  23jährigen 
Erstgebärenden  in  Ausführung.  Der  Fötus  stellte  sich  in 
zweiter  Schulterlage  zur  Geburt,  das  Fruchtwasser  war  so  eben 
erst  abgeflossen,  die  vorliegende  Schulter  jedoch  beweglich. 
Während  der  Wendung,  welche  nach  der  Buech' sehen  Methode 
gemacht  wurde,  fiel  der  rechte  Arm  vor,  der  sich  aber  so» 
gleich  zurückbringen  liess.  Darauf  trat  der  Kopf  gehörig  ein, 
allein  bei  tieferem  Herabdrücken  desselben  bildete  sich  Kopf- 
geschwulst und  die  Herztöne  wurden  seltener,  so  dass  sich 
die  Anlegung  der  Zange  nötbig  machte.  Es  wurde  ein  7V2  Pfund 
schweres  Mädchen  im  Zustande  der  Asphyxie  extrahirt,  welches 
sich  durch  kräftig  angestellte  Belebungsversuche  allmälig  er- 
holte, so  dass  nach  17  Tagen.  Mutter  und  Kind  gesund  ent- 
lassen werden  konnten. 

Die  Extraction  an  den  Füssen  machte  sich  zwei  Mal 
npthwendig  nach  vorausgegangener  Wendung,  ein  Mal  wegen 
Eclampsie,  das  andere  Mal  wegen  Metrorrhagie,  worüber 
schon  berichtet  worden  ist. 

Die  Perforation  mit  nachfolgender  Kephalo- 
thrypsie  betraf  eine  38jährige  Erstgebärende,  welche  bis 
in  ihr  fünftes  Lebensjahr  an  Rhachitis  gelitten  hatte.  Die 
Person  war  kleiner  Statur,  schlechter  Ernährung,  von 
kachectischem  Aussehen;  der  Unterleib  stark  ausgedehnt, 
Hängebauch,  Ober-  und  Unterschenkel  verkrümmt,  beträcht- 
liche sattelförmige  Einbiegung  in  der  Kreuzgegend,  Diagonal- 
conjugata  =  3 "  6  "',  so  dass  die  innere  Conjugata  =  knapp  3  " 
geschätzt  wurde.  Es  waren  von  einem  Geburtshelfer  in  der 
Stadt  bereits  vergebliche  Versuche  mit  der  Zange  gemacht 
worden.    Das  Levret sehe  scheerenförmige  Perforatorium  wurde 


218      VIII.    Qrenttr,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignis« 

durch  die  sehr  beträchtliche  Kopfgeschwulst  und  dann  so- 
gleich mitten  durch  das  vorliegende  Scheitelbein  eingestochen 
und  die  Stichöflnung  nach  allen  Seiten  erweitert,  wobei  sich 
schon  ziemlich  viel  Gehirn  entleerte.  Um  aber  dieses  noch 
vollständiger  zum  Abgang  zu  bringen,  wurde  der  Knopf  eines 
Mutterrohrs  durch  die  bewirkte  Scbädelöflhung  eingeführt  und 
so  durch  Injectionen  mit  lauem  Wasser  das  Gehirn  vollständig 
entfernt.  Da  fast  gar  keine  Wehen  mehr  vorhanden  waren, 
wurde  der  Stanzonf&che  Kephalotrib  angelegt,  welcher  aber 
wiederholt  abglitt.  So  musste  die  Entbindung  mittels  des 
Hakens  beendet  werden,  welcher  in  der  Orbita  einen  festen 
Haltpunkt  fand.  Die  Entbindung  nahm  1%  Stunde  Zeit  in 
Anspruch.  Es  wurde  ein  Mädchen  extrahirt,  welches  18  Zell 
lang  war  und  ohne  das  entleerte  Gehirn  8  Pfund  wog.  Die 
Nachgeburt  kam  leicht,  die  Blutung  war  reichlich,  ein  Damm- 
riss  fand  nicht  statt  Im  Wochenbette  folgte  Peritonitis, 
welche  sich  aber  glücklich  beseitigen  liess,  so  dass  die 
Wöchnerin  gesund  entlassen  werden  konnte. 

Den  Kaiserschnitt  bei  der  an  Eclampsia  Verstorbenen 
haben  wir  bereits  oben  erwähnt. 

Die  künstliche  Erregung  der  Frühgeburt  kam  in 
Anwendung  bei'  der  38jährigen  Ehefrau  eines  Handarbeiters, 
welche  bereits  vier  Mal  schwere  Perforationen  überstanden 
hatte.  Die  äussere  Conjugata  mit  dem  Baudelocque'schea 
Tasterzirkel  gemessen  betrug  6V4",  die  Diagonalconjugata  4", 
so  dass  die  innere  Conjugata  zu  3"  3"'  abgeschätzt  wurde. 
Ihren  Angaben  nach  befand  sich  die  Frau,  als  sie  sich  am 
25.  März  in  der  geburtshülf liehen  Lehranstalt  einstellte,  in 
der  33.  Schwangerschaftswoche.  Wir  säumten  daher  nicht, 
bereits  am  27.  das  Cohen'sche  Verfahren  einzuschlagen. 
Schon  eine  Stunde  nach  der  ersten  Injection  zeigten  sich 
leichte  Wehen,  welche  nach  drei  wiederholten  Injectionen 
immermehr  an  Kraft  und  Dauer  zunahmen,  so  dass  binnen 
zwanzig  Stunden  der  Muttermund  völlig  erweitert  und  die 
Blase  springfertig  war.  Da  ein  vorliegender  Kindestbeil  mit 
dem  Zeigefinger  sich  nicht  erreichen  liess,  wurde  die  Ge- 
bärende auf  das  Querbett  gebracht  und  die  ganze  Hand  ein* 
geführt,  wobei  sich  der  Fötus  in  erster  Schulterlage  zeigte. 
Da  sich  bei  der  Wendung  die  Gebärmutter  schnell  und  fest 


in  dem  Entbindangtinetitute  etc.  sn  Dresden  im  J.  1860.     219 

zusammenzog,  machte  sich  der  doppelte  Handgriff  nöthig. 
Der  Steiss  der  Fracht  kam  nur  sehr  langsam  zum  Ein-  und 
Durchschneiden.  Die  Arme  und  der  Kopf  Hessen  sich  nicht 
ohne  Schwierigkeit  entwickeln.  So  kam  der  Fötus  todt  zur 
Welt;  derselbe  war  weiblichen  Geschlechts,  17  Par.  Zoll  lang 
.und  7  Pfand  schwer,  so  dass  sich  hieraus  ergab,  dass  die 
Schwangerschaft  bereits  viel  weiter  vorgerückt  war,  als  nach 
den  Angaben  der  Person  angenommen  werden  musste.  Das 
Wochenbett  verlief  ohne  Störung. 

In  12  Fällen  sahen  wir  uns  veranlasst;  die  Nach- 
geburt künstlich  wegzunehmen;  5  Mal  machte  sich 
dabei  die  künstliche  Lostrennung  wegen  theilweiser  zu 
fester  Adhärenz  der  Placenta  nothwendig.  In  einem 
dieser  Fälle,  wo  die  Placenta  an  der  vorderen  Gebärmutter- 
wand ansass,  leistete  das  Ueberschlagen  des  rechten  Schenkels 
der  Gebärenden  über  den  operirenden  rechten  Arm  des 
Geburtshelfers,  so  dass  die  Trennung  in  der  Seitenlage  der 
Gebärenden  vorgenommen  wurde ,  in  Bezug  auf  leichtere 
Ausführung  der  Operation  gute  Dienste.  In  den  übrigen 
7  Fällen  wurde  die  Nachgeburt  nur  wegen  Einsackung 
und   damit  verbundener  Metrorrhagie   weggenommen. 

Anomalien  des  Wochenbettes. 

Entzündliche  Affectionen  des  Bauchfelles  kamen 
im  Ganzen  47  zur  Beobachtung,  ein  im  Vergleiche  zu  dem 
vergangenen  Jahre  günstiges  Yerhältniss,  indem  nur  etwas 
über  8  Procent  der  Wöchnerinnen  davon  ergriffen  wurden. 
Dazu  kommt,  dass  in  29  dieser  Erkrankungen  die  Entzündung 
lediglich  auf  den  Peritonäalüberzug  des  Uterus  und  dessen 
nächste  Umgebung  beschrankt  hlieb  (Perimetritis)  und  Sina- 
pismen  und  einfache  Mohnsamenemulsionen  hinreichten,  die 
Perimetritis  in  wenigen  Tagen  zu  beseitigen.  Weiter  ver- 
breitet zeigte  «ich  die  Peritonitis  in  18  Fällen,  von  denen 
11  auf  die  Monate  Februar  und  März  kommen.  Bei  grosser 
Schmerzhaftigkeit  des  Unterleibes  leistete  das  Extract.  thebaic., 
zu  V2  gr.  pr.  dosi,  zwei-  bis  dreistündlich  gereicht  bis  zu 
3  Gran,  gute  Dienste.  Mit  Ausnahme  der  folgenden  zwei 
Fälle  genasen  alle  übrigen. 


220     VII 1.    Grenser,  46.  Jahresbericht  über  die  EreignUee 

1.  Eine  30jährige  Näherin  aus  Dresden,  welche  bereits 
tor  fünf  Jahren  normal  geboren  hatte,  kam  als  Gebärende 
am  13.  März  in  die  Anstalt,  wo  schon  in  den  Nachmittags- 
stunden  die  Geburt  eines  8  Pfund  schweren  Mädchens  in 
zweiter  Schädellage  erfolgte.  Die  Nachgeburt  folgte  regelrecht, 
Blutung  war  gering.  Während  sich  die  Wöchnerin  in  den 
ersten  vier  Tilgen  ganz  wohl  befunden  hatte ,  trat  am  18.  März 
Fieber  ein  (Puls  120)  und  der  Unterleib  zeigte  sich  in  der 
rechten  Weicbengegend  schmerzhaft  und  erschien  lympanitisch. 
Cataplasmata  emollieut.,  Cnguent.  einer,  und  innerlich  eine 
Emulsion  besserten  den  Zustand  nicht.  Da  man  aus  den 
veränderten  Lochien  auf  Complication  mit  Endometritis  schloss, 
wurden  Injectionen  aus  Hb.  Cicutae  in  die  Scheide  gemacht. 
Der  Puls  wurde  aber  immer  schneller  und  kleiner  (132  in 
der  Minute),  die  Kranke  verfiel,  delirirte  und  so  trat  am 
23.  März  der  Tod  ein.  Bei  der  Section  zeigten  sich  die 
Lungen  frei,  blutreich,  theilweise  odematös;  der  rechte  untere 
Lungenlappen  nach  hinten  in  grösserem  Umfange  luftleer, 
das  Herz  normal,  das  Endocardium  theilweise  iuibibirL 
Unterleib  massig  aufgetrieben,  das  Netz  mit  dünnen,  gelb- 
lichen Fibrinschichten  bedeckt,  theilweise  verklebt;  in  der 
Bauchhöhle  wenig  trübes,  eiteriges  Exsudat  An  der  Ober- 
fläche des  rechten  Leberlappens  eine  erbsengrosse  rundliche 
Narbe,  die  Gallenblase  stark  ausgedehnt,  mit  zahlreichen, 
kirschkerngrossen  Gallensteinen  erfüllt.  Der  seröse  Ueberzug 
des  Uterus  injicirt,  die  Innenfläche  mit  breiigem,  graurötblichem 
Exsudate  belegt  und  starke  Injection  der  zunächst  angrenzenden 
Uterinsubstanz,  an  den  Ostien  der  Tuben  kleine,  geschlängelte 
Gefässe  mit  Eiter  angefüllt.  Linke  Tube  geschwellt,  Fimbrien 
sehr  injicirt,  in  der  Umgebung  am  Ligam.  latum  zahlreiche, 
mit  Eiter  gefüllte  Gefässe.  Das  linke  Ovarium  angeschwollen 
mit  stark  injicirtem  und  ödemalösem  Stroma.  Mithin  voll- 
ständige Diagnose:  Peritonitis,  Endometritis,  Oophoritis, 
Lymphangioms,  Oedema  pulmonum,  rechtseitige  Lungen- 
hypostase, Gallensteine. 

2.  Ein  24 jähriges  Dienstmädchen,  brünett,  guter  Er- 
nährung^ hatte  am  11.  October  Vormittags  normal  geboren, 
als  schon  am  folgenden  Tage  Symptome  von  Peritonitis,  von 


m  dem  Entbindnngsinstitate  etc.  «n  Dresden  im  J.  1860.     221 

der  Gegend  des  linken  Ligam.  latum  ausgehend,  anflraten, 
gegen  welche  Sinapismen,  Cataplasmata,  später  auch  Ungnent 
einer.,  und  innerlich  Emulsionen  vergeblich  in  Anwendung 
kamen.  Am  15.  Oclober  gesellten  sich  grosse  Abspannung, 
Eingenommenheit  des  Kopfes  und  Gehörschwäche  hinzu,  und 
die  Frequenz  des  Pulses  steigerte  sich  bis  zu  140.  Unter 
Fortdauer  dieser  Symptome  und  Zunahme  der  Tympanitis 
starb  die  Kranke  am  21.  Oclober.  Section:  Pia  mater  stark 
injicirt,  nach  hinten  getrübt,  Hirnsubstanz  ziemlich  blutreich. 
Lungen  und  Herz  normal.  Bauchhöhle  mit  massenhaftem 
eiterigem  Exsudat  erfüllt,  Peritonäalüberzug  der  vorderen 
ßauchwand,  sowie  der  Därme,  stark  injrcirt.  Innere  Genitalien 
normal  Diagnose:  Peritonitis  mit  eiterigem  Exsudate,  Hirn- 
hyperämle. 

Endometritis  trat  bei  sieben  Wöchnerinnen  auf,  wovon 
vier  Mal  Gomplication  mit  Peritonitis  vorhanden  war.  Es 
wurden  Iujectionen  von  einem  Infus,  hb.  Cicutae  gemacht, 
bei  sehr  übelriechendem  Wochenflusse  ausserdem  reinigende 
Einspritzungen  mit  Zusatz  von  gepulverter  Lindenkohle. 
Innerlich  reichten  wir  Emulsionen  oder  Kaiisaturationen. 

Endoiolpitis  kam  32  Mal  vor,  wovon  zwei  Mal  in 
Gemeinschaft  mit  Peritonitis.  In  der  Hälfte  dieser  Fälle  kam 
es  zur  Geschwürsbildung,  deren  Heilung  unter  Beobachtung 
grosser  Reinlichkeit  und  Belegen  der  Geschwürsflächen  mit 
Charpie  jedoch  immer  in  Zeit  von  8  — 12  Tagen  gelang. 

Mania  puerperalis  beobachteten  wir  ausser  in  dem 
oben  (s.  Frühgeburten)  berichteten  Falle,  wo  eiterige  Meningitis 
zu  Grunde  lag,  als  reine  Neurose  ohne  materielle  Begründung 
bei  einer  Wöchnerin,  wie  es  schien,  nach  einer  gemüthlichen 
Aufregung.  Drei  Gaben  Morphium  acetic.  (V4  gr.  pr.  dosi) 
•reichten  hier  hin,  ruhigen  Schlaf  zu  bewirken,  aus  welchem 
die  Wöchnerin  gesund  erwachte. 

Lungentuberculose  complicirte  sich  fünf  Mal  mit 
dem  Wochenbette,  ohne  in  den  ersten  neun  Tagen,  wo  die 
Kranken  in  unserer  Pflege  waren,  sich  zu  verschlimmern. 
Ein  Linctus  mit  Zusatz  von  Morphium  nützte  insofern,  als 
er  den  lästigen  Hustenreiz  sehr  verminderte  und  Ruhe  schaffte. 

Pneumonie  trat  bei  einer  Wöchnerin  am  dritten  Tage 
nach  der  Niederkunft  ein.     Die  Entzündung  beschränkte  sich, 


232      VIII.    Qrenstr,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignisse 

wie  die  physikalische  Untersuchung  ergab,  our  auf  den 
unteren  Lappen  der  rechten  Lunge.  Cataplasmata  emollientia 
und  ein  leichtes  Infus,  rad.  ipecac.  genügten,  die  Entzündung 
zu  beseitigen,  so  dass  die  Wöchnerin  am  15.  Tage  entlassen 
werden  konnte. 

An  Rheumatismus  acutus  litten  sechs  Wöchnerinnen. 
Der  Rheumatismus  war  in  den  Extremitäten  localisirt,  in 
zwei  Fällen  in  Form  einer  Arthrophlogosis  pedis.  Senfteige, 
einige  Schröpfköpfe  und  Einwickelungen  in  Flanellbinden 
leisteten  gute  Dienste. 

-  Harnverhaltung  in  Folge  entzündlicher  Anschwellung 
des  Bläsenhalses  kam  39  Mal  im  Wochenbette  vor.  In 
25  Fällen  beschränkte  sich  dieselbe  auf  nur  einen  Tag,  in  9 
auf  zwei  Tage,  in  2  auf  vier  Tage,  in  2  auf  sieben  Tage 
und  im  hartnäckigsten  Falle  auf  zwanzig  Tage.  Katheterismus 
und  ruhige  Bettlage  reichten  zur  Heilung  hin. 

Bedeutende  Metrorrhagien  traten  in  den  ersten  zwei 
Stunden  nach  Entfernung  der  Nachgeburt  in  Folge  von  Atonta 
uteri  bei  sechs  Wöchnerinnen  auf.  Vier  Mal  genügte  zur 
Stillung  der  Blutung  die  Wegnahme  der  in  der  Gebärmutter- 
höhle angesammelten  Blutgerinnsel  mittels  der  eingeführten 
ganzen  Hand,  und  Compression  der  Gebärmutter  von  den 
Bauchdecken  aus,  nebst  einigen  Gaben  Zimmttinctur.  Zwei 
T^alle  machten  jedoch  noch  ausserdem  Einspritzungen  von 
Oxykrat  nöthig.  Wegen  hochgradiger  Anämie  wurde  eise 
Wöchnerin  am  zehnten  Tage  des  Wochenbettes  zur  weiteren 
Verpflegung  an  das  Sladtkrankenhaus  abgegeben. 

Darmkatarrhe  und  dadurch  bedingte  profuse  Diarrhöen 
waren  iu  den  Wintermonaten  ziemlich  .häufig,  fanden  aber, 
unter  Mithülfe  einiger  Gaben  des  ExtracL  thebaic,  durch  die 
vermehrte  Hautthätigkeit  im  Wochenbette  gewöhnlich  sehr 
schnelle  und  gründliche  Beseitigung.     . 

Gegen  wunde  Brustwarzen,  die  leidige  Plage  stillender 
Wöchnerinnen,  wendeten  wir  oft  mit  Nutzen  ein  Gemenge 
von  1  Drachme  Benzoetinctur  und  einer  halben  Unze  fetten 
Rahmen  an.  Wo  es  aber  zur  wirklichen  Schrundenbilduog 
und  Exiliceration  kam,  wurde  ein  Gemenge  von  gleichen 
Theilen  Pulv.  Corlic.  Chinae  subtilis&imus  und  Gummi  arabicum 
eingestreut. 


in  dem  Entbind  angain  st  i  tote  etc.  au  Dresden  im  J.  1860.     223 

Anomalien  der  Neugeborenen. 

Nach  der  Geburt  verstarben  in  der  Anstalt  18  Kinder, 
und  zwar: 

3  an  hochgradiger  Atelectasis  pulmonum, 
5  an  Lebensschwäche  in  Folge  frühzeitiger  Geburt, 
7  an  Convulsionen  in  Folge  von  Hirnuyperämie, 
1  an  Peritonitis  in  Folge  einer  Verbildung   des  Oeso- 
phagus.    Die  Section  wies  hier  nämlich  einen  sack- 
förmigen Divertikel  des  unteren  Theils  des  Oesophagus 
unmittelbar  über  dem  Zwerchfell  mit  hämorrhagischer 
Infiltration    seiner  Wände,   Peritonitis,    Eechymosen 
des  Pericardiums,  Katarrh  des  Magens  und  der  Darm- 
schleimhaut,  Anämie  und  Induration  der  Leber  und 
Milztumor  nach. 
1   an   Perforation   des   Zwerchfells,    hinter   dem 
Magen  nach  links;   durch'  die  perforirte  Stelle  war 
eine  Schlinge  des  Dünndarms  und  des  Dickdarms  in 
die  Brusthöhle  getreten,  welche  letztere  Darmschlinge 
mit   Meconiura    strotzend    angefüllt    war;   die   linke 
Lunge  war  dadurch  fast  völlig  comprimirt,  die  rechte 
in    ihrem    oberen    und   mittleren  Lappen   lufthaltig, 
während  der  untere  theilweise  luftleer  erschien; 
1  an   einer  Verbildung  des  Herzens.     Das  betreffende 
Kind,  weiblichen  Geschlechts,  9  Pfund  schwer,  lebte 
bis    zum    vierten   Tage,    scheinbar   gesund,    als    es 
plötzlich   starb.     Die  Section   ergab   am  Pericardium 
zahlreiche  Eechymosen,  das  Herz  erschien  breit  und 
schlaff;    das  Foramen  ovale  nicht  geschlossen  und 
nur  ein  Ventrikel  vorhanden,   aus  welchem   die 
Aorta  entsprang,  welche  die  Pulmonalarlerien  abgab. 
Sa.  18/ 
Ausser    den    obengenannten    sieben    Fällen    von    Cou- 
vulsionen,   welche  tQdtlich  abliefen,   behandelten   wir   noch 
sechs,  welche  unter  dem  Gebrauche  des  Calomel  in  Verbindung 
mit  Flor.  Zinc,  Bädern  und  Kamillenklystieren  glücklich  endeten. 
Wegen  beträchtlicher  Kopfgeschwulst  und  Sopor 
des  Neugeborenen  in  den  era|pn  Lebenslagen,  welche  Hirn- 


224      VII L    Gremter,  46.  Jahresbericht  über  die  Ereignis» 

hyperämie   annehmen   Hessen,   wendeten   wir  in   drei   Fällen 

äusserlich    kalte   Fomentationen    und    innerlich   Calornei    mit 

Nutzen  an. 
i 

Cephalaematoma  massigen  Grades  wurde  zwei  Mal 
beobachtet  und  die  Zertheilung  der  Natur  überlassen. 

Furunculosis  zeigte  sich  bei  zwei  Neugeborenen,  kam 
aber  unter  dem  Gebrauche  von  Leinmehlbreiumschlägen  bald 
zur  Heilung. 

Bei  29  Kindern  kam  die  Ophthalmia  neonatorum 
vor.  In  17  dieser  Fälle  blieb  dieselbe  nur  auT  1  Auge  be- 
schränkt, während  12  Mal  beide  Augen  ergriffen  waren.  In 
zwei  Fällen  waren  die  Wucherungen  auf  der  Conjunctiva 
palpebrarum  so  bedeutend,  dass  blosse  Einträufelungen  der 
Solutio  argent.  nitric.  nicht  hinreichten,  sondern  Cauterisationen 
mit  Lapis  infernalis  in  Substanz  gemacht  werden  mussten, 
die  auch  guten  Erfolg  hatten.  Während  28  Mal  die  Heilung 
vollkommen  gelang,  blieb  in  einem  Falle  eine  Macula  corneae 
zurück.  Bei  Geschwürsbildung  auf  der  Cornea  wendeten  wir 
mehrmals  die  Tinct   thebaica   und   das  Zinc.  sulfuricum   an. 

Ein  überzähliger  Finger  an  der  rechten  Hand  neben 
dem  kleinen  Finger  wurde  durch  Abbinden  entfernt.  In 
einem  anderen  Falle  zeigte  ein  übrigens  wohlgebautes,  sehr 
kraftiges  Mädchen,  an  jeder  Hand  einen  vollständigen 
sechsten  Finger  mit  Phalangen  und  Metacarpusknochen. 
Andere  Bildungsfehler  ausser  den  oben  genannten,  welche 
den  Tod  schon  in  den  ersten  Lebenstagen  bedingten,  kamen 
keine  vor. 

Unterricht  in  der  Geburtshülfe  wurde  18  Studiren- 
den  und  52  Schülerinnen  ertheilt. 


in  dem  Entbiadungsiastitute  etc.  «u  Dresden  im  J.  1860.    225 


o 

CO 


ä 


61 

s  a 

1h 

St 

3 
o 


4 

b 


Bestand  alt.  Decbr.  1860. 


•c-l 


Sahulerinnen 


1 


Stadirende 


Besondere  Bemerkungen. 


gestorben 


0 

*  9 , 

*  ©  wegen  anderer  Verhältn 

o  t» J 

cd  wegen  Krankheit 


gestorben 


abgegeben 


gesund 


©      © 

33*3 


►  5- 


gestorben 


todtgeboren 


£J  MIdchen 


Knaben 


..    Nachgeburtsoperation. 


Kaiserschnitt 


3 

•_  S         Aceoach.  force* 

00    ,0 


0      Aceoach.  provoque* 


Perforation 


Eztract.  an  den  Füssen 


Wendung 


© 

ja 


Zangenoperation 
Unbestimmt 


Querlagen 


Fusslagen 


JSP 
£  - 


Stelsslagen 
Qesichtslagen 

Schitdellagen 


Zahl  der  Gebarten. 


Zahl  der  aufgenommenen 

Schwangeren  und  Ge 

bärenden. 


Bestand  am  31.  Dec.  1869, 


s 

o 
2 


.  z 

e    o    a  9    9    «  a> 

6*  n    «a  »ton  j« 

a   "   ö  b   a   ?  b 

a|S  =  5  3  3 

Hl  i  |  *  t 

^  »  W  aq  s  w  M 


6 Schwang,  u.  14  Wo  ebner. 


1 1"  1 1 1 1  iTTn 


I   CO  il 


MIM      I 


l-i     I    tH 


I   I 


I". 


I 


(O  »  00  t*  00  O  t*  t*  O  OD  ^i  O» 


©*  ©*     I   iOW«h     I    CO 


•  O  CO  CO  CO  ©*  ©* 


QOiociiHioaooMao^^n 

«NCO(NCOH(NWOl<NWW 


~6* 


I      Ig     I 


f    Ig     I 


MM 


riin 


M  II  M 


I  I"  I  I  l*1  \~~    ~ 


eo&tcONHiO^eiOl^eo^ 


0*  ,H  <i-l  iH  00  01      I^^H     I    HO« 


irni-  irt-  i~ 


I    HfMHH      IC*     |       |*M     I      I 


*-«  *M  tH  ©1  iH  »H 


MI    g  1  I  w  MM 


S3SS8S$33338 


ap«o-^it*aotHHtr»o^*^^ 


JSSSSSSISSSSS 


öb~- 


«0 

f 


>8 


6S6hwang.  n.  18Wöchner. 


ä  2  ..." 


Monatsachr.  f.  Gebartsk.  1889.  Bd.  XIX.,  Htt.  8. 


ao  O 
15 


.0.0 

a  s 
©  © 
►  © 

o  © 


o 

«H 

CO 


226  IX.    Notizen  aas  der  Journal -Literatur. 

IX. 
Notizen  aus  der  Journal-Literatur. 

Coekl'e:   Spontane  Beratung   einer  Eierstockskyste. 

0.  zeigte  in  der  medioinischen  Gesellschaft  zu  London  «ine 
Eierstockskyste  und  ein  Stück  Darm,  in  welchen  sich  der  Inhalt 
der  Kyste  ergossen  hatte  und  durch  den  After  abgegangen  war. 
Die  Kranke. war  60  Jahre  alt  gewesen  und  hatte  zwei  Mal  heftige 
Leibschmerzen  und  Erbrechen  gehabt,  als  sie  in's  Hospital  kam. 
Bald  nach  der  Aufnahme  schwand  der  Ascites,  wegen  welches 
sie  gekommen  war,  und  es  zeigte  sich  eine  Eierstockskyste,  die 
bis  gegen  die  Leber  reichte  und  diese  dislocirte.  Es  wurde  die 
Punktion  gemacht  und  nach  Entleerung  einer  reichlichen  klebrigen 
Flüssigkeit  die  Kranke  als  gebessert  wieder  entlassen.  Nach 
einigen  Tagen  hatte  sie  das  Gefühl,  als  ob  ihr  innerlich  etwas 
abginge  und  eine  eigenthümliche  Masse  ging  durch  den  Darm 
ab,  was  den  Durchbruch  klar  machte.  Die  Kranke  starb  bald 
und  es  zeigte  sich  die  Durchbruchsstelle  in  den  Mastdarm  hinein. 
Eigentümlich  war,  dass  die  Kranke  nur  eine  Niere  von 
91/*  Unzen  Gewicht  und  einen  Ureter  hatte. 

Haherehon  hat  mehrere  ähnliche  Fälle  beobachtet;  in  dem 
einen  communiclrte  die  einfache  Kyste  mit  dem  Coecum. 

Salter  berichtet:  Eine  alte  ledige  Dame  litt  lange  an  Eierstocks- 
Wassersucht  und  war  sehr  oft  ohne  dauernden  Erfolg  gezapft 
worden.  Eines  Tages  fühlte  sie  ein  Bersten  in  ihrem  Leibe  und 
es  stellte  sich  der  Ausfluss  aus  der  Vagina  ein,  der  längere  Zeit 
anhielt.  Die  Kyste  füllte  sich  nicht  wieder  und  die  Kranke 
starb  später  an  einer  anderen  Krankheit. 

Harding  berichtet  von  einem  Falle*  wo  der  Durchbruch  in 
die  Harnblase  und  vollkommene  Genesung  erfolgte. 

Henry  Lee  untersuchte  vor  einiger  Zeit  einen  Fall,  wo  die 
Kranke  eine  Zettlang  den  Ausfluss  aus  dem  Darme  gehabt  hatte, 
wo  beide  Ovarien  abscedirt  waren  und  der  Eiter  In  den  Darm 
durchgebrochen  war. 

Leared  beobachtete  den  spontanen  Durchbruch  nach  aussen. 
Die  Kranke  starb. 

(The  X,ancet,  26.  Oct.  1861,  p.  401.) 


IX.    Notizen  ans  der  Journal -Literatur.  '227 

Spencer  Well»:  Spontane  Berstung  einer  Eierstockskyste 
mit  ungünstigem  Aasgange. 

Eine  23jährige  Frau,  welche  an  einer  grossen  Kyste  litt, 
wnrde  pnnktirt,  blieb  die  ersten  24  Stünden  danach  wohl,  dann 
aber  begannen  die  Erscheinungen  der  Peritonitis  mit  reichlichem 
Erguss,  an  welcher  sie  am  sechsten  Tage  starb.  Am  Abende 
vor  dem  Tode  war  durch  die  Punktionsöffnung  ein  Katheter  ein- 
geführt and  drei  Pinten  einer  trüben  flockigen  Flüssigkeit  ab- 
genommen worden.  Bei  der  Section  fand  sich  eine  bedeutende 
Menge  derselben  Flüssigkeit  in  der  Bauchhöhle,  die  zusammen- 
gesetzte Kyste  umgebend.  Eine  grosse  Kyste  auf  der  unteren 
hinteren  Fläche  war  in  die  Bauchhöhle  hinein  geborsten  und  ihr 
dickerer  gelatinöser  Inhalt,  sowie  Blut  füllten  das  Becken. 

(Patholog.  Gesellschaft  an  London,   19.  Mars  1861,  Med. 

Times  and  Qasette,  30.  Mars  1861.) 


8peneer  Welle:  Zwei  Fälle  von  Ovariotomie. 

Der  erste  Fall  betraf  eine  27jährige  ledige  Person,  die  nie 
gezapft  worden  war.  Die  Kyste  war  einfach,  doch  eine  kleine 
Gruppe  von  secandären  Kysten  sprach  gegen  Jodinjectionen. 
Der  Inhalt  betrag  44  Pinten,  die  Operirte  ist  ganz  wohl. 

Im  zweiten  Falle  war  die  Kyste  zusammengesetzt,  die  grösste 
enthielt  20  Pinten.  Die  Kranke  war  ledig,  35  Jahre  alt  and 
zwei  Mal  pnnktirt.    Sie  genas  schnell. 

(Geburtsh.  Gesellsch.  in  London,  2.  Oct.  1861,  in  The  Lancet, 
19.  Öct.  1861.) 


B.  Brown:   Ovariotomie. 

B.  operirte  vor  einigen  Wochen  ein  21  jähriges  Mädchen,  die 
vorher  pnnktirt  worden  war.  Der  Inhalt  betrag  17  Pinten.  Die 
Kranke  genas. 

(Patholog.  Gesellsch.  in  London,  16.  Oct.  1861,  in  The  Lancet, 
19.  Oct.  1861.) 


Spencer  Welle:    Fall   von    Ovariotomie    mit   glücklichem 
Ausgange. 

Eine  ledige  22jährige  Dame  in  Liverpool  litt  seit  Jahren 
an  Ovarienkysten,  war  vor  14  Monaten  pnnktirt  worden  mit 
nachfolgender  Jodinjection.  Es  wuchs  eine  andere  Kyste  hervor 
and  nun  wurde  die  Ovariotomie  beschlossen.  Es  fand  sich  nur 
eine  leichte   Adhäsion   mit  dem  Netze,   die   leicht  gelöst  wurde 

16* 


228  H.«    Notizen  ans  der  Journal -Literatur. 

und  dio  ganze  Operation  ging  gut  von  Statten  und  die  Kranke 
genas.  Die  Geschwulst  wog  mit  Inhalt  16  Pfand.  Interessant 
war  der  Befund  der  zusammengeschrumpften,  früher  mit  Jod 
injicirten  Kyste.  Dieselbe  hing  wie  eine  fibröse  Masse'  der  Kyste 
an  und  erschien  verdickt  und  geschrumpft.  —  Wells  fügt  hinzu, 
dass  er' in  einer  Woche  drei  Ovarienkysten  im  Samariter  Spital 
zur  Behandlung  bekommen  habe.  Bei  der  einen  machte  er  die 
Ovariotomie  und  sie  genas,  bei  der  zweiten  injicirte  er  Jod  und 
sie  genas  auch,  bei  der  dritten  punktirte  er  einfach  und  hier 
trat  Peritonitis  an  der  entleerten  Kyste  auf  und  die  Kranke 
starb  an  Erschöpfung.  Im  Ganzen  hat  WelU  bisher  22  Ovario- 
tomien  gemacht  und  16  Genesungen  bewirkt.  Nur  ein  Mal  war 
keine  Punktion  vorausgegangen. 

Oibb  legt  ein  PrHparat  vor,  welches  B.  Brown  ezstirpirt 
hatte,  bestehend  in  einer  mehrfachen  Eierstockskyste  der  rechten 
Seite  und  einem  Fibroid  des  linken  Eierstockes.  Die  Kranke 
war  unverheiratet,  48  Jahre  alt  und  litt  erst  seit  einem  Jahre 
an  den  Geschwülsten.  Die  Exstirpation  ging  glücklich  von 
Statten,  die  Wunde  wurde  mit  Silberdrähten  geschlossen  und 
erfolgte  vollständige  Genesung.  Es  war  dies  die  neunte  Ovario- 
tomie  im  Surgical  home  of  Women  und  der  sechste  gunstige 
Ausgang. 

(Pathol.  Gesellsch.  in  London,  19.  März  1861;  Med.  Times 
and  Gazette,  30.  März  1861.) 


e  Scantoni:   Ueber  C opcygo dynie. 

Schon  vor  längerer  Zeit  wurde  die  Aufmerksamkeit  des 
Verf.  auf  einen  eigenthümlichen ,  zuweilen  sehr  heftigen  Schmerz 
gelenkt,  welcher  theila  für  sich  allein,  theils  in  Begleitung 
anderer  Erkrankungen  benachbarter  Organe  in  der  Gegend  dea 
Steissbeines  auftritt  und  ein  Symptom  darstellt,  welches  bis  jetzt 
nur  noch  sehr  wenig  beachtet ,  doch  seiner  Heftigkeit  wegen  die 
'Aufmerksamkeit  der  Gynäkologen  verdient.  Simpson  hat  bis 
jetzt  diese  Affection  genauer  gewürdigt  und  zwar  nur  bei  Frauen 
beobachtet,  die  eine  Erkältung  oder  traumatische  Einwirkung 
als  Ursache  dieses,  in  der  Steissbeingegend  auftretenden  Schmerzes 
angaben.  Das  Niedersetzen,  Sitzen,  Aufstehen,  bisweilen  auch 
das  Gehen  ist  den  Patienten  sehr  beschwerlich,  während  bei 
Anderen  besonders  die  Stuhlentleerung  es  ist,  welche  heftige 
Schmerzen  verursacht.  Selbige  werden  durch  Druck  auf  die 
Steissbeingegend  gesteigert,  ebenso  durch  Versuche,  den  Knochen 
vor-  und  rückwärts"  zu  bewegen.  Das  Uebel  dauert  oft  Jahre 
lang  und  zeigt  gewöhnlich  bei  einer  und  derselben  Kranken  eine 
merkliche  Zu-  und  Abnahme.    Simpson  wandte  dagegen  die  ver- 


IX.    Notizen  aus  3er  Journal -Literatur.  229 

schiedensten  Mittel  frachtlos  an.  Einige  Male  haben  örtliche 
Blutentziehungen  und  Blasenpflaster  gute  Dienste  geleistet;  die 
subcutanen  Einspritzungen  einer  Morphiumlösung  wirkten  höchstens 
palliativ.  In  solchen  hartnackigen  Fällen  fährte  Simpson  mit 
einigem  Erfolg  die  subcutane  Tenotomie  aller  sich  am  Steissbein 
anheftenden  Sehnen  aus  nnd  räth,  sollte  auch  dieses  nicht  zum 
Ziele  führen,  das  Steissbein  vollständig  oder  theilweise  ab- 
zutragen. 

Scantoni  beobachtete  während  der  letzten  vier  Jahre  24  hierher- 
gehörige  Fälle,  nnd  zwar  nur  bei  Frauen,  welche  geboren  hatten. 
Neun  Frauen  gaben  mit  Bestimmtheit  an,  dass  der  Schmerz  in 
einem  Wochenbette  zum  ersten  Male  aufgetreten  sei,  und  unter 
diesen  9  Frauen  befanden  sich  6,  die  nur  1  Mal  geboren  hatten; 
in  6  Fällen  trat  dieses  Leiden  unmittelbar  nach  einer  Zangen- 
operation auf.  Es  dürfte  demnach  anzunehmen  sein,  dass  der 
Qeburtsact  eine  wesentliche, r  wenn  auch  nicht  die  Hauptrolle  in 
der  Aetiologie  dieses  Leidens  spiele,  was  dadurch  um  so  wahr- 
scheinlicher wird,  als  Läsionen  des  Steissbeins  und  seiner  Bänder 
beim  Durchtritte  des  Eindeskopfes  durch  den  Beckenausgang 
unvermeidlich  sind.  Dass  dieses  wirklich  häufig  geschehen  mag, 
dafür  sprechen  die  Untersuchungen  JUischka'B  und  HyrtVa,  welche 
beweisen,  dass  Ankylose  der  Steissbeinwirbel,  namentlich  zwischen 
drittem  und  viertem  Wirkel,  sehr  häufig  vorkommen. 

Ferner  bemerkt  Verf.,  dass  auch  der  Einfluss  des  häufigen 
und  lange  fortgesetzten  Reitens  bei  der  Entstehung  des  frag- 
lichen Uebels  Berücksichtigung  verdiene,  nnd  er  nennt  zwei 
Patienten,  welche  die  Gewohnheit  des  Reitens  als  Ursache  ihres 
Leidens  angeben. 

Von  den  24  vom  Verf.  beobachteten  Fällen  endeten  nur  10 
mit  vollkommener  Heilung,  in  9  wurde  eine  merkliche  Besserung 
erzielt  und  in  den  übrigen  blieb  der  weitere  Verlauf  unbekannt. 
Die  Hartnäckigkeit  des  Uebels  beruht  theils  auf  dem  eigenthü ra- 
uchen Verhältnisse  des  Steissbeines  zu  den  Nachbartheilen, 
theils  auf  den  das  Leiden  so  häufig  begleitenden  Erkrankungen 
dieser  letzteren  selbst.  Jede  Bewegung  einer  unteren  Extremität, 
jedes  etwas  raschere  Niedersetzen  Und  Aufstehen,  jede  Ent- 
leerung etwas  härterer  Fäces  ruft  eine  Locomotion  des  Knochens 
oder  seiner  Verbindung  hervor,  die  nothwendig  der  Beseitigung 
der  daselbst  vorhandenen  anatomischen  Veränderung  hindernd 
entgegentritt.  Andererseits  sieht  man,  dass  das  Leiden  schwindet 
und  sich  doch  verringert,  sobald  es  gelingt,  das  den  Steissbein- 
schmerz  begleitende  Leiden  der  Oeschlechtstheile  zu  heben  oder 
doch  zu  verringern.  Bezüglich  der  Symptome  der  Coccygodynic 
fand  Verf.  die  schmerzende  Stelle  in  den  meisten  Fällen  ziemlich 
unscheinbar  wkI  beschränkt  auf  die  Steissbeingegend  und  dem 
untersten  Umfange  des  Kreuzbeines,  von  wo  sich  der  Schmerz 


230  IX«  Notixen  aus  der  Journal  -Literatur. 

zuweilen  den  am  meisten  nach  Innen  gelegenen  Theilen  einer 
oder  beider  GefässhKlften  mittheilt.  Beinahe  oonstant  zeigte 
sich  die  Steissbeingegend  gegen  Druck  empfindlich,  namentlich 
bei  Berührung  der  hinteren  Fläche;  am  heftigsten  wurde  er 
jedoch  gesteigert  bei  jedem  Versuche,  das  Steissbein  mittels 
eines  stärkeren  Druckes  aus  seiner  Lage  au  verrücken.  Die 
Prognose  ist  im  Gänsen  ungünstig,  namentlich  in  denjenigen 
Fällen,  wo  die  Anamnese  eine  bedeutendere  traumatisehe  Ver- 
letzung des  Steissbeines  und  seiner  Umgebung,  wie  sie  bei 
schweren  Gebarten  so  leicht  erfolgt,  vermuthen  lässt,  insbesondere 
dann,  wenn  sich  Dislocationen,  Anschwellungen  oder  sonstige 
Veränderungen  der  Steinb einstücke  mit  Sicherheit  ermitteln 
lassen.  Hier  ist  die  Dauer  des  Schmerses  in  der  Regel  eine 
jahrelange  und  das  Leiden  schwindet  gewöhnlich  erst  dann, 
wenn  die  Erregbarkeit  der  Nerv,  coceygei  durch  den  anhaltenden 
Druck  bedeutend  gemindert  worden  ist. 

Was  die  Behandlang  anlangt,  so  hat  sioh  Verf.  überzeugt, 
dass  alle  direct  gegen  die  Coccygodynie  gerichteten  Mittel  er- 
folglos bleiben,  so  lange  sich  eines  der  Nachbarorgane  in  einem 
Zustande  befindet,  der  entweder  mechanisch  die  Umgebung  be- 
helliget oder  durch  Unterhaltung  chronischer  Stasen  die  Erregbar- 
keit der  Nerv,  coecygei  steigert.  Neben  der  Behandlung  der 
Nachbarorgane  kann  aber  auch  ein  unmittelbar  gegen  die 
Coccygodynie  gerichtetes  Verfahren  Plats  greifen.  In  frischen 
Fällen  räthVerf.  neben  grosser  Buhe,  aar  örtlichen  Antiphlogose ; 
ausserdem  verhüte  man  die  Anhäufung  festerer  Kothmassen  durch 
milde  Abführmittel  oder  tägliche  Klystiere.  Fehlen  jedoch 
hyperämische  Erscheinungen,  so  ist  ein  antineuralgisches  Ver- 
fahren einzuschlagen,  namentlich  subcutane  Injectionen  einer 
Morphiumlösung. 

(Würzburg,  medicin.  Zeitschrift,  Bd.  2,  Hft   4,  1861.) 


Simpion:  Fall  von  Coccygectomie  bei  Coccygodynie. 

Die  Kranke  litt  in  Folge  einer  Erkältung  seit  Monaten  an 
Coccygodynie  in  sehr  heftiger  Weise  und  ununterbrochen.  Am 
erträglichsten  waren  die  Schmerzen  beim  Stehen  and  Gehen, 
dagegen  konnte  sie  sich  nicht  bequem  auf  einen  Stuhl  setzen, 
sondern  immer  nur  auf  einer  Hinterbacke,  auch  war  das  Liegen 
auf  dem  Bücken  im  Bette  unmöglich.  Nach  vergeblicher  An- 
wendung Verschiedener  Mittel  wurde  sie  auf  14  Tage  durch 
Isolirung  des  Steissbeines  von  den  umgebenden  Theilen  mittels 
der  Operation  befreit.  Da  die  Schmerzen  jedoch  wiederkehrten, 
kam  sie  ins  Hospital  und  hier  wurde  der  Steißsknochen  mit 
bestem  Erfolge  exstirpirt,  so  dass  die  Kranke  nicht  nur  völlig 


IX.    Notizen  an«  der  Journal -Literatur.  231 

von  ihren  Schmerzen  genas,    sondern   auch  nicht  die  geringste 
Störung  durch  die  Entfernung  des  Knochens  zurückbehielt. 

In  den  meisten  von  S.  beobachteten  Fallen  reichte  die  Ab- 
trennung des  Steissb eines  von  seinen  Muskeln  und  Sehnen  zur 
Heilung  vollständig  aus.  Die  Schmerzen  liegen  aber  in,  ver- 
schiedenen Muskel  parthien  und  deshalb  ist  zuweilen  eine  Wieder- 
holung der 'Trennung  nöthig,  wenn  beim  ersten  Mal  wohl  nioht. 
alle  Fasern  durchschnitten  worden  waren. 

(VerhandL    der   Edinburger    geburtsh.    Gesellschaft    vom 
28.  Mars  1860;  Edinburgh  med.  Journ.,  July  1861,  p.  87.) 


Baker  Brown:   Ueber   die-  chirurgische  Behandlung   der 
Uterusfibroide. 

Erster  Fall.  Intrauteriner  fibröser  Tumor,  seit 
sieben  Jahren  bestehend.  Operation.  Heilung.  —  Die 
35jährige  Kranke  wurde  am  14.  April  1859  in's  London  Surgical- 
Home  in  einem  Zustande  höchster  Anämie  und  Frostration  auf- 
genommen. Gleichzeitig  bestandene  Schmerzen  im  Epigastriuni 
,  und  acht  Tage  anhaltende  Blutungen  aus  den  Genitalien,  die 
alle  14  Tage  wiederkehrten.  Die  Untersuchung  constatirte  einen 
faustgrossen  fibrösen  Tumor  im  Uterus.  Nachdem  sich  Pat.  erholt' 
hatte,  incidirte  Verf.  am  25.  Mai  die  Muttermundsränder,  worauf 
die  Blutungen  etwas  nachliessen.  Nachdem  sieh  Pat.  drei  Monate 
auf  dem  Lande  aufgehalten  hatte,  schnitt  Verf.  am  27.  October 
ein  Stück  von  dem  Tumor  ab,  wodurch  dessen  Wachsthura  ver- 
zögert wurde.  Bei  jeder  Menstruation  hatte  nun  Pat.  mehr. 
Schmerzen,  was  Verf.  aus  der  zunehmenden  Blutfülle  des  Uterus 
zu  dieser  Zeit  erklärte.  Die  Schmerzen  mit  gleichzeitiger  Aus- 
stos8ung  der  Geschwulst  wichen  im  Februar  1860  und  am  21. 
war  Pat.  geheilt. 

Zweiter  Fall.  Intrauterines  Fibro-Cystoid;  Operation; 
Besserung.  —  Pat.,  30  Jahre  alt,  hat  drei  Mal  geboren  und 
leidet  seit  ihrer  ersten  Niederkunft  an  starkem  Scheidenfiuss  und 
Blutungen.  Zwei  Jahre  nach  ihrer  letzten  Entbindung  fühlte  sie 
eine  Geschwulst  im  Leibe ,  die  sich  allmälig  vergrösserte.  Nach- 
dem die  sehr  heruntergekommene  Pat.  dnrch  tonische  Mittel  und 
kraftige  Diät  etwas  gestärkt  worden  war,  zerschnitt  Verf.  am 
6.  Juli  1861  die  Muttermundsrander  und  am  folgenden  Tage  mit 
einer  spitzen  Scheere  die  Geschwulst  selbst,  was  einen  Stillstand 
in  dem  Wachsthnme  derselben,  bei  gleichzeitiger  Ausstossung 
einzelner  Stücken,  zur  Folge  hatte.  Pat.  bekam  Symptome  von 
Pyämie,  erholte  sich  jedoch.  Fünf  Monate  spater  traten  von 
Neuem  Hämorrhagien  auf. 


282  **•    Notiien  ans  der  Journal -Literatur. 

Dritter  Fall.  —  Pat.,  seit  12  Jahren  krank,  46  Jahre  alt, 
zeigt  bei  der  Untersuchung  ein  apfelgrosses  Fibroid.  Das  Hymen 
ist  unverletzt,  der  Mutterhals  normal.  Am  19.  November  wurde 
nach  Trennung  des  Muttermundes  und  Mutterhalses,  ein  Stück 
ausgeschnitten  und  sein  Gewebe  lerstört.  Blutung  gering.  An 
den  folgenden  Tagen  trat  Pyämie  ein,  welche  am  sehnten  Tage 
nach  der  Operation  den  Tod  der  Patientin  herbeiführte.  Die 
Section  zeigte  eine  diffuse  eiterige  Infiltration.  Verf.  glaubt  den 
ungünstigen  Verlauf  auf  die  gleichseitig  ausgeführte  Incision  und 
Zerstückelung  des  Tumor  bringen  zu  müssen,  und  führt  seitdem 
die  Operation  in  zwei  Sitzungen  aus.  Die  Resultate  waren  auch 
im  vierten  und  fünften  Falle  günstig  und  führte  die  Operation 
durch  allmäligen  Schwund  der  Geschwulst  zur  Heilung. 

Sechster  Fall.  Drei  Fibroide.  Operation.  Heilung.  — 
Die  Pat.,  87  Jahre  alt,  war  schon  vor  sieben  Jahren  vom  Verf. 
wegen  eines  fibrösen  Polypen  operirt  worden.  Seit  zwei  Jahren  - 
stellten  sich  Schmerzen  und  Hämorrhagien  ein  und  wurde  die 
Diagnose  auf  drei  in  der  Nähe  des  inneren  Muttermundes  sitzende 
Fibroide  gestellt.  Am  16.  Januar  schnitt  Verf.  auf  jeden  Tumor 
ein,  wonach  sich  ein  schleimig -eiteriger  Ausfluss  einstellt.  Am 
16.  Februar  war  nur  noch  ein  Tumor  zu  fühlen,  der  jedoch  nur 
die  Hälfte  seiner  früheren  Grösse  besass.  Die  Hämorrhagien 
verschwanden. 

Verf.  führte  die  Operation  mit  den  von  Harper  angegebenen 
Instrumenten  aus  und  schliesst  mit  den  Bemerkungen: 

1)  Die  TJterusfibroide  können  durch  theilweise  Incision  be- 
seitigt werden. 

2)  Die  Operation  kann  zur  Heilung  führen.  Von  mehr  als 
ein  Dutzend  Operirten  starb  nur  eine.  , 

3)  Die  vorläufige  Trennung  der  Muttermundslippen  und  des 
Uterushalses  bewirkt  sehr  häufig  einen  Stillstand  oder  doch 
Nachlass  der  Hämorrhagien. 

(The  Lancet,  Bd.  I.,  No.  XI.,  1861.) 


O.  Braun:  Ueber  das  technische  Verfahren  bei  ver- 
nachlässigten Querlagen  und  über  Decapitations- 
instrumente. 

Verf.  schildert  die  Schwierigkeiten  und  Gefahren  einer 
forcirten  Wendung  nach  Abfluos  des  Fruchtwassers  und  bei  fester 
Contraction  des  Uterus  und  findet  es  durchaus  gerechtfertigt,  in 
jenen  Fällen  von  vernachlässigten  Querlagen,  wo  die  Früchte 
bereits  abgestorben  sind  und  die  Wendung  ohne  Lebensgefahr 
für  die  Mutter  absolut  nicht  mehr  ausführbar  ist,  durch  Ver- 
kleinerung der  Frucht  die  Entfernung  derselben  aus  der  Gebär- 
mutterhöhle zu  bewerkstelligen. 


IX.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  23$ 

Zur  Verkleinerung  des  kindlichen  Rumpfes  bei  Querlagen 
benutete  man  seit  alter  Zeit  drei  Methoden,  welche  a)  theils  in 
der  Eröffnung  der  Brust-  und  Bauchhöhle  mit  nachfolgender 
Entfernung  des  Inhaltes;  b)  theils  in  der  Ampntation  oder 
Enucleation  des  vorliegenden  Armes;  c)  theils  in  der  Absetzung 
der  Wirbelsäule  in  der  Halsgegend  mit  gleichseitiger  Durch- 
trennung der  in  der  Umgebung  befindlichen  Weichtheile  be- 
standen. ' 

Die  erste  Methode  ist  nur  dann  zu  machen,  wenn  die 
Wendung  unmöglich  ist  und  die  Decapitation  wegen  au  grosser 
Entfernung  des  Halses  vom  Becken  ans  nioht  ausführbar  ist. 

Die  Abtrennung  der  Arme  wird  von  den  meisten  neueren 
Geburtshelfern  mit  Recht  als  überflüssig  verworfen. 

Die  dritte  Methode,  die  Decapitation  wird  stets  nur  in  jenen 
Fällen  von  vernachlässigten  Bchulterlagen  ausgeführt,  wo  der 
Arm  tief  in  den  Beckencanal  herabgepresst  wurde,  die  Wendung 
selbst  unter  der  Chloroformnarkose  unmöglich,  der  kindliche 
Hals  erreichbar,  das  Kind  todt  und  reif  ist. 

Die  Technik  ist  eine  vielfache,  Dubois  machte  die  Decapitation 
mit  der  stumpfen  Smettie*  sehen  Incisionssefaeere,  J.  Klein  benutste 
den  ßmellie' sehen  halbstumpfen  Haken,  mit  welchem  er  den  Hals 
berabeog  und  die  Durchtrennung  der  Halswirbelsäule  mit  einer 
stumpfen  geraden  Scheere  vollsog.  Bamtbothatn,  Cazeaux,  Scantoni 
n.  A.  benutzten  einen  in  der  Krümmung  scharf  schneidenden  Haken 
von  Levret- Davis;  Kilian  brachte  in  dem  stumpfen  Haken  eine 
Kettensäge  an;  bei  Baudelocque's  8omatome  wird  durch  eine 
complicirte  Vorrichtung  eine  convexe  Messerklinge  in  die  Con- 
oavität  des  stumpfen  Hakens  vorgeschoben;  ähnlich  ist  der 
Apparat  von  Concato;  Heyerdahl  und  Kierulf  empfahlen,  den  Hals 
mit  einer  starken  Schnur  aus  Hanf  oder  Beide  durchzuschneiden; 
Faye  schlug  eine  Kettensäge  vor,  welche  an  der  gewöhnlichen 
Geburtszange  angebracht  ist,  ähnlich  wie  Van  IfaeWsForceps-scie; 
C,  Braun  einen  geknöpften  Sobiösselhaken,  Scantoni  den  Auchenister, 
bei  welohem  ein  Messer  in  die  Concavität  eines  stumpfen  Hakens 
eingetrieben  wird. 

Da  das  letzte  Instrument  bisher  nur  an  Kindesleichen  versucht 
worden  ist,  so  hat  Verf.  zunächst  die  Versuche  fortgesetzt  und 
theift  deren  zehn  mit,  bei  denen  sich  das  Instrument  in  mehr- 
facher Hinsicht  unzureichend  zeigte.  Aehnliohe  Versuche  wurden 
auch  von  den  Assistenzärzten  Madurowicz  und  Biedl  mit  dem- 
selben Erfolge  ausgeführt.  —  Verf.  hält  demnach  den  Auchenister 
für  nicht  verlässlich,  da  einer  mangelhaften  technischen  Con- 
struetion  zufolge,  Messerhülse  und  Messerklinge  nioht  jedes  Mal 
rechtzeitig  beim  Vor-  und  Rückwärtsbewegen  sich  vor  und  zurück- 
begeben; er  ist  ebenso  wenig  tauglich  wie  der  Somatome  von 
Bamdelocque  und  der  Decapitator  von  Conoato,  weil  er  auf  dem 


234  HL»    Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

falschen  Principe  beruht,  durch  Druck  zu  wirken,  schneidende 
Instramente  müssen  aber  stets  anch  durch  Zug  wirken.  Ans 
demselben  Grunde  ist  auch  der  perforatorische  Kephalotribe  von 
Cohen  unzweckmässig.  Der  Auchenister  ist  ferner  leicht  aer- 
brechlioh  und  für  den  Arzt  gefährlich. 

Dagegen  berichtet  Verf.  18  Geburtsialle,  in  welchen  der 
Braun' ache  Schlüaselhaken  von  verschiedenen  Geburtshelfern 
(C.  Braun,  Spaeth,  Ghiari,  Bartsch,  Q.  Braun,  Habit,  Klein,  Streng, 
Thoma$,  Lemke)  mit  Erfolg  angewendet  wurde  und  sieht  aus 
diesen  Beobachtungen  folgende  Schlüsse :  1)  Der  Schlüaselhaken 
als  stumpfes  Werkzeug  bringt  bei  einiger  Vorsicht  weder  für  die 
Mutter,  noch  für  den  Operateur  Gefahr;  2)  er  ist  ein  einfaches, 
wohlfeiles  Instrument,  nicht  leicht  Reparaturen  ausgesetzt;  3)  er  ist 
vollkommen  tauglich ,  die  Halswirbelsäule  und  umgebenden  Weich- 
theile  abzusetzen;  4)  es  ist  nicht  immer  noth wendig ,  sammtliehe 
Weich theile  des  Halses  zu  trennen,  da  sie  wegen  ihrer  Elasticität 
das  Herabsiehen  des  Rumpfes  gestatten;  6)  die  Decapitation  mit 
dem  Schlüsselhaken  ist  jedenfalls  einer  forcirten  Wendung,  selbst 
nach  vorausgeschickter  Exenterise  vorzuziehen;  6)  durch  den 
Sohlüsselhaken  sind  alle  schneidenden,  bei  ihrer  Anwendung 
entweder  unsicher  wirkenden  oder  selbst  verletzenden  Instrumente 
vollkommen  überflüssig  gemacht. 

Nachträglich  berichtet  Verf.  noch  eine  günstige  Beobachtung, 
welche  Boa&i  in  Graz-  mit  dem  Schlnsselhaken  machte. 

(Wiener  medic.  Wochenschrift,  No.  45  —  60,  1861.) 


Scanzoni:    Ein    Fall    von   Anwendung    des   Auchenisters 
am  Kreissbette. 

Verf.  veröffentlicht  eine  briefliche  Mittheilung  des  Prof.  Walter 
in  Dorpat  über  einen  Geburtsfall,  in  welchem  letzterer  mit  Erfolg 
den  Auchenister  angewendet  hat.  Walter  bemerkt  hierbei,  dass 
dies  in  einer  42jährigen  Praxis  der  zweite  Fall  gewesen  sei, 
wo  ihm  die  Decapitation  nothwendig  erschien.  Scanzoni  hat  bis 
jetzt  noch  nicht  Gelegenheit- gehabt,  den  Auchenister  ansuwenden. 
(Wiener  medic.  Wochenschrift,  No.  50,  1861.) 


Mathieu:    Embryotome    cache*    mit    beweglichen    Stäben 
und  Kettensäge. 

-,  Nach  der  Angabe  Jacquetnier'8  hat  der  Instrumentenmacher  M. 
ein  neues  Instrument  construirt  zur  Durchschneidung  des  Halses 
oder  Rumpfes  des  Fötus  innerhalb  der  Gebärmutter.  Es  besteht 
1)  aus   einem  stumpfen  Haken,   der  auf  der  concaven  Seite  in 


IX.   Notizen  *iis  der  Journal- Literatur.  285 

der  ganzen  Länge  durch  einen  Fais  gehöhlt  ist;  2)  aas  einem 
Stiele,  der  mittels  einer  Schraube  an  einem  Griffe  befestigt  ist, 
frei  in  dem  Falze  fortgleiten  kann  und  in  einer  Reihe  gegliederter 
runder  schneidender  Plättchen  endigt,  deren  convexe  Ränder  über 
den  Rand  des  Falzes  hervortreten;  3)  aus  einem  zweiten  Stiele, 
welcher  an  Stelle  des  ersten  eingeschoben  werden  kann,  ohne 
den  angelegten  stumpfen  Haken  Tom  Fötus  abzunehmen,  welcher 
aber  statt  der  runden  Plftttchen  an  seinem  Ende  eine  Kettens&ge 
hat,  deren  Glieder  mit  dem  Sägenrande  gleichfalls  über  den 
Rand  des  Falzes  innerhalb  der  Concavität  des  Hakens  hervor-1 
treten;  4)  aus  einer  beweglichen  Scheide,  welche  man  bis  zur 
Krümmung  des  Hakens  vorschieben  kann  und  welche  die  mütter- 
lichen Theile  gegen  Verletzungen  durch  die  Plättchen  und  die 
Kettensäge  schützt. 

Man  kann  nach  Belieben  den  Haken  allein  oder  mit  den 
Plättchen  oder  der  Säge  gebrauchen.  Das  Instrument  lässt  sich 
leicht  auseinandernehmen  und  reinigen. 

Es  wird  zuerst  der  Haken  allein  angelegt,  dann  die  schützende 
Scheide  vorgeschoben  und  nun  der  Stiel  mit  der  8äge  oder  den 
Plättchen  eingebracht,  während  die  linke  Hand  den  Haken  an 
seinem  Stiele  festhält,  bewegt  die  rechte  Hand  den  Stiel  auf 
und  nieder.  Nach  zahlreichen  Versuchen  an  Kinderleichen  ergab 
sich,  dass  die  schneidenden  Plättchen  leicht  und  schnell  die 
Weichtheile  trennen , .  während  die  Säge  langsam  die  Knochen 
theilt.  Dieser  letzte  Theil  der  Operation  muss  besonders  ein- 
geübt werden.  4MEan  darf  mit  dem  Haken  nicht  zu  stark  anziehen, 
während  man  sägt,  weil  sonst  die  Säge  schwer  zu  bewegen  ist. 
Eine  Abbildung  ist  beigefügt. 

(Gas.  des  höp.,  139,  1861.) 


OUvier:   Einige  Betrachtungen  über  'Eierstockskysten. 

Verf.  theilt  die  Eierstockskysten  in  fünf  Classen  ein: 

1)  Harte   oder   vielfächerige  Kysten,   anheilbar. 

2)  Eiterkysten  oder  Kysten  maligner  Beschaffenheit 
Hierher   gehört   folgender  Fall:    Pat.  hatte   in  Pausen   von 

einem  Monate  sechs  Punktionen,  welche  20 — 25  Litres  Jnhalt 
lieferten,  durchgemacht.  Verf.  machte  nun  eine  Einspritzung 
von  einem  Gemenge,  bestehend  aus  Jodtinotur  und  Jodkalium, 
und  liess  die  Canüle  während  vier  Tage  liegen.  Da  sich  alsbald 
die  Symptome  einer  Jodvergiftnng  zeigten,  wurde  eine  Injection 
jron  60  Grmm.  Eisenchlorid  auf  600  Grmm.  Wasser  gemacht. 
Vierzehn  Tage  später  mnsste  wieder  zur  Punktion  geschritten 
werden,    und   dies   Mal    entleerten    sich    circa    20   Litres    einer 


236  1X-    Notizen  **»  der  Journal -Literatur. 

eiterigen  fdtid  riechenden  Flüssigkeit.  Acht  Tage  später  12  Litree 
schwärzlicher  Eiter  mit  viel  Schwefel  wasserstoffgas.  Injection 
Ton  2  Gjrmm.  Argent.  nitr.  auf  250  Grmm.  Wasser.     Tod. 

3)  Kysten  entzündlicher  Natur. 

Der  Inhalt  dieser  Kysten  ist  chocolatfarbig  nnd  stark  eiweiss- 
haltig.  Sobald  der  Operateur  eine  Jodinjection  versucht,  empfindet 
die  Kranke  einen  heftigen  Schmers  in  der  Regio  pubica.  Ob 
diese  Art  Kysten  heilbar  sind,  weiss  Verf.  nicht  anzugeben. 

4)  Oomplicirte  Kysten. 

Verf.  versteht  hierunter  solche  Kysten,  die  von  einer  Läsion 
des  Uterus  oder  seiner  Anhänge  begleitet  sind. 

Verf.  behandelt  hier  zuerst  die  Gebärmutterkrankheit,  welche 
er  in  ursächlichen  Zusammenhang  bringt.  In  dem  hierhergehörigen 
Falle  ging  'die  Application  von  10  Blutegeln  an  die  geschwollene 
Gebärmutter  der  Punktion  der  Kyste  voraus,  welche  12  Litres 
einer  kaffeebraunen,  wenig  eiweisshaltigen  Flüssigkeit  lieferte. 
Ein  Jahr  hindurch  blieb  die  Kyste  leer,  füllte  sich  dann  von 
Neuem  plötzlich ,  entleerte  sich  jedoch  zur  Zeit  der  Menstruation 
durch  die  natürlichen  Wege  vollständig.  Sechs  Monate  später 
musste  die  Kyste  von  Neuem  punktirt  werden  und  es  entleerte 
sich  eine  schwarze  eiweisshaltige  Flüssigkeit;  eine  ausgeführte 
Injection  von  der  Dauer  von  einigen  Minuten  war  ausserordent- 
lich schmerzhaft.     Heilung  seit  zwei  Jahren. 

5)  Einfache  Kysten. 

Ihr  Inhalt  ist  gewöhnlieh  durchsichtig,  ungefärbt  und  wenig 
eiweisshaltig;  die  Einspritzungen  sind  vollkommen  schmerzlos 
und  von  Erfolg  begleitet. 

Ueberblicken  wir  das  Gesagte  noch  einmal,  so  sehen  wir, 
dass  die  Kysten  der  zweiten  Gattung  als  Zeichen  ihrer  Unheilbar- 
keit  die  schnelle  Wiederansammlung  des  Inhaltes  und  Aenderung 
seiner  Beschaffenheit  darbieten. 

Die  dritte  Kategorie  zeichnet  sich  durch  die  besondere  Natur 
ihres  Inhaltes  aus,  und  es  fragt  sich,  wodurch  die  grosse 
Empfindlichkeit  derselben  gegen  Jodeinspritzungen  bedingt  wird, 
eine  Empfindlichkeit,  welche  selbst  die  des  Peritonium  übertrifft. 
Es  muss  deshalb  bedacht  werden,  ob  die  Jodinjection en  nicht 
durch  Höllensteinlttsung  oder  Eisenchloridlösung,  welche  keine 
Symptome  von  Intozication  hervorrufen,  ersetzt  werden  können. 
Die  günstigen  Erfolge  des  Verf.  lassen  diese  Frage  bejahen: 
(Gaz.  des  hdp.,  1861,  No.  98.) 


IX.   Notizen  ans  der  Journal -Literatur.  .  237 

Stadihagen:  Ueber  einen  hochgradigen  Defect  sämmt- 
licher  vier  Extremitäten  eines  lebenden  Neu- 
geborenen. 

Eine  24jährige  Frau,  welche  schon  ein  gut  gebildetes  Kind 
ron  demselben  Manne  geboren  hatte,  gebar  diesmal  leicht  ein 
ausgebildetes  Kind,  welchem  bei  sonst  guter  und  kräftiger  Ent- 
wicklung des  Kopfes  und  Rumpfes ,  sämmtüche  vier  Extremitäten 
defect  gebildet  waren,  die  oberen  Extremitäten  in  minder  hohem 
Grade  als  die  unteren.  Von  jenen  war  beiderseits  noch  ein 
Stumpf  übrig  geblieben,  rechterseits  mit  einem  1"  langen  Narben- 
streifen, einer  zweiten  tief  eingesenkten  Narbe  von  %"  Länge, 
einem  Grübchen  und  einem  angehängten  wärzcftenähnliohen  Ge- 
bilde; linkerseits  endete  der  Stumpf  wie  bei  einer  im  Ellenbogen- 
gelenke stattgefundenen  Exarticulation  und  auch  an  ihm  drei 
Narben,  eine  Vertiefung  und  zwei  waizenkorngrosse  Hautpapillen. 
An  Stelle  der  Unterextremitäten  sitzt  beiderseits  ein  grosser 
halbkugeliger  Wulst,  einer  Mamma  sehr  ähnlich,  indem  auch  ein 
brustwarzenähnliches  Gebilde  von  einer  trichterförmigen  Ver- 
tiefung eng  umschlossen  auf  der  Höhe  der  Wulste  sitzt.  Das 
Kind  zeigt  grosse  Beweglichkeit  in  dem  Rumpfe  und  den  Resten 
der  Gliedmaassen.  Der  Nabelstrang  zeigte  gar  keine  Sülze  und  . 
keine  spiralförmigen  Windungen,  sondern  statt  ihrer  bald  Aus- 
buchtungen nach  den  Flächen,  bald  solche  nach  den  Seiten  hin. 
Neben  seinen  sehr  dünnen  Gefässen  zeigte  er  flügeiförmige  sehnige 
Anhänge,  die,  zwischen  den  Ausbuchtungen  ausgespannt,  eine 
Breite  von  2  —  3'"  jederseits  einnehmen  mochten.  Etwa  4"  von 
der  Placenta  entfernt  verästelten  sich  die  Gefässe  in  vielfache. 
Zweige,  während  jene  sehnigen  Flügel  nach  entgegengesetzten 
Seiten  hin  sich  zu  zweien  jener  Zweige  hinauferstreckten  und 
immer  breiter  werdend  sich  segeiförmig  bis  über  den  Placenta- 
rand  hinaus  ausspannten.  An  ihrem  freien  Rande  zersetzten  sich 
diese  Segel  (oder  Klappen)  zu  verschiedenen  grossen  Zipfeln, 
die  schliesslich  dütenförmig  gedreht  in  Schnüre  übergingen,  deren 
man  auf  der  einen  Seite  vier,  auf  der  anderen  sieben,  und 
zwar  in  ihrer  Dicke  zwischen  der  einer  dünnen  Violinsaite  und 
derjenigen  einer  Rabenfeder  variirend,  in  ihrer  Länge  aber 
diejenige  eines  Fingers  erreichend,  entwirren  konnte.  Dem 
Versuche,  sie  zu  zerreissen,  widerstanden  diese  Stränge  und  es 
riss  statt  dessen  das  Amnion  ein. 

Verf.  geht  näher  auf  die  Entstehungsweise  der  beschriebenen 
Missbildung  ein,  verwirft  das  Versehen,  die  Sünde,  erbliche 
Anlage,  Missbildung  der  Keime,  Defecte  der  Ganglien  und 
Arterien,  allgemein«  Erkrankung,  Gangrän,  anliegenden  Uterus, 
Fraoturen,  Abschnnrung  durch  die  Nabelschnur,  sämmtlich  mit 
beweisenden  Gründen  und  nimmt  die  Umschnürung  durch  die 
aufgefundenen    abnormen    etrangartigen    Gebilde    an.     Letztere 


238  IX-    Notizen  ans  der  Journal -Literatur. 

erklärt  er  nicht  erzeugt  durch  organisirte  Lymphe  oder  Exaudate 
der  Fötusdecken  oder  des  Amnion,  aondern  lediglich  durch 
Duplicaturen  des  Amnion  gebildet,  eine  Ansicht,  die  in  neuester 
Zeit  die  Oberhand  gewonnen  habe  und  die  Verf.  auch  näher 
zu  begründen  sucht.  Dass  diese  Duplicaturcn  durch  mechanische 
Erschütterungen  des  Fötus,  welche  eine  Streckung  desselben 
Teranlassen,  erzeugt  werden  können,  ist  dem  Verf.  wahrschein- 
lich und  insofern  ist  auch  eine  physische  Einwirkung  auf  die 
Schwangere  für,  die 'Bildung  des  Fötus  von  Wichtigkeit,  freilich 
in  ganz  anderer  Bedeutung,  als  das  gewöhnliche  von  den  Laien 
angenommene  Verseben. 

Verf.  weist  nach,   dass   die  Missbildung  in  seinem  Falle  im 
dritten  Monate  entstanden  sein  müsse. 

(Achtunddreissigster  Jahresbericht  d.  Schles.  Gesellsch.  für 

vaterl.  Cultur  im  J.  1860,  S.  140.) 


Pollock:    Ungewöhnliche  Kindeslage    bei  Zwillingen. 

Eine  25  Jahre  alte  Frau,  zum  ersten  Male  schwanger,  kam 
rechtzeitig  zur  Geburt.  Der  vorliegende  Steiss  ruckte  gut  durch 
das  Becken,  aber  die  folgenden  Theile  des  Rumpfes  verzögerten 
die  Geburt  und  boten  beim  Zuge  einen  ungewohnten  elastischen 
Widerstand.  Endlich  wurde  der  Rumpf  entwickelt,  aber  mit  ihm 
kam  ein  Kopf  hervor,  der  einem  anderen  Kinde  angehörte.  Bei 
näherer  Betrachtung  ergab  sich,  dass  der  Unterkiefer  des  einen 
Kindes  sich  gegen  den  des  anderen  anstemmte  und  heide  voll- 
ständig in  einander  eingriffen.  8omit  zog  der  Kopf  des  ersten 
Kindes  den  des  zweiten  herab  und  veranlasste  jenen  eigentüm- 
lichen elastischen  Widerstand  bei  der  Extraction.  —  Beide  Kinder 
waren  todt.     Die  Mutter  blieb  gesund. 

(Obstr.  society  of  London,   8.  April  1861.  —   Med.  Times* 

and  Gaz.,  27.  April  1861.) 


Dunsmure:   Fall  von  Zerreissung   der  Gebärmutter. 

Am  12.  Januar  1856  wurde  D.  su  einer  89jährigen,  zum 
achten  Male  Gebärenden  gerufen.  Dieselbe  war  schwächlich, 
aber  sonst  gesund.  Der  Kopf  lag  hoch  über  dem  Becken.  Wegen 
grosser  Empfindlichkeit  der  Gebärenden  Hess  D.  Chloroform 
holen,  ehe  aber  noch  der  Ehemann  mit  demselben  zurück- 
gekommen war,  schrie  sie  heftig  auf  wegen  eines  Schmerzes  in 
der  linken  Seite.  D.  führte  sogleich  seine  linke  Hand  an  diese 
Stelle  und  fühlte  die  Füsse  des  Kindes  so  deutlich,  dass  er  so- 
gleich an  einen  Riss  dachte.  Die  Gebärende  wurde  sehr  schwach 
und  ohnmäohtig.     Unter  Chloroformnarkose  wurde  sogleich   sur 


X.     Literatur.  239 

Eztraction  geschritten;  es  fand  sich  zunächst  ein  bedeutender 
Wasserkopf,  der  mit  dem  Messer  geöffnet  wurde  und  eine  be- 
trachtliche Menge  Wasser  floss  ab.  Die  Wendung  auf  die  Füsse 
und  Eztraction  vollendete  schnell  die  Geburt.  Als  D.  zur  Fort» 
nahme  der ,  Nachgeburt  schreiten  wollte,  fand  er  den  ganzen 
Uterus  mit  Gedärmen  angefüllt.  Er  Hess  deshalb  die  Placenta 
sitzen,  zumal  die  Gebärende  im  Sterben  lag.  Der  Tod  erfolgte 
nach  12  Stunden. 

(Edinburgh  med.  Journ.,  May  1861,  p.  1044.) 


X. 
Literatur. 


Martin,  Handatlas  der  Gynäkologie  und  Geburtshülfe. 
Berlin  1862.    71  Tafeln  mit  Einleitung  und  erklärendem  Texte. 

Der  Verf.  spricht  in  dem  Vorworte  die  Absicht,  welche  ihn 
bei  Herausgabe  dieses  Handatlas  leitete,  dahin  aus/  dass  er 
theils  die  unorlässliche  Verbindung  der  Lehre  von  den  Krank- 
heiten der  weiblichen  Sexualorgane  mit  den  Lehren  der  Geburts- 
hülfe  durch  Darlegung  des  systematischen  Zusammenhanges  beider 
Disciplinen  herzustellen,  theils  das  Studium  der  Gynäkologie  durch 
naturgetreue  Abbildungen  der  hier  einschlagenden  physiologisch* 
und  pathologisch -anatomischen  Befunde  zu  fördern  wünsche. 
Jene  Vereinigung  werde  sowohl  von  der  Wissenschaft,  in  welcher 
die  Geburtshülfe  bisher,  so  lange  als  das  Fach  "mehr  mit  Rück- 
sicht auf  den  Hebammenunterricht  bearbeitet  wurde,  eine  ganz 
exceptionelle  Stellung  einnahm,  als  auch  von  der  Praxis  ge- 
fordert. Denn  die  Lehre  von  den  Sexualkrankheiten  des  Weibes 
werde  nur  derjenige  vArzt  gehörig  würdigen,  der  zugleich 
Geburtshelfer  sei.  Indem  die  bisher  sogenannten  Geburtshelfer 
aber  sich  fast  ausschliesslich  mit  dem  Gebäracte  beschäftigt 
haben,  die  sogenannten  inneren  Aerzte  und  die  Chirurgen  hin- 
gegen von  dem  Schwangerschafts-  und  Geburtsverlauf  meist 
völlig  abseben,  ist'  es  leicht  zu  erklären,  weshalb  die  so  häufigen 
und  für  das  ganze  weibliche  Leben  so  wichtigen  Erkrankungen 
der  'SexuaKen  bis  zur  neuesten  Zeit  sehr  oft  unerkannt  und 
nicht  selten  äusserst  stiefmütterlich  behandelt  worden  sind. 

Um  die  von  dem  Verfasser  gewählte  Reihefolge  der  Ab- 
bildungen zu  begründen,  schickt  derselbe  in  der  Einleitung  eine 
detaillirte    schematische    Ueb ersieht    der   Gynäkologie    mit   Ein- 


240  *•    Literatur. 

schluss  der  Geburtthülfe  voraus ,  welche  er  seit  mehreren  Jahren 
seinen  Vorträgen  über  das  Fach  sn  Grande  gelegt  hat.  Eben  ' 
diesen  Vorträgen  soll  der  Handatlas  einerseits  als  Illustration 
dienen  und  den  Zuhörern  das  an  Lebenden  nnd  Präparaten  u.  s.  w. 
Demonstrirte  immer  wieder  vergegenwärtigen,  während  derselbe 
andererseits  dem  praktischen  Arzte  die  Veranschaülichnng  des 
früher  Gehörten  oder  Gelesenen  ans  der  ihn  so  beschäftigenden 
Disciplin  darbieten  mag. 

Die  Anordnung  der  einzelnen  Tafeln  ist  aber  folgende: 
Auf  die  Darstellungen  des  weiblichen  Beckens  mit  und  ohne 
Weichtheile  und  der  weiblichen  Geschlechtsorgane  folgen  Ab- 
bildungen der  schwangeren  Gebärmutter  und  des  befruchteten 
Eies  aus  den  verschiedenen  Monaten,  sodann  Zeichnungen  der 
verschiedenen  Lagen  und  Stellungen  der  Frucht  zur  Geburt, 
sowie  der  mehrfachen  Schwangerschaft.  Der  pathologische  Theil 
enthält  Abbildungen  der  krankhaften  Veränderungen  der  äusseren 
Geschlechtsorgane,  der  Scheide,  der  Gebärmutter,  der  Eileiter 
und  Eierstöcke,  sowie  der  Brüste.  Daran  reihen  sich  Dar- 
stellungen der  Schwangerschaft  am  unrechten  Orte,  der  Place nta 
praevia,  der  Erkrankungen  der  Eihüllen,  der  Nabelschnur  und 
des  Mutterkuchens,  sodann  der  für  den  Geburtshelfer  wichtigeren 
Missbildungen  der  Frucht,  der  fehlerhaften  Kindeslagen  und 
endlich  der  engen  Becken.  Den  Schluss  bilden  die  zur  gynäko- 
logischen Diagnostik  und  Operationslehre  gehörigen  Instrumente, 
bei  welchen,  der  bestimmten  Grenzen  des  Umfanges  wegen,  fast 
ausschliesslich  die  von  dem  Verf.  angegebenen  und  gebrauchten 
Instrumente  berücksichtigt  werden  konnten. 

Um  der  gestellten  Aufgabe  willen,  den  Handatlas  sowohl 
für  Studirende  wie  für  die  praktischen  Aerzte  zugängig  zu 
machen,  ist  der  Preis  dieses  Werkes,  trotz  der  sorgfältigen  Aus- 
führung der  303  Figuren  so  billig  als  möglich  gestellt. 

M. 


XL 
Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Geburtshülfe 

In 

Berlin. 

Sitzung  vom  17.  December  1861. 

Herr  C.  Mayer  beantragt,  die  Gesellschaft  möge  durch 
eine  Sammlung  der  Photographien  sämmtlicher  Mitglieder  ein 
AJbum  begründen,  welches  der  Bibliothek  einverleibt  werde. 
Die  allgemeine  Ausdehnung,  welche  die  Photographie  in 
neuerer  Zeit  genommen,  gestatte  es,  für  einen  äusserst 
geringen  Preis  einem  Jeden,  sein  getroffenes  Portrait  im 
gebräuchlichen  Visitenkartenformate  zu  beschaffen  und  eine 
vollständige  Sammlung  derselben,  die  auswärtigen  Mitglieder 
natürlich  eingeschlossen,  würde  namentlich  für  spätere  Zeiten 
gewiss  sehr  interessant  sein. 

Der  Vorschlag  fand  allgemeinen  Beifall  und  wurde  der 
Secretär  ermächtigt,  die  nqthigen  Schritte  zu  thun. 

Vor  der  Tagesordnung  ergreift  Herr  Virchow  das  Wort, 
um  eine  Berichtigung  eines  von  ihm  gethanen,  aber  ungenau 
protocollirten  Ausspruches  zu  geben.  In  dem  Berichte  des 
Dr.  V.  Hüter  Aber  die  36.  Naturforscherversammlung  in 
Speier  (Monatsschrift,  18.  Bd.,  Novemberheft)  könne  eine 
Stelle  so  verstanden  werden,  als  ob  er  es  für  ein  günstiges 
Ereigniss  hielte,  wenn  die  Lymphgefässe  beim  Puerperalfieber 
mit  Eiter  erlullt  würden.  Hecker  hätte  damals  den  Aussprach 
gethan,  dass  die  schweren  Fälle  immer  dadurch  charakterisirt 
seien ,  dass  sich  Eiter  in  den  Lymphgefässen  vorfinde.  Gegen 
diese  Behauptung  habe  er  ungefähr  Folgendes  erwidert: 
livmphgefassaffectionen  bei  Puerperalfieber  träten  nie  isolirt 
auf,  sondern   seien   immer  auf  einen  phlegmonösen  Process 

MoMUachr.  f.  Gebortet.  186*.  Bd.  XIX.,  Hft.  4.  1* 


242  XI.     Verhandinngen  der  Gesellschaft 

des  Uterus  oder  seiner  Anhänge  zurückzuführen.  Dadurch 
zeigten  sie  schon  die  Schwere  der  Krankheit  an,  zumal  ihre 
eigene  Erkrankung  darauf  deute,  dass  deletäre  Stoffe  in  die 
Blutmasse  geführt  werden  und  sei  daher  Lymphgefassaffection 
an  und  für  sich  ein  ominöses  Zeichen.  Der  missverstandene 
Ausspruch  sei  nun  der,  dass  wenn  diese  resorbirten  Stoffe 
in  den  Lymphgefässen  fest  würden  und  zu  einer  Thrombose 
derselben  Veranlassung  gaben,  dadurch  die  Prognose  sich 
günstiger  gestalte,  da  auf  diese  Weise  die  Weiterverbreitung 
deletärer  Stoffe  abgeschnitten  werde,  während  im  anderen 
Falle,  wo  die  Lymphgefässe  anscheinend  gesund  seien  und 
doch  ein  inficirter  Heerd  in  der  Nähe,  dessen  Zersetzungs- 
producte  ungehindert  durch  sie  circulirten,  die  Krankheit 
viel  rapidere  Fortschritte  mache. 

Herr  Martin  legt  eine  frische  Placenta  vor,  auf  deren 
Fötalfläche  sich  eine  Kyste  von  der  Grösse  eines  halben  Eies 
zeigte,  die  sich  tief  in  das  Parenchym  derselben  hinein  er- 
streckte. Sie  lag  unmittelbar  unter  dem  Chorion  und  enthielt 
einen  hellen  limpiden  Inhalt.  An  einer  Stelle  flottirte  eine 
kleine,  mehr  als  erhsgrosse  lockere  gelbliche  Masse,  weiche 
sich  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  als  amorphe  Hasse 
darstellte  und  so  den  Verdacht,  dass  es  sich  um  Anwesenheit 
eines  zweiten  Eies  handele,  nicht  bestätigte. 

Herr  H.  Strassmann  berichtet  über  eine 

eigentümliche  Hyperplasie  der  Decidua. 
.    .  (Hierzu  eine  Abbildung.) 

Vor  einiger  Zeit  hat  Virchow  in  dieser  Gesellschaft  ein 
Präparat  demonstrirt,  welches  eine  „eigenthümliche,  vielleicht 
syphilitische  Veränderung  der  Decidua"  darstellte,  die  in  einer 
excessiven  Hyperplasie  der  ganzen  Uterinschleimhaut»  soweit 
dieselbe  zur  Bildung  der  hinfalligen  Haut  verwendet  wird, 
bestand  und  stellenweise  bis  zur  Production  von  grossen 
„Schleimpapeln  und  Schleimtuherkeln  vergleichbaren  Höckern" 
gediehen  war.  Eine  genauere  Beschreibung  und  Abbildung  dieses 
Präparates  befindet  sich  im  XXI.  Bande  von  Virchow's  Archiv, 
Heft  1,  S.  118.  Ich  bin  in  der  Lage,  ein  bei  der  Be- 
handlung eines  Abortus  gewonnenes  ähnliches  Präparat  vorlegen 


Ar  Gebtirtakülfe  in  Berlin.  243 

»u  können,  welehes  nach  Virchow't  eigenem  Unheil  ganz 
identische  Verhältnisse  bezüglich  der  gedachten  Veränderung 
der  Decidua,  wie  das  von  ihm  beschriebene,  darbietet,  nur 
dass  die  Hyperplasie  wo  möglich  noch  excessiver  ist.  Ich 
halte  bei  der  Seltenheit  de»  Befundes  die  Veröffentlichung  ffir 
gerechtfertigt  und  habe  zum  besseren  Verständniss  für  aus« 
wärtige  Leser  eine  Zeichnung  in  natürlicher  Grösse  hinzu- 
gefügt 

Das  Präparat  stammt  von   einer  blassen,   sehr   gracilen 

Erstschwangeren,  Frau  üf.,  die  in  ihren  ersten  Kinderjahren 

'gesund  gewesen  sein  will.    Im  achten  Jahre  bekam  sie  Chorea; 

die  bis  zum  Eintritt  der  Menses  im  15. 'Lebensjahre  anhielt 

Die  Regel  verschwand  nach  einmaligem  Auftreten  wieder  und 

die  K.  litt  wahrend  zwei  Jahren  an  allen  Erscheinungen  der 

Chlorose.     Im  17.  Jahre  fing  die  Menstruation  an  periodisch 

wiederzukehren,  meist  alle  drei  Wochen,  häufig  nach  vierzehn, 

selten  nach  acht  Tagen,  unter  starken  Leibschmerzen  während^ 

acht  Tagen   profus    fliessend.     Ausserdem   traten    geringere 

Blutabgänge  oft  aus  den  Genitalien  ein,  zumal  bei  körperlichen 

Anstrengungen,   z.  B.  beim  Tanzen.     Von  Ausfloss   aus  den 

Geschlechtsteilen    will   die   K.   nur   wenig   bemerkt   haben. 

Syphilitische  Affection  wird   auf  das  Bestimmteste  in  Abrede 

gestellt  und  das  sorgfaltigst  angestellte  Examen  weist   keine 

Zeichen  einer  nach   vorhandenen  oder  schon  über- 

siandenen    Syphilis    nach.      Um    Pfingsten    1861    ver- 

heirathete  sich  die  JT.    Die  Menses  wurden  jetzt  normal,  nur 

einmal    erschienen    sie    nach   fünfwöchentlicher   Pause    sehr 

profus,    so   dass   die   schon  vorhandene   Anämie    bedenklieh 

wurde.    Die  K.  wurde  deshalb  aufs  Land  geschickt,  brauchte 

Eisen  und  kehrte  ziemlich  restaurirt  wieder.    Am  12.  August 

trat  die  Regel  zum  letzten  Male  ehi.    In  der  darauf  folgenden 

Schwangerschaft  ausserordentliches  Wohlbefinden.  Am  14.  No* 

vember,  also  am  Aufange  des  vierten  Schwangerschaftsmonats, 

trat   Mittags    ohne   Veranlassung   wässerig -blutiger   Ausfloss 

aus  den  Genitalien,  um  2  Uhr  eine  massige  Blutung  ein;  unt 

4  Uhr  deutliche  Contractionen  des  Uterus.    Um  7  Uhr  fand 

ich  den  Muttermund  für  den  Zeigefinger  durchgängig  und  in 

demselben   einen  Theil   des  Eies,   welches   sich   ohne  Mähe 

entfernen  Hess. 

16  • 


£44  Xf-    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Wie  aus  der  Abbildung  ersichtlich,  besiebt  dasselbe  aus 
zwei  innig  mit  einander  verbundenen  Theilen,  dem  Ei  und 
der  Decidua  vera,  d.  b.  der  gesammten  Innenfläche  der  Uterus* 
Schleimhaut.  Die  Verbältnisse  des  Eies  sind  die  gewöhnlichen 
und  aus  der  Zeichnung  leicht  ersichtlich.  Es  sitzt  (m  der 
Zeichnung  nach  abwärts  geschlagen)  in  der  einen  Tuben* 
gegeud,  lässt  deutlich  das  durch  Gallertmasse  (A)  mit  dem 
Chorion  (a)  verklebte  Amnion  (6)  unterscheiden  —  und  ist 
auf  mehr  als  der  Hälfte  seiner  Oberfläche  noch  von  Cborion- 
zotten  bedeckt,  die  man  bei  /  noch  in  denjenigen  Thefl 
der  Uterusschleimhaut  eindringen,  sieht,  welcher  als  Decidua* 
serolina  (gg)  den  mütterlichen  Theil  der  Placenta  bildet.  Bei  g ' 
ist  die  Decidua  serolina  von  dem  unterliegenden  Chorion  (a') 
abgelöst,  so  dass  die  sie  verbindenden  Zotten  sichtbar  werden; 
kk  bezeichnet  die  Grenze,  wo  die  Decidua  serotina  ziemlich 
scharf  an  dem  bereits  glatten  Theil  des  Eies  aufhört.  Der 
Eihautriss  (d)  führt  in  eine  kleinapfelgrosse  Höhle,  in  der 
sich  noch  das  Rudiment  eines  Stranges  (e)  befand,  der  für 
den  Rest  des  Nabelstranges  angesprochen  werden  musste,  da 
er  sich  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  als  aus  fettig 
degenerirten  Gelassen  im  gleichfalls  verfetteten  Schieinigewebe 
bestehend  auswies.  Das  Nabelbläschen  (c)  findet  sich  als 
weissgelbes,  hartes,  linsengrosses  Knötchen  am  Amnion  in 
der  Nähe  des  Eihautrisses.  Vom  Embryo  habe  ich  trotz 
sorgfältigen  Suchens  nichts  entdecken  können.  ( 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Chorionzotten  hat 
keinerlei  Abweichungen  ergeben.  Ganz  auffällig  sind  dagegen 
die  Veränderungen  an  der  Decidua,  die  in  ganzer  Ausdehnung 
bis  zum  inneren  Muttermunde  hin  erhalten  ist  Ihre  Aussen- 
fläche,  d.  h.  diejenige,  mit  der  sie  der  Innenwand  des  Uterus 
adhärirte,  ist  überall  sehr  stark  zottig,  ihre  innere  sammtartig 
glatt  und  lässt  deutlich  die  haarfeinen  Mündungen  der  Utricular- 
drüsen  erkennen,  welche  nur  an  den  Seitenwänden  und  in 
der  Gegend  des  Fundus  zu  grösseren,  runden  oder  ovalen 
Löchern  ausgezogen  sind.  Wählt  man  diese  beiden  Seilen- 
wände (A  und  2?),  an  denen  die  Decidua  sich  verdünnt, 
zum  Ausgangspunkte,  so  kann  mau  sich  sehr  leicht  orientiren. 
Es  stellt  dann  C  und  Z>,  wo  der  Strich  der  erweiterten 
Drüsenmündungen    hinzieht,    die    Uterinorificien   der    Tuben, 


für  Geburtohülfe  In  Berlin.  245 

E  die  Gegend  des  Fundus,  F  die  eine  (hintere?),  Q  die 
andere  (vordere?)  zurückgelegte  Wand1)  des  Uterus  dar, 
H  die  Gegend  des  inneren  Muttermundes,  an  welchem  be- 
kanntlich die  Decidua  ziemlich  scharf  abgeschnitten  endet. 

Die  Dicke  der  Decidua  ist  an  den  einzelnen  Stellen  sehr 
verschieden.  An  den  Seitenwinden  beträgt  dieselbe  V™% 
erreicht  aber  zumal  an  einzelnen  Partieen  der  vorderen  und 
hinteren  Wpnd  eine  Mächtigkeit  von  3 — 4"\  Neben  dieser4 
allgemeinen  Verdickung  findet  man  auf  der  Innenfläche,  be- 
sonders in  der  Gegend  des  Orificium  internum  mehrere  breit- 
basig  aufsitzende,  vollkommen  glatte,  etwas  abgeplattete, 
polypöse  Excrescenzen.  Sie  zeichneten  sich  vor  ihrer  Um- 
gebung am  frischen  Präparate  durch  ihre  gesättigte  rothe  Farbe 
und  dichtere  Beschaffenheit  aus.  Diese  zitzenförmigen  Fort- 
sätze (JJJJ)  haben  eine  Länge  von  V4"  bis  Yft"  und  darüber, 
eine  Dicke  von  %",  verschmälern  sich  zti  einer  rundlieh 
abgesetzten  Spitze  und  lassen  an  ihrer  Oberfläche  nur  bei 
Lupenbetraehtung  und  auch  dann  nur  äusserst  spärlich  die 
Mündungen  für  die  Utriculardrusen  erkennen.  Auf  dem 
Durchschnitte  (K)  zeigen  sie  eine  derbe  Corticalschtcht  und 
nach  innen  von  dieser  ein  reticulirtes  Aussehen,  welches 
hauptsächlich  von  Geflssdurcbschnitten,  theilweise  auch  von 
Bindegewebszägen  herrührt.  Ausser  diesen  „Schleimpapeln" 
bemerkt  man  noch  die  Anfange  kleiner  gestielter  Polypen 
(LLLL)%  wie  sie  bei  chronischer  Endometritis  so  häufig 
gefunden  werden. 

Was  die  mikroskopische  Untersuchung  anlangt,  so  weiss 
ich  dem  Ton  Virchoto  gegebenen  Befunde  nichts  hinzu- 
zufügen, und  es  mag  mir  daher  gestattet  sein,  seine  Worte8) 
hier  anzuführen*  „Ueberall  sieht  man  das  Interstitielle  (Inter- 
glanduläre) im  Zustande  der  ausgesprochensten  Hyperplasie. 
In  einer  schwach  faserigen  Grundsubstanz  liegen  grosse, 
stellenweis©  geradezu  mächtige  Zellen  von  linsenförmiger 
Gestalt,  welche  auf  senkrechten  Durchschnitten  meist  als  dicke 
Spindeln   sich   darstellen.     Nach   Behandlung    mit  Essigsäure 


1)  Auf  der'  linken  Seite  der  Zeichnung  ist  dieselbe  nur  theil- 
weise ausgeführt. 

2)  L.  o.  S.  119. 


$46  Xf.    Verliaadlangea  dar  Gesellschaft 

beben  sie  sieb  mit  ihrem  dunkleren  luhalt  und  grossen  Kernen 
als  umfangreiche  Körper  aus  der  helleren  Grundsubstaoz 
hervor,  und  das  ganze  Gewebe  erinnert  dann  an  faser- 
knorpelige oder  sklerosirte  Bindegewebsbildungen,  am  meisten 
an  die  Struetur  der  dicken  Platten  der  Arteriosklerose.  Fettige 
oder  andere  Degeneration  habe  ich  nicht  gesehen.  Dagegen 
finden  sich  schon  in  den  oberen  Lagen  zahlreiche  Durch- 
schnitte grösserer  Gefisse,  namentlich  dickwandige  Arterien 
mit  concentrischen  Höfen  eines  dichten  Scheidengewebes. 
Gegen  die  Tiefe  hin  wird  das  Ganze  lockerer,  mehr  sinuäs, 
und  schliesslich  findet  sich  nur  noch  ein  weitmaschiges 
Balkenwerk/' 

Was  diesen  Fall  nun  auszeichnet,  ist  also  die  Hyper- 
plasie der  gesammten  Decidua,  d.  h.  die  excessive  Anbiklung 
der  conslituirenden  normalen  Elemente,  die  stellenweise  bis 
zur  Ergänzung  der  geschilderten  knolligen  Protuberanien 
fortgeschritten  ist,  eine  Wucherung,  die  ganz  aussergewöhuüch 
ist,  wenn  man  bedenkt,  dass  sonst  am  Ende  des  dritten 
Schwangerschaftsmonats  die  Decidua  als  besondere  häutige 
Membran  noch  nicht  existirt,  Virehoto  giebt  an,  dass  ein 
grosser  TheU  der  geschilderten  Veränderung  der  Schwanger- 
schaft als  solcher  angehört,  obschon  er  es  für  wohl  möglich 
hält,  dass  ein  hyperplastischer  Zustand  der  Schleimhaut  des 
nichtschwangeren  Uterus  bereits  bestanden  und  sich  nacliher 
unter  dem  Einflüsse  der  Gravidität  bis  zu  dem  beschriebenen 
Grade  gesteigert  haben  mag.  Virchow  setzt  in  seinem  Falle 
die  Hyperplasie  der  Decidua  mit  Wahrscheinlichkeit  auf 
Rechnung  einer  bestehenden  syphilitischen  Endometritis. 
Dass  auch  bei  Frau  K.  eine  Endometritis  vorbanden  war,  ist 
aus  den  profusen,  schmerzhaften,  unregelmässjgen  Men- 
struationen,, aus  dem  wenn  auch  spärlichen  Ausflusse  und  der 
Neigung  iv  Blutungen  aus  den  Genitalien  und  aus  den  Ar* 
f)ngep  der  Polypenbildung  (LLLL)  mit  Gewissheit  anr 
zunehmen  und  in  ihr  die  Disposition  zu  der  geschilderten 
Veränderung  der  Decidua  zu  suchen.  Dagegen  fehlt  in 
unserem  Falle  die  Syphilis  und  er  liefert  mithin  den  Beweis; 
dass  diese  hyperplastische  Wucherung  der  Decidua  nicht  als 
eine  speeifische  Folge  der  syphilitischen  Endometritis  an- 
zusehen ist.     Jedenfalls  aber  ist  diese  Art   der  Veränderung 


für  GUbarUhülf©  in  Bettia*  247. 

der    hinfälligen   Haut   für   die   Aetiotogie   des   Abortus   von 
grossem  Interesse. 

Herr  Krieger  fragt,  ob  die  Patientin  früher  an  Dysmenor- 
rhea membranacea  gelitten,  was  Herr  Strassmann  verneint. 

Herr  Krieger  berichtet  über  die  Geburtsverhaltnisse  des 
niederbarninischen  Kreises. 

Der  nach  statistischen  Principien  möglichst  genau  ge- 
arbeitete Vortrag  kann  wegen  leider  eingetretener  schwerer 
Erkrankung  des  Herrn  Krieger  hier  nicht  folgen,  wird  indess 
nach  der  Wiederherstellung  desselben  in  extenso  veröffentlicht 
werden. 

Herr  Martin  theilte  einen 
Fall  von  glücklicher  Entbindung  durch  Decapitation 
mit,  indem  er  folgende  Bemerkungen  vorausschickte, 

Obschen  M.  von  der  Ueberzeugung  geleitet,  dass  der 
Lehrer  in  den  Operationscursen  alle  am  Phantom  und  einer 
in  Spiritus  aufbewahrten  Kindesleiche  ausfuhrbaren  geburt&~ 
hülflichen  Operationen  deraonstriren  und  einüben  lassen  müsse, 
in  seinen  seit  1835  alljährlich  ein  oder  mehrere  Male  wieder- 
holten obstetricischen  Cursen  regelmässig  die  Embryotomie 
und  insbesondere  auch  die  Decapitation  gezeigt  und  vollzogen 
hatte,  so  war  ihm  doch  bis  in  die  neueste  Zeit  die  Gelegen- 
heit nicht  geboten  worden,  diese  Operation  in  den  Geschlechts» 
theilen  einer  lebenden  Frau  auszuführen.  Bei  einer  nicht 
geringen  Anzahl  von  Geburtsstörungen  durch  vernachlässigt* 
Querlagen  der  Frucht,  bei  welchen  selbst  erfahrene  College» 
nach  vergeblichen  Wendungsversuchen  ihn  aufgefordert  hatten, 
die  Embryotomie  zu  verrichten,  war  es  M.  bisher  immer 
noch  gelungen  und  zwar  mit  Erhaltung  der  Mütter  die  Wendung 
auf  den  Fuss  zu  bewerkstelligen,  ein  Resultat,  welches  er . 
der  Beihülfe  theils  der  Chloroformnarkose,  theils  der  Lagerung 
der  Kreissenden  auf  die  Seite,  welclie  M.  bereits  in  dem 
zweiten  Hefte  seiner  gynäkologischen  Beiträge  1849  dringend 
empfohlen,  und  seitdem  stets  bewährt  gefunden  hat,  zuschreibt. 

Der  sogleich  zu  erzählende  Fall  von  Schulterlage  bei 
sehr  beträchtlicher  Beckenenge,  welche  von  einer  zwei  Jahre 
zuvor    mittels  Perforation    und   Kephalothrypsie    beendigten 


218  XI    V«ihandhuigan  der  Gesellschaft 

Entbindung  ihm  bekannt  war,  nöUngte  durch  feste  Um- 
schnfirung  der  Frucht  von  Seiten  des  Uterus  um  so  mehr 
mr  Decapitation  als  nach  eingetretenem  Tode  der  Frucht  alle 
Sorge  der  Erhaltung  der  Mutter  gelten  musste.  Der  Vorzug, 
welchen  M.  bei  dieser  Operation  dem  stumpfspitzigen 
jSmellie'&chen  Haken  vor  dem  C.  .Bratm'schen  SchHssel- 
haken  gab,  gründete  sich  auf  die  erwähnten  zahlreichen  Ver- 
suche mit  den  beiden  Instrumenten  am  Phantom,  welche  ihm 
die  Ueberzeugung  verschafft  hatten,  dass  der  stumpfspitze 
Haken  leichter  die  Weichtheile  des  Halses  durchdringe  und  die 
Halswirbel  zerbreche.  Bei  einem  durch  C.  Braun'*  Güte 
aus  Wien  erhaltenem  Instrumente  war  es  M.  begegnet,  dass 
während  der  Operation  an  einer  Leiche  im  Phantom  der 
hölzerne  Griff  der  Länge  nach  zerborst,  bevor  der  Hals  ge- 
trennt wurde.  —  Der  von  M.  in  der  geburtshülflichen  Klinik 
behandelte  Fall  ist  folgender: 

Frau  Paris  geb.  Pfeiffer,  25  Jahre  alt,  blond,  mittel- 
gross, von  zierlichem  Knochenbaue,  hatte  als  Kind  an  der 
englischen  Krankheit  gelitten  und  deshalb  nicht  vor  dem 
siebenten  Lebensjahre  gehen  gelernt;  sie  war  vom  dreizehnten 
Jahre  an  regelmässig  menstruirt.  In  ihrem  23.  Lebensjahre, 
seit  der  Mitte  Februar  1859  nach  zweimaligem  Abortus  zum 
dritten  Male  schwanger,  wurde  sie  am  Abende  des  6.  November 
1859  wegen  beträchtlicher  Beckenenge  nach  achtzehnstündigen 
Wehen  aus  der  Poliklinik  in  die  königl.  Entbindungsanstalt 
zu  Berlin  transferirt,  wo  die  angestellte  Beckenroessung 
Sp.  J.  =  9°  9'",  Cr.  J.  =  10"  3",  Conj.  extern.  =  6*  9", 
Conj.  diagon.  =  3"  4'"  ergab..  Nach  weiteren  vierundzwanzig 
Stunden  sprengte  man  die  bis  zum  Beckenausgange  herab- 
gedrängte Fruchtblase,  nachdem  die  vorher  gehörten  Herztöne 
bereits  nicht  mehr  aufgefunden  werden  konnten.  Neben  dem 
in  erster  Schädellage  auf  dem  Beckeneingange  stehenden 
Kopfe  lag  rechts  eine  pulslose  Nabelschnurschlinge.  Am 
7.  November  Abends  11  Uhr/  als  die  vorher  kräftigen  Wehen 
ohne  den  Kopf  in  den  Beckeneingang  herabzutreiben  nach- 
Hessen,  eröffnete  Jbf.,  nachdem  die  Kreissende  chloroformirt 
war,  den  noch  nicht  feststehenden  Schädel  mit  seinem 
trepanförmigen  Perfora  torium,  comprimirte  denselben  in  drei 
Richtungen  mit  seinem  Kephalothryptor  und  förderte  den  vom ' 


für  Gebnrtehiilfe  in  Berlin.  249 

Hirn  fast  entleerten  Köpf  zu  Tage.  Der  todte  Knabe  wog 
6  Pfund.  Die  Nachgeburt  folgte  ohne  Aufenthalt,  und  die 
Entbundene  erwachte  nach  %  ständiger  Karkose  ziemlich  wohl. 
Dem  sofort  angeordneten  Gebrauche  kalter  Umschläge  folgte 
mehrmaliges  Frösteln,  weshalb  die  ersteren  weggelassen 
wurden.  Das  Wochenbett  vedief,  einen  Esslöffel  Ricinusöl 
abgerechnet,  ohne  Arzneigebrauch  so  glücklich,  dass  die 
Wöchnerin  bereits  am  16.  November  das  Bett  und  in  der 
zweiten  Woche  die  Entbindungsanstalt  Verliese.    ' 

Trotz  der  Aufforderung  bei  wieder  eintretender  Schwanger- 
schaft sich  zur  Einleitung  der  Frühgeburt  zu  melden,  blieb 
Frau  P.,  als  die  Menstruation  seit  April  1861  cessirt  hatte 
und  die  eingetretene  Schwangerschaft  ohne  störende  Zufalle 
verlief,  in  ihrer  Behausung,  und  rief  in  der  Nacht  vom 
27.  zum  28.  November  1861,  nachdem  Wehen  eingetreten 
waren,  einen  Privatarzt  zu  Hülfe.  Dieser  glaubte  den  Steiss 
als  vorliegenden  Theil  zu  fühlen,  auch  als  um  8  Uhr  früh 
die  Blase  vor  hinreichend  erweitertem  Muttermunde  gesprengt 
war.  In  Folge  der  sehr  kräftig  werdenden  Weben  kam  jedoch 
gegen  Abend  die  rechte  Schulter  tief  in  den  Beckeneingang 
herab  und  die  früher  hörbaren  Herztöne  waren  nicht  mehr 
zu  hören.  Da  jetzt  die  Hülfe  der  geburtshölflichen  Poliklinik 
in  Anspruch  genommen  wurde,  stellte  sich  heraus,  dass 
der  Uterus  bereits  zu  fest  um  die  Frucht  zusammengezogen 
war,  um  die  Einführung  der  Hand  zur  Wendung  noch  zu 
gestatten.  Die  Kreissende  wurde  deshalb  in  die  königl.  Ent- 
bindungsanstall gebracht,  wo  sie  am  28.  November  Abends 
67a  Uhr  in  einem  erschöpften  Zustande  eintraf,  ohne  dass 
deshalb  die  Wehen  an  Heftigkeit  nachgelassen  hätten.  M.  fand 
die  rechte  Schulter,  an  welcher  sich  bereits  Fäulnissemphysem 
entwickelt  hatte,  vor  dem  leicht  zu  erreichenden  Vorberge 
herabgepresst,  äusserlich  den  Rücken  der  Frucht  nach  rechts 
und  vorn,  den  Kopt  links  von  der  Wirbelsäule.  Ein  in  der 
Chloroformnarkose  und  Seitenlage  wiederholter  Versuch,  die 
Wendung  auf  den  Fuss  zu  bewerkstelligen,  überzeugte  M. 
sofort  von  der  Unmöglichkeil,  die  Füsse  zu  erreichen,  da 
der  Uterus  das  Kind  so  fest  umschloss,  dass  der  Kopf  auf 
die  Brust,   neben    welcher   die   beiden  Arme   emporgestreckt  - 


250  XI-    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

lagen,  fest  aufgepressi  war.  Ohne  die  linke  Hand,  welche 
den  langgestreckten  Hals  der  Frucht  umfassle,  herauszuziehen, 
schob  Af.,  nachdem  die  Kreissende  auf  das  Querlager  ge- 
bracht war,  die  stumpfspitzen  Theile  des^  Smdlie1$cke& 
Doppelhakens  in  seiner  Hohlhand  empor,  zog  den  Haken  um 
die  Halswirbel  fest  an  und  drehte  innerhalb  seiner  den  Hals 
umgebenden  Finger  den  mit  einem  Handtuche  am  weiteren 
Theile  umwickelten  Haken  mit  der  rechten  Hand  so  lange 
um,  bis  der  Hals  der  Frucht  (Weichtheile  und  Knochen) 
getrennt  waren,  ein  Operationsact,  welcher  in  diesem  Falle, 
wegen  der  eingetretenen  Fäulniss  der  Frucht  weniger  Mühe. 
verursachte,  als  an  den  Spirituspräparaten  im  Phantom.  Nach 
vorsichtiger  Entfernung  des  Hakens  holte  M.  den  rechten 
Arm  der  Frucht  herab  und  zog  dann  den  Rumpf  aus:  Der 
Kopf  wurde  nach  einigen  Minuten  von  den  Wehen  im  Becken- 
eingange fixirt  und  alsdann  mit  den  in  den  Mund  eingesetzten 
Fingern  aus  der  Scheide  nicht  ohne  Mühe  hervorgezogen, 
während  der  Daumen  den  Halsstumpf  bedeckte.  Die  Nach- 
geburt wurde  durch  Druck  auf  den  Muttergrund  herabgedrückt. 
Der  bereits  faulige  Knabe,  dessen  Oberhaut  an  mehreren 
Stellen  sich  gelöst  hatte,  wog  4  Pfund  22  Loth  Zollgewicht, 
die  Nachgeburt  18  Loth. 

Die  Entbundene  erwachte  nach  %  Stunde  sehr  befriedigt 
über  die  rasche  Entbindung  aus  dem  Chloroform  schlafe,  zeigte 
100  Pulse,  schlief  aber  bereits  gegen  Morgen  trefflich  und 
überstand  das  Wochenbett  unter  Anwendung  von  Einspritzungen 
mit  l«insamenschleim  und  lauen  Wasserumschlägen  auf  den 
Leib  vortrefflich,  so  dass  sie  bereits  am  9.  December  die 
Anstalt  ohne  Bedenken  verlassen  konnte. 


Sitzung  vom  14.  Januar  1862. 

Herr  C.  Mayer  legt  ein  von  Herrn  Dressler  in  Peters- 
waldau  eingeschicktes  Abortivei  vor,  welches  indess  durch 
bereits  eingetretene  Maceration  keiiie  klare  Untersuchung  mehr 
.gestattete. 


für  Gebortfhfllfe  in  Berlin.  J51 


/ 


Herr  Martin  erzählt  folgende  Beobachtung: 

Gebnrt  bei  durch  Knochenwucherung  am  Kreuzbeine 

und  schräg  verengtem  Becken,  Conglutinatio  orificii 

uteri.     Wendung  auf  die  Füsse,   Extraction, 

Erhaltung  von  Mutter  und  Kind. 

Frau  Seh.,  34  Jahre  alt,  stammt  angeblich  aus  einer 
gesunden  Familie,  und  will  in  def  Kindheit  stet»  gesund 
gewesen  und  seit  dem  zwanzigsten  Jahre  menstrutrt  sein. 
Im  dreiundzwanzigsten  Jahre  trat  sie  als  Dienstmädchen  erhitzt 
in  einen  mit  Wasser  gefüllten  Keller  und  erkrankte  bald  darauf 
an  einer  Entzündung  in  der  Gegend  der  linken  Syncbondrose, 
welche  eine  langwierige  Eiterung  und. zwei  Jahre  langes  Un- 
vermögen zu  gehen  zur  Folge  hatte,  so  dass  sie  später  am 
Stocke  das  Gehen  wieder  erlernte.  Die  Menstruation  war 
während  dieser  schweren  Erkrankung,  welche  sie  anfangs 
im  königL  Charite-Krankenhause,  später  in  ihrer  Heimath 
abwartete,  ausgebliehen.  Nachdem  sie  sich  im  Jahre  1857 
verheirathet  halte,  überstand  sie  im  Winter  1858  eine  schwere 
Entbindung,  nach  Mitlheilung  des  Arztes,  bei  erster  Schädellage 
des  Kindes,  wobei  zunächst  die  Kopfzange  wiederholt,  jedoch 
vergeblich,  sodann  von  einem  anderen  Arzte  die  Perforation 
und  Kephalothrypsie  zur  Anwendung  kamen.  Im  Jahre  1859 
erfolgte  im  dritten  Monate  ein  Abortus  unter  heftiger  Blutung. 
Nach  ungestörtem  Wohlsein  blieb  im  October  1860  die 
Menstruation  aus,  es  stellten  sich  viel  Uebelkeit  und  Zahn- 
schmerzen ein  und  am  20.  Februar  zeigten  %  sieb  Kindes- 
bewegungen.  Am  25.  Juli  1861  begannen  die  Wehen,  jedoch 
erschienen  sie  erfolglos,  weshalb  ein  am  26.  hinzugeraConer 
Arzt  in  den  folgenden  Tagen  mehrere  Arzneien  verordnete. 
Als  ich  am  Mittage  des  30.  die  Kreissende  in  ihrer  Woboung 
zuerst  sah  und  untersuchte,  fiel  mir  zunächst  der  ungewöhn- 
lich tiefstehende  zapfenförmige  circa  V/A"  lange  Scheidcütheil 
auf;  derselbe  stand  so  tief,  dass  bei  der  Exploration  der  in 
den  wenig  geöffneten  äusseren  Muttermund  eindringende 
Zeigefinger  in  die  erweiterte  Harnröhrenmündung  zu  gelangen 
schien.  Erst  eine  genaue  Untersuchung  ergab  das  auffallende 
Verhalten  der  Portio  vaginalis.  Nicht  ohne  einen  gewissen 
Kraftaufwand  konnte  ich  mit  der  Fingerspitze  den  durchweg 


252  XI.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

verklebten  Mutterhalskanal  öflhen,  indem  ich  unter  geringem 
Bhitabgange  das  ZeiTeissen  der  gallertartigen  Exsudatmassen 
fühlte.  Oberhalb  des  langen  an  die  vordere  Beckenwand 
herangedrängten  Scheidentheils  und  hinter  demselben  lag  der 
Kopf  der  Frucht  im  Beckeneingange.  Da  die  aufgenommene 
Anamnese  auf  einen  Beckenfehler  hinwies,  nahm  ich  die 
Beckenmessung  vor  und  fand 

den  Beckenumfang  =  82  Centimeter, 

Sp.  J.  =  7"  2"/ Cr.  J.  =  9"  3",  Conj.  externa  =  7"  9W, 

die  Breite  des  Kreuzbeins  zwischen  den  beiden  Sp.  post. 

super,  oss.  iL  =  2"  6'", 
die  Spina  vertebrae  lumbalis  V.  von  der  Spina  posl  sup. 

oss.  iL  rechts  =  1*  4'",  links  =  1"  2", 
die  Länge   der  rechten  Darmbeinschuppe  =  5"  2W,   der 

linken  =  4"  10'", 
der  rechte  schräge  Durchmesser  des  grossen  Beckens  von 
der  Sp.  post.   sup.   oss.   iL  dextri  zur  Sj\.  anter.  sup. 
oss.  iL  sinistri  =  6*  10"', 
der  linke  von  der  Sp.  post.  sup.  oss.  iL  smistri  zur  Sp.  anter. 

sup.  oss.  iL  dextri  =  7"  4'", 
vom   Processus   spinosus   des   letzten    Lendenwirbels   zur 

Sp.  ant.  sup.  oss.  iL  sin.  =5"  7'", 
vom   Processus  spinosus  des   letzten   Lendenwirbels   zur 

Sp.  ant.  sup.  oss.  iL  dextr.  =  5*  10 w, 
vom  Tuber  ischii   dextrum   zur  Sp.   post  super,  oss.  iL 

sin.  =  8"  3", 
vom  Tubef   ischii   sinistrum   zur  Sp.  post.  super,  oss.  iL 

dextr.  =  8", 
vom  Scheitel   des  Schambogen»   zur  Sp.  post  super,  oss. 

iL  sin.  =  7"  T\ 
vom  Scheitel  des  Schambogens  zur  Sp.  post.  super,  oss. 
iL  dextr.  *=  6?  6W. 

Bei  der  inneren  Beckenuntersuchung  fand  ich  an  der 
vorderen  Krenzbeifffläche  eine  beträchtliche,  etwas  nach  links 
gerichtete  Hervorragung,  welche  ähnlich  einem  sogenannten 
doppelten  Vorberge  erschien ,  wahrscheinlich  jedoch  auf  einer 
Knochenwucherung  an  der  Innenfläche  des  Kreuzbeins  beruht; 
die  Conjugata  diagonalis  bis  zum  oberen  Rande  dieser 
Herwragnng  maass  4"  5"    bis  zum  vorspringenden  unteren 


für  Geburtsfaülf*  in  Berlin.  253 

jRande  4"  V".  Die  Entfernungen  der  ^Spinae  ischii  vom  Rande 
des  Kreuzbeins  schienen  nicht  erheblich  zu  difleriren;  im  Ganzen 
aber  die  linke  Beckenhälfte  weniger  Raum  zu  bieten ,  als  die  rechte. 
Der  Unke  Darmbeinkamm  stand  wenig  höher  als  der  rechte. 

In  der  Gegend. der  linken  Synchondro&e  zeigten  sich  in 
der  Haut  vier  bis  fünf  vertiefte  Narben  und  auf  dem  hinteren 
Theile  des  Os  iUum  sinistrum  fand  sich  etwas  unterhalb  der 
Spina  posterior  superior  eine  flache,  etwa  wallmissgrosae 
Exostose. 

Da  die  Entbindung  voraussichtlich  noch  längere  Zeit  m 
Anspruch  nehmen  durfte,  so  überredete  ich  Frau  Sek.,  sich 
in  die  königl.  Entbindungsanstalt  bringen  zu  lassen.  Nachdem 
die  Kreissende  am  30.  Juli  1861  Abends  5  Uhr  daselbst 
angelangt  war,  constatirte'  ich  noch  einmal  die  Messungen, 
und  verordnete,  da  der  Scheidentheil  immer  noch  nicht  ge- 
hörig verstrichen  war,  die  Scheidendouche  mit  29°  warmem 
Wasser,  nachdem  ich  den  seit  Mittag  verhaltenen  Harn  mit 
dem  Katheter  abgelassen  und  durch  einen  Esslöffel  voll  Ricinusöl 
reichliche  Stuhlausleerung  erzielt  hatte.  Abends  8  Uhr  stellte 
sich  allmälig  die  Fruchtblase,  während  der  Muttermund  nach 
der  zweiten  und  dritten  Douche  bis  um  10  Uhr  vollständig 
verstrich  und  sich  langsam  erweiterte.  Der  äusserst  schmerz- 
haften Wehen  halber  wurden  gegen  Mitternacht  und  l1/«  Stunde 
darauf  Pulv.  Doveri  grx.  gegeben.  Am  31.  Juli  früh  7  Uhr  fand 
ich  den  feinrandigen-  Muttermund  vollständig  erweitert,  darin 
die  pralle  Blape,  darüber  hoch  im  Deckeneingange  den  Kinds- 
kopf in  erster  Schädellage.  Als  die  Fruchtwasser  um  y28  Uhr 
früh  mit  Meconium  gemischt  abgeflossen  waren,  schritt  ich, 
weil  der  Kopf  in  der  für  dieses  schrägverengte  Becken  un- 
günstigen ersten  Schädellage,  sich  eingestellt  hatte,  nach  ein- 
geleiteter Chloroform -Narkose  zur  Wendung  auf  die  Fasse. 
Nachdem  die  Kreissende  auf  die  rechte  Seite  gelagert  war, 
führte  ich  die  linke  Hand  von  hinten  ein«  während  meine 
rechte  Hand  den  Mutterkorpqr  fixirte,  ergriff  zunächst  den 
linken  Fuss,  schlang  denselben  an,  holte  dann  auch  den 
rechten,  vollzog  hierauf  die  Umdrehung  ohne  Schwierigkeil, 
und  liess  die  Extraction  folgen,  nachdem  die  Kreissende  auf 
das  Querlager  herumgelegt  war.  Nach  der  Losung  der  Arme 
drehte  ich  das  Gesicht  des  Kindes  nach  links  und  hinten  und 


254  XI     Verbannungen  der  Gesellschaft 

entwickelte  des  Kopf  unter  gleichzeitigem  Druck  von  Seiten 
eines  Assistenten  auf  das  Hypogastrium.  Der  starke  asphyctische 
Knabe  wog  7  Pfund  8  Loth  Zollgewicht,  zeigte  11 V  resp. 
SO1/*"  Lange  und  wurde  nach  anhaltenden  Bemühungen  zum 
vollen  Äthanen  gebracht;  seine  Kopfdurchmesser  maassen 
=  3Vt",  SV,  4%",  5V4",  SV-  Der  Uterus  zog  sieb 
mangelhaft  zusammen,  so  dass  eine  Dosis  Seeale  cornutum 
und  anhaltende  Reihung  desselben  durch  die  Bauchdeckeii 
uothwendig  erschien,  um  den  Blutabgang  zu  stillen,  als  die 
Nachgeburt  20  Minuten  später  durch  Druck  entfernt  war. 

Als  am  folgenden  Morgen,  trotz  mehrstündigen  Schlafes 
grosse  Schmerzhaftigkeit  des  "Leibes  eingetreten,  wurden  die 
bereits  angewendeten  lemperirten  Waeserumschläge  mit  einer 
Eisblase  bedeckt,  und  Einspritzungen  von  Leinsamendecoct 
mit  Zusatz  von  einem  Infusum  florum  Arnicae  in  die  Scheide 
verordnet.  Der  Urin  erfolgte  spontan,  der  Stuhl  durchföllig; 
der  Schlaf  blieb  sehr  gut.  Da  der  Durchfall  am  3.  August 
zunahm  und  ein  Frostanfall  eintrat,  wurde  Extract  dpü 
aquosi  grj.  in  Solut.  gummosa«  3iv.  gegeben  und  am  4  die 
Eisblase  weggelassen,  um  so  mehr  als  die  Schmerzhaftigkeit 
des  Leibes  aufgehört  hatte.  Zur  Beseitigung  der  Durchfälle 
kam  am  5.  auch  noch  Solut  argenti  nttrici  (grj.  in  iß,  Wasser) 
zu  10 — 15  Tropfen  taglich  drei  Mal  zur  Anwendung.  Am 
8.  August  verlies«  die  hergestellte  Mutter  sammt  ihrem  Kinde 
die  königL  Entbindungsanstalt  und  befindet  sich  im  Januar  1862 
vollkommen  wohl  und  bereits  wieder  schwanger. 

Herr  Martin  reihte  an  die  Mittheilung  dieses  Geburts* 
falles  folgende  Bemerkungen: 

1)  Ueber  die  Verklebung  des  Muttermundes  bei 
Gebärenden. 

Die  bei  Frau  Seh.  als  Ursache  der  mehrtägigen  (fünf  Tage 
langen)  Verzögerung  der  Geburt  nachgewiesene  Verklebung 
des  Mutterhalskanals  gehört  in  der  hier  beobachteten  Aus- 
dehnung ohne  Zweifel  zu  den  grossen  Seltenheiten.  Obscbon 
ich  in  acht  von  mir  notirten  Geburtsfallen  Verklebungen  des 
äusseren  und  zwei  Mal  dergleichen  des  inneren  Muttermundes 
beobachtet  habe,  so  war  mir  doch  noch  kein  Fall  zur 
Beobachtung  gekommen,  in  welchem  der  Mutterhalskanal  in 


fBr  OtbtirtAbfflfo  fn  Berlin.  265 

einer  längeren  Strecke  diese  Verschliessung  gezeigt  hätte. 
Während  in  meinen  Beobachtungen  von  Conglutinatio  orificii 
nteri  externi  der  Scheidentheii  bis  auf  einen  anscheinend 
kartenpapierdünnen  Ring  mit  mehr  oder  weniger  fest- 
geschlossenem Grübchen  verstrich,  dieser  aber  trotz  regel- 
mässiger Wehen  sich  nicht  erweiterte,  bis  nach  stundenlanger 
Dauer  der  Geburt  die  gegen  den  Müttermund  angedrängte 
Fingerspitze  jene  Exsudatföden  meist  unter  Austritt  von  einigen 
Tropfen  Blut  gesprengt  hatte,  fohlte  ich  und  in  einem  klinischen 
und  einem  poliklinischen  Falle  mit  mir  die  gerade  anwesenden 
jungen  Aerzte  bei  der  Verklebung  des  inneren  Mottermundes 
das  Orifitium  uteri  externum  gleich  einen  feinen  Ring  von  circa 
V2 — %"  Durchmesser  unterhalb  der  geschlossenen,  ebenfalls 
nur  von  einem  dönnen  Rande  umgebenen,  durch  zerreissliche 
Masse  verklebten  inneren  Oeffnung;  zwischen  der  geschlossenen 
inneren  und  der  weiteren  äusseren  Oeffnung  fand  sich  in  beiden 
Fällen  eine  ringsum  laufende  dünnwandige  Tasche,  in  welche 
die  Fingerspitze  eingeschoben  werden  konnte.  —  In  dem 
hier  ausführlich  mitgeteilten  Fälle  erschien  der  über  1"  lange 
Mutterhalskanal  durchaus  verklebt  und  forderte  dessen  fer- 
(Vffnung  eine  allmäfig  fortgesetzte  Trennung  der  mit  einander 
verbundenen  Wandungen.  Das  Gefühl  bei  der  Trennung  der 
gallertigen  Massen  war  stets  so,  als  ob  dieselben  wie  Fäden 
ton  einer  Seite  zur  anderen,  jedoch  auch  an  derselben  Rand* 
fläche  hingespannt  seien.  In  allen  von  mir  beobachteten 
Fällen  war  die  Geburtsverzögerung  bis  zur  Trennung  der 
Gallertilden  eine  sehr  erhebliche,  alsdann  erfolgte  die  Geburt 
in  der  Regel  verhältnissmässig  rasch,  falls  nicht  andere 
Bindernisse  vorlagen.  Ohne  Zweifel  kann  die  Verklebung  des 
äusseren  Muttermundes  bei  einem  etwas  roheren  Untersuchen 
der  Wahrnehmung  des  Geburtshelfers  sich  entziehen,  indem 
die  Gaiiertföden  dem  derberen  Druck  des  Fingere  unerkaunt 
weichen;  auf  diese  Weise  mag  es  zu  erklären  sein,  dass 
manche  Aerzte  dies  Geburtshinderniss  nicht  beobachtet  haben. 
2)  Der  Beckenfehler,  welcher  in  dem  vorstehenden 
Geburtsfalle  KuusthuHe  forderte  und  welcher  bei  der  vor 
Jähren  vorausgegangenen  zeitigen  Geburt  nach  wiederholtem 
vergeblichen  Gebrauche  der  Kopfzange  -aur  Perforation  and 
Kephalothrypsie  genöthigt  hatte,  bestand  nach  den  Ergebnissen 


356  XI.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

der  äusseren  und  inneren  Beckenuntersucbung  in  einer 
schrägen  Verschiebung  mit  Verkürzung  des  rechten 
schrägen  Durchmessers  und  in  beträchtlicher 
Hervorragung  der  vorderen  Fläche  der  oberen 
Kreuzbeinwirbel* 

Dafür,  dass  die  letztere  während  der  Kindheit  etwa  in 
Folge  rhachitischer  Knochenerkrankung  entstanden  sei,  waren 
weder  in  der  Anamnese  und  dem  sonstigen  Verhalten  des 
Knochengerüstes,  noch  an  dem  Becken  selbst  Beweise  auf- 
zufinden. Denn  sowohl  die  Conjugata  externa  betrug  (7"  9'") 
etwas  mehr  als  bei  gesunden  Becken  gewöhnlich  (unter  454 
in  der  Entbindungsanstalt  zu  Berlin  während  der  letfcten  drei 
Jahre  gemessenen  Frauen  war  dieser  Durchmesser  76  Hai 
weniger  als  7",  207  Mal  =  7"  bis  7"  6",  101  Mal  =  7"  V" 
bis  7"  11'",  43  Mal  8"  und  darüber);  als  auch  das  Ver- 
MUniss  zwischen  dem  vorderen  und  hinteren  Querdurchmesser 
des  grossen  Beckens  zeigte  sich  ganz  entgegengesetzt  dem- 
jenigen, welches  bei  durch  Rhachitis  verunstalteten  Becken 
gewöhnlich  ist;  nämlich  Sp.  J.  =  7"  2'",  Cr.  J.  =  9"  3". 
Bei  rhachitischen  Becken  pflegt  der  hintere  Querdurchmesser 
dem  vorderen  an  Länge  sich  zu  nähern,  bisweilen  sogar 
weniger  als  dieser  zu  betragen. 

Ziehen  wir  in  Betracht,  dass  bei  Frau  Seh.  ein  mehr- 
jähriger Entzündungsprocess  in  der  Gegend  der  linken 
Synchondrose  beobachtet  war,  und  dass  nach  länger  be- 
standener Eiterung  auch  an  der  Aussenfläche  des  linken 
Darmbeins  eine  ausgebreitete  Knochenwucherung  nachgewiesen 
ist,  so  gewinnt  die  Annahme  grosse  Wahrscheinlichkeit,  dass 
die  Hervorragung  in  den  oberen  Sacralwirbeln  auf  einer 
Knochen  Wucherung  beruhe. 

Dass  das  Becken  zugleich  ein  schrägverengtes  ist, 
beweist  das  mitgetheilte  Ergebniss  der  Messung:  theils  der 
beiden  schrägen  Durchmesser  des  grossen  Beckens,  theils 
der  beiderseitigen  Linien  von  dem  einen  Sitzknorren  zu  der 
entgegengesetzten  Spina  posterior  superior  ossis  ilium,  theils 
die  ungleiche  Entfernung  der  beiden  Spinae  anteriores 
stiperiores  ossium  ilium  von  dem  Processus  spinosus  des 
letzten  Lendenwirbels,  theils  der  verschiedene  Abstand  der 
Spinae  posteriores  superiores  ossium  ilium  vom  Scheitel  des 


fax  GebnrUhftlfe  in  Berlin.  257 

Schambogens,  welche  Maasse  in  ihren  übereinstimmende^ 
Differenzen  als  wesentliche  Kennzeichen  schrägverengter  Becken 
bereits  yod  Fr.  C.  Naegde  in  dessen  klassischer  Mono* 
graphie  über  das  schrägverengte  Becken  angegeben,  theilg 
von  Simon  Thomas  in  dem  neuesten  Werke  Ober  denselben 
Gegenstand  (1861)  als  charakteristisch  bestätigt  sind.  Ausser 
diesen  Maassen  fand  sich  auch  eine,  wenn  schon  geringe 
Verkürzung  des  Abstandes  der  linken  Spina  poster.  super, 
ossis  ilium  von  der  Spina  vertebrae  lumbalis  V,  ein  Ver- 
hältnisse welches  keineswegs  so  constant  ist,  als  man  nach 
der  Untersuchung  vieler  derartiger  Becken   erwarten  konnte. 

Wenn  wir  annehmen  und  dazu  haben  wir  nach  den 
Beobachtungen  von  Hayn,  Fabbri,  v.  Rügen,  Simon  Thomas 
und  Anderen  guten  Grund,  dass  der  im  22.  Lebensjahre  von 
Frau  Seh.  überstandene  Entzündungs-  und  Vereiterungsprocess 
um  die  linke  Synchondrose  die  Ursache  der  Verkümmerung 
des  linken  Kreuzbeinflügels  und  somit  4er  schrägen  Ver- 
schiebung des  Beckens  gewesen,  so  wird  es  begreiflich  sein, 
weshalb  dieser  Fehler  hier  nur  einen  sehr  geringen  Grad 
erreicht  hat,  da  von  einer  Behinderung  des  Wachsthums  in 
diesem  Falle  nur  insofern  noch  die  Rede  sein  kann,  als  das 
weibliche  Becken  nach  dem  zweiundzwanzigsten  Lebensjahre 
noeh  wächst  Dass  dies  zumal  da,  wo  eine  Schwangerschaft 
und  Geburt  noch  nicht  stattgefunden,  in  gewissem  Maasse 
stattfindet,  wird  durch  mehrere  von  mir  bei  Sectionen  alter 
Jungfern  und  solcher  Frauen,  die  nicht  geboren  haben,  ge- 
machte Beobachtungen  bestätigt,  nach  welchen  die  Becken 
derselben  merklich  kleinere  Maasse  zeigten,  als  durchschnitt* 
lieb  bei  Frauenbecken  nach  vorausgegangenen  Geburten  ge- 
funden werden. 

Alle  so  eben  aufgeführten  Momente  zeugen  daffiir,  dass 
in  dem  hier  in  Rede  stehenden  Falle  ein  schräg  verengt  es 
Becken  mit  Ankylose  der  linken  Synchondrose  und 
mit  Knochenwucherung  an  den  obersten  Kreuz- 
wirbelkörpern vorlag. 

Bei  dieser  Gelegenheit  kann  ich  nicht  unterfassen,  meine 
Genugtuung  darüber  auszusprechen,  dass  die  sehr  sorgfiftige, 
jeden   einzelnen   Grand,    welcher  für   und    wider   angeführt 

)fonftta«6far.f  Grtiirtik.  18*8.  Bd. XIX.,  Hft.4.  17 


258  XI-   Verfuutdlungeii  der  Gesellschaft 

worden  ist,  einer  besonderen  auf  Thatsachen  gestifteten  Kritik 
unterziehende  Arbeit  des  berühmten  Leydener  Professors  der 
Geburtshülfe  diejenige  Ansicht  über  die  Entstehung  der 
schrägverengten  Becken  mit  Ankylose  der  einen  Hüftfcreuz- 
beinfuge  vollständig  bestätigt  hat,  welche  ich  bereits  in  meinem 
1841  erschienenen  Programme  „De  pelvi  oblique  ovata  cum 
ancylosi,  Jenae  1841"  ausgeführt  habe.  In  jenem  Programme, 
in  deren  Noten  zugleich  zahlreiche  Studien  über  die  Ent- 
wkkelung  und  das  Wachsthum  der  Beckenknochen  an  Fötus- 
und  Kinderskeleten  mitgetheilt  wurden,  deren  spätere  Autoren, 
z.  B.  Litzmann  in  seinem  Werke  über  das  enge  Becken 
(Kiel  1860)  nicht  gedenken,  obschon  letzterer  ähnliehe  sehr 
schätzenswerthe  Studien  veröffentlicht,  sprach  ich  aus,  dass 
die  Entstehung  dieser  Art  schrägverengter  Becken  (denn  ich 
unterschied  schon  damals  bestimmt  davon  die  anderen  Arten, 
welche  ohne  Ankylose  bestehen)  auf  einer  durch  Ent- 
zündung der  einen  Ileosacralsynchondrose  entstandenen  Ver- 
wachsung beruhe  und  dass  die  übrigen  dabei  constant 
beobachteten  Verunstaltungen  der  Beckenknochen  secund&re 
seien.  Simon  Thomas  sagt  S.  49:  „Bei  jedem  schräg- 
verengten  Becken  ist  die  Ankylose  für  die  primitive  Ab« 
weichung  und  für  ein  erworbenes  Uebel  zu  halten.  Zur 
Entstehung  der  Ankylose  ist  eine  Entzündung  des  Ueosacral- 
gelenkes  erforderlich." 

3)  Was  die  von  mir  eingeschlagene  Therapie  der  Ge- 
burtsstörung,  soweit  dieselbe  von  dem  Beckenfehler  ausging, 
anlangt,  so  entsprach  sie  durchaus  den  von  mir  in  meinem 
Vortrage  „über  die  Wendung  auf  den  Fuss  als 
Rettungsmittel  des  Kindes  bei  Beckenenge"  vor 
zwei  Jahren  aufgestellten,  in  der  Monatsschrift  für  Geburts- 
kunde, Bd.  XV.,  S.  16  ff.  ausführlich  mitgetheiken  Grund- 
sätzen. Ich  hatte  es  hier  freilich  mit  einem  nicht  allein 
sebrägverengten  Becken  zu  thun,  sondern  zugleich  mit  einer 
durch  Knochen  Wucherung  am  Kreuzbeine  bedingten  Verkürzung 
der  geraden  Durchmesser  bis  zu  3"  5W.  Immerhin  erschien 
die  linke  Beckenbälfte  im  höheren  Grade  verengt,  als  die 
rechte,  und  die  Einstellung  des  Kindskopfes  in  erster  Schädel- 
Stellung  deshalb  minder  günstig;  wie  denn  auch  dieselbe  bei 
der  vorausgegangenen  Entbindung  nach  der  Mittheilung 


für  GebnrtahWfc  in  Berlin.  269 

dabei  anwesenden  Arztes  sich  so  hinderlich  erwiesen  hatte, 
dass,  nachdem  die  Zange  wiederholt  vergeblich  in  Anwendung 
gesogen  war,  endlich  nur  die  Perforation  und  Kephalothrypsie 
die  Mutter  befreien  konnten.  Unter  diesen  Umständen  musste, 
zumal  da  das  Kind  ein  ausgetragenes  war,  sogar  mehr  als 
gewöhnlich  gross  sich  erwies,  der  Versuch  den  in  erster 
Schädellage  beweglich  Aber  dem  Beckeneingange  stehenden 
Kopf  mit  der  Zange  zu  Tage  zu  fördern  unterlassen  werden. 
Dagegen  erblickte  ich,  als  nach  der  endlich  erfolgten  hin- 
reichenden Erweiterung  des  Muttermundes  die  Beschleunigung 
der  Geburt  durch  die  Erschöpfung  der  Kreissenden  u.  s.  w. 
geboten  erschien ,  in  der  Wendung  des  Kindes  auf  die  Füsse 
das  geeignete  Mittel,  den  dickeren  Hinterkopf  in  die  weitere 
rechte  Beckenhälfte  zu  leiten  und  dadurch  die  Ausziehung 
eines  lebenden  Kindes  zu  ermöglichen.  Der  günstige  Erfolg 
bat  meine  Erwartung  in  diesem  Falle  bestätigt. 

Ob  bei  einfach  schrägverengten  Becken  mit  Ankylose  die 
Wendung  auf  die  Füsse,  wie  Simon  Thomas  glaubt,  weniger 
verspricht  als  die  Kopflage,  muss  wohl  erst  durch  zahl- 
reichere Beobachtungen  entschieden  werden.  Erkennt  ja1  doch 
Simon  Thomas  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  selbst  an, 
dass  bei  diesem  Beckenfehler  die  Beckenendelage  in  Beziehung 
auf  die  Mutter  günstiger  sei,  als  die  Kopflage.  In  27  hin- 
sichtlich ihres  Verlaufes  und  Resultates  näher  bekannt  ge- 
wordenen Fällen  von  Entbindung  bei  schrägverengtem  Becken 
mit  Ankylose  hat  man  19  Mal  die  Zange  versucht  und  dabei 
nur  vier  Mütter  am  Leben  erhalten,  darunter  zwei  Mal  mit 
einem  Bruche  eines  Schambeines,  in  15  Fällen  folgte  der 
Tod  und  zwar  hatten  fünf  Mal  noch  andere  Operationen,  wie 
Perforation  und  Kephalothrypsie,  in  Anwendung  kommen 
müssen.  —  Der  Ausspruch  von  Simon  Thomas  (S.  64): 
„bei  todten  Früchten  oder  bei  denjenigen,  welche  bereits 
durch  die  lange  Dauer  der  Geburt  —  gelitten  haben,  ist 
keine  andere  Operation  als  die  Perforation  erlaubt4*  könnte  zu 
Fehlern  der  Behandlung  Anlass  geben,  wenn  man  nicht  an- 
nehmen dürfte,  dass  hier  unter  „Perforation"  die  Verkleinerungs- 
Operationen  des  Kopfes  überhaupt  zu  verstehen  seien.  Denn 
die  Perforation  als  solche  verkleinert  den  Kopf  nicht,  sondern 
begünstigt  nur  die  Verkleinerung,  welche  durch  die  Kephalo- 

17* 


260  XI-    Verhandlungen  der  GeielUchaft 

thrypsie  oder  in  anderer  Weise  eflectuirt  werden  mute* 
wie  ich  Monatsschrift  „  Band  XVII.,  S.  103  dargetban  habe« 
Ebendaselbst  habe  ich  nach  mehlfachen  Versuchen  am  Phantom 
und  Beobachtungen  an  Kreissenden  ausgesprochen,  dass  die 
Kephalothrypsie  an  dem  zuletzt  kommenden  Kopfe  besonders 
leicht  und  mit  dem  besten  Erfolge  vollzogen  werde  und  zwar 
ohne  vorausgeschickte  Perforation;  ein  Ergebniss  der  Er- 
fahrung, welches  eventuell  für  die  Wendung  auf  die 
Fasse  bei  beträchtlicher  Beckenenge  da,  wo  dieselbe  über- 
haupt zulässig  ist,  anzuführen  sein  möchte. 

Herr  L.  Mayer  ist  der  Meinung,  dass  eine  einfache 
Conglutinatio  des  Muttermundes  der  Gewalt  der  Wehen  immer 
weichen  müsse;  sei  dies  nicht  der  Fall,  so  müsse  man  wohl 
eine  Verwachsung  und  nicht  eine  blosse  Verklebung  annehmen. 
So  hätte  auch  in  dem  vorliegenden  Falle,  wo  ein  einfacher 
Fingecdruck  hingereicht  habe,  die  Verklebung  zu  trennen, 
eine  längere  Einwirkung  der  Wehen  gewiss  die  Eröffnung  des 
Muttermundes  herbeigeführt.  Ihm  selbst  seien  drei  Fälle 
bekannt,  wo  diese  Entwickelung  mit  der  Zeit  stattgefunden  habe. 

Herr  Martin  wendet  ein,  dass.wohl  nur  die  jedesmalige 
Beobachtung  die  angeführte  Möglichkeit  ergeben  könne  und 
diese  im  vorliegenden  Falle,  wo  drei  Tage  lange  Wehen  zum 
Theil  unter  ärztlicher  Assistenz  und  Förderung  die  Ent- 
wickelung des  Scheidentheils  nicht  bewirkt  hätten,  aus- 
zuschliessen  sei.  So  sehr  leicht  sei  übrigens  der  angewendete 
Fingerdruck  nicht  zu  nennen,  und  habe  er  deutlich  das 
Zerreissen  der  Adhäsionen  gefühlt,  während  gleichzeitig  etwas 
Blutabgang  eingetreten  sei.  Endlich  stände  diese  Beobachtung 
nicht  vereinzelt  da:  Naegele  d.  J.  führe  in  seiner  Schrift  „De 
mogostocia  e  conglutinatione  orificii  uteri  (Heidelbergae  1835)" 
zahlreiche  Beispiele  an,  wo  die  Geburt  Tage  lang  gezögert 
habe,  nach  Zerreissung  der  Verklebung  hingegen  schnell  vor- 
wärts gegangen  sei. 

Herr  C.  Mayer  erwähnt  einen  Fall,  wo  die  üi  der 
Schwangerschaft  durch  Entzündung  der  Vaginalportion  und 
Scheide  gebildete  Verklebung  des  Muttermundes  ebenfalls 
durch  mechanische  Mittel  beseitigt  werden  musste.  In  anderen 
Fällen   habe    er   solche  Verklebung   sich   ohne  mechanische 


fir  GebartshiHfa  in  Berlin.  261 

Hülfe  lösen  sehen,  doch  bezweifle  er  die  Möglichkeit  solch 
stärkerer  Verklebungen  nicht 

In  Bezug  auf  eigentliche  Verwachsung  erwähnt  Herr 
L.  Mayer  einen  Fall,  den  er  ausführlicherer  Mittheilung 
vorbehält. 

Herr  Ulrich  bat  im  Wiener  Gebärhause  einen  Fall 
beobachtet,  wo  durch  einfache  Conglutinaüon  die  Entbindung 
bedeutend  verzögert  wurde.  Ob  damals  die  mechanische 
Erweiterung  vorgenommen  sei  oder  die  Wehenkraft  gesiegt 
habe,  weiss  er  nicht  mehr  anzugeben,  jedenfalls  aber  sei 
die  mechanische  Behandlung  der  ieichtere,  schnellere  und 
schonendere  Weg  die  Entbindung  zu  Ende  zu  fuhren. 

Herr  Eavoth  verweist  auf  die  milde  und  doch  ergiebige 
Erweiterung,  die  ein  bohrender  Finger  auch  in  anderen 
Fällen  zu  Wege  bringe;  so  habe  er  kurzlich  eine  Strictur 
des  Mastdarms  ebenfalls  auf  diese,  Weise  zur  genügenden  und 
günstigen  Erweiterung  gebracht. 


Sitzung  vom  28.  Januar  1862. 

Vor  der  Tagesordnung  zeigt  der  Vorsitzende  den  vor 
wenigen  Tagen  erfolgten  Tod  des  Geh.  Medicinalraths  Professor 
Dr.  Hohl  der  Gesellschaft  an.  In  einer  kurzen  Schilderung 
gab  er  eine  Uebersicht  über  die  Verdienste,  welche  Hohl 
sowohl  als  Lehrer  wie  als  Schriftsteller  sich  um  die  wissen- 
schaftliche Ausbildung  der  Geburtshülfe  erworben,  erwähnte 
die  Theilnahme,  mit  welcher  derselbe  als  auswärtiges  Mitglied 
stets  den  Verhandlungen  der  Gesellschaft  gefolgt  war  und 
gab  der  Traner  um  diesen  Verlust  einen  beredten  Ausdruck. 
Durch  allgemeines  Erheben  ehrte  die  Gesellschaft  das  An- 
denken ihres  alten  Freundes  und  Lehrers. 

Herr  Lücke  hielt  folgenden  Vortrag: 
Ueber  Entstehen  und  Wachsthum  von  Geschwülsten 
während  der  Schwangerschaft. 

Das  zu  besprechende  Thema  verdient  in  hohem  Grade 
die  Aufmerksamkeit  der  Geburtshelfer,  auch  wenn  wir  von  den 


262  XI*    Verhandlungen  der  Gtselbchaft 

Geschwülsten  absehen/  welche  ihren  Sitz  an  den  Geschlecfate- 
theilen  haben  und  wegen  der  mechanischen  Hindernisse,  die 
sie  der  Geburt  entgegensetzen  können,  dem  Geburtshelfer 
wohl  bekannt  sind.  Geschwülste  an  anderen  Körpertheilen, 
welche  mit  der^Schwangerschaft  einen  gewissen  Zusammenhang 
haben ,  sind  wohl  häufiger  von  Chirurgen  beobachtet  worden ; 
wenigstens  findet  sich  in  den  Lehrbüchern  der  Geburtshelfer 
so  gut  wie  Nichts  darüber  und  doch  muss  hier  die  wichtige 
Frage  erörtert  werden,  zu  welcher  Periode  der  Schwanger- 
schaft nöthige  Operationen  am  gefahrlosesten  für  deren  Verlauf 
vorgenommen  werden  können. 

Es  würde  gewiss  nicht  schwierig  sein,  in  der  Literatur 
eine  grössere  Anzahl  von  Fallen  zu  finden,  welche  hierher- 
gehören, ich  will  mich  jedoch  darauf  beschranken,  eine  Reihe 
von  solchen  Fällen  mitzutheilen,  die  ich  selbst  im  königl.  chir. 
Universitäts-  Klinikum  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt  habe. 

Bei  der  veränderten  Vegetation  und  Innervation  des  weib- 
lichen Körpers  während  der  Schwangerschaft  ist  es  nicht 
auffallend,  dass  auch  Geschwülste  verschiedener  Art  sich  ent- 
wickeln, oder  einmal  vorhanden  einen  rapideren  Verlauf  nehmen; 
es  können  dies  bösartige  Neubildungen  sein,  wie  Carcinom, 
oder  in  d$m  Geruch  verhältnissmässiger  Gutartigkeit  stehende, 
wie  Enchondrome  und  Sarkome;  auch  vom  Knochengewebe 
ist  es  bekannt,  dass  es  in  Gestalt  von  Osteopbyten  am 
Schädelgewölbe  der  Schwangeren  sich  entwickeln  kann.  Mögen 
sie  nun  dieser  oder  jener  Kategorie  angehören,  so  viel 
scheint  gewiss,  dass  ihr  Vorhandensein  —  abgesehen  von  den 
Tumoren  der  Geschlecbtstheile  —  keinen  Einfiuss  weder  auf 
den  Verlauf  der  Schwangerschaft,  noch  auf  die  Gesundheit 
des  Kindes  ausübt. 

Geschwülste  können  entweder  bereits  vor  der  Schwanger- 
schaft bestehen,  und  der  Einfiuss,  den  dieselbe  auf  sie  ausübt, 
besteht  darin,  dass  sie  plötzlich  in  ein  rapides  Wachsthum 
gerathen  und  die  Operation  dann  erforderlich  machen,  wenn  ein 
weiteres  Wachsthum  die  Exstirpation  unmöglich  oder  lebens- 
gefährlich machen  würde.  Oder  zweitens  entstehen  Tumoren 
während  der  Gravidität  und  nehmen  einen  mehr  oder  weniger 
rapiden  Verlauf.  In  dritter  Reibe  wären  solche  Fälle  auf- 
zuzählen,   wo   Geschwülste,    bestehend«   oder   erst   in   der 


Illr  Gebnrtshbife  in  Berlin. 

Schwangerschaft  entstandene,  bei  erneuter  Schwangerschaft 
ein  erneutes  Wachsthum  beginnen,  also  gewissermaassen  einen 
typischen  Verlauf  nehmen.  *) 

Fälle  der  ersten  Art  sind  folgende: 

1.  Frau  von  40  Jahren,  angeblich  stets  gesund  gewesen, 
leicht  kyphotisch  gebaut,  bemerkte  im  Jahre  1858  einen 
kleinen  verschiebbaren  Knoten  in  der  Achselhöhle.  Im  August 
1860  verheiratbete  sie  sich  und  bemerkte  bald  nach  erfolgter 
Conception  eine  zweite  kleine  Geschwulst  in  der  Nähe  der  ersten, 
welche  rasch  an  Wachstbum  zunahm;  über  ihr  röthete  sich 
die  Haut  und  sie  ward  der  Sitz  heftiger  lancinirender  Schmerzen. 
Ende  vierten  Monates  ihrer  Schwangerschaft  wurde  die  Patientin 
in  das  königl.  Klinikum  aufgenommen ;  Kindsbewegungen  waren 
deutlich  gefühlt;  in  der  Achselhöhle  befand  sich  eine  mehr 
wie  faustgrosse  Geschwulst,  die  sich  bis  an  den  Axillarrand 
der  Mamma  erstreckte;  sie  war  hart,  kaum  verschiebbar, 
mit  der  gerötheten  Haut  fest  verwachsen.  Die  Exstirpatio» 
wurde  Mitte  Januar  1861,  im  fünften  Schwangerschaftsmonate 
vorgenommen;  die  Geschwulst  musste  von  der  Scheide  der 
grossen  Axillargefäese  abgelöst  und  ein  Stück  Haut  mit- 
entfernt werden.    Die  Untersuchung  ergab  sie  als  Carcinom. 

Die  Heilung  ging  innerhalb  zweier  Monate  ungehindert  von 
8tatten,  die  Kindsbewegungen  blieben   nach  wie  vor  lebhaft. 

2.  Frau  von  36  Jahren,  seit  12  Jahren  verheirathet, 
bat  vier  Kinder  geboren.  Im  März  1860  bemerkte  sie  am 
Rande  der  linken  Brust  einen  harten  Knoten,  der  wahrschein* 
lieh  schon  länger  bestanden  hatte  und  ihr  keinerlei  Be- 
schwerden verursachte.  Im  April  coneipirte  Patientin  zum 
fünften  Male.  Der  Knoten  blieb  klein  und  schmerzlos  bis 
zum  sechsten  Monate  der  Schwangerschaft,  von  wo  ab  eine 
schnelle  Vergrösserung  begann,  die  Geschwulst  wurde  schmerz- 
haft und  brach  auf.  Trotz  dem  bedeutenden  Säfteverluste 
durch  das  jauchende  Carcinom  verlief  die  Schwangerschaft 
normal  und  Patientin  gebar  im  Januar  1861  ein  gesundes 
Kind.    Im  April   wurde  die  Patientin  in  die  Klinik  reeipirt 


1)  Ein  Theil  der  Krankengeschichten  ist  von  M.  Kaeppel  in 
seiner  Inauguraldissertation,  Berlin  1861,  mitgetheilt  Fall  6 
theilweise  von  Dr.  BUfri  ia  der  Deutschen  Klinik,  1860. 


264  XL    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Sie  war  äusserst  abgemagert,  fieberte  fortwährend,  hatte 
wegen  der  Schmerzen  wenig  Schlaf;  die  linke  Mamma  war 
nahezu  zerstört,  die  Ulceration  hatte  etwa  die  Grösse  eine« 
Handtellers;  in  der  Umgegend  bis  weit  auf  die  rechte  Brust 
hinüber  sich  erstreckend  zeigten  sich  eine  grosse  Anzahl 
flacher  Hautcarcinomeu,  von  verschiedener  Grösse.  An  eine 
Exstirpation  war  hier  naturlich  nicht  zu  denken,  jedoch  wurde 
der  Versuch  gemacht,  durch  das  Glüheisen  einen  Theil  des 
Krankhaften  zu  zerstören  und  es  wurde  wenigstens  das  er- 
reicht, dass  die  Schmerzhaftigkeit  nachliess  und  der  scheuss- 
liche  Gestank  beseitigt  ward.  Indessen  trat  bald  brandiger 
Decubitus  ein,  die  Ulceration  machte  Fortschritte  in  die  Tiefe 
und  Patientin  erlag.  Die  Section  ergab  secundäre  Carcinome 
auf  Pleura,  Pericardium  und  in  der  Leber. 

3.  Frau  von  30  Jahren;  seit  zwei  Jahren  verheirathet 
bemerkte  sie,    nachdem   in  Folge   einer  Erschütterung  eine 

-Blutung  aus  dem  Munde  stattgefunden  hatte,  ein  Knötchen 
am  harten  Gaumen,  welches  bei  Berührung  leicht  blutete.  Sie 
wurde  schwanger.  Im  sechsten  Monate  der  Schwangerschaft 
fing  das  Knötchen  an,  lebhaft  zu  wachsen  und  wurde 
schmerzhaft  Schwangerschaft  und  Geburt  verliefen  indessen 
trotz  des  zunehmenden  Wachsthums  der  Geschwulst  normal, 
Patientin  gebar  ein  gesundes  Kind,  welches  sie  bis  zum 
siebenten  Monate  nährte,  und  da  während  dem  der  Tumor 
unaufhaltsam  zunahm,  kam  sie  in  die  Klinik,  wo  die  Ex- 
stirpation der  faustgrossen  Geschwulst  mit  Wegnahme  des 
harten  Gaumens  ausgeführt  wurde.  Die  Geschwulst  war  ein 
Enchondrom. 

Fälle  der  zweiten  Art  —  Entstehen  von  Tumoren  in  der 
Gravidität  —  sind  folgende: 

4.  Frau  von  30  Jahren,  war  in  ihrer  Jugend  scrophiulös, 
ihre  Menses  waren  stets  unregelmässig.  In  ihrem  26.  Jahre 
verheirathete  sie  sich  und  gebar  vier  Kinder«  Die  letzte 
Niederkunft  fand  vier  Wochen  vor  ihrer  Aufnahme  in  das 
Klinikum  statt.  In  den  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft 
hatte  sich  an  der  v  linken  Brustwarze  eine  Erosion  gebildet, 
deren  Umgegend  sich  bald  verhärtete.  Gleichzeitig  litt  Patientin 
an  den  heftigsten  Schmerzen  im  Kreuze  und  reissenden 
Schmerzen  in  den  unteren  Extremitäten.    Patientin  war  sehr 


fö*  Gebnrtohfilfe  in  BmKb.  265 

schwach  und  abgemagert,  der  Lochialfluss  hatte  noch  nicht 
aufgehört,  die  linke  Mamma  zeigt  eine  hübnereigrosse,  fest 
aufsitzende,  harte  GescbwuJst;  die  Warze  ist  eingezogen  und 
ron  einer  thalergrossen,  flachen  Ulceration  umgeben.  Dabei 
klagt  die  Kranke  fortwährend  ober  die  heftigsten  Rücken- 
schmerzen, eine  leichte  Anästhesie  der  Fusse  ist  nachweisbar. 
Verlagerung  der  Gebärmutter  ist  nicht  vorhanden.  Im  Mai  1861 
wurde  die  linke  Mamma  mit  der -Geschwulst  entfernt,  nebst 
einigen  inßltrirten  Acbseldrüsen.  Der  Tumor  war  ein  Scirrhus. 
Die  Ueberhäutung  der  Wunde  kam  nicht  zu  Stande,  die 
Kräfte  der  Patientin  nahmen  unter  den  fortwährenden  heftigsten 
Schmerzen  im  Racken,  welche  den  Verdacht  auf  anderweitige 
Caräneme  vom  Anfange  an  erregt  hatten,  ab;  der  Tod  erfolgte 
nach  drei  Monaten  durch  eine  Pleuritis.  Die  Section  ergab 
secundäre  Carcinome  der  Pleura  und  Lungen ,  des  Pen- 
cardiums  und  der  Leber,  sowie  sämmtlicher  Wirbelknochen, 
des  Kreuzbeins,  der  Bedienknochen,  der  Rippen  und  des 
Brustbeins. 

5.  Kräftige  Frau  von  36  Jahren,  bisher  stets  gesund 
gewesen.  Seit  16  Jahren  verheirathet  hat  sie  sieben  Kinder 
geboren.  Bei  ihrer  Aufnahme  in  das  chirurgische  Klinikum 
war  sie  im  siebenten  Monate  ihrer  .achten  Schwangerschaft. 
Vor  18  Wochen  hatte  sie  eine  erbsengrosse  Geschwulst  am 
linken  Kieferwinkel  bemerkt,  welche  seit  sechs  Wochen  ein 
rapides  Wachsthum  begonnen  hatte.  Die  erst  harte  Geschwulst 
fing  an  zu  erweichen,  wurde  sehr  schmerzhaft.  Vor  14  Tagen 
wurde  durch  Incision  eine  Quantität  Eiter  entleert.  Bei  der 
Aufnahme  der  Kranken  war  die  Geschwulst  hühnereigross, 
weich,  wenig  verschiebbar  und  nahm  genau  die  Regio  parotidea 
ein,  nach  oben  reichte  sie  bis  an  den  Arcus  zygomaticus, 
nach  unten  über  den  Kieferwinkel  hinaus;  sie  war  der  Sitz 
der  heftigsten  spontanen  Schmerzen,  welche  ihr  jeden  Schlaf 
raubten  und  sie  vor  Allem  zur  Operation  bestimmten.  Kinds* 
bewegungen  waren  lebhaft.  Die  Geschwulst  wurde  mit  einiger 
Schwierigkeit  exstirpirt ;  der  Arcus  temp.  musste  unterbunden 
werden,  der  Plexus  anserinus  durchschnitten.  Es  war  ein 
Epitheliakarcinom  der  Parotis.  Die  Heilung  erfolgte  sehr 
schnell  und  Patientin  gebar  ein  gesundes  Kind;  es  traten 
baM  Recidive  auf. 


266  XI.    Verhandlungen  4er  Geeelbebaft 

Io  dritter  Reihe  theile  ich  zwei  Fälle  mit,  die  gleichsam 
eisen  typischen  Verlauf  darbieten. 

6.  Frau  von  30  Jahren.  Sie  hat  fünf  regelmässige  Ge- 
burten gehabt,  einmal  abortirt  und  befand  sich  cur  Zeit  ihrer/ 
Aufbahme  in  die  Anstalt  im  achten  Monate  ihrer  siebenten 
Schwangerschaft  Patientin  ist  eine  kräftige  Frau.  Sie  ist  vor 
langen  Jahren  einmal  auf  den  rechten  Ellenbogen  gefallen,  hat 
aber  später  nur  zuweilen  Schmerzen  in  der  Ulna  empfunden, 
bis  im  Beginne  der  letzten  Schwangerschaft  sie  in  der  Gegend 
der  Ulna  ehe  Geschwulst  bemerkte,  die  anfangs  langsam,  im 
siebenten  Monate  aber  sehr  rasch  zunahm.  Die  mannsfaust- 
grosse  harte  Geschwulst  nimmt  die  Gegend  des  oberen  Drittel 
der  Ulna  ein  und  ist  fast  auf  dem  Knochen  unbeweglich. 
Das  Allgemeinbefinden  der  Patientin  ist  gut,  die  Kinds» 
bewegungen  werden  lebhaft  gefühlt.  Zur  Entfernung  der 
Geschwulst  muss  die  Resection  des  Ellenbogengelenks  vor* 
genommen  und  ein  grosses  Stück  der  Ulna  mitentfernt  werden; 
das  Capitul.  radii  wurde  erhalten.  Die  Heilung  ging  vor* 
trefflich  von  Statten,  Patientin  bekam  ein  etwas  lose  beweg- 
liches Gelenk  und  genas  zur  rechten  Zeit  eines  gesunden 
Kindes. 

Ein  Jahr  später  trat  erneute  Schwangerschaft  ein  und 
in  derselben  entwickelte  sich  in  der  Narbe  ein  Reoidiv  der 
Geschwulst,  welche  sich  als  Sarcom  ausgewiesen  hatte  und 
machte  eine  Exstirpation  derselben  nöthig,  die  wegen  des 
oberflächlichen  Sitzes  der  Geschwulst,  nicht  schwer  war.  Die 
Schwangerschaft  verlief  angestört  und  die  Patientin  befindet 
sich  gegenwärtig  wohl. 

7.  Frau  von  26  Jahren,  seit  15  Jahren  verheirathet, 
hat  elf  Schwangerschaften  überstanden,  in  der  sechsten, 
siebenten,  achten  trat  Abortus  ein.  Acht  Tage  vor  der 
neunten  Entbindung,  wo  sie  ein  todtes  Kind  gebar,  bemerkte 
sie,  nachdem  schon  längere  Zeit  Reissen  im  Kopfe  und  Thränen 
des  rechten  Auges  vorausgegangen  war,  eine  bobnengrosae, 
harte  Geschwulst  über  dem  rechten  inneren  Augenwinkel. 
Dieselbe  wuchs  auch  nach  der  Entbindung  noch  fort  und  ver- 
stopfte das  rechte  Nasenloch,  erreichte  fast  WaUnusagröese. 
Als  die  Menses  wieder  eintraten,  begann  die  Geschwulst  sich, 
ohne  Anwendung  von  Mitteln,  zu  verkleinern,  und  war  baM 


Ar  GeburtsfcWe  In  Berlin.  297 

nur  noch  bei  genauester  Untersuchung  als  flache  Auftreibung 
sichtbar. 

Im  November .  1858  bemerkte  Patientin  bei  erneuter 
Schwangerschaft  ein  Wachsen  der  Geschwulst,  welches  be- 
sonders in  der  zweiten  Hälfte  derselben  und  ganz  auffallend 
gegen  Ende  hervortrat.  Der  Tumor  war  jetzt  höhnereigross, 
verstopfte  das  rechte  Nasenloch  vollständig,  das  linke  theil- 
weise,  das  Geruchsvermögen  war  beeinträchtigt.  Nach  der 
Entbindung  verkleinerte  sich  die  Geschwulst  von  Neuem  und 
verschwand  bis  auf  einen  geringen  Rest  Das  Geruchsvermögen 
kehrte  wieder.  So  blieb  es  bis  zum  Eintritte  einer  neuen 
Gravidität  im  März  '1860.  Damit  begann  die  Geschwulst 
langsam  zu  wachsen,  erst  vom  siebenten  Monate  ab  nahm 
sie  ganz  rapid  zu  und  begann  schmerzhaft  zu  werden. 
November  1860  ward  Patientin  von  einem  gesunden  Kinde 
entbunden.  Aber  jetzt  nahm  die  Geschwulst  nicht  wieder  ab, 
im  Gegen theil  vergrösserte  sie  sich  enorm,  dass  sie  nahezu 
die  Grösse  eines  Kindskopfes  erreichte  und  Patientin  bewog, 
sich  behufs  der  Operation  in  das  königl.  Klinikum  aufnehmen 
zu  lassen.  Die  Exstirpation  wurde  von  B.  Langenheck  ver- 
sucht, konnte  aber  nur  theilweise  ausgeführt  werden,  weil 
{lieh  fand,  dass  der  Tumor  in  der  Gegend  des  Os  ethmoideum 
die  Basis  cranii  perforirt  hatte.  Die  Geschwulst  war  ein 
MeduRarsarcom.  Es  trat  zwar  zuvörderst  Heilung  ein,  aber 
bald  ein  Recidiv,  das  dann  seinen  Verlauf  nahm.  — 

Aus  dieser  verhältnissmässig  geringen  Anzahl  von  Kranken- 
geschichten lässt  sich  natürlich  kaum  etwas  Allgemeingültiges 
herleiten.  Indessen  scheint  mir  doch  besonders  beachtens- 
wert, dass  das  lebhafteste  Wachsthum  der  Geschwülste  vom 
wehsten  und  siebenten  Monate  der  Schwangerschaft  an  statt- 
zufinden pflegt  leb  constatire  nur  diese  einfache  Thatsache, 
die  vielleicht  physiologisch  verwerthet  werden  könnte. 

Was  die  praktische  Frage  anbetrifft,  so  ist  es  wohl 
zweifellos,  dass  unter  zwingenden  Umständen  dem  Chirurgen 
die  selbst  gefährliche  Exstirpation  von  Geschwülsten  gestattet 
werden  muss,  und  der  Grundsatz,  nach  abgelaufenem  fünften 
Sehwangerechaftismonate  zu  operiren,  scheint  gerechtfertigt 
zu  sein;  in  den  betreffenden  von  B.  Langenbeek  operirten 


XI.    Verhandlungen  der  Geselfochaft 

Fällen   ist  niemals   ein   ungünstiger  Einfluss   auf  den  Verlauf 
von  Schwangerschaft  und  Geburt  zu  bemerken  gewesen. 

Herr  L.  Mayer  constatirt  das  rapide  Wachsen  eines 
Cancroids  der  Vaginalportion  während  der  Schwangerschaft. 
In  einem  anderen  Falle  entwickelte  sich  eine  kleine  polypöse 
Excrescenz  an  der  Vaginalportion  ebenfalls  wahrend  der 
Schwangerschaft.  Zur  Zeit  behandelt  er  eine  Frau,  die  un- 
gefähr im  sechsten  Monate  schwanger  ist  und  eine  sich  stark 
Vergrössernde  Geschwulst  in  der  Herzgrube  trägt,  über  deren 
Natur  er  nicht  recht  im  Klaren  ist  Andererseits  kann  er 
indess  Beobachtungen  beibringen,  wo  z.  B.  Fibroide  des  Uterus 
während  der  Schwangerschaft  durchaus  keine  Vergrösserung 
erlitten  haben. 

Herr  Hesse  hat  häufig  die  Beobachtung  gemacht,  dass 
Schwangere  seine  Hülle  wegen  einer  eigentümlichen  polypösen 
Wucherung  des  Zahnfleisches  in  Anspruch  nahmen.  In  einem 
erst  kürzlich  beobachteten  Falle  war  diese  Wucherung  so 
stark,  dass  die  Zähne  auseinandergetrieben  wurden.  Eine 
blutige  Operation  hat  er  bei  dem  vasculären  Bau  derselbe^ 
bisher  gescheut  und  sich  auf  die  Anwendung  von  Aetzmitteln 
beschränkt.  Er  rätli  aber  auch  picht  zu  energisch  gegen 
dieses  Uebel  einzuschreiten,  da  er  in  allen  Fällen  ein  frei- 
williges Schwinden  der  anomalen  Bildung  nach  erfolgter  Ent- 
bindung gesehen  hat.  ^ 

Herr  Strassmann  bestätigt  diese  Beobachtungen  durch 
einen  von  ihm  selbst  kürzlich  behandelten  Fall 

Herr  Lücke  wirft  die  Frage  auf,  ob  auch  andere  gut- 
artige Geschwülste  diesen  Zusammenbang  mit  der  Schwanger- 
schaft zeigten;  seine  Beobachtungen  bezögen  sich  nur  auf 
das  Wachsthum  bösartiger  Fremdbildungen. 

Herr  Martin  weist  darauf  hin,  dass  allgemein  angenommen 
werde,  dass  Fibroide  des  Uterus  während  der  Schwanger- 
schaft wüchsen,  und  nachher  wieder  kleiner  würden.  Dass 
krebsige  Bildungen  excessiv  wucherten  habe  er  selbst  in  einem 
Falle  beobachtet,  in  welchem  neben  mehreren  anderen  Knochen- 
krankheiten eine  an  der  Vorderfläche  des  Kreuzbeins  und 
eine  an  dem  rechten  Schambeine  entstandene  Krebsgeschwulst 


für  Gaburtahülfe  in  B«ri!a. 

dermaassen  wucherten  und  dadurch  einfache  Verengerung,  dea 
Beckens  herbeiführten,  das»  nur  in  Folge  des  im  siebenton 
Monate  der  Schwangerschaft  eingetretenen  Todes  der  Frucht 
die  Entbindung  auf  natürlichem  Wege  möglich  wurde. ') 

Herr  Kauffmann  fand  nach  der  Entbindung  einer  Erst- 
gebärenden von  einer  Hydatidenmole  im  vierten  Monate  bei  der 
Untersuchung  des  Uterus  die  hintere  Wand  des  Uterus  durch 
eine  beträchtliche  Geschwulst  ausgedehnt,  die  bis  an  den 
Fundus  reichte  und  die  er  für  ein  eingebettetes  Fibroid  hielt. 
Längere  Zeit  nach  der  Entbindung  konnte* er  die  Geschwulst 
nicht  mehr  deutlich  fühlen  und  bei  einer  späteren  normalen 
Entbindung  war  keine  Spur  derselben  mehr  zu  entdecken. 

Herr  Kristeller  fragt,  ob  es  sich  in  diesem  Falle  nicht 
vielleicht  um  Reste  der  Decidua  gehandelt  habe,  welche  nach 
einer  kürzlich  von  ihm  gemachten  Beobachtung  den  Anschein 
einer  auffallenden  Verdickung  einer  Uteruswand  hervorrufen 
könnten. 

Diese  Auffassung  theilt  Herr  Kauffmann  indess  für 
vorliegenden  Fall  nicht,  da  er  nach  nochmaliger  Durchsicht 
seiner  damals  gemachten  Notizen  die  fibroide  Natur  dieser 
Geschwulst  für  unzweifelhaft  hält. 

Herr  Schnitze  erwähnt  eines  Lipoms,  das  er  vor  einigen 
Jahren  in  der  königl.  Entbindungsanstalt  zu  beobachten  Ge- 
legenheit hatte.  Dasselbe  sass  in  -der  Lendengegend  einer 
fettleibigen  Schwangeren  und  nahm  während  des  Aufenthalts 
derselben  in  der  Anstalt  in  den  letzten  beiden  Mondsmonaten 
augenfällig  an  Umfang  zu,  so  dass  Patientin  beabsichtigte,  sich 
nach  erfolgter  Entbindung  operiren  zu  lassen.  Vierzehn  Tage 
nach  der  Entbindung  indess  wurde  schon  eine  beträchtliche 
Abnahme  des  Lipoms  wahrgenommen;  Patientin  verliess  un- 
operirt  die  Anstalt  und  als  sie  sich  nach  Verlauf  von  einigen 
Monaten  eines  anderen  intercurrenten  Leidens  wegen  Herrn 
Schnitze  vorstellte,  hatte  sich  die  Geschwülst,  die  früher  fast 

1)  Die  ausführliche  Beschreibung  mit  Abbildung  s.  in  der 
lllustrirten  Medicinischen  Zeitung,  München,  III.  Band,  Heft  4, 
S.  167 — 186.  Martin,  über  den  Krebs  .der  Beckenknochen  als 
Oeburtshinderniss.  Die  Abbildung  s.  auch  in  Martina  Handatlaa 
der  Gynäkologie  und  Geburtshülfe ,  Taf.  LXVII.,  Fig.  2. 


270  XI.    Verhondlimgen  der  OeeeUaehaft  etc. 

Kindskopfgrösse  hatte,  bereits  biß  zum  Umfange  einer  Crtrone 
verkleinert. 

Herr  Winckel  theilt  die  ebenfalls  in  der  königl.  Ent- 
bindungsanstalt gemachte  Beobachtung  einer  Geschwulst  im 
linken  oberen  Augenlide  mit,  welche  bei  jeder  Menstruation 
der  Patientin  eine  vorübergebende  Vergrösserung  erlitt.  Bei 
einer  später  eintretenden  Schwangerschaft  erreichte  die  Ge- 
schwulst die  Grösse  einer  Wallnuss,  zeigte  eine  deutlich 
elastische  Beschaffenheit,  ohne  gelappt  zu  sein  und  liess  sich 
leicht  unter  der  Haut  verschieben.  Nach  dem  Wochenbette 
verkleinerte  sie  sich  bedeutend  und  da  die  lästigen  Druck- 
beschwerden fast  gänzlich  verschwunden  waren,  so  verzichtete 
Patientin  auf  die  früher  gewünschte  Operation. 


Bei    demnächst  vorgenommener   Wahl   neuer   Mitglieder 
wurden  mit  Stimmenmehrheit  gewählt: 

Zu  ordentlichen  Mitgliedern: 
Herr  Dr.  Ernst  Paetsch. 
„      „    Siegfried  Wilcke. 
„      „    Philipp  Groethuysen. 
Zu  auswärtigen  Mitgliedern: 
Herr  Dr.  Simon  Thomas  in  Leyden. 
„      „    Alfred  Hegair  in  Darmstadt. 
„       „    Samelson  in  Manchester. 
Die  Kasse,  wurde  revidirt  und  richtig  befunden. 
Bei  der  Neuwahl  des  Vorstandes  wurden  gewählt: 
Herr  C.  Mayer,  Präsident. 
„     Martin,  Vicepräsident. 
„     Kaufmann,  Secretär. 
„     Kristeller,  Vicesecretär. 
„     L.  Mayer,  Kassenführer. 

Schliesslich  wurde  eine  Commission  aus  den 
Herren  Lücke,  Kristeller  und  Ousserow 
erwählt,  um  die  Feier  des  Stiftungsfestes  würdig  vorzubereiten. 


XII.   Bpimdli,  Uetor  dto  Wmdmig  auf  die  Fasse  etc.     271 


XII. 

TJeber  die  Wendung  auf  die  Ftisse  bei  Querlagen 
mit  Vorfall  eines  Armes. 

Von 

Dr.  Spöndli, 

Privatdocent  in  Zürich. 

Die  WendungsfäUe  der  bezeichneten  Art  gehören  bekannter- 
'maasaen  zu  den  schwierigsten;  sie  sind  es  vorsügUcfa,  bei 
denen  häufig  die  Alternative  zwischen  Wendung  und  Embryotomie 
oder  die  Gefahr  eines  Gebärmutterrisses  auftritt  Ohne  mit 
neuen  Ideen  über  die  Behandlung  soieher  Fälle  an's  Licht 
treten  zu  wollen,  glaube  ich  doch  nichts  Unnützes  zu  unter* 
nehmen,  wenn  ich  dem  ärztlichen  Leserkreise  eine  Ansah! 
soieher  Beispiele  aus  meiner  eigenen  Praxis  vorführe,  um  die 
Hindernisse,  Gefahren  und  mitunter  auch  Verstösse  hn  Zu- 
sammenhange klar  zu  machen,  welchen  man  hierbei  au»* 
gesetzt  ist 

1.     Wendung  auf  den  linken  Fuss  bei  Querlage 
mit  Vorfall  des  rechten  Armes. 

Eine  noch  sehr  junge  Frau,  welche  ich  vor  einem  Jahre 
mittels  einer  mühsamen  Zange  von  ihrem  Erstgeborenen  ent- 
bunden hatte,  ward  Abends  6  Uhr  von  Wehen  befallen.  Um. 
1  Uhr  nach  Mitternacht  sprang  die  Blase;  und  bei  der  unmittelbar 
hernach  angestellten  Untersuchung  fand  dioHehamme  den  rechten 
Arm  bis  in  die  Vagina  herunterragend;  sie  behauptete,  froher 
den  Kopf  vorliegend  geffibll  zu  haben,  was  bei  der  bedeutenden 
mit  Gewalt  hervorstfirzenden  Wassermenge  und  mit  Hinblick 
auf  zuweilen  während  des  Geburtsactes  vorkommende  Ab- 
lenkungen des  Schädels  nicht  ganz  unmöglich  ist.  Immer 
aber  wird  man  wohl  daran  thun,  solche  Angaben  mit  einiger 
Vorsicht  aufzunehmen.  Als  ich  nach  einer  vollen  Stunde  su 
Wagen  bei  der  entfernt  wohnenden  Kreissenden  anüngte,  lag 
die  rechte  Hand,  auf  Berührung  sich  bewegend,  vor  den 
Genitalien,  der  Muttermund   zeigte  sich  hinlänglich  geMbet, 


272       XII.   SpöndU,  üeber  die  Weaduag  auf  dl«  Fflsae 

die  Wehen  waren  weder  stark  noch  häufig.  Aeusseriich 
fühlte  ich  den  Kopf  rechts,  die  Fasse  in  der  linken  Matter- 
seite, und  da  nichts  zu  versäumen  war,  liess  ich  sogleich 
das  Querlager  herrichten,  legte  um  die  vorgefallene  Hand 
eine  Schlinge,  und  ging,  letztere  der  Linken  übergebend,  mit 
der  rechten  Hand  in  die  Uterushöhle  ein.  Bald  erreichte  ich 
einen  Fuss,  es  war  der  linke,  und  zog  denselben  sogleich 
nach  dem  Beckenausgange  herunter.  Hierauf  liess  ich  eine 
Pause  eintreten,  doch  dauerte  es  kaum  10  Minuten,  bis 
kräftige  Wehen  den  Steiss  ins  Einschneiden  brachten.  Ob- 
schon  die  Fersen  ursprünglich  abwärts  schauten,  drehte  sich 
der  Rücken  von  selbst  nach  vorn.  Der  linke  Arm  erschien 
in  gewöhnlicher  Haltung  mit  abwärts  gestrecktem  EübogefL, 
und  der  Kopf  war  gegen  die  Brust  hin  gebeugt.  Da  indessen 
letzterer  Act  mit  etwelcher  Zögerung  verlief,  so  ward  das 
Kind,  ein  starker  Knabe,  asphyktisch  geboren,  und  es  bedurfte 
einer  halben  Stunde,  um  durch  unausgesetzte  Bemühungen, 
denselben  in's  Leben  zurückzurufen.  Die  Placenta  Uifete  sich 
spontan,  das  Wochenbett  ward  leider  durch  eine  beschwer- 
liche Mastitis  getrübt. 

Es  sei  mir  gestattet,  über  diesen,  wie  über  die  folgenden 
Fälle  einige  erläuternde  Bemerkungen  anzuknüpfen. 

Bei  sogenannten  Armlagen  wird  man  stets  am  Besten 
thun,  eine  Schlinge  über  das  Handgelenk  zu  legen,  um 
dadurch  die  Sacrälgegend  räumlicher  zu  gestalten.  Manche 
Collegen  haben  den  Gebrauch,  zu  reponiren;  es  nützt  dies 
aber  rein  nichts  und  kann,  wenn  dabei  roh  verfahren  wird, 
sogar  schädlich  wirken.  Ebenso  hinderlich  wirkt  blosses 
Liegenlassen,  weil  die  operirende  Hand  den  Arm  mit  sich 
zurücknimmt  und  dadurch  vielfach  gehemmt  wird.  Den  anderen 
Arm  aber  herunterzuziehen  würde  eben  so.  leicht  zum  Ziele 
führen,  wie  wenn  ein  schlechter  Schwimmer,  um  sich  vor 
dem  Ertrinken  zu  retten,  noch  tiefer  in  den  See  hiaeinwaten 
würde.  Ueber  die  Amputation,  Ausdrehung  und  ScarificatieB 
endlich  des  vorgefallenen  Armes  hat  die  Wissenschaft  schon 
längst  ihr  Urtheil  gesprochen.  Ist  das  Kind  abgestorben, 
so  hat  ein  solches  Verfahren  am  Ende  wenig  zu  bedeuten; 
lebt  es  aber,  so  liegt  darin  eine  nicht  zu  entschuldigende 
Barbarei,  welche  in  einem  Falle  ihre  gerechte  Strafe  dadurch 


bei  Querlagen  mH  Vorfall  eiaes  Armes.  278 

erhielt,   dass  der  Verstümmelte  Bach  erlangter  Volljährigkeit 
seinem  Lebensretter  eben  fatalen  Process  anhängte. 

Ferner  ist  es  Manchem  vielleicht  aufgefallen,  dass  ich 
nicht  auf  den  gleichnamigen  Fuss  wandte.  Obschon  nun 
mancher  Operateur  in  demselben  Falle  sich  mag  befunden 
haben 9  so  hegt  doch  darin  etwas  Kunstwidriges,  welches  mir 
gegenwärtig,  wo  ich  stets  längs  der  abwärts  gerichteten 
Kindesfläche  bis  zum  Steisse  in  die  Höhe  zu  gehen  pflege, 
nicht  so  ohnehin  begegnen  dfirfte.  Indessen  haben  sich  zu 
verschiedenen  Zeiten  gewichtige  Autoritäten,  wie  Röderer, 
Jörg  und  Simpson,  daför  ausgesprochen,  dass  das  Erfassen 
des  oberes  Fusses  namentlich  in  schwierigen  Wendungsfallen 
eine  leichtere  und  vollständigere  Umdrehung  gestatte,  und  ich 
selbst  habe  mich  am  Phantom  Afters  ftberzeogt,  dass  dies 
hauptsächlich  bei  nach  vorn-  gerichteter  Bauchfläche  der  Fall 
sei«  Man  darf  sich  also  über  jenen  Kunstfehler,  wenn  er  am 
rechten  Orte  begangen  wird,  beruhigen  und  der  Ausnahme 
von  der  Regel  ihr  Recht  vindiciren.  In  solchen  Sachen  muss 
der  praktische  Gesichtspunkt  leiten,  und  gesetzt  auch,  man 
halte  fehlerhafter  Weise  in  nicht  ganz  leichten  Fällen  den 
ungleichnamigen  Fuss  gefasst,  so  wird  es  jedenfalls  besser 
sein,  denselben  anzuziehen,  statt  fahren  zu  lassen,  um  den 
anderen  erst  aufzusuchen.  Gelingt  die  Umdrehung  nicht  wegen 
Kreuzung  der  Schenkel,  so  hat  man  immer  noch  Zeit,  das 
Letztere  auszuführen. 

2.     Wendung  auf  den  linken  Fuss  bei  Querlage 
mit  Vorfall  des  rechten  Armes. 

Eine  Frau,  welche  schon  acht  Mal  glücklich  nieder- 
gskanmen  war,  kam  Vormittags  6  Uhr  m  Geburtsarbeit 
Als  nach  einiger  Zeit  die  Blase  sprang,  fielen  Nabelstrang 
und  rechter  Arm  gleichzeitig  vor,  und  es  begann  sich  der 
letalere  unter  heftigen  Wehen  immer  mehr  mit  der  Schulter 
einzupressen  und  anzuschwellen.  Ein  geschätzter  College, 
der,  ich  weiss  nicht  genau,  wann?  gerufen  ward,  und  die 
Frucht  schon  abgestorben  fand,  versuchte  die  Wendung  auf 
die  Fasse  auszuführen,  und  da  ihm  der  vorgefallene  Arm 
hinderlich  war,  ezartieuhrte  er  denselben  um  Mittag.  Dessen- 
ungeachtet  kooote  er  weht  zum  Ziele  gelangen,  und  ermftdet 

MoBfttMehr.  f.  Qtbvrtok.  186».  Bd.  XIX.,  Hfl.  4.  18 


274       xn-  flpfrrfK,  tf  •*>"  d**  Wendnng  «nf  dito  Fasse 

lies*  er  mich  um  Hülfe  bitten.  Da  das  Queriager  schon  «feil 
mehreren  Stunden  exietkie,  so  hatte  ich  nicht*  Western*  an 
thnnf  als,  da  der  Kopf  rechte,  die  Fasse  links  sich  befänden, 
mit  der  rechten  Hand  die  Wendung  au  versuchte.  Es  war 
allerdings  keine  leichte  Arbeit;  indessen  gelang  es  mir  bas*\ 
den  in  der  linken  Vorderbsuobgegend  befindlichen  linken  Fuaa 
zu  erreichen  und  vor  die  Genitalien  herauszustellen.  Ee  wtoe 
höchst  überflussig  gewesen,  mit  der  Extraction  langer  an 
saudern,  die  Entwicklung  hielt  nicht  schwer«  der  rechte 
Schenkel  folgte,  und  bles  die  Arme  und  der  sehr  veluumfee 
Kopf,  welchen  ich  mittels  des  Prager  Handgriffes  entwickelte, 
verursachten  einige  Schwierigkeit.  Die  männliche  Frucht 
war  9  Pfund  schwer»  die  Ptaeenta  entfernte  ich  nach  einer 
Viertelstunde  und  das  Wochenbett  hatte  einen  günstigen 
Verlauf. 

Die  meisten  Querlagen  kommen  bei  HehrgeUreadan  zur 
Beobaohtjjng,  und  auch  eine  Reihe  der  glückUchsUn  Phorien 
schützt  nicht  vor  diesem  Vorkommnisse,  UnKngst  aber  erlebte 
ich  den  umgekehrten,  gewiss  seltenen  Fall,  dase  eine  Frau, 
wekhe  von  der  ersten  Geburt  an,  und  zwar  vier  Mai,  Quer* 
lagen  gehabt,  das  fünfte  Kind  trota  ihrer  Befürchtung  einer 
Wiederholung  rasch  und  glücklich  in  Sch&dellage  sur  Welt 

brachte. 

i 

3.     Wendung  auf  den  linken  Fuss  bei  Querlage  mit 

Vorfall   des  rechten  Armes  und   eingepresster 

Schulter. 

Eine  kleine  rhachitische ,  aber  überaus  muntere  und  ge- 
sunde Frag  wer  1854,  nachdem  ich  durch  äussere  Handgriffe 
die  Querlage  in  eine  Schfidettege  verwandaU  halte,  mit  anobm 
lebenden  Kinde  glucklich  niedergekommen.  Ein  Jahr  späte»,* 
gebar  sie  ihr  zweites  ganz  normal,  ond  da  sie  veramthliaii 
von  der  ersten  Niederkunft  trotz  meiner  ausführlichen  Er- 
klärung nur  einen  schwachen  Begriff  hatte,  vielfeieht  auch 
meine  damaligen  Bemühungen  für  überflüssig  haken  mochte, 
so  glaubte  sie  sich  für  alle  Zukunft  sicher,  und  sandte,  als 
1866  beim  Beginne  der  dritten  Gebort  das  Fruchtwasser 
abfloss,  zu  spät  um  Hälfe.  Vorher  wurden  Wefaenpuivtr  in 
Anwendung  gezegen,  aber  mit  den  erwachenden  Wehen  ward 


.    feoft  QiiefiflgMi  «Ht  Votfall  «Ines  Antra.  275 

iriobt  der  Kopf,  sondern  der  rechte  Arm  heruntergetrieben. 
Ein  mir  befreundeter  College,  den  man  noch  langen  Beratbungen 
über  die  passendste  Persönlichkeit  vier  Stunden  nach  dem  Blasen- 
spnmge  berief,  traf  die  Schuller  durah  heftige  Contractionen 
bereits  ki's  Becken  gepreest,  strebte  unter  Gebrauch  von 
Chloroform  den  Arm  zu  reponiren  und  die  Wendung  auf  die 
Füese  auszuführen,  konnte  aber  damit  nicht  tum  Ziele  gelangen. 
Da  um  derselbe  die  Verantwortlichkeit  des  Falles  nicht  allein 
ober  sich  nehmen  wollte  wid  (es  waltete  ein  wahrer  Unstern 
Aber  dieser  Geschichte)  ein  nahe  wohnender  Arzt  nicht  zu 
trauen  war,  kam  die  Reihe  zu  hdfen  an  wich.  Ich  erbannte 
bald  die  Unmöglichkeit,  m  der  gewöhnlichen  Rückenlage  auf 
den  Qoerbette  die  Wendung  zu  bewerkstelligen,  denn  die 
FOsse  lagen  vom  in  einem  bedeutenden  Hängebauche,  und 
die  Einführung  der  Hand  hielt  der  vorgefallenen  Extremität 
wegen  äusserst  schwierig.  Da  nun  der  Kopf  sich  mehr  auf 
der  rechten  Seite  befand,  so  Hess  leb  die  Gebärende  auf  die 
linke  Seite  lagern,  und  strebte,  nachdem  ich  den  vorgefallenen 
Arm  angeschlungen,  neben  der  Schulter  und  dem  angrenzenden 
Theifte  des  Thorax  vorbei  in  die  Höhe  zu  dringen,  während 
mein  College  die  Güte  hatte,,  zu  chlorbfbrtftiren.  In  einer 
der  nfictoten  Wehenpausen  gelengte  ich  an  den  Kopf,  der 
sich  der  Fübningshnie  nahe  befwrd,  und  diesen  umgehend, 
weiter  nach  oben  an  den  Unken  Fues ,  welcher  vom  Nabel- 
strange sich  umwickelt  zeigte.  Nachdem  ich  erstcre  gefasst 
und  an  den  Beokenausgang  gezogen,  Hess  ich  eine  Pause 
von  5  Minuten  eintreten  und  schritt  darin  zerr  Extraction, 
während  ich  gleichzeitig,  um  Platz  zu  gewinnen,  mit  der 
Unken  den  Thorax  etwas  beb,  mit  anderen  Worten,  in 
schonender  Weise  den  doppelten  Handgriff  ausfährte.  Bis 
hierher  ging  Alles  gut  von  Statten,  nun  aber  kamen  Schwierig- 
keiten eigentümlicher  Art.  Die  Fersen  waren  abwärts  ge- 
richtet, und  Wtnl  das  bei  meiner  Ankunft  schon  abgestorbene 
Kind  jeglicher  Elasticieät  entbehrte,  konnte  die  fehlerhafte 
Richtung  des  Rumpfes  trotz  alter  Bemühungen  so  wenig 
verbessert  werden,  dass  schliesslich,  nachdem  auch  die  Arme 
gelöst  worden,  das  Kinn  hartnäckig  Aber  der  Symphyse  sieb 
anetemnte.  In  dieser  Verlegenheit  brachte  ich  Zeige-  und 
Mittelfinger  beider  Hände  an  den  Kopf  und  drehte  das  Gesicht 

18* 


276       £U-   Bp9ndH9  Ueb«r  die  W«nd»i*  »nf  die  Ffiue 

nach  rechte  hinüber.  Indessen  auch  jetzt  wollte  es  n*cb 
nicht  gelingen,  die  Entwicklung  des  Schädels  zu  beendigen, 
und  ich  kam  erst  zum  Ziele,  als  die  Seiten*  in  die  Rücken- 
lage verwandelt  wurde  und  nun  bei  freiliegendem  Steisse  der 
Prager  Handgriff  zur  Ausführung  kommen  konnte.  Die  Lösung 
der  Placenta  erfolgte  nach  20  Minuten.  Die  Frucht,  minn- 
lichen Geschlechtes,  war  von  mittlerer  Grösse»  der  Nabel- 
st! ang  zeigte  sich  doppelt  um  Thorax  und  Extremitäten 
gewunden.  Die  Entbundene,  deren  Narkose  keineswegs  eine 
fortdauernde  gewesen,  hatte  sich  während  der  drei  Viertel- 
stunden dauernden  Operation  sehr  standhaft  benommen,  und 
ich  hoffte  anfanglich  auf  glücklichen  Erfolg  unseres,  freilich 
etwas  gewagten  Eingriffes.  Leider  sollte  diese  Hoffinung  nicht 
in  Erfüllung  gehen,  denn  der  Puls  stieg  gegen  Ende  der 
Extraction  von  80  plötzlich  auf  120  bis  130  Schläge,  ward 
schwach  und  fadenförmig,  die  Kräfte  sanken  rasch,  es  trat 
Frost  ein,  und  eine  tiefe  Ohnmacht  ward  zwar  bezwungen, 
aber  zwei  Stunden  später  starb  die  Wöchnerin.  Wir  kennten 
nach  allen  Erscheinungen  zu  schliessen  blos  eine  Ruptur 
verniuthen,  und  in  der  That  wies  die  Section  eine  solche 
von  anderthalb  Zoll  Länge  nach,  welche  alle  drei  Schichten 
der  hinteren  linken  Ahtheilung  des  Mutterhalses  durchdrang. 
Zugleich  fand  sich,  wie  häufig  bei  Rupturen,  dieselbe  Partie 
hochgradig  verdünnt  und  atrophisch;  in  der  Peritonealhöhle 
war  Blutextravasat  enthalten. 

Es  wirft  sich  hierbei  von  selbst  die  Frage  auf:  Wodurch 
war  die  Ruptur  zunächst  bedingt,  und  hätte  dieselbe  verhütet 
werden  können?  Die  Beantwortung  ist  nicht  leicht,  aber 
principiell  wichtig.  Zuerst  muss  in's  Auge-  gefasst  werden 
die  anatomische  Veränderung  der  verletzten  Uteruspartie; 
vielfache  Beispiele  thun  dar,  dass  in  asymmetrischen  Structur- 
verhältnissen  die  Prädisposition  zu  Rupturen  begründet  liegt» 
und  dass  solche  auch  bei  normalen  Geburten  auftreten  können. 
Sodann  fallt  in's  Gewicht  die  verspätete  Hülfeleistung  bei  heftigen 
Wehen,  welche  durch  Mutterkorn  noch  gesteigert  wurden;  ohne 
letzteres  Moment  wäre  die  Schulter  schwerlich  in's  Becken 
heruntergetrieben  worden.  Drittens  aber  fallt  di,e  Operation 
selbst  in  Betracht;  mein  College  war  a  posteriori  der 


bei  Querlagen  mit  Vorfall  eines  Armes.  277 

man  hätte  die  Embryotomie  ausfuhren  sollen  und  würde  dadurch 
wahrscheinlich  die  Frau  gerettet  haben.  Um  aber  hierüber  zu 
entscheiden,  hat  man  die  Wendung  sorgfältig  von  der  Ex- 
traction  zu  trennen;  wenn  die  Ruptur  schon  aus  der  Wendung 
hervorging,  so  wäre  vielleicht  die  Embryotomie  besser  ge- 
wesen; röhrte  aber  die  Verletzung  von  der  Extraction  her, 
so  wäre,  abgesehen  von  den  bei  der  Kinderzerstückelung 
leicht  möglichen  instrumentalen  Läsionen  mit  der  letzteren 
Operationsmethode  um  so  weniger  geleistet  worden,  als  ihr 
ebenfalls  die  Extraction  zu  folgen  hatte.  Nun  ist  es  That- 
sache,  dass  die  oben  erwähnten  Erscheinungen  erst  während 
der  Extraction  begonnen,  und  ihr  Anfang  war  deutlich  durch 
die  Empfindung  eines  lebhaften  Schmerzes  im  Abdomen  be- 
gleitet Folglich  hätte  nur  ein  solches  Verfahren  Aussicht 
auf  besseren  Erfolg  gehabt,  welches  die  Extraction  umging; 
ein  derartiges  giebt  es  aber  nicht.  Ich  glaube  auch  nicht, 
dass  man  durch  längeres  Zuwarten  mit  der  Extraction  bei 
den  ohnehin  schon  misslichen  Verhältnissen  ein  besseres 
Resultat  erzielt  hätte,  während  ich  allerdings  nicht  läugnen 
will,  dass  vielleicht  mit  noch  grösserer  Behutsamkeit  die 
Extraction  hätte  ausgeführt  werden  können.  Aus  allem  dem 
geht  aber  zur  Genüge  hervor,  dass  der  üble  Ausgang  durch 
Vornahme  der  Embryotomie  nicht  wäre  verhütet  worden,  und 
dass  es  namentlich  unstatthaft  wäre,  zu  glauben,  diese  Methode 
würde  schonender  als  die  Wendung  gewesen  sein.  Damit  soll 
durchaus  nicht  bestritten  werden,  dass  es  Fälle  gebe,  wo 
die  Embryotomie  indicirt  sei,  —  aber  hier  war  sie  es  nicht! 
Ich  habe  mich  auch  durch  diese  unglückliche  Erfahrung 
durchaus  nicht  abschrecken  lassen,  in  späteren  Fällen  ganz 
nach  denselben  Grundsätzen  zu  handeln,  und  war  trotz 
ähnlicher  Schwierigkeiten  vom  Glücke  besser  begünstigt. 
Schliesslich  ist  es  gewiss  gerechtfertigt,  ceteris  paribus  sich 
aus  ästhetischen  Gründen  immer  für  die  Wendung  zu  ent- 
scheiden, wo  man  die  Alternative  zwischen  der  letzteren  und 
der  Embryotomie  hat;  denn  es  ist  Aufgabe  der  rationellen 
Geburtshülfe,  die  zerstörenden  blutigen  Operationen  da  in  den 
Hintergrund  zu  verweisen,  wo  sie  nicht  entschieden  Vortheile 
zu  bieten  geeignet  sind. 


278       XJI-  B&mdU,  Uebtff  die  Wendung  auf  dl»  Fftsse 

4.    Verschleppter  Wenäungsfall  bei  Armlage. 

Eine  Frau  aus  den  unteren  Standen,  welche  schon  drei 
Kinder,  und  zwar  das  letzte  abgestorben,  ohne  ärztliche  Hälfe 
zur  Welt  gebracht,  verlor,  am  Ende  ihrer  vierten  Schwanger- 
schaft angelangt,  Nachmittags  4  Uhr  das  Fruchtwasser.  Die 
Hebamme  bemerkte  bei  der  hierauf  angestellten  Untersuchung 
zwar  keinen  vorliegenden  Kindestbeil  f  beruhigte  sich  aber 
vielleicht  mit  dem  Gedanken,  der  werde  schon  noch  komme* 
Er  kam  auch,  in  Gestalt  des  linken  Armes,  den  folgenden 
Morgen  rasch  in  die  Vagina  herunter.  Diese  unangenehme 
Entdeckung  nun  nötbigte,  einen  Arzt  rufen  zu  lassen.  Dieser 
fand  eine  Querlage  vorhanden,  er  versuchte  die  Wendung 
drei  Mal  und  zwar  zuletzt  Abends  9  Uhr  auszuführen,  und 
als  ihm  dies  nicht  gelang,  legte  er  sich  schlafen  und  ersuchte 
mich  am  folgenden  Morgen,  also  volle  24  Stunden  nach  dem 
Vorfalle  des  Armes  und  40  Stunden  nach  dem  Bbsensprnnge, 
um  Hülfe.  Auf  dem  entfernten  Platze  angelangt  liess  ich 
sogleich  das  Querlager  herrichten  und  fand  bei  der  er* 
schöpften,  von  Weben  augenblicklich  befreiten  Gehörenden 
den  linken  Arm  total  vorgefallen,  mit  der  Hand  aus  den 
Genitalien  hervorragend  und  blau  angeschwollen;  das  Orificium 
war  geöffnet,  die  Fösse  befanden  sich  auf  der  linken,  der 
Kopf  auf  der  rechten  Mutterseite.  Nachdem  ich  nun  um  daß 
Handgelenk  eine  Schlinge  gelegt  und  die  Narkose  bewerk- 
stelligt worden,  ging  ich  mit  der  Rechten  tin,  fand  aber 
sogleich,  dass  es  unmöglich  sei,  in  der  Röckenlage  neben 
der  eingetriebenen  Schulter  vorbeizukommen.  Dies  gelang 
erst,  nachdem  ich  die  linke  Seitenlage  angewiesen,  und  mit 
vorsichtiger  Langsamkeit  mir  den  Weg  bahnend  erreichte  ich 
endlich  fast  in  der  Höhe  des  Muttergrundes  den  linken 
Unterschenkel,  welchen  ich  ungesäumt  herunterzog  und  ein« 
leitete.  Das  Anschlingen  des  Fusses,  welcher  nicht  sogleich 
auf  das  wünschbare  Niveau  gebracht  werden  konnte,  war  eine 
schwere  Arbeit.  Nachdem  dies  beendigt,  machte  ich  mich 
an  die  Extracüon;  es  kamen  allmalig  Steiss  und  rechter 
Sehenkel  und  dann  rasch  die  übrigen  Theile  dar  Frucht  in's 
Durchschneiden,  ohne  dass  weitere  Hülfe  nötbig  war.    Erstere 


bei  iQMflagen  mit« Vorfall  eine»  Arme».  279 

war  von  mittlerer  Grösse,  männlichen  Geschlechtes,  stellen- 
weise  von   der   Epidermis   entblösst   und   verbreitete   einen 

intensiven  Fäutoissgeruch,    Eine  tiefblaue  Färbung  erstreckte 

sieb  von  der  vorgefallenen  Extremität  über  die  Schalter  und 
den  angrenzenden  Theil  des  Thorax,  zum  Beweise,  dass  auch 
letzten*  dem  Becfceneingange  nkht  fremd  gewesen.  Die 
Pkctnta  folgte-spontan;  ein  bald  eintretender  Frost  bei  kleinem, 
aber  nebt  frequantem  Pulse,  setzte  uns  glücklicher  Weise 
vergebens  in  Schrecken;  eine  peritonhisohe  Anfechtung  in  den 
ersten  Tagen  des  Wochenbettes  ward  von  meinem  CoUegen 
erfolgreich  bekämpft 

5.     Wendung  auf  den   linken  Fuss   bei   Querlage 
mit  Vorfall   des  linken  Armes. 


Abends  um  7  Uhr  ward  ich  durch  deu  Telegraphen 
nach  einer  entfernten  Ortschaft  oitirt,  #o  in  einer  elenden 
Dachstube  zwei  CoUegen  einer  Zweitgebärenden  seit  dem 
Vormittage  Beistand  zu,  leisten  versuchten.  Die  Wehen  be- 
gannen am  frühen  Morgen,  es  konnte  kein  vorliegender 
Kindestheil  erreicht  werden,  Jim  10  Uhr  sprang  die  Blase 
und  um  5  Uhr  Abends  fiel  der  linke  Arm  vor.  Unterdessen 
wurden  die  Wehen  immer  stärker,  wobei  vielleicht  etwas 
Seeale  im  Spiele  war,  das  Orificium  zog  sich  krampfhaft  um 
den  Arm  zusammen,  und  die  Entbindung  ward  wiederholt, 
aber  vergebens  angestrebt 

Um  8  Uhr  daselbst  angelangt  traf  ich  den  Arm  beinahe 
bis  zum  Ellbogen  aus  der  Vagina  hervorragend  und  dick  an- 
geschwollen ;  die  linke  Schulter  drängte  sich  in's  Becken 
hinunter,  rechts  war  der  Kopf,  links  oben  ein  Fuss  durch 
die  Batichdecken  zu  fühlen.  Auf  die  Frage,  ob  man  gegen- 
wärtig die  Entbindung  unternehmen  könne,  gab  ich  zur 
Antwort,  dass  dieselbe,  obscbon  voraussichtlich  mit  grossen 
Schwierigkeiten  verbunden,  nicht  länger  aufgeschoben  werden 
dürfe.  Da  meine  CoUegen  die  Operation  schon  in  ver- 
schiedenen Lagen  versucht  hatten,  .ohne  zum  Ziele  zu  ge- 
langen, so  wies  ich  gleich  von  vornherein  die  Knieellbogenlage 
an  und  ging  nach  bewerkstelligter  Narkose  mit  der  Linken 
ein;  der  vorgefallene  Arm  war  schon  früher  angeschlungen 
worden»    Indessen  so  vorsichtig  ich  auch  weiter  zu  kommen 


280       XII.  SpondU,  Uebtr  die  Wudnig  aaf  IU  Ffiase 

strebte;  so  gelang  es  doch  nur  mit  der  gifteten  Mibe,  nebe« 
der  Schulter  vorbei  in  den  Uterus  zu  gelangen,  und  meina 
Hand  rousste  sich  so  dünn  gestalten  wie  ein  Marder,  der  in 
den  Huhnerstall  schleicht.  Indern  ich  nun  längs  der  abwärts 
gerichteten  Kindesfläche  weiterglitt,  erreichte  ich  das  linke 
Knie,  ergriff  sodann  den  Unterschenkel,  zog  denselben  herunter 
und  legte  die  Schlinge  um  den  Fuss,  welche  vorher  am  Atme 
gelegen  hatte.  Letzterer  aber  bewegte  sich  in  die  Höbe,  zum 
Beweise,  dass  die  Umdrehung  gelungen  war.  Nun  blieb  noch 
die  zweite,  minder  schwierige  Aufgabe  übrig,  die  Extraction 
auszuführen.  Steiss,  rechter  Schenkel  und  Thorax  liessen 
sich  ohne  Schwierigkeit  entwickeln,  aber  die  Arme  und  dar 
Kopf  konnten  nur  successiv  und  mit  bedeutender  Anstrengung 
an's  Licht  gezogen  werden.  Dass  die  früher  schon  tief 
gelegene  Nabelschnur  mit  dem  linken  Pusse  vor  die  Genitalien 
gebracht  wurde,  wat  ein  höchst  gleichgültiger  Umstand,  da 
die  Frucht  längst  aufgehört  hatte  zu  leben.  Dieselbe  war 
männlichen  Geschlechtes,  besass  mittlere  Dimensionen  um) 
war  mit  einem  sehr  voluminösen  Kopfe  begabt.  Eine  Viertel- 
stunde später  folgte  die  Placenta.  Obschon  nun  die  Ent- 
bundene sich  recht  ordentlich  befand  und  der  Puls  seine 
normale  Frequenz  besass,  so  hielten  wir  es  doch  für  passend, 
Kataplasmen  und  eine  Oelemulsioti  zu  verordnen.  Wie  ich 
später  vernahm,  war  zwar  die  erste  Zeit  des  Wochenbettes 
etwas  stürmisch,  ging  dann  aber  in  vollkommene  Genesung  über. 
Die  Knieellbogenlage,  welche  ich  in  diesem  und  in  anderen 
Fällen  zur  Anwendung  brachte,  war  schon  häufig  der  Gegen- 
stand lebhafter  Controversea  Einer  der  Letzten,  welche 
hierüber  geschrieben,  war  Dornseiff\  dieser  vertheidigte  zwar 
die  erwähnte  Lage  gegen  verschiedene  Angrille  mit  Glück; 
doch  dürfte  von  Rügen  mit  seiner  Schule  wohl  ziemlieh 
vereinzelt  dastehen  in  Generaliairung  einer  Methode,  welche 
aufrichtig  gestanden  wider  die  einfachsten  ästhetischen  Begriffe 
verstösst  Ohne  mich  deshalb  auf  andere  Operationen  ein- 
zulassen und  um  blos  bei  der  Wendung  auf  die  Füsse  stehen 
zu  Weihen,  so  sehe  ish  wahrlich  nicht  ein,  warum  noth- 
wendig  alle  Wendungen  iu  dieser  Lage  ausgeführt  werden 
sollen.  Unnötbige  Verallgemeinerung  kann  dem  Ansehen  der 
Methode  nur  schaden,  während   sie  auf  richtige  Schranken 


•  -     bei  Querlagen  mit  Vorfall  eine«  Armes.  281 

zurückgeführt  nicht  auf  ernstlichen  Widerstand  stossen  wird. 
ia  fetalerem  Sinne  aber  aufgefasst  würde  ich  dieselbe  nicht, 
wie  Stanzoni,  als  ultimum  reftigium,  sondern  immer  von 
vornherein  anwenden.  Am  meisten  scheinen  mir  daher  folgende 
File  hierher  zu  gehören:  1)  Querlagen,  wobei  die  Fasse  im 
Vorderbauehe  oder  gar  in  einem  Hängebauche  liegen;  2)  Quer- 
lagen, wc^  mit  oder  ohne  Armvorfall  eine  Schulter  sich  in 
den  Beckeneingang  getrieben  zeigt.  Hotte  ich  z.  B.  nicht  die 
bestimmte  Ueberzeugung,  dass  die  Ruptur  im  dritten  Falle 
erst  bei  der  Eitraction  sich  ereignete,  so  würde  ich  nicht 
»stehen,  a  posteriori  die  Wahl  der  Seitenlage  als  einen 
Fehler  iir  qualificiren.  Denn  die  wesentlichsten  Vortheüe  der 
KineeUbogenlagtt  besteben  darin,  dass  1)  bei  nach  vorn  ge- 
-ricbteter  Bauchfläche  die  Fasse  leichter  erreicht  werden  können, 
dass  2)  eine  zufällig  eingetriebene  Schulter  vom  Beckeneingange 
zurück  weicht,  und  dass  3)  ein  früher  nicht  zu  erreichender 
Schenkel  durch  rasche  Umänderung  einer  anderen  in  die 
genannte  Lage  der  hierbei  nicht  herauszuziehenden  Hand  des 
Operateurs  mitunter  von  selbst  entgegenfSHL  Auf  letzteren 
Punkt  wurde  ich  durch  einen  schwierigen  Fall  geführt,  welcher 
in  den  Beginn  meiner  Praxis  fällt  und  den  ich  zu  weiterer 
Belehrung  mittheilen  will. 

6.     Wendung   auf   die   Füsse   bei   Schulterlage 
mit  Vorfall  des  linken  Armes. 

Es  war  im  Sommer  1852 ,  als  eines  Abends  um  10  Uhr 
zwei  Frauenspersonen  meinen  seligen  Vater  ersuchten,  einer 
Zweitgebärenden  Hülfe  zu  leisten,  welche  ein  College  ver- 
gebens zu  entbinden  strebte.  Da  Ersterer  verhindert  war, 
-sieb  nach  dem  etwas  entfernten  Domicil  zu  begeben,  so 
übertrug  er  mir  das  Geschäft.  In  H.  angelangt  traf  ich  eine 
26 jährige  Frau,  welche  vor  einem  Jahre  mit  ihrem  ersten, 
zwar  todten  Kinde  normal  niedergekommen  war.  Vor  ungefähr 
60  Stunden  war  das  Fruchtwasser  abgeflossen,  der  Kopf  oder 
vielmehr  das  Gesicht  sollte  damals  vorgelegen  haben.  Da 
indessen  möglicher  Weise  ein  diagnostischer  Irrthum  ob* 
waltete,  so  beschränke  ich  mich  mit  Beiseitelassung  alles 
inzwischen   Vorgefallenen    darauf,    zu    erwähnen,    dass    ver- 


282       Xn.  J3&MU,  lieber  <U«  Wftadnag  aaf  die  Fflwe 

gangenen  Nachmittag  der  Muttermund  sieb  vollkommen  erMbelc 
und  der  linke  Arm  vorfiel,  worauf  unser  College  bei  eonstattrtej 
Schulterlage  sich  mit  Wendungsversuchen  abmühte.  Da  nun 
der  Kopf  auf  der  rechten  Seite  sieh  befand  und  nebst  der 
rechten  Schulter  auch'  ein  Tbeäl  dea  Thorax  sich  in's  Bedien 
drängte,  so  strebte  ich  nach  Herrichtung  des  Querbettes  mit 
der  rechten  Hand  neben  der  Schulter  in  die  Höbe  zu  gelangen» 
Indessen  über  die  Höften  hinauszudringen  war  mir  unmöglich  ? 
gerade  so  weit  war  auch  unser  College  gekommen,  und  trota 
linker  Seitenlage,  Wechsel  der  Hand  u.  s.  w.  musatafi  «wir 
an  der  chinesischen  Mauer  des  eontrahirten  Uterus  atefeen 
bleiben.  Da  ich  nun  schon  viele  Wendungen  angesehen« 
aber  noch  keine  ausgeführt  hatte,  und  weil  der  blosse  Nanse 
der  in  Vorschlag  gebrachten  Emkryotomie  mein  Anitager- 
gewissen  in  Schrecken  setzte,  so  zog  ich  es  vor,  meinen 
Vater  durch  einen  Eilboten  um  Unterstützung  angehen  au 
lassen.  Um  2  Uhr  Morgens  erschien  derselbe,  war  indessen 
in  seinen  Versuchen,  zum  Schenkel  vorzudringen,  nicht 
glücklicher;  aber  hei  der  reichen  Erfahrung,  die  ihm  eigen 
war,  besags  er  eine  grössere  Auswahl  von  Hülfenritteln,  und 
so  üel  ihm  ein  (das  sind  seine  ipässima  verba),  ohne  die 
Hand  auszuziehen,  der  Gebärenden  die  Knieellbogenlage  an«* 
zuweisen.  Diese  Manipulation  war  von  augenblicklichem  Erfolge 
gekrönt;  denn  nun  konnte  er  den  linken  Schenkel,  sodann 
auch  den  rechten  ergreifen,  und  an  den  eingeleiteten  Füssen 
die  Extraction  ohne  besonderen  Kraftaufwand  ausführen.  Mein 
Vater  hielt  die  Conjugata  für  wesentlich  verkürzt,  was  übrigens 
auch  bei  einer  Schwester  der  Entbundenen  der  Fall  sein  soll. 
Die  Frucht,  weibliehen  Geschlechtes,  zeigte  sich  an  den  vor*. 
gelegen  gewesen  Theilen  blau  angelaufen,  von  der  Epidermis 
manchenorts  entblösst  und  verbreitete  einen  aashaften  Geruch. 
Vermuthlich  war  dieselbe  schon  seit  mehr  als  acht  Tagen 
abgestorben;  ihr  Gewicht  betrug  7  Pfund.  Bald  folgte  die 
Placenta  und  wir  trafen,  ehe  wir  heimfuhren,  unsere  Vor*' 
kehrungen  für's  Wochenbett,  welches  zwar  anfänglich  durch 
entzündliche  Erscheinungen  getrübt  ward,  glücklicher  Weise 
aber  in  vollkommene  Wiederherstellung  endigte. 


bei  Querlagen  mit  Vorfall  eines  Arme«.  ggg 

7.     Wendung  auf  den  linken   Fuss  bei  Querlage 
mit  Vorfall   des   linken   Armes. 

In  dem  nach  meiner  Erfahrung  wenigstens  an  Querlagen 
reichen  Jahre  1868  ersuchte  mich  eines  Abends  eip  befreundeter 
College,  ihm  bei  einer  schwierigen  Wendung  behilflich  zu 
sein.  Eine  Frau,  welche  schon  vier  Mal  normal  nieder- 
gekommen war,  verlor  bei  noch  unerreichbarem  vorliegendem 
Theile  um  6  Uhr  Abends  das  Fruchtwasser;  nach  kurier 
Zeit  fiel  der  linke  Arm  vor;  mein  Freund,  hinzugerufen, 
strebte  denselben  zu  repomren,  und*  in  verschiedenen  Tagen, 
auch  ä  la  räche,  die  Wendung  auf  die  Ffisse  auszuführen; 
er  hatte  sogar  den  linken  Fuss  schon  gefasst,  aber  weder 
gelang  ihm,  den  letzteren  anzuziehen,  noch  mittels  eines 
Führungsstäbchens  anzuschlingen.  Ich  fand  nun  die  linke 
Hand  der  Frucht  zwischen  den  Schamlippen  mit  einer  Schlinge 
umgeben  und  mit  aufwärts  gerichteter  Fläche,  den  Kopf  links, 
die  Fasse  nahe  dem  Muttergrunde,  die  Brust  nach  vorn  ge- 
richtet. Nach  Erhebung  dieses  Thatbestandes  liess  ich  die 
von  häufigen  Wehen  geplagte  Gebärende  in  die  Knieellbogen« 
läge  bringen  und  chloroformiren  und  ging  mit  der  Rechten 
behufs  der  Operation  ein.  Da  ich  indessen  auf  diese  Weise 
uur  bis  zum  Steisse  vorzudringen  vermochte,  so  wechselte 
ich  die  Hand,  führte  die  Linke  ein,  gelangte  glücklich  zum 
linken  Unterschenkel,  zog  denselben  an,  erfasste  den  Fuss 
und  umgab  ihn,  nachdem  er  den  Beckenausgang  erreicht  hatte, 
mit  einer  Schlinge.  Zum  Beweise  gelungener  Umdrehung 
zog  sich  unterdessen  der  vorgefallene  Arm  zurück,  und  ich 
liess,  da  nur  noch  die  Extraction  uhrig  blieb,  wieder  die 
gewöhnliche  Rückenlage  anweisen.  Zur  Entwickelung  des 
Steisscs  bedurfte  es  keiner  bedeutenden  Anstrengung,  und  die 
wunschbare  Drehung  des  Rückens  nach  vorn  und  links  war 
leicht  auszuführen,  aber  wie  es  bei  abgestorbenen  Kindern 
bisweilen  geht,  die  noch  unentwickelten  Theile  wollten  sich 
dieser  Drehung  nicht  sogleich  fügen.  Daher  kam  es,  da*s 
zuerst  der  linke  Arm  von  links  her  durchschnitt  und  aus 
seiner  Haft  befreit  sich  rasch  nach  rechts  begab,  während 
ich  den  rechten,  der  rechten  Synchondrose  zugekehrten  Arm 
mit  leichter  Mühe  loste   und  nach  links  hinüberführte.    Dar 


284        XH*    Spondlty  üeber  die  Wendung  auf  die  Füsse 

voluminöse  Kopf  blieb  noch  einige  Zeit  über  dem  Becken- 
eingange stehen,  folgte  dann  aber  dem  anhakenden  Zuge  der 
ober  die  Schultern  gelegten  Finger  und  trat  im  Bogen  zu 
Tage.  Die  Frucht,  männlichen  Geschlechtes,  wog  etwas  zu 
7  Pfanden.  Zehn  Minuten .  später  ward  die  Placenta  entfernt, 
worauf  sich  eine  beträchtliche  Metrorrhagie  einstellte,  indessen 
durch  kalte  Injectionen,  desgleichen  Ueberschläge  und  eine 
Dosis  Mutterkorn  zum  Stehen  gebracht  wurde.  Das  Wochen- 
bett verlief  glücklich. 

8.    Wendung  auf  den  linken  Fuss  bei  Querlage 
mit  vorgefallenem  linken  Arme. 

Den  8.  Juli  Vormittags  7  Uhr  erschien  bei  mir  ein 
Eilbote  aus  B.  mit  dem  Ansuchen,  mich  so  bald  wie  möglich 
zu  einer  daselbst  wohnenden  Frau  zu  begeben,  welche  von 
zwei  anwesenden  Aerzten  nicht  entbunden  werden  könne. 
Schon  10  Minuten  vor  8  Uhr  langte  ich  an  ^bezeichnetem 
Orte  an  und  fand  eine  nahezu  40jährige  Frau,  welche  früher 
fünf  Kinder  regelmässig  geboren  hatte.  Soviel  mir  einer  der 
Collegen  (der  andere  war  abberufen  worden)  und  die  Hebamme 
erzählten,  hatte  sich  am  verflossenen  Nachmittage  eine  grosse 
Blase  gestellt  und  als  dieselbe  geborsten,  wurden  kleine 
Kindestheile  vorliegend  entdeckt.  Meine  Collegen  wurden  nun 
nach  einander  gerufen,  versuchten  wiederholt  die  Wendung 
anf  die  Füsse  zu  verrichten,  konnten  aber  nicht  zum  Ziele 
gelangen,  weil  unter  der  Zeit  der  linke  Arm  vorgefallen  war. 
Diesen  reponirten  sie  heute  früh  und  reichten,  was  ich  aber 
nicht  glauben  kann,  bei  glücklicher  Weise  sehr  schwachen 
Wehen  einige  Dosen  Mutterkorn.  Gleichzeitig  ward  nach  mir 
ausgesandt.  Der  Gesammtzu  stand  war  bei  meiner  Ankunft 
befriedigend  und  die  Contractionen  verhielten  sich  massig. 
Die  Untersuchung  ergab  den  linken  Ellbogen  in  der  Vagina 
und  die  entsprechende  Schulter  im  Beckeneingange.  Der  Kopf 
sass  links,  die  Füsse  waren  fast  in  der  Mittellinie,  die  Bauch- 
fläche nach  vorn  gerichtet.  Ich  liess  nun  sogleich  auf  einem 
Tische  das  Querlager  bereiten,  streckte  zuerst  den  vor- 
gefallenen Arm  aus  und  legte  eine  Schlinge  um  das  Hand- 
gelenk/ Eigentlich  hätte  ich  die  linke  Hand  zur  Operation 
verwenden  sollen,  wählte  "aber  alsbald   die  rechte,   weil  sie 


bei  Querlagen  mit  Vorfall  eines  Armes.  286 

den  nunmehr  auftretenden  befugen  Klemmungen  und  gefübis- 
raubenden  Contractionen  besser  gewachsen  war,  und  weil  die 
Füsse,  wie  bemerkt,  fast  in  der  Führungslinie  sieh  befanden. 
Mit  Mühe  ging  ich  neben  der  Schulter  in  die  Hohe,  be- 
gegnete zuerst  dem  rechten  Arme  und  dann  dem  linkes 
Unterschenkel,  zog  denselben  -an,  und  legte,  nachdem  ich 
ihn  eingeleitet,  um  den  Fuss  zur  besseren  Ueberwachung 
dieselbe  Schlinge,  welche  um  die  Hand  gelegen  hatte.  Nach 
einer  kleinen  Pause  schritt  ich  zur  Extraction,  der  Steisa 
und  der  Rücken  drehten  sich  unter  leiser  Mithülfe  nach  rechte 
und  vorn;  die  pulslose  Nabelschnur,  welche  straff  zwischen 
den  Schenkeln  hindurchgezogen  war,  befreite  ich  aus  ihrer 
Haft  und  streckte  den  rechten  Schenkel  aus.  Leicht  kam 
der  linke,  wieder  in  die  Höhe  gestiegene  Arm  zum  Vorschein, 
während  der  rechte,  aufwärts  gestreckte  gelost  werden  musste» 
Grössere  Schwierigkeiten  verursachte  der  Kopf,  dessen  Kinn 
nach  links  und  vorn  gerichtet  war  und  nicht  von  selbst  eine 
bessere  Stellung  annehmen  wollte.  Ich  ging  deshalb  mit 
zwei  Fingern  der  Rechten  an  das  Kinn  und  drehte  dasselbe 
nach  hinten,  worauf  der  Vollendung  der  Extraction  nichts 
mehr  im  Wege  stand.  Das  Kind,  männlichen  Geschlechte», 
und  ganz  mit  Meconium  besudelt,  kam  natürlich  todt  zur 
Welt.  Eine  Viertelstunde  später  entfernte  mein  College  die 
Placenta,  und  wir  konnten  die  Wöchnerin,  welche  sich  sehr/ 
gut  benommen  hatte,  bald  hernach  mit  der  firoheu  Hoffnung 
verlassen,  dass  sie  sich  gut  erholen  werde*,  letztere  ward 
auch  nicht  zu  Schanden. 

9.     Wendung   auf  den   linken  Fuss   bei   Querlage 
mit   vorgefallenem   linken   Arme. 

Den  14.  Januar  Abends,  bei  heftiger  Winterkälte,  ward, 
ich  zu  einer  ausserhalb  der  Stadt  wohnenden  36jährigen 
Frau  gerufen.  Diese  hatte  früher  drei  Kinder, normal,  obscbon 
fast  ohne  Wehen,  geboren.  Am  vorhergehenden  Tage  war 
das  Fruchtwasser  abgeflossen,  jedoch  erst  heute  Abend  um 
6  Uhr  ein  College  gerufen  worden,  weil  statt  des  längst 
erwarteten  Schädels  andere  Theile  sich  zur  Geburt  stellten. 
Ersterer  fand  nun  in  der  Vagina  den  linken  Arm  und  iri  dem 


286        XH-   8pS*dU,  Ueber  die  Wendung  auf  die  Fiuse 

vollkommen  geöffiieten  Orificram  den  pufefosen  Nabelstrang. 
Alsbald  strebte  er  die  Wendung  auf  die  Fasse  auszuführen, 
sah  aber  sein  Streben  von  keinem  Erfolge  gekrönt,  weil  die 
eingetriebene  linke  Schulter  und  der  nahe  befindliche  rechte 
Arm  ihn  hinderten,  einen  Fuss  zu  erreichen.  Ermüdet  sandte 
er  deshalb  nach  einer  halben  Stunde  zn  mir.  Gegen  8  Uhr 
traf  ich  ein  und  fand  die  Verhältnisse  wie  .geschildert;  der 
Kopf  schien  mir  links,  die  Fftsse  rechts  zu  liegen,  denn  die 
Handfläche  war  aufwärts  und  der  Daumen  nach  links  gerichtet. 
Da  ich  somit  die  Bauchfläche  hinter  der  vorderen  Becken- 
wand vermuthen  musste,  Hess  ich  sogleich  die  Knieellhngenhige 
anweisen,  legte  eine  Schlinge  um  das  Handgelenk  und  ging 
behufs  der  Operation  mit  der  Rechten  ein.  Bald  aber  über- 
zeugte ich  mich,  dass  ich  über  die  Lage  mich  getäuscht  habe, 
denn  die  Füöse  lagen  links  und  der  Kopf  rechts.  Ich  wechselte 
darum  die  Hand,  und  war,  bei  allerdings  mühsamem  Vordringen, 
so  glücklich,  den  linken  Schenkel,  und  längs  demselben  ab- 
wärts gleitend,  dessen  Fuss  zu  erreichen.  Diesen  von  seiner 
Umgebung  frei  zu  machen  und  art  den  Beckenausgang  zu 
ziehen  hielt  schwer;  sobald  dies  geschehen,  löste  ich  die 
Schlinge  von  der  Hand  und  legte  sie  um  das  Fussgeienk, 
liess  hierauf  eine  Pause  eintreten  und  versetzte  die  Gebärende 
wieder  in  die  gewöhnliche  Rückenlage.  Die  Ettraction  nun, 
die  ich  mit  zahlreichen  Intervallen  vornahm,  war  äusserst 
mühsam,  nicht  nur  wegen  totalen  Wehenmangels,  sondern 
auch  weil  •  die  weibliche  Frucht  abgestorben  und  sehr  gross 
war.  Obschon  nämlich  die  Umdrehung  vollkommen  gelungen 
war,  dauerte  es  gewiss  eine  volle  Viertelstunde,  ehe  ich  den 
Schenkel  ganz  zu  extrahireir  vermochte.  Hierauf  setzte  ich 
den  rechten  Zeigefinger  in's  rechte  Hüftgelenk  und  forderte 
den  Steiss  zu  Tage.  Aber  auch  den.  Thorax  und  die  auf- 
wärts und  theilweise  nach  hinten  geschlagenen  Arme  zu  ent- 
wickeln kostete  grosse  Anstrengung.  Am  leichtesten  gelang 
die  Extraction  des  Kopfes.  Die  Placenta  löste  sich  spontan 
und  um  9  Uhr  konnten  wir  die  Wöchnerin,  der  es  hernach 
gut  ging,  in  befriedigendem  Zustande  verlassen. 


bei  Qaeriags«  mit  Verfall  eines  Armes.  2W 

10.    Wendung  auf  den  rechten  Fuss  bei  Vorfall  des 
rechteu  Armes  und  im  Becken  stehenden  Thorax. 

Bitte  40jährige  robuste  gesunde  Frau  hatte  neun  Kinder 
leicht  und  die  letrten  drei  sogar  ohne  Hälfe  einer  Hebamme 
gehören;  sie  war  eben  selbst  eine  weise  Frau.  Indessen  die 
zehnte  Schwangerschaft  verlief  nicht  nach  Wunsch,  sie  war 
mit  allerlei  Beschwerden  verknöpft,  der  Bauch  sehr  aus- 
gedehnt; die  Kindesbeweguagen  fühlten  sich  nicht  an  der 
gewöhnlichen  Stelle,  so  dass  man  ZwUinge  vernwthete^ 
Abends  um  6  Uhr,  die  Geburt  hatte  nach  der  Berechnung 
schon  vor  14  Tagen  eintreten  sollen,  -brach,  ohne  voraus- 
gehende Wehen,  das  Frachtwasser  und  fiel  sehr  bald  der 
rechte  Ann  vor.  Der  gegen  8  Uhr  eintreffende  Hausarzt 
fand  die  Gebärende  in  wenig  aussetzenden  helligen  Wehen, 
die  Schulter  mit  einem  Theile  des  Thorax  im  Becken  und 
strebte  auf  dem  Querlager  die  Wendung  auf  die  Fasse  so 
verrichten.  Indessen  bei  wiederholten  Versuchen  war  er  nicht 
im  Stande,  weiter  als  bis  zum  rechten  Oberschenkel  vor- 
zudringen, «ad  sandte  deshalb,  ehe  er  zum  Aatissersten,  zur 
Entbryotomie,  schritt,  zu  mir.  Bei  dar  bedeutenden  Ent- 
fenmng  der  Gebarenden  konnte  ich  erst  um  10  y4  Uhr  daselbst 
eintreffen;  der  Zustand  war  noch  ganz  der  frühere,  mit  dem 
emsigen  angenehmen  Unterschiede,  dass  der  rechte  Vorderarm 
sich  ausserhalb  der  Vagina  und  ein  -schöner  Theil  des  Thorax 
sich  im  kleinen  Becken  befand.  Wenn  mich  auch  bei  Durch- 
hlätnruug  meiner  Memoiren  mitunter  ein  Humor  überläuft, 
wie  bei  einem  schrecklichen  Romane,  dessen  glückliches  Ende 
der  sträfliche  Vorwitz  schon  herausgebracht  hat,  so  gestehe 
ich  doch,  dass  mir  damals  gar  nicht  herrlich  zu  Muthe  war; 
denn  hier  stand  mit  Flammenschrift  geschrieben  „Bmbryotomie*, 
ein  Wort,  das  ich  bis  auf  den  heutigen  Tag  hasse,  und' 
welchem  doch  nicht  immer  ausgewichen  werden  kann»  Indessen 
die  vorausgehenden  zahlreiche«  gMckichen  Geburten,  welche 
auf  ein  geräumiges  Becken  und  auf  ein  kräftiges  Gebärorgao' 
hindeuteten,  liessen  mich  dennoch  der  Hoffnung  Raum  gehen, 
jetzt  noch  die  Wendung  ausführen  zu  können.  Konnten  denn 
nicht  Mcmricecni  und  Andere  unter  ebenso  schwierigen  Ver-: 


288       XII,   Speidli,  üeber  4ie  Weidng  m*  die  Fasse 

hältnissen  wenden,  und  müssen  wir  sie  nicht  gerade  deshalb 
als  unerreichte  Meister  der  Kunst  bewundern?  Dass  aber 
nur  von  der  Knieellbogenlage  etwas  erwartet  werden  dürfe, 
war  mir  ebenfalls  klar.  Der  Kopf  war  nach  rechts,  die 
Füsse  nach  links,  die  Bauchfläche  nach  vorn,  die  Handfläche 
nach  aufwärts,  der  Daumen  nach  rechts  gerichtet  Nachdem 
nun  mein  verehrter  College  die  Gebarende  narkotiairt  hatte 
und  die  genannte  Lage  hergestellt  war,  legte  ich  um  das 
Handgelenk  eine  Schlinge,  und  ging,  letztere  mit  der  Rechten 
haltend,  mit  der  Linken  in  den  Uterus  eia  Die  Kreiseende 
leistete  anfänglich  bedeutenden  Widerstand,  und  meine  Hand 
gedeih  in  eine  unüberwindlich  scheinende,  des  Gefühls  beinahe 
beraubende  Klemme,  —  aber  dennoch  gelang  es  mir*  den 
Weg  zum  rechten  Oberschenkel  zu  bahnen,  und  als  dies  Ziel 
erreicht  war,  blieb  noch  das  minder  schwierige  Werk  übrig, 
bis  zum  Unterschenkel  vorzugehen,  denselben  zu  erfassen 
und  einzuleiten.  Ich  wiederholte  nun,  sobald  der  Fuss  sieb 
innerhalb  der  Labien  befand,  das  gewöhnliche  Verfahre», 
wechselte  die  Schlinge,  wies  die  Rückenlage  an  und  schritt 
nach  einer  Pause  von  5  Hinuten  zur  E&tracüon.  Letztere 
war  von  keinen  Schwierigkeiten  begleitet;  leicht  liess  sich 
der  Rücken  nach  vorn  drehen  und  eben  so  leicht  der  Unke 
emporgeschlagene  Arm'  lösen.  Nach  einer  neuen  Pause  folgte 
der  Kopf  dem  gewöhnlichen  Handgriffe.  Das  Kind,  weiblichen 
Geschlechtes,  war  gut  entwickelt,  mindestens  8  Pfund  schwer; 
übrigens  war  dasselbe  schon  vor  meiner  Aqkunft,  wann  ist 
schwer  zu  sagen,  abgestorben.  Bald  folgte  die  Placenta. 
Ein  anhaltender  Schüttelfrost,  der  alsbald  eintrat,  hatte  durch- 
aus keine  .Folgen;  die  Wöchnerin  hatte  solche  auch  nach, 
normalen  Geburten  erlebt;  zwei  Tage  später  fand  ich  dieselbe 
munter  und  mit  der  Pflege  eines  älteren  Kindes,  welches  auf 
ihrem  Bette  sass,  beschäftigt 

ich  stellte  den  zehnten  Fall  absichtlich  an  den  Schiusa 
der  ganzen  Reihe,  welche  ich  noch  mit  mehreren  Beispielen 
vervollständigen  könnte,  wenn  ich  nicht  Ermüdung  des  Lesers 
befürchten  müsste.  In  diesem  Falle  eulminiren  sich  alle 
bei  Armlagen  auftauchenden  Schwierigkeiten,  welche  vielen 
Autoren,   namentlich  der  neueren  Schule,  die  Embryotomie 


bei  Q««rUg*n  »it  Vorfall  etees  Armei.  %fjfy 

und  Decapitation  von  vornherein  ab  Indurationen  erscheinen 
lassen.  Ich  glaube  gezeigt  und  auch  durch  den  Erfolg 
bewiesen  zu  haben,  dass  diese  Ansicht  nicht  unbedingt  richtig 
sei,  sondern  dass  man  auch  in  den  verzweifeltsten  Fällen  die 
Wendung  nicht  ganz  preisgeben  dürfe,  so  lange  nur  einige 
günstige  Bedingungen  gegeben  sind.  Es  fällt  mir  nicht  ein, 
behaupten  zu  wollen,  dass  die  Embryotomie  unter  die  obsoleten 
Operationen  zu  rechnen  sei,  aber  das  wage  ich  zu  pro* 
clamiren,  dass  man  der  Wendung  immer  den  Vorzug  vor  der 
Embryotomie  erlheilen  müsse,  so  lange  noch  für  die  erstere 
eine  Möglichkeit  vorhanden.  Es  liegt  eben  die  Wendung  weit 
eher  im  Sinne  einer  rationellen  vollkommenen  Geburtshülfe, 
als  die  Embryotomie.  Damit  sollen  jene  Fälle  nicht  negirt 
werden,  wo  nur  für  die  letztere  Platz  bleibt.  Der  Erfolg, 
mit  Ausnahme  eines  einzigen  Falles,  war  wenigstens  auf 
meiner  Seite,  und  es  würde  mich  zur  Stunde  noch  gereuen, 
wenn  ich  in  einem  einzigen  Falle  die  Embryotomie  ausgeführt 
bitte.  Die  Erfolge  für  die  Kinder,  welche  ich  dabei  erzweckt, 
sind  allerdings  äusserst  gering;  indessen  können  diese  neben 
der  Embryotomie  nicht  in  Frage  kommen.  Zudem  waren 
es  meistens  consultative,  tbeilweise  verschleppte,  der  Land* 
praxis  angehörige  Fälle.  Was  aber  den  Erfolg  für  die  Mütter 
betrifft,  so  hege  ich  starken  Zweifel,  ob  er  bei  vorgenommener 
Embryotomie  derselbe  gewesen  wäre.  Es  ist  mir  überhaupt 
aufgefallen,  dass  ich  bei  den  Armlagen  verhältnissmässig 
weit  starker  vom  Glücke  begünstigt  war,  als  bei  anderen 
Wendungsfallen  ohne  diese  Complication,  wo  ich  verschiedene 
unglückliche  Ausgänge  erlebte.  Wer  wird  es  mir  darum  ver- 
argen wollen',  dass  ich  es  versuchte,  für  die  Wendung  eine 
Lanze  zu  brechen,  und  dass  ich  auch  ferner  mich  zu  der 
Ansicht  bekennen  werde ,  überall  da ,  wo  Wendung  ;  und 
Embryotomie  als  gleichberechtigte  Indurationen  auftreten,  mich 
wo  immer  möglich  für  die  erstere  zu  entscheiden? 


Monfttoukr.  f.  Geburt*.  IS*.  Bd.  XV.,  HA,  4.  19 


290  HM-    Ttttt  üeber  «e  FYequfca« 


xni. 

lieber  die  Frequenz  der  Nabelschnurumschlingung 

und  den  TMnflmw  derselben  auf  den  Ausgang 

der  Geburt  für  das  Kind. 

Von 

Professor  Dr.  Gustav  Telt  in  Rostock. 

Nabelschnurumschlingungen  kommen  so  häufig  vor,  daas 
zur  Ermittelung  ihrer  Frequenz  nicht  enorme  Zahlen  erfordert 
werden.  Bei  genauer  Buchführung  genügen  nahezu  Hunderte. 
Die  erheblicheren  Differenzen  in  den  Angaben,  welche  von  ver- 
schiedenen Seiten  über  dieses  Verhältnis«  gemacht  worden  sind, 
rühren  offensichtlich  davon  her,  dass  nicht  überall  gleich  richtig 
gebucht  wurde.  Deshalb  hat  auch  Weidemann's  *)  Versuch, 
durch  Zusammenstellung  einer  möglichst  grossen  Zahl  von 
Beobachtungen  die  vermeintlich  aus  ungenügenden  Zahlen 
resultirenden  Differenzen  auszugleichen,  nur  dazu  führen 
können,  dass  das  Ziel  verfehlt  wurde. 

In  Heidelberg2)  wurde  bei  5,2  Geburten»  in  Marburg8) 
bei  4  Geburten  1  Mal  die  Umschlingung  beobachtet;  ähnlieh 
stellte  sich  die  Frequenz  auch  in  Göttingen4)  —  wie  1 : 4,5  — , 
in  Trier6)  —  wie  1  :  3,4  —  und  Stettin6)  —  1  : 5,2.  Hin- 
gegen ergeben  die  Berichte  aus  Dresden 7)  die  Frequenz  im 
Durchschnitte  zu  1  :  6,2;  und  nach  den  Mittheilungen  aus 
Berlin9)  fallt  sie  auf  1  :  9,8,  nach  den  Angaben  ans  Wurz- 
burg •)  sogar  auf  1  :  83. 


1)  Bemerkungen  über  die  Umschlingungen  des  Nabelstrangs 
am  die  Frucht  u.  8.  w.    Marburg  1866. 

2)  (?.  A.  Mayer,  D.  i.  de  circumvolutionibus  funiculi  umbilicalis 
foetus  vitae  haud  raro  infestis.    Heidelb.  1842. 

8)  Hüter,  Neue  Zeitschr.  f.  Geburtsk.,  Bd.  31,  und  Weidsmann  1.  c. 
4)  v.  Siebold1  s  Berichte  in  der  Neuen  Zeitschr.  f.  Geb. 
6)  Birnbaum,  Monates  ehr.  f.  Geb.,  Bd.  16. 

6)  Behm,  Monatssohr.  f.  Geb.,  Bd.  18. 

7)  Haa*t  u.  €hren$ert  Berichte  in  der  Neuen  Zeitschr.  f.  Geburtek. 

8)  Neue  Zeitschr.  f.  Geburtek.,  Bd.  28,  und  Monatssohr.,  Bd.  4, 

9)  Neue  Zeitsohr.  f,  Geburtsk.,  Bd.  81, 


der  N*belMluMUMsetti*ffua£  q«4  den  KlnfluM  etc.      801 


Die  letetgenanitte  ZtU  ist  offensichtlich  nur  dareh  geringe 
Beachtung  der  Umschüngueg  entstanden,  wie  Hofmatm 
selbst  anerkannte.  Bei  dem  Ergebnisse  der  Berliner  Journale 
konnte  die  ausserordentliche  Uebereinstimmung  zwischen  den 
aus  den  Jahren  1836—1841  und  1842—1847  erhaltenen 
Zahlen  —  1  :  9,8  und  1  :  9,4  —  frappiren.  Bekanntlich 
aber  ist  das  Budget  der  Unglücksfälle  und  Verbrechen  be- 
rechenbar; und  dass  diese  Thatsache  auch  hier  Anwendung 
findet,  lehrt  der  Umstand,  dass  in  dem  Zeiträume  von 
1829 — 1835,  in  welchem  die  Menge  der  klinischen  Geburten 
noch  über  die  der  poliklinischen  das  Ueberge wicht  hatte,  die 
Aufzeichnungen  also  genauer  stattfinden  mussten,  die  Frequenz 
der  Nabelschnurumschlingung  wie  1  :  5  festgestellt  wurde.  *) 

Auch  die  aus  den  von  Dresden  ausgegangenen  Berichten 
gezogene  Durchschnittszahl  ist,  obwohl  sie  der  Wahrheit  näher 
kommt,  unrichtig.  Dies  zeigt  die  abweichende  Frequenz  der 
UmscUingung  in  den  verschiedenen  Jahren. . 


Zahl 

Freqnem 

Jahr. 

der 

d*r  Nabelschnur- 

Neugeborenen. 

umschlingung. 

1825 

229 

1: 

4,6 

1827 

SU 

1: 

*»• 

1828 

290 

1  : 

8,6 

1829 

292 

1  : 

4,9 

1830 

276 

1: 

6,6 

1831 

261 

1: 

6,6 

1882 

246 

1: 

7,* 

1833 

814 

1: 

6,6 

1834 

242 

1  : 

6,» 

1837 

219 

1: 

6,8 

1888 

211 

1  : 

7 

1839 

*fel2 

1  : 

6,4 

1840 

212 

1: 

12 

1841 

286 

1: 

14 

1842 

270 

1  : 

14 

1848 

282 

1: 

16,6 

1844 

.    276 

1  : 

6,6 

1846 

269 

1: 

6,3 

1846 

301 

1: 

6 

1847 

302 

1  : 

8,9 

1848 

330 

1: 

7,2 

1849 

884 

1  : 

M 

1860 

343 

1: 

M 

1861 

346 

1: 

4,8 

1862 

276 

1: 

8 

1863 

298 

1: 

•,« 

1)  Nene  ZeiUchr.  f.  GebnrUk.,  Bd.  6,  p.  206. 

19« 


Diese  Üngk«charögk«it  rtkhrt  olckt  davon  her,  dm  mit 
iu  kleinen  Zahlen  gerechnet  wurde;  denn  in  Göttingen, 
Heidelberg  und  Marburg  kamen  bo  bedeutende  Schwankungen 
nicht  vor. 


Göttingen. 

Heidelberg. 

Marburg. 

ZabJ  der 

Frequenn 

Zahl  4er 

Frequens 

Zahl  der 

Frequenz 

Neu- 

der 

Neu- 

der 

Neu- 

der 

geborenen. 

TJmiohlingung. 

geborenen. 

Ümtehllngung. 

geborenen. 

Umiohlingung. 

108 

1  :4 

209 

1:6,6 

91 

1:4,3 

109 

1  :6,4 

209 

1 

!6,4 

98 

1  :  4,1 

U8 

1:4,2 

281 

1 

:6,1 

118 

1:6,6 

126 

1  :4,2 

261 

1 

6,8 

111 

1:3,8 

274 

1  :  4,9 

214 

1 

6,1 

106 

lj  4,8 

380 

1:4^6 

281 

1 

.6,6 

119  - 

1:6,6 

467 

1:4,2 

261 

1 

6 

137 

1:4,1 

246 

1 

6,2 

176 

1:3,4. 

263 

1 

.6,6 

174 

1:3,9 

281 

1 

6,6 

161 

1:4 

269 

1 

7,* 

191 

l!4,8 

299 

1  « 

6,6 

189 

1:4,1 

318 

1  : 

M 

122 

1  :6,1 

303 

1: 

8,9 

Will  man  also  die  Frequenz  der  Umschlingung  aus 
grösseren  Zahlen  berechnen,  so  kann  man  nur  auf  den  Be- 
richten aus  Heidelberg,  Marburg,  Göttingen,  Trier1)  und 
Stettin2)  —  aus  Berlin  fehlen  gerade  pro  1829— 1835 
speciellere  Angaben  —  fussen.  Eine  Zusammenstellung  der- 
selben 


Ort. 

Zahl 

der 

Neugeborenen. 

1             Zahl 
der 
UflMchlingungen. 

Heidelberg  . 
Marburg    .  . 
Göttingen     . 
Trier    .... 

3587 

2930 

1632 

568 

689 

686 
726 
344 
167 
133 

Stettin     .  .  . 

9806 

2064 

1)  Monatsschr.,  Bd.  16. 

2)  Monatsschr.,  Bd.  17. 


der  Nabebehnnrumschliagntig  und  den  Einflnss  etc.      298 

ergiebl  das  Verhällniss  von  1  :  4,5/)  und  diese  Zahl  druckt 
das  Minimum  der  Frequenz  aus,  weil  hier  und  da  noch  ein 
Mangel  in  der  Registrirung  anzunehmen  ist 

In  demselben  Maasse,  als  das  zur  Zeit  vorhandene 
Material  zur  Ermittelung  der  Frequenz  der  Umschlingung 
genügt,  ist  es  für  eine  genaue  Abschätzung  des  Einflusses 
der  Umschlingung  auf  den  Ausgang  der  Geburt  für 
das  Kind  unzureichend. 

Man  darf  sich  nicht  durch  die  Uebereinstimmung  von 
Zahlen,  welche  aus  abweichenden  und  zum  Theil  irrigen 
Grundlagen  hervorgegangen  sind,  blenden  lassen. 

In  Heidelberg  wurden  von  685  umschlungenen  Kindern 
72  asphyctisch  und  31  todt  geboren;  da  bei  18  der  letzteren 
der  Tod  einzig  und  allein  der  Umschlingung  zugeschrieben 
werden  konnte,  so  stellte  sich  die  Lethalitat  der  Umschlingung 
wie  1  :  38,  die  Frequenz  des  Scheintodes  wie  1  :  9,5. 

In  Marburg  betrug  die  Zahl  der  Umschlingungen  725, 
die  der  Scheintodten  72  und  der  Todten  45;  aus  dem  Um- 
stände, dass  nur  18  von  diesen  45  Kindern  in  Folge  der 
Umschlingung  starben,  ergiebt  sich  die  Lethalität  der  letzteren 
zu  1  :  40,  während  die  Frequenz  des  Scheintodes  1  :  10 
beträgt. 

Auch  die  von  Weidemann  ausserdem  benutzten  Berichte 
aus  Dresden,  Göttingen,  Würzburg  und  Berlin  —  im  Ganzen 
918  Umschlingungen  mit  25  Todesfallen  —  weisen  auf  ein 
ähnliches  Verhältniss  —  1  :  37  —  hin ;  eine  bestehende  und 
doch  rein  zufallige,  deshalb  werthlose  Uebereinstimmung. 
Schon  in  Heidelberg  und  Marburg  rechnete  man  mit  un- 
gleichen Grössen,  was  bei  dem  Werthe  dieser  Journale  für 
die  vorliegende  Frage  um  so  mehr  zu  bedauern  ist.  Mayer 
rechnete  zu  den  scheintodtgeborenen  nur  diejenigen  Kinder, 
welche  wieder  in's  Leben  zurückgerufen  werden  kontften; 
Weidemann  begriff  unter  ihnen,  auch   solche,  bei  welchen 


1)  Hiermit  stimmt  auch  der  Bericht  Credos  über  die  Er- 
gebnisse der  Leipziger  Poliklinik,  welcher  276  Umsohlingungen 
auf  1217  Kinder  zählt,  fiberein.    (Monatwehr.,  Bd.  15.) 


294  xni     r***>  Ueber  aie  Fnqttemi 

der  Schemtod  in  Tod  überging.  Offenbar  hat  Mmyer  die 
Asphyxie  richtiger  begrenzt;  der  Eintritt  der  Asphyxie  bezeugt 
dfen  Eintritt  der  Gefahr;  weiterhin  ist  es  besonders  wichtig, 
zu  erfahren,  wie  oft  diese  wieder  vorübergeht  und  wie  oft 
sie  tödtlich  wird,  während  es  gleichgültiger  ist,  ob  an  dem 
bereits  dem  Tode  verfallenen  Kinde  noch  nach  seiner  Geburt 
Lebenszeichen  wahrzunehmen  sind  oder  nicht  Weidemann 
hat  daher  zu  viele  Scheintodte  und  zu  wenig  Todte  in 
Rechnung  gestellt.  Eine  Correctur  dieses  Fehlers  würde  sicher 
eine  Abweichung  in  den  Angaben  Mayer'%  und  Weidemann*» 
über  die  Frequenz  des  Scheintodes  zur  Folge  haben,  wenn 
auch  möglicher  Weise  eine  noch  grössere  Uebereinstimmung 
in  den  Berechnungen  über  die  Lelhalität  herausstellen. 

Die  Mittheilungen  aus  Dresden,  Berlin  und  Wurzburg 
lassen  sich  auf  "diese  Weise  nicht  benützen,  weil  sie  un- 
richtige Angaben  über  die  Häufigkeit  der  Umschlingung 
enthalten;  in  Würzburg  registrirte  man  6  Todesfälle  bei 
75  Umschlingungen,  aber  mir  75  Umschlingungen  bei  6237 
Kindern.  Von  den  Dresdener  Berichten  darf  man  nur  die 
folgenden  verwenden,  weil  in  den  übrigen,  zum  Theil  ganz 
unrichtige,  zum  Theil  keine  Daten  vorliegen: 

1825:    49  Umschlingungen,    3  Todtgeburten. 

1 
0 

0 

o 
o 

4 


1827: 

43 

1829: 

60 

1837: 

38 

1846: 

59 

1847: 

78 

1849: 

77 

1850: 

59 

1851: 

72 

535  Umschlingungen,  10  Todtgeburten. 

Also  1  Todtgeburt  auf  53,5  Umschlingungen,  oder  1:48, 
wenn  man  die  Jahre  1837  und  1890  mit  einer  Frequenz  der 
Umschlingung  von  nur  1  : 5,8  eliminirt. 

Aus  den  Berichten  endlich  von  Göttingen  darf  man  nicht 
den  einzigen,  welcher  eine  Todtgeburt  durch  Umschlingung 
enthält,  verwerthen  wollen,  wenn  daneben  Andere  das  Vor-- 


die  Zabl 

im  Jahr© 

der 

UmaeblingangvB 

1837 

27 

1841-1844 

109 

1845 

40 

1846 

24 

1847 

23 

1848 

15- 

1849 

34 

1850 

20 

1851 

28     ' 

1852 

30 

der  Nab«tahMt«n#flfcUngQag  ad  de»  Ätofluss  etc.     £95 

kommen  eine*  sokhen  Ereignisses  bestimmt  in  Abrede  nehmen. 
Es  betrug 

die  ZM 
der  hierdurch 
entstandenen 
Todtgeburten 

0 

1 

0 

? 

0 
0 
0 

? 
? 

0 

Die  drei  Fragezeichen  in  vorstehender  Tabelle  sollen  nur 
andeuten,  dacss  in  dem  betreffenden  Berichte  ein  bestimmter 
Ausspruch  fehlt;  bei  der  Persönlichkeit  des  Berichterstatters 
hat  die  Annahme,  dass  auch  in  diesen  Jahren  Todtgeburten 
in  Folge  von  Umschlingung  nicht  beobachtet  wurden,  die 
meiste  Wahrscheinlichkeit.  Hiernach  stellte  sich  in  Göttingen 
die  Lethalität  der  Umschlingung,  wie  1  :  350  oder  wie 
1 :  278,  also  sehr  abweichend  von  den  in  Heidelberg,  Marburg 
und  Dresden  beobachteten  Verhältnissen  heraus.  Auch  in 
Trier  verzeichnete  man  bei  167  Umschlingungen  nur  2  (bei 
143  Umachlingungen  um  den  Hals  nur  1)  Todesfälle. 

Diese  erhebliche  Differenz  der  an  verschiedenen  Orten 
erhaltenen  Resultate  bedarf  der  Aufklarung.  Bei  der  An- 
nahme, dass  hier  eine  Wirkung  des  blossen  Zufalles,  eine 
Folge  der  zu  geringen  Anzahl  von  Beobachtungen,  welche 
den  Berechnungen  zu  Grunde  gelegt  wurden,  vorliege,  kann 
es  nicht  sein  Bewenden  behalten.  Diese  Annahme  darf  nicht 
befriedigen,  wo  die  Ergebnisse  drei  verschiedener  Gebärhäuser 
sehr  nahe  mit  einander  übereinstimmen  und  kein  unbedeutendes 
Mortalitatsverhältniss  nachzuweisen  scheinen.  Somit  wird  man 
darauf  hingewiesen,  die  Ursache  der  Differenz*  in  den  ab- 
weichenden Ansichten  der  Beobachter  bei  Bestimmung  der 
Todesart    zu    suchen.     Die    geburtshülfliche    Literatur   zeigt 


296  XUL     V*U,  Uebor  4ie  FrtfKes» 

überall,  wie  gross  gerade  die  Divergenz  der  Meinungen  auf 
diesem  Gebiete  war  und  zum  Thett  noch  ist  In  Heidelberg 
und  Marburg  hat  man  den  Umschlingungen  eine  besondere 
Aufmerksamkeit  zugewandt,  wie  schon  die  von  beiden  Orten 
ausgegangenen  Mittheilungen  darthun.  In  dei4  Entbindungs- 
anstalt zu  Dresden  wurden  die  Beobachtungen  unter  der 
Leitung  von  Männern  gedeutet,  von  welchen  der  eine  bereits 
1829  überzeugt  war,  dass  die  Festigkeit  der  Umschlingung 
wenig  in  Betracht  komme;  und  der  andere  die  in  Heidelberg 
geltenden  Anschauungen  acceptirt  und  an  allbekannter  Stelle 
ausgesprochen  hat.  Dass  diese  Anschauungsweise  in  Göttingen 
nicht  getheilt  wurde,  deutet  schon  der  Ausspruch:  „quamquam 
circumvolutionem  mortis  causam  fuisse  contendere  vix  ausim" 
an.  *)  Es  fragt  sich  daher,  ob  man  hier  die  Bedeutung  der 
Umschlingung  unter-  oder  ob  man  sie  dort  überschätzt  habe. 
Die  Entscheidung  dieser  Frage  bleibt  am  zweckmässigsten 
neuen  thatsäcblichen  Belegen  vorbehalten.  Solche  werden 
auch  ergeben,  ob,  wie  die  Resultate  aus  Trier  gedeutet 
werden  können,  die  Wahrheit  in  der  Mitte  liege. 

Das  Bedürfniss,  neue  Zahlen  zur  Controle  herbei- 
zuschaffen, legt  den  Versuch,  diese  auf  einem  Umwege  zu 
finden,  nahe.  Nimmt  man  die  Frequenz  der  Umschlingungen 
als  ermittelt  (1  :  4,5)  an,  so  Hesse  sich  ihre  Lethalitat  auch 
aus  der  Gesammtzahl  der  geborenen  Kinder  und  der  Summe 
der  gleichzeitig  durch  Umschlingung  erfolgten  Todtgeburten 
berechnen.  Doch  auch  hierzu  fehlt  es  an  Material  Schon 
die  Zahl  der  Quellen,  in  welchen  man  über  beide  in  Rechnung 
zu  stellende  Factoren  einen  bestimmten  Ausspruch  findet,  ist 
äusserst  gering.  Zudem  erscheint  mir  wenigstens  die  Be- 
nutzung dieser  spärlichen  Quellen  nicht  statthaft.  Denn  wo 
die  gleichzeitigen  Angaben  über  die  Frequenz  der  Um* 
schlingung  von  einer  viel  zu  geringen  oder  wohl  gar  nur 
ausnahmsweisen  Beachtung  ihres  Vorkommens  zeugen,  ist  zu 
fürchten,  dass  an  Umschlingung  gestorbene  Kinder  nicht  als 
solche  verzeichnet  sind.  Bei  anderen  Quellen  ergeben  sich 
aber  daraus  Bedenken,  dass  bei  Bestimmung  der  Todesursache 


1)    Ed.    de   Siebold,    De    circumvolntione    folliculi    umbil., 
Ooetting.  1834,  p.  11. 


der  Nabelschnurumschlingung  und  den  Einfluss  etc.      297 

augenscheinlich  nie  zu  grosser,  oder  selbst  ausschliesslicher 
Werth  auf  die  Festigkeit  der  Umschlingung  gelegt  wurde.1) 
Hierin  liegt  ein  Anklang  an  die  Zeit,  wo  man  an  wirkliche 
Strangulation  dachte.  Wie  schwierig  es  war,  sich  von  dieser 
Ansicht  ganz  loszuringen,  zeigen  ja  auch  di6  Bemühungen, 


1)  Unter  den  Jahresberichten  ans  Dresden  enthalten  nur  16 
über  die  Zahl  der  Todtgeburten  dnrch  Umschlingung  bestimmte 
Angaben;  ausser  den  bereits  früher  verwerteten  Jahrgängen 
würden  sich  daher  nur  7  benätzen  lassen,  und  dadurch  keine 
wesentliche  Differenz  von  dem  früher  erhaltenen  Resultate  ent- 
stehen. Auf  4871  Geborene  18  Todtgeburten  durch  Umschlingung; 
Lethalitat  1  :  61.  —  Von  6287  in  Würzburg  1806  —  1846  geborenen 
Kindern  sind  angeblich  nur  7  (1  :  200)  in  Folge  von  Umschlingung 
während  der  Geburt  zu  Grunde  gegangen,  überhaupt  aber  wurden 
nur  76  Umschlingungen  und  in  manchen  Jahren  keine  einzige 
notirt.  —  Für  die  Jahre  1886  —  1841  in  Berlin  würde  sich  ein 
Lethalitätayerhältniss  von  1  :  466  ergeben.  —  Adelmann  (Neue 
Zeitschr.  f.  Geb.,  VI  IL)  zählte  in  Fulda  bei  164  Kindern  82  Um- 
schlingungen,  und  unter  letzteren  2,  welche  zu  Scheintod  führten; 
ob  diese  2  Fälle  aber  zu  den  6,  in  welchen  der  Scheintod  in 
Tod  Überging,  gehörten,  bleibt  unbekannt.  —  UUamer  (Neue 
Zeitschr.  f.  Geb.,  XVII.)  lässt  wenigstens  in  drei,  vielleicht  in 
vier  von  den  sehn  Jahren,  welche  sein  Referat  über  Landshut 
umfasst,  nicht  mit  Sicherheit  über  den  Einfluss  der  Umsehlingung 
auf  das  Leben  der  Frucht  urtheilen;  es  fragt  sich  also,  ob 
unter  1238  oder  nur  unter  866,  resp.  730  Kinder  4  durch  Um- 
schlingung gestorbene  zu  zählen  sind.  —  Franst  M.  Kutan  fand 
in  den  Journalen  zu  Mainz  nur  sehr  wenige  Fälle  von  Um* 
schüngung  vermerkt,  und  unter  7829  Kindern  nur  3  verzeichnet, 
welche  mit  um  den  Hals  geschlungener  Schnur  todt  geboren 
wurden;  auch  hier  waren  jedoch  andere  Todesursachen  mit  Wahr- 
scheinlichkeit angenommen  (Neue  Zeitschr.  f.  Geb.,  XXX.).  — 
Ritgen  (Gem.  d.  Zeitschr.  f.  G  ,  V.)  führt  unter  249  Umschlingungen 
21  Fälle  von  Scheintod  und  4  von  Tod  an,  nennt  aber  die  Gesammt- 
zahl  der  Geburten  in  diesem  Zeiträume  nicht  (1667?). —  Ed.  e.  Siebold 
beobachtete  zu  Marburg  unter  864  Geburten  68  UiriflchUngunge» 
und  1  Todtgeburt,  wagt  aber  die  letztere  nicht  als  Folge  der 
Umschlingung  anzusprechen  (De  circumvolut.  etc.)  —  Nach  Credi 
(Monatsschr.  f.  Geb.,  XV.)  trat  bei  600  in  der  Klinik  geborenen 
Kindern  (84  Umschlingungen)  1  Todtgeburt  in  Folge  zu  fester 
Umschlingung  des  Nabelstranges  um  den  Hals  ein.  Von  1217  in 
der  Poliklinik  geborenen  (276  Umschlingungen)  starb  1  während 
der  Geburt  wegen  zu  feste  /Umschlingung  um  den  Hals,  während 
in  2  anderen  Fällen  die  Umsehlingung  um  andere  Körpertheile 
wahrscheinlich  das  Absterben  mit  veranlasst  hatte.  — 


gQg  Xm.    Veit,  üeber  die  Freien» 

sie  zu  modificiren,  und  dadurch  einem  anderen  Standpunkte 
anzupassen.  Dass  es  aber  nicht  vornehmlich. auf  die  Festig* 
keit  der  Umschlingung,  mithin  auch  nicht  auf  die  hierdurch 
vermeintlich  entstehende  Applattung  und  Undurchgängigkeit 
der  Nabelschnur  ankommt,  beweisen  schon  die  zahlreichen 
Fälle  (cf.  u.  A.  Haase,  Gem.  d.  Zeitschr.  f.  G.,  V.)  von  so 
fester  Umschlingung,  dass  die  Durchschneidung  nöthig  wurde, 
bei  völliger  Integrität  des  kindlichen  Lebens. 

Das  wesentliche  Moment,  aus  welchem  die  Gefahr  der 
Umschlingung  bei  der  Geburt  hervorgeht,  liegt,  wie  NaegeU 
zuerst  klar  ausgesprochen  und  mit  Erfahrungen  begründet 
bat,  in  dem  Drucke,  welchen  die  Nabelschnur  zwischen  dem 
kindlichen  Halse  und  der  vorderen  Beckenwand  (gelegentlich 
auch  zwischen  dem  Rumpfe  und  der  Uteruswand)  gegen  Ende 
der  Austreibungsperiode  erleiden  kann.  Hierin  verhält  sich 
die  Umscblingung  dem  Vorfalle  ganz  gleich;  in  beiden  Fällen 
handelt  es  sich  um  eine  Lagerung  des  Stranges,  welche  die 
Compression  desselben  begünstigt.  Bei  dem  Vorfalle  tritt 
die  Compression  regelmässig  ein,  bei  der  Umschlingung  ins- 
besondere, wo  die  Räumlichkeit  des  untersten  Theiles  des 
Geburtskanales  relativ  beschränkt  ist,  daher  vorzugsweise  bei 
Primiparen  und  grossen  Kindern.  Bei  dem* Vorfalle  dauert 
die  Compression  nur  ausnahmsweise  so  kurze  Zeit,  dass  das 
Leben  des  Kindes  nicht  in  Gefahr  kommt;  bei  Umschlingungen 
beobachtet  man  dies  sehr  viel  häufiger,  weil  hier  der  Druck 
erst  eintritt,  wenn  das  Kind  bereits  zu  dem  Beckenausgange 
gelangt  ist  Wie  also  bei  dem  Vorfalle  ein  präcipitirter  Geburts- 
verlauf die  Gefahr  abwendet,  so  wird  bei  der  Unischlingung 
eine  Zögerung  des  Durchtrittes  des  Kindes  die  Bedingung  der 
Beschädigung,  und  führt  je  nach  ihrer  Dauer  zu  Asphyxie 
in  verschiedenem  Grade  bis  zum  Tode  hin.  Nur  bei  sehr 
erheblicher  Zögerung  werden  hier  die  Kinder  ohne  alle  Lebens- 
zeichen oder  doch  in  hülfelosem  Zustande  geboren;  daher  die 
grosse  Frequenz  der  Asphyxie  und  die  relative  Seltenheit  des 
Todes  bei  Umschlingung.  Ich  verkenne  nicht  den  Werth  der  alten 
Erfahrung,  dass  eine  Zögerung  in  diesem  Stadium  der  Geburt 
auch  ohne  Copcurrenz  der  Uroschlingung  das  Kind  gefährden 
kann;  aber  die  relativ  grössere  Frequenz  des  Scheintodes 
und  Todes  bei  Umschlingung  beweist,  dass  in  letzterer  selbst 


der  NabelfchnurtnnftchUngung  und  den  Binflass  etc.     299 

eine  besondere,  von  dem  Wehendrucke  im  engeren  Sinne 
dieses  Wortes  unabhängige  Quelle  der  Gefahr  für  das  Kind  liegt 

Als  neue  statistische  Belege  dieser  Ansicht,  an  welche 
hier  anscheinend  nicht  unzeitgemäss  erinnert  worden  ist, 
gebe  ich  die  folgenden,  durch  einen  Vergleich  von  2550  Ge- 
burten (cf.  meine  Beiträge  zur  geburtsh.  Statistik,  Honatsschr., 
VI.,  p.  119)  gewonnenen  Zahlen.  Diese  Geburten  verliefen 
sammtlich  in  Schädellagen,  und  der  grossen  Mehrzahl  nach 
ohne  Kunsthülfe;  nur  der  40.  bis  50.  Theil  wurde  wegen 
bedenklicher  Zögerung  mittels  der  Zange  beendigt.  -  In  442 
derselben  fand  ich  Umschlingungen  um  Hals  und  Rumpf, 
mithin  1  : 5,8  notirt.  Wenn  daher  auch  hier  wohl  nicht 
ganz  richtig  gebucht  worden  ist',  so  entfernt  sich  doch  die 
verzeichnete  Summe  nicht  sehr  weit  von  der  Wahrheit 
Denn,  wenn  man  die  von  mir  nicht  berücksichtigten  Um- 
schlingungen um  andere  Körpertheile  nach  den  hierüber  in 
Heidelberg  und  Marburg  gemachten  Erfahrungen  zu  circa  50 
annimmt,  erhält  man  im  Ganzen  1  Umschlingung  auf  5,2  Kinder. 

Von  den  vorgenannten  442  umschlungenen  Kindern  wurden 
63  schein todt  und  7  todt,  von  den  anderen  2108  hingegen 
84  scheintodt  und  23  todt  geboren;  das  Nähere  ergiebt  sich 
aus  nachstehenden  Columnen. 

1.    Absolute  Zahlen. 
Erste  TafeL 


Primiparae. 


Schein- 
todt 


Todt 


Multiparae. 
Schein.  < 


todt 


Todt 


Summa. 
Schein- 1 


todt 


Todt 


bei 
Umschlingung 

ohne 
Umschlingung 


48 
67 


7 
18 


15 
17 


63 
84 


7 
88 


Zweite  TafeL 


Soheintodte 
Knaben    I   Mädchen 


Todte 
Knaben        Mädchen 


bei  Umschlingung  .  . 
ohne  Umschlingung  . 


40 
60 


23 
84 


3 
18 


4 
10 


300 


XIII.    Veit,  Ueber  die  Freqoeni 


2.    Relative  Zahlen. 
Dritte  Tafel 


Primiparae. 

Multiparae. 

Summa. 

Sohein- 
todt 

Todt 

8  oh  ein - 

iodt 

Todt 

Soheln- 
todt 

Todt 

bei 
Umachlingung 

1  :     6 

1:41 

1 :  10,4 

0:166 

1:    7 

1  :68 

ohne 
Umschlingung 

1:21 

1  :  78 

1:41 

1:  140 

1  :26 

1  :  92 

Vierte  Tafel. 


- 

Scheu 
Knaben 

itodte 

Mädchen 

To 

Knaben 

dte 
Ifadeben 

bei  Umachlingung .... 
ohne  Umicblingung .  .  . 

1:    6,8 
1  :  21,6 

1  :    9,1 
1  :80 

1:77 
1  :8S 

1:    62 
1:105 

Man  darf  annehmen,  dass,  abgesehen  von  der  Um- 
schlingung, die  Verhältnisse  für  beide  Reihen  von  Kindern, 
für  die  umschlungenen  und  nicht  umschlungenen  gleich  waren, 
und  dass  die  Gefahr  für  die  letzteren  vorzugsweise,  wenn 
nicht  ausschliesslich  aus  dein  sogenannten  Wehendrucke 
hervorging.  Wir  haben  hier  also  gleichzeitig  einen  Maassstab 
für  die  approximative  Schätzung  des  Wehendruckes  erhalten. 
In  den  Fällen  von  Umschlingung  ist,  weil  auch  diese  ausser 
dem  Wehendrucke  mitwirkte,  eine  Beschädigung  der  Kinder 
in  grösserem  Umfange  eingetreten.  Berechnet  man  aus  den 
obigen  Ziffern  die  Grösse  der  Gefahr,  welche  ausschliesslich 
m  der  Umschlingung  gelegen  war,  um  den  schädlichen  Ein- 
fluss  der  letzteren  und  des  Wehendruckes  besser  vergleichen, 
sowie  um  die  hier  erhaltenen  Resultate  den  an  anderen 
Orten  gemachten  Erfahrungen  gegenüberstellen  zu  können,  so 
erhält  man  die 


der  Nabelaehnnrnmschltngang  und  den  Einflnss  etc.      301 
Fünfte  Tafel. 


Primiparae. 

Multiparae. 

Scheintodte 

Im  Ganzen. 

Schein- 
todt 

Todt 

Sehein- 
todt 

Todt 

Knaben    Mädchen 

Schein- 

todt 

Todt 

in  Folge 
von 

UmschliDgang 

1 

1 

1  :  8,4  '  1  :  86 

1:  14 

l:<x> 

1:    9,7 

1  :  13 

1:  9,7 

1  :200 

in  Folge 

von 

Wehendruek 

1:21 

1:78 

1  :41 

1:140 

1  :  21,5 

1:30 

1:25 

1  :    92 

Diese  Tafeln  beweisen  zunächst  die  Richtigkeit  der  froher 
Aber  die  nachtheilige  Einwirkung  der  Umschlingung  von  mir 
ausgesprochenen  Ansicht  Störungen  des  fötalen  Respirations- 
proeesses  kommen  bei  Umschlingungen  zwei  bis  drei  Mal 
häufiger,  als  bei  normaler  Lagerung  des  Nabelstranges  vor; 
sie  werden  bei  gewöhnlichen  Schädelgeburten  auch  häufiger 
durah  Umschlingung  als  durch  Wehendruck  hervorgerufen. 
Die  Gefahr,  welche  aus  der  Umschlingung  selbst  dem  Kinde 
erwächst,  beginnt  erst  gegen  das  Ende  der  Austreibungs- 
periode; sie  ist  bei  Primiparen  grösser,  als  bei  Multiparen, 
fär  das  männliche  Geschlecht  (gleich  jeder  anderen)  erheb- 
licher; sie  fährt  bei  Multiparen  wohl  nur  sehr  selten  zum 
Tode,  während  bei  Primiparen  die  Asphyxie  beinahe  in  jedem 
zehnten  Falle  einen  lethalen  Ausgang  nimmt 

Störungen  der  fötalen  Respiration  durch  Wehendruck 
treten  auch  unter  sonst  einfachen  Verhältnissen  erst  etwa  bei 
jeder  20.  Primipara  und  40.  Multipara  ein,  aber  diese  sind, 
da  hier  schon  etwa  das  vierte  Kind  unrettbar  verloren  gebt, 
ungleich  gefährlicher  (offenbar  deshalb,  weil  ihre  Genesis  nicht 
an  ein  bestimmtes  —  das  letzte  —  Stadium  der  Austreibung»- 
periode  gebunden  ist). 

Die  summarischen  Ergebnisse  der  von' mir  verglichenen 
Geburtsfalle  — .  cf.  die  letzten  Columnen  der  Tafel  5  —  sind 
insofern  ohne  Bedeutung,  als  sie  bei  dem  sehr  abweichenden 
Verhalten  der  ersten  und  der  wiederholten  Geburten  nur  für 
das  hier  zufällig  gegebene,  ganz  abnorme  Verhältniss  zwischen 
Primiparen  und  Multiparen  (1 : 0,5)  auf  Geltung  Anspruch 


3Q2  XIII.    Veit,  Ueber  die  Frequan. 

machen  können.  Im  grossen  Ganzen,  wo  drei  Multiparen 
durchschnittlich  auf  eine  Primipara  zu  rechnen  sind,  muss 
selbstverständlich  ein  schädlicher  Einfluss  von  Seiten  der 
Umschlingung  viel  seltener  hervortreten  und  das  Lethalitäts- 
verhältnits  sich  noch  ungleich  günstiger  gestalten. 

Von  grosser  Wichtigkeit  aber  ist,  dass  ich  zu  summa- 
rischen Ergebnissen  gelangt  bin,  welche  von  den  in  Heidelberg, 
Harburg  und  Dresden  gemachten  Erfahrungen  völlig  abweichen 
und  dennoch  nicht  isolirt  dastehen,  da  auch  aus  Göttingen, 
Trier,  Landshut  und  Leipzig  ähnliche  günstigere  Mortalitäts- 
verhältnisse bei  Umschlingungen  der  Nabelschnur  berichtet 
werden.  Die  Frage  nach  den  Ursachen  dieser  Differenz  tritt 
mithin  von  Neuem  in  den  Vordergrund.  Der  Umstand,  dass 
ich  eine  etwas  geringere  Zahl  von  Geburtsfällen  zur  Hand 
hatte,  kommt,  wenn  überhaupt,  so  doch  sehr  wenig  hierbei 
in  Betracht,  weil  die  Resultate  zu  weit  abweichen.  Ebenso 
wenig  liegt  die  Ursache  der  Differenz  in  dem  Verhtitnisee 
zwischen  Primi-  und  Multiparen;  vielmehr  kamen  in  Dresden 
0,8  und  in  Marburg  sogar  1,5  Mehrgebärende  auf  eine  Erst- 
gebärende, so  dass  sich  bei  dem  gleichen  Verhältnisse,  wie 
in  Berlin,  eine  noch  beträchtlichere  Lethalität  herausgestellt 
haben  würde. 

Der  Weg,  welchen  ich  betreten  habe,  um  den  Einfluss 
der  Umschlingung  zu  ermitteln,  leidet  allerdings  an  dem 
scheinbaren  Mangel,  dass  die  Ursache  des  Todes  niemals  im 
concreten  Falle  festgestellt  wurde,  aber  gerade  aus  diesem 
Mangel  erwuchs  der  meiner  Ansicht  nach  unberechenbare 
Vortheil,  dass  Irrthümer  in  der  Deutung,  welche  bei  der 
Beurtheilung  concreter  Fälle  leicht  eintreten  können,  aus- 
geschlossen wurden.  Derartige  Irrthümer  sind  um  so  leichter 
zu  erwarten,  wenn  sich  die  Untersuchung  nicht,  wie  kt 
meinen  Tabellen,  auf  einfache  Schädelgeburten  begrenzt, 
sondern,  wie  bei  der  Verwerthung  der  aus  Heidelberg, 
Marburg  und  Dresden  hervorgegangenen  Mitteilungen,  alle 
Geburten  ohne  Ausnahme  umfassL  Eine  andere  Erklärung 
vermag  ich  wenigstens  nicht  in  Bezug  auf  die  abweichenden, 
die  Lethalität  der  Umschlingung  betreffenden  Resultate 
in  geben. 


der  Nabelschnurumschlingung  und  den  Einflnsa  etc. 

Die  Differenzen  in  Betreff  der  Angaben  über  die  Frequenz 
der  Asphyxie  erklären  sich  auch  durch  eine  vielleicht  näher 
gelegene  Annahme;  sie  sind  überdies  viel  geringer.  Die 
Frequenz  des  Scheintodes  bei  Umschlingung  ergab  sich  in 
Heidelberg  zu  1  :  9,5,  in  Marburg  zu  1  :  10,  in  der  vierten 
Tafel  zu  1:7.  Ob  dort,  wie  hier,  ein  Abzug  von  VS6  zur 
Ermittelung  der  ausschliesslich  durch  die  Umschlingung 
beschädigten  Kinder  hinreicht,  kann  in  Frage  gestellt  werden, 
weil  dort  in  einer  Anzahl  von  Fällen  verschiedenartige 
Complicationen  vorausgesetzt  werden  'müssen,  und  deshalb 
vielleicht  ein  grösserer  Bruchtheil  nicht  in  Folge  der  Um- 
schlingung, sondern  aus  anderen  Ursachen  asphyctisch  geboren 
wurde.  Lässt  man  jedoch  dieses  Bedenken  fallen,  so  würde 
in  Heidelberg  1  von  15,  in  Marburg  1  von  17  Kindern  nur 
in  Folge  der  Umdchlingung  in  Scheintod  verfallen  sein.  Da 
die  fünfte  Tafel  ein  Verhältniss  von  1  :  7  ergiebt,  so  bleibt 
eine  nicht  unansehnliche  Differenz  bestehen.  Indessen  er- 
scheint mir  dieselbe  nicht  so  gross,  dass  sie  nicht  aus  einer 
verschiedenen  Begrenzung  der  Asphyxie  erklärt  werden  könnte. 
Abweichende  Auffassungen  dieses  Begriffes  liegen  sehr  nahe, 
da  das  erste  Stadium  der  Asphyxie  eben  noch  nicht  Scheintod 
in  dem  gewöhnlichen  Sinne  dieses  Wortes  ist 

Haben  die  vorstehenden  Erörterungen  nicht  viel  weiter 
als  dahin  geführt,  dass  die  Unsicherheit  unseres  Wissens  auf 
dem  hier  betretenen  Gebiete  eine  schärfere  Beleuchtung  erhält, 
so  werden  sich  andere  Berufsgenossen  vielleicht  um  so  eher 
zur  Mittheilung  ihrer  Erfahrungen  entschliessen. 


304    *  X1Y     Jurran,  Bericht  über  elmen 

XIV. 

Bericht  über  einen  glücklich  ausgeführten 
Kaiserschnitt. 

Von 

Wilhelm  Jurran, 

Wundarzt  und  Geburtshelfer  in  Penig. 

Johanna  Christiana  Steinert  in  Tauscha  bei  Penig, 
27  Jahre  alt,  von  kleinem  untersetztem,  aber  gut  genährtem 
Körper,  war  von  einem  kräftigen  Vater  gezeugt,  aber  von 
einer  kleinen  schwächlichen  Mutter  am  23.  December  1832 
von  dem  Berichterstatter  durch  operative  Kunsthülfe  (Wendung) 
an  die  Aussenwelt  gefördert  Sie  erhielt  eine  gehörige  Wartung 
und  Pflege  und  überstand  glücklich  die  gewöhnlichen  Krank* 
heiten  des  kindlichen  Alters.  Seit  ihrem  20.  Lebensjahre 
war  sie  regelmässig  menstruirt. 

Im  Juni  1859  concipirte  sie  zum  ersten  Male,  wo  die 
gewöhnlichen  Begleiter  der  Schwangerschaft,  als:  Nieder- 
geschlagenheit, Schwere  der  Gliedmaassen,  Appetitlosigkeit, 
Gelüste  nach  besonderen  Gegenständen,  sich  einstellten,  auch 
die  bei  der  Oekonomie  zu  leistenden  Arbeiten  verrichtete  sie 
nicht  mehr  mit  der  früher  gewohnten  Lust  und  Leichtigkeit. 

Zu  Anfang  des  October  fühlte  sie  die  ersten  Bewegungen 
des  Kindes  in  der  rechten  Seite  ziemlich  lebhaft.  Am 
3.  Januar  1860  sab  sie  sich  genöthigt,  die  zu  verrichtenden 
ökonomischen  Arbeiten  ganz  aufzugeben  und  beschäftigte  sich 
später  mit  Näherei.  Ohne  irgend  über  ein  Unwohlsein  zu 
klagen,  verfloss.  die  Zeit  bis  zum  5.  März  früh  1  Uhr,  wo 
sie  die  ersten  wehenartigen  Empfindungen  bemerkte;  dieselben 
nahmen  an  Kraft  zu  und  hatten  in  kurzer  Zeit  den  Abgang 
des  Fruchtwassers  zur  Folge,  von  dem  eine  bedeutende 
Quantität  im  Bette  abgeflossen  sein  soll.  Die  Bewegungen 
des  Kindes  fühlte  sie  lebhaft 

Durch  dieses  Ereigniss  sahen  sich  die  Angehörigen  ver- 
anlasst, die  Hebamme  Dietze  in  Cbursdorf  rufen  zu  lassen, 
welche  früh  y43  Uhr  eintraf  und  nach  angestellter  Unter- 
suchung den  Verwandten  mittheilte:  „Es  stehe  Alles  gut;  sie 


glfleklicbr  ausgeführten  Kaiserschnitt.  305 

wolle  der  Kreissenden  ein  paar  Tropfen  geben;  vielleicht 
dauere  es  nicht  lange;  da  der  Muttermund  bei  den  kräftigen 
Wehen  sich  sehr  wenig  eröffnet  habe,  wolle  sie  warme  Oel- 
emreibungen  machen  und  der  Kreissenden  ein  Klystier  geben.** 

Nachdem  die  Hebamme  mehrere  Stunden  das  Geburts- 
Geschäft  beobachtet  und  nach  vorgenommener  Untersuchung 
aoch  nicht  die  geringste  Veränderung  am  Muttermunde  wahr- 
genommen, nimmt  sie  ihre  Zuflucht  zu  Wehenpulvern,  indem 
sie  früh  8  Uhr  dem  Herrn  Dr.  Jancovius  in  Penig  um  deren 
Verordnung  ersucht.  Dieser  verordnet:  Rp.  Seeale  cornut, 
Borac,  Sacchar.  alb.  aa  9ij.,  M.  f.  Pulv.  divid.  in  iv.  park  aeq. 
S.    Alle  Stunden  ein  Stück. 

Unter  der  Darreichung  von  genannten  Pulvern ,  der  fort- 
gesetzten Anwendung  von  warmen  Öleinreibungen  an  den 
Muttermund,  Veränderung  des  Lagers  der  Kreissenden  bald 
anf  die  rechte,  bald  auf  die  linke  Seite,  bald  auf  den  Röcken, 
verfliegst  der  ganze  Tag  und  auch  fast  die  Nacht,  so  das* 
der  Geburtsact  noch  auf.  derselben  Stelle  sich  befindet,  wie 
die  Hebamme  ihn  bei  ihrer  Ankunft  vorgefunden  hatte. 

Die  Angehörigen  sahen  sich  dadurch  genöthigt,  meine 
Hülfe  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Bei  meiner  Ankunft  um  4  Uhr  früh,  des  6.  März,  fand 
ieh  die  Hebamme  Dietze  anwesend,  die  Kreissende  im  Bette 
Hegend,  das  Gesicht  dunkelroth  gefärbt,  das  Köpf  haar  von 
Sehweiss  durchnässt,  dabei  klagte  sie  über  heftigen  Schmferz 
des  Unterleibes.    Die  äussere  Untersuchung  ergab: 

Der  Unterleib  war  gleichmässig  ausgedehnt,  durch  einen 
vorsichtig  angebrachten  leisen  Druck  meiner  beiden  Hände 
an  die  gegenseitigen  Wände  der  Gebärmutter  bei  der  be- 
deutenden €ontraction  derselben  bemerkte  ich  Bewegung  des 
Kindes.  Bei  Untersuchung  der  äusseren  Form  des  Beckens 
stiess  ich  auf  einen  bedeutend  abnormen  Zustand  des  grossen 
Beckeos,  indem  die  Breite  der  Darmbeine  kaum  7  Zoll  be- 
tragen konnte;  die  Entfernung  der  Trochanteren  betrug 
10  Zoll;  Deformität  des  Rückgrats  und  der  Oberschenkel  fand 
nicht  statt. 

Aus  diesen  Wahrnehmungen  schloss  ich  auf  ein  kleines 
bedeutend  verengtes  BeckeYi. 

Jfoafttnobr.f.Oobortsk.  1S81.  Bd.  XIX.,  Hfl.  4.  20 


308  XIV.   Jurron,  Beriebt  Aber  eisen 

Die  innere  Untersuchung  ergab  Folgendes: 

Die  äusseren  Geschlechtstheile  waren  regelmässig  gebildet ; 
der  Eingang  in  die  Vagina  sehr  eng,  die  Temperatur  derselben 
nicht  erhöht  und  kein  Abfliessen  von  Blut  oder  Fruchtwasser 
wahrzunehmen;  der  Ausgang  sowie  die  Hohle  des  Beckens 
bedeutend  verengt;  der  Muttermund  wulstig  schlaff  anzufthle^ 
und  von  der  Grösse  eines  Neugroschenstücks  eröffnet:  das 
Fruchtwasser  war  abgeflossen ;  den  Eingang  des  Beckens  füDte 
eine  birnförmig  elastische  Geschwulst  vollkommen  aus  und 
dieselbe  war  so  fest  hineingedrängt,  dass  ich  bei  diesem  enge* 
Räume  kaum  im  Stande  war,  dieselbe  mit  meinem  Finger 
zu  umgehen,  um  die  Weite  des  Beckens  zu  erforschen.  Bei 
dieser  äusserst  schwierigen  Untersuchung  fühlte  ich  eine 
kleine  hart  gewölbte  Rundung,  an  welcher  ich  eine  drehende 
Bewegung  wahrnahm,  welche  für  das  noch  stattfindende  Leben 
des  Kindes  sprach;  die  Gonjugata  konnte  im  Durehmesser 
21/* — 2%  Zoll  betragen;  Wehen  waren  unausgesetzt  vor- 
handen und  für  die  Kreissende  sehr  angreifend. 

Ich  gewann  sogleich  die  feste  Ueberzeugung,  dass  bei 
diesem  in  seinen  Dimensionen  absolut  zu  engen  Becken  der 
Kaiserschnitt  das  einzige  Mittel  sei,  um  das  Leben  des  Kindes 
und  im  glücklichen  Falle  auch  das  der  Mutter  zu  netten, 
weshalb  ich  auch  von  allen  anderen  Operationsversuehen  ab- 
stand. Und  sollte  durch  die  erwähnte  Operation  ein  günstiges 
Resultat  erzielt  werden,  so  rousste  dieselbe  auch  ohne  längeren 
Aufschub  zur  Ausführung  gebracht  werden. 

Da  bei  dem  kleinen  Körperbau  eine  kräftige  Gesundheit 
vorhanden,  die  Geburtsorgane  keineswegs  durch  fruchtlose 
Operationsversuche  gelitten  hatten,  der  Gemütszustand  kein 
deprimirter  war,  indem  die  Kreissende  in  der  frohen  Hoffnung 
lebte,  dass  sie  durch  diese  Operation  von  einem  lebenden 
Kinde  entbunden  würde,  konnte  die  Prognose  ttr  die  Mutter 
nicht  ungünstig  gestellt  werden. 

Vorsichtig  und  so  schonend  als  möglich  theilte  ich  den 
anwesenden  Verwandten  sowie  der  Kreissenden  das  Resultat 
meiner  Untersuchung  mit,  und  ich  erhielt  auch  ohne  Wider« 
spruch  die  Zustimmng  zur  Ausführung  des  Kaiserschnittes 
mit  den  Worten  der  Kreissenden:'  „Der  gütige  barmherzige 
Gott  gebe  seinen  Segen  dazu,  damit  ich  mein  Leben  erhalte," 


'    gUteklick  UfffftAUtfton  Ksfotrsolinitt.  807 

• 

Da  es  noch  Nacht  war,  so  beobachtete  ich  »tili  and  ruhig 
den  Geburtsact  bis  7  Uhr  des  Morgens,  wo  ich  durch  brief liebe 
Mittheiluog  den  Herrn  Dr.  Jancovius  um  dessen  Assistenz  bat 

Derselbe  kam  früh  */48  Uhr,  untersuchte  und  war  voll* 
kommen  mit  meiner  Ansicht  einverstanden. 

Die  Kreissende  wurde  nun  auf  ein  Sopha  gebracht  Ich 
bemerkte  noch  Bewegungen  des  Kindes.  Wehen  waren  noch 
vorbanden,  Stuhl  und  Urinausleerungen  erfolgt  Mit  Kohle 
hatte  ich  auf  der  Linea  alba  durch  einen  6  Zoll  langen  Strich 
die  Stelle  bezeichnet,  wo  der  Einschnitt  geschehen  sollte. 
Dem  Wunsche  der  Kreissenden  entsprechend  ward  das 
Chloroform  durch  Herrn  Dr.  J.  in  Anwendung  gebracht 

Nachdem  ich  mich  von  dar  Wirkung  des  Chloroforms 
überzeugt  hatte,  schritt  ich  zur  Durchschneidung  der  Baucb- 
haut  und  des  Bauchfelles,  wobei  keine  Blutung  erfolgte  und 
auch  kein  Darm  vorfiel.  Nach  Durchschneidung  genannter 
Theile  zeigte  sich  die  vordere  Wand  der  Gebärmutter,  welche 
bedeutend  dftnn  war  und  dem  vorliegenden  Theile  des  Kindes 
fest  anlag.  Uro  nun  keine  Verletzung  des  Kindes  zu  be- 
wirken, «machte  ich  mit  Vorsicht  einen  kleinen  Einschnitt 
durch  die  Substanz  der  Gebärmutter,  fahrte. zwei  Finger  der 
linken  Hand  in  den  Schnitt  hinein,  verlängerte  zwischen 
meinen  Fingern  die  Wunde  der  Gebärmutter,  der  Bauchwunde 
gleich.  Nun  präsentirte  sich  die  weisse  rechte  Rtickenfläche; 
die  Blutung  war  unbedeutend,  aber  die  Zusammenziehung  des 
Uterus  um  das  Kind  sehr  stark.  Ich  ging  nun  mit  meiner 
linken  Hand  vorsichtig  an  der  rechten  Seite  des  Rückens  und 
der  Wand  der  Gebärmutter  ein,  suchte  zum  Steisse  des 
Kindes  zu  gelangen  (dieser  Theil  schien  mir  der  geeignetste 
zur  Entwickelung  des  Kindes  zu  sein,  indem  die  Contractionen 
nach  dem  Halse  und  Kopfe  ausserordentlich  stark  waren), 
welches  mir  auch  bald  glückte,  machte  eine  kleine  drehende'. 
Bewegung,  an  dem  Körper  desselben  jnit  meiner  rechten  Hand* 
und  entwickelte  bald  darauf  einen  asphyktischen  Knaben  aas» 
der  Höhle  der  Gebärmutter. 

Der  Neugeborene  erholte  sich  bald  darauf  vollkommen. 
Ich  schritt  jetzt  sogleich  zur  Wegnahme  der  Nachgeburt  aus 
der  Wunde  der  Gebärmutter,  fand  aber  ein  bedeutendes 
Hinderniss,  indem  sie   am  Grunde  des  Uterus  fest  adhärirt 

20* 


306  XIV.    Jurran,  Bericht  über  etaen        ' 

war.  Mit  Voracht  löste  ich  so  schnell  wie  möglich  dieselbe 
«Bit  Zurüeklassung  einiger  tendinösen  Partien  vom  Grunde 
los;  sie  war  mehr  gross  und  in  der  Mitte  zeigten  sich  noch 
mehrere  sehnigt  speckartige  Stellen.  Die  Blutung  während 
der  Lösung  war  unbedeutend. 

Nachdem  nun  der  Geburtsact  vollkommen  beendet,  reinigte 
ich  die  Bauchhöhle  von  dem  ergossenen  Blute  vermittels  eines 
weichen  Seh wammes,  suchte  die  Wundränder  der  Gebärmutter 
genau  aneinander  zu  bringen  und  vereinigte  die  Bauchwunde 
mit  vier  Knopfnahten,  liess  jedoch  zwischen  dem  unteren 
Rande  der  Wunde  und  dem  unteren  Stiche  der  Naht  einen 
etwas  grösseren  Zwischenraum,  um  den  Austritt  von  Blutmassen 
oder  anderen  Aussonderungen  nicht  hemmend  entgegen  zu 
treten,  legte  über  dieselben  drei  2  Zoll  breite  und  24  Zoll 
lange  Heftpflasterstreifen,  einen  Charpiebausch  und  Compresse, 
befestigte  das  Ganze  mit  einem  Tuche,  welches  vor  der 
Operation  schon  unter  die  Kreissende  gelegt  worden  war. 
Die  Mutter  erwachte  aus  ihrem  Chlore  formschlafe,  als  ich 
dieselbe  von  dem  Operationsiager  in  ihr  zweckmässig  bereitetes 
Wochenbett  trug.   Der  Operationsact  war  in  14  Minuten  beendet. 

Der  Entbundenen  ward  eine  Emulsion  aus  den  Semin. 
papav.  alb.,  Aq.  lauroceras.  und  Aq.  amygd.  verordnet.  Ich 
beobachtete  dieselbe  noch  drei  Stunden  nach  der  Entbindung, 
wo  sie  zuweiten  über  einen  brennenden  Schmerz  der  Wunde 
des  Unterleibes  klagte;  der  Puls  war  kräftig,  etwas  be- 
schleunigt, doch  nicht  hart  anzufühlen;  Blutungen  aus  der 
Baucbwunde  und  'Mutterscheide  zeigten  sich  nicht  Dm 
7*12  Uhr  Mittag  verliess  ich  die  Patientin. 

Den  6.  März,  Abend.  Ich  fand  dieselbe  in  dem  Zustande, 
wie  ich  sie  verlassen;  es  zeigten  sich  keine  bedenklichen 
Erscheinungen.  Der  ganze  Körper  war  mit  einem  leichten 
Sehweisse  bedeckt,  das  Gesicht  hatte  ein  lebhaftes  Ansehen; 
der  Puls  war  etwas  frequenter  geworden,  aber  dabei  nicht 
hart;  mit  Appetit  war  eine  geringe  Quantität  Semmelsuppe 
gegessen  worden;  der  Unterleib  nicht  aufgetrieben,  aus  der 
Vagina  war  etwas  Blut  abgeflossen. 

Um  die  gehörige  Vorsicht  für  die  Entbundene  zu  beob- 
achten, übernahm  ich  diese  Nacht  die  Wartung  und  Pflege. 
Sie  schlief  in  kurzen  Zwischenräumen,    Um  1  Uhr  des  Nachts 


glücklich  ausgeführtes  Kaiserschnitt.  300 

bekam  sie  Drängen,  den  Urin  zu  lassen,  gelangte  aber  nicht 
dazu.  Um  5  Uhr  des  Morgens  erneuerte  sich  das  Dringen, 
wo  auch  eine  gehörige  Quantität  ohne  Schmerz  sieb  entleert*. 
Die  Erneuerung  des  Verbandes  ward  um  9  Uhr  Morgens  im 
Bette  vorgenommen;  die  Schmerzen  waren  dabei  gering,  der 
Verband  von  flössigem  Blute  befeuchtet;  der  Unterleib  weich 
und  in  der  Tiefe  fühlte  man  deutlich  die  kugelförmig  coit» 
trahirte  Gebärmutter;  aus  der  Vagina  war  eine  bedeutende 
Quantität  coagulirten  Blutes  abgeflossen. 

Der  Neugeborene,  ein  kraftiger,  gesunder  Knabe,  ist 
vollkommen  wohl. 

Den  7.  März,  Nachmittag.  Die  Entbundene  klagte  über 
einen  heftigen  Schmerz  des  rechten  Schultergelenkes,  so  dass 
sie  nicht  im  Stande  sei,  den  Vorderarm*  im  geringsten  zu 
bewegen.  Ich  liess  ihr  erwärmte  Wattpausche  auf  das  Gelenk 
legen;  sie  hatte  wenig  geschlafen;  der  Puls  war  noch  frequeirter 
geworden,  zählte  in  der  Minute  100  Schläge,  ein  leichter 
Seh  weiss  bedeckte  die  Haut;  vermehrter  Durst  hatte  sich 
eingestellt;  die  Zunge  war  rein,  der  Appetit  gut  und  an  der 
Wunde  fand  ich  nichts  verändert 

Den  8.  März.  Der  nervöse  Schmerz  war  noch  vorhanden, 
auch  im  rechten  Hüft-  und  Kniegelenke  zeigte  sich  derselbe; 
auch  hier  wurden  Watteinwickelungen  gemacht;  der  Schlaf 
war  dadurch  unterbrochen  worden;  der  Puls  war  noch 
frequenter,  zählte  in  der  Minute  120  Schläge,  aber  dabei 
nicht  hart  anzufühlen;  die  Zunge  rein,  der  Appetit  gut,  der 
Durst  gross,  die  Schweissabsonderung  in  ihrer  grössten 
Thätigkeit;  der  Unterleib  etwas  mehr  aufgetrieben  und  schmerz-« 
haft;  aus  der  Wunde  und  Mutterscheide  entleerte  sich  blutige 
Secretion;  Stuhlausleerungen  waren  noch  nicht  erfolgt;  der 
Urin  geht  willkürlich  ab.  Wegen  des  heftigen  Durstes  liess 
ich  der  Patientin  einige  Citronenscheibchen  mit  Zucker  reichen. 
Die  Mohnsamenemulsion  ward  repetirt 

Den  9.  März.  Die  Patientin  hatte  die  vergangene  Nacht 
sehr  unruhig  zugebracht;  obgleich  die  Schmerzen  im  Schulter», 
Hüft-  und  Kniegelenk  nicht  mehr  so  heftig  waren.  Abends 
10  Uhr  hatte  sich  ein  lästiger  Durchfall  eingestellt,  so  das* 
sie  bis  diesen  Nachmittag  acht  Mal  Stuhlgang  im  Bette  gehabt, 
vfo  sie  sich  danach  sehr  matt  und  kraftlos  fühlte;  der  Unter« 


{JJO  XIV-    Jurr*n,  Bericht  über  «inen 

Mb  war  mehr  aufgetrieben  und  an  der  rechten  Seite  desselben 
klagte  sie  über  einen  stechenden  Schmerz:  der  Puls  zählte 
186  Schläge,  intermittirte,  war  aber  dabei  weich  anzufühlen; 
die  Zunge  mit  einem  leichten  weisslichen  Schleim  bedeckt; 
der  Appetit  unverändert;  der  Durst  verringert,  die  Haut- 
auBd&nstung  in  ihrer  gestrigen  Thätigkeit;  Milchabsonderung 
in  den  Brüsten  nicht  bemerkbar.  An  einigen  Stellen  der 
Bauchwunde  bemerkte  ich  Eiterabscheidung  und  aus  der 
Mutterscheide  floss  ein  dicker  blutiger  Schleim,  die  Temperatur 
derselben  war  nicht  erhöht.  Wegen  des  heftigen  Durchfalles 
ward  ihr  die  TincL  op.  crocat,  Aq.  menth.  pip.  verordnet 
und  Pfeffermünztbee  als  Getränk. 

Den  10.  März.  Die  Patientin  hatte  heute  ein  besseres 
Ansehen  als  gestern;  sie  hatte  vergangene  Nacht  ruhiger  zu- 
gebracht und  periodenweise  geschlafen;  die  lästigen  Stuhl- 
ausleerungen waren  nicht  wieder  eingetreten;  der  Puls  hatte 
sich  in  der  Frequenz  verringert,  zählte  130  Schläge,  war 
aber  dabei  intermittireüd.  Bei  Erneuerung  des  Verbandes 
bemerkte  kh  nichts  verändert. 

Den  11.  März.  Die  Entbundene  hat  vergangene  Nacht 
recht  ruhig  periodenweise  geschlafen;  der  Schmerz  im  Schulter-,  m 
Hüft-  und  Kniegelenk  ist  ganz  gewichen  und  ihr  Befinden 
im  Allgemeinen  befriedigend.  Durch  die  anhaltend  milden 
Schweissabscbeidungen  am  ganzen  Körper  scheint  die  Milch- 
secretion  in  den  Hintergrund  gestellt  zu  werden.  Die  Patientin 
bezeugt  heute  grossen  Appetit,  weshalb  ich  ihr  erlaubte, 
etwas  gebratenes  Kalbfleisch  mit  zwei  Semmeln  zu  gemessen. 
Der  Puls  hatte  sich  in  seiner  Frequenz  noch  mehr  gemässigt, 
sähltd  in  der  Minute  110  Schläge,  aber  dabei  war  er  immer 
noch  idtermittirend ;  der  Urin  geht  regelmässig  ab,  Stuhl- 
aualeeruogen  waren  nicht  erfolgt;  der  Abfluss  aus  der  Mutter- 
scheide  regelmässig. 

Den  12.  März.  Die  vergangene  Nacht  hatte  die  Patientin 
recht  leidlich  geschlafen;  der  Blick  ihres  Auges  und  das  Aus- 
sehen ihres  Gesichts  verrieth  kein  besonderes  inneres  Un- 
wohlsein; der  Puls  zahlte  98  Schläge,  war  weich  anzufühlen; 
der  Appetit  und  Geschmack  gut;  Schweissabscheidung  un- 
verändert; Milchseoretion  fehlt  gänzlich;  Urinausleerung  regel- 
mässig  und   beute    war   die   drste  Stuhlausleerung   wieder 


gHfokfUb  awgtffihrleB  Kafeerackfiitt.  SU 

eingetreten.  Die  Wundränder  lagen  in  genauester  Vereinigung 
aneinander  und  aus  der  Mutterscheide  entleerte  sich  eiterig 
blutiger  Schleim.  Nach  genommener  Ansicht  des  Abgangs 
entdeckte  ich  mehrere  tendinöse  Rudimente  der  Nachgeburt, 
welche  sich  von  der  Substanz  der  Gebärmutter  abgelöst  hatten. 

Den  13.  März.  Das  Befinden  der  Patientin  wie  gestern; 
ausser  der  Milchsecretion  gehen  alle  Wochenverrichtungen 
regelmässig  von  Statten.  Es  gehen  taglich  mehrere  Blähungen 
ab.  Der  tympanitische  Zustand  des  Unterleibes  ist  ganz  ge- 
schwunden; die  Gebärmutter  hat  sich  kugelförmig  zusammen- 
gezogen und  die  Entbundene  giebt  kein  Zeichen  von  Schmerz 
beim  tiefen  Eingreifen  des  Unterleibes  zu  erkfcnnen.  Da  steh 
die  oberen  Wundränder  fest  vereinigt  zeigten,  löste  ich  zwei 
Knopfnahthefte.  Die  Opiummixtur  ward  nicht  wieder  erneuert, 
allein  der  Thee  aus  PfefFermünzkraut  fortgebraucht. 

Den  14  März.  Das  allgemeine  Befinden  der  Entbundenen 
wie  gestern;  die  Hautausdunstung  noch  in  demselben  Grade 
wie  zuvor;  der  Puls  hatte  seine  Intermitteiß  verloren  und' 
zählte  in  der  Minute  86  Schläge. 

Vom  15.  März  ab  schritt  die  Genesung  allmälig  weiter, 
die  Wunde  heilte  und  die  Functionen  des  Körpers  gingea 
regelmässig  von  Statten. 

Am  1.  April  hielt  ich  die  Entbundene  für  kräftig,  dass 
sie  eine  V*  Stunde  ausserhalb  des  Bettes  sich  aufhalten  könne. 
Ich  veranlasste  dieselbe,  mit  meiner  Unterstützung  aus  dem 
Wochenbette  zu  steigen,  nachdem  ich  zuvor  den  Unterleib 
durch  eine  zweckmässige  Bauchbinde  gesichert  hatte.  Sie 
empfand  während  des  Gehens  auch  nicht  den  geringsten 
Schmerz  oder  Spannung  des  Unterleibes  und  bald  war  voll- 
kommene Genesung  eingetreten. 

Oft  habe  ich  Gelegenheit  gehabt,  diese  Person  sowohl  in 
4er  Stadt  als  auch  in  ihrem  Orte  während  des  Gebens  zu 
beobachten  und  gefunden,  dass  ein  ungestörter  Gang  mit  auf- 
rechter Haltung  ihres  Körpers  stattfindet  Sie  klagt  über  keine 
Beschwerde,  Schmerz  oder  Spannen  des  Unterleibes,  und  nach 
ihrer  Aussage  gehen  alle  Verrichtungen,  sowie  das  Eintreten 
der  Catamenien  regelmässig  von  Statten,  sie  befände  sich  nebst' 
ihrem  kleinen  Leopold  in  dem  erwünschtesten  Wohlsein. 


318  XV.    Notisen  au*  4er  Journal -LKeretnr. 

XV. 

Notisen  ans  der  Journal-Literatur. 


Conitantin  Paul:  Ueber  den  Einfluss  der  Bleiintoxioation 
auf  die  Fracht. 

Schon  vor  neun  Monaten  veröffentlichte  Verf.  in  den  Archive« 
glnlrales  81  Beobachtungen  aber  den  Einflass  der  Bleivergiftung 
auf  die  Fracht,  and  seigte,  das«  im  Allgemeinen  schon  intra- 
uterin der  Tod  der  Fracht  erfolge,  oder,  wo  dies  nicht  der  Fall, 
der  Tod  fast  sicher  innerhalb  der  ersten  drei  Jahre  eintrete. 
Seitdem  traf  Verf.  swei  mit  Bleiintoxioation  behaftete  Frauen, 
welche  schwanger  gewesen  sind.  Die  erste,  jetat  60  Jahre  alt, 
hatte,  bevor  sie  mit  Lettern  au  thun  hatte,  eine  gegenwärtig 
80  Jahre  alte  Toohter.  Seitdem  sie  Lettern  glättet,  leidet  die 
Frau  an  einer  Bleiintoxioation,  ohne  jedoch  Koliken  and 
Lähmungen  gehabt  au  haben.  Sie  wurde  wahrend  dieser  Zeit 
sieben  Mal  schwanger.  Bei  den  seehs  ersten  Schwangerschaften 
trat  im  vierten  Monate  Abortus  ein.  Sie  verlies«  nun  anf  ein 
Jahr  die  8chriftgiesserei  and- gebar  am  Ende  des  Jahres  einen 
reifen  Knaben,  der  11  Monate  alt  starb. 

Im  aweiten  Falle  hatte  die  jetat  52jährige  Frau  fortwahrend 
in  einer  Bleiatmosphäre  gelebt  und  die  heftigsten  Bleivergiftung«- 
Symptome  gehabt,  die  in  Koliken,  Lähmungen  und  Arthralgien 
bestanden.  Ihre  Periode  war  stets  sehr  un regelmässig;  dem* 
ohngeaehtet  wurde  sie  swölf  Mal  schwanger  and  «wolf  Mal  trat 
auch  im  awelten  bis  dritten  Monate' Abortus  ein. 

Rechnen  wir  diese  Fälle  an  den  früheren  Beobachtungen 
des  Verf.  hinan,  so  aeigt  sich,  dass  anf  83  in  dieser  Hinsicht 
geprüften  Individnen  31  kommen,  welche,  während  sie  sich 
der  Einwirkung  von  Blei  anssetaten,  schwanger  wurden.  Anf 
141  Schwangerschaften  kamen  82  Aborte,  4  Frühgeburten, 
6  Todtgeborene;  SO  Kinder  starben  im  ersten,  8  im  aweiten, 
f  im  dritten  Jahre;  ein  anderes  starb  später;  14  Kinder  leben, 
10  davon  haben  daa  dritte  Jahr  überschritten. 

(Oaaette  meo'ieale  de  Paris,  1861,  Ho.  10.) 


Fall  von  Plaoenta  praevia  centralis. 

Frmn  H.,  31  Jahre  alt,  schwächlicher  Constitution,  iet  seit 
ftaf  Jahren  verheirathet  und  hat  seitdem  drei  Mal  regelmässig 


XV.   Notizen  ans  der  Journal -Literatur.  318 

geboren.  Am  Bade  ihrer  jetzigen  vierten  Schwangerschaft  trat 
plöUlieh  eine  heftige  Blutung  auf.  Der  zu  Hülfe  gerufene  Verf. 
fand  die  Seheide  roll  er  Blutooagula,  das  Orifieinm  uteri  für  zwei 
Finger  geöffnet  nnd  hinter  demselben  einen  weichen  schwammigen 
Körper.  Kindestheil  ist  nicht  zu  fühlen.  Die  Wehen  sind  schwach 
and  selten,  der  Blatflnss  bedeutend,  die  Frau  deutlich  geschwächt. 
Da  man  es  hier  mit  einer  Placenta  praev.  cent.  su  thun  hatte, 
so  wurde  ungesäumt  die  Placenta  auf  der  linken  Seite  im  Halb*- 
kreise  gelöst  (ohne  Eröffnung  der  Eihäute),  Kaltwasserinjectionen 
gemacht  und  ein  Leinwandtampon  angebracht ,  der  späterhin 
dureh  Badeschwimme  ersetst  wurde;  ausserdem  wurde  Seeale 
gereicht. 

Nach  ungefähr  sechs  Stunden,  während  welcher  Zeit  nur 
ein  Mal  eine  heftige  Blutung  eingetreten  war,  zeigte  sich  der 
Muttermund  so  we.it  vorbereitet,  dass  mit  der  rechten  Hand  die 
Wendung  mit  nachfolgender  Extraction  ausgeführt  werden  konnte. 
Das  Kind  wurde  todt  geboren.  Die  Blutung  war  während  der 
Operation  nur  gering,  steigerte  sich  jedoch  nach  Lösung  des 
noch  adhärenten  Placentatheiles  in  gefährlicher  Weise,  so  dass 
eine  Solution  von  Eisenchlorid  in  die  Gebärmutter  injicirt,  der 
Sandsack  applicirt  und  nachher  die  Scheide  mit  einem  in  Eisen- 
chlorür  getauchten  Badeschwamm  fest  tamponirt  werden  mnsste, 
worauf  die  Blutung  stand.  Patientin  erhielt  Analeptica,  starb 
jedoch  nach  vier  Wochen  an  den  Folgen  einer  Endometritis. 

Verf.  hält  die  gebartshülf  liehe  Encheirese,  die  Einfuhrung 
des  kalten  Wasserstrahles  und  die  Tamponade  bei  Metrorrhagien 
für  die  Hauptmittel.  Ferrum  sesquichlorat.  sei  jedoch  bei 
Uterinalblutungen  nach  der  Entbindung  nicht  anzuwenden,  da 
dieses  Mittel  auf  die  von  der  Decidua  entblössten  inneren  Fläche 
des  Uterus,  sowie  auf  die  Vaginalschleimhaut  ätzend  wirkt  und 
somit  Endometritis  und  Colpitis  erzeugt.  Bezüglich  der  Blut- 
stillung bei  Placenta  praevia  hält  Verf.  die  Zeitfuchs -Cohen' sehe 
Methode  für  die  beste,  räth  jedoch  su  dem  Sprengen  der  Eihäute 
erst  dann,  wenn  es  behufs  einer  weiter  vorzunehmenden  Operation 
geboten  ist. 

(Allgem.  Wiener  med.  Zeitung,  No.  18  u.  19,  1861.) 


Gostilhes:  Granulationen  der  Uterinschleimhaut,  durch 
Höllenstein  gebeilt;  erste  Schwangerschaft  im 
48.  Jahre.    Verwachsung  des  äusseren  Muttermundes. 

Eine  jetzt  43jährige  Frau,  zum  zweiten  Male  verheirathet, 
niemals  schwanger,  litt  seit  langen  Jahren  an  schmerzhaften 
-Menstruationen  und  Schleimflüssen.  Anfing  1868  blieb  das  Blut 
gänzlich  aus,  und   es  ergab   sich   als  Ursache    eine  Verstopfung 


314  XV.  Notizen  aus  der  Journal  »Literatur* 

des  Uterinbalses  durch  Granulationen  der  Schleimhaut  Di« 
Utoiinsonde  machte  den  Kanal  wieder  wegsam  T  brachte  alte« 
angesammeltes  Blut  aum  Abfluas  und  eine  fortgeeetnte  Aetsung 
mit  Höllenstein  bewirkte  eine  so  gunstige  Besserung,  daes  im 
Mai  1860  Schwangerschaft  eintrat  nnd  glücklich  an  Ende  ging. 
Nor  war  während  der  Schwangerschaft  eine  vollständige  Ver> 
wachsang  des  äusseren  Mnttermnndes  erfolgt,  welche  während 
der  Gebart  am  eine  Ruptur  des  Uterus  cu  verhüten,  mittele  eine« 
langen  geknöpften  Messers  glücklich  beseitigt  wurde. 
(Gas.  hebdomad.,  No.  Sl,  1861.) 


Fruto:  Dystocie  in  Folge  von  Obiiteration  der  Scheide. 

Die  22jährige  Kreissende  hatte  schon  seit  zwölf  Stunden 
heftige  Wehen.  Eine  bedeutende  Hämorrhagie,  die  häufige  Ohn- 
mächten zur  Folge  hatte,  Hess  anfangs  eine  Lösung  des  Frucht- 
kuchens oder  eine  fehlerhafte  Lage  des  Kindes  verum then;  doch 
fand  Verf.  zu  seinem  Erstaunen  den  Scheideneingang  durch  eine 
dicke  Membran  verschlossen,  in  deren  Mitte  eine  kaum  für  den 
Finger  durchgängige  Oeffnung  bestand.  Durch  kreuzförmige 
Einschnitte  wurde  letztere  so  erweitert,  dass  zwei  Finger  durch- 
dringen konnten,  doch  entdeckte  man  alsbald  ein  neuos  ähnliches 
Hinderniss,  welches  auf  gleiche  Weise  beseitigt  wurde.  So  be- 
standen zwischen  Scheideneingang  und  Müttermund  vier  circuläre 
Membranen,  die  alle  im  Centrum  perforirt  waren  und  dem  Vor- 
dringen des  kindlichen  Kopfes  unbesiegbare  Hindernisse  entgegen- 
setzten. Sämmtliche  Membranen  wurden  mit  dem  Bistouri  durch- 
schnitten und  die  so  gewonnene  Oeffnung  mit  der  Hand  erweitert, 
bis  man  endlich  den  sehr  erweiterten  Muttermund  mit  dahinter- 
liegendem  Kindeskopfe  erreichen  konnte.  Um  die  durch  den 
Blutverlust  schon  sehr  heruntergekommene  Gebärende  durch  die 
Geburtsanstrengungen  nicht  noch  mehr  zu  schwachen,  wurde  die 
Wendung  auf  die  Füsse  gemacht  und  ein  todtes  anämisches  Kind 
extrahirt.    Die  Wöchnerin  erholte  sich  sehr  bald  vollständig. 

Auf  Befragen  erzählte  Patientin,  dass  zur  Zeit  des  ersten 
Eintrittes  der  Periode  heftige  Molimina  angetreten  seien  und  die 
Menstruation  erst  dann  regelmässig  wurde,  nachdem  ein  Chirurg 
eine  Membran,  welche  die  Scheide  verschloss,  durchschnitten 
habe.  Es  scheint  also  ein  Hymen  imperforatus  bestanden  zu 
haben. 

(Gazette  des  hdp.,  No.  96,  1861.) 


XV.    Notizen  au  der  Journal -Literatur.  $15 

PauU:   Ein  seltenes  Geburtshinderniss. 

Die  25  Jahre  alte  blühende  Frau  hatte  schon  zwei  Mal,  und 
■war  sehr  starke  Kinder,  geboren.  Bei  ihrer  j etaigen  Geburt 
war  der  Kindeskopf  bis  in  den  Beckeneingang  getreten  und  da 
er  trots  kräftiger  Wehen' nicht  fortrückte,  so  wurde  die  Zange 
ungelegt,  die  jedoch  nach  lVt stündigen  Versuchen  nicht  aum  Ziele 
rührte.  Wurde  jedoch  der  Kopf  angesogen,  so  seigte  sich  an 
der  hinteren  Scheidenwand  eine  pralle  kirn  förmige  Geschwulst, 
Ton  der  Grösse  einer  starken  Wallnuss,  welche,  wenn  der  Zug 
mit  der  Zange  aufhörte,  sich  wieder  abplattete  und  kaum  noch 
bemerklich  war.  Auch  Tom  Mastdarme  aus  fühlte  man  deutlioh 
die  Geschwulst  in  dem  Gewebe  iwischan  dem  Mastdärme  und 
der  Soheide  sitaen.  Durch  leichtes  Kratsen  mit  dem  Nagel  dea 
Zeigefingers  trennten  sioh  die  Schleimhaut  der  Scheide  und  das 
unterliegende  Zellgewebe  in  einem  Längenrlase,  aus  welchem 
dann  ein  mannsfaustgrosser,  kautschukbeutelartiger,  schwarser 
Körper  heraustrat,  der  mit  seinem  donneren  Theile  noob  fest 
sass.  Nachdem  um  den  Stiel  der  Geschwulst  swei  Ligaturen 
gelegt  und  derselbe  durchgeschnitten  worden  war,  konnte  der 
Kopf  des  Kindes,  das  allerdings  abgestorben  war,  mit  Leichtig- 
keit entwickelt  werden. 

Das  Afterproduct  bestand  aus  einer  »arten  Hülle,  deren 
Inhalt  eine  sohwarse  Flüssigkeit  bildete,  in  welcher  dicht  au» 
sammen  fast  erbsengrosse  runde  Körper  schwammen,  die  wenig 
schwärzlich,  mehr  hellgräulich  und  etwas  durchsichtig  waren. 

Das  Wochenbett  verlief  normal. 

(Preuss.  Medisinai- Zeitung,  No.  28,  1861.) 


Bern:   Der  Kautschukblasentampon,   ein  nothwendiger 
Bestandtheil   der  Hebammengeräthschaften. 

Der  Kants chukblasentampon  ist  ein  so  einfacher  und  heil- 
bringender Apparat,  dessen  Anwendungsweise  so  leicht  erlernt 
werden  kann,  dass  nach  Verfassers  Ansicht  derselbe  in  den  Händen 
aller  Hebammen  sich  befinden  sollte.  Besonders  bei  den  Blutungen 
in  der  zweiten  Geburtsperiode ,  wo  zuweilen  rasche  Hülfe  dringend 
geboten  ist,  würde  seine  Anwendung  für  die  Beseitigung  der 
gefahrvollen  Lage  der  Kreissenden  und  des  Kindes  eine  möglichst 
sichere  Gewähr  leisten.  Zur  Darlegung  der  grossen  Brauchbar- 
keit des  Apparates  theilt  Verfasser  drei  Fälle  aus  seiner  eigenen 
und  einen  Fall  aus  der  Praxis  des  Kreiswundarstes  Schmidt  mit.  — 
Der  erste,  dritte  und  vierte  Fall  betrafen  eine  Plaoehta  praevia, 
der  sweito  einen  Abortus. 

(Preuss.  Medisinalseitung,  No.  51,  52,  1861.) 


3t6  xv-   Kotisen  aas  der  Journal -Literatur* 

Ferd.  Weber:    Meine   Methode   der  Ansetzung  von  Blut* 
egeln   auf  den  Muttermund. 

V*rf.  hatte  in  awei  Fällen  das  Unglück,  dass  einer  von  den 
an  den  Soheidentheil  gesetzten  Blutegeln  seinen  Weg  durch  des 
Muttermund  in  die  Gebärmutterhöhle'  nahm.  Das  eine  Mal  ver- 
lies* der  Blutegel  die  Höhle,  ohne  sich  im  Uterus  angesetzt 
so*,  haben,  das  andere  Mal  stellten  sich  fürchterliche  Schmersen 
mit  Schfittelf rösten  und  cyano  tische  r  Färbung  des  Gesichtes  ein 
und  die  Kranke  hatte  das  subjeetive  Gefühl,  als  krieche  etwas 
in  der  Gebärmutter  herum.  Bald  stellten  flieh  starke  Metrorrhagien, 
die  sich  wiederholten,  ein  und  zur  Tamponade  zwangen.  Am 
5.-8.  Tage  wurden  mit  blutig -jauchigem  Atisflusse  Fetzen  des 
au  rückgebliebenen  Blutegels  entfernt.  Die.  Kranke  wurde  nach 
drei  Wochen  gesund  entlassen. 

Um  nun  eine  Wiederholung  ähnlicher  Zufälle  unmöglich  an 
machen,  sucht  Verf.  die  Blutegel  zu  fixiren  und  an  einem  Faden 
festzuhalten.  Er  durchsticht  zu  diesem  Zwecke  mit  8 — 4  starken 
Nadeln  den  Blutegel  in  seiner  unteren  Hälfte,  zieht  einen  Faden 
▼on  Seide  oder  starkem  Zwirn  durch  und  knüpft  dann  die  beiden 
Enden  des  Fadens  zusammen,  damit  das  Leitseil  desto  stärker 
werde.  Jeder  Blutegel  muss  nun  in  ein  besonderes  Gefäss  gelegt 
werden,  damit  sich  durch  die  Bewegungen  .derselben  ihre  Fäden 
nicht  verwickeln;  denn,  jeder  Blutegel  muss  separat  gesetat 
werden,  um  ihn  genau  für  den  bestimmten  Funkt  zu  verwenden. 
Ein  Hinderniss  im  Saugen  soll  durch  das  Durchziehen  von  Fäden 
nicht  bewirkt  werden. 

(Wien.  med.  Wochenschrift,  No.  43,  1861.) 


Noeggerath:  Vier  Fälle,  von  Injection  einer  ätzenden 
Flüssigkeit  in  die  Uterinhöhle.  Nutzen  und  Ge- 
fahren  dieser  Methode. 

Im.  ersten  Falle  wurde  gegen  heftige  und  häufige  Blutungen, 
welche  nach  einem  Abortus  auftraten  und  gegen  die  alle  gewöhn- 
lichen Mittel  vergeblich  angewendet  waren,  Jodtinctur  in  die  Uterin- 
höhle eingespritzt  und  zwar  wiederholt.  Die  Schmerzen  waren  nur 
gering,  eine  Reaction  kaum  bemerkbar.    Heilung  erfolgte  schnell. 

Der  zweite  Fall  betrifft  eine  Frau,  die  seit  23  Jahren  an 
Uterusblutungen  litt  und  sehr  heruntergekommen  war.  Auf  eine 
einzige  Einspritzung  von  Eisenchlorid  trat  eine  heftige  Peritonitis 
auf.    Nach  einigen  Recidiven  trat  allmälig  Heilung  ein. 

Im  dritten  Falle  litt  die  Frau  seit  zwei  Jahnen  an  Hämprrhagie 
und  weissem  Fluss.  Auf  eine  Injection  einer  Höllensteinlösung 
(ein  Theil  Höllenstein  auf  vier  Theile  Wasser)  trat  eine  heftige 
Peritonitis  ein;    die  Kranke  genas  jedoch. 


XV.    NotUen  ans  der  Jeumal- Literatur.  S17 

Im  viertem  Falle  litt  die  Kranke  an  Leukorrhoe  mit  Krens- 
eehmeraen;  es  seilte  sich  ein  Infaret,  Ulcerationen  nnd  Granu- 
lationen am  Mvtterhalse;  die  Geschwüre  erstreckten  sich  bis  auf 
den  unteren  Theil  der  Scheide,  waren  anseheinend  phagedänieeh 
und  syphilitischer  Natur.  Auf  Anwendung  des  Ferrum  candens 
erfolgte  eine  unbedeutende  Reactton  und  erst  nach  sehn  Tagen 
seigte  sich  in  den  Geschwüren  eine  Besserung.  Um  die  Heilung 
au  beschleunigen,  wurde  ein  mit  Silbersolution  getränkter  Pinsel 
auf  die  WundflKche  gehalten  und  selbst  ciroa  l1/,"  hoch  in  die 
Uterinhöhle  geführt.  Der  Schmers  war  gering,  schon  am  anderen 
Tage  aeigten  sich  Symptome  einer  Metroperitonitit,  der  die 
Kranke  auch  am  sechsten  Tage  erlag. 

(Gazette  medicale  de  Paris,  No.  12,  1861.) 


Chinin  in  der  Geburtshülfe. 

In  einer  Discussion  über  die  wehenerregende  Wirkung 
des  Chinin  theilte  Coehran  einen  Fall  von  vollständiger  Wehen- 
schwäche  mit,  gegen  welche  er  eine  Dosis  von  10  Gr.  Chinin 
gab;  die  Wehen  folgten  bald  und  die  Geburt  verlief  normal. 
Oanada  hält  Chinin  für  das  suverläasigste  wehenerregende  Mittel, 
nur  muss  es  in  grossen  Dosen  gegeven  werden.  John  LmoU 
giebt  in  allen  Fällen  von  rigidem  Muttermunde,  trockner  Haut 
nnd  hartem  Pulse  Chinin  in  grossen  Dosen,  in  Verbindung  mit 
trockenen  Schröpf  köpfen  auf  die  Saeralgegend  nnd  heiseen  Fuss* 
bädern  und  erwartet  das  Nachgeben  des  Muttermundes  und  regel- 
mässige Wehen  ebenso  au  verlässig,  wie  StuhlÖfihung  nach  Jalappe. 
Mich  berichtet  in  dem  Charleston  med.  Journ.  and  Rev.  (Mars  1860) 
mehrere  Fälle  von  profusen  Uterusblutungen,  bei  welchen  nach 
vergeblicher  Anwendung  aller  bekannten  Mittel  Chinin  mit  dem 
besten  Erfolge  gegeben  wurde.  Warren  kennt  kein  auverlässigeres 
Mittel,  Abortus  au  bewirken,  als  Chinin  in  grossen  Dosen. 

(Sitzungsbericht  der  Med.  soc.  in  Knightstown  im  British 
med.  Journ.,  No.  40,  Oct.  1861,  u.  Med.  cbir.  Monatshefte, 
Nov.  1861,  S.  436.) 


Lloyd:  Vorfall  der  Gebärmutter  in  Folge  mehrjährigen 
Bestehens  eines  Dammrisses. 

Die  Kranke,  49  Jahre  alt,  seit  dem  20.  Jahre  verheirathet, 
wurde  am  24.  November  1860  im  3t.  Mary 's  Hospital  aufgenommen; 
sie  hat  acht  lebende  reife  Kinder  geboren.  Ihre  Periode  stellte 
sich  mit  dem  18.  Jahre  ein  und  war  stets  von  heftigen  Uterinal- 
koliken  begleitet.  Seit  ihrer  Verbeirathung  litt  Pat.  an  weissem 
Flusse.     Bei   der   dritten   Niederkunft  serriss   das  Mittelfleisch, 


318  XV.    Notinen,  ms  der  Journal-Literatur. 

welebem  Umstände  sie  den  Gebärmuttervorfall  smachreibt  Der 
Sut.  prees.  seigt  den  Uterus  vollständig  vorgefallen  und  «wischen 
den  Schenkeln  hängend ,  die  Bänder  des  Muttermundes  sind  nach 
aussen  gestülpt,  die  läppen  stark  hypertrophirt ,  sehr  gefäss- 
reich  und  mit  Geschwüren  bedeckt.  Aehnliche  Geschwüre  finden 
sich  beiderseitig  auf  der  vorderen  Scheidenwand;  die  Schleimhaut 
der  Seheide  selbst,  trägt  die  Charaktere  der  Oberhaut.  Der  Uten» 
kann  »war  mit  Schwierigkeit  reponirt  werden,  doch  verursacht 
jeder  Repositionsversuoh  heftige  Schmeraen.  Die  Harnblase  zeigt 
sich  naoh  abwärts  gedrängt  und  die  Harnröhre  nach  aufwärts 
gerichtet.  Drang  aur  öfteren  Entleerung  des  Harnes,  der  stark 
gefärbt  und  ammoniakalisch  riecht.  Das  Mittelfleisch  ist  aer- 
rissen  und  es  erstreckt  sich  der  Riss  durch  den  grösseren  Theil 
des  Sphincter  ani,  so  dass  derselbe  den  andrängenden  Fäces 
keinen  Widerstand  su  leisten  vermag.  Die  Afteröffnung  ist  weit 
und  erschlafft,  seine  Schleimhaut  nach  aussen  umgestülpt.  Sitzen, 
Liegen,  Stehen  und  Gehen  der  Patientin  schwer. 

Nachdem  durch  eine  geeignete  Behandlung  die  Ulcera  und 
Entsandung  des  Uterus  beseitigt,  gleichseitig  auch  gegen  die 
allgemeine  Schwäche  ein  roborirendes  Verfahren  eingeschlagen 
worden  war,  wurde  cur  Reposition  und  Retention  der  Gebär» 
mutter  gesohriiten,  und  «war  durch  Bildung  eines  neuen  Mittel- 
fleisches und  durch  Venengerung  des  Scheidenkanals  mittels 
Wegnahme  kleiner  Schleimhautstreifen.  Die  betreffenden  Nähte 
bestanden  aus  Silberdraht  und  swei  Hasensohartenn adeln.  Der 
Erfolg  war  ein  ausgeseichneter.  Am  aobten  Tage  wurden  die 
Nadeln  entfernt,  und  es  seigte  sich ,  mit  Ausnahme  einer  kleinen 
Stelle,  eine  vollkommene  Vereinigung.  Pat.  musste  noch  einige 
Zeit  eine  rabige  Lage  beobachten  und  war  völlig  hergestellt  am 
30.  April  1861.  Verf.  glaubt  folgenden  Umstände«  den  günstigen 
Erfolg  anschreiben  su  müssen: 

1)  Der  consequenten  liegenden  Stellung  vor  und  nach  der 
Operation  und  ebenso  dem  therapeutischen  Einflüsse  des  Hy- 
drargjrum  bichloridum  besügiieh  der  Beseitigung  der  Hypertrophie 
den  Uterus. 

2)  Der  Entfernung  einer  hinreichenden  Partie  der  Scheiden  - 
Schleimhaut. 

3)  Der  Anwendung  der  Hasenschartennadeln,  anstatt  der 
gewöhnlichen  Fadennaht;  die  Vortheile  der  ersteren  bestehen  in 
grösserer  Leichtigkeit  der  Anwendung  und  festerer  und  genauerer 
Vereinigung. 

(The  Dublin  quart.  journ.  of  med.  sc,  No.  68,  Aug.  1861.) 


XV.    Notizen  mm  der  Journal- Literatur.  019 

ArbeiUr:  Behält  der  Fruehthalter  noeh  längere  Zeit 
nach  dem  Tode  Schwangerer  «eine  selbst  tändige 
Thätigkcit? 

Eine  Gebärende  starb  an  innerer  Verblutung  in  Folge  einer 
Zerreissang  des  Seheidengrundes  und  Matterhalses.  Verf.  kam 
%  Standen  nach  erfolgtem  Tode,  fand  alle  Zeichen  des  Todes, 
machte  die  Wendung  und  Extraction  des  auch  schon  abgestorbenen 
Kindes  und  entfernte  auch  mit  der  Hand  die  Kachgeburt.  Während 
dieser  Operationen  war  der  Fruchthalter  schlaff  und  nachgiebig, 
nach  seiner  völligen  Entleerung  zog  er  sich  jedoch  zu  der  ge- 
wöhnlichen festen  Engel  zusammen,  wie  nach  regelmässigen 
Geburten.    Eine  Section  wurde  leider  nicht  gestattet. 

(Aerstliches  Intelligensblatt  Baierns,  No.  42,  1861.) 


Kulm:     Aus     der     gynäkologischen     Klinik     des     Prof. 
C.  Braun  in  Wien. 

Krankenbestand  im  Jahre  1860:    109  Kranke. 
Entlassen  wurden:  geheilt  51,  gebessert  18,  angeheilt  9; 
durch  Transferirung  20.    Gestorben  sind  6. 

Krankheiten  der  Gebärmutter:  Verengerang  des  Ute  ras 

1  Mal.    Atrophie  1  Mal,  Anteflexio  2  Mal,  Re^roflexio  8  Mal. 

Entaündnngen:  a)  Parenchymatöse,  18  Fälle  (7  Mal 
Metritis  acuta,  6  Mal  chronischer  Infarct).  In  einem  Falle,  wo 
neben  starker  Lockerung  der  Vaginalportion  eine  Cervical- 
blennorrhoe  bestand,  wurden  anter  anderen  die  Tanninstifte 
BecquereVa  (1"  lang,  1%"'  dick,  aus  vier  Tfaeile  Tannin  pur., 
ein  Theil  Tragantgummi  mit  einer  hinlänglichen  Menge  Brot- 
krume gefertigt)  mit  gutem  Erfolge  angewendet.  Ausser  dem 
genannten  Falle  kamen  noch  4  Fälle  von  b)  katarrhalischen*  Ent- 
zündungen der  Uterusichleimbaut  in  Form  der  chronischen 
Blennorrhoe  vor. 

Fungöse  Vegetationen  des  Cervii:  4  Fälle  (2  Mal  bei 
Schwangeren,  2  Mal  bei  Nichtschwangeren).  Alle  litten  an  häufigen 
profusen  Metrorrhagien. 

Fremdbildungen:  o)  Fibroide  des  Uterus  6  Mal  (2  sub- 
perltonaeal,  8  interstitielle,  1  fibröser  Polyp);  b)  Sehleimpolypen 

2  Mal,  1  Mal  trennte  sich  der  Polyp  spontan  von  seinem  Stiele, 
im  anderen  Falle  wurde  er  mittels  der  Pince  ä  cremalllere  durch 
Torsion  entfernt,  c)  Carcinoma  uteri  6  Fälle  (4  Mal  Medullar- 
carcinom,  2  Mal  Epidermidalkrebs).  Bei  einem  der  letzten  Art 
wurde  die  Vaginalportion  ampntirt  durch  die  galvanokaustiscbe 
Schlinge.  Die  Amputationsstelle  vernarbte  gut,  wurde  jedoch 
vier  Monate  später  als  Sita  eines Mednllarcarciuoms  gefunden. 

Menstruationsanomalien:  Amenorrhoe  und  Dysmenorrhoe 
je  1  Fall;  Menorrhagie  4  Fälle. 


320  xy-    *oti*«n  Mi  der  Journal- Literatur. 

Krankheiten  der  8eheide  und  der  äusseren  öe- 
sekleefatstheile:  Chronische  Catarrfae  als  selbststlndige  Er- 
krankung 5  Mal. 

Blasen s eh eidenf Utein  2  Mal  (1  Mal  in  Folge  brandiger 
Loestossung  des  durch  den  Kindesschädel  serquetschten  Gewebes; 
das  andere  Mal  durch  Durchbrach  eines  Abscessus  retroperitonaealis). 

Abscess  der  Bartholinisehen  Druse  und  Carunculae  urethrae 
je  1  Fall. 

Krankheiten  des  Uterus-Bauchfells:  9  Fälle  tob 
Perimetritis  (2  Mal  entleerte  sich  der  Eiter  durch  die  vordere 
Bauchwand  in  der  Inguinalgegend),  HKmatocele  extraute rina  4  Mal. 

Krankheiten  der  Eierstöcke:  Eierstocksgeschwülste 
7  Mal  (4  Mal  rechts,  2  Mal  links,  1  Mal  beiderseitig;  3  Mal 
einlache  Kysten,  4  Mal  susammengesetste  Kystoide),  1  Mal  ver- 
eiterte die  Kyste  und  perforirte  in  die  Vagina. 

Ausserdem  kamen  noch  sur  Behandlung  Mastitis  2  Fälle, 
Cystosarcoma  mammae  in  gravide  1 ,  Peritonitis  1 ,  Abscessus 
retroperitonaealis  2,  combinirte  Puerperalprocesse  2;  Tumor  lienis 
(bis  auf  die  Beckengegend  sieh  ausbreitend)  8  Fälle.  Neuralgia 
1  Mal. 

(Oesterr.Zeitssehr.  f.  prakt.  Heilkunde,  No.  81, 37,89, 40, 1861.) 


8tatistische  Tabelle  6ber  die  Vorkommnisse  in  der 
Kreis-  und  Local-GebKranstalt  su  München  im  Etats- 
jahre 1860—1861. 

Es  wurden  1137  Personen  aufgenommen,  1022  wurden  ent- 
bunden. Unter  den  Geburten  waren  12  Zwillings-,  7  umseitige, 
36  frühzeitige  Geburten.  622  Knaben,  612  Mädchen  wurden  ge- 
boren.    Folgende   Fruchtlagcn    kamen   vor:    968    Scheitellagen, 

6  Gesichtslagen,  36  Beckenendlagen,  8  Schulterlagen,  16  un- 
bestimmte Lagen.  —  Placenta  praevia  4,  Blutflüsse  18,  Eclampsie  1, 
Vorfall  der  Nabelschnur  13. 

Operationen  wurden  ausgeführt:  1  künstliche  Frühgeburt, 
2  Wendungen  auf  den  Kopf,  10  Wendungen  auf  die  Fasse,  19  ein- 
fache Extraetionen,  8  Extractionen  nach  der  Wendung;  20  Zangen 
an  den  vorliegenden  Kopf,  2  Perforationen,  2  Kephalothrypsien, 

7  Repositionen  der  Nabelschnur,  6  Nachgeburtsoperationen. 

Von  den  Entbundenen  erkrankten  37 ,  es  genasen  17»  wurden 
verlegt  12  und  starben  8.  —  Von  den  Neugeborenen  wurden 
39  todtge boren,  von  denen  20  vor  der  Geburt,  19  während  der 
Gebart  abgestorben  waren.  Von  den  Kindern  starben  19  an 
Lebensschwäehe  und  19  an  verschiedenen  Krankheiten. 

(Aeratliches  Intelligenzblatt  Baierns,  No.  46,  1861.) 


XVI. 
Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold. 

Nekrolog. 


Quamquam  festinas ,  non  est  mora  louga ,  licebit 
Injecto  ter  pulvere  curraa! 

Horat.  carm.  I. ,  28,  86  u.  86. 

Es  sind  mehr  denn  sechs  Monate  schon  verflossen,  seit 
sich  das  Grab  über  Ed.  von  Siebold  geschlossen  und  uns 
eine  der  grössten  Zierden  der  deutschen  Geburtshülfe  geraubt 
hat.  Wenn  ihm  erst  jetzt  an  dieser  Stelle  einige  Zeilen  des 
Andenkens  gewidmet  werden,  so  liegt  der  Grund  in  einem 
Wunsche  des  Verstorbenen  selbst.  Er  wollte  keinen  Nekrolog; 
er  wollte  —  um,  wie  er  uns  oft  geäussert,  einer  schiefen 
Beurtheilung  zu  entgehen  —  selbst  erzählen,  wer  er  gewesen, 
wie  er  geworden,  und  was  er  gethan.  Seit  Jahren  hatte  er 
diese  Absicht;  aber  er  verschob  die  Ausführung  derselben, 
bis  das  Gefühl  baldiger  Auflösung  ihn  mahnte,  nicht  länger 
zu  säumen.  Unter  den  Qualen  aufreibender  Krankheit,  in 
dem  Gefühl  baldigen  Endes r  deshalb  in  rastloser  Eile,  ge- 
drangt von  dem  Wunsche,  sein  Vorhaben  noch  zu  vollenden, 
schrieb  von  Siebold  die  „Geburtshülf  liehen  Briefe  tt  (vor  einigen 
Wochen  erschienen),  deren  ersten  sieben  seine  Selbstbiographie 
enthalten. 

Wir  wussten,  dass  diese  Briefe  unter  der  Presse  waren, 
wir  kannten  des  Todten  Wunsch,  es  möchte  einem  jeden 
Nekrolog  über  ihn  die  eigene  Schilderung  zu  Grunde  gelegt 
werden  —  und  wir  fühlten  die  Pflicht  der  Pietät,  diesem 
Wunsche  zu  gehorchen  und  uns  jeden  Unheils  zu  enthalten, 
bis  die  Autobiographie  dem  Publikum  vorlag. 

Monatesehr.  f.  OebnrUk.   186«.  Bd.  XIX,  Hfl.  6.  21 


322     XVI.    Eduard  Ca*par  Jacob  von  Siebold.    Nekrolog. 

Wir  glauben  uns  trotz  des  Verstorbenen  ausdrücklicher 
Bemerkung  („  Geburtshülf  liehe  Briefe,"  p.  3):  „so  mag  denn 
demnächst  die  Redaction  unserer  Monatsschrift,  wenn  sie 
mein  Ableben  anzeigt,  dies  in  kurzen  Worten  thün  und  hinzu- 
fügen: des  Nekrologs  überhebt  uns  die  eigene  Mittheilung 
des  Verfassers  über  sein  Leben  in  dessen  geburtshilflichen 
Briefen,"  trotz  dieses  Wunsches  einer  Impietät  nicht  schuldig 
zu  machen,  wenn  wir  sein  Leben  den  Lesern  der  Monatsschrift 
vorführen.  Denn  dies  Leben  war  ein  bedeutendes;  es  war 
eine  glänzende  Erscheinung,  wie  sie  —  um  mit  den  Worten, 
welche  ihm  der  treue  Freund  am  Sclüusse  der  „Briefe" 
nachruft,  hier  zu  reden  —  „nur  noch  vereinzelt,  ehrwürdige 
Gestalten  einer  anderen  Zeit,  in  die  Zunflmässigkeit  heutiger 
Fachwissenschaft  herüberragen,  eine  jener  ursprünglichen 
gefühlskräftigen  antiquen  Naturen,  wie  sie  gegenwärtig  nicht 
mehr  gedeihen  wollen."  Der  Abschluss  eines  bedeutenden 
Lebens  weckt  aber  in  Jedem  das  Interesse,  die  Geschichte 
desselben  zu  erfahren,  und  wir  glauben,  dass  die  Leser  der 
Monatsschrift ,  in  deren  Hände  wohl  nicht  überall  die  Selbst- 
biographie gelangt,  es  dankbar  aufnehmen  werden,  wenn  wir 
diese  Geschichte  hier  einem  grösseren  Kreise  vorführen.  Wir 
thun  dies  zufolge  einer  Aufforderung  der  Redaction,  und  weil 
wir  das  Leben  des  Verstorbenen  durch  eine  mehrjährige 
Bekanntschaft  und  innige  Freundschaft  bezeugen  können ,  weil 
Alles,  was  den  Geist  des  Freundes  in  Sachen  unserer  Wissen- 
schaft und  in  den  höchsten  Angelegenheiten  der  Menschheit 
bewegt  hat,  in  häufiger  gemeinschafüicher  Besprechung  in 
den  letzten  Jahren  seines  Lebens  auch  durch  unsere  Seele 
gegangen  ist.  Der  Verfasser  dieser  Zeilen  wird  aber  das 
Leben  des  Freundes  streng  diesem  selbst  nacherzählen  und 
nur  einiges  Wenige  über  dessen  letzte  Tage  und  über  seine 
Leistungen  hinzufügen. 


Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold,  entsprossen  der 
von  Oken  einst  mit  Recht  als  Asclepiaden- Familie  bezeich- 
neten Familie  der  Siebolde,  wurde  am  19.  März  1801  zu 
Würzburg  geboren,  wo  sein  Vater,  Adam  Elias  von  Siebold, 
Professor  der  Geburtshülfe  war.    Den  ersten  Unterricht  genoss 


XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.   Nekrolog.      323 

der  Knabe  theils  durch  tüchtige  Hauslehrer,  theils  in  den 
lateinischen  Schulen  der  Vaterstadt.  Sehr  früh  schon  wurde 
ihm'  der  Sinn  für  Musik  beigebracht,  den  er  durch  sein  ganzes 
Leben  bewahrte  und  immer  mehr  ausbildete.  Schon  als 
neunjähriger  Knabe  Hess  S.  sich  auf  dem  Flügel  öffentlich 
hören,  wirkte  in  Privatconcerten  als  Violinist  mit,  und  schon 
zu  dieser  Zeit  bearbeitete  er  ein  Instrument,  das  immer  sein 
liebstes  geblieben  war  —  die  Pauke.  Die  Umsicht  des  Vaters 
Hess  ihm  Unterricht  auf  der  Trommel  geben,  um  die  Hand- 
gelenke des  Knaben  ausbilden  zu  lassen,  ihn  so  schon  für 
den  späteren  Beruf  körperlich  vorbereitend.  Hieraus,  erklärt 
sich  die  Vorliebe,  welche  S.  immer  für  die  Pauken  hatte,  und 
die  seinen  Bekannten  so  oft  auffiel;  es  war  ihm  das  grösste 
Vergnügen,  bei  öffentlichen  Aufführungen  die  „Tympani"  zu 
schlagen,  und  Viele  werden  noch  sehr  wohl  sich  erinnern, 
wie  S.  noch  in  den  letzten  Lebensjahren  als  Hitglied  des  in 
Göttingen  gebildeten  akademischen  Orchestervereines  sowohl 
bei  den  Proben  als  bei  öffentlichen  Productionen  immer  der 
Pünktlichste  und  Erste  an  seinem  Platze  bei  den  Rassel- 
instrumenten war,  wie  er,  wirkte  er  nicht  selbst  mit,  doch 
wenigstens  seinen  Platz  in  der  Nähe  der  Pauken  suchte. 

Gut  vorbereitet  bezog  S.  1812  das  Gymnasium  seiner 
Vaterstadt,  auf  welchem  der  Grund  zu  seiner  classischen  und 
philologischen  Ausbildung  gelegt  ward,  im  Herbste  1816 
ward  die  Schule  mit  der  zum  grauen  Kloster  in  Berlin  ver- 
tauscht, da  zu  jener  Zeit  der  Vater  dem  Rufe  als  Lehrer  der 
Geburtshülfe  an  die  Berliner  Hochschule  folgte.  Obgleich  die 
hierdurch  bedingte  Veränderung  im  Leben  eine  bedeutende 
sein  musste,  obgleich  bald  nach  vollbrachter  Uebersiedlung 
die  Mutter  ihm  starb  —  so  fühlte  sich  doch  der  Jüngling  in 
dem  neuen  Aufenthalte  sehr  schnell  heimisch.  Die  in  der 
umfangreichen  Stadt  viel  grössere  Ungebundenheit  musste 
seinem  lebhaften  Temperamente  gefallen;  die  Schule  war 
vortrefflich,  und  gerade  die  Neigung  zu  den  philologischen 
Studien,  die  in  &  immer  stärker  hervortrat,  konnte  er  auf 
derselben  immer  besser  befriedigen.  Die  Lust,  sich  diesen 
Studien  zu  widmen,  bildete  sich  unter  ausgezeichneten  Lehrern, 
mit  denen  der  Jüngling  auch  in  privatem  wissenschaftlichen 
Verkehre   stand,   so   allmälig  aus;  ja  8.  sah   sich  in  dieser 

2t* 


324     XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.    Nekrolog« 

Zeit,  wie  er  nus  erzählt,  im  Geiste  oft  schon  auf  einem 
philologischen  Lehrstuhl  thätig.  Charakteristisch  ist,  dass  er 
den  mathematischen  Studien  nie  eine  gefällige  Seite  abfinden 
konnte,  so  dass  ihn  seine  Lehrer  darin  gänzlich  aufgeben 
mussten.  Diese  Abneigung  hat  sich  durch  sein  ganzes  Leben 
erhalten;  es  war  ihm  nichts  mehr  lästig  als  die  trockene, 
exacte,  Schritt  für  Schritt  vorgehende  mathematische  Deduction, 
als  das  Spiel  mit  Zahlen;  seinem  feinfühlenden  ästhetischen 
Sinne  entsprachen  die  classischen  Studien  viel  mehr,  und  die 
Liebe  für  diese  ist  für  seine  ganze  spätere  Richtung  und  auf 
seine  Arbeiten  in  seinem  Specialfache  von  dein  grössten 
Einflüsse  geworden. 

Im  Frühjahre  1820  bezog  &,  dem  Wunsche  seines 
Vaters  folgend,  als  Student  der  Medicin  die  Berliner  Universität. 
Die  medicinischeg  Studien  wurden  anfangs  nicht  zu  fieissig 
getrieben,  da  sogleich  der  einjährigen  Dienstpflicht  im  „herr- 
lichen Kriegsheere"  genügt  werden  musslc.  An  diese  Zeit 
erinnerte  sich  S.  in  späteren  Jahren  mit  vielem  Vergnügen, 
und  hat  seine  damalige  Uniform  —  die  ihm  allerdings  sehr 
knapp  geworden  war  _-*-  bis  zu  seinem  Ende  wie  eine 
Reliquie  gehütet  und  aufbewahrt.  Aber  auch  den  Nutzen 
halte  das  Soldatenthum  für  ihn,  dass  es  dem  leichtbeweglichen 
jungen  Manne  eine  Pünktlichkeit  beibrachte,  die  im  Umgänge 
mit  ihm,  in  seinen  Arbeiten,  in  der  Verwaltung  des  ihm 
Untergebenen,  einem  Jeden  auffallen  musste.  In  den  kleinsten, 
wie  deu  bedeutendsten  Dingen  war  S.  der  pünktlichste, 
prompteste  Mensch,  und  halte  er  einmal  etwas  versprochen, 
so  konnte  man  auf  dessen  Ausführung  zur  bezeichneten  Zeit 
mit  Sicherheit  rechnen.  Es  braucht  nicht  erwähnt  zu  werden, 
wie  sehr  dies  einestheils  die  Annehmlichkeit  des  Umganges 
mit  S.  für  Jeden  erhöhte,  und  wie  es  andererseits  ihm  seine 
Studien  und  seine  literarische  Thätig keit  erleichterte. 

Nach  Ablauf  des  kriegerischen  Jahres  kehrte  S.  mit  allein 
jugendlichen  Eifer  wieder  zur  Medicin  zurück,  trieb  dre  vor- 
bereitenden und  die  praktischen  Studien  unter  den  berühmten 
Lehrern  Berlins  aus  damaliger  Zeit  (besonders  zog  ihn  die 
Anatomie  an,  so  dass  er  bei  seinem  Lehrer  Knape  1821/22 
Amanuensis  wurde,  und  selbst  jeden  Sonntag  eine  Vorlesung 
über  Osteologie   in   seines  Vaters  Hörsäle   hielt),   und   bezog 


_L 


XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.   Nekrolog.      325 

dann  im  Herbste  1823  die  Universität  Göttingen,  wohin  ihn 
der  Vater  theils  aus  alter  Anhänglichkeit,  theils  aus  dem 
Wunsche,  der  Sohn  sollte  sich  unter  dem  alten  Universitäts- 
freunde und  der  Familie  verwandten,  damals  so  hoch  be- 
rühmten Langenbeck  in  der  Chirurgie  ausbilden,  theils  wegen 
der  Absicht,  eine  zweite  Heirath  mit  einer  sehr  jungen  Frau 
einzugehen,  sandte. 

In  Göttingen  Jag  S.  mit  dem  dort  bei  Allen  eingebürgerten 
Fleisse  besonders  den  klinischen  Studien  ob,  welche  er  unter 
Langenbeck,  Himly,  Conradi  und  Mende  nach  Lust  treiben 
konnte.  Denn  waren  die  klinischen  Anstalten  auch  klein,  so 
ward  dies  durch  die  Vorzüglichkeit  und  besonders  den  Eifer 
der  Lehrer  (wie  es  auch  jetzt  noch  in  Göttingen  der  Fall  ist) 
vollkommen  ersetzt  Geburtshülfe  trieb  S.  in  Göttingen  sehr 
wenig,  da  er  wusste,  dass  ihm  die  Gelegenheit  dazu  nach 
seiner  Rückkehr  nach  Berlin,  wo  er  sich  dem  Wunsche  des 
Vaters  zufolge  zum  Geburtshelfer  ausbilden  sollte,  zu  Gebote 
stehen  würde.  Dagegen  wurde  der  in  dem  jungen  Manne 
wohnenden  Neigung  zum  classischen  Alterthume  und  zu 
philologischen  und  historischen  Arbeiten,  welche  er  auch  als 
Berliner  Student  nicht  vernachlässigt  hatte,  durch  die  reich- 
haltige, musterhaft  geordnete  und  Jedem  so  bereitwillig  geöffnete 
Göttinger  Bibliothek  neue  Nahrung  gegeben.  Hier  legte  S. 
schon  als  Student  zu  seinen  späteren  historischen  Arbeiten  % 
den  Grund,  wie  er  auch  eine  derartige  Arbeit  (s.  unten  das 
Verzeichniss   seiner   Schriften,   A.  1.)   in  Göttingen   abfasste. 

Im  Herbste  1825  kehrte  S.  zur  Vollendung  seiner  Studien 
nach  Berlin  zurück,  und  ward  hier  sogleich  als  zweiter,  resp. 
dritter  Assistent  an  der  Entbindungsanstalt  der  Universität 
angestellt.  Während  er  so  seine  Zeit  hauptsächlich  der  Geburts- 
hülfe widmen  musste,  trieb  er  doch  noch  die  übrigen  praktischen 
medicinischen  Studien,  da  er  sich  zur  ersten  Prüfung  vor- 
bereitete, welche  er  im  Januar  1826  bestand  und  dem  zu 
Folge  am  29.  März  zum  Doctor  der  Medicin  promovirt  wurde 
(Dissertation,  s.  A.  2.).  Bald  darauf  ward  ihm  die  Ehre, 
von  der  philosophischen  Facultät  seiner  Vaterstadt  Würzburg 
mit  dem  Diplome  eines  Doctoris  philosophiae  überrascht  zu 
werden.  Der  Rest  des  Jahres  1826  und  der  Anfang  1827 
ging   dann   mit   den  Vorbereitungen   zu   den  Staatsprüfungen 


326      XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.   Nekrolog. 

und  der  Ablegung  derselben  hin,  bis  8.  im  April  1827,  in 
dem  14.  Semester,  nachdem  er  die  Universität  bezogen,  Alles 
absolvirt  hatte. 

Rasch  ging  es  jetzt  mit  des  jungen  Mannes  geburts- 
hilflicher Laufbahn,  auf  welche  ihn  glückliche  Umstände 
stellten,  vorwärts.  Im  Mai  1827  ward  er  als  erster  Assistent 
bei  der  Gebäranstalt  angestellt,  habilitirte  sich  im  Juni  als 
Prwatdocent  und  konnte  schon  in  demselben  Monate  seine 
Vorlesungen  über  theoretische  Geburtshülfe  mit  20  Zuhörern 
eröffnen. 

Dieser  Erfolg  erhöhte  den  Lehreifer  und  spornte  den 
Fleiss  um  so  mehr  an,  als  auch  in  den  folgenden  Semestern 
die' Vorlesungen  gleich  stark  besucht  waren,  S.  den  Unterricht 
am  Phantome  den  sich  zum  Staatsexamen  vorbereitenden 
Candidaten  gab,  und  als  er  seine  ganze  Kraft  auf  die  geburts- 
hülf liehe  Praxis  in  der  Klinik  und 'Poliklinik,  die  er  als  erster 
Assistent  hauptsächlich  zu  besorgen  hatte,  verwenden  musste. 
Daneben  gab  er  Curse  im  Bandagiren,  las  merkwürdigerweise 
im  Winter  1828  auch  ein  Publikum  über  Knochenkrankheiten. 
Der  Wissenschaft  suchte  er  in  dieser  Zeit  dadurch  einen 
Tribut  zu  zollen,  dass  er*  eine  Anleitung  zu  geburtshülf liehen 
Operationen  (A.  3.)  drucken  liess. 

In  seinen  geburtshülflichen  Grundsätzen  stand  der  junge 
Docent  natürlich  ganz  auf  Seite  seines  Vaters,  welcher  zwischen 
der  Wiener  und  der  Göttinger  (Osiander'sdien)  Schule  die 
Mitte  hielt,  gleichsam  eine  eklektische  Schule  bildete;  um  so 
mehr,  als  jjer  Vater  der  einzige  Lehrer  ihm  gewesen  und  S. 
vor  dem  Anfange  seiner  akademischen  Thätigkeit  nie  Anderer 
Grundsätze  und  Wirksamkeit  durch  eigene  Anschauung  hatte 
prüfen  können.  Ein  glücklicher  Umstand  war  es  für  ihn, 
dass  er  in  seiner  Eigenschaft  als  Lehrer  theoretisch  und  in 
der  als  Assistent  und  Leiter  der  Poliklinik  sich  praktisch 
ausbilden  konnte,  und  er  so  vor  Einseitigkeiten  bewahrt  ward. 

Der  am  12.  Juli  1828  erfolgte  Tod  des  Vaters  gab  dem 
Geschicke  /SVs  eine  entschiedenere  Wendung.  Mit  dem  an- 
gestrengtesten Eifer  suchte  er,  da  der  Vater  ihn  nicht  in 
glänzender  materieller  Lage  zurückgelassen,  eine  feste  Stellung 
zu  gewinnen.  Die  nächste  Gelegenheit  gab  ihm  die  pro- 
visorische Uebertragung  des  Lehrstuhls   und   der  Leitung  der 


XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.   Nekrolog.     327 

geburtshilflichen  Klinik  zu  Berlin,  in  deren  Genüsse  er  drei 
Semester  blieb.  Diese  Stellung,  eine  kleine  Privatpraxis,  sowie 
literarische  Unternehmungen  (A.  4.  u.  5.)  nahmen  ihn  ganz 
in  Anspruch;  das  vom  Vater  seit  1813  redigirte  „Journal  für 
Geburtshülfe"  liess  er  unter  seiner  Redaction  forterscheinen, 
bis  er  1837  mit  dem  17.  Bande  dasselbe  aufgab  und  ah» 
Mitredacteur  der  gleichzeitig  erscheinenden  „Neuen  Zeitschrift 
für  Geburtskunde ",  welche  sich  1853  in  diese  „Monatsschrift" 
verwandelt  hat,  sich  anschloss. 

Am  9.  April  1829  verheiratete  sich  8.  mit  Fraulein 
Marie  Nöldechen,  ältesten  Tochter  des  Schifirahrtsdirector 
Nöldechen  zu  Berlin.  Sein  günstiger  Stern  leuchtete  ihm 
weiter;  denn  .in  demselben  Jahre  ward  er  (unter  dem  14.  Juli) 
an  die  Stelle  des  zum  definitiven.  Nachfolger  seines  Vaters 
ernannten  Professors  Busch  zu  Marburg  als  ordentlicher 
Professor  der  Geburtshülfe,  Director  der  Entbindungsanstalt 
und  Hebammenlehrer  berufen.  So  schied  er  am  4.  September 
von  Berlin  und  traf  am  24.  in  seinem  neuen  Wirkungskreise  ein. 

War  auch  dieser  in  jeglicher  Hinsicht  weniger  umfang- 
reich als  der  frühere,  so  gefiel  sich  &  in  Marburg  doch 
vortrefflich,  und  er  hat  immer  des  Aufenthalts  daselbst  mit 
dem  grossten  Vergnügen  und  in  dankbarer  Erinnerung  gedacht 
Das  Gefühl  der  gesicherten  Selbstständigkeit,  die  herrliehe 
Umgebung,  der  Fleiss  der  Studirenden,  die  Eintracht  unter 
den  Collegeu  und  das  gesellige  Leben  sprachen  ihn  ausser* 
ordentlich  an.  Seine  Berufsgeschäfte  nahmen  ihn  sehr  in 
Anspruch  —  da  er  auch  die  Vorlesungen  über  gerichtliche 
Medicin  halten  nmsste;  trotz  dessen  fehlte  es  nicht  au  häus- 
lichem Fleisse,  und  gerade  die  in  der  kleinen  Stadt  gebotene 
Müsse  trieb  ihn,  die  geburtshilflichen  Lehren  Anderer  am 
Kreisbette  zu  prüfen,  und  so  erst  recht  selbstständig  zu 
werden.  Von  grossem  Einflüsse  auf  die  geburUhülfliche 
Richtung  &'s  war  die  Bekanntschaft  mit  Nägele,  welche  er 
im  Sommer  1830  in  Heidelberg  machte,  und  dessen  Arbeiten 
über  den  Mechanismus  der  Geburt  und  das  Becken ;  er  ver- 
weilte bis  an  sein  Ende  immer  mit  dem  grossten  Vergnügen 
beim  Andenken  jenes  grossen  Geburtshelfers,  und  seine  Ver- 
ehrung für  letzteren  war  immer  gleich  gross.  —  Durch  einen 
längeren  Aufenthalt  in  Paris  im  Herbste  1831  suchte  er  sich 


328      XW-    ^ttard  Caspar  Jacob  von  Siebold.  Nekrolog. 

mit  der  ausländischen  Geburtsbülfe  etwas  naher  bekannt  zu 
machen.  Die  Vorliebe  für  die  literär-  historische  Seite  seiner 
Wissenschaft  (auch  die  altclassiscben  Studien  vernachlässigte 
er  nicht,  sondern  beschäftigte  sich  immer  mit  dem  Lesen 
eines  alten  Autors  und  besuchte  philologische  Gollegien)  ent- 
wickelte sich  bei  vorhandener  Neigung  besonders  durch  das 
Studium  älterer  geburtshülf lieber  Schriften,  und  die  erste 
Frucht  dieser  Arbeiten  war  die  Herausgabe  von  Solayres 
de  Benhac's  Schrift  (A.  6.);  für  sein  Journal  (B.  a.)  war 
er  sehr  thätig.  —  Jm  Jahre  1832  ward  S.  zum  Prorector 
erwählt,  ein  Amt,  das  ihn  nicht  sehr  freute,  da  es  ihm  viel 
zu  thun  machte  und  ihm  Unangenehmes  in  Folge  der  da- 
maligen Verfassungswirren  in  Kurhessen  (an  denen  wir  jetzt 
noch  leiden)  zu  bereiten  drohte.  Seine  Thätigkeit  in  Marburg 
sollte  indessen  nicht  mehr  lange  in  Anspruch  genommen 
werden;  denn  im  Jahre  1832  ward  er  an  Mende's  Stelle  als 
ordentlicher  Professor  der  Medicin  und  Geburtsbülfe,  Director 
der  Entbindungsanstalt  und  Hebammenlehrer  nach  Göttingen 
berufen,  und  dadurch  der  sehnlichst  gehegte  Wunsch  —  einst 
in  Göttingen,  weiches  S.  schon  als  Student  so  lieb  geworden, 
und  das  er  als  das  Ideal  einer  Universität  („Geburtsh.  Briefe", 
p.  35)  ansah,  lehren  zu  können  —  erfüllt.  Am  5.  April  1833 
verliess  S.  Marburg,  wo  er  3%  Jabre,  und  wie  er  selbst  oft 
sagte  („Geburtsh,  Briefe,44  p.  68)  die  vergnügtesten  und  glück- 
lichsten seines  Lebens  zugebracht  hatte  und  traf  am  12.  April 
an  dem  Orte  seiner  Bestimmung  ein,  um  dort  bis  zu  seinem 
Ende  zu  wirken. 

S.  war  noch  relativ  jung,  erst  32  Jahre  alt,  als  er 
an  einer  der  ausgezeichnetsten  Universitäten  auftrat.  Seine 
Liebenswürdigkeit,  sein  Geist,  sein  feiner  Tact,  seine  Menschen- 
kenntniss  und  besonders  sein  Fleiss  erwarben  ihm  aber  bald 
nicht  blos  die  grösste  Hochachtung  von  Seite  seiner  GoUegen, 
sondern  vor  Allem  auch  die  Liebe  der  Studirenden.  Und 
diese  hat  er  sich,  wenn  mit  der  Abnahme  jener  Eigenschaften 
bei  zunehmendem  Alter  und  unter  weniger  günstigen  äusseren 
Verhältnissen  auch  die  Theilnahme  später  etwas  nachliess, 
doch  bis  an  sein  Ende  zu  erhalten  gewusst;  Ehren  und  Aus- 
zeichnungen sind  ihm  von  den  verschiedensten  Seiten  reichlich 
dabei  zugeflossen.  —  Seine  akademische  Thätigkeit  war  eine 


XVI.    Eduard  Caspar-  Jacob  von  Siebold.  Nekrolog.      329 

• 

bedeutende,  zumal  er  auch  in  Göttingen  gerichtliche  Medicin 
vorzutragen  hatte.  Indess  durch  die  wenigen  Zerstreuungen, 
welche  eine  kleine  Stadt  bietet,  wenig  .von  seiner  Haupt- 
thätigkeit  abgezogen;  getrieben  von  dem  in  ihm  wohnenden 
Drange  nach  fortwährend  weiterer  eigener  Belehrung  und 
Forschung;  unterstützt  darin  durch  den  in  Göttingen  historisch 
gewordenen  Fleiss  und  begünstigt  durch  den  Umstand,  dass 
8.  seine  Thätigkeit  im  eigenen  Hause  bei  einem  sehr  kleinen 
Material  zu  entfalten  hatte  —  entwickelte  er  in  Göttingen  eine 
ausserordentliche  literarische  Thätigkeit,  wie  sie  wohl  Keiner 
seiner  Collegen  und  kein  Fachgenosse  aufzuweisen  hatte.  Dass 
es  besonders  die  historische  Seite  der  Geburtsbülfe  war,  welche 
er  cultivirte,  lag  in  der  in  ihm  wohnenden  Neigung  dazu,  in 
seiner  classischen  philologischen  Bildung,  und  in  den  herr- 
lichen Hülfsmitteln,  welche  ihm  die  Universitätsbibliothek  bot. 
Die  Frucht  hiervon  war  zunächst  und  hauptsächlich  die  Heraus- 
gabe der  berühmten  Geschichte  der  Geburtsbülfe  —  deren 
erster  Band  1839,  deren  zweiter  1845  (A.  9.)  erschien  — , 
und  die  ewig  ein  Denkmal  seines  gründlichen  Wissens,  seiner 
Einsicht,  seines  Verständnisses  der  Cultur  aller  Zeiten  und  ein 
Denkmal  deutscher  Gründlichkeit  und  Unparteilichkeit  bleiben 
wird;  eine  weitere  Folge  jener  Neigung  war  auch  die  grosse 
Anzahl  von  Recensionen  und  Anzeigen,  welche  (237  an  Zahl) 
hauptsächlich  theils  in  den  von  ihm  mitredigirten  Zeitschriften, 
theils  in  den  Göttinger  Gelehrten  Anzeigen  erschienen.  Da- 
neben vernachlässigte  S.  aber  auch  nicht  die  eigene  Detail- 
forschung, die  sich  indess  immer  nur  auf  die  praktische  Seite 
seines  Faches  richtete;  die  vielen  von  ihm  in  dem  geburts- 
bülflicben  Journale  und  an  anderen  Orten  veröffentlichten 
kleinen  Abhandlungen  bezeugen  dies.  Ausserdem  schrieb  er 
1841  ein  Lehrbuch  der  GeburtshüHe,  welches  1854  in  zweiter 
Auflage  (A.  10.)  erschien,  ein  für  Anfänger  sehr  gutes  Buch; 
ein  Lehrbuch  der  gerichtlichen  Medicin  (A.  11.)  —  allerdings 
nur  eine  Compilation;  ein  Hebammenlelirbuch  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Geh.  Obermedicinalrath  Kaufmann  zu  Hannover 
(A.  13.);  er  veröffentlichte  mit  der  grössten  Regelmässigkeit 
die  Berichte  über  die  in.  der  ihm  untergebenen  Anstalt 
vorfallenden  Ereignisse  ((?.).  Durch  anhaltende,  nie  auf- 
gegebene Beschäftigung  mit  den  alten  Classikern,  durch  eigenes 


330      XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Biobold.   Nekrolog. 

Studium  derselben,  durch  den  Besuch  philologischer  Vorlesungen 
und  durch  spätere  Einrichtung  eines  philologischen  Kränzchens 
wusste  er  der  in  ihm  liegenden  Neigung  immer  frische  Nahrung 
zu  geben,  wie  er  denn  auch  literarisch  durch  die  Herausgabe 
und  Uebersetzung  der  6.  Satire  des  Juvenal  (A.  12.)  und 
später  durch  die  Gesammtausgabe  dieses  seines  Lieblings- 
dichters (A.  14),  auftrat  und  selbst  als  Lehrer  in  einer 
philologischen  Vorlesung  („Geburten.  Briefe"  p.  72,  90)  sich 
producirte. 

Diese  Beschäftigung  gab  ihm  fortwährend  Zerstreuung 
von  den  Geschäften  und  Studien  in  seinem  Specialfache  und 
erhielt  seinen  Geist  bis  an  sein  Ende  frisch  und  munter. 
Sie  konnte  ihn  —  in  Verbindung  mit  selbst  bereiteten 
musikalischen  Genössen,  mit  einem  sehr  geselligen  Leben,  in 
dem  er  meist  die  Hauptrolle  spielte  und  einer  höchst  ge- 
selligen und  gastfreundlichen  Häuslichkeit,  worin  ihn  die  vor* 
treffliche  Gattin  und  die  liebenswürdigen  Töchter  (seine  beiden 
Söhne  waren  ihm  in  den  frühesten  Kinderjahren  gestorben) 
kräftig  unterstutzten  —  für  die  vielen  sonstigen  Entbehrungen, 
welche  das  Leben  in  einer  kleinen  Universitätsstadt  mit  sich 
bringt,  genügend  entschädigen.  Und  diese  friedliche  und  ihm 
so  lieb  gewordene  Beschäftigung  mit  der  Wissenschaft'  und 
der  Kunst  war  zum  Theil  auch  die  Ursache,  dass  S.  den 
ihm  im  Jahre  1845  nach  d'Outreponfs  Tode  gewordenen 
Antrag,  dessen  Lehrstuhl  in  Würzburg  einzunehmen,  ablehnte, 
so  sehr  ihn  auch  die  Liebe  zur  Vaterstadt  und  zum  süd- 
deutschen Leben  damals  sowohl  wie  auch  später  immer,  anzog. 

Die  Reisen,  welche  S.  regelmässig  in  den  Ferien  und 
besonders  im  Herbste  unternahm,  gaben  ihm  weitere  Zer- 
streuung von  der  Arbeit  und  immer  wieder  frische  Anregung 
zu  neuer  Thätigkeit.  Diese  Reisen  wurden  aber  nicht  allein 
zum  Vergnügen,  sondern  auch  zur  Belehrung  unternommen, 
und  die  grossen  Ferien  der  Jahre  1847,  1851  und  1852 
sahen  ihn  in  Wien  an  «der  dortigen  grossen  Anstalt  in  voller 
geburtshilflicher  Beschäftigung,  um  an  der  Grossartigkeit  des 
dortigen  Materials  die  alten  Lehren  von  Neuem '  zu  prüfen ; 
ß.  entwickelte  hier  einen  Eifer,  wie  sehr  wenige  der  immer 
so  zahlreich  in  Wien  versammelten  jungen  Aerzte^  ich  habe 
mich   von   dioser   Lust   und    Freude   an   seinem   Fache,    von 


XVI.   Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.    Nekrolog.      331 

r 

seinem  Wissensdrang«  beim  gemeinsamen  Aufenthalte  in  Wien 
im  Jahre  1852,  wo  ich  von  dem  Lehrer  dort  eingeführt 
wurde ,  mit  Bewunderung  oft  überzeugen  können. 

Aber  nicht  immer  wurden  die  Reisen  zur  Zerstreuung 
und  zur  Belehrung  unternommen;  es  waren  oll  Badereisen, 
welche  durch  Gichtanfalle  und  arthritische  Ablagerung  in  den 
Gelenken  der  unteren,  später  selbst  in  denen  der  oberen 
Extremitäten  nothwendig  wurden.  Diese  Gichtanfälle  kamen 
schon  in  den  ersten  Jahren  seines  Göttinger  Aufenthalts  über  & 
und  steigerten  sich  albnäiig  immer  mehr.  Es  verging  in  den 
letzten  10  Jahren  seines  Lebens  fast  kein  Jahr,  in  dem  er 
nicht  seinen  mehrwöchentlichen  Anfall  hatte;  ja  dieser  über- 
raschte ihn  bisweilen  auf  seinen  Ferienreisen.  Das  immer 
starker  werdende  Podagra,  verbunden  mit  einem  immer  zu- 
nehmenden Embonpoint  machte  &  allmälig  alle  körperlichen 
Bewegungen  sehr  beschwerlich.  Trotz  dessen  gab  er  in 
keiner  Hinsicht  der  immer  starker  werdenden  Gebrechlichkeit . 
nach,  ja  er  suchte  durch  passende  Leibesübungen  (in  den 
letzten  Jahren  seines  Lebens  hatten  wir  mit  mehreren  Collegeu 
'sogar  einen  Kegelclub  auf  &'s  Veranlassung  errichtet)  das 
Uebel  nach  Kräften  zu  verringern.  Ernstlicher  zeigte  sich 
aber  seine  Gesundheit  afticirt,  als  er  im  Herbst  1860  von 
Carlsbad,  wohin  ihn  sein  Arzt  und  Freund  Hasse  geschickt, 
mit  einem  dort  aufgetretenen  und  noch  nicht  völlig  abgelaufeneu 
Gichtanfall  nach  Göttingen  zurückgekehrt.  Zwar  erholte  er 
sich  bald  wieder;  dafür  wurde  er  aber  bei  der  Rückkehr 
von  einem  Ausflug  nach  Hannover,  den  wir  Weihnachten  1860 
bei  grosser  Kälte  gemeinsam  machten,  von  einer  Pericarditis 
mit  reichlichem  Exsudat  befallen;  dazu  gesellten  sich  die 
Zeichen  von  Fettentartung  des  Herzens  und  der  gleichen 
Degeneration  der  grossen  Ge fasse.  Hedige  asthmatische  An- 
falle, die  Folge  dieses  Zustandes  und  der  dadurch  bedingten 
Stase  in  den  Lungen,  quälten  ihn  ausserordentlich.  Langsam 
erholte  sich  der  Kranke  soweit  wieder,  dass  er  seinen  Berufs- 
geschäften nachgehen  und  sogar  mich,  als  ich  Ostern  1861 
Göttingen  verüess,  noch  auf  einige  Tage  nach  Braunschweig 
zu  meinen  Angehörigen  begleiten  konnte.  Es  war  seine 
letzte  Reise!  Zurückgekehrt  nach  Göttingen  stellten  sich  die 
asthmatischen    Anfälle    von    Neuem    ein,    das    pericarditische 


332      XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.   Nekrolog. 

Exsudat  nahm  zu.  Trotz  der  grossen  Beschwerden  aber 
hielt  S.  im  Sommersemester  1861  noch  seine  Vorlesungen 
und  leitete  seine  Klinik;  sein  frischer -reger  Geist  blieb  trotz 
des  körperlichen  schweren  Leidens  derselbe,  er  konnte  den 
Gedanken,  ernstlich  und  schwer  krank  zu  sein,  nicht  fassen. 
Die  Briefe,  die  der  Verfasser  dieser  Zeilen  aus  dieser  Zeit 
von  ihm  empfangen,  sind  der  beste  Beweis,  wie  geistig  frisch 
S.  geblieben,  und  es  ist  erstaunenswerth,  wie  fleissig  er  in 
'dieser  Zeit  des  Leidens  gearbeitet,  die  classischen  Studien 
fortgesetzt  und  den  Fortschritten  seines  Faches  gefolgt  ist 
Hasse  wollte  den  Kranken  gegen  Schluss  des  Semesters 
nach  Carlsbad  senden;  dieser  war  wegen  der  asthmatischen 
Beschwerden  aber  nicht  im  Stande,  die  Beise  anzutreten. 
Statt  dessen  nahm  er  gegen  Ende  des  Semesters  einen  Garten- 
aufenthalt dicht  bei  der  Stadt,  um  in  geistiger  und  körper- 
licher Ruhe  nur  seiner  Gesundheit  leben  zu  können.  „Seit 
15  Jahren  das  erste  Mal,  dass  ich  hier  bleibe,"  klagt  er  in 
einem  Briefe,  und  wer  seine  Reiselust  kannte,  weiss,  wie 
schwer  es  ihm  geworden  sein  muss,  die  grossen  Ferien  da- 
heim zuzubringen.  Während  des  Gartenaufenthalts  sind  auch 
die  „ Geburtshülf liehen  Briefe44  (A.  15.)  entstanden;  der  Plan 
zu  denselben  war  allerdings  längst  fertig  und  die  Ausfuhrung 
verabredet.  Die  Selbstbiographie  legte  er  in  denselben  wahr- 
scheinlich in  der  Ahnung  baldigen  Endes  nieder.  Dieses 
Gefühl  trieb  ihn  auch  bei  der  Abfassung  der  „Briefe44  zu 
rastloser  Eile  an;  „ich  habe  furchtbar  gearbeitet;  täglich  gewiss 
an  8  Stunden,  es  sind  22  Briefe  geworden,44  schrieb  er  mir 
unter  dem  26.  September  (leider  war  dies  sein  letztes 
Schreiben!).  Man  merkt  es  den  „Briefen44  an,  dass  sie  auf 
dem  Krankenlager  geschrieben  sind,  es  wäre  sonst  wohl 
Manches  in  denselben  besser  geworden;  denn  S.  war  in  der 
Unterhaltung  über  viele  in  den  „Briefen44  berührte  Dinge  viel 
sprudelnder,  anregender  und  erschöpfender,  als  er  es  in 
letzteren  ist. 

Indess  hatte  sich  &,  obgleich  ihn  die  Anlalle  von  ge- 
waltiger Dyspnoe  täglich  quälten ,  doch  so  weit  in  den  Ferien 
erholt,  dass  er  seine  Vorlesungen  für  das  Wintersemester 
1861/62  halten  zu  können  glaubte  und  auch  Alles  für  den 
Beginn  derselben  anordnete.    Aber  als  er  anzufangen  gedachte, 


XVI.    Eduard  Jacob  Caspar  ton  Siebold.    Nekrolog.      333 

ward  er  von  den  unzweideutigen  Zeichen  einer  Pneumonie 
befallen,  welche  seinem  Leben  rasch  ein  Ende  machte,  bevor 
die  langsamen  Qualen  des  Hydrops  und  der  endlichen  Er- 
stickung, wie  sein  Freund  Hasse  schreibt,  es  haben  thun 
können.  Ohne  Ahnung  von  seinem  Tode,  nachdem  er  noch 
16  Stunden  vor  dem  Ende  eine  Correctur  der  „Geburts- 
hülf liehen  Briefe "  gelesen,  verschied  S.  sanft  am  Sonntage, 
den  27.  October  1861,  Morgens  5%  Uhr.  Pneumonie,  ein 
.in  allen  Dimensionen  sehr  grosses  Herz  mit  Residuen  von 
Peri-  und  Endecarditis ,  namentlich  eine  geringe  Insufficienz 
der  Mitralis,  Atherom  des  Arteriensystems,  besonders  enorme 
Degeneration  der  Aorta  (Verkalkung,  Erweichung  und  De- 
generation ihrer  innersten  Schichte)  —  das  war  das  traurige 
Ergebniss  der  Autopsie!  Der  Leichnam  wurde  am  Mittwoch 
den  30.  October  in  aller  Stille,  nur  geleitet  von  den  Collegen 
und  Freunden,  auf  dem  katholischen  Kirchhofe  zu  Göttingen 
zu  Grabe  gebracht;  ein  glänzendes  Begräbniss,  das  Geleite 
der  Studenten ,  hatte  sich  der  Verstorbene  verbeten ! 

So  ist  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  das  Leben,  Wirken, 
Leiden  und  Sterben  eines  in  vieler  Hinsicht  ausserordentlichen 
und  ausgezeichneten  Mannes  vorgeführt,  ein  Leben,  welches  uns 
nicht  blos,  weil  er  ein  Mann  der  Wissenschaft  war,  sondern 
auch  vom  menschlichen  Standpunkte  aus  in  so  vieler  Hinsicht 
von  tiefem  Interesse  ist.  Zwei  Seelen  gleichsam  waren  in 
seiner  Brust  vereint,  und  oft  fehlte  die  höhere  Macht,  den 
Streit  zwischen  ihnen  zu  schlichten  und  sie  miteinander  zu 
versöhnen.  Siebold  war  ein  Mensch  mit  grossen  Tugenden, 
aber  auch  mit  vielen  Schwächen  —  wo  viel  Licht,  da  ist  ja 
auch  viel  Schatten!  Was  ihm  der  Freund  in  dem  Nachworte  zu 
den  „Geburtsh ölf liehen  Briefen"  nachruft:  „ein  wärmeres  Herz, 
ein  reicheres  Gemüth,  eine  lebendigere  Empfindung  für  alles 
Grosse  und  Schöne  ward  nicht  leicht  in  Menschenbrust  gelegt, 
menschliche  Schwäche  und  Leidenschaft  wucherte  nicht  leicht 
in  einem  göttlicheren  Boden!"  —  ich  wiederhole  es  hier  als 
auch  meine  innerste  Ueberzeugung.  Ja,  die  innerste  Grund- 
lage seines  Wesens  war  ein  tiefes,  inniges,  reiches  Gemüth; 
einen  Gefühlsmenschen  muss  man  den  Verstorbenen  nennen. 
Auf  diesem  Grunde   beruhte   sein  Feinsinn,   der  ihm   eigene 


334      XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siehold.    Nekrolog. 

Tact,  sein  Humor,  sein  Sinn  für  Schönheit  und  Kunst;  sein 
feines  Wahrnehmungsvermögen  war  ihm  dabei  ein  Organ  für 
die  Form  der  Schönheit.  Auf  dem  Gefühlsgrunde  beruhten 
aber  auch  die  mancherlei  Extravaganzen! 

Vor  Allem  ist  von  Siebold  wegen  der  Fülle  seiner 
Ideen  und  seiner  Vielseitigkeit  zu  bewundern.  Alles  Wissens- 
würdige interessirte  ihn  lebhaft,  vor  Allem  aber  Arznei- 
wissenschaft  und  Geburtshülfe.  Fiel  die  Unterhaltung  auf 
sein  Lieblingsfach,  dann  war  er  unerschöpflich.  Allerdings 
gehörte  er  in  der  Geburtshülfe  nicht  der  neuesten  Richtung 
an;  aber  seine  Bildung  und  Entwicklung  fiel  auch  in  eine 
Zeit,  in  welcher  die  Geburtshülfe  noch  fast  getrennt  von  der 
übrigen  Medicin  bearbeitet  wurde.  Deshalb  war  ihm  die 
Gynäkologie  im  engeren  Sinne  des  Wortes,  die  neuere  Anatomie 
und  Physiologie  ziemlich  fremd.  Aber  8.  suchte  sich  fort- 
zubilden, er  suchte  zu  assimiliren,  was  Neues  auftauchte, 
was  der  rapide  Fortschritt  der  Wissenschaft  brachte.  Offen 
gestand  er  dabei  in  traulichem  Gespräche  oft  ein ,  wie  schwierig 
ihm  dies  sei;  niemals  coquettirte  er  mit  oberflächlichen  und 
leichthin  erborgten  Kenntnissen,  welche  ihm  nicht  in  suecum 
et  sanguinem  übergegangen  waren.  Seine  Lieblingsbeschäftigung 
war  die  mit  der  literär- historischen  Seite  des  Faches;  aber 
er  beobachtete  auch  mit  grosser  Aufmerksamkeit,  Genauigkeit 
und  Ausdauer,  und  er  hielt  sich  überzeugt,  dass  nur  von 
der  Beobachtung  und  Erfahrung  dauernder  Gewinn  für  unser 
Fach  zu  erwarten  sei.  Was  er  in  beiden  bezeichneten  Richtungen 
geleistet,  ist  oben  schon  angedeutet  und  wird  aus  folgender 
Zusammenstellung  seiner  Arbeiten  —  in  ihrer  Fülle  ein 
grossartiges  Zeichen  seines  Fleisses  —  ersichtlich. 

A.     Selbstständige  Schriften. 

1.  Comnientatio  exhib.  disquis.  „an  ars  obstetritia  sit  pars 
chirurgiae".    Gotting.  1824.    4. 

2.  Dissertalio  de  scirrho  et  carcinomate  uteri,  adjeetis  tribus 
totius  uteri  exstirpationis  observationibus.    Berol.  1826.    4. 

3.  Anleitung  zum  geburtshülflich- technischen  Verfahren  am 
Phantom.    Berlin  1828.    8. 


"  XVI.    Eduard  Carpar  Jacob  von  Siebold.   Nekrolog.      385 

4.  Die  Einrichtung  der  Entbindungsanstalt  an  der  iL  Uni- 
versität zu  Berlin,  nebst  einem  Rückblick  der  Leistungen 
derselben  seit  dem  Jahre  1817.    Berlin  1829.    8. 

5.  Maygrier,  J.  P.  Nouvelles  deroonslrations  d'accouche- 
ments.  Paris  1822.  Deutsch  und  mit  Anmerkungen  ver- 
sehen von  E.-C.  J.  v.  Siebold.  Berlin  1829.  8.  —  Zweite 
Auflage  ebendas.  1835.     gr.  8. 

6.  Solayres  .de  Renhac  Commentatio  de  partu  viribus 
maternis  absoluto.  Dermo  edidit  nee  non  praefationc  et 
annotationibus  instruxit  Ed.  C.  J.  v.  Siebold.  Berol.  1831. 
gr.  8. 

7.  Progamma  „nexum  jurisprudentiam  inier  et  medicinam 
exhibens".     Marburg  1831.     4. 

8.  De  circumvolutione  funiculi  umbilicalis  adjeetis  dQobus 
casibus  rarioribus.     Gotting.  1834.     4. 

9.  Versuch  einer  Geschichte  der  Geburtshülfe.  I.  Band. 
Berlin  1839.  —  IL  Band.   Berlin  1845.    8. 

10.  Lehrbuch  der  Geburtshülfe.  Berlin  1841.  8.  —  Zweite 
Auflage  mit  Holzschnitten.     Braunschweig  1854. 

11.  Lehrbuch  der  gerichtlichen  Medicin.     Berlin  1847. 

12.  Juvenalis'a  sechste  Satire.  Mit  Einleitung  und  lieber- 
setzung.    Braunschweig  1854.    8. 

13.  Lehrbuch  der  Hebammenkunst,  zunächst  zum  Unterricht 
für  die  Hebammen  des  Königreichs  Hannover.  In  Gemein- 
schaft mit  dem  Geh.  Obermedicinalrath  Dr.  Kaufmann 
verfasst.     Hannover  1856.     8. 

14.  JuvencUifs  Satiren.  Lateinischer  Text  mit  metrischer 
Uebersetzung  und  Erläuterungen.    Leipzig  1858.    8. 

15.  Geburtshulfliche  Briefe.     Braunschweig  1862. 

J5.     Einzelne  Abhandlungen. 

a)  In  v.  Siebold's  Journal  für  Geburtshülfe  etcT 

1.  Vorläufige  Anzeige,  die  Totalexstirpation  der  krebshaften 
Gebärmutter  betreffend.     Bd.  IX. 

2.  Lieber  Fissuren  am  Kopfe  Neugeborener  bei  natürlicher 
Geburt.    Bd.  XL 

3.  Pierre  Franco.  Ein  Beitrag  zur  pragmatischen  Ge- 
schichte der  Geburtshülfe.    Bd.  XU. 


336      XVI.    Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.    Nekrolog. 

4.  Ueber  den  praktischen  Unterricht  in  einer  Gebäranstalt 
Bd.  XIV. 

5.  Gerichtliches  Gutachten,  eine  Schwangere  betreffend, 
welche  vor  dem  gesetzmässigen  Ablauf  ihrer  Schwangerschaft 
in  Folge  eines  bedeutenden  Blutverlustes  starb.    Bd.  XIV. 

6.  Gutachten  über  einen  nach  geschehener  Missbandlung 
und  dabei  erfolgtem  Bruche  des  Kehlkopfs  entstandenen 
Zwillingsabortus,  welcher  mit  dem  Tode  der  Mutter  endete. 
Bd.  XV. 

7.  Zur  Lehre  von  den  Schwangerschaften  ausserhalb  der 
Gebärmutter/   Bd.  XVII. 

b)  In  der  „Neuen  Zeitschrift  für  Geburtskunde". 

8.  Fall  einer  künstlich  eingeleiteten  Frühgeburt,  nebst  Be- 
merkungen.    Bd.  XI. 

9.  Zur  Lehre  von  der  Verschliessung  der  Scheide.    Bd.  XI. 

10.  Zur  Lehre  von  den  Zeichen  einer  kürzlich  erfolgten  Ge- 
burt.    Bd.  XIII. 

11.  Verheimlichte  Geburt  und  Kindsmord.  Ein  Gutachten. 
Bd.  XVI. 

12.  Uebersicht  der  Leistungen  der  Gebäranstalt  zu  Wien  im 
Jahre  1843.     Mit  Bemerkungen.     Bd.  XVII. 

13.  Geschichte  eines  Kaiserschnitts  bei  Osteomalacie  mit 
unglücklichem  Ausgange  für  Mutter  und  Kind.    Bd.  XVIII. 

14.  Verheimlichte  Geburt  mit  bedeutenden  Kopfverletzungen 
des  Kindes.     Bd.  XVIII. 

15.  Zweites  Gutachten  über  eine  verheimlichte  Geburt  mit 
bedeutenden  Kopfverletzungen  des  Kindes.     Bd.  XIX. 

16.  Ein  Fall  von  Ruptur  der  Gebärmutter  bei  versuchter 
Wendung.     Bd.  XXI. 

17.  Vorläufige  Nachricht  über  die  Anwendung  der  Einathmung 
des  Schwefeläthers  in  der  geburtshülflichen  Praxis.  Mit 
eigenen  und  fremden  Erfahrungen.    Bd.  XXII. 

18.  Weitere  Mittheilungen  über  die  Anwendung  des  Schwefel- 
äthers in  der  geburtshülflichen  Praxis.     Bd.  XXIV. 

19.  Bemerkungen  und  Beobachtungen  aus  dem  Gebiete  der 
Geburtshülfe.  Bd.  XXVI.  (Besonders  über  den  Mechanismus 
der  Steisslagen.) 

20.  Zur  Lehre  von  den  Gesichtsgeburten.     Bd.  XXVI. 


-  XVI.   Eduard  Oa»par  Jacob  von  SMold.  Nekrolog.      387 

21.  Eine  Stimme  über  die  Anwendung  des  Chloroforms  in 
der  Geburtshülfe  aus  England.    Bd.  XXVIII. 

c)  In  der  „Monatsschrift  für  Geburtskunde  und  Frauen- 
krankheiten". 

22.  Geburtshinderniss  durch  ausserordentliche  Vergrösserung 
der  Nieren  des  Fötus.     Bd.  IV. 

23.  Zur  gerichtlichen  Geburtshülfe.   Ein  Obergutachten.   Bd.  VI. 

24.  Vorfall  der  Nachgeburt.    Bd.  VI. 

25.  Eine  kleine  historische  Bemerkung  zu  Simpson9»  Air- 
tractor.    Bd.  VI. 

26.  Zur  Lehre  von  den  Gesichtsgeburten.     Bd.  XIII. 

27.  Zur  Verklebung  des  Muttermundes  als  Geburtshinderniss. 
Bd.  XIV. 

28.  Beiträge  zur  Zwillingsgeburt     Bd.  XIV. 

29.  lieber  die  Gewichts-  und  Längenverhältnisse  der  neu- 
geborenen Kinder,  über  die  Verminderung  ihres  Gewichts 
in  den  ersten  Tagen,  und  die  Zunahme  desselben  in  den 
ersten  Wochen  nach  der  Geburt.     Bd.  XV. 

30.  Fahrlässige  Vergiftung  eines  neugeborenen  Kindes  durch 
Morphium.     Bd.  XVI. 

31.  Fall  von  so  gänzlicher  Verbrennung  eines  Neugeborenen, 
dass  nur  wenige  Knochen  übrig  blieben.     Bd.  XVII. 

32.  Betrachtungen  über  das  Kindbettfieber.    Nach  Lehmann9» 
_  „Rapports  de  la  commissi on  d*obstetrique,   communiquäs 

au  cercle  medical  d' Amsterdam ".     Bd.  XVII.  u.  XVIIL 

33.  Zum  Saugapparat  der  Neugeborenen.  Mittheilung.  Bd.  XVIIL 

d)  Ausserdem  Aufsätze  in  Hecker' %  Annalen,  Pierer9» 
Annalen,  Jahn9»  medic.  Con versa tionsblatte,  in  der  Salzburger 
medic.  Zeitung,  in  Schmidt9»  Jahrbüchern,  in  der  preussischen 
medic.  Vereinszeitung,  im  encyclopäd.  Wörterbuch  der  media 
Wissenschaften  (herausgegeben  von  der  Berliner  medic. 
Facultät),  in  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft  der  Aerzte  zu 
Wien,  in  den  Schriften  der  König!.  Societat  der  Wissenschaften 
zu  Göttingen,  in  Hermann  Wagener9»  neuem  Staatslexicon, 
in  Henke9»  Zeitschrift  der  gerichtlichen  Medicin  (da  mir  diese 
Aufsätze .  nicht  alle  zugängig  sind,  so  gebe  ich  nur  die  Zeit- 
schriften an,  in  denen  sie  zu  finden). 

MonaUtchr.  f.  Geburtak.  186».  Bd.  XIX.,  Hft.  6.  22 


388      XVI.   Eduard  Caspar  Jacob  von  Siebold.  Nekrolog. 

C.    Bericht  über  die  Leistungen  der  von  v,  Siebold 
dirigirten  Entbindungsanstalten. 

1.  Zehnter  Bericht  über  die  Gebäranstalt  der  K.  Universität 
zu  Berlin  vom  Jahre  1827.  Journal  für  Geburtshülfe,  Bd. IX. 

2.  Eilfter  Bericht  etc.  vom  Jahre  1828,  ibid.  Bd.  X. 

3.  Zwölfter  Bericht  etc.  vom  Jahre  1829,  ibid.  Bd.  X. 

4.  Erster  Bericht  über  die  academische  Entbindungsanstalt 
zu  Marburg  1829—30,  ibid.  Bd.  XL 

5.  Zweiter  etc.  1830  —  1831,  ibid.  XII. 

6.  Dritter  und  letzter  Bericht  etc.  1831  — 1833,  ibid.  Bd.  XIIL 

7.  Erster  Bericht  über  die  in  der  K.  Entbindungsanstalt  zu 
Göttingen  vorgefallenen  Ereignisse  1833 — 34,  ibid.  Bd.  XV. 

8.  Zweiter  Bericht  etc.  in  den  Jahren  1835  u.  1836. 

9.  Dritter  Bericht  etc.  im  Jahre  1837.    Neue  Zeitschrift  für 
Geburtskunde,  Bd.  VII. 

10.  Vierter  Bericht  etc.  in  den  Jahren  1838 ,  1839  u.  1840, 
ibid.  Bd.  XIII. 

11.  Fünfter  Bericht  etc.  in   den  Jahren  1841,   1842,   1843 
u.  1844,  ibid.  Bd.  XIX. 

12.  Sechster  Bericht  etc.  in  den  Jahren  1845  u.  1846,  ibid. 
Bd.  XXIII. 

13.  Siebenter  Bericht  etc.  in  den  Jahren  1847 ,  1848  u.  1849, 
ibid.  Bd.  XXIX. 

14.  Achter  Bericht  etc.  in  den  Jahren  1850,  1851  u.  1852. 
Monatsschrift  f.  Geb.  etc.,  Bd.  II. 

15.  Neunter  Bericht  etc.  in  den  Jahren  1853,  1854,   i855 
u.  1856,  ibid.  Bd.  X. 

16.  Zehnter  Bericht  etc.  in  den  Jahren  1857,   1858,   1859 
u.  1860,  ibid.  Bd.  XVIII. 

D.  Der  Jahresbericht   über  die  Leistungen  in   der 

Geburtshülfe  für  C anstatt^  Jahresberichte 
über  die  Fortschritte  der  gesainmten  Medicin" 
vom  Jahre  1845  an  bis  incl.  1860. 

E.  Eine  sehr  grosse  Anzahl  (237)  von  Recensionen  und 

Anzeigen  in  den  von  v.  Siebold  mitredigirten  Jour- 
nalen, in  den  Göttinger  gelehrten  Anzeigen  und  einigen 
anderen  Zeitschriften. 


XVII.    Haake,  Uebtr  die  Qewiohtsrer&ndeniiig  etc. 

Siebold?*  Leistungen  fanden  auch  überall  die  gebihrende 
Anerkennung,  nnd  Ehrenbezeugungen  strömten  ihm  von  vielen 
Seiten  zu;  fast  alle  bedeutenden  medicinischen  Vereine  des 
In-  und  Auslandes  zählten  ihn  zu  ihrem  Mitgüede. 

Sein  Andenken  wird  nie  verloren  gehen;  es  wird  bleiben 
in  dem  Herzen  der  Freunde,  in  dem  Herzen  seiner  Schaler, 
denen  er  ein  so  tbeilnehmender  Lehrer  immer  war,  vor  Allem 
in  den  Annalen  der  Wissenschaft.     Denn  in  diesen 
Exegit  monumentum  aere  perennius! 
Möge  dies  Andenken  uns  Allen  immer  theuer  sein! 
Freiburg  i.  Br.,  im  Mai  1862. 

Spiegelberg. 


XVII. 
Ueber  die  Gewichts  Veränderung  der  Neugeborenen. 

Von 

Dr.  H.  Haake, 

Prifatdocent  der  Geburtuhttlfe  In  Leipzig. 

Die  interessanten  Beitrage, .  welche  in  neuester  Zeit 
Kussmaul  durch  Studien  an  Neugeborenen  der  empirischen 
Psychologie  und  zwar  im  Besonderen  der  Entwicklungs- 
geschichte der  menschlichen  Seele  geliefert  bat,  bestimmten 
mich,  dem  neugeborenen  Kinde  meine  besondere  Aufmerk- 
samkeit zuzuwenden,  namentlich  waren  es  die  physiologischen 
und  unter  diesen  wieder  die  vegetativen  Processe,  welche 
einer  genaueren  Beobachtung  werth  schienen,  um  so  mehr, 
als  sich  in  den  Handbüchern  der  Physiologie,  Geburtshülfe 
und  Kinderkrankheiten  nicht  einmal  Andeutungen  von  Er- 
scheinungen finden,  die,  wie  ich  nachweisen  werde,  als 
constante  Glieder  in  der  Kette  physiologischer  Processe  der 
Neugeborenen  betrachtet  werden  müssen. 

Hier  sei  zunächst  der  Gewichtsveränderung  neugeborener 
Kinder  gedacht. 


340  XVII.    ffaake,  Ueber  die  Gewichtsve  rinde  rang 

Die  Literatur  hierüber  ist  äusserst  spärlich  vertreten  und 
das  in  derselben  Gegebene  nur  mit  grosser  Vorsicht  zu  ver- 
werthen.  Chaussier  soll  zuerst  Andeutungen  gegeben  haben, 
dass  die  Kinder  in  den  ersten  Tagen  ihres  extrauterinen 
Lebens  an  Körpergewicht  verlieren;  wenigstens  findet  sich  der 
Name  dieses  Autors  von  Quetelet  (siehe  dessen :  Sur  Thomme 
et  le  developpement  de  ses  facultes  etc.,  livre  2,  pag.  38, 
Paris  1835)  allerdings  mit  der  Parenthese  „si  je  ne  rae 
trorape"  genannt.  Leider  habe  ich  das  Chaussier'sche  Werk 
nicht  erlangen  können  und  muss  deshalb  Quetelet  als  den- 
jenigen bezeichnen,  in  dessen  Schrift  (1.  c.  pag.  38  ff.)  ich 
zuerst  eine  kurze  Tabelle  fiber  die  Gewichtsveränderung  des 
Kindes  nach  der  Geburt  fand.  Quetelet  kommt,  allerdings 
nur  gestützt  auf  die  geringe  Zahl  von  sieben  Beobachtungen, 
zu  dem  Schlüsse:  „que  le  poids  de  l'enfant  diminue  un  peu, 
imraediatement  apres  sa  naissance  et  qu'il  ne  commence  k 
croftre  d'une  maniere  sensible,  qu'apres  la  premiere  semaine. 

EUä88er  (Schmidts  Jahrbdeher,  Bd.  7,  pag.  315)  notirte 
die  Gewichte  von  50  Knaben  und  50  Mädchen  unmittelbar 
nach  der  Geburt,  und  unterwarf  diese  Momente  einer  neuen 
Untersuchung  beim  Austritte  der  Kinder  aus  der  Anstalt, 
welcher  im  Durchschnitt  am  16.  Tage  stattfand;  er  erhielt 
als  Resultat  bald  eine  Ab-  (Knaben),  bald  eine  Zunahme 
(Mädchen)  des  Gewichtes. 

Im  Sommer  1845  wog  Hof  mann  alle  in  der  Gebär- 
nstalt  zu  Würzburg  im  Laufe  der  Monate  Juni,  .Juli  und 
August  geborenen  Kinder  gleich  nach  der  Geburt  und  fortan 
jeden  Tag  bis  zu  ihrem  Austritte  aus  der  Anstalt.  Das 
Resultat  dieser  Wägungen  war,  dass  alle  Kinder  in  den  ersten 
48  Stunden  nach  ihrer  Geburt  an  Gewicht  abnehmen  und 
leichter  werden;  dass  bei  der  Mehrzahl  der  Kinder  (es  wurden 
im  Ganzen  36  gewogen)  die  Gewichtsabnahme  bis  in  den 
dritten  Tag  hinein  fortdauert,  worauf  das  Kind  wieder  zu- 
nimmt, so  dass  es  bis  zum  fünften  bis  sechsten  Tage  nach 
der  Geburt  meistens  jene  Schwere  wieder  erreicht  hat,  die 
es  nach  der  Geburt  halte  (siehe  Neue  Zeitschrift  für  Geburts- 
kunde, Bd.  26,  pag.  145  ff.) 

Eine  weitere  Notiz  über  den  in  Rede  stehenden  Gegenstand 
findet  sich   in  der  Dissertation  von  Bartsch  (Beobachtungen 


der  Neugeborenen.  34J 

über  den  Stoffwechsel  Neugeborner,  Marburg  1859)  pag.  6 
daselbst  beisst  es:  „Ueberhaupt  möchte  ich  hier  gleich  die 
Anflicht  aussprechen,  dass  die  Milch,  so  lange  sie  noch  Colostrum- 
körperchen  mehr  als  Milchkügelchen  fuhrt,  mehr  die  Rolle 
eines  Ausleerungsmittels  des  Meconiums  übernimmt  und  ihr 
weniger  die  Eigenschaften  eines  sehr  guten  Nahrungsmittels 
zukommen.  Was  mich  in  dieser  Ansicht  ebea  bestärkt,  ist  der 
Umstand,  dass  die  Kinder  am  ersten  Tage  ihrer  Geburt  eine 
rückgängige  Metamorphose  ihres  absoluten  Gewichtes  durch- 
machen, wenigstens  war  dies  der  Fall  bei  den  sämmtlichen 
Kindern,  mit  denen  ich  in  hiesiger  geburtshülflicher  Klinik 
meine  Versuche  anstellte,  und  zwar  kann  dieser  Verlust  ihres 
Gewichts  fast  eben  so  gross,  ja  noch  grösser  sein,  als  bei 
einem  Kinde,  was  aft-  ersten  Tage  gar  keine  Milch  ein- 
genommen hat."  —  Die  Zahl  der  vom  Verfasser  untersuchten 
Kinder  belauft  sich  leider  nur  auf  fünf,  nämlich  vier  Kinder 
unter  24  Stunden  alt  und  eiifem  zweitägigen  Kinde.  Als 
mittlerer  Verlust  der  ersten  vier  Fälle  ergab  sich  35  pro  raille. 
Bei  dem  zwei  Tage  alten  Kinde  zeigte  sich  eine  Abnahme 
von  nur  5  pro  mille,  so  dass  Verfasser  hieraus  schliefst,  dass 
der  dritte  Tag  für  ein  normales  Kind  doch  wohl  der  letzte 
des  Abnehmens  sein  möchte,  denn  bei  drei  anderen  zwei- 
tägigen Kindern,  welche  auf  ihre  Gewichtsabnahme  resp. 
Gewichtszunahme  untersucht  wurden,  zeigte  sich  eine  ganz 
entschiedene  Zunahme.  Bemerken  muss  ich  hier,  dass  Bartsch^ 
abgesehen  von  der  für  allgemeine  Schlussfolgerungen  viel  zu 
geringen  Zahl  von  Beobachtungen,  darin  einen  Fehler  beging, 
dass  er  das  Gewicht,  welches  die  Kinder  unmittelbar  nach 
der  Geburt  zeigten,  völlig  unberücksichtigt  liess;  denn  je 
ein  Kind  war  6%  und  7  Stunden,  zwei  Kinder  je  12  Stunden 
alt,  als  Bartsch  seine  Wägungen  vornahm.  Diese  wenigen 
Stunden  .  müssen  wir  jedoch  mit  in  Anschlag  bringen,  da 
während  derselben  recht  wohl  das  ursprüngliche  Gewicht  der 
Kinder  eine  Reduction  erfahren  kann.  Doch  muss  ent- 
schuldigend erwähnt  werden,  dass  der  gen.  Verfasser  sich 
vorzüglich  die  Erforschung  des  Wie?  und  Warum?  die  Kinder 
nach*  der  Geburt  an  Gewicht  verlieren»  zur  Aufgabe  gestellt  hatte. 
Eine  bezüglich  des  untersuchten  Materials  viel  umfang- 
reichere Arbeit  veröffentlichte  vor  circa  l'/s  Jahren  Breslau 


342>        XVTI.    Haake,  Ueber  die  Gewiehtsveräaderuiig 

in  Zürich  (Deber  die  Veränderung  im  Gewichte  der  Neu- 
geborenen: in  der  Denkschrift  der  med. -Chirurg.  Gesellschaft 
des  Kantons  Zürich).  100  Kinder,  von  denen  während  ihres 
Aufenthaltes  in  der  Gebäranstalt  22  'künstlich,  2  gemischt, 
die  übrigen  natürlich  ernährt  wurden,  unterwarf  Breslau  bei 
ihrem  Abgange  aus  der  Anstalt  einer  wiederholten  Wägung, 
wobei  sich  bei  einem  Vergleiche  der  jetzt  gefundenen  Gewichte 
mit  den  unmittelbar  nach  der  Geburt  erhaltenen  zeigte,  dass 
61  Procent  der  Kinder  an  Gewicht  abgenommen  hatten.  Wh* 
werden  später  nqcb  genauer  auf  die  von  Breslau  gewonnenen 
Resultate  Rücksicht  nehmen,  müssen  jedoch  hier  schon  be- 
merken, dass  die  Breslau'sche  Arbeit  dadurch  an  Werth 
verliert  und  die  gefundenen  Resultate  deshalb  auf  allgemeine 
Giltigkeit  keinen  Anspruch  machen  können,  weil  dei*  Verfasser 
zu  wenig  systematisch  bei  seinen  Wägungen  verfuhr  und  in 
dem  guten  Glauben,  die  scheinbare  (?)  Disharmonie  in  der 
Untersuchung  gleiche  sich  bei  einer  grösseren  Reihe  aus,  es 
dem  Zufall  überliess,  an  welchem  Tage  post  partum  die 
zweite  Wägung  vorgenommen  wurde. 

Die  neuesten  Untersuchungen  über  Gewichtsveränderung 
der  Neugeborenen  stellte  E.  v.  Siebold  an  (Monatsschrift  für 
Geburtskunde  etc.,  Bd.  15,  Hfl.  5).  Von  49  einer  täglichen 
Wägung  unterworfenen  Kindern  zeigte  kein  einziges  eine 
offenbare  Zunahme  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Geburt; 
35  Kinder  zeigten  eine  Abnahme,  14  blieben  im  Status  quo, 
bis  sich  nach  6 — 8  Tagen  eine  Zunahme  kund  gab.  Leider 
lässt  sich  aus  dem  gedachten  Aufsatze  nicht  ersehen,  ob  aUe 
in  Rede  stehenden  Kinder  natürlich  ernährt  wurden!  Ferner 
ist  es  zu  tadeln,  dass  auch  kranke  Kinder  oder  Kinder  von 
kranken  Müttern  zu  denselben  Beobachtungen  verwendet 
wurden,  so  dass  die  gefundenen  Resultate  nicht  in  voller 
Ausdehnung  als  physiologische  betrachtet  werden  dürfen. 

Indem  ich  jetzt  zur  Darlegung  der  von  mir  bei  den 
Wägungen  Neugeborener  gefundenen  Resultate  übergehe ,  be- 
merke ich,  dass  ich  bei  meinen  Untersuchungen,  gleich  wie 
Breslau ,  weniger  das  Wie?  und  Warum?  als  vielmehr  das 
„Um  wie  viel?44  ein  neugeborenes  Kind  in  gegebener  Zeit 
sein  Gewicht  ändert,  zu  erforschen  bemüht  war. 


der  Neugeborenen.  343 

Als  Material  hierzu  dienten  100  gesunde  reife  Kinder  in 
der  Leipziger  Gebäranstalt,  nämlich  59  Knaben  und  41  Mädchen, 
erstere  mit  einem  Durchscbnittsgewichte.  von  6  Zollpfund 
15,576  Loth,  letztere  von  6  Zollpfund  11  Loth.  Nachdem  das 
Körpergewicht  der  Kinder  unmittelbar  nach  der  Geburt  fest- 
gestellt war,  wurden  dieselben  völlig  entkleidet  auf  einer 
gewöhnlichen,  doch  genau  regulirten  Decimalwaage  täglich 
des  Morgens  gegen  9  Uhr  gewogen.  Um  die  Zeit  zwischen 
der  Geburt  des  Kindes  und  der  ersten  wiederholten  Wägung 
in  bestimmte  Grenzen  zu  bringen,  wurden  alle  Kinder,  die 
vor  Mitternacht  geboren  wurden,  zu  der  am  darauf  folgenden 
Morgen  stattfindenden  Wägung  zugezogen,  während  die  nach 
Mitternacht  geborenen  ausgeschlossen  blieben;  mit  anderen 
Worten:  die  erste  wiederholte  Wägung  fand  jedes  Mal  an 
dem  dem  Geburtstage  folgenden  Datum  statt,  so  dass  nicht 
weniger  als  9  und  nicht  mehr  als  33  Stunden  seit  der  Geburt 
verlaufen  waren.  Sämmüiche  Kinder  wurden  von  ihren  im 
Wochenbette  vollkommen  gesunden  Müttern  genährt 

Bei  einer  Uebersicht  der  gefundenen  Gewichte  (siehe 
die  Tabelle)  stellte  sich  folgendes  Gesetz  heraus: 

Jedes  Kind  nimmt  in  den  ersten  Tagen  seines 
extrauterinen  Lebens  an  Gewicht  ab. 

Kein  einziges  der  Kinder  zeigte  bei  der  ersten  wieder- 
holten Wägung  eine  Körpergewichtszunahme,  sondern  alle 
waren  leichter  als  unmittelbar  nach  der  Geburt  und  zwar 
betrug  die  geringste  Abnahme 

für  1  Knaben   =       1  Zollloth  in  den  ersten  24  Stunden, 
„    2  Mädchen  =  je  3        „        „     „        „      24 
.die  höchste  Abnahme 

für  1  Knaben  und  1  Mädchen  je  17  Loth 
und  es  ergab  sich  als  Durcbschnittsquantum  des  Verlustes  für 
die  ersten  24  Stunden  nach  der  Geburt 
bei  Knaben   8  Zollloth  =  V24  des  ursprünglichen  Körpergew. 
„  Mädchen  81/*   „      =  yaa    „  „  „ 

Gehen  nun  auch  alle  Kinder  in  den  ersten  Lebenstagen 
eine  reductive  Metamorphose  bezüglich  des  Körpergewichtes 
ein,  so  ist  doch  die  Summe  der  täglichen  Verluste  eine 
individuell  sehr  verschiedene,  wie  aus  folgender  Zusammen- 
stellung erhellt: 


344         XVII.   Hadke,  Ueber  die  Gewichtrrerindenrog 
bis  zu.    6  Loth  nahmen  ab    6  Knaben,    2  Mädchen, 


9 

n 

»» 

„  11 

»» 

9 

12 

>» 

» 

„  20 

w 

12 

lö 

n 

w 

„  10 

*1 

9 

18 

w 

w 

„  6 

w 

5 

21 

Vf 

»» 

„  4 

W 

2 

24 

w 

w 

r,        1 

V 

0 

27 

n 

» 

„    1 

w 

1 

30 

w 

» 

„   o 

w 

1 

59  Knaben,  41  Mädchen. 

Angesichts  dieser  auffallenden  Gewichtsabnahme,  welche 
die  bei  jedem  Neugeborenen  zu  beobachtende  Verminderung 
in  der  Turgescenz,  das  gealterte  Aussehen,  das  Welk  werden  etc. 
zur  Genüge  erklärt,  drängt  sich  uns  die  praktisch  wichtige 
Frage  auf,  ob  wir  im  Stande  sind,  durch  geeignetes  diätetisches 
Verfahren  dieser  Gewichtsreduction  vorzubeugen,  und  ob  die 
von  Laien,  Hebammen  und  Aerzten  vielfach  adoptirte  Sitte 
(die  wahrscheinlich  der  Beobachtung,  dass  Neugeborene  ab- 
nehmen, ihren  Ursprung  verdankt)  dem  neugeborenen  Kinde 
baldmöglichst  etwas  Milch,  Thee,  Zuckerwasser  etc.  ein- 
zuflössen, zu  billigen  und  von  praktischem  Wertbe  ist  Um 
diese  Frage  richtig  beantworten  zu  können,  müssen  wir  einige 
Augenblicke  bei  Betrachtung  der  Ursachen  des  Körpergewichts- 
verlustes verweilen.  Letzterer  kann  bedingt  sein  entweder 
durch  zu  geringe  Nahrungszufuhr  Oberhaupt,  oder  durch  ein 
Missverhältniss  zwischen  der  Verwerthung  des  zugeführten 
Materials -und  der  Ausfuhr  excrementieller  Stoffe,  oder  durch 
beide  Momente  gleichzeitig.  Es  ist  allbekannt,  dass  in  den 
ersten  Tagen  des  Wochenbettes  die  Milchsecretion  nicht  allein 
sehr  spärlich  ist,  sondern  dass  auch  das  Secret  von  der 
später  abgesonderten  Milch  qualitativ  wesentlich  diflerirt,  sich 
namentlich  durch  einen  radieren  Gehalt  an  festen  Stoffen, 
vorzüglich  an  Salzen,  die  eine  abführende  Wirkung  besitzen, 
auszeichnet  Hierzu  kommt  noch  die  in  der  ersten  Zeit 
bestehende  Unfähigkeit  des  Kindes  richtige  und  andauernde 
Saugbewegungen  zu  machen:  alles  Verhältnisse,  welche  die 
Annahme  einer  zu  geringen  Nahrungszufuhr  (Bartsch  be- 
rechnete die  mittlere  Nahrungsmenge  für  die  ersten  24  Stunden 


der  Neugeborenen.  246 

auf  18,1  Grmro.  (=  circa  262  Gran  sächs.  M.-G.)  zur -Er- 
klärung der  Gewichtsabnahme  vollkommen  rechtfertigen.  Das 
Experiment  zeigt  jedoch,  dass  dem  nicht  so  ist;  denn  in 
denjenigen  Fällen,  wo  die  Kinder  künstlich  ernährt  werden 
mussten,  sei  es  durch  geeignete  Mischung  von  Kuhmilch,  sei 
es  durch  abgezogene  Muttermilch,  wo  also  dem  Kinde  in 
passenden  Zeiträumen  ein  hinreichendes  Quantum  Nahrung 
zugeführt  wurde,  ohne  dass  deshalb  das  Kind  genöthigt  war, 
anstrengende  Saugbewegungen  zu  machen;  auch  in  diesen 
Fällen  beobachtete  ich  eine  ganz  ähnliche  Gewichtsabnahme. 
Es  kann  somit  bei  denjenigen  Kindern,  die  von  ihren  Müttern 
gesäugt  werden,  der  Verlust  ihres  Körpergewichtes  «während 
der  ersten  Tage  nicht  ausschliesslich  wenigstens  aus  einer 
zu  geringen  Nahrangszufuhr  erklärt  werden,  weil  sonst  bei 
jenen  Kindern,  die  in  hinreichender  Menge  namentlich  ab- 
gezogene Muttermilch  zugeführt  erhalten, -statt  des  Minus  ein 
Plus  im  Körpergewichte  auftreten  müsste.  Wir  müssen  des- 
halb noch  nach  einer  anderen  Ursache  suchen  und  ich  glaube 
als  solche  nennen  zu  müssen:  die  noch  in  den  ersten 
Lebenstagen  bestehende  mangelhafte  Function  des 
Darmtractus,  also  eine  mangelhafte  Verwerthung  des 
zugeführten  Materials  bei  gleichzeitig  bestehendem  gegen 
früher  erhöhtem  Oxydationsprocesse,  welchem  die  Gewebe  bei 
ihrer  Durchfeuehtung  mit  arteriellem  Blute  unterliegen.  Magen- 
grund und  Blinddarm  sind  bei  den  Neugeborenen  nur  massig 
entwickelt;  die  Absonderung  des  Magensaftes,  welche  ja 
keine  stetige,  sondern  lediglich  durch  Reizung  der  Magen- 
schleimhautoberfläche hervorgerufen  ist,  muss  erst  allmälig 
eingeleitet,  eben  die  peristaltischen  Bewegungen  der  Därme 
(die  während  des  Fötallebens,  wie  aus  der  Abwesenheit  von 
Meconium  im  Fruchtwasser  geschlossen  werden  muss,  gewiss 
sehr  trfcge  sind)  gesteigert  werden:  alles  Umstände,  die 
einestheils  eine  ungenügende  Verdauung  annehmen  lassen, 
anderenteils  aber  uns  bestimmen  müssen,  einem  .Organe 
keine  Leistungen  aufzubürden  >  deren  es  vermöge  seiner  Ent- 
wickelung  noch  nicht  fähig  ist  Ich  muss  mich  daher  ganz 
entschieden  gegen  die  Sitte  oder  richtiger  Unsitte,  dem  ge- 
geborenen Kinde  baldmöglichst  Nahrung  (das  Colostrum  der 
mütterlichen   Brust   natürlich    ausgenommen)    zukommen   zu 


346         XVII.    Haake,  Ueber  die  Gewiobtsveränderung 

lassen,  aussprechen,  indem  einestheils  indifferente  Stoffe  eine 
Gewichtsabnahme  des  Kinde?  nicht  hindern  werden,  anderen- 
teils kräftige  nahrhafte  Stoffe l)  noch  nicht  assimilationsfahig 
gemacht  werden  können,  sondern,  wie  dies  die  Natur  täglich 
zeigt,  entweder  durch  Erbrechen  eliminirt  werden,  oder  durch 
Reizung  des  Intestinaltractus  zu  tief  greifenden  Störungen 
Veranlassung  geben,  wie  man  dies  bei  den  meisten  künstlich 
ernährten  Kindern  zu  beobachten  Gelegenheit  findet 

Während  wir  nun  auf  der  eiuen  Seite  eine  mangelhafte 
Verwerthung  der  zugefährten  Nahrung  annehmen  zu  müssen 
glauben,  sehen  wir  auf  der*  anderen  Seite  eine  gesteigerte 
Abfuhr  und  Zerstörung  vorhandenen  Materials;  erstere  auf  den 
neuerschlossenen  Wegen  der  Transpiration,  Lungenperspiration, 
Deföcation  und  Urinsecretion,  letztere  durch  Oxydation  der 
Gewebe,  namentlich  des  fötalen  Fettpolsters.  Ich  erinnere 
hier  an  die  von  Bitter  und  Schmidt  angestellten  Inanitions- 
versuche.  Es  zeigte  sich,  dass  das  hungernde  Thier  nicht 
allein  fortfährt  auszugeben,  wobei  es  natürlich  ebensoviel  an 
Körpergewicht  verliert,  als  die  Summe  der  Ausgaben  beträgt, 
sondern  dass  auch  die  Ausscheidungen  qualitativ  im  Wesent- 
lichen dieselben  bleiben ,  wie  bei  normaler  oder  überschüssiger 
Nahrungszufuhr.  Das  hungernde  Thier  scheidet  bis  zum  Tode 
Kohlensäure,  Harnsäure,  Harnstoff  etc.  aus  und  bildet  daher 
unzweifelhaft  alle  diese  Ausscheidungsstoffe  aus  seinen  eigenen 
integprenden  Körperbestandtheilen.  Wie  nun  im  hungernden 
Thierkörper  der  aufgenommene  Sauerstoff  keine  anderen 
Angriffspunkte  für  seine  Einwirkung  findet,  als  oxydable 
Körpers tofle,  so  auch  beim  neugeborenen  Kinde,  welches  bei 
bestehender  mangelhafter  Verwerthung  des  zugeführten  Nahrungs- 
materials dem  hungernden  Thierkörper  zu  vergleichen  ist.  Dass 
aber  die  Gewichtsabnahme  bei  Neugeborenen  durch  Schwund 
der  Gewebe  bedingt  wird,  wird  augenscheinlich  bewiesen 
durch  den  in  den  ersten  Lebenstagen  eintretenden  Schwund 
des  Fettpolsters,  das  Faltigwerden,  kurz  durch  das  gealterte 
Aussehen  des  Kindes.    Es  ist  jedoch  diese  Gewichtsabnahme, 


1)  Ich  bedauere,  dass  mir  keine  Beobachtungen  über  Gewichts- 
verminderungen von  Kindern,  die  von  Anfang  an  durch  Ammen 
gesängt  wurden,  zu  Gebote  stehen. 


der  NwgeborcaeiL  347 

dieser  Inanitionsprocess,  wie  ich  nochmals  betonet,  nicht  als 
etwas  Pathologisches  oder  gar  ^llkürlich  zu  Umgehendes, 
sondern  nach  dem  Gesagten  als  eines  der  ersten  Glieder  in 
der  Kette  der  physiologischen  Veränderungen  bei  Neugeborenen 
aufzufassen. 

Bei  einer  Berechnung  des  Durchschnittsverlustes  über- 
haupt zeigte  sich  mit  der  gewöhnlichen  Meinung  im  Einklänge, 
dem  JBreslau'sdien  Befunde  jedoch  entgegen,  dass  der  Stoff- 
wechsel bei  neugeborenen  Knaben  ein  energischerer  ist  als 
bei  Mädchen,  denn  für  erstere  betrug  die  totale  Abnahme 
durchschnittlich  12,2Zollloth  =  Vi« — Vi  7  des  Körpergewichtes, 
für  letztere  12,44  Zollloth  =  V10— Vi«  des  Körpergewichtes. 
Rücksichtlich  der  Zeit,  bis  zu  welcher  ein  Kind  abnimmt, 
zeigte  sich,  dass  die  Zeit  zwischen  dem  zweiten  und  dritten 
Tage  nach  der  Geburt  als  der  Wendepunkt  zu  betrachten  ist, 
von  wo  an  die  dem  Kinde  zugeführten  Nahrungsstoffe  besser 
verarbeitet  und  im  Haushalte  des  Kindes  verwerthet  werden: 
eine  Zeit,  die  gemeiniglich  mit  einer  gesteigerten  Milcbsecretion 
von  Seiten  der  Mutter  zusammenfallt.  58  Procent  der  Kinder 
zeigten  nämlich  vom  dritten  Tage  an  eine  stetige  Gewichts- 
zunahme, 22  Procent  erst  an  den  drei  folgenden  Tagen  und 
nur  20  Procent  schon  am  zweiten  Tage  nach  der  Geburt. 
Ist  das  Kind  in  diese  neue  Phase  getreten,  so  folgt  eine 
allmälige,  continuirliche  und  täglich  nachweisbare  Zunahme, 
so  dass  der  bei  weitem  grösste  Theil  der  Kinder,  die  einen 
früher,  die  anderen  später,  innerhalb  der  neun  ersten  Lebens- 
tage das  Gewicht  Wieder  erlangen,  welches  sie  unmittelbar 
nach  der  Geburt  zeigten,  und  zwar 

am  zweiten  Tage  nach  der  Geburt  1  Knabe, 

„    dritten      „ 

„    vierten      „       „       „ 

„    fünften      „       „       „ 

„    sechsten    „       „       „ 

„    siebenten  „       „       „ 

„    achten       „       „       „ 

„    neunten     „       „       „ 


,  1  Knabe, 

2  Mädchen, 

7  Knaben, 

2 

» 

8   „ 

1 

n 

7   „ 

7 

w 

.6   „ 

2 

w 

6   „ 

4 

M 

4   „ 

4 

W 

6   „ 

4 

»» 

45  Knaben,  26  Mädchen. 

14  Knaben  =  23,7  Proc  und  15  Mädchen  =  36,6  Proc. 

hatten  ihr  ursprüngliches  Gewieht  noch  nicht  wieder  erlangt; 


348         XVII.   Haakey  Ueber  die  Gewiohtsverändertmg  * 


ausserdem  -hatten  2  Knaben  und  2  Mädchen  wieder  von  Neuem 

an  Gewicht  verloren, 

so 

d|ps  also  von 

allen 

am  neunten  Tage 

gewogenen  Kindern 

33 

leichter  waren 

als 

unmittelbar  nach 

der  Geburt,  und  zwar 

um 

1  Zolllotb    3  Knaben, 

2  Mädchen, 

n 

2 

M 

1  Knabe, 

1 

Vi 

>i 

3 

»1 

3  Knaben, 

2 

n 

>i 

4 

»» 

0  Knabe, 

1 

» 

i> 

5 

»» 

5  Knaben, 

0 

ii 

w 

6 

11 

1  Knabe, 

1 

tt 

w 

10 

»» 

o      „ 

5 

» 

>» 

11 

» 

o      „ 

2 

» 

n 

12 

»1 

1    „ 

0 

» 

yj 

15 

>i 

o      „ 

1 

» 

»» 

18 

1» 

1    „ 

0 

m 

»» 

20 

»i 

o      „ 

2 

»» 

'  n 

22 

ii 

1             n 

0 

» 

16  Knaben,  17  Mädchen. 
Ausserdem  zeigten  9  Kinder  (4  Knaben  und  5  Mädchen) 
dasselbe  Gewicht,   welches   sich   am  Tage  det   Geburt  fand, 
während    die   Uebrigen    (39    Knaben    und    19   Mädchen)    an 
Schwere  gewonnen  hatten,  und  zwar 
bis  zu 


3  Zolllotb 

10  Knaben, 

4  Mädchen, 

6        „    . 

3 

>» 

8 

ff 

9        „ 

8 

» 

2 

» 

12        „ 

3 

» 

2 

M 

15        „ 

5 

» 

1 

f» 

18       „ 

5 

» 

2 

>»                  • 

21       „ 

3 

n 

0 

» 

24       „ 

1  Knabe, 

0 

»1 

30        „ 

1 

n 

0 

n 

.  39  Knaben,  19  Mädchen. 
-Auch  vorstehende  Tabelle  spricht  zu  Gunsten  der  Knaben, 
von  denen  66  Procent  ihr  ursprüngliches  Gewicht  vermehrt 
hatten,  während  dies  nur  bei  46  Procent  der  Mädchen  der 
Fall  war.  Nicht  unwichtig  schien  es  mir,  bei  meinen  Wägungen 
darauf  zu  achten,  ob  die  Mütter  Erst-  oder  Mehrgebärende 
waren.     Die  in  dieser  Hinsicht  erhaltenen  Resultate  stimmen 


der  Neugeborenen.  349 

mit  den  von  Breslau  gefundenen  dahin  überein,  dass  die 
naturliche  Ernährung  an  Mehrge^renden  für  die  Häufigkeit 
der  Gewichtszunahme  der  Kinder  etwas  günstiger  ist,  als  die 
Ernährung  an  Erstgebärenden,  indem  von  ersteren  64,1  Procent 
der  Kinder,  von  letzteren  nur  51,1  Procent  der  Kinder  an 
Gewicht  zunahmen. 

Ferner  berücksichtigte  ich  den  für  das  Kind  so  wichtigen 
Process  des  Nabelabtrocknens:1)  bei  6  Kindern.  (5  Knaben 
und  1  Mädchen)  wurde  der  Tag,  an  welchem  der  Nabelschnur- 
rest abfiel,  nicht  notirt;  für  die  übrigen  94  Kinder  finden 
sich  folgende  Notizen:  der  Nabelschnurrest  fiel  ab 
am  zweiten  Tage  nach  der  Geburt  bei  1  Knaben  und  1  Mädchen, 


dritten 

n 

»1 

rt 

n 

„14 

w 

n      5 

n 

vierten 

»1 

M 

w 

n 

n    14 

n 

.  16 

w 

fünften 

w 

W 

w 

»» 

.  19 

n 

»  13 

»      * 

sechsten 

» 

*» 

n 

n 

n      6 

»» 

„    4 

i» 

siebenten 

w 

n 

n 

i> 

»  o 

n 

„    1 

»» 

54  Knaben  und  40  Mädchen. 

Aus  vorstehender  Tabelle  erhellt,  dass  der  physiologische 
Process  des  Nabelabtrocknens  und  Nabelabfalles  für  die  Ge- 
wichtszunahme des  Kindes  von  gar  keiner  Bedeutung  ist, 
oder  mit  anderen  Worten:  ein  Zusammenhang  zwischen 
Gewichtszunahme  und  Nabelabfall,  namentlich  in  Bezug  auf 
Zeit,  besteht  nicht;  denn  der  grösste  Theil  der  Kinder, 
nämlich  75  (48  Knaben  und  27  Mädchen)  beginnen  mit  dem 
dritten  Tage  nach  der  Geburt  an  Körpergewicht  zuzunehmen, 
während  erst  21  Kinder  (15  Knaben  und  6  Mädchen)  den 
Rest  des  Nabelstranges  verloren  hatten. 

Fassen  wir  schliesslich  die  gewonnenen  Resultate  zu- 
sammen, so  ergiebt  sich: 

1)  Jedes  Kind  nimmt  in  den  ersten  Tagen  seines  extra- 
uterinen Lebens  an  Körpergewicht  ab. 

2)  Die  Zeit  -zwischen  zweitem  und  drittem  Tage  nach 
der  Geburt  ist  als  der  Wendepunkt  zu  betrachten,  von  wo 
an  eine  Steigerung  des  Körpergewichtes  eintritt,  so  dass  der 


1)  Das' Gewicht  des  Nabelschnurrestes  ist  so  gering,  dass 
sein  Verlast  in  der  Schwere  des  Kindeskörpers  nar  eine  äusserst 
geringe  Aendernng  hervorbringt. 


350         XVU*   Baoke,  Ueber  die  Gewiohtsver&nderang 

grössere  Tbeil  der  Kinder  mit  dem  neunten  Tage  ihr  uraprüng- 
liches  Gewicht  wiedererlangt  hat 

S)  Der  Stoffwechsel  ist  bei  Knaben  energischer  als  bei 
Mädchen,  was  dadurch  bewiesen  wird,  dass  nicht  allein  eine 
im  Verhältnisse  zu  den  Mädchen  grössere  Anzahl  Knaben  an 
Körpergewicht  gewinnt,  sondern  auch  bei  Knaben  der  Durch- 
schnittsverlust geringer,  der  Durchschnittsgewinn  höher  ist, 
als  bei  Mädchen. 

4)  Die  Ernährung  an  Mehrgebärenden  ist  für  die  Häufig- 
keit der  Gewichtszunahme  der  Kinder  günstiger,  als  die  Er- 
nährung an  Erstgebärenden. 

5)  Zwischen  dem  Processe  des  Nabelabfallens  und  der 
Gewichtszunahme  des  Kindes  existirt  ein  Zusammenhang  be- 
züglich der  Zeit  nicht. 

Die  in  der  Tabelle  aufgeführten  Kinder  wurden  auch  am 
Tage  ihres  Abganges  aus  der  Anstalt  (durchschnittlich  der 
13. — 14.  Tag  nach  der  Geburt)  einer  Wägung  unterworfen; 
ferner  wurden  weitere  100  reife  Kinder,  nur  am  Tage  ihres 
Wegganges  auf  ihre  Gewichtsveränderung  geprüft,  so  dass 
ich  demnach  im  Stande  bin,  über  200  Kinder,  d.  i.  100 Knaben 
und  100  Mädchen,  bezüglich  ihrer  Gewicbtsveränderung  nach 
der  Geburt  Angaben  zu  machen. 

Als  Durchschnittsgewicht  nach  der  Geburt  zeigte  sich 
für  Knaben    6,519  Pfund, 
für  Mädchen  6,366  Pfund. 

Bei  der  am  Tage  des  Wegganges  stattfindenden  Wägung 
zeigten  eine  Zunahme  75  Procent  Knaben  und  71  Procent 
Mädchen,  und  zwar  betrug  für  erstere  der  durchschnittliche 
Gewinn  15  Loth  =  Vis  des  Körpergewichtes,  für  letztere 
13  Loth  ==  y14  des  Körpergewichtes. 

Im  Status  quo  befanden  sich  6  Procent  Knaben  und 
4  Procent  Mädchen. 

Abgenommen  halten  19  Procent  Knaben  und  25  Procent 
Mädchen  und  betrug  für  erstere  der  Durchschnittsverlust  13  Loth 
=  Via  des  Körpergewichtes,  für  letztere  13  Loth  =  Vi«  des 
Körpergewichtes. 

Auch  diese  Resultate  sprechen  zu  Gunsten  der  Knaben 
und   bestätigen  im  Allgemeinen  das  oben  sub  3)  Angeführte. 


d«r  Neageboreaea. 


351 


Vi 

•S 

s 
•s 


.9 

ho 

I 


i 


«8 


Wievielste 
Gebart? 


•5  5  g 

•  •S-2- 

o 


H3& 


SS' 


s 
© 

8 


i  o  *  d 

«Ort 


HWH«HHWWH«COHiH^^Hfl)H0OH 


+  I    I  +  +  +  +  "  +++++++++  |  +  + 


(O  >o  ci  t>  f  io  m  io  ^  ^  «eiioo  H  o  w  oo  o  >o 
+  I    I  +  +  +  +  I  ++     +  +  +       |  4-  I  +  + 


t»OOOOt-<DOOnOOt*OCOaO^QI0)^O« 


der  Gewichts-  ' 
zunähme. 


Gewicht 

am  Tage  des 

Abganges. 


p 

6« 


t3 
© 


eocoiacoG4G4coeieoe*<4<^<eoco4icoeo<*coco 


t-  HC«  t-  iH  ©  iO  K»  CO 

«d  <*  ^Tcd  cd  cd»did  co  «didcdcdtdcdcdcdidcdcd 


ff 


O  00        O  "^        9100  t*        iOO»  00*5        «*  <M  t- 

»o^fo  »d  io  cdid  io  to  cd  io  »d  co  cd  »d  «dcdidcdco 


■8 
'S 

& 


! 


t«f  (Of  G4         ©  00  »H         t-  f-  fc- t- 

io  •**  <*  rfTio  cd*f  idcdcd  idco  io  cd  cdidcd  idco  cc 


eo  r-  »O  ■*•  00  CO  ©  »O  t»        OS  <*  t-        t»  »O  «!• 

io  ^^Tio  io  io  o  io  »d  co  idididco  id»d  cdidcd  cd 


ff 


ff 


-I    - 


id<+ <*  »did«did  ididco  idid«d»o  idid*d<rcd«o 

co  co  oo  <n  ©*  *•  co  t-  c©  eo  -*•  ©  »o  <n  *h      *h 
°t  "l  ®1 1  °1  ®l  *"!  *1  "1  ®1  *1  ®1  *1  ®1  °1  °i.  'I  *"!■.  °t  °^ 
id  V  ^"  id  o  iö  <T  id  ift  <T  uf  td  o  id  id  id  cd  icT  «o"«©* 

io  oi      t-  o»  co  ^  co  eo  ©  ©  »o  «o  t»  ©  co  ©» 
id^r^idididididtdididkdtdidkdidididcdcd 

I 


2 


©  ©  •*        CHN^^O)        t»  i£  C*  -**  ©  »O        © 

^^r^rld*icTicr»cr»crid»d*»cr»cr»cricr»o^»ft'  »^Tido  © 

«Hf.         ■*•  »O  ©  -*l  CM  CO         t-^ÖJ^00N»OW« 

^*^T^Tid»did>»did»d»cr»d>»d*»d»o  *cT»d»o  »o  »ö  o 


^f*  Tf  *  *o  *£  *o  »d  »d  »d  id  id  id  »d  ic*  »d  »d  »d  «d  »d  »o  »o 


«„«O'OJ;  -L         GMCOt-X©eOCOCOiOI>t-t«00  ää% 

Z'a&JS  ü  «    .    *Q*£*o  idotdididididididtdidid^cdcdcd©* 
5      M  ««<:?     ' 


O 


Fortlaufende 
Nummer. 


v-t94co-^ta©t«ao©oiHe«eo^iO©t-Qoa)© 


352  XVII.   Haake,  Ueber  die.  Gewichteveränderung 


Wievielste 
Gebart? 

1 

1 

>  der 

bnahme 
am 
Tage 
des  Ab- 
ganges 

,           1 
© 

o 

J3 

1 

1 

|  +  +•+  +  1  +++++++++++++++++  "H 

Höhl 

Gewic 

oder  a 

I  4.  +  +  +  ++   1   +++++++++   1   +  +  +   1    +   1     1 

©     J5ö 

:©  ©  .3  ö  ja 

"      ©  ©JS 

Tag 

der  Gewichts-  ' 

annahmt. 

«oeraeoeoco«e«eo«oeoco©ioeco«w^«oeooooo«©«^cc 

Gewicht 
am  Tage  des 
Abganges.      , 

ao  t»  t*  eo           91&1  b*oo       *   ^t«0ö»0                ■"*       t-  c 

tDtO*tF&&<Ot-<trtQtQ<D't~t~St-  l»  t»  tt  «D  t«  t»  »•  t*  30  5D  *"• 

fl 
■Q 

fl 

& 

Q 
P 

e» 

i* 

"fl 

f  *  : 

*.  i 

H        1 
ad        1 

S  tO  00  ^  H  N  W  »  H  W^h4- W  H  iO  H  H  w  W  W  «>  W  ^ «  0 

4 
fl 

ul 

* 

^ 

6- 

1 

<o                   oo  t-          c©  *•*           o      ot«o>0O90)       es  ^ 

(N  N  ^  t»  l>  H  i^00  »WH  «H  N         »-  iH  iH  C*  C*  W  *-^  »C  **  31 

ja 
© 

* 

4* 

© 

© 

5 

"3 

© 

Ö.Tag.j« 
1 

i  tcTco  *>&'<c  sS*ok*o&<&*<d'i>  to  so  *o  t~  *&  *&  c  <o  ©  <c  t*  ©o 

* 

eo 

i 

%QiQ  &  *£ ^ <D~&<D~&&  \Q  &  &&  <D<D  t£ <B<£ <Q  C0  '<C  ©  ©  tf 

1 
wecioiM^          ose»      •*©          e*  -«          ee      c*  o  «■  ae  » 

^t-        !>•»        00                                 h  ©        eO«8»flOW^©HflOr- 

i  io  io  to  *o  io*  5p^  »cT  so*  <o*  tfT  cT  tfT  «cT  «o"  ?d*  «cT  «o'  ©©©©^©<o© 

.2  © 

Kindes 

gleich 

nach  der 

Gebart. 

tO<OtO<O<£s£<0<Q  «O  tt>  &  ttT  <D  *D*  <D  *D*  *C"  *D~  <&  <&  *0  <0  fS  CPC* 

Fortla 
Nam 

afende 
mer. 

HWW^»0«f00CiO^W»^»O©t»Q0Ö>Q^ÖJ«^lifi 

C^9ie494&i9<ie4(N9icoeoeceoeooQfiOc4oQeo,«^|i^l<^^ti^ 

der  Neugeborenen. 


363 


•H 

•  ««ooo«ooot»      omo' 

CM  -*  »M  CM  CM  CM     |.  ,-f  ©9 

+++++++    |    +  +   U+  +  +  i 


eocM-oco      ooowo>-*«OHHOi 


++i  + 


+  1++1  i 


1 

cejcococo^cooicococQeocococM. 

i 

fr- 
fr-*i>  r-* 

_  fr-      ©a  cm      9ii»  «-*      -i  ©i  i 

*t  *"J.  ®t.  *"!.  ~1  ^  °i  ^i.  °\.  *"!  "1  ^  '"t  o* 
fr-*  fr»  fr-*  fr-* fr-*  c^*  fr-*  tjT oc  oo*  fr»*  oö* od  00* 


00  «Ob-  O  t-i 
fr»fr-t,->t->t->fr-fr»-CO0000  fr-*OÖ'*00*od* 

o  •*  o>  o>  cm 
*•  fr-  r»  t*  fr«  r»  t-  co*oo  od*  fr-*  od*  oo*  oo* 

CO                     OOÄkO^n         0900 
■3.  °i  ^  "*1  *3>  *"1»  Ci*CiCl  °1  «^  T  *"^ 

fr-  t**co*fr-  t^r^t-*«©  fr-^t^fr-**od*od*od* 

CO        CO         0»        3»  O»  €0  CO  -H  0>        -4» 

co  fr^cö"fr-"co  i~  i^ce~fr-**fr-*"fr-*c^oo*od* 

fr-00fr-O>CM  -h  0»  00  O  •*  -« 
co  co"co  cp*«d*i>*fr-*coKfr^  fr-"  fr-"  OC  00*00" 

«0  CO  CO*  CO  «0*fr-"*fr-  fr-  fr-^fr-'*l>*fr-"*fr'-Kad* 

»••J"«MHf  ««        .©  0»  00  CO 

«o  co  co  ctT-cTco  fr-^cb~fr-*fr-*fr-^fr-~fr-Kod 

00       Nf                         ©  fr-  ©  CTi  00 

»^eo  c?^o^e«  *'^ffi,i**^cic,icici. 
«dfr^co  «o  *•"*•  fr-Kfr-"*fr-*fr-*fr-*  fr-*i>  oo"* 

CM03  0>  ©  CO  CO             ©*  ©i 

t-Tt>Ttd>rtri^riCi>rtrr>  oo  00*06*00" 

«0fr-aoo>©--«©*co«4,»ocpfr-co© 

s 

■ 


MHHeOHHWWHN^H«HHO)H 


»C0»Ot»<Db«»4<Ot,»«D05C000l*<0öÖ^ 
+ | | | | +++++++++ | ++ 

+111 1+»++++++ 111+ 


ipH^^iowCHaoö^t-CHioei} 


co-4i<-*ofteoeoco©iflOcocMcoco^<coeoee 

©        04  O  Ol  CO              04              00 
*^°^'^'"1.**  ©i^co  ©*^iH  ©^  <o  »^.oo^  OS  t»  o^t«^ 
ko  tc  0  ib^io  tc  co*co*fr-*  co*  co*  cd*  cc*co*id*  ccTco" 

©        «*       Oi  CM  gm  •*       t-       O       04  CO       o 
»^O^t^I>^«H  O^CM  O^CO  CM  CM^t^^c«  »x  CM  —i 


CO  ♦*«  -O        O  CM  CO  O         fr"         CM         --  fr»  04  © 

10  »o  kO*«o*to*io*uTio^co  io  co  co  co*io*td*io  co* 


CM       QOCM       octt^t-^  HOOO 

iO  -O  »Ö"»0  ib~i6"»©  »O  »0*iO~C©~CO  ce*l©^»0~»e^CC 


_  Ä  ©*  fr-  -^  00        CO  CM  CM  00 

io  «o  10  »o  to  »o  »o*»o*co*»o*co*ce  cdio  io"-o  co' 


__^CMCMGM«*iOCM  C*J  ©  fr- 

^©^©^^^"■^«^-"iCM^©*  ©  «-^"H  IN  h  eq  1-1 

iQ**  »o*  »©T  »o  »o  »o* •«*  io  *£ o  co* co*  co* *$*  10*  *f  co 


CM         OO^HH         fr-  ©  ©  ©1  CG  00 
t^^^-^^^^t^CM  O^C^CM^CM^i^O^CM  CM 


__         OC0CMf00CftiO00t*--J«CMC0 
C^T^CO^t*^»0^»^TH  ^i^tH  o^CM^CM^tH  CM  CM  CM 


tl^-^    Ä_^_ÖM©«cOt---J«COeOfr*01CftCM 
CM^  -4^  CO  CO  CO  t^  -H  t-j^  t-j^  t-^  CM  CM  W  *^CM  t-^  CM^ 

•41  »o*»o  iO*iO  »o*»o  10*10  iö"»o  iO  »o  uT»o  »o  »o* 


Oi  _  W  CM  b«  im  CM  fr*  tH  CO  CO  ^J  »O  O»  t» 

CM  0^^^fr^O\t^»H^C^»^O^CM^C4  C^CM  iH  CM^ 


cMfr-fr-ooo>e>oikOcofr- 
»o  »o  »o  »ö»o  »o  *oiö*io"'io*-o  coto  co  co*cb**co 


0*-<CMCO'^kOCOfr*000)0*-lCMeO<<J(iOcD 
COC0COCOCOCOCOC0CDCOfr»fr*fr-fr>fr»fr*fr- 


MonaUachr.  f.  Oebartok.  1«».  Bd.  XIX.,  Hfl.  6. 


23 


354      XVH*   Saakst  Ueber  die  Gewiehteve  Hinderung  eto. 


ts  3 


Wievielste 
Geburt? 


•  'S 


Ig*«? 

q       5  * 
*q 

SP 


*    M 

o 


OB  •     Qj 

X    «'£  00    OS 

m        ^  *«  © 

"  ©  «  _Q 


©* 


+  +  +  + I    ++    I      I      I +++++++ " I +  +  +  + I 


00O»HN^IOO        ^COCOiHtOCO        O        HO«HO 

+++|++| | 1 | +++++« | i  | | | | | 


H*4nrt  «-I  &l  1-4  »H         HHHHH         *H  *H  v*  t*  CO 


Tag 
der  Gewichts- 
zunahme. 


T|«04©i<*»Ö©iCO<*-*C0©»CO©lCQCO©l<"*e0eOC0<<*'<*CO<<f 


d 

XI 


Gewicht 

am  Tage  des 

Abganges. 


CO       ©«  co       NQ0N       ö*  fr- *«       ©*  e© 

^co^©^©^©^©^*^**  co^«©*^«^©^©^«^ 

cb  t>  t^  co  iö"r-  t-Tcp  ce~co%o~«o^fr^co~fr^i^fr^cD~co^fr^fr-*fr^fr'"*fr-* 


(MW       es  t> 


© 

a 

& 


5 

'S 


SP 


.^«O^ftHi»       co  *•  ^  fr- ©*  fr-       co  <3>  oo«       _ 

CO  CO  CO  CO*  CO*  CO*  CD*  iQ*  CO*  CO  CO*CO"*CD"*CO>CO*fr-*CO*CO  fr-  t—  CO  fc»  fr-  fr— 


SP 

00 


©»  ©*  fr»        0>  fr-  CO        OO^^fflt'        00  fr«  CO        0104 
co* <y^O^^*O^CO^O%cPcP^cg^P^<^fg^CO~CP%^tÖ^eO*eP>>'-)  CO**"»  fr-*fr- 


to*co  <o  co^cb^co^co^co^i^co^cö^cb^cb^cb^co^b^co^co^co^to^co^t^i^K^ 


SP 


SP 


^•4»      co       fr-  oi       ooOiOh      eo  co       m  fr- fr- co  ca  CO 

cb^cb^co^co^co^co"s«xTco"'iorco*'co%co"'t^*co",,co**t«  cD^co*cD"*co"Hco"sfr-'fr-*co* 


«5 


5 


M  oo  o»  -41      c*  fr-  ©      o      cofr-coioofr-oo©  fr- 

c^i^cm  i^^c^cft  «ct  ^oo^iH^     f-i  i-^©^©^©^©^«  ©^tf^co^©*. 
co  co~»©7cD~c©^co~c©~«©'»o7c©'scD",'co'fr-  cD*co~co~co~cb*c©~cD~ce*fr-"'fr-'*co' 

CO  CO  00  iH    fr- t*    **    O    00  ^t-  ~4  O  -4»»0-*©l      CO 
tO  CO  iO  C0*CO  CD~CO~CO*»f>*C©"*CD'co"*CD*CD^CO  CO**  CO'*  CO*  CD  CO  CO  fr-  fr-  CO 


II    iOCOiOCOCOCOCOOiOCOCD  C0"*C0  COCOCOCDCOCDCDCOCOfr»C0 


SR  .^  ö  _«  _  ©i  fr-      co      oo      hooo^mw©» 

iö  co  »cT  co*  co'co'ccf  cd  ^co*eo~co*co~co**co~ccrc(f  co  cd*  cD*co**co**fr-  fr- 


22  2^,«.^^^        OHOWO^        Hr.ifl        co__co 
©*©i©^^©J^^^H  r^r^^^r^^«-^0^©^©^©4         ^lÖ0Nei»'^ 

»o  »o  to  co  co**co  cö^ccTto  «T'co'co'co  to**cD~c©*co*cD*co*fr-  CD*fr-*'fr-*fr-* 


!        * 

I     © 


■sls-sl 


,    _  _     _     _     _     „ . /JO  00  CO 

»o  co^r      "    "    "    _   _  j,  ~^~  "  ~"  ~"      *" 

CC  CO  CO  CO  CO  CO' CO  CO  CO  CD  «CO  CC"cO~CD  CD  CO  CO  CO  t"»  t<»  fc«  fr"  t»  t*» 


^»iOt«t-t-t-0O«000CftiH©l©«00O5  _. „ 

■  HHrl^rtHwiH^^oiNNWW         fr-  00  »-•  t*  ©» 


Fortlaufende 

Nummer 


•  ooa»Oi-<e4cO'^(tecot*aoo>OT-i©ico^iocpfr-QO0>< 

-  fr-  r*  00  00  CO  00  OO-OD  OQ£CQOQO*C:asO»C:Cr>C>OOJCr>« 


XVIII.    Howitz,  Ein  Instrument  inr  Messung  des  Beckens.    355 

XVIII. 
Ein  Instrument  zur  Messung  des  Beckens. 

Von 

\  Dr.  Howitx  zu  Kopenhagen. 

(Mit  einem  Holzschnitte.) 

Am  Dienstage  den  22.  October  wurde  von  dem  Dr.  Howitz 
in  der  Philiatrie  zu  Kopenhagen  ein  von  ihm  construirtes 
Instrument  zur  inneren  Messung  des  Beckens  vorgezeigt  Er 
wies  zuerst  das  sowohl  in  praktischer  wie  in  wissenschaftlicher 
Hinsicht  Unzureichende  der  Fingerraessung  nach.  Obgleich 
die  Fingeruntersuchung  immer  nothwendig  und  allein  im 
Stande  ist,  uns  Kenntniss  über  viele  Verhältnisse  im  Becken 
zu  geben,  so  bleibt  dieselbe  doch  immer  im  hohen  Grade 
unzuverlässig,  wenn  sie  uns  Nachricht  geben  soll  von  der 
Grösse  des  Abstandes  zwischen  zwei  Punkten  im  fnnem  des 
Beckens.  Namentlich  ist  dies  der  Fall,  sobald  man  mit  dem 
Fii^ger  andere  Entfernungen  als  gerade  den  Diaro."  conjug. 
im  Beckeneingange  messen  will.  Und  selbst  die  Bestimmung 
dieser  einen  Entfernung  ist  oft  höchst  ungenau,  da  man 
Irrungen  ausgesetzt  ist,  sowohl  wenn  man  Diam.  conjug. 
diagonalis  findet,  als  noch  mehr,  wenn  man  durch  diesen  die 
Conjug.  vera  bestimmen  will.  Die  Anzahl  Linien,  welche 
man  von  der  ersten  abziehen  soll,  um  den  letzteren  zu  finden, 
ist  in  jedem  gegebenen  Falle  verschieden  und  die  Differenz 
kann  sehr  bedeutend  sein.  Dies  sieht  man,  theils  indem  man 
bei  einer  grösseren  Anzahl  Becken  nachmisst,  theils  indem 
man  sieht,  wie  verschieden  die  Angaben  bei  den  verschiedenen 
Autoren  sind.  Die  übrigen  Entfernungen  im  Becken  können 
sogar  nicht  einmal  annäherungsweise  durch  die  Finger- 
Untersuchung  bestimmt  werden,  und  wenn  man  sich  nicht 
mit  einem  unzuverlässigen  Urtheil  zufrieden  geben  will,  so 
muss  man  sich  nach  anderen  Mitteln  umsehen.  Das  Gefühl 
der  Notwendigkeit  einer  zuverlässigen  Messung  des  Beckens 
und  der  Unzulänglichkeit  des  Fingermaasses  in  dieser  Hin- 
sicht hat  zahlreiche  Versuche  hervorgerufen,  sowohl  äussere 

23» 


356    XVllI.   Howitx,  Ein  Instrument  asur  Messung  des  Becken». 

wie  innere  Beckenmesser  zu  construiren.  Das  äussere  Becken- 
maass  führt  immer  die  Unannehmlichkeit  mit  sich,  dass  man, 
um  das  innere  Maass  zu  finden,  die  Dicke  ,der  Knochen 
und  Weichtheile  abziehen  soll,  welche  und  zwar  sehr  bei 
den  verschiedenen  Individuen  variiren  kann.  So  haben  spätere 
Beobachter,  gefunden,  dass  Baudelocque,  dessen  äusserer 
Beckenritesser  wohl  der  vorzuglichste  ist,  welchen  man  bat, 
seine  Subtractionen  in  einer  Weise  vorgenommen  hatte,  welche 
nicht  ganz  den  wirklichen  Verhältnissen  entsprach,  und  der 
Grund  des  Unterschiedes  bei  Baudelocque  und  Anderen  liegt 
wohl  zunächst  in  der  Verschiedenheit  der  Individuen,  welche 
gemessen  worden  waren,  nicht  in  einem  ungenauen  Messen 
seitens  der  Aerzte.  Die  inneren  Beckenmesser  haben  auch 
ihre  Unannehmlichkeiten,  sie  sind  schwer  zu  fixiren  und  zu 
handhaben  und  die  meisten  derselben  können  nur  die 
Diam.  conjug.  im  Beckeneingange  messen. 

Der  von  van  Huevel  construirte  Beckenmesser  ist  gewiss 
der  beste,  aber  auch  dieser  hat  seine  Fehler.  Das  ewige 
Hineinbringen  und  Herausziehen  des  Instrumentes  bei  jedem 
Maasse,  welches  man  nimmt,  ist  eine  bedeutende  Unannehm- 
lichkeit, 'sowie  man  auch  die  Quermaasse  mit  demselben 
nicht  bestimmen  kann. 

Dr.  Howitz  glaubt  durch  seinen  Pelvimeter  so  ziemlich 
die  Aufgabe  gelöst  zu  haben,  welche  man  an  ein  solches 
Instrument  zu  stellen  berechtigt  ist  Es  soll  nämlich  mit 
Genauigkeit,  ohne  Schaden  für  die  Frau  und  ohne  grosse 
Schwierigkeit  die  Grösse  des  Abstandes  zwischen  zwei  be- 
liebigen Punkten  im  kleinen  Becken  bestimmen  können. 

Das  •  Instrument  besteht  aus  zwei  schwach  gebogenen 
Gylindern,  welche  gebogen  sind,  um  die  Messung  der  obersten 
Beckenöffnung  selbst  dann  vornehmen  zu  können,  wenn  der 
Kopf  des  Kindes  etwas  nach  unten  gedrängt  ist.  Der  eine 
Cylinder  ac  ist  hohl,  in  dessen  untersten  Wand  von  u  bis  c 
sich  eine  Binne  befindet,  um  das  vollständige  Hineinschieben 
von  u  b  zu  ermöglichen.  Der  innere  Cylinder  ist  solide  und 
gleitet  leicht  in  den  Cylinder  ac  aus  und  ein.  ac  ist  ver- 
mittels eines  Gelenkes  beweglich  mit  dem  Arme  k  t  verbunden, 
ebenso  wie  der  innere  Cylinder  u  b  mit  dö.  Beide  Verbindungen 
lassen  jedoch  eine  Bewegung  nur  in  einer  Richtung  zu,  nämlich 


XVTII.    Eowüz,  Ein  Instrument  snr  Messung  des  Beckens.    357 


in  der  Länge  des 
Cylinders.  a  et  ist 
durch  eine  kleine 
innere  Schraube  an 
den  äusseren  Cylinder 
befestigt  und  kann 
nach  Belieben  durch 
grössere  und  stärker 
gebogene  Stücke  er- 
setzt werden ,  worüber 
unten  Weiteres.  Bei  a 
ist  die  Fläche  geriefelt, 
um  besser  fixiren  zu 
können,  ac  bat  eine 
Länge  von  2"  8'",  von 
c  bis  u  sind  es  10 "', 
der  innere  Cylinder 
ist  2"  6"' lang.  Wenn 
die  Cylinder  in  einander 
geschoben  sind,  ist  ab 
2"  10'"  lang,  wenn 
der  innere  so  weit  wie 
möglich  ausgezogen 
ist,  hat  ab  eine  Länge 
von  4"  10'".  Der  Arm 
kt  ist  solide,  von 
k  bis  z  sind  es  5", 
von  z  bis  t  ungefähr 
6",  der  obere  Thei 
ist  schmal,  der  untere 
breiter  für  die  Hand. 
Bei  z  ist  dieser 
Arm  durch  ein  Glied 
mit  dem  Arme  eg  ver- 
bunden, so  dass  sie 
gegen  einander  bewegt 
werden  können  um 
z  als  Hypomochlion. 
d  ö,  worauf  der  innere 


358    XVIII.   Hotoito,  Ein  Instrument  sur  Messung  des  Becken*. 

Cylinder  sitzt,  ist  eine  solide  Stange  von  6"  9m  Länge, 
welcher  innerhalb  des  hohlen  Theiles  ez  des  Armes  eg  leicht 
beweglich  ist;  nach  oben  hin  kann  dieselbe  aus  ez  bis  zu 
einer  Länge  von  2"  hinausgeschoben  werden,  der  untere  Theil 
derselben  ist  in  15  gleich  grosse  Abtheilungen,  jede  mit  sechs 
Unterabtheilungen,  eingetheilt  ez  ist  beinahe  l1//  kürzer 
als  &£,  wodurch  es  ermöglicht  wird,  selbst  wenn  man  die 
Arme  nur  ein  wenig  von  einander  entfernt,  den  inneren 
Cylinder  weit  hinaus  zu  ziehen,  also  eine  bedeutende  Ent- 
fernung zu  messen  bei  sehr  bedeutendem  Unterschiede  des 
Winkels,  welchen  die  Cylinder  mit  dem  Arme  Jet  bilden. 
Von  dem  Arme  kt  geht  bei  m  eine  flache,  eingetheilte  Metall- 
Stange  nach  und  durch  den  anderen  Arm;  durch  eine 
Schraube,  A,  durch  den  anderen  Arm  kann  dessen  Lage 
fixirt  werden ,  und  an  dem  äusseren  Ende  der  flachen  Metall- 
Stange  befindet  sich  eine  Erweiterung,  welche  dieselbe  daran 
verhindert,  ganz  aus  der  Oeffnung  in  eg  hinaus  zurück- 
zugehen. 

Dr.  Howitz  hat  bei  dieser  Anordnung  der  einzelnen 
Theile,  woraus  das  Instrument  besteht,  es  erreicht,  auf  einmal 
bei  einem  fortlaufenden  Messen  den  Abstand  zwischen  zwei 
beliebigen  Punkten  im  Becken  bestimmen  zu  können,  selbst 
wenn  diese  verschiedenen  Punkte  in  den  verschiedensten 
Verhältnissen  zu  einander  liegen. 

Durch  ein  einfaches  Ablesen  der  beiden  eingeteilten 
Metallstangen  wird  man  beständig  wissen  können,  wie  gross 
in  jedem  gegebenen  Augenblicke  der  Abstand  zwischen  a 
und  bt  also  zwischen  den  zwei  Stellen  im  Becken,  welche 
diese  berühren,  ist. 

Die  Messung  geht  auf  folgende  Weise  vor  sich:  der 
Patient  muss  mit  dem  Sitze  hoch  und  frei  liegen,  am  liebsten 
auf  einem  Gebärlager. 

Man  bringt  nun  den  Zeige-  und  Mittelfinger  der  rechten 
Hand  in  die  Vagina  hinein  und  setzt  den  Mittelfinger  auf  das 
Promontorium.  Die  Schraube  h  bestimmt  die  Stellung  der 
Arme  in  der  Weise,  dass  t  und  g  so  weit  wie  möglich  von 
einander  entfernt  sind;  die  eingetheilte  Stange  dö  wird  bis 
No.  8  eingeschoben,  wodurch  der  innere  Cylinder  vollständig 
von   dem  äusseren  aufgenommen  wird,  indem  beide  zugleich 


XVIII.    Hou>itet  Bin  Instrument  aar  Messung  des  Beckens.    359 

in  derselben  Richtung  und  als  eine  Verlängerung  der  zusammen- 
gelegten  Arme  ez  und  kz  liegen.  Dadurch  nimmt  das 
Instrument  den  wenigsten  Platz  ein  und  vwird  mit  grosser 
Leichtigkeit  zwischen  den  Fingern  in  die  Vagina  hineingebracht; 
während  es  aussen  an  den  breiten  Handgriffen  von  vier  Fingern 
der  linken  Hand  gehalten  wird;  der  Zeigefinger  muss  frei 
sein,  um  die  Stange  dö  nach  Belieben  länger  hineinschieben 
oder  mehr  herausziehen  zu  können.  Nun  wird  a  mit  Hälfe 
der  beiden  Finger  in  der  Vagina  auf  das  Promontorium  fixirt 
und  schiebt  man  darauf  dö  behutsam  noch  weiter  hinein, 
wodurch  die  Cylinder  nach  und  nach  die  Richtung  des 
Diam.  conjug.  vera  bekommen.  Wenn  man  annimmt,  dass 
ab  ungefähr  diese  Richtung  hat,  löst  ein  Gehülfe  -die 
Schraube  h.  Indem  man  nun  zu  gleicher  Zeit  die  aus- 
wendigen Theile'  der  Arme  einander  nähert  und  mit  dem 
linken  Zeigefinger  dö  etwas  auszieht,  verlängert  man  ab  in 
derselben  Richtung,  welche  dieselben  vorher  halten,  indem 
man  den  inneren  Cylinder  aus  dem  äusseren  herauszieht 
Hiermit,  fährt  man  fort,  bis  b  gegen  stösst  und  ab  nicht 
mehr  verlängert  werden  kann.  Man  fixirt  nun  die  Stellung 
durch  die. Schraube  A,  überzeugt  sich  mit  einem  Finger 
davon  (dem  Zeigefinger  der  linken  Hand,  indem  man  unter- 
dess  das  Instrument  von  dem  Gehülfen  halten  lässt),  dass  b 
einjgermaassen  gegen  den  oberen  Rand  der  hinteren  Wand 
der  Symphysis  stösst,  und  liest  darauf  die  beiden  eingeteilten 
Maasse.  War  b  nicht  auf  der  gewünschten  Stelle,  so  muss 
das  Maass  von  Neuem  genommen  werden.  Nun  hat  man 
den  Diam.  conjug.  vera  des  Reckeneinganges ;  denn  man  kann, 
sei  es  nun,  dass  man  sich  eine  Tabelle  eingerichtet  hat,  sei 
es,  dass  man,  wenn  die  ganze  Messung  vorbei  ist,  dann 
das  Instrument  wieder  in  dieselbe  Stellung  bringt,  mit 
Leichtigkeit  die  Länge  bestimmen,  welche  ab  in  dem  ge- 
gebenen Augenblicke  hatte. 

Will  man  nun  die  übrigen  Weiten  oder  sonstige  beliebige 
Entfernungen  im  Recken  untersuchen  und  bestimmen,  so  thut 
man  dies  auf  dieselbe  Weise,  indem  man  mit  den  zwei 
Fingern  in  der  Vagina  den  einen  Punkt  aufsucht,  a  auf  diesen 
fixirt,  dann  ab  in  der  gewünschten  Richtung  verlängert,  bis 
b  gegenstösst,   sich  davon  überzeugt,  <d«$s  b  ziemlich  genau 


360    XyUI.   ifaoä«,  Ein  Instrument  snr  Meacuag  des  Beckens. 

da  steht,  wo  man  es  zu  haben  wünscht,  und  dann  wieder 
abliest.  Wegen  der  Beweglichkeit  der  Cylinder  in  einander 
und  gegen  die  Arme  ist  man  im  Stande,  Entfernungen  von 
2"  10'"  bis  4"  10"  zu  messen  und  ab  die  verschieden- 
artigsten Richtungen  zu  geben,  ohne  das  Instrument  heraus 
nehmen  zu  müssen. 

Da  es*  mitunter  wünschenswert  sein  könnte,  die  Massse 
im  Beckeneingange  bei  der  Geburt  zu  kennen,  nachdem  der 
Kopf  mit  einem  Segmente  so  weit  jiach  unten  getreten  ist, 
dass  es  unmöglich  sein  würde,  mit  der  Krümmung,  welche 
die  Cylinder  haben,  die  Messung  vorzunehmen,  hat  Dr.  Eowitz 
einige  kleine  Einsatzstücke  machen  lassen,  um  sie  bei  a  an- 
schrauben zu  können,  anstatt  aa,  weiches  da  heraus- 
genommen wird,  aß  ist  ein  solches,  welches  stark  gebogen 
und  bei  ß  an  seinem  breiten,  gegen  das  Becken  gewandten 
Ende  eine  stark  geriefelte  Fläche  hat.  Vermittels  derartiger 
Einsatzstücke  ist  man  im  Stande,  die  Entfernungen  im 
Beckeneingange  zu  messen,  selbst  wenn  der  Kopf  ziemlich 
weit  nach  unten  gedrängt  ist,  wenn  der  Kopf  überhaupt  nur 
den  Fingern  erlaubt,  das  Ende  des  Instrumentes  einiger- 
maassen  zu  fixiren. 

Um  bei  einer  jeden  Grösse  des  Beckens  ein  bestimmtes 
zuverlässiges  Maass  nehmen  zu  können,  müsste  man  natür- 
licher Weise  mehrere  Instrumente  haben,  da  die  Grösse  des 
Abstandes  zwischen  a  und  b  bei  einem  einzelnen  Instrumente 
immer  durch  gewisse  Grenzen  beschränkt  werden  muss; 
Dr.  Howitz  glaubt  indess,  dass  die  Gröäsenverhältnisse, 
welche  er  gewählt  hat,  in  den  meisten  Fällen  die  passendsten 
sein  werden.  Das  Instrument  ist  von  Neusilber  und  bei  dem 
Instrumentenmacher  der  Universität,  Professor  Nyrop,  in 
Kopenhagen  zu  bekommen. 


XIX«    Vogler,  Nnteen  und  Nachtheile  des  Tampons  etc.    361 

XIX. 

Nutzen  und  Nachtheile  des  Tampons  in  der 
Geburtshülfe. 

Von 

Obermedicinalrath  Dr.  Yogier, 

Brunnen  -  und  Badearzt  zu  Wiesbaden. 

Schon  lange  warnte  Rügen  vor  der  Anwendung  des 
Tampons  in  der  fünften  Geburtsperiode  wegen  der  Gefahr, 
dadurch  Haemorrhagia  interna  uteri  hervorzurufen.  In  Schmidts 
Jahrbüchern,  Band  29,  machte  Meissner  gegen  Verf.  aus 
Veranlassung  einer  Arbeit  in  Siebold?*  Journal,  Band  17, 
dieselbe  Besorgniss  geltend,  mit  der  auch  KyU  überein- 
stimmte und  Scanzoni  macht  im  zweiten  Bande  seines  Lehr- 
buchs der  Geburtshülfe,  pag.  324,  die  Bemerkung,  dass  die 
Tamponade  der  Uterushöhle,  bereits  durch  Paul  von  Aegina 
und  in  neuerer  Zeit  durch  Leroux  sehr  warm  empfohlen, 
weit  grössere  Gefahren  darbiete,  als  Vortheüe  damit  zu  er- 
zielen seien,  indem  der  Tampon  die  nachgiebige  Wandung 
der  Gebärmutter  leicht  noch  mehr  ausdehne  und  die  Blutung 
vermehre,  gleichzeitig  aber  auch  den  Ausfluss  des  Blutes 
nach  aussen  verhindere,  so,  dass  durch  die  Tamponade  eine 
tödtliche  innere  Hämorrhagie  bedingt  werden  könne.  Scanzoni 
furchtet  sogar  durch  das  wiederholte  Eingehen  und  Mani- 
puliren  der  Hand  entzündliche  Zustände  der  Gebärmutter 
herbeizuführen. 

Die  Furcht,  eine  innere  Verblutung  durch  den  Tampon 
zu  erregen,  wird  sich  um  Vieles  vermindern,  wenn  wir 
erwäge»,  dass  wir  den  Tampon  als  eins  der  wirksamsten 
Mittel  zur  Herbeiführung  der  künstlichen  Frühgeburt  be- 
nutzen und  dass  in  den  meisten  Fällen  uns  nur  gestattet 
ist,  durch  Einbringen  des  Tampons  in  die  Scheide  wehen- 
artige Contractionen  des  Uterus  wachzurufen.  Mit  dieser 
Wirkung  des  Tampons  von  der  Scheide  aus  auf  die  Gebär- 
mutter steht  die  Furcht  vor  innerer  Blutung  so  ziemlich  in 
Widerspruch  und  in  der  Neuen  Zeitschrift  für  Geburtskunde, 
Band   lt   Heft  3,   pag.  417,   habe  ich  mehrere  schlagende 


gg2  XIX<    ^°^r»  Natsen  and  Naefathaile 

Fälle  angeführt,  welche  den  Nutzen  des  Tampons  gegen 
Uterinblutung  und  seine  Gefahrlosigkeit  bei  Anwendung  der 
nöthigen  Cautelen  deutlich  zeigen.  Im  17.  Bande  von  SiebolcTs 
Journal  für  Geburtshülfe,  pag.  511  bis  514  ist  die  Grund- 
losigkeit der  Besorgnisse  Meissners  durch  eine  Entbindung 
von  Zwillingen  dargethan,  die  nicht  ohne  Interesse  ist,  schon 
deshalb,  weil  bei  dieser  24jährigen  Erstgebärenden  die  Natur 
auch  gar  nichts  leistete  und  es  mir  überlassen  blieb,  jeden 
einzelnen  Act  dieser  sonderbaren  und  ziemlich  schwierigen 
Entbindung  durch  ein  operatives  Verfahren  zu  beendigen. 
Die  Wasser  waren  seit  drei  Tagen  schleichend  abgegangen 
und  während  dem  hatten  sich  die  sehr  geringen  Wehen  ganz 
verloren.  Der  Muttermund  war  gehörig  geöffnet  und  die 
kleine  Fontanelle  fand  sich  in  der  linken  Seite.  In  meiner 
Abwesenheit  war  eine  Mixtur  von  Borax,  Castoreum-Tinctur 
und  Opium  verordnet  worden,  die  ich  fortnehmen  liess.  Der 
Bauch  war  sehr  hängend,  aber  die  junge  Frau  gesund.  Ich 
hoffte,  die  Wehen  abwarten  zu  können,  da  aber  den  anderen 
Vormittag  der  Zustand  noch  genau  derselbe  war  und  auch 
nicht  die  geringste  Wehe  sich  gezeigt  hatte,  so  legte  ich  die 
Zange  an  und  forderte  einen  gesunden,  aber  schwachen 
Knaben  zur  Welt.  Die  Nachgeburt  blieb  zurück  und  es  ergab 
sich  eine  Zwillingsschwangerschaft.  Die  Frau  war  ganz  wohl, 
und  ich  wartete  abermals  bis  Nachmittags  3  Uhr  auf  Wehen, 
jedoch  ganz  vergeblich.  Ich  faßd  die  Füsse  des  Rindes  in 
einer  $hr  zähen  und  welken  Blase,  die  sehr  wenig  Wasser 
enthielt.  Ich  entwickelte  das. Kind,  das  sich  mit  dem  Ge- 
sichte gegen  das  rechte  Hüftbein  drehte,  stiess  aber  beim 
Herabführen  des  rechten  Armes  auf  solche  Schwierigkeiten, 
dass  ich  die  Hoffnung  fast  aufgab,  es  lebend  zu  erhalten. 
Der  linke  Arm  ging  am  Hinterhaupte  aufwärts,  das  Kind  war 
bereits  ganz  blau,  und  ich  versuchte  als  einziges  Rettungs- 
mittel statt  der  Lösung  des  Armes  die  Entwicklung  des 
Kopfes  mit  dem  Arme.  Sie  gelang,  freilich  nicht  ohne  einen 
starken  Riss  in  den  Damm.  Das  Kind  war  völlig  scheintodt, 
doch  gelang*  dessen  Belebung  naeh  einer  halbstündigen  un- 
unterbrochenen Bemühung.  Es  war  ebenfalls  ein  Knabe  und 
weit  stärker  als  der  Erstgeborene.  Die  Nachgeburt  adhärirte, 
was  sich  daraus  ergab,  dass,  wenn  man  die  eine  oder  auch 


dei  Tampons  in  der  Gebnrtahfilfe.  363 

beide  Nabelschnüre   etwas  hervorzog,    sie    sofort  wieder  in 
die  Scheide  schnellten.  —  Da  kein  Blutfluss  vorhanden  war 
und   die  Entbundene   sich   wohl   und   selbst  stark  fühlte,   so 
verschob  ich  die  Lösung  der  Nachgeburt,  indem  ich  die  Frau 
an  diesem  Tage  wo   möglich   keiner  dritten  Operation  mehr 
unterwerfen   wollte.    Allein  ich' hatte  das  Haus  noch  nicht 
verlassen,   als  man  mir  meldete,   es  zeige  sich  eine  Blutung. 
Die  vor  wenigen  Minuten  noch  gesunde,   blühende  und  sogar 
muntere  Frau  fiel  plötzlich  in  Ohnmacht    Es  fand  sich  zwar, 
dass   ziemlich  viel  Blut  nach   dem  Kreuze  und  Rücken  der 
Frau  geflossen  war,    indeni   ich   sie  beim  Transporte  vom 
Geburtslager  in's  Bett  sehr  horizontal  hatte  legen  lassen,  doch 
waren  im  Verhältnisse  zu  dem  Blutverluste  die  Ohnmächten 
ziemlich  räthselbaft.    Als  ich  jedoch  den  Unterleib  mit  Liq.  Hoffm« 
besprengen  wollte,  fand  ich  ihn  fast  so  ausgedehnt,  wie  vor 
der  Entbindung.    Ich  ging  möglichst  schnell,   ohne  die  Lage 
der  Kranken  im  Bette  zu  verändern,   mit  dem  rechten  Arme 
in  die    Gebärmutter   ein    und    förderte   unter   starkem   Blut- 
verluste,  die   zum  Glück   nicht  sehr  fest  verwachsene  Nach- 
geburt,  welcher  beide  Nabelschnüre  entsprangen,   in  kurzer 
Zeit    zu    Tage.      Hierauf   brachte    ich    schnell    zwei    starke 
Tampons  von  flachs    bei  und    nun   erst   suchte   ich  durch 
Reiben    die   Gebärmutter   zum   Zusammenziehen    zu  bringen, 
was   auch  gelang.     Die  Entbundene  erholte   sich  unter  der 
Anwendung  analeptischer  Mittel  bald  wieder.   Das  Wochenbett 
verlief  günstig  und  ehe  ein  Jahr  verfloss,  gebar  sie  jj/jp  Kind 
glücklich,    ohne    der  Kunsthülfe   zu  bedürfen,    obgleich   die 
starke  Ausdehnung  des  'Unterleibes  in  der  ersten  Schwanger- 
schaft eine  solche  Verdünnung  der  Bauchdecken  und  geraden 
Bauchmuskeln  hinterliess,  dass  man  sie  bei  aufrechter  Stellung 
einen  vorhängenden  länglichen  Sack  bilden  sah,  durch  welchen 
man  deutlich  die  ihn  ausfüllenden  Eingeweide  fühlen  konnte. 
Hier  war  also  innere  Verblutung  bis  zur  Ohnmacht  vorhanden 
und  der  Leib  durch  die  mit  Blut  überfüllte  Gebärmutter  aus- 
gedehnt,  wie   vor   der   Entbindung.     Es  war  also,   obgleich 
mit  der  Entfernung  der  Nachgeburt  die  fünfte  Geburtsperiode 
so  ziemlich  beendigt  schien,  einigermaassen  zu  besorgen,  dass 
ein  Tampon   eine   ähnliche  Rolle  spielen   könnte,    wie  kurz 
vorher    die    zurückgebliebene    Nachgeburt.      Die   Besorgnis* 


364  XIX-    VogUr,  Nutzen  «nd  H*  eh A eile 

erwies  sich  ab  unbegründet  und  der  Tampon  rechtfertigte 
vollständig  meine  Erwartimg.  Cnd  noch  tot  Kurzem  sah  ich 
einen  schlagenden  Beweis  Tom  Nutzen  des  Tampons  in  der 
fünften  Gehurtsperiode.  —  Am  20.  Januar  1862  spät  Abends 
wurde  ich  zu  einer  Frau  gerufen,  welche  31  Jahre  alt  war, 
schon  drei  Mal  geboren  hatte,  ein  Mal  mit  der  Zange  ent- 
bunden worden  war  und  zwei  Mal  abortirt  hatte.  Ihr  jüngstes 
Kind  glich  noch  sehr  einem  Säuglinge.  Sie  hatte  es  auch, 
unkundig  ihrer  Schwangerschaft,  noch  vor  sechs  Wochen  gesäugt 
und  eben  einen  etwa  viermonatfichen  Abortus  geboren,  dem 
ein  starker  Blutverlust  und  eine  tiefe  Ohnmacht  folgte.  Die 
Nachgehurt  war  noch  nicht  abgegangen  und  ein  kleines 
Stöckeben  Nabelschnur,  welches  aus  der  Schamspalte  hervor- 
hing, bewies,  dass  sie  noch  zurück  war.  Ich  tamponirte 
ziemlich  fest  mit  Hanf,  den  mir  ein  Schuster,  der  im  Hause 
wohnte,  schleunig  besorgte.  Die  Blutung  stand  sofort,  und 
als  die  Hebamme  am  folgenden  Abende  auf  mein  Geheiss  den 
Tampon  entfernte,  hing  die  Nachgeburt  daran.  Die  junge 
Frau  blieb  zwar  einige  Wochen  sehr  bleich  und  klagte  über 
grosse  Mattigkeit,  doch  bedurfte  sie  nur  einige  Tage  eines 
analeptischen  Mittels,  Essigäther,  mit  etwas  Schwefelsäure, 
Zimmt-Tinctur  und  Nitrum  zu  einer  Mixtur  vereinigt,  um  in 
der  Haushaltung  wieder  einige  Thätigkeit  entwickeln  zu  können. 

Es  ist  keinem  Zweifel  unterworfen:  so  lange  wir  der 
Scheidentamponade  eine  so  mächtige  Einwirkung  auf  die 
Thätigklit  der  Gebärmutter  beimessen,  dass  wir  sie -als  Mittel 
zu  Hervorrnfung  der  künstlichen  Frühgeburt  benutzen,  ver- 
fallen wir  in  einen  Widerspruch,  wenn  wir  gleichzeitig  eine 
innere  Verblutung  von  ihr  befürchten. 

Mit  welcher  Gefahr  müsste  die  Anwendung  des  Kolpeu- 
rynters  oder  Scheidentampons  bei  heftigen  Blutungen  in  Folge 
von  Placenta  praevia  verbunden  sein,  unter  welchen  Um- 
ständen Martin  (Monatsschrift  für  Geburtskunde,  Bd.  19,  1862, 
pag.  88)  ihn  so  hülfreich  gefunden  hat!  Ja!  Einmal  sah 
Martin  auf  den  Gebrauch  der  Uterusdouche  eine,  wenn 
schon  nicht  bedenkliche  Blutung  folgen,  so  dass  er  zum 
Kolpeurynter  und  schliesslich  zum  Pressschwamme  griff. 

Mit  ähnlichem  Rechte,  wie  man  den  Tampon  in  der 
fünften    Geburtsperiode    verwarf,    hätte   Kiwiech    vor    dem 


des  Tampons  in  der  GeburUhülfe.  365 

Eihautstiche  warnen  können,  als  es  ihm  einmal  begegnet 
war,  dass  nach  dieser  Operation  die  Wehen  immer  stürmischer 
wurden  und  endlich  den  Kopf  mit  der  abgerissenen  Vaginal- 
portion der  Gebärmutter  zu  Tage  förderten.  Welche  geburts- 
hülf liehe  Operation  von  entschiedener  Wirksamkeit  ist  nicht 
auch  mit  Gefahren  verbunden,  die  möglicherweise  den  Erfolg 
zu  trüben  vermögen?  Wenn  Scanzoni  den  Satz  aufstellt, 
dass  die  mit  der  Tamponade  der  Uterushöhle  verbundenen 
Gefahren  weit  grösser  sind,  als  die  dadurch  zu  erzielenden 
Vortheile,  und  wenn  er  die  Compression  des  Uterus  von 
seiner  Innenfläche  aus  nur  für  gerechtfertigt  erachtet  gegen 
jene  hartnäckigen,  durch  kein  Mittel  zu  stillenden  Blutungen, 
welche  in  einer  abnormen  Erweiterung  der  Uterinalgefässe 
begründet  sind;  so  möge  es  uns  gestattet  sein,  einzuwenden, 
dass  ein  Kolpeurynter,  der  gleichzeitig  auf  die  Innenfläche 
des  Uterus  Kälte  und  Druck  anwendet,  in  Beziehung  auf 
die  damit  verbundenen  Gefabren  sich  nicht  vergleichen  lässt 
mit  einem  Tampon  aus  Flachs,  der  die  Gebärmutter  nicht 
feindlich  berührt  und  nur  sie  zur  Zusammenziehung  und 
Verkleinerung,  auch  Schliessung  ihrer  Gefässöffnungen  anregt. 
Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  betrachtet  lassen  sich  ohne 
Zweifel  die  schroffen  Gegensätze  versöhnen,  welche  sich  in 
der  Lehre  vom  Nutzen  und  den  Gefahren  des  Tampons 
geltend  zu  machen  gesucht  haben.  Zu  dieser  Versöhnung 
gieb't  Scanzoni  im  zweiten  Bande  seines  Lehrbuchs,  p.  336, 
einige  sehr  beherzigenswerte  Andeutungen. 

Es  ist  in  Beziehung  auf  Gefahr,  freilich  auch,  wiewohl 
nicht  immer,  in  Beziehung  auf  die  Wirksamkeit  ein  grosser 
Unterschied,  ob  die  Tamponade  in  vielen  oder  wenigen  kalten, 
styptiseben  oder  nicht  styptischen  Einspritzungen,  ob  sie  in 
einer  Händvoll  zusammengedrehter  Charpie,  Werg,  Flachs 
oder  Hanf,  ob  sie  in  einem  Kolpeurynter  von  massiger  oder 
bedeutender  Ausdehnung  besteht;  ob-  sie  die  Gebärmutter 
oder  blos  die  Scheide  von  innen  comprimiren  muss;  ob  man 
sie  wechseln  und  nach  einigen  reinigenden  Einspritzungen 
wieder  erneuern  kann,  oder  ob  der  Tampon  längere  Zeit 
dem  Eindringen  in  Zersetzung  begriffener  Lochien  ausgesetzt 
bleiben  muss,  so  dass  er  anätzend  auf  die  Schleimhaut  der 
Scheide    und    Gebärmutter    einwirkt.      Ein    die   Geburtstheile 


366  XIX.    Vogler,  Nutzen  und  Nachtheile 

massig  oder  bedeutend  ausdehnender  Tampon  kann  natürlich 
mit  mehr  oder  weniger  Gefahr  verbunden  sein;  ein  Tampon, 
der  zu  lose  auf  der  Vaginalportion  aufsitzt,  kann  einfe  innere 
Blutung  hervorrufen  oder,  um  mit  Meissner  zu  reden,  eine 
äussere  Verblutung  in  eine  innere  verwandeln. 

Wenn  allen  diesen  Verhältnissen  Rechnung  getragen  wird, 
ist  der  Tampon  in  der  Regel  ein  harmloses  und  sehr  wirk- 
sames Mittel,  ganz  geeignet,  die  Lobpreisungen  PauT% 
von  Aegina  und  Lerouafs  zu  rechtfertigen  und  ganz  be- 
sonders auf  dem  platten  tande  unersetzbar  und  unentbehrlich. 
Ich  berufe  mich  in  dieser  Beziehung  auf  die  43.  und 
44.  Nachgeburtslösung,  die  im  3.  Hefte  des  12.  Bandes  der 
Neuen  Zeitschrift  für  Geburtskunde,  1842,  abgedruckt  ist.  Es 
blieb  nämlich  bei  einer  Erstgebärenden,  der  sich  der  Steiss, 
aber  fast  ohne  alle  Wehen  zur  Geburt  stellte,  während  sich 
die  Gebärmutter  ziemlich  straff  um  das  Kind  zusammenzog, 
so;  dass  ich  dieses,  statt  an  den  Füssen,  in  der  Schenkel- 
beuge anziehen  und  zu  Tage  fördern  musste,  die  Nachgeburt 
zurück.  —  Das  Kind  war  scheintodt,  erholte  sich  aber  endlich 
und  blieb  gesund.  Eine  starke  Blutergiessung  erforderte  die 
Entfernung  der  Nachgeburt,  obwohl  sie  weder  angewachsen, 
noch  incarcerirt  war.  Die  Mutter  kam  durch  einen  schleichenden 
Entzündungszustand  des  Uterus  dem  Tode  nahe,  genas  aber 
und  schon  14  Monate  später  musste  ich  sie  wegen  kraftloser 
Wehen  abermals  von  einem  diesmal  starken,  kräftigen  Mädchen 
entbinden.  Abermals  blieb  die  Nachgeburt  adhärirend  zurück 
und  musste  wegen  starker  Verblutung  getrennt  werden.  Auch 
nach  der  Trennung  stand  die  Blutung  erst  nach  Einschiebung 
des  dritten  Tampons.  Die  durch  den  Blutverlust  sehr  er- 
schöpfte Mutter  erholte  sich  bald. 

Folgendes  schaudervolle  Ereigniss  mag,  wenn  es  auch 
tödtlich  endete,  den  Nutzen  des  Tampons  und  dessen  Gefahr- 
losigkeit, wenn  er  nur  einigermaassen  behutsam  und  schonend 
gehandhabt  wird,  in  ein  ziemlich  klares  Licht  stellen. 

Am  1.  December  1826,  bald  nach  Mitlernacht,  verlangten 
mich  zwei  Boten  nach  Düringen  auf  dem  hohen  Westerwalde 
zu  der  Frau  des  Schultheissen,  um  sie  zu  entbinden.  Die 
Hebamme  Hess  mir  sagen,  eine  Hand  liege  vor.  Ich  beeilte 
mich,    den   dreistündigen  Weg   zurückzulegen    und    kam   um 


des  Tampons  in  der  Geburtshülfe.  367 

3  Uhr  Morgens  bei  der  Kreissenden  an.  Ich  fand  sie  in 
einer  elenden  Hätte  auf  einem  elenden  Bette.  Sie  war  etwa 
40  Jahre  alt,  hässlich  gewachsen,  ohne  Wehen,  und  ich 
vernahm,  dass  sie  zum  dritten  Male  gebäre.  Das  erste  Kind 
sei  zwar  ohne  Kunsthülfe,  aber  so  schwer  und  langsam  ge- 
geboren worden,  dass  es  nach  geborenem  Kopfe  noch  in  der 
Geburt  verstorben  sei.  Das  zweite  sei  unzeitig  zur  Welt 
gekommen.  Nunmehr  beim  dritten  sei  die  Hebamme  etwa 
um  10  Uhr  Abends  bei  der  Gebärenden  angekommen,  habe 
die  Wasser  abgeflossen  gefunden,  und  nachdem  sie  sich 
durch  Hervorziehen  überzeugt,  dass  die  Hand  vorliege,  habe 
sie  sofort  zu  mir  geschickt.  Die  Wehen  seien  ausnehmend 
stark  gewesen,  hätten  aber  um  2  Uhr  plötzlich  aufgehört. 
Ich  fand  den  Leib  ausserordentlich  empfindlich,  ungleich  aus- 
gedehnt und  eine  Stelle  der  rechten  Seite  sehr  aufgetrieben, 
hart  und  schmerzhaft. 

Ich  schöpfte  zwar  schon  hieraus  die  Besorgniss,  dass 
eine  Ruptur  der  Gebärmutter  oder  der  Scheide  erfolgt  sei, 
beruhigte  mich  aber  bald  wieder  etwas.  Denn  als  ich  zur 
Wendung  am  vorliegenden  Arme  hinaufging,  erhob  die 
Krei&sende  ein  durchdringendes  Geschrei,  während  dem  meine 
Hand  einen  Druck,  wie  von  einer  ziemlichen  Wehe  empfand. 
Ich  hielt  sogleich  inne  und  ermahnte  die  Kreissende  wieder- 
holt und  ernstlich,  nicht  zu  drängen,  weil  ich  sie  sonst 
nicht  entbinden  könne.  Endlich  leistete  sie  Folge  und  mit . 
dem  Geschrei  verschwand  auch  die  scheinbare  Wehe  gänzlich. 
Mein  Arm  war  gleich  beim  Eingehen  mit  vielem  schwarzem 
Blute  überströmt  worden.  Als  ich  am  Körper  des  Kindes 
weiter  ging,  fühlte  ich,  dass  er  wie  von  einem  Breie  halb 
geronnenen  Blutes  umgeben  war,  worin  sich  eine  Menge 
nabelschnurähnlicher  Körper  befanden.  Aber  schnell  genug 
liess  mich  das  Auffinden  der  wirklichen  Nabelschnur  ahnen, 
womit  ich  es  zu  thun  hatte.  Ich  schob  jene  Körper  vor- 
sichtig mit  den  Fingern  aufwärts,  hielt  mich  dicht  an  den 
Körper  des  Kindes  und  ergriff  einen  Fuss  desselben,  den 
ich  glücklich  aus  den  äusseren  Theilen  hervorzog.  Auch  den 
anderen  entwickelte  ich  aus  jenen  verdächtigen  Umgebungen. 
Als  aber  das  Kind  bis  an  den  Nabel  zu  Tage  gefördert  war, 
drängte    sich   ein   Stück    der    dünnen   Gedärme    mit    seinem 


368  XIX.    Vogler,  Nutien  und  Nachtheile 

Gekröse  daneben  hervor  und  wahrscheinlich  verhinderte  nur 
die  grosse  Enge  der  unteren  Beckenapertur  das  weitere  Vor- 
fallen der  Eingeweide.  Denn  nun  begann  eine  Arbeit  für 
mich,  wie  ich  sie  bei  keiner  Wendung  gehabt  hatte.  —  Ich 
hatte,  wie  ich  gestehen  muss,  die  vorliegende  blaue  und 
verschwollene  rechte  Hand  vergessen,  vor  der  Wendung  in 
eine  Schlinge  zu  legen.  Jetzt  musste  ich  mich  zuerst  durch 
ihre  Lösung  ermüden.  Noch  mehr  Schwierigkeit  hatte  die 
Herabführung  des  linken  Armes,  doch  gelang  es,  ihn  un- 
zerbrochen  zu  Tage  zu  fördern.  Die  Entwicklung  des  Kopfes 
hielt  bei  Weitem  am  schwersten.  Sie  war  nicht  durch 
die  Zange  zu  bewerkstelligen  und  die  Finger,  die  ich  auf 
den  unteren  Orbitalrand  gesetzt  hatte,  erlahmten  nur  wegen 
der  Enge  des  Beckens  so  sehr,  dass  ich  während  dieser 
Arbeit  mehrmals  ausruhen  musste.  Endlich  gelang  sie,  aber 
kaum  war  der  Kopf  entwickelt,  so  drängten  sich  mehrere 
Windungen  der  dünnen  Gedärme  aus  der  äusseren  Scham 
hervor.  Ich  beeilte  mich,  die  Nachgeburt  zu  entfernen,  fand 
sie  mitten  in  einem  Convolut  von  Gedärmen,  indem  mir  die 
Nabelschnur  zur  Fahrerin  diente  und  brachte  sie  zum  Vor- 
schein. Die  mit  vordringenden  Gedärme  schob  ich  zurück. 
Die  Züge  waren  schon  zerstört,  die  Extremitäten  kalt,  der 
Puls  kaum  fühlbar. 

Während  der  Geistliche  aus  dem  Kirchdorfe  geholt  wurde, 
um  ihr  die  Sterbesacramente  zu  ertheilen  und  ich  mich  iu 
einer  benachbarten  Hütte  mit  einer  Schale  Milch  erfrischte, 
wurde  mir  gemeldet,  dass  die  Entbundene  häufig  würge  und 
dass  ihr  ein  ziemlicher  Klumpen  Gedärme  aus  den  Geburts- 
theilen  wieder  hervorgedrungen  sei.  Ich  stellte  sogleich  alle 
anwesenden  Weiber  an,  einen  Haufen  Charpie  zu  verfertigen, 
Hess  aber  einstweilen  die  Gedärme  zwischen  den  Schenkeln 
liegen,  um  sie  durch  öfteres  vergebliches  Reduciren  nicht 
noch  mehr  zu  reizen.  Als  der  Geistliche  aus  dem  Kirchdorfe 
erschienen  war  und  sein  Geschäft  beendigt  hatte,  machte  ich 
aus  der  vorhandenen  Charpie  einen  Tampon,  reponirte  das 
heraushängende  Convolut  Gedärme,  welches  die  Grösse  eines 
starken  Kindeskopfes  hatte,  nicht  ohne  bedeutende  Mühe, 
weil  das  Würgen  die  Operation  erschwerte  und  schob  den 
in  kaltes  Wasser  getauchten  Tampon  in  die  Scheide.    Hierauf 


de«  Tampon«  in  der  Getmrtehülfe.  369 

erwartete  ich  den  Anbruch  des  Tages  und  begab  mich 
nach  Hause. 

Gegen  Mittag  erführ  ich,  die  Frau  lebe,  scheine  sich 
etwas  erholt  zu  haben  und  das  Wärgen  sei  etwas  vermindert, 
ich  verordnete  eine  Oeiemulsion  mit  etwas  Nitrum,  Weinstein» 
säure  und  Opium. 

Zu  meiner  Verwunderung  erhielt  ich  den  folgenden  Tag 
Nachrichten,  die  noch  besser  lauteten,  und  ich  begab  mich 
au  ihr.  Sie  hatte  sich  mehrmals  erbrochen,  der  Puls  hatte 
sich  erhoben  und  war  ziemlich  voll  und  härtlich,  die  Wangen 
umschrieben  geröthet,  der  Unterleib  ziemlich  aufgetrieben, 
aber  weich  und  mit  einer  harten  Geschwulst  in  der  rechten 
Unter  bauchgegend,  welche  die  Gebärmutter  zu  sein  schien, 
nicht  besonders  schmerzhaft.  Diese  Stelle  aber  durfte  kaum 
berührt  werden.  Aus  den  Geburtstheilen  verbreitete  sieb 
übrigens  ein  pestilenzialischer  Gestank.  Die  vordere  Scheiden* 
wand  hatte  sich  über  den  Tampon  hinaus  aus  der  Scham 
herausgedrängt,  was  mir  für  eine  Ruptur  in  dieser  Wand  zu 
sprechen  schien.  Ein  kleinerer  Tampon,  den  ich  zur  Unter- 
stützung des  Haupttampons  nachgeschoben  hatte,  war  heraus- 
gefallen oder  —  wahrscheinlicher  —  weggeuommen  «worden. 
Blut  oder  Lochien  waren  seil  dem  Einbringen  des  Tampons 
uicht  abgegangen.  Als  ich  letzteren  wegnehmen  wollte,  er- 
klärte die  Kranke,  sie  fühle  in  der  Gegend  des  Nabels u  dass 
Alles  wieder  hervorstürzen  wolle,  wenn  ich  ihn  herauszöge. 
Ich  beschloss  deshalb,  ihn  erst  den  folgenden  Morgen  zu 
wechseln,  verordnete  reinigende  Einspritzungen,  erweichende 
Gataplasmen  auf  den  Bauch  und  fuhr  innerlich  fort,  wie  "bisher. 
Zu  einer  Blutentziehung  konnte  ich  mich,  nach  reiflicher 
Ueberlegung  nicht  entschliessen.  Den  folgenden  Morgen  ent- 
fernte ich  den  Tampon  glücklich,  kein  Darm  liess  sich  sehen, 
nur  drang  beim  Würgen  oder  Brechen  die  vordere  Scheiden- 
wand hervor,  weswegen  ich  abermals  tamponiren  musste. 
Urin,  Stuhlgang  und  mehrere  Spulwürmer  waren  abgegangen, 
ersterer  sehr  reichlich.  Die  Gataplasmen  würden  schlecht  und 
verdrossen  angewendet  und  bald  ausgesetzt  Nach  einigen 
Tagen  sah  ich  die  Kranke  wieder  und  fand  noch  denselben 
Zustand.     Das    Würgen    und    Erbrechen    kehrte    zu    Zeiten 

MouaU«cbr.f.  Gebariak.  1802.  Bd.  XIX.,  Hfl.  6.  24 


370  XIX     yogUrt  Nutzen  und  Nachtheile 

wieder;  der  Puls  war  noch  entzündlich,  der .  Unterleib  noch 
schmerzhaft,  rechts  die  harte  empfindliche  Stelle,  übrigen» 
weniger  Auftreibung.  Eine  Geschwulst  der  Schamlippen  war 
ebenfalls  im  Abnehmen.  Den  achten  Tag  stellte  sich  einige 
Male  leichtes  Irrereden  ein,  die  Oelemulsion  machte  Sodbrennen, 
weshalb  ich  einige  Tropfen  Opiumtinctur  mit  Liq.  anod.  und 
Tinct.  aromat.  reichte.  Aber  ich  fand  den  neunten  Tag  zu- 
nehmendes Zusammensinken  der  Kräfte,  den  Tampon  seit 
mehreren  Tagen  entfernt,  die  Scheidenwand  hervorgetrieben 
und  missfarbig  und  vor  Anbruch  des  zehnten  Tages  erfolgte 
der  Tod. 

Bei  derSeclion,  die  ich,  abermals  durch  eine  Kreissende 
abgehalten,  nicht  selbst  vornehmen  konnte,  fand  sich  der 
Unterleib  sehr  aufgetrieben,  die  Geburtstbeile  angeschwollen, 
.ein  Theil  der  Scheidenwand  zu  Tage  liegend.  Nach  der 
Eröffnung  des  Unterleibes  faud  sich  der  ganze  Darmkauai 
dunkelblau  gefärbt  und  mit  vieler  Luft  gefüllt,  jedoch  keine 
einzelne,  besonders  missfarbige  Stellen.  Die  Leber  von  ge- 
wöhnlicher Farbe,  beim  Einschneiden  das  Parenchym  roth 
und  weich;  die  Nieren  dunkelfarbig;  der  Magen  aufgetrieben, 
die  innere  Haut  hellroth;  die  Mutterscheide  nicht  völlig  con- 
trahirt;  der  Muttermund  noch  grösstenteils  verstrichen.  Die 
Gebärmutter  sehr  unvollkommen  zusammengezogen,  so,  dass 
eine  Kugel  von  3  Zoll  Durchmesser  darin  Raum  gehabt  hätte ; 
ihre  innere  Haut  schwarz,  nüssfarbig  und  sehr  weich.  Vom 
Sitze  des  Mutterkuchens  keine  Spur  mehr  bemerk- 
lich. (Ich  referire  diesen  in  der  Thal  etwas  unwahrschein- 
lichen-Befund  nach  dem  Berichte  meines  längst  verstorbenen 
Collegen  und  Stellvertreters.)  Sie  enthielt  kein  Blut 
mehr;  ein  Darmstück  fand  sich  nicht  darin,  wohl 
aber  in  der  Wand  der  rechten  Seite  des  Körpers  der  Gebär- 
mutter eine  Ruptur  von  oben  nach  unten,  etwas  schief  nach 
vorn  laufend,  1%  bis  2  Zoll  lang;  die  Ränder  dieser  Ruptur 
weder  brandig  noch  besonders  angeschwollen;  die  Wand  an 
der  Stelle  des  Einrisses  etwa  3  Linien  dick.  —  Ich  gestehe, 
dass  ich  während  der  neun  Tage,  die  die  Entbundene  noch 
lebte,  mehrmals  der  Hoffnung  Raum  gab,  sie  zu  erhalten» 
und  dass  ich  noch  jetzt  zuweilen  versucht  bin,  an  die 
Möglichkeil  dieser  Erhaltung   zu   glauben    und   den   erfolgten 


des  Tampon»  in  der  Geburtsbfllfe.  371 

Tod  zum  Theil  der  Rohheit,  Fühllosigkeit  und  Halsstarrigkeit 
ihrer  Umgebungen  und  Verwandten  zuzuschreiben.  —  Dass 
die  Naiur  dieser  Kranken  sich  zu  kräftigen  Heilbestrebungen 
ermannte,  ging  schon  daraus  klar  hervor,  dass  zehn  Tage  nach 
erlittener  Ruptur  sich  bei  der  Section  kein  Darmstuck  mehr  in 
der  geborstenen  Gebärmutter  vorfand,  während  die  ersten  Tage 
nach  erfolgtem  Einrisse  Hassen  von  Darmschlingen  sich  durch 
die  beschädigte  Gebärmutter  und  die  Scheide  hindurch  drängten 
und  zur  Schamspalte  hervorhingen  und  das  Würgen  und 
Erbrechen  bis  wenige  Tage  vor  dem  Tode  noch  zu  Zeiten 
wiederkehrte.  Ich  muss  es  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit 
für  eine  Wirkung  der  Tamponade  der  Gebärmutter  erklären, 
dass  diese  Gebärmutter  trotz  ihrer  bedeutenden  Verletzung  und 
anfänglichen  gänzlichen  Unthätigkeit x)  wieder  so  viel  Con- 
tractionskraft  erlangte,  um  sämmtliche  in  sie  eingedrungenen 
und  durch  die  Scheide  und  die  Schamspalte  vorgefallenen 
Darmschlingen  wieder  in  die  Bauchhöhle  zurückzudrängen, 
so  dass  beim  ersten  Wechsel  des  Tampons  gar  nichts  mehr 
vorfiel.  Die  scheinbare  Wehe,  welche  ich  beim  Eingehen 
mit  der  Hand  zu  fühlen  glaubte,  war  ohne  Zweifel  der 
Bauchpresse  zuzuschreiben,  die  durch  das  Geschrei  der 
Kreissenden  sich  auch  in  der  Gebärmutter  fühlbar  machte. 
Zwar  erklärt  Scamoni  (Lehrbuch,  Band  1,  pag.  230)  nach 
seinen  Erfahrungen  alle  Berstungen  des  Bauchfelles  und  der 
innig  damit  verbundenen  Gebärmutter,  die  sich  alle  erst  in  den 
letzten  Schwangerschaftsmonaten  ereignen,  für  tödtlich,  allein 
er  führt  in  seiner  ganzen  Erörterung  auch  nicht  einen  Fall 
von  geheilter  Ruptur  des  Uterus  an,  auch  da,  wo  die  dieses 
Organ  überziehende  Baucbfeilplatte  unverletzt  blieb,  und  es 
ist  nicht  zu  verkennen,  dass  die  wenigen  aus  Nordamerika 
und  England  stammenden  Beispiele  solcher  Heilungen  dem 
Leser  sehr  gewichtige  Zweifel  an  ihrer  Glaubwürdigkeit  zurück- 
lassen. Offenbar  würden  auch  alle  gebräuchlichen  Surrogate 
des  von  mir  in  Anwendung  gebrachten  Tampons  vom  Kol- 
peurynter  an  bis  zu  den  Kaltwasser-  oder  China -Injectionen 
ihren  Zweck  nicht  so  vollständig  erfüllt  haben,  wenn  auch 
der  Hauptzweck   —   die  Lebensrettung  —   unerreicht   blieb, 


1)  Cf.  Scanzoni,  Lehrbuch,  Band   1,  pag.  230. 

24* 


372  XX.    Notizen  aus  der  Journal- Literatur. 

da  wir,  wie  bereits  nachgewiesen  ist,  noch  immer  das  Mittel 
nicht  gerunden  haben,  einen  Riss  der  Gebärmutter  zur 
Heilung  und  Vernarbung  .zu  bringen.  Als  Hauptzweck  musste 
also  hier  betrachtet  werden ,  den  Wiedervorfall  der  Eingeweide 
zu  verhindern  und  die  Zusammenziehung  der  Gebärmutter 
möglichst  zu  befördern,  ohne  die  Ränder  des  Einrisses  durch 
ausfüllende  Tamponade  von  einander  zu  entfernen  und  so 
dem  Wiederzusammenkleben  dieser  Ränder,  wenn  die  Mög- 
lichkeit dazu  gegeben  war,  ein  Hinderniss  entgegen  zu  setzen. 
Dass  dieser  Zweck  durch  den  Charpietampon  ziemlich  er* 
reicht  wurde,  ergiebt  sich  daraus,  dass  der  Tod  erst  mit 
dem  zehnten  Tage  eintrat,  und  dass  die  Section  keine  Darm- 
schlinge mehr  in  der  Gebärmutter  vorfand. 


XX.   ' 

Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 


Karl   Martin    (Wolfatem    in    der    Pfalz):    Ein    Kaiserschnitt 
wegen  osteomalakischen  Beckens. 

Eine  sehr  abgemagerte  Frau  Ton  37  Jahren,  die  schon  mehr- 
mals normal,  das  letzte  Kind  vor  vier  Jahren  geboren  hatte,  war 
vor  drei -Jahren  wegen  fieberhaften  Znstandes  und  Hinfälligkeit 
Monate  lang  an*s  Rett  gefesselt  und  im  vorigen  Jahre  hatten 
blutige  Durchfälle  und  reichlicher  Auswurf  ihre  KrSfte  sehr  er- 
schöpft. Seit 'ihrer  jetzigen  Schwangerschaft  hatte  sie  das  Bett 
nicht  mehr  verlassen,  schien  kleiner  geworden  zu  sein  und  konnte 
nur  hinkend  mit  Mühe  sich  einige  Schritte  fortbewegen. 

Am  24.  October  1860  hatten  die  Weben  rechtzeitig  begonnen. 
Als  M.  hinzukam,  fand  er  sofort  einen  so  hohen  Grad  von 
Osteomalacie,  dass  nur  durch  den  Kaiserschnitt  die  Geburt  möglich 
erschien.  Die  Ausführung  desselben  bot  keine  nennenswerthen 
Schwierigkeiten  und  ein  kräftiger  Knabe  wurde  geboren;  starb 
leider  nach  vier  Monaten.  Die  Entbundene  befand  sich  in  den 
ersten  Tagen  verhältnissmässig  wohl,  dann  fing  aber  ein  bedenk- 
licher Durchfall  an,  welcher  die  Kräfte  erschöpfte  und  am 
10.  November  zum  Tode  führte. 

Bei  der  Section  waren  die  Genitalien  gut  znrückgebildet,  die 
Oeb&riuutter  h:it  den  Umfang  eines   starken  Apfels,   ist   eirund; 


XX.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  373 

die  senkrechte  Schnittfläche  theilt  sie  in  iwei  gleiche  Hälften; 
da«  Gewehe  derselben  ist  schlaff,  die  Wände  sind  dünn  und  die 
Schnittwunde  in  derselben  klafft  2  Centimeter  auseinander;  die 
Wundränder  sind  von  graulicher,  die  Auskleidung  von  blutig 
rothlieher  Farbe.  Das  Kolon  ist  entzündet  und  die  Schleimhaut 
desselben  Mass,  mit  sahireichen  halblinsenförmigen,  wie  mit 
dem  Messer  ausgeschnittenen  geschwärigen  Stellen  besetzt.  Das 
Becken  zeigte  alle  charakteristischen  Merkmale  der  Osteomalacie. 
(Aerstl.  IntelligenzblaU  Baierns,  No.  43,  1861.) 


Leven:  Extrauterine  Schwangerschaft. 

Eine  Frau,  welche  zwei  MaI  leicht  geboren  hatte,  erkrankte 
unter  den  Erscheinungen  einer  Peritonitis:  heftige  Leibschmerzen, 
Meteorismus,  Erbrechen  grünlicher  Massen;  die  Menstruation  war 
bisher  regelmässig,  nur  seit  fünf  Wochen  ist  ein  beständiger 
Ausfluss  einer  blutigen  Flüssigkeit  ans  der  Scheide  vorbanden. 
Unterhalb  des  Nabels  von  links  nach  rechts  fühlt  man  eine  Ge- 
schwulst; bei  der  Vaginaluntersucbung  findet  man  den  Uterushals 
bis  zur  Schambeinverbindnng  in  die  Höhe  gestiegen;  Muttermund 
nicht  geöffnet;  im  hinteren  Scheidengewölbe  bat  der  Finger  das 
Gefühl  einer  undeutlichen  Fluctnation ;  bei  der  Untersuchung 
durch  den  Mastdarm  findet  man  ebenfalls  die  durch  die  Bauch- 
decken zu  fühlende  Geschwulst;  es  wurde  eine  Haematocele 
retrouterina  diagnosticirt;  -die  Frau  starb  nach  sechs  Wochen. 

Bei  der  Autopsie  fand  man  den  vergrösserten  Uterus  sehr 
nach  vorn  gedrängt,  hinter  ihm  und  von  ihm  bedeckt  lag  eine 
12  Centimeter  grosse  Geschwulst.  Am  Muttermunde  kein  Schleim- 
pfropf, Ovula  Nabothii  sehr  entwickelt.  Tuba  und  Ovarium  der 
linken  Seite  normal.  Rechts  ist  das  Ovarium  an  die  Geschwulst 
fixirt;  letztere  setzt  sich  in  die  rechte  Tuba  fort,  diese  ist  in 
einer  Länge  von  5  —  6  Centimeter  normal,  von  da  ab  geht  sie 
in  der  Geschwulst  auf.  Diese  Geschwulst  von  der  Grösse  eines 
ausgetragenen  Fötus  ist  vom  Uterus  unabhängig  und  liegt  in  den 
Falten  des  breiten  Mutterbandes,  extraperitonäal  und  enthält 
einen  Fötus  ungefähr  aus  dem  vierten  Monate;  die  8puren  zahl- 
reicher Hämorrhagien  im  Innern  dieser  Kyste  lassen  sich  nicht 
verkennen;  auf  der  Aussenseite  liegen  Pseudomembranen  auf  ihr. 

Es  war  also  ursprünglich  eine  TubarschwangerschAft  vor- 
handen, die  in  Folge  der  Ruptur  der  ausgedehnten  Tuba  in 
eine  seeundäre  AbdominAl*chwangerschaft  umgewandelt  wurde. 
Interessant  ist  der  Fall  noch  weiter,  wegen  der  Beziehungen, 
welche  man  in  den  letzten  Jahren  zwischen  Extrauterinschwanger- 
schaft  und  -Haematocele  retrouterina  zu  finden  glaubte.  Obwohl 
in    diesem   Falle    die    Zeichen    einer   Extrauterinschwangerschaff 


374  XX.    Notizen  ans  der  Journal -Literatur. 

nicht  fehlten,  übersah  man,  wie  in  einem  ähnlichen  Falle,  den 
Hugtder  jnittheilte,  die  Schwangerschaft  und  dlagnostieirte  die 
Haematocrle  retronterina.  Trotz  der  bedeutenden  Unterschiede 
in  den  Symptomen  und  der  Prognose  bei  den  AtTectionen,  ist 
doch  eine  wahre  Analogie,  die  zwischen  der  Ursache  nnd  der 
Natnr  beider  besteht,  nicht  zu  verkennen.  Die  Haematocele 
entsteht  dadurch,  dass  ein  Ei  in  die  Tuba  gelangte,  hier  eine 
excessive  Blutung  und  in  Folge  du  von  eine  Ruptur  dieses  Kanales 
bedingte.  Die  Tnbarschwangerschaft  unterscheidet  sich  nur  durch 
die  Befruchtung  des  Eies,  das  sich  dann  weiter  entwickelt. 
Auch  die  Ausgänge  der  Extrauterinschwangerschaft  sind  dann 
der  Haematocele  analog,  wenigstens  in  vielen  Füllen,  indem  sich 
die  Producte  der  Schwangerschaft  durch  Anus  und  Vagina  nach 
aussen  entleeren.  Sicherlich  wurden  oft  Verwechselungen  zwischen 
Haematocele  und  Extrauterinschwangerschaft  begangen. 

(Bull,   de  la  Soc.  anat.  de  Paris,    1860,   p.  187,   und  Med. 

chir.  Monatshefte,  Decbr.  1861,  8.  522.) 


Habit:   Ein  Fall   von  Papillom  des  Gebärmutterhalses. 

Eine  37jährige,  sonst  gesunde  Frau,  bemerkte  plötzlich  das 
Hervortreten  einer  Geschwulst  aus  den  Geschlechtstheilen.  Die 
Untersuchung  ergab  Folgendes:  Die  Geschwulst  begann  an  der 
vorderen  Wand  des  Cervix,  3"'  über  dem  Muttermunde,  mit 
einem  !/4"  dicken  und  l"  langen  Stiel  und  reichte  bis  dicht  hinter 
den  Scheidenmund  herab;  sie  hatte  die  Form  einer  zusammen- 
gedrückten Quaste  und  bestand  aus  derben  blätterigen  Läppehen 
und  Lappen,  die  am  unteren  Ende  des  Stieles  über  und  neben 
einander  lagen;  sie  war  l1/*"  lang,  */»"  dick  und  von  einem  eiweiss- 
artigen  Schleime  bekleidet,  der  alle  Furchen  und  Einschnitte 
ausfällte  und  so  fest  haftete,  dass  er  sich  nur  sehr  schwer  entfernen 
Hess.  Die  Farbe  war  himbeerroth,  die  Consistenz  fast  köorpel- 
artig.  Die  ganze  Oberflache  zeigte  sehr  kleine,  dicht  gedrängt 
stehende  Papillen,  ähnlich  sehr  zarten  spitzen  Condylomen.  Die 
Berührung  war  ganz  unschmerzhaft  und  veranlasste  keine  Blutung. 

Es  wurde  die  Exstirpation  in  einfacher  Weise  ausgeführt 
nnd  die  vollständige  Genesung  erzielt.  Prof.  Wedl  erklärte  die 
entfernte  Geschwulst  für  eine  Zellgewebsgeschwulst  mit  papillären, 
blumenkohlartigen  Wucherungen,  die  einen  massenhaften  Belag 
von  Epithel  in  Form  von  Pflasterepithel  hatte,  somit  für  ein 
Papillom,  welches  sich  des  reichen  Epithelbelags  wegen  schon 
dem  Epithelialkrebse  näherte. 

(Wochenblatt  d.  Zeitschr.  d.  Gesellschaft  d.  Aerzte  zu  Wien, 
No.  52,  1861.) 


XX.    Notizen  ans  der  Journal -Literatur.  375 

Cruise:   Fall  Ton  mangelhafter  Entwickelong  der  weib- 
lichen  Geschlechtstheile. 

Die  betreffenden  Geschlechtstbeile  stammen  von  einem 
16jährigen  Mädchen,  welches  an  Masern  gestorben  war.  Ihre 
Körperform  war  vollkommen  weiblich,  das  Becken  breit,  die 
Brüste  ihrem  Alter  nach  entwickelt,  das  Haar  lang  u.  6.  w. ; 
ebenso  boten  die  äusseren  Geschlechtstbeile  nichts  Besonderes, 
die  Clitoriß  war  gut  entwickelt,  desgl.  Nymphen,  Vestibulum 
und  Orificium  urethrae  normal.  Die  Scheide  war  geschlossen. 
Um  die  Geschlechtstbeile  unzerstört  zu  erbalten,  wurde  die 
Bauchhöhle  ge&Fnet.  Es  zeigte  sich,  dass  das  Bauchfell  anstatt 
einen  doppelten  Blindsack  su  bilden,  eine  einfache  Tasche  dar- 
stellte, indem  es  von  der  vorderen  Seite  des  Mastdarmes  direct 
auf  die  hintere  Blasenwand  übersprang;  der  Uterus  fehlte,  statt 
dessen  zeigte  sich  in  der  Peritonäalfulte  eine  dickere  Stelle,  ~ 
in  welche  zwei  feste  Stränge  convergirten,  die  sich  nach  aussen 
zu  kolbig  erweiterten  und  leicht  als  Rudimente  der  Fallopischen 
Röhren  erkannt  wurden,  zumal  sie  in  ihrem  Inneren  einen 
durchgängigen  Kanal  zeigten.  Die  runden  Mutterbänder  fehlten, 
die  Eierstöcke  waren  vollkommen  entwickelt.  Von  der  Scheide 
zeigte  sich  keine  Spur,  doch  zeigten  sich  zwei  Gefässplexus, 
einer  auf  jeder  Seite  des  geschlossenen  Vaginalostiums  (Bulbi 
vestibuli). 

Verf.  giebt  nun  eine  Geschichte  der  Genese  dieser  Miss- 
bildung, die  insofern  etwas  Abweichendes  enthält,  als  er  des 
Müller' sehen  Organe«  gar  nicht  gedenkt,  sondern  lediglich  den 
Wölfischen  Körper  sich  bei  Bildung  der  weiblichen  Genitalien 
betheiligen  läset.     Seine  Schlüsse  sind  folgende: 

Vorstehender  Fall  ist  ein  Beispiel  von  Hemmungsbildung, 
die  zu  Stande  kommt  vor  Ende  des  dritten  Schwange rsebafts- 
monates;  der  WolflT sehe  Körper  ist  das  missgebildete  Organ, 
namentlich  sein  Ausführungsgang.  Dass  dabei  die  Eierstöcke 
vollkommen  entwickelt  sein  können,  erklart  Verf.  daraus,  dass 
sich  dieselben  aus  einem  vom  Wolf  sehen  Körper  ganz  un- 
abhängigen Theile  des  Blastema  bilden. 

(The  Dublin  quarterly  Journal  of  med.  sc,  No.  63,  Aug.  1861.) 


Sailly:  Die  Albuminurie  als  Hülfs  mittel  zur  Unter- 
scheidung der  Epilepsie  und  Eclampsie  der 
Schwangeren. 

Das  fast  constante  Vorhandensein  von  Eiweias  im  Harn  bei 
Kclampsie  veranlasste  8aülyt  zu  erforschen,  ob  ein  Gleiches 
sich    auch    bei  Epileptischen  finde.     Seine   an   30    mit  Epilepsie 


376  XX.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

behafteten  Frauen  bald  vor,  bald  während  und  nach  dem  Anfalle 
angestellten  Untersuchungen ,  im  Ganzen  126,  ergaben  Folgendes: 
Der  Harn  reagirte  stets  sauer;  stets  fand  sich  während  des 
Anfalles  eine  betrachtliche  Menge  Urin  in  der  Harnblase  vor, 
während  bei  E cl am p tischen  dieselbe  nur  seljr  gering  ist.  Weder 
vor,  während,  noch  nach  dem  Anfalle  Hess  sich  Eiweiss  nachweisen 
and  hatte  der  Harn  immer  die  Charaktere  normaler  Beschaffenheit. 
(Gazette  des  höpitaux,  No.  50,  1861.) 


Goldschmidt:   Ueber  die   Fungositäten   des  Uterus. 

Dieselben  bestehen  aus  einer  einfachen  Hypertrophie  der 
Kiemente  der  Schleimhaut  und  bleiben  entweder  anf  dem  Stadium 
der  blossen  Hyperämie  oder  meist  gehen  sie  in  weiche  pulpöse 
Auswüchse  über,  die  eich  leicht  mit  einer  stumpfen  Curette  oder 
dem  Nagel  entfernen  lassen.  Sitzen  sie  mehr  in  den  Hörnern 
der  Gebärmutter,  so  haben  sie  oft  einen  dünnen  und  langen 
Stiel  und  gleichen  den  Polypen,  sitzen  sie  dagegen  auf  der 
vorderen  oder  hinteren  Wand  der  Uterinhöhle ,  so  haben  sie  eine 
breite  Basis.  Die  Krankheit  zeigt  sich  in  allen  Lebensaltern, 
meist  aber  zwischen  dem  20.  —  30.  Jahre,  sie  veranlasst  schwere 
Geburten  und  besonders  Aborte,  und  erregt  Blutungen  und 
Schmerzen.  Die  Untersuchung  allein  kann  sicheren  Aufschlüge 
gewähren.  Meist  beschränkt  sie  sich  auf  die  Schleimhaut,  com- 
plicirt  sich  aber  auch  mit  Erweichung  des  eigentlichen  Uterns- 
gewebes  und  mit  suppurativer  Entzündung  der  Ovarien. 

Die  Fungositäten  bilden  eine  ernste  Krankheit  durch  die 
Blutungen  und  Anämie,  durch  Erschwerung  der  Conception  und 
Veranlassung  der  Aborte. 

Die  Behandlung  muss  auf  die  Zerstörung  der  Fungositäten 
gerichtet  sein,  indess  erfüllen  die  Cauterisationen  und  Injectionen 
nicht  diesen  Zweck,  vielmehr  ist  das  Abkratzen  mit  der  Curette 
von  Reeamier  oder  mit  dem  Nagel  das  sicherste  und  wirksamste 
Verfahren.  Dasselbe  führt,  vorsichtig  gemacht,  selten  Gefahren 
herbei,  das  Instrument  muss  sehr  langsam  und  sanft  bis  in  den 
Grund  der  Gebärmutter  geschoben  werden.  Der  Nagel  des  Fingers 
würde  noch  milder  und  gefahrloser  sein,  wenn  er  nur  immer  bis 
in  die  Uterinhöhle  eingebracht  werden  könnte.  Man  mache  aber 
stets  erst  diesen  Versuch.  Die  Aetzung  mit  Höllenstein  ist  ein 
zweckmässiges  Hülfsmittel ,  um  die  Fläche,  auf  welcher  die 
Fungositäten  sassen,  umzuändern. 

Ueble  Zufälle  nach  dem  Verfahren  bilden  die  Ausnahmen, 
die  Erfolge  sind  vielmehr  fast  immer  befriedigend.  Die  Blutungen 
und  Schmerzen  weichen  sofort,  wie  lange  sie  auch  bestanden 
haben  mögen;   die  Heilung  ist  dauernd,   der  Uterus  nimmt  seine 


XX.   Notizen  aas  der  Journal -Literatur.  377 

regelmässige   Thätigkeit    wieder   an,    die  Menstruation  wird  ge- 
regelt! die  Conceptionen  werden  möglich. 

(Gaz.  mäd.  de  Paris,  No.  18,   1861,  aus  der  Gas.  m£d.  de 

Strassbourg.) 

Edward  Jackton:   Ein   Fall   von  Blasenscbeidenfistel. 

Pat.  hatte  Tier  Mal  geboren.     Ihre   ersten  drei  Niederkünfte 
erfolgten    leicht    und    regelmässig.     Bei    ihrer   vierten    mnssten 
Instrumente  in  Anwendung  kommen,   ohne  jedoch  die  Geburt  zu 
Ende  zn  führen,   die  im  Verlaufe   des  dritten  Tages  spontan  er- 
folgte.   Pat.  lag  sechs  Wochen   lang  krank  und  litt  seit  dieser 
Zeit   an  Harnträufeln.     Die    drei   Monate   spute r  vorgenommene 
Untersuchung  zeigte  eine  längliche  Fistel,  deren  längster  Durch- 
messer über  V4  Zoll  war  und  von  einer  Falte  der  Scheiden  wand 
verdeckt  wnrde.    Am  5.  Juni   wurde   unter  leichter  Cbloroform- 
narkose  die   Operation   nach   Brownes  Methode   ausgeführt.     Die 
wundgemachten  Ränder  wurden   durch  vier  Eisendrälite  geheftet, 
welche  durch  kleinere  Klammern  befestigt  wurden.    Die  Operation 
dauerte  etwas  über   eine  Stunde  und  war  nur  von  einer  leichten 
Blutung  begleitet.    Pat.   wurde    hierauf  in 's  Bett  gebracht,    auf 
die    Seite    gelegt    und    ihr    alle    vier    Stunden    1    Gran    Opium, 
ausserdem    auch    etwas    Fleischbrühe,    gelegentlich    auch    Wein 
verabreicht.    Einige  Stunden   später   zeigte  sich,   dass  aus   dem 
elastischen  Katheter,  welcher  in  die  Blase  eingelegt  worden  war, 
eine   beträchtliche  Menge   reines  Blut  abfloss.    Dies  währte  zwei 
Tage  hindurch,  und  erst  mit  dem  vierten  Tage   erschien  klarer 
Urin,  gleichseitig  auch  aus  der  Scheide  reichlicher  Schleim,  der 
mit  Urin  vermengt  war.    Am  zehnten  Tage  wurden  die  Klammern 
entfernt;    die  Vereinigung  war   nicht  gelungen.     Am  30.  August 
wurde  die  Operation  in  derselben  Weise  wiederholt.     Ks  trat  an 
den  folgenden  Tagen  Erbrechen  ein,  jedoch  kein  Blutfluss.     Die 
Klammern  wurden  am  achten  Tage  entfernt,  wobei  sich  die  eine 
verschoben  zeigte,   an  welcher  Stelle  auch  die  Vereinigung,    die 
an    den    übrigen    gelungen  war,    fehlte.     Es  wurde    deshalb    am 
9.  November  von  Neuem  operirt,   und  die  Ränder  mittels  zweier 
Silberdrähte  vereinigt,  worauf  mit  dem  zehnten  Tage  eine  voll- 
kommene Vereinigung  eingetreten  war. 

(The  Lancet,  Vol.  I.,  No.  24,  1861.) 


Demarquai:  Hypertrophische  Verlängerung  der  Portio 
vaginalis,  mit  gleichzeitigem  Bestehen  eines  Fi- 
broides. 

Die  50jHhrige  Kranke   hatte  vier  Mal   geboren.     Schon  nach 
ihrer  ersten  Niederkunft,  wie  sie  angiebt,  in  Folge  eines  falschen 


378  XX.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

Trittes,  zeigte  sich  in  der  8  ch  um  spalte  eine  Geschwulst,  die 
eine  herbeigerufene  Hebamme  durch  verschiedene  Mutterkränze, 
jedoch  ohne  Erfolg,  zurückzuhalten  ve rauchte.  Vor  nunmehr 
zwei  Jahren  stellten  sich  Unregelmässigkeiten  in  der  Menstruation 
ein,  die,  anfangs  als  einfache  Menorrhagie  auftretend,  bald  in 
continuirliche  Hämorrhagie  überging  und  Put.  auf  das  Höchste 
schwächte.  Gleichzeitig  traten  Schmerzen  in  den  Schenkeln  und 
Lenden  auf;  das  Gehen  wurde  immer  beschwerlicher.  Ein  hinzn- 
ge  rufen  er  Arzt  suchte  den  vermeintlichen  vorgefallenen  Uterus 
durch  ein  eiförmiges,  dickes  Pessarium  zurückzuhalten.  Es 
gelang,  die  zwischen  den  äusseren  Schamtheilen  sichtbare  Portio 
vaginalis  zurückzubringen;  die  Blutungen  wurden  geringer  und 
Hessen  ganz  nach.  Am  folgenden  Tage  jedoch  zeigten  sich 
heftige  Schmerzen  in  den  beiden  Hypogastrien,  die  fast  un- 
erträglich wurden.  Gleichzeitig  auftretende  Störung  in  den 
Verdauungsorganen  schwächten  die  Kranke  noch  mehr.  Das 
Pessarium  blieb  sechs  Wochen  liegen,  wurde  dann  wegen  Zu* 
nähme  dej  Schmerzen  entfernt,  worauf  Pat.  in  die  Maison  de  sante 
eintrat.  Hier  zeigte  der  Status  praesens  Folgendes:  Die  Kranke 
ist  ausserordentlich  erschöpft;  in  der  Scheide  zeigte  sich  ein 
länglicher  Tumor  von  konischer  Gestalt  t  dessen  Basis  sich  ohne 
Grenze  in  die  Scheiden  wände  fortsetzt.  An  seiner  unteren  Spitze 
ist  er  gespalten  und  in  eine  vordere  und  hintere  Lippe  getheilt, 
welche  lebhaft  geröthet,  jedoch  nicht  ulcerirt  sind.  Beim  Auf- 
rechtstehen der  Frau  ragt  dieser  Theil  2  Centimeter  weit  zur 
Scheide  heraus.  Die  transversale  Oefihung  ist  der  äussere 
Muttermund,  dessen  Ränder  ausserordentlich  dehnbar  sind  und 
den  Finger  leicht  bis  zum  inneren  Muttermunde  vordringen  lassen, 
hinter  dem  ein  rundlicher,  mit  der  hinteren  Gebärmutterwand 
verbundener  Körper  gefühlt  wird,  der  die  Grösse  einer  kleinen 
Orange  besitzt.  Die  Höhle  des  Uterus  mit  der  Sonde  gemessen 
beträgt  an  Länge  vorn  inneren  Muttermunde  an  18  Centimeter; 
der  Scheidentheil  ist  an  seiner  hinteren  Wand  9  Centimeter,  an 
seiner  vorderen  7  Centimeter  lang. 

Demarguay  stellte  demgemäss  die  Diagnose  auf  Hypertrophie 
der  Portio  vagin.  mit  Complication  eines  der  hinteren  Gebär- 
mutter wand  angehörigen  Fibroides. 

Da  eine  Operation  wegen  Schwäche  der  Kranken  nicht  zu« 
lässig  war,  Pat.  jedoch  dringend  von  ihren  Leiden  befreit  zu 
sein  wünschte,  so  wurde  der  unterste  Theil  der  Portio  vagin.  in 
einer  Ausdehnung  von  l1/,  Centimeter  mit  dem  Glüheisen  gebrannt. 
Nach  einem  kurzdauernden  Nachlasse  der  Schmerzen  traten 
dieselben  von  Neuem  auf,  hierzu  gesellte  sich  heftiges  Fieber 
und  Entzündung  der  Parotis,  so  dass  die  Kranke  unter  Zunahme 
gedachter  Symptome  wenige  Wochen  nach  ihrer  Aufnahme  erlag. 
(Gazette  des  h6p.,  No.  94,  1861.) 


XX.    Notisen  ans  der  Journal- Literatur.  379 

G.  Broun:  Ueber  Hydatiden-Degeneration  der  Chorion» 
sotten  als  Ursache  des  Abortus. 

Von  der  Entwickelung  des  Chorion  ausgehend,  hebt  Verf. 
Folgendes  hervor.  Die  Epithelialschicht  der  Zotten  eilt  sehr 
häufig  der  Bindegewebsschichte  im  Wachsthum  voran.  Besonders 
in  früheren  Perioden  zeigen  alle  Zotten  sahireiche  seitliche  und 
ondsUtndige ,  verschiedenartig  geformte  kleine  Auswüchse  und 
Nebenanhänge,  welche  vom  Epithel  ausgehen  und  meist  aus 
einer  feingranulirten  Masse  mit  vielen  Kernen  bestehen.  In  die- 
selben wuchst  dann  erst  das  Bindegewebe  mit  den  Gefassen 
herein. 

Bei  Ansammlung  von  seröser  Flüssigkeit  in  ihrem  Parenchym 
schwellen  die  Zotten  mit  jenen  Ausläufern  derart  an,  dass  sie 
Aggregate  von  wasserhellen,  durch  Fäden  lose  zusammen- 
gehaltenen Blasen  bilden  —  Hydatidenmolen.  Zu  einer  solchen 
hydropischen  Entartung  kommt  es  schon  im  sweiten  und  dritten 
Monate.  Durch  Hineinwachsen  der  Zotten  in  die  Amnionhöhle 
wird  dann  suweilen  vollständige ,  meist  wenigstens  theilweise 
Resorption  des  Embryo  und  selbst  des  Nabelstranges  eingeleitet. 

Die  Hydatidenmole  bietet  die  Möglichkeit  einer  Verwechselung 
mit  Placenta  praevia,  mit  Carcinom  und  Cancroid  der  Vaginal- 
portion, mit  Polypen,  mit  Blutgerinnseln.  Von  den  bekannten 
diagnostischen  Momenten  betont  Verf.  namentlich  den  Nachweis 
von  Hydatidenbläschen  im  Cervix  und  die  Besichtigung"  der  ge- 
lösten. 

Die  Ausstossung  erfolgt  meist  erst  naeh  dem  vierten  bis 
fünften  Monate.  Bei  geringer  Blutung  kann  sie  der  Thätigkeft 
des  Uterus  und  der  Bauchpresse  überlassen  werden.  Bei  heftigeren 
Metrorrhagieen  und  geringer  Erweiterung  des  Muttermundes  räth 
Verf.  die  8cheidentamponade  mittels  einer  mit  kaltem  Wasser 
gefüllten  Kautschukblase,  —  bei  Fehlschlagen  diesee  Verfahrens 
oder  bei  Zurückbleiben  von  Resten  die  manuelle  Entfernung, 
nötigenfalls  unter  Chloroformnarkose. 

Im  Weiteren  ersählt  Verf,  einige  Fälle  von  Hydatidenmolen- 
schwangerschaft.  Im  ersten  wurde  nach  angeblich  dreimonatlicher 
Hcnwangerschaft  und  fünftägigem  profusem  Blutabgange  durch 
mittels  der  Tamponade  erregte  Wehen  ein  2  Pfund  schweres, 
traubenartiges  Convo^ut  gestielter  Bläschen  ausgestossen ,  in  dem 
sich  etwas  excentrisch  eine  mit  3 — 4  Drachmen  serumähnlicher 
Flüssigkeit  erfüllte  Höhle  mit  glatten  Wänden,  aber  ohne  Spur 
eines  Embryo,  fand.  Der  sweite  Fall  betrifft  den  nach  angeblich 
fünfmonatlicher  Schwangerschaftsdauer  unter  wenig  Blutabgang 
spontan  erfolgten  Abgang  einer  3'/t"  im  Durchmesser  haltenden 
Placenta  mit  fettig  entarteten  Cotyledonen,  deren  Fötalseite  im 
Centram  einen  hydropischen ,  l1/,"  langen  Strang  seigte,  an 
dessen  freiem  Ende   ein   gelber,   linsengrosser,    durch  eine  Ein- 


380  XX.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

schntirang  in  einen  kugeligen  und  einen  mit  kleinen  Wüteten 
besetzten  Theil  gesonderter  Körper  aufsass;  die  Chorionzotten 
waren  theils  fettig ,  theils  hydropisch  degenerirt,  —  hier  and  da 
war  es  schon  zu  kleinen  Kystenbildungen  gekommen.  Im  dritten 
Falle  Hessen  die  ans  der  Gebärmutter  einer  angeblich  im  sechsten 
Monate  schwangeren  Fran  nach  mehrtägiger  heftiger  Blutung 
manneil  entfernten  Eitheile  ein  balkenartiges  Fachwerk  mit 
grosseren  nnd  kleineren  Bläschen  von  Stecknadel-  bis  Haselnuss- 
grösse  erkennen,  —  von  einem  Embryo  oder  einer  Amnionhöhle 
war  nichts  zu  entdecken.  ♦ 

(Wiener  Med. -Halle,  III.  Jahrg.,  No.  1  u.  3.) 


MascKka:   Mittheilnng,   betreffend  das   Leben   der   Neu- 
geborenen ohne  Athmen. 

Auf  Grundlage  der  Beobachtung  zweier  Fälle,  in  denen  an 
neugeborenen  Kindern,,  ohne  dass  ein  Athem holen  stattgefunden 
hätte,  noch  nach  7,  resp.  23  8tnnden  Lebenszeichen  wahr- 
genommen wurden,  stellte  M.  in  dem  Aufsatze:  „Das  Leben  der 
Neugeborenen  ohne  Athmen"  (Prager  Vierteljahrschr. ,  43.  Bd.)  die 
Behauptung  auf ,  dass  Neugeborene  ohne  Respiration,  selbst  unter 
ungünstigen  Umständen,  eine  viel  längere  Zeit,  als  bis  dahin 
angenommen,  fortleben  können.  Die  gegenwärtige  Mittheilung 
betrifft  einen  ähnlichen  Fall,  der  ein  besonderes  Interesse  durch 
den  Umstand  erregt,  dass  das  reife,  ausgetragene  und  lebens- 
fähige Kind  nach  der  bestimmten  und  wiederholten  Angabe  der 
Mutter  ein  deutlich  hörbares,  mehrmaliges  Wimmern  vernehmen 
Hess,  ohne  dass  später  die  Obduction  nur  eine  Spur  von  statt- 
gehabtem Atomen  hätte  nachweisen  können. 

Die  Möglichkeit  des  Lebens  eines  Neugeborenen  ohne  Athmen 
für  schon  in  dem  obengenannten  Aufsatze  erwiesen  erachtend, 
erörtert  M.  die  Frage,  ob  es  überhaupt  anzunehmen,  dass  ein 
Kind  nach  der  Geburt  deutliche  Geräusche  und  Töne  vernehmen 
lassen  könne,  ohne  dass  in  den  (selbstverständlich  weder  durch 
Fäulniss,  noch  durch  pathologische  Processe  veränderten)  Lungen 
auch  nur  der  geringste  Luftgehalt  nachzuweisen  sei.  Zu  einer 
bejahenden  Antwort  hält  er  sich  zunächst  vom  Standpunkte  der 
Erfahrung  aus  für  berechtigt,  indem  er  ähnliche,  von  glaub- 
würdigen Beobachtern  angeführte  Fälle  zusammenstellt.  Sodann 
unternimmt  er  es,  diese  Berechtigung  durch  das-  Gewicht  theo- 
retischer Gründe  zu  verstärken. 

Die  Entstehung  wahrnehmbarer  Töne  und  Geräusche  ohne 
Eindringen  von  Luft  in  die  Lungen  erklärt  er  nach  Czermak 
durch  Verdichtung  nnd  Verdünnung  der  in  der  Mund-  und 
Rachenhöhle  enthaltenen  Luft  mit  gleichzeitiger  Bewegung  der 
Sprachorgane ,   wie  Lippen,    Zunge,   Backen,  —  ja  selbst  durch 


XX.    Notizen  aus  der  Journal* Literatur.  381 

Theilnahme  des  Kehlkopfes;  im  leUten  Falle  nimmt  er  an,  dass 
die  in  der  Mund-  nnd  Rechenhöhle  durch  Bewegungen  der  Lippen 
und  Backen  comprimirte  Luft  in  den  Kehlkopf  nnd  die  Luftröhre 
binabgearesst  wird,  ohne  jedoch  in  die  Lungen  einzudringen, 
und,  hei  Nachläse  des  Druckes  zurückströmend,  die  Stimmbänder, 
in  Schwingungen  versetzt. 

Die  Ursache  des  Nichteindringens  von  Luft  in  die  Lungen 
trots  des  Lebens  des  Kindes  findet  M.  in  mechanischen  Hinder- 
nissen (Bildungsfehler,  Verstopfung  der  Luftröhre  durch  relativ 
oder  absolut  fremde  Körper)  oder  in  Functionsunfähigkeit  der 
Inspirationsmuskeln,  welche  ihrerseits  wieder  durch  eine  nicht 
hinreichende  Entwickelung  der  betreffenden  Muskulatur  oder 
durch  eine  verminderte  Empfindlichkeit  der  sensitiven  Nerven 
überhaupt  nnd  der  respiratorischen  insbesondere  bedingt  sei. 
Die  Ursache  eines  solchen  Gesunkenseins  der  Nerventhätigkeit 
ist  oft  nicht  nachweisbar,  nicht  selten  jedoch  in  Erkrankungen 
des  Gehirnes,  besonders  in  Extravasaten  an  der  Basis,  aufsufinden. 
(Prager  Viertejjahrschr. ,  1.  Bd.,  1862.) 


Virchow:   Ueber  puerperale   diffuse  Metritis   und  Para- 
metritis. 

Als  eine  entschieden  glückliche  Bereicherung  der  medicinischen 
Terminologie  ist  die  von  V.  gewählte  Bezeichnung  „Parainetritis" 
für  gewisse,  hier  besprochene  pathologische  Processe  au  be- 
zeichnen, welche  in  der  die  Scheide  und  den  Gebärmutterhaltj 
seitlich  befestigenden  und  zugleich  die  Basis  der  breiten  Mutter- 
bänder bildenden  lockeren  Bindegewebs-  nnd  Fettmasse  verlaufen. 
Wie  man  sich  gewöhnt  hat,  die  Ausdrücke  Perimetritis,  Peri- 
cystitis  u.  s.  w.  für  Entzündungen  des  freien  Uebersngs  der 
betreffenden  Organe  zu  gebrauchen,  so  soll  die  analoge  mit 
Ktfocr  (neben)  zusammengesetzte  Bezeichnung  für  denselben  Pro- 
cess  in  dem  in  der  anatomischen  Benennung  nicht  mit  inbegriffenen 
Zubehör  gelten. 

Der  Uterus  und  jenes  lockere,  die  Basis  der  breiten  Mutter- 
bänder bildende.  Gewebe  sind  sehr  häufig  der  Sitz  puerperaler 
Erkrankung,  welche  sich  zunächst  durch  Schmersbaftigkeit  bei 
Druck  von  aussen  wie  von  innen  kundgiebt,  oft  auch  mit  Puls- 
beschleunigung, Temperaturerhöhung,  AufregUDg,  Schlaflosigkeit 
und  anderen  febrilen  Erscheinungen  verbunden  ist.  Das  leidende 
Gewebe  ist  das  Bindegewebe,  —  zuweilen  ist  jedoch  auch  die 
Muskulatur  betheiligt.  Der  Process  folgt  den  Zügen  nnd  Bündeln 
des  Bindegewebes  in  der  Art,  dass  er  sich  hauptsächlich  in  den 
äusseren  Schichten,  an  4er  vorderen  und  hinteren  Wand  und  an 
den  Seitentheilen  des  Uterus  -ausbreitet,  sodann  das  lockere 
Bindegewebe  um  Mutterhals  und  Scheide   bcfHllt  und  von  da  auf 


382  XX.    Notizen  ans  der  Journal -Literatur. 

die  inneren  Theiie  der  breiten  Mutterbänder  und  die  Gefäas- 
scbeiden  übergeht.  Er  beginnt  mit  „trüber  Schwellung",  die 
sich  dem  geübten  Auge  durch  das  mehr  undurchsichtige,  trübe 
Aussehen  gewisser  Züge  und  Flecke  charakterisirt.  Zuweilen 
kann  man  auch  die  grössere  Derbheit  dieser  Stellen  fühlen.  Bei 
grösserer  Heftigkeit  des  Processes  nimmt  das  Gewebe  einen 
leicht  gallertartigen  Zustand  an.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung zeigt  die  Bindegew  ebskörper  vergrössert,  ihren  Inhalt 
dichter,  reichlicher,  zuweilen  deutlich  körnig,  den  Zellenkörper 
als  eine  trübe  Masse.  Bald  vergrössern  und  theilen«  sich  die 
Kerne.  Bei  nur  massiger  Reizung  theilen  sich  die  Zellen  selbst; 
zuweilen  findet  man  dann  an  Stelle  der  sonst  einfachen  Spindel- 
■  oder  Netzzellen  ganze  Reihen  kleinerer,  rundlicher ,  semmel- 
förmig  an  einander  gereihter  Granulationszellen.  Diese  ver- 
grösserten  oder  gewucherten  Elemente  unterliegen  sehr  früh  einer 
meist  unvollständigen  Fettmetamorphose. 

Durch  diese  einfachste  und  im  Wochenbette  wohl  sehr  häufige 
Form  kann  die  Rückbildung  des  Uterus  eine  Zeit  lang- aufgehalten, 
zuweilen  auch  die  Veranlassung  zu  ausgedehnterer  Thrombose 
gegeben  werden,  —  eine  vollständige  Rückbildung  wird  immerhin 
durch  die  Fettmetamorphose  der  Granulationszellen  im  Binde- 
gewebe ermöglicht. 

Die  Erkrankung  kann  jedoch,  namentlich  unter  epidemischen 
Einflüssen,  den  Charakter  einer  diffusen  Phlegmone  annehmen, 
und  diese  Form  ist  es,  welche  die  gefährlichsten  Puerperalfieber- 
erkrankungen  begleitet  und  bei  welcher  die  Lympbgefässe  so 
häufig  betheiligt  sind,  dass  bis  in  die  neueste  Zeit  deren  Er- 
krankung geradezu  als  das  Wesentliche  betrachtet  worden  ist. 
Die  hierbei  beobachtete  Erweiterung  der  Lymphgefdsse ,  ihre 
Erfüllung  mit  festen  oder  flüssigen  Massen  von  gelber,  'gelb- 
weisser,  selbst  puriformer  Beschaffenheit  hat  man  auf  eine 
Lymphangioms  bezogen.  -Nach  V.  dagegen  ist  dieser  Zustand 
als  Lymphthrombose  aufzufassen.  Diese  wird  nur  durch  die 
schlimmsten  Formen  der  Metritis  und  Parametritis  hervorgerufen; 
tritt  sie  aber  ein,  so  ist  dies  relativ  günstig,  indem  durch  das 
Aufhören  der  Strömung,  also  auch  der  Resorption,  und  durch 
die  Sequestration  der  schädlichen  Stoffe  der  Verbreitung  der 
Infection  vorgebeugt  wird.  Wo  es  zu  keiner  Bildung  von  Lymph- 
thromben kommt,  finden  sich  daher  gewöhnlich,  in  Folge  der 
Zuführung  eines  reizenden  Stoffes  von  dem  phlegmonösen  Heerde 
aus,  bedeutende  Veränderungen ,  besonders  der  nächsten  Lymph- 
drüsen. Derselbe  Stoff  kann  auch  weiterhin  in  die  Säfte masse 
übergehen,  fieberhafte  Zustände,  sowie  parenchymatöse  Ent- 
zündung der  Nieren  und  Leber  und  andere  Erkrankungen  ent- 
fernter Organe  bedingen.  Bei  entsprechender  Heftigkeit  des  ' 
örtlichen     phlegmonösen    Processes     kann     es     zu     einer    festen 


XX.    Notisen  aus  der  Journal -Literatur.  38ö 

diphtberitiseben  Degeneration,  an  einer  Art  von  brandiger  Kr* 
weichung,  ja  selbst  zu  einem  wirklich  fauligen  Zerfall  kommen. 
Die  besprochene  Reihe  von  Processen  bietet  durch  die  Art 
ihrer  Ausbreitung,  ihre  frühzeitige  Verbindung  mit  Erkrankung 
der  Lymphgefasse  und  Lymphdrüsen,  ihre  Neigung  zu  destrairenden 
Ausgängen  und  zu  Erzeugung  deletärer  Stoffe  eine  grosse  Aehn- 
lichkeit  mit  den  erysipelatösen  und  psendoerysipelatösen  Formen 
der  Haut  und  Unterhaut,  eine  Aehnlichkeit,  die  sich  auch  auf 
die  in  den  einzelnen  Fällen  bald  supponirten,  bald  nachweisbaren 
Ursachen  erstreckt. 

{Virchow't  Archiv,  Bd.  XXIII.,  Heft  3  u.  4.) 


Hummel:    Vernachlässigte   Querlage,    Decapitation    mit 
Braun1»   Schlüsselhaken. 

Bei  einer  Sechstgebärenden  stellten  sich,  angeblich  vier 
Wochen  an  früh,  Wehen  ein;  das*  Fruchtwasser  ging  alsbald  ab. 
Die  Hebamme,  eine  Steisslage  annehmend,  zog  erst  nach  zwei- 
tägigem Kreissen  einen  Geburtshelfer  hinzu,  welcher  das  Kind 
quergelagert  und  den  rechten  Arm  vorgefallen  fand.  Nach 
stundenlangen  vergeblichen  Versuchen  desselben,  die  Wendung 
auf  die  Fasse  auszuführen,  wurde  27.  zugezogen  —  60  Stunden 
nach  Abflus8  des  Fruchtwassers.  Dieser  fand  die  Kreissende 
sehr  erschöpft,  die  rechte  Schulter  des  längst  todten  Fötus  tief 
in  das  Becken  herabgepresst,  den  rechten  bereits  schwarzblauen 
und  angeschwollenen  Arm  bis  zum  Ellenbogen  aus  dem  Scheiden- 
munde hervorhängend,  den  Muttermund  verstrichen,'  den  Uterus 
kraftig  um  die  Frucht  contrahirt.  Nachdem  die  Kreissende  auf 
das  Querbett  gebracht,  ging  H.  mit  der  linken  Hand  ein,  fand 
den  Kopf  nach  links  und  rückwärts  gekehrt,  nmfasste  den  Hals 
mit  den  Fingern  nach  vorn  zu  und  setzte  den  Schlüsselhaken 
unter  Leitung  jener  Hand  an.  Nach  einigen  Drehungen  war  die 
Decapitation  vollständig  gelungen,  worauf  der  Rumpf  am  vor- 
liegenden Arme  ausgezogen  wurde,  —  der  Kopf  Hess  sich  dann« 
leicht  an  den  Halswirbeln  fassen  und  entfernen. 

Die  Operation  soll  kaum  drei  Minuten  gedauert  und  der 
nicht  narkotisirten  Frau  kaum  irgend  erhebliche  Beschwerden 
verursacht  haben.  Das  Wochenbett  verlief  günstig.  Der  Fötus 
hatte  19"  Zoll  Länge  und  trug  die  Merkmale  der  frühzeitigen 
Geburt  und  der  Verwesung. 

(Wiener  Med. -Halle,  III.  Jahrgang,  No.  7.) 


384  XX.    Notizen  aas  der  Journal -Literatur. 

Peschko:  Kaiserschnitt  wegen  Anomalie  des  Beckens. 

P.  wurde  wegen  v  hochgradiger  Beckenverbildung  zu  einer 
kreissenden  26 jährigen  Nähterin  berufen,  welche  bis  zum  siebenten 
Jahre  an  Rachitis  und  im  neunten  Jahre  an  einem  acuten  Gelenk- 
rheumatismus gelitten  hatte,  seither  jedoch  immer  gesund  gewesen 
war.  Er  fand  sie  gut  genährt  und  von  gesundem  Aussehen,  ihre 
Körperg  rosse  44",  den  Stamm  viel  kleiner  als  gewöhnlich,  jedoch 
wohlgebildet,  keine  Verkrümmung  der  Wirbelsäule  ausser  Abplattung 
der  Kreuzbeingegend;  —  über  die  unteren  Extremitäten  wird  nur 
bemerkt,  dass  die  Füsse  kurz,  dick,  fleischig  waren.  Das  Becken 
war  seicht,  und  statt  der  Aushöhlung  des  Kreuzbeins  fand  sich 
eine  halbkugelförmige,  harte,  unbewegliche  und  glatte  Hervor- 
ragung von  der  Grösse  eines  Kindeskopfes;  der  gerade  Durchmesser 
zwischen  derselben  und  den  Schambeinen  betrug  kaum  l'/s".  Die 
äussere  Untersuchung  Hess  ein  reifes,  lebendes  Kind  erkennen. 

Drei  Tage  nach  dem  Beginne  der  Wehen  wurde  bei  noch 
stehenden  Wässern  und  in  der  Narkose  zum  Kaiserschnitt  ge- 
schritten. Nachdem  1"  unter  dem  Nabel  und  l1/,"  Zoll  über  der 
Symphyse  die  Enden  des  Hautschnittes  markirt  waren,  wurde  die 
Bauchhaut  in  eine  Querfalte  aufgehoben,  so  dass  jene  Punkte 
einander  gegenüber  standen,. darauf  ein  spitziges  Bistouri  von  dem 
unteren  zum  oberen  durchgestossen ,  und  die  Hautfalte  nach  vor- 
wärts getrennt  Die  Bauchhöhle  wurde  in  der  Art  eröffnet,  dass  am 
oberen  Wundwinkel  vorsichtig  bis  auf  das  Bauchfell  eingeschnitten 
und  dieser  Schnitt  auf  der  Hohlsonde  erweitert  wurde,  worauf  unter 
Leitung  des  Zeige-  und  Mittelfingers  die  Trennung  bis  zum  unteren 
Wund winkel v  vorgenommen  ward.  In  paralleler  Richtung  wurde 
sodann  mit  einem  bauchigen  Bistouri  der  Uterus  eingeschnitten 
und  die  Eihäute  gesprengt.  Das  Kind  wurde  leicht  entwickelt,  die 
massige  Blutung  durch  in  kaltes  Wasser  getauchte  Schwämme  ge- 
stillt; die  Gebärmutter  zog  sich  nach  Entfernung  der  Nachgeburt 
kräftig  zusammen.  Eine  darauf  vorgefallene  Darmpartie  wurde 
leicht  zurückgebracht,  die  Bauchwunde  mit  drei  Knopfnähten  ge- 
heftet und  darüber  zwei  drei  Finger  breite,  um  den  Körper  gehende 
Heftpflasterstreifen  angelegt.  Der  untere,  mit  Charpie  belegte 
Wundwinkel  blieb  frei.  Zu  beiden  Seiten  der  Wunde  wurden  Com- 
pressen  aufgelegt  und  mit  einer  Leibbinde  befestigt. 

Die  Reaction  war  eine  verhältnissmässig  nicht  bedeutende. 
Am  neunten  Tage  nach  der  Operation  wurden  die  Nähte  entfernt. 
Binnen  vier  Wochen  war  die  Wunde  unter  Zurücklassung  einer 
gegen  2'"  breiten,  etwas  vertieften  Narbe  geheilt.  Das  Kind, 
welches  schon  zwei  Tage  nach  der  Operation  angelegt  wurde,  war 
18"  lang,  gut  genährt  und  durchaus  wohlgebildet. 

(Wiener  med.  Woohenschr.,  XII.  Jahrg  ,  No.  9  u.  10.) 


XXI.    Literatur.  385 

XXL 
Literatur. 


Klinik  der  Gebart skunde.  Beobachtungen  und  Unter- 
suchungen aus  der  Gebäranstalt  zu  München  von 
Dr.  C.  Hecker,  o.  Ö.  Professor  der  Geburtskunde,  und 
Dr.  L.  Buhlj  o.  ö.  Professor  der  patholog.  Anatomie 
an  dor  Ludwig- Maximilians  -  Universität  daselbst. 
Leipzig,  Verlag  von  Wilhelm  Engelmann,  186].  342  Pag.  mit 
9  lithographirten  Tafeln. 

Dieses  gute  Buch*  sei  hie/durch  den  Collegen  auf  das 
Beste  empfohlen.  £s  ist  die  dankenswerthe  Arbeit  zweier  Männer, 
die  mit  vortrefflicher  Beobachtungsgabe  ausgestattet,  einen  ganz 
ausserordentlichen  Fleiss  darauf  verwendet  haben,  das  in  der 
Münchener  Gebäranstalt  in  der  Zeit  vom  1.  Juni  1859  bis  ult. 
September  1860  gebotene  Material  (1584  Geburten)  sowohl  in 
physiologischer  und  klinischer,  als  auch  in  pathologisch  anato- 
mischer Besiehung  auszunutzen.  Das  Zusammengehen  eines 
Klinikers  mit  einem  Lehrer  der  pathologischen  Anatomie  für  die 
Bearbeitung  eines  so  grossen  Materials,  ist  an  sich  schon  ein 
Eraigniss,  aus  welchem  sich  der  grösste  Gewinn  für  die  Wissen- 
schaft erhoffen  lässt.  Als  ein  ganz  besonders  glücklicher  Umstand 
aber  ist  es  an  begrüesen,  dass  gerade  Hecket  und  Buhl  sich  zu 
gemeinschaftlicher  Arbeit  gefunden  und  verbunden  haben,  Männer, 
von  denen  es  bekannt  ist,  dass  sie  in  seltenem  Maasse  Lust 
und  Sinn  besitzen,  sich  den  schwierigsten  und  mühevollsten 
Detailforschungen  hinzugeben.  Die  Forschungen  haben  sich 
über  das  ganze  Geschlechtsleben  des  Weibes  und  über  das  ge- 
sunde und  kranke  Verhalten  der  Neugeborenen  erstreckt.  Keines 
der  wichtigeren  Kapitel  unserer .  Fachwissenschaft  ist  in  dem 
Buche  anbesprochen,  mit  besonderer  Ausführlichkeit  aber  sind 
Gegenstande,  welche  den  herrschenden  Tages  fragen  angehören, 
behandelt.  Das  Buch  bildet  gleichsam  eine  Reihe  guter  Ab- 
handlungen, deren  jede  einzelne  interessant  und  belehrend  ist. 
Bald  finden  wir  eine  Fülle  neuer  Thatsachen,  aus  denen  sich 
ein  bisher  unbekanntes  Gesetz  ergiebt,  —  bald  finden  wir  für 
bekannte  Thatsachen  eine  neue  Erklärung,  —  bald  wieder 
Material,  welches  wir  nach  dem  jetzigen  Standpunkte  der  Wissen- 
schaft noch  nicht  verwerthen  können,  welches  aber  die  Verfasser 
als  Ausgangspunkt  und  Vorarbeit  für  künftige  Forschungen  nieder- 
gelegt haben.  Dabei  ist  die  Sprache  durchweg  klar,  nüchtern, 
fern  von  jader  Phrase  und  streng  gestützt  auf  den  Beweis  der 
Thatsache.  Gehen  wir  an  die  Analyse  des  Buches. 
MonatMchr.  f.  Geburtak.  1862.  Bd.  XIX.,  Hfl.  5.  25 


3£6  XXI.    Literatur. 

Das  Bach  besteht  aus  einem  geburtshülflich- klinischen  Theil, 
«bearbeitet  von  Hecker  y  and  aas  einem  pathologisch -anatomischen 
Theil,  bearbeitet  von  Buhl. 

Der  klinische  Theil 
ist   eingeleitet  durch   eine  allgemeine   Statistik  und   ein   Kapitel 
über    den  Eintritt   der    ersten  Menstruation.     Sodann    folgt  .der 
erste  Hauptabschnitt: 
A.    Physiologie  der  Schwangerschaft 

Veränderungen  im  Körpergewichte  Schwangerer. 
Dieses  Kapitel  bringt  nur  die  Resultate  aus  den  sehr  sorgfältigen 
Untersuchungen,  welche  der  Assistenzarzt  der  Münchener  Gebär- 
anstalt, Herr  Dr.  U.  K.  Gaasner,  angestellt  hat.  Diese  Unter- 
suchungen, welche  sich  auch  auf  die  Veränderungen  bei  Ge- 
bärenden und  Wöchnerinnen  erstrecken,  sind  inzwischen  von 
Herrn  Dr.  Gassner  in  der  Monatsschrift  für  Geburtskuade,  Bd.  XIX., 
Heftl,  veröffentlicht  worden,  und  wir  machen  wegen  der  hohen 
Wichtigkeit  des  Gegenstandes  und  wegen  des  mühsamen  Fleisses, 
der  darauf  angewandt  worden  ist,  auf  diese  Arbeit  ganz  besonders 
aufmerksam.  Aus  den  Wägungen  Schwangerer  ergiebt  sieh  für 
die  letzten  drei  Monate  eine  nicht  unbedeutende  Gewichts- 
zunahme, welche  natürlich  in  dem  Wachsthume  der  Fracht  allein 
ihren  Grund  nicht  linden  kann.  Die  Durchschnittszahl  für  die 
Gewichtszunahme  betrug  im  achten  Monate  4,8  Pfund,  im  neunten 
Monate  3,38  Pfund  und  für  den  zehnten  Monat  3,08  Pfund. 

Veränderungen  in  dem  Umfange  des  Leibes 
Schwangerer.  Hecker  hat  hierüber  sehr  sorgfältige  Messungen 
angestellt.  Diese  ergeben  bei  den  verschiedenen  Individuen 
natürlich  sehr  grosse  Schwankungen,  z.  B.  im  neunten  Monate 
zwischen  89  — 112  Centimeter,  im  zehnten  Monate  88  —  116,  während 
der  Geburt  zwischen  90 — 116  Centimeter.  Oeftere  Messungen 
bei  einer  und  derselben  Person  ergaben,  dass  die  Gircumferenz 
des  Leibes  bis  zur  Geburt  in  der  Regel  gleichmässig  zunimmt, 
und  dass  die  Zunahme  für  den  letzten  Monat  ungefähr  3 — 4,  für 
die  beiden  letzten  Monate  7 —  8  Centimeter  beträgt.  Seine 
Messungen  im  zehnten  Monate  hält  Verf.  für  zahlreich  genug, 
um  die  Aufstellung  einer  Durchschnittszahl,  nämlich  von  100  Centi- 
meter zuzulassen.  Der  durchschnittliche  Umfang  bei  Primiparis 
im  zehnten  Monate  beträgt  nur  97  Centimeter. 

Beschaffenheit  der  Bauch  wand  ung^n.  Die  Ansicht, 
dass  die  Festigkeit,  Straffheit,  Dicke  u.  s.  w.  der  Bauchwandungen 
sich  mit  der  Zahl  der  abgelaufenen  Schwangerschaften  verhältniss- 
mässig  vermindere,  hat  Verf.  nur  sehr  im  Allgemeinen  richtig 
gefunden,  da  ihm  sehr  viele  Ausnahmen  von  dieser  Regel  vor- 
gekommen sind.  Die  Striae  gravidarum  fehlten  in  6,6  Procent 
der  Fälle  (nach  Crede  in  10  Procent).  Unter  den  Primiparis 
fehlten  sie  in  11  Procent.     Verf.  macht   auf  eine  Art  eigenthüun- 


XXI.    Literatur.  387 

.lieber  Stria«  aufmerksam,  welche  nicht  in  oder  unter  dem  Niveau 
der  Haut,  sondern  über  demselben  liegen,  und  hervorragend 
wie  hydropiaeh  angeschwollen  erseheinen.  Dies  Phänomen  nimmt 
man  nur  in  der  Regio  hypogastrica  and  zwar  dann  wahr,  wenn 
dnreh  irgend  einen  Umstand,  besonders  durch  Ueb erhängen  des 
Unterleibes  ein  ungewöhnlicher  Druck  auf  die  Vena  epigastrica 
ausgeübt  wird. 

Lage  der  Frucht  im  Uterus.  Verf.  hat  die  Erfahrung 
gemacht,  dass  die  Frucht  längere  Zeit  vor  dem  Ende  der 
Schwangerschaft  durchaus  nicht  so  stetig  mit  dem  Kopfe  nach 
unten  gelagert  ist,  als  angenommen  wird,  und  dass  ziemlich 
häufig  Wandlungen  in  der  Fruchtlage  und  zwar  ebensowohl 
Drehungen  um  die  Queraxe  als  um  die  Längsaxe  vorkommen. 
Die  Längsaxe  dee  Kindes  und  des  Uterus  schnitten  -  sich  unter 
500  Fällen  31  Mal.  Unter  diesen  31  Fällen  ist  nur  ia  2  Fällen 
die  ursprüngliche  Lage  bei  der  Geburt  beibehalten  worden  und 
in  Form  einer  Schulterlage  aufgetreten,  in  den  29  übrigen  Fällen 
bildete  sich  Kopflage.  Neben  diesen  spontanen  Wandlungen  kin 
der  Fruchtlage  hat  sich  dem  Verf.  sehr  oft  die  Leichtigkeit  der 
künstlichen  Wandlung  durch  äussere  Handgriffe  herausgestellt. 
Er  bat  sich  mehrfach  überzeugt,  dass  es  sehr  leicht  ist,  den 
Kopf  sowohl  nach  dem  Beckeneingange  als  auch  weiter  aufwärts 
selbst  über  die  Queraxe  des  Uterus  hinaus  zu  verschieben,  nach 
welcher  Manipulation  der  Kopf  gewöhnlich  ziemlich  schnell  auf 
seine  alte  Stelle  zurückgleitet.  Ebenso  gelingt  es  bei  Becken- 
endlagen oft  überraschend  leicht,  den  Kopf  vom  Fundus  hinweg 
nach  unten  und  zwar  wieder  über  die  Queraxe  des  Uterus  hinaus 
zu  dislociren,  worauf  man  ihn  langsam  wieder  aufsteigen  fühlt, 
oder  selbst  durch  die  Bauchwandungen  hindurch  an  seinen 
Ccntouren  diese  Bewegung  mit  dem  Gesicht  erkennt.  Bei  sorg- 
fältiger Verfolgung  derartiger  Fälle  beobachtete  Verf.,  dass  in 
der  grösseren  Mehrzahl  das  Kind  in  einer  Beckenendlage  geboren 
wurde  r  dass  aber  ausnahmsweise  bei  der  Geburt  der  Kopf  den 
vorangehenden  Theil  bildete,  ja  znweilen  einige  Zeit  vorher 
schon  als  vorliegend  erkannt  werden  konnte.  Verf.  verwahrt 
sich  ausdrücklich  gegen  den  Einwand  einer  Fälschung  in  der 
Beobachtung,  da  die  Anwendung  aller  Untersuchungsmethoden, 
die  Häufigkeit  der  Thatsac'hen ,  endlich  der  genaueste  Vergleich 
der  Ergebnisse  während  der  Schwangerschaft  mit  den  Er- 
scheinungen während  der  Geburt  ihn  von  der- Wahrheit  überzeugt 
haben.  Um  jedem  Widerspruche  vorzubeugen K  giebtVerf.  endlich 
eine  Tabelle  von  15  sehr  genau  controlirten  Fällen,  in  denen 
eine  Umdrehung  der  Frucht  im  Uterus  um  die  Längsaxe  oder 
um  die  Queraxe  stattgefunden  hat. 

•Ergebnisse  der  Auseultation.  Die  Untersuchungs- 
methode   mittels   des   Stethoskops   ist   dem  Behorchen   mit   dem 

26* 


388  XXI      Literatur. 

blossen  Obre  vorsusiehen.  Entgegen  der  Behauptung  Franken- 
häuser7»  hält  sieh  Verf.  auf  das  Bestimmteste  für  überzeugt,  das« 
mitunter  bei  lebenden  Kindern  die  Herstöne  desselben  in  den 
letzten  Monaten  der  Schwangerschaft  nicht  aufzufinden  sind.  — 
Die  Stelle,  wo  die  Herztöne  am  Deutlichsten  gehört  werden, 
zeigt  uns  nur  an,  wo  der  Rücken  der  Frucht  sich  befindet,  ob 
aber  der  Kopf  oder  das  Beckenende  vorliegt,  kann  man  mit 
Sicherheit  aus  der  Stelle  nicht  entnehmen.  —  Aus  der  Zahl  der 
Herztöne  kann  man  auf  das  Geschlecht  des  Kindes  keinen  Schluss 
thun.  —  Das  sogenannte  Nabelschnurgerttusch  wird  am  Besten 
wahrgenommen  in  der  Nähe  der  deutliehsten  Kindesherstöne. 
Dasselbe  ist  entschieden  systolisch  und  ▼erhält  sich  au  den 
Herztönen  der  Frucht,  wie  die  Aortenpulsation  oder  das  Uterin- 
geräusch zu  den  mütterlichen  Herztönen;  es  ist  sehr  wandelbar, 
verschwindet  mitunter  und  kehrt  nach  einigen  Tagen  wieder.  — 
Die  Angaben  Frankenhäuser' e ,  dass  es  häufiger  bei  Becken- 
endlagen vorkomme,  und  dass  es  nach  dem  Wasserabflüsse  ver- 
schwinde, kann  Verf.  nicht  bestätigen. 

Beschaffenheit  der  Brüste.  Verf.  ist  der  Ansicht,  dass 
man  aus  dem  Vorhandensein  der  sogenannten  Montgomery' sehen 
Drüschen  nicht  mit  zweifelloser  Sicherheit  anf  Gravidität  schliessen 
kann,  da  sie  zuweilen  nach  einer  stattgehabten  Geburt  sehr  lange 
persistiren,  und  wir  überhaupt  über  Art  und  Zeit  ihrer  Kuck- 
bildung noch  sehr  im  Unklaren  sind,  so  dass  sie  sich  eben  nur 
bei  Erstgeschwängerten  als  Zeichen  des  Zustandes  verwerthen 
lassen.  y 

Dauer  der  Schwangerschaft.  Verf.  giebt  eine  Tabelle 
von  109  Geburten,  bei  dene/i  sich  der  Termin  der  Conception 
und  das  Datum  der  letzten  Menstruation  soweit  ermitteln  Hessen, 
dass  die  Fälle  nach  des  Verf.  sehr  sorgfältiger  Kritik  für  die 
Berechnung  der  Schwangerschaftsdauer  als  brauchbar  aufgestellt 
werden  können.  Bei  der  grossen  Excursion  in  den  gefundenen 
Zahlen  und  bei  der  Concurrenz  der  verschiedenen  auf  die  Be- 
endigung der  Schwangerschaft  influirenden  Momente  müssen  wir 
auf  die  Tabelle  selbst  verweisen. 

Untersuchungen  über  die  menschliche  Frucht.  Dies 
Kapitel  enthält  die  Resultate  von  sorgfältigen  Wägungen  und 
Messungen  von  Neugeborenen,  Bemerkungen  über  die  Nabelschnur- 
insertion,  den  Knochenkern  in  der  Oberschenkelepiphyse  und 
über  die  Anhänge  der  reifen  Frucht.  Hiermit  schliesst  der  Ab- 
schnitt von  der  Physiologie  der  Schwangerschaft. 
B.    Physiologie  der  Geburt. 

Verf.  beginnt  mit  einer  Klage  über  die  mangelnde 
Einigkeit  in  Deutschland  betreffs  der  Eintheilung  •  der 
Kindeslngen.      Er    lehrt    zwei    Knndamentallagen    und    zwar    bei 


XXI.    Literatur.  389 

Geradlagen,  je  nachdem  der  Rücken  sich  link*  oder  rechts  befindet, 
nnd  bei  Schieflagen,  je  nachdem  der  Kopf  links  oder  rechts 
abgewichen  ist. 

Die  Vorderscheitellagen  entstehen  nach  des  Verfassers 
Ansicht  in  den  allermeisten  Fällen  durch  ein  Aasbleiben  der 
Rotation  des  Hinterhauptes  nach  vorn.  Grund  dafür  ist:  das 
Fehlen  des  gewöhnlichen  Hindernisses.  Verf.  beweist  dies  durch 
33  genau  beobachtete  FKlle.  Pas  Durchschnittsgewicht  bei 
28  Kindern  war  5,6  Pfund,  also  1  Pfund  unter  Normalgewicht.  — 
Der  durchschnittliche  Kopfumfang  betrug  bei  26  Kindern  32,67  Conti- 
meter,  also  2  Centimeter  unter  Normalumfang.  Die  Schädel- 
durchmesser waren  in  25  Fallen  durchschnittlich:  der  diagonale 
nm  5,  der  gerade  um  6,  der  quere  um  3  Millimeter  unter  Norm. 
Also,  wie  schon  Andere  beobachtet,  nur  nicht  so  klar  bewiesen 
haben:  kleine  runde  SchHdel  passiren  hänfig  das  Becken  in  diesem 
ungewöhnlichen  Mechanismus. 

Gesichtslagon.  In  vier  Fällen  ist  kurze  Zeit  vor  der 
Geburt  das  Scheidengewölbe  leer  gefanden  worden,  welcher  Um- 
stand die  Theorie  ScanzonVs  unterstützt,  dass  Gesicbtslagen  aus 
der  unvollkommenen  Umwandlung  von  Schieflagen  in  Schädellagen 
hervorgehen.  Die  Messungen  und  Wägungen  an  zwanzig  Kindern 
haben  ergeben,  dass  das  Durchschnittsgewicht  etwa  100  Grammen 
über  Norm,  der  Durchschnitts  -Kopfurofang  1,07  Centimeter 
über  Norm  und  dio  diagonalen,  geraden  und  queren*  Schädel- 
dnrehmesser  durchschnittlich  nm  resp.  1 ,  6  und  5  Millimeter 
über  die  Norm  waren.  Fs  ist  hierdurch  wieder  bestätigt,  dass 
Oesichtslagen  meist  bei  reifen  nnd  grossen  Kindern  vorkommen. 
Verf.  macht  auf  eine  Anschwellung  der  Glandula  thyreoidea  auf- 
merksam, die  ihm  besonders  bei  Kindern,  die  in  der  Gesichtslage 
geboren,  wurden,  aufgefallen  ist,  die  er  aber  auch  bei  Scheitel- 
lagen beobachtet  hat. 

Beckenendlagen.  Verf.  macht  für  die  Diagnose  auf  ab- 
wärts gerichtete  stossende  Bewegungen  der  unteren  Extremitäten 
des  Kindes  aufmerksam,  welche  der  untersuchende  Finger  bei 
durchgängigem  innerem  Muttermunde  wahrnimmt. 

Verf.  schliesst  den  Abschnitt  über  Geburt  mit  seinen  Er- 
fahrungen über  Zwillings geburten  und  weist  hierbei  auf 
eine  bei  den  verschiedenen  Bruderstäramen  des  deutschen  Vater- 
landes obwaltende  sehr  auffallende  Differenz  hin.  nämlich  betreffs 
der  Häufigkeit  der  Zwillings-  und  Drillingsgeburten.  Bayern 
ragt  hierin  besonders  hervor.  In  den  Jahren  1925 — 1857  kamen 
in  Bayern  auf  60  Geburten  eine  Zwillingsgeburt,  während  in 
Prcussen  auf  93-80  Geburten  eine  solche  kommt.  Bayern 
zunächst  steht  Mecklenburg -Schwerin  mit  einein  Verhältnisse 
von  69 :  1. 


390  XXI-    Literatur. 

C.  Physiologie  des  Wochenbettes. 

Hier  sind  zwei  Untersuchungsniethoden  hervorzuheben,  mit 
denen  sich  Verf.  vorzüglich  beschäftigt  hat.  Die  erste  bezieht  sich 
anf  die  Gewichtsveränderungen,  welche  bei  Gesunden  beobachtet 
werden.  In  288  Fällen  ist  der  Unterschied  festgestellt  worden 
zwischen  dem  Gewichte  gleich  nach  der  Gebnrt  und  am  achten 
Tage  des  Wochenbettes,  und  es  hat  sich  als  durchschnittliche 
Gewichtsabnahme  9,143  Pfund  oder  4571  Grammes  ergeben.  Nicht 
minder  war  man  bemüht,  festzustellen,  in  welcher  Weise  sich 
dieser  Gesammtverlnst  auf  die  einzelnen  Tage  des  Wochenbettes 
vertheilt. 

Eine  zweite  Untersuchungsmethode  hatte  den  Zweck,  die 
Involution  des  Uterus  durch  Maass  und  Gewicht  zu  controliren. 
Obwohl  nun  diese  Untersuchungen  sich  auf  Sectionsobjecte  und 
daher  nur  in  der  Minderzahl  der  Fälle  auf  gesunde  Organe  er- 
streckte, so  ist  die  in  einer  Tabelle  von  48  Beobachtungen  dar- 
gestellte Arbeit  doch  eine  sehr  dankenswerthe  nnd  bietet  für 
weitere  Forschungen  eine  sehr  schätzbare  Grundlage.  Heben 
wir  hier  nur  die  eine  Thataache  hervor,  dass  die  herkömmliche 
Angabe  über  das  Gewicht  des  Uterus  gleich  nach  der  Gebart 
von  1—  1%  Pfund  wahrscheinlich  zu  niedrig  gegriffen  ist,  und 
dass  eine  Gewichtsannahme  von  mindestens  2  Pfund  der  Wahr- 
heit gewiss  viel  näher  kommt. 

D.  Pathologie  der  Schwangerschaft  und  Geburt. 

Es  ist  sehr  interessant  zn  erfahren,  und  es  ist  darin  für 
viele  Beobachtungen  und  Behandlungsmethoden  des  Münchener 
Hauses  eine  Erklärung  zu  finden,  dass  H.  es  meist  mit  der 
kräftigen  robusten  Constitution  des  oberbayerischen  Volkes  zu 
thun  hat.  Grosse  Reizlosigkeit  der  Gebärorgane  und  überaus 
seltenes  Vorkommen  von  Wehenschwäche  bedingen  die  Seltenheit, 
in  welcher  Wehenanomalien  zur  Untersuchung  kommen.  •  Mutter- 
korn als  Pollens  kam  fast  gar  nicht  in  Anwendung.  Dagegen 
ist  die  geringe  Gelegenheit  wenigstens  zu  Versuchen  mit  örtlichen, 
mechanisch  die  Innenfläche  des  Uterus  reizenden  Mitteln  benutzt 
worden.  Verf.  fand,  dass  das  Einlegen  eines  Katheters  u.  s.  w. 
in  den  Uterus  nicht  immer  eine  so  sehr  leichte  Sache  sei, 
betrachtet  das  Mittel  als  sehr  schätzbar  zur  Bekämpfung  der 
Wehenschwäehe ,  namentlich  dann,  wenn  uns  die  phnrmaceutischen 
Mittel  in  Stich  fassen,  lässt  es  aber  dahingestellt,  ob  das  Mittel 
nicht  auch  seino  Nachtheile  haben  kann.  —  Aus  denselben 
Ursachen,  welche  beweisen,  dass  man  in  Oberbayern  seltener 
als  anderswo  ausgesprochene  Wehenanomalien  zn  sehen  bekommt, 
resnitirt  nach  i7.'s  Meinung  auch  die  Thatsche,  dass  hochgradige 
Beckenverengerangen  dort  zu  Lande  zu  den  grossen  Seltenheiten 
gehören.     Daher  kommt  es,   dass  H,  nur  über  20  Fälle  von  ver- 


XXI.    Literatur.  391 

minderte r  BeekencaptMttät  au  referiren  hat,  und  dass  unter  diesen 
eiea  nur  zwei  befinden,  bei  denen  der  gerade  Durchmesser  des 
Beokeneingangs  kleiner  als  8  Zoll  war. 

Was  den  Verlauf  und  die  Behandlung  dieser  Fälle  anbetrifft, 
so  giebt  uns  Verf.  die  Geschiehtseraählungen  mit  meisterhafter 
Naturtreue  und  knüpft  sehr  lehrreiche  Besprechungen  von  Tages- 
fragen daran ,  z.  B.  über  den  Werth  von  Instrumenten  au  innerer 
Beckenmessung  (vergl.  dagegen  Qermann,  über  innere  Becken- 
messung durch  zwei  neue  Instrumente,  Monatsschrift  f.  Gebnrtsk., 
XVIII.  Bd.,  Supplement -Heft,  pag.  174),  ferner  über  die  Wendung 
als  Mittel  zur  Beendigung  schwieriger  Geburten  u.  s.  w. 

£s  reiht  sich  hieran  die  Mittheiluog  von  einer  eigentüm- 
lichen Conglutination  des  Muttermundes  durch  Verwachsung 
desselben  mit  den  Eihäuten,  und  endlich  der  Bericht  über 
Geburtshindernisse,  welche  von  dein  kindlichen  Kb'rper  ausgehen, 
betreffs  anomaler  Gestaltung  und  anomaler  Lage  desselben. 
Sodann  geht  Verf.  zu  verschiedenen  Complioationen  der  Schwanger- 
schaft und  Geburt  über  und  bespricht  hierbei  folgende  sehr 
wichtige  Themata. 

Partus  praecipitatus.  H.  hält  sich  nach  seinen  Er- 
fahrungen für  überzeugt,  dass  eine  von  der  Geburt  überraschte 
Person  wohl  in  aufrechter  Stellung  niederkommen  kann.  Das 
Zerreissen  der  Nabelschnur  bei  Sturzgeburten  ist  seiner  Meinung 
nach  bedingt  durch  die  Wirkung  der  Schwere,  durch  die  Propulsiv- 
kraft  des  Uterus  und  endlich  durch  die  Beschaffenheit  der  Nabel- 
schnur. Für  die  Beurtheilung  der  Verletzungen,  welche  ein  Rind 
durch  Sturzgeburt  erlitten  haben  soll,  empfiehlt  H.  äusserste 
Vorsicht,  da  die  für  das  Kind  aus  der  Sturzgeburt  entstehenden 
Nachtheile  in  früheren  Zeiten  gewiss  Behr  überschätzt  worden  sind. 

Eclampsie.  H.  hat  in  der  Gebäranstalt  gar  keinen  Fall 
von  Eclampsie  und  nur  ausserhalb  derselben  zwei  Fälle  beobachtet. 
In  beiden  hat  zwischen  der  Krankheit  und  der  Geburtsthätigkeit 
gar  kein  Zusammenbang  stattgefunden.  In  beiden  Fällen  wurde 
Eiweissgehalt  des  Urins  als  Begleiterscheinung  der  Eklampsie 
nachgewiesen,  und  in  dem  einen  Falle  war  derselbe  schon  vor 
dem  Ausbruche  der  Convulsionen  vorhanden.  Verf.  spricht  sich 
für  die  Hypothese  der  urämischen  Intoxication  aus. 

Dam  in  ri  88.  Bei  der  Entstehung  des  Dammrisses  lässt  H 
den  kindliehen  Schädel  nicht  die  wichtige  Rolle  spielen,  die 
Andere  ihm  zuertheilen.  Denn  eine  sorgfältige  Messung  von 
37  Köpfen,  bei  deren  Durchtritt  der  Damm  eingerissen,  hat  er- 
geben, dass  bei  der  Mehrzahl  der  Umfang  unter  dem  Durchschnitts- 
werthe  blieb,  ja  dass  er  nicht  selten  ungewöhnlich  klein  war. 
Und  obwohl  zuzugeben  sei,  dass  ungewöhnliche  Stellungen  des 
Schädels,  wie  Schräg •  oder  Querstand ,  unvollständiger  Durchtritt: 
des  Hinterhauptes    unter   den    Schambogon    den  Damm    in    eine 


392  XXI.    Literatur. 

abnorme,  su  Ruptur  disponirende  Spannung  versetzen  könne, 
so  ist  es  doch  nicht  wahrscheinlich,  dass  Vorderscbeitellage  oder 
Gesichtslage  wesentlich  den  Dammriss  befördern  sollte,  da  unter 
42  Dammrissen  kein  einsiger  bei  Vorderscheitellage  oder  Gesichts- 
lage vorgekommen  ist.  Von  grösster  Beachtung  aber  sei  eine 
pathologische  Beschaffenheit  der  Dammgebilde ,  eine  gewisse 
Mürbheit  der  Faser  in  den  betreffenden  Theilen.  Wo  diese 
obwalte,  da  sei  eine  Ruptur  gar  nicht  su  vermeiden ,  und  dieses 
Verhültniss  beträfe  etwa  2  Procent  der  Geburten.  Zum  Schlüsse 
dieses  Kapitels  giebt  ff.  'seine  Ansichten  und  Erfahrungen  über- 
Leitung  der  Austreibungsperiode  und  Dammnath. 

Placenta  praevia.  Verf.  bespricht  die  Quelle  der  Blutung, 
die  Todesart.  des  Rindes  und  die  Znlüssigkeit  des  Chloroforms 
bei  dieser  Complication  der  Geburt. 

Vorfall  der  Nabelschnur.  Verf.  hat  ihn  in  2*  Füllen 
beobachtet.  In  nur  3  Füllen  betraf  er  Erstgebärende  und  in  nur 
16  Füllen  waren  Kopflagen.  Als  wesentlichsten  Factor  für  das 
Znstandekommen  dieser  Complication  glaubt  Verf.  den  tiefen 
Sitz  der  Placenta  nennen  zu  müssen.  Der  Sitz  der  Placenta 
ergiebt  sich  aus  der  Stelle  des  Eihautrisses.  Bei  23  genau  unter- 
suchten Nachgeburtstheilen  fand  sich  20  Mal  der  Riss  stark 
seitlich  oder  am  Rande  der  Placenta.  In  diesen  20  Füllen  war 
die  Nabelschnur  nur  3  Mal  central  inserirt,  4  Mal  naher  dem 
oberen  Placentarrande ,  13  Mal  aber  nüher  dem  unteren,  worunter 
2  Mal  eine  Insertio  velamentosa.  Was  die  Länge  der  Schnur 
anbetrifft ,  so  überschritt  sie  in  27  Füllen  23  Mal  das  Durchschnitts- 
inaass  von  50  Centimeter.  Als  bestes  und  eigentlich  als  einsiges 
Reposition8in8trument  empfiehlt  ti.  die  Hand,  wo  dieser  der 
Versuch  zu  reponiren  misslingt,  da  sei  auch  von  Repositorien 
kein  Heil  zu  erwarten. 

Wechsel  ve  rhKltniss  zwischen  Schwangerschaft 
resp.  Geburt  und  anderweitigen  Krankheiten.  Wir 
empfehlen  dieses  Kapitel  ganz  besonders  dem  Studium  unserer 
Fachgenossen.  Es  enthalt  die  Bearbeitung  eines  ziemlich  un- 
bebauten Feldes,  daraus  gar  noch  das  Unkraut  herkömmlicher 
falscher  Ansichten  auszurotten  ist.  Es  wird  dem  Verf.  stets  als 
ein  hohes  Verdienst  nachzurühmen  sein,  dass  er  sich  diesem 
wichtigen  Gegenstande  mit  gebührendem  Eifer  gewidmet  und 
dass  er  nicht  blos  interessantes  Material  gesammelt,  sondern 
auch  höchst  fruchtbare  Anschauungsweisen  für  die  weitere 
Forschung  auf  diesem  Felde  eröffnet  hat.  Was  die  specielle 
Behandlung  dieses  Themas  anbetrifft,  so  glaubt  Ref.  nichts 
Besseres  thun  zu  können,  als  den  freundlichen  Leser  zu  bitten, 
das  Buch  selbst  zur  Hand  su  nehmen. 

Aus  der  operntiven  Geburt  «hülfe.  Das  Belehrende 
in  diesem  Kapitel  bilden  die  Unglücksfälle,  die  Verf.  erlebt  hat. 


XXI.    Literatur.  393 

Er  erzählt  uns:  «ine  künstliche  Frühgeburt  mit  Tod  der  Mutter, 
Abtrennung  einer  Intervertebralscheibe  beim  Kinde  durch  nicht 
besonders  starke  Anwendung  des  Präger  Handgriffe«,  Hnmerns- 
fraetur  des  Kinde*  bei  Lösung  des  Armes  u.  s.  w.  Die  Methede, 
unglückliche  Ausginge  mitzutheilen  nnd  die  Ursachen  derselben 
gründlich  nnd  offen  au  entwickeln,  sollte  zum  Nutzen  der  Lehrer 
und  der  Lernenden  ffeissiger  angewendet  werden.  Docendo 
diseimus,  aber  auch  nocendo  diseimns. 

E.    Pathologie  des  Wochenbettes. 

Verf.  giebt  hier  einen  Bericht  über  die  im  Jahre  1860  in 
der  Gebäranstalt  Münchens  beobachtete  Pnerperalfieberepidemie. 
Die  Krankheit  herrschte  etwa  sieben  Monate.  In  dieser  Zeit 
fanden  663  Geburten  statt,  80  Wöchnerinnen  erkrankten  und  es 
starben  von  ihnen  38.  Die  Formen  der  Erkrankung  waren:  die 
sogenannte  Febricnla,  Metroperitonitis  mittleren  Grades  (Peri- 
tonitis ohne  Pyaemie  nach  Buhl),  Phlebitis  (Pyaemie  mit  Phlebitis 
nach  Buhl),  Peritonitis  lymphatica  oder  Lymphangitis  (Pyaemie 
mit  Peritonitis  nach  Buhl}.  Die  Epidemie  erzeugte  auch  eine 
der  Affection  der  Wöchnerinnen  völlig  analoge  Erkrankung  der 
Neugeborenen.  Von  den  33  Kindern,  welche  den  33  gestorbenen 
Wöchnerinnen  angehörten,  starben  unter  epidemischen  Einflüssen 
nnd  meist  innerhalb  der  ersten  Tage  nach  der  Geburt  20.  Von 
den  47  Kindern,  welche  den  47  erkrankten  aber  genesenen 
Wöchnerinnen  angehörten,  starben  12  unter  denselben  Einflüssen. 
Die  Kinder  starben  an  acuter  Blutdissolntion ,  entzündlich- 
septischen  Processen  und  an  Atrophie.  Was  die  ätiologischen 
Verhältnisse  anbetrifft,  so  prüft  Verf.  mit  grosser  Sorgfalt  die 
localen  Einflüsse,  die  Möglichkeit  der  Infection  durch  Leichen- 
gift (Semmeltoeiss)  und  die  Disposition  zur  Erkrankung  aus  der 
Dauer  der  Geburt.  Diese  Prüfung  gründet  sich  auf  eine  sehr 
genaue  und  in  alle  Details  eingehende  Statistik  und  ergiebt  als 
Resultat:  Es  hat  ein  grosser  Unterschied  in  der  Erkrankungssahl 
zwischen  den  Zahlenden  und  Nichtzahlenden  zu  Ungunsten  der 
Letzteren  stattgefunden.  Da  die  Zahlenden  meist  erst  kurz  vor 
der  Niederkunft  die  Anstalt  betreten,  die  Nichtzahlenden  da- 
gegen sieh  kürzere  oder  längere  Zeit  als  Schwangere  in  der 
Anstalt  aufhalten,  so  erhöht  wahrscheinlich  der  Aufenthalt  vor 
der  Niederkunft  die  Disposition .  zur  Puerperalerk rankung  nicht 
unbedeutend,  und  es  ist  besonders  die  erste  Woche  des  Aufent- 
haltes als  gefährlich  zu  bezeichnen,  da  sich  die  Disposition  zur 
Erkrankung  nicht  mit  der  Daner  des  Aufenthaltes  steigerte, 
sondern  später  eine  Abstumpfung  bei  den  Schwangeren  eintrat. 
Von  der  Richtigkeit  der  Semmelweis*1  sehen  Theorie  hat  sich 
Verf.  nicht  überzeugen  können,  ebensowenig  ist  es  ihm  bewiesen, 
dass  die  Dauer  der  Geburt  auf  Erhöhung  der  Krankheitsdisposition 
einen  grossen  Einfluss  hat. 


394  XXI.    Literatur. 

Pathologisch-anatomischer  Theil. 
Das  Puerperalfieber. 
A.    Puerperalfieber  der  Mütter. 

Der  Uterus  Ist  als  das  constant  erkrankte  Organ  erkannt 
worden.  Die  Affection  der  Innenwand  des  Uterus  war  das  Constante 
für  alle  Formen  des  Puerperalfiebers.  Je  nach  der  Ausbreitung 
und  Fortpflanzung,  welche  die  Erkrankung  von  diesem  Ausgangs- 
punkte ,  sei  es  längs  der  Schleimhaut  der  Tuben,  oder  durch 
die  Blut-  oder  endlich  durch  die  Lymphgefässe  nimmt,  ergeben 
sich  nach  Buhl  drei  Formen  des  Fiebers. 

Erste  Form.  Puerperale  Peritonitis  ohne  Pyaemie. 
Der  Process  steigt  durch  den  Canal  einer,  seltener  beider  Tuben 
in  die  Peritonäalhöhle ;  es  entsteht  eipe  auf  die  befallene  Seite 
beschränkte  oder  allgemeine  Peritonitis,  welche  ohne  die  Spuren 
einer  allgemeinen  Infection  den  Charakter  eines  reinen  Local- 
proces8es  an  sich  trägt.  Diese  Form  ist  die  häufigste  unter 
nicht -epidemischen  Verhältnissen,  kommt  zur  Zeit  einer  Epidemie 
als  reine  und  selbststandige  Form  sehr  selten  vor  (ist  auch  in 
der  Münchener  Epidemie  nicht  vorgekommen)  und  ist  die  am 
Wenigsten  gefährliche. 

Zweite  Form.  Pyaemie  ohne  Peritonitis.  Hier  bat 
man  es  einestheils  mit  den  allgemeinen  Erscheinungen  in  Folge 
der  Resorption  jauchig- fauliger  Stoffe  von  der  Innenfläche  den 
Uterus  durch  die  Venen  zu  thun,  anderntheils  sieht  man  nicht 
blos  die  normalen  Blutgerinnsel,  sondern  eiterhaltige  und  jauchig 
zerfliessende ,  nicht  seqnestrirte  Pfropfe  in  den  Venen  der  Uterus- 
wand, besonders  der  Placentarstelle  entstehen,  und  nicht  nur 
hier,  sondern  auch  in  den  Venen  des  einen  oder  anderen  Plexus 
pampiniformis ,  der  V.  cava  inf.,  selbst  der  einen  oder  anderen 
Nieren-  oder  Schenkelvene,  sogar  in  den  Herzhöhlen.  Die 
Venenwand  geräth  dabei  in  Entzündung  und  ist  es  deshalb  ver- 
ständlich, diese  Form  auch  „puerperale  Pyaemie  mit 
Phlebitis a  (Metrophlebitis  u.  s.  w.)  zu  nennen.  Von  da  aus 
erzeugen  sich  häufig  genug  embolische  Entzündungen,  Ver- 
eiterungen und  Versehorfungen  in  den  Lungen,  in  der  constant 
vergrößerten  Milz,  den  Nieren,  in  den  Augen,  im  Gehirne  u.  s.  w. 
Charakteristisch  und  für  die  klinische  Diagnostik  von  Bedeutoag 
ist,  dass  diese  Form,  wenn  sie  rein  ist,  ohne  Peritonitis  abläuft 
und  nur  höchst  selten  eine  Cotnbination  mit  einer  oder  der 
anderen  Form  eingeht.  Die  Pyaemie  ohne  Peritonitis  ist  ge- 
fahrlicher uztl  tödtet  häufiger  als  die  einfache  Peritonitis,  kommt 
sporadisch  vor  wie  diese,  häufiger  aber  unter  dem  Einflüsse  von 
Puerperalepidemieen.  Bei  der  diesmaligen  Epidemie  kam  sie 
unter  39  Verstorbenen,  deren  Leichen  untersucht  wurden,  nur 
vier  Mal  vor. 


XXI.    Literatur.  ,  395 

Dritte  Form.  Puerperale  Pyaemie  mit  Peritonitis 
oder  Pyaemie  mit  Lymphangitis.  Die  Peritonitis  ist  hier  constant, 
die  Venen  führen  dünnflüssiges,  missfarbiges  Blut,  und  statt  der 
Venen  (wie  oben)  bilden  hier  die  Lymphgefasse  die  Bahnen  für 
die  Resorption,  und  sowohl  die  Lymphgefasse  und  das  dieselben 
und  die  Blutgefässe  umhüllende  Bindegewebe  enthalten  gelbe 
Gerinnsel,  Eiter  und  Jauche.  Es  ist  aber  nicht  zu  verkennen, 
dass  neben  dieser  Fortpflansung  der  Krankheit  von  Organ  zu 
Organ  auch  eine  allgemeine  Infection  durch  Aufnahme  der 
giftigen  Stoffe  in's  Blut  entweder  unmittelbar  vom  Uterus  aus, 
oder  mittelbar  von  der  inficirten  Lymphe  her  sich  ausbildet. 
Diese  Form  ist  die  bösartigste  und  die  häufigste  bei  Epidemieen 
von  Puerperalfiebern  und  kam  während  der  betreffenden  Epidemie 
unter  39  Fällen  35  Mal  vor.  Verf.  giebt  nun  die  Geschichte  von 
der  Entwickelung  der  Krankheit,  schildert  zuerst  die  Veränderungen 
am  Uterus,  sodann  die  Weiterwanderung  der  Krankheit  in  den 
Lymphgefä8sen  längs  des  subperitonäalen  Bindegewebes,  sodann 
die  Peritonitis  als  die  nächste  und  bedeutungsreichste  Folge  der 
subperitonäalen  Lymphangitis,  endlich  die  Veränderungen  an 
den  einzelnen  Organen  in  der  Bauch-  und  Brusthöhle.  Diese 
Veränderungen  sind  erzeugt  theils  durch  die  Peritonitis,  theils 
durch  die  Austreibung  der  Infection  in  den  Lymphgefässbahnen 
des  sub-  oder  retroperitonäalen  Bindegewebes  bis  hinauf  In  das 
die  Brustaorta  umgebende  Bindegewebe  und  längs  der  Intercostal- 
und  Bronchialarterien  zur  Pleura  gegen  die  Lungenwurzeln  und 
gegen  das  Herz. 

B.    Puerperale  Infection   der  Neugeborenen. 

Die  Erkrankung  der»  Kindes  zeigt»  sich  in  einem  Abhängigkeits- 
verhältnisse nicht  unmittelbar  von  der  epidemischen  Ursache, 
sondern  von  der  Erkrankung  der  Mütter.  38  der  verstorbenen 
Kinder  stammten  nämlich  von  entschieden  kranken  Müttern  und 
kamen  schon  krank  oder  todt  zur  Welt;  bei  18  dieser  38  genasen 
die  Mütter,  20  starben.  Hieraus  resultirt,  dass  die  Mütter  schon 
vor  dieser  Niederkunft  inficirt  waren,  sonst  hätte  die  Infection 
uioht  von  der  Schwangeren  auf  das  Kind  übertragen  werden 
können,  und  war  zur  Infection  nicht  gerade  die  wunde  Ober- 
fläche des  Uterus  nothwendig.  Es  stellte  sich  ferner  heraus, 
da**  die  Sterblichkeit  der  Kinder  grösser  war  als  die  der  Mütter, 
dass  je  heftiger  die  Mutter  erkrankte,  um  so  grösser  auch  die 
Lebensgefahr  fiir  das  Kind  war,  dass  aber  bei  leicht  erkrankten 
Müttern  das  Kind  der  Lebensgefahr  keineswegs  überhoben  war, 
ja  man  konnte  sogar  die  Vermnthung  nicht  unterdrücken,  dass 
die  Kinder  inficirt  werden  könnten,  ohne  dass  ihre  Mütter  aus- 
gesprochene Erscheinung  von  Infection  an  sich  trugen. 

Je  nach  dem  Zeiträume,  in  dem  die  Neugeborenen  starben, 
stellten    sich    so   bedeutende  Verschiedenheiten   in   dem  Befunde 


396  XXI-    Literatur. 

heran«,    das*   es  Verf.   am   passendsten    hielt,    die  Fälle    in   drei 
Reihen  sn  sondern. 

Erste  Reihe.  Die  Kinder  sind  unter  dem  Einflüsse  der 
puerperalen  Infection  todt  geboren  oder  haben  höchstens  einige 
Athemzfige  gemacht.  Die  Leichen  tragen  die  Zeichen  der 
raschesten  Fänlniss  an  sich.  Ausgeprägte  Localerscheinnngen 
waren  nicht  vorhanden,  nur  folgende  Verminderung  war  allen 
gemeinsam:  eine'  sulzig-seröse  Infiltration  im  Bindegewebe  um 
die  in  der  Bauchhöhle  verlaufenden ,  im  TTebrigen  aber  unver- 
änderten NabelgefBsse,  welche  von  da  aus  sich  mehr  oder  weniger 
weit  im  snbperitonäalen  Bindegewebe,  weniger  längs  der  Nabelvene 
gegen  die  Leberpforte,  als  vielmehr'längs  der  Nabelarterien  bis 
auf  die  WirbelsSnle  und  von  hier  längs  der  Aorta  bis  in  das 
Bindegewebe  des  Mediastinum  ausbreitete,  ferner  längs  der  von 
der  Aorta  abgehenden  Aeste,  namentlich  längs  des  die  Leber- 
arterien umhüllenden  Glisson1  sehen  Bindegewebes  bis  zu  deren 
dritten  bis  fünften  Verästelung  in's  Leberparenchym  vordrang, 
anch  wohl  durch  das  Gekröse  gegen  die  Darm  Windungen. 

Zweite  Reibe.  Die  Charaktere  dieser  Reihe  sind  am 
schärfsteh  bei  denjenigen  Kindern  ausgeprägt,  welche  am  zweiten 
Tage  (am  Tage  der  stärksten  Mortalität)  starben.  Der  Körper 
war  in  der  Regel  mit  sehr  umfänglichen  Todtenfl  ecken  versehen. 
Blutergüsse  am  und  im  Kopfe  nicht  selten,  das  Gehirn  seigte 
in  der  Regel  Blutreichthum  und  dadurch  graurötbliche  Färbung 
des  Markes.  Die  wichtigsten  und  die  Krankbeitsform  charakteri- 
strenden  Veränderungen  sah  man  im  Bereiche  der  Respirations- 
organe, nämlich  eine  eigentümliche  Infiltration  in's  Lungen- 
parenchym. Die  infiltrirten  Theile  waren  vollkommen  luftleer 
nnd  von  sehr  grossem  Blutgehalte.  Die  kranken  Theile  fühlten 
sich  dicht,  derb,  compact  an,  waren  sehr  brüchig,  su weilen 
ausserordentlich  weich.  Von  der  Schnittfläche  quoll  eine  schmierige 
missfarbige  bräunlich rothe  Flüssigkeit  herab;  welche  den  vollen 
Anschein  blutiger  Jauche  hatte,  Fäulnissgeruch  darbot  und 
mikroskopisch  neben  wohl  erhaltenen  Blutkörpern  dem  grüssten 
Theile  nach  aus  Molecülen,  Körnerxellen  und  Resten  von  ver- 
störten Blntkörpern  und  Zellen ,- namentlich  in  Zerfall  begriffenen 
Primitive  eilen  (Eiterkörpern)  bestand.  Der  Pleuraübersug  fühlte 
sich  klebrig  an  und  war  dies  durch  ein  aufliegendes,  faden- 
siehendes,  blutigseröses  Exsudat  erzeugt  Das  Mikroskop  er- 
kannte darin  ebenfalls  Molecüle,  Körnersellen,  Blutkörper-  und 
Zellenreste.  Die  Pleuramembran  war  gequollen  und  sehr  brüohig, 
anweilen  leicht  von  der  Lunge  ablösbar.  Dabei  war  sie  im 
Allgemeinen  trübe  durch  eine  Beimischung  von  Grau  und  Gelb, 
welche  Farben  in  Streifen  und  Netaen  aufgetragen  der  Lnngen- 
oberfläche  ein  gitterartiges  Ansehen  gaben.  Die  Unterleibs- 
organo  zeigten  keine  besonderen  Veränderungen ,  nur  die  Nieren 


XXI.     Literatur.  397 

verdienen  des  fast  cons  tauten  and  beträchtlichen  Harnsäure- 
infarctes  wegen  hervorgehoben  zu  werden.  Verf.  vergleicht  nun 
die  Infection  der  Neugeborenen  mit  der  dritten  Form  puerperaler 
Erkrankung  4er  Mütter,  sucht  ihre  Identität  zu  beweisen  und 
schlägt  für  die  bisher  beschriebenen  Formen  von  puerperaler 
Infection  der  Kinder  den  Namen  „Pyämie  mit  L'ymphangitis  * 
vor,  um  auf  diese  Art  schon  durch  die  Benennung  ihre  wesentliche 
Gleichheit  mit  der  ebenso  bezeichneten  Form  von  Puerperal- 
fieber kenntlich  zu  machen. 

Dritte  Reihe  betrifft  Kinder,  welche  den  zweiten  Tag 
überlebten,  und  deren  Körper  je  nachdem  der  Tod  am  i.9  12., 
14.,  16.  bis  zum  26.  Tage  eingetreten  war,  einen  Gewichtsverlust 
von  resp.  circa  a/4  Pfand,  1,  l1/,,  ls/4  bis  2r/e  Pfund  erlitten  hat. 
Insofern  keine  sonstigen  den  Tod  zunächst  erklärenden  Ver- 
änderungen vorliegen ,  fasst  Buhl  diese  so  bedeutende  Abmagerung 
als  Todesursache  auf  und  macht  daraus  eine  besondere  Forin 
von  puerperaler  Infectionskrankheit:  „die  Atrophie".  Die 
jüngere  Hälfte  der  Kinder  zeigte  ikterische  Hautfarbe  und 
gelblich  gefärbte  Flüssigkeiten  und  Organe,  die  älteren  Kinder 
zeigten  Runzelung,  Blässe  und  unbestimmte  lederähnliche  Färbung. 
Auch  Jnduratio  telac  cellulosae,  Eiterpusteln  und  leicht  ödeina* 
tische  Schwellung  am  Gesicht  kamen  vor.  Der  wichtigste  Befund 
liegt  im  Nabel  und  dessen  Gefttssen.  Die  Nabelschnur  ist  fast 
ohne  Ausnahme  abgefallen,  am  Nabel  und  dessen  Gefäseen  waren 
entschieden  krankhafte  Veränderungen  zu  sehen.  Die  Bauchwand 
zeigte  eine  Oeffhung,  welche  in  einen  weiteren  Raum  fahrte, 
dessen  Wände  geschwürsähnlich  sich  verhielten,  und  mit  bräun- 
lichen, leicht  blutenden  Granulationen  oder  längeren  feinen 
Zöttchen  besetzt  waren.  In  diesen  Raum  mündeten  wie  in  eine 
Cloake  die  Nabelgefässe  vom  Bauche  her  offen  ein.  Er  enthielt 
eiterähnliche  oder  jauchig -schmierige  Masse  von  faulem  Geruehe. 
Es  ist  kein  Zweifel,  dass  die  Cloake  durch  brandige  Zerstörung 
des  Bindegewebes  entstanden  ist,  welches  die  Enden  der  Nabel- 
gefässe am  Nabelringe  befestigt.  Die  Vena  umbilicalis  enthielt 
mehrmals  einen  adhärenten  Pfropf.  Die  Innenwand  des  Gefasses 
war  stets  missfarbig,  schmutzig,  braunroth,  zuweilen  zu  einem 
morschen,  gelben  nekrotischen  Schorfe  umgeändert.  Auch  die 
Arteriae  umbilicales  nahmen  an  den  Veränderungen  Theil.  Das 
Lumen  derselben  war  sodann  .mit  einem  adhärenten  Pfropfe  er-~ 
füllt  und  die  Nekrose  der  Intima  ein  beinahe  constanter  Befund. 
Es  ist  kein  Zweifel ,  dass  die  giftige  Entzündung  vom  Nabel  aus 
sich  über  Arterien-  und  Venenwand  fortsetzte  und  eine  Phlebitis 
und  Arteritis  umbilicalis  hervorbrachte.  Im  Gegensatze  zur ' 
zweiten  Reihe  findet  bei  dieser  Reihe  von  puerperalen  Krankheits- 
formen des  Neugeborenen  das  Umgehen  der  Respirationsorgane, 
vielmehr  die  Localisirung  der  krankhaften  VorgKnge  im  Bereiche 


398  XXI-     Literatur. 

de«  Unterleibes  statt.  Der  Bofuad  ah  den  Respiratiomorganen 
war  ein  unbedeutender,  dagegen  zeigte  eich  öfter  Peritonitis, 
oder  eiteriges  Infiltrat  subperitonäal  vom  Nabel  ausgehend,  ohne 
doss  sich  Peritonitis  entwickelt  hatte,  ein  anderes  Mal  mehr 
seröses  Infiltrat,  zuweilen  endlich  Oedem  des  Glisson' sehen 
Bindegewebes,  des  Mesenterium  und  der  Darmwand.  Alle  Formen 
von  Peritonitis  hatten  das  Gemeinschaftliche  und  Constante,  dass 
neben  dem  Exsudate  auf  die  freie  Peri  ton  aal  fläche  das  subseröse 
Bindegewebe  und  nicht  nur  im  Umkreise  des  Nabels,  sondern 
von  da  auch  nach  den  Seiten  und  zur  Wirbelsäule,  ferner  im 
ganzen  Gekröse  und  in  der  Darm  wand,  mehr  oder  weniger  auch 
das  Glisson' sehe  Bindegewebe  trübserös  infiltrirt  war,  welche 
Trübung  durch  die  Beimengung  von  Eiterkörpern  und  Molecülen 
erzeugt  war.  In  diesem  Bindegewebe  sah  man  ferner,  was  man 
in  den  Fällen  der- früheren  Reihen  mit  höchster  Wahrscheinlich- 
keit vermuthete,  in  unzweifelhafter  Weise:  isolirte  oder  dicht- 
gedrängte eitergefüllte  Lymphgefässnetze,  ja  in  einigen  Fällen 
war  es  in  Folge  der  ganz  dichtgedrängten  Lagerung  desselben 
gleichsam  bis  zur  exquisiten  Eiterinfiltration  gediehen.  Nachdem 
nun  Verf.  noch  den  Befund  im  Darmkanal,  der  Leber,  der  Milz,  dem 
Circulationsapparate ,  den  Nieren,  der  Schädel-  und  Rückgrats- 
höhle n.  s.  w.  beschrieben  hat,  rechtfertigt  er  die  Bezeichnung 
dieser  Reihe  als:  Pyaemie  mit  Omphalitis  oder  mit 
Phlebitis  und  Arteritis  und  stellt  sie'  mit  'der  zweiten  Form 
des  Puerperalfiebers  der  Mütter  in  Analogie.  Schliesslich  ver- 
gleicht er  noch  einmal  die  einzelnen  Formen  der  puerperalen 
Erkrankungen  der  Mütter  mit  denen  der  Kinder  und  kommt  zu 
dem  Resultat:  Die  puerperale  Erkrankung  der  Mütter 
und  ihrer  Kinder  stellt  sich  in  allen  Formen  als  eine 
wesentlich  gleiche  dar,  sie  sind  säramtlich  Blutvergiftungen, 
Pyämieen,  deren  anatomische  Kennzeichen  in  Lymphangitis 
bestehen. 

Diese  Arbeit  über  die  puerperalen  Erkrankungen  der  Mütter 
und  Kinder  bildet  in  ihrer  monographischen  Abrundung  einen 
überaus  werthvollen  Beitrag  zur  Geschichte  dieser  Krankheit. 
Die  Schilderung  der  Befunde  ist  mit  seltener  Anschaulichkeit 
gegeben  und  die  Aneinanderreihung  der  Thatsachen,  sowie  ihre 
Beziehung  zum  Ausgangspunkte  und  zum  Allgemeinbilde  der 
Krankheit  eine  ebenso  consequente  als  ungezwungene.  Ganz 
vortrefflich  aber  ist  die  Vergleichnng  der  einzelnen  Formen  der 
Erkrankungen  bei  Mutter  und  Kind  und  der  Nachweis  des  Analogen 
zwischen  ihnen.  Es  sei  daher  die  lehrreiche  Abhandlung  dem 
Studium  der  Fachgenossen  besonders  empfohlen. 


XXI.     Literatur.  '         399 

Zweite  H&lfte  dar  pathologiaoh  -  anatomischen  Beobaehtungen 
an  Neugeborenen. 

Dieser  Theil  beginnt  mit  einer  statistischen  Zusammen- 
Stellung  des  Gesammtmaterials  (100  Fälle)  und  behandelt  dasselbe 
nach  folgenden  Gruppen: 

Erste  Gruppe.  Mechanische  Todesarten:  27  Procent 
der  Neugeborenen  starben  durch  mechanische  Qeburtshindernisse, 
davon  11  in  Folge  der  Verstopfung  der  Luftwege  mittels  fremd- 
artiger Massen.  Die  Verstopfung  ist  meist  durch  Meconium 
herbeigeführt  worden,  welches  nur  auf  dem  Wege  der  instinctiven 
Hinathmung  in  Utero  in  die  Luftwege  gelangt  sein  kann. 

Zweite  Gruppe.  Tod  durch  angeborene  Schwäche: 
21  Procent  der  Neugeborenen.  Mittleres  Gewicht  4,14  Pfund.  Das 
Gehirn  zeigte  unter  allen  Körperorganen  die  nicht  vollendete 
Entwickelung  am  Deutlichsten.  Blutungen  in  Form  von  Flecken, 
Punkten  und  Streifen  in  den  verschiedensten  Organen  bewiesen, 
dass  Gefässzerreissungen  auch  bei  Kleinheit  des  Körpers  und 
bei  leichter  Geburt  theils  aus  Bluterkrankung  oder  Athmungs- 
insufficieuz,   theils   auch   ohne   diese  Vorgänge  entstehen  können. 

Dritte  Gruppe.  Die  acute  Fettdegeneration  der 
Neugeborenen.  Mit  diesem  Namen  will  Verf.  einen  Complex 
von  Erscheinungen  und  Veränderungen  am  Neugeborenen  be- 
zeichnen, welcher  im  höchsten  Maasse  unser  Interesse  in  An- 
spruch zu  nehmen  würdig  ist.  Die  betreffenden  gewöhnlich  gut 
genährten  Kinder  werden  meistens  asphyktisch  geboren,  entleeren 
alsbald  Blut  durch  Diarrhoe  oder  Erbrechen,  werden  nach 
3  —  6  Tagen  ikterisch.  Durchschnittlich  am  fünften  Tage  tritt 
eine  nicht  zu  stillende  Blutung  aus  dem  Nabel  ein,  auch  Extra- 
vasate auf  den  Schleimhäuten,  sowie  Purpura  in  der  Haut  mit 
und  ohne  Anasarca  werden  beobachtet.  Viele  sterben  blausüchtig 
schon  in  einigen  Stunden,  die  Meisten  überleben  wenigstens 
die  zweite  Woche.  Je  länger  aber  ihr  Leben  dauert,  um  so  ' 
blutärmer  werden  sie  und  um  so  mehr  ikterisch.  Da  Verf.  viele 
derartige  Leichen  von  Neugeborenen  untersucht  hat  (hier  zählen 
nur  drei  Fälle),  so  ist  er  im  Stande,  uns  ein  geschlossenes  Bild 
des  consUnten  Befundes  zu  geben  und  zieht  aus  demselben  den 
Schluss,  das»  man-  es  hier  mit  einer  über  den  ganzen  Körper 
verbreiteten  allgemeinen  Ernährungsstörung  zu  thnn  hat,  welche 
offenbar  angeboren  und  in  den  letzten  Tagen  vor  der  Geburt 
erworben  ist.  Diese  Ernährungsstörung  ist  eine  äusserst  acute 
und  stellt  sich  in  den  einzelnen  Organen  —  vor  Allem  in  Herz, 
Leber  und  Nieren,  weniger  in  Lungen  und  Darm  —  als  acute 
Zerlegung  der  Zcllensäfte  zu  Fett  und  einem  Albumen-Abkömmling, 
oder  in  geläufigerer  Ausdrucksweise  als  eine  parenchymatöse 
Entzündung  und  zwar  als  deren  zweites  Stadium ,  als  acute 
Fettdegeneration  dar. 


400  XXI      Literatur. 

Vierte  Gruppe.  Missbildungen,  enthält  Besehreibung 
Ton:  Foetus  in  foetu  (2  Fälle),  Doppelkopf  (Disprosopus), 
Uterus  unicornis,  Atresie  aller  Körperöffnungen, 
Mangel  des  Manubrium  sterui,  Fissur  der  oberen  Bauch- 
haut, angeborener  Hypertrophie  der  Zunge  und  der 
Nieren. 

Fünfte  Gruppe.    Todtfauie  Früchte. 

Ein  Anhang  bespricht:  A.  abnorme  Verhältnisse  in 
einseinen  Organen ,  ss.  B.  krankhafte  Veränderungen  in  der  Pia- 
centa,  Cephalaeinatombildung  schon  vor  der  Gebart,  Extrasavate 
in  der  Rückgratehöhle,  einmal  mit  exquisit  tetanischen  Er- 
scheinungen verbunden,  Gummiknoten  in  der  Leber,  Kysten  u.  s.  w. 
B.  bringt  uns  der  Anhang  eum  Abschied  die  dankenswerthen 
Resultate  einer  sehr  mühsamen  Arbeit,  nämlicfe  der  Wägungen 
von  Gehirn,  Leber,  Milz,  Hers,  Lungen,  Thyreoidea,,  Thymus 
und  Nieren. 

Kristeller. 


XXII. 
Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Oeburtshttlfe 

in 

Berlin. 


Sitzung,  vom  25.  Februar  1802. 

Vod  Herrn  Seebohm  in  Pyrmont  (auswärtiges  Mitglied) 
ist  der  Gesellschaft  eine  Missgeburt  eingeschickt  worden,  die 
von  einer  rachitischen  Person  im  siebenten  Monate  ihrer 
Schwangerschaft  ohne  Kunstbulfe  in  Fusslage  geboren  worden 
war.  Kindesbewegungen  sollten  noch  kurz  vor  der  Geburt 
stattgefunden  haben;  doch  zeigte  das  geborene  Kind  keine 
Spur  des  Lebens  mehr. 

Das  Präparat  war  Herrn  Virchow  zur  gefalligen  Obductiou 
übergeben  worden  und  wurde  von  diesem  demnächst  als 
Spina  bifida  occipitis,   Hyperplasia  cerebri  mit 

Encephalocele  und  Hernia  diaphragmatica 
vorgelegt. 

pin  in  der  unteren  Hälfte  ziemlich  normal  gebildetes 
Kind  von  der  Grösse  eines  Siebemnonatskindes  zeigte  die 
auffallende  Anomalie,  dass  der  Kopf  nach  hinten  übergebogen 
in  dieser  Stellung  dergestalt  fixirt  war,  dass  das  Hinterhaupt 
anscheinend  mit  den  Lumbaiwirbeln  verwachsen  war  und  die 
Kopfhaare  bis  ungefähr  zwei  Zoll  vom  After  herabreichten. 
Erst  nach  Ablösung  der  Hautdecke  zeigte  sich,  dass  die  Ver- 
schmelzung nicht  so  tief  herabreichte,  und  dass,  wenn  man 
den  Kopf  stark  nach  vorn  bog,  ein  Theil  der  verkümmerten 
Rückenfläche  darunter  erschien. 

Der  vordere  Theil  des  Schädels  war  regelmässig  gebildet, 
zeigte  zwei  Stirn-  und  Scheitelbeine:  an  letztere  grenzte  auf 

MonaUscbr.  f.  Oeburuk    1362   Bd.  XIX..  Hfl.  6.  26 


402  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

jeder  Seite  eilte  schmale  Knochenplatte,  welche  den  auseinander- 
gelegten Seitentheilen  der  Hinterhauptschuppe  entsprach,  indess 
nach  hinten  in  eine  grosse  Blase  überging.  Da  das  fiinter- 
bauptsbein  als  Wirbel  aufgefasst  werden  muss,  so  lag  also 
eine  deutliche  Spina  bifida  occipitis  vor.  Bei  Eröffnung  der 
Blase  zeigte  sich  eine  auffallende  Verschiedenheit  in  der  Ent- 
wickelung  der  Grosshirnhemisphären ,  fast  die  ganze  Blase 
war  von  der  linken  Hirnhälfte  erfüllt  und"  hatle  die  rechte  zu 
einem  dünnen  Lappen  nach  rechts  hin  comprimirt.  Unmittelbar 
unter  der  Blase  lag  eine  zweite  kleinere  von  dieser  getrennte, 
welche  eine  zusammengedrückte  festere  Masse  enthielt,  die 
sich  als  Cerebellum  herausstellte  und  in  der  gewöhnlichen 
Weise  mit  dem  Cerebrum  zusammenhing.  Legte  man  auch 
diese  Blase  zurück,  so  sah  man  in  der  Tiefe  eine  Spaltung 
des  Rückgrats,  in  welcher  jedoch  fast  nur  Cäuda  equioa 
enthalten  war. 

Die  Wirbelkörper  hatte  Herr  Virchow  nicht  weiter 
untersucht,  um  das  Präparat  nicht  zu  zerstückeln. 

Die  vergrösserte  linke  Hemisphäre  bestand  aus  compacter 
Hirnsubstanz  und  die  Ventrikel  waren  nicht  erheblich  er- 
weitert, so  dass  also  kein  Hydrocephalus;  sondern  eine  wirk- 
liche Hyperplasia  des  Gehirns  vorlag  und  die  Anomalie  als 
Encephalocele  aufgefasst'  werden  muss.  Herr  Virchow  fand 
diesen  Befund  deshalb  interessant,  da  so  gleichmässige  Ent- 
Wickelungen einer  ganzen  Hemisphäre  sehr  selten  vorkommen 
und  Hirnbrüche  gewöhnlich  nur  kleinere  Partien  des  Gehirnes 
betreffen.  Uebrigens  erkläre  diese  massenhafte  Wucherung 
einerseits  die  NichtSchliessung  des  Hinterhauptes,  andererseits 
die  Compression  der  rechten  Hemisphäre. 

Eine  zweite  Anomalie  fand  sich  im  Innern  des  Kindes, 
nämlich  eine  Hernia  diaphragmatica.  Bei  Eröffnung  der  Brust 
fand  sich  links  vom  Herzen  das  ganze  Cavum  thoracis  mit 
Intestinis  erfüllt,  welche  die  linke  Lunge  vollständig  com- 
primirt hatten.  Die  Intestina  (Magen,  Colon,  Duodenum) 
lagen  indess  nicht  frei,  sondern  waren  mit  einer  feinen  aus 
dem  Diaphragma  sich  hervorstülpenden  Membran  als  Bn/chsack 
überzogen.  Die  Leber  war  etwas  nach  rechts  dislocirt,  unter 
ihr  lagen  nur  wenig  Darmschlingen ;  die  übrigen  Xheile  waren 
normal  entwickelt. 


fftr  Gebnrtshülfe  in  Berlin.  408 

Herr  Martin  legte  hierauf  der  Gesellschaft  das  Präparat  eines 
neugeborenen  Knaben  mit  Hernia  diaphragtnatica 
aus  der  geburtshülflichen  Poliklinik  vor  und  gab  über  dessen 
Geburt  folgende  Notizen. 

Julie  Seh.,  eine  27  Jahre  alte  Mehrgebärende,  welche 
wiederholt  leicht  und  glücklich  geboren  hatte,  behauptet,  die 
Menstruation  am  20.  Juni  1861  zuletzt  bemerkt  zu  haben. 
Die  Fruchtbewegungen  sollen  sehr  schwach  gewesen  sein; 
wann  dieselben  aufgetreten,  weiss  sie  nicht  genau  anzugeben. 
In  den  ersten  Tagen  des  December  1861  soll  ein  ziemlich 
heftiger,  drei  Tage  langer  Blutfluss  aus  den  Genitalien  statt- 
gefunden, und  in  den  letzten  Wochen  grosse  Appetitlosigkeit 
mit  bitterem  Geschmacke  und  Stuhlverstopfung  zugegen  gewesen 
sein.  Die  Kreisseude  erschien  blass;  die  Wehen,  welche  am 
15.  Februar  1862  früh  1  Uhr  eintraten,  wurden,  nachdem 
der  Muttermund  rasch  erweitert  war,  schwach  und  trieben 
den  in  erster  Schädelstellung  hinter  dem  Beckenausgange 
stehenden  Kopf  nicht  hervor,  sodass  eine  Dosis  Seeale 
cornutum  gereicht  wurde.  Bald  darauf  (4y4  Uhr  früh)  kam 
der  scheintodte,  mittelmässig  genährte  Knabe  zu  Tage.  Die 
Pulsation  der  Nabelschnur  hörte  sogleich  auf  und  die  anhaltend 
fortgesetzten  Belebungsversuche,  wie  Besprengen  mit  frischem 
Wasser,  Reibungen  des  Körpers,  insbesondere  der  Hände  und 
Füsse,  Einblasen  von  Luft  in  den  Mund  u.  s.  w.  veranlassten 
nur  einige  wenige  Respirationen,  denen  unter  Zuckungen  der 
unteren  Extremitäten  der  Tod  folgte.  —  Die  Placenta  war 
klein,  die  Nabelschnur  etwa  16"  lang,  der  Eibautriss  fand 
sich  nahe  am  Rande  des  Mutterkuchens. 

Der  vollständig  ausgetragene,  19 l/a"  lange  Knabe  ist 
äusserlich  vollkommen  wohlgebildet.  Bei  der  Section1) 
wurde  am  Gehirn  nichts  Abnormes,  eine  geringe  Hyperämie 
der  Hirnhäute  ausgenommen,  vorgefunden. 

Bei  der  Eröffnung  der  Brusthöhle  findet  sich  das  Herz 
im  Herzbeutel  beträchtlich  nach  rechts  gedrängt  mit  der  Spitze 
etwa  in  der  Höhe  der  vierten  Rippe.     Die  rechte  Lunge  ist 


1)  Der  Sectionsbefand  ist  von  dem  ersten  Assistenzärzte  des 
könlgl.  klinischen  Instituts  fttr  Geburtsbfilfe ,  Dr.  Gue$erotot  auf- 
gezeichnet. 

26  • 


404  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

woblgebildet,  die  linke  dagegen  nur  als  kleines  Rudiment 
vorhanden,  unter  dem  Sterno-clavicular- Gelenk  liegend.  Der 
übrige  Raum  der  linken  Thoraxhälfte  wird  von  einem  mächtigen 
Convolute  von  Dünndarmschlingen  ausgefüllt,  die  bis  zur 
ersten  Rippe  hinaufragen.  Sie  sind  sämmtlich  von  einer  dünnen 
serösen  Membran  bedeckt,  dem  serösen  Ueberzuge  des  linksseitig 
ganz  fehlenden  Diaphragmas  entsprechend.  Während  das 
Zwerchfell  rechterseits  vollständig  normal  gebildet  ist,  verliert 
es  nach  links  hinübergehend  immer  mehr  seine  muskulöse 
Beschaffenheit  und  besteht  lüer  nur  noch  aus  zwei  mit  einander 
verklebten  serösen  Platten/dem  Pleura-  und  Peritonäalüberzuge. 
In  der  linken  Brusthöhle  liegt  nun  der  Magen  und  zwar 
in  der  Weise,  dass  die  grosse  Curvatur  nach  oben  gekehrt 
ist,  den  Herzbeutel  berührend ,  die  kleine  nach  unten  sieht. 
Hinter  dem  Magen  unmittelbar  auf  der  Wirbelsäule,  ungefähr 
auf  dem  sechsten  Brustwirbel,  Hegt  die  Milz.  Ausserdem 
liegt  das  Duodenum  mit  den  ganzen  Dünndärmen  in  der  linken 
Thoraxhälfte  und  zwar  so,  dass  das  Coecum  mit  dem  Pro- 
cessus vermiformis  an  der  Stelle  sich  findet,  wo  normal  die 
Milz  ist.  Von  hier  aus  verläuft  das  gesaromte  Colon  in  un- 
regelniässigeu  Windungen  in  der  linken  Bauchseite,  bis  es 
in  das  Rectum  übergeht.  Die  ganze  rechte  Hälfte  ist  frei 
und  wird  zum  grossen  Theile  von  der  bedeutend  vergrösserten 
Leber  eingenommen,  welche  den  Rippenrand  rechts  um  2" 
überragt  und  auf  dem  Peritonäalüberzuge  zahlreiche  narbige 
Einziehungen  und  Trübungen  zeigt  Der  rechte  Leberlappen 
ist  3"  breit,  der  linke  iy4".  Der  seröse  Ueberzug  des 
Zwerchfells  geht  vom  Ligam.  suspensor.  hepatis  über  einen 
tiefen  Einschnitt  der  Leber,  der  den  rechten  Lappen  vom 
linken  scheidet,  als  etwa  y2"  lange  Brücke  hinüber.  Der 
linke  Leberlappen  selbst  ragt  noch  etwa  7*"  hoch,  eigen- 
tümlich zapfenförmig  gebildet,  in  die  linke  Brusthöhle  hinein. 
Die  Vena  umbilicalis  verläuft,  ehe  sie  sich  in  die  Leber- 
substanz einsenkt,  einige  Linien  in  einem  Sulcus  auf  der 
convexen  Oberfläche  der  Leber.  Die  Nieren  liegen  mit  ihren 
unteren  Rändern  im  grossen  Becken.  Sonst  sind  keine  Ab- 
weichungen vom  Normalen  wahrzunehmen. 

Anmerkung.   In  der  vom  Geh.  Bath  Martin  geleiteten  geburta- 
hiilflicheo  Poliklinik  zu  Berlin  wurde  darauf  ein  Fall  von  Hernia 


für  foburtshfilfe  in  Berlin  405 

diaphragmatis  mit  Hemicephalie  beobachtet  nnd  von  dem 
Praktikanten  Herrn  Dr.  Hausmann  Folgendes  darüber  aufgezeichnet. 

Eine  bis  dabin  gesunde  Primipara  von  28  Jahren  bemerkte 
im  achten  Monate  am  9.  April  d.  J.,  W*hen  und  Abends  9  Uhr 
einen  plötzlichen  Abfloss  sehr  vielen  Fruchtwassers  und  einiger 
Blutcoagula.  In  dem  völlig  erweiterten  Muttermunde  lng  die 
unebene  Knochenflfiche  der  Basis  cranii,  an  welche  sich  nach 
hinten  die  Processus  spinosi  der  Rückenwirbel  anzureihen 
schienen,  während  aussen  am  Unterleibe  der  Kreissenden  links 
.kleine  Theile,  rechts  der  Steiss  gefühlt  und  die  Herstöne  gehört 
wurden.  Bei  Lagerung  der  Kreissenden  auf  der  rechten  Seite 
wurde  'durch  die  Wehen  das  Kind  um  11%  Ubr  Nachts  todt 
ansgestossen.  Die  Kachgeburt  trat  bei  Druck  auf  den  Mutter- 
körper su  Tage ,  und  zeigte  ausser  einigen  Gerinnseln  am  Rande 
keinerlei  Abnormität.     Das  Wochenbett  verlief  ohne  Störang. 

Das  todtgeborene  Mädchen  wog  2  Pfund  24  Loth,  war  12" 
lang,  die  Haut  reichlich  mit  Käseschleim  bedeckt;  dasselbe  zeigte 
folgende  Anomalien.  Von  den  Knochen  der  Schädeldecke  fehlt 
der  Stirntheil  des  Stirnbeines,  von  der  Hinterhaup tusch uppe  ist 
nur  eine  dönne  Leiste  vorhanden.  Auf  dem  ßchädelgrnnde  sieht 
man  vorn  den  Augentheil  des  Stirnbeines,  an  welchen  sich  der 
verkammerte  kleine  und  dann  der  normale  grosse  KeilbcinflÜKel 
und  das  Felsenbein  anreihen.  Der  Keilbeinkörper  ist  von  dem 
Grundtheile  des  Hinterhauptbeines  durch  eine  harte  knorpelige 
Masse  getrennt,  liegt  aber,  was  bei  einem  Langendurchschnitte 
der  Basis  cranii  und  der  Wirbelsäule  besonders  deutlich  hervor- 
tritt, mit  ihm  in  einer  Ebene.  Die  hinteren  Bo  gen  half  teu  des 
ersten  Halswirbels  sind  1%"  von  einander  entfernt,  die  des 
«weiten  traten  einander  schon  um  etwas  nKher  und  die  des  letzten 
Halswirbels  sind  nur  um  2  —  3'"  von  einander  getrennt;  vom  ersten 
Rückenwirbel  an  weicht  das  Rückgrat  von  der  Norm  nicht  ab. 
Die  Körper  der  oberen  Halswirbel  sind  breiter  und  ziemlich  stark 
nach  vorn  gebogen,  die  unteren  Hals*  und  die  ersten  Rücken- 
wirbel haben  eine  etwas  geringere  Biegung  nach  hinten. 

Die  Augen  sind  grösser,  ragen  bedeutend  hervor,  der  Sehnerv 
ist  innerhalb  der  Augenhöhle  vollständig  vorhanden.  Die  Stirn- 
lappen des  Hirns  sind  nur  von  der  Gefässhaut  bedeckt,  in  eine 
schmutzig  braunrothe  Masse  verwandelt,  an  der  einzelne  Theile 
der  convexen  Fläche  eben  so  wenig  wie  Windungen  zu  erkennen 
sind.  An  der  Basis  sieht  man  den  peripherischen  Theil  des 
Riechstreifens  und  Sehnerven.  Die  Scheitel-  und  Hinterhanpts- 
lappen  de«  Groeshirns  sowie  der  Hirnstock  fehlen  ganz.  Das 
Rückenmark  bildet  am  Halse  einen  dünnen,  fadenförmigen  Strang, 
mit  dem  ein  TJieil  der  hervortretenden  Nervenfasern  noch  ver- 
bunden ist;  unterhalb  desselben  ist  keine  sichtbare  Form- 
Veränderung  vorhanden,  dagegen  zeigt  sich  bei  Eröffnung  des 
Rüekgratkanales    der   ganze  Raum   zwischen   Dornfortsätzen   und 


406  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

dem  hinteren  Theile  der  harten  Haut  mit  schwarzem,  geronnenem 
Blute  gefüllt 

In  der  rechten  Pleurahöhle  befinden  sich  etwa  20  Tropfen 
einer  klaren  gelblichen  Flüssigkeit,  die  rechte  Lunge  ist  1" 
lang,  an  der  Basis  7s"  breit  und  liegt  dicht  neben  der 
Wirbelsäule.  An  ihrer  Spitze  wird  sie  zum  Theil  von  der 
Thymusdrüse  verdeckt,  nach  links  von  dem  Herzen,  welches  mit 
dem  vorderen  Mittelfelle  in  die  rechte  Pleurahöhle  so  hinein* 
gedrängt  ist,  dass  es  theils  unter,  tbeils  rechts  vom  Brustbeine 
gelegen  ist.  Im  Uebrigen  entspricht  letzteres  durchaus  seinem 
normalen  Verhalten.  Der  linke  Pleurasack  zeigt  einen  totalen 
Mangel  des  sehnigen  Theiles  des  Zwerchfelles,  während  dessen 
muskulöser  Theil  auch  nur  ans  einzelnen  Bündeln,  welche  die 
linksseitigen  Bippenknorpel  mit  der  rechten  Zwerchfellshälfte 
verbinden,  besteht.  In  derselben  Ausdehnung  fehlt  Brust-  und 
Bauchfell.  Die  linke  Lunge  liegt  in  der  linken  Pleurahöhle 
vor  dem  zweiten  bis  fünften  Rückenwirbelkörper.  Der  gegen 
das  vordere  Mittelfell  gelegene  Theil  der  linken  Brusthöhle 
ist  von  der  Leber  eingenommen,  welche  aus  dem  rechten 
Hypochondrium  schräg  aufsteigend  ihren  linken  Lappen  durch 
die  Oeffhung  im  Zwerchfelle  in  dieselbe  hinaufschickt.  Unter 
letzterem  liegt  der  Magen,  die  grosse  Curvatur  nach  oben  und 
links  gewendet,  rechtwinkelig  zur  Speiseröhre,  mit  der  Milz 
durch  ein  starkes  Band  verbunden.  Das  Pancreas ,  unter  dem 
Magen  gelegen,  ragt  mit  seinem  Kopfe  über  die  kleine  Curvatur 
hinweg.  Unter  und  zum  Theil  neben  dem  unteren  Rande  des 
linken  Leberlappens  liegt  die  Milz,  aus  fünf  Lappen  bestehend, 
deren  oberster  von  den  übrigen  fast  ganz  getrennt  ist.  Die 
Länge  der  ganzen  Leber  beträgt  4Y4",  die  des  linken  Lappens 
l*/4",  die  Furche,  welche  beide  Lappen  trennt,  ist  6'"  tief  und 
in  ihr  verläuft  ein  danner  muskulöser  Strang,  der  sich  an  die 
vorhandenen  Bündel  der  linken  Zwerchfellshälfte  ansetzt.  Der 
rechte  Leberlappen  liegt  mit  t  einem  stumpfen  oberen  Rande 
unter  der  rechten  Zwerchfellshälfte,  reicht  jedoch  mit  seinem 
unteren  scharfen  Rande  fast  bis  an  den  vorderen  oberen  Darm- 
beinstachel. Die  Nabelvene  verläuft  2'"  oberhalb  des  unteren 
scharfen  Randes  des  rechten  Leberlappens  in  einer  fast  1"  langen 
Furche  zur  Pfortader  hin.  Die  Gallenblase  ist  stark  gefüllt, 
überragt  den  Leberrand  uro  3 — 4'"  und  ist  mit  dem  Mesenterium 
der  Dünndärme  durch  viele,  schwer  trennbare  Bindegewebszüge 
verwachsen.  Die  vom  Magen  abgehenden  Dünndarmschlingen 
liegen  in  der  linken  Brusthöhle,  tneils  unter,  theils  neben  dem 
unteren  Rande  des  linken  Leberlappens,  sind  intensiv  geröthet 
und  enthalten  eine  gelbliche  schmierige  Masse;  der  grössere, 
eben  so'  stark  geröthete  Theil  des  Dünndarmes  liegt  in  der 
Bauchhöhle.  Der  Blinddarm,  der  wurmformige  Fortsatz  und  der 
Anfang  des  Dickdarmes  befindet  sich  ebenfalls  noch  in  der  linken 


für  Gftbnrtehiüfe  in  Berlin.  407 

Brusthöhle,  der  übrige  Theil  desselben  in  der  Regio  iliaca  sinietra; 
er  ist  normal  gefärbt,,  enthält  reichlich  Meconium  nnd  bietet 
endlich  unter  einander  mehrere  Adhäsionen  dar.  Nieren,  Blase, 
Gebärmutter  zeigen  nichts  Abnormes.  — 

Anschliessend  an  die  beiden  vorgelegten  Präparate  be- 
richtete Herr  Wegscheider  über  einen  vor  längerer  Zeit  von 
ihm  beobachteten,  nicht  angeborenen,  sondern  erworbenen 
Zwerchfellbruch.  Ein  dreijähriges  Kind  erkrankte  nach 
einem  gereichten  Brechmittel  sehr  bedenklich  und  starb.  Bei  der 
Section  fand  sich,  dass  die  Milz  und  der  halbe  Magen  durch 
eine  Ruptur  des  Zwerchfells  in  die  Brusthöhle  getreten  waren. 

Herr  Virchow  zeigte 
ein   neugeborenes  Kind   mit   einer   mehr   als   faust- 
grossen  Sacralgeschwulst. 

Der  Tumor  sass  in  der  Gesässgegend , .  begann  hinter 
dem  Anus  und  dem  Mastdarme  und  reichte  nach  hinten  bis 
vor  das  Kreuzbein,  so  dass  das  Os  coccygis  durch  die  starke 
Entwicklung  der  Geschwulst  nach  hinten  und  oben  gebogen 
war.  Das  Kreuzbein  lag  vollständig  frei  hinter  der  Geschwulst 
ohne  eine  directe  Verbindung  mit  derselben,  auch  ging  letztere 
nur  wenig  in  die  Höhe,  so  dass  der  innere  Beckenraum  voll* 
ständig  frei  blieb. 

Was  das  Aussehen  der  Geschwulst  betrilll,  so  zeigte  sie 
unter  einer  normalen,  wenn  auch  verdünnten  Hautbedeckung 
ein  höckeriges,  aus  Lappen  gebildetes  Gefüge,  in  welchem 
sich  einige  markige  Stellen  auszeichneten.  Nach  der  gewöhn- 
lichen Terminologie  würde  es  ein  Hygroma  cysticum  sein, 
denn  die  meisten  Theile  erschienen  feinblasig,  an  mehreren 
liegen  grössere  mit  klarer  Flüssigkeit  gefüllte  Höhlen. 

Anschliessend  an  dieses  Präparat  nahm  Herr  Virchow 
Gelegenheit,  des  Interesses  zu  erwähnen,  welches  die  Sa  er  al- 
geschwülste in  letzterer  Zeit  namentlich  durch  Luschkas 
Entdeckung  der  Steissdrüse  erregt  hätten.  In  einer  früheren 
Sitzung  der  Gesellschaft  habe  er  eine  ihm  von  Herrn  Körte 
übergebene  Geschwulst  gezeigt,  die  sich  als  Foetus  in  foetu 
erwiesen  habe;'  später,  vor  etwa  vier  Jahren,  habe  er  ein 
Präparat  vorgelegt,  aus  dem*  ersichtlich  war,  dass  die  Sacral- 
geschwulst  mit   dem    Rückenmarke    zusammenhing    und    als 


406  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

hyperplastische  Entwicklung  desselben  aufzufassen  war  (vergi. 
Verbandlungen  d.  Ges.  f.  Geburtsh.,  X.,  S.  68).  Die  vorliegende 
Geschwulst  sei  weder  das  eine  noch  das  andere,  sondern 
eine  colossale  Wucherung  der  Steissdrüse.  Nicht  nur  die 
isolirte  Lagerung,  sondern  die  ganze  Structur  spräche  dafür: 
drüsiger,  blasiger  Bau,  zellige  Theile,  wie  sie  sich  in  Steiss- 
drüse, Hypophysis,  Nebennieren  u.  s.  w.  finden.  Auffallend 
seien  nur  die  Züge  quergestreifter  Muskelfasern,  welche  bis 
jetzt  in  der  Steissdrüse  noch  nicht  nachgewiesen  seien  (glatte, 
durch  Krause  jun.  in  Göttingen  beschrieben)  und  einzelne 
weiche  zusammenhängende  Massen,  die  er  am  ehesten  der 
Körnerschicht  der  Retina  vergleichen  möchte.  An  manchen 
Stellen  fänden  sich  festere  Klumpen,  fibröse  Massen,  die  bis 
zur  Verknorpelung  übergehen  und  mit  Perichondrium  über- 
zogen seien.  Abgesehen  davon,  deute  aber  Alles  darauf, 
dass  die  Geschwulst  lediglich  aus  der  Steissdrüse  hervorgehe. 

Man  müsse  also  mindestens  drei  verschiedene  Arten  von 
Sacralgeschwülsten  unterscheiden  und  da,  so  viel  ihm  bekannt 
sei,  die  Exstirpation  mit  Glück  gemacht  sei  und  dieser  Erfolg 
leicht  zu  ferneren  operativen  Eingriffen  verlocken'  könne,  so 
sei  es  durchaus  110 Inwendig,  die  dilferentielle  Diagnostik  dieser 
verschiedenen  Arten  recht  genau  festzustellen. 

Man  werde  z.  B.  bei  ausgesprochener  Hyperplasia  des 
Rückenmarkes  als  Hydrorrhachis  eine  Operation  sehr  über- 
legen müssen,  während  in  anderen  Fällen,  z.  B.  dem  vor- 
liegenden, ein  operativer  Eingriff  möglicherweise  den  günstigsten 
Erfolg  haben  könne,  da  die  Geschwulst  mit  keinem  wesent- 
lichen Organe  der  Nachbarschaft  in  innigem  Zusammenhange 
gestanden  habe. 

Herr  H.  Strassmann  hat  drei  Fälle  von  Sacral- 
geschwülsten beobachtet,  die  er  als  Kystenhygrome  bezeichnet. 
In  einem  Falle  habe  sein  Bruder  die  Punktion  der  Geschwulst 
gemacht  und  durch  Injectioneu  von  Jodlösung  eine  dauernde 
Heilung  herbeigeführt. 

Herr  Qurlt  möchte  die  Classüicirung  der  SacralgeschwüJste 
nicht  auf  drei  Arten  beschränken.  So  glaube  er  z.  B.  nicht, 
da^  die  aus  Kysteu  oder  Sarcomen  bestehenden  Geschwülste, 
die  keinen  Zusammenhang  mit  dem  Kreuzbeine  zeigen,  immer 


für  Geburtahülfe  in  Berlin.  409 

aus  Wucherung  der  Steissdrüse   entstanden  seien,   sondern 
auch  im  Bindegewebe  ihren  Ausgangspunkt  finden  könnten. 

Herr  Virchow  will  dies  durchaus  nicht  in  Abrede  stellen. 
Seine  Absicht  sei  nur  gewesen,  der  drohenden  einheitlichen 
Auffassung  aller  Sacralgeschwülste  entgegen  zu  treten;  ein 
positives  Unheil  darüber,  ob  eigentliche  Cystosarcome  in 
dieser  Gegend  vorkämen,  sei  zur  Zeit  noch  nicht  zu  fällen, 
aber  es  sei  ja  möglich,  dass  sogar  die  von  der  Steissdrüse 
ausgehenden  Wucherungen  den  verschiedensten  Charakter 
haben  könnten. 

Von  Herrn  Dr.  Wietfddt  in  Celle  ist  der  Gesellschaft 
eine  Traubenmole 
eingeschickt  worden,   welche  vom  Secretar  vorgelegt  wurde. 

Aus  dem  begleitenden  Briefe  geht  hervor,  dass  dieselbe 
von  einer  38jährigen  Mehrgebäreuden  herstammt,  welche 
wegen  wiederholter  Blutungen  ärztliche  Hülfe  in  Anspruch 
nahm.  Obgleich  Patientin  nicht  schwanger  zu  sein  behauptete, 
ergab  doch  die  Untersuchung  eine  Vergrösserung  des  Uterus 
und  Auflockerung  der  Vaginalportion,  so  dass  ein  drohender 
Abortus  (zweiter  Monat)  diagnosticirt  wurde.  Durch  Ruhe 
und  Arzneien  wurde  die  Blutung  beseitigt,  wiederholte  sich 
aber  vier  Wochen  später  und  nach  abermaliger  Pause  wieder 
und  zwar  in  solchem  Grade,  dass  Herr  Dr.  Wietfddt  wegen 
der  starken  Anämie  mit  bedrohlichen  Erscheinungen  die  Ein- 
leitung des  kunstlichen  Abortus  unternahm.  Er  wählte  dazu 
die  Einspritzung  von  warmem  und  später  kaltem  Wasser  in  die 
Gebärmutterhöhle  vermittels  einer  Canüle  und  darauf  folgender 
Tamponade  der  Scheide.  Innerlich  Inf.  secal.  com.  mit 
Tr.  aromatic.  acid.  Allmälig  entwickelten  sich  kräftige  Con- 
tractionen  des  Uterus;  der  Tampon  wurde  nach  27  Stunden 
entfernt,  und  es  zeigte  sich  der  Muttermund  bereits  so  er- 
weitert, dass  ein  Finger  eindringen  konnte.  Wiederholte 
warme  Douchen  forderten  die  Eröffnung  und  bei  späterer 
Untersuchung  fühlte  man  eine  weiche  schwammige  Masse 
langsam  hindurchtreten,  die  unter  Erbrechen,  Convulsionen 
und  sehr  schmerzhaften  Wehen  allmälig  vollständig  in  die 
Scheide  getrieben,  aus  dieser  nach  Lösung  einiger  strangartigffl 
Adhäsionen  leicht  entfernt  und  als  Traubenmole  erkannt  wurde. 


410  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Patientin  erholte  sich  bald  und  konnte  das  Bett  am 
zehnten  Tage  verlassen ;  zu  bemerken  ist  noch ,  dass  ungefähr 
14  Tage  lang  beide  Brüste  mit  Milch  erfüllt  waren. 

Herr  Kristeller  macht  auf  die  starken  Blutungen  auf- 
merksam, welche  die  Entwickelung  dieser  Traubenmole  be- 
gleiteten. In  den  Fällen,  die  er  selbst  beobachtet  habe,  seien 
ebenfalls  immer  starke  Blutungen  aufgetreten.  Dies  spreche 
gegen  die  Behauptung  Gierse's,  dass  die  Traubenmole  aus 
Wucherung  der  Chorionzotten  ohne  gleichzeitige  Gefass- 
ent wick^lung  hervorgehe,  auch  habe  er  selbst  in  einem  Falle 
eine  deutliche  Entwickelung  einer  Placenta  neben  der  Mole 
gefunden. 

Herr  Martin  sagt,  dass  Gierte  nicht  die  Entwickelung 
der  Gelasse  überhaupt  geleugnet,  sondern  nur  behauptet  habe, 
dass  die  Chorionzotten  die  Fötalgefasse  nicht  aufnähmen. 
Hierdurch  sei  die  Entwickelung  der  Uterinalgefässe  nicht  aus- 
geschlossen und  spräche  schon  die  jederzeit  sehr  starke  Ent- 
wickelung der  Decidua  so  wie  die  Wucherung  der  Zotten  von 
vornherein  für  eine  starke  Blutzufuhr. 

Was  das  öftere  Vorhandensein  einer  Placenta  betreife, 
so  mache  er  darauf  aufmerksam,  dass  er  einige  Male  in  einer 
normal  entwickelten  Placenta  partielle  Anhäufungen  von  Blasen 
gefunden  habe,  so  dass  also  erwiesen  sei,  wie  die  Entartung 
auch  erst  nach  Entwickelung  der  Placenta  Platz  greifen  könne. 

Herr  Virchow  bestätigt  die  Möglichkeit  einer  theilweisen 
hydatidösen  Entartung  der  Placenta  durch  eigene  Beobachtungen. 
Er  habe  ein  Präparat  in  die  Würzhurger  Sammlung  ein- 
gereiht, an  welchem  der  eine  Theil  der  Placenta  noch  relativ 
normal,  der  andere  hydatidös  entartet  war.  Im  Allgemeinen 
hänge  die  Ausdehnung  der  Entartung  von  dem  Zeitpunkte  ab, 
wo  sie  eintrete.  Anfangs  sei  das  ganze  Ei  mit  Zotten  bedeckt 
und  von  Placenta  keine  Spur;  beginne  die  Entartung  in 
diesem  Stadium,  so  werden  mehr  oder  minder  alle  Zotten 
daran  Tbeii  nehmen,  trete  sie  erst  nach  dem  ersten  Monate 
auf,  wo  bereits  der  grösste  Theil  der  Zotten  in  der  Ent- 
wickelung zurückgeblieben  sei,  so  werde  die  Hydatidenbildung 
natürlich  nur  partiell  sein.  Dieselbe  Differenz  spräche  sich 
auch    in    der  Gelassen! Wickelung  aus.     Bei  Entartung  in  den 


ftr  Geburtshnlfe  in  Berlin.  411 

ersten  Wochen  atrophire  der  Fötus,  könne  also  keine  Gelasse 
in  die  Zotten  senden,  bei  späterer  Entartung  dagegen  seien 
die  Gefässe  schon  vorgebildet  Einen  solchen  Fall  habe 
Gierse  vor  sich  gehabt,  da  er  gerade  eine  von  einem  dichten 
Capillarnelze  durchzogene  Zotte  abgebildet  habe. 

Was  nun  specicll  die  Blutungen  betreffe,  so  seien  diese 
bei  frühzeitiger  Hydatidenentwickelung  nicht  beträchtlich,  wohl 
aber  bei  partieller.  Ueber  die  Grösse  der  mütterlichen  Gefasse 
an  der  Placentarstelle  existire  keine  Beobachtung  und  er  selbst 
könne  nichts  darüber  sagen,  wiewohl  er  einmal  die  Secliou 
einer  Person  gemacht  habe,  welche  kurz  nach  einem  Abortus 
mit  Traubenmole  gestorben  war;  theoretisch  könne  man  wohl 
eine  stärkere  Entwickelung  der  mütterlichen  Gefasse  annehmen 
und  ein  Hineinwachsen  der  Zotten  in  die  mütterlichen  Gefasse 
werde  wohl  auch  hier  stattfinden,  gesehen  habe  indess  weder 
er,  noch,  so  viel  er  wisse,  ein  Anderer  jemals  einen  Uterus, 
in  welchem  eine  Traubenmole  sich  noch  in  situ  befand. 


Sitzung  vom  11.  März  1862. 

Herr  Langerhans  hat  kürzlich  einen  durch  Ver- 
eiterung und  Durchbruch  eines  Nabelbruches  bei 
einem  Kinde  entstandenen  Vorfall  der  Därme  beob- 
achtet. Er  reponirte  dieselben  und  schloss  die  Bauchwunde 
durch  die  blutige  Naht,  doch  starb  das  Kind  bald  darauf  an 
einer  Peritonitis. 

Derselbe  erzählt  die  Geschichte  der  Schwangerschaft 
einer  Frau,  welche  in  den  ersten  Monaten  an  wieder- 
holten Gebärmutterblutungen  litt,  dann  eine  längere 
Zeit  davon  verschont  blieb  und  die  letzten  neun  Wochen 
vor  ihrer  Entbindung  von  einem  lebenden  Kinde,  jedes  Mal, 
sobald  sie  sich  hinlegte,  also  namentlich  in  der  Nacht,  eine 
auffallende  Menge  Wasser   verlor. 

In  der  nächsten ,  zwei  Jahre  darauf  folgenden  Schwanger- 
schaft zeigte  sich  derselbe  Verlauf:  Blutungen  im  dritten 
Monate  und  zuletzt  sieben  Wochen  lang  Wasserabgang,  bis 
die  Entbindung  eintrat. 


412  XXII.     Verhandlangen  der  Gesellschaft 

Achtzehn  Monate  darauf  wurde  die  Frau  abermals 
Schwanger.  Diesmal  traten  nur  wiederholte  Blutungen  auf,  der 
Wasserabgang  blieb  aus  und  die  Frau  gebar  ein  lebendes  Kind. 

Herr  Langerhans  glaubt,  dass  das  abgeflossene  Wasser 
wahres  Fruchtwasser  gewesen  sei,  denn  die  beträchtliche 
Menge  desselben,  sowie  der  Umstand,  dass  es  nur  im  Liegen 
abgegangen  sei,  scheine  für  eine  Ruptur  der  Eihäute  zu 
sprechen,  welche  bei  aufrechter  Stellung  der  Frau  vielleicht 
durch  Compression  von  Seiten  des  Kindes  geschlossen  war. 
Bei  der  Untersuchung  habe  er  einen  tiefen  seitlichen  Einriss 
der  Portio  vaginalis  gefunden,  der  möglicherweise  den  Grund 
der  frühzeitigen  Sprengung  der  Eihäute  gelegt  habe. 

Herr  Martin  hält  das  abgeflossene  Wasser  nicht  für 
wahres  Fruchtwasser,  sondern  glaubt,  dass.  dieser  Fall  sich 
den  Beobachtungen  der  sogenannten  Hydrorrhoea  uteri  gra- 
vidarum anschliesse.  Dort  träten  allerdings  nicht  immer 
Blutungen  auf,  sondern  der  bisweilen  mit  Blut  vermischte 
Wasserabfluss  beginne  selten  schon  in  der  achten  oder  zehnten 
Woche,  häufiger  im  achten  oder  siebenten  Monate  und  be- 
trage oft  einen  Tassenkopf  und  mehr.  In  13  Fällen,  die 
er  selbst  beobachtet,  seien  bis  auf  zwei  Fälle  die  Schwanger- 
schaften immer  vor  der  Zeit  zu  Ende  gegangen,  und  mehr- 
mals habe  er  eine  Krankheit  des  Uterus  nachweisen  können, 
so  in  einem  Falle  eine  feste  Adhäsion  der  Placenla,  in  vier 
anderen  eine  Metritis  parenchymatöse,  die  auch  im  Woclien- 
bette  aufs  Neue  exacerbirt  sei.  Er  glaube,  dass  das  Wasser 
von  dem  unteren  Abschnitte  der  Gebärmutterhöhle  abgesondert 
werde,  wenn  die  beiden  Blätter  der  Decidua  nicht  wie  ge- 
wöhnlich innig  mit  einander  verklebten,  und  lande  diese 
Ansicht  auch  durch  Naegele  den  Aelteren  bestätigt,  der  eine 
Endometritis  als  Ursache  der  Hydrorrboe  angesehen  habe. 

Herr  Langerhans  stutzt  seine  Ansicht  auf  den  Umstand, 
dass  das  Wasser  nur  im  Liegen  abging  und  weist  den  von 
anderer  Seite  aufgeworfenen  Zweifel,  ob  es  nicht  etwa  Urin 
gewesen  sei,  wie  in  dem  Falle  von  Scanzoni  (Würzburger 
Zeitschrift,  Bd.  I.,  1860,  p.  95)  durch  die  Genauigkeit  und 
lange  Dauer  seiner  Beobachtungen  zurück,  zumal  er  nie  einen 
urinösen  Geruch  wahrgenommen  habe. 


für  Gebnrtshülfe  inr  Berlin.  413 

Herr  L.  Mayer  hat  ähnlichen  Ausfluss  auch  bei  nicht 
schwangerem  Uterus  beobachtet  Gewöhnlich  sondere  der 
Cervicalkanal  einen  zähen  Schleim  ab,  in  einzelnen  Fällen 
jedoch  ergiesse  sich  aus,  ihm  eine  klare,  dünne  Flüssigkeit, 
die  oft  einen  Fingerhut  voll  in  kurzer  Zeit  betrage.  Jetzt 
behandele  er  eine  Frau,  -die  jedes  Mal  in  der  Mitte  zwischen 
ihren  Regeln  zwei  bis  drei  Tage  lang  ein»)  copiösen  Wasser- 
abfluss  habe. 

Herr  Martin  hält  eine  Verwechselung  mit  Urin  schon 
deshalb  nicht  wahrscheinlich ,  weil  das  Secret  bei  Hydrorrhoe 
eiweisshaltig  sei  und  die  Wäsche  steife.  Geil  habe  in  seiner 
unter  F.  C,  Naegde's  Präsidio  geschriebenen  Dissertation: 
De  Hydrorrhoea  uteri  gravidarum,  Heidelbergae  1822,  eine 
Zusammenstellung  einer  grossen  Zahl  von  Beobachtungen 
gegeben.  Seiue  Ansicht,  dass  das  Wasser  vom  Uterus  ab* 
gesondert  werde,  wurde  durch  die  Fälle  von  Wasser- 
ansammlungen im  Uterus  bei  geschlossenem  Muttermunde 
(Hydrometra)  unterstützt,  aus  denen  die  Fähigkeit  der  Gebär- 
mutterhöhle in  gewissen  krankhaften  Zuständen  eine  wässerige 
Flüssigkeil  abzusondern  ersichtlich  sei. 

Herr  Paasch  hat  drei  Fälle  von  Hydrorrhoe  beobachtet, 
in  allen  drei  Fällen  sei  aber  die  Schwangerschaft  ohne  Unter* 
brechung  bis  zu  ihrem  normalen  Ende  gelangt. 

Herr  Kristeller  will  nicht  entscheiden,  ob  in  vor- 
liegendem Falle  die  abgehende  Flüssigkeit  Liq.  Amnii  oder 
Secret  des  Uterus  gewesen;  die  Krankheit  sei  zwar  bekannt, 
aber  selten;  häufiger  dagegen  treten  *  Blutungen  in  der 
Schwangerschaft  auf,  ohne  nothwendig  dieselbe  zu  unter- 
brechen; ihm  seien  verschiedene  Fälle  bekannt,  wo  Frauen 
trotz  Blutungen  ihre  Kinder  ausgetragen  hätten;  mitunter  finde 
man  auch  an  der  Placenta  und  den  Eihäuten  ausgetragener 
Kinder  Spuren  früherer  Blutungen.  Eine  Ursprungsstelle 
des  Wassers  sei  indess  in  der  Debatte  noch  nicht  berück- 
sichtigt, dies  sei  zwischen  Chorion  und  Amnion,  wo  siel) 
z.  B.  öfters  gallertartige  Ausschwitzungen  vorfanden,  die  eben 
durch  ihre  Consistenz  bis  zur  Geburl  am  Platze  blieben, 
während  eine  seröse  Ausschwitzung,  die  an  dieser  Stelle 
wohl  auch  möglich  wäre,    als  Hydrorrhoe   erscheinen  würde. 


414  XXII.     Verbandinngen  der  Gesellschaft 

Herr  Martin  findet  einen  Hauptgrund  gegen  die  An- 
nahme, dass  die  in  Rede  stehende  Flüssigkeit  wahres  Frucht- 
wasser gewesen  sei,  darin,  dass  der  Abgang  in  einer 
Schwangerschaft  sieben,  in  der  anderen  neun  Wochen  ge- 
dauert habe,  ehe  die  Geburt  eintrat.  Wie  stände  es  dann 
um  die  Methode  der  kunstlichen  Frühgeburt  durch  den  Eihaut- 
stich,  wenn  der  Operateur  nicht  darauf  rechnen  könne,  die 
Geburt  in  einer  verhällnissmässig  kurzen  Zeit  eintreten  zu 
sehen,  wie  es  auch,  so  viel  er  wisse,  stets  der  Fall  gewesen  sei. 

Herr  Wegscheider  bestreitet,  dass  der  Entleerung  des 
Fruchtwassers  die  Geburt  durchaus  in  so  kurzer  Zeit  folgen 
müsse.  Er  habe  in  einem  Falle  das  Fruchtwasser  plötzlich 
abgehen  seilen,  auch  Verkleinerung  des  Uterus  dabei  gefühlt 
und  doch  sei  die  Geburt  eines  lebenden  Kindes  erst  fünf 
Wochen  später  erfolgt 

Eine  gleiche  Beobachtung  berichtet  Herr  G.  Simon,  der 
nach  dem  filasensprunge  zu  einer  Entbindung  gerufen,  bei 
der  Untersuchung  deutlich  den  behaarten  Schädel  berührte 
und  trotzdem  das  lebende  Kind  erst  fünf  Wochen  später 
geboren  werden  sah. 

Herr  Körte  erzählt  die  Geschichte  der  Schwangerschaft 
einer  Frau,  die  im  vierten  Monate  plötzlich  Wasser  und  ßlut 
verlor.  Durch  Ruhe  wurde  der  drohende  Abortus  hintan- 
gehalten.  Die  Frau  machte  zwei  Monate  darauf  eine  Reise, 
verlor  während  derselben  ab  und  zu  Blut  und  einmal  ein 
plattgedrücktes  grösseres  älteres  Blutgerinnsel,  kam  aber  zur 
rechten  Zeit  zur  Entbindung,  wobei  sich  eine  deutliche  Blase 
mit  Blaseosprung  einstellte  und  ein  lebendes  Kind  geboren 
wurde. 

Herr  Martin  hält  es  für  möglich,  dass  die  erste  Ent- 
leerung ein  Zwillingsei  betroffen  habe. 

Herr  Brandt  unterstützt  diese  Ansicht  durch  folgende 
Beobachtung:  nach  einem  Abortus,  bei  dem  nach  Aussage 
der  Hebamme  das  Ovum  abgegangen  war,  habe  er  den 
Muttermund  so  weit . geöffnet  gefunden,  dass  er 'durch  diesen 
vorsichtig  eingehend  ein  zweites  Ei  im  Uterus  entdeckte. 

Herr  Kristeller  wendet  ein,  dass  diese  Beobachtung 
nicht  ganz    überzeugend    sei,    da  der  stattgefunden«  Abortus 


für  Geburtehtiife  in  Berlin.  '    415 

lediglich  durch  die  Aussage  der  Hebamme  constatirt  sei.  Er 
habe  oft  erfahren  müssen,  dass  von  diesen  ein  grösseres 
Blutcoagulum  für  ein  Abortivei  gehalten  werde. 

Auch  Herr  C.  Mayer  hält  die  Angaben  der  Hebammen 
in  solchen  Fällen  ni<Jit  für  zuverlässig.  Was  die  Hyrirorrhoea 
uteri  gravidarum  betreffe,  so  habe  er  diese  in  seiner  Praxis 
häufig  beobachtet  und  sei  der  Ansicht,  dass  die  Quelle  der 
Wasserabsonderung  zwischen  Chorion  und  Amnion  liege; 
auch  in  dem  Lang  er  hansy  sehen  Falle  sei  wahrscheinlich  kein 
wahres  Fruchtwasser  abgeflossen,  denn  die  Quantität  der 
falschen  Fruchtwasser  sei  oft  bedeutend.  So  entsinne  er  sich 
z.  B.  eines  Falles,  wo  eine  Frau  wiederholt  bedeutend  an- 
schwoll und  dann  plötzlich,  meistens  in  der  Nacht,  mehrere 
Tassenköpfe  voll  Wasser  verlor,  ohne  dabei  eine  Störung 
ihrer  Schwangerschaft  oder  Entbindung  zu  erleiden.  Was 
indess  die  erwähnten  Blutungen  betreffe,  so  habe  er  diese 
nie  beobachtet,  könne  sie  indess  aus  dem  unzweifelhaft  statt-' 
findenden  Zustande  der  Congestion  nach  dem  Uterus  er- 
klären. Diesen  scheine  übrigens  auch  Naegele  vorauszusetzen, 
denn  seine  Therapie  sei  wesentlich  antiphlogistisch,  und 
diesem  Beispiele  folgend  habe  er  (M.)  ebenfalls  kühlende 
und  eröffnende  Mittel  gegeben  und  dabei  auch  in  der  Regel 
die  Schwangerschaft  zum  normalen  Ende  geführt. 

In  Bezug  auf  den  Eihautstich  zur  Erregung  der  künst- 
lichen Frühgeburt  glaube  er  indess,  dass  ein  Unterschied  sei, 
ob'  die  Eihäute  am  untersten  Punkte  angestochen  würden ,  wo 
das  Fruchtwasser  unbedingt  vollständig  abfliessen  müsse,  oder 
ob  eine  Ruptur  derselben  hoch  oben  im  Fundus  uteri  statt- 
finde, wo  doch  denkbar  sei,  dass  der  Abfluss  des  Wassers 
durch  Compression  gehindert  werde. 

Die  Beobachtungen  seines  Sohnes  über  Wasserergiessungen 
des  nichtschwangeren  Uterus  könne  er  durch  viele  Beobachtungen 
bestätigen»  Meist  finde  dieser  Ausfluss  in  der  Mitte  zweier 
Menstruationen  statt,  oft  mit  so  heftigen  Dysmenorrhoeen 
gepaart,  dass  er  von  einer  der  damit  behafteten  Frauen  den 
Ausdruck  hörte:  „jetzt  kommen  meine  Mitielschmerzen." 
Dass  das  Secret  aus  dem  Cervix  stamme,  glaube  er  indess 
nicht,  er  suche  den  Ursprung  desselben  im  Cavum  uteri, 
denn  der  Cervix  könne  nur  zähes  glasiges  Secret  liefern. 


41tj    '  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Herr  Martin  hält  eine  Zurückhaltung  des  Fruchtwassers 
bei  Ruptur  des  Amnion,  auch  bei  sehr  hohem  Stande  der 
Rissstelle  für  nicht  .wahrscheinlich. 

Die  Debatte  % drehte  sich  nun  um  die  Frage,  ob  nicht 
eine  Verklebung  der  Eihäute  möglich  sei,  obgleich  sie  keine 
Gelasse  führten.  Herr  Körte  wollte  die  gefasslose  Cornea 
Herr  Hüter  (aus  Marburg)  die  Epidermis,  welche  beide  die 
Fähigkeit  haben,  Verletzungen  durch  einfache  Verklebung  zu 
heilen,  als  Analoga  heranziehen;  doch  liess  Herr  Martin 
den  Vergleich  nicht  gelten.  ,  Da  beide  mit  gefasshalügen 
Geweben  eng  verbunden  seien,  während  die  Eihäute  isoürt 
dem  Uterus  anlägen  und  durch  -  die  eingetretene  Verfettung 
der  Decidua  von  allem  unmittelbaren  Contact  mit  zur  Aus- 
schwitzung geeigneten  Geweben  abgeschlossen  seien.  Auch  die 
zeitweise  Verstopfung  des  Orificii  uteri  durch  einen  Schleim- 
pfropf, welche  Herr  Wegscheider  erwähnte,  könne  das  Wasser 
nicht  zurückhallen,  da  dieser  Schleimpfropf,  wenn  einmal 
weggespült,  im  späteren  Verlaufe  der  Schwangerschaft  nicht 
regenerirt  werde,  es  müsste  denn  eine  feste  Verschliessung 
durch  Verwachsung  eintreten,  die  indess  dann  auch  gar  keinen 
Abfluss  zu  Stande  kommen  und  deshalb  eine  Ruptur  der 
Eihäute  nicht  diagnosticiren  Hesse. 

Herr  Winckel  sprach  über  seine 

Untersuchungen   über   die  Gewichtsverhältnisse  bei 

hundert  Neugeborenen   in    den  ersten   zehn  Tagen 

nach   der  Geburt. 

Anfangs  April  vor.  Jahres  wurde  ich  durch  Herrn  Geh.  Rath 
Martin  aufgefordert,  die  Resultate  Eduard  von  Siebolcfs 
über  die  Gewichts-  und  Längenverhältnisse  der  Neugeborenen 
und  deren  Veränderungen  in  den  ersten  Wochen  nach  der 
Geburt,  welche  in  dem  XV.  Bande,  Heft  5  der  Monatsschrift 
für  Geburtskunde  mitgetheilt  sind,  einer,  genaueren  Unter- 
suchung zu  unterwerfen.  Es  schien  aber  gerathen ,  alle  Kinder 
täglich  und  nicht,  wie  Siebold  nur  alle  zwei  Tage  zu  wiegen 
und  um  kein  Moment  zu  übersehen,  welches  von  Einfluss 
auf  die  etwaigen  Gewichtsveränderungen  derselben  sein  könnte, 
entwarfen  wir  folgendes  Schema: 


für  Gebortshulfe  in  Berlin. 


417 


00 

rr)    M 
Ö    2 

a 

. 

oo 

Fruchtbefande 

-o  v 

s».S 

•M 

CO 

© 
73 

bei  der  Gebart. 

El 

2 

o8 

1S 

3g 

-3 

PQ 

© 

00 

m    *» 

Gewicht  und  Lange ; 

00 

•* 

©    © 

5  « 

CW 

&S 

Abfall  des  Nabelschnur- 

© 

© 

5  5 

«  ja 

© 

et  © 

fl 

P    CO 

m  ja  3* 

©od 

*°  J3 

ja 

rf-S 

© 

SP 

MC    © 

rJ  a 

restes  und  sonstiger  Be- 

js 
o 

s 

o 

0 

ja 
© 

'Name,  Alt 

Zahl  der  G 

M 

© 

OB 

d 

ja 

e 

« 

u 
© 

00 
0 

< 

£  © 

fand  des  Kindes  an  den 
einzelnen  Tagen. 

03 

H 

6* 

H 

QÖ 

06 

H 
©i 

08 

H 

03 

H 

03 

H 
d 

ce 

08 

H 

1 

SB       bD 

«8    '    08 

H  iH 

t*  ,   bb 

ce  1  o8 
H  'H 

CO       ^ 

In  dieses  wurde  der  jedesmalige  Befund  täglich  sofort 
eingetragen. 

Ausser  der  genannten  Hauptfrage  wurden  dadurch  auch 
viele  andere  wichtige  Punkte  mit  berücksichtigt ,  z.  B.  wann 
der  Nabelschnurrest  abfalle,  wie  oft  Neugeborene  an  Aphthen, 
Ophthalmien  etc.  erkranken,  ferner  ob  und  welchen  EinOuss 
der  Geburtsverlauf  auf  die  spätere  Ernährung  des  Kindes 
ausübe.  Ein  Theil  dieser  Fragen  bedarf  zu  seiner  Erledigung 
der  täglichen  genauen  Besichtigung  eines  jeden  Kindes;  aber, 
selbst  wenn  man  diese  versäumen  sollte,  würde  das  Auffinden 
einer  abnormen  Gewichtsveränderung  bald  wieder  daran  er- 
innern. 

Abgesehen  davon,  dass  ich  jedes  Kind  täglich  selbst 
auf  einer  genauen  Balkenwage  wog  und  nicht  etwa  durch 
Andere  zeitweise  diese  Wägungen  fortsetzen  liess;  dass  ich 
auch  fast  immer  das  Gewicht  des  Kindes  gleich  nach  der 
Geburt  selbst  bestimmt,  nahm  ich  noch  auf  folgende  Punkte 
Rücksicht:  Erstlich  wurden  alle  Kinder  täglich  zu  einer 
bestimmten  Zeit  und  zwar  zwischen  8  und  9  Uhr  Morgens 
gewogen.  Diese  Stunde  wurde  gewählt,  weil  die  Kinder  dann 
gewöhnlich  Blase   und   Mastdarm   in   der   vergangenen  Nacht 


MonaUachr.  f.  QeburUk.   1869.   Bd.  XIX.,  Hfl.  6. 


27 


41g  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

entleert  haben  und  so  das  absolute  Gewicht  derselben  am 
genauesten  bestimmt  werden  kann.  Durch  die  Entblössung 
und  den  Schreck  entleerten  Kinder  sehr  oft  erst  auf  der 
Wage  den  Urin  und  wurden  dadurch  manchmal  2 — 3  Loth 
leichter.  Aus  starker  Anfüllung  der  Blase  und  des  Mast- 
darmes lassen  sich  so  die  'nicht  selten  beobachteten  Gewichts- 
Schwankungen  resp.  scheinbare  Wiederabnahme  an  Gewicht 
erklären,  wie  sie  No.  63,  64,  56,  79  und  89  der  Tabelle  II.  A 
bei  ganz  gesunden  Kindern  gesunder  Mütter  zeigen. 

Es  wurde  ferner  jedes  Kind  ganz  nackt,  sogar  mit 
Entfernung  des  Nabelläppchens  auf  einer  der  Wage  aufgelegten, 
erwärmten  leinenen  Unterlage  gewogen. 

Diese  dünnen  Unterlagen,  welche  zur  Verhütung  von 
Erkältungen  immer  über  das  Blech  der  Wage  gelegt  wurden, 
wog  ich  jedes  Mal  aufs  genaueste.  Nicht  selten  wurden 
sie  während  des  Wiegens  durchnässt  und  dadurch  zuweilen 
l1/« — 2  Loth  schwerer;  auch  dieser  Ueberschuss  wurde 
jedes  Mal  vom  Gewichte  des  betreffenden  Kindes  abgezogen. 

Alle  diese  Momente  werden  nicht  kleinlich  erscheinen, 
wenn  ich  hier  .schon  vorausschicke,  dass  die  meisten  Kinder 
von  Tag  zu  Tag  nur  wenige  Loth  abnehmen  und  noch 
weniger  an  einem  Tage  wieder  zunehmen,  dass  die  Abnahme 
in  den  ersten  Tagen  nach  der  Geburt  taglich  ungefähr  3 — 6, 
die  spätere  tägliche  Zunahme  hingegen  nur  1 — 3  Loth  durch- 
schnittlich beträgt. 

Wiewohl  mehrfach  in  dieser  Arbeit  unterbrochen,  bin 
ich  doch  schon  im  Stande  das  Resultat  der  Wägungen  von 
100  Neugeborenen  mitzutheilen  und  fühle  mich  dazu  um  so 
mehr  berechtigt,  als  sich  schon  aus  dieser  relativ  kleinen 
Zahl  ein  Gesetz  nachweisen  Hess,  welches  ebenso  constant 
als  natürlich,  doch  bis  jetzt  noch  nicht  genau  eruirt 
worden  war. 

Dem  Hauptthema  muss  ich  hier  zunächst  noch  die  Unter- 
suchungen über  den  Gewichtsunterschied  beider  Geschlechter 
bei  diesen  100  Kindern  und  die  über  die  Zeit  des  Abfalls 
der  Nabelschnur  vorausschicken. 

Unter  100  ausgetragenen  Kindern  befanden  sich  56  Knaben 
und  44  Mädchen. 


für  Geburtihalfe  in  Berlin.  410 

Erstere  wogen  zusammen  378,4  Pfund.  Das  Durchschnitts- 
gewicht war  also  6%  Pfund  (6,75)  für  jeden.  Der  schwerste 
Knabe  wog  81/,  Pfund  Zollgewicht. 

Die  44  Mädchen  wogen  zusammen  285,9  Pfund,  jedes 
also  durchschnittlich  6ya  (6,49)  Pfund.  Das  schwerste 
Mädchen  wog  8  Pfund  2%  Loth  ZoUgewicht. 

Die  Knaben  waren  also  auch  bei  diesen  hundert 
Kindern  durchschnittlich  schwerer  als  die  Mädchen 
und  zwar  J/4  Pfund.  Diese  Durchschnittszahlen  stimmen  mit 
den  Angaben  von  Hecker  ziemlich  genau  überein,  welcher 
als  Durchschnittsgewicht  *  für  Knaben  6,62,  für  Mädchen 
6,46  Pfund  berechnete. 

Bei  100  Kindern  löste  sich  ferner  der  Nabelschnurrest 
(cf.  Tab.  I.): 

17  Mal  am  zweiten  Tage, 
4Q    „     „    dritten 
24    „     „    vierten      „ 
9    „     „    fünften 
1     „     „    sechsten    „ 

Bei  der  Hälfte  derselben  fiel  er  also  schon  am  dritten, 
bei  y4  am  vierten,  gewöhnlich  also  am  dritten  oder 
vierten  Tage  ab. 

Kommen  wir  nunmehr  zu  unserer  Hauptaufgabe,  zu  der 
Erörterung  nämlich,  ob,  wie  lange  un4  wie  viel  Neugeborene 
in  den  ersten  Tagen  nach  ihrer  Geburt  abnehmen  und  wann 
und  wie  rasch  sie  wieder  zunehmen,  ,so  muss  ich  zunächst, 
den  Angaben  SiebolcFs  entgegen,  hervorheben,  dass  alle 
Kinder  schon  innerhalb  der  ersten  24  Stunden  nach  der 
Geburt  Gewichtsveränderuugen  erleiden.  Um  diese  über-* 
sichtlicher  zu  machen,  verfertigte  ich  erstlich  die  Tabelle  I., 
aus  der  sich  Folgendes  ergiebt: 

Alle  100  Kinder,  keines  ausgenommen,  verloren  schon 
in  dei*  ersten  24  Stunden  nach  der  Geburt  an  Ge- 
wicht Der  höchste  Gewichtsverlust  innerhalb  dieser  Zeit 
betrug: 

Zwei  Mal  16  Loth  (ein  Mal  in  Folge  starker  Nabelschnur- 
blutung (cf.  1.  c  10  u.  105),  der  geringste  nur  8  Quentchen 
(1.  c.  67).  Zusammen  büssten  100  Kinder  695,2  Loth  ein, 
jedes  also  durchschnittlich  6,95  Loth;  erster  Tag. 

27* 


420  XXII.    Verhandinngen  der  Gesellschaft 

Von  diesen  100  Kindern  nahmen  90  auch  noch  am 
zweiten  Tage  ab.  Der  geringste  Verlast  betrug  5  Quentchen 
(61,  105),  der  höchste  14  Loth  (112),  die  Gesammtabnahme 
aller  546,8  Loth ,  die  Abnahme  eines  jeden  6,07  Loth  durch- 
schnittlich; zweiter  Tag. 

41  dieser  Kinder  nahmen  noch   am  dritten  Tage   ab, 

zusammen  134,5  Loth,  jedes  also  durchschnittlich 

3,28  Loth;  dritter  Tag. 

15  endlich  zeigten  auch  am  vierten  Tage  noch  Abnahme, 

zusammen  44,3,  pro  Kopf  also  2,9  Loth;  vierter  Tag. 

Alle   100  Kinder  nahmen  zusammen  1451,4  Loth  bis 

zum   incL  fünften   Tage   ab,   —    es   beträgt   mithin   die 

Durchschnittsabnahme  im  Ganzen  14,51  Loth  und  ver- 

theilt  sich  diese  so,   dass  %   derselben   auf  die  beiden 

ersten  Tage  fällt. 

Da  von  100  Kindern  alle  am  ersten,  90  auch  am 
zweiten,  41  noch  am  dritten  Tage  an  Gewicht  abnahmen, 
so  folgt  daraus,  dass  die  Dauer  der  Abnahme  im  Ge- 
wicht gewöhnlich  zwei  bis  drei  Tage  beträgt 

38  gesunde  Mädchen  büssten  zusammen  514,5  Loth  ein, 

jedes  durchschnittlich  13,5  Loth. 
45  gesunde  Knaben  verloren  zusammen  558,1  Loth, 

jeder  im  Durchschnitt  12,4  Loth. 
Es    scheinen    also    die    gewöhnlich    schwereren 
Knaben  weniger  an  Gericht  zu  verlieren  als  die  Mädchen. 

Von  diesen  100  Kindern  waren  93  ausgetragen,  7  zu 
früh  geboren. 

Unter  den  ersteren  wurden  78  durch  Muttermilch, 
15  durch  Kuhmilch  ernährt. 

Die  78  durch  Muttermilch  ernährten  ausgetragenen  Kinder 
büssten  innerhalb  der  2 — 3  ersten  Tage  zusammen  1071,5  Loth 
an  Gewicht  ein,  mithin  pro  Kopf  13,73  Loth.  —  Bei  18 
derselben  liess  sich  jedoch  eine  besonders  hohe  Gewichts- 
abnahme durch  Erkrankungen  der  Mutter  oder  des  Kindes 
selbst  in  dieser  Zeil  erklären  (cf.  Tab.  L,  20,  21,  37,  52, 
66,  67,  73,  82,  88,  89,  100;  104,  76,  96,  112,  61,  26,  27). 
Lässt  man  diese  unberücksichtigt,  so  blieben  60  gesunde 
Kinder  iforig,  welche  zusammen  736,6  Loth,  durchschnittlich 
jedes  also  12,2  Loth  in  den  ersten  2—3  Tagen  verloren. 


für  GeburUhülfe  in  Berlin.  421 

Die  15  durch  Kuhmilch  ernährten  Kinder  nahmen  in  den 
drei  ersten  Tagen  nach  der  Gehurt  zusammen  183,2  Lotb, 
Jedes  durchschnittlich  12,2  Loth  ab. 

Die  sieben  nicht  ganz  ausgetragenen  Kinder  (von  denen 
nur  eines  durch  Kuhmilch  ernährt  wurde)  büssten  zusammen 
in  dieser  Zeit  92  Loth  ein,  jedes  folglich  circa  13,2  Loth. 

Die  Differenz  im  Gewichtsverlust  zwischen  den  aus- 
getragenen und  nicht  ausgetragenen  Kindern  ist  also  in  den 
ersten  Tagen  nach  der  Geburt  gering,  die  letzteren  nahmen 
etwas  mehr  ab;  zwischen  den  durch  Muttermilch  und  durch 
Kuhmilch  ernährten  Kindern  zeigte  sieb  noch  kein  Unterschied 
in  dieser  Zeit. 

Ganz  anders  gestalten  sich  die  Verhältnisse  bei  diesen 
drei  Klassen  in  den  späteren  Tagen  nach  der  Geburt.  Und 
um  die  grossen  Unterschiede  derselben  genügend  hervor- 
zuheben, habe  ich  sie  in  der  Tabelle  IL  von  einander  getrennt 

Ich  fand  -  nämlich  zunächst  bei  allen  78  ausgetragenen 
und  durch  Muttermilch  ernährten  Kindern  sofort  nach  dem 
Aufhören  der  Abnahme  eine  Wiederzunahme  an  Gewicht 
und  nicht,  wie  Siebold  erst  einen  Stillstand  mehrere  Tage 
hindurch  (cf.  Tabelle  I.  und  II.  -4.  dieselben  Nummern). 

Unter  diesen  78  nahmen 

6  schon  am  zweiten  Tage 
37       „       „    dritten       „ 

20      „       »   «?*       "    Vct  Tabellen.  A. 
9      „  fünften       n 

4      „       „    sechsten     „ 

•  2      „        „    siebenten    „ 

an  Gewicht  wieder  zu.    In  57  von  78,  also  in  %  aller 

Fälle,   war  mithin  eine  Zunahme   schon  am  dritten 

oder   vierten  Tage   zu   bemerken,    d.  h.   natürlich   im 

Vergleich  zum  vorhergehenden   Tage,   nicht   aber   mit  dem 

ursprünglichen  Gewichte. 

Diese  Zunahme    schritt   nun   fort  und  verhielt  sich  in 

nächsten  Tagen  wie  folgt: 

6  nahmen  am  zweiten  Tage  zusammen  8,4  Loth  zu, 

jedes  durchschnittlich  1,4  Loth ;  zweiter  Tag. 

42       „        „    dritten  Tage  zusammen  149,5  Loth  zu, 

jedes  durchschnittlich  3,5  Loth;  dritter  Tag. 


422  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

62  nahmen  am  vierten  Tage  zusammen  183,4  Loth  zu, 

jedes  durchschnittlich  2,9  Loth ;  vierler  Tag. 

70  „         „  fünften  Tage  zusammen  151,3  Loth  zu, 

jedes  durchschnittlich  2,1  Loth;  fünfter  Tag. 

71  „        „  sechsten  Tage  zusammen  137,6  Loth  zu, 

jedes  also  circa  1,8  Loth;  sechster  Tag. 

74  „        „  siebenten  Tage  zusammen  117,2  Loth  zu, 

jedes  durchschnittlich  1,5  Loth;  siebenter  Tag. 

75  „        ,,  achten  Tage  zusammen  93,1  Loth  zu, 

jedes  durchschnittlich  1,2  Loth;  achter  Tag. 
74       „        „  neunten  Tage  zusammen  64,4  Loth  zu, 

jedes  durchschnittlich  0,8  Loth;  neunter  Tag. 
73       „        „  zehnten  Tage  zusammen  74,4  Loth  zu, 

jedes  durchschnittlich  1,0  Loth ;  zehnter  Tag. 
Zusammen  nahmen  78  Kinder  979,4  Loth  bis  zum  incl. 
zehnten  Tage  nach  .der  Geburt  zu,  durchschnittlich  also  jedes 
12,5  Loth.  Von  diesen  78  Kindern  waren  jedoch  18  durch 
eigene  Erkrankungen  oder  Aifectionen  ihrer  Mütter  an  einer 
regelmässigen  Zunahme  mehr  oder  weniger  gehindert  (cf. 
Tabelle  IL  A.).  Nach  Abzug  dieser  bleibt  für  die  60  übrigen 
eine  Gesammtzunabme  von  933,1  Loth,  für  jedes  eine  Durch- 
schnittszunahme von  15,5  Loth  bis  zum  zehnten  Tage  nach 
der  Geburt.  Mit  dieser  Zahl  stimmte  auch  die  Thatsache 
überein,  das  36  von  jenen  60  Kindern  am  zehnten  Tage 
schon  um  mehrere  Loth  schwerer  waren  als  bei  der 
Geburt 

Die  höchste  Zunahme  innerhalb  24  Stunden  betrug 
9,8  Loth  (cf.  Tabelle  II,  A.  79),  —  die  Durchschnittezunahme 
täglich  4/s~3V«  Loth. 

28  von  jenen  60  gesunden  Kindern  waren  Mädchen  und 
nahmen  395,7  Lothin  dieser  Zeit  zu,  jedes  14,1  Loth ; 

32  Knaben  hingegen  gewannen 537,4    „ 

ein  jeder  also  durchschnittlich 16,7     „ 

Hiernach  scheint  das  Verhältniss  bei  der  Zunahme 
an  Gewicht  wiederum  günstiger  für  die  Knaben  als  für 
die  Mädchen  auszufallen.  —  Soviel  aber  erhellt  aus 
dieser  und  der  obigen  Berechnung  über  den  Unterschied  im 
Gewichtsverluste  beider  Geschlechter,  dass,  wie  auch  Siebold 


ffir  Gebürtobülfe  in  Berlin.  42g 

fand,  das  bei  der  Geburt  gezeigte  Gewicht  ohne  Einfluss 
auf  den  Grad  der  Ab-  und  Zunahme  war.  Es  müssten  sonst 
die  leichteren  Mädchen  durchschnittlich  weniger  abgenommen 
haben  als  die  Knaben. 

Das  normale  Verhalten  in  der  Zunahme  lässt  sich  am 
besten  aus  den  Nummern  8, 14, 15, 17, 22, 21, 25, 51,  54,  55, 
70,  78,  76,  77,  82,  91,  93,  96,  108, 114  der  Tabelle  II.  A. 
übersehen.  Diese  Kinder  nahmen  coustant  zu  und  eins  der- 
selben hatte  nach  überwundener  Abnahme  schon  wieder 
27,4  Loth  bis  zum  zehnten  Tage  zugenommeu  (54).  Die 
scheinbaren  Gewichtsverluste  in  der  Zeit  der  Zunahme  bei 
den  Nummern  der  Tabelle  IL  A.:  4,  7,  9,  16,  18,  34,  35, 
56,  59,  60,  63,  64,  75,  79,  80,  84,  85,  104,  107,  111 
sind  schon  in  der  Einleitung  berücksichtigt. 

Weit  ungünstigeres  Verhalten  zeigten  die  15  durch  Kuh- 
milch ernährten  Kinder  (cf.  Tabelle  II.  B.). 

Nur  ein  einziges  von  diesen  hatte  am  zehnten  Tage  ein 
Mehr  von  3  Quentchen,  gegen  das  Gewicht  am  dritten  Tage, 
dabei  aber  noch  ein  Weniger  von  ö1/^  Loth  gegen  das  Ge- 
wicht bei  der  Geburt 

Alle  übrigen  nahmen  fast  constant  noch  bis 
zum  zehnten  Tage  ab,  und  zwar  bedeutend;  so  verlor 
eins  in  dieser  Zeit  33,5  Loth  (52)  und  starb  an  Atrophie; 
ein  zweites  sogar  52,3  Loth  (81),  blieb  aber  am  Leben. 

Wenn  sich  ferner  bei  einem  schon  Zunahme  in  den 
ersten  zehn  Tagen  zeigte,  so  war  dieselbe  sehr  gering  und 
wurde  durch  darauf  folgende  Wiederabnahme  rasch  getilgt 
(No.  33,  36,  52,  92). 

Eine  solche  Tendenz  zur  Zunahme  zeigte  sich  bei  fünf 
von  diesen  Kindern  zugleich  mit  oder  gleich  nach  dem 
Abfalle  des  Nabelschnurrestes  (No.  36,  52,  68,  69,  65). 

Schliesslich  waren  alle  fünfzehn  durch  Kuhmilch 
ernährten  Kinder  am  zehnten  Tage  noch  bedeutend 
leichter  als  gleich  nach  der  Geburt  und  noch  kein« 
derselben  zeigte  eine  beginnende  Zunahme.3) 

1)  Kenn  neue  Fülle  von  Gewichtsbestimmungen  bei  Neu- 
geborenen, welche  durch  Kuhmilch  ernährt  wurden,  haben  mir 
bis  jetst  jede  der  oben  ausgesprochenen  Behauptungen  wiederum 
bestätigt. 


424  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

In  Betreff  der  Gewichtsverminderungen  jener  sieben  nicht 
ausgetragenen  Kinder  nach  dem  drittem,  vierten  Tage  ist 
endlich  Folgendes  zu  bemerken  (cf.  Tabelle  IL  C): 

Eins  (No.  72)  von  ihnen  zeigte  eine  ziemlich 
constante  Zunahme  seit  dem  vierten  Tage,  so  dass  es 
am  zehnten  Tage  im  Ganzen  10  Loth  4  Quentchen  zu- 
genommen hatte  und  3  Loth  schwerer  als  bei  der  Geburt  war. 

Bei  der  Hälfte  der  übrigen  liess  sich  eine  sehr 
schwankende  und  geringe  Zunahme  wahrnehmen;  daher 
war  am  zehnten  Tage  das  ursprüngliche  Gewicht  noch  nicht 
wieder  erreicht  (46,  37,  57). 

Die  drei  letzten  zeigten  noch  fortdauernde  Abnahme 
(58,  74,  117).  , 

Nach  Zusammepstellung  aller  dieser  Facta  gehen  wir  nun 
zur  Erklärung  derselben  über  und  wenden  uns  zunächst  zu 
den  Momenten,  welche  jene  Gewichtsabnahme  in  den  drei 
ersten  Tagen  nach  der  Geburt  bedingen.     Zu  diesen  gehören 

1)  die  gewöhnlich  bald  nach  der  Geburt  erfolgende 
Entleerung  von  Urin  und  besonders  von  Meconium, 
welches  im  ganzen  Dickdarme  aufgehäuft  ist.  Oefter  habe  ich 
Windeln  gewogen,  die  durch  eine  einmalige  Entleerung  von 
Meconium  2 — 3  Loth   schwerer  als  vorher  geworden  waren. 

(NB.  Ein  Nabelschnurstück  von  der  Länge  des  am  Kinde 
noch  befestigten  wog  3 — 6 — 8  Quentchen.) 

Aber  die  Entleerung  von  Meconium  und  Urin  bedingt 
nicht  allein  die  Gewichtsabnahme;  denn  zu  häufig  fand  ich 
Neugeborene  einige  Stunden  nach  der  Geburt  schon  um 
mehrere  Loth  leichter  als  vorher.     Dies  erklärt  sich 

2)  durch  die  nach  der  Geburt  sehr  vermehrte 
Hautthätigkeit.  Durch  Entfernung  der  die  Haut  schützenden 
Fetthülle  (Vernix  caseosa)^,  durch  Muskelanstrengungen  (Schreien, 
Saugen),  durch  eine  hohe  Temperatur  der  Umgebung  (Kleidung, 
Aufhalten  im  Bette  der  Mutter)  wird  die  bis  dahin  sehr  be- 
schränkte Schweissecretion  sehr  angeregt.  Nicht  selten  habe 
ich  Neugeborene  in  den  ersten  Tagen,  ja  schon  wenige 
Stunden  nach  der  Geburt  mit  hellen  Schweisstropfen  auf  der 
Stirn-  und  Kopfhaut  unter  der  warmen  Decke  des  mütter- 
lichen Bettes  gefunden;  besonders  recht  kräftige  Kinder. 
Schon   die   hohe  Röthe   beweist  ja   die   starke  Blutfülle  der 


für  GeburUbülfe  in  Berlin.  4g5 

Haut,  welche  sich  erst  allmälig  zurückbildeL   Die  Höhe  dieses 
Gewichtsverlustes  betrug  öfter  lVa  Loth  in  wenigen  Stunden. 

3)  Auch  nimmt  offenbar  der  Fettgehalt  der  Haut 
in  den  ersten  Tagen  nach  der  Geburt  sichtlich  ab,  da  die 
Kinder  bald  nicht  mehr  so  prall  und  rund  in  ihren  Formen 
sind,  wie  gleich  nach  der  Geburt  und  die  Haut  leichter 
Falten  zeigt  Der  Druck  der  Kleidungsstücke  —  namentlich 
der  ungleichmässige  —  mag  dazu  wohl  eben  so  viel  beitragen 
als  die  oft  sehr  starken  Muskelanstrengungen  beim  Schreien 
und  Saugen. 

4)  Die  veränderte  Ernährungsweise.  Während 
im  Utero  der  Fötus  meist  eine  gleichmässige  Zufuhr  von  schon 
verdauten  und  resorbirten  Nahrungsstoffen  erhält,  treten  nach 
Abschneidung  dieser  Zufuhr  dem  Neugeborenen  bei  dem 
Sachen  nach  neuen  Erwerbsquellen  viele  Hindernisse  in  den 
Weg.  So  muss  er  zuerst  saugen  lernen  und  oft  mit  vieler 
Mühe  die  flache  mütterliche  Warze  hervorziehen;  er  muss 
ferner  verdauen  lernen  und  findet  dazu  eine  anfangs  nur 
geringe  und  wie  man  annimmt  noch  etwas  abführende 
Milch  und  endlich  soll  er  sich  noch  des  ihm  bereits  fremd 
gewordenen  Nabelschnurrestes  entledigen!  Das  sind  Gründe 
genug,  die  eine  Zunahme  in  den  drei  ersten  Tagen  nach  der 
Geburt  verhindern  und  erklären,  weshalb  alle  Neugeborenen 
in  ihnen  abnehmen.  —  Sie  verlieren,  weil  ihre  Ausgaben 
gross,  ihre  Einnahmen  gering  sind  und  verlieren  Meconium, 
Wasser  und  Fett. 

Eben  so  natürlich  ist  es  aber  dann  auch,  dass  nach 
glücklicher  Ueberwindung  dieser  Hemmnisse,  bei  gesunden 
Kindern  eine  Wiederzunahme  an  Gewicht  beginnt.  Von  dem 
kräftiger  saugenden  Kinde  wird  jetzt  eine  grössere  Quantität 
Milch  aufgenommen,  die  weniger  Salze,  aber  mehr  Fett  und 
Casein  enthält  und  unter  regelmässiger  Betheiligung  der  Leber 
wird  diese  vollständiger  und  rascher  verdaut  Der  von 
Meconium  frei  gemachte  Darm  giebt  nun  blos  die  Reste  der 
unverdauten  Ingesta  ab.  Die  vorher  bestandene  Hyperämie 
der  Haut  ist  allmälig  geringer  geworden.  Sie  ist  nunmehr 
schon  an  die  Temperatur  ihrer  Umgebung  gewöhnt  und  hat 
ihre  Secretion  den  übrigen  Organen  angepasst  Die  bis  zum 
Abfalle    der  .Nabelschnur    abgemagerten    Kinder    fangen    an 


426  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

wieder  runder  und  voller  zu  werden,  so  wird  auch  dem  Ge» 
sichte  die  Wiederzunahme  merklich,  welche  wir  oben  auf  der 
Wage  constatirten!  — 

Wir  haben  früher  erwähnt,  dass  die  Abnahme  zwei  bis 
drei  Tage  nach  der  Geburt  dauert,  wir  haben  ferner  erwähnt, 
dass  dann  am  dritten  oder  vierten  Tage  eine  Wiederzunahme 
an  Gewicht  beginnt,  wir  fanden  ausserdem,  dass  bei  %  a^er 
Kinder  der  .Nabelschnurrest  am  dritten  oder  vierten  Tage 
abfiel,,  und  fuhren  endlich  hier  noch  an,  dass  bei  71  durch 
Muttermilch  ernährten  ausgetragenen  Kindern  der  Beginn  der 
Wiederzunahme 

8  Mal  am  Tage  vor     /    dem  Abfalle  der  Nabelschnur 
24    „      „      „      nach  j  stattfand 

und  39  Hai  mit  dAiselben  zusammenfiel, 2)  —  was  ist  natür- 
licher, als  dass  wir  daher  dem  Abfalle  des  Nabelschnurrestes 
eine  hohe  Bedeutung  für  die  Begrenzung  der  Abnahme  und 
den  Beginn  der  Wiederzunahme  an  Gewicht  zuschreiben. 
Dass  Störungen  in  jenem  Demarkationsprocess  häufig  Icterus 
und  damit  aborme  Ernährungsstörungen  herbeifuhren,  ist 
längst  bekannt  und  wird  durch  viele  Beispiele  der  Tabellen  1. 
und  IL  Ä.%  No.  21,  20,  82,  J00,  61,  42,  88,  109  be- 
wiesen. Auch  drei  Fälle  der  Tabelle  I.,  No.  37,  73  und  112 
zeigen  dies,  in  welchen  bei  einem  jauchig  faulenden  Zustande 
des  Nabelschnurrestes,  ohne  sonstige  nachweisbare  Ursachen 
eine  abnorm  hohe  Gewichtsabnahme  stattfand.  Diese  Er- 
krankungen beeinflussen  durch  ihren  Zusammenhang  mit  der 
Leber  auch  die  Verdauung  und  wir  bewundern  hierbei  nur, 
wie   weise   die   Natur  denselben  im   Allgemeinen   vorgebeugt 


1)  Bei  60  später  noch  gewogenen  Kindern  fand  leb  inzwischen 
den  Beginn  der  Zunahme 
2  Mal  2  Tage 
9      „    1  Tag 
21      „   am  selbigen  Tage  mit  )  dem  Abfalle  der  Nabelscbnnr. 
14      „   Tagt  nach  und 
4      „    2  Tage  „ 

Unter  115  Kindern  begannen  also: 
17  am  Tage  vor 
40    n    selbigen  Tage  mit      '    dem  Abfalle  der  Nabelschnur 
38     „    Tage  nach 
wiedereinnehmen. 


für  Geburtabülfe  in  BerUn.  427 

hat,  indem  sie  durch  den  anfangs  noch  geringen  Inhalt  der 
mütterlichen  Brüste  eine  /schädliche  Ueberfältung  des  kindlichen 
Magens  verhinderte,  ja  sogar  durch  die  Beschaffenheit  jenes 
Inhalts  für  eine  (so  beliebte!)  massige  Ableitung  auf  den 
Darmkanal  sorgte!  —  Aus  Obigem  erhellt  aber  ferner,  dass 
die  Beseitigung  jenes  Processes  überhaupt  eine  Conditio  sine 
qua  non  für  die  Wiederzunabme  ist  und  dies  liegt  ohne 
Zweifel  daran,  dass  die  Function  der  Leber  als  gallen- 
absonderndes qnd  blutbereitendes  (?)  Organ  nicht  eher  eine 
normale  werden  kann,  als  bis  der  nothwendige  Obliterations- 
process  an  ihr  ganz  vollendet  und  ihre  neuen  Druckverhältoissd 
ganz  geregelt  sind.  —  Unter  Berücksichtigung  aller  dieser 
Thatsachen  formuliren  wir  daher  unsere  obigen  Angaben  über 
die  Zeit  der  Ab-  und  Wiederzunahme  an  Gewicht  dahin, 
dass  Neugeborene  in  der  Regel  bis  zum  Abfalle  des 
Nabelschnurrestes  ab-  und  gleich  nach  demselben 
wieder  zunehmen. 

Dies  ist  das  physiologische  Verhalten;  es  bleibt  uns  nur 
noch  übrig,  die  abnorm  hohe  und  lange  dauernde  Abnahme 
zu  berücksichtigen,  wie  wir  sie  bei  18  durch  Muttermilch 
und  allen  15  durch  Kuhmilch  ernährten  Kindern  fanden. 

Als  Grund  derselben  Hessen  sich  bei  ersteren  zunächst 
einige  Mate  starke  Blutungen  aus  der  schlecht  unter- 
bundenen Nabelschnur  bald  nach  der  Geburt  auffinden; 
geringere  Blutungen  dieser  Art  wurden  im  Ganzen  sieben  Mal 
notirt:  No.  7,  8,  10,  17,  25,  29,  31,  90.  —  Zwei  Mal 
war  ferner  der  zu  geringe  Inhalt  der  mütterlichen 
Brüste  Ursache  der  fortdauernden  Gewichtsabnahme  des 
Kindes  (13,  20).  —  Die  häufigste  Ursache  aber  bildeten 
Erkrankungen  des  Kindes  und  der  Mütter.  Unter  den 
ersteren  sind  vor  Allem  die  Aphthen  zu  nennen.  Wir 
fanden  bei  diesen  100  Kindern  81  Mal  Aphthen: 

8  Mal  mit  Schwankungen  in  der  Gewichtszunahme, 

14  Mal  mit  mehr  weniger  starker  Abnahme  verbunden,. 

9  Mal  ohne  merklichen  Einfluss. 

Ganz  besonders  auffallend  war  es,  dass  von  den  15  durch 
Kuhmilch  ernährten  Kindern  12!  an  Aphthen  litten,  wie  denn 
diese  überhaupt  alle  mehr  oder  minder  erkrankten.  Dieser 
Umstand   ist  aber  gewiss  nur  der  Art   ihrer  Ernährung«- 


428  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

weise  zuzuschreiben.  Schwieriger  als  die  richtige  Quantität 
ist  noch  die  rechte  Qualität  der  Milch  für  jedes  einzelne  zu 
treffen;  offenbar  sind  aber  die  Temperatur,  der  Wasser-,  Fett- 
und  Zuckergehalt  der  eingeflössten  Milch,  ferner  die  Gefasse, 
in  denen  sie  gereicht  wird  und  die  Art  des  Eingehens  von 
sehr  hohem  Einflüsse  auf  die  Verdauung  derselben.  Schon 
eine  etwas  zu  niedrige  Temperatur,  ein  etwas  zu  bober 
Zuckergehalt,  ein  nicht  ganz  reinlicher  Saugpfropfen  sind 
zumal  in  den  ersten  Tagen  nach  der  Geburt  hinreichend,  Pilze 
zu  übertragen,  abnorme  Säurebildung,  Magenkatarrh  und  Er- 
brechen und  nach  diesen  Diarrhoen,  Icterus,  Gastroenteritis  etc., 
wie  sie  sich  bei  allen  diesen  Kindern  fanden,  zu  bewirken. 

Zwanzig  Mal  zeigte  sich  Ophthalmoblennorhoe  bei 
Neugeborenen,  1  Mal  ganz  isolirt  und  mit  starker  Gewichts- 
abnahme verbunden,  3  Mal  mit  Störungen  in  der  Zunahme, 
6  Mal  mit  anderen  Erkrankungen  complicirt  und  von  frag- 
lichem Einflüsse,  10  Mal  ganz  ohne  Einfluss  auf  die  Er- 
nährung des  Kindes. 

Icterus  zeigte  sich  16  Mal,  7  Mal  (cf.  Tab.  I.  u.  IL) 
in  starkem  Grade  und  dann  jedes  Mal  mit  bedeutender  Gewichts- 
abnahme oder  Schwankungen  in  der  Zunahme  nach  dem  dritten 
Tage  verbunden.  Neun  leichtere  Fälle  von  gelber  Hautfarbung 
verliefen  ohne  störenden  Einfluss  auf  die  Ernährung  der  be- 
treffenden Kinder. 

Zwei  Mal  entdeckten  wir  bald  nach  der  Geburt  ein 
Cephalaematom ;  zu  einem  derselben  gesellte  sich  noch  eine 
doppelseitige  Ophthalmie,  dieses  Kind  (No.  67)  nahm  lange 
ab;  das  andere  wurde  durch  Kuhmilch  ernährt,  am  zehnten 
Tage  durch  Entleerung  des  Cephalaematom  %\ß  leichter  und  ging 
einige  Tage  später  an  Gastroenteritis  zu  Grunde  (Tab.  0.  J5.  68). 

Von  dem  Einflüsse  des  Befindens  der  Mütter  auf  die 
Gewichtsveränderungen  der  Neugeborenen  heben  wir  zunächst 
hervor,  dass  sich  öfter  bei  excoriirten  Warzen  Aphten 
und  damit  auch  Gewichtsabnahme  zeigte'  und  dass  bei  einem 
furunkulösen  Abscess,  der  ebenfalls  durch  Rhagaden  entstanden 
war  —  auch  ohne  dass  Aphthen  sich  fanden  —  ebenfalls 
Gewichtsabnahme  erfolgte. 

In  drei  Fällen,  bei  welcher  sich  eine  von  excoriirten 
Warzen   ausgehende   erysipelatöse   Entzündung   der  Brusthaut 


för  Geburtahülfe  in  Berlin.  429 

entwickelte,  war  offenbar  eine  Gewichtsabnahme  der  betreffenden 
Säuglinge  in  der  Zeit  der  Zunahme  die  Folge  des  selteneren 
Anlegens,  der  geringeren  Nahrung. 

Gebärmutterentzündung,  welche  9  Mal  in  ziemlich  hohem 
Grade  ohne  septische  Infection  mit  lebhaftem  Fieber  vorkam 
(No.  14  u.  21,  Tab.  II.  A.)  zeigte  sich  zwei  Mal,  bei  un- 
gestörter Milchsecretion  ohne  nachweisbaren  Einfluss  auf  die 
Ernährung  der  betreffenden  Kinder;  beide  nahmen  bis  zum 
dritten  Tage  ab  und  dann  stetig  zu.  Sieben  Mal  aber  zeigten 
sich  bei  Fieberzuständen  der  Mutter  starke  Schwankungen  in 
der  Zunahme  nach  dem  dritten  Tage  (cf.  1.  c.  No.  11,  23,  24, 
30,  31,  44,  104).  —  Freilich  ist  dabei  zu  bemerken,  dase 
öfter  die  Kinder  dieser  Mütter  selbst  krank  waren,  weshalb 
sich  der  Einfluss  der  Mutter  auf  deren  Ernährungsstörungen 
nicht  genau  abgrenzen  liess. 

Die  Zange  musste  sieben  Mal  zur  Extraction  der  Kinder 
benutzt  werden  (cf.  Tab.  I.,  24,  70,  76,  93,  112  und 
Tab!  II.  B.,  61  und  98).  Die  zwei  Kinder  der  Tab.  II.  B. 
wurden  durch  Kubmilch  ernährt;  auf  vier  der  übrigen  hatte 
die  lange  Geburtsdauer  —  obwohl  die  Indication  zur  Anlegung 
des  Forceps  vom  Kinde  ausging  —  keinen  störenden  Einfluss; 
nur  eines  der  mit  dem  Forceps  entwickelten  Kinder  nahm 
sehr  stark  ab,  litt  aber  auch  an  einer  bedeutenden  doppel- 
seitigen Ophthalmie  <cf.  Tab.  I.,  76.) 

•Werfen  wir  nun  noch  ratsch  einen  Blick  auf  die  Ergebnisse 
der  Wägungen  von  Neugeborenen,  welche  Breslau,  Siebold 
und  Bartsch  angestellt  haben,  so  müssen  wir  zunächst  mit 
Breslau  (Denkschrift  der  med. -Chirurg.  Gesellschaft  des  Kanton 
Zürich,  1860)  darin  übereinstimmen,  dass  „die  Art  der  Er- 
nährung von  unzweifelhaftem  Einflüsse  auf  die  Zu-  oder 
Abnahme  des  Gewichts  der  Kinder  sei*4;  wir  fanden  aber  nicht, 
wie  er,  eine  Gewichtsabnahme  bei  61  Procent  am  zehnten 
Tage  nach  der  Geburt,  gegen  das  Gewicht  bei  derselben  und 
können  am  allerwenigsten  den  Satz  Breslau's  unterschreiben, 
wonach  bis  zum  elften  Tage  die  grosse  Mehrzahl  der  Neu- 
geborenen an  Gewicht  abnehmen  und  nur  ausnahmsweise  eine 
Zunahme  oder  ein  Gleichbleiben  des  Gewichts  stattfinden  soll. 
Hätte  Breslau  nur  einige  wenige  Kinder  täglich   gewogen, 


430  XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

so  würde  er  sieh  vou  der  Unrichtigkeit  seiner  Behauptung 
überzeugt  haben. 

Auch  den  Resultaten  Siebold'*  muss  entgegengehalten 
werden,  dass  die  betreffenden  Kinder  nur  alle  zwei  Tage 
gewogen  sind  und  die  Abnahme  nur  nach  V4  und  V*  Pfund 
angegeben  ist  Soöst  hätte  Siebold  unmöglich  bei  14  von  49 
in  den  ersten  Tagen  weder'  Zu-  noch  Abnahme  gefunden, 
würde  nicht  als  Termin  der  wiederbeginnentjen  Zunahme 
durchschnittlich  den  sechsten  bis  siebenten  Tag  nach  der 
Geburt  angeben  und  am  wenigsten  behaupten  können,  dass 
die  Kinder  am  fünften  bis  siebeilten  Tag  das  ursprüngliche 
Gewicht  wieder  erreicht  hätten. 

Bartich,  der  nur  fünf  Kinder  wog,  bat  trotzdem  richtigere 
Resultate  erlangt,  wie  Siebold,  und  seine  Behauptung,  dass 
der  dritte  Tag  für  ein  normales  Kind  doch  wohl  der  letzte 
des  Abnehmer  sein,  dann  aber  wieder  Gewichtszunahme 
stattfinden  möge,  kommt  untreu  Resultaten  sehr  nahe. 

Fassen  wir  endlich  die  Ergebnisse  der  obigen  Unter- 
suchungen nochmals  zusammen,  so  fanden  wir 

1)  die  Knaben  durchschnittlich  schwerer,  als  die  Mädchen, 

2)  den  Abfall  der  Nabelschnur  in  3/4  der  Fälle  am  dritten 
oder  ^vierten  Tage. 

Wir  erwiesen  ferner: 
6)  Alle  Kinder  nehmen  bald  nach  der  Geburt  an  Gewicht  ab. 

4)  Die  Höhe  dieser  Gewichtsabnahme  beträgt  bei  gesunden 
durchschnittlich  12,2  Loth; 

5)  die  Dauer  meist  zwei  bis  drei  Tage. 

6)  Bei  ausgetragenen  gesunden  durch4  Muttermilch  ernährten 
Kindern  beginnt  sofort  nach  dem  Aufhören  der  Ab- 
nahme eine  Wiederzunahme  an  Gewicht  durch-* 
«chnittlich  am  dritten  oder  vierten  Tage  nach  der  Geburt. 

7)  Dieser  Zeitpunkt  fällt  in  der  Regel  mit  dem 
Abfall  des  Nabelschnurrestes  zusammen. 

8)  Die  Höhe  der  Zunahme  bis  zum  incl.  zehnten  Tage  nach 
der  Geburt  bei  gesunden  durchschnittlich  15,02  Loth. 

9)  Die  meisten  Kinder  haben  mithin  am  zehnten  Tage 
schon  das  ursprüngliche  Gewicht  wieder  erreicht. 

10)  Hiervon  sind  nur  die  durch  Kuhmilch  ernährten  und  die 
nicht  ganz  ausgetragenen  Kinder  ausgenommen. 


fßr  Gebartshnlfe  In  Berlin.  43  J 

11)  Erstere  nehmen  auch  nach  dem  Abfalle  des  Nabelschnur- 
restes meist  noch  eine  Zeit  lang  sehr  ab;  letztere  sind 
schwankend  in  der  Zunahme.     Und  endlich 

12)  Erkrankungen  der  Mutter  und  des  Kindes  machen  sich 
durch  langer  dauernde  Abnahme  und  geringe  und 
schwankende  Zunahme  im  Gewichte  des  Kindes  be- 
merklieb. 

Da  ich  weit  entfernt  bin,  zu  glauben,  dass  die  oben 
angegebenen  Durchschnittszahlen  für  die  Ab-  und  Zunahme 
auch  für  eine  grössere  Zahl  von  Kindern  genau,  passend  sein 
sollten,  so  verspreche  ich  meinerseits  schliesslich  diese 
Wägungen  wie  bisher  fortzusetzen,  bitte  aber  zugleich  die- 
jenigen Fachgenossen,  welche  sich  für  diesen  Gegenstand 
interessiren  und  in  geburtshülflichen  Anstalten  Gelegenheit 
haben,  viele  Kinder  zu  wiegen,  ebenfalls  die  Sache  zu  unter- 
suchen ,  um  dadurch  die  Berichtigung  jener  Durchschnittszahlen 
zu  fordern  und  sich  von  der  Wahrheit  des  oben  entwickelten 
Naturgesetzes  zu  überzeugen.  —  Hauptsächlich  aber  werden 
weitere  Wägungen  den  Zweck  haben,  den  Einfluss  der 
Erkrankungen  der  -Mütter  und  Kinder  in  Bezug  auf  das 
Allgemeinbefinden  der  letzteren  näher  zu  eruiren.  Sie  werden 
unzweifelhaft  viel  zu  einer  genauen  Bestimmung  der  Krankheits- 
dauer, Intensität  u.  s.  w.  beitragen  und  dadurch  vielen  Ge- 
bieten der  Physiologie  und  Pathologie  schätzbare  Beiträge 
liefern.  Genau  angestellt  werden  sie  uns  stets  das  beste 
Barometer  über  das  Befinden  der  Neugeborenen  sein  und  uns 
leicht  in  Zahlen  zeigen,  was  der  Säugling  durch  Worte  nicht 
kund  geben  kann. 


432 


XXII.   Verhandlungen  der  Gesellschaft 


*> 
o 


*2 

23 

es  o 


&4 


0 


"5 

c 


0 


,«Ht|I     I    \Q  *H     I    ©1  iO 


tH  CO    | 


W  <N  <Ö  CO  t* 


H    (NH         iH         rHrHrHiHrHrHrH         <N  iH  rH         r*  »-i  « 


Ol  1  1  1 

1  1 

1 1  1 

1  1 1 1 

1  1 

1  1 

1    1    1 

4  1  1  1  1 

1  1 

1  1 1 

1  1  1" 

1  1 

i  i 

1    1 

<*"  1  l  1 

1  1 

1  1  ! 

1 1 l* 

1  1 

i  1 

1   1 

J*  1  1  1 

1  1 

1  1  1 

1  1  I* 

1 1 

I     «H 

1   1 

Qa  00  »©  <D     1 

1   *° 

lH      1       1 

1  .i  r 

r<-    | 

1    1 

1* 

*  *•"  1  1 

1    CO 

CO     I      1 

I     1   CO  <o 

Gl     1 

1    °* 

1* 

^,0«£4^*C0»O&)'*    I      IiOCDOOt-kO      «CO     I    CO  0»  tO     191 


,     1    <<<  T*  t~    ir)««0r-liOkOkOtOCOQO        CM  C9  CO  ^<  O»     I    CO 


'  w 


Journal- 
Nummer. 


>  C»  00  t*  Qß  ©  ^  <M  CO  ^  iO  <Xi  *"•        QCOlpOlftrH  N 

*«;**>  «f"**  <**  CO  eoU     JS  co  ^  ^ S  "O  «° 


Ar  Gebartahalfe  in  Berlin. 


433 


HS 

o       g 

s  1 

© 

.-»    « 

phthen  am  zwei 
ephalaematom ; 
Ophthalmie. 

m 
CU 
O 
o 

e 

abelschnurrest 

fanlend. 
tarker  Icterus; 

rhoe. 

<o 

fc 

5     co 

8>S    5- 

©PQ      o  « 


£ 


J52    -s-S  m 


6 

© 


0 


a 
© 


5 

CG 


Ü  *« 


»"osr?M  S  **  **  s;  ©  M  ©  **  **  ©  «»  *«  m-> 

I     **    »^     m^+      ■**     ^»9  **  *>*     ^bA     **■*    «^     <^J  »»*  <^A     ^J    t«i     »TT      ^.S  -*  *    Ä_- 

►*-5^5**5  *•  3*  5»  *•  T>  35  *s  s  s  *£  's  +»  J»  s 

•  .Z  £  ie  *~  »<  m  k  C  ^  ^  C  £  »»  »*  fc  :s  »»  t.  fc 


£»©©«>5£© 


i<a«OHflif     iococdmvo     eo     «oto  iooio     ono  i  t»«t»  i    i  io^* 

>.ae^iooo»o       ^OOtOOOW       CO       H»O>O>«0O»       T*cO  MtDHOeOCvCQ 

<^  «4   1H0I91  1NH1HH  ©4  04  *H  i-irl  1-«©«  H01Hf«f1&)plH 


1 1 


1 1* 

I      I  » 


III    I* 
im    r 


1 1 


INI 


04 
04 


\  I 


I  I« 
I  I" 


00         fH 

*      I 


I   I  I 
I   I  I 


CO 


I  I 


I  I 


I  I 
1-° 


Ol    1    04 


00    I   OD 
*H  Ol  ih 


I  I 

I  <o 


(III 
I    I    II 


N  cd  «©  <D    I  yo      00  00 
w  -**ih  «oooo      t-  04 


t-    ICO        CO        00  «00    |   t*        Oll  101 

eo   104      ci      eooooicot*      ^  oo  ö>  *h 


Ml*» 

*  12  I  I 


10*    liO040D        t~vOC0«*«O<N        04        ©4  C*  0*  OD    |  I  «O 

Ne0t-(O4iO    I         »(NOOOO^        «H»       OOtO^HO        ©  ** 
n  v«  **  n  1  iH«  r*        ^ 


I   kO  04b*    I      I      I   lO 


gSigSJS    $$££££    8    ggSSS    gg 

M»n*tuebr.r.Oabartak.  ISN.   Bd.  XIX.,  HA.  6. 


434 

i 

jQ 

Etwaige  Erkrankungen. 

«•4 

Verhandlungen  der  Gesellschaft 

*  'S            "3 

1              e       1                 1 

— »                       «d             o  • 

s                   S          •  • 

•«                             ja                ©  »• 
5                               -                 P-o 

jb-ö              ~      'S               o1"**                           i 

•  ,•                   Ca      »                   c     . 

'S  s               S       i               -*-2                            ' 

9 

•mm 

4? 

Zeit 

des  Abfalls 
der 

Nabelschnur. 

«    *   *   *   *        *ftit*efrft*fcfc        it    #    r    r   e  t  t 

H 

.5  «  ©  ©  «       o"«®«o«ooo        ©  ©  ©   ©  o  c  5j 

.^Z     «J    «J     aj    «*               ^    «T^     ♦*    ■**    ^     ^J    ^»     JJ     A*    ^-»                &>     ^1     «^     ^*     *»     «•  ^1 

*£*.»:£».      s^hhhwSSS«:      *:  2»  £:  i:  •»  *»  »] 

S 

e 
c 

4) 

a 

a 

0 
00 

öS 

§ 

i 

c 

8 

H 

• 
c 

OMNI     1  1  1  1  1  1  1  1  1  1     lllllll 
Jllill     l  1  1  1  1  1  1  1  1  1     1111111' 

*        ' 

H 

©                        ! 

.2 
> 

cH  1  1  i  1     ICIIIIIII    °  1  1  1  1  1  1 
,  J  1  1  1  1  1     1  1"  1  1  1  1  l  1  1    "  1  1  1  1  l  1' 

'S 

4> 

J 

1 

&IIIII        1  ••«©   1  »o  1  «  I  *•       lllllll 

J  1  1  1  1  1      1  •*  1  *  1 "°  1  *  1  *■     lllllll 

CG 
CO 

W 

Erster  Tag.  |  Zweiter  Tag. 

i 

q.  1  oi  |  »oi»      a»teio|co|    t«DH<f      oaoAf««o  i 
^S  ^<  e*  <c  <«  *•     *i  o«  ei  «i  •*  «o  m  e«  co  oo     «ooDt*c4« 

Jonrnal- 
Nummer. 

i      ~    •* 

fflr  GeborUbülfe  io  Berlin. 


435 


33 

o  © 

»■»•  a 

u  m 

-§1 

h5H 


a 
o 


a 

© 


»fcftftftftftftrfceftfcftfeltltftfcftftftftftfsftfc 

»•     »    &     <*    «• 


|eOr»«Ht«oet«ODi^iOc0e4T>4aO«Ot*    l     |  noi^b»iOHt»    IOC© 
oa<*^;ao<0kOt<»^<£5gr>ieicoe«t<»ef<0o>i-icQOeoei<0r«$icQ 


I   I 


I* 
I    I 


I"  I 


I     lO  fco 

1-i CO  I 


I  I 


I« 


«ißt»ce<?i^»o«o<ot-»o   ICD   I  t-  b»  t- 


1 1 
I  I 


1 1 


1 1 1 
1 1 1 


- 1 1 


1 1* 

»ooo* 


qo  qo  |tOtoao-«ciioao~4iOiO  |  co  loo   i  <o  cp  i  hiA  i  r-   i    i    i 
»•t»««in»^iOO©©«p  co  w  OG«c0ietor«oieoe««0c0OcA 


JtftMW^SJtSSitSSS^SSSSSSSSSJS 


H 


3 

f.. 

H 

«     ■ 

S33 


SS 


C0^ 


*8 


b-  CO 


CM  CO 

s 


09CM 

33 


eoS 


-23- 

t2        zu 

|  S.5 

©  »o  ts 

iif 


s 


5 


jg  TS 

*  o 

SM 
.  fl  © 

>     ©  T3 
ei   © 

_    »Sä 

M8    © 
©  ^ 

l-t    **  i-i 

ö  2  ' 
•  JB 

-  B1 


sä 


s 


28* 


436 


XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


60 


c 

Ctf 

s 

c» 


a 


5 


c 


« 


J5 

£3 

%+ 

t- 

3 

JS 

.s 

p*i 

«> 

ST 

V 

CO 

J3 

i 

55 

e 

■«Ja 

Pf  . 

«  ? 
—  o 

1« 

OB    . 

®   t- 

■°  £ 

SS 

««..£ 

Mä 

5- 

«1 

*s 

SS 

B    «3 

u 

c 

4) 

£ 
v 

SS 

<*> 

<re 

tt 

h 

« 

8 

SP 

1-H 

ä 

Co 

QO 

pQ 

r>- 

ß 

'S 

V 

pQ 

.fl 

fi 

3 

J3 

s* 

CO 

co 

§ 

c 

iCÖ 

s 

p* 

ja 

CO 

o  • 

> 

? 

CO 

<5 

ja 

O 

« 

fc 

^ 

CO 

O 

■ 

• 

bf> 

6 

d 

c 

SD 

TS 

0 
M 

C 

OD                                           g 

0                             Jj4 

« 1 

Etwa 
krank 

5  o 

1          ••£ 

p.  *• 

0 

ja 

©  o                        2 

«> 

CO 

CC 

amme 

der 

nähme. 

&  CO  *• 

J  coto 

t-    1   ©l  CO  <?*    1 
r*  iO  co  co  ö»  w 

h  ^  w  as  t-    j  ji 

HrtH 

©*  C*  CM         «^ 

w      e 

i                 , 

i 

'        S   • 

;    <*  i" 

Tl  i  l"T 

7     •     |    K»      1       J    » 

©  r^ 

•;  ^  1 

-f     |    ^      1     ^^ 

a  >  1  -»  1  1 

h3         1 

i 

K3 

i 

• 

u 

i       x»   I  ^ 

-<>oW^>Oeo 

99      .    1    CO     1      f   «3 

a> 

1        ö*    1 

1         1    1 

0  • 

:    HiH 

|   «IM^^Ol 

"*    J  -. »°  °°  1  ^ 

p-J  *-*— • 

1                           •— ' 

" '£  «           "TT*    1 

ja 

fc 

u 

|     ^»«e 

io  ^T  1  -*   |  oo 

W    ®CO*J     1    iO    I 

i* 

1      j-  1 

i 
i 

COJ^CO    ,     ,     | 

•pfg  CO  vN    |    ^«J5 

4äH 

S 

j= 
-  p 

~ ^"^T 

1«  r  • 

^ «  -*   |  e«  i>  3" 

ISP 

N>     "     1 

w  1«  1    1 

J^ttXNr-    ,     | 

|H 

0 

•O 

OQ 

1 

»4 

'              d-"04 

i       o   * 

|     «Xt»55^* 

a» 

d"l 

^iO    |   ©1        -H 

iH  'tX'H  -*  CC  94  31 
OB 

s^ 

00 

-i  cooa 

oä  1  «o  »o  «Tt» 

CO     1      1    CO  •"*  o>  CS 

*♦*  St 

0   r"8 

j«* 

I    G*  "^  W  ^,*H 

^  CO  ^  CO     I    CO  09 

:§H 

1 

* 

1 

»4 

v  l  1 

^  **   1  o)  x  co 

•*Wt-     1       1    ~+  iO 

1* 

d  i  l 

00  -^  CO     |    iH  CO 

e»  1  **  co<©   1  ^f 

.2H 

*— * 

> 

Vi 

,    1 

niri 

|   W    |    NW  -*    1 

I- 

j  l  l 

1  1  I"*81 1 

|   CO    |    W<N    |      , 

CH 

Q 

4)      . 

!     dl 

1111*1 

1      M      1      1     1     1 

I     j  l  I 

MMN 

1      1      1      1      1     1      I 

*H 

1 

N 

i 

1 

Jonrnal-No. 

1               <** 

W«5  »os©t»QD 

für  GeborUhölfe  in  Berlin. 


437 


• 
B 

i 

! 
i 

D 

ebhaftes  i  Fieber 
der  Mutter, 
tarke  Erkrankung 
der  Matter. 

« 

© 

o 

o 

phthen;  Ophthal- 
mie, 
tarke  Erkrankung 

der  Mutter, 
lutverluste     der 
Mutter. 

ihr  starke  Aphthen. 

a 

2 

«0 

'S 
'S 

08 

starker  Icterus, 
phthen;      starke 
Ophthalmie, 
rkrankung   der 

d 
* 

1  • 
1 

►J 

CO 

< 

CO 

Ä 

.OD 

fc 

< 

"  W 

e*co  «o  oo 

CO 

*-t  COiO  CO 

'** 

cF 

ce  t-   l    I  iOr^ 

1 

<* 

t»  CO  •**  O!  kO  t© 

CO 

£•38 

oe« 

»H 

S°°5- 

CO 

Ä 

r*  ^*  iH 

1 

w 

■o 

o 

TS 

I   O»  ©*  CO«© 

1 

sr-s 

f  r» 

T 

ce  | 

1    1 

'■Ö' 

|   |»7| 

1 

co 

| 

T 

»O  tH'iTgO  aO 

o 

1« 

!  ^ 

CO 

»h  eo  co  ©i 

o 

1 

1      1      1  .**  *  » 

«n 

fr* 

*4 

H^#    |   M^t 

X 

1 

99  tC 

.  1  . 

III' 

■X 

CO 

s 

r~ 

T 

0*  t-"" 

r^ 

1 

T 

CO  CO  »"T  | 

-* 

«iT 

»" 

T 

eo  'fc©  CO  iO  »O 

eo 

e  at  et  i 

99 

©*  »■*  A4  CO 

1 

*«* 

*4  «4  CO  «*     | 

1 

.cof 

1 

tH 

1    CO  »H  <*  ©I 

o> 

1 

1 

\ 

A  . 

CO 

eo 

5V»  oo  oT 

iO 

ö^'ST'co  f» 

1 

T 

|  co  «*  co  o  io 

•o 

i 

gT»   |    |  e»  eo 

t~ 

s-l 

l~ 

0« 

S«     I    OOH 

1 

& 

CO     |    tH  »h     1 

<* 

1 

i 

*L 

1    CO  *H  Gl  rM 

3 

CO 

o*»©  9« 

CO 

l1-«! 

■o 

*r 

04     1          »O  iO 

T 

«o 

Od 

| 

oo"1  1  oo  •> 

1  • 

o 

1 

**  1  o*^ 

*■« 

«« 

^1  CO         <*  0* 

*^_ 

Ol 

iO 

*i 

1  J_/OC*J    | 

s 

to 

CO 

*    1 

*■* 

oT 

"T 

i 

G* 

CO 

ccT'*         io  -* 

1 

*5T 

«1<r<*    I    |    I 

eo 

*eo 

o 

1 

ia 

1 1 

«H 

1 

1  °°      Ä 

1 

CO 

.w. 

»O.Ol    |      1   0»  tO 

2 

CO 

».e  t-a*1 

T 

*  1 

r~ 

-* 

X 

o7 

■o 

ob-"«   I  cocT»o 

l> 

i 

1 

ooo  o 

W  »  *-»  CO. 

««•CO 

<* 

»•« 

1 

***lJ!ll 

i 

■t-y 

1     °jic0 

s 

3 

*•  1 

•  i 

1 

*H  hO 

1  *° 

* 

1 

■ir  i  oo 

iC 

1    CO     j    f     1 

1 

1 

1 

1 

1      ooo 

1         1         1 

1 

I    HW« 

«■< 

*H*1 

l 

* 

1 

I  e**t 

w 

|   N    1    CO  00 

X 

o» 

CM 

1 1 

i  i 

'    CO 

*  1 

^ 

- 1 

1 

OXNOttO 

o  o 

<* 

MIM 

X 

1- 

i" 

-* 

16 1 

1 

1 

1 

*<*  1HCO 

l> 

UM- 

3 

CD 

1  1 

i  i 

| 

1  1 

| 

1 

1 

*  1  1  1  1 

1 

1 

HIN 

0« 

1 1 

i  i 

1 

1  1 

1 

I- 

1 

1 1  1  II 

1 

1 

1  1  1  1  1 

0« 

SS 

^4  09 

09 

SSS 

;9 

••1 

s 

CO 

S8SS3S 

eo 

^ 
^ 

438 


XXII.    Verband  langen  der  Gesellschaft 


CO 

H 

a 
2 


1 


N 

CO 

2 


«3 


'SS 

1° 


0 
4) 


§P 


00 
CD 

s 


3 

•8 
'S 

cd 
O 


d 

* 

Starke  Aphten. 
Blennorrhoe. 

a 

«  fr« 

11 

Forceps. 
Forceps. 

Starker  Icterus. 

Summe 
der 
Gewichts- 
zunahme. 

CP«o  •*  a  **  o«  1    1    1    it"*<o 

■*  ao  i»  t>  ©*  ©*  «   1  eiiooo 

oo»o«ee^iH(«N«« 

Ol  «•«  i-<  Ol  G«        «-*        i*  v* 

u 

J* 

|       J    1   Hh^    1«    1«    |w 

i 
i 

et  o> 

•1" 

rjl  00  |  1  1  00'  <  1  O)f-)0D 
W    1  NW    |  »    1      1  ihm   | 

St* 

C  ^k©  *H  j^CO  O^'H     |   v4  r-< 

j 

00  CO 

et  cm 

Ti 

00  CO  iO    1    O  CM  »O     |  ^t*4  «D 

-♦»  es 

3* 

j  [  «  »  -  i=L  i «  x  l 

I  T***  0«  00  00  kO  I  0«  CD  0? 
0«  j^iN    1    Oä    |   «H«     1  •* 

»4 

I» 

2 
S 

^oo  io   I  t-kooolo   1    |    I 
•  iHcocQ^etiOf^io^ii-t 

i 

CO 

|  ea  0«  oo  To»  1  T"oo  cFkO 

»4 

CO 

•CO    t    G*  00  iO  t~  00    |    00    1 
A    \    r**     |    <*01    1©*«« 

i 
i 

0« 

t0  00iOiO0«Q0O4H0lf« 
■*oo    1   HN    |   00    |   CO*« 

fr« 

i* 

fr 

♦  <N  <N    j    iß    i   t»  00  0*    |    0* 

i 
i 

1 
1 

kO  kO  *     |      1    »H  iH<3>  o©  <<*  0» 

eo^iOkO   it-<   1  k©  ooeo  | 

fr« 

^eo  CO    I  t-  iO  00  t»  00  iO  fc- 
j    |co«HtO    1  «WCOWn 

i 
i 

eo 

»O  O»  1  0000  <*  1  1  1  09CQ 
1   Ol    j    CO  CO  t4    I      |    00  +* 

ii 

.  o>  CO  cQ  CO  iO  iO  kO  fc»  04    {     1 
4kOt-|C0kfi)iO*-iW* 

b*CO    |  0>    I  iO    1     I   kO    |    1 

"-  \"t'm  MIM 

»« 
*  * 

er- 1  1  1  1  1  *  1  1  1  1 
H>  1   1  1   1   1   1  1  1  1  1 

i 
i 

l 

1  II 1 1  1  1  II 1 1 
1 1 1 1 1 1  1  1  1 1 1 

Journal- No. 

g3ggS8g§Sg5g 

gssgssssgjss 

für  Qebnrtsbülfe  in  Berlin. 


489 


© 

e 

pd 

- 

fc 

« 

o 

«0 
0 

3 

p« 

«o 

o 

hm 

« 

o 

Ol 

fc. 

.       © 

*H 

o 

u 

o 

II 

fa 

fc  . 

>  o» 

»o  «o  cc  oo  oo  |  »o  oi  k«  oo 

«0  CO  90 

00  CD 

« 

teoc9  0>^)fO)t<aD«ooi<o 

»©  00  00 

SS 

Oi 

00 

<*4 

rtrlrt 

•H        9991 

f*         fH 

i  eo 

»o 

|  cTio 

|  to  b»  f  t»C7 

«ooT  | 

O»  iO 

© 

ü 

eo 

|A- 

1 lw-  IJ, 

«*    |   Ol 

iO  00 
CO  CO 

ob*  ic 

CO  CO 

th  eo 

1 

«  ©4 

*o 

1    |  oo'oij»o'ot'»o   I  «* 

1      I10 

OD. 

© 

■«  iO  «  W  M    | 

rww<ow   | 

CO    |   Ol 

II 

00  CO 

CO  «CO 

*T 

l 

CDOOiO    |   iO    I    iO  CO 

I**  1 

<4<  t~ 

01 

fH. 

m       . 

^ 

Ol  i-«  <«• 

33 

n 

00  1> 

^|»o 

CO  Ik» 

i> 

CO  CO 

0»  1 

fk'^O 

"^cToo 

1  »Oo7  |    |  oo 

VoT  | 

« 1 

"l 

oi 

|s.| 

1H  1H  ^lO  **     |   . 

- 

t^CO  CO 

iQ  CO 

00  CO 
CO  CO 

Ol  1 

1-t  \f 

r*i  1 

•  1 

CO 

»O  Ol  ««•  tfTiO  oö'iß  iO  0> 

•  1   1 

CO  CO 

OD     - 

1  ! 

1 

Ol  00  iO 

|   09     1    CO  OItH 

1-4  fH  "^1 

H  eo 

OD  O 
CO  CO 

J 

t»  IvH 
CO    f 

*M  I 

yl 

1 

1   «*  CO  cc" CO    1   iO  h7 

e©  Ol  00 

<o  t- 

0 

I    ^ffl*'*    1 

jj*     |   ~«C 

I  CO  Ol 

SS 

CO 

t«  CO 

CO  CO 

*H 

o 

OiOiO 

1«  1 

00  "*  COO    j  o 

Ol  00    1 

*  1 

Od 

1 

^1 

»Ol 

- 

t~    1   CO  Ol  »O  CO  CO  CO  ^1 

*o  Ol    I 

SB 

•  •    «» 

CO    Ol 

co  o* 

X    CO 

CO  09 

fH  1 

0«OO 

1 

I*  1 

»O    1    01r"To»     I 

1  1  1 

t-  00 

»O 

f. 

hO  1 

CO  04 

1 

1" 1 

^  co  -*  r^.eo  « 

1*  1 

CO  iO 

CO  CO 

*l* 

Ol  r-i 

1      1 

1 

1w  1 

1    1    1  *   1    1 

1  1  1 

Ol  Ol 

-* 

1      1 

1 

III        li 

1    1    I 

T-* 

1  1 

1 

1*  1 

i  l  i-  II 

1 1 1 

4*  Ol 

1 

§&£ 

MIO« 

*-*  O»  ^« 

«-4   *-4    i-l 

«rtrl 

SS. 

440 


XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


W 


a      §  g 

"S  *•  'S  *•  'S 
o.  o  5  ©  S 

*Jj  00  OD  00  00 


a  © 

ts  •  3 

o.  'S  * 

00 


•c 

© 

a  © 

o  © 

a  3 

o 


a 

€> 

ja 

** 
ja 

00 


e 
© 

.  © 
©^ 

°  i 


©    ä  s  - 

.S    a« 

8  g     c  *>«  S 
5  S    5  g  £3 

<Z*     3  ö*4° 


t«  .•||S©5© fc5 

oo      oo  ^  ^  00  00      i-3 


•  ce  ce  *■<  co  eo 

h3  rH  CO  «H 

I  II 1 1 


*H        t-(        CO        00  b»CO00 
I?       «O        ©J         |5JO® 


00       Ol       *o 


I    I    I  +1 I I 


00         CO 
00        *H 


■8» 

00 


I* 


-5  m 


«y-  |    |              -> 
ni* I l  +  l      * 
_[ l_ 

J*  I  18  I     * 

++   I l_ 

O»-*  oo   i  r»  »o 

^     IHM     I  "^ 

I   I   I   I  I 


I       I      *  I"  I 

^       «*         I     I  W    I 

I    I   + 


*  s    i* 
I    i    i  I 


I      I     +1 


-\\0  Od    |   00  00 

J-  l~*  I    * 
I  I  I  I      I 


I      I 


t-      eooo  io   I 

I    +1  + 


MO« 


+  +    |   + 


I  I 


I    tO  COM 
04    I    0*0* 


I 

I      I      I l+| 


cH  ~  I  * 
►i  IS«"  | 
l  +  l 


I    i    i 


JS     3 


<y|"  I-  I     | 

dl*-!*     I 

I++I 


aM*  I  I  I     " 
J  I  I  I  I  -     I 
I        I     +. 


I     I     I 


MM 
I  1*1 


R     R     15     R 


g 

*•  u  £  *.  u  * 

55555  5 

*•+»%*+*+»  fr« 

2  "C  •  "C  *C  • 


oo 
iO       o 


00        00 

+    I 


0 


iO       oo 
CO        019 

I      I 


o 
► 

a 

•      R 

ö 

&• 

© 


«III»  |       * 

**         |  *l  0*tO  w       ©i 


I  I 


a 


00        64        X        t»OiO    I  CO 

fc-        CO        00        «H^OOOi  r-l 


6X 


5J 


.2   * 


•C     #C     .2     .2 .2  *  S  S     .2 

Q      Q      >      >>NN  N      > 


3 
p 


Journal  No.        ^gggS     S         S 


oo      ^ 

i>      x 


0*  Ö*  Oi  Ö 


S    2 


Ar  GebnrtsbBlfe  in  Berlin/ 


441 


3 


§> 

e 

SP 


•8 

"3 


© 

•»* 

p- 

a 

'3Jä 

ö          2 

© 

1.3 

i 

43 

HB 

3-     äö 

■  s 

o 

/  ©     2  ©5     g5  s 

GQ       »4  CO 

»M 

►H 

^ 

B^ 

O"  i  •*«>  oo 
►JiO   I    I  <c 

°     1 

fr- 

5-2 

1    1 

+++ 1 

*H     1 

+  1 

1 

©     • 

«Hwt-  1 

"  1 

1 

JSP 

d  r"rt 

i-l  iH 

1 

■8H 

1  [  1 

+  + 

©      . 

ffl*Nl 

Ol  o 

1 

g  SP 

J  1  1«« 

H« 

I 

++I 

+  1 

*4 

V,^  »O*  iO 

00  fr- 

» 

2     «fl 

-•  H  H  «  ^ 

*■*  1 

CO 

43    08 

M 

1 

°H 

«1 

++++ 

+  + 

1 

© 

^«O  ^(NO 

-*•  CO 

<o    . 

P    tt> 

.•MIM 

00     1 

^ 

•  « 

hJ      im 

1 

-2H 

©^ 

+  111 

++ 

1 

00 

<y«°-  |    | 

iO  9« 

00 

43   * 

,4  1  1  *■" 

lrt 

Ol 

© 

CO 

1 

+  1  +  1 

1  1 

1 

1 

j      s  . 

d-l«  lM 

1° 

Ol 

J^"    1 

«H  «H 

Ol 

1         »H 

1  +++ 

+  1 

1 

h 

X,o  eo  t-e» 

00  fr- 

1 

f  * 

J10  I**' 

Ol  64 

*l 

.2H 

l  +  l    1 

+  + 

1 

I       «     - 

<tt 

.3         P 
**  <S   .   43 

H    *  *  * 

R     fc 

* 

•5  •  S 

©  .5  ©  'C 

•«4    SP   «*4      ** 

U    b 

© 

4* 

•    -S 

SBß 

c 

>^>Q 

nQ 

Q 

Journal -No. 

1 

t-  CO  t«  00 

CO  ^  »o  »o 

Ol  ^ 

fr-  fr- 

fr- 

^4 

a 


©    _ 

3      P 
©    © 

S  **, 

«8  * 

o  © 

*43 


•Ö    © 

•  s 
•ß  © 

-*° 

0    © 
©43 

So 

*  fl 

S3  © 

©  © 


flS 


6  o 

Ms 

S   « 

-  2 

© 

•  i 

'S  s 
•S  a 


o<2 

5ö 


ö  © 


434 


XXII.    Verbandinngen  der  Gesellschaft 


ec 

C 

c  - 
a> 


C 
0> 


§ 


I 

c 

8 


^5 

J 

«6 

2 


p 
© 
bo 

P 
P 

9 

u 
« 

© 

b© 

*3 

K 

*  72             'S                                 £ 

g             »       4                  i 

•^                          t>              O  •                                 «« 
*»                              P               .-**  o- 

«                          2              ©  •                               ■ 

©                                         g                     j.    o                                                 g 
P                                           -                        PuO                                                  £ 

•2.2              2*                     «  -;                              « 

•  ö            S      i            -«.2                          •* 

.O   «8                  2                            5s  P                                       1 
»                        fc.          1                   CO                                               QC 

Zeit 

des  Abfalls 

der 
Nabelschnur. 

bb 

<    ft   ft   tt   k        »Rfcfcfcfrfciefcfc        k   »    k    k   •»    •»    r 

S    ©    ©    ©    ©            ©«»jg®©©©©©©            ©©©©©©.£>« 

fc  .2 .2  'S  .2      "C  £  .2  .2  .2  t  *C  "C  E  'C      ~  C  "C  #C  tt^X 

Summe. 

•5  •*•  eo  tO  **  ih       0)ONO)^OHOOOt<*       «0>HOft»«C 

Fünfter  Tag, 

*  1  1  1  1  1    1  1  1  1  1  1  1  1  1  1    llllllll 

d  1  1  l  1  1     1  1  1  1  1  1  1  1  1  1     1  1  1  1  1  1  1" 

Vierter  Tag. 

«MINI      1  1"  1  1  II  1  1  1    "Mllllll 
d  1  1  1  1  1      1  lrt  1  1  1  1  1  1  1     -MMN- 

Dritter  Tag. 

&  1    1    1    1    1        1  eoooio  1  io  1  w  1  i»       llllllll 

-Ulli      l~  I*  I*  |-  1"     1  1  1  1  l  1  1  * 

^  leoieo  1      c*G*»o»©|oo|io**e*      o>  ©*»ao  i  »o  i  «o 

;  *#  ©*  <e  -^  r-      ^  ww  e*  ^  <e  «  e»oo  oo      »  ooo  t-  «  ■*  »ei 

Journal- 
,    Nummer. 

ooshh    ^oSSSS0*    *****       *•  ** 

für  GebortabSlfe  in  Berlin. 


435 


ä 

d 
S 

E 

o 

iOcO 

, 

5* 

II 

© 

ä  * 

•g«2 

+»  o 
o  © 

i-i  d 

© 

TS. 

a 
o 

2- 

9  3-8 
2  •-* 

*4      mT 

CO 

0>  *H    ' 

^a  hm 

^g 

J3-S 

•fl  S 

•3        V 

o  g 

•s-c 

.a 

© 

08     R    K 

2  -sJ3 

^H 

M 

H 
©Je©  ^ 

. 

■ 

£  3.S 

ba 

*Z  %.  %.  s  s  u  *• 
*;  2  ■;  ©  ©  o>  o 

©    ©    ©  ■*•  +»  ,2»  jS 

oe©©o.2©©e 

u 

»-i;*-i!^Dit•-»*i•*•»,• 

©  *3£ 

© 

•  5fi5  "5  •  ®5  •  ® 

J*      *    * 

•^   o*i 

*»  *»  +»  «n  .#*  «J;  £« 

.•***•♦;  ©  ©  a  © 

«-  C  *-  *  *  »  * 
Q  Q  Q  S3  S3  fe  tsj 

sös«s«tt:s 

* 

TS  .2  .2 .2  &  .2  'S  *ß  .2  *C  'ß 

P  >>  >  fe  >.  p  p  >  Q  Q 

s 

1  "    - 

§   So 

•C  X  "ß  •  'C  S  .2 .2  *ß  .2 

533 

Ö     §00. 

1  oor>Ht*oDt*ooHid(oeiiHao«t« 

1 

1  rt«^h»Ortl»    1  »O00 

*  1 

-* 

^4     SS 

30© 

ioeft^^ooc0ior-^#*4<oo4Oi<ooit>OTC0O*H3oocoo*<oi>OieQ 

§3 

3 

^     O   O 

,-,_„,-,           ^ 

hcIINHhxh 

^» 

tHvHvH^^vH^^O«          ^  O*  ^1 

*  Ja.2 

fH 

•2"* 

SS 

*  £ 

i  i  ii  i  l  i 
l  1  l  l  1  1  i 

1  1  I* 1  1  1  1  1 
1  1  1  1  1  i  1  1  i 

1   1    1    1    1   1    1    1    1   1   1 
1   1    1   1   1   1    1   II   1   1 

(OH 
(NO 

3 

^  a  • 

er  a 

Sfi4 

1  1 l i  i  1* 

1111111*1 

1  1  1  1  1  1  1  IM  1 

00  »o 

CO 

i  1  1" 1  1  l«l 

1  1  1  1  1  1  1  IM  1 

SS 

3 

>  •'S 

t>  00 

o 

ms     © 

M8   © 

1*1    1    1    I  **  *° 

1     1     1  »Ob»    I  00«    1 

1  ih«   |  t-   1    |    1  eo»o  1 

01  CO 

iO 

S^» 

'i  i  l  i  l  l  l 

111                 1                1 

1  I-08  1  !"•-  1 

1**1  l  l  1  i*" 1 

»O  t» 

s 

M    »O   © 

»iOt*(C^^O««t«tO    1«    1  M»h 

1  <*  «*«*o   1  ^    I     |    1  00 

OKÖ 

00 

0  © 

1          1 
«POIt-    j   Ol  fH  f  «  00  O»00  iOiO«  «919» 

1                      1         1    1    1 

Ol  -* 
t- b- 
Ol  Ol 

1 

*J5 

35 

s 

SS 

„ 

«•3 

00  00    1  tO  iQ  00  -+ 

©»  iOoo  **iOio  i  od  i 

cc 

1   «0«X>    1   rtift    1   f    1     1     1 

t>»Q 

Ol 

■&A 

1                                             i        i        i            i            i        i    i    r 

SS 

§ 

mm\     *SZ    ** 

SS 

8 

»5 

88333*5 

5  8  §  **  SjjSco« 

1 

a 

28* 


436 


XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


cp 
cx> 


c 

cp 
cp 

N 


a 

9 


e 
3 


.g 
S 

9 

es 


.s 


9 

o 

*      1 

«  5 


•Z   ja  • 

■*■    es 

a  ä 


2 


II 


s^ 


o   ö 

Sg 


es 


£ 

CP 


9 
CS 


CP 

CS 

'S 

CP 

-Q 

§ 

9 

I* 

■s 

G 

im 
<© 


3 


Etwaige 
Erkrankungen. 

Sehr   starke  Blen- 
norrhoe  des   Un- 
ken Auge  8. 

• 
Starke  Erkrankung 

*    i 

Summe 

der 

Zunahme. 

qJi  co  -^ 

J  eo«o 

i 

l>    1    Ol  CO  Ol    1 
r«  »0  co  oo  o»  Ol 

»h  "^  Ol  C»  l>"     1    Ol 
04  Ol  Ol          »-■ 

u 

9    \* 

Ti  i  rT 

21 
oT 

1-1 
1. 
.fl 

£ 

e 

"Tj 

.  1-  1  1*. 

hm 

© 

-i  iO  0«  ^«  »o  cö7 
|   CX  Ol  ^  —  Ol, 

ua  es 
.2 

OD                  ! 

© 

00 

o^T  1  •*    1  CO 

"1" 1 1 1 

CO  Ol     j    »O    1 

CO  t-4     |    •-  « 

«  Ol  t-    |     1 

* 

"  1"  1    1 

J"      1 

.rt>e     ]    Ol          "H 

X  l>  C33  -«*  «O 
UvH  ^  <0  04  04 

Fünfter 
Tag. 

^coc* 

O    j  «o  »o  oo  t~ 

1    0l^(N  £^W 

«     1      1    CO  ^*  O  O 

-^  co  H*  co   |  eo  eo 

Vierter 
Tag. 

er  1  1 
4   1   1 

"*  -*   1  oToo  co 

CO  ^  CO     1    *4  CO 

^  Ol  r-    j     1  *m  io 
©i    |  •*  <o«o    1  <* 

M 
©      . 

©  * 

Cr  1    1 
d    1   1 

1  1  1 1"  1 
1  ,  r«  1 

1    Ol    1    Ol  01  ^    I 
CO    |    0*01    1      1 

1 

Cr  1    1 

1       d    1    1 

1 

1111*1 

MMN 

1 1  1  1  1 1 1 
1  1  1  1 1 1 1 

Journal  -No. 

1                    -*  lO 

asssssss 

«r  GeburUbälfe  in  Berlin. 


437 


1 

CO 


1 

•**  JA  *» 


a> 

CO 


a> 


a  *  •  • 


5  ?  . 


7co  «occ      ad  »hcoiqco      «h      co      oot-  i    i  ot^       |       ^      t»  oo  ^  o»  io  »o 


«*.-..         |  00    |     |     |  ->        |    |f«0    |     | 


»o  ^t*  oo»o 


»-*        CO  *■•  CO  CO  04     * 


04  CO  CO         **  04         1-4  rH  ^     I    ©4  ' 


I    I    I  SOJ0  Ä 


6M0)    I        ©4 


«fit»  I  I 

°*  ^  «CO  |  ^ 


co  co  0>    |     I  ^»       co       co         |  eooeoidiO 

'HHCOH     I      I  CO  I  *4     InH^ffl 


iO  t*  CO  04        »o 
AI      |  ~       ©4 


10  0  9)  CO 

Q«  ©4  *4  I 


©4  co  co  r-       | 

©4    I   00  tH 


I  I    CO  *•  CO  iO  iO         iO 

CO,        CO     I    HH     I    91  | 


©I  00    I      I   t<-  CO 


5 


»©4    1         iO 
©4  **        ^ 


^       ©4    |        kOidl        O       »         i  t- *T  |  co  t- 


**  -   •*  co      <*©4  •*      o«      »o 


«  I  I 


s 


CO 

CO 

«*    «- 

CO 

*T  I  1 

04 

00 

•oT^n          o-«» 

i 

*• 

oo"3^*  1    i    | 

CO 

1      o 

*eo~ 

1 

i  i  i 

TM 

1 

OO         1 
|   «              CO    ■ 

i 

CO 

,04. 

l    l    l 

>O.Q4    1      j   ©4  iO 

co 

CO 

CO  •»  ro'ÖT 

•  1   I«* 

<•* 

00 

coS1 

iO 

aö""«©   1  cocTio 

r~ 

0»  CO  <-«  CO. 

i 

«4 

*»C©     1    "* 

iH 

1 

o  o  o  o 

1 

1 
r*r  1    1  »o^eo 

3 
8 

hri 

I 

HiO    I   iO 

-«• 

I 

5"  1   OD       • 

«   |  «p   |t«   | 

I 

1  h«« 

»■* 

"m  1 1 

* 

1 

I©U00° 

*4     1    ©4     1    CO« 

00 

Cfc 
©4 

1  l  i  i 

CO 

*  i  1" 

1 

1 

0>  ©4  ©4  »O 

o  o 

"MIM 

00 

1-  1" 

<* 

*l  1 1 

1 

1 

«**^oo 

-  1  II  1- 

CO 

1  i  1  1 
1  1  l  1 

1 
1 

1 1  1  1 
1 1 1 1 

1 

h 

1 
1 

*    1     1     1     1     1 
1     1     1     1     1     1 

1  1  1  1  1  1 
1  1  1  1  II 

04 
©4 

83SS 

04 

Mai*1*! 

o 
oo 

00 

ggss^s 

«9 

"* 

*• 

§5§5gS 

438 


XXII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


ee 

H 

I 
J 


| 
'  Itf 

•P 


C 

c 


s 


9 
CO 

00 

'S 

e 

03 


3 
'S 

CO 

<3 


©  qa 

CflP 

p 
© 
+5 

i      1 

.      i 

i 

« 

•S   0 

•P 

o 

BS 

• 

•*• 

< 

■s 

*• 

o 
« 

* 

© 
* 

11 

ü                 ©                  1 

w 

3 

© 

b           o 

s 

OD 

s 

Ott 

fe 

OD 

Summe 

der 
ewichts- 
unahme. 

^C0^09*-09    1     1     1     j  f  •*« 

**  oo  fr»  fr-  ©9  o«  co 

09  v-i  *H09©9        M 

I   09  iQ  00 

O  « 

u 

ö-l 

1  ^  |  ^tfr-coooc*T 

öTo» 

^00'   1      1      |   CO* 

t 

I   CO  vi  CD 

1* 

H)     1 

Hfc«W     1   CO    1    M    1« 

i.^ 

<N    1   ©9©1    j   CO, 

1 

1    **°*1 

1            1            1 

•— • 

N 

© 

^co*«  1  eTvo^  1  ^Tiofc-coco 

00  COiO    I   O)  09  »O 

1  ^hTw« 

1« 

ji 

»O  t-4  «-^CO  O^iH     1   ^HC4^ 

**  »O  *H  09  »i  »h 

eo 

~2L^  | 

§H 

fc~- 

fc 

•*3     00 

<*l 

<*    |  iOr*io    I  -^  ^  tn 

Tl 

I      1    ^  09  00  00  iO 

I    09  CO  CO 

•     1 

(NCOH     M     IM    1      I 

04     I 

09  *■*  *■<    19    | 

CO  iH  ?«     I    ** 

•P    4 

t-3   1 

J-'"J '     J- 1 

WJ   1 

*—         1           1 

^ 

© 

^,00  io   ifioaoio   I    1    | 

r 

|   09  09  00     1   09 

T 

I    00  COlO 

s  * 

«H««^W»0^iO^HM^ 

VHCO     l    **  **     1 

»H 

H^l    1     I 

•  * 

|^ 

•— ^         1     1 

•gH 

v- • 

•** 

00 

Wi 

-^CO 

|  09  co»o  t-ao   i  oo   1 

i  »° 

u3  00  iO  »O  09  00  09 

i-t  09  f  CO 

© 

O^ 

1                         1        1 

i 

ls? 

j  1 

iH  ^    1   ^*©9    1   WC«  CO 

i« 

^CO    I   W  09    1 

eo 

i  eo^io 

s* 

*-* 

QQ 

r* 

©    • 

^«©9    1   iO    i   C00  09    1   09 

1 1 

lO   tO<*      I        1     «TH 

0*  CO"*  09 

p  j* 

hJ*"* 

I    ^     1    (N^H^*     1 

1 1 

CO^tOO    1   iH 

1 

iOcooo  1 

:§H 

fc 

S     . 

q»CC  «O    |   t*  iO  00  !•  00  )Q  fr- 

i- 

iOO)   |  co  eo  ^ 

1  l0"8 

s? 

,4  1 

COt-410    1   00  09  CO  09  «x 

iw 

|  09   i  coco  *h 

|    CO^H 

j2h 

► 

u 

•  cn  co  co  co  uo  >o  »o  t«  c*  j 

i" 

fr»  CO    I   O    I   iO 

\"  1 1 

I* 

•  tot«   |  «joioHwi* 

i- 

HH     |    ^  t-« 

MM 

fr« 
©    . 

<*i 

1  II  1*1  1  1  1 

i« 

MMN 

II  II 

^  i 

1  1  1  II  1  1  1  1 

1 1 

1  1 1  1  1  1 

II  II 

*H 

N 

Journal- No. 

gsgsssggsgss 

ao^opo*  a>  o 

8 

£2$  3 

für  Geburtsbülfe  in  Berlin. 


439 


• 

e 

•F 

fc 

m 

.  o 

n 

& 
o 

kO 

o 

£:  « 

o 

of 

t-* 

•  $ss 

ki 

o 

© 

1 

h 

fe 

n<M>O>OCO00«    |   tO  0*  *•  00 

CO  CO  00 

00  «o 

•<# 

ao 

y»  03eod»^t«ot*ao(OMie 

iO  00« 

Ol  CT» 

CT» 

fr» 

f*  tH  v*  t"H  »H 

*H        0«  Ol 

vi        *H 

fr« 

CT» 

s^co  •©    I   oT"*© 

|    IO  tot«  k>  W 

«0oT  | 

O  iO 

•^1  «   r  oo^ih 

1   1  Ä^  1   I 

"*    1   ©1 

kO  00 

II 

II            II 

| 

CO  CO 

«Ico 

• 

00*0* 
CO  CO 

tH  CO 

^wo    |    1  oo oV^chb*  »o  i  ^ 

I     1* 

o 

*-•  iO  Ol  Ol  CO     | 

^oaotcoo*   | 

CO         04 

II 

sr 

00  cö 

CO  »CO 

o  ""T  i  co  »o  »o  »o   iio   iiooT 

1*-  1 

<*  t~ 

^H^HTneoeoNHffieo^ 

NH^ 

-*  3 

II 

00  £ 

^|o 
CO  |fr- 

- 

co  eo 

CD  1 

et  Tot-  ^  oTco 

|  *o©T  |    |  ao 

VoT  | 

"  1 

~1CT  1  a  | 

th  vh  ^iO  ^    | 

T*  .CO, CO 

»O  CO 

-! 

00  <P 

co  eo 

»>l*l 

•*   1  «  »o  o*  <*  »ö1^  aö'to  »o  es 

*  1  1 

CO  CO 

»    - 

1    |    |  o«  ao  »o 

IN     1    CO  WH 

HH^I 

3  CO 
00  tO 

£4J 

CO  Ifc» 

- 

CO  CO 

V«  1 

Vi    1    |-*eocoeo   |  io^V 

CO  Ol  OD 

CO  fr- 

1-1 

CO  1 

j    «*  0*  CO*-*   1 

I  0«    j  in  co**, 

|   CO  04 

SS 

£  CO 

CO  CO 

»o   fr- 

i©  iO  iO     1   0*    1 

ao«*  oo io   |  »o 

0400    1 

"  1 

0» 

f 

CO  Ca  f-  t*    I   CO  04  »©  CO  CO  CO  ^< 

»O04     1 

SB 

•  »    •• 

CO    04 

co  a» 

oo  co 

CO  04 

iH  1 

«00    |      |   ^    | 

•O    I   04  ""ro    I 

1      1      1 

»>  00 

1 

»o  1 

a)(N   I    1  oi   | 

•*  CO  *  ^CO  04 

|CO    | 

eo  *o 

0*  iO 

co  co 

~*  1 

04  lH 

1 II  1w  1 

1 1 1-  1 1 

1      1     1 

09  01 

v4* 

1 1 1 lw  1 

1 1 1-  1 1 

1      1     1 

fr-  tH 

1 

So|S|| 

»■«    ©•    ^« 

w*   ~4   *H 

CO  o 
CO  -«*  • 

440 


XXII.    Verhandlungen  der  GeselUcWt 


für  Gebnrtshalfe  in  Berlin/ 


441 


1 


a 

CD 
0*> 

2 

SP 


■8 


§ 

1 

'3 


© 

il 

W 

Starke  Aphthen. 

Icterus. 

Starker  Icterns; 
Aphthen. 

Icterus;    starke 

Aphthen. 
Icterus;  Ophthalmie. 

s3 

L.  Q. 
+     6  — 
+  -    4 

+  -    8 

—  6    8 

+   10    4 
5 

—  17    5 

Zehnter 
Tag. 

<HÄt-  1    w  I     1 
I  I  1     ++ 

Neunter 
Tag. 

+  —   8 
+     22 

—  2  — 

+     1    2 

—  2   5 

u 
S  ab 

•Sr* 

3H 

V,^  Od  O*  iO        00  t»        Od 

j  *-■*-<  w^1      'Hl       eo 
+  +  +  +      +4-       1 

Siebenter 
Tag. 

^<P  **  CMiO        ^i  CO        «O 

J" 1 1 1     w 1     * 
+111     ++     1 

»4 
• 

.d   « 

© 

OD 

»4  1  1  *•"     1  ~    " 
+1+1      II      1 

Fünfter 
Tag. 

^   1   W    1   W          |    iO        04 

I+++     +1       1 

Vierter 
Tag. 

^iO  CO  t<-  04        CO  t-          | 

JiO     I   HO   '    NW         ^ 

1 + 1 1          ++          I 

Zeit 

des  Abfalls 

der 

Nabelschnur. 

Vierter  Tag. 
Fünfter    „ 
Vierter    „ 
Dritter     „ 

Zweiter    „ 
Dritter    „ 

Dritter     „ 

Journal -No 

f  CO  *<•  00        ©1  •*«        t- 
co  ^  »O  »0       t~  f-       ** 

d 

•d 

d 
© 
fco 

©    . 
tu 

a    d 

©    0 

s  **, 


ja  S 

-■* 
d  © 

©,o 

So 
as  a 

N  « 

•d 

e.2 
©  © 

«•»  « 

©  e8 
«Q 

*»   . 

öS 

ajS 

So 

5S 

•2i 
HS 

© 

•5 

©  S 

■S  a 

c2  d 

SS 
d  « 
«.2 


•*  s 
a_s 

d  •** 
<1   b0 


442  XXII.   Verhandlungen  der  Gesellschaft  etc. 

Nachträglich  ist  noch  zu  bemerken,  dass  Hof  mann 
schon  im  Jahre  1845  in  der  Würzburger  Gebäranstalt  drei 
Monate  hindurch  im  Ganzen  36  Neugeborene  alle  Tage  bis 
zu  ihrer  Entlassung  gewogen  hat.  Die  Ergebnisse,  welche 
er  in  dem  27.  Bande  der  Neuen  Zeitschrift  für  Geburtskunde, 
Heft  IL,  pag.  146  mit  Anhang  der  betreffenden  Tabelle  ver- 
öffentlicht hat,  lauten:  „Bei  der  Mehrzahl  der  Kinder  dauert 
die  Gewichtsabnahme  bis  in  den  dritten  Tag  hinein  fort. 
Von  jetzt  an  nimmt  das  Kind  wieder  zu ,  und  bis  zum  fünften 
bis  sechsten  Tage  nach  der  Geburt  hat  es  meistens  jene 
Schwere  wieder  erreicht,  die  es  nach  der  Geburt  hatte," 

Mit  der  ersten  Hälfte  dieses  Satzes  vollständig  ein- 
verstanden, müssen  wir  die  Richtigkeit  der  zweiten  Angabe 
aus  unseren  zahlreichen  Erfahrungen  um  so  mehr  bezweifeln, 
als  Hof  mann  erstlich  nicht  angegeben,  ob  er  die  Kinder 
auch  gleich  nach  der  Geburt  selbst  gewogen  habe  und 
ferner  die  zum  Einwickeln  der  Kinder  benutzten  Windeln 
stets  mit  in  das  Gewicht  des  Kindes  eingerechnet  hat  — 
Uebrigens  ergiebt  eine  genauere  Berechnung  der  Hofmanri&chen 
Tabelle,  dass  bei  den  24  Kindern,  welche  ihr  ursprüngliches 
Gewicht  rasch  wieder  erreichten,  dies  durchschnittlich  erst 
am  siebenten  Tage  nach  der  Geburt  der  Fall  war. 

Den  Einfluss  der  Ernährungsweise  des  Kindes  hebt 
Hof  mann  nicht  besonders  hervor,  —  seine  Tabelle  enthält 
aber  mehrere  schöne  Beispiele  (5  und  31)  von  Kindern,  die 
von  der  Mutterbrust  nicht  gestillt  noch  fortdauernd  nach 
dem  dritten  Tage  abnahmen. 


XXIII.   Meissner,  Mittheilnngen  Aber  die  Thtttigkeit  etc.    443 

XXIIL 

Mittheilungen  Aber  die  Thätigkeit  und  die  Ver- 
handlungen der  Gesellschaft  für  Geburtshttlfe 
zu  Leipzig 

im  siebenten  Jahre  ihres  Bestehen». 

I.    Jahresbericht, 

erstattet  durch  den  d.  Z.  Secretär 
Dr.  med.  Emil  Apollo  Meissner. 

Vorgetragen  am  15.  AprU  1861. 

Bevor  der  für  das  siebente  Geschäftsjahr  unserer  Gesell- 
schaft erwählte  Vorstand  seine  Function  niederlegt  und  zur 
statutenmässigen  Vornahme  einer  anderweitigen  Wahl  auf* 
fordert,  liegt  demselben  noch  ob,  Rechenschaft  über  die  Zeit 
seiner  Amtsführung  zugleich  mit  dem  Berichte  über  die  gleich- 
zeitigen sonst  unsere  Gesellschaft  betreffenden  Ereignisse  ab- 
zulegen, was  zugleich  im  Namen  des  Dr.  Ploss  als  Director 
und  Dr.  Sichel  als  Vicedirector,  im  Folgenden  meinerseits 
geschehen  soll,  während  Dr.  Hennig  als  Kassirer  besondere 
Mittheilung  ober  den  Rechnungsabschluss  und  die  Budget- 
vorlagen machen  wird. 

Die  Personalverhältnisse  unserer  Gesellschaft  anlangend, 
erlitten  wir  zwei  Mal  Verlust  auswärtiger  Mitglieder  durch 
den  Tod.  —  Am  30.  Mai  v.  J.  verstarb  nach  längeren 
Leiden  Dr.  Friedrich  Eduard  Riemschneider  in  Grimma, 
über  welchen  Ref.  in  der  nächst  darauf  folgenden  fünfund- 
siebenzigsten  Sitzung  den  nachfolgenden  Nekrolog  gab :  Unser 
Riemschneider  9  der  Sohn  eines  Kaufmanns  zu  Chemnitz, 
war  daselbst  am  24.  Juni  1814  geboren,  besuchte  das  Gym- 
nasium seiner  Vaterstadt  und  bezog  Ostern  1835  die  hiesige 
Universität,  wo  er  sich  mit  Fleiss  dem  medicinischen  Studium 
widmete  und  vom  April  1839  bis  August  1840  als  Assistent 
an  unserer  Entbindungsschule  fungirte.  Am  21.  August  1840 
wurde  er  nach  Verteidigung  seiner  Dissertation  über  die 
therapeutische   Anwendung    des    Tabaks   promovirt,    machte 


444      XXIII.   Meissner,  Mittheilungen  aber  die  Thätigkeit 

dann  zu  seiner  weiteren  Ausbildung,  namentlich  in  der 
Chirurgie,  eine  wissenschaftliche  Reise  nach  Hamburg,  Berlin, 
Breslau  und  Prag,  und  Hess  sich  darauf  in  Grimma  nieder, 
woselbst  er  des  wohlbegründeten  Rufes  eines  tüchtigen  und 
gesuchten  Praktikers,  besonders  als  Geburtshelfer  und  Operateur 
sich  erfreute.  Bei  Einführung  des  neuen  Gerichtsverfahrens 
im  Jahre  1856  wurde  ihm  nach  der  zwei  Jahre  vorher  über- 
standenen  Physikats- Prüfung  die  Stelle  eines  königlichen  Ge- 
richtsarztes übertragen.  Im  Jahre  1841  verheirathete  er  sich 
mit  Frau  Amalie  Therese  verw.  gew.  Rittergutsbesitzer 
Küstner,  die  ihm  vier  Kinder,  zwei  Söhne  und  zwei  Töchter 
zubrachte,  denen  er  gleich  der  hinterlassenen  einzigen,  jetzt 
sechszehn  Jahre  alten,  leiblichen  Tochter,  ein  wahrhaft  väter- 
licher Freund  und  treulicher  Versorger  war;  ja  der  Tod  einer 
.Stieftochter  nagte  sichtlich  an  seinem  Herzen  und  untergrub 
anscheinend  auffallend  seinen,  als  Student  wahrhaft  bewun- 
dernswert kräftigen  Körperbau  und  eine  Gesundheit,  die  ihn, 
einen  in  der  Jugend  eifrigen  Turner,  mit  wahrhaft  blühendem 
Aussehen  ausgestattet  hatte,  so  dass  Niemand  hätte  vermuthen 
können,  er  werde  so  frühzeitig  und  zwar  in  Folge  einer 
verderblichen  Dyskrasie  dem  Tode  zum  Opfer  fallen.  Ein 
massenhaftes  rechtsseitiges  pleuritisches  Exsudat  warf  ihn  auf 
ein  längeres  Krankenlager,  auf  welchem  er  auch  noch  die 
Hilfe  unseres  Collegen  Dr.  Benno  Schmidt  hier  begehrte, 
der  aber  bei  mangelnder  Verdrängung  der  Leber  die 
Thoracocentese  als  wenig  Erfolg  versprechend,  vorzunehmen 
verweigerte.  Die  Section  ergab  dann  auch  neben  dem 
blutigen  Exsudate  Carcinom  des  Magens,  ein  bei  dem  Mangel 
der  betreffenden  Erscheinungen  im  Leben  um  so  mehr  über- 
raschender Befund,  als  der  Verewigte  ein  carcinomatöses 
Geschwür  am  Penis,  das  auf  die  Diagnose  der  Dyskrasie 
hätte  führen  können,  gegen.  Jedermann  verschwiegen  hatte. 
Die  unausgesetzt  sorgsame  Pflichttreue  als  Arzt,  seine  auf*» 
opfernde  Wohlthätigkeit  sichern  ihm  am  Orte  seiner  Wirk- 
samkeit das  ehrenvollste  Andenken.  Unserer  Gesellschaft 
gehörte  er  als  correspoudirendes  Mitglied  seit  dem  20.  No- 
vember 1854  an. 

Unerwartet  schnell  folgte  ihm  schon  am  4.  Decembe;*  1860 
meiil   unvergänglich    theuref  Vater,    Dr.  Friedrich   Ludwig 


u.  d.  Verband!,  d.  Gesellschaft  f.  Gebnrtshülfe  «u  Leipiig  etc.    445 

Meissner  zu  Dresden ,  welchem  in  der  nächsten-  (zweiund- 
achtzigsten) Versammlung  Director  Dr.  Ploss  Worte  ehren- 
den Gedächtnisses  nachrief,  unter  Verweisung  auf  die  im 
Leipziger  Tageblqtte  vom  7.  December  v.  J.  enthaltene,  hier 
nur  in  einigen  wenigen  Punkten  authentisch  berichtigte 
Lebens -Skizze:  Dr.  Friedrich  Ludwig  Meissner,  hierselbst 
geboren  am  25.  August  1796,  war  der  Sohn  des  hier  im  Jahre 
1812  am  Kriegstyphus  verstorbenen  Ober -Katecheten  an  der 
St.  Pelerakirche  und  durch  seine  tiefe  Kenntniss  der  orienta- 
lischen Sprachen  seiner  Zeit  bekannten  Professor  extra- 
ordinarius,  Dr.  theol.  Meissner.  Er  bezog  nach  erhaltener 
Vorbildung  im  Gymnasium  zu  St.  Nicolai  hier  und  der 
Fürstenschule  zu  Grimma  im  Jahre  1815  die  hiesige  Uni- 
versität, wo  ^r  seinen  früheren  Plan  bald  aufgehend,  sich 
den  Studien  der  Hedicin  widmete.  Namentlich  war  es  hier 
die  Geburtshilfe,  der  er  seinen  eisernen  Fleiss  zuwendete,  und 
darum  übertrug  ihm  auch  der  damalige  Professor  und  spätere 
Hofrath  Dr.  Jörg  die  Stelle  eines  Hilfsarzies  an  dem  seiner 
Leitung  übergebenen  TWir'schen  Institute,  im  Februar  1818, 
welche  er  bis  Ende  April  1819  bekleidete.  Von  seiner  Pro- 
motion am  9.  Juli  1819  an,  entfaltete  er  hier  eine  überaus 
fruchtbare  Thätigkeit  als  Arzt  und  vielbeschäftiger  Geburts- 
helfer (bis  Ende  1856  war  er  allein  in  über  viertausend 
Geburtsfällen  hilfreicher  Beistand)  und  als  Schriftsteller  auf 
verschiedenen  Gebieten  der  Heilkunde,  namentlich  aber  der 
Geburtshülfe ,  Frauen-  und  Kinderkrankheiten.  Zu  drei 
verschiedenen  Malen  wurde  ihm  in  Folge  dessen  theils  vor- 
läufiger Aritrag,  theils  wirkliche  Berufung  zum  Lehramte  dieser 
Fächer  nach  Dresden,  Greifswald  und  Freiburg  im  Breisgau, 
er  lehnte  sie  indessen  ab,  blieb  hier  in  der  bescheidenen 
Stellung  eines  Privatdocenten,  periodisch  selbst  unter  Leitung 
einer,  auf  eigene  Kosten  unterhaltenen  geburtshilflich -gynä- 
kologischen Poliklinik  thälig,  und  übernahm  im  Februar  1830 
auch  die  Stellung  eines  Arztes  am  hiesigen  Taubstummen- 
Institute.  Seine  wissenschaftlichen  Bestrebungen  wurden  auch 
von  nicht  weniger  denn  sechszebn  wissenschaftlichen  Corpora- 
te onen,  darunter  den  kaiserlichen  Akademieen  zu  Paris  und 
i 

Moskau    durch    Ernennung    zu    deren    Mitgliede    anerkannt 
Der  hiesigen  medicinischen  Gesellschaft  und   der  Gesellschaft 


446      XXIIi.    Mtitsnsr,  Mittheil  tragen  über  die  Thätigkeit 

für  GeburtshüUe  gehörte  er  als  früherer  Mitstifter,  mehr- 
jähriger Vicedirector,  ordentliches,  uod  spater  correspondiren- 
des  Mitglied  an,  bis  ihm  letztere  am  5.  Februar  1860  das 
Diplom  der  Ehrenmitgliedschaft  votirte.  Daq  Vertrauen  seiner 
Mitbürger  berief  ihn  1840  in  das  Stadtverordneten-Collegium, 
in  dem  er  von  1841 — 1845  unter  schwierigen  Verhältnissen, 
die  namentlich  durch  die  öftere  längere  Abwesenheit  des  da- 
maligen Vorstehers,  Appellationsgerichts -Vicepräsidenten  Dr. 
Haase,  zum  Landtage  bedingt  waren,  das  Amt  eines  Vice- 
Vorstehers  verwaltete.  Einen  grossen  Theil  seiner  ihm  nur 
sparsam  vergönnten  Musestunden  verlebte  der  Verewigte  in 
den  ihm  überaus  liebgewordenen  Kreisen  des  Freimauerbundes, 
in  welchem  er  schon  im  Mai  1820  bei  der  Loge  Apollo 
hierselbst  Aufnahme  fand,  auch  verschiedene  •Beamtenstellen 
in  derselben,  wie  namentlich  die  eines  Meisters  vom  Stuhl 
vom  Juni  1835 — 1851  verwaltete.  Im  März  1841  berief  ihn 
der  gesammte  sachsische  Logenbund  zum  zugeordneten,  1857 
aber  zum  hammerfuhrenden  Grossmeister  der  grossen  Landes- 
loge von  Sachsen  zu  Dresden,  wohin  er  sich  im  Mai  des- 
selben Jahres  wendete.  Noch  vor  zwei  Jahren  übernahm  er 
dort  die  Leitung  der  vereinigten  Logen  zu  den  drei  Schwer- 
tern und  Astraea  zur  grünenden  Raute,  und  in  ihrem  Kreise 
ereilte  ihn  am  4.  December  1860  Abend  6l/4  Uhr,  mitten  im 
Gespräche  ein  Schlagfluss,  der  seinem  thätigen  Leben  ein 
jähes  Ziel  setzte.  Die  Herren  Medicinal-Rath  Dr.  Wamate, 
Dr.  Hagspihl,  Assistenzarzt  der  chirurgischen  Abtheilung  am 
Dresdner  Stadtkrankenhause  und  Hofwundarzt  Zimmermann^ 
die  sich  zum  Theil  bereits  in  seiner  unmittelbarsten  Nähe  be- 
fanden, machten  sofort  Belebungsversuche,  öffneten  ihm  die 
Adern,  aber  schon  floss  kein  Blut  mehr  aus  denselben!  — 
Der  Verklärte  war  zwei  Mal  verheirathet  und  hinterlässt  in  tief- 
ster Trauer  eine  Wittwe  Amidie,  geb.  Lehnhold,  vier  Söhne 
und  eine  Tochter,  welche  Letztere  erst  vor  Kurzem  mit  Herrn 
Dr.  phiL  Richard  Habenieht,  Gymnasiallehrer  in  Zittau  sich 
vermählt  halte.  *  Bei  seiner  unermüdlichen  Thätigkeit  früher 
iron  einem  überaus  kräftigen  Körperbau  unterstützt,  erkrankte 
der  treue  Freund  seiner  Kranken  in  den  Jahren  1844  bis  1851 
wiederholt  sehr  ernstlich,  worauf  dann  die  alte  Kraft  und 
rüstige  Blüthe  seines  gleichsam  neuvorjüngten  Lehens  wieder- 


n.  d.  Verband],  il.  Gesellschaft  f.  Gebnrtshfllfe  «n  Leipzig  etc.    447 

kehrend,  einen  noch  langen  heiteren  Lebensabend  zu  ver- 
heissen  schien.  Allein  im  Rathe  des  Höchsten  war  es 
anders  beschlossen,  und  zur  innigsten  tiefsten  BetrQbniss  der 
liebenden  Seinen,  seiner  zahlreichen  Freunde  und  Verehrer 
ging  er  schnell  und  unerwartet  in  die  Wohnungen  des  ewigen 
Lichts ,  der  ewigen  Liebe,  in  deren  Abglanze  sein  edles  Herz 
hienieden,  schon  so  vielfältig  siclr  bethätigte.'  Friede  seiner 
Asche!" 

Dagegen  wurden  neu  aufgenommen,  theils  als  correspon- 
dirende,  theils  als  ordentliche  Mitglieder:  Dr.  Carl  Friedrick 
Becker  -Laurich,  herzog).  Sachsen -Altenburg.  Bnmnenarzt 
in  Ronneburg,  Professor  Dr.  Bernhard  Breslau ,  Director 
der  Gebäranstalt  in  Zürich,  Dr.  Carl  Ferdinand  Kottnuwn, 
prakt.  Arzt  und  Geburtshelfer,  und  Professor  Dr.  Hugo 
Sonnenkalb ,  königl.  und  Stadt -Bezirksarzt  allhier,  sowie 
Dr.  Carl  Ferdinand  Kern,  Director  der  Erziehuags-, 
Unterrichts-  und  Pflege -Anstalt  für  geistesschwache  und  blöd- 
sinnige Kinder  in  Möckern. 

Als  Geschenke  für  das  Archiv  der  Gesellschaft  gingen 
ein:  drei  Schriften  Dr.  C.  F.  Becker -LauricK*  über  die 
jodhaltige  Eisenquelle  zu  Ronneburg,  die  Denkschrift  der 
medicinisch-  chirurgischen  Gesellschaft  des  Kantons  Zürich  zur 
Feier  des  fünfzigsten  Stiftungsfestes  am  7.  Mai  1860,  Pro- 
fessor Dr.  Breslau9 8  Arbeit  zur  Frage  über  die  Ursachen  des 
Geschlechtsverhältnisses  der  Kinder,  nebst  einigen  andern*  Bei- 
trügen, zur  vergleichenden  Statistik  mit  besonderer  Rücksicht 
auf  den  Kanton  Zürich  (Separatabdruck  aus  Oesterlen'a  Zeit- 
schrift für  Hygiene,  medicinische  Statistik  und  Sanitatspolizei, 
I.  Band)  und  dessen  Jahresbericht  über  die  Ereignisse  in  der 
Gebäranstalt  (aus  dem  Jahresberichte  über  die  Verwaltung 
des  Medicinal-  Wesens  des  Kantons  Zürich  im  Jahre  1859), 
Dr.  Hennig's  dritter  Bericht  der  Poliklinik  für  Kinder  zu 
Leipzig,  umfassend  die  Jahre  1857  — 1860,  Dr.  Ludwig  Adolf 
Neugebauer's  Schrift  über  die  Dammnaht  (in  polnischer 
Sprache),  letztere  durch  Director  Dr.  Ploss^  der  auch  seine 
Arbeit  zur  Zwillings -Statistik  (im  Monatsblalte  für  medicinische 
Statistik  und  öffentliche  Gesundheitspflege  Nr.  1,  Beilage  zur 
deutschen  Klinik  vom  26.  Januar  1861,  erschienen)  ein- 
lieferte. 


448      XXIII.   M*i*$ner,  Mittheil  nngen  über  die  Tätigkeit 

Die  Verhandlungen  unserer  Gesellschaft  erfolgten  in 
diesem  jetzt  abgelaufenen  siebenten  Geschäftsjahre  in  drei- 
zehn (der  dreiundsiebenzigsten  bis  mit  fönfundachtzigsten) 
Sitzungen,  welche  am  16.  April,  21.  Mai,  18.  Juni,  16.  Juli, 
13.  August,  10.  September,  8.  und  29.  October,  19.  Novem- 
ber, 17.  December  1860,  21.  Januar,  18.  Februar  und 
18.  März  1861  abgehalten  wurden.  Mit  der  Zahl  der  Versamm- 
lungen selbst  ist  auch  die  rege  Betheiligung  der  Mitglieder  an 
denselben  nicht  nur  in  steter  erfreulicher  Zunahme  gewachsen, 
sondern  wir  wurden  auch  dabei  durch  den  zahlreichen  Besuch 
von  Gästen,  als  den  Herren  Hofrath  und  Ritter  Professor 
Dr.  C.  G.  Th.  Butte  y  Professor  Dr.  C.  E.  Bock,  Professor 
Dr.  E.  L.  Wagner,  Stadtrath  Dr.  B.  L.  G.  Lippert  sen., 
und  Dr.  F.  Dudensing  (des  letzteren  wiederholt)  sämmtlich 
von  hier,  Medic.  Practic.  C.  G.  F.  Schmidt  aus  Neu- 
schönefeld und  Kreisphysikus  Ritter  Dr.  Bichter  aus  Weissen- 
fels,  erfreut. 

Wesentlichen  Einfluss  auf  die  rege  Förderung  des  inneren 
Gesellschaftslebens  übten  augenscheinlich  die  mehrfachen  Ver- 
handlungen über  Standesinteressen,  zu  denen  wiederholt  Ver- 
anlassung gegeben  wurde.  —  Bereits  in  der  sechsundsieben- 
zigsten  Sitzung  beantragte  Hofrath  Dr.  Credo  auf  Grund  eines 
ihm  neuerdings  vorgekommenen  Falles  ein  entscheidendes  Vor- 
gehen der  Gesellschaft  zur  Erörterung  der  bereits  im  vorigen 
Jahrfe  ventilirten  Frage  über  die  Berechtigung  der 
Geburtshelfer,  auch  ohne  Zuziehung  einer  ver- 
pflichteten Hebamme,  selbstständig  Entbindungen 
vorzunehmen;  welcher  Antrag  die  sofortige  Niedersetzung 
einer  aus  Hofrath  Dr.  Credit  Vicedirector  Dr.  Sickd  und 
Dr.  Hennig  bestehenden  Commission  zur  Folge  hatte.  In  der 
darauf  folgenden  Sitzung  berichtete  diese  Commission  über 
ihre  Verhandlungen  in  einem  Majoritäts- Gutachten  (vertreten 
durch  Credi  und  Hennig)  über  die  gesetzlich  unbeschränkte 
Berechtigung  der  Geburtshelfer,  und  in  "einem  Minoritäts- 
Gutachten  (Sichel)  über  die  in  praxi  nur  vorteilhaftere  Zu- 
ziehung von  Hebammen.  Die  Gesellschaft  beschloss  unter 
meiststimmiger  Annahme  des  Majoritäts-Gutachtens  in  einer 
Eingabe  an  den  Stadtbezirksarzt,  zur  eventuellen  Mittheilung 
an  den  Stadtrath:    die  Belehrung   der  Hebammen   über  ihre 


u.  d.  Verhandl.  d.  UeaelUchaft  f.  Geburtsbiilfe  xa  Leipsig  etc.    449 

betreffenden  Pflichten  und  Rechte  zu  beantragen.  Die  unterm 
2.  Januar  d.  J.  darauf  erfolgte  Resolution  gab  zu  erkennen, 
dass  der  Stadtrath  die  nach  §  72  der  allgemeinen  Hebammen- 
Ordnung  allenthalben  Seitens  der  Hebammen  anzuerkennende 
Superiorität  des  anwesenden  Geburtshelfers  als  Criterium  be- 
zeichnet, der  Stadtbezirksarzt  dieselben  auch  noch  überdies 
hinsichtlich  der  betreffenden  Sachlage  verständigt  habe. 

In  der  78.  Sitzung  ferner  wurde  auf  Antrag  des 
Dr.  Zinssmann  ein  weiterer,  auf  Wahrung  der  Standesehre 
den  Hebammen  gegenüber  bezuglicher  Beschluss  gefast. 

In  der  83.  Versammlung  endlich  richtete  Director 
Dr.  Ploss  die  Aufmerksamkeit  der  Collegen  auf  eine  von  der 
hiesigen  Communalgarde  an  die  jetzt  tagende  Stände- 
Versammlung  gerichtete  Petition,  welche  die  Hebung  und 
Förderung  dieses  Institutes  bezweckt  und  unter  Anderem  auch 
die  im  betreffenden  Gesetze  von  1851  angeordnete  Dienst- 
befreiung der  Geburtshelfer  aufzuheben  beantragt 
hat  In  der  darauffolgenden  Versammlung  wurde  demgemäss 
nach  Mittheilung  des  Wortlautes  dieser  Petition  in  den  uns 
betreffenden  Stellens  eine  aus  Director  Dr.  Ploss,  Dr.  Koll- 
mann und  dem  Ref.  bestehende  Commission  ernannt,  welche 
sich  zwei  Mal  zu  Conferenzen  vereinigte,  den  von  Dr.  Kollmann 
ausgearbeiteten  Entwurf  annahm,  und  nach  öffentlichem  Auslegen 
der  gleichfalls  au  die  hohe  Ständeversammlung  gerichteten 
Erklärung  in  hiesiger  Salomonis-Apotheke,  selbige  schliesslich 
dem  Abgeordneten  der  Stadt  Leipzig  N Herrn  Dr.  Carl  Heyner 
zur  Ueberreichung  an  die  genannte  hohe  Kammer  ausantwortete, 
worüber  die  Berichterstattung  in  der  letzten  Zusammenkunft 
des  abgelaufenen  Geschäftsjahres  das  Weitere  mittheilte. 

In  der  77.  Sitzung  gab  Director  Dr.  Ploss  eine  kurze 
statistische  Zusammenstellung  über  die  Vertheilung  der 
praktischen  Geburtshelfer  auf  die  Bevölkerung 
Sachsens  nach  den  verschiedenen  Bezirken. 

Hinsichtlich  der  rein  wissenschaftlichen  Verhandlungen 
über  Gegenstände  der  Geburtskunde  im  engeren  Sinne 
beginnen  wir  mit  Dr.  Hennig  s  Vortrag  in  der  85.  Sitzung 
über  das  Erbrechen  der  Schwangern.  Der  Redner  führte 
an,   dass  das  Erbrechen   der  Schwängern  meist  im   zweiten, 

Mo«»tii<rhr.f,  G*Wt*k.  1803.  Bd.XIX.,  Hft.6.     "  29 


450      XXIII.    Meissner,  Mittheilungen  über  die  Th&tigkeit 

bis  vierten  Monate  stattfindet,  oft  schon  früher  beginnt,  auch 
manchmal  schon    kurz    nach    der  Conception  anhebt  und  in 
der  Regel  bis  gegen  Ende  des  fünften  Monats,  seltner  länger 
andauert.   Ueber  die  erst  in  der  letzten  Periode  der  Schwanger- 
schaft vorkommenden  Fälle  von  Erbrechen  bei  denen  andere, 
meist  rein  mechanische  Ursachen  obwalten,  gedachte  Hennig 
sich   dabei   aber   nicht  weiter  zu  verbreiten.     In  den  ersten 
Monaten  erfolgt  das  Erbrecheu   meist  früh  beim  Aufrichten, 
Ankleiden,  beim  ersten  Herumgehen  oder  nach  dem  Genüsse 
des  Frühstücks,  weniger  häufig  erst  nach  dem  Mittagsessen, 
seltener  nach  jeder  Mahlzeit     Häufiger   ist    das   Erbrechen 
von    Genossenem    als    bei   leerem   Magen,    aus   dem    dann, 
unter  die  Schwangern  begreiflicher  Weise  mehr  angreifendem 
Würgen,  nur  Schleim,  Blut,  Galle,  entleert  wird.   In  der  Regel 
greift  das   Erbrechen  die   Schwangern  aber  nicht  sehr  an, 
oft  zeigt    sich   auch   keine   Appetitverminderung,  Abmagerung 
oder  Mattigkeit,   durchgängig  auch  kein  Einfluss  auf  die  Er- 
nährung der  Früchte.     Im  Ganzen   häufiger    erbrechen  Erst- 
schwangere, reizbare  Subjecte  und  Anaemische.  Zu  Ende  der 
Schwangerschaft  hält  das  Erbrechen  dagegen  keine  bestimmte 
Zeit,  sondern  tritt  meist   erst  bei  gefülltem  Magen  ein.     Die 
Ursache  des  Erbrechens  Schwangerer  ist  in  einem  Consensus 
des  Uterus  mit  dem  Magen  zu  suchen.     Die  wenigen  hierher 
gehörigen   Sectionsbefunde   zeigten   meist   nur  Magenkatarrh, 
selten  dagegen  nur  Geschwüre  und  "Verdrängung  des  Magens 
und  der  Leber.    Auch  wurde  in  einzelnen  Fällen  Umgebogen« 
sein  eines  zungenförmig  verlängerten  Leberlappens  und  selbst 
Compression  einzelner  Lungentheile    beobachtet     Dergleichen 
anatomische   Störungen    sind    indessen   bei    Erörterung.  «ler 
Ursachen    des    idiopathischen    Erbrechens    Schwangerer    zu 
trennen.    Der  häufig  gezogene  Vergleich  mit  der  Seekrankheit 
trifft  nicht  zu ,  da  dort  dem  Erbrechen  regelmässig  Schwindel 
vorausgeht,    welcher    aus    der    Störung    des    körperlichen 
Gleichgewichts   entspringt.     Fast    durchgängig    wird    als  Ur- 
sache des  Erbrechens  Schwangerer  Anaemie  des  Gehirns  an- 
genommen, doch  auch  diese  wird  unwahrscheinlich  durch  die 
fehlenden  übrigen   schweren   Erscheinungen,   die  bei  Gehirn- 
anämie  sonst  dem  Erbrechen  vorauszugehen  pflegen.    Thera- 
peutisch rühmt  der  Redner  den  Gebrauch  der  Tinctura  nucis 


u.  d.  Verbandt.  d.  Gesellschaft  f.Geburtabülfo  »u  Leipslg  etc.    451 

vonricae  zu  zwei  bis  fünf  Tropfen  Mehrmals  täglich  (wodurch 
in  fünf  sehr  hartnäckigen  Fällen  allein  Heilung  von  ihm  er- 
zielt wurde),  ausserdem  Eispillen,  Eisenpräparate  und  Natrum 
bicarbonicum.  Nachweisliche  örtliche  Störungen  sind  gehörig 
zu  berüksichtigen.  Der  künstliche  Abortus  ist  nicht  zu 
empfehlen,  da  seine  bisherige  Anwendung  in  verzweifelten 
Fällen  den  Tod  der  Mutter  nie  zu  verhindern  vermochte.  — 
Bei  der  Besprechung  dieses  Gegenstandes  rühmte  Hofratb 
Professor  Dr.  Crede  den  Vorlheil  consequent  angewendeter 
JUystire,  Dr.  Kollmann  den  zeitigen  Genuss  des  Frühstückes 
im  Bette  und  das  Aufstehen  erst  nach  darauf  eingehaltener 
1%  stündiger  horizontaler  Lage;  gedachten  Dr.  Germann 
der  häufig  zu  Grande  liegenden  Dislocationen  des  Uterus  und 
der  Berichterstatter  der  wenigstens  in  einigen  Fällen  vorhan- 
denen relativen  Gehirnanäniie,  als  ursachliches  Moment 

Der  in  der  79.  Sitzung  abgehaltene  Vortrag  des  Referenten 
über  Rheumatismus  uteri  gravidi  ist  bereits  in  der 
Monatsschrift  für  Geburtskunde,  Bd.  18,  Heft  1,  p.  39,  ver- 
öffentlicht worden. 

s 

lieber  den  Einfluss  des  Blitzschlages  auf 
Schwangere,  theilte  der  Berichterstatter  die  einschlagende 
Casuistik  mit  daran  geknüpften  Betrachtungen  in  der  83.  Sitzung 
mit.  Die  citirten  Fälle  waren  dem  Aufsalze  Dr.  W.  Stricker'* 
in  Frankfurt  am  Main  über  die  Wirkung  des  Blitzes  auf  deu 
menschlichen  Körper,  c£r.  Virchotv's  Archiv  für  patholo- 
gische Anatomie  und  Physiologie  und  für  klinische  Medicin, 
Bd.  XX,  Heft  1  und  2,.pag  54,  60,  67,  sowie  Schmidts 
Jahrbüchern,  Bd.  100,  S.  79,  und  den  medicinischen  Jahr- 
büchern für  das  Herzogthum  Nassau,  Wiesbaden  1853, 
11.  Heft,  p.  149,  entlehnt,  während  ein  sechster  Fall  aus 
Dr.  Zinssmann's  Praxis  neuerdings  vom  Schreiber  dieses  in 
einer  Nachschrift  zu  seinem  erst  jetzt  veröffentlichten  früheren 
Vortrage  über  die  Melancholie  der  Schwangeren,  siebe  all- 
gemeine Zeitschrift  für  Psychiatrie  und  psychisch -gerichtliche 
Medicin,  redigirt  von  Damer  ow,  Flemming,  Boller  und 
Heinrich  Laehr  7  ausführlich  gedruckt  erschienen  ist. 

In  der  80.  Sitzung  gelangte  die  folgende  Correspondenz- 
Mittheilting  Dr.  Becker-Laurich'»  inRonneburg:  „Tod  einer 

29* 


452     -XXIII.    Meissner,  Mittheilungen  über  die  ThBtigkeit 

Hochschwangern  durch  Verunglücken"  zum  Vortrag. 
„Die  Ehefrau  des  Mühlenbesitzers  L. ,  eine  ausserordentlich 
kräftige,  wohlhäbige  Frau,  Mutter  mehrerer  Kinder,  37  Jahre 
alt,  im  siebenten  bis  achten  Monate  schwanger,  langte  am 
21.  August  (1860)  ein  Kleid  aus  einem  hohen  Kleiderschranke 
heraus,  trat  beim  Zurücktreten  mit  dem  linken  Fusse  durch 
die  schmalen  Dielbretter  hindurch,  rutschte  gewaltsam  mit 
diesem  Fusse  bis  an  die  SchamtheiJe  durch  das  entstandene 
Loch  im  Fussboden  und  presste  mit  grosser  Gewalt  den  rech* 
ten  Unterschenkel  in  halbgebogener  Lage  an  den  Unterleib 
an.  Bei  ihren  kraftigen  Bewegungen,  sich  aus  dieser  Lage  zu 
befreien,  stellte  sich  sofort  eine  bedeutende  Blutung  ein,  doch 
gelang  es  ihr,  den  linken  Fuss  zu  befreien  und  sie  wankt 
auch  noch  allein  bis  zu  ihrem  Schlafzimmer,  eine  breite 
Strasse  von  Blut  hinter  sich  lassend,  legt  sich  zu  Bette  und 
verlangt  ärztliche  Hülfe.  Eine  Kindfrau*  und  ein  Chirurg 
waren  zuerst  bei  ihr  und  machten  kalte  Wasser  um  schlage  mit 
Essig  auf  den  Unterleib;  ich  war  nicht  sogleich  zu  finden  ge- 
wesen und  kam  erst  3/4  Stunden  nach  geschehenem  Unfälle 
mit  den  gewöhnlichen  Analepticis  und  meinem  chirurgischen 
Bestecke  zur  Kranken.  Meine  erste  Frage  war  nach  dem  Zu- 
stande der  Mutter.  Doch  nur  einige  Athemzüge,  und  sie  war 
todt!  Auf  meine  Frage  bei  der  sehr  geschickten  und  leidlich 
zuverlässigen  Kindfrau  erführ  ich,  dass  dieselbe  bis  vor  zehn 
Minuten  noch  Kindesbewegungen  gespürt  habe,  doch  ver- 
mochte ich  trotz  der  genauesten  Untersuchung  mit  dem  Süieto- 
skope  und  mit  blossem  Ohre  nirgends  einen  Herzschlag  zu 
hören  oder  Bewegungen  zu  fühlen.  Die  äussere  Untersuchung 
ergab :  den  Fundus  uteri  1 J/a  Zoll  über  dein  Nabel,  kleine  Theile 
nach  rechts,  Bücken  und  Steiss  nach  links  und  oben;  die 
innere  Untersuchung:  die  Scheide  ausgefüllt  mit  Blutcoagulis, 
die  Scheidenportion  einen  Zoll  lang,  den  Muttermund  für  zwei 
Finger  durchgängig,  Kopf  ballotirend,  die  Eihäute  intact  — 
Nach  24  Stunden  machte  ich  in  Begleitung  meiner  Collegen 
die  Section.  Die  Leiche  hatte  das  eigentümliche,  wachs- 
ähnliche  Aussehen  der  an  Verblutung  Gestorbenen,  Todten- 
starre  sehr  bedeutend,  Todtenflecke  fehlten,  Temperatur  der 
Leiche  nicht  so  kühl,  wie  zu  erwarten  gestanden,  Gesichts- 
züge eingefallen    und  alterirt     Der  Leib  war  breit  gelaufen, 


n.  d.  Verband],  d.  Ge*eܧchaft  f.  Geburtohülfe  zu  Leipzig  etc.    453 

der  Fundus  uteri  lJ/4  Zoll  über  dem  Nabel.  Bei  Eröffnung 
der  Bauchhöhle  zeigte  sich  sofort  der  Uterus»  aber  nicht  ge- 
spannt, sondern  wie  eine  zu  dreiviertel  gefüllte  Kautschuk- 
blase;  er  sah  sehr  blutleer  aus,  und  seine  Wände  zeigten  beim 
Einschneiden  eine  Resistenz ,  welche  ich  im  menschlichen  Kör- 
per bisher  bloss  an  der  Sclerotica  in  diesem  Grade  gefunden 
habe,  so  dass  ich  das  Hesser  mit  der  Scheere  vertauschte 
und  den  Uterus  mit  einem  grossen  Langenschnitte  Öffnete. 
Aus  den  unverletzten  Eihäuten  ergoss  sich  eine  grosse  Quan- 
tität chocoladefarbigen  Fruchtwassers,  gleichsam* als  ob  Blut 
in  dasselbe  hinein  gelaufen  wäre,  wozu  sich  aber  keine  Ur- 
sache auffinden  lies.  Das  Kind  war  ein  sehr  wohlgenährter 
Knabe,  mit  noch  nicht  vollständig  entwickelten  Fingernägeln, 
stand  in  der  ersten  Kopfstellung,  wurde  leicht  entwickelt  und 
abgenabelt  Der  Nabelstraug  enthielt  viel  Blut,  die  Haut  des 
Kindes  sah  bläulich  und  löste  sich  leicht  ab.  Nun  suchten 
wir  die  Nachgeburt  und  fanden  dieselbe  links  und  unten,  in 
ihrer  oberen  Hälfte  gelöst,  doch  mit  der  unteren  noch  sehr; 
fest  ansitzend.  Einen  zweiten  Grund  für  die  Blutung  ergab 
ein  Blutgefäss,  dessen  Natur  ich'  nicht  zu  bestimmen  wage, 
welches  rechts  und  unten,  vis  ä  vis  von  der  Placentarstelle 
geplatzt  war,  und  dessen  rabenfederkielweite  Lumina  m  der 
Atissenseite  einer  plötzlichen  Biegung  im  stumpfen  Winkel 
klafften  und  noch  mit  Blutcoagulis  besetzt  waren.  Höchst 
wahrscheinlich  war  dieses  Gefass  in  Folge  des  bedeutenden 
Druckes  vom  Oberschenkel  hier  Ursache  der  tödtiichen 
Blutung,  denn  in  allen  bisher  von  mir  beobachteten  Fällen 
von  Blutflüssen  habe  ich  noch  nie  eine  solche  Menge  von 
abgegangenem  Blute  wie  in  diesem  Falle  zu  sehen  Gelegenheit 
gehabt." 

In  der  75.  Versammlung  referirte  Dr.  Hennig  über  eine 
künstliche  Frühgeburt  nach  der  Methode  von  Merrem- 
Krau&e,  die  nebst  dem  späteren  Sectionsberichte  der  Mutter 
bereits  in  der  Monatsschrift  für  Geburtskunde,  Bd.  XVI,  Heft  3, 
S.  177  veröffentlicht  wurde. 

Mehrfach  verbreitet«  sich  Hofrath  Professor  Dr.  Credo 
über  Simpson'*  neueste  Einwürfe  gegen  die  Kepha- 
lotrypsie  und  dessen  Cranioklasma,  welches  durch 
Dr.   Amann  im  Intelligenzblatte   bayrischer  Aerzte,   Nr.   34 


454      XXIII.    Meiisner,  Mittfaeilongea  über  die  ThKtigkelt 

vom  25.  August  1860,  nachdrücklich  empfohlen  worden  war. 
Eine  Mittheilung  in  der  79.  Sitzung  ruhmfce  die  Vorzüglich- 
keit der  Kephalotribe  von  Busch,  die  eich  in  der  Nacht  vom 
6.  zum  7.  October  v.  J.  bei  der  schweren  Geburt  eines 
enorm  grossen  Kindes  in  Steisslage  zur  Extraction  des  nach- 
kommenden Kopfes  trefflich  bewährt  hatte.  Nachdem  durch 
Dr.  Haake  in  der  81.  Versammlung  der  Cranioklast  selbst 
vorgelegt  worden,  diente  ein  in  der  84.  Sitzung  gegebenes 
Geburtsreferat,  Hofrath  Professor  Dr.  Credt  zur  abermaligen 
Constatirung  des  Vorzugs  der  Kephalotrypsie  vor  dem 
Cranioklasma.  Nach  vorausgeschickter  Perforation  war  der 
Cranioklast  angelegt  worden,  es  löste  sich  aber  der  vierte 
Theil  des  einen  Scheitelbeines  einfach  ab,  und  so  musste 
noch  schliesslich  zur  Kephalotribe  gegriffen  werden,  durch 
welche  die  Extraction  schnell  und  leicht  vollendet  wurde. 
Gleichzeitig  wurde  eine  neue  Form  der  Kephalotribe,  von 
O.  Hornn,  hierselbst  gearbeitet,  vorgelegt. 

Schon  unterm  29.  August  v.  J.  übersendete  Dr.  Becker- 
Lawrich  in  Ronneburg  zwei  deforme  weibliche  Becken 
aus  der  Präparatensammlurig  des  Altenburger  Krankenhauses, 
«die  beide  Veranlassung  zum  Kaiserschnitte  ge- 
geben hatten,  zugleich  mit  einigen  Notizen,  welche  Hofratlf 
Professor  Dr.  Crede  in  der  80.  Sitzung,  namentlich  hinsichtlich 
des  zweiten  spondylolislhetischen  Beckens  (wie  inzwischen 
schon  bei  der  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und 
Aerzte  zu  Königsberg  am  19.  September  1861).  mit  einigen 
weiteren  Bemerkungen  vervollständigte.  —  Das  erste  herz- 
förmig verengte  Becken  rührt  von  einer  rhachitischen  Frau 
her,  von  der  im  Catalog  nur  gesagt  ist,  dass  sie  durch 
Sect.  Caesar,  entbunden,  und  gleich  dem  Kinde  gestorben  sei. 
Conjugata:  21/2//,  schräge  Durchmesser  4VÄ",  Querdurchmesser 
51/*".  Linie,  vom  Promontorium  nach  dem  horizontalen  Scham* 
beinaste  gezogen,  beiderseits  27t"-  —  Aus  der  Stellung  der 
Gelenkpfannen,  der  kräftigen  Entwicklung  des  linken  auf- 
steigenden Schambeinastes,  der  leichten  Neigung  der  Lenden- 
wirbel und  dem  Ueberwiegen  der  Entwicklung  des  Os  Sei  dextri 
über  die  des  linken,  welches  erstere  sich  breiter  und  höher 
zeigt,  ergiebt  sich,  dass  die  Person  auch  mit  bedeutender  rechts* 
seitiger  Ausbiegung  der  Rückenwirbel  und  mehr  oder  weniger 


u.  <L Vtrhandl.  d.  Geselbcbftft  f.Gebwtehülfe  *u  Leipzig  ntc.    455 

nach  vom  verkrümmten  Oberschenkeln  behaftet  gewesen  sei. 
Diese  Verkrümmungen  mögen  sich  erst  in  den  späteren  Jahren, 
vielleicht  vom  10.  an,  entwickelt  haben,  da  das  Kreuzbein 
sehr  breit  und  von  jeder  seitlichen  Neigung  frei  geblieben 
ist.  —  Das  zweite,  an  sich  sehr  weite,  aber  durch  bedeu- 
tende Vorwärtsbiegung  der  Lendenwirbel,  verengte  Becken, 
leider  nicht  sorgfältig  genug  macerirt,  schliesst  sich  an  die 
neuerdings  mehrfach  unter  dem  Namen  der  Spondylolisthesis 
beschriebenen  Becken  an,  und  gehörte  einem  colossal  ent- 
wickelten achtundzwanzigjährigen  Frauenzimmer  an,  die,  wenn 
sie  gerade  gewachsen  gewesen  wäre,  zu  den  Riesen  gezahlt 
hätte,  bei  der  jedoch  in  Folge  der  Verkrümmung  der  Kopf 
nicht  viel  höher  als  das  Becken  gestanden,  lieber  die  Ur- 
sache der  Verkrümmung,  ob  es  eine  angeborene,  oder  durch 
Gewalt  oder  durch  Lendenwirbel  Vereiterung  —  wie  es  fast 
den  Anschein  hat  —  erworbene  gewesen,  fehlen  alle  Nach- 
richten. Am  7.  Juni  1852  war  die  Trägerin  zu  Altenburg 
durcli  den  Kaiserschnitt  entbunden  worden,  aber  ebenfalls  mit 
ungünstigem  Ausgange  für  Mutter  und  Kind.  Die  äusseren 
Messungen  des  Beckens  ergaben  den  Abstand  der  Spinae 
antL  supp.  oss.  ilei  9"  5'"  in  liebten,  der  Cristae  9"  10"',  die 
Baudelocque'sche  äussere  Conjugata  vom  hervorragendsten 
Punkte  der  Wirbelsäulenkrümmung  aus  6"  10'".  Die  innere 
Beckenmessung  ergab  einen  Abstand  vom  Interstitium  des 
zweiten  und  dritten  Lendenwirbels  bis  zum  oberen  Rande 
der  Schambeinfuge  von  1"  11'",  bis  zum  oberen  Rande  der 
linken  Pfanne  2",  nach  rechts  2"  4"'.  —  Die  ideelle  Con- 
jugata des  Einganges  beträgt  4"  3'",  der  erste  schräge  Durch- 
messer 4"  10'";  der  zweite  4"  6'",  der  Querdurchmesser 
5"  2";.  In  der  Mitte  des  Beckenraumes  betrug  der  gerade 
Durchmesser  4"  8",  der  quere  4"  5"',  und  im  Ausgange  des 
Beckens  der  gerade  Durchmesser  3"  7"',  der  quere  3"  5'". 
Die  Spinae  ischii  standen  3"  1'"  auseinander.  Ausserdem 
zeigt  dieses  Becken  die  Spuren  einer  vorhanden  gewesenen 
seitlichen  Hydrorrhacbis.  Das  Kind  war  im  letzteren  %  Falte 
19"  lang  gewesen,  hatte  3y4"  im  queren,  4%  im  geraden 
und  5y4  im  längsten  Kopfdurchmesser  dargeboten.  —  Eine 
genauere  Beschreibung  des  zweiten  (spondylolisthetischen) 
Beckens  bat  sich  Herr  Hofrath  Professor  Dr.  Crede  auf  eine 


456      XXIII.    Meissner,  Mittfceünngen  über  die  TbHttgkeU 

spätere  Gelegenheit  vorbehalten,  weshalb  wir  hier  eine  solche, 
ebenso  wie  die  Beifügung  einer  Abbildung  unterlassen  woüeii. 

Unter  Benutzung  der  Beobachtungen  mehrerer  Gesell- 
schaftsmitglieder, wie  eigener  Erfahrungen,  hielt  in  der 
76.  Sitzung  der  Berichterstatter  einen  Vortrag  über  Leichen- 
Entbindungen,  der  unter  Einschaltung  einiger  erst  später 
dazu  beigetragenen  Fälle  ausführlich  sub  Nr.  3,  dem  Be- 
richte folgen  soll. 

In  der  80.  Sitzung  sprach  Hofrath  Professor  Dr.  Crede 
Aber  die  von  ihm  geübte  Methode  zur  Entfernung  der 
Nachgeburt  bei  der  natürlichen  Geburt  (siehe  dessen  klinische 
Vorträge  über  Geburtshilfe  1853,  p.  599,  und  Programm  der 
medicinischen  Facultät  zu  Leipzig  in  memoriam  Ernesti  Qott- 
lobi  Bosii,  22.  September  1860,  auch  die  Verhandlungen 
der  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte  zu 
Königsberg  im  September  1860.)  Nach  Auseinandersetzung 
der  Vortheile,  welche  dieses  Verfahren  gewährt,  bestätigten 
Director  Dr.  Ploss  und  Vicedirector  Dr.  Sichel  nach  eigener 
Erfahrung  die  Zweckmässigkeit  der  Methode. 

In  derselben  Versammlung  zeigte  der  Berichterstatter  die 
Nachgeburt  eines  ausgetragenen  Zwillingsknaben 
vor,  welche  zwischen  den  Eihäuten  dieses  und  der  gemein- 
schaftlichen Placenta  einen  comprimirten  im  fünften 
Monat  abgestorbenen,  auch  von  eigenen  Eihäuten  fest 
umschlossenen  eingebetteten  Fötus  enthielt.  Die  Mutler,  eine 
zweiundzwanzigjährige  Erstgebärende,  hatte  als  Wirthschafteriu 
auf  einem  Landgute  sich  während  der  dort  verheimlichten 
Schwangerschaft  stark  eingeschnürt  gehabt,  sich  subjectiv 
immer  wohl  befunden  und  am  16.  October  Morgens  V43  Uhr 
eine  reichliche  Menge  Fruchtwasser,  V44  Uhr  (vier  Stunden 
nach  Beginn  der  Wehenthätigkeit)  das  reife  Kind,  V24  Uhr 
die  beregte  Nachgeburt  ausgestossen.  Nachdem  ähnliche  Fälle 
schon  früher  und  neuerdings  wiederholt  durch  Professor 
Dr.  Braun  und  Dr.  Valenta  (Spitalszeitung  Nr.  5,  Beilage 
zur  Wiener  medicinischen  Wochenschrift  1859,  Zeitschrift  der 
k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  zu  Wien,  16.  Jahrgang  1860, 
Nr.  6  und  Nr.  21)  gegen  die  Annahme  einer  etwa  vorliegen- 
den Superfoetation  verwerlhet  worden  sind,  erschien  Referent 


u.  d.  Verhaadl.  d.G«s«llftahaft  f.Geburtßbilf«  an  Leipaig  etc.    457 

••der  vorliegende  Fall  besonders  zur  Erörterung  der  Frage  ge- 
eignet, ob  hier  vielleicht  das  übermässige  Einschnüren  der 
Taille  Seitens  der  die  Gravidität  zu  verdecken  beflissenen 
Mütter,  also  ein  peripherischer  Druck,  vorwiegend  vor  dem, 
in  andern  Fällen  allein  als  wirksam  angenommenen  centralen 
(durch  den  reifen  Zwilling  ausgeübten)  Druck  die  Compressioti 
des  kleineren  Fötus  bewirkt  habe.  Aber  auch  hier  konnte  nur 
letztere  einflussreich  gewirkt  haben,  denn  der  kleine,  nicht 
ganz  platt,  sondern  concav  gedrückte  Fötus,  zeigte  an  dem 
nach  Innen  gelagerten  Seitenwandbeine  eine  Walluuss  gross« 
Impression  mit  Fractur,  nach  Aussen  conveie  Wölbung.  Der 
dem  abgestorbenen  Fötus  zunächst  liegende  Piacentartheil 
zeigte  ausgebreitete  Verödung  der  Gefasse.  —  Das  Präparat 
ist  der  Sammlung  hiesiger  königlicher  Entbindungsschule  ein- 
verleibt worden. 

Als  willkommener  Beitrag  zur  vergleichenden  Geburts- 
hülfe  wurde  in  der  85.  Sitzung  das  Referat  des  als  Gast  an- 
wesenden Herrn  Professors  Dr.  Bock  über  die  Entbin- 
dung eines  Affenweibchens,  die  er  am  16.  Februar 
d.  J.  in  der  Berliner  Strasse  allhier  geleitet,  entgegen- 
genommen. 

Im  Besitze  des  Herrn  ZobeHarhers  Pansch,  daselbst  be- 
finden sich  seit  dreiviertel  Jahren  ein  Paar  Affen  (Meerkatzen- 
Species)  die,  soviel  sich  beobachten  Hess,  nicht  früher,  als 
bei  der  im  September  v.  J.  eingetretenen  ersten  Brunstzeit 
des  'Weibchens  einander,  nach  sofort  eingetretener  Cou- 
ception  aber  nicht  wieder  begatteten.  Nach  fünfmonatlicher 
Tüchtigkeit  war  der  Geburt  vierzehn  Tage  lang  beim  Weib- 
chen Appetitmangel,  trübe  Stimmung  und  gegen  früher  auf- 
fallend geringere  Behendigkeit  vorausgegangen.  Herr  Pro- 
fessor Dr.  Bock  fand  die  Bauchmuskulatur  schlaff,  den 
Uterus  nicht  sehr  hart,  nach  unten  zu  in  demselben  den 
Kopf  des  Jungen.  Die  aufrecht  auf  einem  Breite  sitzende 
Aeffin  liess  sich  anfänglich  das  Reiben  des  Bauches  und  von 
oben  nach  abwärts  gerichtete  Streichungen  desselben  willig 
gefallen,  wendete  sich  aber  '  sofort  ab,  als  in  Folge  davon 
baldigst  eine  schwarzblaue  Geschwulst  zwischen  den  Geni- 
talien erschien,  die  sich  später  als  Nase  auswiess.  Weiche 
Unterlagen  wurden  vorgebalten   und  beim  Vorrücken  derGe- 


458      XXIII.'  Meissner,  MUtheiluBgen  über  die  TUitigktit 

burt  diese  selbst  durch  Ziehen  an  den  bereits  ausgetreten«« 
Theilen  befördert,  worauf  sich  das  Mutterthier  alsbald  um- 
wendete und  das  Junge  an  sich  drückte,,  welches  von  männ- 
lichem Geschlechte  anfangs  asphyctisch  war  und  erst  durch 
das  Belecken  der  Alten,  sowie  durch  Waschungen  und 
Streichungen  mit  der  Hand  Herrn  Professor  Dr.  Bocks  be- 
lebt wurde.  Darauf  klammerte  es  sich  um  die  Mutter,  die 
es  aufhob  und  herumschwang,  auch  später  die  Nabelschnur, 
die  sie  vorher  um  ein  Hinterbein  gewickelt  hatte,  am  Bauch- 
ende des  Jungen  durchbiss.  Das  Junge  war  so  gross  wie 
eine  Ratte,  hatte  am  Truncus  schwarze  Haare,  die  Extremi- 
täten waren  fleischfarbig.  Der  Lochienfluss  aus  den  Genitalien 
war  unbedeutend  und  wurde  von  der  Alten,  ebenso  wie  früher 
das  Fruchtwasser  von  der  Hand  aufgefangen  und  abgeleckt 
Die  Placenla,  nach  einer  Stunde .  spontan  abgegangen,  wurde 
vom  Besitzer  des  Affen  entfernt.  Acht  Tage  lang  genoss  das 
Mutterthier  ausser  dem  aufgefangenen  Lochientlusse  nichts.  — 
Hinsichtlich  des  Geburtsvorganges  ist  noch  zu  erwähnen,  dass 
die  Stirn  nach  dem  Kreutzheine  gerichtet  war,  während  die 
Vorderpfoten,  aber  nicht  wie  bei  andern  Säugethieren,  unter 
dem  Kopfe  lagen,  sondern  gleich  den  Hinterbeinen,  der  mensch- 
lichen Geburt  ähnlich,  an  den  Truncus  angedrückt,  geboren 
wurden.  —  Hofirath  Professor  Dr.  Credo  zeigte  ini  Anschlüsse 
daran  einige  Affenbecken,  resp.  «in  vollständiges  Skelett  aus 
der  Sammlung  hiesiger  königl.  Entbindungsschule  vor. 

Unter  den  speciell  gynäkologischeil  Vorträgen  ist  mit  den 
zur  physikalischen  Untersuchung  Bezug  habenden  Mitteilungen 
des  Directors  Dr.  Ploes  zu  beginnen,  welche  derselbe  im  An- 
schJuss  an  seinen,  dem  fünften  Jahresberichte  folgenden  Vortrag, 
über  einige  Hülfsmittel  bei  der  Vaginalinspection 
in  der  76.  und  84.  Sitzung  gab  und  die  mit  Ausschluss 
einiger  nur  im  localen  Interesse  hinsichtlich  der  Untersuchung 
der  Prostituirten  allhier  gemachten  Bemerkungen  sub  Nr.  2 
diesem  Berichte  im  Auszuge  beigegeben  sind. 

Nächstdem  empfiehlt  Medicinalrath,  Bitter  Dr.  Güntz  ein 
neues  Hülfsmittel  zur  physikalischen  Diagnose,  das  besonders 
auch  im  gynäkologischen  Interesse  anwendbar,  und  von  ihm 
zunächst  zur  Erörterung  des  Causalnexus  zwischen  Melancholie 
und    periodischen    Hirncongestionen    in    den    klimakterischen 


n.  d.  Verbandl.  d.  Gesellschaft  f. Geburtshöl/o  taLeiprig  eic.   4£ß 

Jahren  der  Frauen  iß  Gebrauch  gezogen  worden  war.  Der 
im  vertagten  Modelle  vorgezeigte  Apparat  besteht  in  einem 
nach  Art  eines  gleicharmigen  Wagebrettes,  zur  Ermittelung 
des  Schwerpunktes  im  menschlieben  Körper,  construirten 
Aequilibrium,  dessen  im  Modelle  1°  2",  in  der  Ausführung 
3°  6"  haltendes  Planum  vom  Hypowocblion  aus  gegen  die 
Endpunkte  hin  in  Centimeter  eingeteilt  ist,  während  die 
Endpunkte  selbst  mit  beweglichen,  den  Fussboden  nicht 
ganz  erreichenden  Stützen  versehen  sind.  Da  jeder  thieriscbe 
Körper  aus  festen,  flüssigen  und  wandernden  Bestandteilen 
besteht,  erstere  sich  physiologisch  und  pathologisch  nach 
Umfang  und  Inhalt  verwandeln,  letztere  aher  sich  temporär  in 
den  einzelnen  Körpertheilen  verschiedenartig  vertheilen,  so 
wird  auch  der  Schwerpunkt  je  nachdem  in  die  eine  oder  die 
andere  Scheibe  des  durch  den  ganzen  Organismus  repräsen- 
tirten  Cylindroid's  verlegt.  Die  Nutzanwendung  des  Apparates 
Pur  physiologische  und  pathologische  Fragen  zeigt  sich  bei 
Ermittelung  eines  relativen  Gewichtes  der  oberen  und  unleren 
Körperhälfte;  überwiegt  z.  B.  die  untere  merklich  gegenüber 
der  oberen  leichteren,  so  taugt  das  benannte  Individuum  nicht 
zum  Reiter.  Aber  nicht  nur  zur  Untersuchung  des  liegenden 
Körpers  eignet  sich  dies  Aequilibrium,  sondern  audh  zur  Cenr 
Xrole  der  Asymmetrie  und  Asympesie  (ungleiches  Gewicht  der 
Körperhalften)  des  aufrecht  stehenden  Körpers,  in  seiner 
Breite»  wie  en  face;  so  zeigt  sich  unter  Hinzunahme  eines 
Senkbleies  z.  B.  bei  Asymmetrie  des  Schädels,  Schiefheit  def 
Wirbelsäule,  des  Beckens  u.  s.  f.,  begreiflicher  Weise  ein  total 
ungleichmässiges  Gewicht  der  beiden  Körperhälften.  —  Das 
zumeist  vom  Redner  ermittelte  Gewicht  der  oberen  und  un- 
teren Körperhälfte  wird  wesentlich  verändert  in  den  verschie- 
denen Altersstufen,  durch  die  alterirte  Diffusion  des  Blutes 
(besonders  bei  Hypostasen).  In  letztere»  Beziehung  interessirt 
besonders  die  Controle  über  die  Wirkung  ableitender  Mittel,  als 
derVenaeaection,  der  trockenen  Schröpfköpfe,  des  «/tmod'schen 
Stiefels;  ausserdem  die  Controle  über  die  Wirkung  der  im 
Darmkanale  wandernden  Faeces,  welche  namentlich  an  den  vier 
vom  Colon  gebildeten  Winkeln  stocken,  der  Einfluss  der  Ge- 
schwülste, Hypertrophieen,  Wasseransammlungen  an  den  ver- 
schiedenen Körpertheilen,  deren  Consoüdiren  und  Seilwinden, 


460      XXIII.    Mrittntr,  Mitthe Illingen  über  die  Thtttigkeit 

dann  der  Menstruation  und  der  Schwangerschaft.  Der  Schwer- 
punkt liegt  im  nicht  schwangeren  Zustande  im  Beckenein- 
gange  nahe  dem  Fundus  des  jungfräulichen  Uterus,  rückt 
aber  in  der  Schwangerschaft  mehr  und  mehr  in  die  Höhe, 
wie,  nachdem  die  Wage  in's  Gleichgewicht  gelangt  jedes  Mal 
durch  das  Anziehen  eines  mit  Lösung  salpetersauren  Silber- 
oxyds getränkten  Fadens  nachzuweisen  war,  der  in  einer 
Querfurche  im  Centralpunkte  des  Wagebrettes  gedeekt  lag 
und  am  Röcken  eine  Marke  verursachte.  Die  Untersuchungen 
geschehen  durch  horizontales  Auflegen  der  nur  mit  einem 
Hemde  bekleideten  Personen  auf  das  Planum  nach  Entleerung 
der  Harnblase  und  bei  Abwesenheit  von  Stuhldrang,  während 
zugleich  der  Kopf  mit  einein  Gummiball  unterstützt  und  ein 
gleicher  in  ähnlicher  Entfernung  vom  Mittelpunkte  zwischen 
den  Füssen  erhalten  wurde.  Die  Schlusssätze,  welche  der 
Redner  aus  seinen  Untersuchungen  zog,  sind  folgende:  1)  der 
Schwerpunkt  des  liegenden  Menschen  fällt  im  Allgemeinen  in 
die  Gegend  des  Promontoriums;  2)  beim  Manne  liegt  er  durch- 
schnittlich höher  als  bei  Frauen,  wo  die  breiteren  Hüften 
nicht  gleich  wie  beim  Manne  durch  einen  schwereren  Kopf 
und  breiteren  Thorax  aufgewogen  werden;  3)  die  Altersstufen 
betreffend*  liegt  der  Schwerpunkt  am  höchsten  beim  Fötus, 
niedriger  schon  beim  Neugebornen,  am  Normpunkte  beim  Er* 
wachsenetf,  höber  wieder  beim  Greise,  wo  Becken  und  untere 
Extremitäten  wieder  mehr  schwinden  und  Gefass verknöcherungen 
an  den  oberen  Körperhälften  eintreten ;  4)  gewisse  Hypostasen 
und  Congestionszustände  kam]  man  entstehen  sehen,  indem 
nach  einige  Zeit  innegehaltener  horizontaler  Lage  ein  lang- 
sames Sinken  des  Aequilibriums  npch  dem  Kopfende  zu,  statt- 
findet; 5)  die  Tageszeit  anlangend,  liegt  der  Schwerpunkt 
des  Menschen  Morgens  beim  Erwachen  höher  als  gegen  Abend, 
eine  Folge  der  wesentlich  anderen  Vertheilung  des  Blutes  bei 
der  horizontalen  Lage  im  Bette  entgegen  der  perpendiculären 
Stellung;  6)  wie  schon  obenerwähnt,  rückt  bei  vorschreiten- 
der Schwangerschaft  der  Schwerpunkt  des  Körpers  nach  Oben. 
Auch  zeigten  sich  unter  ausbleibender  Menstruation  bei  Frauen 
aus  den  klimakterischen  Jahren  die  Folgen  vermehrten  Blut- 
andranges nach  dem  Centralnervensysteme.  Noch  erwähnte  der 
Redner  hinsichtlich    des   möglichen   Einwandes    gegen  seinen 


ii  d.  VerhHDdL  d.  Gesellschaft  f.GebarUhtilfe  in  Leiptlp  eic.    461 

zur  weiteren  Anwendung  empfohlenen  Apparat:  „bei  dem 
auch  hier  zur  Geltung  gelangenden  Principe  des  Hebels, 
dürften  die  kleineren  Gewichtsunterschiede  bei  grösserer  Enfr* 
fernung  vom  Hypomochlion  aus  unverhältnissmässig  einfluss* 
reich  sein;4(  —  dass  auch  bei  kleineren  Gewichtsdifferenzen 
nahe  dem  Mittelpunkte  schon  ein  genügender  Ausschlag  der 
Wage  sich  gezeigt  habe.  —  Dr.  Hennig  halt*  die  möglichen 
Fehlerquellen  beim  Taxiren  der  feineren  Unterschiede  hin- 
sichtlich der  angenommenen  alterirten  Blutvertheilung  für  zu 
gross,  deren  Einfluss  aber  gegenüber  den  stetigen  Verm- 
inderungen im  Inhalte  des  Darmkanals  und  dem  veränderten 
Luft*  und  Blutgehalte  der  Lungen  bei  horizontaler  Lage  für 
zu  gering,  um  sicher  aus  dieser  Wage  erkannt  zu  werden,  glaubt 
aber  hinsichtlich  der  Schwangerschaft  und  der  Anfüllung  ein- 
zelner Körpertheile  durch  Wasser,  Pseudoplasmen,  Hypertro- 
phieen  u.  s.  w.  jnit  dem  Redner  sich  einverstanden  erklären 
zu  können.  Meck  Rath  Ritter  Dr.  Güntz  hielt  gegen  diese 
Bedenken  ein,  dass  dieselben  Personen  zu  verschiedenen 
Zeiten  und  unter  verschiedenen  Verhältnissen  wiederholt  unter- 
sucht worden  seien. 

Zu  der  82.  Versammlung  hatte  Herr  Professor  Dr.  Wag- 
ner als  Gast  einen  Vortrag  über  Uterus-Fibroide  zu- 
gesagt —  Bemerkungen  über  die  Häufigkeit  des  Vorkom- 
mens und  die  allgemeine  histologische  Gutartigkeit  bildeten 
die  Einleitung.  —  Am  häufigsten  ist  der  Sitz  der  Fibroide  im 
Fundus,  am  seltensten  am  Cervix  und  zwar  finden  sie  sich 
in  den  verschiedenen  Tiefen  der  verschiedensten  Gewebe. 
'Sitzen  Sie  im  Muskelgewebe,  so  nennt  man  sie  eigentliche 
oder  interstitielle  Uterusfibroide;  wachsen  sie  grösser,  so  stül- 
pen sie  das  Gewebe  vor  sich  her,  welches  theilweise  atro- 
phirt,  so  dass  sie  bei  weiterer  Entwicklung  nach  Aussen  nur 
vom  JPeritonaeum,  nach  Innen  nur  von  der  Schleimhaut  über- 
zogen sind.  Der  Sitz  kann  für  den  Organismus  von  den 
schwersten  Folgen  sein.  Besonders  in  den  Uterushörnern  oder 
in  den  Tuben  oft  kaum  von  der  Grösse  einer  Kirsche  be- 
dingen sie  schon  Sterilität.  Grössere  Fibroide  können  selbst 
den  Anschein  einer  Schwangerschaft  im  letzten  Monate  ge- 
währen. Weitere  Folgen  sind  die  nachtheilige  Compresdion 
auf  die  Blase,  (Ion  Mastdarm  und  übrigen  Darmkanal,  partielle 


462      XXIII.    Afewner,  Mittheihmg-on  über  die  ThKtigkeit 

Peritonitiden,  welche  durch  Pseudomembranen  alle  umkegen- 
den  Theile  anlöthen  und  so  nothwendig  Sterilität  bedingen 
müssen,  auch  unheilbare  Magen-  und  Verdauungsbeschwerden 
herbeiführen.  Durch  die  polypösen  Hervorragungen  nach 
Innen  erfolgen  Blennorrhoe^,  Blutungen,  als  von  der  constan- 
ten  Hyperaeraie  der  Schleimhaut  dabei  bedingt.  Der  Uterus 
selbst  erleidet  ufannichfache  Veränderungen  nach  Grösse,  nament- 
lich Hypertrophie  sämmtlicher  Gewebe,  meist  von  mittlerer 
Grösse,  mit  oder  ohne  Gefösshyperaemie,  Infarcte;  seltener 
Atrophie  bei  sehr  grossen  oder  zahllosen  kleinen  oder  mittel«* 
grossen  Fibroiden ,  in  Folge  deren  Uteras  und  Vagina  in  ein 
Conglomerat  von  Fibroiden  übergegangen  zu  sein  scheint 
Unter  den  durch  die  Fibroide  bedingten  Lageverändenragen 
zeigt  sich  fast  immer  leichter  Descensus,  selten  stärkerer 
Proiapsos,  dagegen  häufiger  bei  sehr  grossen  Fibroiden  Er- 
hebungen mit  Verlängerungen  und  Verdünnung  des  Uterus  und 
der  Vagina.  Ganz  besonders  interessiren  aber  die  verschie- 
densten Flexionen,  welche  durch  die  Fibroide  selbst  oder 
Pseudomembranen  derselben  bedingt  sind;  häufiger  vielleicht 
als  die  Ante-  und  Retroflexionen  kommen  die  lateralen 
Flexionen  vor.  Versionen,  besonders  die  so  sehr  geförchteten 
Retroversionen  kommen  seltener  in  Folge  von  Fibroiden 
vor.  Die  partielle  wie  die  complete  Inversion  kann  nur  bis- 
weilen durch  polypöse  Fibroide  bedingt  werden.  —  Nächst- 
dem  kommen  auch  Risse  des  Uterus  vor,  so  dass  salbst  bis- 
weilen das  Fibroid  aus  seiner  Lage  herausgerissen  aufgefunden 
wurde.  —  Unter  Vorzeigung  betreffender  Präparate  demon- 
strirte  der  Redner  an  gemachten  Durchschnitten  die  unregel- 
mässige Richtung  der  Fasern  in  den  Fibroiden.  Das  Gewebe 
selbst  besteht  meist  aus  organischen  Muskelfasern  und  dicht 
damit  verflochtenem  Bindegewebe;  Gefasse  finden  sich,  dem 
blossen  Auge  sichtbar,  seltener  im  Gewebe  vor,  grössere  durch- 
dringen nur  die  Kapsel  und  verlieren  sich  schnell  im  Innern, 
Die  aus  Bindegewebe  und  Gefassen  bestehenden  Fibroide  sind 
am  härtesten.  Andere  Fibroide  bilden  den  Uebergäng  zu  Sar- 
comen  durch  Züge. von  spindelförmigen  Zellen,  welche  dicht 
nebeneinander  gelagert  sind.  Die  Metamorphosen  der  Fibroide 
sind:  1)  Verkalkung,  die  nie  in  der  Peripherie,  nur  selten 
im  Centrum  oder  im  ganzen  Umfange  eintritt.    Ist  da«  übrig« 


u.  d.  Verband!,  d.  Gesellschaft  f.  Geburtabülfe  an  Leipsig  etc.    463 

Ftbroid  polypös,  so  wird  der  Stiel  atrophisch,  so  dass  eine 
sogenannte  Porzellankugel  abgehen  kann;  2)  fettige  De* 
generation  der  organischen  Muskelfasern  ist  am  häufigsten, 
bedingt  gelbliche  Färbung  und  Höhlenbüdung;  3)  Cysten« 
bildcmg  ist  nur  partiell,  Entzündung  und  Verjauchung  deoa 
Redner  nie  vorgekommen.  Ob  4)  die  meist  in  der  Schwanger- 
schaft entstehende  carcinomatöse  Entartung  eintrete,  ist  zweifei* 
halt;  Carcmoin  neben  Fibroiden  ist  nicht  selten,  wie  auch 
jede  Erkrankung  der  Genitalien  neben  Uterus«  Fibroiden  yoi*» 
kommen  kann.  —  Zum  Schlüsse  zeigte  der  Redner  einen  Fall 
ron  Enchondrom  in  der  Uterushöble  vor. 

Ein  grösserer  Vortrag  ward  vom  Dr.  Hennig  Aber 
Operationen  an  den  Eierstöcken,  in  der  81.  Sitmng 
gehalten  und  im  Manuscript  ausführlich  zur  Veröffentlichung 
in  der  Beilage,  sub  Nr.  4,  zu  gegenwärtigem  Berichte  ein- 
gereicht. 

In  derselben  Sitzung  zeigte  Dr.  Haake  eine  Spritze 
mit  Ansatzrohr  zu  Injectionen  in  den  Uterus,  aus 
hornisirtem  Kautschuk  (American  hard  rubber)  gefertigt,  vor. 

Zu  den  Verhandlungen  über  Capitel  der  Embryologie 
und  Paediatrik  übergehend,  ist  weiter  der  Prüfungen 
zu  gedenken,  welche  hinsichtlich  der  vom  Privatdocenten 
Dr.  Frankenhäuser  aus  Jena,  in  der  Berliner  Gesellschaft  für 
Geburtshülfe  zuerst  vorgeschlagenen  Methode  zur  intra- 
uterinen Geschlechtsbestimmung  der  Kinder  von 
Dr.  Haake  durch  Zählung  der  foetalen  Herzschläge  bei 
Schwangeren  unter  Bemerkung  des  bei  der  Geburt  sich  aus- 
weisenden Geschlechtes,  und  Dr.  Hennig  hauptsächlich  bei 
Neugebornen  angestellt,  uns  in  der  74.  und  75.  Sitzung  mif- 
getheilt  und  von  beiden  Autoren  schon  zum  Abdrucke  in 
der  Monatsschrift  für  Geburtskunde,  Bd.  15,  lieft  6,  pag.  456 
und  448,  befördert  wurden. 

Zur  74.  Sitzung  war  ausserdem  von  Dr.  Becker- Laurieh 
in  Ronneburg  der  folgende  Geburts-  und  Sectionsbericbt  eines 
Kindes  mit  Hernia  cerebelli  nebst  dem  herauspräparirten 
Os  oeeipitis  eingegangen.  —  „Am  1.  April  (1860)  Abends  ver- 
spürte die  Schmiedemeisterin  K.  in  K.  die  ersten  Wehen 
aiuPgebar  na<tf>  einer  langen  und  anstrengenden  Arbeit  zuert^ 


464      XX 111.    MeUtner,  Mittheilnngen  über  die  ThUügkeit 

einen  wohlgebüdeten  Knaben,  alsdann  in  Steisßlage  ein  Mfdchen. 
(Die  vier  noch  lebenden  Kinder,  welche  früher  geboren  waren, 
sind  wohlgebildet,  auch  die  Ellern  gesund  und  rüstige  Ar- 
beiter.) Nach  der  Geburt  wurde  die  Kindfrau  erschreckt,  denn 
sie  sah  —  nach  ihrer  Aussage  —  zwei  Köpfe  an  dem  Kinde 
und  auf  ihre  Veranlassung  wurde  alsbald  mein  College 
Dr.  Beyer  von  bier,  zugezogen,  um  den  Thatbestand  zu  er* 
mittein.  Er  erkannte  an  dem  kleinen  völlig  ausgetragenen  und 
wohlgebüdeten  Kinde  eine  Geschwulst  am  Hinterkopfe  von  der 
Grösse  eine  Kindeskopfes  und  aufgefordert  dieselbe  sofort  zu 
operiren,  schlug  er  den  Leuten  vor,  noch  einen  zweiten  Arzt 
zuzuziehen.  Am  anderen  Tage  besuchten  wir  das  Kind  zu- 
sammen und  untersuchten  die  bedeutende  Geschwulst;  es  war 
dieselbe  mit  normaler  Haut  überzogen,  sogar  theilweise  mit 
spärlichen  Haaren  besetzt,  beim  Anfühlen  war  sie  prall,  doch 
vermochte  man  in  der  Tiefe  hühnerdarmähnliche  Windungen 
zu  fühlen;  ob  sie  aber  mit  der  Schädelhöhle  in  Verbindung 
stand,  konnte  jetzt  noch  nicht  ermittelt  werden.  Einige  leichte 
Punctionen  entleerten  ein  anfangs  helles,  dann  blutiges  Serum, 
vielleicht  vier  Unzen.  Hierauf  stellte  sich  der  Zusammenhang 
des  Inhaltes  mit  der  Schädelhöhle  unzweifelhaft  heraus,  man 
konnte  deutlich  nach  links  und  unten  den  Knochenrand  fühlen. 
Von  einer  Behandlung  sahen  wir  natürlich  ab,  liessen  verdünn- 
tes Bleiwasser  aufschlagen  und  das  Kind  nach  Bedürfniss 
nähren.  In  seinem  dreiwöchentlichen  Leben  nun  hat  das  Kind 
nicht  einen  Laut  von  sich  gegeben,  bloss  etwas  Zuckerwasser 
getrunken  und  den  Zulp  genommen,  doch'letzteres  sehr  sel- 
ten, das  linke  Auge  hat  es  nie  geöffnet,  das  rechte  selten; 
auffallend  waren  die  bedeutenden  Mengen  Meconium,  welche 
von  ihm  abgegangen  sind.  ^  Vorgestern  (1.  Mai)  nun  starb 
das  Kind  und  gestern  (2.  Mai)  machten  wir  die  Section: 
das  Kind  war  nicht  gewachsen,  hatte  aber  ein  altes  Gesicht 
bekommen,  der  Leib  war  eingezogen,  sonst  normal.  Am  Kopfe 
befand  sich  der  grosse  Beutel,  immer  noch  ziemlich  Mannes- 
ftiust  gross,  aus  dem  selbst  nach  dem  Tode  noch  Serum  aus- 
gesickert war;  einige  Schorfe  und  dunkelgeröthete.  Stellen  be- 
zeichneten die  früheren  Einstichspunkte.  In  der  Richtung 
der  Pfeilnaht  nun  wurde  ein  Einschnitt  durch  die  äusseren 
Bedeckungen  gemacht  und  derselbe  auf  der  Geschwulst  rechts 


n.  d.Verhandl.  d.  Gesellschaft  f.Gebnrtshiilf«  zu  Leipzig  etc.    465 

und  links  nach  dem  Halse  zu  fortgesetzt;  dabei  lief  eine  sehr 
bedeutende  Menge  Wasser  heraus  und  es  zeigte  sich  nun 
apfelgross  eine  gespannte  Geschwulst  von  den  Bedeckungen 
des  Gehirns  überzogen  <  und  zwischen  welcher  und  dem  Rande 
im  Hinterhauptsbeine  man  mit  der  Sonde  in  die  Schädelhöhle 
gelangte.  Am  merkwürdigsten  war  der  Verlauf  des  grossen 
Hirnsinus,  den  wir  ganz  deutlich  sahen,  und  der  in  der 
Richtung  unserer  Lappenschnitte  sich  theilte  und  in  die  ArtL 
vertebrales  sich  fortsetzte.  Bei  EröfTnung  des  kleinen  Sackes 
zeigte  sich  wiederum  viel  Serum  und  das  ganze  kleine  Gehirn 
in  demselben,  doch  war  dasselbe  in  innigster  Verbindung  mit 
dem  grossen  Gehirne  in  der  Schädelhöhle,  und  zwar  durch 
eine  brückenartige  Verbindung.  Die  Medulla  oblongata  schien 
sich  getheilt  zu  -haben  und  sowohl  dem  grossen  Gehirne  als 
dem  kleinen  anzugehören.  Das  Hinterhauptsbein  liess  ich 
entfernen  und  stelle  ich  es  hiermit  zu."  —  Das  mitgeschickte 
und  der  Sammlung  der  geburtshilflichen  Klinik  hierselbst 
überwiesene  betr.  Os  occipitis  zeigte  eine  so  hochgradige  Er- 
weiterung des  Foramen  magnum,  dass  die  ganze  Mittelportion 
der  Pars  basilaris  (die  Fossa  pro  medulla  oblongata)  fehlte  und 
vorn  nur  ein  dünnes  Band  das  Foramen  magnum  schliessend, 
an .  den  Körper  des  Keilbeins  stiess.  —  Hofrath  Professor 
Dr.  Crede  inachte  die  im  Berichte  geschilderte  Anomalie  durch 
Vorzeigung  von  einigen  in  Spiritus  aufbewahrten  Monstris, 
grösstenteils  Mikro-  und  Hemicephalen  mit  bydropischen 
Beuteln  am  Hinterkopfe  anschaulich,  wie  solche  die  Sammlung 
des  ZViWschen  Instituts  in  grosser  Anzahl  enthält. 

In  der  84.  Versammlung  zeigte  Hofrath  Professor 
Dr.  Ctedi  mehrere  Anomalien  der  Nabelschnur  vor,  als 
Verengerungen  und  Umdrehungen,  welche  Deformitäten  und 
Tod  in  Folge  der  Ernährungs-  und  Rildungsbemmiingen  der 
Früchte  veranlassten. 

In  der  81.  Sitzung  gab  Director  Dr.  Plosa  eine  Stati- 
stik der  Kindersterblichkeit  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung Sachsens  und  dessen  verschiedener  Bodenelevation, 
sowie  der  Fruchtbarkeit  und  Beschäftigungsweise  der  Be- 
völkerung,, welche  im  Archive  des  Vereins  für  gemeinschaftliche 
Arbeiten  zur  Förderung  der  wissenschaftlichen  Heilkunde, 
"Bd.  6,  Heft  1,  pag.  117,  erschienen  ist. 

Monfttffsr.hr.  f  Ocbnrt^k.   18<>2.   IM.  XIX.,  Uft.  (3.  30 


466      XXIll.    Meissner,  Mittheilungen  über  die  Thatigkeit 

Von  neueren  Schriften  wurden  vorgelegt:  Die  Unfrucht- 
barkeit des  Weibes  von  Dr.  Ludwig  Martini  in  Biberacb; 
Erlangen  1860.  8.,  und  Note  sur  le  develloppement  in- 
complet  d'une  des  moities  de  l'uterus  et  sur  la  d6pendance 
du  developpement  de  la  matrice  et  de  l'appareil  urinahre, 
presentee  ä  l'academie  des  sciences  de  Paris  en  1856,  par 
*/.  A.  Stoltz,  Professeur  de  Strassbourg  1860.  Ueber  letztere 
wurde  auch  ein  Referat  von  Dr.  Hennig  am  16.  Juli  v.  J. 
vorgetragen  und  seiner  Zeit  in  der  Monatsschrift  für  Geburts- 
kunde abgedruckt. 


IL  Ueber  einige  Hülfsmittel  bei  der  VaginalinapectioiL 

Zweiter  Artikel. 

Von 

Dr.  Hermann  Ploss. 

Mittheilung  aus  den  Vorträgen  am  16.  Juli  1860  und  18.  Februar  1861. 

Schon  längst  machte  sich  das  Bedürfniss  geltend,  auch 
die  kleinsten  krankhaften  Veränderungen  an  der  Vaginal- 
portion und  an  den  übrigen  mit  dem  Scheidenspiegel  zu 
betrachtenden  Theilen  zu  erkennen.  Unter  anderen  Anomalien, 
die  der  Arzt  wo  möglich  schon  als  unbedeutende  Erosion, 
als  kleines  Bläschen  und  Geschwürchen  wahrzunehmen  wünschen 
touss,  nenne  ich  beispielsweise  syphilitische  Processe,  wekhe 
ja  bekanntlich  nicht  selten  ihren  Sitz  an  jenen  Theilen  haben. 
Es  ist  stets  nöthig,  den  kleinsten  Anfängen  der  syphilitischen 
Infection  an  den  inneren  und  hinteren  Theilen  zeitig  auf  die 
Spur  zu  kommen.  Aber  auch  bei  unzähligen  anderen  patho- 
logischen Veränderungen  ist  es  ja  für  die  Diagnose  bisweilen 
dringend  wünschenswerth,  kleine  Anomalien  vergrössert  zu 
betrachten.  So  bequem  freilich,  wie  man  bei  Hautkrankheiten 
eine  Loupe  anwendet,  ist  dieselbe  im  Scheidenrohre  bei  der 
Vaginalinspection  nicht  zu  verwenden.  Denn  gelingt  es  auch, 
eine  Vergrösserungsloupe  in  das  Speculum  einzubringen,  so 
fehlt  das  nöthige  seitlich  einfallende  Licht  und  das  Auge  kaim 
sich  der  eingeführten  Loupe  nicht  genügend  nähern. 


n.  d.  Verband  1.  d.  Gesellschaft  f.  Geburtshülfe  zu  Leipzig  etc.    467 


* 


Allein  die  von  Brücke  angegebene  Perspectivloupe 
kann  man  nicht  blos  bei  dem  wie  gewöhnlich  direct  auffallendem 
Lichte,  sondern  auch  bei  Anwendung  des  von  mir  früher  zur 
Scheidenuntersuchung  empfohlenen  Beleuchtungsspiegels  be- 
nutzen. 

Zu  Ende  des  vorigen  Jahres  gab  für  die  Rachen-  und 
Kehlkopfuntersuchung  Prof.  Ludwig  Tiirck  in  Wien  ein  von 
Plö8sl  gefertigtes  ähnliches  Perspectiv  an,  das  drei  Mal 
vergrössert.  Auch  er  benutzte  dabei  einen  Hohlspiegel  zur 
Beleuchtung.  Hat  der  Concavspiegel  ein  centrales,  oder,  wie 
es  jetzt  vorgezogen  wird,  ein  excfentrisches  Loch,  so  bringt 
man  das  durch  Ein*  und  Ausziehen  stellbare  .Instrument 
hinter  diesem  Loche  an  und  schaut  dann  durch  beide  in  das 
Speculumrohr.  Man  kann  auch  die  PerspectivloQpe  und  den 
Beleucbtiingspiegel  mit  beweglichem  Charniere  an  einer  Stirn- 
oder Augenbinde  anbringen.  Ich  selbst  habe  vom  Optiker 
M.  Taubert  in  Leipzig  eine  acht  Mal  vergrößernde  Per* 
specdvloupe  (welche  4  Thlr.  kostet)  geprüft  und  für  unsere 
Zwecke  recht  passend  gefunden,  Hat  man  sie  beweglich  an 
eine  Stirnbinde  angebracht,  so  kann  man  den  Beleuchtungs- 
sfiegel  an  einem  Stiele  im  Munde  halten,  so  dass  derselbe 
unter  oder  neben  ihr  steht ,  ohne  dass  sie  das  in  den  Spiegel 
einfallende  Licht  wegnimmt. 

Ebenso  wie  ich  die  künstliche  Beleuchtung  der  hinteren 
Scheidentheile  durch  einen  Hohlspiegel  bewerkstelligte,  so  hat 
auch  Fonssagrive,  Oberarzt  der  Manne  in  Cherbourg,  ein 
neues  Beleuchtungsmittel  für  diesen  Zweck  aufgesucht.  Er 
wandte  sich  an  Th.  du  Morel,  einen  Physiker,  welcher  ihm 
ein  besonderes  Mittel  vorschlug,  um  die  Theile  aus  un- 
mittelbarster Nähe  zu  beleuchten,  ohne  sie  gleichzeitig  zu  er- 
wärmen. Dieser  Apparat  scheint  bei  deutschen  Aerzten  noch 
wenig  Beachtung  gefunden  zu  haben,  ist  auch  für  die  Privatpraxis 
kaum  zu  benutzen ,  doch  für  die  Hospitalpraxis  wohl  beachtens- 
werth.  Die  G eis sler' sehen  sogenannten  leeren  Röhren  er- 
zeugen mit  Hülfe  der  Electricität  ohne  Wärmeentwickelung 
ein  Licht,  das  um  so  glänzender  ist,  je  enger  die  vom  Lichte 
durchzogene  Röhre  isL  Mit  denselben  wurde  nun  ein  Apparat 
hergestellt,  in  welchem  die  Communicalionsröhre  zwischen 
den  beiden  Endkugeln  fast   so  dünn  wie  ein  Haar  und  nach 

ao* 


468    XXI IL    Meißner,  Mittheilungen  über  die  Th&tigkeit  etc. 

Art  der  elektromotorischen  Multiplicatoren  schraubenförmig 
auf  sich  selbst  zurückgebogen  ist.  Allein  es  handelte  sich  < 
auch  um  die  Farbe  des  Lichtes.  Diese  beruht  bei  dem 
Apparate  wesentlich  auf  der  Beschaffenheit  der  Gase,  aus 
welchen  der  luftleere  Raum  gemacht  worden  ist;  sie  ist  weiss 
bei  Kohlensäure,  kohlensaurem  Wasserstoff  und  Salzsäure; 
eines  dieser  Gase  nun  brauchte  man  nur  vor  Herstellung  des 
luftleeren  Raumes  in  den  Apparat  einzuleiten,  um  das  Problem 
vollständig  zu  lösen  und  ein  weisses  Licht  zur  Beleuchtung 
der  inneren  Körpertheile  zu  erbalten.  Derartige  Apparate  liefert 
der  Mechaniker  Ruhmkorff  in  Paris,  und  sie  wurden  von 
A.  Becquerel  in  der  Pitie  mit  befriedigendem  Erfolge  an- 
gewendet. Eine  weitere  Benutzung  für  gynäkologische  Zwecke 
haben  sie  noch  nicht  erlaugt.  *) 

Nachträglich  bemerke  ich  in  Bezug  auf  den  von  mir 
früher  gehaltenen  Vortrag  über  Beleuchtungsspiegel,  dass  es 
jetzt  dem  Iustrumentenmacher  Hornn  hierselbst  gelungen  ist, 
solche  Spiegel  herzustellen,  welche  nicht  mit  Quecksilber, 
sondern  mit  Silber  belegt  sind,  ein  ausgezeichnet  schönes 
Licht  geben,  ganz  nach  Belieben  und  nach  Zweck  der  Unter- 
suchung in  die  Hand  oder  in  den  Mund  genommen,  höhtr 
oder  niedriger  gestellt  und  nicht  blos  zur  Untersuchung  der 
Scheide,  sondern  auch  zur  Speculation  des  Ohres  und  des 
Kehlkopfes  benutzt  werden  können.  Ich  lege  einen  solchen 
Spiegel  (ä  2%  Tblr.)  der  Gesellschaft  für  Geburtshilfe  zur 
Ansicht  vor. 


1)  Als  ich  diesen  Apparat  Fonssagrive's  vor  nunmehr  fast 
zwei  Jahren  erwähnte,  hatten  L.  Maier  und  Tobold  «och  nicht 
die  Beleuchtungsmethode  mit  parabolischen  Spiegeln  angegeben. 
Durch  dieselbe  ist  Fonssagrive's  originelles,  allein  noch  wenig 
verwendbares  Beleuchtungsmittel  als  ein  für  die  Praxis  weit  un- 
geeigneteres zurückgedrängt  worden. 

Den  25.  Juni  1862.  Der  Verf. 

(Fortsetzung  der  übrigen  Artikel  in  den  nächsten  Heften.) 


XXIV.     Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  469 

XXIV. 

Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

Demarquay:   Ovariotomie. 

In  einem  Schreiben  an  die  Akademie  der  Medicin  zeigt 
Dr.  Demarquay,  Chirurg  der  Maiion  munieipale  de  santl,  an, 
dass  er  kürzlich  eine  Ovariotomie  ausgeführt  habe:  sicher  die 
erste  in  Frankreich  behufs  Heilung  der  Ovariengesehwulat. 

Der  Fall  betrifft  ein  19 — 20 jähriges  Madeben.  Die  Geschwulst 
war  schon  ein  Mal  punktirt  worden,  wobei  sich  eine  beträcht- 
liche Menge  einer  serösen,  bräunlichen,  klebrigen  Flüssigkeit 
entleerte.  Ausserdem  war  constatirt,  dass  die  Kyste  au  den 
mehrfächrigen  gehörte.  Leider  füllte  sich  die  Kyste  in  kurser 
Zeit  von  Neuem  und  in  so  betrachtlichem  Maasse,  dass  das  Leben 
der  Pat.  gefährdet  war.  Auf  Anrathen  NSlaton's  wurde  die  Ex- 
Rtirpation  beschlossen,  und  um  alle  ungünstigen  Zuflille  zu  ver- 
meiden, namentlich  die  Neigung  Verwundeter  zu  erysipelatÖsen 
Entzündungen  im  vorliegenden  Falle  su  beschränken,  wurde  die 
Kranke  nach  St.  Geriqain  an  einen  vollkommen  gesunden  und 
luftigen  Ort  transferirt. 

Die  Operation  selbst  wurde  am  2.  Februar  von  Demarquay 
im  Beisein  der  chirurgischen  Notabiiitäten  von  Paris  ausgeführt. 
Die  Pat.,  deren  Zustand  die  Symptome  einer  subacuten  Phlegmasie 
darbot,  deren  Sitz  jedoch  erst  während  der  Operation  gefunden 
wurde,  war  in  tiefer  Chloroformnarkose.  Unter  grösster  Vorsicht, 
um  nicht  vorzeitig  die  Kyste  zu  öffnen,  wurden  die  Bauchdeoken 
in  einer  Ausdehnung  vom  Nabel  bis  su  den  Schambeinen  durch- 
schnitten. Kaum  waren  die  Wände  der  Kyste  sichtbar,  als  sieh 
ans  der  Peritonealhöhle  in  .grosser  Menge  eine  seröser  Flüssig« 
keit  orgoss,' welche  als  Peritonäalflüssigkeit  erkannt  wurde:  es 
bestand  demnach  eine  subacute  Phlegmasie  des  Feritonäums. 

Mit  grosser  Umsicht  wurde  der  zweite  Act  der  Operation, 
die  Punction,  vorgenommen.  Die  Canüle  des  dicken,  gekrümmten, 
circa  8 — 10  Millim.  starken  Troikarts  war  mit  einem  Kautschuk- 
rohr verbunden,  um  so  die  Flüssigkeit  ohne  Beschmutsung  der 
Pat.  und  des  Bettes  ableiten  zu  können.  So  wurden  nach  eiuander 
drei  bis  vier  Kyste n  punktirt  und  endlich  mit  einiger  Schwierig* 
keit  die  Kyste  aus  der  Bauchhöhle,  mit  deren  Wunden  sie 
nirgends  verwachsen  war,  gesogen;  um  den  circa  6  Centim.  langen 
und  2  Centim.  dicken  Stiel  wurde  eine  Klammer  nach  englischem 
Muster  gelegt  und  der  Sack  abgeschnitten.  Bis  dahin  hatte  die 
Operation  circa  20 — 26  Minuten  gedauert.  Die  Wundränder,  die 
nur  wenig  geblutet  hatten,   wurden  durch  Metallfäden  vereinigt 


470  XXIV.     Notiren  ans  dor  Journal -Literatur. 

und  der  Kystenstiel  mit  eingeheftet.  Die  Kranke  wurde  nun  in's 
Bett  gebracht,  erhielt  einige  Tassen  warmen  Thee  und  von 
Stunde  zu  Stunde  Opiumpillen. 

Am  «weiten  Tage  nach  der  Operation  steigerte  sich  das 
Fieber,  es  trat  galliges  Erbrechen  ein,  wodurch  die  Klammer, 
welche  den  Stiel  noch  umschlossen  hielt,  etwas  gelockert  wurde, 
ohne  dass  jedoch  letzterer  sich  in  die  Bauchhohle  zurückzog. 
Die  Kranke  starb  am  5.  Februar  Abends;  in  der  Bauchhöhle 
zeigten  sich  mehrere  Litre  blutig*  seröser  Flüssigkeit. 

Bezüglich  des  Inhaltes  der  Kyste,  so  betrug  seine  Menge 
circa  14  Kilos.  Der  solide  Thcil  der  Geschwulst  hatte  ein  Ge- 
wicht von  4  Kilos.  Die  Flüssigkeit  war  serös,  fadenziehend, 
bräunlich  gefärbt;  doch  fand  sich  auch  in  einigen  Bohlen,  die 
nach  der  Eztraetion  geöffnet  wurden,  ein  eiweiss-  und  glycerirf- 
ahnliches  Fluidum. 

(Gazette  m£d.  de  Paris,  1862,  No.  6.) 


Spencer  Wells:   Ueber  einige   heilbare   Ursachen  der  Un- 
fruchtbarkeit. 

Nach  des  Verfassers  Statistik  ist  unter  je  acht  verbeiratheten 
Frauen,  nach  Simpson  unter  je  zehn  eine  kinderlos;  ei  tritt  unter 
.sieben  fruchtbaren  Ehen  nur  vier  Mal  die  erste  Geburt  innerhalb 
der  ersten  18  Monate  nach  der  Verheirathung  ein.  Nur  selten 
ist  die  Quelle  der  Kinderlosigkeit  im  Manne  zu  suchen,  da  solche, 
die  sich  impotent  wissen,  wohl  nur  selten  heirathen.  Im  weib-  ' 
liehen  Organismus  aber  können  die  mannichfachsten  Ursachen 
Grund  zur  Unfruchtbarkeit  sein:  1)  Es  werden  keine  befruchtungs- 
fähigen Ovula  bereitet  2)  Die  Ovarien  lassen  in  Folge  abnormer 
Beschaffenheit  den  rechtzeitigen  Austritt  reifer  Ovula  nicht  zu. 

3)  Die  ausgetretenen  Ovula  verirren  sich  in  der  Bauchhöhle, 
gehen  daselbst  zu  Grunde,  oder,  im  Falle  sie  mit  Sperma  in 
Berührung  kommen ,  es  entsteht  eine  Extrauterin6chwangerschaft. 

4)  Die  Tuben  können  verwachsen  sein  und  so  den  Uebertritt  in 
den  Uterus  verhindern.  5)  Verhinderung  des  Eintrittes  des  Sperma 
in  Folge  von  abnormer  Bildung  des  Uterus,  der  Scheide  oder 
der  äusseren  Geschlechtstheile.  6)  Zerstörung  des  gesunden 
Samen  durch  krankhafte,  8ecretionen  der  Geschlechtstheile. 

Namentlich  die  sub  5  und  6  angefahrten  Ursachen  sollen  näher 
betrachtet  werden.  Der  Zutritt  des  Samen  zu  den  Eiern  wird 
gehindert  durch  Verschluss  der  Scheide  in  Folge  von  Adhäsion 
der  Labien  oder  von  Hymen  iroperforatus ,  durch  Folliculitis, 
Herpes  und  Eczem  der  Scheide,  durch  Hyperästhesie  und 
Anästhesie  derselben,  durch  Krankheiten  des  Rectum,  der  Urethra 
und  der  Harnblase,  durch  die  verschiedenen  Krankheiten  des 
Uterus,    durch    Gontractioncn    im    Os    und    Cervix    uteri,    durch 


XXI V*    Notiien  ans  der  Journal -Literatur.  371 

s 

fremde  Körper  im  Uteras,  durch  Polypen,  fibröse  Tumoren  and 
Krebs.  Bei  Gegenwart  der  beiden  letaleren  kann  zwar  eine 
Befruchtung  stattfinden,  doob  wird  die  Schwangerschaft  kaum 
ibr  normales  Ende  erreichen.  Polypen  müssen  entfernt  werden, 
desgleichen  muss  man  Versionen,  Flexionen  und  Vorfalle  der 
Gebärmatter  zu  beseitigen  suchen.  Die  Hyperästhesie  der  Seheide 
und  der  Vulva  sind  durch  Reinlichkeit,  Waschungen  mit  Quecksilber- 
Bichlorid,  Adstringentia  etc.  zu  behandeln;  neuromatöse  Punkte 
durch  Salpetersäure  oder  durch  Galvanismus  zu  zerstören.  Ver- 
wachsungen, Hymen  iraperforatUs  sind  zu  trennen.  Eine  der 
häufigsten  und  doch  dabei  am  leichtesten  zu  beseitigende  Ursache 
der  Sterilität  findet  sich  in  der  Strtotur  oder  dem  Verschlossen- 
sein des  Muttermundes  und  Cervicalkanales.  Gelingt  es  nicht 
hier,  durch  Bougies  etc.,  Heilung  zu  bewirken,  so  muss  man 
mittels  des  Simpson' sehen  Instrumentes  den  Muttermund  nach 
beiden  Seiten  einschneiden :  eine  ganz  ungefährliche  und  sichere 
Operation.  Bei  einer  solchen  Enge  des  Muttermundes,  dass  das 
Hysterotom  nicht  durchdringen  kann,  wählt  man  das  von  CogMan 
angegebene  Instrument.  Dysmenorrhoe,  namentlich  D.membranacea, 
sowie  Leukorrhoe  sind  nach  den  bekannten  Regeln  zu  behandeln. 
(Med.  Times  and  Gaa.,  Dec.  14.,  1861.) 


Zepuder:   Zur  Frarikenhäueer' achen  Hypo  these  über  die 
Geschlechtsbestimmung  des  Fötus. 

Verfasser,  Assistent  bei  Prof.  Valenia  fn  Laibach,  will  in 
56  unter  60  von  ihm  beobachteten  Fällen  das  Geschlecht  des 
Kindes  richtig  voraus  bestimmt  haben.  Bei  Knaben  fand  er  am 
häufigsten  120  —  122,  seltener  132  —  138  Herzschläge  in  der 
Minute,  bei  Mädchen  meist  144—150,  seltener  166.  Die  Fehler- 
quellen, auf  die  er  wegen  des  Nichtzutreffens  der  Voraussage  in 
fünf  Fällen  verweist  (Hydramnios,  dicke  Bauchdecken,  Unruhe  der 
zu  Untersuchenden,  Ungeübtheit  zu  Anfang  der  Beobachtungen), 
dürften  vielleicht  auch  für  einen  Theil  der  übrigen  Beobachtungen 
zu  berücksichtigen  sein. 

(Wien.  Med.-Halle,  1862,  No..l4.) 


Fiedler:  Ueber  das  Verhalten  des  Fötalpulses  zur 
Temperatur  und  zum  Pulse  der  Mutter  bei  Typhus 
abdominalis. 

Verfasser  stellte  an  zwei  im  siebenten  Monate  schwangeren 
Typhuskranken  Untersuchungen  an  über  das  Verhältniss  der  Puls- 
frequenz des  Fötus  zur  Temperatur  und  zur  Pulsfrequenz  der  Mutter. 
Der  Fötalpuls  verhielt  sich  hinsichtlich  seiner  Frequenz  ähnlich 


472  XXIV.     Notizen  au«  der  Journal -Literatur. 

wie  der  Mutterpule,  zeigt«  ähnliche,  nicht  aber  grössere  Morgen* 
remissionen  and  Abendexac  erbationen  wie  dieser.  Weit  auffälliger 
war  aber  die  Uebereinstimmung  zwischen  der  mütterlichen  Tem- 
peratur und  dem  Fötalpulse.  Bei  Abweichungen  »wischen  mütter- 
licher Temperatur-  und  Pulscurve  verhielt  sich  die  Fö talpul« curre 
der  ersteren  parallel. 

(Arch.  d.  Heilk.,  1862,  S.  Heft.) 


Westphal:  Entbindung  auf  und  aus  einem  Water -Glos  et. 

Ein  von  einer  Irren  auf  einem  Water  -closet  der  Charit** 
geborenes  Kind  war  mit  dem  vorangehenden  Kopfe,  dessen  querer 
Durchmesser  3*/*"  dessen  gerader  4*/4"  und  dessen  Umfang  IS*//' 
betrug,  durch  die  4"  im  Durchmesser  haltende  Ausgangs  Öffnung 
des  Closet  geglitten,  indem  derselbe  den  beweglichen  Metall- 
deckel heruntergedrückt  hatte,  der  sodann  durch  das  ihn  in  die 
Gleichgewichtslage  zurücktreibende  Gewicht  schräg  gegen  jenen 
angedrückt  wurde.  Die  Arme,  welche  mit  durch  jene  Oefftrang 
vorgefallen  waren ,  wurden  gelöst  und  darauf  Versuche  gemacht, 
das  Kind  an  den  Füssen  zu  extrahiren.  Doch  erst  nach  Aus- 
einandernähme der  betreffenden  Closettheile  gelang  es  —  zwanzig 
Minuten  nach  der  Geburt  —  das  Kind  durch  die  untere  Ausgangs- 
öfihung  des  Closet  zu  entwickeln,  wobei  sich,  bei  nunmehr  um- 
gekehrter Richtung  des  Austrittes,  eine  nochmalige  Losung  der 
Arme  nothwendig  machte.  Das  Kind,  dem  während  des  ganzen 
Vorganges  das  zum  Ausspülen  des  Closet  bestimmte  Wasser 
ununterbrochen  am  Kopfe  herabgeflossen  war,  lebte  und  war  bis 
auf  einige  unbedeutende  Schrammen  unversehrt. 
(Cospsr's  Vierteljahrsschr.,  1862,  &  Heft.) 


Panck:   Die   organische  Verbindung  der  Tuba   mif  dem 
Eierstocke. 

Verf.  hatte  schon  früher  (Entdeckung  der-  org.  Verbindungen 
zwischen  Tuba  und  Eierstock,  Dorpat  1843)  die  Vermuthung  aus- 
gesprochen, dass  'gedachte  Verbindung  zur  Zeit  der  Conceptiou 
durch  eine  neugebildeffe,  spftter  wieder  der  Resorption  anheim- 
fallende Membran  vermittelt  werde,  und  dieselbe  auf  dem  Wege 
der  Analogie  (bei  vielen  Thieren  werden  jene  Organe  durch  eine 
vom  Bauchfell  gebildete,  vollkommen  geschlossene,  aber  persi- 
stirende  Kapsel  vereinigt)  und  der  Teleologie  zu  unterstützen 
gesucht.  Auch  hatte  er  an  der  Leiche  eines  kurz  nach  der  Con- 
ception verunglückten  Mädchens  eine  zarte,  neugebildete  Membran 
gefunden,  welche  die  Fransen  des  das  Ovarium  umgebenden 
Trichters  befestigte  und  dieses  einkapselte. 


XXIV.'  Notizen  ans  der  Journal -Literatur.  473 

Bei  seinen  späteren  Untersuchungen  fand  P.  dergleichen  Mem- 
branen häufig  (unter  58  Fallen  34  Mal),  in  jeder  Altersstufe  der 
Erwachsenen  (bei  20 — 106jährigen  Frauen),  jedoch  nur  bei  Per- 
sonen, die  geboren  hatten,  and  nur  auf  der  hinteren  Fläche  der 
Gebärmutter  und  der  Fledermausflügel.  Zuweilen  waren  nur 
Rudimente  au  bemerken;  in  andern  Fällen  bedeckten  zahlreiche 
Fäden,  Stränge  und  Blätter  die  ganze  hintere  Fläche  des  Uterus 
und  der  Flügel  —  nie  gingen  sie  auf  die  vordeae  Fläche  der- 
selben, auf  die  Blase  oder  den  Darm  über.  Es  fanden  sich  die 
verschiedensten  Uebergangsstufen  von  theilweiser  Anheftang  der 
Fransen  des  Txiohters  auf  dem  Eierstocke  bis  zu  völliger  Ein- 
kapselung  des  letzteren.  Die  Membranen  waren  dünn,  Bart, 
durchscheinend  und  Hessen  sich  sehr  leicht  von  der  Serosa  ab- 
ziehen, welche  stets  die  normale  Beschaffenheit  darbot!  Für  einen 
Fall  wird  erwähnt,  dass  ihre  Substanz  unter  dem  Mikroskope  als 
aus  jungem,  sehr  kernreiche,  zahlreiche  freie  Fettkörnchen  ein- 
schliessendem  Bindegewebe  bestehend  erkannt  wurde,  während 
der  Ueberzug  aus  polygonalen,  ebenfalls  Fettkörner  enthaltenden 
Pflasterzellen  gebildet  war.  ' 

Ganz  ähnliche  Membranen  soll  man  unter  den  entsprechenden 
Verhältnissen  bei  Thieren  finden,  deren  Eierstöcke  wie  beim 
Menschen  freiliegen,  —  so  fand  sie  P.  an  der  hintern  Fläche  des 
Uterus  und  der  Ala  einer  zum  ersten  Mal  trächtigen  8tute  bei 
normalem  Verhalten  der  Serosa.  Gegen  die  Auffassung  der  in 
Rede  stehenden  Häutchen  als  Entsündungsproducte  spricht  nach 
P.  ihr  häufiges  Vorkommen  gegenüber  der  relativen  Seltenheit 
der  Gebärmutterentzündung,  die  Beschränkung  ihres  Sitzes  auf 
die  öfter  genannte  Region,  die  Art  und  Weise  ihrer  Anheftung, 
ihre  leichte  Abziehbarkeit,  das  normale  Verhalten  der  betheiligten 
Serosa.  Aus  einer  schwächeren  oder  stärkeren  Resorptions- 
thätigkeit  sucht  P.  zu  erklären,  warum  sie  in  manchen  Fällen 
gar  nicht,-  in  andern  in  den  verschiedensten  Entwicklungsgraden 
aufgefunden  wurden. 

Schliesslich  fordert  P.  zu  Versuchen  an  Thieren  mit  frei-» 
liegenden  Ovarien  (8tuten,  Säuen)  auf. 

Die  Richtigkeit  aller  jener  Beobachtungen  P.'s  vorausgesetzt, 
wäre  von  Wichtigkeit,  die  Gründe  des  ausschliesslichen  Vor- 
kommens jener  Membranen  bei  Frauen,  die  geboren,  und  ihres 
exklusiven  Sitzes,  so  wie  Näheres  über  die  Art  der  durch  sie 
bewirkten  Einkapselung  der  Ovarien  kennen  zu  lernen. 
(St.  Petersb.  med.  Zeitscfar.  1862,  4.  Heft.) 


474  XXIV.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

Behandlungsweise  des  Kindbettfiebers;  Auszug  einer 
der  medieinisoben  Akademie  in  dejr  Sjtiung  des 
18.  Mär*  1862  vorgelesenen  Abhandlung  von  Dr.  Ca- 
banellas. 

Die  Methode  besteht  in  einer  fortgesetzten  Verabreichung 
des  schwefelsauren  Chinin,  im  Gegensätze  zu  der  Methode,  in 
welcher  dasselbe  in  täglich  2 — 8  starken  Dosen  verabreicht  wird. 

Die  7  FßHe  von  Puerperalfieber,  die  Yerf.  beobachtete,  sind 
kurz  folgende. 

Alle  Kranke  boten  in  verschiedenem  Grade  heftiges  Fieber 
mit  oder  ohne  Anfangsfrost,  eine  Spannung  mit  Schmers  im 
Unterleibe,  oder  einfach  eine  grosse  Empfindlichkeit  gegen  Druck 
in  einer  oder  der  anderen  Ovariengegend:  Verschleimung  und  in 
zwei  Fällen  Uebelkeit  und  Erbrechen. 

In  6  Fällen  wurde  mit  Gaben  von  Ipecac.  begonnen  und  ge- 
wöhnlich im  nächsten  oder  übernächsten  Tage  nach  erfolgtem 
Erbrechen  das  Chinin  zu  10 — 16  Centigramm  stündlich  Tag  und 
flacht  gereicht  und  zwar  mit  einer  so  scrupulSsen  Genauigkeit, 
dass,  um  keine  Gabe  zu  verlieren,  während  der  ersten  zwei 
Mächte  der  Schlaf  unterbrochen  wird.  Dabei  wird  mit  erweichenden 
Ueberschlägen  auf  den  Unterleib  fortgefahren,  und,  wenn  nöthig, 
täglich  ein  erweichendes  Klystier  gegeben. 

Ist  das  Chinin  rein  und  die  Dose  hinreichend,  so  empfindet 
die  Pat.  nach  24  Stunden  Ohrensausen,  und  der  Puls  schlägt 
etwas  langsamer.  Täglich  zeigt  sich  nun  mit  Abnahme  der  Local- 
erscheinungen  Besserung  und  es  ist  nicht  selten,  dass  die  Pat. 
vom  3.  Tage  an  Bouillon  und  sogar  Suppe  verlangen.  Mit  den 
stündlichen  Gaben  von  Chinin  wird  fortgefahren,  mit  Abnahme 
der  Erscheinungen  jedoch  der  Schlaf  nicht-  mehr  unterbrochen. 
Zwischen  dem  4.  und  8.  Tage  geht  der  Puls  auf  das  Normale  zurück. 
Hat  die  Fieberlosigkeit  4 — 6  Tage  gedauert,  sind  die  Local- 
erscheinungen  beinahe  geschwunden,  so  wird  allinähtig  die  Medi- 
cation  weggelasuen.  2  —  3  Mal  war  es  nöthig  zu  den  früheren 
Dosen  zurückzugehen,  1  Mal  mussten  stärkere  Dosen  verabreicht 
werden.  In  allen  vom  Verf.  beobachteten  Fällen  fand  die  rfei- 
lnng  innerhalb  5  — 14  Tagen  statt. 

Auch  in  je  einem  Falle  von  Typhus  im  Wochenbette  und 
Phlegmasia  alba  dolens  wurde  Sulfas  Chin.  mit  Erfolg  angewendet. 
(Gazette  häbdoinadaire  1862,  Nr.  12.) 


XXV.    Literatur.  475 

Literatur. 


Ueber  die  Operation  der  Blase-nscbeidenfistel  durch 
die  blutige  Nabt  mit  Bemerkungen  über  die  Heilung 
der  Fisteln,  Spalten  undDefecte,  welche  an  anderen 
Körpertheilen  vorkommen.  Von  Dr.  Gustav  Simon, 
Prof.  der  Chirurgie  in  Rostock.  Rostock,  Stiller1  sehe 
Hofbnchhandlung,  1862.  XII  n.  134  8.  in  gr.  8.  mit  26  Holz- 
schnitten n.  Lithographien. 

Der  Verfasser  der  vorliegenden  Abhandlung,  seit  einer  Reihe 
von  Jahren  mit  dem  Studium  der  Harnfisteln  des  Weibes  und 
ihrer  Behandlung  theoretisch  wie  praktisch  beschäftigt,  hat  in 
dieser  Arbeit  uns  eine  Reihe  neuer  Fälle  (10)  roitgetheilt  und 
zugleich  sein  Operationsverfahren,  sowie  die  Sätze,  auf  welche 
er  es  basirt,  in  grösster  Klarheit  und  Genauigkeit  ausgeführt. 

Die  Operation  der  Blasenscheidenfisteln  mit  ihren  jetzigen 
Erfolgen  ist,  wie  es  auch  Verf.  bemerkt,  eine  der  grössten  Errungen- 
schaften, welche  unser  Jahrhundert  in  der  operativen  Chirurgie 
gemacht.  Das  Verdienst  dieser  Errungenschaft  gebührt  aber  zu- 
nächst —  es  kann  dies  nicht  genug  den  betreffenden  Anmaassungen 
der  Amerikaner,  Engländer  und  Franzosen  gegenüber  hervorgehoben 
werden  —  vor  Allen  den  deutschen  Chirurgen  Dieffenbach  und 
Wnt%er,  welche  schon  viel  früher,  als  französische  Aerzte  eine 
Reihe  derartiger  Operationen  ausführten;  ja  Wutzer  war  in  seinen 
späteren  Resultaten  eben  so  glücklich  wie  JoberL  Vollständig 
wurde  die  gestellte  Aufgabe  aber  erst  durch  die  Methode  des 
letzteren  (tiefe  Anfrischung  und  Entspannung),  durch  die  des 
Amerikaners  Hanion  Sims  (Metallnaht  und  passende  Instrumente 
zur  Bloslegung  der  Fistel),  vor  Allem  durch  Simon' b  Arbeiten 
gelöst.  Diete,  von  seiner  ersten  im  Jahre  1854  erschienenen 
Schrift  an,  sind  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  wohl  bekannt.  In 
denselben  giebt  sich  das  Streben  kund,  die  einzelnen  Acte  der 
Operation  auf  rationelle  Grundsätze  zurückzuführen  und  zur 
Vermeidung  von  Einseitigkeiten  zu  zeigen,  dass  der  Erfolg 
der  Blasenscheidenfisteloperationen  von  denselben 
Bedingungen  abhängt,  auf  denen  der  ähnlicher  Opera- 
tionen an  anderen  Körperstellen  beruht.  So  ist  nach 
und  nach  die  Methode  entstanden,  welche  der  Verf.  uns  jetzt 
darstellt  und  die  in  ihrer  Vollendung  Alles  überbietet,  was  das 
Ausland  uns  in  dieser  Beziehung  gebracht  hat, 


J 


476  xxv-     Literatur. 

Gewiss  werden  viele  der  Leser  einen  grossen  Theil  de! 
Inhalts  der  Abhandlung  ans  Verf's  früheren  Aufsätzen  kennen; 
indess  werden  aach  sie  manches  Nene  in  derselben 
finden.  Nicht  unerwähnt  dürfen  wir  es  aber  lassen,  dass  die 
Darstellung  sich  dnrch  eine  außergewöhnliche  Klarheit  aus- 
zeichnet— eine  wahrlich  sehr  hoch  zu  schätzende  und  nicht  genug  zu 
rühmende  Eigenschaft,  auf  welche  wir  in  Beurtheilung  des  Werkes 
ein  besonderes  Gewicht  legen  zu  müssen  glauben,  weil  gerade 
bei  dem  in  Rede  stehenden  Gegenstande  eine  .klare,  durch* 
schauliehe  Schilderung  eine  der  schwierigsten  Aufgaben  ist.  Eine 
Reihe  von  Holzschnitten  und  13  sehr  gut  ausgeführte  Tafeln 
tragen  schliesslich  zum  Verständnis!  des  anatomischen  Verhaltens 
der  Fisteln  und  der  verschiedenen  Operationsacte  wesentlich  bei. 

Die  ganze  Schrift  zerfallt  in  zwei  Abtheilungen  und  einen  Anhang. 
In  der  ersten  Abtheilnng  sind  12  Krankheitsfalle  mit  epikritischen 
Bemerkungen  mitgetheilt,  in  der  zweiten  die  Beschreibung  des 
Operationsverfahrens  gegeben.  Der  Anhang  bringt  sieben  neuere 
Fälle,  welche  dem  Verf.  erst  während  der  Ausarbeitung  der 
Abhandlung  vorkamen;  ferner  eine  Reihe  von  Experimenten, 
welche  über  den  Einfluss  des  Urins  und  des  Materials  zur  Naht 
auf  die  Heilung  der  Wunde  von  ihm  angestellt  wurden.  Wir 
müssen  uns  begnügen,  hier  das  Hauptsachlichste  hervorzuheben: 

Die  erzählten  19  Krankheitsfälle  umfassen  Fisteln  von  allen 
Arten  und  Grössen;  zur  Heilung  gebracht  sind  eine  Anzahl 
Blasen -Mutter -Scheidenfisteln,  eine  Blasen -Gebärmutterfistel; 
•  bei  den  grössten  Blasendefecten,  bei  totalem  Mangel  des  Blasen- 
grundes und  eines  Theiles  der  Harnrohre  sind  vollständig 
schliessende  Urinbehälter  durch  die  vom  Verf.  erfundene  quere 
Obliteration  der  Scheide  geschaffen;  je  in  einem  Falle  eines  sehr 
grossen  Defectes  ist  sogar  die  Wiederherstellung  der  Urinblase 
selbst  durch  Vereinigung  der  geringen  Reste  der  Blasenscheiden- 
wand  mit  der  Vaginalportion  und  dem  Ueberreste  der  Harnröhre 
gelungen.  Viele  der  Fisteln  boten  ausserdem  ungewöhnliche 
Complicationen  dar,  die  Operation  war  oft  sehr  schwierig  und 
complicirt  und  doch  das  Resultat  äusserst  günstig.  Von  den 
22  Fisteln,  welche  bei  den  19  Kranken  vorkamen,  sind  21  völlig 
und  1  fast  völlig  geheilt;  darunter  18  durch  Bereinigung 
der  Fistelränder  mittels  23  Operationen.  In  den  übrigen  4  Fällen 
wurde  3  Mal  die  quere  Obliteration  der  Scheide,  ein  Mal  die 
Vereinigung  des  kleinen  Restes  der  Harnröhre  mit  der  herab- 
gesunkenen Vaginalportion  ausgeführt;  bei  den  ersten  wurde 
2  Mal  völlige,  1  Mal  fast  vollständige  Heilung  erzielt;  im  vierten 
Falle  kam  der  völlige  Verschluss  zu  Stande,  aber  die  Continenz 
des  Urins  wurde  wegen  Lähmung  der  Urethra  nicht  wieder 
hergestellt.  Im  Uebrigen  ist  durch  5  der  beschriebenen  Fälle 
-(2  in  der  ersten  Abtheilung  und  3  im  Anhange)  der  Nachweis 
geliefert,   dass   diese  Continenz  wieder  hergestellt  werden  kann, 


XXV.     Literatur.  477 

auch   wenn  ein  verhältnissmässig  grosser  Theil  der  Heraröhren  - 
scheiden  wand  verloren  gegangen  ist. 

-  Die  Gesammtresultate  des  Verf.'s  stellen  sich  folgender- 
maassen  heraus:  Von  43  Fisteln,  welche  an  40  Frauen 
vorkamen,  sind  36  volständig  geheilt  (1  mit  zurück- 
gebliebener Incontinens  des  Urins);  in  5  Fällen  wurde  /est  voll- 
ständige Heilung  erzielt;  eine  Fistel  wurde  nicht  gebessert, 
2  Frauen  starben.  Vier  weitere  theilweise  geheilte  Fälle  sind  in 
Behandlung  zurückgelassen.  —  Diese  Resultate  übertreffen  die 
aller  übrigen  Operateure;  die  in  den  letzten  Jahren  vom  Verf. 
erzielten  übertreffen  aber  auch,  besonders  in  Berücksichtigung 
der  Complicationen  der  Fälle  und  der  Schwierigkeiten  der 
Operationen  die  früher  von  ihm  errungenen  —  ein  Ergebnis«, 
das  gewiss  nur  seiner  immer  mehr  verbesserten  Methode  zu- 
zuschreiben ist. 

Die  Hauptmomente  in  Simon'»  Verfahren  sind  nun  die  Her- 
stellung zur  Heilung  geschickter  WundrKnder  und  eine  genaue 
Vereinigung. 

Die  Anfrischung  muss  glatte,  breite,  aus  gesunder  blutreicher 
Substanz  bestehende  Wundflächen  herstellen.  Sie  muss  deshalb 
bis  an  und  meist  durch  die  Blasenschleimhaut  gehen;  es  ist  hier,  - 
wie  Verf.  bemerkt,  besser  zu  viel,  als  zu  wenig  fortzunehmen. 
Darin  nun  stimmen  wir  ganz  'bei;  denn  nur  diesem  tiefen  und 
und  breiten  Anfrischen  haben  wir  es  zu  danken,  dass  wir  drei, 
von  Anderen  früher  ohne  Erfolg  operirte  Fisteln  sehr  schnell 
zur  völligen  Heilung  gebracht  und  eine  vierte  sehr  grosse  und 
complicirte  nach  einmaliger  Operation  ausserordentlich  verkleinert 
haben;  inr  zwei  der  Fälle  wurde  mehrfach  von  uns  operirt,  die 
Fisteln  waren  nach  der  ersten  Operation  trotz  sehr  ergiebiger 
breiter  Ausschneidung  aber  nicht  grösser  geworden.  —  Bei  diesem 
trichterförmigen  Anfrischen  hat  man  darauf  noeb  besonders  zu 
sehen,  dass  sich  die  Wundränder  später  genau  decken  und  linear 
an  einander  legen  werden;  es  ist  deshalb  nothwendig,  die  An- 
frischung an  der  Basis  winkelig,  so  wie  eine  ovale,  mit  zwei 
Ecken  versehene  Wunde  herzustellen. 

Natürlich  ist  es  zur  Ausführung  eines  so  genauen  Wund- 
"macbens  und  der  späteren  Vereinigung  erforderlich,  sich  die 
Fistel  gehörig  b-loszulegen.  Wo  es  möglich  ist,  empfiehlt 
Verf.  das  Herunterziehen  des  Uterus  mittels  einer  durch  den 
Cervix  geführten  Schlinge,  um  so  die  vordere  Vaginal  wand  durch 
Umstülpung  derselben  zu  Tage  treten  zu  lassen;  sollte  die  ge- 
nügende Dislocation  nicht  oder  nur  mit  grosser  Mühe  und  vielen 
Schmerzen  zu  effectuiren  sein ,  so  wird  die  Fistel  durch .  das 
£tm'sehe,  von  Simon  mit  sehr  langem  Stiele  versehene  Specälum, 
welches  die  hintere  und  seitliche  Scheidenwand  zurückhält,  indirect 
zu  Tage  gefördert,  durch  das  plattenförmige  Speculum  des  Verf.'s 
wird  für  Zurückhaltung  der  vorderen  Vaginalwand  von  der  Fistel, 


478  xxv-     Literatur. 

durch  Hebel  für  die  weitere  der  Seitenwanduogen  gesorgt.  Die 
Kranke  liegt  dabei  auf  dem  Rücken  mit  sehr  erhöhtem  Steisse 
«ad  stark  angesogenen  Knieen,  wodurch  die  Fistel  »ich  stark  vor- 
drangt, der  Uterus  herunter  tritt  und  daa  Operationsfeld  frei  wird  — 
Steiss- Rückenlage.  Dem  Urtheüe,  welches  8.  über  die  Bauch- 
lage fallt  (er  halt  sie  der  Ton  ihm  empfohlenen  Lage  gegenüber 
für  überflüssig)  können  wir  doch  nicht  gans  beistimmen,  denn  wir 
machten  jüngst  die  Erfahrung,  dass  eine  seitlich  in  4er  Scheide 
nahe  dem  Grande  liegende  Fistel  nur  in  der  Bauchlage  leicht 
angängig  wurde,  während  auch  die  stärkste  Erweiterung  der 
Scheide  in  Steis» -Rückenlage  die  Fistel  nicht  recht  vorwärts 
brachte,  noch  viel  weniger  die  bequeme  und  sichere  Ausführung 
der  Operation ,  wie  sie  die  Bauchlage  zuliess,  erlaubte.  Aehnlich 
ging  es  uns  bei  einer  seitlich  am  Blasenhalse  befindlichen  Fistel. 
Dass  man  in  der  Bauchlage  die  Kranken  nicht  chloröformiren 
kann,  möchte  kein  sehr  grosser  Kachtheil  sein. 

Das  Wesentlichste  in  &'s  Methode  der  Vereinigung  der 
Wunde  besteht  in  der  Anlegung  einer  sehr  grossen  Zahl  von 
Nähten  durch  die  ganze  Dicke  des  Randes  hindurch,  welche  die 
Wunde  genau  und  dicht  umgreifen.  Die  grosse  Ansah!  der  Nähte 
bewirkt  eine  innige  genaue  Adaptation  der  Ränder  und  bewirkt 
in  Verbindung  mit  dem  tiefen  Durchführen  derselben  einen  starken 
Halt.  Nur  bei  sehr  grosser  Spannung  legt  Verf.  seine  Entspannungs- 
n&hte  an,   fahrt  unter  Umständen  auch  Seitenschnitte  aus. 

Als  Material  cur  Naht  zieht  5.  feine,  gut  gedrehte  Seide  von 
möglichster  Festigkeit  den  Metalldrähten  vor.  Wir  müssen  leider 
bekennen,  dass  es  uns  nicht  möglich  war,  Seidenfäden  der  Art, 
wie  sie  Verf.  rühmt,  zu  erlangen  und  dass  wir  deshalb  die  ihnen 
von  Anderen,  den  Mctalldrähten  gegenüber  zugeschriebenen  Nach- 
theile verschiedentlich  zu  beobachten  Qelegenheit  hatten.  Doch 
verwirft  S.  die  Metall-,  in  specie  Eisennähte  durchaus  nicht,  er 
will  der  Seide  nur  ihr  Recht  gewahrt  wissen.  Völlig  stimmen 
wir  ihm  aber  in  dem  Urtheile  zu,  welches  er  über  die  vielen 
complicirten  Befestigungsweisen  der  Metallnähte  abgiebt;  das  ein- 
fache Knoten  und  Zusammendrehen  derselben  genügte,  wie  dem 
Verf.  auch  ans,  in  den  wenigen  von  uns  operirten^Fällen  immer. 

Auf  die  von  8.  empfohlene  Art  der  Nachbehandlung  wollen 
wir  noch  besonders  aufmerksam  machen,  da  er  letztere  sehr  ver- 
einfacht hat  zur  grossen  Erleichterung  der  Operirten  und  des 
Arztes.  Er  hat  nachgewiesen,  dass  der  Urin  gar  keinen  schäd- 
lichen Einfluss  auf  die  Wunde  durch  Benetsung  derselben  aus- 
übt, dass  deshalb  der  Katheter  nicht  permanent  in  der  Blase  zu 
liegen  brauche;  er  weist  ferner  nach,  dass  dies  auch  nioht  noth- 
weadig  sei,  weil  etwa  bei  Füllung  der,  Blase  die  Wundxänder 
geaerrt  wurden,  da  eine  solche  Zerrung  bei  guter  Vereinigung 
die  Heilung  nicht  beeinträchtigt.     Den  letzten  Theil  dieser  Sätze 


XXV.     Literatur.  479 

können   wir  nach  dem,   was  wir  bis  jetzt  gesehen,  indes*,  so  all- 
gemein nicht  aeceptiren. 

Es  mag  diese  kurze  Besprechung  der  Schrift  genügen;  ein 
weiteres  Eingehen  würde  ans  za  einer  Reprodaction  des  Inhaltes 
derselben  führen,  die  ausgedehnter  werden  inüsste ,  als  es  dieser 
Ort  erlaubt.  —  Es  ist  zu  wünschen,  dass  Verf. 's  Operations- 
verfahren durch  diese  seine  Arbeit  auch  im  Auslande  bekannter 
wird,  damit  auch  dort  endlich  seinen  Verdiensten  die  gehörige 
Rechnung  getragen  werde;  denn  nach  unserer  Ueberzeugung  ist 
u\it  Simon1 8  Methoden  wohl  der  Culminationspunkt  in  der  Behand- 
lung der  Urinfisteln  des  Weibes  erreicht,  wenn  wir  auch  zugeben, 
dass  in  Kleinigkeiten  noch  Manche»  gelindert  werden  kann  und 
wahrscheinlich  geändert,  resp.  verbessert  werden  wird. 

Schliesslich  müssen  wir  bei  dem  Eindrucke,  welchen  die  Ab- 
handlung, wie  alle  früheren  des  Verf.' 8  uns  gemacht,  es  hier  aus- 
sprechen,  wie  sehr  wir  gewünscht,  dass  er  die  Lehre  von  den 
Urinfisteln  in  ihrem  ganzen  Umfange  abgehandelt  hätte.  Wir 
hoffen,  dass  er  bei  mehr  Musfre  diesen  gewiss  von  Vielen  getheilten 
Wunsch  erfüllen  werde. 

Spiegelberg. 

Die  Wendung  auf  die  Füsse  bei  engem  Becken.  Ein 
hi  storiach -kritischer  Versuch  von  Dr.  W.  Franke, 
Privatdocent  an  der  Universität  Halle.  Halle,  C.  JE.  M. 
Pfeffer,  1862. 

Die  erste  Hälfte  des  vorliegenden  Werkchens,  die  geschicht- 
liche Darstellung  der  Lehre  von  der  Wendung  auf  die  Füsse  bei 
engem  Becken,  wurde  vom  Vtrf.  als  Habilitationsschrift  der 
medicinischen  Facultät  zu  Halle  vorgelegt.  Die  Darstellung  ist 
klar  und  bündig  und  durch  zahlreiche  Belege  aus,  der  reich- 
haltigen Literatur  ausgezeichnet.  Im  zweiten  Theile  der  Schrift 
unter  der  Ueberschrift:  „Kritische  Beiträge  zur 'Lehre  von  der 
Wendung  auf  die  Fnsse  bei  engem  Becken11  finden  wir  das  vor- 
handene Material  nach  bestimmten  Gesichtspunkten  geordnet, 
die  verschiedenen  Ansichten  beurtheilt  und  des  Verf.  eigene 
hinzugefügt.  Ohne  hier  näher  auf  die  daselbst  ausgesprochenen 
Ansichten,  die  übrigens  im  Wesentlichen  Gemeingut  der  heutigen 
Geburtshelfer  sind,  eingehen  zu  können,  sei  nur  bemerkt,' dass 
Verf.  in  vielen  Stücken  die  Lehren  seines  verstorbenen  Meisters 
Hohl  vertritt,  jedoch  nicht  blindlings,  sondern  auch  sie,  ebenso 
wie  die  der  anderen  Autoren,  einer  eingehenden  und  gesunden 
Kritik  unterwirft. 

Wir  empfehlen  aus  voller  Ueberzeugung  vorliegendes  Werkchen 
Allen,  namentlich  aber  den  praktischen  Geburtshelfern. 

ff...«. 


480  XXV.     Literatur. 

C.  Gerhardt,  De  situ  et  magnitudine  cordis  gravidarum. 
Pregr.    Jena  1862. 

Verfasser  sacht  die  Annahme  einer  normalen  Hypertrophie 
des  linken  Ventrikels  während  der  Schwangerschaft,  wie  sie  * 
Larcher ,  Ducrest  and  anderen  Franzosen  beliebt,  zu  widerlegen. 
Die  von  diesen  an  zahlreichen  Leichen  von  Wöchnerinnen  ge- 
fundenen und  als  vergrössert  angenommenen  -Durchmesser  der 
linken  Herzwand  überschreiten  die  normalen  Grenzen  (5 — 8'") 
nicht,  wie  sie  von  Peacock,  Bizat,  Banking,  Reid  durch  genaue 
und  ebenfalls  zahlreiche  Messungen  bestimmt  wurden.  Die  Zu- 
nahme der  Herzdämpfung  während  der  Schwangerschaft  erklärt 
Verf.  dadurch,  dass  das  Herz  durch  die  stärke'r  gewölbte  Kuppel 
des  Zwerchfells  nach  vorn  und  links  gedrängt  werde,  bei  gleich- 
zeitigem Zurückweichen  der  Lungenränder.  Kurze  Zeit  nach  der 
Entbindung  ist  die  Herzdämpfung  kleiner  als  selbst  ausserhalb 
der  Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes,  in  Folge  des  Herab- 
sinkens der  Zwerchfellskuppel  nach  Entleerung  des  Uterus. 
Diese  Ortsveränderung  des  Diaphragma  betrifft  nur  den  sehnigen 
Theil,  der  muskulöse  behält  während  der  Schwangerschaft  seinen 
ursprünglichen  Stand  bei,  was  ihm  durch  Dilatation  der  Basis 
des  Thorax  ermöglicht.  Sphygmographische  Messungen  an 
Schwangeren  und  Nichtschwangeren  führten  nicht  zur  Auffindung 
irgend  erheblicher  Differenzpunkte.  Verf.  glaubt,  dass  das 
Blasegeräusch  am  Herzen  von  Schwangeren  theil 8  vom  Drucke 
des  Zwerchfells  auf  dasselbe,  theil 8  von  durch  die  veränderten 
Ernährungsverhältnisse  bedingter  unzureichender  Füllung  ver- 
ursacht werde.  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels  kann  nicht 
abhängen  von  Zunahme  der  Blutbahn  um  die  Ge fasse  des  Fötus 
(dieser  hat  sein  eigenes  Herz;  auch  müssten  dann  Eierstocks- 
und Uterusgeschwülste  dasselbe  bewirken),  auch  nicht  von  Er- 
weiterung der  arteriellen  Blutbahn  durch  die  stärkere  Füllung 
der  Brustdrüsen-  und  GebHrmuttergefässe  (nach  grossen  Ampu- 
tationen ist  ebenfalls  die  arterielle  Blutbahn  erweitert  ohne 
Nachtheil  für  das  Herz;  eine  Bedingung  zur  Aneurysmabildung 
fehlt  gänzlich:  die  lnterposition  eines  unelastischen  Sackes), 
ebensowenig  von  Plethora  der  Schwangeren  (denn  bei  wirklich 
vorhandener  zu  grosser  Blutfülle  müssten  beide  Ventrikel  atro- 
4>biren). 


Druck  von  A.  Tfa.  Engelhardt  in  Leipzig. 


V 


I  . 

I 

i 


■\ 


i 


I 


I 


Monatsschri 


Monatsschrift 

ftir 

GEBURTSKUNDE 

und 

Frauenkrankheiten» 

Im  Verein  mit  der 
Gesellschaft  für  Geburtehtilfe  in  Berlin 

herausgegeben  von 

Dr.  0.  8.  F.  Credt, 

Hofratb  ,  ord.  Prof.  and  Director  der  Entbindung* -Anstalt  in^Leipsig  etc. 

Dr.  0.  Hecker, 

ord.  Prof.  und  Director  der  Entbindnngs- Anstalt  in  München,  Bitter  etc. 

Dr.  Bd.  Kartiii, 

Geh.  Bath,  ord.  Prof.  nnd  Director  der  Entbindungs-Anstalt  in  Berlin,  Bitter  etc. 

Dr.  F.  A.  Ton  811(611, 

Geh.  Bath,  ord.  Prof.  nnd  Director  der  Entbindnngs- Anstalt  in  Glossen, 
Gomthor  etc. 


Zwauigster  BsmL 

Mit  drei  Tafeln  Abbildungen,  zwei  Holzschnitten  nnd  einer  Tabelle. 


Berlin,  1862* 

▼erlag  von  August  Hirschwald, 

68  U.  d.  Linden,  Sehe  der  Behadow-Strasse. 


Inhalt. 


Heft    L 

Seite 
I.   Verhandlungen  der  Gesellschaft  fBr  Geburtshfilfe  in  Berlin : 

«.  ReckUngkausen:  Ein  Her«  von  einem  Neugeborenen, 
weichet  imehrere,  theils  nach  aussen,  theils  nach 
den  Höhlen  prominirende  Tumoren  (Myomen)  trug      1 

L.  Mayer:  Ueber  die  pflanzlichen  Parasiten  der  weib- 
lichen 8exualorgane  in  ihrer  praktischen  Bedeutung      2 

Virchdß:  Ueber  eine  Missgeburt,  Exocardie,  Hydro- 
cephalie,  Verwachsung  der  Eibftute  mit  dem  Fötus     16 

VSrchoio:  Ueber  ein  Präparat,  betreifend  einen  circa 
sechsmonatlicben  Acephalus 18 

Oueeerow:  Beitrag  *ur  Lehre  tob  der  Osteomalacie  .    !• 

Hegar:  Fistula  resicovaginalis.  Weiter  Abstand  der 
Fistelränder  der  Blase  und  Scheide.  Grosser  Defect 
im  Blasengrunde.  Ganslicher  Mangel  des  unteren 
Harnleiterstfickes  rechterseits.  Einmündung  des 
rechten  Harnleiters  Innerhalb  des  Defectes.  Ope- 
ration. Tod  durch  Urininfiltration  in  Folg«  der 
Eröflnung  freier  Zellgewebariume.  (Mit  einer  Tafel 
Abbildungen.) 29 

II.  Mittheilungen  aber  die  Thätigkeit  und  die  Verhandlungen 
der  Gesellschaft  für  Geburtshfilfe  an  Leipsig  im  siebenten 
Jahre  ihres  Bestehens.    (Fortsetsung.) 

III.  Ueber  Leichenentbindungen.  Beobachtungen 
mehrerer  Gesellschaft« -Mitglieder,  zusammengestellt 
Ton  Dr.  med.  Emü  Apollo  Meissner.  Vorgetragen  am 
16.  Juli  1861 40 


Inhalt 


Heft   L 


I 


Verhandlungen  der  Gesellschaft  fBrGeb 
v.  Becklinghauien:  Ein  Hers  von  einem 

welches  [mehrere,  theils  nach 

den  Höhlen  prominlrende  Tumoren 
L.  Mayer:  Ueber  die  pflanzlichem 

liehen  8exnalorgane  in  ihrer 
Virchow:   Ueber  eine  Miesgefcaol, 

cephalie,  Verwachsung  der 
Virchow:  üeber  ein  Prlmvntt, 

seehsmonatlichen 
Qutserow:  Beitrag  aar 
Hegar:  Fistnla  ti 

Fistelränder  der 

im  Blasengrade. 

Hamleiterstiilae 

rechten    Ha-: 

ratio».     T«4   am« 

EröFr-  "~* 


m*ifc 


.0* 


*  *' 


\\\ 


ils 

den 

hen 

mng 

ein 

sich, 

ic  hen 

Sie 

i  steil, 

ieben 


IV  Inhal«. 


III.  Kaiserschnitt  nach   dem  Tode.     Lebendes  Kind.    Von 
Prof.  Dr.  Breslau  in  Zürich     62 

IV.  Notisen  aus  der  Journal -Literatur: 

Btadfeldt:  Beitrag  sur  Aetiologie  der  Hydronephroae    69 
Faye:    Uterus  duplex   bicornis   cum  vagina  simpHci. 
Zwei  Geburten;  bei  beiden  Wendung  de»  F6tus  und 
mehrere   bemerkenswerthe  Abnormitäten.     (Anato- 
mische Beschreibung  von  Winge.)     72 

von  Madurowict:   Haematemesis  in  gravida 74 

Saugstöpsel   und  Warsenhtitchen    aus  Kautschuk    be- 
treffend        76 

Breslau:  Bericht  über  die  Ereignisse  in  der  Züricher 
Gebäranstalt  im  Jahre  1860 76 


Heft    II. 

V.    Verhandlungen    der  Gesellschaft   für   Geburtshülfe   in 

Berlin 81 

Qurtt:   Üeber  Ovariotomie 81 

VI.    Mitteilungen   über   die  Thfttigkeit  und  die  Verhand- 
lungen der  Gesellschaft   für  Geburtshülfe  su  Leipzig 
im  siebenten  Jahre  ihres  Bestehens.    (Schluss.) 
IV.   Ueber  Operationen  an  den  Eierstöcken.  Fortrag, 
gehalten  am  19  November  1860  Ton  Dr.  Carl  Hennig  182 

VII.    Notisen  aus  der  Journal -Literatur: 

Roter:  Zur  Behandlung  der  Perimetritis chen  Abscesse  165 
vanHaartmann:  Stricturen  des  inneren  Muttermundes  166 

MoUi  Fungus  cütoridis 166 

Schupp:  Naturheiluug  einer  BlasenscheidesJstel ...  166 
&  Bräunt  Neuer  Beitrag  sur  Lehre  der  Deoapltation 
ntt  C.  Braun'»  Sdrivsselhaken 167 


Heft   ffl. 

VIII.   Verhandlungen    der  Gesellschaft  für  Geburtshülfe   in 

Berlin 169 

v.  Becklinghoueen:  Präparat  eines  Krebses  des  Uterus 
ohne  Betheiligung  des  Collum 169 


Martin:  Ueb+r  ei»  todftgeborenas  ffeifee  mMmV*%*hm 
Kind  mit  mehrfachen  Kystcn  «m  Halte,  vnter 
beiden  Achteln  und  der  Gegend  der  Brustdrüse, 
nebet  Verunstaltung  der  Fusseehen  und  Finger  und 
blaurother  Färbung  der  Oberschenkel  und  Bauch- 

deefcen 170 

8ameUön:  Fall  ran  bilateralem  Cephalaematom  ...  174 

Riedel:   Fall  von  Eclampeie 176 

H.  Strastman*:  Fall  von  Buptura  uteri 181 

Birnbaum  (in  Köln):  Seit  zwei  Jabren  bestehende 
Inversio  uteri,  deren  Beposltion  nach  vierteljährigen 

Bemühungen  gelang • 194 

Aföojrerata  (in  Hewyork):  hrrersio  uteri  nach  drtisehn- 
janrigem  Beatehen  durch  eine  neue  Methode  geheilt 
(Mit  iwei  Holasehnfete*.) 800 

IX.  lieber  Verlängerung  des  Scheidentheils  der  Gebärmutter 
bei  Schwangeren  und  Nichtschwsngeren  als  Ursache 
des  Vorfalls,  nebst  drei  Fallen  ron  Abtragung  des 
8cheidentheils.    Von  Eduard  Martin 903 

X.  Bericht  aber  die  Ereignisse  in  der  unter  der  Leitung 
des  Herrn  Prof.  Dr.  Hecker  stehenden  geburtshülfliehen 
Poliklinik  der  könlgl.  Ludwig  -Maximilians  -Universität 
su  München  rom  1.  Oot.  1859  bis  sum  80.  Sept.  1861. 
Von  Dr.  M.  Braun,  praktischem  Ant  und  Httlfsarst  an 
der  Poliklinik     217 

XI.  Notixen  aus  der  Journal -Literatur: 

/.  BUkard:  Harnblasen- Scheiden -Fistel  durch  einen 
Blaeeastein  geschlossen;  Obtiteratioa  der  8cheide 
oberhalb  der  Fistel 847 

Blatehko:  Eine  Aehre  an  der  Portio  vaginalis  und 
ihre  Folgen 848 

HuHy:  Totaler  Vorfall  einer  eehwangeren  Gebärmutter  248 


Heft    IV. 

XII.    Unter  kernlose  Missgeburten.   Von  Dr.  J.  Poppel  in 

Mönchen.  (Hieran  eine  Tafel  mit  sechs  Abbildungen.)  240 

XlIJ.  Ueber  Durchreibungen  und  Rupturen  des  Uterus.  Von 
Dr.  Ä  QUkmmut  Asaistenaarat  da«  Entbiadungs- 
instituts  in  Halle  a/S 271 


VI  fetal* 

Betts 
XIV.    Waltere  Beitrage  cur  Lehre  ren  der  Ueberwanderung 
des  menschlichen  Eies.    Von  Prof  Dr.  A.  Bustmaul 
in  Erlangen 296 

XV.  Bericht  über  die  Ereignisse  in  der  unter  der  Leitung 
des  Herrn  Prof.  Dr.  Becker  stehenden  geburtshülf- 
lichen  Poliklinik  der  königl.  Ludwig  -Maximüians- 
UniversitSt  zu  München  Tom  1.  October  1859  bis  «um 
80.  September  1861.  Von  Dr.  M.  Braun,  praktischem 
Arat  und  Hülfsarst  an  der  Poliklinik.   (Schluss.)   .  .  312 

XVI.  Notiaen  aus  der  Journal -Literatur: 

Simpson:   Ueber  Vaginodynie 322 

Bern*:  Ueber  O rede0* 9  Methode  der  Entfernung  der 
Nachgeburt 823 

vanRooyen:  Ueber  die  Entfernung  der  Nachgeburt 
durch  auswendige  Handgriffe    .823 

Muller:  Grayiditas  extrauterin*.  Vollkommen  reifes 
lebendes  Kind  in  einer  rechtsseitigen  Leisten- 
hernie.   Entbindung  mitteis  Operation 824 

Clement  OUivier:  Fibröser  Tumor  im  Scheiden- 
gewölbe      324 

Ooeeelin:  Haematocele  periuterina  oberhalb  des 
Beckens  gelegen 325 

Pajot:  Ueber  Kephalothrypsie 326 

Joulin:   Kopf-Zertheiler 326 

XVII.  Literatur: 

Der  Catarrh  der  inneren  weibliehen  Qeechlechts- 
theile  von  Dr.  Carl  Beinnig.  Mit  sechs  Knpfer- 
tafelnetc.  Leipsig,  Verlag  Ton  W.  Engelmann  y  1862.  327 


Heft    V. 

XVIII.  Der  Steinschneider  Jacob  Ruf  (oder  Buoff,  auch 
Bueff  und  Büff)  in  Zürich  geschildert  Ton  Dr.  Meyer- 
Ahrene,  Arat  in  Zürich     329 

XIX.  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem  osteomalacischem  Becken. 
Rettung  des  Kindes.  Tod  der  Mutter  nach  sehn 
Tagen.    Von  Prof.  Dr.  Breslau  in  Zürich 366 

XX.  -  Bemerkungen  au  dem  Torhergehenden  Aufsatae.   Von 

Prof.  B.  Frey .  ...  877 


Inhalt.  ¥1» 

Seite 

XXI.  Die  Entstehung  de*  eohrftg  verengten Beck«**  inroll 

eine  durch  Krankheit  der  Kreus  darmbeinfuge  erworbene 
Ankylose,  vertheidigt  gegen  die  „Bemerkungen"  des 
Herrn  Dr.  OUhausen  Ton  A.  E.  Simon  Thom<uy  Professor 
der  Geburtshfilfe  su  Leyden.  (Hierin  eine  Tafel 
mit  awei  Abbildungen.) 884 

XXII.  Notisen  aus  der  Journal -Literatur: 

Woodmann:  Eiternde  Kyste  im  Unterleib« 408 

Sampton  Qamgee  (Birmingham):    Zwei  Fülle    ron 

Ovariotomie 403 

Spencer  WeUe:   Fall  ron  Ovariotomie 408 

Henry  Hanks:  Geburt  eines  Doppelmonstrmm  .  .  .  404 
Ferber:  Zur  Pathogenie  der  sog.  Haematocele  retro- 

nterina 404 

Bameboikam:  Klinische  Vorträge  über  Geburtshülfe  406 
Oneeerow:  Bericht  Aber  die  in  der  geburtahfilfliohen 
und  gynäkologischen  Klinik  des  Herrn  Geh. 
Medioinalrath  Prof.  Dr.  Martin  au  Berlin  im 
Wintersemester  1861 — 1862  sur  Behandlung  ge- 
kommenen Geburten  und  Krankheitsfalle  ....  406 
Boeei:  Bericht  Über  die  Ereignisse  in  der  Graser 
Gebaranstalt  in  den  Schuljahren  1869  —  1860 
und  1860—1861    407 


Heft    VL 

XXIII.  Temperaturverhaltnisse  bei  der  Geburt  und  im 
Wochenbette.  Von  Dr.  F.  Winckel,  Assistenaarat  der 
Königl.  Entbindungs  -  Anstalt  in  Berlin.   (Mit  Tab.  III. 

als  Beilage.) 473 

XXIV.  Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerate 
in  Karlsbad  im  Jahre  1862.  Verhandlungen  der  Seotion 
für  Gynäkologie.    Berichtet  von  Prof.  Dr.  Qermann  461 

XXV.  Die  operative  Verlängerung  ( Allonge ment  operatoire) 
fibröser  Gebärmutterpolypen.  Eine  Methode  der  Ei- 
stirpation  sehr  voluminöser  Polypen.  Von  Prof. 
Dr.  G.  Simon  in  Rostock 467 

XXVI.  Fall  von  Zwillingsschwangersehaft  mit  gleichseitigem 
Eintritt  beider  Köpfe  in  das  Becken.  Von  Dr.  WaUker 
Franke,  Privatdooent  an  der  Universität  Halle   ...  473 


rm  i**u. 


XXVII.   llotite«  an*  der  J<Mrtt«t-LKeratu*; 

Baut:  Ein  Fall  von  Heilung  eines  Gebärmutter- 

nnd  8caeidenkrebsef ,  .  479 

Ideener:  Angeborener  Mangel  der  Gebararatter .  .  480 
Beroniue:  Uterus  bioornis  c«  kaUcnlaris.  Peritonitis  481 
E.  J.  Tili:  Ueber  die  Abstossung  der  SchleimhÄute 
der  Gebftrmutler  and  der  8eheide  während  der 

Menstruation    482 

Beer:  Ruptura  uteri  spontaaea 484 

Okavanne:  Nene  Art  derExtrauterlnschwangerschaft 

oder  Schwangerschaft  des  Gebarmutternalses  .  .  486 
M.  Jobert  de  LambaUe:  Beobachtungen  ober  Vesioo- 

▼aginal-Fisftela 486 

Tamtfer:  Beeohreibnng  einer  neuen  Helfeode  rar 

Erregnng  der  künstlichen  Frühgeburt 487 

Hemm**:   Ein  Fall  Ton  künetlieher  Frühgeburt .  .  488 

Spencer  Weilet   Ueber  «wel  Ornriotomien 488 

Berichtigung 488 


L 
Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Oeburtshttlfe 

In 

Berlin. 


Sitzung  vom  25.  März  1862. 

Herr  v.  Recklinghausen  legt  der  Gesellschaft 
ein  Herz  von  einem  Neugeborenen 
vor,  welches  mehrere  theils  nach  aussen,  theils  nach 
den  Höhlen  prominirende  Tumoren  (Myomen)  trug; 
die  grösseren  befanden  sich  in  der  Wand  der  Ventrikel,  einer 
derselben,  am  linken  Ventrikel  befindlich,  hatte  die  Dimensionen 
eines  Taubeneies.  Sie  waren  von  der  Muskelsubstanz  überall 
ziemlich  scharf  abgesetzt,  indem  sie  eine  etwas  grössere 
Consistenz  besassen,  als  das  Herzfleisch,  doch  fehlte  eine 
besondere  abkapselnde  Schicht.  Die  Schnittflache  zeigte  ferner 
an  den  Tumoren  eine  Nassere  rothe  Farbe,  als  an  der 
Muskelsubstanz. 

Bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  isolirten  sich  aus 
den  Geschwülsten  sehr  leicht  platte,  theils  spindelförmige,  theils 
verästelte,  mit  einem  grossen  elliptischen  Kerne  und  glänzenden 
Kernkörperchen  versehene  Zellen.  Sie  lagen  so  dicht  neben 
einander,  die  Bindesubstanz  war  in  der  ganzen  Ausdehnung 
der  Geschwülste  so  gering,  dass  auf  den  ersten  Blick  ein 
großzelliges  Sarkom  vorzuliegen  schien.  Jedoch  fand  sich, 
dass  jene  Zellen  eine  regelmässige  Anordnung  kleiner  Körnchen 
in  parallelen  Linien,  eine  deutliche  Querstreifung,  trugen.  Sie 
stimmten  vollständig  ubereiu  mit  den  Formen  der  Sarkoplasteu, 
welche  Weissmann  von*  niederen  Wirbelthieren  beschrieben 
hat   und    blieben    auch  hinsichtlich    der  Grösse   und  der  Zahl 

Monati<ebr.  f.  (IhIuii  Nk.  186*.  Bd.  XX..  Hfl.  1.  1 


2  I-    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

der  Ausläufer  hinter  den  Bildungen,  welche  BiUroth  in  den 
sogenannten  Myomen  isolirt  hatte,  nur  wenig  zurück.  Es 
konnte  hiernach  nicht  mehr  zweifelhaft  sein,  dass  die  vor- 
liegenden Bildungen  als  partielle  Hyperplasieen  der  Muskel- 
substanz (Myom)  aufzufassen  waren. 

Nach  der  Erhärtung  des  Präparates  in  Alkohol  und  in 
Chromsäure  fand  sich  noch  eine  besondere  Eigenthümlichkeit. 
Feine  Durchschnitte  zeigten  nämlich,  dass  jene  platten  Zellen 
sich  fast  überall  so  aneinander  legten,  dass  sie  die  Wände 
von  Röhren  bildeten,  deren  Querdurchmesser  im  Allgemeinen 
dem  einer  quergestreiften  Muskelfaser  nahezu  gleichkam.  Eine 
epithelartige  Schicht  auf  der  Innenfläche  dieser  Röhren  war 
nicht  zu  erkennen,  eben  so  wenig,  ob  eine  Verbindung  der 
Kanäle,  etwa  eine  netzartige  Anordnung  vorhanden  war;  über 
die  Beschaffenheit  des  früheren  Inhalts  dieser  Röhren  liess 
sich  an  den  Erhärtungspräparaten  ebenfalls  keine  Anschauung 
gewinnen.  Es  musste  somit  dahin  gestellt  bleiben,  ob  diese 
Röhren  zu  dem  lymphatischen  Apparate  (ähnlich  der  Makro- 
glossie Virchow)  oder  zu  den  Blutgefässen  eine  Beziehung 
hatten,  oder  ob  sie  als  pathologische  Muskelröhren  auf- 
zufassen waren. 

Das  betreffende  Individuum  war  kurz  nach  der  Geburt 
gestorben,  nachdem  es  einige  Athemzfige  vollendet  hatte;  im 
Gehirn  war  ferner  noch  eine  grosse  Zahlvon  Sklerosen  vorhanden. 

Herr  Louis  Mayer  sprach  über 
die   pflanzlichen  Parasiten   der  weiblichen  Sexual- 
organe in  ihrer  praktischen  Bedeutung. 

Die  Mittheilungen,  meine  Herren,  welche  ich  Ihnen  vor- 
zutragen wünsche,  sind  zunächst  veranlasst  durch  mikro- 
skopische Untersuchungen  des  Secrets  weiblicher  Genitalien, 
bei  welchen  sich  zahlreiche  Pilzbildungen  vorfanden. 

Es  ist  nicht  meine  Absicht,  Ihnen  eine  exaete  botanische 
Beschreibung  der  hier  vorgefundenen  Gattungen  dieser  kleinsten 
Pflänzchen  zu  geben,  sondern  ich  will  versuchen,  vorwiegend 
vom  praktischen  Standpunkte  aus,  Ihnen  in  aller  Kürze  ein. 
Bild  zu  entwerfen,  von  ihren  Formenverhältnissen,  dann  von 
der  Weise  ihres  Auftretens,  ferner  von  ihrem  Einflüsse  auf 
die  Gewebe,   wie   auf  den  Körper  im  Allgemeinen,    von  den 


fflr  Geburtshülfe  iu  Bertin.  3 

Bedingungen  ihres  Entstehens  und  endlich  von  der  ärztlichen 
Behandlung  der  mit  ihnen  zusammenhängenden  Krankbeitsform. 

Es  sind  drei  Formen  Verhältnisse  bei  den  hier  in 
Betracht  kommenden  Pilzgattungen  zu  unterscheiden. 

Zuerst  erwähne  ich  nur  beiläufig  der  Vibrionen,  welchen 
eine  geringere  praktische  Bedeutung  zukommt.  Man  beobachtet 
sie  nicht  selten  in  Secreten,  die  mehr  oder  weniger  den 
Stempel  des  Zerfalls  tragen,  öfters  in  Gesellschaft  mit  den 
sogleich  näher  zu  besprechenden  Pilzen. 

Auf  weit  höherer  Entwickekingsstufe  stehen  zweitens 
mehrere  Gattungen,  welche  sich  durch  eine  breite  Form 
der  Thallusföden  auszeichnen. 

Eine  dritte  Form  mit  feinen  Filamenten  bildet  den 
Uebergang  von  den  letzteren  zu  den  Vibrionen. 

Was. die  breiten  Formen  anbetrifft,  so  bietet  die  vor- 
handene Literatur  keinesweges  eine  erschöpfende  Aufklärung 
über  dieselben. 

Robin  beschreibt  in  seiner  Histoire  naturelle  des  vegetaux 
Parasites,  pag.  576  eine  von  Liberi  im  Uterusscbleime 
beobachtete  Alge,  unter  dem  Namen  Leptomitus  de  l'uterus, 
welche  aus  blassen,  verästelten  Röhren  ohne  Scheidewände 
und  aus  gegliederten  breiteren  mit  Scheidewänden ,  durch  Sporen 
oder  granulirter  Masse  begrenzt,  bestehen.  Die  Sporen  sind 
ovoid  oder  länglich. 

In  demselben  Werke  ßnden  wir  pag.  576  eine  von 
Wilkenson  mitgetheilte  Form  unter  dem  Namen  Leptomitus 
du  Mucus  uterin,  von  welcher  weder  durch  Beschreibung 
noch  Zeichnung  ein  klares  Bild  gegeben  wird. 

Küchenmeister  bietet  uns  in  seinem  Werke  über  pflanz- 
liche Parasiten  die  „  Grenser'schen  vegetabilischen  Pilze  der 
Vagina u,  welche  letzterer  in  einer  diphtheritischen  Scheiden- 
entzündung mit  Pflaster -Epithel  und  Schleimkörper  gefunden 
hatte,  in  Zeichnung  leider,  ohne  nähere  Beschreibung.  Das 
Bild  erinnert  allerdings  an  die  von  mir  beobachteten  Pilzformen. 

Virchow's  Archiv,  Bd.  IX.,  S.  460  enthält  unter  dem 
Titel:  „Ueber  Entstehung  und  Verpflanzung  des  Aphtophyton 
vom  Professor  Martin  die  Beschreibung  eines  Pilzes  der 
Scheide,    welcher    gegliederte,    verästelte,    am    Ende    kolbig 


4  I.    Verhandlungen  der  GaselUchaft 

angeschwollene  Fäden  und  zahlreiche  längliche  und  runde 
Sporen  hat 

Nach  meinen  eigenen  Beobachtungen  finden  sich  von 
den  breiten  Formen  mehrere  Gattungen  in  den  weiblichen 
Sexualorganen,  deren  Unterschiede  jedoch  für  die  Praxis  von 
geringer  Bedeutung  sind.  Ich  beschränke  mich  daher  darauf, 
ihre  allgemeinen  sofort  in  die  Augen  fallenden  Charaktere 
anzugeben. 

Die  Thallus faden  sind  farblos,  glänzend,  0,0015  bis 
0,0034  Millim.  breit,  vielfach  verästelt  und  gegliedert,  von 
gleichmässiger  Dicke  oder  mit  end-wie  mittelstandigen  An- 
schwellungen bis  zu  0,006  Millim.  Breite.  Sie  zeigen  einfache 
oder  doppelte  Contouren  und  Scheidewände,  haben  häufig 
eine  homogene  Beschaffenheit  oder  einen  feinkörnigen  Inhalt 
Auch  bemerkt  man  in  ihrem  Innern,  wie  bei  Pilzen  anderer 
Mycosen,  wenn  auch  seltener  als  bei  manchen  dieser,  kleine 
lichtbrechende  Tröpfchen.  Die  Fäden  finden  sich  selten  einzeln, 
vielmehr  in  der  Regel  in  grösserer  oder  geringerer  Zahl 
zwischen  zusammenhängenden  Epithelien,  oder  in  makro- 
skopische, pseudomembranöse  Läger  durcheinander  gewachsen 
und  verfilzt  Die  Sporen  haben  verschiedene  Formen  und 
Grössen.  Es  giebt  runde  und  ovale.  Die  ersteren  diflferiren 
in  ihrem  Durchmesser  von  0,0005  bis  0,0054  Millim.  Die 
ovalen  können  eine  Länge  von  0,008  Millim.  und  eine  Breite 
von  0,003  Millim.  erreichen.  Man  sieht  sie  einzeln  oder 
bisquitförmig  gepaart,  auch  in  längeren  Ketten  zusammenhängend, 
sowie  in  Klumpen  an  den  Enden  oder  im  Verlaufe  der  Frucht - 
faden,  oder  endlich  in  massenhaften  Haufen  zusammenhängend. 

Ich  habe  diese  breiten  Pilzformen  kürzlich  sechs  Mal 
im  Secrete  der  weiblichen  Genitalien  beobachtet  -Sie  traten 
sowohl  auf  den  Innenflächen  der  Labien,  auf  den  Nymphen, 
der  Clitoris,  den  Carunculis  myrtiformibus  als  auch  in  der 
Vagina  und  an  der  Vaginalportion  auf.  lieber  diese  Gebiete 
hinaus  habe  ich  sie  sich  nicht  forterstrecken  gesehen.  Man 
bemerkt  stecknadelknopfgrosse  und  kleinere  weissliche  oder 
hellgelbliche,  der  Schleimhaut  in  der  Regel  lose  aufsitzende 
Fleckchen,  welche  rundlich  oder  unregelmässig  gestaltet, 
eine  Grösse  von  2  bis  3  Linien  Durchmesser  erreichen 
können,   —   den   Soor  Plaques   durchaus   ähnlich.  'Mitunter 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  5 

überziehen  sie  grössere  Flächen  der  bezeichneten  Theile. 
Seltener  haften  sie  wie  diphtherische  Membranen  der  Schleim- 
haut fester  an  und  hinterlassen  nach  ihrer  Entfernung  seichte 
Geschwürsflächen.  Was  den  Boden  anbetrifft,  auf  dem  sie 
wuchern,  so  zeigt  derselbe  stets  BlutüberföUung  und  vermehrte 
Secretion.  Das  Secret  hat  hier  eine  schleimig  opalescirende, 
milchige  oder  rahmige  Beschaffenheit,  ist  auch  wohl  von 
noch  dickerer  Gonsistens,  Kartoffelkleister  nicht  unähnlich. 
Stets  finden  sich  darin  viel  Pflablerepithelien ,  (htils  wohl  er- 
haltene, theils  feinkörnige,  theils  zerfallende,  häufig  in  grosser 
Menge  zusammenhängend,  Eiter  und  Schleimkörper,  Detritus 
und  freie  Kerne,  zuweilen  auch  Trichonionadeu,  endlich  sowohl 
Vibrionen,   als  auch  die,  noch  zu  erwähnenden  feineren  Pilze. 

Die  Pilze,  welche  wir  hier  zunächst  im  Auge  haben, 
nämlich  die  breitgestalteten,  wachsen  auf  und  zwischen  den 
oberflächlichen  Epithellagen  oder  dringen  iu  die  tieferen 
Schichten.  Im  letzteren  Falle  v  in  welchem  sie  die  erwähnten 
Pseudomembranen  bilden,  macht  sich  ein  deutlicher  Zerfall 
der  Grundlage  bemerkbar.  Wo  die  Pilze  weniger  dicht  ge- 
wachsen sind,  sieht  man  sie  häufig  auf  den  Epithelschichten, 
zwischen  Falten  einzelner  Zellen  und  auf  ihren  Oberflächen 
entlang  laufen.  Isolirt  erscheinen  sie  mit  den  festsitzenden, 
zusammengefallenen  Epithelien  wie  Zweige  mit  aufsitzenden 
Blättern.  Ein  Durchbohren  der  Epithelialzeilen  habe  ich  trotz 
grosser  Aufmerksamkeil  ~  nur  selten  deutlich  gesehen.  Man 
kann  hier  leicht  getäuscht  werden,  indem  man  Durchwachsungen 
zu  sehen  glaubt,  wenn  der  Pilz  durch  Falten  einer  Zelle 
oder  zwischen  mehreren  aufeinander  gelagerten  verläuft. 

Die  sechs  Individuen  mit  Vaginal  -Mycose,  welche  mir 
in  neuerer  Zeit  vorgekommen  sind,  standen  in  verschiedenem 
Alter  und  Lebensverhältnissen,  hatten  verschiedenen  Habitus 
und  zeigten  abweichende  Gesundheitsstörungen.  Fünf  von 
ihnen  waren  verheirathete,  an  Krank  hei  teil  des  Sexualsystems 
leidende  Frauen,  die  sechste,  ein  blühendes  gesundes  Dienst- 
mädchen von  27  Jahren,  befand  sich  im  dritten  Monate  ihrer 
zweiten  Gravidität,  wie  auch  von  den  anderen  zwei  ebenfalls 
Gravidae  waren.  Bei  Allen,  mit  Ausnahme  des  letzterwähnten 
Mädchens,  zeigten  sich  die  Pilze  mit  mehr  oder  weniger 
heftiger   Entzündung    der    Genitalschleimhaut    und    alle    diese 


• 


g  I.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

klagten,  sobald  die  Verschimmdung  Wurzel  gefasst,  überein- 
stimmend über  ausserordentlich  heftiges  Brennen,  Jucken  und 
stechende  Schmerzen  in  der  Vulva  und  Vagina,  welche  sich 
partfxysmenartig  steigerten,  die  nächtliche  Ruhe  störten  und 
Zustünde  von  nervöser  Reizbarkeit  und  Schwäche  zur  Folge 
hatten.  In  dem  sechsten  Falle  dagegen  fand  die  Verschimmelung 
ohne  Entzündung  statt  und  hier  fehlte  das  eigentümliche 
Jucken  und  Brennen.  Ich  bemerke  jedoch,  dass  ich  diese 
Kranke  nur  ein  Mal  untersucht  habe,  mir  der  fernere  Verlauf 
daher  unbekannt  ist.  Ich  lasse  vorläufig  dahin  gestellt  sein, 
inwiefern  bei  dem  Zusammentreffen  der  Pilzbildung  mit  der 
Entzündung  das  eine  oder  das  andere  dieser  Momente  als 
vorwiegende  Ursache  jener  belästigenden  Erscheinungen  auf- 
zufassen ist.  In  welchem  causalen  Verhältnisse  Entzündung 
und  Pilzbildung  zu  einander  stehen,  will  ich  bei  den  Ursachen 
der  Krankheit  besprechen.  Zunächst  haben  wir  noch  zur 
Pathologie  der  Genital -Mycosen  hinzuzufügen,  dass  sie  kurze 
Zeit  bestehen,  in  fünf  bis  sechs  bis  zehn  Tagen  verlaufen 
oder  einen  chronischen  Charakter  haben  und  die  Kranken 
wochenlang  auf  das  Quälendste  belästigen  können.  Ihr  Auf- 
treten bekundet  sich  ziemlich  plötzlich.  Dies  liegt  in  der 
ausserordentlich  rapiden  Ausbreitung  der  Pilze  auf  einem 
ihrem  Wachsthume  günstigen  Boden. 

x  Die  Beschwerden  sind  aber  nicht  immer  sofort  mit  dem 
Verschwinden  der  Pilze  abgeschnitten,  sondern  überdauern 
diese,  wenn  auch  in  bedeutend  gemässigterem  Grade,  noch 
einen  oder  mehrere  Tage,   was  in  dem  Fortbestehen  der  mit 

"Mycose  der  Genitalien  in  der  Regel  einhergehenden  Entzündung 
der  Schleimhaut  seine  Ursache  hat  Aehnliche  Verhältnisse 
finden  wir  in  der  Symptomatologie  des  Soor.  Dieser  stimmt 
wie  in  manchem  Anderen  so  auch  hinsichtlich  der  differentiellen 
Diagnose  mit  unserer  Verschimmelung  überein;  darin  nämlich, 
dass  eine  sichere  Diagnose  nur  mit  Hülfe  des 
Mikroskops  zu  stellen  ist.  Denn  es  kommen  aphthöse 
und  diphtherische  Processe  der  weiblichen  Sexualschleimhaut 
vor,  die  in  Erscheinung  und  örtlichem  Auftreten,  letzteres 
namentlich  beim  Beginne  der  Krankheit,  ein  der  Verschimmelung 

'  ähnliches  Bild  ohne  jegliche  Pilzbildung  geben.  Ganz  besonders 
ist  noch  hier  auf  jene,  gewöhnlich  sehr  schmerzhafte  Vaginitis- 


für  Geburtahülfe  in  Berlin.  7 

Form  aufmerksam  zu  machen,  in  welcher  Abscbilferuugen  der 
Pflaster-  Epithelien  in  grossen  Mengen  und  in  zusammen- 
hängenden Schichten  zu  Stande  kommen,  da  diese  letzteren 
sowohl  auf  der  Schleimhaut,  wie  dem  untersuchenden  Finger 
anhaftendem  Secret  viel  Aehnlichkeit  mit  Pilzherden  haben. 

Lassen  Sie  uns  nunmehr  zur  Entstehungsweise  und  zu 
den  Bedingungen,  unter  denen  unsere  breiten  Pilze  auf  der 
Vaginalschleimhaut  wuchern,  etwas  näher  eingehen. 

Es  treten  uns  da  dieselben  Schwierigkeiten  entgegen, 
welche  diese  Frage  bei  der  Schimmelbildung  im  Allgemeinen 
bietet  Es  felüen  hier  nicht  nur  klare  Anschauungen  über 
Botanisches  der  minutiösen  Pflänzchen,  insbesondere  über 
ihre  Fructification  und  Verbreitung,  sondern  auch  über  die 
physikalischen  und  chemischen  Bedingungen,  die  zu  ihrer 
Entwickeluug  nothwendig  sind,  wenngleich  es  feststeht,  dass 
Schimmelpilze  verschiedenster  Art  günstige  Verhältnisse  und 
günstigen  »Boden  genug  für  ihr  Gedeihen  finden ,  um  in  aus- 
gebreitetster  Weise  in  allen  Ecken  und  Enden  des  Erdballs 
zu  wuchern  und  beständig  mit  Milliarden  von  keimungsfahigen 
Sporidien  die  Atmosphäre  zu  schwängern  und  die  Körper 
der  Erde  zu  bestäuben.  Dass  solche  Samen  auch  in  der 
Vulva  und  Vagina  hangen  bleiben,  ja  in  der,  der  Anhaflung 
günstigen  Oberfläche  zahlreich  eine  Aufenthallsstätte  finden, 
ist  erklärlich.  Ich  habe  constant  einen  oder  mehrere  Sporen 
von  verschiedenen  Formen  und  Grössen  in  dem  wenigen  Schleime, 
der  unter  einem  Deckgläschen  Platz  hat,  gesehen.  Im  Ver- 
hältnisse zu  diesem  ungemein  häufigen  Vorkommen  der  Sporen 
erscheint  die  Keimung  und  Anwurzelung  in  den  weiblichen 
Sexualorganen  allerdings  selten.  Der  Grund  hiervon  möchte 
zunächst  darin  zu  suchen  sein,  dass  in  der.  Vagina  überhaupt 
nur  Sporen  weniger  bestimmter  Genera  und  Species  von  Pilzen 
und  Algen  anwachsen;  ferner,  dass  diese  wenigen  Species  sich 
nur  unter  bestimmten  Bedingungen,  die  für  alle  Schimmel- 
bildungen conditio  sine  qua  non  sind,  entwickeln. 

Erlauben  Sie  mir,  meine  Herren,  zunächst  diese  all- 
meineu  Gesetze  zusammenzufassen  und  danach  eine  Anwendung 
auf  unsere  Mycose  zu  machen. 

Schimmelbildungeii  überhaupt  gedeihen  nur  unter  gewissen 
physikalischen    Bedingungen ,     insbesondere     unter     gewissen 


g  l.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Feuchtigkeit  -  und  Temperaturverhällnissen ,  auf  faulenden 
oder  in  Zersetzung  begriffenen  organischen  Substanzen*  wie 
auf  lebenden  pflanzlichen  und  thierischen  Organismen.  Auf 
letzteren  sowohl  an  der  Oberfläche,  als  im  Innern,  und  zwar 
an  Stellen,  wo  physiologisch  Gelegenheit  zu  chemischen  Zer- 
setzungen geboten  ist,  wie  in  allen,  mit  Schleimbaut  über- 
zogenen, auch  nach  aussen  geöffneten  Höhlen.  In  patho- 
logischen Zuständen  der  lebenden  Organismen  sind  gleichfalls 
gewisse,  noch  nicht  hinreichend  erforschte  Zersetzungsprocesse 
nothwendige  Bedingung,  welcher  die  bereits  angedeuteten 
physikalischen  Momente  hinzutreten.  Solche  Zersetzungs- 
processe mit  Schimmelbildung  können  theils  da  stattfinden, 
wo  der  ganze  Organismus  von  pathologischen  Veränderungen 
der  Gewebe  und  Säfte  ergriffen  ist,  wie  dies  bei  niederen 
Organismen,  zum  Beispiel  bei  Fliegen  und  Seidenraupen 
beobachtet  worden;  theils  treten  sie  an  einzelnen  Körperlbeilen 
in  Folge  partiell  gestörter  Lebensthätigkeit  auf,  "wie  solche 
bei  chronischen  Krankheiten  der  Hautdecke,  so  wie  bei  Ent- 
zündungen stattfindet,  durch  deren  Producte  den  Zersetzungs- 
processen  besonderer  Vorschub  geleistet  wird. 

Kommen  wir  jetzt,  meine  Herren,  wieder  auf  die  Mycose 
der  weiblichen  Genitalien  zurück,  so  finden  wir  die  Pilz- 
entwickelung  auch  hier  unter  den  allgemein  gültigen  Voraus- 
setzungen. Keimungsfähige  Sporen  haben  bei  dem  anatomischen 
Verhalten  dieser  Theile  Zutritt  und  in  den  vielen  Falten  und 
Fältchen  der  Schleimhaut  feste  Ruheplätze.  In  den  Secreten 
der  Schleimhaut  sind  selbst  bei  gesundem  Zustande  Quellen 
chemischer  Zersetzung  gegeben,  welche  genügen,  den  feinsten 
Fadenpilzen  ihre  Existenz  zu  fristen.  Das  Anwachsen  und 
Gedeihen  der  breiteren  Pilze  setzt  schon  ein  gesteigertes 
Maass  der  erforderlichen  Vorbedingungen  voraus.  Catarrhalisch 
entzündliche  Processe  mit  Auflockerung  und  Schwellung  der 
Schleimhaut,  mit  vermehrter  Secretion  und  erhöhter  Tem- 
peratur liefern  ihnen  einen  günstigen  Boden.  Dass  wir  Mycose 
der  Sexualorgane  auch  in  der  Gravidität  finden ,  kann  durchaus 
nicht  auffallen,  da  hier  physiologisch  örtliche,  jenen  patho- 
logischen Zuständen  nahe  stehende  Veränderungen  Regel  sind. 

Nach  dem  bisher  Gesagten  wird  das  Auftreten  unserer 
Pilze  als  ein  accidentelles.  gewissen  Zuständen  der  Schleimhaut 


für  Gebnrtshfilfe  in  Berlin.  9 

hinzutretendes  Moment  aufzufassen  sein.  Es  scheint  aber,  dass 
die  Verschimmelung,  sobald  sie  Platz  gegriffen  bat,  krankhafte 
Erscheinungen  vermehrt  und  selbstständig  neue  prodncirt 

Demnach  muss  die  Behandlung  nach  zwei  Seiten  hin 
gerichtet  sein.  Die  causale  wird  alle,  die  Püzbildung  be- 
günstigenden Krankheitszustände  zu  beseitigen  haben,  also 
gegen  Catarrh  und  Entzündung  gerichtet  sein.  Lacale  Blut- 
entziehungen, kühlende  Diät  und  Abfuhrmittel  sind  zu  ver- 
ordnen. Die  Parasyticide  wird  durch  fleissige  Waschungen 
und  Injecüonen  die  Pilze  zu  entfernen  suchen.  Wir  empfehlen 
lauwarme  Einspritzungen  von  Wasser  oderechleimigen  Decocten, 
Bepinselungen  und  Abspülungen  der  ganzen  Vaginalschleimhaut 
durch  ein  eingeführtes  Speculum,  mit  Lösungen  von  Quecksilber- 
und  Kupfersalzen.  In  der  Gravidität  wird  man  sich,  wenn 
möglich,  auf  Injectionen  beschränken.  Beseitigung  der  lästigen 
Beschwerden  durch  diese  allein  ist  möglich,  erfolgt  indessen 
nicht  immer. 

Gestatten  Sie  mir  nun,  meine  Herren,  zur  Veranschau- 
lichung  der  Sache  auf  die  von  mir  beobachteten  Fälle  etwas 
näher  einzugehen. 

Erste  Beobachtung.  Mycosis  vaginae  et  portionis  vagi- 
nalis von  zehntägiger  Dauer  mit  acuter  Vaginitis  bei 
chronischem  Gebärmutter-  und  Leberleiden. 

Frau  von  W.  eins  corpulente,  in  besten  Verhältnissen 
lebende  50jährige  Frau,  litt  au  Intumescentia  und  Descensus 
uteri,  schmerzhafter  Leberanschwellung  und  rheumatischen 
Muskelaffectionen.  Sie  war  noch  in  längeren  Zwischenräumen 
tnenstruirt  und  hatte  eine  ziemlich  profuse  Blennorrhoe.  Sie 
bewohnte  während  des  Winters  eine  kalte  Parterrewohnung 
hierselbst,  an  deren  Wänden  sich  an  mehreren  Stellen  eine 
Penicillium-Art  fand.  Sie  befand  sich  bereits  lange  Zeit  in 
meiner  Behandlung,  als  sie  eines  Tages  über  lästiges  Brennen 
in  der  Vulva  klagte,  welches  sich,  nach  ihrer  Aussage,  in 
den  Leib  hineinzöge  und  wahrscheinlich  durch  einen  Fehltritt 
entstanden  sei.  Bei  der  Untersuchung  fand  ich  hinter  den 
Carunculis  myrtiformibus  ziemlich  grosse  weissliche  Plaques 
unter  dem  schleimig  kleisterigen,  sauer  reagirenden  Secret. 
Diese  Plaques  sassen  der  Schleimhaut  lose  auf  und  erstreckten 


10  J.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

sich  bis  zum  Scheidengrund,  wie  auch  über  die  Muttermunds- 
tippen ,  die  ganze  Schleimhaut  zeigte  dabei  Schwellung,  Röthe, 
Schmerzhaftigkeit  und  vermehrte  Secretion  —  Erscheinungen, 
die   sich  erst  in   den  letzten  Tagen  etablirt  hatten.     In  dem. 
Secrete   sah   man  viele  einzelne,   wie  auch  in  grösseren  Ab- 
schnitten  zusammenhängende,    theils   homogene,   theils  fein- 
körnige,  theils  zerfallene  Pflasterepithelien,  Eiterkörper,   fein- 
körnigen Detritus,  Trichomonaden  und  Pilzsporen  verschiedener 
Grösse  und  Gestalt,  wie  einzelne  breite  Pilzfäden.    Die  pseudo- 
membranösen,  weisslichen  Plaques  aber  bestanden  aus  mehr 
oder  weniger  dichten  Lagern  verülzter   breiter  Pilzfaden   mit 
eingelagerten  Sporenhaufen.     Den   folgenden  Tag  hatten  sich 
diese  Schimmelherde   vermehrt   und   grössere  Flächen  belegt. 
Ich  verordnete  Blutegel  ad  perinaeum,  liess  dreistündlich  laue 
Injectionen  eines  DecocL  sem.  lini  mit  Zusatz  von  aromatischem 
Essig  machen  und  bepinselte  einige  Male  die  ganze  Schleim- 
haut durch  ein  eingeführtes  Speculum  mit  Liquor  hydrargyri 
nitricL     Das  Jucken  und  Brennen   mässigte   sich  hierauf  bald 
und   verschwand   gleichzeitig  mit  Entzündung   und  Schimmel 
in  zehn  Tagen  und  kehrte  nicht  wieder. 

Zweite  Beobachtung.  Mycosis  vaginae  et  portionis 
vaginalis  bei  einer  am  chronischen  Catarrh  der  Genitalien 
und  schmerzhafter  Verdickung  des  Ligamentum  uteri 
latum  sinistrum  leidenden  Frau  mit  unentwickeltem 
Uterus.  Dauer  vier  Tage.  Die  mit  derselben  ver- 
bundene acute  Vaginitis  überdauert  die  Mycosis  um 
36  bis  48  Stunden. 

Die  Baumeister-Frau  M.  aus  K.,  28  Jahre  alt,  sieben 
Jahre  verheirathet,  steril,  litt  an  chronischer,  catarrhalischer 
Reizung  der  Genitalien,  schmerzhafter  Verdickung  des  Liga- 
mentum uteri  latum  sinistrum.  Sie  hatte  einen  unentwickelten 
Uterus,  dessen  Höhle  kaum  2  Zoll  lang,  Portio  vaginalis  klein 
aber  gesund  war.  Die  Frau  lebte  während  ihres  Aufenthalls 
in  Berlin  in  eruer  trockenen,  eine  Treppe  hoch  gelegenen 
Wohnung.  Ich  hatte  sie  bereits  vier  Wochen  behandelt,  ihr 
innerlich  eröffnende  bittere  Speries,  äusserlich  Vesicatore  auf 
die  Regio  iliaca  sinistra  und  Injectionen  in  die  Scheide  mit 
Infusum  niillefolii  verordnet,  als  die  Frau  den  20.  Februar  a.  c. 


Air  Geburtabälfe  in  Berlia.  11 

ober,  ihr  unbekanntes  starkes  Jucken  und  Brennen  in  den 
Genitalien  klagte.  So  plötzlich  diese  Erscheinungen  aufgetreten, 
so  rapid  steigerten  sie  sich,  störten  die  nächtliche  Ruhe  und 
hatten  alsbald  grosse  Mattigkeit  und  fieberhafte  Aufregung 
des  Gefässsystems  zur  Folge.  —  Während  ich  früher  wieder- 
holenden in  dem  reichlichen,  rahmigen,  sauer  reagirenden 
Secrete  nur  Epithelien,  Eiterkörper,  Detritus« Vibrionen  und 
einzelne  Pilzsporen  von  0,004  Miltim.  Länge  gesehen  hatte, 
so  fanden  sich  jetzt  umfangreiche  Bildungen  breiter  Pilze 
ganz  wie  in  dem  vorigen  Falle.  Es  war  eine  merkliche 
Steigerung  der  Entzündung  mit  Schwellung  der  Schleimhaut 
der  Vulva  und  Vagina  vorhanden.  Schimmelherde  fanden  sich 
aber  nur  in  der  Vagina  und  an  den  Muttermundslippen.  Hier 
verschwanden  die  Pilze  in  vier  Tagen,  nach  örtlichen  Blut- 
entziehungen,  häufigen  Injectionen  und  täglicher  Application 
einer  Solutio  lapidis  divini  auf  die  erkrankte  Schleimhaut 
mittels  Speculum.  Schmerzbaftigkeit  und  Entzündung  über- 
dauerten, wenn  auch  in  bedeutend  vermindertem  Grade  die 
Schimmelbildung  36  bis  48  Stunden.  Nach  sechs  Tagen 
waren  alle  Erscheinungen  gehoben.  Die  Kranke  reiste  den 
17.  März  ohne  Recidiv  der  Mycose'  von  hier  ab. 

Dritte  Beobachtung.  Mycosis  partis  inferioris  vaginae 
von  fünftägiger,  die  begleitende  acute  Vaginitis  von  neun- 
tägiger Dauer,  bei  einer  an  chronischer  Cystiüs,  Metritis, 
Intumescentia  und  Retroflexio  uteri  leidenden  Frau. 

Frau  von  B.  aus  Mecklenburg,  eine  kleine,  28jährige 
Frau,  l1/*  Jahre  verheirathet,  litt  seit  ihrer  Entbindung  vor 
s/4  Jahren  an  Schmerzen  im  Leibe,  Strangurie,  Tenesmus, 
starker  Blennorrhoe,  lähmungsartigen  Zuständen  der  unteren 
Extremitäten  bei  grosser  körperlicher  Schwäche.  Der  sehr 
schmerzhafte,  angeschwollene  Uterus  war  im  spitzen  Winkel 
retroflectirt,  an  den  Muttermundslippen  fanden  sich  grosse 
granulirte,  blutende  Erosionen,  ferner  chronische  Entzündung 
der  Blase,  der  Vagina  und  des  Rectum.  Die  Kranke  wohnte 
hierselbst  in  einer  trockenen  Wohnung  im  ersten  Stockwerke. 
Ich  hatte  zu  mehreren  -Malen  das  milchige,  die  Schenkel 
wund  ätzende  Secret  der  Genitalien  untersucht,  zerfallenes 
Pflasterepithel,  feinkörnigen  Detritus,  Eiterkörper,  freie  Kerne» 


12  I-    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Trichomonaden,  sowie  auch  Pilzsporen  von  verschiedener 
Gestaltung  gefunden.  Nach  mehrwöchentlicher  Behandlung 
war  wesentliche  Besserung  des  Befindens  eingetreten.  Die 
Schmerzen  hatten  sich  bedeutend  vermindert,  die  Kranke 
war  im  Stande,  weite  Spaziergänge  zu  machen.  Da  empfand 
sie,  ohne  eine  ihr  bekannte  Veranlassung,  eines  Tages  ein 
nie  gefühltes  Brennen  in  der  Vulva  und  Vagina,  welches  sich 
in  den  nächsten  Tagen  steigerte.  Die  Untersuchung  ergab 
vermehrte  Hyperämie  der  Vulva,  Vagina,  Vaginalportion,  pro- 
fusere  Blennorrhoe,  kleine  Scbimmelherde  in  dem  unteren 
Scheidentheile.  In  den  eisten  Tagen  nahm  das  Brennen  zu, 
störte  die  nächtliche  Ruhe  und  ermattete  die  Kranke.  Darauf 
gesellten  sich  heftigere  Rückenschmerzen,  Stiche  in  dem 
Hypochondrium  dextrum  mit  leichten  Fieberbewegungen  hinzu. 
Ich  verordnete  vier  Blutegel  an  die  Vaginalportion,  liess  drei- 
stündlich laue  Injectionen  mit  einem  Cicuta-  Infus  machen 
und  wusch  die  Vagina  einige  Male  mit  einer  Solutip  cupr. 
aluminati  aus.  Am  fünften  Tage  nach  dem  ersten  Auftreten 
fand  ich  keine  Pilze  mehr,  wogegen  die  erhöhten  Boschwerden 
in  Folge  gesteigerter  Entzündung  noch  vier  Tage  bestand. 
In  späterer  Zeit  sind  keine  Pilze  wieder  erschienen. 

Vierte  Beobachtung.  Mycosis  vulvae,  vaginae  et  portionis 
vaginalis  in  sechsmonatlicher  Gravidität.  Monatelanges 
Bestehen  mit  chronischem  Catarrh.  Ent Wickelung  von 
Pityriasis  versicolor  während  der  Vaginal  -  Mycose. 

Die  Bauersfrau  S.  aus  Lichtenberg,  26  Jahre  alt,  drei- 
viertel Jahre  verheirathet,  im  sechsten  Monate  der  Gravidität, 
eine  kräftige,  blühende  Blondine,  hatte  seit  fünf  bis  sechs 
Wochen  Schmerz  und  juckendes  Brennen ,  anfänglich  in  den 
äusseren  Genitalien,  bald  auch  in  den  tieferen  Thetlen  der  Vagina 
empfunden.  Die  Beschwerden  steigerten  sich  paroxysmenartig 
und  raubten  der  Frau  die  Nachtruhe.  Sie  suchte  deshalb 
ärztliche  *  Hülfe.  Bei  den  Untersuchungen  zeigten  sich  die 
äusseren  Genitalien,  stark  geröthet  und  geschwollen,  der  In- 
troitus  und  die  Vagina  dunkel  livid,  letztere  granulirL  Man 
sah  auf  der  Innenfläche  der  Labien,  auf  den  Nymphen  und 
an  der  Clitoris  Stecknadelkopf-  bis  linsengrosse  weissliche 
Plaques,    in    der  Vagina   erstreckten    sich    dieselben    bis  zum 


für  GeburUhülfe  in  Berlin.  13 

Fornix  und  überzogen  die  Muttermundslippen,  waren  aber 
im  oberen  Drittheile  der  Vagina  weniger  gross  und  zahlreich. 
Das  Mikroskop  ergab  neben  einer  Menge  von  geschrumpften 
Epithelien,  vielem  Detritus,  zahlreichen  Trichomonaden,  Eiter- 
körpern, Vibrionen,  Lager  verfilzter  breiter  Thallusfaden  mit 
grossen  Sporenhaufen.  Es  wurden  Magnesia  usta  und  laue 
Vaginalinjectionen  verordnet,  wodurch  Linderung  auf  einige 
Zeit  geschafft  und  die  Pilzbildung  gehemmt  wurde.  Vier 
Wochen  lang  sah  ich  die  Kranke  nicht,  als  sie  mich  alsdann 
wieder  consultirte,  fand  ich  die  Pilzvegetation  der  Genitalien 
in  schönstem  Flor,  die  Kranke  litt  aufs  Empfindlichste  au 
den  überaus  peinigenden  Beschwerden,  die  nunmehr  noch 
durch  eine  zweite  Mycose  erweitert  waren.  Ueber  Brüste 
iind  einzelne  Stellen  des  Leibes  nämlich,  hatte  sich  Pityriasis 
versiöolor  mit  lästigem  Jucken  verbreitet.  Die  Frau  gab  an, 
in  einem  neuen,  feuchten  Hause  zu  ebener  Erde  zu  wohnen. 
Sie  war  reinlich  gekleidet,  sowie  an  ihrem  Körper  sauber. 

Fünfte  Beobachtung.  Mycosis  vulvae,  vaginae  et  portionis 
vaginalis  in  gra  vidi  täte  trium  mensium  von  wochen- 
langer Dauer  mit  heftigem  Catarrh  der  Genitalien. 

Die  25jährige  Schuhmacherfrau  M.  aus  Berlin,  7  Jahre 
verheirathet,  hatte  vier  Mal  geboren,  zuletzt  vor  1%  Jahren, 
danach  zwei  Mal  abortirt.  Seit  dem  letzten  Abortus  litt  sie 
an  einer  schmerzhaften  Anschwellung  nebst  Deviation  des 
Uterus  nach  rechts  und  blutenden,  granulirten  Geschwüren 
der  Muttermundslippen.  Diese  Leiden  hatten  Schmerzen  im 
Kreuze  und  Leibe,  Urinbeschwerden,  Leucorrhoe  zur  Folge 
und  waren  von  Verdauungsbeschwerden  begleitet. 

Ausleerende  Mittel,  Blutentziehungen  und  örtliche  Be- 
handlung der  Geschwürsflächen  hatten  eine  wesentliche  Besserung 
erzielt,  als  die  Frau  wieder  schwanger  wurde,  und  damit 
sich  ihre  Beschwerden  wieder  steigerten.  Im  dritten  Monate 
der  Schwangerschaft  gesellte  sich  zu  diesen  ein  unerträgliches 
Jucken,  Brennen  und  Siechen  in  den  Genitalien.  Bei  der 
Untersuchung,  fanden  sich  auf  der  Innenfläche  der  Labien, 
auf  den  Nymphen  und  Vaginal  wänden,  welche  Theile  säinmllich 
stark  geröthet  und  geschwellt  erschienen,  weissliche,  hirsekorn- 
bis    linsengrosse ,    festhaftende   Pseudomembranen,    die    nach 


14  I-    Verhandlungen  der  Gesellschaft    -  „ 

der  Entfernung  mit  dem  Scalpel  kleine  Geschwürsflächen 
hinterliessen.  In  dem  reichlichen,  opalescirenden ,  sauren 
VagiuaJsecrete  erschienen  unter  dem  Mikroskope  Eiterkörper, 
viel  Pflasterepithelien ,  feine  Pilzfaden  und  Vibrionen.  Die 
weisslichen  Inseln  bestanden  aus  einem  dicht  verfilzten  Mycelium 
breiter  Pilze,  welchem  dichte  Haufen,  zum  Theil  zerfallener 
Epitheiien  zur  Grundlage  dienten.  Einzelne  Fäden,  wenn  sie 
isolirt  gesehen  wurden,  waren  mit  fielen  zusammengefallenen, 
anhaftenden  Epithelialzellen  besetzt.  Sporen  lagen  in  grossen 
Haufen  beieinander  oder  fanden  sich  in  kleineren  Klumpen 
besonders  an  quirlförmig  verästelten  Stellen  um  die  Thallus- 
faden  gelagert.  —  Auch  hier  besserten  sich  die  Beschwerden 
nach  Injectionen  und  kühlenden  Abführmitteln.  Auf  kurze 
Zeit  wurden  die  Plaques  und  breiten  Pilzformen  nicht  beobachtet, 
während  die  feinen  nicht  völlig  verschwanden.  In  nicht  gar 
langer  Zeit  kehrte  aber  die  Mycose  der  breiten  Pilze  mit 
ihren  peinigenden  Beschwerden  zurück  und  schwächten  die 
Frau  so,  dass  sie  ausser  Stande  war,  mich  weiter  in  meiner 
Sprechstunde  zu  consultiren. 

Sechste  Beobachtung.  Mycosis  vaginae  ohne  auffallende 
Entzündungserscheinungen  bei  einer  Gravida  im  dritten 
Monate. 

A.  (?. ,  27  Jahre  alt,  ein  derbes,  blühendes  Dienstmädchen 
von  hier,  welches  bereits  ein  Mal  geboren  hatte,  suchte 
meinen  Rath,  weil  ihre  Menses  zwei  Monate  ausgeblieben 
waren.  Sie  hatte  Kopf-  und  Magenschmerzen,  sonst  keine 
Beschwerden.  Bei  der  Untersuchung  fand  sich  eine  Graviditas 
im  dritten  Monate.  Die  Schamspalte  war  geschlossen,  beide 
Vaginalwandungen  schlaff,  mit  weisslichem,  zähem  Secrete 
bedeckt,  livid,  Labien  und  Nymphen  wenig  geröthet.  In'der 
Vagina  bemerkte  man  beim  Einfuhren  des  Speculum  weiss- 
liehe  Fleckchen,  die  sich  mit  demselben  abstreiften.  Sie 
beständen,  wie  die  mikroskopische  Untersuchung  erwies,  aus 
breiten  Pilzen  in  dichtem  Mycelium,  mit  vielen  eingelagerten 
Sporidienhaufen.  Weiteren  Beobachtungen  entzog  sich  die  A.  Q. 

Wir  kommen  nunmehr  zur  dritten  der  am  Anfang  von 
mir  unterschiedenen  Form  pflanzlicher  Parasiten  der  weiblichen 


für  Geburtsbälfe  in  Berlin.  15 

Sexual organe.  Die  Abweichung  derselben  von  der  bisher 
besprochenen  besteht  vor  Allem  in  auffallend  grösserer  Fein- 
heit der  Filamente. 

Ohne  darauf  Gewicht  zu  legen,  ob  wir  es"  hier  mit 
eigentlichen  Pilzen  (Champignons)  oder  mit  Algen  zu  thun 
haben,  unterscheiden  wir  zwei  Formen.  Die  eine  entspricht 
der  in  der  Mundhöhle  vorkommenden,  von  Robin  als  Lepto- 
thrix  buccalis  bezeichneten  Alge.  Die  leinen  durchsichtigen 
Fäden  wachsen  in  langen  Büscheln«  unverästelt  von  einer 
feinkörnigen  Matrix  aus,  oder  man  findet  sie  isolirt,  verworren 
durcheinander  bis  zu  einer  Länge  von  0,05  Miliin),  und 
0,0005  Millim.  breit. 

Sie  ist  seltener  als  die  zweite  Form.  Diese  ist  etwa 
noch  einmal  so  breit  0,0008—0,001  Mülim.  und  bis  0,1  Millim. 
lang,  und  bereits  von Donnt (Cours  de  Microscopie,  Paris  1847) 
beschrieben,  später  von  Scanzoni  erwähnt.  Die  Fäden  sind 
steif,  gebogen  und  gegliedert,  zuweilen,  wenn  auch  sehr 
selten,  verästelt,  häufig  in  dichten  Haufen  beieinander,  nie 
von  einer  gemeinsamen  Matrix  ausgehend. 

Wenn  beide  Formen  auch  vom  botanischen  Standpunkte 
wesentliche  Differenzen  bieten,  so  haben  sie,  was  ihre 
praktische  Bedeutung  anbetrifft,  einen  gleichen  Wertb.  Sie 
kommen  in  anscheinend  normalem,  wie  krankhaft  verändertem 
Secrete  vor,  auf  gesunder  wie  erkrankter  Schleimhaut.  Sie 
verbreiten  sich  über  Vulva  wie  Vagina,  dagegen  habe  ich  sie 
nicht  im  Secrete  des  Gervicalkanals  gesehen.  Zwei  Mal  fand 
ich  die  zweite  Form  in  Gesellschaft,  der  breiten  Pilze.  In 
einem  dieser  Fälle  verschwanden  die  breiten,  während  die 
feinen  fortbestanden. 

Pathogenetische  Bedeutung  haben  diese  feinen  pflanzlichen 
Parasiten  nicht.  Da  wo  sie  in  grösseren  Mengen  vorkommen, 
ist  immer  vermehrtes  Secret  vorhanden,  insbesondere  mehr 
klebriges,  kleistriges  in  der  Vagina  zurückgehaltenes.  Die 
Kranken  klagen  wohl  in  solchen  Fällen  über  leichtes  Jucken 
und  Brennen,  weiche  Erscheinungen  indessen  eher  dem 
Secrete,  als  den  pflanzlichen  Parasiten  in  ihnen  zuzuschreiben 
ist,  da  andererseits  beim  Vorhandensein  sehr  vieler  Pflänzchen, 
aber  anderer  Beschaffenheit  des  Secrets,  sich  keine  Be- 
schwerden zeigen. 


]{j  I.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Die  Behandlung  beschränkt  sich  einfach  auf  Entfernung 
des  Parasiten  durch  wiederholte  Injectionen. 

Herr  Z.  Mayer  erläuterte  darauf  seinen  Vortrag  durch 
Vorlegung  verschiedener  mikroskopischer  Präparate,  an  denen 
die  von  ihm  hervorgehobenen  Unterschiede  der  Pilzformationen 
deutlich  zu  erkennen  waren. 

Herr  Martin  hat  sowohl  bei  Schwangeren  als  Nicht- 
schwangeren  die  Leptotrix  unter  den  von  Herrn  Mayer  an- 
gegebenen Symptomen  in  Form  weisser  Plaques  plötzlich 
entstehen  sehen  und  die  Krankheit  durch  Injectionen  einer 
verdünnten  Höllensteinlösung  @j  auf  3iv  und  davon  1 — 2  Ess- 
löffel auf  l1/«  Tassen  Wasser)  schnell   zur  Heilung  gebracht 


Sitzung  vom  8.  April  1862. 

Von  Herrn  Madelung  in  Gotha  (Mitglied)  ist  der 
Gesellschaft 

eine   Missgeburt 

zugeschickt  worden,    welche  von  Herrn   Virchoiv  demnächst 
vorgelegt  und  erläutert  wurde. 

Dieselbe  war  ein  ausgetragenes  Kind,  von  gesunder 
Primipara  geboren,  auf  dessen  Brust  sich  eine  wall- 
nussgrosse  Grube  befand,  in  welcher  das  Herz, 
unbedeckt .  vom  Herzbeutel,  prolabirt  war.  Diese 
Grube  war  durch  eine  rothe  schleimhau  tahnliche  Membran 
geschlossen,  die  sich  scharf  gegen  die  mit  ihr  verwachsene 
äussere  Haut  absetzte  und  nach  innen  an  die  Wurzel  der 
grossen  Gelasse  anheftete.  Das  auf  diese  Weise  vollständig 
zu  Tage  liegende  Herz  war  anscheinend  um  seine  Achse 
gedreht,  zeigte  sich  indess  bei  genauerer  Untersuchung  in 
normalem  Situ  nur  in  der  gewöhnlichen  Form  etwas  geändert. 
Ausser  einer  vollständigen  Atresia  des  Ostium  pulmonale  fand 
sich,  dass  die  Aorta  vorn  und  rechts  entsprang,  sicli  dann 
aber  in  der  gewöhnlichen  Weise  nach  links  wendete,  während 
die  -  Hohlader   links   gelegen    war.     Der   Blutkreislauf   in    den 


liir  Geburtöhülfe  in  Berlin.  •  17 

Lungen  war  während  des  Fölallebens  ganz  durch  den  Ductus 
Botalli  vermiltelt  worden. 

Herr  Virchow  hatte  die  Eröffnung  der  Brusthöhle  von 
beiden  Seiten  her  vorgenommen,  so  dass  man  den  weiteren 
Verlauf  der  Gefasse  leicht  übersehen  konnte,  ohne*  die  Eigen- 
tümlichkeit der  Missbildung  zu  stören.  Die  inneren  Brust- 
und  Bauchorgane  waren  normal  gebildet,  so  dass  schon  daraus 
der  Schluss  gerechtfertigt  erschien,  dass  die  Verbildung  sich 
nicht  in  der  frühesten  Zeit  gebildet  habe. 

Eine  fernere  Abweichung  zeigte  sich  am  Schädel:  An 
der  hintgren  Grenze  der  Stirnbeine  erhoben  sich 
hinter  einander  zwei  dünnhäutige  Blasen,  durch  eine 
tiefe  Furche  von  einander  getrennt,  von  denen  die  eine  dem 
grossen,  die  andere  dein  kleinen  Hirne  entsprachen.  In  dieser 
Furche  inserirte  sich  eine  grosse  Falte  der  Eihäute. 
Die  Piacent  a  war  sehr  verschieden  entwickelt,  einzelne  Cotyledonen 
ganz  geschrumpft,  andere  normal  gebildet.  Ausserdem  fand 
sich  noch  eine  durchgehende  Gaumenspalte  und  eine  leichte 
Klumpfussbildung,  welche  die  Hydrocephalia  congenita  nicht 
selten  begleitet. 

Herr  Virchow  knüpfte  an  dieses  Präparat  folgende  Be- 
trachtungen. Interessant  sei  die  Verwachsung  der  Eihäute 
mit  dem  Fötus;  jedes  Mai,  wo  diese  stattfinde,  seien  be- 
deutende Störungen  die  Folge  derselben  (Uydrocephalie, 
Auencephalie  u.  s.  w.).  Es  sei  nun  die  Vermuthung  nahe 
gelegt,  dass  die  Exocardie  möglicherweise  aus  derselben 
Ursache  hervorgegangen  sei.  Spontane  Abschnürungen  seien 
häufig  nur  noch  in  den  endlichen  Resultaten  vorhanden, 
während  die  Ursachen,  die  einschnürenden  Ligamente,  nicht 
mehr  nachweisbar  seien.  So  sei  es  auch  möglich,  wenn 
auch  nicht  strict  nachzuweisen,  dass  in  diesem  Falle  durch 
eine  Aiiheftuug  der  Eihäute  in  der  Herzgegeud  ein  Hydro- 
pericardium  entstanden  sei,  dieses  die  Schliessung  der  Brust- 
höhle gehindert  habe  und  endlich  geborsten  das  Herz  auf 
diese  Weise  blos  gelegt  habe.  Die  Oberfläche  des  Herzeus 
sei  etwas  rauh  und  deute  wohl  auf  einen  entzündlichen  Process, 
wiewohl  diese  Beschaffenheit  auch  Folge  der  schon  ein- 
getreteneu   Maceratiou    sein    könne;    die    Verschliessung    der 

.UuuuUachr.  f.  l>«l>nrtsk.   18d'2.    IUI.  XX.,  Uff.  t  2 


18  'I.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Lungenarterie   indess   könne  jedenfalls   nur  durch  einen  ent- 
zündlich adhäsiven  Process  zu  Stande  gekommen  sein. 

Ein  zweites  von  Herrn  Virchow  vorgelegtes  Präparat 
betraf  einen -circa 

sechsmonatlichen  vollständigen  Acephalus, 
der  neben  zwei  wohlgebildeten  Fruchten  als  Drilling  geboren 
war.  Aus  der  von  Herrn  Brandt  mitgetheilten  Geburts- 
geschichte entnehmen  wir,  dass  das  erstgeborene  gesunde 
Kind  eine  eigene  Eihaut  und  Placenta,  das  zweite  und  der 
Acephalus  hingegen  nur  eine  Placenta  und  gemeinsame  Eihäute 
hatten;  die  beiden  Nabelstränge  der  letzteren  verliefen  fast 
um  das  halbe  Ei  in  den  Eihäuten,  ehe  sie  sich  in  der  Nach- 
geburt inserirten. 

Das  Präparat  erschien  durch  einen  narbenartigen  Höcker 
anf  der  höchsten  Stelle  wie  ein  Rumpf,  von  dem  der  Kopf 
unter  dem  Halse  abgeschnürt  war.  Der  Mangel  des  Kopfes 
war  mdess  nur  scheinbar,  denn  auf  der  vorderen  Fläche 
dieses  sogenannten  Rumpfes  zeigte  sich  etwas  unter  dem 
oberen  Ende  eine  kirschgrosse  leicht  behaarte  Stelle  mit 
knochiger  Unterlage  und  unter  derselben  eine  haselnussgrosse 
unregelmässig  warzige  Bildung,  aus  welcher  man  bei  genauerer 
Untersuchung  die  Augenwimpern,  zwei  rudimentäre  Augen, 
die  Nase  und  den  Mund  erkennen  konnte.  Der  übrige  Theil 
des  Körpers  war  vollkommen  normal  gebildet,  nur  an  den 
Fingern  und  Zehen  waren  theil  weise  Defecle,  welche  durch 
Furchen,  Verdrehungen  und  vollständiges  Fehlen  einzelner 
Theile  auf  einen  analogen  Process,  wie  im  vorigen  Falle, 
deuteten. 

Namentlich  das  Rudiment  einer  Zehe,  welche  nur  durch 
eine  kleine  Hautpapille  vertreten  war,  gab  Herrn  Virchow 
Veranlassung,  seine  Ansicht  über  die  spontanen  Amputationen 
dahin  zu  erläutern,  dass  er  diese  nicht  als  wirkliche  Ampu- 
tationen fertiger  Gebilde  durch  Strangulation  ansehe,  sondern 
In  den  meisten  Fällen  als  die  Folge  entzündlicher  Processe, 
welche  an  einzelnen  Theilen  durch  narbige  Zusammenziehungen 
von  vorn  herein  die  Entwickelung  derselben  hemmten,  während 
andere  benachbarte  (in  diesem  Falle  z.  B.  die  übrigen  Zehen) 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  19 

von    dieser   Störung    gar   nicht   oder  in    geringerem    Maasse 

betroffen,    sieb    mehr    oder    weniger  frei    weiter    entwickeln 
könnten. 


Sitzung  Tom  29.  April  1862. 

Herr  Gusserow  verlas  folgenden 
Beitrag  zur  Lehre  von  der  Osteomalacie. 

Unter  131  neuerdings  von  Litzmann  gesammelten  Fällen 
von  osteomalacischer  Erkrankung  geboren  35  solchen  Frauen 
an,  bei  denen  die  Krankheit  nach  wiederholten  Wochenbetten 
aufgetreten  ist  Ausgenommen  hiervon  sind  nur  vier,  die 
schon  nach  dem  ersten  Wochenbette  erkrankten.  Es  bestätigt 
diese  Zusammenstellung  von  Neuem  die  bekannte  Thatsache, 
dass  die  in  Rede  stehende  Krankheit  wesentlich  mit  dem 
Puerperium  im  Zusammenhange  ist,  wie  auch  nur  wenig  Fälle 
bekannt  sind,  in  denen  Mädchen  oder  Männer  erkrankt  wären. 

Was  das  Wesen  der  Krankheit  anbelangt,  so  besteht 
unsere  Erkenntniss  desselben  eigentlich  nur  darin,  dass  die 
Kalksalze  des  Knochens  verschwinden,  lieber  den  Einfiuss 
des  Wochenbettes  auf  Entstehung  der  Osteomalacie  hat 
man  meines  Wissens  kaum  Erklärungsversuche  gemacht  und 
höchstens  von  schwächendem  Einflüsse  wiederholter  Geburten 
auf  den  Organismus  gesprochen.  Wenn  chemische  Unter- 
suchungen ohne  Zweifel  über  pathologische  Zustände  Aufschluss 
zu  geben  vermögen,  so  muss  man  dies  um  so  sicherer  in 
den  Fällen  hoffen,  wo  man  es  hauptsächlich  mit  der  Auf- 
suchung anorganischer  Verbindungen  zu  thun  hat.  Nicht  ohne 
Grund  hat  man  deshalb  von  jeher  bei  allen  Untersuchungen 
ober  Osteomalacie  sich  bestrebt,  den  Verbleib  des  Kalkes  zu 
erforschen,  da  man  ohne  Zweifel  dem  Wesen  des  ganzen 
Krankh eitsprocesses  bedeutend  näher  gerückt  ist,  sobald  man 
den  Weg  kennt,  auf  welchem  der  Kalk  vorzüglich  ausgeschieden 
wird.  Zuvörderst  liest  man  oft,  dass  seeundäre  Kalk- 
ablagerungen in  anderen  Organen  des  erkrankten  Körpers, 
z.  B.  in  den  Lungen,  auf  der  Bronchial-  und  Dannschleim- 
haut (Lambl,  Pagenstecher) ,  auf  der  äusseren  Haut  u.  s.  w. 


20  '•    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

gefunden  worden  seien.  Obwohl  mir  in  diesem  Punkte  keine 
eigenen  Erfahrungen  zu  Gebote  stehen,  so  möchte  ich  doch 
behaupten,  dass  dieses  Vorkommen  äusserst  selten  sein  müsse, 
denn  in  keinem  Sectionsberichte,  soweit  ich  die  Literatur 
der  Osteomalacie  kenne,  wird  eines  derartigen  Befundes  Er- 
wähnung gethan  (Kilian,  Gerster,  Lampe,  Proesch  u.  s.  w.). 
Weil  sicherer  constatirt  ist,  dass  in  vielen  Fällen  der  Urin 
überreich  an  Kalksalzen  gewesen  ist.  Proesch  fand  auch 
das  Blut  reicher  an  Kalksalzen  als  normal. 

Ueber  den  Gehalt  der  Milch  an  Kalk  in  diesen  Fällen 
habe  ich  keinerlei  Notizen  finden  können.  Bei  der  Seltenheit 
der  Krankheit  an  und  für  sich,  bei  der  Schwierigkeit  in 
derartigen  Fällen  Milch  zu  erhalten,  wird  man  es  gerechtfertigt 
finden,  wenn  ich  Untersuchungen  vortrage,  deren  Zahl  äusserst 
gering  und  deren  Resultat  auch  nicht  so  evident  ist,  dass 
man  daraus  Schlüsse  von  absoluter  Richtigkeit  für  alle  Fälle 
machen  könnte;  die  aber  wohl  einen  Fingerzeig  zu  geben  im 
Stande  sind,  in  welcher  Weise  gerade  das  Wochenbett  die 
Ausbildung  und  den  rapiden  Forlschritt  der  Krankheit  be- 
günstigt. 

Auf  die  Untersuchung  der  Milch  wurde  ich  zunächst 
durch  den  Umstand  aufmerksam  gemacht,  den  der  Herr 
SanitäUrath  Winckel  zu  Gummersbach  hier  in  der  Gesellschaft 
erwähnte,  dass  nämlich  in  seiner  Gegend  die  Sitte  oder 
besser  gesagt  Unsitte  herrscht,  die  Kinder  überaus  lange  zu 
säugen.  Dies  geschieht  aus  Armulh  und  auch  wohl  in  der 
Hoffnung,  eine  neue  Conception  dadurch  möglichst  hinaus- 
zuschieben. Mein  Freund  und  College  Dr.  Winckel  hat  mir 
erlaubt,  aus  seinen  ausführlichen  Notizen  kurz  die  Dauer  des 
Säugegeschäfts  bei  verschiedenen  Frauen  seiner  Heimath,  die 
alle  mehr  oder  minder  hochgradig  an  der  Osteomalacie  er- 
krankt siud,  mitzutheilen. 

1*  Eine  Frau,  bei  welcher  die  dritte  Geburt,  nachdem 
das  Kind  durch  Uterusruptur  in  die  Bauchhöhle  getreten  war, 
durch  den  Bauchschnitt  von  Herrn  Sanitätsrath  Winckel 
beendet  werden  musste,  hatte  ihr  erstes  Kind  1  Jahr  4  Wochen 
gestillt,  das  zweite,  trotzdem  in  dieser  Schwangerschaft  die 
Erkrankung  schon  begann,  wieder  ein  Jahr. 


für  Geburtehülfe  in  Berlin.  21 

2.  Fruu  W.  hat  fünf  Kinder,  jedes  1  Jahr  8  Monate 
ungefähr  gestillt,  das  erste  z.  B.,  bis  sie  die  Kindesbewegungen 
des  zweiten  fühlte.  Die  Erkrankung,  in  der  zweiten  Säugungs- 
periode  begonnen,  hat  so  zugenommen,  dass  die  sechste 
Entbindung   mittels  Kephalothrypsie  gemacht  werden  musste. 

3.  Frau  H.  säugte  ihr  erstes  Kind  iy4  Jahr,  das 
zweite  eben  so  lange;  in  dieser  Periode  begann  die  Krankheit. 
Das  dritte,  sechste,  siebente  Kind  wurde  eben  so  lange  gestillt. 
Das  achte,  welches  mit  der  Zange  unter  grosser  Anstrengung 
entwickelt  wurde,  musste  sie  nach  11  Monaten  von  der  Brust 
absetzen,  weil  die  gichtischen  Schmerzen  zu  heftig  wurden; 
seitdem  spürt  sie  grosse  Erleichterung. 

4.  Frau  K.  säugte  %  Jahre,  in  welcher  Zeit  die 
Krankheit  entstand.  Nach  dem  Absetzen  des  Kindes  verloren 
sich  die  Schmerzen  sehr.  Als  sie  das  zweite  Kind  26  Wochen 
genährt,  war  sie  von  Neuem  gezwungen,  das  Säugegeschäft 
aufzugeben. 

5.  Frau  8.  säugte  fünf  Kinder  iya— 2  Jahre,  erkrankte 
im  sechsten  Puerperium,  nachdem  sie  Zwillinge  !/4  Jahr 
genährt. 

6.  Frau  X.  nährte  das  erste  Kind,  V/%  Jahr,  das 
zweite  2  Jahre,  das  vierte  2  —  3  Jahre,  in  welcher  Sitzungs- 
periode die  Krankheit  begann.  Im  fünften  Puerperium  stillte 
sie  1  Jahr  8  Monate  und  hatte  auffallend  viel  Milch/  * 

7.  Frau  B.  Das  dritte  Kind  hatte  sie  an  der  Brust 
bis  zur  vierten  Schwangerschaft.  Dies  Kind  nährte  sie  eben 
so  lange ,' trotzdem  hier  die  Krankheit  begann.  Auch  das 
fünfte  Kind  wurde  ein  Jahr  lang  gestillt. 

8.  Frau  J.  reichte  ihrem  ersten  Kinde  gar  drei  Jahre 
lang  die  Brust  und  erst  die  erneute  Schwangerschaft  zwang 
sie  zum  Absetzen.  Das  zweite  Kind  stillte  sie  2V2  Jahre  und 
und  in  dieser  Säugungsperiode  begann  die  Erkrankung,  aber 
dies  hielt  sie  nicht  ab,  auch  das  dritte  Kind  zwei  Jahre  zu 
nähren. 

Endlich  9.  eine  Frau,  die  drei  Kinder  jedes  zwei  Jahre 
lang  nährte  und  in  der  letzten  Säugungsperiode  erkrankte. 

In  der  Literatur  ist  auf  diesen  gewiss  beachtenswerthen 
Umstand  wenig  Bücksicht  genommen,  doch  finde,  ich  bei 
Kutan  einen   Fall,    wo   eine   Frau    zwei  Jahre  .lang    gestillt 


22  I*    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

gestillt  hatte  und  dann  erkrankte,  bei  Proesch,  wo  die 
später  Erkrankte  ein  Jahr  lang  genährt.  Lampe  in  einer 
Bonner  Dissertation  vom  Jahre  1860  erwähnt  dieses  Unistandes 
auch  und  weist  ihm  insofern  einen  Einfluss  auf  die  Ent- 
wickelung  der  OsteomaJacie  zu,  als  die  Gesamiütconslitution 
der  Frauen  darunter  leidet.  In  einem  Falle  schiebt  er  dem 
Mangel  der  Milchsecretion  ein  langsames  Fortschreiten  der 
Krankheit  zu. 

Mein  College  Winckel  hatte  die  Gute,  mir  bei  seiner 
Anwesenheit  in  Gummersbach  zwei  Proben  von  TMfilch  zu 
schicken,  die  von  Wöchnerinnen  herstammten,  die  in  exquisiter 
Weise  osteomalacisch  waren.  Um  nun  einen  Vergleich  zwischen 
dem  Kalkgehalte  dieser  Proben  mit  normaler  Milch  zu  haben, 
wurden  von  etwa  sechs  gesunden  kräftigen  Wöchnerinnen  der 
Entbindungsanstalt  41,20  Grmm.  Milch  gesammelt,  um  auf 
diese  Weise  einigermaassen  eine  Durchschnittszahl  für  den 
Kalkgehalt  der  menschlichen  Milch  zu  finden.  Sehr  wohl 
weiss  ich,  dass  dies  ein  wenig  wissenschaftlicher  Weg  ist, 
allein  mir  blieb  kein  anderer  übrig.  Es  ist  ungemein  zeit- 
raubend, menschliche  Milch  in  nur  annähernd  hinreichender 
Quantität  von  einer  Wöchnerin  zu  erhalten  und  dann  wieder 
jede  einzelne  Probe  zu  untersuchen,  eben  so  mühselig  wie 
zeitkostend.  In  der  Literatur  sind  die  Angaben  über  diesen 
Punkt  so  spärlich  und  so  verschieden,  dass  sie  kaum  zu 
verwerthen  waren.  Allein  dass  eine  grosse  individuelle  Ver- 
schiedenheit des  Kalkgehaltes  in  der  menschlichen  Milch  vor- 
kommt, ist  sicher,  und  ich  verkenne  keineswegs,  dass  dadurch 
die  Sicherheit  meiner  Schlussfolgerung  einen  Abbruch  erleidet, 
jedoch  machen  meine  Untersuchungen  auch  keinen  anderen 
Anspruch,  als  den,  zuerst  concrete  Fragen  über  den  Einfluss 
des  Wochenbettes  auf  den  Verlauf  der  Osteomalacie  gestellt 
zu  haben. 

Die  gesammelten  41,20  Grmm.  dampfte  und  äscherte 
ich  ein,  nachdem  die  Asche  dann  mit  Schwefelsäure  und 
destillirlem  Wasser  Übergossen,  neutralisirte  ich  die  Lösung 
mit  Ammoniak  und  filtrirte  den  erhaltenen  Niederschlag  von 
Thonerde  ab,  fällte  dann  den  Kalk  durch  Oxalsäure  und 
bestimmte    ihn    dann    als    schwefelsauren    Kalk.     In    diesem 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  23 

Falle  fand  ich  neben  0,055  Graun.  Thonerdc  0,011  Grmnj. 
schwefelsauren  Kalk  =  0,0045  CaO  oder  gleich  0,0109  Procent.' 

Diese  wie  die  folgenden  Untersuchungen  machte  ich  im 
Laboratorium  des  Geh.  Rathes  Mitsclerlich  unter  der  gütigen 
und  bereitwilligsten  Leitung  meines  Freundes  des  Dt.  phil. 
Alex.MiUcherlich.  In  einer  ausführlichen  Arbeit  theilt  Boecker 
in  Bonn  (Beiträge  zur  Heilkunde,  Grefeld  1849)  eine  Anzahl 
von  Milchanalysen  mit,  in  denen  er  den  Gehalt  an  phosphor- 
saurem Kalk  berechnet  hat;  nach  diesen  zahlreichen  Daten 
schwankt  der  Gehalt  der  Milch  an  phosphorsaurem  Kalk 
zwischen  0,0074  Procent,  0,032  Procent  und  0,04  Procent, 
die  mittlere  Zahl  entspricht  ungefähr  für  Kalk  allein  einem 
Procentgehalte  von  0,0099  Procent,  einmal  fand  er  auch 
0,0067  Procent  CaO,  also  meißt  weniger,  als  ich  gefunden. 
Die  erste  Quantität  Milch,  die  ich  aus  Gummersbach  erhielt, 
stammt  von  einer  Frau  «7.,  deren  Krankengeschichte  mir 
Dr.  Winckel  nach  seiner  Aulzeichnung  in  Kürze  mitzutheilen 
erlaubt  hat.  Patientin  ist  37  Jahre  alt,  stammt  aus  einer 
gesunden  Familie  und  ist  seit  ihrem  15.  Jahre  regelmässig  alle 
vier  Wochen  menstruirt.  1847  zuerst  leicht  entbunden  säugte 
sie  das  Kind  1V2  Jahr;  1849  und  1852  erfolgte  die  zweite  und 
dritte  Entbindung  ebenfalls  leicht,  sie  stillte  jedes  Mal  1 V4  Jahr. 
In  der  vierten  und  fünften  Entbindung  (1853  und  1855), 
kamen  todte  Kinder  zur  Welt.  Bei  der  sechsten  Geburt  war 
eine  Schief  läge  des  Kindes  vorhanden,  nach  der  Wendung 
war  die  Extraction  des  nachfolgenden  Kopfes  wegen  be- 
ginnender osteomalacischer  Verbildung  des  Beckens  schwer. 
Aus  gleichem  Grunde  dauerte  die  Geburt  des  siebenten 
Kindes  am  10.  Mai  1860  elf  Stunden.  Dies  Kind  säugte  sie 
am  9.  August  1861,  wo  der  Dr.  Winckel  Milch  von  ihr 
nahm,  noch.  (Auch  noch  im  Decerober  1861  stillte  sie 
dasselbe.)  Die  Osteomalacie  ist  der  Beschreibung  nach  bei 
ihr  deutlich  ausgeprägt,  besonders  durch  die  Schnabelbildung 
der  Symphyse.  Aus  den  25,87  Grmm.  Milch,  die  ich  von 
dieser  Frau  erhielt,  bestimmte  ich  den  Kalk  als  CaO  C04  und 
erhielt  davon  0,015  Grmm.  =  0,0084  CaO  oder  0,0325  Procent. 

Die  zweite  von  mir  untersuchte  Portion  stammt  von  der 
hochgradig  osteoinalaciscb  erkrankten  Frau  Seh.,  deren 
Krankengeschichte  schon  Breisky  in  der  Prager  Vierteljahrs- 


24  I-     Verhandlungen  der  Gesellschaft 

schritt  nach  den  Mittbeilungen  des  Sanitätsrathes  Winckel 
gebracht  hat,  weshalb  ich  sie  hier  nur  kurz  erwähnen  will. 
Sie  hat  fünf  Mal  geboren  und  zwar  zwei  todte  und  drei 
lebende  Kinder,  von  denen  sie  zwei  jedes  fast  zwei  Jahre 
säugte.  Die  Krankheit  datirt  von  der  ersten  Säugungsperiode 
und  ist  so  hochgradig,  dass  Herr  Sanität  srath  Winckel  am 
1.  August  1860  den  Kaiserschnitt  mit  günstigem  Erfolge  für 
Mutter  und  Kind  machte«  (S.  Monatsschrift,  Januar  1861). 
Im  August  1861  saugte  sie  dies  Kind  noch  und  zwar  bestand 
eine  reichliche  Milchsecretion.  (Das  Säugungsgeschäft  setzte 
sie  bis  zum  Ende  September  1861,  wo  das  Kind  starb,  fort.) 
Von  der  Milch  erhielt  ich  20,182  Grmm. #  und  diese  enthielten 
in  0,035  Grmm.  feuerbeständigen  Salzen  0,004  Grmm.  Thon- 
erde  und  -an  CaO,  der  als  schwefelsaurer  Kalk  bestimmt  wurde, 
0,011  Grmm.  =  0,00452  Grmm.  CaO  =  0,0223  Procent. 

Vergleichen  wir  diese  Zahlen  mit  den  oben  beschriebenen 
bei  normaler  Milch,  so  ist  eine  bedeutende  Vermehrung  des 
Kalkgehaltes  'der  Milch  bei  Osteomalacie  nicht  zu  verkennen. 
Während  aus  41,20  Grmm.  normaler  Milch  0,00452  CaO 
erhalten  wurde,  war  die  gleiche  Quantität  in  20,182  Grmm. 
Milch  einer  osteomalacischen  Frau,  also  das  Doppelte; 
und  noch  mehr  im  zweiten  Falle,  wo  in  25,87  Grmm. 
0,0084  Grmm.  CaO  enthalten  waren.  Mit  den  Zahlen  von 
Boecker  verglichen,  ist  der  Ueberschuss  an  Kalk  in  der 
Milch  von  den  erkrankten  Frauen  noch  in  die  Augen  fallender. 

Mit  Recht  jedoch  kann  die  Bedeutung  so  vereinzelter 
Facta  angezweifelt  werden,  allein  sie  geben  immer  einen  zu 
beachtenden  Fingerzeig.  Für  spätere  Untersuchungen  und 
auch  in  praktischer  Beziehung  dürfte  es  räthlich  sein,  bei 
einmal  eingetretener  Osteomalacie  in  ferneren  Wochenbetten 
das  Säugen  gänzlich  zu  untersagen. 

Erwägt  man,  dass  dem  Säugungsgeschäft  an  und  für 
sich  schon  immer  seiner  schwächenden  Wirkung  wegen  ein 
übler  Ein  flu  ss  auf  den  Verlauf  der  Halisteresis  zugeschrieben 
wurde,  ferner,  dass  nach  Kiliari's  Beobachtungen  die  Milch- 
absonderung in  dieser  Krankheit  eine  besonders  reichliche 
ist,  und  bedenkt  man  dann  die  überaus  lange  Zeit,  die  in 
diesen  Fällen  die  Kinder  an  der  Brust  gelassen  worden  sind, 
s»  bedarf  es  nur  einer  geringen  Vermehrung  des  Kalkgehaltes 


för  Geburtshülfe  in  Berlin.  25 

der  Milch,  um  gerade  in  diesem  Umstände  eine  Ursache  ffir 
die  so  verderbliche  Einwirkung  des  Wochenbettes  auf  den 
Verlauf  der  Osteomalacie  zu  erblicken.  Hierzu  kann  man 
sich  immer  noch  der  Beobachtung  von  Heynsius  (Archiv  ffir 
hollandische  Beiträge,  I.)  erinnern,  nach  welcher  er  gefunden 
haben  will,  dass  mit  der  Zeitdauer  der  Absonderung  der 
Gehalt  der  Milch  an  Salzen  zunimmt.  Dass  gerade  im  Wochen- 
bette die  gross te  Quantität  des  Kalkes  mit  der  Milch  den 
Körper  verlasse,  dafür  konnte  eine  Beobachtung  von  Kutan 
sprechen,  der  bei  einer  osteomalacischen  Wöchnerin  den  Urin 
verhältnissmässig  arm  an  CaO,  aber  sehr  reich  an  POß  fand. 
Eine  sehr  geringe  Quantität  Urin  von  der  eben  erwähnten 
Frau  Seh.  zeigte  mir  auch  keine  /Vermehrung  der  Kalksalze. 
Dass  übrigens  nebenbei  auch  noch  in  anderer  Weise  der  Kalk 
ausgeschieden  werden  muss  und  auch  die  Resorption  desselben 
aus  den  Nahrungsmitteln  darniederliegen,  ist  klar  und  ich 
brauche  wohl  überhaupt  kaum  hinzuzufügen,  dass  für  die 
Aetiologie  der  Halisteresis  mit  dieser  Untersuchung  nicht  das 
geringste  gewonnen  ist,  denn  es  sind  ja  genug  Fälle  von 
hochgradiger  Erkrankung  dieser  Art  bekannt,  wo  nie  ein 
Wochenbett  vorangegangen  war. 

Herr  Virchow  spricht  seine  Ueberraschung  «us,  in  dem 
eben  gelesenen  Aufsatze  Beobachtungen  über  Verkalkung  der 
Bronchien  und  Lungen  erwähnt  zu  hören.  Als  er  im  Jabre  1855 
seine  darauf  bezöglieben  Veröffentlichungen  gemacht  (vergl. 
sein  Archiv,  Band  VIII.,  Seite  103),  die  indess  nicht  Fälle 
von  Osteomalacie  betreffen,  sondern  einen  Zusammenhang 
der  Kalkablagerungen  auf  Lunge,  Magen  u.  s.  w.  mit  Knochen- 
geschwülsten erwiesen  hatten,  habe  er  in  der  Literatur  ver- 
gebens nach  einschläglichen  Beobachtungen  gesucht  und  könne 
sich  auch  nicht  entsinnen,  seitdem  etwas  darüber  gelesen 
zu  haben. 

Herr  Ghisseroto  giebt  zu,  dass  die  Citate,  die  er  er- 
wähnt, aus  anderen  Schriften  (Pagenstecher,  Lambl  etc.) 
genommen  und  möglicherweise  auf  die  Virchow'sche  Arbeit 
zurückzuführen  seien. 

Herrn  Virchow's  Beobachtungen  über  Osteomalacie  sind 
ineist  an    senilen    Fällen   angestellt.     Nur   zwei  Mal   habe   er 


26  1.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

die  aus  dem  Puerperium  entstehende  Form  gesehen.  In  allen 
diesen  Fällen  von  Osteomalacie  habe  er  Kalkablagerung  nur 
in  den  Nieren  gefunden,  und  zwar  nicht  blos  an  den  Papillen, 
wo  sie  so  häufig  sei,  sondern  in  den,  Kanälchen  der  Cortical- 
substanz  und  zunächst  in  #den  Epithelien.  Sollte  es  sich 
bestätigen,  dass  in  der  Milch  osteomalacischer  Frauen  constant 
mehr  Kalk  vorkomme,  so  müsse  man  doch  in  der  Deutung 
dieser  Beobachtung  sehr  vorsichtig  sein.  Es  sei  nämlich 
faeüsch,  dass  in  dieser  Krankheit  die  Knochen  nicht  einfach 
Kalksalze  verlieren,  sondern  dass  an  einzelnen  Theilen  derselben 
Knochengewebe  verschwinde  und  dort  eine  Umwandlung  der 
Markgewebe  eintrete;  damit  würden  dann  freilich  auch  Kalk- 
salze frei,  welche  aus  dem  Blute  abgeschieden  werden  müssen 
und  dies  geschehe  in  der  Regel  durch  die  Nieren.  Erkranken 
diese  bei  längerer  Dauer  des  Processes,  so  können  dann 
metastatische  Ablagerungen  oder  Abschefdungen  eintreten. 
Es  sei  möglieb,  dass  in  solchen  Fällen  auch  die  Milchsecretion 
purificirend  auf  das  Blut  wirke;  dass  aber  durch  die  Milch- 
absonderung rückwärts  die  Knochen  angeregt  würden,  Kalk- 
salze abzugeben,  wie  man  aus  dem  Einflüsse  des  langen 
Säugens  folgere,  dafür  gebe  es  keine  einfache  Erklärung. 

Vor  allen  Dingen  sei  es  wesentlich  festzustellen,  in  welcher 
Verbindung  der  Kalk  in  der  Milch  vorhanden,  namentlich  ob 
er  an  ein  Albuminat  gebunden  sei,  denn  es  wäre  denkbar, 
dass  in  dieser  Krankheit  beim  längeren  Säugen  eine  käsestoff- 
reichere  Milch  abgesondert  werde.  In  osteomalacischen 
Knochen  habe  er  dasselbe  eigentümliche  Albuminat  gefunden 
(Archiv  f.  pathol.  Anat.,  IV.,  S.  308),  welches  Bence  Jones 
im  Harne  nachwies;  wäre  nun  der  Kalk  in  der  Milch  mit 
einem  lAlbuminate  zu  einer  Verbindung  zusammengetreten, 
die  in  den  Knochen  nicht  vorkomme,  so  wäre  es  eben  nicht 
wahrscheinlich,  dass  er  aus  den  Knochen  stamme. 

Uebrigens  mache  er  noch  auf  einen  Umstand  in  Bezug 
auf  die  Milchuntersuchungen  aufmerksam:  die  Osteomalacie 
trete  in  der  Regel  in  gewissen  Anfallen  auf  und  das  Fort- 
schreiten der  Krankheit  scheine  in  der  Zwischenzeit  eine 
Pause  zu  machen.  Nach  solchen"  Anfällen  erscheine  haupt- 
sächlich der  Kalk  im  Harne.  Wäre  dagegen  der  vermehrte 
Kalkgehalt  der  Milch  andauernd,  so  würde  dies  eher  dagegen 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  $}7 

sprechen,  dass  er  auf  die  Knochen  krank  hei  t  zu  beziehen  sei. 
Vielmehr  Hesse  sich  denken,  dass  die  prolongirte  Milch- 
absonderung allgemeine  Ernährungsstörungen  bedinge  und  die 
Knochenkrankheit  erst  die  Folge  davon  sei. 

Herr  Lücke  ciürt  eine  Beobachtung  von  Grouven,  die 
er  vor  längerer  Zeit  in  einem  landwirtschaftlichen  Journale 
gelesen,  nach  welcher  in  der  Gegend  von  Salzmünde  bei  einer 
epidemischen  Erkrankung  des  Rindviehes  an  Osteomalacie  die 
chemische  Untersuchung  der  Knochen  der  betroffenen  Thiere 
durchaus  keine  Differenzen  in  der  Zusammensetzung  von 
normalen  ergeben  hätten. 

Herr  Ourlt  erklärt  die  beim  Rindviehe  vorkommende 
Erkrankung  der  Knochenbrüchigkeit,  die  man  wohl  auch 
Osteomalacie  nenne,  für  einen  von  der  Osteomalacie  der 
Menschen  durchaus  verschiedenen  Process;  bei  jenen  werde 
der  Knochen  nicht  biegsam  wie  bei  diesen,  sondern  atrophisch 
und  dadurch  zu  Brüchen  leichter  geneigt. 

Herr  Winckel  erwähnt,  dass  schon  norwegische  Beob- 
achtungen über  diese  Rindviehkrankheit  aus  dem  vorigen 
Jahrhunderte  existirten,  behauptet  übrigens,  dass  die  bei  puer- 
peraler Osteomalacie  angestellten  chemischen  Untersuchungen 
der  Knochen  stets  eine  Verminderung-  ihrer  anorganischen 
Bestandteile  ergeben  hätten. 

Herr  Virchow  erklärt,  dass  er  weder  in  der  Praxis 
noch  in  den  anatomischen  Sammlungen  ein  Beispiel  von 
Regsamkeit  der  Knochen  gesehen  habe.  Verlegungen  kämen 
auch  bei  Rachitis  vor  und  die  Untersuchung  rachitischer 
Knochen  lasse  immer  eine  Zahl  von  Infractionen  innerhalb 
der  Knochenhaut  als  Grund  der  Deformität  nachweisen;  den- 
selben Vorgang  nehme  er  auch  bei  der  Osteomalacie  an. 
Das  restirende  Knochengewebe  zeige  in  dieser  Krankbeil 
keinen  Unterschied  vom  normalen,  aber  überall  fanden  sich 
Spuren  von  Infractionen.  Die  wächserne  Biegsamkeit  könne 
er  durch  kein  Beispiel  constatireh. 

Die  chemische  Untersuchung  von  Knochen  sei  übrigens 
vielen  Ungenauigkeiten  unterworfen.  Jeder  Knochen  müsse 
doch  erst  maceriren,  um  von  den  anhaftenden  Auskel- 
theilen  u.  s.  w.  gereinigt  zu  werden ;  wie  ungleich  die  Wirkung 


28  I*    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

der  Maceraüoii  nun  sein  könne,  liege  auf  der  Hand;  jeder 
Tag  mehr  nehme  natürlich  auch  dem  Knochen  organische 
Bestandteile  und  demgemäss  müssten  die  Resultate  der 
Untersuchungen  stets  ungenau  werden. 

Kurz,  er  glaube  nicht,  dass  zwischen  Bruchigkeit  und 
Östeomalacie  ein  wesentlicher  Unterschied  bestehe  (vergl. 
Archiv  f.  pathol.  Anatomie,  V.,  S.  492.) 

Herr  Winckel  hält  die  Beobachtung  entgegen,  dass 
Malacie  mit  dem  Puerperium  zusammenhinge  und  ausschliesslich 
bei  Frauen  beobachtet  werde.  Er  gebe  zu,  dass  ihr  Wesen 
in  Infractionen  bestehe.  Die  Brüchigkeit  werde  aber  eben  so 
bei  Männern  beobachtet  und  zeige  sich  in  deutlichen  Fractureu 
namentlich  der  Extremitäten,  welche  bei  jenen  nie  specifisch 
gefährdet  seien. 

Herr  Virchow  giebt  zu,  dass  der  Krankheitsprocess  sich 
nach  Umständen  auf  bestimmte  Stellen  localisiren  könne. 
Dies  bewiesen  eben  die  localen  Erkrankungen  in  der  Rachitis 
als  Craniotabes,  Hühnerbrust,  welche  in  der  Regel  ganz  isolirt 
aufträten.  Dass  nun  das  Puerperium  zu  einer  Erkrankung, 
namentlich  der  Beckenknochen,  disponire.  sei  nicht  gerade 
auffallend,  wenn  man  auch  den  näheren  Zusammenhang  nicht 
nachweisen  könne. 

Herr  Winckel  und  Herr  Gurlt  machen  geltend,  dass 
die  Östeomalacie ,  vom  Becken  auf  die  Extremitäten  übergehend, 
dort  ganz  andere  Erscheinungen  hervorriefe,  als  die  Kncfchen- 
brüchigkeit.  Es  seien  dann  nicht  Fracturen,  sondern  nur 
Infractionen  der  Extremitäten. 

Herr  Virchow  findet  indess  diese  Unterscheidung  nicht 
wesentlich.  Zerreisse  das  Periost  mit,  so  sei  es  eine  JVactur, 
bleibe  es  unverletzt,  so  sei  es  eine  Infraction.  Er  könne 
den  ganzen  Unterschied  daher  nur  als  einen  gradweise!] 
ansehen. 

Die  Debatte  wurde  hier  abgebrochen,  da  keine  neuen 
Gesichtspunkte  mehr  aufgestellt  wurden. 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  29 

Herr  Martin  referirte  über  folgenden  von  Dr.  Hegar 
in  Darmstadt  (Mitglied)  eingeschickten  Aufsatz: 

Fistu]a  vesicovaginalis.  Weiter  Abstand  der  Fistel- 
ränder der  Blase  und  Scheide.  Grosser  Defect  im 
Blasengrunde.  Gänzlicher  Mangel  des  unteren 
Harnleiterstuckes  rectiterseits.  Einmündung  des 
rechten  Harnleiters  innerhalb  des  Defectes.  Ope- 
ration. Tod  durch  Urininfiltration  in  Folge  der 
Eröffnung  freier  ZelJgewebsräume. 

(Mit  einer  Tafel  Abbildungen.) 

Elüabötha  St...,  27  Jahre  alt,  gesund  aussehendes, 
kräftiges  Bauermädcben,  von  mein*  als  mittlerer  Grösse,  kam 
vor  etwa  drei  Jahren  zum  ersten  Mal  nieder.  Die  Geburt  dauerte 
drei  Tage  und  verlief  ohne  Kunsthülfe.  Sehr  bald  nach  der- 
selben floss  aller  Urin  unwillkürlich  ab.  Mehrere  Wochen 
hindurch  litt  die  Entbundene,  soviel  man  aus  ihrer  spätem 
Angabe  entnehmen  konnte,  an  einer  sehr  heftigen  Unter- 
leibsentzündung. Die  rechte  untere  Extremität  blieb  zwei 
Monate  lang  fast  vollständig  gelähmt  Es  bildete  sich  in  der 
Folge  eine  fast  totale  Obliteration  der  Scheide  aus,  welche 
bis  in  das  Ostium  vaginae  reichte.  Hier  fanden  sich  drei 
Fistelöffnungen ,  durch  welche  der  Harn  abfloss.  Patientin 
unterwarf  sich  auf  der  Giessener  Universitätsklinik  und  hier  (in 
Darmstadt)  mehreren  Operationen,  welche  den  Zweck  hatten, 
den  Verschluss  der  Scheide  zu  vervollständigen.  Dr.  Simon, 
jetzt  Professor  in  Rostock,  welcher  die  Kranke  hier  in  Be- 
handlung hatte,  brachte  es  dahin,  dass  nur  noch  zwei  kleine 
Fistelöffnungeu  zurückblieben ,  •  welche  jedoch  der  Heilung 
hartnäckig  widerstanden.  Bewogen  durch  seine  Neuesten 
glücklichen  Erfolge  der  eigentlichen  Blasenscheidenfistel- 
operalionen  bei  sehr  grossen  Defecten  (über  die  Operation 
der  Blasen  -  Scheidenfisteln  etc.,  Rostock  1862,  pag.  50 
und  112),  entschloss  sich  Simon  bei  einer  kurzen  Anwesenheit 
in  Darmstadt,  während  des  Herbstes  1861,  die  obliterirle 
Scheide  aufzutrennen,  um  so  die  Vesicovaginalfistel  selbst  der 
Operation  zugänglich  zu  machen.  Die  Trennung  der  Scheiden- 
verwachsung gelang  auch  vollständig.  Die  Längenausdehnung 
der   fest   verwachsenen  Slelle   betrug   etwa  4  —  5  Ctm.     Als 


3()  T.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Leiter  bei  der  Trennung  dienten  zwei  Sonden,  welche  durch 
die  seitlich  gelegenen,  langen  und  gewundenen  Fistelcanäle 
eingeführt  wurden,  der  Katheter  in  der  Harnröhre  und  der  in 
dem  Mastdarme  betiudliche  Zeigefinger.  Nach  Trennung  der 
verwachsenen  Scheide,  schien  es  jedoch  nicht  rathsam,  die 
Operation  der  Fistel,  welche  hoch  oben  im  Vaginalgewölbe 
ihren  Sitz  hatte,  sogleich  vorzunehmen,  weil  die  Verwundung 
schon  sehr  bedeutend,  die  Scheide  auch  nach  Trennung  der 
Obliteration  sehr  eng  war.  Simon  kam  deshalb  nicht  mehr 
dazu,  die  Operation  der  Fistel  selbst  auszuführen  und  liess 
bei  seiner  Abreise  die  Patientin  in  meiner  Behandlung  zurück. 

Sitzbäder,  Einführung  dünnerer  und  dickerer  Specula, 
mehrere  Längeneinschnitte  in  stark  gespannte  Narbenstränge, 
Abtragung  einzelner  Schleimhautwülste,  führten,  während  der 
folgenden  acht  Wochen,  schliesslich  zu  einer  bedeutenden 
Erweiterung.  Die  Vornahme  der  Operation,  welche  von  der 
Kranken  dringend  gewünscht  wurde,  erschien  daher  möglich. 
Der  Zustand  vor  der  Operation  war  folgender: 

Die  äussern  Genitalien  sind  normal  beschaffen.  Die 
Scheidenschleimhaut  zeigt  eine  sehr  ungleiche,  narbige  Ober- 
fläche. Nach  Einführung  der  schmälsten  Rinne  unci  Platte 
des  Simon' sehen  Instrumentariums  erblickt  man,  hoch  oben 
im  Scheidengewölbe,  einen  wallnussgrossen ,  blaurothen  Vorfall 
der  Blasenschleimhaut,  welcher  in  das  Lumen  der  Scheide 
/herabhängt  und  die  Fistelränder  vollkommen  verdeckt.  Diese 
wer3en  erst  sichtbar,  nachdem  man  ein  kleines  Stück  Schwamm 
in  die  Blase  geschoben  hat,  welches  den  Vorfall  zurückhielt. 
Man  sieht  nun  eine  querlaufende  Spalte  von  etwa  2V2  Ctm. 
Länge.  Der  vordere  Rand  dieser  Spalte  stellt  sich  als  ein 
ziemlich  festgespannter,  härtlicher  Strang  dar,  welcher  schief 
von  rechts  und  hinten,  nach  links  und  etwas  nach  vorn  läuft. 
Diese  schiefe  Richtung  entsteht  dadurch,  dass  rechts  die  Scheide 
einen  kleineren'  Defect  erlitten  hat,  als  links.  Misst  man 
nämlich  von  der  Harnröhrenmündung  aus  nach  dem  vorderen 
Fislelrande,  so  erhält  man  rechts  etwa  ö1/^,  links  etwa  4^2  Ctm. 
Der  linke  Winkel  liegt  dicht  am  absteigenden  Schämbeinaste 
an,  ist  stellenweise  mit  demselben  verwachsen  und  gehl  spitz 
in  den  hinteren  Fistelrand  über.  Dieser  ragt,  als  ein  dünner 
Saum,  2m  von  der  vopderen  Wand  des  Ulerushalses  ab.    Nach 


für  Gebnrtshtilfe  in  Berlin.  31 

rechts  laufen  die  Fistelränder  nicht  in  einem  spitzen  Winkel, 
sondern  in  einer  seitlich  ausgebogenen,  nach  aussen  con- 
vexen  Linie  zusammen.  Oberhalb  des  nur  wenig  vor* 
springenden  Randes  der  Scheidenwandung  sieht  man  hier  auf 
eine  nach  rechts  ausgebucbtete  Fläche,  welche  von  einer 
glatten,  glänzenden  Membran  ausgekleidet  ist. 

Etwa  1 V2  Ctm.  unterhalb  des  hinteren  Fistelrandes  findet 
>sich  eine  trichterförmige  Einziehung,  durch  welche  eine  sehr 
dünne  Sonde  mehrere  Linien  weit  eingeschoben  werden  kann. 

Bei  der  Untersuchung  durch  den  Hastdarm  stösst  man 
nach  vorn  und  oben  auf  einen  festen,  harten  Körper.  Legt 
man  gleichzeitig  einen  Finger  der  andern  Band  auf  und  hinter 
dem  hinteren  Fistelrande  an,  so  kann  man  den  dicken 
Cervix  uteri  zwischen  den  Fingern  fahlen. 

Der  in  die  Harnröhre  eingeführte  Katheter  geht  bis  zum 
Blasenhalse  leicht  ein.  Hier  stösst  er  ai)  der  hinteren  Wand 
auf  ein  Hinderniss,  welches  man  leicht  überwindet,  sobald 
man  den  Handgriff  stark  senkt 

Die  Anfrischung  war  besonders  im  linken  Winkel  sehr 
schwierig.  Der  hintere,  vorn  Cervix  uteri  entspringende  Saum 
wurde,  seiner  dünnen  Beschaffenheit  wegen,  vollständig  ent- 
fernt. Auch  die  Anlegung  der  Naht  begegnete  links  grossen 
Schwierigkeiten.  Hier  konnte  ich  nur  ganz  kleine  und  sehr 
stark  gekrümmte  Nadeln  benutzen.  Dagegen  war  die  Schliessung 
der  Nähte  leichter,  als  ich  erwartet  hatte.  Die  Spannung 
war  rechts  unbedeutend.  Es  wurden  vier  weitgreifende  und 
vier  kurzgreifende  Nähte  angelegt.  Eine  kleine  Arterie  im 
rechten  Wundwinkel  spritzte,  zog  sich  nach  längerem  Auf- 
spritzen von  kaltem  Wasser  zurück.  Die  Operation  dauerte 
vier  Stunden  und  wurden  dabei  5  Unc.  Chloroform  verbraucht. 

Am  Abend  desselben  Tages  klagte  Patientin  über  heftige 
Schmerzen  in  der  rechten,  unteren  Bauchgegend,  erbrach  öfters, 
hatte  mehrmals  Schüttelfröste,  und  einen  Puls  von  120  Schlägen. 
Den  Urin  konnte  sie  willkürlich  durch  die  Harnröhre  entleeren. 

Am  folgenden  Tage  hatte  sich  der  Schmerz  über  den 
ganzen  Leib  verbreitet.  Derselbe  war  aufgetrieben  und  bei 
Berührung  sehr  empfindlich. '  Puls  130.  Der  Urin  konnte 
willkürlich  entleert  werden.  Auffallend  war  nur  die  sehr 
geringe  Menge  desselben,  obgleich  die  Kranke  ganz  trocken  lag. 


32  I-    Verhandlungen  der- Gesellschaft 

Am  dritten  Tage  Collapsus,  stetes  Erbrechen,  Delirien, 
Coma,  Tod  etwa  65  Stunden  nach  der  Operation. 

Die  Section  zeigte  in  der  Bauchhöhle  einige  Esslöflel 
rothlichen  Serums.  Der  ganze  peritoneale  Ueberzug  der  Blase, 
das  parietale  Blatt  des  Bauchteils  in  der  rechten,  untern 
Bauchgegend  ungemein,  stark  injicirt,  stellenweise  mit  Ecchy- 
mosen  bedeckt.  Das  subseröse  Zellgewebe  mit  einer  sulzigeu 
Masse  infillrirt.  An  andern  Stellen  zeigte  das  Bauchfell  keine 
wesentliche  Veränderung.  Das  Becken  wurde  mit  allen  seinen 
Weicntheilen,  sowie  mit  beiden  Nieren  und  Harnleitern  heraus- 
geschnitten, die  Blase  und  der  Mastdarm  durch  Ausspritzen 
gereinigt,  letzterer  mit  Watte  etwas  ausgestopft  und  dann  das 
Ganze  in  "coucentrirten  Spiritus  gelegt.  Nach  .vollständiger 
Erhärtung  wurde,  nach  den  Vorschriften  von  Kohlrausch, 
ein  senkrechter  Längendurchschnitt  gemacht,  wobei  die  rechte 
Seite  mehr  geschont  wurde. 

Fig.  1  stellt  diesen  Durchschnitt  dar.  Auf  Fig.  2  sind 
die  herausgenommenen  und  mehr  auseinandergelegten  Organe 
abgebildet,  um  die  auf  beiden  Seiten  abweichenden  Verhältnisse 
anschaulich  zu  machen. 

Zur  näheren  Erläuterung  der  Zeichuungen,  sowie  zur 
Beschreibung  anderer  pathologischer  Zustände,  welche  auf 
jenen  nicht  wiedergegeben  sind,  diene  Nachstellendes. 

Die  Ansicht  des  noch  erhaltenen  Beckens  von  oben  zeigte 
den  Scheitel  der  Blase  etwas  über  der  Symphyse  vorragend, 
seitlich  durch  alte  Adhäsionen  mit  den  stark  gespannten 
runden  Mutterbändern,  den  Tuben  und  dem  Uterus  verwachsen. 
Die  Excavalio  vesicouterina  durch  die  Relroüexion  des  Uterus 
fast  verstrichen  und  ausserdem  mit  festen,  brückenartigen 
Pseudomembranen  bedeckt.  Die  mit  zahlreichen  grösseren 
uud  kleineren  Kystchen  versehenen  Ovarien  durch  vielfache' 
Adhäsionen  mit  der  Tuber,  dem  Uterus  und  Mastdarm. vereinigt. 
Der  Douglas' sehe  Raum  besitzt,  in  Folge  dieser  Adhärenzen 
und  solcher  zwischen  Mastdarm  und  Ligg.  lata ,  einen  engen, 
trichterförmigen  Eingang.  Alle  diese  Veränderungen  sind  von 
altem  Datum. 

Die  Conjutata  vera  besitzt  37a". 

Auf  dem  Längendurchschnitte  der  rechten  Seite  (Fig.  1) 
zeigt   sich   die  Blase  in  ihrem  oberen  und  mittleren  Umfange 


ffir  Geburt« hülfe  in  Berlin.  83 

von  ganz  normalen  Formen.  Sie  besitzt  sogar,  in  Betracht 
des  langjährigen  Leidens  eine  grosse  Räumlichkeit.  Dagegen 
findet  sich  in  ihrem  Grunde  eiu  sehr  bedeutender  Defect. 
Ihre  hintere  Wand  endet  V/%  Ctm.  oberhalb  des  unteren  Uterin-  , 
endes  in  einer  scharf  begrenzten,  verdickten  Kante,  wekhe 
durch  lockeres  Zellgewebe  an  die  vordere  Gebärmulterwand 
angeheftet  ist.  Die  hintere,  untere  Wand  der  Blase  oder  viel- 
mehr des  Urinreservoirs  ist  daher  ausschliesslich  durch  jene 
gebildet  Der  Fistelrand  der  Blase  geht  nur  in  seitlicher 
Richtung  nach  aussen  und  vorn ,  steigt  alsdann  uaoh  unten  und 
innen  herab ,  wo  er  zuletzt  auf  die  wulstförmig  angeschwollene, 
hintere  Wand  der  Harnröhre  stösst  und  hier  endet.  Ueberall 
ist  der  Rand  der  Blasenwandung  scharf  abgegrenzt  und  dabei 
etwas  verdickt.  Der  Defect  selbst  stellt  eine  seitliche  Aus- 
buchtung dar,  'welche  bis  auf  die  untere  Partie  mit  einer 
glatten,  glänzenden,  feinen  Membran  ausgekleidet  ist.  Etwas 
in  der  mittleren ' Höhe  derselben  liegt  die  offene,  rundliche 
Mündung  des  Ureters,  l1/«  Ctm.  nach  aussen  und  hinten 
von  der  Einmündung  der  rfarnröhre,  3  Ctm.  nach  oben  und 
vorn  entfernt  von  der  Uterusöflnung.  Mit  der  Blasenwand 
selbst  steht  der  Harnleiter  in  gar  keiner  Verbindung. 

Nach  unten  ist  der  Defect  geschlossen  durch  die  Nähte, 
welche  die  Cervicalwand  des  Uterus  mit  einem  Lappen  der 
Scheidenwand  vereinigen,  welcher  fast  rechtwinklig  von  der 
hinteren  Urethralwand  nach  hinten  zu  läuft.  Ganz  nach  rechts 
ist  Scheidenwand  mit  Scheidenwand  vereinigt  Der  Defect 
ist  in  dem  unteren  Theile  nicht  mit  einer  glatten,  glänzenden 
Membran  ausgekleidet.  Diese  fehlt  in  Folge  der  Anfrisch ung, 
welche  sich  über  den  Fistelrand  der  Scheide  nach  oben  er- 
streckte. 

Auf  der  Unken  Seite  (Fig.  3)  sind  die  Verhältnisse 
andere.  Die  obere  Grenze  des  Defectes  läuft  hier  zuerst 
nach  aussen  und  unten ,  dann  nach  innen  und  unten.  Der 
Defect,  also  der  mit  einer  glatten  Membran  ausgekleidete 
Zwischenraum  zwischen  dem  Fistelrande  der  Blase  und  dem 
der  Scheide,  ist  in  seinem  Höhendurchmesser  kürzer.  Die 
Mündung  des  Harnleiters  fällt  daher  in  die  Blase  selbst,  wenn 
auch  dicht  an  der  Grenze  des  Defectes,  etwa  1  Ctm.  hinter 
der  Einmündung  der  Harnröhre. 

Monatsschr.  f.  GetmrUk.  1863.  Bd.  XX.,  Hft  1.  # 


34  '•     Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Bemerkenswert!!  sind  noch  folgende  Ergebnisse  der 
Uolersuchung. 

Die  Harnröhre,  4  Ctm.  lang,  steigt  in  einer  nach  vorn 
concaven  Linie  nach  aufwärts.  Ihre  hintere  Wand  endet  in 
einem  nach  dem  Blasenlumen  vorspringenden  Wulst,  welcher 
seitlich  in  den  Fistelrand  der  Blase  übergeht.  Die  Harn- 
röhrenscheidenwand  ist  dick,  beträgt  stellenweise  1  Ctm. 

Die  Scheide  ist  vorn,  von  der  Oeffnung  der  Harnröhre 
bis  zum  Uterus  4y2  Ctm.,  hinten,  vom  Ostium  vaginae  bis 
zum  Scheidengewölbe,  6  Ctm.  lang. 

Der  Uterus  ist  nach  rückwärts  gebogen.  Seine  obere 
Grenze  liegt  kaum  etwas  oberhalb  einer  Linie,  welche  man 
sich  horizontal  von  dem  Syinphysenrande  nach  rückwärts 
denkt.  Die  schmale  Höhle  verläuft  in  einem  nach  hinten 
concaven  Bogen.  Die  Vaginalportion  ist  nicht  mehr  vor- 
handen. Die  grössle  Lunge  der  Gebärmutter  beträgt  4%  Ctm., 
die  Länge  der  Höhle  31/*  Ctm.  Die  Wände  sind  dick  und 
derb.  Dicke  der  vorderen  Wand  ll/2  Ctm.,  der  hinteren 
Wand  2  Ctm.,  des  Fundus  2  Ctm. 

Der  Douglas'ache  Raum  erstreckt  sich  kaum  bis  zur 
Hälfte  des  Uterus  herab.  Hier  endet  er  7V2  Ctm.  entfernt 
vom  Promontorium.  Trennt  mau  jedoch  die  Verwachsung, 
so  sieht  man  das  Bauchfell  bis  zu  seiner  gewöhnlichen  Tiefe 
herabsteigen.  Die  unterste  Grenze  ist  dann  9V*  Ctm.  vom 
Vorberge  entfernt.  Im  unteren  Theile  des  Douglas'&chen 
Raumes  springt  vom  Uterus  ein  zapfenartiger,  kleiner  Wulst, 
wie  ein  Sporn ,  nach  hinten  zu  vor. l)  Derselbe  besteht 
aus  Gebärmuttersubstanz. 

Eine  sehr  starke  Zellgewebslage  befindet  sich  zwischen 
hinterem  Scheidengewölbe,  Uterus  und  Mastdarm,  welche  an 
manchen  Stellen  1V2  Ctm.  Durchmesser  von  vorn  nach  hinten 
hat.  Diese  starke  Zellgewebsdchichte  scheint  mir  in  Bezug 
auf  perimetri  tische  Enlzüudungen  und  Abscesse  hervorzuheben. 
Bekanntlich  haben  einige  französische  Autoren,  wie  Bermtiz, 
den  Sitz   dieser  Processe   fast   ausschliesslich   in   die  Bauch- 


1)  Auch  Kohlrausch  (Zur  Anatomie  u.  Physiologie  der  Becken - 
organe.  Leipzig  1664)  bildet  diesen  Zapfen  ab.  Er  lägst  ihn  au* 
blättrigem  Zellgewebe  bestehen. 


lür  Geburtxhhlfe  io  Berlin.  -  #5 

höhle  verlegt,  weil  ihnen  die  Zellgewebslageo  in  der  Nähe 
des  Uterus  von  zu  geringer  Ausdehnung  und  Stärke  schienen. 
Auch  Kohlrausch  bildet  nur  sehr  schwache  Zellgewebslageo 
ab.  Die  Verhältnisse  sind  gewiss  nach  der  Individualität  sehr 
verschieden  und  werden  sich  nach  dem  Fettzellgewebsreichthume 
des  ganzen  Körpers,  der  in  unserem  Falle  sehr  bedeutend 
war,  richten. 

Die  rechte  Niere  ist  nicht  halb  so  gross,  als  die  Unke. 
Das  Becken  und  die  Kelche  sind  sehr  erweitert,  mit  gewulsteter, 
schiefergrauer  oder  stark  gerötheter  Schleimhaut  Der  Harn- 
leiter ist  erweitert  und  besitzt  sehr  derbe,  dicke  Wände. 

An  vorstehende  Krankengeschichte  nebst  Sectionsbericht 
glaube  ich  folgende  Bemerkungen  anschließen  zu  dörfeu, 
welche  sich  auf  die  eigentümliche  Form  des  Leidens,  seine 
Entstehung,  Diagnose  und  Therapie  beziehen. 

Zu  den  seltener  vorkommenden  Urinfisteln  des  Weibes 
gehört  die  Blasenharnleiterscheidenfistel ,  bei  welcher  nicht 
allein  ein  Defect  in  der  Harnleiterscheiden  wand,  sondern  auch 
ein  solcher  in  der  Blasenharnleiterwand  existirt.  Simon  hat 
diese  Form  nach  einem  Sectionsbefunde  beschriebea  (Zur 
Heilung  der  Blasenscbeidenßsteln  u.  s.  w.,  Giessen  1854,  pag.51.) 

Man  kann  den  vorliegenden  Fall  ebenfalls  unter  diese 
Kategorie  bringen.  Ausgezeichnet  ist  er  jedoch  durch  den 
ausserordentlich  grossen  Defect,  welcher  rechts  nicht  blos  das 
untere  Stück  des  Urethers,  sondern  die  ganze  nächste  Umgebung 
der  Harnblase  betraf.  Ausgezeichnet  ist  er  dadurch,  dass  der 
Substanzverlust  vorzugsweise  und  in  grossem  Umfange  den 
Blasengrund  und  verhältnissmassig  viel  weniger  die  Scheide 
berührte.  Hervorzuheben  ist  ferner  noch  ganz  besonders  der 
weite  Zwischenraum  zwischen  den  Fistelrändern  der  Blase 
und  denen  der  Scheide.  Während  hei  den  meisten  Vesico- 
vaginaMisteln  die  Wandungen  der  Scheide  und  der  Blase  sich 
berühren,  so  dass  zwischen  beiden  kaum  eiu  Zwischenraum 
existirt  und  das  Ganze  nur  eine  Oeffuung,  ein  Loch  mit 
2 — 3'"  dicken  Rändern  darstellt,  bestellt  in  unserem  Falk 
ein  bis  zu  ll/t  Ctm.  grosser,  intermediärer  Raum.  Es  ist 
ein  Fistelgang  vorhanden,  welcher  freilich,  im  Vergleich  zu 
seiner  Höhe,  unverhältnissmissig  breit  ist.  Die  obere  Oeflhong 
dieses   Ganges    ist   durch    die   Ränder    der   Blasenwand,    dte 

3* 


36  I.    Verhandlungen  der  Geiellftohaft 

untere,  kleinere  Oellhuug  durch  die  Fistelränder  der  Scheide 
gebildet.  Die  hintere  Wand  des  Kanals  bildet  der  Uterus. 
Die  Seitenwände  bind  durch  eine  Fistehnembran  coustiluirt- 
Auch  nach  vorn  entsteht  dadurch  eiue,  wenn  auch  weniger 
hohe  Wandung,  dass  die  hintere  Wand  der  Harnröhre  be- 
trächtlich verdickt  ist  und  von  ihr  ein  noch  übrig  gebliebener 
Rest  der  Scheidenhaut  abgeht,  der  (vor  der  Operation)  narli 
unten  zu  herabhing.. 

Die  Entstehung  des  Hebels  datirt  von  einer  schweren 
Geburt*  welche  zwar  spontan  beendigt  wurde,  jedoch  eine 
ausgedehnte  Gangrän  der  Weichtheile  zur  Folge  hatte.  Die 
Gangrän  betraf  vorzugsweise  den  Blasengrund  und  die 
Mutlerniundslippen,  verhältnissmässig  in  geringerem  Grade  da* 
vordere  Scheidengewölbe.  —  Die  nach  der  Geburt  eingetretene 
Metroperitonitis  hatte  ausgedehnte  Verwachsungen  der  Beckeu- 
orgaue  und  Fixirung  des  retroflectirten  Uterus  zur  Folge. 
Ausserdem  bildeten  sich  aber  noch  die  beschriebenen  Ver- 
änderungen der  rechten  Niere  und  ihres  Harnleiters  aus, 
welche  sich  nur  aus  einer,  längere  Zeit  bestandenen  Stauung 
des  Urins  erklären  lassen.  Diese  Stauung  kam  nicht  dadurch 
zu  Stande,  dass  der  Urin  keinen  Abfluss  aus  der  Blase  hatte. 
Dagegen  spricht  die  bald  nach  der  Geburt  vorhandene  In- 
conüuenz,  ausserdem  aber  auch  das  normale  Verhalten  der 
linken  Niere  und  ihres  Urethers.  Die  Stauung  war  also 
bedingt  durch  ein  Hinderniss,  welches  die  Ausmünduug  des 
rechten  Harnleiters  verstopfte.  Berücksichtigen  wir,  dass  das 
Endstück  desselben  gänzlich  fehlte,  so  erscheint  es  als  gewiss, 
dass  während  des  Krankheilsprocesses,  welcher  mit  gaugranöser 
Abstossung  dieses  Theiles  und  der  umgebenden  Blasenwand 
endete,  ein  Verschluss  des  Harnleiters  stattfand.  Später  bahnte 
sich  der  Urin  wieder  einen  Weg.  Dass  hierbei  keine  Urin- 
Infiltration  sich  bildete,  hat  wohl  darin  seine  Ursache,  dass 
während  des  phlegmonösen  Entzündungsprocesses  eine  Ver- 
schliessung  der  freien  Zellgewebsräume ,  durch  die  sich  bildende 
Fistelmembran  entstanden  war. 

Die  Diagnose  einer  solchen  Fistel  mit  weitem  Abstände 
der  Blasen-  und  Scheidenränder  unterliegt,  wie  ich  glaube, 
sobald  man  darauf  aufmerksam  ist,  keinen  besonderen 
Schwierigkeiten.     Nur   hat    man    sich   zu    hülen,    em<    glatte 


für  Getmrtfthiilfe  in  Berlin.  37 

überhäutete  Fläche,  welche  man  oberhalb  der  Fistelr&nder 
bemerkt,  ohne  genaue  Untersuchung,  für  die  Bläsenschleinihaut 
2u  halten.  Das  Ausseben  kann  sehr  täuschend  sein.  Mehrere 
meiner  CoDegen,  welche  schon  viele  Vesicovaginaltisteln  unter? 
sucht  haben,  wurden  ebenfalls  durch  diese  Beschaffenheit  der 
Fistelmembran  irre  geführt.  Erleichtert  wurde  die  Täuschung 
noch  durch  den  starken  Vorfall  der  Blasenschleimhaut,  welcher 
von  den  oberen  Partieen  herrührte.  Es  gicbt  übrigens  ein 
diagnostisches  Hulfsmittel,  welches  wohl  selten  im  Stieb  lassen 
wird. .  Dies  ist  die  Untersuchung  mit  dem  Finger.  In  unserem 
Falle  war  die  Kante,  iq  welcher  die  Blasenwandung  endigte, 
so  scharf  begrenzt  und  dabei  etwas  verdickt,  dass  man 
gewiss  mit  dem  Finger  dieselbe  deutlich  gefühlt  hatte.  Auch 
bemerkte  ich  jenen  Vorsprung  des  Blasenfistelrandes,  als  ich 
mit  dem  einen  Finger  im  Mastdarme,  dem  anderen  in  der 
Fistel,  die  Lage  des  Cervix  uteri  zu  bestimmen  suchte;  legte 
aber,  in  vorgefasster  Meinung  und  solche  aussergewöhnliche 
Verhältnisse  nicht  im  Geringsten  ahnend,  keinen  Werth  darauf. 

Bei  geringerem  Abstände  der  Fistelränder  wird  es  übrigens 
wohl  auch  möglich  sein,  durch  das  Speculum  die  Blasenwand 
frei  zu  legen  und  so  den  ganzen  intermediären  Baum  zu 
übersehen. 

Schwieriger  ist  die  Bestimmung,  ob  in  einem  solchen 
Falle  die  Harnleilerniündung  innerhalb  des  Zwischenraumes 
liegt  Simon  (Scanzoni's  Beiträge,  4.  Bd.,  pag.  21)  spricht 
von  der  Schwierigkeit  einer  Diagnose  der  Blasenharnleiter- 
scheidenfisteln:  „Man  könne  solche  nur  vermuthen,  wenn  der 
die  Fistel  bildende  Substanzverlust  an  den  Seitentheilen  des 
Vaginalgewölbes  liegt  oder  sieb  bis  dahin  erstreckt."  Den 
Sitz  der  Harnleiterscheideuiisteln  fand  Simon  auf  der  einen 
oder  anderen  Seite  des  Vaginalgewölbes,  wenigstens  1 — 2Ctm. 
vom  Muttermunde  entfernt  und  zwar  in  oder  hinter  einer 
geraden  Linie,  welche  man  sich  durch  die  querlaufende  Spalte 
des  Orif.  ext.  verlängert  denkt.  Mau  muss  also  aus  der  Aus- 
dehnung und  Bichtung  des  Defectes  auf  die  Betheiligung  der 
Uretheren  schliessen.  Es  hat  dies  etwas  sehr  Missliches,  iia 
die  anatomischen  Verhältnisse  bei  Vesicovaginalfisteln  oft  so 
verändert  sind,  dass  alle  richtigen  Anhaltspunkte  fehlen.  So 
war  in   unserem  Falle   keine  Vaginalportion   mehr  vorhanden. 


3g  I.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Der  Uterus  war  ausserdem  noch  dislocirl.  Der  Abstand  der 
Harnleitermündung  von  dem  Blasenende  der  Harnröhre,  weicher 
in  der  Norm  4  Ctm.  beträgt,  war  auf  1—1  !/4  Ctm.  verkürzt. 
Diese  Diagnose  wird  daher  stets  nur  eine  mehr  oder  weniger 
wahrscheinliche  sein.  Vielleicht  glückt  es  einmal,  unier  be- 
sonders günstigen  Umständen,  die  Hamleiteröflnung  frei- 
zulegen oder  zwischen  den  abstehenden  Rändern  der  Blase 
und  Scheide  eine  Sonde  in  dieselbe  einzuführen. 

Sowohl  von  diagnostischer,  als  besonders  von  grosser 
prognostischer  Bedeutung  erscheint  bei  Blasenscheiden/isleln 
der  Zustand  der  Nieren.  Erkrankungen  derselben  sind  bei 
diesen  Beiden  keine  Seltenheit  Man  Gndet  Concremenlbil- 
dungen,  Abscesse,  Erweiterung  und  Catarrb  des  Nierenbeckens 
und  der  Harnleiter,  Nierenatrophie.  Hierauf  wurde  bis  jetzt, 
wie  mir  scheint,  zu  wenig'  geachtet.  Auch  ich  versäumte  lei- 
der die  Untersuchung  des  Urins.  Freilich  ist  dieselbe,  wegen 
der  steten  Verunreinigung  mit  Scheidensecret,  wohl  schwierig. 
Doch  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  man  trotzdem  oft 
ein  richtiges  Resultat  erhallen  kann,  welches  nicht  allein  den 
Zustand  der  Niereri  aufklärt,  sondern  dadurch  selbst  Schlüsse 
auf  die  Entstehung  und  Form  der  Fistel,  Beteiligung  oder 
Nichtbelheiligung  der  Harnleiter  erlaubt.  In  unserem  Falle 
wäre  die  Diagnose  der  Nierenalrophie  von  grosser  Bedeutung 
gewesen. 

Was  die  Therapie  einer  solchen  Fistel  mit  weiter  Ent- 
fernung der  Blasen-  uud  Scheidenfistelränder  betrifft,  60  ist 
das  gewöhnliche  Verfahren  gewiss  conlraindirirt:  Wollte^  man 
sich  darauf  bescliränken  blos  die  Fistelränder  der  Scheide 
anzu frischen,  so  erhielte  man  keinen,  zur  Vereinigung  passenden 
Wundrand.  Sowie  mau  aber  hoher  geht  und  die  Fistelmem- 
bran verletzt,  so  öffnet  mau  freies  Zellgewebe  und  giebt  zu 
Urininfiltration  und  phlegmonöser  Entzündung  Veranlassung. 
Tod  durch  solche  ist  bei  Fisteloperationen  keine  Seltenheit 
und  ich  glaube,  dass  die  erwähnte  Ursache  oft  mitgewirkt 
haben  mag,  obwohl  man  in  der  Literatur  keine  genauen 
Secliousberichte  findet.  Das  einzige  Verfahren,  welches  bei 
diesen  Formen  erlaubt  erscheint,  ist  die  gänzliche  Verschliessung 
der  Scheide  durch  quere  Obliteration, 


ftir  0«b«r*liaif6  in  Berlin.  3$ 

Bei  nicht  bedeutendem  Abstände  der  beiden  Fistelränder 
Jedoch  kann  gewiss  recht  gnt  die  gewöhnliche  Operation  ge- 
macht werden.  Abgesehen  davon,  dass  dann  nur  eine  wenig 
ausgedehnte  Zellgewebslage  eröffnet  wird,,  so  wird  auch  durch 
das  Mitfassen  der  Blasenwand  in  die  Naht  die  Wunde  fest 
vereinigt  und  eine  Infiltration  verhindert. 

Sobald  jedoch  der  Urether  in  den  Defect  mündet,  kann 
nur  an  die  quere  Obliteration  der  Scheide  gedacht  werden. 

Erklärung  der  Abbildungen. 

Figur  1.  Senkrechter  Längendurchschnitt  der  rechten 
Beckenhälfte. 

A.  Symphysis  oss.  pub. 

B.  Letzte  Lendenwirbel,  Kreuz-  und  Steissbein. 

C.  Harnblase. 

D.  Mastdarm. 

E.  Scheide. 

F.  Gebärmutter. 

G.  Starke  Lage  von  Fettzellgewebe  zwischen  Mastdarm, 
Scheide  und  Uterus. 

H.  Die  Doppellinie  bezeichnet  den  Verlauf  des  Bauchfelles. 
Die  punktirte  Linie  bezeichnet  die  Ausdehnung  der 
Verwachsung  beider  Blätter  desselben  im  Douglas' sahen 
Räume. 

J.     Harnröhre. 

a.  Kleiner,  spornartiger  Wulst  der  Gebärmuttersubstanz, 
nach  dem  Douglas'schen  Räume  zu  vorspringend. 

b.  Grenzlinie  des  Blasendefectes. 

c.  Mündung  des  rechten  Harnleiters. 

d.  Rest  der  Scheidenwand,  welcher  vor  der  Operation 
mehr  nach  unten  herabhing,  jetzt  durch  Nähte  an  die 
vordere  Cervicalwand  des  Uterus  befestigt  ist. 

e.  Verdickte  und  wulstig  vorspringende  hintere  Wand  der 
Harnröhre,  welche  nach  der  rechten  Seite  zu  in  die 
Grenze  des  Blasendefectes  übergeht. 

Figur  2  stellt  die  bei  der  Fistel  betheiligten  Organe  der 

rechten, 


4Q  IT.    Meiatner,  Mitthei  langen  fkbtr  die  Th&tigkeit 

Figur  3  die'  der  linken  Seile  dar.  Es  ist  All»  mehr 
auseinandergelegt.  Die  Bucbstabenbezeichirnngeo  sind,  für 
beide  Seilen  gleich. 

A.  Nieren. 

B.  UretereB. 

C.  Blase. 

D.  Gebärmutter. 

E.  Scheide. 

F.  Harnröhre. 

b.  Grenzlinien  des  Blasendefectes. 

c.  Mundungen  der  Harnleiter. 

d.  Rest  der  Scheiden  wand,   welcher   an   den  Uterus  ge- 
näht ist 


IL 

Mittheilungen  über  die  Thätigkeit  und  die  Ver- 
handlungen der  Gesellschaft  für  Geburtshülfe 
zu  Leipzig 

im   siebenten  Jahre   ihres  Bestehens. 

(Fortsetzung.) 


III.   lieber  Leichenentbindungen. 

Beobachtungen  mehrerer  Gesellschafts  -  Mitglied  er , 

ziisHmmengefttellt 

von 

Dr.  med.  Emil  Apollo  Meissner. 

Vorgetragen  am  16.  Juli  1861. 

Die  Entbindungen  verstorbener  Schwaugerer  uud  Gebärender 
interessiren  in  vielfacher  Hinsicht ;  zunächst  durch  das  hohe 
Alter,  welches  in  gleicher  Weise  keine  andere  Operation, 
keine  andere  medicinalpolizeiliche,  noch  heule  gültige,  Vor- 
schrift aufzuweisen  hat :   wie    sich  ausserdem   auch    nirgends 


n.  d.  Yerhftnäl,  d.GesellaoJiAft  f.  Geburtslftilfc  EoLaipzig  etrv      4J 

der.ßmUnd  von  Männern  bei  der  Geburl  durch  die  ver- 
schiedensten Zeitalter  europäischen  Culturlebens  so  constaitt 
verfolgen  lässt  Die  Anerkennung,  welche  die  betreffende« 
gesetzlichen  Bestimmungen  unausgesetzt,  trotz  der  bisher  nur 
äusserst  spärlichen  gunstigen  Erfolge,  gefunden  haben,  welche 
die  Entbindungen  Verstorbener  gewährten  (von  331  Operationen 
nur  sechs  oder  sieben  Kinder  am  Leben  erhalten,  und  drei- 
zehn lebten  nur  einige  Stunden;  nach  HoJd's  Lehrbuch  der 
Geburtshülfe,  Leipzig,  1855,  p.  404)  ist  ein  Zeugniss  ihrer 
moralischen  Berechtigung,  gegenüber  welcher  kleinliche  An- 
fechtungen nicht  in  Betracht  kommen,  zumal  sie  ja  selbst 
.den  woblthätigsten  medicinal -polizeilichen  Zwangsverordnungen 
nirgends  erspart  blieben. 

Die  weiteren  Objecte  des  vielfachen  Interesses,  welche« 
Leichenentbindungen  darbieten,  fallen  mit  den  Indicationen 
und  sonstigen  Aufforderungen  zu  denselben,  sowie  mit  den 
Erörterungen'  über  Zweckmässigkeit  und  Erfolg  der  einzelnen 
Operationsmethoden  zusammen,  welche  den  Hauptstoß* 
der  heutigen  Besprechung  bilden  und  durcb  die  Erfahrungen 
und  Beobachtungen  mehrerer  GeseJlschaftsmitglieder  noch  mehr 
veranschaulicht  werden,  die  soweit  sie  mir  zugänglich  waren, 
an  betreffenden  Stellen  eingereiht  sind. 

tinter  den  Indicationen  der  Leicheuentbindungeii  nimmt, 
dem  Alter  und  der  Wichtigkeit  nach,  die  erste  Stelle  die 
Rettung  des  Kindes  ein,  von  welcher  naturlich  genau 
genommen  nur  von  der  Zeit  an  die  Rede  sein  kann,  in 
welcher  der  Fötus  sein  Leben  selhststandig  fortzusetzen  ver- 
mag. Es  fordern  daher  die  meisten  neueren  Gesetze  die 
Operation  nur  in  den  letzten  drei  Monaten,  während  die  älteren 
Vorschriften  noch  viel  weiter  zurückgehen,  ja  nach  Knebel'^ 
Grundriss  der  polizeilich-gerichtlichen  Entbindungskunde  (Bres- 
lau, Hirschberg  und  Lissa,  8.,  1861),  I.  Bandchen,  p.  127. 
ist  schon  da,  wo  nur  Vermuthung  der  Schwangerschaft  vor- 
handen und  die  Schwangerschaft  noch  nicht  bis  zu  dem  an- 
gegebenen Zeitpunkt  vorgerückt  ist.  die  Eröffnung  der  Leiche 
anzurathen."  Gleichzeitig  mit  der  Rettung  des  Kindes  con- 
curriren  vielfache  rechtliche  Fragen  namentlich,  hinsichtlich 
der  Erbfolge,  die  durch  ein,  selbst  nur  wenige  Minuten  an 
der  Aussenwelt  bestandenes  Fortleben  (Ueberleben)  des  Kindes 


48  U     MeUaner,  Mi tthei langen  über  die  Thfttigkett 

wesentlich  anders  zu  entscheiden  sind.  Nach  de»  T«fe 
des  Vaters  gilt  zwar  Lex  VII.  und  XXVI. ,  PandecL  de  statu 
hominis,  „qui  in  ventre  est  pro  iam  nalo  habetur,  si  de 
illius  commodo  agitur",  jedoch  nur  in  soferne,  als  dfe  Ent- 
scheidung der  Erbfolge  ad  interim  in  suspenso  bleibt  bis  erst 
mit  der  Geburt  des  lebenden  Fötus  (an  vielen  Orten  dessen 
erstem  Anschreien  der  Wände)  dieser  seine  natürliche  Rechts- 
fähigkeit, seine  Menschheitsrechte  erlangt, —  und  der  natürlichen 
Geburt  ist  die  vollendete  Trennung  des  lebenden  Kindes  von 
der  todten  Mutter  gleichgestellt  worden;  L.  12,  pr.  de  liberis 
sagt  nämlich:  quod  dicitur,  filium  nalum  rumpere  teste- 
mentum,  natum  accipe  et  si  exsecto  ventre  editus  est;  nam 
et  hie  rumpit  testamentum,  scilicet  sie  nascatur  in  potestate." 
Die  Pflicht  des  Staates,  för  die  Erlangung  der  Rechtsfähigkeit 
Unmündiger  zu  sorgen,  muss  neben  der  rein  humanistischen 
Tendenz  die  schleunige  Rettung  des  Kindes  nach  dem 
Tode  der  Schwangeren  unahweislich  fordern,  auch  wenn  die 
Erfolge  noch  weit  ungünstigere  Resultate  ergeben  sollten, 
als  ich  sie  im  Obigen  angab.  Früher  gab  auch  die  nach  dem 
Dogma  der  römisch-katholischen  Kirche  zur  Erlangung  der 
Seligkeit  erforderliche  vorgängige  Taufe  einen  weiteren 
Beweggrund  zur  schleunigen  Anstellung  des  Kaiserschnittes 
nach  dem  eingetretenen  Tode  Schwangerer  ab  !),  ja  es  war 
selbst  ein  vierzigtägiger  Ablass   dem   ertheiil,    wer  dies  an- 


1)  Dass  auch  in  der  Jetztzeit  noch  dieses  Motiv  wirksam 
ist,  bezeugt  folgende  tage  s  geschichtliche  Notiz  in  Potfitr's 
Allgem.  medic.  Centralzeitung,  SO.  Jahrg.,  p.  40  im  5.  Stuck 
vom  12.  Janaar  1861:  „Zu  den  interessanten  Fortschritten  der 
französischen  Medicin  gehört  ein  neuerlichst  von  Kergäradec  der 
Acad.  de  Mld.  vorgelegtes  Raisonnement  über  die*  Anwendung 
de«  Kaiserschnittes  nach  dem  Tode  einer  Schwangeren.  Der 
gelehrte  und  rechtgläubige  Herr  nimmt  an ,  dass  die  Seele  im 
Augenblick  der  Conception  entstehe,  dass  es  also  Pflicht  sei,  jede 
Schwangere,  gleichviel,'  in  welchem  Stadium  der  Schwangerschaft 
sie  sich  befinde,  alsbald  zu  öffnen,  am  den  Embryo  zu  taufen 
und  „„seine  Seele  für  den  Himmel  zu  retten aa.  Wenn  sich 
der  Arzt  zu  dieser  Obduetion  nicht  verstehen  will,  so  soll  dem 
Priester  das  Recht  zustehen,  diese  heilige  Handlung  zu  voll- 
ziehen. Wir  müssen  gestehen,  dass  wir  Herrn  Kergäradec  für- 
einen  durchtriebenen  Schelm  halten,  welcher  die  katholisirende 
Richtung  mit  vielem  Erfolge  persifflirt." 


n.  d.  Verhaadl.  d.  GmelJscfaaft  f.  GeburUbWf«  %n  L#lpiif  eto.      4$ 

XBiben  würde.  —  Soll  aber,  abgesehen  von  allen  theologische!) 
und  juristischen  Specialmotiven,  die  Leichenentbindung  eine 
wirklich  lebensrettende  für  das  Kind  werden,  so  muss  die- 
selbe schleunigst  nach  Consta tirung  des  eben  erfolgten  Todes 
der  Schwangeren  oder  Gebärenden  vollzogen  werden,  zumal 
die  Frage,  wie  lange  eine,  in  ihre  Hüllen  und  den  FruchthäUer 
eingeschlossene  Frucht  überleben  könne,  weder  bisher  beant- 
wortet wurde,  noch  deren  Antwort  überhaupt  im  Allgemeinen 
wird  gesucht  werden  können.  Dass  das  Alter  und  die  Con- 
stitution der  Frucht,  das  Befinden  der  Mutter  während  der( 
Schwangerschaft,  ferner  die  Todesursache  und  die  Schnellig- 
keit mit  welcher  diese  das  mutterliche  Leben  endete  und  viele 
andere  Umstände  hier  mancherlei  Abänderungen  und  Ver- 
schiedenheiten erzeugen  müssen,  leuchtet  von  selbst  ein« 
Wenu  einige  Autoren,  so  z.  B.  Spaeth  (Compendium  der 
Geburtskunde,  Erlangen  1857,  8.,  p.  397)  in  dieser  Beziehung 
aber  vorschrieben,  es  solle  namentlich  der  Kaiserschnitt 
noch  innerhalb  der  ersten  drei  Stunden  nach  dem  Tode  der 
Mutter  vorgenommen  werden;  so  möchte  diese  Frist  schon 
fast  zu  weit  gegriffen  sein,  da  selbst  die  sofort  nach  dem 
Tode  angestellten  Operationen  auch  in  Fällen,  wo  die  Dauer 
der  vorausgegangenen  Krankheit  eine  nur  sehr  kurze  war, 
oder  deren  periodisches  Auftreten  von  längeren  freien  Inter- 
vallen unterbrochen  wurde,  nach  schnellem  Verbluten  u.  s.  f. 
ein  m  für  das  Kindesleben  keinesweges  günstiges  Resultat 
lieferten.  Folgende  Fälle  aus  dem  Wirkungskreise  unserer 
Mitglieder  sind  sprechende  Beweise  dafür: 

Casus  1.  Leipzig,  29.  Juni  1830.  —  Stadtbezirksarzt 
Dr.  Grüntz  und  Dr.  Fr..  Ludw.  Meissner.  —  Eine  Maurer-  . 
gesellen-Ehefrau  vom  Lande,  welche  Markttags  in  den 
Häusern  der  Stadt  grüne  Gemüse  feil  trug,  erlitt  beim 
Treppensteigen  eine  Ruptura  varicis  cruris  sinistri,  die  sie 
anfangs  gar  nicht  bemerkt  hatte.  Später  hatte  sie  die  heftige 
Blutung  durch  ein  über  den  Strumpf  gebundenes  Tuch  zu 
stillen  gesucht,  war  dann  ganz  erschöpft  in  ein  Gewölbe 
des  Salzgässchens  getreten  und  dort  nach  der  kaum  aus- 
gesprochenen Bitte  um  Wasser,  alsbald  niedergesunken  und 
gleich  darauf  verschieden.  Nach  Abnahme  des  ganz  von  Blut 
durchdrungenen   Tuches   und   Entfernung  des   Strumpfes  sah 


44  II.    Meissner,  Mitthei langen  über  die  thfitigkeit 

M.  ein  grosses  Varixpolster  am  inneren  Knöchel  und  mitten 
auf  demselben  eine  Oeflnung  von  der  Grösse,  dass  ein  Gänse- 
kiel es  ungefähr  füllte,  aus  welcher  sich  kein  Blut  mehr  er- 
goss.  Da  O.,  gleichfalls  eiligst  hinzugerufen,  zustimmte,  dass 
hier,  wo  noch  keine  Geburtsarbeit  begonnen  hatte,  sofort  der 
Kaiserschnitt  gemacht  werden  mfisste,  so  wurde  dieser  von 
M.  sofort  unternommen,  und  ein  ausgetragenes  Mädchen  durch 
denselben  gewonnen,  welches  noch  deutliche  Herzschlage  wahr- 
nehmen Hess,  aber  trotz  der  emsigsten  Bemühungen  G.'s 
,  nicht  zum  Leben  gebracht  wurde. 

Casus  2.  —   Leipzig, 1845.  —  Dr.  Tlos$.  — 

Frau  X.  hatte  schon  mehrere  Kinder  geboren,  und  war 
wieder  im  letzten  Monate  schwanger,  als  sie  von  Febris  inter- 
miltens  perniciosa  befallen  wurde,  welche  im  Tertiantypus 
auftrat,  aber  dabei  die  Milz  nicht  aussergewöhnlicb  gross  er- 
kennen Hess.  P.  vcrmulhete  einen  Zusammenhang  zwischen 
diesen  Anfällen  und  einem  Knochenleiden  der  pars  petrosa, 
denn  schon  seit  langer  Zeil  halle  Patientin  Otorrhoe,  sowie 
die  Oeflnung  eines  Fistelganges  hinter  der  Ohrmuschel,  die 
unzweideutigsten  Zeichen  der  Caries  ausserdem  darbot.  Da 
aber  die  Section  nicht  gestattet  wurde ,  so  konnte  dieser 
dringend  vermuüiete  Connex  nicht  nachgewiesen  werden.  Der 
zweite  Anfall  war  schon  mit  Krämpfen  und  Besinnungslosig- 
keit, sowie  heftigen  Delirien  verbunden;  der  dritte  mit  Be- 
wusstlosigkeit  und  im  vierten  Anfalle  starb  die  Frau.  Etwa 
zwei  bis  drei  Stunden  •  nach  dem  angeblichen  Tode  unternahm 
P.  unter  Verweisung  des  sich  Anfangs  widersetzenden  Ehe- 
mannes auf  die  bestehenden  Gesetze  die  Sectio  Caesarea  in 
der  Linea  alba.  Das  Kind  war  bereits  todt,  erschien  auch 
junger,  als  der  Zeitrechnung,  wie  sie  Patientin  zu  Lebzeiten 
angab,  gemäss  zu  erwarten  war,  doch  entschieden  in  einem 
lebensfähigem  Aller.  Auch  war  allen  Erscheinungen  nach  der 
Tod  erst  ganz  kurzlich  erfolgt,  denn  noch  zwischen  dem  vor- 
letzten und  letzten  tödtlichen  Paroxysmus  hatte  die  Unter- 
suchung das  Leben  des  Kindes  nachgewiesen,  auch  die  Mutter 
selbst  noch  deutliche  Kindesbewegungeu  gefühlt.  Unmittelbar 
vor  der  Operation  konnten  aber  keine  Zeichen  vom  Leben 
des  Kindes  wahrgenommen  werden. 


_    u.  d:  Verband!,  d.  Gesellschaft  f.  Gebortehtilfe  so  Leipzig  etc.       45 

Casus  3.  —  Berlin, 185*.  —  Dr.  Credt  der- 
zeit Abtheilungs-Director  der  Charite.  Ruptura  varicis  am 
Knöchel  des  rechten  Fusses  bei  einer  Frau  am  Ende  der 
Schwangerschaft.  Blutung  heftig  bis  zum  Verfallen  in  tiefe 
Ohnmächten.  Nach  zweckmässigem  Verbände  Trausport  in  die 
nicht  entfernte  Charite,  wo  die  Frau  aber  schon  todt  ankam. 
Noch  keine  Vorbereitungen  zur  Geburt,  Fötalherztöne  nicbi 
mehr  zu  hören.  Etwa  fünfzehn  Minuten  nach  dem  Tode  wurde 
der  Kaiserschnitt  bereits  gemacht  und  ein  grosser,  kräftiger  - 
ausgetragener  Knabe  hervorgezogen,  welcher  aber  keinen 
Herzschlag  mehr  zeigte.  Die  dennoch  vorgenommenen  Be- 
lebungsversuche blieben  ganz  ohne  Erfolg.  (AnnaJen  des 
Charite- Krankenhauses  in  Berlin,  Jahrg.,  VII. ,  Heft  3.) 

Casus  4.  —  Leipzig,  4.  August  1859.  —  Professor 
Dr.  Crede.  —  Die  vierunddreissigjährige  grosse,  fette,  in  guten 
Verhältnissen  lebende  Frau  erkrankte  am  3.  August  Nach- 
mittags ohne  bekannte  Ursache  an  einer  wenig  schmerzhaften 
Affection  des  Unterleibes,  und  unter  geringer  Steigerung 
dieser  trat  am  4.  Morgens  nach  kurzer  Agonie  der  Toil 
ein;  wie  später  die  Section  ergab  iu  Folge  vou  Perforation 
der  rechten  Tuba  (Folge  eines  Verschwärungsproeesses)  uud 
innerer  Blutung.  Der  alsbald  nach  dem  Verscheiden  gemachte 
Kaiserschnitt  forderte  Zwillingskinder  von  ungefähr  achtmonat- 
lichem Alter  und  seit  wenigen  Tagen  abgestorben  zur  Well. 
(Professor  Dr.  Wagners  Sectionsbericht  in  Monatsschrift  für 
Geburtskunde,  Bd.  14,  Hell  6,  p.  436  —  439.) 

Ist  nun  sonach  anzunehmen,  dass  nieist  zugleich  mit  der 
Schwangeren  oder  Gebärenden  auch  deren  Leibesfrucht  ab- 
stirbt oder  mindestens  in  seiner  Lebenskrall  so  geschwächt 
ist,  dass  selbst  der  geriugste  Zeilverlust  die  höchste  Gefahr 
bedingt,  also  nur  höchst  selten  unser  Bestreben,  das  Leben 
des  Kindes  zu  retten,  von  Erfolg  gekrönt  sein  werde,  — 
so  ist  doch  damit  keineswegs  eine  Indication  für  ein  weiteres 
exspeetatives  Verfahren  gegeben,  vielmehr  erscheint  es  schon 
vom  moralischen  Standpunkte  aus  2)  als  heilige  Pflicht, 
den  in  der  Lex  Regia  enthaltenen  Vorschriften  in 
allen  einschlagenden  Fällen  bald thiiulichs t  Folge 
zu  leisten,  demnach  nicht  nur  selbst  noch  da,  wo  die 
Hoffnung   auf  Erlangung   eines   lebenden  Kindes   bereits   auf 


46  U-    <tf«»Wer,  Mitthei hingen  über  die  ThHtigkeit  - 

den  Nullpunkt   herabgesunken,    sondern   auch,    wo   nur    die 
begründete  Vermuthung  vorliegt,  die  Schwangerschaft  könne 
bis  zum  Ende  des  siebenten  Monats  vorgeschritten  sein.    Die 
Gesetzgebung  der  meisten  civilisirteu  Staaten  befiehlt  sogar  den 
Aerzten  da,  wo  z.  B.  der  Kaiserschnitt  post  mortem  von  den 
Angehörigen    versagt   würde,   gerichtliche   Hülfe   in  Anspruch 
zu  nehmen,  vielfaoh  sind  sogar  Strafen  auf  die  Unterlassung 
dieser  Operation  wegen  unbezweifelter  Herbeiführung  des  Todes 
der  Flucht  gesetzt  worden.   Das  neue  Strafgesetzbuch  Preussens 
hat   nun   zwar  die  früheren   gesetzlichen  Bestimmungen   des 
allgemeinen  Landrechts  aufgehoben,  so  dass  die  Angehörigen 
nicht  mehr  gezwungen  werden  können,  die  Leichenentbindungen 
vornehmen  zu  lassen,  und  es  wäre  zu  wünschen ,  dass  der  vom 
Med.-Rath  Dr.  Niemann  in  Ca$per9&  Vierteljahrsschrift  ge- 
lieferte Nachweis  darüber,   wie  wünschenswert  es  erscheine 
die  früheren  Vorschriften  unter  gewissen  Modifkationen  wieder 
einzuführen,  nicht  erfolglos  verhalle!    Es  mag  aber  hier  auch 
nicht  verkannt  werden,   dass   hier  im  Königreiche  Sachsen, 
wo  das  Gesetz  des  Numa  Pompilius  noch  in  ungeschwächter 
Giftigkeit  fortbesteht,    und  vom  Geburtshelfer  trotzdem  nicht 
selten   noch  der  Widerstand  der  Angehörigen   zu  bekämpfen 
ist,  dadurch  also  entweder  erst  eine  Belehrung  über  das  Be- 
stehen derartiger,  durch  die  Wissenschaft  begründeter  und  von 
wahrer    Humanität    dringend    gebotener  Gesetzartikel    nöihig 
wird,   oder  gar  die  Autorität   der  Ortsbehörde  noch  requirirt 
werden  müsste ;  —  meist  die  somit  verursachte  Verzögerung  in 
der  Ausführung,  dem  Gesetze  gerade  da,  wo  es  sich  in  seiner 
ganzen  Kraft   äussern  kann   und   soll,   die  Spitze   abbrechen 
macht.    Immerhin  ist  aber  das  Bestehen  dieses  Gesetzes  von 
unschätzbarem  Werlhe  und  wird  die  gewissenhaften  Intentionen 
des  Geburtsarztes   wesentlich    unterstützend,   das  Requiriren 
gerichtlicher  Hülfe   meist   entbehrlich  machen,   ist  aber  auch 
ganz  besonders  da  am  Platze,   wo  vielleicht  habsüchtige  An- 
verwandte der  Denata,  die  durch  ein  lebendes  Kind  zu  Gunsten 
dieses,  resp.  auch   dessen  Vaters,   sich  umgestaltenden  Erb- 
folgerechte, ihres  Vortheils  wegen,  nicht  alterirt  sehen  wollen, 
und  nur  deshalb  ihr  Veto  einzulegen  suchen. 

Casus  5.    —  Leipzig,    184*.    —    Dr.  Proack 

und  Dr.  Ploss.  —  X,  Schneiders  Ehefrau,  hatte  schon  mehr- 


n.  d  Verband!.  d."G«aeH*ch»ft  f.  Geburtshülfo  an  Leipzig  etc.       47 

mak  geboren  und  war  jeUt  hochschwanger  von  Proech  an 
einer  in  Abscess  übergegangenen  Entzündung  des  den  Pharynx 
und  Larynx  umgebenden  Zellgewebes  behandelt  worden.  Der 
Eiter  hatte  sich  nach  der  Brusthöhle  herabgesenkt  und 
durch  Druck  auf  die  Trachea  den  Tod  durch  Erstickung 
herbeigeführt.  Wegen  des  zu  überwindenden  Widerstandes 
der  Angehörigen  wurde  ungefähr  erst  vier  Stunden  nach  Ein- 
tritt desselben  die  Sectio  Caesarea  vorgenommen,  aber  schou 
vorher  hatte  man  bei  der  Untersuchung  kein  Zeichen  erhalten, 
dass  das  Kind  noch  lebe.  Schnitt  in  der  Linea  alba.  Mit 
dein  völlig  ausgetragenen,  grossen  und  starken  Kinde  wurden, 
während  es  noch  mit  dem  Nabelstrange  und  mit  der  Placeuta 
in  Verbindung  blieb,  Belebungsversuche  vorgenommen  und 
etwa  eine  halbe  Stunde  fortgesetzt,  doch  kehrte  dasselbe  nicht 
zum  Leben  zurück.  Ploss  nahm  den  Uterus  im  Zusammen* 
hange  mit  Eitheilen  und  Kind  aus  der  Leiche,  und  setzte  das 
Ganze  zu  Hause  in  Spiritus,  musste  es  aber  am  Abende  des- 
selben Tages  an' den  Ehemann,  der  es  zurückforderte,  wieder 
ausliefern. 

Casus  6.  —  Leipzig,  3.  November  1851.  —  Dr.  H.  L. 
Göpel  und  Dr.  Fr.  Ldw.  Meissner.  —  W.,  die  junge  Tochter 
einer  vormaligen  Hebamme  starb  an  Eclampsie,  nachdem  M. 
vergeblich  das  Accouchemenl  force  versucht  hatte.  Nur  das 
Vorhalten  der  gesetzlichen  Bestimmungen  ermöglichte  nach 
zwölf  Stunden  die  Laparohysterotomie,  welche  G.  verrichtete. 
Der  Uterus  zeigte  das  weisslich-gliezende  Ausseben  -wie  im 
nichtschwangeren  Zustande,  auch  nach  der  Entleerung  der 
Höhle  kein  Contracting  vermögen,  Blut  floas  nicht  aus  den 
Gefassen.  Der  in  Beckeulage  befindliche,  todte,  ausgewachsene 
Knabe  zeigte  blasige  Erhebung  der  Oberhaut.  *  Entwicklung 
des  Kindes  und  Entfernung  der  Nachgehurt  bewirkte  M.  ohne 
Anstand.  (Vergl.  Monatsschrift  für  Geburtskunde,  Bd.  14, 
Heft  4.) 

3.  Ein  jedenfalls  richtiges  ästhetisches  Gefühl  der 
Geburtsirzte  hat  weiter  diese  gesetzlichen  Bestimmungen  hin- 
sichtlich der  baldigen  Entbindung  verstorbener  Schwangerer 
und  Gebärender  noch  mehr,  und  zwar  auf  die  vollständige 
Entfernung  sämmtiicher  Eitheile  aus  dem  mütterlichen  Körper 
ausgedehnt.     Dahin  gehört  namentlich   das  Zutagefördern  der 


48  H.    MeUtner,  Mitthfti langen  über  die  «rhltigkeift 

noch  rückständigen  Kiudestheüe  bei  vorausgegangener  Zer- 
slückung  der  Frucht,  iu  specie  der  Decapitalion ,  sowie  die 
Lößung  der  Placenta  und  die  Entfernung  der  Nachgeburt. 
Einen  Fall  von  zurückgebliebenem  Kopfe  nach  vorgenommener 
Decapitation,  hoffe  ich  durch  die  Gute  mehrerer  Collegeu  später 
einmal  in  den  Stand  gesetzt  zu  sein,  Ihnen  mittheilen  zu 
können,  heute  stehen  mir  nur  zwei  Fälle  von  Nachgeburts- 
Operationen  zu  Gebote. 

Casus  7.  —  Kömmlitz  (Filialdorf  von  Oelzscbau,  ohn~ 
weit  Borna),  14.  Januar  1848.  —  Dr.  Fr.  Ludw.  Meissner 
in  Leipzig  wurde  am  gedachten  Tage  zu  einer  Gebärenden, 
Frau  Ä.,  beschieden,  welche  nach  der  naturlichen  Entbindung 
von  einem  kräftigen  und  gesunden  Knaben,  bedeutende  Blutungen 
erleide.  Während  der  Reise  des  Boten  und  der  if.'s  nach 
dem  zwei  Meilen  entfernten  Dorfe,  war  die  Mutter  in  Folge 
von  Verblutung  bereits  gestorben.  Die  Beseitigung  der  nur 
theilweise  getrennten  Placenta,  war  wegen  einiger '  sehniger 
Fasern,  welche  mittels  der  Nägel  aus  dem  weichen  Placentae 
gewebe  herauspräparirt  werden  mussten,  etwas  mühsam. 

Casus  8.  —  Leipzig,  .  .  August  184*.  —  Dr.  Uhlich. 
W.,  Tischlergesellen  -Ehefrau*  zweiunddreissig  Jahre,  regel- 
mässig menslruirt  gewesen,  und  mit  Ausnahme  der  in  der 
Kindheit  überstandenen  Rachitis,  welche  eine  massige  Becken* 
Verengerung  hinleriiess,  früher  stets  gesund;  war  zwei  Mal  schon 
mittels  Zange  von  einem  grosseu  Knaben  entbunden  worden, 
worauf  beide  Mal  die  fest  angelegte  Nachgeburt  gelöst  werden 
musste.  Am  rechzeiligen  Ende  dieser  ihrer  dritten  Schwanger* 
schalt  ohne  künstliche  Hülfe  mit  einem  Knaben  niedergekommen, 
hatte  sich  abermals  Retentio  placentae  gezeigt,  und  schon  nach 
einer  Stunde,  binnen  weicher  nur  ein  Arzt  zu  erlangen  ge- 
wesen, der  nicht  Geburtshelfer  war,  war  der  Tod  durch  Blutung 
eingetreten,  welchen  Reibungen  des  Uterus  und  innerliches 
Verabreichen  von  Elix.  acid.  Haller.  nicht  zu  stillen  vermochten. 
Zwei  Stunden"  später  ging  U.  mit  der  Hand  ein,  konnte  den 
slriclarartig  contrahirteu  Muttermund  leicht  wieder  erweitern, 
die  Nachgeburtstrennung  vervollständigen  und  unter  deren 
Wegnahme  kräftige  Zusammenziehungen  der  Uterusmuskulatur 
ohne  weitere  Blutung,  der  rückgängigen  Bewegung  der  Hand 
genau  folgend,  wahrnehmen.    Die  Sertion  wurde  nicht  gestaUrl. 


.  u.  d.  Verband!,  d.  GeaelUchaft  f  Gebartshülfe  zu  Leipzig  etc.       49 

Nächst  der  gesetzlich  vorgeschriebenen  Pflicht  des  Arztes, 
-der  Hoffnung  auf  Rettung  des  kindlichen  Lebens  und  den 
sonstigen  Humanitätsrücksichten ,  sollte  aber  4)  auch  das 
wissenschaftliche  Interesse  jeden  Geburtshelfer  veran- 
lassen, keine  Gelegenheit  vorübergehen  zu  lassen,  den  Kaiser- 
schnitt post  mortem,  oder  auf  anderem  Wege  die  Leichen* 
Entbindung  vorzunehmen,  die  uns  unmittelbar  nach  dem  Tode 
in  die  bis  dahin  lebenskräftig  thätige  Werkstätte  der  Fort- 
pflanzungsverrichtungen des  menschlichen  Weibes  fuhrt,  und 
daselbst  einen  freieren  Blick  in  die  Verhältnisse  gestattet,  als 
es  beim  Kaiserschnitt  an  der  Lebenden  durch  die  dort  un- 
gemein reichliche  Blutung  und  die  vielfachen  Rücksichten 
möglich  ist,  welche  wir  auf  Verhütung  des  Darmvorfalls,  auf 
Verhütung  sonstiger  Unfälle  zu  nehmen  haben,  und  die  durch 
die  nölhige  baldigste  Anlegung  des  Verbandes  bedingt  sind.  Es 
dürften  sich  aber,  wenn  wir  die  Vivisectionen  bei  Thieren  aus- 
nehmen, anderswo  schwerlich  so  passende  Gelegenheiten  uns 
darbieten,  das  selbstständige  Fruchtleben  im  Uterus,  die  bei 
gehinderter  Oxydation  des  fötalen  Blutes  auftretenden  Athem- 
bewegungen  in  der  Eihöhle,  den  Vagitus  uterinus  direct 
zu  beobachten,  wie  hinsichtlich  mehrerer  Fragen  über  das 
Functioniren  der  Placenta  bei  der  alleinigen  Herzaction 
des  Embryo  u.~  s.  w.,  namentlich  aber  auch  über  die  Fortdauer 
des  uterinalen  Contractionsvermögens  nach  dem  Tode  der 
Mutter  unbehinderter  und  klarer  sehen  zu  lernen,  als  es  hier 
bei  pflichtgetreuer  Ausübung  des  Berufes  uns  begegnet.  Die 
mir  heute  vorliegenden  Beobachtungen  konnten,  zumal  sie 
meist  schon  älteren-  Datums  sind ,  und  grösstentheils  nur  auf 
mangelhaften  Aufzeichnungen  in  den  Tagebüchern  der  Collegen 
begründet  sind,  nur  in  letzterer  Beziehung  einige  Auskunft 
gewähren,  auch  ist  ihre  Zahl  schon  an  sich,  wie  rücksichtlich 
der  Verschiedenheit  in  den  Todesursachen  und  in  der  Operations- 
zeit nach  dem  Erlöschen  des  mütterlichen  Lebens  aber  noch 
mehr  hervortritt,  viel  zu  gering,  um  aus  ihnen  das  Naturgesetz 
kennen  zu  lernen. 

Casus  9.  —  Leipzig,  15.  October  1830.—  Dr.  Fr.  Ldw. 
Meissner  entband  durch  den  Kaiserschnitt  die  ungefähr  seit 
zwei  Stunden  verschiedene  Frau  Kupferdrucker  K.    Der  Tod 

MonaUichr.  f.  Geburtsk.    186*2.    Bd.  XX..  Hft  1.4. 


50  H.    Mehsner,  Mitteilungen  aber  die  ThKtigkeft 

war  in  Folg«1  von  Eclampsie  erfolgt.  Da  die  Leiche,  noch  im 
Bette  liegend,  nicht  ganz  erkaltet  war,  bemerkte  M.  nach  Ent- 
fernung des  todten  Knaben,  und  der  Secundinae  noch  eine 
sichtliche  Verkleinerung  der  Gebärmutter. 

Casus  10.  —  Leipzig,  6.  Mai  1832.  —  Dr.  Fr.  Ldw. 
Meissner  vollführte  die  Sectio  Caesarea  an  der  Ehefrau  des 
Kürschners  C.  (findet  z.  Z.  die  Todesursache  nicht  angegeben, 
weiss  sich  ihrer  auch  nicht  mehr  zu  entsinnen).  Das  Kind, 
weiblichen  Geschlechts,  war  lodt.  Auch  in  diesem  Falle  con- 
trabirte  sich  der  entleerte  Uterus  noch  merklich. 

Casus  11.  —  Leipzig,  6.  December  1834.  Dr.  Fr:  Ldw. 
Meissner.  —  Dieser  Fall  betraf  die  im  siebeuten  Monate 
der  Schwangerschaft  an  Abzehrung  verstorbene  Ehefrau  des 
Tapezierers  G.  Das  unreife  Kind  weiblichen  Geschlechtes  war 
ualürJich  nicht  am  Leben,  doch  verkleinerte  sich  der  Uterus 
nach  seiner  vollständigen  Entleerung  noch  um  die  Hallte  seines 
früheren  Umfanges. 

Casus  12.  —  Kleinzschocher  bei  Leipzig,  12.. Novem- 
ber 1838.  —  Dr.  Fr.  Ldw,  Meissner  traf  die  Gebärende, 
Frau  /£.,  zu  der  er  gerufen  worden,  durch  Verblutung  in  Folge 
von  Placenta  praevia,  bereits  entseelt  vor.  Bei  der  grossen 
Schlaffheit  der  weichen  Geburtswege  wurde  die  weit  fort- 
geschrittene Geburt  mit  Leichtigkeit  durch  Wendung  und 
Extraction  des  Kindes  an  den  Füssen  auf  natürlichem  Wege 
beendigt.  Das  Kind,  ein  Mädchen,  war  gleichfalls  bereits  ab- 
gestorben. Die  Placenta  wurde  manuell  gelrennt,  nach  der- 
selben aber  kaum  einige  Contractio  uteri  .wahrgenommen. 

Casus  13.  —  Leipzig,  12.  Januar  1842.  —  Dr.  Fr.  Ldw. 
Meissner.  —  Die  Gattin  des  Schuldirectors  Dr.  27.,  welche 
schon  seit  zwei  Monaten  beunruhigende  Metrorrhagieen  in 
ihrer  fünften  Schwangerschaft  erlitten  hatte,  war  bei  i/.'s 
Ankunft  durch  deren  erneuertes  Auftreten  verschieden.  Ob- 
gleich der  Muttermund,  in  welchem  lose  die  Nachgeburt  lag, 
noch  nicht  vollkommen  erweitert  war,  gab  dieser  doch  kein 
Hindernis?  der  Entbindung  auf  natürlichem  Wege  ab,  es  wurde 
in  wenigen  Minuten  ein  bereits  abgestorbenes  Mädchen  zur 
Welt  gefördert,  worauf  sich  auch  alsbald  der  Fruehthält^r 
contrahirte  und  verkleinert  blieb. 


u.  d.  Verhandl.  d.  Gesellschaft  f.  Gebnrtshiilfe  sn  Leipzig  etc.       51 

Casus  14.  —  Gobliß  bei  Leipzig,  15.  Juni  1844.  — 
Dr.  Fr.  Ldw.  Meissner  zu  Frau  W.,  die  uach  Aussage  des 
Eilboten  schon  mehrfach  aspbyctisch  gewesen,  schleunigst  ent- 
boten und  sofort  dem  Rufe  folgend,  fand  dieselbe  dennoch 
bereits  mit  eröffnetem  Muttermunde  in  der  dritten  Geburts- 
periode verstorben  vor.  Die  künstliche  Entbindung  gelang  bei 
vorliegender  Schulter  bald  durch  Wendung  und  Extraction  des 
Kindes  an  den  Füssen,  lieferte  aber  einen  todten  Knaben 
nach  .dessen  Ausschliessung  sich  der  Uterus  ansehnlich  ver- 
kleinerte. 

Casus  15.  —  Leipzig,  19.  Juli  1858.  —  Dr.  E.  A. 
Meissner  und  Dr.  Tutel.  —  Eine  Viertelstunde  nach  dem 
Tode  der  an  Miliartuberkulose  verstorbenen  Frau  G\  wurde 
der  Kaiserschnitt  vorgenommen,  durch  den  ein  bereits  ab- 
gestorbener Knabe  entwickelt  ward.  Reichliches  Blutauslaufen 
aus  der  Uteruswunde;  erst  nach  Ablösung  der  mit  der  inneren 
Wand  verklebten  Eihäute,  gelang  die  Lösung  der  Placenta. 
Darauf.  Verkleinerung  des  Uterus  bis  auf  die  Hälfte  des  früheren 
Umfange*.  (Vergl.  Monatsschrift  für  Geburtskunde,  Bd.  14, 
Heft  4.) 

Casus  16.  —  Leipzig,  29.  Mai  1860.  —  Dr.  E.  A. 
Meissner  und  Dr.  F.  Dudensing.  —  Frau  Buchbinder- 
meister K.,  geb.  F.,  32  Jahre  alt,  tuberkulös,  hatte  im 
vorigen  Jahre  geheiralhet,  in  der  sechsten  Woche  ihrer  ersten 
Schwangerschaft  abortirt.  In  dieser  ihrer  zweiten  Schwanger- 
schaft waren  beide  Füsse  und  Unterschenkel  in  Folge  von 
Morbus  Brtghtii  ödematös  gewesen;  und  vier  Tage  nach  Auf- 
treten anämischer  Eclampsie  ein  soporöser  Zustand  mit  nach- 
folgendem Tode  eingetreten.  Eine  Viertelstunde  später  wurde 
die  Sectio  Caesarea  angestellt;  nach  dem  Baucbscbnitt  trat  nur 
wenig  Blut  aus,  eine  grössere  Quantität  desselben  in  seröser, 
nicht  coagulirender  Beschaffenheit  nach  der  Incision  der  Gebär- 
mutter. Fruchtwasser  in  .sehr  grosser  Menge  vorhanden,  das 
achtmonatliche  Mädchen  (in  Schädellage)  wurde  leicht  entwickelt, 
konnte  aber  trotz  deutlicher  Pulsation  der  Nabelschnur  nicht 
belebt  werden.  Das  Volumen  der  Gebärmutter  verkleinerte 
sich  unter  Verkürzung  seiner  Muskulatur  nur  wenig,  und  war 
wegen  Schlaffheit  dieses  Organes  die  Ablösung  des  Frucht- 
kuchens  wesentlich  erschwert. 


52  Jl-    Meissner,  Mittheilungen  über  die  ThKtigkeit 

Casus  17.  -  Taucha,  4.  Juni  1860.  —  Dr.  E.  Th. 
Kirsten  aus  Leipzig.  —  Frau  A.,  circa  25  Jahre  alt,  kräftig 
und  proportionirt  gebaut,  laut  Bericht  der  Angehörigen  stets 
gesund,  war  ailt  normalen  Ende  ihrer  ersten,  durchaus  regel- 
mässig verlaufenen  Schwangerschaft  angelangt,  und  fühlte  am 
3.  Juni  früh  die  ersten  Wehen,  die  in  ihrem  Auftreten  nichts 
Ungewöhnliches  zeigten,  doch  floss  das  Fruchtwasser  in  reich- 
licher Menge  schon  dabei  ab.  Heber  die  Lage  des  Kindes 
scheint  die  Hebamme  wegen  hohen  Standes  des  vorausgeben- 
den  Kindestheiles  nicht  klargeworden  zu  sein,  und  verlangte 
einen  Arzt.  Dieser,  in  der  Meinung,  eine  Sieisslage  vor  sich 
zu  haben,  entschioss  sich  zum  Zuwarten,  indem  er  von  Zeit 
zu  Zeit  wiederkam.  Wann  der  Muttermund  vollständig  er- 
weitert gewesen,  war  nicht  zu  erfahren,  nur  soviel  wurde  be- 
richtet, dass  die  Wehen  immer  heftiger  und  häufiger  wurden, 
und  die  Gebärende  sehr  klagte,  doch  ruckte  der  vorliegende 
Theil  nicht  tiefer.  Am  4.  Juni  waren  die  Wehen  sehr  stürmisch 
und  schmerzhaft,  die  Gebärende  klagte  über  Kopfschmerz, 
Benommenheit,  das  Gesicht  war  stark  geröthet  Nachmittag 
gegen  vier  Uhr  entstanden  leichte  Konvulsionen  des  Gesichtes, 
so  dass  sich  der  behandelnde  Arzt  entschioss,  das  Kind  zu 
entfernen  und  den  Haken  dazu  wählte.  Hierbei  mag  er  wohl 
erkannt  haben,  dass  er  eine  Gesichts  vorläge  vor  sich  hatte. 
Der  Haken  war  in  ein  Auge  eingesetzt  worden,  ohne  jedoch 
den  Kopf  bewegen  zu  können.  Es  wurde  ferner  zugewartet, 
ohne  irgend  etwas  zu  thun.  Als  endlich  Abends  y29  Uhr 
die  Convulsionen  immer  heftiger  auftraten,  wurde  zu  K.  nach 
Leipzig  geschickt,  während  dem  aber  Chloroform  inhalirt. 
Bei  K.'s  Ankunft,  V210  Uhr,  war  die  Gebärende  bereits  todt, 
der  Körper  starr,  mit  ausgebreiteten  Todtenüecken  besetzt. 
K.  fand  das  Gesicht  vorliegend,  die  Stirn  vorn  links,  das 
Kinn  nach  hinten  rechts  gerichtet,  Leben  des  Kindes  nicht 
wahrzunehmen.  Weder  mittels  der  Hand,  noch  der  Zange 
konnte  der  Kopf  in  seiner  Stellung  verändert,  noch  wehiger 
derselbe  extrabirt  werden,  weshalb  die  Umdrehung  des  Kindes 
auf  die  Füsse  abgestellt  und  so  es  ausgezogen  wurde. 
Während  des  Verweilens  der  Hand  im  Uterus,  konnten  deut- 
lich noch  schwache  Contractionen  wahrgenommen  werden, 
namentlich  bei  der  darauffolgenden  Wegnahme  der  Placenta, 


n.  d.  Verband],  d.  Gesellschaft  f.  Gebartshülfe  zu  Leipzig1  etc.       53 

worauf  sich  auch  die  Gebarmutter  bedeutend  verkleinerte. 
Eine  Ruptur  der  Gebärmutter  oder  Scheide,  eine  Becken- 
verengerung nicht  zu  bemerken.  Grösse  des  Kindes  nicht 
enorm. 

Es  zeigte  sich  sonach  selbst  zwei  Stunden  nach  dem 
Tode  der  Mutler  in  den  meisten  Fällen  eine  nicht  unbeträcht- 
liche Conlraction  der  Uterinmuskulatur,  unabhängig  von  der 
vorausgegangeneu  Krankheit,  und  auch  der  Tod  durch  Ver- 
blutung schloss  wiederholt  die  Beobachtung  dieser  Erscheinung 
nicht   aus.  *)  —    Lediglich   dein    wissenschaftlichen  Interesse 


1)  Dagegen  scheint  nach  vorausgegangenem  Tode  durch 
nervöse'  Paralyse  das  Verkleinerungsvermögen  des  Uterus  su 
fehlen,  indem  die  Contractilität  der  Muskulatur  dabei  schon 
vorher  erloschen  sein  mag,  wie  der  folgende  erst  spHter  von  mir 
beobachtete  Fall  sti  beweisen  scheint,  in  dem  eine  partielle 
Paralyse  des  Mastdarms  und  der  Blase  vorausging: 

Casus  23.  —  Leipzig,  22.  Deceraber  1860. —  Dr.  E.  A.  Meissner 
und  Bezirksgerichts -Wundarzt  Dr.  Berger.  —  Frau  Zimmer- 
meister K.y  26  Jahre  alt,  war  am  19.  October  1859  am  Ende 
ihrer  ersten  Schwangerschaft  durch  die  Zange  von  M.  entbunden 
worden  und  hatte  ihr  dabei  geborenes  Mädchen,  das  ihr  auch 
spHter  sehr  viel  schlaflose  Nächte  verursacht,  an  ein  halbes  Jahr 
gestillt  und  Anfang  April  1860  aufs  Neue  coneipirt.  Während 
der  Schwangerschaft  litt  Frau  K.  Anfang  August  an  etwas  Durch- 
fall, seit  Anfang  October  wiederholt  an  heftigen  Zahnneuralgieen, 
ein  Mal  unter  Ueb ergang  in  Parolis  und  an  einer  Lymphangioms 
des  Vorderarmes.  Am  7.  December,  zur  Zeit  einer  hier  heftig 
grassirenden  Masernepidemie,  wurde  die  Schwangere  von  Fieber 
(96  Puls),  Conjunctivitis  beider  Augen  mit  Lichtscheu  und  Ge- 
schwulst der  Lider  und  Bronchialcatarrh  befallen,  ohne  dass  das 
Exanthem  zum  Durchbruch  kam;  dazu  kam  bald  Stuhlverstopfung, 
welche  Clysmen  und  Suppositor.  sapon.  trotzte  und  innere  Mittel 
nothig  macTite.  Am  18.  December  stieg  das  Fieber  auf  120  Puls, 
es  trat  Schlafsucht  und  am  20.  December  Delirien  ein,  aber  ohne 
Milztumor  oder  typhösen  Stnhl.  Am  21.  December  musste  der  Urin 
wiederholt  durch  den  Katheter  entfernt  werden,  in  der  Nacht  trat 
Sprachlosigkeit,  dann  Sopor  und  am  22.  December  Morgens  8  Uhr 
der  Tod  durch  Lungenparalyse  ein.  Da  in  der  Nacht  noch  Kindes- 
hewegungen'und  Herztöne  bemerkt  worden  waren,  Eröffnung  des 
Muttermundes  aber  noch  nicht  eingetreten  war,  verrichtete  M. 
fünf  Minuten  nach  dem  Tode  unter  Assistenz  von  B.  den  Kaiser- 
schnitt. Das  Kind,  ein  grosser  Knabe,  war  aber  bereits  todt. 
Aus   der  Uteruswunde   erfolgte    nicht    der   mindeste   Blutaustritt, 


54  H.    Meissner,  Mittheil  an  gen  über  die  ThÄtigkeit 

diente   endlich   auch   die   nachstehende,    mir  speciell  denk- 
würdige Leichen- Entbindung: 

Casus  18.  —  Theatrum  anatomicuoi  der  Universität 
Leipzig,  10.  März  1854.  —  Dr.  E.  A.  Meissner.  Aus  dem 
Armenhause  zu  Hohenslein  war  der  Leichnam  der  sechsund- 
zwanzigjährigen  hochschwangeren  Christiane,  vereh).  A.,  an 
das  hiesige  anatomische  Theater  abgeliefert  worden,  wo  dessen 
Director,  Professor  Ritler  Dr.  E.  H>  Weber  die  Bauchdeckeu, 
den  grössten  Tlieil  der  Unterleihseingeweide,  sowie  die  vor- 
dere Beckenwand  entfernt  und  von  den  breiten  Mutterbändern 
aus  die  Gelasse  des  Uterus  injicirt  hatte.  Die  äusseren  Ge- 
schlechtsteile und  die  .Scheide  waren  unversehrt,  der  Mutter- 
mund ziemlich  vollständig  geöffnet,  der  Kopf  des  Kindes  aber 
hoch  im  unteren  Gebärmuttersegment  vorliegend.  Es  galt 
hier  mit  der  äussersten  Schonung  des  Gefasspräparates  das 
Kind  aus  seiner  Bildungsstätte  zu  entwickeln,  um  dann  auch 
von  den  Gefassen  des  Nabelstranges  aus  die  Verzweigung  des 
mütterlichen  und  kindlichen  Gelasssystems  in  der  Placenta, 
durch  verschieden  gefärbte  Injectionsmasse  sichtbar  unter- 
schieden, deutlich  zu  veranschaulichen;  was  —  beiläufig  ge- 
sagt —  auch  vollständig  gelungen  ist,  indem  das  getrock- 
nete Präparat  durch  einen  in  der  Längenaxe  der  Gebärmutter 
geführten  Schnitt  in  zwei  'gleiche  Hälften  gespalten  wurde.  — 
Da  die  Anlegung  der  Zange  aus  mehreren  Gründen  hier  un- 
tunlich erschien,  so  ging  M.  vorsichtig  mit  der  Hand  in 
den  Uterus  ein,  drehte  das  Kind,  ein  kleines,  iodtfaules 
Mädchen,  herum,  beseitigte  das  dadurch  entstandene  Reiten 
desselben  auf  der  Nabelschnur ,  extrabirte  den  Rumpf  an  den 
Füssen,  löste  die  Arme  und  entwickelte  den  Kopf  durch  den 
Smellie'schen  Handgriff. 

Giebt  es   nach   dem   eben  Gesagten  gar  viele   und  ge- 
wichtige Aufforderungen,   zur  Vornahme   der   überdies  durch 
die  Gesetze   des  Staates   und  die  Grundsätze  der  gerichtlich- 
medicinjschen    Wissenschaft    gebotenen    Leicheneutbindungen, 
so  vermag  ich  doch  andererseits  auch  nicht  ein  Bedenken  zu 


auch  fehlte  jede  Contraotion  der  Muskulatur,  selbst  bei  der 
Lösung  der  Placenta  wn  den  schlaffen  Gebarmutterwänden.  Da» 
Fruchtwasser  war  grünlich  entfärbt. 


u.  d.  Verhandl.  d.  Gesellscbuft  f.  Geburtahtilfe  au  Leipzig  etc.       55 

unterdrücken,  das  eine  solche  unbedingte  Vorschrift  nicht 
ganzlich  probabel  erscheinen  lässt,  wenn  sie  mit  anderen  Priu- 
cipien  der  Staatsarzneikunde  überhaupt  im  Einklänge  stehen 
soll.  —  Es  ist  Thatsache ,  dass  die  meisten  zur  Untersuchung 
gelangten  Fälle  angeschuldigter  oder  wirklicher  Kunstfehler 
der  Aerzte  die  geburtshilfliche  Praxis  betreffen  und  leider 
ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  nicht  minder  zahlreiche  Vor- 
kommnisse der  Art  gar  nicht  zur  medicinisch  -  polizeilichen 
Cognition  gelangen. 

Lag  nun  der  Kuustfehler  in  einem  uuzeiligen  Operations- 
versuche  oder  in  der  Unterlassung  eines  solchen,  da  wo  er 
angezeigt  gewesen  wäre,  und  verstarb  die  Mutter  unentbuuden, 
so  verleiht  die  Verpflichtung  zum  Kaiserschnitte  posl  mortem 
gravidae  dem  Arzte  die  Gelegenheit  den  Thal  bestand  voll- 
ständig zu  verändern,  ein  etwa  vorhandenes  Corpus  delicti  zu 
entfernen,  mit  einem  Worje,  vielleicht  gar  den  Vorwand  zur 
partiellen  Vornahme  einer  Privatsection;  dadurch  aber  würde 
uotb wendig  der  künftigen  Legalobduction  die  Sicberstellung 
eines  bestimmten  Resultates  uumöglich  gemacht  und  die 
Verordnung  des  königl.  hohen  Ministerii  des  Innern  vom 
9.  September  1848  vollständig  paralysirt  werden.  —  So  wenig 
aber  der1  Privatarzt  gehindert  werden  kann,  den  durch  Rauf- 
bolds oder  Mörderhaud  Verwundeten,  oder  den  durch  Fahr- 
lässigkeit schwer  Verletzten  sofort  zu  verbinden  und  die  nöthige 
weitere  Behandlung  einzuleiten,  und  so  wenig  die  vordem 
hier  und  da  gehörten  Zweifel  gerechtfertigt  waren,  hinsichtlich 
der  Pflicht»  eines  Jeden,  der  es  sieht,  die  Schlinge  zu  trennen, 
an  der  ein  anscheinend  schon  todter  Selbstmörder  sich  erhing, 
und  so  die  Möglichkeil  zu  gewähren,  ihn  in  das  Leben  zurück- 
zurufen, ohne  Rücksicht  auf  die  erst  später  zu  erfolgend«* 
obrigkeitliche  Feststellung  des  effectiveu  Sachverhaltes;  — 
eben  so  wenig  kann  auch  hier  die  lediglich  im  Interesse  der 
gerichtlichen  Beweisaufnahme  liegende  möglichste  Erhaltung 
des  objectiven  Thalbestandes  die  augenblickliche  Anstellung 
einer  lebensreltendeu  Operation  hindern,  die  mit  jedem  Momente 
weiteren  Aufschubes  ihren  Zweck  um  so  sicherer  verfehlen 
muss,  und  gewiss  nur  mit  vollem  Rechte  kann  dem  Dafür- 
halten des  Einzelnen  nicht  der  mindeste  Spielraum  hinsichtlich 
des   etwaigen    Bestimmungsrechtes  in    der  Frage   eingeräumt 


56  N.    M*U*ner,  Mitteilungen  über  die  Tbütigkeft 

werden,  ob  wegen  mangelnder   Aussiebt  auf  Erfolg  der  Kai- 
serschnitt nach  dem   Tode  der  Mutter  in  diesem  oder  jenem 
Falle    zu  unterbleiben .  habe.     Da  Oberdem    bei    den  meisten 
Ktinstfeblern  der  Aerzte  hinsichtlich  unentbunden  verstorbener 
Gebärenden  ein  Miss  verkennen  des  vorliegenden  Zustandes  selbst 
oft  bis   zuletzt  noch   vorliegt,    werden   sich   wohl   auch    die 
wenigsten   Aerzte   von   dem   oben   angedeuteten   Motiv    dabei 
leiten  lassen,   wie  sich  mit  einem  Falle  aus  einer  Provinzial- 
stadl  darthun  Hesse,   von   dem   ich  durch  einen  befreundeten 
Collegen   daselbst   erzählen   hörte,   deshalb   aber  nicht  selbst 
vertreten  kann,  überdies  aber  auch:  „Exempla  sunt  odiosa!" 
Wenden  wir  uns  jetzt   zur  Erörterung   über  die  Zweck- 
mässigkeit   und    den    Erfolg     der    einzelnen    Operations- 
methoden, so  verdient  vor  Allem  a)  der  Kaiserschnitt 
zuerst  genannt  zu  werden,   nicht   nur  weil  er  die  älteste  Art 
der  Leichen-Entbindungen  ist,  sondern  auch  am  zahlreichsten 
in  Ausführung  gelangt,    und  weil   er. im  Allgemeinen  sowohl, 
wie  insbesondere  in   den   Fällen,   wo  die  Geburtsarbeit  noch 
nicht  begonnen  hatte,  oder   doch   nicht  besonders  weit  vor- 
geschritten war,    am   schnellsten   zum  Ziele,  d.  i  zur  Aus- 
schliessung  der   Frucht    führt   und   deshalb    auch  günstigste 
Prognose  für  die  Gewinnung  eines  lebenden  Kindes  gewährt. 
Es  würde  daher  auch  diese  Methode  für  alle  Fälle  unbedingt 
vorzuziehen  sein,  wenn  nicht  überall  da,  wo  der  Eintritt  des 
Todes  nur   im  Mindesten   noch   zweifelhaft   ist,   die  eben  so 
ernste  wie  gerechte  Besorgniss  entstände,  möglicherweise  die 
nur   sebeintodte    Mutter    nunmehr    sicher   dem  •unfehlbaren 
Tode   mit  Vornahme   des   Kaiserschnittes   zu   überliefern.     In 
neuerer  Zeil  glaubt  man   zwar  durch  sorgsame  Auscultation 
der  Herztöne   ein  .Mittel   gefunden   zu  haben,   den  Scheintod 
vom  wirklich  eingetretenen  Tode  sicher  zu  unterscheiden,  doch 
scheint  mir  selbst  dieses  Untersuchungsmittel   noch  keine  ge- 
nügende Garantie  für   die  Sicherheit  der  Diagnose  in  so  ex- 
quisiten Fällen  zu  sein,  wie  sie  von  d'Outrepont  (neue  Zeit- 
schrift für  Geburtskunde,  Bd.  XIII.,  S.344)  Haerlin  (Schmidts 
Jahrbücher,  Bd.  52)  beobachtet  wurden,  wo  in  «tiefer  Asphyxie 
von  ein-  bis  siebenstündiger  Dauer  Respiration,  Puls  und  Herz- 
schlag vollständig  sistirten,  der   Körper  eiskalt,  der  Sphincter 
gelähmt,  das  Auge  gebrochen    und   starr,  die  Hornhaut  trülw 


n.  d.  Verband!,  d.  Gesellschaft  f.  GeburUhülfe  tu  Leipzig  etc.       57 

und  eingesunken,  and  vollständige  Unempfindlichkeit  selbst  gegen 
die  stärksten  Reize  gefunden  wurde,  so  dass  sich  einst  selbst  ein 
d'Outrepont  entfernte,  um  die  Instrumente  zum  Kaiserschnitte 
herbeizuschaffen;  —  und  doch  ein  Wiedererwachen  und  die 
Geburt  lebender  Rinder  erfolgte!  Demgemäss  wird  bei  aller 
Begründung  der  Vorschrift,  nicht  zu  lange  nach  dem  Tode 
der  Mutter  mit  der  Operation  zu  zögern,  um  den  Zweck  der- 
selben, das  Kind  zu  retten,  nicht  sicher  zu  verfehlen;  doch 
nach  Ohnmacht,  Eclampsie,  Epilepsie,  hysterischen  Krämpfen, 
und  Schlagfluss,  die  grössle  Vorsiebt  obwalten  müssen,  auch 
in  allen  solchen  Fällen  der  Apparat  sämmtlicher  Belebungs- 
versuche hinsichtlich  der  Mutter  zuvörderst  anzuwenden  sein, 
oind  nur  nach  absolut  tödtlichen  Verletzungen  davon  abgesehen 
werden  können.  Grosse  Besorgnisse  in  dieser  Hinsiebt  er- 
wecken einige  Beobachtungen  an  Choleraleichen,  welche  während 
der  Leichenoperation  nicht  unbedeutende  Bewegungen  in  den 
oberen  Extremitäten  zeigten,  obschon  die  sorgfaltigsten  Unter- 
suchungen den  Eintritt  des  Todes  als  ausser  allen  Zweifel 
erfolgt,  dargestellt  hatten.  So  berichtete  Kreiswondarzt 
Dr.  Aberle  in  Roveredo  (Oesterr.  Zeitschrift  für  praktische  Heil- 
kunde, herausgegeben  vom  Doctoren-Collegium  der  medicinischen 
Facultät  in  Wien,  dritter  Jahrgang,  Nr.  26,  vom  26.  Mai  1857, 
p.  460)  von  einem,  in  Gemeinschaft  mit  Dr.  Parisi,  eine 
halbe-  Stunde  nach  dem  Ableben  einer  im  achten  Schwanger- 
schaftsmonate verstorbenen  Cholerakranken  verrichteten  Kaiser- 
schnitte, während  dessen  bei  einer  Zerrung  des  Uterus, 
wegen  des  etwas  zu  klein  ausgefallenem  Gebärmutterschnittes : 
sich  der  rechte  Vorderarm  der  Leiche  in  langsamer  automa- 
tisch zitternder  Bewegung  erhob  und  vollkommen  beugte.  Mit 
Leichtigkeit  konnte  zwar  der  gebeugte  Vorderarm  wieder  in 
seine  Lage  zurückgebracht  werden,  aber  alle  weiter  angestell- 
ten Belebungsversuche  blieben  erfolglos  und  die  sorgfältigste 
Beobachtung  der  Leiche  bis  zum  Eintritte  alier  untrüglichen 
Zeichen  des  Todes  ging  natürlich  der  Beerdigung  voraus.  — 
Aehnlicbes,  wenn  aifch  in  weniger  eclatanter  Weise,  beobachtete 
unser  College  Ploss. 

Casus  19.  —  Leipzig,  10.  August  1860.  —  Dr.  Ploss. 
In  einem  Hause'  der  Ulrichsgasse,  in  dem  an  den  vorher- 
gegangenen Tagen  sieben  Bewohner  an  Cholera  verstorben  waren, 


£>8  li;    Meifsner,  Mitt  he  Hangen  über  die  Tb&tigkeit 

erkrankte  am  9.  August  die  Wittwe  des  zwei  Tage  zuvor 
gleichfalls  an  derselben  verschiedenen  Cigarrenarbeiters  W. 
Patientin  schrie  unaufhörlich,  indem,  sie  fürchterliche 
Schmerzen  im  Leibe  und  Krämpfe  in  den  Extremitäten  hatte, 
dabei  zeigte  sich  Cyanose,  sehr  häufiges  Erbrechen,  Durchfall, 
Heiserkeit,  dann  Collapsus,  höchste  Kälte  der  Haut,  aus- 
gesprochenes Stehenbleiben  der  Hautfaite.  Die  Angaben  der 
Patientin  und  die  Untersuchung  ergaben  die  Mille  des  achten 
Schwangerschaftsmonates,  den  Kopf  des  Kindes  vorliegend, 
keine  Wehen.  Nachts  trat  Athemnoünind  Morgens  l/^4  Uhr 
der  Tod  ein.  Während  der  Krankheit  war  das  Leben  des 
Kindes  durch  genaue  Untersuchung  nicht  zu  erforschen,  die 
unmittelbar  vor  der  Morgens  V28  Uhr  angestellten  Operation 
angestellte  Auscultation,  hatte  negative  Resultate.  Der  Kaiser- 
schnitt wurde  nur  im  Beisein  eines  unbekannten  Mannes  in 
der  Linea  alba  gemacht,  die  Placenta  sass  gerade  auf  der 
Schnittfläche,  daher  sich  reichlich  Blut  aus  der  Uterusmunde 
ergoss.  Die  Placenta  wurde  losgeschält,  die  Eihäute  gesprengt, 
und  das  Kind,  ein  achtmonatlicher  todter  Knabe,  dessen  Ober- 
haut sieb  an  Fuss  und  Knie  exfoliirte,  und  ausserdem  schon 
viele  Todtenflecken  zeigte,  sowie  die  Eihullen  herausgenommen; 
auch,  nachdem  das  bei  der  so  unvollkommenen  Assistenz 
in  die  Bauchhöhle  ausgeflossene  Blut  und  Fruchtwasser  mög- 
lichst wieder  entfernt  worden  war,  die  Bauchwunde  durch 
Nähte  geschlossen.  Während  der  Operation  bemerkte  P. 
einige  automatische  Bewegungen  mit  den  Fingern. 

Rechnet  man  zu  den  Gefahren  einer  so  anhakenden  tiefen 
Asphyxie,  die  durch  den  Kaiserschnitt  fast  immer  herbei- 
geführte sehr  starke  Blutung  aus  dem  Uterus,  welche  sich 
nicht  wie  bei  der  lebenskräftigen  Gebärenden  durch  gesteigerte 
Wehenthätigkeit  und  entschiedene  anhaltende  Contractionskraft 
selbst  beschränkt,  sowie  die  Schädlichkeit  des  nicht  immer 
gänzlich  zu  verhindernden  Luft-,  Fruchtwasser-  und  Blüt- 
zutrittes  zum  Peritonaeum,  so  rechfertigt  sich  von  selbst  die 
gesetzliche  Vorschrift,  den  Kaiserschnitt  post  iportem  stets 
x  mit  denselben  Cautelen  und  mit  nachfolgendem  gleichem  Ver- 
bände vorzunehmen  wie  bei  einer  Lebenden,  und  die  moralische 
Forderung :  das  Urtheil  eines  unbefangenen  Collegen  ober  den 
Eintritt   des   Todes  und   dessen   Assistenz  bei  Vornahme  der 


n.  d.  Verband],  d.  Gesellschaft  U  Geburtebülfe  au  Leipzig  etc.      ö\) 

Operation  selbst  zu  erbitten,  der  gleichzeitig  mit  den  übrigen 
Vorbereitungen  dazu,  wo  nur  immer  möglich,  sehon  bei  An- 
näherung des  Todes  zu  requirüren  ist,  damit  kein  unnöthiger 
Zeitverlust  entstehe.  Auf  entlegenen  Ortschaften  wird  uns 
freilich  meist  nur  der  fromme  Wunsch  verbleiben,  wollen  wir 
nicht  alle  Aussicht  auf  Erfolg  als  Preis  für  den  Beistand  eines 
entfernten  Gollegen  aussetzen.  Sind,  wie  in  dem  nachfolgenden 
Falle  schon  mehrere  Stunden  seit  Eintritt  des  Todes  verflossen, 
oder  •  mit  der  Fäulniss  das  untrüglichste  Todesanzeiclieu 
schon  vor  Augen,  so  erledigt  sich  mit  der  Indication  dazu 
auch  die  geforderte  Anwendung  der  Cautelen  des  Kaiser- 
schnittes. 

Casus  20.  —  Leipzig,  10.  August  1842.  —  Dr.  Fr. 
Ldw.  Meissner.  —  Die  Ehefrau  des  Schuhmachers  T.  war 
in  Folge  Verblutung  schon  seit  vier  Stunden  verschieden, 
ohne  dass  die  Untersuchung  schon  Vorbereitungen  zur  Geburt 
erkennen  liess,  weshalb  das  Kind,  ein  ebenfalls  bereits  ver- 
storbenes, ziemlich  ausgetragenes  Mädchen,  durch  den  Kaiser- 
schnitt dem  mütterlichen  Schoosse*  entnommen  werden  musste. 
Sehr  wenig  Contraclilität  der  Uterin -Muskulatur  folgte  dem-, 
selben. 

Während  der  Kaiserschnitt  sich  an  jeder  Leiche  aus- 
führen lässt,  oft  sogar  die  einzig  mögliche  Methode  der 
Leichenentbindung  ist,  bleibt  b)  die  Zange  nur  in  einer  sehr 
beschränkten  Zahl  von  Fällen  anwendbar,  denn  die  Geburt  naihs 
begonnen  haben,  der  Muttermund  wenigstens  ziemlich  voll- 
ständig schon  erweitert  sein,  und  der  Kopf  eine  sogenannte 
zangengerechte  Stellung  im  kleinen  Becken  bereits  eingenom- 
men haben,  auch  von  Seiten  des  Beckens  und  der  weichen 
Geburtswege  ein  Hinderniss  für  die  Ausziehung  nicht  zu  er- 
warten stehen.  Aeusserst  selten  nur  kann  dafür  die  Zer*- 
reissung  der  Gebärmutter  im  unteren  Abschnitte  wie  in  dem 
hier  beigefügten  Falle  dazu  die  Möglichkeit  darbieten. 

Casus  21.  —,  Connewitz  bei  Leipzig,  8.  Mai  1838. — 
Dr.  Ft.  Ldw.  Meissner  aus  Leipzig.  —  Die  Ehefrau  des 
Häuslers  <?.,  welche  sich  am  Ende  ihrer  Schwangerschaft 
befand  und  den  halben  Tag  Kartoffeln  gelegt,  auch  dabei 
begreiflicher  Weise  den  sehr  ausgedehnten  Unterleib  stark 
zusammengedrückt  hatte,   war   auf  dem  Felde  plötzlich  um« 


(30  U.    Meissner,  Mitt  Heilungen  über  die  Th&tigkeit 

gesunken,  halte  über  heftige  Schmerzen  im  Leibe  geklagt  und 
war   unter  den  Zeichen  innerer  Verblutung  in  Gegenwart  des 
schleunigst   zu   Hülfe    gerufenen  Wundarzt  Schnappauf  aus 
dem  nahe   gelegenen  Dorfe  Dölitz,  der  aber   nicht  Geburts- 
helfer war,  gestorben.    Als  M.  auf  des  Letzteren  Antrieb  hiii- 
zugerufen,  ankam,  fand  er  bei  der  äusseren  Untersuchung  die 
unteren  Extremitäten  des  Kindes  unmittelbar  unter  den  Bauch- 
decken,  innerlich   den  Kopf  mit  seiner  grösseren  Peripherie 
in    den  Eingang   des   kleinen   Beckens   hereingelreten.  -  Nach 
Entwicklung  desselben  mit  der  Zange  gelangte  die  am  Nabel- 
strange  emporgeführte  Hand   durch   einen,   die   ganze   linke 
Gebärmutterseite    einnehmenden^  Biss   in  die  Bauchhöhle,   wo 
zwischen  den  Därmen  die  vollständig  abgelöste  Nachgeburt  mit 
ungeheuren  Blutmassen  lag.  —   Die  völlig   erschlaffte  Gebär- 
mutter   hatte    sich    nur   wenig  und   wahrscheinlich  schon  im 
Augenblicke,  der  Zerreissung  verkleinert. 

Die  längere  Dauer  der  Zangenoperation  wird  allerdings 
die  Hoffnung  auf  Erlangung  eines  lebenden  Kindes  um  so 
mehr  schwächen,  als  die  unterstützenden  Kräfte  der  Wehen 
.und  der  Bauchpresse  dabei  gänzlich  fehlen,  indessen  immer 
noch  nicht  in  so  hohem  Grade,  wie  c)  bei  Wendung  und 
Extraction  der  Frucht  an  den  Füssen,  Operationen, 
die  ja  ohnehin  auch  bei  lebender  Mutter  bei  Weitem  un- 
günstigere Erfolge  bieten.  Eine,  wenn  auch  nur  geringe 
Oeffnung  des  Muttermundes  oder  kleine  Buptur  des  unteren 
Gebärmuttersegmentes,  wird  zwar  die  Vornahme  der  Operation 
auf  natürlichem  Wege  schon  gestatten,  und  daher  auch  bei 
hohem,  noch  nicht  zangengerecbten  Kopfstände,  die  schleunige 
Entbindung  zulassen,  darum  sich  aber  vor  Allem  da  schon 
empfehlen,  wo  die  Zweifel  über  den  wirklich  eingetretenen  Tod 
der  Mutter  noch  nicht  vollständig  gehoben  sind,  oder  die  nöthigen 
Assistenten,  Instrumente  und  Verbandstücke  zur  Vornahme  des 
Kaiserschnittes  nicht  sofort  zu  beschaffen  sind.  Bei  noch 
stehendem  Fruchtwasser  ist  die  Operation  meist  mit  grösster 
Leichtigkeit  auszuführen,  später  aber  durch  die  allzu  grosse 
Schlaffheit  der  sich  an  den  Fötus  anlegenden  und  ihm  an- 
klebenden, mit  diesem  sieb  herum-,  sowie  in  das  Becken  herab- 
ziehenden Gebärtnutterwände,  die  Anstellung  der  Wendung  und 
Extraction  oft  wesentlich  erschwert.     Das  Ankleben  der  nach 


ii.  d.Verhandl.  d.  Gesellschaft  f. Geburtsbülfe  zu  Leipzig  etc.       ßl 

längerem  Wasserabgange  trocken  gewordenen  Extremitäten  an 
die  Uteruswandungen,  erfordert  eine  grössere  Vorsiebt  bei  der 
Extraction,  indem  schon  beim  Austritt  des  Unterleibes  zur 
Vermeidung  allziigrosser  Entfernung  des  Kinnes  von  der 
Brust  und  dadurch  erfolgender  Einkeilung  des  Kopfes  neben 
beiden  Armen,  die  zeitige  Lösung  der  letzteren  schon  vorzu- 
bereiten, auch  die  Regulirung  der  Kopfstellung  und  die  Ent- 
wicklung des  Kopfes  vorzusehen  sein  wird.  Bei  vollständiger 
Oeffnung  des  Muttermundes,  wie  im  folgenden  Falle,  ist  die 
Operation  meist  mit  keinerlei  Schwierigkeiten  verbunden. 

Casus  22.  —  Klein -Liebenau  (seitwärts  jder  Merse- 
burger Strasse),  8.  April  1826.  —  Dr.  .Fr.  Ldw.  Meissner  seil, 
aus  Leipzig.  —  Die  Schmiedemeisterin  war  durch  Verblutung 
schon  bald  nach  Absendung  des  Botens  nach  dem  an  drei 
Wegstunden  entfernten  Leipzig,  gestorben;  M.  fand  die 
vorliegende  Placenta  in  der  Vagina  getrennt  vor,  und  den 
Muttermund  soweit  eröffnet,  dass  sofort  durch  Wendung  und 
Extraction  ein  todter  Knabe  zu  Tage  gefördert  werden  konnte. 
Verkleinerung  des  Uterus  nur  in  sehr  geringem.  Grade  be- 
merkbar. 

Endlich  haben  wiederholte  Beobachtungen,,  zum  Theil  selbst 
in  gerichtlich  constatirten  Fällen,  die  früher  mehrfach  und 
noch  neuerdings  selbst  von  Hohl  in  Abrede  gestellte  Mög- 
lichkeit spontaner  Ausstossung  der  Frucht  aus  der 
Leiche  unwiderleglich  dargetban.  *)  Zur  Erklärung  dieser  Er- 
scheinung wurden  früher  die  verschiedensten  Hypothesen  auf- 
gestellt; —  die  meisten  und  gewichtigsten  Stimmen  der  Neuzeit 
neigen  sich  der  Ansicht  zu,  dass  die  mit  dem  Verschwinden 
der  Lebenswärme  auftretende  Coagulation  des  Eiweisses  in 
den  Muskeln,  also  die  sogenannte  Todtenstarre,  den  Inhalt 
des  Uterus  ebenso  auszustossen  vermöge,  wie  sie  auch  das 
scheinbare  Wachsen  des  Barthaares  durch  Hervortreiben  der 
Haarzwiebeln  in  der  Haut,  zur  Folge  hat.     Ansammlung  von 


1)  Nach  Friedreich*B  BliUtera  für  gerichtliche  Anthropologie, 
12.  Jahrg.,  5.  Heft,  fand  eine  derartige  Ausstosiung  des  Kindes 
noch  statt,  wo  nach  40 stündiger  GebnrtBdauer  bei  eingekeilter 
Schulterlage,  da  die  Wendung  nicht  möglich  war,  der  Tod 
erfolgte. 


ß2  1H-     Breslau,  Kaiser  schnitt  nach  dem  Tode. 

Gasen  im  Darmkanale,  mannichfache  Erschütterungen  bam 
Transport  der  Leichen  u.  dgl.,  mögen  allerdings  hie  und  da 
unterstützend  mitwirken,  schwerlich  aber  allein  diese  Er- 
scheinung bedingen.  —  Noch  aber  sind  die  Acten  über  diese 
Angelegenheit  keineswegs  als  geschlossen  zu  betrachten,  hoffen 
wir  von  der  Zukunft  noch  weitere  sorgsame  Beobachtungen 
und  Aufschlösse! 

(Scblusi  des  vierten  und  letzten  Artikels  im  nächsten  Hefte.) 


HI. 
Kaiserschnitt  nach  dem  Tode.    Lebendes  Kind. 

» 
Von 

Prof.  Dr.  Breslau  in  Zürich. 

-  Am  2.  October  186Q  Abends  erhielt  ich  von  Herrn 
Dr.  Held  in  Ulnau,  Ganton  Zürich,  einen  Brief  folgenden 
fcihalts:  „Ich  habe  hier  seit  einigen  Wochen  eina  Frau  in 
Behandlung,  die  etwa  in  der  33.  Woche  schwanger  ist.  Nach 
einer  anfangs  ziemlich  gut  verlautenden  Pneumonie  blieb  bei 
ihrer  sonst  sehr  schlaffen,  torpiden  Constitution  eine  solche 
Schwäche  in  den  Respirationsorganen  zurück,  und  die  Enge 
und  Athemnoth  stieg  so  sehr,  dass  jetzt  eine  allgemeine 
(Schwäche  dem  Leben  der  Schwängern  und  des  Kindes  Gefahr 
droht  Ich  dachte  schon  daran,  um  wenigstens  den  gefahr- 
lichen Zustand  der  Mutter  zu  bessern,  die  Frühgeburt  ein- 
zuleiten. Bevor  ich  aber  diesen  Schritt  unternehmen  wollte, 
wünschte  ich  Ihre  Ansicht  darüber  einzuholen  und  bitte  Sie 
deshalb,  wenn  es  Ihnen  irgend  möglich  ist,  morgen  hierher 
zu  kommen/' 

Dieser  Einladung  folgend  fand  ich  mich  am  3.  October 
Vormittags  nach  9  Uhr  bei  der  39jährigen,  zum  dritten  Male 
schwangeren  Bauersfrau  V.  in  Illnau  ein.  Ich  traf  sie  im 
Bette  sitzend,  etwas  vorgeneigt,  mühsam,  oberflächlich  und 
beschleunigt    athmend,    auf  beide    Arme    sich    stutzend.     Die 


Lebendes  Kind.  63 

Gesichtszuge  waren  entstellt,  verriethen  grosse  Angst  und 
Beklemmung,  die  Lippen  waren  cyanotisoh,  die  Sprache 
unterbrochen,  die  Extremitäten  kahl,  der  Puls  äusserst  schwach, 
ungefähr  120  in  der  Minute.  An  beiden  unteren  Extremitäten, 
an  den  Genitalien,  an  den  Bauchdecken  ausgebreitetes  Oedem, 
starker  Hängebauch,  schwappend,  undeutliche  Fluctuation  in  der 
Tiefe,  Grund  des  schlaffen  Uterus  drei  Finger  aber  dem  Nabel. 
Fötalherztöne  nicht  zu  hören,  aber  Kindesbewegungen  deutlich 
zu  fühlen.  Vaginalportion  etwa  V/  lang,  äusserer  Muttermund 
zerklüftet,  aufgelockert,  für  einen  Finger  leicht  durchgängig, 
innerer  Muttermund  etwas  geöffnet,  durch  denselben  der 
ballotirende  Kopf  zu  fühlen.  Physikalische  Untersuchung  der 
Brust  ergab  keine  ausgesprochene  Dämpfung  rückwärts,  aber 
rechts  hinten,  dem  unteren  rechten  Lungenlappen  entsprechend, 
ausgedehntes  feines  Knistern.  Vorn  in  der  hegend  der 
Bifurcation.  der  Trachea  grossblasige  Rasselgeräusche,  sehr 
grosse  Herzdämpfung,  Herzstoss  flatternd,  schwach,  rechts 
von  der  linken  Brustwarze,  schwache  Herztöne  ohne  Geräusche. 
Aus  diesem  Befunde  konnte  mit  Wahrscheinlichkeit  die 
Diagnose  auf  Hydropericardium  und  recrudescirende  oder  in 
Auflösung  begriffene  rechtsseitige  Pneumonie,  Anasarca  und 
massigen  Ascites  gestellt  werden.  Entsprechend  der  Rechnung 
~  der  Schwangern  konnte  die  Schwangerschaft  etwa  die  33.  Woche 
erreicht  haben.  Das  Kind  lebte.  Noch  am  Abend  zuvor 
waren  von  Dr.  Held  die  Herztöne  desselben  deutlich  gehört 
worden,  die  Mutler  fühlte  die  Kindesbewegungen;  ich  selbst 
konnte  diese  unzweifelhaft  Consta tiren. 

Eine  Reihe  von  Mitteln  von  Dr.  Held  angewendet,  den 
qualvollen  Zustand  der  in  hohem  Grade  orthoptischen  Kranken 
zu  erleichtern,  waren  erfolglos  geblieben.  Wir  beschlossen: 
sofort  die  künstliche  Frühgeburt  einzuleiten,  in  der  Hoffnung, 
dass  es  uns  gelingen  werde,  durch  Entleerung  des  Uterus 
die  Circulation  freier  zu  machen,  der  Kranken  wenigstens 
momentan  die  so  sehr  ersehnte  Erleichterung  zu  verschaffen. 
Der  hohe  Eibautstich  und  darauffolgendes  Liegenlassen  eines 
elastischen  Katheters  sollten  die  Geburt  möglichst  rasch  in 
Gang  und  zu  Ende  bringen.  Alsbald  wurde  zur  Ausfuhrung 
geschritten.  Ich  schob  einen*  mit  einem  metallenen  Führungs- 
Stäbchen  versehenen  elastischen  Katheter  bis  etwa  3"  oder  4" 


64  HI.     Üreslau,  K«i»«r8ohnitt  nach  dem  Tode. 

über  den  inneren  Muttermund  in  die  Uterushöhle  und  durch- 
stach hier  die  sich  entgegendrängenden  Eihäute,  worauf  eine 
ziemliche  Menge  grünlich  -  rotten  Fruchtwassers' abßoss.  Nur 
wenige  Minuten  hatte  dieses  Manoeuvre  gedauert,  denn  «hei 
der  grossen  Laxität  der  Scheide  und  dem  Offenstehen  des 
äusseren  und  inneren  Muttermundes  stiess  ich  mit  dem 
Katheter  auf  keine  Schwierigkeiten,  sondern  konnte  ihn  schnell 
in  die  Höhe  schieben.  Um  bei  dem  stark  geneigten  Becken 
den  Genitalien  besser  beizukommen,  hatte  ich  der  Schwangern 
ein  Kissen  unter  die  Kreuzgegend  bringen,  und  den  Ober- 
körper zurückneigen  lassen.  So  hatte  sie  ihre  sitzende 
Stellung  verlassen  und  befand  sich  in  einer  fast  horizontalen 
mit  erhöhtem  Kreuze.  Bis  zum  Abflüsse  des  Fruchtwassers 
waren  wir,  wie  schon  erwähnt,  gekommen,*  als  plötzlich  der 
den  Kopf  unterstützende  Ehemann  der  Schwangern  ausrief: 
„Ich  glaube,  es  ist  vorbei  mit  meiner  Frau,  sie  bewegt  sich 
nicht  mehr,  sie  ist  todt."  So  verhielt  es  sich  auch  in  der 
Thal.  Nur  wenige  rasselnde  Athemzüge  noch  nach  schnellem 
Aufheben,  Bespritzen  mit  Wasser,  Reiben  der  Haut  und  das 
Leben  war  vollständig  erloschen.  'Die  Kranke  starb  unter 
unseren  Händen,  vor  unseren  Augen.  Wir  konnten  das  ent- 
flohene Leben  nicht  mehr  zurückrufen.  Was  wir  auch  in 
den  nächsteu  12  — 15  Minuten  diäten,  eine  tiefe  Ohnmacht- 
oder  Scheintod  zu  beseitigen,  blieb  ohne  jeglichen  Erfolg. 
Mit  Reiben,  Bürsten,  Anspritzen  und  Waschen  mit  Wasser 
und  Essig,  künstlichen  Athembewegungen,  Kitzein  des  Schlundes 
und  der  Nase,  mit  diesen  und  anderen  Wiederbelebungs- 
versuchen aufzuhören,  war  die  Zeit  gekommen.  Der  Tod 
der  Mutler  war  gewiss. 

Noch  überzeugte  ich  mich  durch  ein  sorgfaltiges  AuscuJiiren, 
dass  auch  nicht  die  leiseste  Spur  von  Herztönen  mehr 
wahrgenommen  werden  konnte.  Das  Leben  des  Kindes  vielleicht 
noch  zu  retten,  war  nun  unsere  einzige  Aufgabe.  Ich  ver- 
suchte das  Accouchement  force  zu  machen,  allein  sehr  bald 
gewann  ich  die  Einsiebt,  dass  es  unmöglich  sei,  ohne  grosse 
Zerreissung  und  ohne  grossen  Zeitverlust,  mich  mit  der  Hand 
durch  den  unvorbereiteten  und  nach  Abfluss  von  Fruchtwasser 
wieder  mehr  contrahirten  CerVlcalcanal  hindurchzuarbeiten 
und  stand  schon  nach  dem  ersten  Versuche,  die  Entbindung 


Lebendes  Kind.  65 

auf  natürlichem  Wege  zu  vollenden,  ab.  Nun  ging  e»  mit 
möglichster  Beschleunigung  an  den  Kaiserschnitt.  Ich  selbst 
hatte  keine  chirurgischen  Instrumente  hei  mir.  In  dem  Bestecke 
meines  verehrten  Collegen,  Herrn  Dr.  Held,  der  sieh  beim 
Durchlesen  dieser  Zeilen  gewiss  recht  lebhaft  an  unsere  etwas 
peinliche  Situation  erinnern  wird,  fand  sich  glücklicher  Weise 
ein  altes  Bistouri  Dem  bestürzten,  wenn  auch  gerade  nicht 
trostlosen  Wittwer  und  einigen  anderen  wehklagenden  und 
still  raisonnirenden  Weibern  aus  der  Verwandtschaft  und 
Nachbarschaft  mussten  wir  in  der  Eile  noch  begreiflich  machen, 
dass  der  Kaiserschnitt  an  einer  Todten  von  dem  Gesetze 
vorgeschrieben  sei, l)  und  erst  nach  einigem  Hin-  und  Her- 

1)  Die  im  Canton  Zürich  bestehende  Verordnung1  betreffend 
das  Verfahren  der  Aerzte  nach  dem  Tode  schwangerer  Frauens- 
personen vom  Jahre  1842  lautet:  v 

§  1.  Von  allen  während  der  Schwangerschaft  verstorbenen 
Frauenspersonen  soll,  in  der  Regel  mittels  des  Kaiserschnittes, 
das  Kind  genommen  werden,  wenn  nicht  die  Lebensunfähigkeit 
oder  der  Tod  desselben  unzweifelhaft  erwieseu  ist. 

§  2.  Zur  Vornahme  des  Kaiserschnitts  ist  jeder  nach  dem 
Tode  der  Schwangern  zuerst  gegenwärtige  Arzt  verpflichtet.  Bei 
Krankheiten  Schwangerer,  welche  einen  unglücklichen  Ausgang 
befürchten  lassen,  hat  der  behandelnde  Arzt  zu  veranlassen,  dass 
er  wo  möglich  von  dem  bevorstehenden,  sieber  von  dem  ein- 
getretenen Tode  schleimige  Nachricht  erhalte. 

§  3,  Der  Kaiserschnitt  soll  so  frühzeitig  gemacht  werden, 
als  es  die  Bücksicht  auf  möglichen  Scheintod  der  Mutter  nur 
immer  erlaubt  Der  passende  Zeitpunkt  zur  Vornahme  desselben 
mu88  zwar  im  Allgemeinen  der  umsichtigen  Beurtheilung  des 
Arztes  überlassen  bleiben;  doch  sind  folgende  Normen  zu  berück- 
sichtigen: Bei  Schwangern,  deren  Todesart  keinen* Verdacht  des 
Scheintodes  sulässt,  muss  der  Kaiserschnitt  sogleich  nach  er- 
loschenem Leben,  bei  solchen,  wo  die  Wahrscheinlichkeit  des 
Scheintodes  vorhanden  ist,  so  bald  gemacht  werden,  als  der 
Arzt  sich  von  der  Fruchtlosigkeit  der  Wiederbelebungsversuche 
Überzeugt  hat. 

§  4.  Der  Kaiserschnitt  an  Verstorbenen  soll  nach  ähnlichen 
Grundsätzen,  wie  an  Lebenden  gemacht,  ein  passender  Verband 
angelegt  und  für  gehörige  Bewachung  der  Leiche  gesorgt  werden. 

§  6.  Wiederbelebungsversuche  an  dem  durch  den  Kaiser- 
schnitt geborenen  Kinde  können  nur  dann  unterbleiben,  wenn 
sein  Tod,  z.  B.  durch  die  Art  erlittener  Verletzungen  und  durch 
Monatssehr.  f  Gebnrt«*    1862.  Bd.  XX.,  Hfl.  1.  & 


Qß  III.     Breslau,  KaiHeritchnitt  nach  dem  Tode. 

reden  konnte  ich  das  Bistouri  ansetzen,  um  den  Schnitt 
durch  <fie  Lirfea  alba  zu  fuhren.  Aus  dem  eröffneten  Bauchfell- 
sacke floss  gelblich  flockiges  Serum  in  reichlicher  Menge  aus. 
Mit  Muhe  wurden  von  Dr.  Held  die  sich  vordrängenden 
Darmschlingen  zurückgehalten,  während  ich  den  blaurothen 
Uterus  schnell  in  einer  Ausdehnung  von  ö — 6"  durchschnitt. 
Dunkles  Blut  quoll  aus  den  stark  erweiterten  Gelassen,  die 
Uterushöhle  enthielt  nur  noch  wenig  Fruchtwasser,  umschloss 
das  mit  der  linken  Seite  des  Steisses  sich  präsentirende  Kind 
ziemlich  enge.  Von  dem  letzten  Athemzuge  der  Frau  V.  bis 
zur  Extraction  des  Rindes  durch  die  Bauchwunde  waren 
unzweifelhaft  wenigstens  15  Minuten  vergangen.  Die  Uhr 
hatte  ich  freilich  nicht  in  der  Hand,  aber  sicher  bin  ich, 
dass  weniger  Zeit  nicht  verflossen  war.  Das  Kind  wurde  im 
höchsten  Grade  des  Scheintodes  entwickelt.  Die  Nabelschnur 
pulsirte  niclft  mehr,  die  Glieder  hingen  schlaff  und  leblos 
herunter u  aber  die  Pulsation  des  Herzens  war  gegen  die 
Magengrube  hin  zu  fühlen  und  bald ,  nach  schleuniger  Unter- 
hindung und  Durchschneidung  der  Nabelschnur,  machte  das 
Kind  die  erste  krampfhafte  rasselnde  Respiration.  Der  erste 
Athemzug  schien  auch  der  letzte  zu  sein,  denn  es  dauerte 
lange  bis  dem  ersten  ein  zweiter  und  diesem  ein  dritter  folgte. 
Das  Kind  hatte  offenbar  vorzeitige  Athembewegungen  gemacht, 
denn  Mund,  Rachen  und  Nase  waren  voll  zähen,  mütterlichen 
Schleimes  der  sich  dem  Eindringen  der  Luft  hartnäckig  wider- 
setzte. Ihn  zu  entfernen  gelang  mir  erst  dann,  als  ich  meinen 
Mund  auf  den  des  Neugeborenen  setzte  und  die  in  ihm  enthaltene 
zähe  Flüssigkeit  aspirirte.  Dieses  Geschäft  war  wohl  etwas 
Ekel  erregend,  aber  es  half.  Nun  hatte  die  Luft  freien  Zu- 
tritt und  es  musste  jetzt  darauf  hingewirkt  werden,  durch 
kräftige  Reizung  der  Hautnerven  die  Athembewegungen  zu 
unterhalten  und  den  dem  Erlöschen  nahen  Funken  des  Lebens 
anzufachen.  An  Ausdauer  und  Energie  Hessen  wir  es  nicht 
fehlen.  Wir  waren  eine  ganze  Stunde  lang  ununterbrochen 
mit« .Wiederbelebungsversuchen   der  mannichfaltigsten  Art,   die 


Fttnlniss  augenfällig  ist.  Die  Beispiele  von  mehrstündigem 
Scheintode  der  Kinder  werden  die  Aerzte  »u  gewissenhaften, 
lange  fortgesetzten  Bemühungen  ermuntern. 


Lebendes  Kind.  67 

aufzufahren  kaum  vom  Interesse  sein  dürfte,  beschäftigt,  und 
sahen  unsere  Bemühungen  endlich  vom  besten  Erfolge  gekrönt. 
Das  Kind  athmete  schliesslich  regelmässig,  schrie  laut,  bewegte 
sich  lebhaft,  seine  Augen  öffneten  sich,  seine  Haut  nahm  die 
gewöhnliche  lebhaft  rothe  Farbe  der  Neugeborenen  an.  Leider 
sollte  das  mit  so  -vieler  Mühe  und  Sorge  errungene  Leben 
des  unreifen,  schlecht  ernährten,  etwa  4  Pfund  schweren,  an 
der  Grenze  der  Lebensfähigkeit  stehenden  Kindes  nicht  von 
langer  Dauer  sein.  Es  starb  noch  am  gleichen  Abend,  all- 
mälig  collabirend,  6  —  7  Stunden,  nachdem  es  aus  dem  Leibe 
seiner  todten  Mutter  genommen  worden  war.'  Die  Bauch- 
wunde der  Todten  wurde  von  uns  lege  artis  vereinigt.  Section 
wurde  von  den  Angehörigen  nicht  gestattet 

An  die  Geschichte  dieses  in  mancher  Hinsicht  so  lehr- 
reichen Falles  erlaube  ich  mir  folgende  Bemerkungen  zu 
knüpfen: 

1)  Es  mag  zweifelhaft  bleiben  ob  bei  der  weit  vor- 
gerückten Erkrankung  der  Schwangern  die  Einleitung  der  künst- 
lichen Frühgeburt  vollständig  indicirt  war  und  zu  rechtfertigen 
ist  Man  hätte  sie  umgehen,  und,  ohne  sich  wegen  eines 
ganz  exspectativen  Verfahrens  Vorwürfe  zu  machen,  den  nahe 
bevorstehenden  Tod  ruhig  abwarten  können. 

2)  Die  unerwartet  schnell  eingetretene  Katastrophe  ist 
nicht  durch  das  an  und  für  sich  für  das  Leben  bedeutungslose 
Einführen  eines  elastischen  Katheters  und  Anstechen  der  Ei- 
häute herbeigeführt  worden,  sondent  ist  wahrscheinlich  der 
veränderten  Lage  der  Schwangern,  dem  Zurückbeugen  ihres 
Oberkörpers  bei  ängstlicher  Aufregung  zuzuschreiben.  War 
ein  Hydropericardium  vorhanden,  woran  nach  der  physica- 
lischen  Untersuchung  und  nach  den  Krankheits- Symptomen 
kaum  zu  zweifeln  ist,  so  konnte  der  durch  die  Lageveränderung 
vermehrte  Druck  der  Herzbeutelflüssigkeit  auf  die  Basis  des 
schon  sehr  geschwächten  Herzens,  plötzlich  eine  Herzlähmung 
zur  Folge  haben.  Bekannt  ist  übrigens,  dass  Herzkranke 
der  verschiedensten  Art  nicht  selten  urplötzlich  bei  irgend 
welchen  Bewegungen  sterben,  ohne  dass  selbst  die  genaueste 
Untersuchung  an  der  Leiche  die  Ursache  des  so  schnell  ein- 


6g  III.     Breslau,  KaUerftchnitt  nach  dem  Tode  etc. 

getretenen  Todes  nachzuweisen  vermöchte.  Möglich,  das« 
bei  unserer  Kranken  auch  eine  Klappenreränderung  vorhanden 
war,  dass  eine  Erobolie  der  Lungenarterie  oder  gar  eine 
Ruptur  des  Herzens  entstand. 

3)  Der  Kaiserschnitt  wurde  an  einer  wirklich  Todten 
und  nicht  an  einer  Scheintodten  ausgeführt  Diese  Annahme 
ist  keine  willkürliche,  sondern  gründet  sich  auf  die  genaueste 
Betrachtung  und  Untersuchung  der  Todten,  welche  das  Auf- 
hören jeglicher  Lebensthätigkeit,  insbesondere  auch  der  Herz* 
action,  nachwies  und  auf  die  Fruchtlosigkeit  der  Y*  Stunde 
hindurch  anlraltend  angewendeten  Wiederbelungsversuche. 

4)  Obwohl  das  Kind  wenigstens  l/4  Stunde  in  dem 
Uterus  einer  todten  Nutter  gelegen  und  sein  Blut  schon  froher 
durch  das  mangelhaft  oxydirte  Blut  seiner  Mutter  nur  un- 
zureichend regenerirt  worden  sein  mochte,  so  war  sein  Leben 
bei  der  Herausnahme  aus  der  Leiche  doch  noch  nicht 
vollständig  erloschen  und  unseren  fortgesesetzten  Bemühungen 
gelang  es,  das  Kind  zur  vollständigen  äusseren  Lebensthätigkeit 
zu  bringen. 

5)  Das  Kind  hätte  unzweifelhaft  sein  Leben  fortsetzen 
können,  wenn  es  reif  oder  der  Reife  nahe  gewesen,  wenn 
die  Schwangerschaft  der  Mutter  statt  bis  zur  32.  oder  33.  bis 
zur  36.  oder  40.  Woche  vorgerückt  gewesen  wäre. 

6)  Es  beweist  dieser  Fall,  dass  die  jüngst  in  der 
Monatsschrift  für  Geburtsk.  etc.,  Bd.  XY1IL,  Supplementheft, 
vom  Herrn  Medicinalrath  Dr.  Schwarz  in  Fulda  aufgestellte, 
auf  eine  Statistik  von  107  Fällen  von  Kaiserschnitt  an  todten 
Schwangern  sich  gründende  Behauptung:  „Der  Kaiserschnitt 
an  Todten  sei  unnöthig,  weil  nutzlos,  und  es  sei  nie  ein 
lebendes  Kind  zur  Welt  gebracht,  wo  der  wirkliche  Tod  der 
Mutter  ausser  allem  Zweifel  war"  in  ihrer  Allgemeinheit  -un- 
richtig und  für  das  geburtshülfliche  Handeln  oder  Unterlassen 
nicht  verwerthbar  ist  Mag  auch  in  hundert  und  hundert  von 
Fällen  die  Rettung  des  kindlichen  Lebens  nicht  gelingen,  und 
ereignet  es  sich  vielleicht  nur  jedes  Jahrzehnt  ein  Mal,  dass 
ein  Kind  lebend  aus  dem  Leibe  seiner  todten  Mutter  ge- 
schnitten wird,  so  ist  ein  solcher  vereinzelt  dastehender 
glücklicher  Fall  gegenüber  der  übergrossen  Mehrzahl  von  un- 
glücklichen Fällen  doch  beweiskräftig  genug,   um  immer  und 


IV.    Nötigen  aas  der  Journal -Literatur.  $y 

immer  wieder  darauf  hinzusteuern,  das»  eine  Leiche 
nicht  zum  Grabe  für  ein  lebendes  und  zum  Leben 
berechtigtes  Individuum  werde. 

Zürich,  im  Mai  1862. 


IV. 
Notizen  aus  der  Journal-Literatur. 

Stadfeldt:  Beitrag  iar  Aetiologie  der  Hydronephrose. 

Die  Hydronephrose  ist  im  Allgemeinen  unschädlich,  so  lange 
sie  auf  eine  Niere,  wie  gewöhnlich,  beschränkt  bleibt.  Als 
Ursache  derselben  werden  besonders  Geschwülste  angesehen, 
welche  einen  Druck  auf  die  Haruwege  ausüben,  z.B.  Carcinoma 
uteri,  welches  sich  auf  die  Blase  fortsetzt,  Uterusfibroide,  Ovarial- 
kystom ferner  Verengerung  des  Lumens  der  Ureteren  durch 
entzündliche  Processe,  Nierensteine  oder  Krebsbildung  in  den- 
selben; endlich  angeborener  Verschluss  der  Harnwege. 

Erster  Fall.  Ovarialtumor  bei  einem  22jährigen  Mädchen, 
welche  wiederholten  Anfällen  von  Peritonitis  erlag.  Der  Tumor 
hatte  die  Grösse  eines  Kopfes  von  einem  7 — 8 monatlichen  Fötus 
und  lag,  durch  Adhäsionen  fixirt,  im  kleinen  Becken.  Ziemlich 
hochgradiger  Hydrops  der  rechten  Niere.  Die  linke  war  ver- 
grössert.  —  Nicht  immer  lässt  sich  ein  mechanisches  Hinderniss 
der  Urinezcretion  nachweisen,  worauf  schon  Schönlein  aufmerksam 
machte  (Vorlesungen,  III.,  294.)  ^ 

Zweiter  Fall.  Erstgebärende.  Normale  Geburt.  Am  sehnten 
Tage  Fieber,  Anschwellung  und  Schmers  im  Verlaufe  der  rechten 
Vena  cruralis  und  poplitea.  Tod  in  der  sechsten  Woche.  Uterus 
and  Peritonäum  gesund.  Keine  Geschwulst  im  Becken.  Die 
Drüsen  der  Lumbargegend  bis  Wallnussgrösse  angeschwollen. 
Die  rechte  Niere  6"  lang  und  2 — 3"  dick  und  breit.  Nierenbecken 
erheblich  erweitert.  Die  Nierensubstanz  bildet  um  dasselbe  nur 
noch  eine  dünne  Schaale.  Rechter  Ureter  dicht  an  der  Blase 
und  am  Beckeneingange  äusserst  verdünnt,  aber  noch  permeabel; 
oberhalb  des  Beckens  erweitert.  Keine  Harnsteine  oder  Harn- 
gries.  Linke  Niere  und  Ureter  normal.  Die  ganze  rechte  Vena 
cruralis  mit  Thromben  und  puriformen  Massen  gefüllt.  —  Hiel- 
tst die  Ursache  dunkel.  Die  vergrösserten  Lumbardrüsen  lagen 
weit  oberhalb  der  verengten  Stelle.    Die  Blase  und  die  Wandung 


70  IV.     Notizen  aus  der  Journal- Literatur. 

des  Ureter  waren  normal.  Oppolzer  (Spitalzeitnng,  No.  17,  1860) 
glaubt  sich  an  der  Annahme  berechtigt,  das«  bei  Pyelitis  nnd 
Catarrh  der  Ureteren  Atrophie  der  Wandungen  letzterer  und 
dadurch  Erweiterung  entstünde.  Diese  Annahme  passt  nicht  für 
den  Torliegenden  Fall. 

Dritter  Fall.  Erstgebärende  von  23  Jahren.  Scheitelbeinlage. 
Zange.  Uterus  vor  und  nach  der  Geburt  nach  rechts  geneigt. 
Peritonitis  am  vierten  Tage  post  partum.  Injection  und  Ver- 
klebung der  Darmschlingen.  Kein  flüssiges  Exsudat.  Endo- 
metritis dipbtheritica.  Bedeutende  eiterige  Infiltration  des  Becken- 
zellgewebes linkerseits,  ausgehend  von  einer  perforirten  Ulceration 
der  Vagina,  in  der  Mitte  ihrer  Länge.  Rechte  Niere  gross, 
blutreich.  Nierenbecken  doppelt  so  gross  als  das  linke.  An  der 
Uebergangsstelle  zum  Ureter  bandförmige  Verengerung,  B/4"  lang: 
sich  erstreckend.  Darunter  ist  der  Ureter  bedeutend  erweitert. 
Zwischen  Uterus  und  Beckeneingang  von  Neuem  verengt;  unter- 
halb dieser  Stelle  neue  massige  Erweiterung  und  zur  Seite  des 
Uterus  massige  Verengerung  in  dem  infiltrirten  Bindegewebe. 
Auch  der  linke  Ureter  war  oberhalb  der  linken  Arter.  iliac.  comm. 
eine  Strecke  weit  etwas  erweitert.  Linke  Niere  normal.  —  Die 
Oompression  der  Ureteren  in  dem  zur  Seite  des  Uterus  gelegenen, 
infiltrirten  Gewebe  ist  also  bemerkenswerth.  Dass  zur  Ent- 
stehung einer  Hydronephrose  bisweilen  nur  einige  Monate  ge- 
hören, hat  man  wiederholt  bei  Retrofiexio  uteri  gravidi  erfahren. 
Der  Ureter  scheint  ferner  am  Becken  eingange,  zwischen' A.  iliaca 
und  Uterus',  zumal  wenn  letzterer  seitwärts  geneigt  ist,  einem 
erheblichen  Drucke  ausgesetzt  werden  zu  können. 

Dies  zeigt  der  vierte  Fall  deutlich:  3* jährige  Multipara. 
Langwierige,  spontane  Geburt.  Langer  Stand  des  Kopfes  in  der 
oberen  Apertur.  Druckstelle  vom  Promontorium  auf  dem  einen 
Scheitelbeine  des  kindlichen  Kopfes.  Am  neunten  Tage  Frost- 
anfall. Bald  erheblicher  Collapsus.  Tod  am  17.  Tage.  Section: 
Zerfallende  graiirotfae  Coagula  in  beiden  Aesten  der  A.  pulmonal!* 
mit  Fortsetzung  wurmförmiger  Coagula  in  die  kleineren  Aeste; 
ein  Embolus  nirgends  zu  finden.  Die  Venen  um  den  Uterus  ent- 
hielten flüssiges  Blut.  Ruptur  der  hinteren  Muttermundslippe, 
1"  lang;  die  Rissstelle  war  an  der  vorderen  Wand  des  Rectum 
adhärent.  Der  Uterus  nach  dem  rechten,  hinteren  Theil  des 
Beckens  gedrängt.  Lig.  latum,  Tuba  und  Ovarium  der  rechten 
Seite  bilden  eine  wurstförmige  Geschwulst,  welche  sich  bis  in 
die  rechte  Nierengegend  erstreckt.  Rechte  Vena  spermatica 
verdickt,  in  der  unteren  Hälfte  zerfallene  Thrombusmassen.  Der 
rechte  Ureter  von  der  A.  iliaca  comm.  d extra  bis  zum  rechten 
Winkel  des  Uterus  stark  erweitert;  die  Wandung  verdickt;  die 
8ch1eimhaut  ecehymosirt.  Das  Nierenbecken  bis  zur  Grösse  eines 
Enteneies  erweitert.     Linke  Niere  und  Ureter  normal. 


IV.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  7] 

Auch  ohne  eine  8eitwärtslagerung  oder  Fixirung  de«  Uterus 
an  die  eine  Beckenwand  ist  Erweiterung  eines  Ureters  im  Becken- 
eingange  bei  Wöchnerinnen  sehr  hantig.  In  16  Fällen  fand 
Stadfeldt  sie  nenn  Mal.  Die  Erweiterung  beginnt  fast  immer  da, 
wo  der  Uterus  an  die  A.  iliaca  comm.  'stösst.  Ein  Fall  dieser 
Art  wird  noch  angeführt. 

Rokitansky,  Pathol.  Anat.,  2.  Ausgabe,  8.  Bd.,  IL,  p.  437, 
erw«hnt  bereits  Druck  des  schwangeren  Uteras  als  Ursache  von  ' 
Erweiterung  der  Ureteren.  Vielleicht  ist  der  puerperale  Uterus 
noch  häufiger  die  Veranlassung;  die  Zeit,  innerhalb  welcher  er 
einen  Druck  ausüben  kann,  reicht  jedenfalls  zur  Entstehung 
einer  Hydronephrose  hin.  Zum  Beweise  fuhrt  8.  die  Section  eines, 
an  typhöser  Darmperforation  schnell  gestorbenen  Mannes  an, 
bei  welchem  die  aufgetriebenen  Gedärme  bereits  in  wenigen  Tagen 
eine  Erweiterung  und  Verdickung  der  Ureteren   bewirkt  hatten. 

In  dem  aweiten  der  oben  angeführten  Fälle  glaubt  S.  jedoch 
an  die  Entstehung  in  der  Schwangerschaft.  Oefter  ist  wohl  die 
Infiltration  des  Bindegewebes  die  Ursache  des  Uebels.  Geht 
nun  diese  und  die  Vergrösserung  des  Uterus  zurück,  so  ist  die 
Entstehung  der  Hydronephrose  in  späterer  Zeit  ganz  unklar.  Ist 
Schwangerschaft  oder  gar  eine  Erkrankung  im  Puerperium  voraus- 
gegangen, ist  die  Stelle  der  Verengerung  dicht  unterhalb  der 
Kreuzungastelle  mit  der  A.  iliaca  comm.  oder  am  Collum  uteri, 
so  ist  die  Schwangerschaft  oder  das  Puerperium  immer  die 
wahrscheinliche  Ursache  der  gefundenen  Hydronephrose. 

Nach  König  ist  die  Hydronephrose  bei  Weibern  häufiger  als 
bei  Männern.  8.  fand  sie  häufiger  rechts  als  links;  nämlich  in 
12  Fällen  nur  einmal  allein  links;  drei  Mal  allein  rechts;  acht 
Mal  beiderseits ,  aber  jedes  Mal  rechts  stärker.  Theils  mag  die 
häufigere  Lage  d«B  schwangeren  und  puerperalen  Uterus  nach 
rechts  hieran  Schuld  sein;  ausserdem  aber  die  Lage  der  rechten 
A.  iliaca,  welche  wegen  der  linksseitigen  Lage  der  Aorta  einen 
weit  schrägeren  Verlauf  hat  und  mit  dem  Beckeneingange  länger 
und  mehr  in  Berührung  kommt,  als  die  linke.  Entzündliche 
Affeetionen  des  Peritonäum  und  der  Ureteren  sind  jedenfalls 
Nebensache;  letztere  wohl  öfter  Folge  der  Urinstauung. 

Nach  Bayer  und  Anderen  kommt  Pyelitis  und  Nierenstein- 
kolik nicht  ganz  selten  in  der  Schwangerschaft  vor.  Vielleicht 
begünstigt  die  Erweiterung  der  Ureteren  das  Herabsteigen  der 
Nierensteine. 

Häufig  ist  die  Eintrittsstelle  des  Ureters  .in  das  Nierenbecken 

verengt,  bei  Erweiterung  des  übrigen  Ureter.    Die  verengte  Stelle 

unterhalb  der  Nierenbecken  ist  oft  deutlich  quergestreift  und  gleicht 

einer  Muskelhaut.     Dies  fand  in  zwei  der  erwähnten  Fälle  statt. 

(Hospitals  -Tidende,  Kjöbenhavn,  26.  Juni  1861.)  O. 


72  IV.     Notizen  a*s  der  Jewuri*  Literatur. 

P.C.Faye:  Uterus  duplex  bieornis  com  vagina  simplici. 
Zwei  Geburten;  bei  beiden  Wendung  des  Ffftus  und 
mehrere  bemerkenswerte  Abnormitäten.  (Anato- 
mie cbe  Besehreibung  von  Winge.) 

Marie  P...  wurde  als  Mädchen  mehrfach  in  Hospitälern  be- 
handelt wegen  einer  Geschwulst  in  der  linken  Regio  iliaea.  Sie 
'  wurde  ungeheilt  entlassen,  aber  später  spontan  gesund.  Mit 
36  Jahren  heirathete  sie  und  gebar  ihr  erstes  Kind  mit  Hälfe 
der  Wendung.  Wochenbett  gesund.  In  der  «weiten  Geburt  eben- 
falls Wendung.  Die  Flacenta  folgt  nicht.  Sechs  vergebliche 
Versuche,  sie  zu  entfernen,  misslingen.  Nach  23  Stunden  fand 
ein  anderer  Arzt  die'  Kranke  mit  130  Pnlsschlägen ,  häufigem 
Erbrechen,  schmerzhaftem  Unterleibe;  der  Muttermund  ist  faat 
geschlossen.  Viersehn  Tage  stand  der  Fundus  uteri  am  Nabel; 
links  sass  auf  ihm  eine  ganseigrosse  Geschwulst;  die  Nabelschnur 
war  drei  Tage  nach  .der  Geburt  abgefallen.  Massiges  Fieber 
ist  noch  vorbanden.  Im  Becken  ist  eine  Geschwulst  fühlbar; 
an  ihr  fühlt  man  eine  rauhe  8 teile,  einen  Zoll  im  Durchmesser 
haltend,  welche  von  einem  scharfen  Bande  begrenzt  ist,  den 
man  für  den  Muttermund  hält  Drang  der  Finger  durch  diesen 
Muttermund  ein,  so  kam  er  bald  auf  einen  zweiten  scharfen 
Band,  der  höher  oben  mit  dem  ersten  zusammeniloM.  Bei  der 
später  erfolgenden  Aufnahme  der  Kranken  in  ein  Hospital  fand 
man  äusserlicb  eine  elastische  Geschwulst  bis  zum  Nabel  reichend ; 
rechts  daneben  eine  zweite  mit  ihr  nicht  in  Zusammenhang 
stehende.  Innerlich  war  der  Befund  der  eben  geschilderte.  Man 
hielt  die  äussere  Oeffnung  für  den  Muttermund,  den  höher  oben 
liegenden  Körper  für  ein  Ei  mit  sehr  verdickten  Eihäuten.  Die 
Sonde  drang  einige  Zoll  hoch  in  den  Uterus  ein.  Man  erweiterte 
nun  den  Muttermund  durch  Incisionen,  punktirte  den  dahinter 
liegenden  Sack  mit  einem  Trokart  und  entleerte  eine  übel- 
riechende Flüssigkeit.  In  die  Höhlung  drang  die  Sonde  nun 
7" — 8"  weit  vorwärts.  Man  versuchte  dann  vergeblich  den  ver- 
meintlichen Fruchtsack  auszuziehen.  Die  bisher  zum  Nabel 
reichende  Geschwulst  stand  anderen  Tags  dicht  über  der  Scham- 
fuge.  Am  vierten  Tage  nach  jenem  Operationsversuche  trat 
Frost,  heftiges  Fieber,  Erbrechen,  Meteorismns  ein;  Tod  vier 
Tage  später. 

Section:  Fibrinös -eiterige  Massen  verkleben  Bauchwand 
und  Netz:  geringe  Menge  sero-purulenter  Flüssigkeit  .zwischen 
den  Gedärmen.  Das  Netz  dicht  über  dem  Beckeneingange  links 
mit  einer  kystenartigen  Geschwulst  verwachsen;  nach  rechts  mit 
einer  zweiten  kleineren  Geschwulst  verwachsen,  die  mit  der 
linken  Seite  des  Uterus  zusammenhängt;  an  dieser  letzteren  Ge- 
schwulst eine  bohnengrosse  Oeffnung,  aus  welcher  eine  bräunliche, 
nicht  stinkende  Flüssigkeit    sich    entleert.     Dieselbe   Flüssigkeit 


IV.   Kotisen  aw  der  Journal  -  Literatur.  73 

fand  «leb  im  Douglas' sch&n  Räume.  Die  Oeffsmng  fand  sieh 
durch  frische*  Exsudat  an  das  8  römanum  gelöthei.  Im  Recken- 
eingange  zeigen  sieb  swei  Uterinkörper;  an  der  äusseren  Seite 
eines  jeden  ein  Ovarium,  eine  Tuba  und  «in  Lsg.  rotondnnt« 
Am  Ende  der  Unken  Tuba  sass  die  snletst  erwähnte  der  oben 
genannten  Geschwülste,  während  die  zuerst  erwähnte  eine  im 
Netze  befindliche  Kyste  von  2%"  Durchmesser  ist,  mit  einer 
salbenartigen  Masse  als  Inhalt.  Zwischen  dem  linken  Uteruahalse 
und  der  Blase  sass  eine  bohnengrosse  Kyste  mit  demselben 
facalähnlichen  Inhalte.  Eine  Conrmunication  swisehen  Darm  und 
Peritonäalhöhle  wurde  nicht  gefunden.  Es  existirte  nur  eine  (die 
rechte)  Niere  and  ein  Ureter.  Die  beiden  Uteruskörper  ver- 
einigten sich  nach  unten;  doch  blieben  die  Höhlen  völlig  getrennt; 
jeder  Uterus  mündete  mit  eigenem  Muttermunde  in  die  Tagina 
aus.  Die  Scheidewand  swisehen  den  Cervicaltheilen  beider 
Uteri  bestand  aus  Bindegewebe,  während  die  Muskulatur  jedes 
Uterus  gesondert  blieb. 

Der  rechte  Uterus  ist  41/,"  lang;  keine  Portio  vaginalis, 
keine  Einrisse  am  Muttermunde-.  Nahe  der  Tubenmiindung  bildet 
die  Schleimhaut  eisen  Wulst  als  wäre  sie  mit  Decidua  betetst. 
Der  linke  Uterus  ist  reichlich  7"  lang;  die  Höhle  Stundenglas- 
förmig,  durch  den  inneren  Muttermund  in  swei  gleiche  Hilfren 
getheilt;  die  Schleimhaut  mit  Resten  deciduaähnlicher  Membranen 
bedeckt,  im  Cervicalcanal  sum  Theil  sottig  und  injieirt.  Der 
linke  Muttermund  ragt  Vi"—!"  tiefer  herab  als  der  rechte.  Die 
hintere  Lippe  ist  gleichsam  doppelt  vorhanden.  Im  Scheiden* 
gewölbe  rechts  und  hinten  eine  Ruptur,  dnreh  welche  der  Finger 
2"  hoch  swisehen  Rectum  und  Uterus  in  die  Höhe  dringt* 

Das  rechte  Ovarium,  grösstenteils  von  einer  wallnussgrossen 
Kyste  eingenommen,  enthält  ein  grosses  Corpus  luteum;  rechte 
Tuba  gans  durchgängig.  Linkes  Ovarium  in  alte  Pseudo- 
membranen eingehüllt;  die  linke  Tuba  enthält  jene  oben  erwähnte 
Kyste  (welche  dem  UteruB  zunächst  lag). 

Die  Prominensen  im  linken  Collum  uteri  sind  Papillen  mit 
capillären  Gefasssohlingen  und  Epithel.  Die  faecalartigen  Massen 
der  Kysten  bestanden  in  Detritus,  mit  einseinen  Zellen  und 
Cholestearinkrystallen  (Atherome).  Die  Kyste  der  linken  Tube 
war  wohl  in  ihrer  Wandung  gebildet,  ist  nachher  nach  der  Tube 
hin  geöffnet  und  so  auch  mit  der  Uterushöhle  in  Verbindung 
getreten;  die  früher  vorhandene  Atreeie  des  linken  Muttermundes, 
welche  ja  durch  die  Punotion  behoben  wurde,  kann  die  Folge 
des  chronischen  Gebärmuttercatarrbs  gewesen  sein  oder  schon 
früher  bestanden  haben.  Der  linke  Uterus  hat  wohl  jedenfalls 
vor  der  Punction  einen  mit  jener  bräunlichen  Flüssigkeit  gefüllten 
Sack  dargestellt.  Wahrscheinlich  existirte  diese  Ansammlung 
schon  vor  der  zweiten  Geburt  und  veranlasste  bei  ihr  das  sofortige, 


74  IV-    Koliken  hu»  der  Journal -Literatur. 

heftige  Pressen  gleich  der  Ausstossung  des  Kindes.  Die  An- 
sammlung ist  vielleicht  aus  einer  Haematometra  hervorgegangen. 
Die  Schwangerschaft  hat  wohl  im  rechten  Uterus  stattgefunden  ; 
dafür  spricht  das  Corpus  luteum  im  rechten  Ovarium ;  der  Verschluss 
der  linken  Tobe  an  ihrem  äusseren  Ende,  das  Verhalten  des 
linken  Uterus.  Dass  weder  eine  Placenta  noch  eine  Placentar- 
stelle  aufgefunden  wurde,  ist  merkwürdig.  Die  Placenta  mnss 
innerhalb  27  Tagen  völlig  resorbirt  worden  Rein.  Bei  der  sweiten 
Geburt  ist  nach  der  Ausstossung  des  Kindes  der  linke  Uten» 
gleich  nach  abwärts  getreten  und  hat  den  rechten  Muttermund 
ganz  nach  rechts  gedrängt,  wo  man  ihn  beim  Versuche  der  Ent- 
fernung der  Placenta  fand. 

Jener  merkwürdige  doppelte  Ring  am  linken  Uterus,  welcher 
Veranlassung  gab  au  einer  vermeintlichen  Lostrennung  der  Eihäute 
von  der  Innenfläche  des  Uterus  war  bis  auf  die  doppelte  hintere 
Mnttermundslippe  völlig  verschwunden. 

Die  zweimalige  Querlage  des  Kindes  bei  awei  Geburten  ist 
auffallend.  Der  Mangel  einer  Niere  bei  Uterus  bicornis  ist  nicht 
au  erklären,  hat  aber  auch  in  einem  Falle  von  Hasse  in  Göttingen 
existirt,  wie  Sprengeil  mittheilt  in  der  Deutschen  Klinik,  1860,  No.24. 

Eine  Abbildung  macht  die  anatomischen  Verhältnisse  so  klar 
wie  möglich,  an  dem  ganzen  Falle  ist  freilich  Manches  dunkel, 
wie  dies  Levy  selbst  zugesteht. 

'     (Norsk.  Magazin  f.  Laegevdsk,  Bd.  XV.,  Heft  7.)  O. 


von  Madurowicz:    Haematemesis  in   gravida. 

Eine  30jährige  Frau  hatte  seit  längerer  Zeit  an  zeitweiligem 
Unwohlsein  gelitten,  das  sich  durch  Appetitlosigkeit,  Ohnmächten, 
selbst  durch  Krämpfe  manifestirte.  Gegen  Ende  ihrer  zweiten 
Schwangerschaft  stellte  sich  mit  dem  Beginn  schwacher  Wehen 
wiederholtes  Blutbrechen  ein,  wodurch  im  Ganzen  circa  3  Seitel ') 
entleert  wurden.  Tags  darauf  wurde  sie  nach  C.  Braun*»  Klinik 
gebracht,  wo  die  Bewußtlose  die  Zeichen  hochgradiger  Anämie 
wahrnehmen  liess.  Die  Brustorgane  verhielten  sich  normal,  Leber 
und  Milz  entzogen  sich  bei  Vorlagerung  der  durch  den  Uterus 
hinanfgedrängten  Därme  der  Untersuchung.  Man  nahm  ein  chro- 
nisches Magenleiden  als  wahrscheinliche  Ursache  der  Anämie  an, 
welche  ihrerseits,  gesteigert  durch  das  Blntbrechen,  seröse  Durch- 
feuehtung  des  Gehirns  und  dadurch  Bewnsstlosigkeit  bedingte. 
Eispillen,  Essigwaschungen.  Abermaliges  Erbrechen  von  circa 
1  8eitel  Blut.  Allmälige  Eröffnung  des  Muttermunds  durch 
schwache  Wehen  bis  auf  1",  Sprengen  der  Blase,  3  Stunden 
darauf  bei  vollständig  erweitertem  Muttermunde  Entwicklung  des 
lebensschwachen  Kindes  mittels  der  Zange,   33  Stunden  darnach 

1)  3  Seitel  =  1,042  Berl    Qnart.  < 


IV.    Notizen  ans  der  Journal -Literatur.  75 

Tod  der  Mutter  anter  den  Zeichen  des  Lungenödeme.  Bei  der 
Section  wurde  'Hirn  -  and  Lungenödem ,  sowie  f rieche  Peritonitis 
gefanden.  Die  Magenschleimhaut  war  gewulstet  und  neigte  zahl- 
reiche  hämorrhagische  Erosionen;  die  Venen  dee  Oesophagus 
waren  namentlich  gegen  die  Cardia  hin  stark  erweitert.  «Die 
Leber  war  verkleinert,  platt,  im  Höhendurchmesser  verkürzt,  im 
Breitendnrchmesser  verlängert,  namentlich  am  hintern  Rande  und 
an  der  unteren  Fl  Rehe  durch  zahlreiche  narbige  Einziehungen 
vielfach  gelappt  nnd  im  ganzen  Umfange  pseudomembranös  ange- 
heftet;  die  6ubstnnz  derselben  derb,  schmutzig  -bräunlich,  am 
Durchschnitte  bin  nnd  wieder  deutlich  granulirt,  und  namentlich 
im  linken  Lappen  einzelne  Antheile  blassgelblich  gefärbt,  und 
dieselben  über  die  Schnittfläche  deutlich  prominirend;  der  linke 
Leberlappen  bis  in  das  Hypochondrium  hinüberreichend,  mit  der 
Milz  verwachsen;  die  Gallenblase  mangelnd,  der  Ductus  hepatieus 
und  choledochns  durchgängig;  die  Milz  bedeutend  vergrSssert, 
mit  ihrer  Umgebung  innig  verwachsen,  gleichfalls  hin  and  wieder 
mit  narbigen  Einziehungen  versehen,  die  Milssubstanz  derb,  theils 
blassroth,  theils  schwarzroth  gefärbt,  an  letzterer  Stelle  derber. 
Es  war  sonach  das  Grundleiden  in  einer  chronischen  Leber- 
entztindung  zu  suchen,  die  durch  Störung  des  Pfortade rblntlanfs 
die  an  Magen  und  Milz  gefundenen  Veränderungen  veranlasste, 
sowie  Anämie  verursachte,  welche  ihrerseits,  durch  die  HKroa- 
temesis  gesteigert,  zur  Ausbildung  des  Hirnödems  führte: 
(Wien.  Med. -Halle  1862,  No.  18.) 


Saugstöpsel    und    Warzenhütchen    aus    Kautschuk    be- 
treffend. 

Die  gesundheitsschädliche  Präparirung  des  Kautschuk  mit 
Zinkoxyd,  Bleioxyd,  Schwefelarsenik  lässt  sich  an  daraus  be- 
reiteten Gerätschaften  daran  erkennen,  dass  dieselben  schwerer, 
härter,  un durchscheinend  sind  nnd  auf  der  Durohschnittsflftcbe 
keinen  Glanz,  sondern  dieselbe  graue  Farbe  wie  auf  der  Oberfläche 
zeigen,  während  die  unschädlichen  weniger  schwer,  dehnbarer,  etwas 
durchscheinend,  auf  der  Schnittfläche  glänzend  und  bräunlich  sind. 
(Bekanntmachung  der  königl  Regierung  zu  Magdeburg  vom 
24.  Nov.  1861.   —   Catper9*  Viertelfahrscbr.  1862,  2.  Heft.) 


Breslau:    Bericht   über   die   Ereignisse    in  der  Züricher 
Gebäranstalt  im  Jahre  1860. 

t 

Aus   einem  kurzen  statistischen  Ueberblioke  entnehmen  wir: 

Es   erfolgten  200  Geburten,   worunter   eine  Zwillingsgeburt. 

201  Kinder:    26  unreif,    176   reif,   12  todt  geboren,  20  nach  der 


76  IV.    Notizen  aus  der  Journal- Literatur. 

Geburt  in  der  Anstalt  gestorben.  Die  erste  Schädellage  wurde 
HO  Mal,  die,  «weite  68  Mal,  unbestimmte  Sehttdellage  3  Mal, 
dte  erste  Gesieh tslage  2  Mal,  die  erste  Steisslage  2  Mal,  die 
zweite  Steisslage  8  Mal,  die  erste  Fnsslage  S  Mal,  die  »weite 
Fnsslage  2  Mal  beobachtet.  Die  Zange  wurde  16  Mal  bei  Schadel- 
lagen, 1  Mal  bei  Gesichtslage  in  Anwendung  gesogen.  —  Verfasser 
salf  sieh  dasn  7  Mal  dnreh  Wehenschw&che  oder  Erschöpfung-, 
9  Mal  durch  Gefährdung  des  Kindes,  5  Mal  dnreh  ßeckenenpe, 
1  Mal  durch  Vorliegen  der  Hand  neben  dem  Kopfe,  1  Mal  dureh 
Vorliegen  der  Nabelschnur  und  des  Armes  neben  dem  Kopfe 
bestimmt,  in  einzelnen  dieser  Fälle  ausserdem  durch  Rücksicht 
auf  die  praktische  Ausbildung  seiner  Schüler.  Von  den  mittels 
der  Zange  Entbundenen  starben  2  (s.  unten),  Ton  den  auf  dieselbe 
Weise  entwickelten  Kindern  erlagen  2  in  den  nächsten  Tagen 
den  Folgen  der*  Operation,  bei  2  anderen  stand  der  Tod  in 
keinem  nachweisbaren  Zusammenhange  mit  derselben,  1  starb 
während  der  Geburt,  2  waren  fanltodt.  Die  künstliche  Früh- 
geburt wurde  3  Mal  eingeleitet.  Die  manuelle  Extraction  bei 
Beckenendlflgen  geschah  5  Mal.  In  einem  Falle  wurde  die 
Decapitatioii  Torgenommen.  Die  Plaeenta  wurde  2  Mal  wegen 
Incarceration,  2  Mal  wegen  theilweiser  Verwachsung  aus  dem 
Uterus  fortgenommen,  —  im  Allgemeinen  wurde  die  Nachgeburt 
durch  Herausdrücken  aus  der  durch  Massiren  sur  Zusammensiehung 
gebrachten  Gebärmutter  entfernt,  Über  welche  Methode  sich 
Verf.  sehr  anerkennend  ausspricht  Ausserdem  wurden  noch 
zahlreiche  kleinere  Operationen  ausgeführt. 

Indem  dann  Verf.  zur  Schilderung  der  Puerperalerkrankungen 
im  genannten  Jahre  übergeht,  beklagt  er  die  ElasticitKt  des  Be- 
griffes „Puerperalfieber"  und  versucht  eine  Ehrenrettung  des 
Ausdruckes  „Milchfieber",  welch  letzteren  er  für  in  den  ersten 
acht  Tagen  des  Wochenbettes  auftretendes  Fieber  ohne  hervor- 
stechende looale  Symptome  braucht,  während  er  den  ersteren 
den  fieberhaften  Puerperalerkrankungen  mit  auf  tiefer  Ernährungs- 
störung und  Blutintoxication  beruhenden  örtlichen  Affectioncn 
vindtcirt.  Dem  entsprechend  theilt  Verf.  von  78  Puerperal* 
erkrankungen  32  der  Kategorie  des  Müchfieberd  zu. 

In  der  Mehrzahl  der  schweren  Erkrankungsfälle  ging  Fieber 
den  Localaffectionen  voraus,  —  bei  keinem  wurde  das  Um- 
gekehrte beobachtet.  Der  Beginn  der  Erkrankung  war  charakteri- 
sirt  durch  allgemeines  Unbehagen,  Frösteln,  selbst  (atypischen) 
Schüttelfrost,  —  in  einigen  Fällen  war  schon  während  des  Kreissens 
Fieber  und  Störung  der  Weheathätigkeit  vorhanden.  Das  Fieber 
war  stets  durch  grosse  Pulsfrequenz  und  sehr  hohe  (bis  42,6.  C.) 
Temperatur  ausgezeichnet.  In  den  meisten  Fällen  war  Peritonitis 
vorhanden,  partiell/  circumscript  in  den  Eferstocksgegendeh, 
oder  allgemein.  Die  umschriebene  Bauchfellentzündung  hatte 
öfter  einen  sehr  schleppenden  Verlauf  und   dann  erfolgte   stet», 


IV.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  77 

wenn  anch  langsam,  Genesang.  Bei  allgemeiner,  raten  nach  der 
Geburt  auftretenden  Peritonitis  wurde  kein  Cbronlsebwerden  • 
beobachtet,  —  entweder  es  steigerten  sieb  alle  Symptome  schnell 
bis  zum  baldigen  Tod,  oder  sie  nahmen,  rasch  ab.  Dagegen  sah 
Verf.  den  Ueb ergang  der  allgemeinen  Peritonitis  in  ein  chronisches 
Stadium  bei  xwei  Wöchnerinnen,  welche,  12  Tage  naob  der  Ent- 
bindung als  gesund  entlassen,  am  18.  resp.  20.  Tage  nach  ihrem 
Austritte  mit  intensiver  Bauchfellentzündung  surückkehrten ,  — 
in  beiden  Fallen  trat  der  Tod  im  dritten  Monate  nach  der  Ent- 
bindung ein. 

Von  den  sonst  der  Peritonitis  zugeschriebenen  Symptomen 
war  nur  die  ineteoristische  Auftreibung  des  Unterleibes  CQnstant 
vorhanden;  Erbrechen,  Stuhlverstopfung  fehlten  öfter;  bisweilen 
war  selbst  keine  oder  nur  geringe  Sohmershaftigkeit  nach- 
zuweisen. Bei  Endometritis  septica  wurden  mangelhafte  In- 
volution des  Uterus,  Nachblutungen,  übelriechende  Lochien, 
Milzanschwellung,  grosse  Prostration,  weitverbreitete  Muskel- 
und  Gelenkschmerzen ,  Eingenommenheit  des  Kopfes,  selbst 
Delirien  beobachtet,  ohne  dass  jedoeh,  bei  meist  gleichseitige» 
Bestände  bei  anderen  erheblichen  örtlichen  Störungen,  dieser 
Symptomencomplex  für  jene  Affeetion  der  Gebärmutter  aus- 
schliesslich in  Anspruch  au  nehmen  war«  Snbepidermidale 
Abscesse  wurden  in  zwei  später  in  Genesung  übergegangenen 
Fällen  bemerkt  Sudamina  waren  gemein»  Erytheme  und  Erysipele 
worden  mehrfach  wahrgenommen.  Von  sehr  übler  prognostischer 
Bedeutung  fand  Verf.  eine  aber  38 — 48  Stunden  anhaltende  Puls- 
frequens  von  über  186,  sowie  eine  trockene,  im  Anfange  manch- 
mal geschwollene,  dann  collabirende,  lederartig  werdende,  braune 
Zunge.  Von  den  verschiedensten  Mitteln,  welche  Verf.  in  An- 
wendung zog,  hat  sich  keines  das  Vertrauen  desselben  erringen 
können,  und  giebt  er  einem  rein  symptomatischen  Verfahren  den 
Vorzug.  Von  20  Todesfällen  von  Wöchnerinnen  setzt  er  nur  14 
auf  Rechnung  des  Puerperalfiebers.  Bei  11  davon  wurde  die 
Leichenöffnung  gemacht,  —  es  wurde  „in  6  Fällen  eiterig- fibrinöse 
Peritonitis  mit  Salpingitis  und  Endometiitis,  2  Mal  mit  Phlebitis 
uterina,  in  2  Fallen  Endometritis  septica  allein,  in  einem  Falle 
Endometritis  mit  Lymphangioitis,  in  einem  eine  abgelaufene 
Perimetritis  mit  frischer  Entzündung  der  Beckenvenen  und  frischer 
eiteriger  Pleuritis,  mit  Bindegew ebsabsessen  von  einem  Decubitus 
ausgehend,  in  einem  Falle  Perithyreoiditis  und  Abscesse  in  der 
Muskularis  des  Uterus,  in  einem  Falle  grosse,  eiterige  linksseitige 
Pleuritis,  wahrscheinlich  anämischer  Natur,  nach  abgelaufener 
Endometritis  *  gefunden.  Hinsichtlich  der  Aetiologie  ist  Verf. 
geneigt,  den  ungünstigen  atmosphärischen  Verhältnissen  des 
betreffenden  Jahres,  aowie  der  unzweckmässigen  Lage  und  Aus- 
stattung der  von   ihm  geleiteten  Anstalt  einen  wesentlichen  Ein- 


78  IV»    Notizen  aus  der  Journal- Literatur. 

flass  auf  die  Entstehung  der  besprochenen  Puerperalerkrankungeii 
anzuschreiben. 

An  diesen  allgemein  gehaltenen  Bericht  reiht  sich  sodann 
die  gesonderte  Besprechung  e inselner  wichtigeren  Geburts-  and 
Krankheitsfälle,  von  denen  swei  bereits  in  diesen  Blättern  eine 
genauere  Beschreibung  gefanden  haben  (Künstl.  Frühgeburt  nach 
Krause  bei  psteomalaciscbeoi  Becken  mit  glück  1.  Aasgang  für  die 
Mutter,  Bd.  XV.,  Eclampsie  im  Wochenbette  mit  Genesung,  Bd.  XVI.) 

Im  Nachfolgenden  besprechen  wir  daher  nur  einige  der 
übrigen. 

Bei  einer  26jährigen,  zum  dritten  Male  und  «war  in  der 
,34.  oder  86.  Woche  Schwangern,  deren  beide  frühere  Schwanger- 
schaften gegen  Ende  des  sechsten  Monats  durch  spontan  ein- 
getretene Fehlgeburten  unterbrochen  worden,  wurde  wegen  all- 
gemein verengten  Beckens  (über  den  Grad  der  Verjüngung  wird 
nichts  angegeben)  die  Frühgeburt  nach .  Krause  eingeleitet. 
Wehenbeginn  10  Stunden,  Geburt  eines  41/,  Pfand  schweren 
Mädchens  in  «weiter  Schädellage  36  Stunden  nach  Einlegen  des 
Katheters.  Für  die  Mutter  verlief  das  Wochenbett  normal,  das 
Kind  starb  am  vierten  Tage. 

Auf  gleiche  Weise  wurde  die  Frühgeburt  bei  einer  wahr- 
scheinlich in  der  36.  Woche  stehenden,  sum  fünften  Mal  Schwangern 
eingeleitet,  bei  welcher  die  enorme  Menge  des  Fruchtwassers 
bedeutende  Beschwerden  von  Seiten  der  Brust-  und  Unterieibe- 
organe  hervorrief  unddieConjugata  desBeokeneingangs8'4'"(P.M.) 
betrag.  Wehenbeginn  4  Stunden,  Venäsection  wegen  Cyanoee 
und  Gef&asanfregung  16  Stunden,  Anlegen  der  Zange  an  den  ia 
sweiter  Lage  im  Beckeneiugange  feststehenden  Kopf  wegen  Er- 
schöpfung der  Gebärenden  20  Stunden  nach  Einlegung  des 
Katheters,  mühsame  Entwickelung  des  Kopfes  des  faultodten 
Kindes,  schwierige  Extraction  des  Rumpfes  wegen  hydropischer 
Ansammlungen  in  Brust-  und  Bauchhöhle  (Decapitation,  Ent- 
leerang der  Pleurahöhlen).  Das  Kind  war  reif,  6  Pfund  18  Loth 
schwer.  Die  Matter  starb  21  Standen  nach  der  Geburt.  Die 
Lungen  wurden  ödematös,  die  Mils  am  das  Doppelte  vergrössert 
und  breiig  erweicht  gefunden.  Der  Uterus  war  mehr  ald  mannskopf- 
gross,  von  dunkellivider  Farbe,  sehr  schlaff  und  schwer;  seine 
Höhle  war  sehr  gross  und  enthielt  eine  mftssige  Quantität  flüssigen 
und  halbgeronnenen  Blutes.  Die  Muskelschicht  war  circa  1" 
dick,  glänsend,  serös  infiltrirt,  die  Schleimhaut  dunkellivid  von 
Blutfarbstoff  imbibirt,  mit  Ausnahme  des  Cervicaltheiles  mit  einer 
colossalen  Menge  mehr  wie  1"  langer  haarfeiner,  weisser, 
flottirender,  sottenartiger  Hervorragungen  bedeckt. 

Eine  Person,  welche  4  Jahre  vorher  zum  ersten  Male  geboren 
und*  ein  normales  Wochenbett  gehabt,  hatte  sich  immer  wohl 
gefühlt,  bis  sie,  bald  nach  Beginn  ihrer  leisten  Schwangerschaft, 


IV.    Notizen  mm  der. Journal- Literatur.  79 

Schmers,  Hitze  and  Geschwulst  an  den  Geeohlechtttheilen  und 
starkes  Brennen  beim  Urinlassen  bemerkte.  Verf.  besteht  dies 
anf  eine  ulceratire  Elytritis,  als  deren  Product  er  eine  Atresie 
des  Scheidengewölbes  vorfand.  Nach  12 ständiger  Wehendauer 
wurde,  da  der  Kopf  tief  herabgetrieben  war  und  die  vordere, 
sehr  verdünnte  Scheidenwand  vor  steh  hergestülpt  hatte,  an  der 
verwachsenen  Stelle,  die  sich  im  Spiegel  als  eine  rinnenförmig 
vertiefte,  röthliche,  querverlaufende  Narbe  darbot,  in  querer 
Richtung  eine  4«  Ctm.  lange  Incision  gemacht,  worauf  sofort  eine 
fast  runde,  circa  swei  Franken  grosse  Oeffnung  hergestellt  war, 
durch  welche  die  Eihäute  gefühlt  und  gesehen  wurden.  Die 
vollständige  Eröffnung  des  künstlioh  angelegten  Muttermundes 
ging  schnell  vor  sich. 

Bei  der  Section  einer  Wöchnerin,  welche  drei  Tage  nach 
der  Geburt  eines  unreifen,  3*/4  Pfund  schweren  Knaben,  über 
welche  jedoch  nur  angegeben  wird,  dass  sie  ohne  jede  Störung 
in  Gegenwart  zweier  Hebamme  verlaufen  sei,  unter  den  Er- 
scheinungen des  Collapsus  verstorben  war,  .wurde  eine  Ruptur 
der  Scheide  gefunden,  welche  sich  nach  oben  bis  in  den  Cervtx 
erstreckte,  9  Ctm.  lang,  3  Ctm.  breit  war,  auf  der  rechten  Seite 
der  Excavatio  rectouterina  ein  ki  rochen  grosses,  mit  einem  kleinen 
Blutgerinnsel  verlegtes  Loch  im  Bauchfelle,  welches  sich  schief 
nach  abwärts  bis  in  die  Scheide  verfolgen  liess;  der  Riss  war 
in  der  Scheide  bedeutend  grösser  als  im  Bauchfelle.  Das  sub- 
mucöse  und  subseröse  Bindegewebe  in  der  Umgegend  des  Risses 
war  mit  Blut  infiltrirt,  nirgends  ein  grösseres  freies  Coagulum. 
Die  Ränder  des  Scheidenrisses  waren  nicht  sphacelös,  glatt,  die 
Scheide  im  Ganzen  sehr  dünn,  sonst  ohne  Erkrankung  der  Textur. 
Der.  Uterus  gut  contrahirt,  Schleimhaut  gesund.  In  der  Becken- 
höhle fand  sich  eine  ziemliche  Menge  blutigen  Serums ,  nirgends 
eiterig- fibrinöses,  nur  an  einigen  Stellen  der  hinteren  Döuglat'tchen 
Tasche  ein  durchscheinend  gelatinöses  Exsudat,  keine  Verblebung 
-  der  Eingeweide.  Das  Becken  zeigte  ausser  einer  allgemeinen 
Verjüngung  seiner  Durchmesser  (Conj.  vera  3"  6'")  keine 
wesentliche  Abnormität. 

An  einer  Person,  welche  in  der  ersten  Hälfte  ihrer  Schwanger- 
schaft wegen  syphilitischer  Geschwüre  an  den  Genitalien,  Angina 
und  eines  maculösen  Exanthems  mit  Quecksilber  behandelt  worden 
war,  wurde  keine  syphilitische  Erscheinung  aufgefunden,  als  sie 
ein  circa  33  Wochen  alteB,  3l/a  Pfund  schweres,  schwaches  Kind 
gebar,  welches  18  Stunden  nach  der  Geburt,  vermuthlich  an 
Atelectase  der,Lnngen,  starb.  Am  dritten  Tage  nach  der  leichten 
Entbindung  entwickelte  sich  unter  FiebererBcbeinungen ,  vom 
Gesässe  ausgehend,  ein  Erythem  mit  quaddelartigen  undpapulösen 
Erhabenheiten ,  welches  sich  in  10  Tagen  bis  zu  den  Fuss  rücken 
herab,  nach   oben  bis  zum  Brustbeine  Ausbreitete.    Im  Verlaufe 


SO  IV-    Notizen  aas  der  Journal- Literatur. 

dieses  Exanthems  batheiligte  sich  die  reohte  Mamma  durch  Schmers, 
Schwellung,  Rötbung,  sowie  durch  Bildung  von  blutunterlaufenen, 
schlaffen,  mit  trüber  Flüssigkeit  erfüllten  Blasen  an  ihrer  untersten 
Partie.  An  dieser  Stelle,  sowie  am  Kreuzbeine  trat  sehr  bald 
trockene  Gangrän  auf.  Der  Tod  erfolgte  am  12.  Tage  nach  der 
Entbindung.  Die  Section  ergab  Lungenödem,  frische  Peritonitis, 
sphacelösen  Zerfall  der  GebKrmutterschleimhaut,  grosse,  breiig 
erweichte  Milz,  beginnende  Thrombose  der  rechten  Vena  eruralis. 

An  der  Leiche  eines  schlecht  genährten,  .lebensschwachen, 
6 7a  Pfund  schweren,  am  12.  Tage  gestorbenen  Knaben,  dessen 
Mutter  im  achten  Monate  ihrer  Schwangerschaft  wegen  breiter 
Condylome  und  Drüsenanschwellungen  mit  Merkur  behandelt 
worden  war  und  zur  Zeit  keine  Zeichen  von  Syphilis  an  sich 
trug,  wurden  an  der  Oberfläche  der  von  Luft  gut  ausgedehnten 
Lungen  zahlreiche,  den  kleinen  Lungenläppchen  entsprechende, 
theils  rundliche,  theils  poly edrisohe ,  gelbe,  trockene  Herde  ge- 
funden, welche  unter  der  Pleura  sassen,  dmroh  dieselbe  hindurch- 
schimmerten, nicht  hervorragten ,  Stecknadelknopf-  bis  Hanf  körn- 
grosse  besessen  und  sich  unter  dem  Mikroskope  als  aus  Fett, 
Cylinderepithel  und  moleculären  Körnchen  bestehend  erwiesen. 
Mit  Herden  von  gleicher  Beschaffenheit  seigte  sich  auf  Durch- 
schnitten die  Snbstans  beider  Lungen  durchsetzt.  Hinsichtlieh 
der  pathologischen  Bedeutung  dieses  Befundes  ist  Verf.  geneigt, 
denselben  mit  angeborener  Syphilis  in  Verbindung  zu  bringen, 
von  weloher  übrigens  keine  sonstigen  Spuren  Aufzufinden  waren. 

Von  Interesse  ist  auch  die  Beschreibung  der  Heilung  einer 
Blasenscheidenfistei,  welche  nach  einer  schweren  Entbindung 
durch  die  Zange  entstanden  war.  Die  Fistel  war  hoch,  oben  links 
im  Grunde  der  Scheide  2  —  8  Ctm.  neben  dem  Muttermunde  gelegen 
und  für  einen  dicken  Katheter  passirbar.  Cauterisationen  mit 
Glüheisen  und  Höllenstein,  im  Laufe  eineB  halben  Jahres  bald 
in  grösseren,  bald  in  kleineren  Zwischenräumen  wiederholt,  ver- 
kleinerten die  Fistel  bis  zum  Umfange  eines  grossen  Stecknadel* 
kopfes;  ein  zweites  Halbjahr  fortgesetzt,  hatten  sie  gar  keinen 
Einfluss  mehr  auf  die  Grössenverhältnisse  der  von  weissem, 
callösen  Narbengewebe  umgebenen  Oeffnung,  —  dagegen  bewirkte 
die  blutige  Anfrischung  und  Naht,  unter  Zuhülfensbme  des 
£y*ie'schen  einblättrigen  Speculum  vorgenommen,  in  kürzester 
Frist  eine  vollständige  Heilung.       •  W. 


V. 

Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Geburtshülfe 

in 

Berlin. 


Sitzung  vom  13.  Mai  1862. 

Herr'  ChirÜ  hält  folgenden  Vortrag: 

Ueber  Ovariotomie. 

Vor  sechs  Jahren  ist  zum  letzten  Male  in  ausführlicher 
Weise  über  die  operative  Behandlung  der  Eierstocksgeschwülste 
in  dieser  Gesellschaft  die  Bede  gewesen;  die  damals  von 
Fock  l)  hier  vorgetragene  gediegene  Abhandlung  ist  im  In- 
und  Auslande  vielen  anderen  ähnlichen  Arbeiten  zu  Grunde 
gelegt  worden;  allein  trotz  der  nicht  ungünstigen  Resultate, 
welche  jene  in  Betreff  der  Ovariotomie  durch  Zusammen- 
stellung einer  grossen  Zahl  von  Fällen  nachweist,  ist  diese 
Operation  doch  seit  jener  Zeit  in  Deutschland  nur  überaus 
selten  ausgeführt  worden,  während  sie  in  demselben  Zeiträume 
in  England  und  Amerika  einen  höchst  bedeutsamen  Auf- 
schwung genommen,  und,  trotz  zahlreicher  Anfechtungen,  voll- 
kommen das  erlangte  Bürgerrecht  in  der  Chirurgie  zu  behaupten 
gewusst  hat  Sehen  wir,  weshalb  gerade  in  Deutschland,  das 
doch  sonst  keinem  anderen  Lande  auf  irgend  einem  Gebiete 
der  operativen  Chirurgie   nachsteht,  diese  Operation  in  den 


1)  Carl  Fock,  Ueber  die  operative  Behandlung  der  Ovarien- 
Kysten  u.  s.  w.,  in  Verhandlungen  der  Gesellschaft  rar  Gebnrtshtilfe 
in  Berlin,  Heft  9,  1857,  8.  109  (Abdruck  aus  der  Monatsschrift 
ffir  Geburtak.  u.  Frauenkrankb. ,  1856). 

Uouatsxcbr.  f.  Geburtik.  1862.  Bd.  XX ..  Hft.  *2.  6 


82  V-    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

letzten  Jahren  so  gut  wie  gar  nicht  unternommen  worden  ist 
(wenigstens  finden  sich  nirgends  darüber  Veröffentlichungen),  *) 
so    ist    der   Grund   dafür   wohl    darin   zu   suchen,    dass   die 
Chirurgen    durch    einzelne    unausbleiblich   vorkommende   un- 
glücklich   verlaufene    Fälle    sich    von    consequenier    Weiter- 
verfolgung  der   einmal  eingeschlagenen  Bahn  haben    abhalten 
lassen,    während    anderseits    durch    Stellung    beschränkterer 
Indicationen ,    als    sie    anderswo    üblich   sind,    die   Zahl    der 
hiernach  für  die  Operation   sich   eignenden.  Fälle   sehr    ver- 
mindere worden   ist.     Wenn   nämlich   B.   Langenbeck,    der 
in  Deutschland   die  grösste  Zahl  von  Ovariotomieen  (8)  aus- 
geführt hat,  in  seinen  Indicationen  für  die  Operation,  welche 
von    den    meisten    deutschen    gynäkologischen   Schriftstellern 
angenommen  worden  sind,  verlangt,  dass  in  dem  zu  operirenden 
Falle  nur  eine  einzige  grosse  Kyste,  oder  höchstens  noch  mit 
dieser  einige  kleine,  jedenfalls  aber  durch  einen  kleinen  Schnitt 
mit  zu  extrahirende  Kysten  mit  festem  oder  flüssigem  Inhalte 
vorhanden    sein    dürfen ,    wenn .  er    ferner    diejenigen    Fälle 
ausschliesst,   in   welchen  irgend    welche  Adhäsionen   mit  der 
Bauchwand   oder  den  Baucheingeweiden  zugegen  sind,    so  ist 
dadurch  der  Bereich  der  Operation  ausserordentlich  beschränkt, 
indem   Fälle,    welche   diese   Bedingungen   erfüllen,   sehr   viel 
seltener,  als  gegenteilige  vorkommen.    Ich  werde  später  auch 
zu  zeigen  haben,    dass  gerade    diese  Fälle  von   den  neueren 
englischen   Chirurgen   als   die   Exstirpation   nicht   erfordernd, 
vielmehr  auf  eine  weniger  gefahrliche  Weise  heilbar,  angesehen 
werden.     Es   hat  ferner  zur  Discreditirung  der  Operation  in 
Deutschland    vielleicht    auch    die   von   Simon   (1858) 3)    ge- 
machte   Zusammenstellung    der    sämmtlichen    in   Deutschland 
vorgekommenen  Ovariotomieen,  so  weit  von  denselben  nähere 


1)  Aus  einer  Notiz  in  einem  Aufsätze  von  Wornu  (Gas. 
bebdomafcire  de  M<§4.  et  de  Chir.,  1860,  p.  804,  Note)  entnehme 
ich,  dass  Thierse]*  (zu  Erlangen)  drei  Ovariotomieen  nach  Langen- 
oec&'s  Verfahren  gemacht  haben  soll,  darunter  mit  Bestimmtheit 
eine  mit  glücklichem  Ausgange ,  während  das  Resultat  in  den  zwei 
anderen  Fällen  dem  Berichterstatter  anbekannt  war. 

2)  G.  Simon,  Zusammenstellung  von  61  [eigentlich  64]  in 
Deutschland  ausgeführten,  theils  versuchten  Ovariotomieen  in 
v.  Scanzom'a  Beiträgen  zur  Geburtskunde  und  Gynäkologie,  Bd. 3, 
1858,  S.  99. 


rar  GeburtthMfe  in  Berlin. 


83 


Kenntnis«  zo  erlangen  war,  beigetragen,  indem  derselbe  es 
sich  zur  Aufgabe  gemacht  hatte,  die  nicht  publicirten,  fast 
sämmüich  unglücklich  verlaufenen  Fälle  (deren  Zahl  sich 
übrigens  noch  vermehren  lassen  würde)  aufzusuchen.  Es  ist 
Sun  denn  .auch  gelungen,  die  bis  dahin  bekannte,  tabellarisch 
und  statistisch  verwerthete  Zahl  der  deutschen  Fälle  um  mehr 
als  ein  Drittheil,  welche  der  grössten  Mehrzahl  nach  tödtlich 
verlaufen  waren,  zu  vermehren.  Betrachten  wir  die  von 
demselben  zusammengebrachten  64  näher  specificirten  Fälle, 
bei  welchen  wegen  eines  wirklich  vorhandenen  oder  supponirten 
Eierstocks -Tumors  eine  auf  die  Exstirpation  desselben  gerichtete 
Operation  unternommen  wurde,  so'  finden  wir,  wenn  wir  drei 
Kategorieen  unterscheiden,  nämlich:  1)  vollendete  Operationen, 
2)  unvollendet  gelassene  oder  ganz  aufgegebene  (grösstenteils 
wegen  starker  Adhäsionen)  und  3)  Operationen,  die  bei 
falscher  Diagnose  (Krebsgeschwulst  des  Uterus  oder  gar  keine 
Geschwulst  (DoJdkoff)  unternommen  wurden,  das  folgende 
Endresultat: 


Ausführung  der  Operation. 

Summa 

Davon 

geheilt 

gestorben 

nnbek. 

1)  Vollendete  Operationen 

2)  Unvollendete 

3)  Falsche  Diagnose  .... 

48 

14 

2 

14 

2 
1 

34 

11 

1 

1 

»Summa 

64 

17 

46 

1 

Simon  will  allerdings  nur  12  radicale  Heilungen  gelten 
lassen,  indem  er  einige  andere  Fälle,  in  welchen  die  Patientinnen 
zwar  von  den  Folgen  der  Operation  selbst  genasen,  aber 
längere  Zeit  (6  —8  Monate)  nach  derselben  an  Erkrankungen 
zu  Grunde  gingen,  welche  mit  dem  ursprünglichen  Leiden  in 
näherem  oder  entfernterem  Zusammenhange  standen,  nicht  zu 
den  geheilten  rechnet.  Allem  wenn  man  eine  Statistik  über 
die  Gefährlichkeit  oder  Ungefährlichkeit  der  Ovariotomie  geben 
will,  müssen  unzweifelhaft  auch,  wie  dies  von  mir  geschehen 
ist,  diese  Fälle  zo  den  geheilten  gerechnet  werden.  Sehen 
wir  uns  das  Resultat  der  Heilungen  bei  wirklich  vollendeter 
Operation  näher  an,  nämlich  bloss  14  unter  34  Fällen,  also 
noch  nicht  die  Hälfte,  so  erscheint  dies  allerdings  nicht  sehr 
ermuthigend.    Betrachten  wir  aber  die  sämmtlichen  64  Fälle, 

6* 


84  V.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

welche  Simori&  casuistisches  Material  darstellen,  so  finden 
wir,  dass  bei  ihnen  36  Operateure  (darunter  drei  anonyme) 
thätig  waren,  so  dass  auf  die  grössere  Mehrzahl  unter  ihnen 
nur  ein  einziger  Fall  kommt  und  nur  JB.  Langenbeck  sieben, 
Kiwisch  fünf,  Bühring  und  Knorre  je  vier  aufzuweisen 
haben.  Die  64  Operationen  sind  ferner  innerhalb  eines  sehr 
langen  Zeitraumes  (von  1819 — 1856),  also  jedenfalls  nach  den 
allerverschiedensten  Principien  in  Bezug  auf  die  Technik  der 
Operation  und  die  Nachbehandlung  ausgeführt  worden.  Dass 
unter  diesen  Umständen  der  Werth  einer  statistischen  Zusammen- 
stellung in  Betreff  des  günstigen  und  tödtlichen  Verlaufes 
einer  chirurgischen  Operation  kein  sehr  grosser  ist,  wird 
ein  Jeder  zugeben  müssen,  welcher  nicht  in  Abrede  stellt, 
dass  auch  bei  einer  solchen  die  Erfahrung  bezüglich  der 
Ausführung  und  Nachbehandlung  nicht  ohne  Einfluss  auf  den 
endlichen  Ausgang  bleibt. 

Nachdem  ich  im  Vorstehenden  die  Gründe  näher  aus- 
einandergesetzt habe,  aus  welchen,  meiner  Ansicht  nach,  in 
den  letzten  Jahren  die  Cultivirung  der  Ovariotoniie  in  Deutsch- 
land vernachlässigt  worden  ist,  und  ehe  ich  mich  zu  meiner 
eigentlichen  Aufgabe  wende,  welche  darin  besteht,  (furch 
Hinweisung  auf  die  in  England  neuerdings  erzielten  sehr  viel 
günstigeren  Resultate ,  meine  Landsleute  zur  Wiederaufnahme 
jener  Operation  anzuregen,  kann  ich  nicht  unterlassen,  zu 
bemerken,  dass  das  Gleiche  bereits  von  Otto  von  Franque l) 
und  Althaua*)  geschehen  ist,  von  denen  der  Erstere  26,  der 
Letztere  36  in  den  letzten  Jahren  in  London  operirte  Fälle 
tabellarisch  zusammenstellten  und  daran  gleichfalls  Betrachtungen 
über  die  Vornahme  der  Operation  anknüpften.  Zuvor  aber  will 
ich  noch  kurz  andeuten ,  was  in  Betreff  der  uns  beschäftigenden 
Operation  in  anderen  Ländern  ausser  Deutschland  und  England 
geschehen  ist  Was  zunächst  Prankreich  betrifft,  so  hat 
die  Operation,  obgleich  sich  ihr  Ursprung  von  dort  herschreibt, 
absolut  daselbst  keinen  Boden  gewinnen  können,  und  abgesehen 
von  einigen  in  älterer  Zeit  ausgeführten  Operationen,   ist  sie 

1)  v.  Franque   in  v.  ScanzonVs  Beiträgen  zur   Geburtekunde 
und  Gynäkologie,  Bd.  4,  1860,  S.  211. 

2)  AUhau«    in    der   Wiener    Medizin.    Wochenschrift,     1861, 
S.  292,  309. 


für  Geburtehülfe  in  Berlin.  85 

in  neuerer  Zeit,  wie  es  scheint,  daselbst,  wenigstens  in  Paris,1) 
kein  einziges  Mal  gemacht  worden,  nachdem  bei  wiederholten 
Gelegenheiten  die  ersten  und  berühmtesten  Chirurgen  des 
Landes,  wie  Velpeau,  Malgaigne,  Jobert,  Huguier  u.  A. 
sich  sehr  entschieden  gegen  dieselbe  ausgesprochen  hatten. 
Erst  als  in  der  allerneuesten  Zeit  N4laton,  welcher  sich  auf 
einer  Reise  nach  London  (November  1861)  von  den  daselbst 
erzielten  gunstigen  Resultaten  durch  den  Augenschein  über- 
zeugt hatte,  seine  gewichtige  Stimme  zu  Gunsten  der  Operation 
erhob,  begann  man,  obgleich  Worms*)  schon  früher  auf  die 
guten  Erfolge  der  englischen  Operateure  hingewiesen  hatte, 
der  Operation  seine  Aufmerksamkeit  zu  schenken,  und  es 
sind  seitdem ,  auch  in  Paris  bereits  einige  Ovariotomieen  (eine 
davon  mit  Glück)  gemacht  worden.  Es  ist  übrigens  nicht 
weiter  zu  verwundern,  dass  unsere  Nachbarn  jenseits  des 
Rheines  erst  so  spät  sich  über  das,  was  in  Betreff  der 
Ovariotomie  anderswo  erreicht  worden  ist,  Kenntniss  zu  ver- 
schaffen anfangen,  da  wir  uns  auch  bezüglich  anderer,  ebenfalls 
bisweilen  zur  Lebensrettung  dienender  Operationen,  welche  in 
der  neueren  Zeit  in  England  und  Deutschland  wieder  aufgenommen 
und  bereits  in  sehr  grossem  Umfange  ausgeübt  worden  sind, 
nämlich  der  Resectionen  des  Knie-  und  Hüftgelenkes,  ganz 
in  derselben  Lage x  befinden. 

Ganz  anders  verhält  sich  die  Sache  mit  Nord-Amerika, 
wo ,  wie  die  später  noch  anzuführende  Statistik  von  John  Clay 
nachweist,  die  Ovariotomie  nächst  Grossbritannien  am  olles  Jen 
gemacht  worden  ist  So  ist  nach  einer  Zusammenstellung 
von  J.  W.  Hamilton  8)  allein  im  Staate  Ohio  die  Ovariotomie 
51  Mal  versucht  oder  ausgeführt  worden;  in  13  Fällen  wurde 
sie  unausführbar  gefunden  (grösstentheils  bei  falscher  Diagnose) 
und  wurde  sie  darunter  7  Mal  die  Ursache  des  Todes;  in 
37  Fällen  wurde  die  Operation  vollendet,  und  war  unter  diesen 
in   16   augenscheinlich  die   Todesursache,   während   20  Ge- 


1)  Mit  Ausnahme   einer  Ovariotomie  von  Maisonneuve  (1849) 
bei  einer  Nonne  des  Höp.  Cocain,   mit  tödtlichem  Ausgange. 

2)  Worm§  in  Gaz.  hebdomadaire   de  Me"d.  et  de  Chir. ,   1860, 
p.  642,  668,  690,  741,  804. 

3)  Ohio  Medic.  and  Surgio.  Journal,  1869,  Nov.,  and  Medic. 
.Times  and  Gaz.,  1860,  Vol.  1.,  p.  299. 


86 


V.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


nesungen  stattfanden.  Unter  den  amerikanischen  Chirurgen 
scheint  Washington  L.  Aüee  (in  Philadelphia)  die  meisten 
Operationen  gemacht  zu  haben,  nämlich  bis  zum  Jahre  1860: 
19  (darunter  10  mit  Genesung).  Ausserdem  finden  wir 
Operationen  von  Mu$$ey,  Peaslee,  J.  W.  Hamilton,  Howard, 
Ch.  A.  Pope,  Henry  Mitter,  MfRuerf  Crosby,  Boemer, 
Regln.  Hentvood  u.  A.  verzeichnet. 

Wenn  ich  im  Nachstehenden  einen  Ueberblick  über  die 
bis  jetzt  vorhandene  vollständigste  Statistik  der  bei  Ovarium- 
Tumoren  versuchten  und  ausgeführten  Operationen,  nämlich 
die  von  John  Clay  (zu  Birmingham),1)  welche  bis  zum 
Februar  1860  reicht,  gebe,  so  verhehle  ich  mir  keinesweges, 
dass  Statistiken  einer  capitalen  Operation,  wie  die  vorliegende 
es  ist,  ohne  grossen  Werth  sind,  indem  die  gelungenen  Fälle 
so  ziemlich  alle  gewissenhall  registrirt  und  veröffentlicht 
werden,  während  die  misslungenen,  deren  jedenfalls  eine 
recht  erbebliche  Anzahl  unbekannt  gebliebener  vorhanden  ist, 
die  Erde  zudeckt  Nach  John  Clay  nun  sind  wegen  wirklicher 
Eierstocks-Tumoren  unternommene  Bauchschnitte  501 
bekannt;  unter  diesen  befanden  sich: 


Ausführung  der  Operation. 

1)  Vollendete  totalo  Exstirpationen 

2)  Partielle  Exstirpationen 

3)  Wegen    Adhäsionen    unauafiihr- 
*    bare  Exstirpationen 


Total 


Dazu  kommen  noch: 


4)    Bei    falscher   Diagnose    unter- 
nommene Operationen 


Daron 

untna 

genesen 

gestorben 

396 
24 

212 
10 

183 
14 

82 

68 

24 

601 

280 

221 

13 

3 

10 

1)  John  Clay,  Chapters  on  Diseases  of  the  Ovaries,  Translated 
from  KküUck's  Clinical  Lectnres,  with  Notes  and  an  Appendix 
on  the  Operation  of  Ovariotomy,  London  1860,  8.  Leider  lag 
mir  das  Original  nicht  vor,  sondern  bloss  Ansauge  (Med.  Times 
and  Gas.,  1860,  Vol.  iL,  p.  36,  und  British  and  Foreign  Medioo- 
Chirorg.  Keriew ,  Vol.  27,  1861,  p.  179),  und  ich  bin  daher  nicht 
im  Stande,  über  die  bei  den  deutschen  Fällen  in  Betreff  der 
Zahlen  mit  den  Angaben  von  Simon  vorhandene  Differenz  Auf- 
schluss  su  geben. 


für  Geburtshülfe  in  Berlin. 


87 


Die  Vertheüung  der  vollständig  ausgeführten  Ex- 
stirpationen   nach  den  einzelnen  Ländern  ist  die  folgende: 


Länder: 

Snrama 

Davon 

genesen  in  Proc. 

gestorben 

Grossbritannien  .  . 

222 

127  =  57,20  Proc. 

95 

Amerika     

113 

64  «  56,63      „ 

49 

Deutschland  .  .  .  . 

51 

13  »  25,41)      „ 

88 

Unbekannt  

9 

8          — 

i 

Total 

395 

212 

183 

Wenn  nun,  wie  schon  oben  erwähnt,  Zahlen  wie  die 
vorliegenden,  sehr  wenig  dazu  beitragen,  um  ein  richtiges 
Bild  von  der  Wirklichkeit  zu  geben,  wie  denn  Operations- 
Statistiken,  wenn  sie  über  einen  sehr  langen  Zeitraum  sich 
erstrecken  und  die  verschiedensten  Operateure  umfassen,  welche 
nur  selten  nach  gleichen  Principien  und  nicht  immer  nach 
den  besten  Inspirationen  handelten,  stets  den  Einwand  zu- 
lassen, dass  in  diesem  oder  jenem  Falle  von  einem  erfahreneren 
Operateur  dieser  oder  jener  Fehler  bei  der  Operation  oder 
Nachbehandlung  nicht  würde  begangen  und  dadurch  vielleicht 
ein  günstigeres  Resultat  würde  erzielt  worden  sein,  so  lässt 
sich  ein  Gleiches  nicht  gegen  diejenigen  Statistiken  sagen, 
welche  die  Gesammtresultate  eines  und  desselben  Operateurs 
betreffen  und  Operationen  registriren,  die  in  einem  verhältniss- 
mässig  kurzen  Zeiträume  nach  ziemlich  gleichen,  durch  die 
weitere  Erfahrung  allerdings  gelegentlich  etwas  modificirteu 
Principien  in  der  Technik  der  Operation  selbst  und  der 
Nachbehandlung  ausgeführt  worden  sind.  In  diese  Klasse 
von  Statistiken  sind  diejenigen  einzelner  englischer  Operateure 
zu  rechnen,  welche  zusammen  bereits  eine  sehr  erhebliche 
Zahl  von  Ovariotomieen,  fast  sammtlich  unter  der  Controle 
ihrer  Gollegen,  ausgefühlt  haben;  dieses  letztere  gilt  namentlich 
von  den  Londoner  Chirurgen,  bei  denen  eine  Art  von  Wett- 
streit bezüglich  der  Erzielung  immer  glücklicherer  Resultate 
vorhanden  ist  und  bei  denen  nicht  leicht  ein  ungünstig  ab- 
gelaufener Fall  verborgen  bleiben  kann.  Ich  will  hier  vor- 
läufig nur  die  Resultate  von  vier  Operateuren  angeben,  nämlich 
1)    von   Charles   Clay  (zu   Manchester)   —  nicht  zu  ver- 


88 


V.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


wechseln  mit  seinem  schon  erwähnten  Namensvetter  John  Clay 
zu  Birmingham  — ,  welcher  die  meisten  derartigen  Operationen 
in  der  Welt  aufzuweisen  und  seit  dem  Jahre  1842  bis  zur 
Mitte  September  1860  *)  die  untenstehende  Zahl  von  Operationen 
mit  höchst  glücklichem  Ausgange  ausgeführt  hatte ;  2)  Is.  Baker 
Browri&  (zu  London)  Operationen  bis  zum  5.  März  1862 ;  *) 
3)  T.  Spencer  Weih'  (zu  London)  Resultate  seiner  sänimt- 
lichen  (von  ihm  überhaupt  unternommenen)  vom  19.  Februar 
1858  bis  zum  5.  Mänz  1862  ausgeführten  totalen  Ex- 
stirpationen2);  endlich  4)  Tyler  SmitKs  (zu  London),  der  erst 
seit  sehr  kurzer  Zeit,  nämlich  seit  dem  15.  October  1860 
Ovariotomieen  gemacht  und  dabei  überaus  glückliche  Resultate 
erzielt  bat. 


Operateur: 

Summa 
98 

Da 
geheilt 

68 

13 

6 

von 
gestorben 

30 

Charlto  Clay 

1  im  London  Surgical 

Baker  Brown}     Home 

1  St.  Mary's  Hospital 
f      und    Privatpraxis 

19 

19 

6 
13 

38 

19       |         19 

«^  .,  (  *m  Samaritan  Hosp. 
SpencerWell*)  fa  der  Privatpraxi8 

19 
15 
34 

11 

8 
19 

8 

7 

15 

Tyler  Smith 

10 

7 

3 

Wenn  die  vorstehenden  Resultate,  namentlich  was  die 
Statistiken  von  Clay  und  Tyler  Smith  anbelangt,  als  sehr 
gunstig  bezeichnet  weiden  müssen,  kann  man  ein  Gleiches 
nicht  von  der  nachfolgenden  Statistik  behaupten,  welche  alle 
diejenigen  in  den  Jahren  1858  — 1861  in  dem  eigentlichen 
England,  ausser  von  den  oben  genannten  Chirurgen,  aus- 
geführten  und  veröffentlichten  Ovariotomieen  enthält,  von  denen 
wir  später  auf  einer  besonderen,  76  Fälle  umfassenden  Tabelle 
noch  etwas  nähere  Auskunft  geben  werden.  Es  bestätigt  die 
nachstehende,    30  Fälle   enthaltende  Zusammenstellung,   die 


1)  Nach  mündlicher  Mittheilung  an  den  Verf.  zu  Manchester 
am  13.  September  1860. 

2)  Lance t,  1862,  Vol.  I.,  p.  303. 


für  Gebuxtahülfe  in  Berlin.  89 

auch  anderweitig,  ,z.  B.  in  unterer  deutschen  Statistik  ge- 
machte Beobachtung,  dass  die  ersten  Operationen  eines 
Operaleurs  selten -glückliche  sind,  und  da  sich  nun  auf  jener 
viele  erste  und  zum  Theil  einzige  finden,  so  ist  die  Zahl  der 
Todesfalle  überwiegend;  es  ist  sogar  anzunehmen,  dass  die 
letztere  in  der  Wirklichkeit  noch  grösser  war,  indem  manche 
lethal  verlaufene  Fälle  unbekannt  geblieben  sein  mögen.  Es 
ist  ausserdem  bei  dieser  nicht  günstigen  Statistik  der  Umstand 
in  Betracht  zu  ziehen,  dass  die  meisten  der  anzuführenden 
Operationen  in  grossen  oder  allgemeinen  Hospitalern  unter- 
nommen worden  sind,  deren  Resultate,  wie  bei  allen  übrigen 
chirurgischen  Operationen,  so  auch  bei  den  Ovariotnmieen, 
selbst  bei  Ausführung  durch  die  gewandtesten  Operateure, 
bedeutend  ungünstiger  sind,  als  die  der  kleinen  oder  Special- 
Hospitäler  oder  der  Privatpraxis,  wie  dies  die  günstigen 
Erfolge  der  oben  erwähnten  vier  Operateure  nachweisen, 
welche  nur  unter  diesen  Umständen  operirten. 

Zunächst  die  vollständig  ausgeführten  Ovariotomieen  von: 


.Operateur: 


Summa 


Hutchinson  (Metropolitan  Free  Hosp.)  .  .  .  . 

Borlase  Childs  (Ebendas.) 

Curling  (London  Hosp.) 

Maunder  (Ebendas.) 

JSrichsen  (University  College  Hosp.)     .  .  .  . 

Cooper  Forster  (öuy'a  Hosp.) 

Bryant  (Ebendas.) 

Holt  (Westroinster  Hosp.) 

Nunn  (Middlesex  Hosp.) 

A.  B.  Bornes 

Tanner 

Humphry  {Addenbrooke^'e  Hosp.,  Cambridge) 

Terry  (Bradford  Infirmary) A  .  . 

W.B.Page  (Cumberland  Infirm.,  Carlisle)  . 
Ellis  Jones  (Liverpool  Northern.  Hosp.)  .  . 
Orimsdale  (Lying-in  Hosp.,  Liverpool).  .  . 

D.  Lloyd  Roberts  (Manchester) 

Sampson  Oamgee  (Birmingham) 

P.  Teale  (Leeds  General  Infirmary) 


Snmma 


29 


Davon 

«ehÄÜti.logrben 


Dazu  kommt  noch  ein  Fall,  in  welchem 
die  Operation  unvollendet  bleiben  musste: 

Hutchinson  (Metropolitan  Free  Hosp.)  ....  I       1     I    — 


1     '     — 

—  2 

—  2 

—  1 

—  1 

—  1 
1  — 
1  — 
1 

1 
1 
1 

J  i  - 

1-1       1 
1.1     — 


12     I     17 


90  Y.    Verhandlungen  der  Getellfehaft 

Was  die  eben  erwähnten,   gelegentlich  vorkommenden, 
bloss  versuchten  Ovariotomieen  betrifft,  welche,  in  der  Regel 
wegen    zu    ausgedehnter   Adhäsionen,    unvollendet   gelassen 
werden  mussten,  so  bin  ich  nicht  im  Stande,  anzuführen,  wie 
oft  dieses  Verhalten  der  Eierstockstumoren  neben  den  oben 
erwähnten  vollständigen  Ovariotomieen  beobachtet  wurde;  nur 
Spencer  WdU  hat.  darüber  eine  nähere  Angabe  gemacht  A) 
Es   waren  ihm  nämlich   ausser  den  von  ihm  bis  zum  Ende 
des  Jahres  1861  ausgeführten  30  Ovariotomieen,  zwei  Fälle 
vorgekommen,   in  denen  nach  gemachtem  Bauchschnitte  die 
Exstirpalion  unmöglich  befunden  wurde;  in  dem  einen  Falle 
lagen  die  Eingeweide   vor  und   um  den  Tumor  herum,   im 
zweiten  fanden  sich  überaus  feste  und  ausgedehnte  Adhäsionen; 
beide  Patientinnen  genasen  von  dem  Operationsversuche. 

Um  nun  einen  Beschluss  mit  der  Statistik  zu  machen, 
will  ich,  zur  Bestätigung  der  schon  gemachten  Bemerkungen, 
dass  bei  weiter  fortschreitender  Erfahrung  die  Resultate  der 
Operation  immer  günstiger  werden,  Clajfs*)  Bericht  über  seine 
69  ersten  Fälle  (von  1842 — 1856)  anführen,  aus  dem  sich 
Folgendes  ergiebt: 

Unter  den  e  r g  t  e  n  20  Fällen  war  d.  Mortalität  8,  od.  1 :  2%. 
„       „zweiten  20     „  „    „         „  6,   „    1:8%. 

„       „dritten  29     „  „„  7,   „    1:4%  (2%:  10). 

Wenn  wir  nun  aber  fragen,  wann  und  unter  welchen 
Umständen  wir  berechtigt  sind,  eine  so  eingreifende  Operatioo, 
wie  die  Ovariolomie  es  ist,  vorzunehmen,  müssen  wir  zu- 
nächst kurz  diejenigen  Hülfsmittel  und  Verfahren  näher  be- 
trachten, welche  uns  bei  umfangreichen  Eierstocks -Tumoren 
(von  kleinen  sehen  wir  hier  ab),  al^  weniger  gefahrlich  zu 
Gebote  stehen,  und  was  durch  sie  geleistet  werden  kann  und 
geleistet  wird.  Was  zunächst  eine  medicinische  (diätetisch- 
phargiaceutische)  Behandlung  derselben  betrifft,  so  ist  eine 
solche  ausschliesslich  und  allein  in  denjenigen  Fällen  an- 
gezeigt, in  welchen  das  Wohlbe6nden  der  Patientinnen 
wenig  oder  gar  nicht  durch  die  Geschwulst  beeinträchtigt 
wird,  also   kein   nachtheiliger  Druck  durch  sie  auf  die  Ein- 


1)  Spencer  Wells  in  British  Modical  Journal,  1861,  Vol.  IL,  p.656. 

2)  Edinburgh  Medical  Journal ,  1856 ,  Maren ,  p.  863. 


fflr  Gebwtshtilfe  in  Berlin.  91 

ge weide  der  Bauch-  und  Brusthöhle  ausgeübt  wird,  so  lange 
also  eine  Störung  in  den  Functionen  aller  genannten  Organe 
in  erheblicher  Weise  nicht  zu  bemerken  ist,  so  lange  keine 
bedeutende  Abmagerung,  keine  aufreibenden  Schmerzen  vor- 
handen sind  und  die  Fortbewegung  nicht  zu  sehr  erschwert 
ist.  Wenn  unter  diesen  Umständen  von  jeder  chirurgischen 
Behandlung,  selbst  der  blossen  Function  Abstand  zu  nehmen 
ist,  müssen  wir  uns  aber  auch  gleichzeitig  gestehen,  dass  es 
eine  specifische,  umfangreiche  EierstocksgeschwAlste  zer- 
theilende  oder  beseitigende  medicinische  Behandlung  nicht 
giebt,  dass  weder  Jod  und  Brom,  noch  Alkalten,  eben  so 
wenig  wie  die  jene  Bestandteile  enthaltenden  Mineralwässer, 
noch  auch  Mercurialien  oder  Diuretica  etwas  Nennenswertes 
leisten,  im  Gegentbeil  eher,  wenn  sie  energisch  angewendet 
werden,  dadurch  schaden,  dass  sie  den  allgemeinen  Gesundheits- 
zustand der  Patientin  untergraben  und  dieselbe  in  einen  für 
eine  spätere  chirurgische  Behandlung  weniger  geeigneten  Zu- 
stand versetzen.  Es  muss  sich  die  diätetisch  -pharmaceutische 
Behandlung  daher  bloss  auf  Paltiativmittel,  zur  Beseitigung 
der  vorhandenen  leichteren  Beschwerden,  der  Stuhlverstopfung 
iL  s.  w.  beschränken,  aber  jeden  Gedanken  an  Radicalbeüung 
aufgeben. 

Eine  chirurgische  Behandlung  muss  dann  eintreten, 
wenn  die  oben  genannten  Bedingungen  vorliegen,  wenn  in 
Folge  des  Druckes  auf  die  Unterleibsvenen  Oedeme  oder 
Ascites  auftreten,  wenn  dauernde  erhebliche  Schmerzen  mit 
Schlaflosigkeit,  Abmagerung,  Störung  der  Digestion  vorhanden 
sind.  Unter  den  bei  der  chirurgischen  Behandlung  zunächst 
in  Frage  kommenden  Operationen  steht  die  Punction  obenan, 
die  naturlich  nur  da  überhaupt  anwendbar  ist,  wo  eine  grössere 
Kyste  mit  dünnflüssigem,  leicht  durch  eine  Cagüle  zu  ent- 
leerendem Inhalte  vorliegt,  während  sie  bei  multiloculären 
Geschwülsten,  deren  verhälnissmässig  kleine  Hohlräume  einen 
colloiden  Inhalt  besitzen,  gana  ausser  Betracht  bleibt  Wenn 
nun  auch  zugegeben  werden  muss,  dass  bei  dünnwandigen, 
leicht  zusammenfallenden  Kysten  mit  dünnflüssigem  Inhalte 
gelegentlich  durch  eine  einzige  oder  mehrfache  Pqnction  eine 
Radicalbeüung  dadurch  erzielt  wird,  dass  die  Kyste  sich  nicht 
wieder   füllt,    oder,    in    weniger    günstiger  Weise,    dadurch, 


92  V.   Verhandlungen  der  Gesellschaft 

dass  eine  adhäsive  Entzündung  auf  der  Innenwand,  gewöhnlich 
mit  gleichzeitiger  allgemeiner  Peritonitis  auftritt,  so  ist  dieser 
sehr   seltene   günstige  Ausgang  doch   nur  in   wenigen  Fällen 
möglich  und  auch  da,  wo  die  Möglichkeit  desselben  vorhanden 
ist,   niemals  auf  ihn  zu  rechnen.    Ausserdem  ist  aber  auch 
der  Act   der    einfachen    Function    keinesweges   ungefährlich, 
mag   dieselbe,   wie   gewöhnlich,   durch   die  Bauchwand   oder 
durch  die  Scheide  oder  den  Mastdarm  vorgenommen  werden; 
tödtliche  Blutungen    aus    einer   verletzten  Vene    der   Bauch- 
wand  (selbst  bei  Punclion  in   der  Linea   alba),   oder  einem 
Gefasse  der  Kystenwand,  so  wie  schleichende  suppurative  Ent- 
zündungen der  Innenwand  der  Kyste,  mit  lethalem  Ausgange 
sind  beobachtet  worden.    Der  Lufteintritt  in  die  Kyste,  welcher 
zu  letzteren   gewöhnlich  Veranlassung  giebt,  kann  allerdings 
vermieden  werden,  namentlich  durch  Benutzung  der  jetzt  fast 
allgemein  in  England  gebräuchlichen  Thompson'schen  Trokar- 
spritze,    bei    deren   Anwendung   die  Patientin   die   Seitenlage 
im  Bette  einnimmt,  und  ohne  dass  jene  weiter  entblösst  wird, 
vermittels  des  langen  Gummischlauches  die  Flüssigkeit  in  ein 
unter  dem   Bette   stehendes    Gefäss   sich  leiten   lässt.     Aber 
auch  die  Resultate   der  oft  wiederholten  palliativen  Punction, 
bei   der,    wie   bekannt,    bisweilen   ganz   enorme   Quantitäten 
Flüssigkeit   nach   und   nach   entzogen   werden   müssen,    sind 
sehr  ungünstige,  wie  dies  eine  Zusammenstellung  von  Fock1) 
(nach   den  von  Southam,    Th.  8.  Lee,  Kiwisch  und  ihm 
selbst  gesammelten  Resultaten)  lehrt.    Danach  waren  von  132 
mit  einfacher  Punction  behandelten  Kranken  103  mit  Beendigung 
des  dritten  Jahres  nach  der  ersten  Operation  gestorben;  von 
diesen  103  starben  25  schon  in  wenigen  Stunden  oder  Tagen 
nach  der  Punction,  24  im  Verlaufe  des  ersten  halben  Jahres, 
22  im  weiteren  Verlaufe  des   ersten  Jahres,   21  im  zweiten 
und  11  im  dritten  Jahre  nach  der  ersten  Punction.    Von  den 
übrig  bleibenden  Kranken   lebten  13  noch  4 — 7    und   mehr 
Jahre;   3  starben  an  intercurrenten,    mit  dem  Ovariumleiden 
in  keinem  offenbaren  Zusammenhange  stehenden  Erkrankungen; 
von  7  ist  das  weitere  Verhalten  ungewiss,  3  wurden  gebessert 
und  3  anscheinend  geheilt. 

1)  Foek  1.  c.  S.  US. 


für  Qebortehülfe  ia  Berlin.  93 

Durch  die  Function  mit  nachfolgender  metho- 
discher Compression  sind  ohne  Zweifel  Radicalheilungen 
ersielt  worden;  es  bleibt  dabei  aber  fraglich,  wie  viel  auf 
Rechnung  des  Druckes  zu  setzen  ist,  da  auch  die  vorliegende 
Methode  nuc  bei  einfachen,  nicht  adharenten  serösen  Kysten 
anwendbar  ist,  bei  denen  unter  Umständen  auch  durch  die 
blosse  Function  eine  Radicalheilung  erreicht  wird.  Namentlich 
Baker  Brown  ist  für  dieses  Verfahren  sehr  eingenommen 
und  will  mittels  desselben  viele  Heilungen  nach  mehrjährige» 
Bestehen  der  Eierstockstumoren  bewirkt  haben.1) 

Die  Punction  mit  nachfolgender  Einlegung  eines 
metallenen  oder  elastischen  Rohres,  so  wie  die 
Bildung  einer  permanenten  Eierstocksfistel,  die  durch 
ersteres  Verfahren  befördert  wird,  sei  es,  dass  man  die 
Bauchwand,  die  Scheide  oder  den  Mastdarm  zur  Punction 
wählte,  sind  entschieden  sehr  gefährlich,  indem  die  Patientinnen 
durch  die  nachfolgende  Verjauchung  des  Sackes,  trotz  aller 
etwa  angewendeten  antiseptischen  Einspritzungen  (z.  B.  von 
Jodlösungen)  in  die  äusserste  Lebensgefahr  versetzt  werden, 
wie  dies  die  von  Fock  2)  angeführten  Fälle  zur  Genüge  darttyjn. 

Durchaus  anders  dagegen  verhält  es  sich  mit  der 
Punction  und  nachfolgenden  Jod-lnjection,  welche 
in  den  dafür  geeigneten  Fällen  eine  wenig  gefährliche,  oft 
Radicalheilung  erzielende  Methode  ist  Während  sie  nämlich 
bei  zusammengesetzten  und  halb  soliden  Kystengeachwülsten, 
eben  so  wie  bei  starrwandigen  Kysten,  die  selbst  nach  der 
Entleerung  nicht  vollständig  zusammenzusinken  im  Stande  sind, 
unnütz  und  sogar  entschieden  gefährlich  ist,  findet  sie  ihre 
Indication  in  vollem  Umfange  bei  einfachen,  dünnwandigen, 
nicht  adharenten  Kysten  mit  flüssigem  Inhalte,  bei  denen  sich 
die  einfache  Punction  als  nutzlos  erwiesen  hat.  Es  ist  durch 
dieses  Verfahren  bisher  eine  beträchtliche  Reihe  von  Heilungen 
erreicht  worden;  es  ist  dasselbe  auch,  wenn  man  es  in  den 
geeigneten  Fällen  anwendet  und  bei  der  Ausführung  desselben 
vorsichtig  zu  Werke  geht,  so  dass  namentlich  ein  Abgleiten 


1)  Lancet,    1860,   Vol.  II.,   p.  435;    Medic.  Times    and   Gaz., 
1861,  Vol.  I.,  p.  184  sqq. 

2)  Fock  1.  c.  S.  116. 


94  V.    Verhandlmngen  der  Gesellschaft 

des  Sackes  von  der  Canüle  und  eine  Injection  der  Flüssigkeit 
in  die  Bauchhöhle  vermieden  wird,  ohue  grosse  Gefahren; 
allein  es  schliesst  Kecidive,  selbst  nach  einer  anscheinend 
längere  Zeit  bestehenden  Heilung  nicht  aus,  indem  entweder 
dieselbe  Kyste,  in  welche  die  Injection  gemacht  worden  war,  sich 
wieder  ausdehnt,  da  wahrscheinlich,  wie  bei  der  Hydrocele,  in  den 
meisten  Fällen  nur  die  secretorische  Thätigkeit  der  Innenfläche 
aufgehoben,  nicht  die  ganze  Höhle  durch  Verwachsung  obiiterirt 
wird,  oder  anderseits  indem  ein  dem  letzteren  benachbarter 
anderer  Hohlraum  des  entarteten  Eierstockes  zu  grösserer  Aus- 
dehnung und  Entwicklung  gelangt  Immerhin  bleibt  die  Jod- 
Injection  ein  für  einzelne  Fälle  sehr  werthvolles  Verfahren, 
welches  einer  mehrmaligen  Anwendung  iahig,  auch  bisweilen 
die  späteren  Recidive  wieder  beseitigt.  Man  bedient  sich 
am  besten  woM  wässeriger  Jodlösungen  (mit  Hinzunahme  von 
Jodkalium),  am  eine  gelegentlich,  ausser  einer  Jod-Intoxicaüoa, 
beobachtete  Alkohol -Intoxicatio«  auszuschliessen.  Von  Spencer 
WeU*  ist  neuerdings  ein  eigener  Punctum*  -  und  Injections- 
Apparat  angegeben  worden,  mit  einer  Vorrichtung,  mittels 
welcher  die  elastische  Injections- Canüle,  nach  Zurückziehung 
der  Trokarstilets,  bis  auf  den  Grund  der  Kyste  geschoben 
und  so  sicher  ein  Ausgleiten  derselben  verhütet  wird,  während 
mittels  einer  Spritze  mit  einem  Hahn  und  graduirten  Glas- 
gefässe  für  die  Jodlösung,  sowohl  der  Kysteniahalt  bis  auf 
den  letzten  Tropfen  entfernt,  als  auch  die  Injection  der  Jod- 
lösung derart  bewirkt  werden  kann,  dass  bei  keinem  dieser 
Acte  der  Eintritt  von  Luft  in  die  Kystenhöhle  möglich  ist 

indem  wir  jetzt  zu  den  blutigen  Operationen  bei  Eierstocks- 
geschwülsten übergehen,  treffen  wir  zunächst  auf  ein  Verfahren, 
welches  die  mehrmals  nach  spontaner  Ruptur  der  Kyste 
erfolgte  Heilung  sich  zum  Muster  nehmend,  durch  einen 
kleinen  Bauchschnitt  die  Ausschneidung  eines  Stückes  der 
KysLenwand  bewirkt  und  den  Inhalt  in  die  Bauchhöhle  treten 
läset,  ein  Verfahren,  das,  trotzdem  es  einige  Male  Heilung 
herbeigeführt  hat,  doch  als  höchst  gefährlich  bezeichnet  werden 
muss,  da  sich  das  Bauchfell  keinesweges  immer  gegen  den 
ausgetretenen  Kysteninhalt  so  indifferent  verhält,  wie  dies 
in   den   geheilten  Fällen   stattgehabt   haben    muss,    vielmehr 


ffir  Geburtßbtilfe  in  Berlin.  95 

oft  genug  nach  zuf  affiger  Entleerung  von.Kysteninhalt  in  die 
Bauchhöhle  eine  tödtliche  Peritonitis  folgt  Einige  andere 
Verfahren,  die  meistens  zur  Anwendung  kamen,  wenn  die 
totale  Exsürpation  der  Eierstocksgeschwülste  sich  wegen  zu 
ausgedehnter  Adhäsionen  als  unausführbar  erwies  und  auch 
der  Inhalt  derselben  wegen  zu  grosser  Zähigkeit  nicht  durch 
die  stärkste  Trokar- Canüle  entleert  werden  konnte,  trotzdem 
aber  eine  Entleerung  der  Geschwulst  wegen  des  durch  sie 
ausgeübten  lebensgefährlichen  Druckes  unumgänglich  war, 
sind  die  unter  diesen  Umständen  vorgenommene  Incision 
oder  tbeilweise  Exstirpation  der  Geschwulst,  deren 
Gefahren  sehr  grosse  sind,  indem  die  Kranke  sowohl  in 
Folge  des  theilweisen  Austrittes  des  Geschwuistinhalles  in  die 
Bauchhohle,  als  auch,  wenn  sie  dies  überlebt,  durch  die  nach 
dem  Einschnitte  eintretende  Verjauchung  der  Geschwulst  und 
die  davon  abhängige  Erschöpfung  fast  unfehlbar  zu  Grunde 
geht.  Es  kann  daher  niemals  davon  die  Rede  sein,  diese 
Verfahren  zu  einer  Heilungsmethode  zu  erheben,  vielmehr 
wird  man  sich  derselben,  selbst  nach  gemachtem  Bauchschnitte, 
wo  möglich  zu  enthalten  haben.  Wenn  wir  mm  noch  auf 
einige  abenteuerliche  Vorschläge  hindeuten,  wie  das  Durch- 
ziehen eines  Setaceum  durch  Bauchdecken  und  Geschwulst, 
so  wie  die  Eröffnung  derselben  durch  die  Cauteri- 
sation,  so  ist  damit  die  Reihe  der  Verfahren  erschöpft,  welche 
zur  Heilung  von  Eierstocks- Tumoren  ausser  der  Ovariotomie 
uns  übrig  bleiben,  und  diese  ist  dann  unter  Umständen  das 
einzige  noch  vorhandene  Mittel,  um  eine  radicale  und  dauernde 
Heilung  herbeizuführen,  wenn  andere  Verfahren  keine  Aussicht 
auf  Erfolg  gewähren  oder  vergeblich  angewendet  worden  sind. 
Allerdings  ist  die  Operation  eine  gefährliche,  allein  sie  theilt 
dieses  Schicksal  mit  einer  Anzahl  von  anderen  chirurgischen 
Operationen,  welche,  sobald  sie  indicirt  sind,  unbedenklich 
unternommen  werden  und  unternommen  werden  müssen.  Der 
Procentsatz  des  lethalen  Verlaufes  wird  bei  ihr  kaum  höher 
sein,  als  z.  B.  bei  der  Exarticulation  im  Hüftgelenk  oder 
der  Unterbindung  einiger  grossen  Arterienstämme,  wie  der 
Art.  subclavia,  iliaca  externa,  ganz  von  der  Anonyma  und 
Iliaca   communis   zu   geschweige^,    aber  wich   selbst   so   ge~ 


96  V.   Verhandlungen  der  Gesellschaft 

wohnliche  Operationen,  wie  die  Amputation  des  Oberschenkels, 
namentlich  wegen  Verletzung,   sowie  der  Steinschnitt  bei  Er- 
wachsenen, liefern  häufig  Resultate,   die  nicht  viel  besser  als 
die   der  Ovariotomie   sind;   endlich  dürften  die   Erfolge   der 
Ovariotomie   und   des  Kaiserschnittes,   der  am  ehesten   eine 
Vergleichung    mit   ihr   zulässt,   im   Grossen    und   Ganzen   so 
ziemlich  dieselben   sein.    Allerdings  ist  zuzugeben,    dass  der 
lethale  Ausgang  bisweilen  ziemlich  bald  nach  der  Ovariotomie 
eintreten  kann;   allein  wenn  man  erwägt,   welch'  ein  elendes 
Leben  die  Patientin  führt  und  welch'  ein  noch  elenderer  Tod 
in   gar  nicht   zu   langer  Zeit  ihr  bevorsteht,   den   der   Arzt 
grossentheils  als  unthätiger  Zuschauer  herannahen  sehen  muss, 
während  anderseits  durch  eine  kühne,   allerdings  gefährliche 
Operation  eine  durchaus  radicale  Heilung  erzielt,  die  frühere 
Gesundheit  wieder  hergestellt  und  die  Patientin  sogar  Mutter 
einer  Reihe  von  Kindern  später  werden  kann  (wofür  wir  eine 
Anzahl  von  Fällen  anführen  werden),  so  erscheint,  glaube  ich, 
die  Wahl  nicht  sehr  schwer;  wenigstens  lehrt  die  Erfahrung, 
dass  sehr  viele  Patientinnen,  denen  die  Gefahren  der  Operation 
auf  das  lebhafteste   vorgestellt  wurden,   sich   an   den  ihnen 
gleichzeitig  gegebenen  Hoffnungsschimmer  sofort  anklammerten 
und    lieber   allen   unglücklichen   Chancen   Trotz    bieten    oder 
untergehen  wollten,  als  ein  so  jämmerliches  Dasein  noch  länger 
ertragen. 

Was  nun  die  Zulässigkeit  der  Ovariotomie  anlangt, 
so  muss  bei  ihr,  wie  bei  jäder  anderen  grösseren  Operation, 
vorausgesetzt  werden,  dass  die  für  das  Leben  notwendigsten 
Organe  sich  in  relativ  gesundem  Zustande  befinden,  dass  also 
z.  B.  in  Lungen  und  Nieren  keine  an  sich  bedenkliche  Er- 
krankung vorhanden  ist.  Das  örtliche  Uebel  selbst  anlangend, 
muss  die  Gegenwart  eines  Ovaria! -Tumors  unzweifelhaft  con- 
statirt  sein,  entweder  bloss  durch  die  Untersuchung  mittels  der 
Palpation,  oder,  gleichzeitig  auch,  was  in  den  meisten  Fällen 
zu  empfehlen  ist,  durch  eine  in  explorativer  Absicht  unter- 
nommene Function,' bei  welcher  nach  Entleerung  einer  oder 
mehrerer  grösserer  Kysten  man  eine  viel  richtigere  Vorstellung 
über  das  uniloculäre  oder  multiloculäre  Verhalten  des  Tumor, 
seinen  Inhalt,  das  Vorhandensein  gleichzeitiger  fester  Massen 


für  Geburtshülfe  in  Berlin.  97 

erhält.  In  sehr  dunkelen  Fällen  ist  sogar  unter  seltenen 
Umständen  ein  exploraliver  Einschnitt  durch  die  Bauchwand 
zulässig,  der,  wo  irgend  möglich,  wenn  der  Fall  für  die 
Exstirpation  geeignet  gefunden  wird,  in  diese  übergehen 
muss.  Während,  wie  wir  bereit»  früher  gesehen  haben,  die 
totale  Exstirpation  bei  einfachen  Kysten  nicht  ohne  Weiteres 
indicirt  ist,  sondern  bei  ihnen  jedenfalls  zuerst  die  Jod- 
Injection  ein-  oder  mehrmals  versucht  werden  muss,  kann 
sie  auch  bei  ihnen  erforderlich  werden,  wenn  das  genannte 
Verfahren  vollkommen  fehlschlägt,  oder  wenn  neben  der 
obliterjrten  Kyste  feste  Geschwülste  von  grösserem  Umfange 
sich  in  dem  erkrankten  Ovarium  entwickeln.  Ueberhaupt 
bleibt  bei  halb  oder  ganz  soliden  Eierstocksgeschwülsten  die 
Ovariotomie  die  einzige  mögliche  Behandlungs-  und  Heilungsart. 
Eine  andere  Frage,  welche  bei  der  Stellung  der  Indicationen 
in  Betracht  kommt,  ob  das  Vorhandensein  einer  Anzahl  von 
Adhäsionen  zwischen  der  Geschwulst  und  den  Wandungen 
und  dem  Inhalte  der  Bauchhöhle  eine  entschiedene  Contra- 
indication  gegen  die  Vornahme  der  Operation  abgiebt,  muss 
mit  Bestimmtheit  verneint  werden,  indem  die  Erfahrungen, 
welche  von  allen  englischen  Chirurgen  in  dieser  Beziehung 
gemacht  sind,  dafür  sprechen,  dass  selbst  nach  Trennung 
bedeutender  Adhäsionen  der  glückliche  Ausgang  keinesweges 
als  seltene  Ausnahme  anzusehen  ist,  sondern  fast  eben  so 
oft  erfolgt,  als  da,  wo  diese  Complication  nicht  vorhanden  ist 
Ich  werde  dies  sogleich  durch  einige  auf  Thatsachen  sich 
stützende  Zahlen  nachzuweisen  versuchen;  zuvor  aber  will  ich 
nur  bemerken,  dass  es  überaus  schwierig,  wenn  nicht  ganz 
unmöglich  ist,  bei  der  Untersuchung  des  Leibes  von  aussen 
her,  mag  dieselbe  bei  ausgedehntem  oder  zusammengefallenem 
Zustande  der  Kyste  vorgenommen  werden,' die  An-  oder  Ab- 
wesenheit von  Adhäsionen  bestimmt  zu  ermitteln.  Wenn  es 
auch  in  einzelnen  Fällen  möglich  sein  mag,  eine  Adhäsion  an 
der  vorderen  Bauchwand,  sobald  sie  in  erheblichem  Umfange 
und  straffem  Zustande  vorhanden  ist,  daraus  zu  diagnosticiren, 
dass,  bei  Anfüllung  des  Tumor  und  Bewegungen  der  liegenden 
Patientin  von  einer  Seite  zur  anderen,  derselbe  nicht  unter 
den  Bauchdecken  fortgleitet ,  sondern  dieselben  und  namentlich 

Monataschr.  f.  Geburtak.    1862.    Bd.  XX.,  Hfl.  2.  7 


93  V.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

den  Nabe)   mit   nach  derjenigen  Seite  hin  zieht,   wo  die  Ge- 
schwulst das  Uebergewicht  bekommen  hat,   so  sind  doch  die 
so  häufig  vorkommenden  Adhäsionen  mit  dem  Netze  und  die 
weit    schlimmeren    mit   den    Eingeweiden    (Leber,    Därmen) 
absolut  nicht  vor  gemachtem  Bauchschnitte  mit  aueh  nur  einiger 
Bestimmtheit   zu.  diagnosticiren.     Wer  daher  die  Ovariotomie 
unternimmt,    muss    stets    auf   das  Vorhandensein    derselben, 
wenn   auch   nur  einiger,   gefasst  sein.  —   Ich  habe   in   dem 
Nachstehenden   eine   tabellarische   Zusammenstellung   aller   in 
den  englischen  Journalen  veröffentlichten  (76)  Ovariotomieen, 
welche  in  den  vier  Jahren  1858  — 1861  unternommen  wurden, 
gemacht;  dabei  fehlen  mir  aber  die  jedenfalls  ein  ansehnliches 
Contingent  ausmachenden  Fälle  von  Charles  Clay,  da,  so  viel 
ich  weiss,  dieselben  in  den  letzten  Jahren  nicht  veröffentlicht 
worden  sind,  mit  Ausnahme  der  von  John  Clay1)  gemachten 
und  bis   zum   Februar  1860  reichenden  Zusammenstellung, 
die  mir  jedoch  nicht  zugänglich  war.    Ich  habe  die  gesammelten 
Fälle   ganz   besonders    mit    der   Rücksicht   zusammengestellt, 
nachzuweisen,  dass  weder  die  Anwesenheit  von  zum  Theil  sehr 
zahlreichen  Adhäsionen,  noch   die  Gegenwart  von  ganz    oder 
halb    soliden    oder    mehrkammerigen    Eierstocksgeschwülsten, 
einen  glücklichen  Verlauf  der  Operation  ausschliesst.    Es  sind 
deshalb   die  Vermerke   in    den   betreffenden   Rubriken   etwas 
ausführlicher,   während   über  "die   Ausführung   der  Operation 
selbst,   die   übrigens   meistens   nach  ziemlich  ähnlichen,   zum 
Theil  ganz  gleichen  Grundsätzen  stattfand,  so  wie  über  Verlauf 
und  Nachbehandlung  nichts  in  die  Tabellen,  um  diese  nicht  zu 
voluminös  zu  machen,  aufgenommen  worden  ist.*)  Ebensowenig 
beabsichtige  ich,  in  Betreff  des  Vorkommens  von  Eierstocks- 
geschwülsten und  deren  Zusammensetzung  bei  Patientinnen  von 
verschiedenem  Alter,  verschiedenen  sexuellen  Functionen  u.  s.  w., 


1)  1.  c. 

2)  Etwas  ausgedehntere  Notizen  über  die  einzelnen  PHlle 
finden  sieh  in  meinen  Jahresberichten  über  die  Leistungen  nnd 
Fortschritte  auf  dam  Gebiet«  der  Chirurgie,  von  denen  der  für 
das  Jahr  1869  bereits  erschienen  ist  (Langenbeck>&  Archiv  für 
Chirurgie,  Bd.  1,  Heft  3,  S.  311  ff.)  und  der  für  1860  und  1861 
in  seinem  Erscheinen  (Ebenda*.  Bd.  3)  bevorsteht. 


flr  Gebnrtohfflf«  in  Berlin.  99 

ferner  der  unter  diesen  Umständen  durch  die  Operation 'er- 
zielten Resultate,  die  Forliegenden  Zusammenstellungen  zu 
Grunde  zu  legen,  da  diese  Verhältnisse  thefls  anderweitig 
berücksichtigt  und  bekannt  sind,  theils  in  der  That  sich  nicht 
sehr  abweichend  verhalten,  so  dass  ganz  junge  Mädchen  und' 
ältere  Frauen,  die  eine  Reihe  von  Kindern  geboren  hatten, 
in  Betreff  ihrer  Eierstockserkrankung  sich  unter  ziemlich 
ähnlichen  Bedingungen  befanden. 

In  den  nachstehend  angeführten  76  Fällen  wurde  75  Mal 
eine  totale  Exstirpation,  und  zwar  zwei  Mal  eine  solche 
beider  Ovarien  (No.  31,  60)  vorgenommen,  während  ein  Mal 
(No.  49)  die  Operation  wegen  zu  ausgedehnter  Adhäsionen 
unvollendet  gelassen  werden  musste. 


7* 


100 


V.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 


s 

Et 

B) 
Ö 


*3 

**£ 
P     0 

=     * 

£  o 

©    J- 

pC 


Ö 

e 

1 

o  © 


0J    Fß 


P 

<D 

'S 


© 
bca 

°  2 

©^ 


.8   .     -9 


P  o 

©  »^ 


£     -9 

*P  ©".2 

a  Sd-2 
^j2  § 

N  »P 

p  ©  p 
2-°  £ 
t§  °  s 
2  flp 


a  o 

^2 

JM0) 

©  »    © 
'p'0 

gö    ,- 

®    O    N 

«o  55  P 

M   es  .« 


t©jä 

§s 

J«  __ 

•  'S 

►»  © 

M  ö 


! 


ja 
© 

■8- 


08 

Gl 

PJ 


£ 


Ö  •  c 

Pwa  « 

n-t    ««S  °* 


tt  p 


»o  « 


s  2 

2  fl 

-9  2 

Sa" 

jp -3.15 

*  p  a 


©s 

.3  5 

•2  p 

^  a 
I=s 

N  a 

g&* 

s  s  •  | 

~  p-0  g 

©WS   p 
2 


"o 


o 
O 


*•  ©  o 

o 


*:  o 

Ig 

-  I 

o  H 


3 


P 


et 


5  S 
pS 

©  rp 

32 

CO 

:cö  «- 

ja  p 

■O    flfl 

2§ 


©  ©  © 

«-Äs 

S  I*  s 

Js*  B  3 

n.a|o 

p  2  ®tj 
2-5  «  S 

►    ©    ©    P 


p  c 

©  ©        as 

•  p     'S 

00    P   *»    P 

:p  ©  ja  F 

s    "©  ® 
■S  p^^ 

flu  'S  P  2 
*  *  .9 

frfSP  © 


©  u  ©  j 

.9  ©   d   P 

©     -p 

©     —  p 

MB    ©    t    5 

©5 
g:p        © 

©S  =S 
»^       E :° 

5  p^S 

**  .2  "S  S 

3ph  «pq 


25 

3^   . 

IS»  © 

©    m    +* 

oJS-c 

P  :p  jP 

CQ0   ej 

2  p  © 

.23  ^ 

©  ^  © 

00  © 

p  p  p 

0.5  «8 

"°     *    CO 

.9  fl  es 


.9  • 

©Ä 

« 

O    öS 

P   S 
©   © 

'ö  9 
P.2 

"2 


S  ps^i 

*-  «  5 

»-      fa*» 
©  »-     'S 

h   4)  Rh  • 

o  ^ 


e    tj  _© 
5  ^^      < 


jJ 


<    ,- 


-S 


© 

P 

o  gr 

I  ^1 
o  •  * 


»ö  0 
< 


|s 


Wi  oo 


§§ 


£3 


pH«* 


O    d    9 


V      w 

M 


»I 

»4 


s 
5 


s^ 


x  P 


«s 


8*«    8» 


5>   ■    3> 


sa 


S"5 


3s 

ir 


,i 


e  *  S 


59 


i-3 

co  «P 
©  3 

Q 


.   et 

©*0 

A    P 

©  S«' 
P 


.   OS 

£P 


l  4 
©  fQ 
-D    p 


-    b9 

£  1 


SS  ©£ 
p     P 


3 

1 1 


sä 


ftr  Gab  turtshfilfe  in  Berlin. 


101 


f 


00 


© 

■8-S 

E« 


.2 


0   O 

H 

H 


Sä 


s« 


S  2  t«.g  „  7j 


•sJItti 


I  et 

9  Q> 

3  * 

m  oo 


•  *•   i. 

0  «  © 

08   C-Ö 
>ö 

»«—.2 
©»«  tS 

•  fl  * 

0     A 

.  ©  2 

SS« 

*  2-§ 

03  JÖ    Ö 

0  9<l  m 
H 


g  *£ 
•  SS 

P»»s  'S  ' 

wfa  • 
o  ^ 

3«f  «8 
8       •* 

*S  * 

•s  ^  • 
©  «»  0 

■|S 

m  a 
°  —  -ä 

0  UM 


0  S 
►  © 

ii 

*: 

MO 


fl5  Si 

2  a  •  e 

©  " 

•  S  ®  2 

«0  «o  fl 

.•SS2 

S3a3 
SgSa 

Hill 


0 


►»© 

© 

S3 

0< 

©  2 
.So 

W 


o  ei  S  ° 

B  &  *  S 

^  cd 

w  gg  5>© 

55     o  .2  2 
5-3     ■-■* 

©  .   «    © 

.2.2'«  S 
^  d  ^  ° 


d  *  * 
o  ©  « 

^  M*<d 

*  2  2 
-«lag 

0  - 

*P  frj    0 

*  S  °  8 

g»«i| 

m  ©   £•  0 

:o  tj  bc  oj 

h3 


*°  £  ö  m  b  o 

©  wj  fa  60  5 

ig**0  .u 

g  0  o  h  h  © 

«  ^  ©  *  2  « 
fe  .  S  S-«  S 

.  s  2g •§  0| 

SS.20-S5| 
*o  «*d  oi  o  ©CQ 

<1 


»ö  »ö  Ä 

OD    *    © 

2  ^^ 

*5  jd  *• 

|Sgd 

-Ä*ö  I 


^ 


'S 

a 


2«» 


2^ 


2» 

a« 


rhS2 

ßneo 


2  » 


M 


QOfe 


T'3r'  8' 


© 


© 
P 


g  »o  -o  •«  -o 


102 


V.    Verhandluagea  der  GeeoUschaft 


I 

«0 
0 


IS 

ja 


ja  • 


co  «c 


M 


-3 

g 


^ 


t©  00 
~C0 

3' 


'S« 


E 
o 


§S 

©   © 

.33 


Ol 

bß 

a 
© 


a 


3 

.s 


© 

n 


& 

CO 


a 
d 

© 


44 


'SN 


H 


»:a 

d  © 

©  .j-j 
©  g 

ö  «  © 
.  ©  © 

s 


'S   ~ 


a 
« 

I 

© 


•H     © 

©  .►» 

M  © 


o 

a 

0 

H 


©  jB  0  o- 

S"ag*ai 

2  s  *  §  s^q 


/    ■- 

4» 


^1 

©^ 

i 


4 


ä  h  S  d 

©   ©   ©   o 
SJ^  P.-J1 

o 


© 

© 

P. 

o 


I*     CO     © 
©     ©    «0 

«  ©J2 


*  «  n 
&  © 

•s.2  a 
5  •.§ 
a.« 

As 

0 

§°  s  • 
:3   g 

£•0  © 

ja  -^fc 


®  a  * 

©    Q> 

'S  «S 

"S'Ö   0 

£       ~  00 

£  *ja 

•    ®J3    © 


d  © 

*  5! 


0   © 
©   b. 


0"°  £,* 
-S2?H 
05 


0  £•£  d  c8 

«  S  g  5  * 
©H  *  0*2 
5  o  g-g  0 

^  *>  ®  ©PQ 

rS  2-0  8) 

oo   ©   ja   © 

e©  .^ro  ► 

©       0       ©       M     O 

.s.assl 

©  ja  öS  :o  ao 


©i£  © 
ja  o  *o 

0  JD    0 
0    g    g 

M    S  *• 

W    ©    ö 

•ß    M 

gg* 

©W  . 

^  ©    • 
«*0  • 

M 


Ji  ©  o 

Q.*0     © 

^  o  © 


•  5  © 


©.S  © 

r^j    ©    « 


ao  »«  Ja 
«_   *i   •> 


Q      ©^ 

S.sg 


,;g 


•O  J=3    Ü 

0  0N 
©  ©  -• 

Ow  **  ja 
_  «  © 

«44  0 


gi-. 


^    ®J3 


►»'S'5 
M&« 

0  g<l 

ss© 

0Q 


©    ©    ©  © 

s  ®  ©  *  & 

'S  3  *■*  P  •* 

«oqS-o  a 

©  .3  bo-a  es 

SS  2g  £ 

S  ©  ja  >  n 


^Z 

-< 


äN 


CO    © 
00  pü 


§< 


jS 

91 


222 


^1 
^1. 


i 


o2 


.~1    .-1 


g-c 

©  o 


©  v 


^  «2 


©  g  •  "3J 

OO     ©     O  01  J 

•-  OD  k2  »•£ 


'(«(Dm 
©  wW 


für  Gebnrtfbttlfe  in  Berlin. 


103 


I 

M 
O 

m 


3    4*     hO    fl     *°S 

„di  o  w  2  5  © 


5 


H  A.  »~  w    w    v 

g  o-w    ö       gJS 


H 


li 

*1 

°  d 
°  d 


W 


1- 


.3  SP 


5     1 


*1 

*  2 


3   ©   © 

'S  •     . 


S-2& 

3       «e 

*• 

o  ©X 

ca   © 

im 

llls 


«'S 
£  S 


:d 


s  s  ■  I 


o"8 

©  d 

«0    fe 

«  o    • 

d  fl 

•ö  S  g 

*S2 
to  d  d 


s 

d 

© 

-d 
Pu, 

iH 

i 


%    d 

'  ©   oo    d 


55 

1^   <* 


.2»  «   oo   h 

'S     *3 
.8*8:8 

rfj  *S  jp  5 

2.2 P«  ° 

o  *p      ja 
od«  d  © 

«'S  2*8 

©   öS  JA   oo 


!•§ 


o  0 

*Ö    Kl 


s  ?  g 

©^    o 
d  ©  5 

leg  g 
13  ©  *5 


o  S 
5  * 
«<  d 

© 
bot* 

SS 


'S 
© 


© 

^*   © 

d  d 
ja  o 

?  Ja 

OB  "2 


o  o  o 


"O  *Ö  *Ö  t3  *Ö 


2i 


li 


s� 


.   6B      .  4* 
^    d    ^   © 


00  ^J        O»   Ki 

oo  >-s      ao  © 


»'S 
SS 

«CO 


ä 


va    va   ^s 
2  j?   i-«   i? 


5  s, 


©  w 


!H 


-1-1 

©  *e   ©  'ö 

©C*    ©  w 

Q       Q 
-*•       »o 

CM  CM 


w'S)©  w 


•8 


104 


V.    Verhandlungen  der  GeaelUeiwft 


l 

S 


'S 

• 


*6 

© 

UM 

fl    O 

££ 
w 


a    s| 

•9  .«1 

g  §  s  i 

^■g-s 

n    h 


•5  0 


"3  25 

ä  « 

•  a 


!    2  s 

i         §    »- 

:  SS 

Ä  B 


o 
S 

0 


0 


fl  *»« 

s  •  * 

_  a  ^ , 
ä  •  2 
S  a  2 

2?  •  2 

IM  * 

M 

2  •  * 

»     03     OB 

gS-g 

bcSao 


u 
M 


60  © 
B    ü 

_w 

b  * 


-•   B 


13      zz 


w 


6flLC 

9  © 


ja 
E 

M«       ^ 
*•  .2       6 


•      2«?st 


o   © 


fl   B.O.S 

H  *  •  S 
-fl   K* 

Sm^JS 
"5  °  ■-  fl 


© 
S 

fl=S 
■3  5 


M 

Ü   B 
9   C 


J2    J 


©  o 

•  .-5 

O  ss 


2S> 


äs  55*: 


2S 

2  2* 

W 


?! 

-2* 


"4* 


a8a| 

aas,; 

©  —  ©  na 
5     -fl  2 


t 


©  ©  ©  * 


i  rw   B   • 

fa   ©   g 

;  ©  »*j 
>  2  S  9 

.    08    ©    © 
»^    OB     « 


fl  JS  ©  2 

-**  «o  B  © 

»-  wT  •  2 

<     JL,  &  g 

QQ     ©  W  « 


Im  ♦» 
O  fl 
>     © 


B   Bk 


«45 

©  ©  u 

**     In     © 


feco 


8» 


«  n  9  M 

2  S  ^ 

B       ■    —   *■ 

?■*  SS 

'S  .2  £  S 

<3  WP  ui 


t© 

B 
B 

©  ©  ^, 

-2  *i    *«5 

•3 .-  4  « 
HJ4n   t© 

w  boo-3 

.    OD         JS 
©  r       C  *** 

pfe  © 
o  m.  2  fl 

.S   B   ©   © 
«   ©  'S  1f 

.fl  fl  rt  «" 

ä  •-  -a  (Li 


©   oo   ©   © 

Q     ©    -M     © 

M  ^^  »- 

a  fl  2 
2  2  S 

©    Ö,  © 

•«.ä  *•  B 
.SP-g  u  © 

S    H    ®  :§    a    A 

Äfifl'Ou    B    © 
:HW   ^^  a  B 


■  Jftco 

.2  o"S  ©  2 

©  >  .2  m  JZ 
M      W 


■       jq   a  B 

!   B         c8   5 

'u  2  >  w 

«2o^ 


3  8| 

5  A   eS  z, 

o   O  >   fl         w 

"^  *S  p  "©  c  <i 

:*   *•         © 

.2<K  Sä"S 
>  M 


•B  oq  *B 


*B  c© 


SSS 


.    °     .    B 

q    ©  ^>  © 

00       oo 


©2 


T3  i-i*B  0>         lic 


f-4    fl*lM     O  1»   ' 


O 


© 


g^s 


«1    fl 
UM 


M         V  -«         © 

.   «     .   eS 

£  fl£  fl 


,  ©  C/ 


©  -B 
©  \^^ 


P.  «*.  ot 
©•B  O  *B 
5  0Ä  B 

•JUS 


Sä 

©  w 

O 


ii    g 


för  Gebnrtih&lfe  in  Berlin. 


105 


! 


M 

5*0  fr. 


*N 


0         «* 


•*■  "•  ^  ^      O         «4 

-fl-d'S     Sa -9 


s 

w 


ttt 

-  d       £  g 

«)  •"        ©  <•» 

»       w 


3 


g  .5 

UM    bfi.0     bfl 

§o   a  o   a 

www 


SPS  SP 


©  .*  g 


öS   öS    p       • 

o  a   ö  o       5  ** 
sa  »S  rs  m  m  •  ••* 


w 


.3 


53 

»  a 


•o  S 


a  -r  a 
©  2  © 

>••  •**  *»      j»  — 
ö«  »      *  o 

sss    ISS 

.-*:   h|. 

«52    *    • 

►»'S  3      i  iTä 

t^A        •*•  Sri    *•  ^2 

".      -        Sog 

h   *s   .  3  •  a 

0  *0  ffl  4*    ^*      •   © 
©SS-**    d  dM 

•IS* SSa 


© 

.0 
© 

a 


s  s  s 

~  A  « 


© 


00 


© 


M 

s 


O  0 

?  * 

o  .  i 

CO  Ö 

•  "3  .8 

o  P  «a 

.a  ©  J5* 

a  P4 


»1 

®  M 

•  * 

ja 


3s 


w 


•SSM 
-  5* 

*0  CO 

©  ••*  0  5 

•2  -  B  •    • 
«o  S  ©       wo 

«e  «tj    -ja 

JB  rrj    »o 

3  *•  S  g  ^ 


O   0 

^.£P 

© 


Sa 


^ 


2  •  *  tf 


31- 


M 


©  tu  bD~ 

ja  &  h 

©   0  -3   «0 

£»w^  2 

60  A     © 

ss»-    I 

mOO    ©Ä     I 

©  a* «.      *• 

5*2  g..g  2 

S-23'iSg 


©  ►  « 


0 
« 

0 

3 


s 

0 
*0 
© 

© 

OD 

0 


0 
© 
0 
O 


X» 


ja       ja 

•0         »0 
•  « 


rrj  ^ 

©  © 

bC  bfi 

s  i 


0         -5         -S 
.53  ©         « 

© 


© 

<1       Ex 


3  S 

■gft. 

a- 


© 

^  •  d. 

•Xs.% 

•**■**  TS 

S«  a 
«  © 
©  »0  nd 


£S        §S        S^ 


T3oO 


£S  i 


« 


fr« 


© 

ja 


8* 


<e>* 


{OS<? 


£  ° 

a 

g 


©  s-^ 


«:*  es 

©  T3  ©  H3 

£    ß  £    0 

©  v_>/  ©  s_/ 

Ö  Q 


4 


© 


2       2 

©       © 


^•2 

Sä 


4 


i  I- 

3    2« 


SÄ 

«  <  ®  © 


9     3 


106 


V.    Verhandlungen  der  Geiellechaft 


I?  ig» 

fei  Q 


'S  • 


"■.    38 


*w 


Ja 


«r  Qabnrtahiüfe  ia  Berlio. 


107 


l 


3' 


5 


ja"  . 


d©  a- 

öS     g 

CO  ® 


00 

o 

■s 


© 


■8' 


P    «0 


i 


~  d 

© 

«cd 


0 

s> . 

«.3 

K-3 

•  g 

■s* 


o 


•"'S 


13 


goo 


.  ► 

)  o 


© 

S 

© 


•o       o*d        .  o  Jna 

£  d  5>"d  £  d 

-       ©  •  .**  d  ©  © 

Q  O  Q 


1-3 

8 


1  llia! 
.Siaiii 

So'jooo  2 


|li||§ 


S 


a    £ 


5* 


a.     o. 


JA 

b  s     «a 

"So         r© 


S  i 


$  ? 
S       -?3 

«»■♦•gs 

SSgSS 

sSwga 


3 
S 

•S  .  .   •  .   . 

•  -:  •  •2«  *  • 


V.    Verhandinngen  der  Gesellschaft 


10 

i« 

o  ■ 

H 


d  © 
©  »ö 
•5  3 

H. 

O  *  5 

—    0    • 

H 


Jf 

Ss 

H  p 
©•ö 
H 


S  " 

DO   § 


©  d 


S  c 


<*  UM 

3  S  fl 


'Oi  2 


*    -2 


P  ä 
•  P 

^3 
s  a 

.2  • 

£■3 
g.2 

o 

ij. 

:* 


p 

08 


&2 

©.2 

SJ2 

OJ4 
&D© 

«9     P 

W 


wo 

1 

o 
HS 


P 


p 

3 


QQ 


6 


1 


£ 


r§p 


2  ■ 
So 

o 


►  a  ©  © 

©  p*S 

•°    ►   P    § 

SSÜJS 

«  t>3  d 

5  2* 
fr  £« 
+*  2  3  5: 

MT3    ©  tJ 


^    P 

P 
P    © 

o  »3 

►    P 


:o  © 

SS* 

^  P 
©  p 

►  P 

© 
©  g 

fl* 


© 


p 
p 

© 

p 
.2 

**o     • 
:ce   «a 

3-° 

Ä 
©^ 


©  -ä  © 

H  ja    . 

flw3  © 

•     03  •© 

.2     p* 
©  "2  P  fl 

u-P  fl.22 

2  S  E  «• 


^  *  fl  fl 

p-o  3  «3 
3**2 

s a  s rs. 
©  ©  j* 

P§§5 
3.5  ©^ 

**  s  2 

©  «Q  © 
o*  p  .'S 
S  2  "  0  § 


1' 


o-o 


©~Sa> 


So  5  *- 
B    (f  4*  ^ 

•O    •  CO   M)vM 


p 
o 

•p* 

3 

M 


© 


P 


o 
ja 


;s 


&"§ 


£S 


Ss 


ao  ^^ 


jg  ©         «o  fl 


00 

^06 


9*ö  gg 


s 


I 


a»   ao 

I* 


IM 


^■5 

^i  p 

§.0 


P 
+»     • 

^s  fr 
3        3 


15 


für  Gcburtehüifo  in  Berlin. 


109 


0   © 

©  ^ 


•      I 

SP 
°  s, 
•g-sS 


00 


0Q  g 
tri    © 


8  £  3  ä 

.2      '-S  ^ 


§: 


|£ot 


35? 


2  • 

3^ 


s 


e 


a 

§  5  - 

H«         "O         S 

*  s  * 

•s««|  ob 
A%-  IS 

S"S2  g*"«^ 

3*0,3  *äs 

'S 


9 


i  ****** 

3    S°°  .82 


I 


0   «  «ab  •   « 
•sS-022  §22 


110 


V.    Verhandinngen  der  Gesellschaft 


Ausgang. 

Heilung     in     acht 
Wochen. 

Tod  nach  16  Stun- 
den. 

Heilung   nach  hef- 
tiger Peritonitis. 

Heilung    in    sechs 
Wochen. 

.    'S 

Xi 
_    ■" 

PCD 

Ja4« 
8 

■j 
B 
CO 

«  'S  P  ®                                           >7Sd^ 

S  o  Sä                              •  ?  35 

i  °  ja  P  ^     i               bß              n  3  S  M 

s            pi       3       d 

p 
So 

og 

**  g 
*l 

i 

B 

d            -2  3      ^ 

0    4             d 

«  S                ja    ^        ■  S 
■*  .2                S  * 

3  J3                2  a  st    *  S 

f  J           ^Jiä  ^  a*S   S 

fi  w      «  •  S  m 
pg                  ^poip^j« 

p  *                   *'2-a«3£'< 

p                  oob    'jJ'Oa    ,5 
3                    H            «S            M 

IS 

£  B                              s  ^ 

*       i    ■ 

»tl  **  ■-  p 

0    <D    9    g 

9 

■ 

«P  *T                        tP  O             P                  O  fe 

i  i-.Z*     11     •       ?«* 

gC^  hJl           &^            £                   *    «    J 

i     »3  j  i  »          fcS         =              «t:  E 

1        ^        ^                 ^                                    ^ 

1   i 

i       «                              ^                  iO                  CO 

l>                                          s>                         »>                         |> 

Ig» 
Sil 


für  GebortshOlfe  in  Berlin. 


111 


Passen  wir  in  einigen  Zahlen  die  Ergebnisse  der  obigen 
Casuistik  zusammen,  so  findet  sieb  Folgendes: 


Resultat  der  totalen  Exstirpationen    . 
Beide  Ovarien  wurde«  exetirpirt    .  . 

Ascites  war  vorhanden 

Der  Tumor  war  einfach  (nnilocnlär) 
p  „  „     zusammengesetzt 

(meistens  multiloculär, 

theilweise  fibrös)  .  .  . 

„  „  „     nicht  naher  bestimmt 

Adhäsionen  waren  nicht  vorbanden 

„  „      vorhanden    .  •  . 

Keine  Angaben  über  Adhäsionen  .  .  . 


Summa 


76 

2 

13 

10 


57 

8 

17 

49 

9 


Davon 


Heilung 


45 
1 
9 
6 


34 

5 

14 

29 

2 


Tod 


30 

1 
4 
4 


23 
3 
3 

20 

7 


Man  ersiebt  aus  den  vorstehenden  Zahlen,  dass  m  der 
überwiegenden  Majorität  der  Fälle  es  sich  um  zusammen- 
gesetzte Kystengeschwülste  bandelte,  welche  meistentheils  aus 
einer  oder  zwei  Kystenräumen ,  nebst  einer  Anzahl  kleiner 
Hohlräume,  häufig  mit  colloidem  Inhalte  bestanden,  in  einigen 
Fällen  (No.  20,  35,  47)  aber  auch  ganz  und  gar  aus  kleinen 
Kysten  zusammengesetzt  waren;  einige  Male  (No.  6,  31)  war 
auch  gleichzeitig  ein  fibröser  Tumor  vorhanden.  Die  Erfolge 
der  Exstirpation  einfacher  Kysten  (No.  36,  39,  41,  44,  52, 
54,  55,  57,  69,  76),  die  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  auch 
keine  Adhäsionen  hatten,  waren  so  ziemlich  dieselben  wie 
die  bei  den  mehrfachen.  —  Was  das  Vorhandensein  von 
Adhäsionen  anlangt,  so  fanden  sich  diese  in  äusserst  zahl- 
reichen Fällen  vor,  und  zwar  am  häufigsten  mit  einzelnen 
Eingeweiden  allein,  namentlich  dem  Netze,  sehr  viel  seltener 
mit  dem  Darme  und  der  Leber,  am  seltensten  mit  dem  Uterus, 
Tuba  und  Blase;  demnächst  an  Häufigkeit  kamen  die  Adhäsionen, 
die  sowohl  an  der  vorderen  Bauchwand,  als  auch  der  hinteren 
oder  dem  Beckenrande  trnd  gleichzeitig  mit  einem  Eingeweide, 
namentlich  dem  Netze,  seltener  Darm  und  Leber  stattfanden, 


112  V.     Verhandlungen  der  Gesellschaft 

endlich  diejenigen  Adhäsionen,  welche  an  der  Bauchwand 
allein  vorhanden  waren.  Es  ist  nun  nicht  zu  verwundern, 
dass  die  Resultate  der  Operation  bei  fehlenden  Adhäsionen 
günstiger  waren,  als  bei  vorhandenen,  wenn  man  bedenkt, 
dass  die  letzteren  fast  immer  mit  der  Hand  losgelöst  werden 
mussten,  in  vielen  Fällen  auch,  namentlich  am  Netze,  vor  der 
Trennung  mit  einem  schneidenden  Instrumente  eine  Unter- 
bindung zur  Vermeidung  einer  Blutung  aus  stärkeren  Gefassen 
nöthig  machten,  einige  Male  auch,  zur  Erreichung  dieses  Zweckes, 
ohne  eine  Ligatur  zurückzulassen,  mit  dem  Ecraseur  getrennt 
wurden.  Zu  den  schlimmsten  Blutungen  gab  die  Trennung  der 
Adhäsionen  mit  der  Tuba  und  dem  Uterus  Veranlassung  (No.  14, 
28,  38)  und  erforderte  mehrmals  die  Anlegung  einer  Reihe  von 
Ligaturen  oder  Suturen,  zum  Theil  aus  Draht.  —  Es  geht  aber 
auch  bei  näherer  Betrachtung  der  einzelnen  Fälle  unzweideutig 
hervor,  dass  die  Reaktion  bei  einer  Operation  mit  Ablösung 
selbst  fester  und  umfangreicher  Adhäsionen  keinesweges  mit 
Nothwendigkeit  bedeutender  ist,  als  in  denjenigen  Fällen,  in 
welchen  die  Extraction  einer  einfachen  Kyste  durch  eine 
kleine  Wunde  gelingt;  vielmehr  lehren  zahlreiche  Beobachtungen, 
dass  die  Reaction  selbst  nach  sehr  eingreifenden  Operationen 
eine  höchst  geringe  war,  dass  die  Operirten  kaum  einen 
beschleunigten  Puls  hatten  und  kaum  bei  ihnen  die  Anwendung 
irgend  eines  Hedicaments  erforderlich  war.  Es  lehrt  ferner 
ein  Blick  auf  die  Tabelle,  dass  die  Genesenden  meistens  in 
wenigen  Wochen,  durchschnittlich  in  einem  Monat  hergestellt 
waren  und  daher  unmöglich  in  dieser  Zeit  eine  schwere 
Peritonitis,  wie  man  solche  wohl  nach  einer  so  eingreifenden 
Operation  für  unumgänglich  halten  könnte,  durchgemacht 
haben  konnten.  Es  scheint  hiernach  fast,  als  ob  die  sonst 
*bei  allen  Eröffnungen  der  Bauchhöhle  so  sehr  drohende  Gefahr 
der  Peritonitis,  zumal  beim  Vorhandensein  massiger  Adhäsionen, 
den  Residuen  früher  dagewesener  schleichender  Entzündungen, 
bei  den  hierdurch,  so  wie  die  starke  Ausdehnung  des  Bauch- 
felles bewirkten  Veränderungen,  eine  geringere  sei,  als  man 
unter  anderen  Umständen  beobachtet  Schon  J.  Clay  hat 
durch  Zusammenstellung  von  385  Fällen,  in  welchen  über 
die  An-   und  Abwesenheit  von  Adhäsionen  nähere  Auskunft 


für  Geburtshülfe  in  Berlin. 


113 


gegeben   ist,   die   nachfolgenden   nicht  ungünstigen  Resultate 
ermittelt 


Summa 

Adhäsionen 

fehlend 

leichte 

aus- 
gedehnte 

eine 
Ligatur 

er- 
fordernd 

Glücklich  verlauf.  Fälle 
Tödtlich          „            „ 

214 

171 

08            66            67            13 
31      j      45      (      66      |      29 

385  * 

99 

111 

183 

I   « 

Es  ist  endlich  noch  darauf  hinzudeuten,  dass  selbst  das 
Vorhandensein  von  Ascites  (No.  3,  5,  6,  22,  25,  31,  42, 
46,  48,  67,  71,  73,  75)  oft  erheblichen  Grades  das  Operations- 
Resultat  durchaus  nicht  sehr  verschlechterte,  indem  auch  hier 
anscheinend  das  Peritoneum  zu  starken  Entzündungei/ weniger 
prädisponirt  war. 

Ehe  wir  uns  zu  einer  kurzen  Auseinandersetzung  der- 
jenigen Principien,  nach  welchen  bei  der  Operation  und  Nach- 
behandlung verfahren  werden  muss,  wenden,  haben  wir  noch 
Einiges  über  den  Zeitpunkt  anzuführen,  welcher  für  die 
Vornahme  der  Ovariotomie  zu  wählen  ist  Abgesehen  von 
der  Witterung,  welche  möglichst  günstig  sein  muss  und  bei 
der  das  trockene,  warme,  gleidunässige ,  jedoch  nicht  zu 
heisse  Wetter  den  Vorzug  verdient,  abgesehen  ferner  davon, 
dass  die  Vornahme  der  Operation  etwa  in  die  Mitte  zwischen 
zwei  Menstruationsperioden  verlegt  werden  muss,  ist  die  Be- 
stimmung desjenigen  Zeitpunktes  und  desjenigen  Kräfte- 
zustandes  der  Patientin,  welche  die  Operation  dringend 
gebieten  oder  noch  zulassen,  ziemlich  schwierig.  Wenn  auch 
zur  Erzielung  eines  günstigen  Ausganges  verlangt  werden 
inuss,,  dass  die  Kräfte  der  Patientin  noch  möglichst  wenig 
gebrochen  seien,  so  sind  doch  zahlreiche  Fälle  bekannt,  in 
denen  unter  anscheinend  sehr  verzweifelten  Umständen  noch 
mit  Glück  operirt  wurde.  Man  darf,  sich  daher  nicht  scheuen, 
auch  selbst  noch  unter  solchen  Verhältnissen  die  Operation 
«vorzuschlagen    und    auszuführen,    vorausgesetzt,    dass    die 

Mouats«ohr.  f.  Qeburtok.  1862.  Bd.  XX.,  Hft.  2.  8 


1X4  V.    Verhandinngen  der  Gesellschaft 

Leidende  von  anderweitigen  organischen  Erkrankungen  voll- 
kommen frei  ist.  Hat  man  Gelegenheit,  eine  Patientin  längere 
Zeit  xu  beobachten,  so  wurde  in  Fällen,  in  welchen  die 
Punction  und  Jod-Injection  ohne  Erfolg  angewendet  wurde, 
oder  überhaupt  nicht  zulässig  war,  der  Termin  zur  ungesäumten 
Vornahme  der  Operation  dann  gekommen  sein,  wenn  die 
Kräfte  derselben  abzunehmen,  die  Abmagerung  zuzunehmen 
beginnen. 

In  Betreff  der  Resultate  der  Operation  selbst,  lehrt,  wie 
schon  oben  erwähnt,  die  Erfahrung,  dass  dieselben  in  kleinen 
Hospitälern  oder  der  Privatpraxis  günstiger  ausfallen,  als  in 
den  grossen  Hospitälern ,  mit  ihren  mancherlei ,  die  Erfolge  der 
gelungensten  chirurgischen  Operationen  gefährdenden  Infections- 
quellen.  —  Zu  den  erforderlichen  Vorbereitungen  gehört  die 
Auswahl  eines  ruhigen,  gut  ventilirten  Zimmers,  welches  für  dif» 
In  Gegenwart  von  möglichst  wenig  Zuschauen!  auszuführende 
Operation  eine  höhere  Temperatur  als  gewöhnlich  erhalten 
muss  und  in  welchem  die  Patientin  nach  jener  sofort  in  ein 
gehörig  erwärmtes  Bett  gebracht  werden  kann.  Es  muss 
ferner  jede  Möglichkeit  zu  Erkältungen  dadurch  abgehalten 
werdep,  dass  die  Patientin,  so  weit  sich  dies  thun  lässt, 
bekleidet  ist,  jedenfalls  aber  warme  Beinkleider  und  Strümpfe 
während  der  Operation  anbehält  Zu  den  Vorbereitungen 
gehört  ferner  die  einige  Tagen  vorher  bereits  eingeleitete 
möglichste  Entleerung  des  Darmes,  um  nach  der  Operation 
längere  Zeit  Ruhe  in  dieser  Beziehung  zu  haben,  ebenso  wie 
zur  Vermeidung  von  Erbrechen  nach  der  bei  dieser  Operation 
unschätzbaren  Chloroform -Narkose,  die  Patientin  nicht  kurze 
Zeit  zuvor  etwas  genossen  haben  darf.  Der  genau  in  der 
Linea  alba,  nach  Entleerung  der  Blase,  zu  führende,  in  der 
Nähe  der  Schambeinfuge  beginnende  Bauchschnitt  muss  stets 
von  Anfang  an  so  gross  gemacht  werden,  dass  man  durch 
ihn  die  Hand  in  die  Bauchhöhle  einführen  und  mittels  der- 
selben sich  wenigstens  'in  der  nächsten  Umgebung  durch 
Umgehen  des  Tumor  von  der  An-  oder  Abwesenheit  von 
Adhäsionen  überzeugen  kann.  Sind  dergleichen  nicht  vor- 
handen oder  vorläufig  nicht  zu  bemerken,  so  wird  zunächst, 
nachdem  man  durch  eingeschlagene  scharfe  Haken  den  sich  . 
vordrängenden  Tumor  in  der  Wunde  fixirt  hat,   ein  starker 


für  Geburtehülfe  in  Berlin.  H5 

Thompsori&chm  Trokar  in  don  vorliegenden  grössten  Kysteu- 
rawn  eingestossen  und  dieser  entleert,  ohne  dass  die  Patientin 
oder  ihr  Lager  durchnässt  wird.  Folgt  jetzt  der  zusammen* 
gefaMene  Tumor  einem  massigen  Zuge,  so  wird  er  mit  Vor* 
sieht  entwickelt;  ioigt  er  nicht,  hindern  dies  fielleicht  noch 
nicht  entleerte  grössere  Kysteo,  so  muss  man  auch  diese 
punetiren,  wenn  man  sie  erreichen  kann,  oder  zuvor  die 
Wunde  nach  oben  hin,  mit  Umgehung  des  Nabels,  erweitern. 
Verhindern  jedoch  Adhäsionen  die  Herausbeförderung,  so  sind 
diese  zunächst  vorsichtig  mit  der  Hand  zu  trennen,  namentlich 
diejenigen  an  der  Bauchwand;  sind  dieselben  aber  fest  und 
gefä  ssreich ,  so  muss,  nach  vorheriger  Unterbindung,  die 
Trennung  derselben  mit  dem  Messer  bewirkt,  die  Unter- 
hinduogsftden  aus  der  Wunde  herausgeführt  werden;  auch 
kann  bei  festen  und  zähen  Adhäsionen  unter  Umständen  der 
Ecraseur  von  Nutzen  sein.  Baker  Brown  wendet,  wenn 
er  bei  der  Trennung  von  Adhäsionen  eine  Ligatur  für  nötnig 
findet,  dazu  dünnen  Silberdraht  an,  der  kurz  abgeschnitten 
und  in  der  Bauchhohle  zurückgelassen  wird.  Bisweilen  ist 
es  bei  festen  Adhäsionen  der  Kysje  an  Eingeweiden,  deren 
Abtrennung  schwierig  ist,  nothwendig,  dieselben  ungetrennt 
und  dafür  ein  Stuck  der  Kystenwand  an  dem  Eingeweide 
zurückzulassen.  Handelt  es  sieb  um  einen  fast  ganz  soliden 
muttiloculären  Tumor,  so  ist  allerdings  zu  seiner  Entfernung 
eine  sehr  grosse  Incision  erforderlich,  wie  man  sie  früher, 
vor  dem  Jahre  1840  ungefähr,  allgemein  machte,  um  d^n 
Tumor  in  seiner  ganzen  Ausdehnung  herauszubefördern,  ohne 
ihn  zuvor  durch  Entleerung  des  Inhaltes  möglichst  zu  ver- 
kleinern; bei  einem  solchen  grossen  Bauchschnitte  missen 
dann  auch  Vorkehrungen  gegen  den  Vorfall  der  Eingeweide 
getroffen  werden.  Lässt  sich  der  zähe  gallertartige  Inhalt 
einer  grösseren  ttyste  nicht  mit  dem  Tipkar  entleeren,  und 
ist  die  Entleerung  für  die  Herausbeförderung  des  Tumor 
nothwendig,  so  kann  auch  ein  grösserer  Einschnitt  in  den- 
selben gemacht  werden;  es  muss  dann  aber  auch  sorgfältig 
darauf  geachtet  werden,  dass  nichts  von  dem  sich  entleerenden 
Inhalte  in-  die  Bauchhöhle  gelangt  Ist  man  nun  bei  der 
vorsichtigen  Entwicklung  des  ganzen  Tumor  bis  zu  dem 
sogenannten  Stiele  gekommen,  d.  h.  denjenigen  Theilen  des 


]  jg  V.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

breiten  und  runden  Mutterbandes,  sowie  der  Tuba,  welche 
sieb  noch  zwischen  dem  entarteten  Eierstocke  und  dem 
Körper  der  Gebärmutter  in  grösserer  oder  geringerer  Aus- 
dehnung befinden,  so  legen  die  englischen  Operateure ,  deren 
Grundsätze  ich  hier  fast  durchweg,  namentlich  nach  Spencer 
Wells'1)  Mittheilungen  schildere,  gewöhnlich  eine  Klemme 
um  denselben,  d.  h.  zwei  durch  Schraubenkraft  an  einander 
zu  bringende  Branchen  eines  tasterzirkelähnlichen  Instrumentes, 
und  comprimiren  damit  vollständig  die  Gefasse  des  Stieles; 
entweder  wird  nun  noch  eine  Unterbindung  desselben  vor- 
genommen, und  zwar  in  wenigstens  zwei,  nach  Umständen 
und  bei  grösserer  Dicke  des  Stieles  auch  in  mehr  Portionen 
und  mittels  der  kräftigsten  Ligaturfaden  (Peitschenschnur), 
und  darauf  der  Stiel  zwischen  der  Ligatur  und  der  Geschwulst- 
masse durchschnitten,  oder  man  begnügt  sich  auch,  wenn 
die  Klemme  den  Stiel  gehörig  zusammenpresst ,  mit  dieser 
und  resecirt  jenen  ohne  nochmalige  Unterbindung,  wobei 
man  den  Vortheil  hat,  die  Klemme  schon  am  folgenden 
oder  dritten  Tage  abnehmen  zu  können.  Neuerdings  bat 
Spencer  Wells  statt  der  Klemme  auch  ein  durch  Schrauben- 
kraft  zusammenzuziehendes  Drahtseil  in  Anwendung  gebracht. 
Es  ist  selbstverständlich,  dass  die  letztgenannten  Verfahren 
nur  bei  einem  langen  Stiele,  den  man  leicht  ausserhalb  der 
Bauchwunde  erhalten  kann,  anwendbar  sind.  Ehe  man  nun 
aber  zur  Fixirung  des  Stieles  und  zur  Vereinigung  der  Wunde 
schreitet,  ist  in  allen  denjenigen  Fällen,  in  welchen  die  Ab- 
trennung von  Adhäsionen  erforderlich  war,  die  Blutung  auf 
das  sorgfaltigste  zu  stillen,  sowie  alle  in  der  Bauchhöhle 
noch  befindlichen  Blutcoagula  oder  der  etwa  in  die  Bauch- 
höhle, z.  B.  beim  zufalligen  Zerdrücken  einiger  sehr  dünn- 
wandiger Kysten  ausgetretene  Kysteninhalt,  mit  Hülfe  von 
weichen  und  reinen  Schwämmen,  bei  gleichzeitiger  Zurück- 
haltung der  Därme,  aus  der  Unterleibshöhle,  namentlich  dein 
kleinen  Becken  auf  das  sorgfaltigste  zu  entfernen,  weil, 
wenn  dergleichen  Massen  zurückbleiben,  sie  leicht  eine  tödt- 
liche  Peritonitis  herbeiführen.  Obgleich  nun  die  Ansichten 
über   die   Sicherung   und   Fixirung    des   Stieles   noch   keine 


1)  Dublin  quart.Journ.ofmed.se,  Vol.  28,  1859,  p.  267  sqq. 


für  Geburtehfilfe  in  Berlin.  H7 

allgemein  feststehenden  sind  und  z.  B.  einige  englische 
Operateure,  welche  mit  grossem  Glücke  operiren,  wie  Clay 
und  Tyhr  Smith,  ihn  öfter  nach  vorheriger  Unterbindung 
in  die  Bauchhhöhle  zurückgleiten  lassen,  in  der  Erwartung, 
dass  sich  die  kurz  abgeschnittenen  Ligaturen  bald  mit  Faser- 
stoff umgeben  werden,  so  scheint  dieses  Verfahren  doch 
nicht  empfefalenswerth,  da  von  dem  strangulirten  Stumpfe 
die  gangränescirenden  Massen  unzweifelhaft  in  die  Bauchhöhle 
gelangen  und  leicht  Peritonitis,  sowie  putride  Infection  ver- 
anlassen können.  Es  entspricht  daher  gewiss  mehr  einer 
vorsichtigen  Praxis  den  Stiel,  sobald  dies  ohne  zu  grosse 
Zerrung  für  den  Uterus  möglich  ist,  so  in  der  Bauch  wunde 
zu  fixiren,  dass  der  stranguhrte  Theil  desselben  nach  aussen 
hin  abgestossen  werden  muss.  Es  wird  daher  bei  der  Ver- 
einigung der  Bauchwunde,  die  gewöhnlich  theilweise  durch 
lange  Stahl-  (oder  Insecten-)  Nadeln  und  die  umschlungene 
Naht  bewirkt  wird,  eine  Nadel  zunächst  durch  die  Bauchwand 
und  den  Stiel  zugleich  jenseits  der  Ligatur  oder  Klemme 
hindurchgeführt  und  er  so  in  der  Bauchwunde  befestigt  und 
eingeklemmt.  Das  Durchführen  der  Nadeln  -geschieht  am 
besten  gleichzeitig  durch  das  Peritoneum ,  indem  mittels  eines 
solchen  Verfahrens,  wie  /Spencer  Weih  vielfach  bei  Ex- 
perimenten an  Threren  und  bei  Sectionen  von  Patientinnen, 
die  einige  Zeit  nach  der  Operation  verstorben  waren,  die 
allergenaueste  Vereinigung  erzielt  wird ;  zwischen  die  einzelnen 
Nadeln  können  dann  noch  eine  Anzahl  oberflächlicher  Metall- 
suturen  zu  genauerer  Vereinigung  der  Haut  gelegt  werden. 
Als  Verband  dient  eine  über  die  mit  Watte  bedeckte  Wunde 
angelegte  flanellene  Bauchbinde. 

Aeusserst  wichtig  ist  die  Leitung  der  Nachbehandlung. 
Dieselbe  darf  kemesweges  sehr  geschäftig  noch  eingreifend, 
vielmehr  fast  nur  diätetisch  und  expeetativ  sein.  Vollständigste 
Buhe  in  einem  gut  ventilirten,  massig  warmen  und  feuchten 
Zimmer,  in  einem  bequemen  warmen  Bette,  Erhaltung  der 
grössten  Reinlichkeit,  Katheterismus  alle  sechs  Stunden  sind 
Hauptbedingungen,  während  Speisen  und  Getränke  stets  in 
kleinen  Quantitäten,  nach  den  Wünschen  der  Patientin  mit 
der  Rücksicht  gereicht  werden,  dass  auf  keinen  Fall  da* 
durch    ein    Erbrechen    veranlasst    wird.     Wo    eine    Neigung 


118  V.    Verhandlungen  der  GeielUchaft 

dazu  vorbanden  ist,  z.  B.  in  Folge  der  Chloroform  -Narkose, 
darf  absolut  nichts  zum  Verschlucken  gegeben  werden,  als 
kleine  Eisstücken  zur  Stillung  des  Durstes  und  müssen  dann 
nicht  nur  alle  Nahrungsmittel  (wie  dies  in  einer  Reihe  von 
Fällen  mit  gunstigem  Erfolge  geschehen  ist)  durch  Clyswata 
eingebracht  werden,  sondern  auch  die  für  nöthig  erachteten 
Medicamente,  unter  denen  das  Opium  eine  hervorragende 
Rolle  spielt,  obgleich  es  nach  der  Ovariotoroie  nicty,  wie 
sonst  auch  die  englischen  Aerzte  bei  allen  die  Bauchhöhle 
betreffenden  und  eröffnenden  Operationen  oder  Verwundungen, 
zur  Verlangsamung  der  peristaltischen  Bewegung  anzuwenden 
ist,  sondern  nur  zur  Besänftigung  der  Schmerzen;  daher  in 
einzelnen  Fällen,  in  denen  eine  Reaction  von  Bedeutung  nicht 
auftritt,  fast  gar  keine  Medication  erforderlich  ist  Und  in 
der  That  befindet  sich  unter  den  oben  angeführten  Fallen 
eine  Anzahl,  bei  denen  entweder  gar  nichts  von  Medicamenten 
oder  höchstens  ein  oder  zwei  Mal  eine  geringe  Dosis  Opium 
auf  dem  einen  oder  anderen  Wege  beigebracht  wurde.  Bei 
der  Application  des  Opiums  durch  Clysmata,  zur  möglichsten 
Vermeidung  von  Erbrechen ,  ist  ausserdem  noch  eine  günstige 
locale  Wirkung  auf  die  bisweilen  zu  beobachtende  lästige 
Reizbarkeit  der  Blase  zu  bemerken.  Es  ist  aber  eine  künst- 
liche Constipation  einer-  und  noch  mehr  Purgantien  anderer- 
seits zu  vermeiden,  weil  im  ersten  Falle  durch  Tympanitis, 
im  letzteren  Falle  durch  Reizung  des  Darmes  Peritonitis  erregt 
werden  kann.  In  Betreff  der  äusseren  Applicationen  auf  den 
Unterleib  Schemen  die  englischen  Operateure,  wenn  sie  deren 
überhaupt  anwenden,  mehr  für  die  warmen  als  die  kalten 
eingenommen  zu  setq.  Nach  3 — 4  Tagen  werden  die  Nadeln 
und  später  die  übrigen  Suiuren  ausgezogen,  und  die  Patientin 
kann  bei  der  einfachsten  diätetischen,  jetloch  die  grösste 
Reinlichkeit  berücksichtigenden  Pflege,  innerhalb  sehr  kurzer 
Zeit  hergestellt  sein. 

Dass  nach  glücklich  gelungener  Ovariotomie  die  Wieder- 
herstellung der  Gesundheit  eine  vollständige  sein  kann  und 
ohne  wesentliche  Verstümmelung,  wie  eine  solche  nach  so 
vielen  anderen  bedeutenden  chirurgischen  Operationen  zurück- 
bleibt, lehren  die  zahlreichsten  Beobachtungen.  Ich  will  zum 
Schlüsse    nur   noch    das    näher    ausführeu,    was   ich  früher 


für  Gafcujrtihülfe  in  Berlin.  HP 

bereits  angedeutet  habe,  das*  uäfnlich  eine  ganze  Anzahl 
von  Fällen  bekannt  ist,  in  welchen  nach  gemachter  Ovariotomie 
die  betreffenden  Frauen  eine  Reihe  von  Kindern  zu  erzeugen 
im  Stande  waren« m  Es  ist  von  Crouch l)  eine  Zusammen- 
stellung solcher  Fälle  gemacht  worden;  er  bat  deren  neun 
aufgefunden  (darunter  von  Clay  fünf,  von  Jeafferson, 
Baker  Brown,  Cornüh  (zu  Taunton)  uud  von  ihm  selbst 
je  einpr),  und  zu  einer  factischen  Widerlegung  der  Fabel, 
dass  von  einem  und  demselben  Ovarium  stets  nur  Kinder 
eines  Geschlechtes  producirt  wurden  in  ihnen  ein  Material 
gefunden,  aus  dem  sich  ergiebt,  dass  von  vier  Patientinnen, 
denen  das  linke  Ovarium  exstirpirt  war,  später  drei  Knaben 
und  fünf  Mädchen  geboren  wurden,  während  in  fünf  Fällen, 
in  denen  das  rechte  Ovarium  entfernt  war,  später  sieben 
männliche  und  eben  so  viel  weibliche,  im  Ganzen  also  von 
den  neun  Frauen  22  Kinder  geboren  wurden.  Ich  kann  dieses 
Verzeichniss  noch  durch  einige  andere  bekannt  gewordene 
Beobachtungen  vermehren,  nämlich  durch  zwei  Fälle  von 
Atlee,2)  in  denen  die  Patientinnen  nach  der  Operation  je 
zwei  Kinder  gebaren,  von  F.  C.  Quittenbaum  ,z)  dessen 
Operirte  ein  Kind  gebar,  und  Spencer  Weih,*)  dessen  eine 
Patientin  13  Monate  nach  der  Operation  von  einem  gesunden 
Kinde  entbunden  wurde. 

Herr  Martin  fragt,  ob  nicht  die  Abtragung  des  Stieles 
zweckmässig  mit  dem  Ecraseur  bewerkstelligt  werden  könne, 
da  in  diesem  Falle  Unterbindungsfaden  so  viel  als  möglich 
zu  vermeiden  seien. 

,  Herr  Chirlt  giebt  die  Zweckmässigkeit  dieses  Verfahrens 
vom  theoretischen  Standpunkte  aus  zu,  kann  aber  aus  der 
ihm  bekannten  Literatur  keinen  Fall,  wo  dieses  Verfahren 
angewendet  wäre,  beibringen. 


1)  Lancet,  1859,  Vol.  I.,  p.  142. 

2)  Foek  1.  c  S.  146,  147.     No.  1,  2. 

3)  A.  F.  Quittenbaum,  Eieretockskrankheiten  u.  8.  w. ,  Dispert., 
Rostock  1860,  und  Simon  1.  c.  8.  139. 

4)  Lancet  1860,  Vol.  II.,  p.  586,  and  Med.  Times  and  Gasette, 
1860,  Vol.  II.,  p.  593. 


120  V-    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Herr  Martin  wirft  ferner  die  Frage  auf,  ob  die  günstigen 
Resultate  der  Operation  auch  von  Dauer  gewesen  seien«  In 
dem  einen  Falle,  den  er  im  Jahre  1852  durch  die  Operation 
in  fünf  Wochen  geheilt  habe,  fand  sich  ein  Jahr  später,  wo 
die  Kranke  einer  heftigen  Pneumonie  erlag,  bei  der  Section 
der  Stiel  unverändert  in  der  Bauch  wunde  eingeheilt,  aber  in 
den  benachbarten  Lymphdrüsen  und  den  Lungen  Krebs- 
ablagerungen. 

Auf  den  Einwand  des  Herrn  Gurlt,  dass  die  krebsige 
Natur  der  Ovarienkysten  doch  sehr  selten  sei  und  Recidive 
dieser  Art  mithin  nur  Ausnahmen  sein  könnten,  erwidert 

Herr  Martin,  dass  Virchow  die  multiloculären  Ovarien«- 
kysten  stets  für  verdächtig  erklärt  habe,  die  Ausdauer  des 
Erfolges  daher  in  diesen  Fällen  doch  zweifelhaft  sei. 

Herr  Wegscheider  fragt  an,  ob  andere  Collegen  gleich 
ihm  die  Beobachtung  gemacht  hätten,  dass  die  Erkrankungen 
an  Eierstockswassersucht  in  Berlin  im  Ganzen  sehr  selten 
vorkämen. 

Herr  C.  Mayer  kann  dies  nicht  in  Abrede  stellen.  Er 
habe  zwar  sehr  häufig  Gelegenheit,  Ovarienkysten  zu  beobachten, 
da  seine  Praxis  aber  meist  Fremde  betreffe  und  er  von  Ein- 
beimischen sehr  selten  wegen  dieses  Leidens  befragt  werde, 
so  glaube  er  wohl,  dass  in  Berlin  die  Krankheit  im  Ganzen 
selten  vorkomme.  Auch  blieben  wohl  (wie  Herr  Riedel  bemerkt 
hatte),  viele  Falle  in  der  Entwicklung  stehen,  so  dass  sie, 
bei  den  im  Ganzen  unbedeutenden  Beschwerden,  leicht  der 
Kenntniss  des  Arztes  entgingen.  Er  kenne  z.  B.  eine  junge 
Dame,  die  seit  zehn  Jahren  an  einer  einfachen  Ovarialkyste 
mit  flüssigem  Inhalte  leide,  bei  der  das  Uebel  in  der  ganzen 
Zeit  keine  Fortschritte  gemacht  habe. 

Herr  Paasch  behandelt  seit  fünf  Jahren  eine  Dame  mit 
einer  Ovarialkyste,  ohne  eine  Zunahme  der  Geschwulst  in 
dieser  Zeit  beobachtet  zu  haben. 

Auf  die  Frage,  ob  Niemand  von  Jodpräparaten  einen 
günstigen  Einfluss  und  Verkleinerung  der  Geschwulst  gesehen 
habe,  erklärt  sich  ' 


för  GeVortahttHe  in  Berlin.  121 

Herr  C.  Mayer  als  entschiedenen  Anhänger  dieser  Be- 
handlungsweise.  Nicht  bei  grossen  Tumoren,  wo  er  nie 
einen  günstigen  Einffuss  davon  gesehen,  aber  bei  kleineren 
Kysten  müsse  er  die  Wirksamkeit  des  Jods  unzweifelhaft 
anerkennen.  Er  entsinne  sich  z.  B.,  die  Frau  eines  Kauf- 
manns behandelt  zu  haben,  die  nach  der  Geburt  des  vierten 
Kindes  von  einer  Peritonitis  (Oophoritis)  befallen  mit  einer 
kindskopfgrossen  Ovariumkyste  in  seine  Behandlung  gekommen 
war.  Durch  Anliphlogose,  Einreibungen  und  innerlichen  Ge- 
brauch von  Jod  sei  die  Geschwulst  allmälig  kleiner  geworden, . 
so  dass  er  Patientin  vor  zwei  Jahren  nach  Hall  in  Ober- 
österreich geschickt  habe.  Von  dort  kam  sie  vollständig 
gesund  zurück  und  die  nun  aufs  Neue  angestellte  Unter- 
suchung ergab  kein^  Spur  des  früheren  Leidens. 

Herr  Gurlt  giebt  die  Wirksamkeit  einer  antiphlogistischen 
und  Jod -Behandlung  für  solche  Fälle  zu,  die  entschieden 
entzündlichen  Ursprunges  seien.  Für  schleichend  entstehende 
hydropische  Anschwellungen  sei  indess  die  Unwirksamkeit 
medicamentöser  Behandlung  durch  zu  vielfältige  Beobachtungen 
erwiesen. 

Herr  C.  Mayer  räth  in  allen  Fällen  massigen  Grades 
einen  Versuch  in  der  angegebenen  Richtung  zu  machen,  da 
auch  bei  Mangel  jeder  Schmerzempfindung  doch  möglicher- 
weise das  Leiden  entzündlichen  Ursprunges  sein  könne,  wenn 
dieser  auch  nicht  mehr  nachzuweisen  sei. 


122         VI.    JfMMitff»,  Jfittkeilucen  über  die  Tätigkeit 

VI. 

Mittheilungen  über  die  Thätigkeit  und  die  Ver- 
handlungen der  Gesellschaft  tüx  Geburtshülfe 
zu  Leipzig 

im  siebenten  Jahre  ihres  Bestehens. 
(Schlußfl.) 


IV.  lieber  Operationen  an  den  Eierstöcken. 

Vortrag,  gehalten  am  19.  November  1860 

▼OB 

Dr.  Carl  Hennlg. 

Meine  Herren!  Die  nachfolgend««  Mittheüungen  sind  ein 
Auszug  meiner  ausführlicheren  Arbeit  über  Oophorotomit. 
welche  sich  in  G.  JB.  Günther'*  „Lehre  von  den  blutigen 
Operationen41,  Leipzig  und  Heidelberg,  38.  und  39.  Lieferung, 
S.  165 — 202  vorfindet;  dazu  gehören  die  Abbildungen,  Taf.  84. 
Ich  flechte  hier  noch  einige  Bemerkungen  pathologisch- 
anatomischer Art  und  in  die  Statistik  die  veröffentlichten 
Falle  ein,  welche  seit  dem  Erscheinen  obiger  Abhandlung  zur 
Operation  gekommen  sind. 

Die  Veranlassung  zu  gegenwärtigem  Vortrage  haben  mir 
zwei  Operationen  gegeben,  zu  denen  ich  von  den  Collegen 
Th.  Kirsten  und  B.  Schmidt  gezogen  wurde.  In  einem 
dritten,  zur  Ausrottung  geeigneten  Falle,  ebenfalls  aus  der 
Praxis  des  Herrn  Dr.  Kirsten,  wurde  die  Operation  von  der 
Kranken  verweigert. 

In  beiden  operirten  Fällen  wurde  die  Exstirpation  ver- 
sucht, in  dem  einen  auch,  trotz  umfänglicher  Verwachsungen, 
zu  Ende  geführt;  beide  Kranke  starben,  und  es  dürfte  das 
Ergebniss  der  Obduction  lehrreich  sein. 

Erlauben  Sie  mir,  einige  allgemeine  Bemerkungen  voraus 
zuschicken ! 


n.  d.  Yerhaadl.  d.  GestUt  ohaft  f.  GebnrtahüH«  su  Leipzig  etc.    J28 

L    Pathologische  Anatomie  der  chirurgischen  Eierstocks- 
kraakheiten. 

Die  krankhaften  Veränderungen  der  Eierstöcke  gehören 
bekanntermaassen  zu  den  mannichfachsten ;  kein  Organ  kann 
gleichzeitig  so  verschiedenartige  Gewebsveränderungen  auf- 
weisen, als  eine  gemischte  Eierstocksgeschwulst.  Sehen  wir, 
wie  sich  ihnen  gegenüber  der  Wundarzt  verhält! 

Die  Hypertrophie,  der  Bluterguss  in  den  Eierstock,  die 
Entzündung  mit  ihren  Ausgängen:  Verhärtung  als  chronische 
—  Erweichung  oder  Eiterung  als  acute  Oophoritis  —  bilden 
wegen  des  geringen  Umfanges,  den  das  Organ  durch  sie  zu 
erreichen  pflegt,  selten  den  Angriffspunkt  wundärztlichen 
Vorgehens. 

Wichtige  Veränderungen  geschehen  durch  secundäre  Ent- 
zündung oder  Apoplexie  an  mehreren  der  folgenden  Krankheits- 
formen, zumal  nach  chirurgischen  Eingriffen. 

Eine  sehr  wichtige  Rolle  spielt  die  begleitende  und  auf 
gewisse  Operationen  folgende  umschriebene  oder  ausgebreitete 
Bauchfellentzündung,  namentlich  die,  welche  zu  Verwachsung 
des  Ovarium  mit  seinen  Umgebungen  fuhrt. 

Die  Geschwülste  im  engeren  Sinne  lassen  sich 
vom  praktischen  Standpunkte  am  füglichsten  in  starre  und 
schwappende  scheiden,  wobei  gleich  erinnert  sei,  dass  feste 
durch  gallertige  oder  schleimige  Entartung,  Verfettung  ihrer 
Zellen  oder  durch  Aufnahme  von  Serum ,  durch  Einnisten  von 
Hohlräumen  mit  flüssigem  oder  weichem  Inhalte  (Markschwamm) 
weich  werden  und  schwappen  können  —  dass  dagegen 
fluctuirende,  besonders  kleinere  im  Anfange  des  Uebels,  wenn 
der  flüssige  Inhalt  von  dicken  oder  von  scharfgespannten 
Wänden  eingeschlossen,  der  Sack  im  unteren  Beckenraume 
eingepfercht  ist,  feste  Geschwülste  vortäuschen.  Ein  gemischtes 
oder  an  verschiedenen  Stellen  verschiedenes  Gefühl  geben 
die  mehrzelligen  und  zusammengesetzten  Bälge,  in  denen  die 
Verflüssigung  nicht  durchgegriffen  hat,  auch  die  Krebse. 

1.    Vorzugsweise  fest  erscheinen 
a)  der  primäre  apoplektische  Herd,  welcher  jedodh 
selten  den  Umfang  einer  Faust  t>der  gar  eines  Kindkopfes 
erreicht; 


124     *    VI.    Meuantr,  Mittkeilnngen  über  die  Thfttigkeit 

b)  die  einfache  Hypertrophie  mit  Verdichtung  des 
Gewebes  (Kiwisch),  höchstens  gaoseigross  und  der  Rück- 
bildung fähig,  daher  fast  nur  von  diagnostischem  Belange; 

c)  die  .Fettbälge,  welche  durch  Anbildung  von  Leder- 
haut an  ihrer  Innenwandung  fähig  werden,  Schweiss,  Haare, 
Zähne  und  Knochenstückeben  ohne  Zuhülfeqahme  der  An- 
regung durch  männlichen  Samen  zu  erzeugen.  Die  einfachen 
Talgsäcke  werden  nur  selten  so  gross  wie  der  Kopf  eines 
Erwachsenen;  die  de r in oiden  Neugebilde  aber  erreichen  bis- 
weilen einen  ungeheuren  Umfang.  Im  Ganzen  jedoch  bleibt 
ihr  Durchmesser  hinter  dem  der  noch  aufzuzählenden  Ge- 
schwülste zurück.  Sie  können  sich  von  selbst  entzünden,  nach 
aussen  oder  innen  durchbohren  und  durch  Entleerung  festen 
Inhaltes  in  die  Harnblase  Steinbildung  daselbst  veranlassen. 

d)  Die  fibrösen  Geschwülste  erreichen  nur  aus- 
nahmsweise eine  solche  Grösse,  dass  sie  im  Leben  gefühlt 
werden  können.  Das  seltene  rundliche,  gewöhnlich  von  vorn 
nach  hinten  plattgedrückte  Fibrold  gedeiht  mitunter  zu  Malines- 
in opfgrösse.  Oefter  kommt  sehnige  Zwischenmasse  in  den 
verschiedenartigen  Cystoiden  vor. 

e)  Der  Krebs  ist  weniger  oft  Fasergeschwulst  (hühnerei- 
bis  kindskopfgross),  als  Markschwamm  und  Gallertkrebs. 

Der  gallertig  entartete  gemeine  Krebs  und  der  Mark- 
schwamm stellen  sich  auch  als  Knollen  und  Wucherungen 
nach  aussen  oder  innen  dar.  Sie  bilden  sehr  ansehnliche  Ge- 
schwülste. Die  Melanose  (der  pigmenürte  Krebs)  und  der 
von  Nachbarorganen  erst  übergepflanzte  Krebs  sind  kaum  von 
chirurgischer  Bedeutung,  da  sie  die  letzten  Glieder  der  Kachexie . 
sind.  Bündeiförmig  sah  Rokitansky  einmal  hier  den  Krebs 
als  voluminöses  Aftergebild. 

/)  Ziemlich  einzeln  tritt  Knorpelneubildung,  Enchoudroin 
auf,  wofern  man  von  den  Knorpelplatten  absieht,  welche  in 
verschiedenen  Kysten  und  in  der  Fasergeschwulst  des  Eier- 
stockes die  Verknöcherung  einleiten.  Diese  Gebilde  sind  ziem- 
lich derb,  manchmal  knollig,  überhaupt  durch  ihr  ungleiches 
Gefäge  bei  massiger  Ausdehnung  ausgezeichnet. 
*         2.     Mehrentheils  flüssigen  Inhalt  bekunden 

a)  die  grösseren  Abscesse  der  Eierstöcke,  deren  einer 
bis   zur    kindskopfgrossen,    aus    dem    Hypogastrium    empor-» 


n.  d.  VerhandL  d.  GeBelUrohaft  f.  Geburtshtilfe  tu  Leipzig  etc.     125 

ragepden,  etwas  beweglichen  und  unter  den  Bauebdecken  ver- 
schiebbaren Geschwulst  heranwachsen  kann.  Die  parenchy- 
malischen  Eiteransammlungen  sind  in  der  Regel  weniger 
ansehnlich  als  die  follikulären.     ' 

b)  Die  Kysten,  welche  durch  die  Cystosarkome  und 
Cystocarcinome,  (endogenen  Zottenkrebse)  in  die  starren  Ge- 
schwülste übergehen. 

Zur  Kystenbildung  ist  der  zur  Entwicklung  getrennter 
Hohlgebilde,  der  Graafschen  Follikel,  bestimmte  Eierstock 
vorzüglich  und  bereits  von  den  ersten  Lebenstägen  an  geneigt 
Wir  kennen 

<*)  einfache  Sackwassersucht  —  liier  entartet  ein  Follikel; 

ß)  mehrfache  Sackwassersucht  —  mehrere  Balge  entarten 
zugleich  (wenn  einer  Vorzugs  weis  wassersüchtig  wird,  so 
nennen  es  die  Praktiker  Cystoid),  oder  eine  Echinokokken- 
Kolonie  ist  eingewandert  (Hydrops  hydatidosus) ; 

y)  zusammengesetzte  Kysten  —  das  eigentliche  Cystoid: 
bald  nämlich  entstehen  in  der  Wand  eines  Sackes  neue  Blasen, 
bald  wuchern  solche  oder  auch  solide  Neugebilde,  an  der 
Wand  des  Balges  wurzelnd,  als  Verlangerungen  und  Theilungen 
seiner  Bindgewebselemente  nach  innen  oder  .aussen,  bald  endlich 
ist  das  Fachwerk  eines  alveolaren  Gewächses  vorwiegend  von 
Flüssigkeit  auseinandergedrängt  (Hydrops  cellulosus).  Bis- 
weilen wächst  hier  ein  Fach  oder  wachsen  mehrere  enorm 
aus.-  Ein  sehr  häufiger  Gehalt  der  Zellen  ist  dann  das  Colloid, 
welches  sich  allmälig  verflüssigt;  doch  kommen  auch  fast 
weich  bleibende,  meist  nach  innen  sprossende  Bildungen, 
z.  B.  Krebs  und  Sarkom  vor. 

Ueberdem  kommen  dem  Eierstocke  combinirte  Ge- 
schwülste zu  —  man  hat  sogar  Muskeln  und  Nervenmasse 
darin  neuerzeugt  gefunden. 

IL    Entstehung. 

Die  genannten  Geschwülste  sind  höchst  selten  angeboren 
(dermoide  Kysten/,  meistenteils  stehen  sie  ohne  äussere  Ver- 
anlassung, indem  ein  innerer  Reiz  auf  dieses  bildungsthätige,  man 
möchte  fast  sagen  erfindungsreiche  Organ  wirkt  «Nur  die  ent> 
zündlichen  Tumoren  schliessen  sich  gern  an  die  menstruale  Con? 
gestion  und  den  physiologischen  Bluterguss  in  den  öroo/^schen 


)26         VI.    MeUner,  Mittheihmgeo  Aber  die  Tbfttigkeft 

Balg,  an  Diätfehler  wfihrend  derselben  und  an  das  pathologische 
Wochenbette  an.  Vereinzelt  liegt  ihnen  eine  Verletzung  von 
aussen,  der  Mißsbrauch  erhitzender,  auf  das  Beckenner vensy  stein 
wirkender  Mittel  und  Genüsse,  sinnliche  oder  geistige  Auf- 
regung und  Ueberreizung  zn  Grunde.  Sicher  wird  ihr  Wachs- 
thurn  durch  die  letztgenannten  Einflüsse  begünstigt. 

III.    Verlauf. 

Die  Eierstocksgesehwülste  wachsen  am  schnellsten  und 
machen  die  meisten  Zufälle,  so  lange  die  Frauen  conceptions* 
fähig  sind.  Die  Monatsblutung  wird  gewöhnlich  gestört; 
später  fast  hmner,  bei  doppelseitiger  Erkrankung  nebst  dem 
Vermögen  zu  empfangen,  aufgehoben.  In  einzelnen  Fällen 
kommt  es  zu  erschöpfender  Gebärmutterblutung.  Schleimige 
Ausflüsse  aus  der  Scheide  sind  unbeständig;  bisweilen 
schwellen  die  Brüste  an,  und  Milchabsonderung  tritt  ein. 

Viele,  auch  nicht  entzündliche  Anschwellungen  des  Or- 
gane* entstehen  «nter  Schmerzen.  Die  einseitige  Geschwulst 
senkt  sich,  wenn  sie  Platz  findet  und  nicht  mit  der  Um* 
gebung  verwachsen  ist,  in  den  Raum  zwischen  Mastdarm  und 
Gebärmutter,  drückt  hier  bald  auf  beide  Organe,  auf  die  vor- 
beigehenden Gefässe  und  Nervenstämme  und  bringt  Oedem 
der  Fasse,  Neuralgie  oder  Taubsein  der  Schenkel  zu 
Wege;  ja  sie  kann  sich  im  Douglas'&chen  Räume  festklemmen. 
Sonst  steigt  sie  während  ihres  Wachsthumes  in  das  grosse 
Becken  hinauf  und  legt  sich  bald  in  eine  Seite  mit  ent- 
sprechender Verschiebung  der  Gebärmutter,  bald  vorn  an 
die  weisse  Linie,  deren  Spaltung  sie  m  der  Folge  veran- 
lassen kann,  treibt  den  Leib  bisweilen  weit  über  den  einer 
Hochschwangeren  auf,  drückt  und  zerrt  (durch  Ver- 
wachsungen) die  Bauch-  und  Brusteingeweide  —  daher  At he m- 
noth,  Verschränkung  und  Knickung  des  Darmrohres, 
Harnverhaltung  oder  Euuresis  entsteht  —  und  erschöpft 
durcfi  sympathische  Nervenerschemungen  namentlich  von  Seiten 
des  Magens,  durch  Säfteverlust,  Entzündung  im  Innern  oder 
am  Bauchfelle  und  durch  Schlaflosigkeit. 

Manche  «Frauen  bleiben  allerdings  trotz  hochentwickelter 
Geschwülste,  selbst  bösartiger,  auffallend  lange  bei  Kräften 
und  gutem  Aussehen. 


n.  d.  Verhandl.  d.  Gesellschaft  f,  Gebnrtsfciüfe  sn  Leipzig  eto.    12? 

Schwangere  und  Gebärende  erleiden  durch  Ovarial- 
tumoren ganz  besondere  Störungen»  als  da  sind :  sympathisches 
Erbrechen,  Versftopfang,  vorzeitige  Unterbrechung  der  Schwanger- 
schaft, Schiefläge  des  Frucirthalters.  In  einem  Beispiele  barst 
der  Sack  während  der  Schwangerschaft;  die  Geburt  ging  gut 
von  Statten.  Während  der  Ausschliessung  der  Frucht  schaden 
vorwiegend  die  kleinen,  im  kleinen  Becken  gelagerten»  Ge- 
schwülste, welche  van  der  Fracht  noch  tiefer  herabgedrängt 
werden  und  8iren  Austritt  erschweren,  ja  ohne  KunethüJfe 
ganz  vereiteln. 

Nach  der  Entbindung  bemerkt  man  hflufig  auffallende 
Zunahme  oder  entzündliche  Rettung  der  Geschwulst. 

IV.    Ausgänge. 

Schnell  wachsende,  besonders  doppelseitige  Geschwülste 
ffthreo  durch  die  oben  geschilderten  Leiden  unfehlbar  zum 
Tode;  sie  werden  jedoch  ebenso  wie  die  weniger  g«tthrlichen 
chronischen  und  umfangreichen  Anschwellungen  selten  bis 
zum  natflrliohen  Ende  verfolgt  werden  können,  da  sie  mehren- 
tbeils  operative  oder  auch  nur  arzneiliche  Eingriffe  veran- 
lassen. Geringe  oder  massige  Tumoren  schaden  höchstens 
durch  ihr  Gewicht,  durch  Hmaufzemmg  der  Gebärmutter  oder 
Störung  der  weiblichen  Geschlechtsverricbtungen,  werden  daher 
lange,  selbst  bis  ins  hohe  Alter  getragen. 

Sehr  spärlich  sind  die  Beispiele,  wo  ohne  Weiteres  oder, 
wie  ich  beobachtete,  durch  Vermittlung  einer  Schwangerschaft, 
einfache  Vergrösserung  des  Organes  schwand,  der  Inhalt  einer 
Kyste  aufgesogen  wurde;  auch  freiwillige  Entzündung  vermag 
eine  solche  Geschwulst  zur  Heilung  zu  bringen,  indem  ihre 
Producte  den  Säftestrom  von  der  kranken  Stelle  abwenden, 
die  Wände  einer  Höhle  veröden,  einander  nähern  und  selbst 
zur  gegenseitigen  Verwachsung  bringen. 

Etwas  öfter  erfolgte  Genesung,    nachdem  ein   ein- 
facher  oder  seifest  ein  mehrkämmeriger  Balg  bar&t    Unter 
37    sicher    nachgewiesenen   Fällen    fand    ich    Heilung    oder 
wenigstens  wesentliche  Besserung 
13  Mal  nach  Durchbruch  in  den  Mastdarm, 
.  8     ,,      „  „  „   den  Eileiter  und  die  Gebärmutter, 

5     „       „  „  „   den  Nabel  oder  dicht  darüber, 


128         VI.    Meu&ntr,  MUtbeilongen  über  die  Tätigkeit 

2  Mal  nach  Durchbrach  iu  die  Harnblase, 
2     „      „  „  „die  Leistengegend, 

1     „      „  „  „   den  Krummdarm, 

1     „      „  „  „   Nabel  und  Scheide  zugleich. 

Die  Berstung  erfolgt  nach  Erschütterung  beim  Springen 
oder  Fallen,  während  der  Geburt  oder  nach  verlöthender  Ent- 
zündung. 

Hier  erlauben  Sie  mir,  Ihnen  ein  Präparat  vorzulegen, 
an  welchem  sich  die  Möglichkeit  theilweiser  Entleerung  des 
Kysteninhaltes  durch  die  angewachsene  Tuba  beweisen  lässt 
Schon  Kiwisch  gab  zu,  dass  Hydrops  tubarum  profluens, 
also  ohne  Betheiligung  der  Eierstöcke,  bestehen  könne.  In 
vorliegendem  Falle  sind  beide  Eileiter  mit  ihren  Fransen- 
enden, deren  zwei  am  linken  gemeinschaftlichen  Sacke  frei  in 
dessen  Höhle  ragen,  dergestalt  in  je  eine  Ovarienkyste  ein- 
geschmolzen, dass  die  Grenze  nur  durch  einen  einspringenden 
Ring  angedeutet  blieb. l)  Der  enge  in  die  Höhle  des  Uterus 
führende  Gang  ist  an  beiden  Eiröhren  gut  erhalten,  daher 
der  theilweisen  Entleerung  des  Sackwassers  durch  die  Scheide 
kein  Hinderniss  entgegenstand,  sobald  nur  der  Druck  des 
angesammelten  Kysteninhaltes  den  Widerstand  der  Tubenisthmen 
und  der  sie  umgebenden  Kreisfasern  der  Tuba  und  der  Gebärmutter 
überwand.  Und  in  der  That  habe  ich  noch  nie  eine  Eierstocks- 
kyste  in  der  Leiche  so  schlaff  gefunden,  als  diese  beiden. 

Fransen. 


Höhle  der  Tuba.  Höhle  des  Ovariom. 

Nach  Maiaanneuve  ist  der  Eiter  eines  Ovarabscesses  in 
mehreren  Fällen  durch  den  Schenkelring  gegangen. 

Bricht  die  Gesehwulst  in  die  Bauchhöhle  auf,  so  ist  Auf- 
saugung  der  Flüssigkeit  um  so  schwieriger  und  Bauchfell- 

1)  Ebenso  beschrieb  die  Sachlage  A.  Richard:  Mäio.  de  la  Soo. 
de  Oliir;,  1868,  Vol.  HI.,  p.  121. 


n.  d.  Verhandl.  4.  Getelfochaft  f.  GeburtohiilfA  so  Leipzig  etc.     129 

Entzündung  um  so  sicherer  zu  befürchten,  je  zäher  oder 
mit  festen  Theilen  geschwängerter  das  Ergossene  ist  Andere 
Male  erfolgt  zwar  Aufsaugung,  aber  die  Ryste  fUk  sieh  tod 
neuem  oder  hatte  sich  nur  tbeäweise,  vielleicht  nur  eine 
Kammer  entleert. 

V.    Diagnose. 

1.  Anamnese.  Bei  einseitiger  Entartung  kann  die 
M  onateblutung  vollständig  fortbestehen  oder  sich  später  wieder 
regeln.  Zusammengesetzte  Gesch Wülste  mindern  und  unter* 
drücken  sie  bei  raschem  Wachsthiflse  viel  häufiger,  als  erntete 
Kysten.  Erloschene  ConceptioDsftfaigkeft  ist  für  die  Erkrankung 
beider  Ovarien  ein  sichererer  Anhalt,  ab  Amenorrhoe,  da 
auch  bei  solchem  Bestände  die  Periode  fortdauern  kann. 

2.  Pathogenie.  Ich  habe  mich  überzeugt,  daas  die 
emkammerigen  Kysten  gewöhnlich  aus  Graafschen  Follikeln 
hervorgehen,  da  sie  von  der  Membrana  granulöse  ausgekleidet 
werden.  Diese  wandelt  sich  in  der  Folge  zu  einer  serösen 
Haut  um«  Dann  mag  es  kommen,  dass  der  Ursprung  nicht 
mehr  nachweisbar  ist;  es  steht  aber  fest,  dass  eine  grosse 
Anzahl  von  Bälgen  aus  erkrankten  Bindegewebskörpereben 
hervorgehen,  welche  sich  blasig  aufblähen  und  Serum  ein- 
sohliessen  —  dies  kann  man  am  besten  in  der  Wand  einer 
Mutterkyste  beobachten,  welche  dann Tochterkysten  bekommt — 
oder  wekhe  fettig,  in  anderen  Fällen  oolloid  entarten. 

Auf  die  seröse  Innenwand  folgt  eine  gefössreiche  fibröse 
Schicht,  dann  der  Bauchfellüberzug.  Von  der  Beschaffenheit 
dieser  drei  Häute,  von  der  Mischung  des  zwischen  ihnen 
kreisenden  Blutes,  von  der  Schnelligkeit  seines  Laufes  und 
dem  Drucke,  unter  welchem  es  steht,  und  von  der  Er* 
nährang  des  ganzen  Körpers  hängt  die  Menge  und  Zusammen- 
setzung des  Inhaltes  ab.  Dabei  sind  die  obenerwähnten 
Nerveneinflüsse  nicht  ausgeschlossen. 

3.  Inhalt  Der  gewöhnliche  Inhalt  einer  Eierstocks* 
geschwolst  ist  Transsudat.  Es.  ist  anfangs  meist  wasserhell, 
dünnflüssig,  enthält  wenig  Eiweiss,  eine  Spur  von  Faserstoff 
und  entsprechende  Mengen  Salze.  Das  specifische  Gewicht 
schwankt  zwischen  1004  und  1007.  Eiwossracbe  Bälge 
geben   ein   Serum   von    1035.     Es   wird   nämlich  der  Inhalt 

MonaUacbr.  f.  Geburt-*.   18.52.    Bd.  XX.,  Hfl.  2  9 


130         VI.    Meissner,  Mittheilungen  über  die  Tblttgkeit 

später,  zumal  nach  der  Punction,  zäher,  trüber,  rosen-  bis 
braunroth  durch  Blutgehalt,  oder  gallertig.  Nicht  nur  das 
Ei  weiss,  auch  der  Faserstoff  nimmt  zu,  und  an  der  Luft 
gerinnt  bisweilen  das  Abgezapfte. 

Bei  zweifelhafter  Diagnose  ist,  sobald  nur  Schwanger- 
schaft ausgeschlossen  ist,  die  Geschwulst  mit  einem  - 
dünnen  langen  Tröikar  explorativ  anzustechen. 
Unter  dem  Mikroskope  findet  man  in  der  abgenommenen 
Flüssigkeit  bald  weniger,  bald  mehr  Cholesterin,  Blutfarbstoff 
und  seine  Abkömmlinge,  Blutkörperchen,  Epithelien,  Eiter- 
körperchen  oder  Colloidkugeln.  Auch  Schleimstofl  und  „Hyalin " 
habe  ich  in  Ovarienkysten  nachgewiesen. 

-    Luft  findet   sich  seltener  in  Folge  jauchiger  Zersetzung 
des  Inhalts  vor,  als  nach  Einbruch  vom  Darmkanale  aus. 

In  den  mehrkammerigen  Kysteo,  deren  Innenwand  öfter 
von  Wärzchen  und  feinem  Haschen-  oder  Balkenwerke  besetzt 
ist,  treffen  wir  auch  öfter  leimigen,  fadenziehenden  Inhalt  als 
serösen. 

4.  Untersuchung  der  Kranken.  West  ist  im  Rechte, 
wenn  er  die  Explorandin  einen  Tag  vor  dem  Examen  im  Bett 
liegen  und  für  Entleerung  von  Blase  und  Hastdarm  sorgen 
lässt,  da  nach  solcher  Vorbereitung  die  Bauchdecken  gehörig 
erschlaffen  und  die  innere  Untersuchung  wesentlich  er- 
leichtert wird. 

Gewöhnlich  lässt  sich  eine  Eierstocksgeschwulst  eher 
fühlen  und  zumal  von  Scheide  oder  Hastdarm  aus  erreichen, 
ehe  sie  eine  sichtbare  Anschwellung  in  der  Mitte  oder  an 
einer  Seite  des  Leibes  macht 

Nicht  selten  dehnt  eine  Ovariengeschwulst  in  Folge  vor- 
züglicher Ausbildung  eines  Balges  diejenige  Hälfte  des  Leibes 
mehr  aus,  welche  der  Wurzel  des  vergrösserten  Eierstockes 
entgegengesetzt  ist  Also  es  kann  das  rechte  Hypo-  oder 
Hesogastrium  gewölbter  sein,  und  doch  der  Stiel  der  Geschwulst 
steh  links  befinden. 

Bei  doppelseitiger  Geschwulst  sieht  oder  fühlt  man  zu- 
weilen am  Unterleibe  eine  zwischen  beiden  Tumoren  ver- 
laufende Furche. 

Beim  Athmen  tritt  die  Eierstocksgeschwulst  wenig  nach 
untea 


q.  d.  Verkandl.  d.  Gesellschaft  f.  Geburt« hülfe  zu  Leipzig  etc.    131 

Im  Anfange  ist  sie  von  der  Scheide  aus  dem  Betasten 
zugänglicher  als  später,  wo  sie  nur  noch  vom  Mastdarme 
aus  erreicht  werden  kann.  Die  Scheide  ist  oft,  auch  noch 
im  Liegen  der  Frau,  so  gespannt  oder  bereits  von  der  Ge- 
schwulst soweit  hinaufgezogen,  dass  der  untersuchende  Finger 
selbst  nach  Zuhülfenahme  eines  zweiten  das  Kranke  entweder 
nicht  erreicht,  oder  dass  er  des  feinen  Tastsinnes  beraubt 
wird.  In  solchen  Fällen  pflege  ich  mit  reichlich  beschmiertem 
Finger  ganz  allmählich  in  den  After  einzudringen  und  habe 
verschiedene  Aerzte  von  der  Zweckmässigkeit  und  Unschäd- 
lichkeit dieses  Verfahrens  überführt. 

Wassersüchtige  Anschwellung  einer  andern  Körpergegend 
lässt  auf  serösen  Inhalt  des  Ovartumors  schliessen.  Wird 
die  Fluctuation  nicht  im  Unterleibe  oder  von  der  Scheide 
her  oder  im  Mastdarme  gefühlt,  so  lässt  sie  sich  bei  wagrechter 
-Lage  der  Kranken  bisweilen  noch  erzeugen,  wenn  man  com- 
binirt  untersucht,  also  von  oben  und  unten  zugleich  oder 
zwischen  Scheide  und  Mastdarm.  In  solchem  Falle  kommt 
der  Zeigfinger  in  den  Darm,  der  Daumen  in  die  Scheide;  gut 
ist  es,  wenn  die  Kranke  dabei  stark  presst,  wobei  der  Eier- 
stock tiefer  herabtritt. 

Wellenschlag  kommt  nur  bei  sehr  umfänglichen, 
schlaffen  Kysten  zum  Vorschein.  Die  einfache  Kyste  fluctuirt 
und  undulirt  gleichmässiger  als  die  mehrkammrige  und  die 
zusammengesetzte,  wo  der  Wellenschlag  oft  an  einer  Stelle 
unterbrochen  wird  und  darüber  hinaus  wenig  oder  nicht  er- 
scheint Gystoide  und  Cystosarkome  schwappen  gewöhnlich 
nur  an  einzelnen  Stellen  oder  bei  ganz  erschlafften  Bauch- 
decken; zu  diesem  Ende  lässt  man  die  Kranke  die  Knie  beugen, 
die  Füsse  senkrecht  aufsetzen  und  den  Mund  öffnen.  Bei 
solchen  Geschwülsten  sitzen  die  grösstcn  Kysten  immer  an 
der  Peripherie;  daher  fühlen  sie  sich  knollig  oder  doch  un- 
gleich an,  hart  mehr  nach  ihrer  Wurzel  hin.  Sie  geben  dem 
Bauche  eine  von  der  Rundung  abweichende  Gestalt 

So  lange  der  Tumor  oberhalb  des  kleinen  Beckens  weilt 
und  nicht  allzugross  ist,  lässt  er  sich  unter  den  Bauchdecken 
verschieben;  man  vermag  letztere  in  eine  Falte  zu  fassen 
und  von  ihm  abzuheben.  Die  aufwärtsgezogene,  mit  dem 
Scheidentheile    meist    nach    der    kranken    Seite    gerichtete 

9* 


182  VI.    Meissner ,  Mittheilnngen  über  die  ThStigkeit 

Gebärmutter  nimmt  an  der  Orls Veränderung,  die  man  der 
Geschwulst  durch  veränderte  Lage  der  Kranken  oder  durcn 
Verschieben-  mit  den  Händen  ertheilt,  kaum  Thefl  —  erheblich 
bewegt  sie  sich  ihit,  wenn  sie  mit  der  Geschwulst  verwachsen 
ist.  Ihre  Höhle  ist  verlängert,  manchmal  geknickt.  Verweilt 
die  Geschwulst  noch  im  kleinen  Becken,  so  drückt  sie  den 
Uterus  nach  abwärts. 

Auch  die  schwangere  Gebärmutter  wird  durch  Auf- 
steigen, der  wachsenden  Kyste  nachgezogen,  der  Scheidentbeil 
in  der  ersten  Hälfte  der  Schwangerschaft  kürzer,  undeutlich; 
höher  und  schief  gestellt;  Schuh  fand  ihn  sogar  sahitnt  der 
Scheide4  um  die  Längenachse  gedreht.  Fühlt  man  unter  diesen 
Umständen  noch  eine  Masse  im  Becken,  welche  Scheide  und 
Gebärmutter  nach  vorn,  den  Mastdarm  nach  hinten  drückt, 
so  entsteht  die  Vermuthung,  dass  auch  der  Eierstock  der 
andern  Seite  ergriffen  sei,  aber  das  Becken  nicht  hat  Ter* 
lassen  können. 

Verwachsungen  der  Geschwulst  mit  der  Umgebung 
machen  sich  auch  an  ihrem  oberen  Umfange  manchmal  selbst 
nach  der  Punction  nicht  bemerklich,  besonders  wenn  es  lange 
Fäden  und  Bänder  sind.  Sonst  verrathen  sie  sich  durch  Un- 
beweglichkeit  der  Geschwulst  bei  jedweder  Athembewegung, 
bei  rechter,  wie  bei  linker  Seitenlage,  in  welcher  dann  bis- 
weilen der  Nabel  oder  eine  bestimmte  Stelle  am  Unterleibe 
eingezogen  wird.  Vorausgegangene  Peritonitis  berechtigt  zur 
Annahme  von  Adhäsionen  oft  ebensowenig  als  das  Hören 
von  Reibung,  da  es  ebensogut  von  Rauhigkeiten  als  von 
gezerrten  Anheftungen  erregt  werden  kann.  Eine  sehr  grosse 
Kyste  wird  endlich  unverschiebbar,  ohne  angewachsen  zu  sein; 
doch  macht  grosser  Umfang  der  Geschwulst  zu  Adhäsionen 
geneigt. 

Blasende  Geräusche  hört  man  hier  und  da  an  festeren, 
gefässrefchen  Kysten,  mehr  an  zusammengesetzten  Geschwülsten ; 
bei  ersteren  entsteht  das  Geräusch  muthmassiich  nur  in  der 
Arteria  epigastrica. 

Schwappen  und  Plätschern  kann  man,  an  einem  Balge 
während  der  Percussion  auskoltirend ,  dann  hören,  wenn 
aber  dem  tropfbarflüssigen  Inhalte  sich  Gase  aufhalten,  oder 
Darmgeräusche  fortgeleitet  werden. 


q.  d.Verhandi.  d.  Gesellschaft  f.  Geburtßhülfe  zu  Leipzig  etc.    133 

Die  Eierstocksgeschwulst  gjebt,  ausgenommen  wenn  m 
Luft  einschliefst,  im  Entstehen  der  entsprechenden  Stelle  stets 
einen  gedämpften,  bei  tiefem  Eindrücken  und  später  deutlich 
den  matten,  leeren  Schall,  dessen  convexe  Grenze  nach  oben 
fortschreitet.  Dieser  Stand  der  obern  Begrenzungslinie  kommt 
bei  Ascites  nur  vor,  wenn  er  Folge  von  Bauchfelltuberkulose 
ist  Tuberkelsucht  aber  trifft  mit  Hydroophoron  nur  selten 
zusammen. 

Gelegentlich  kann  man  an  einer  Colloidkyste  Gallert- 
zittern beobachten.  Wir  deuteten  schon  an,  wie  oft  starre 
und  schwappende  Geschwülste  einander  ähneln  und  in  einander 
übergehn.  Es  kann  neben  der  Eierstöcksgeschwulst 
Bauchwassersucht  bestehen.  Dann  ist  im  Ovarium  um  so 
sicherer  Krebs,  je  vielgestaltiger,  complicirter  und  je  rascher 
sie  entstanden  ist  (Mikschik).  Ferner  Schwangerschaft,  die 
ja  im  Eierstocke  selbst  unbestritten  vorkommt.  Endlich  ein 
Gewächs  der  Nachbarorgane,  zumal  der  Gebärmutter. 

5)  Differentielle  Diagnose.  Kysten  der  Gebär- 
mutter lassen  ach  höchstens  durch  ihre  Seltenheit  aussehlieösen; 
doch  ist  bemerkenswert!],  dass  sie  die  Grösse  einer  Orange 
nicht  leicht  überschreiten.  Huguier1)  stach  einmal  aolch 
eine  Kyste  von  der  Scheide  her  an  und  entleerte  zwei  Ujpzefi 
klares  Serum. 

Auch  die  Kysten  in  den  breiten  Bändern  und  an 
den  Eileitern  sind  nicht  häufig.  Sie  entstehen  entweder 
aus  zerstreuten  colloTden,  auch  einfach  alveolaren  Herden  im 
Bindegewebe,  oder  aus  erweiterten  Rückständen  früherer 
physiologischer  Gebilde. 

a)  J)ie  Kysten  des  Nebeneierstockes  gehen  aus 
dem  Bo8enmüller'schen  Organe,  dem  Ueberbleibsel  der 
Wolff'when  Körper  hervor.  Es  erweitert  sich,  wie  schon 
Verneuü*)  vermuthele,  £ber  noch  nicht  anschaulich  gemacht 
hat,  eine  abgeschlossene  Stelle  eines  oder  einiger  Blindröbrchen. 

In  umstehendem  Präparate  sieht  man  über  dem  Eierstocke 
die  erbsengrosse  Kyste,  welche  auf  dem  letzten  oder  äussersteii 


1)  Mäm.  de  la  Socilte'  de  Chirurgie,  Vol.  I.,  1847,  p.  295. 

2)  Reoherches  sur  leg  Kystes  de  1' Organe  de  Wolff,  Main,  de 
la  Beeilte*  de  Chirurgie,  Vol.  IV.,  1854,  p.  58. 


134         VI.    Meissner,  Mittheilungen  über  die  ThUtigkeit 


Blindröhrchen  sitzt.     Der  obere,   oben  blind  endigende  Theü 
dieses  Kanales  Hess  sich  von  der  Kyste  her  aufblasen.    Diese 


Cystis  paroophorl, 
früher  K  Blochen  des 
Aniffihrangsgangei. 


Ovariam. 


—  Arteria  paroopb  orf. 

-  Vena  „ 


Kysteit  finden  sich  gewöhnlich  einzeln,  drängen  die  beiden 
Platten  der  Bauchfellfalte,  in  welche  sie  eingeschaltet  sind, 
immer  weiter  auseinander  und  verkurzen  endlich  auf  diesem 
Wege  den  Eileiter  so,   dass  seine  Fransen  auf  den  Balg  zu 

Fig.  I. 


Ovar. 


.  Cyatli 
paroophorl. 


Ovarltun. 


-  CyatU. 


a.  d.  Verhandl.  d.  Gesellschaft  f.  Gebnrtshülfe  in  Leipzig  etc.    136 

liegen  kommen  und  gelegentlich,  wie  in  Fig.  III.,  mit  ihm  ver- 
schmelzen. Sie  bleiben  dünnwandig,  enthalten  wasserhelle, 
selten  röthliche  oder  gallertige  Flüssigkeit  und  erreichen 
höchstens  den  Umfang  zweier  aneinander  gehaltener  Fauste. 

In  den  Museen  von  Frankreich  und  den  britischen  Inseln 
habe  ich  nur  drei  derartige  Bälge  angetroffen.    Fig.  I.  ist  ein 
Spiritus -Präparat   von 
Thomas -Hospital      in 
London ;  Fig.  II.  und  III. 
sind    die   im  Kataloge 
mit  No.  2651  und  2652 
bezeichneten      Kysten 
in    der    Hunter'schen 
Sammlung  des  College 
of  Surgeons  in  London. 
Man  sieht  die  stufen- 
weise    Zunahme     der 
Kyste  und  ihr  Verhalten 
zu   Eierstock   und  Ei- 
leiter;    ersterer    wird 
dem  Fransentheile 
des  letzteren  immer 
näher  gerückt. 

Eine  solche 
Wasserblase  im 
Fledermausflügel 
wurde  von  Ki- 
wisch l)  an  einem 
19jährigen  Mäd- 
chen wegen  der 
davon  abhängen- 
den langwierigen 
Bauchfellentzün- 
dung der  Radicaloperation  durch  den  Scheidenstich  unter- 
worfen. Nach  10  Wochen  führte  die  Peritonitis  dennoch 
zum  Tode. 


Flg.  III. 

Ovarium. 


Tuba. 


ysti.v 


1)  Kiwisch,  Klin.  Vortrage  über  spec.  Pathologie  u.  Therapie 
der  Krankheiten  des  weibl.  Geschlechtes.     Prag  1849,  S.  222. 


136        VI.   Meissner,  Mitteilungen  über  die  Thätigkeit 

b)  Die  Hydatide  des  Eileiters  geht  aus  dem  Kölbcfaen 

des  Miltter'&cheD  Ganges  hervor.1)  In  Fig.  IL  bei  *  ist  sie 
neben  der  Kyste  des  Nebeneierstockes  vorhanden«  Sie  ist 
stets  gestielt  und  wird  nicht  grösser  als  eine  Kirsche  getroffen, 
weil  sie,  des  Bauchfellüberzuges  baar,  platt t,  sobald  ihre 
dünne  Hülle  stärker  ausgedehnt  wird* 

Sie  ist  demnach  nicht  von  praktischer  Wichtigkeit;  auch 
würde  ich  sie  nicht  erwähnt  haben,  wenn  nicht  Verneuü, 
der  sie  sonst  gut  beschrieben  hat,  und  mit  ihm  West*), 
dieselbe  unrichtiger  Weise  ebenfalls  vom  Woljpschen  Körper 
ableiteten. 

c)  Auch  die  neugebildeten  Tubenkysten  sind  nach 
M.  Hu88  nie  mehrkammerig  und  steigen,  obscbon  eines  be- 
deutenderen Wachsthumes  fähig,  nie  über  den  Nabel. 

Kysten  im  grossen  Netze  bringen,  sobald  sie  sich 
tiefer  herabsenken,  Magenkrampf,  Erbrechen,  tieferen  Stand 
des  Magens  und  Zerrung  des  Netzes  mit  sich.  Oppobser 
macht  darauf  aufmerksam,  dass  sie  bisweilen  mit  der  Gebär- 
mutter verwachsen. 

Schwangerschaft  ausserhalb  der  Gebärmutter 
lässt  den  Uterus  sich  wahrnehmbar  vergrössern;  bisweilen 
werden  von  ihm  Petzen  der  hinfälligen  Haut  mit  blutigem 
Wasser  ausgestossen.-  Lumpe  entdeckte  den  Piüs  der  Eihaut- 
Schlagadern  im  Scheidengrunde  der  Mutter. 

Bauchwassersucht  ertheilt  der  meist  herabgesunkenen 
Gebärmutter  eine  ungewöhnliche  Beweglichkeit,  welche  schon 
zu  Tage  kommt;  wenn  die  Flüssigkeit  durch  stärkeres  Schlagen 
an  die  Bauchwand  in  Wellenschlag  versetzt  wird.  Bei  Eier- 
stockstumor weicht  der  Uterus  von  seiner  normalen  Richtung 
ab,  je  nachdem  die  Geschwulst  mehr  auf  seinen  unteren 
oder  oberen  Theil  drückt  oder  sich  vor  das  breite  Band  ge- 
lagert hat  (Scanzeni). 

In  der  Rückenlage  bleibt  der  Darm  sowohl  bei  Eierstocks- 
kyste  als  auch  bei  einfacher  Schwangerschaft,  die  durch 
die  fühlbaren  Theile   und  Bewegungen  der  Frucht  und  durch 


1)  Q.  L,  Kobelt,   Der  Nebeneierstock   des   Weibes.     Heidel- 
berg 1847. 

2)  Ch.  West,  Lectures  on  th©  diseases  ef  women.  London  1868, 
part  II.,  p..64. 


u.  d.  Verband),  d.  GesaUtehaft  f.  Geburtthülfe  su  Leipzig  etc.    137 

deren  Herztöpe  kenntlich  ist,  an  den  tieferen  Stellen,  während 
er  bei  Ascites  nach  oben  steigt,  wofern  ihn  nicht  Verwachsungen 
zurückhalten  (Braun).  Der  leere  Perkussionsschall  ist  daher 
nur  bei  letzterem  veränderlich  und  bildet  eine  nach  oben 
coneave  Grenze,  wenn  die  Frau  steht.  Einmal  erkannte  ich 
die  normale  Schwangerschaft,  welche  lange  für  Hydroopboron 
gehalten  worden  war,  zuerst  durch  das  Ballottement. 

Retroversjo  uteri  gravidi  suche  man  zu  reponiren; 
dabei  wird  der  Zusammenhang  des  Mutterhalses  mit  der  frag- 
lichen Geschwulst  klar  werden. 

Grosse  Becken-Aneurysmen  werden  an  ihren  Ge- 
rättschen,  an  der  gleichzeitigen  Herzhypertrophie  und  den 
Veränderungen  der  'übrigen  Arterien,  vorzüglich  der  Schenkel- 
schlagadern erkannt. 

Hydro-  und  Haematometra  werden,  wenn  nicht  von 
der  Scheide,  so  doeb  sicher  vom  Mastdarm  aus  als  zur 
Gebärmutter  gehfrig  und  mit  dem  Scbeidentheile  zugleich 
beweglich  gefübk,  besonders  wenn  man  die  Geschwulst  vom 
Bauche  her  verschiebt. 

Haematocele  retro-uterina  ist  von  der  Gebärmutter 
nicht  in  dem  Masse  abzugrenzen,  wie  selbst  ein  mit  ihr  ver- 
wachsener Tumor  ovarii;  sie  entsteht,  wie  die  Extravasate 
der  Bauchhoble,  selten  und  plötzlich.  Abgesackte  Ex- 
sudate kommen  kaum  ausserhalb  des  Wochenbettes  vor. 

Perime  tri  tische  und  Beckenabscesse  sind  weniger 
umschrieben,  im  Allgemeinen  schmerzhafter  und  nehmen 
anderen  Verlauf  als  Ovargeschwülste.  * 

Die  ausgedehnte  Harnblase,  vielleicht  die  noch  einzig 
erübrigende  von  den  fluetuirenden  Tumoren,  wird  durch  den 
Katheter  ermittelt,  was  leider  oft  unterlassen  worden  ist. 

Mit  festen  Eierstecksgewächsen  wurde  verwechselt: 
Knickung  und  Infarkt  der  Gebärmutter;  Vaginal-  oder 
Analexploration,  meist  auch  die  Uterussonde  sind  anzuwenden. 

Fibroide  der  Gebärmutter  bewegen  sich  in  der  Regel 
mit  ihr  gemeinschaftlich,  wachsen  langsamer,  verursachen 
wehenartige  Schmerze»  und  grössere  Blutverluste;  mitunter 
ziehen  sie  sich  bei  Palpation  zusammen. 

Fibroide  der  Beckenhöhle  stören  nicht'  leicht  die 
GeschleohUverrichtungen ,   ausser  durch  Druck.     Seilen  wird 


138         VI.    Meissner,  Mittheilangen  über  die  Th&tigkeit 

aber  ein  Ovaräbroid  kinderfaustgross ,  wie  das  No.  2635  der 
Hunter' sehen  Sammlung. 

Eine  Nierengeschwulst  ist,  ausgenommen  die  „wan- 
dernde Niere14,  schwerer  beweglich,  höber  angeheftet  and 
besteht  häufiger  mit  Abweichungen  der  Harnabsonderung. 
Geschwülste  des  Netzes,  des  Magens  oder  der  Därme 
haben  höheren  Ursprung  und  nehmen  deutlicher  an  den  Athem- 
bewegungen  Theil;  sie  lassen  sich  entweder  nicht  ins  Hypo- 
gastrium verfolgen  oder  leicht  aus  demselben  emporheben. 
Kothballen  haben  schon  gefährliche  Irrthümer  gebracht 

Knollige  Infiltrationen  des  subperitonäalen  Zellge- 
webes und  einzelne  Markschwämme  lassen  den  Uterus  durch 
die  Sonde  beweglich,  vom  Mastdarme  her  keine  Geschwulst 
erkennen  und  werden  nach  Abzapfung  etwaigen  Ascites*  deut- 
lich greif-  und  verschiebbar  (Martin). 

Leberanschwellung  folgt  genau  den  Bewegungen  des 
Zwerchfelles,  lässt  sich  unter  den  rechten  Rippenbogen  ver- 
folgen und  hat  unter  ihrem  unteren  Rande,  wenigstens  im 
Liegen,  Därme.  Nur  eine  ansehnliche  Echinokokkenblase, 
welche  auch  hinter  dem  rückwärtigen  Bauchfelle  nisten  kann, 
würde  durch  Probestich  ins  Klare  zu  bringen  sein ;  man  per- 
kutire  danach  wieder  und  suche  Haken  des  Thieres  auf. 

Die  Milz,  welche  mehrmals  mit  Tumor  ovarii  verwechselt 
worden  ist,  reicht  immer  etwas  unter  den  linken  Rippenbogen 
hinauf,  hat  zwei  deutliche  Kerben  am  Hilus  und  schwillt  be- 
trächtlich nur  nach  Rachitis,  Sumpfsiechtbum  und  Leuchämie 
an.     Sie  ist  dann  schwerer  beweglich. 

VI..    Prognose. 

Die  Geschwülste  des  Eierstocks,  welche  den  einfachen 
zugezählt  werden  dürfen,  gefährden  nicht  nothwendig  das 
Leben.  Nach  der  Menopause  trüben  sie  nicht  einmal  immer 
die  relative  Gesundheit.  Minder  gilt  diese  Beruhigung  von 
den  mehrfachen  Kysten  und  den  zusammengesetzten  Ge- 
schwülsten. Sehr  hartnäckige  Neuralgie  sah  ich  durch  Ver- 
irdung  eines  Eierstocks  entstehen;  auch  die  palliative  Hülfe 
war  von  kurzem  Bestände. 

Am  öftesten  muss  sich  die  Kunst  in  den  Blüthenjahren 
und  sonst  bei  rasch  zunehmenden  Tumoren  einmischen.    Bei 


n.  d.  Verhandl.  d.  Gesellschaft  f.  Geburtshülfe  au  Leipiig  etc.    139 

Cystoiden  und  Cystosarkomen  darf  man  schon  froh  sein,  wenn 
sie  zu  wachsen  aufhören. 

Ruptur  der  Kyste  und  spontane  Entzündung  haben  etwa 
eben  so  oft  zum  Tode  als  zur  Heilung  geführt,  während 
operatives  Vorgehen  mehr  als  die  Hälfte  fettet 

Leidlicher  steht  es  um  die  Berstung  in  die  Bauchhöhle: 
von  34  solchen  Beispielen  endeten  10  tödtlich,  20  verliefen 
glücklich,  4  wurden  rückfällig  (Tut). 

Hülfe  durch  Arzneien  ist  so  unzuverlässig,  dass  sie  jetzt 
wenig  befürwortet  wird.  Man  kann  nur  10  beglaubigte  Fälle 
aufbringen,  welche  innerlich  behandelt  heilten,  wobei  noch 
dazu  vier  mal  äusserlich  nachgeholfen  wurde:  ein  Mal  durch 
warme  Umschläge  und  Bäder,  drei  Mal  durch  Jod  in  ver- 
schiedenen Formen.  So  beseitigte  Mikschik  acute  Wassersucht 
binnen  5  Wochen  durch  tägliches  Bepinseln  des  Scheiden- 
theils mit  Jodtinctur. 

Durch  Druck  allein  beseitigte  Berthold  das  Uebel; 
Hamilton^  Verfahren  ist  complicirter,  doch  rühmt  er  sich 
sieben  günstiger  Kuren. 

Von  einigen  dreissig  fällen,  wo  die  durch  Eierstocks- 
geschwulst gestörte  Geburt  theils  von  der  Natur,  theils  von 
der  Kunst  beendet  wurde,  kamen  nur  fünfzehn  Mütter,  von 
den  Kindern  gar  nur  sieben  mit  dem  Leben  davon.  Unter 
fünf  Beispielen,  wo  die  Geburt  durch  die  Naturkräfte  vollfuhrt 
wurde,  war  der  Ausgang  nur  für  eine  Mutter  und  für  zwei 
Kinder  günstig. 

Schwangere  bezahlen  den  operativen  Eingriff  gewöhn- 
lich mit  der  Frühgeburt,  nicht  absolut  mit  dem  Leben; 
Wöchnerin  nen  droht  schon  auf  die  blosse  Punction  Peritonitis. 

VII.    Behandlung. 

Die  nicht  zu  grossen  festen  Geschwülste  und  die  Krebse, 
wenn  sie  einmal  erkannt  sind,  bleiben  besser  unangetastet. 
In  den  übrigen  Fällen  werden  uns  nur  rasches,  unheildrohendes 
Wachsthum  und  unmittelbar  von  der  Geschwulst  ausgehende 
Beschwerden,  welche  auf  mildere  Weise,  z.  B.  durch  Anwendung 
des  Katheters,  nicht  beseitigt  werden  können,  aber  dringend 
Abhülfe  verlangen,  zu  operativem  Einschreiten  bewegen- 


140         VI.   **•#•«*»,  lUttheUnngeti  üb»r  dU  Thätigkeit 

Wenn  man,  wie  die  meisten  neueren  angeseheneu  Frauen- 
ärzte, die  Ausrottung  des  kranken  Eierstockes  als  zu  unsicheres 
Wagniss  verwirft,  so  gelten  die  grösseren  festen  Geschwülste, 
die  Cystosarkome  mit  festem  (C.  pbyllodes)  oder  wenig  flüssigem 
Balggehalte,  die  alveolären  und  die  vielkammerigen  Kysten  mit 
sehr  zahlreichen,  nicht  unter  einander  zusammenhangenden 
Abtheilungen  für  unheilbar. 

Doch  ist  der  Erfahrung  gemäss,  dass  die  sogenannten 
milderen  Weisen,  namentlich  die  palliative  Function,  in  ihrer 
Gefahrlosigkeit  und  im  Vergleiche  der  Lebensdauer  nach  der 
Parakentese  mit  den  nicht  operirten  Fällen  unterschätzt  worden 
sind;  und  wir  werden  später  an  der  Hand  sorgfältig  gewonnener 
Summen  entwickeln,  dass,  wenn  man  sich  einmal  zur  Radi- 
kalkur entschliesst,  diese  alsbald  zu  unternehmen  rätblich  ist 
die  Function  aber  mag  man  so  lange  hinausschieben  als  mög- 
lich, denn  sie  ist,  wie  auch  Ch.  West  ausspricht,  der  Anfang 
vom  Ende.1) 

Cystosarkome  durch  die  Scheide  anzuzapfen,  verbietet 
gewöhnlich  die  Vorsicht,  weil  ihr  festerer  Theil  im  Becken  zu 
liegen  pflegt 

Der  Einschnitt  wird  nur  empfohlen,  wenn  die  Ausrottung 
nicht  fortgesetzt  werden  kann. 

Cystolde  lassen  sich  um  so  eher  palliativ  und  radicßl 
behandeln,  je  mehr  sich  ihr  Bau  den)  der  einfachen  Kyste 
nähert. 

Von  absichtlicher  Zerreissung  des  hydropischen  Sackes 
und  von  der  Zertheilung  durch  Electricität.  als  theilszu  ge- 
wagten, theils  unausgeführten  Vorschlägen,  nehmen  wir  nicht  Act. 

In  die  Noth wendigkeit,  ein  Kind  zu  operiren,  wird  man 
nur  durch  äusserst  seltene,  bestimmte  Anzeigen  versetzt  werden. 
Nach  dem  50.  Lebensjahre  ist  der  chirurgische  Eingriff  be- 
denklicher, als  im  Blüthenalter. 

Vor  jedweder  Operation  ist  ein  Probesjticjj  ui  die  Ge- 
schwulst erlaubt,  meist  sogar  geboten  upxl  —  wie  Crerf*  und 
Middddorpff  durch  seine  Akidopeiroük  nachgewiesen,  un- 
gefährlich* 

i)  L.  c.  p.  138. 


u.  d.  Terhandl.  d.  Gesellschaft  f.  Gebnrts hülfe  zn  Leipsig  etc.    141 

A.    Allgemeine  Anzeigen. 

I.  Einkammerige  Bälge  und  vie)kammerige  mit  communi- 
cirenden  Äbtheilungen  lassen  v 

.  1)   radicale  Behandlung  zu: 

a)  durch  Scheiden-  oder  Bauchstich,  wenn  sie  dünn- 
wandig und  höchstens  mannskopfgross  sind.  Die  Punction 
von  der  Scheide  aus  entleert  den  Sack  vollständiger,  trifft  aber 
leichter  ein  grösseres  Gefass; 

b)  durch  Punction,  dann  methodischen  Druckverband, 
wenn  die  Wassersucht  ungewöhnliche  Portschritte  macht  und 
sich  mit  Entzündung  paart; 

c)  bei  Umfänglich  verwachsenen  Kysten  durch  Anstechen, 
wo  möglich  von  der  Scheide  aus,  worauf  eine  in  den  Sack 
eingeschobene  Röhre  so  befestigt  wird,  dass  sie  nicht  abgleiten 
und  in  die  Bauchhöhle  rutschen  kann; 

d)  durch  Parakentese  (von  der  Scheide  nur  dann,  wenn 
dör  Sack  daselbst  deutlich  durchfühlbar  ist),  worauf  eine  reizende 
Flüssigkeit  eingespritzt  oder  Luft  eingeblasen  wird.  Das  Luft* 
einblasen  ist  ein  bis  jetzt  seltenes,  doch  fast  immer  mit 
Erfolg  gekröntes  Verjähren.  Man  schreitet  zar  Einspritzung 
von  Jodmischung  oder  von  verdünntem  Liquor  ferri  sesqui- 
chlorati,  wenn  auf  die  Punction  keine  Abnähme  oder  gar 
dauernde  Zunahme  der  Flüssigkeit  im  Balge  folgt; 

e)  der  subcutane  Einschnitt  Maüonneuve's  passt  nur 
bei  seröser  Kyrte  und  nicht  reizbarem  Bauchfelle. 

2)  Die  palliative  Kur  durch  einfache  Punction  wird 
dtorefc  Eiftkletmmmg  der  Kyste  im  kleinen  Becken  oder  durch 
unerträgliche  Ausdehnung  des  Bauches  geboten.  An  der 
Stellt  des  Einstichs,  oft  auch  noch  darüber  hinaus,  pflegt 
der  Sack  mit  der  Bauchwand  zu  verwachsen. 

*    D.    Mehrmals  rückfällige  adhärente  Kysten 
gestatten  nach  Fock  das  Liegenlassen  eines  Katheters  oder 
der  Kanüle  nach  der  reizenden  Einspritzung.  # 

III.    Colloldkysten 
verbieten   den  Jodgebrauch,  da  die   bis  dahin  noch  derben 
'Gallertmassen  danach  schmelzen  sollen,  worauf  sie  schneller 
wachsen.   N4laton  stach  eine  ertploratt?  an  und  sah  sie  ganz 
heilen.    Fock  lässt  nur  nach  ihrer  Verjauchung  die  Puuctiou 


142         VI.    M*s$ner,  Mittheilunge*  aber  die  Tätigkeit 

oder  eine  Incision  gelten,  worauf  die  Kanüle  eingelegt 
Sind  sie  in  grösserer  Ausdehnung  verwachsen,  so  wird  Jod- 
lösung nachgespritzt.  Nicht  erweichte,  angewachsene  werden, 
wenn  ohne  Operation  sicher  der  Tod  eintritt,  eingeschnitten, 
dann  eine  Wieke  oder  eine  Röhre  eingelegt,  mit  lauem  Regen- 
wasser der  zähe  Inhalt  ausgespült,  wonach  Jodinjeclion  in 
geeigneten  Fällen  folgt    Bei 

IV.  Cystoiden 

schneide  man  unter  ähnlichen  Umständen  alle  von  der 
Bauchwunde  erreichbaren  Kysten  ein  und  halte  die  Wunde 
völlig  offen. 

V.  Vieljährige  und  feste  Geschwülste 

werden  palliativ  durch  warme  Bäder  und  genau  anschliessende 
Druckbinden,  gründlich  durch  die  Ausrottung  behandelt. 

VI.  Abscesse  des  Eierstocks 

erheischen  einen  massig  grossen  Einschnitt  an  der  Stelle  des 
grössten  Schmerzes  und  der  am  frühesten  entdeckten  Schwappung: 
bald  in  der  Leisten-,  bald  in  der  vorderen  Bauchgegend,  bald 
vom  Mastdarme,  selten  von  der  Scheide  her. 

B.     Während  der  Entbindung. 

1)  Wird  der  Arzt  früh  genug  gerufen  und  findet  er  die 
Geschwulst  beweglich,  so  versuche  er  sie  nach  dem  Blasen- 
sprunge über  den  Beckeneingang  hinauf  und  zur  Seite  zu 
schieben,  hier  aber  so  lange  zu  erhalteu,  bis  der  vorliegende 
Kindestheil  tief  genug  herabgetreten  ist,  um  deren  Wieder- 
vorfallen zu  verhüten  {Hohl). 

2)  Gelingt  die  Reposition  nicht,  so  geschehe  ein  Probe- 
stich. Reicht  er  zur  Beseitigung  des  Hindernisses  nicht  hin, 
so  werde  von  der  Scheide  her  ein  grösserer  Einschnitt  gemacht. 

3)  Ist  die  Geschwulst  fest, 'unverschiebbar  und  so  gross, 
dass  sie  das  Ausziehen  der  Frucht  durch  die  gewöhnlichen 
Mittel  ausschliesst,  so  bleibt  nur  die  Wahl  zwischen  der  Aus- 
rottung der  Geschwulst  und  dem  Kaiserschnitte  (Grenser, 
Merriman).  Scanzom  zieht  den  Baucbgebärmutterschnitt, 
als  schneller  ausführbar,  füglich  vor. 


u.  d.  Verbandl.  d.  Gesellschaft  f. Gebortobülfe  sn  Leipzig  etc.    143 

C    Specielle  Operationen. 
I.    Punotio. 

1.    Von  den  Bauchdecken  her 
a)  explorativ. 

Man  bereite  die  Kranke  auf  vielleicht  nur  geringen  Ab- 
fluss  vor,  lagere  sie  an  den  Bettrand  und  drucke  etwaige 
Hautwassersucht  von  der  Punctionsstelle  weg.  Es  wird  die 
hervorragendste  Stelle  der  Geschwulst  gewählt,  am  liebsten 
im  untern  Drittel  der  weissen  Linie  vom  Nabel  an  gezählt  — 
oder  in  der  Seite,  nicht  gern  der  Nabel.  Sonst  wählt  man 
den  Ort,  wo  die  Fluctuation  am  deutlichsten,  Härten  am  fernsten. 
Grösseren  Gefassen  hat  man  thunlichst  auszuweichen.  Wenn 
im  Bauche  freies  Wasser  nicht  vermuthet  wird,  so  stosse  man 
den  Troikar  kräftig  und  tief  ein. 

Man  suche  durch  geänderte  Lage  den  Ausfluss  des  ganzen 
Inhaltes  2u  erwirken,  dessen  Rest  sich  sonst  in  die  Bauch- 
höhle ergiessen  kann,  enthalte  sich  aber  des  zu  starken  Druckes, 
da  bei  dessen  Nachlasse  leicht  Luft  eindringt.  Nun  lege  man 
einen  guten  Druckverband,  nach  Befinden  Eisblasen  an  und 
lasse  die  Operirte  3 — 4  Tage  lang  ruhig  im  Bette. 
5)  palliativ. 

Sie  werde  so  lange  als  möglich  hinausgeschoben.  Die 
erste  Punction  ist  gefahrlicher  als  die  folgenden.  Ch.  West 
zeigt,  dass  von  130  Operirten  25  innerhalb  des  ersten  Halb- 
jahres danach,  und  dass  ausser  diesen  noch  22  in  wenig 
Stunden  bis  Tagen  nach  der  Operation  gestorben  sind. 

Man  nehme  einen  dicken  Troikar.  Simpson  erinnert, 
dass  die  Gebärmutter  manchmal  hoch  hinaufgezogen  (man 
sondire  sie  vorher!)  oder  der  Sack  um  seine  Achse  gedreht 
ist,  so  dass  eine  Tuba  nach  vorn  zu  liegen  kommt.  Mit  der 
Fischbeindocke  entferne  man  die  vor  die  innere,  Oeühung  sich 
legenden  Flocken.  Man  halte  den  Ausfluss  zeitweise  zurück, 
da  durch  zu  schnelle  Entleerung  und  durch  gezerrte  An- 
heftungen Würgei),  Ohnmacht  und  schneller  Tod  eintreten 
Jtann.  Treten  Krämpfe  oder  Zeichen  innerer  Blutung  ein,  so 
beende  man  sofort  die  Operation  wie  sub  a,  gebe  belebende 
Mittel  und  Ergoün. 


144  VI.    Meiitner,  Mittheilangen  über  die  TbXtigkelt 

Zeigt  es  sich  bei  der  Parakentese,  dass  das  vergrösserte 
Organ  aus  mehreren  einzelnen  Zellen  hestehl,  von  denen  nur 
eine  entleert  worden  ist,  so  räth  Hedenus,  die  Kanüle  in 
der  Bauchwand  stecken  zu  lassen  und  das  Andrängen  der 
übrigen  Zellen  an  die  Mündung  abzuwarten,  um  wo  möglich 
alle  der  Reihe  nach  zu  entleeren. 

Hat  man,  ohne  zu  wollen,  einen  Sack  mit  dickflüssigem 
Inhalte  angestochen,  so  erweitere  man  die  Wunde  mit  dem 
Messer. 

Die  Wiederansainmlung  geschieht  im  Verlaufe  von  10  Tagen 
bis  einem  Jahre.     Die  Flüssigkeit   wird   immer  gehallreicher, 
die  Erschöpfung  grösser,   und   die  Function   muss  in   immer 
kürzeren  Terminen  wiederholt  werden, 
c)  radical. 

Wir  operiren  so  früh  als  thunlich  mit  einem  dünnen 
Troikar.  AeusserUch  erkennbar  multiloculäre  Kysten  contra- 
indiciren;  doch  wandte  Bennett  vor  der  Puuction  viei- 
kammeriger  Bälge  Druck  an,  um  durch  Aufsaugung  der 
Zwischenwände  sie  den  eiuiacherigen  ähnlich  zu  machen. 

Wann  die  Entleerung  dünnwandiger  Bälge  anhaltende 
Schrumpfung  und  bedeutende  Verkleinerung  derselben  zur 
Folge  hatte,  so  geschah  dies  durch  Entzündung  der  Kysten- 
wand,  wonach  plastisches  Exsudat  in  die  Höhle  abgesetzt 
wüd,  welches  sich  mit  ihr  verringert  —  oder  Gelasse  der 
ßalgwand  verstopft  werden  —  oder  durch  Umwandlung,  Ver- 
kalkung oder  Schrumpfung  der  absondernden  Flache  —  oder 
durch  längeres  Klaffen  der  Stichwunde,  wonach  der  Inhalt 
fortwährend  in  die  Bauchhöhle  aussickert  und  aufgesogen  oder 
durch  den  ßauchstich  entleert  wird. 

Damit  das  Abgleiten  der  Kystenwand  von  der  Kanüle 
während  des  Ausflusses  verhütet  werde,  haben  Mehrere  eine 
sperrende  Vorrichtung  angebracht. 

Andere  suchten  vor  der  Operation  Verwachsung  der  Kyste 
mit  der  Bauchwand  an  der  für  den  Einstich  auserseheneu 
Stelle  hervorzurufen. 

2.    Von  der  Scheide  aus. 
Man  wählt  diesen  Ort  der  Punction  bei  ganz  deutlicher 
Fluctuation  im  hinteren  Scheidengrunde  und  lässl  einen  Ge- 


u.  d.  Verhandl.  d.  Gesellschaft  f.  Geburtsliülfc  zu  Leipzig-  etc.    J45 

hülfen   den  Tumor  vom   Bauche    her   entgegendrücken    und 
festhalten. 

3.     Vom  Mastdarme  aus. 
Diese  Methode   ist  für  Kysten  oder  Abscesse  berechnet, 
welche    sich    zwischen   Scheide   und   Mastdarm   herabgesenkt 
haben  und  für  Weiber  mit  unzugänglicher  Scheide. 

4.    Der  radicale  Bauchstich 
wurde   auch,  bisweilen   mit   Glück,    nach   spontaner  Ruptur 
einer  Kyste  versucht. 

IL    Punctio  complicata  und  künstliche  Fistel. 
1.    Von  der  Höhle  des  Uterus  aus  durch  den  Eileiter. 
CartwrigMs  Verfahren   fand,    als  zu   unsicher,    keine 
Nachahmer. 

2.    Vom  Bauche  aus. 
d)  Das  Haarseil  ward  selten  gezogen. 

b)  Man  sucht  vorher  Verwachsungen  mit  den  Bauchdecken 
einzuleiten 

a)  durch  Aetzmittel  (Celsus), 
ß)  durch  Acupunctur  (Trousseau), 
y)  durch  die  Naht  (Maisonneuve). 
Letztere  beide  Methoden  gestatten  leider  den  Erguss  in 
die  Bauchhöhle! 

c)  Eine  Kanüle  wird  lange  Zeit  liegengelassen  und  zeit- 
weise geöffnet. 

d)  Einblasen  von  Luft  (Krüger -Hansen)  sollte  mehr 
geübt  werden.  Man  bläst  den  entleerten  Sack  bis  zur  Grösse 
eines  Mannskopfes  auf. 

e)  Reizende  Einspritzungen,  vornehmlich  Jodmischung; 
Trae  iod.,  Aq.  dest.  aa  5üj — y  Kali  iod.  *)ii — 5i  alle  14  Tage 
und,  bei  Jauchung,  öfter  wiederholt,  zu  welchem  Zwecke 
nach  Fock 

f)  die  Kanüle  liegen  gelassen  wird  und 

g)  ein  elektrischer  Strom  durch  den  Sack  geleitet  werden 
soll  (Bühring). 

3.     Von  der  Scheide  her. 

Monataachr.f  C^Uurtsk.   l&tt.   Bd.  XX.,   Hfl.  «.  10 


146         VI.    Meissner,  Mittheilangen  über  die  ThKtigkeit 

III.    Einschnitt. 

1.    Bauchschnitt 

a)  subcutan  nach  Maisonneuve.  Hier  bringe  ich  auch 
den  Vorschlag  HartwicKs  an,  die  Geschwulst  am  Grande  zu 
unterbinden,  um  sie  zu  veröden. 

b)  Freier  Einschnitt  in  der  weissen  Linie 

c)  nach  Versuchen,  Anwaohsung  des  Balges  zu  erwirken 
a)  durch  Wiener  Aetzpaste, 

ß)  durch  Einschneiden  bis  auf  das  wandständige  Bauch- 
fell oder 

y)  bis  auf  die  Balgwand.  Bigin  empfahl,  die  Bauch- 
wunde,  nachdem  sich  ein  Stück  der  Kyste  in  den  Spalt 
eingelagert  hat,  einige  Tage  flach  zu  verbinden  und  nach 
gelungener  Anlöthung  die  Geschwulst  zu  offnen 

d)  mit  Fistelbildung 

a)  durch  Annähen  des  Sackes  vor  oder  nach  dem 
Einschnitte  an  die  Bauchwunde, 

ß)  durch  Einlagen  einer  Wieke  oder  einer  Röhre, 
mittels  welcher  reinigende  und  Jodeinspritzungen  geschehen 
können  (Fock).  Bei  Cysloiden  müssen  erst  alle  von  der 
Bauchwunde  aus  erreichbaren  Kammern  eingeschnitten  werden. — 
Die  Kranke  erhalte  eine  Lage,  welche  den  Äusfluss  der  Jauche 
möglichst  begünstigt  Der  Beischlaf  unterbleibe  bis  zur  Heilung. 
2.  Scheidenscbnitt. 
Hier  ist  die  Gefahr  der  inneren  Blutung  grösser.    Sowohl 

a)  der  einfache,  als  auch 

b)  der  ^Einschnitt,  in  welchen  ein  weiblicher  Katheter 
eingelegt  Avorden,  gelangen. 

IV.    Ausschneiden  eines  Stückes  aus  der  Balgwand. 

Dieses  wenig  angewandte  Verfahren  von  zweifelhaftem 
Erfolge  bildet  den  Uebergang  zur  partiellen  Exstirpation, 
welche  häufig  unfreiwillig,  statt  der  totalen,  vorgenommen 
werden  musste. 

V.    Ausrottung. 

Wenn  die  Kranke  während  des  Anwachsens  der  Geschwulst 
heftige  Zufalle  nicht  erlitten  hat,  ihre  stete  Zunahme  aber  den 
Tod  befürchten  lässt,  so  schlage  man  ihr  die  Operation  vor, 
wobei  auf  die  Gefahren  während  und  nach  der  Exstirpation, 


o.  d.  Verhandl.  d.  Gesellschaft  f.  Gebnrtshfilfe  zu  Leipzig  etc.    147 

besonders  aber  auf  die  Möglichkeit  hinzuweisen  ist,  dass  man 
die  Geschwulst  nicht  herausbekommen  werde. 

Wenn  der  Stiel  einer  festen  Eierstocksentartung  durch 
Drehung  sich  selbst  zuschnürt,  wie  van  Buren  an  einem 
Fibroid  sah,  so  kann  die  alsbaldige  Ausrottung  bei  sicherer 
Diagnose  vom  Tode  retten,  da  sonst  Bauchfellentzündung  und 
hämorrhagische  Enteritis  um  sich  greifen.  Anheftungen  des 
Sackes  an  die  Umgebung  fand  R-  Lee  in  60  von  162  Fällen. 

1.  Mit  dem  kleinen  Bauchschnitte. 
Zwischen  Schaotfuge  .und  Na,bel  wird  in  der  weissen 
Linie  ein  2—3"  langer  JüioscJmitt  bis  .qufs  Bauchfell  gemacht, 
der  Tumor  möglichst  der  Wunde  genähert,  das  Bauchfell  mit 
einer  Pincette  emporgehohen,  quer  eingeschnitten  und  dieses 
Loch  auf  der  Hohlsonde  bis  zur  Länge  der  Baychwunde  auf- 
geschlitzt. Jetzt  {hrängt  sjch  der  bläulichwejsse,  starkglänzende 
vordere  Abschnitt  der  Geschwylst  in  ,die  Wunde.  Er  wird 
am  obern  und  am  untern  Wundwinkel  durch  je  ein  festes 
Heft  angezogen  und  zwischen  beiden  ein  Trojkar  eingestossen, 
um  vorhandene  Flüssigkeit  ?u  (e#tleexen.  Während  der  Ent- 
leerung müssen  zwei  Gehülfen  (dje  Wupdränder  ip  inniger 
Berührung  mit  der  .Geschwulst  erhaltet],  (Jaroit  nicht  Ein- 
geweide hervprschKjpfen.  Ißt  aUe?  flüssiger  Inhalt  entleert,'  so 
wird  der  Sacjt  mögliqbat  wejt,  .aber  schonend  hervorgezogen, 
der  ijntere  WundwinM  pnd,  wenp  man  der  Harnblase  zu  nahe 
kommen  würde,  auch  «der  obere  Jim  je  1  Zoll  verlängert, 
damit  fqr  den  unteren,  härteren  Tbeil  dv  Geschwulst  Platz 
werde,  und  um  den  Stiel,  wepn  er  dünn  ist,  eine  einfache 
Scbljnge  von  Fadenbändchen  Test  .angelegt;  ist  der  Stiel  breit, 
so  muss  er  in  der  Mitte  durchstochen  und  nach  beiden  Seiten 
unterbunden  werden,  worauf  ,jnan  dqp  Turpor  reichlich  1" 
darüber  .abschneidet 

Hinderten  Verwachsungen,  von  der  Hand  nicht  erreichbar 
oder  zu  ausgebreitet,  das  gänzliche  Herausziehen  des  Sackes, 
so  muss  von  ihm  abgetragen  werden,  soviel  in  die  Ebene 
der  Wunde  ohne  starke  Zereung  gebracht  werden  konnte. 
Dazu  bedient  man  sich  entweder  des  Ecraseurs,  oder  des 
Messens  in  .kleinen  Zügen,  wobei  jedes  erkennbare  Gefitas  auf 
der  Stelle  einzeln  unterbunden   wird.     Den   sitzengebliebenen 

10  * 


148         VI.    Meissner,  Mittheiltrogen  über  die  Thfttigkeit 

Theil  der.  Geschwulst,   der   noch  in  eine  Gesammtligatur  gc- 
fasst  wird,  oder  den  Stiel  in  die  Bauchwunde  einzunähen,   ist 
nicht  rathsam,   weil  man  nicht  vorausbestimmen   kann,    wie 
weit   sich   nach   der  Operation   die   vordere   Bauchwand     von 
der  Wurzel  des  entarteten  Eierstockes  entfernen  werde.      Zu 
den  Ligaturen  kann  man  Pferdehaare  oder  weichen  Eiseodraiit 
nehmen,  sobald  man  Eiterung  von  dieser  Stelle  aus  möglichst 
vermeiden  will.   Zwischen  die  Bauchnähte  kommen  den  Bauch* 
halbumfassende    Heftpflasterstreifen;    der    untere  Wundwinke] 
bleibe  offen. 

2.    Mit  dem  grossen  Schnitte. 

Ist  die  Geschwulst'inuthmasslich  zu  umfänglich,  um  selbst 
nach  Entleerung  ihrer  Hauptfacher  durch  obige  Wunde  bequem 
gezogen  werden  zu  können,  oder  ist  sie  durchaus  fest:  so  ist 
der   Schnitt  in   die   Bauchdecken    gleich   anfangs   wenigstens 
5"  lang  anzubringen.   Das  Bauchfell  öffnet  man  zunächst  soweit, 
um   mit  einer  Hand   ruhig   eingehn   zu  können,  welche   nun 
etwaige  Anheftungen  und  Verklebungen  ermittelt  und  gelegentlich 
trennt.     Ehe  der  Schnitt  nach  oben,   wenn  nöthig  mit  link* 
gelassenem  Nabel,  hinreichend  verlängert  wird,  haben  die  zur 
Seite  stehenden  Assistenten  ihre  Hände  genau  dem  Wundrande 
anzupassen  und  besonders  auf  die  Eingeweide  zu  achten,  wenn 
eine  grössere  Kyste   entleert   oder  die  ganze  Masse  heraus- 
gehoben wird.     Ein   dritter  Gehülfe  bat   das  Anästhesiren  zu 
leiten,  der  vierte  der  Kranken  mit  Analeptica  beizustehen,  der 
fünfte  die  Instrumente  zu  reichen  und  die  Blutung  zu  über- 
wachen.   Eine  Wärterin  muss  mit  warmem  und  kaltem  Wasser, 
Schwämmen  und  Wärmflaschen  zur  Hand  sein.     Die  Zimmer- 
wärme sei  17  — 18°  R.,  es  werden  flache  Becken  mit  kochendem 
Wasser  zum  Verdampfen  hingestellt. 

Ist  die  Geschwulst  oder  ein  grosser  Theil  derselben  mit 
Gallert  gefüllt,  so  werde  sie  möglichst  hervorgezogen,  damit 
aus  dem  nun  anzustellenden  Einschnitte  in  den  Sack  nicht 
Massen  in  die  Bauchhöhle  fliessen,  und  mit  der  Hand  der 
Inhalt  ausgeschöpft 

Liegen  zwei  entartete  Ovarien  vor,  so  werde  erst -das 
eine  nach  den  Regeln  der  Chirurgie  entfernt  und  vollständig 
vor  Nachblutung  aus  dem  Stiele  gesichert,  ehe  man  zur  Ent- 
fernung des  andern  schreitet.    Sehen  die  Geschwülste  krebsig 


n.  d.  Verband!,  d.  Geaeilscbaft  f.  Geburtshölfe  bu  Leipzig  etc.    149 

-aus,  so  scbliesse  man  die  Bauchhöhle,  ohne  sie  von  jenen 
befreit  zu  haben. 

Bisweilen  wird  man  den  Tumor  aus  dem  kleinen  Becken, 
ja  noch  aus  dem  Boden  des  grossen,  mit  deren  Wänden  er 
gern  verwächst,  herauszuschälen  haben,  ehe  man  zum  Stiele 
gelangt.  Hatte  man  mit  der  Hand  einzelne  Fäden  und  Stränge, 
z.  B.  Brücken  zu -den  Dänpen,  zum  Netze,  nicht  abtrennen 
können  oder  mögen:  su  werden  sie  mit  der  Scheere  durch- 
schnitten und  die  blutenden  torquirt;  in  England  trennt  man 
sie  lieber  mit  dem  Ecraseur. 

Ist  der  Stiel  des  Ovarientumors  dünn,  so  drehe 
man  ihn  ab.  Ist  er  dick,  so  löse 'man  auf  seinen  beiden 
Seiten  unmittelbar  unter  der  Geschwulst  die  Bauchfellplatten 
mit  seichten  Messerzügen,  ziehe  durch  die  übrigen  Gewebe 
des  Stieles  2  —  3  mit  runden,  nicht  schneidenden  Nadeln  ver- 
sehene, aus  3 — 4  Pferdehaaren  bestehende  Hefte  und  unter- 
binde nach  Abtrennung  des  Sackes  die  einzelnen  Arterien  und 
grösseren  Venen;  bei  parenehyma tischer  Blutung  kommt  die 
Collectivligatur  daran.  Die  Ligaturfaden  lässt  man  zum  unteren 
Wundwinkel  heraushangen.  Die  Bauchwunde  wird  durch  je 
1  Gentim.  von  einander  abstehende  Drahtnähte  geschlossen. 

Zufalle  bei  der  Operation. 

Ist  die  Narkose  durch  Chloroform-Aether  nicht  anwend- 
bar, so  muss  gegen  heftige  Schmerzen  Opium  gereicht  werden ; 
war  sie  unzureichend,  so  werde  sie  während  der  Operation 
wiederholt  und  bis  zu  Ende  derselben  fortgesetzt.  Bei  nahender 
Ohnmacht  lagere  man  den  Oberkörper  tiefer,  besprenge  das 
Gesicht  mit  kaltem  Wasser,  reiche  Wein  oder  einen  Aether, 
halte  an  die  Nase  Riechsalz,  reibe  die  Stirn  und  Schläfen 
mit  Kölnischem  Wasser  und  beschleunige  die  Operation.  Tritt 
Erbrechen  ein,  so  müssen  die  Gehülfen  vorzüglich  darauf 
achten,  dass  nicht  Eingeweide  vorfallen.  Treten  Därme 
oder  Netz  in  die  Wunde,  so  müssen  sie  von  den  Assi- 
stenten sofort  auf  nächstem  Wege  zurückgebracht  und  nach  - 
drücklich  zurückgehallen  werden. 

Zu  feste  und  flächenartigen  Verwachsungen 
lassen  nur  theilweise  Ausrottung  oder  den  Einschnitt  zu,  wo- 
nach man  die  Ränder  des  Sackes  ^n  die  Bauchwunde  heftet; 


150        VI.   Meissner  t  Mittheilungeo  aber  die  Thfttigkeit 

ist  die  Geschwulst  aber  fest  oder  eine  Kyste  allseitig   ver- 
wachsen, so  stehe  man  von  der  Herausnahme  ab. 
Nachbehandlung. 
Der  Leib  wird  von  vornher  in  feuehtwarme  Laken  ge- 
schlagen;  sie  werden  in  den  ersten  Tagen  kuhler  genommen 
und  alle  4,  später  alle  6  Stunden  gewechselt  und  mit  Watte 
und  Flanellbinde  überkleidet 

Innere  Blutung  wird  durch  Schnee-  und  Eisblasen  be- 
kämpft, welche  auf  doppelte  leinene  Unterlage  gelegt  werden. 
Hilft  das  nicht,  so  muss  die  Bauchhöhle  wieder  geöffnet  und 
nachgesehen  werden. 

Bauchfellentzündung  erheischt  örtliche,  selten  allgemeine 
Blutentziehung.  Es  sind  lange  die  festen  Speisen  zu  meiden. 
Der  Harn  werde  künstlich  abgenommen,  der  Darminhalt  gegen 
den  5.  Tag  hin  durch  Kaltwasserklysliere  entfernt.  Gegen 
Erbrechen  reichen  wir  Eispillen,  zugleich  empfehle  ich  die 
Brechnusstinctur  alle  2 — 4  Stunden  zu  5  Tropfen,  das  einzige 
Mittel,  welches  ich  dem  Erbrechen  Schwangerer  mit  stetem 
Erfolge  entgegensetze. 

Die  starken  Hefte,  welche  den  Stiel  anzogen,  werden 
den  2.  Tag,  die  Bauchnähte  am  9.  Tage,  die  Gefassligaturen 
in  der  2.  und  3.  Woche  entfernt. 

Statistik. 
Bis  heute  habe  ich  ermittelt,  dass  an  1140  Frauenzimmern 
Operationen  wegen  Eierstocksleiden  unternommen  worden  sind. 
384  Aerzte  haben  sie  ausgeführt.  Von  den  Fällen,  deren 
Wohnplatz  bekannt  ist,  kommen  144  auf  England,  134  auf 
Deutschland  und  die  Schweiz,  93  auf  Frankreich,  23  auf 
Amerika,  11  auf  die  Niederlande,  7  auf  Italien,  3  auf  Russ- 
land und  2  auf  Schweden. 

Im  18.  Jahrhunderte  haben  nur  18  operirt.  Alter  der  Weiber, 
als  sie  operirt  wurden: 

im  14.  Jahre  stand  1, 

„  16.  — 20.  stahdeö  28, 
„  21.-30.  „  147, 
„   31.-40.       „  94, 

„   41.— 50.       „  57, 

,   51.— 60.       „  34, 

„   61.  — 75.       „  7. 


u.  d.  Vorhandl.  d.  Geaelkohaft  f.  Geburteliülfe  au  Leipzig  etc.    151 

Verbeirathet  warea  193,  Wiltwen  6,  nicht  verheiratet  101, 
nie  geboren  hatten  39,  18  wurden  während  der  Schwanger- 
schaft, 5  während  der  Geburt,  3  im  Wochenbette  operirt. 
79  hatten  vor  der  Operation  geboren,  darunter  kam  1  mit 
Zwillingen  nieder,  eine  andere  hatte  11  Kinder.  7  abortirten, 
davon  1  mehrere  Male;  9  gebaren  noch  1  mal  und  2  kamen 
noch  3  bis  mehre  Male  nieder,  während  die  Eierstocksgeschwulst 
wuchs.  Das  (Jebel  bestand  bei  einigen  seit  wenigen  Monaten, 
bei  anderen  seit  vielen,  bis  36  Jahren.  Am  meisten  wird  der 
Bestand  seit  zwei  Jahren  angegeben,  nämlich  bei  48. 
Aetiologie. 
13  gaben  körperliche  Erschütterung  als  Ursache  des 
Leidens  an;  4  hatten  sich  während  der  Regeln  erkältet. 

11  Geschwülste  waren  aus  Entzündung  des  Eierstockes, 
25  von  einer  Entbindung  und  zwar  4  von  schwerer,  6  von 
vor-  oder  Frühzeitiger  Niederkunft  abzuleiten;  eine  hatte  sich 
im  Wochenbette  erkältet. 

Befund. 
95  linksseitigen  Tumoren  stehen  94  rechtsseitige  gegen- 
über; 33  Mal  waren  beide  Ovarien  erkrankt: 
Mal  beide  kystos, 
„    1  Cystoid  und  1  Kyste. 
„    beide  Cystosarkome, 
„       „     Speckgeschwülste, 
„       „     Eitersäcke. 
665  Kysten  waren  einkammerig  oder  einfache  Säcke  mit 
wenigen   kleinen  theils   angehängten,   theils  in  jenen  einge- 
schlossenen Bälgen. 

Von  105  Cystoiden  waren  26  colloid. 
65  Kysten  waren  mehrkammerig, 
33  Geschwülste  nur  gallerthaltig,  83  lest,  fibrös, 
18  Dermoidgeschwülste,  18  gemischte,  darunter  7  Cysto- 
sarkome, 
17  Krebse,  darunter  10  mit  Hohlräumen, 
4  wahrscheinlich  auch  Carcinome. 

Erscheinungen  im  Leben. 
Die   dem   kranken  Eierstocke  entgegengesetzte  Seite 
war  in  7  Fällen  die  ausgedehntere.     Einmal  ragte  der  Nabel 


152        VI.    Meissner,  Mittheitaflgen  über  die  Tbfttigkeit 

vor,  eine  bei  Kystoophoron  ohne  Bauchwassersucht  höchst 
seltene  Erscheinung. 

Scheidenvorfall  bestand  bei  2,  Muttervorfall  bei  2,  Erhebung 
der  Gebärmutter  bei  17,  Verlängerung  derselben  bei  4.  Ge- 
dreht war  der  Uterus  bei  1,  geknickt  bei  2,  umgestülpt  bei  1. 

Nach  der  kranken  Seite  hin  war  der  Muttermund  6  Mal, 
nach   der  gesunden  2  Mal,   nach  hinten  2  Mal,  nach   vorn 

1  Mal  gerichtet,  Oedem  der  Fasse  bestand  bei  24,  Oedem 
der  Scham  bei  1 ,  der  Brüste  bei  1 ,  Bauchwassersucht  bei  33, 

2  Mal  mit  Hautwassersucht. 

Leibschmerzen  klagten  43;  die  Schmerzen  waren  1  Mal 
auf  der  rechten  Seite,  obgleich  die  Geschwulst  vom  linken 
Ovarium  ausging.  Kreuzschmerzen  wurden  von  5  angegeben, 
Hüftweh  allein  von  2,  Schmerz  in  der  Leisten-  oder  Lenden- 
gegend von  4,  Schmerz  beim  Stuhlgange  von  3,  Verstopfung 
von  30:  bei  einer  von  diesen  war  die  Geschwulst  mit  der 
Flexura  iliaca  verwachsen.  Erbrechen  hatten  19,  Dysurie  16, 
Ischurie  4,  Strangurie  2,  Harndrang  2 ;  wenig  Harn  Hessen  8. 

Zustand  der  Geschlechts  Verrichtungen: 
Bei  10  fehlten  die  Regeln  ganz,  bei  24  waren  sie  unter- 
drückt, bei  5  kehrten  sie  im  späteren  Verlaufe  der  Krankheit 
wieder  (1  Mal  mit  Schmerzen,  1  Mal  nur  vorübergehend). 
Bei  20  dauerte  der  Monatsfluss  fort  —  nur  1  Mal  schwächer 
als  vorher  — ;  bei  8  war  er  unregelmässig,  bei  6  schmerzhaft, 
bei  7  übermässig;  6  hatten  Mutterblutung  (2  wegen  gleich- 
zeitiger Uterin  fibrofde),  8  Leukorrhoe. 

Bei  16  war  der  Bauch  gegen  Berührung  empfindlich. 
Der  Schenkel  der  leidenden  Seite  war  bei  4  steif  (1  Mal 
geschwollen),  bei  3  gelähmt  (2  Mal  zugleich  fühllos,  1  Mal 
steif);  1  hatte  Ischias  der  anderen  Seite.  Paraplegie  der 
Arme  bestand  mit  Epilepsie  1  Mal,  Starrkrampf  1  Mal. 

Verlauf. 
Periodisch  trat  die  Eierstockswassersucht  2  Mal  auf:  1  Mal 
in   Folge    bessernder   innerer  Mittel;    1   verschlimmerte   sich 
jährlich    2 — 3   Mal    und    platzte    binnen  4  Jahren    4  Mal. 

3  waren  vor  der  Operation  ins  Scheidengewölbe,  3  am  Nabel, 
ausserdem  2  geborsten:  1  nach  einem  Falle,  1  nach  einem 
Stosse,  worauf.  Rückfall   eintrat.     1  barst   von    selbst  in  die 


n.  d.  Verhandl.  d.  Gesellschaft  f.  Geburtehtilfe  in  Leipzig  etc.    153 

Bauchhöhle  unter  Ohnmacht  und  Krämpfen;  1  andere  ebenso, 
wonach  ein  halb  Jahr  später  Bauchwassersucht  bestätigt  wurde. 
Eine  Geschwulst  war  verjaucht,  zwei  waren  an  mehreren 
Stellen  von  selbst  am  Bauche  abscedirt,  die  von  Larrey 
Operirte  aber  bekam  einen  Bauchabscess,  aus  welchem  steinige 
Massen  und  Haare  von  der  Harnblase  her  abgingen. 

Complicationen. 
6  Mal   bestand  neben  dem  Tumor  ovarii  sicher,  2  Mal 
wahrscheinlich  Fihrois  uteri,  —  1  Mal  ein  Beckenfibrold ,  1  Mal 
Entzündung  der  Harnblase. 

Diagnose. 

Bei  10  fand  man  die  Geschwulst  in  der  hypogastrischen 
Gegend,  worauf  sie  bei  4  nach  der  Mitte  ruckte.  An  14 
fühlte  Irtan  ungleiche  Resistenz:  1  Mal  lag  ein  Cystofd, 
1  Mal  eine  Kyste  mit  3  Knollen ,  1  Mal  eine  Gallertgeschwulst, 
1  Mal  eine  Kyste  und  ein  Krebsknoten  des  Eierstocks  vor 
und  1  Mal  der  kleinere  kranke  Eierstock  neben  dem  grossen 
Sacke  des  andern. 

14  Mal  ward  Undulation  bemerkt;  bei  5  war  der 
Wellenschlag  in  der  Scheide  fortgepflanzt,  1  Mal  Gallertzittern 
wahrzunehmen.  Bei  1  wurde  der  Wellenschlag  noch  vom 
Mastdarme,  nicht  von  der  Scheide  aus  gefühlt. 

55  boten  Fluctuationdar,  1  nur  stellen  weis.  Bei  5 
war  die  Fluctuation  undeutlich,  bei  5  fehlte  sie  ganz.  7  hatten 
deutliche,  1  undeutliche,  2  keine  Fluctuation  im  Scheiden- 
gewölbe; 8  Hessen  daselbst  nur  eine  Härte  fühlen.  Bei  8 
gewahrte  man  Geschwulst  vom  Mastdarme  her,  welche 
1  Mal  daselbst  schwappte.   . 

Eine  hatte  beim  Aufheben  des  Gewächses  Schmerz.  Bei 
7  war  es  frei  beweglich ,  1  Mal  mit  Geräusch  und  Gefühl  von 
Reibung.  —  Bei  einer  hörte  man  blasendes  Gefassgeräusch 
auf  der  Geschwulst 

Urtbeil  über  etwaige  Verwachsungen: 

56  hatten  keine  Verwachsungen;  bei  21  anderen  hatte 
man  vor  der  Operation  festgestellt,  dass  Verwachsungen  nicht 
vorhanden  seien,  was  sich  auch  bestätigte.  Bei  2,  wo  man 
ihre  Abwesenheit  vermuthete,   wurden  nur  geringe  gefunden. 


154        VI.   Meis*n*r,  MiUheilungen  über  die  ThätigkeU 

Bei  13  hat  man  die  Verwachsungen .  vor  der  Öperaüoa 
erkannt.  Bei  3  waren. die  Geschwülste  beweglich ,  dennoch 
verwachsen.  Bei  28  waren  sie  erst  frei,  dann  verwuchsen 
sie  mit  der  Umgebung  —  dies  geschah  bei  12  durch  veraus- 
gegangne  Panctionen,  bei  4  durch  Entzündung  von  den  Bauch- 
decken aus. 

Ausserdem  traf  man: 
bei  37  Adhäsionen  im  Allgemeinen, 
„    29  mit  dem  Netze, 
„      4     „       „        „      und  der  Bauchwand, 
„      2     „       „        „        „    den  Eingeweiden, 
„.    2     f,       „        „        „    Becken  oder  sonst, 
„      1     „     der  Leber,   „ 

„     2     „       „        „      und  Gallenblase  oder  sonst, 
„     3     „     dem  Dünndarme. 
Dazu  kommen  1  Adhäsion  rechts,  13  leichte,   6  faden- 
förmige Brücken,  14  feste,  24  umfängliche,  37  ausgebreitete 
bis  allseitige  Verklebungen. 

Bei  5  Kranken  hielt  man  die  Eierstocks  Wassersucht  für 
Ascites;  1  glaubte  man  schwanger,  1  davon  extrauterin. 

Operationen. 

A.    Punctio  ovarii  simplex;  a.  ohne  Arzneien, 

I.    Explorativa.   Von  sieben  Operirten  starb  eine  {Clay). 
II.    Badicalis. 

1)  Genesung  folgte.     28  Beispiele. 

b.    Punction  und  Jod  innerlich 1 

(Thompson). 

2)  Es  folgte  wahrscheinlich  Genesung. 

a.  Punctio  simplexi 1 

(  Wans  broug). 

b.  und  Aetzung 2 

(Ashtveü,  Cartwright). 

3)  Nur  Besserung 2. 

III.    Palliative    4)  a.  Paracentesis  abdominalis 

«.  ausserhalb  des  Wochenbettes  ....     13. 

ß.  in  der  Schwangerschaft 7. 

y.  während  der  Geburt 3. 


u.  d.  Verh*u)l.  cl.  Getellsobaft  f.  Geboxtehttlfe  in  Leipzig  etc.    155 

b.   Durch  Nabel  und  Seheide 1 

(Sachse). 

5)  Schicksal  unbekannt 127. 

6)  EleGtropunctur  erfolglos   .  .  4 2 

(Buhring,  PhiUpart). 

7)  Auf  Functionen  folgte   mittelbar  oder  unmittel- 

bar Tod 83. 

Neun  Mal  hat  man  nach  der  Punction  nichts 
ausfliessen  sehen. 

Todesursachen:  9  Mal  Blutung,  7  Mal  Peri- 
tonitis, 4  Mal  Erschöpfung,  3  Mal  Pyämie, 
2  Mal  Verletzung  der  Milz,  1  Mal  Entzündung 
der  Geschwulst 

8)  Paracentese  wegen  Ascites,  Tod 6. 

Genesung    .  .      2. 
B.   Punctio  complicata. 
I.    Künstliche  Fistel. 

1)  Genesung  folgte     8. 

2)  „  „  oderjtesserung  wahrscheinlich    3. 

3)  Tod :  .  .  .     11. 

II.    Reizende  Flüssigkeiten  werden  in  die  Höhle  gebracht: 

1)  Luft  eingeblasen,  Erfolg 3. 

2)  Honig  mit  Gerstengrützwasser  eingespritzt,  Tod  1 

(Marjoliri). 

3)  a.    Jodkalium-,    auch    Jodlösung.      Genesung 

folgte 84, 

darunter  1  von  Uyttenhoeven,  der  vorher 
Verwachsung  der  Kystenwand  mit  der  Bauch- 
wand mittels  seines  Troicart  articule  ä  curseur 
zu  erzielen  sucht,  s.  Monatsschrift,  XV.,  4. 

b.  Portwein 1 

(Holscher). 

c.  Tinct  Digitalis  zu  einigen  Tropfen  .  .       1 

(Chatelain). 

d.  JodttocUir  rein,  oder  mit  geringem  Zusätze    9. 

4)  Jodtinctur.    Nur  Besserung  erfolgte,   oft 

Rückfall 86- 

5)  Aetzpaste,  dann  künstliche  Fistel,  o.  Genesung    6. 

b.   Nur  Besserung 3. 


156        VI.    Meissner,  Mitteilungen  über  die  Thätigkeit 

c.    Es  folgt  reizende  Einspritzung; 

a)  1  ward  in  5  Jahren  hergestellt  (  Wilson), 
ß)  2  wurden  nur  erleichtert. 
6)  Reizende  Einspritzung;  Tod  folgte,    a.  Wein      6. 

b.  Jodlösung t 53. 

5  starben  an  Entzündung  der  Kyste,  worauf 
1  Mal  Pyämie  folgte;   1   an  Peritonitis, 
nachdem  unvorsichtig  Wasser  eingespritzt  . 
war;   1  an  der  nachher  unternommenen 
Scheidenoperation ;  1  mit  Krebs  der  Kyste 
am  sechsten  Tage. 
III.    Haarseil. 

1)  Heilung 3. 

2)  Tod 3. 

IY.    Punction,  dann  Compiession  und  innere  Mittel. 

a.  Heilung 13. 

b.  Besserung. 

1  Kranke  von  J.  B.  Brown  behielt  einen 
runden  Körper  in  der  Tiefe. 

c.  Fruchtlos. 

1  Kranke  von  J.  B.  Brown. 
V.    Subcutanes  Oeffhen  der  Kyste. 

1  Kranke   von  Maüonneuve  bekam   ihre 
Geschwulst  wieder. 
C.    Operationen  von  der  Scheide  aus. 
I.    Punctio  simplex 

1)  radicalis. 

17   mit    Erfolg,   1   nur  gebessert:'  Mikschik 
entleerte  eine  bluthaltige  Höhle. 

2)  Palliativ  bei  Schwangeren  und  Kreissenden. 

a.  Genesung  folgte     2. 

b.  Ausgang  nicht  bekannt 7. 

In  3  Fällen  machte  Park  einen  Schnitt. 

c.  Unglücklich     4. 

3)  Ausser  dem  Wochenbette;  Erfolg  nicht  bekannt    4. 

4)  Tod  folgte 5. 

IL    Jod  ward  nachgespritzt. 

1  genas, 
1  starb. 


n.  d.  Verhandl.  d.  Ge*elUobaft  f.  Gebnrtahfllfe  au  Leipzig  etc.    157 

III.  Künstliche  Fistel. 

1)  Genesung 10. 

2)  Rückfall _.  .    3. 

3)  Ausgang  nicht  gemeldet 3. 

4)  Tod x 8. 

IV.  Scheidenstich,  dann  Einschnitt  durch  die  Bauchdeckeu. 

1  Kranke  von  Petschler  behielt  eine  Fistel. 
V.   a.  Einschnitt  durch  die  Scheide. 

1)  Genesung ' 1 

(Bourdon). 

2)  Rückfall , 1 

(Levert). 

b.  Weiblicher  Katheter  eingelegt,  Genesung     .  .     2 

(Nöihig,   WaUon). 

c.  Theilweise  Ausrottung,  Heilung 1 

(Roux). 

3)  Tod 2. 

D.  Punction  vom  Mastdarme  aus. 

5  Schwangere  palliativ,  1  während  der  Geburt. 

E.  Einschnitt  am  Unterleibe. 

I.    Incisio  simplex. 

1)  Genesung  folgte ~ 15. 

2)  Besserung.     4  behielten  Fisteln. 

3)  Tod 13. 

IL    Charpiemeisel,  1)  Genesung 5. 

2)  Tod     1 

(Crede). 
III.    Künstliche  Fistel. 

1)  Heilung .7. 

2)  Tod • 2 

(Bainbrigge,  Dohlhoff). 

F.  Ausrottung. 

I.    Exstirpatio  ovarii  partialis. 

1)  Genesung 6. 

2)  Tod 8. 

II.    totalis.     1)  Ausgeführt 

a.   mit  dem  kleinen  Schnitte: 


156        VI.    Meissner ,  MHtheilnngen  aber  die  Tätigkeit 

a)  glücklich.  ß)  unglücklich. 

46undl?(IFü«m)42 

b.  mit  dem  grossen  Schnitte: 

79  63;  darunter  wurden 

bei      4  und  4  bei  de  Eierstöcke 

entfernt.  1  Mal  ist  der  Erfolg  nicht  angegeben. 

c.  ohne  Angabe  der  Ausdehnung  des  Schnittes: 

46  25 

In  12  Fällen  ist  der  Ausgang  verschwiegen. 

d.  die  Geschwulst  konnte  nicht  ausgerottet  werden, 

weil  sie  zu  gross  oder  zu  fest  verwachsen  war: 
14  '      18 

e.  man   fand   .keine    oder   nicht   die   gesuchte 

Ovargeschwulst: 

9  14; 

das  Schicksal  einer  ist  nicht  bekannt 
Todesursachen    nach   theil weise   oder  ganz   vollzogener 
Ausrottung : 

I.   Mit  dem  kleinen  Schnitte 
Blutung    Peritonitis,       Ent- 
und  oft  mit       sfindtmg» 

Vr  Ci-ri, 

Blutung.  Bauchfell-    Enteritis  der       Brand.  l     '" 

ent-  oder  Kjete»-  achSpfe.  kr.«npf. 

zündung.  Darmbrand,    warsei. 

7  3         23, 1  mit         4  13  1 

Pyämie. 
II.    mit  dem  grossen  Schnitte  • 

11  1  31  116 

Dazu  1  an  Phlebitis,  später  Pleuropneumonie, 

1  an  Durchfall,  fünf  Tage  nach  der  Operation. 
1  an  Beckenabscess  und  Niereninfarcten. 
HI.    Lange  des  Schnittes  unbekannt. 
1  5;   und    1   wahrscheinlich   an   Lungen- 

entzündung. 


Wollen  wir  die  Ergebnisse  obiger  Zusammenstellung  für 
die  Praxis  im  rechten  Lichte  getan,  -so  müssen  wir  wobl  ein- 
gedenk bleiben,  dass  sich  die  Verhältnisse  einer  Eierstocks- 
kyste   zu   der  Zeil,    wo   sie  entdeckt  wird,    selten  so  günstig 


n.  d.  Verfaandl.  d.  Geeellschaft  f.  G«bartohülfe  in  Leipsig  etc.    159 

finden,  das»  wir  auf  den  Erfolg  einer  ersten  Punctum  reebnen 
können.  Denn  ist  die  dünnwandige  Kyste,  welche  eben  «He 
geeignetste  fär  ein  solches  Unternehmen  ist,  noch  nicht  von 
der  Grösse  einer  gewöhnlichen  Melone,  so  ist  noch  zu  hoffen, 
dass  sie  der  Tuba  oder  dem  Nebeneierstocke  angehöre  und 
von  selbst  berste;  ist  sie  aber  grösser,  so  gehört  sie  sicher 
nicht  den  eben  genannten  Organe«,  sondern  dem  Eierstocke 
an,  und  nun  lässt  sieb  die  Zeit,  bis  zu  welcher  die  Sack- 
wände noch  des  Zusammenfallen*  fähig  sind,  in  den  wenigsten 
Fällen  zur  Operation  aussuchen,  weil  die  Beschwerden  nicht 
drängen.  Ist  aber  die  Geschwulst  einmal  aber  diese  günstige 
Beschaffenheit  hinaus  öder  nie  von  solcher  gewesen,  so  werden 
wir  mit  jedem  Eingriffe  anstehen,  biß  nicht  die  Kräfte  der 
Kranken  erheblich  sinken  oder  augenscheinliche  Gefahr  droht. 
Daher  darf  es  uns  nicht  Wunder  nehmen,  dass  von  270  vom 
Bauche  her  angestellten  Punctionen  nur  32,  und  von39.Scbeidpn- 
punotionen  17  gleich  das  GrundobeJ  beseitigten,  und  dass  auf 
der  andern  Seite  34  Proc.  der  ersteren  und  23  iProc.  der 
letzteren  eher  oder  später  tödtlkh  abliefen,  wenigstens  dass 
von  dem  Datud)  der  Operation  an  der  Verfall  raschere  Fort- 
schritte machte  —  die  Operation  dient  eben  in  den  meisten 
Beispielen  nur  als  augenblickliche  Erleichterung,  ja  als 
Euthanaticum. 

Die  günstigeren  Resultate  stehen  .gleichwohl 
bedeutend  auf  Seite  der  Punction  von  der  Scheide 
aus,  wegen  früher  erörterter  Gründe. 

Sonaoh  bleibt  die  grosse  Hehrzahl  der  Fälle  dem  Felde 
der  sogenannten  Radicalverfabren  offen,  d.  h.  der  conplieirten 
Function,  namentlich  den  Jodeinspritzungen  und  der  Aus- 
rottung; die  übrigen  Heilformen,  von  denen  das  Lufteinblasen, 
die  künstliche  Fistel,  besonders  die  in  der  Scheide  angelegte 
und  der  modificirte  Einschnitt  für  ihre  Anzeigen  Aufmerk- 
samkeit verdienen,  sind  bis  jetzt  nicht  oft  genug  angewandt 
worden,  um  mit  den  üblicheren  Methoden  verglichen  werden 
zu  können. 

Die  iodeinspritzung  erscheint  zwar  weniger  gefährlich, 
als  die  mit  Umsicht  angestellte  Ausrottung,  hat  aber  doch 
als  gründliches  Verfahren  weniger  Verlockendes  als  die  .für 
grausamer  geltende  Exkulpation,   sobald  wir   zu   den  Todes- 


160         VI-    Meimner,  MittheiluDgen  aber  die  Th&tigkeit 

fällen  auch  die  Beispiele  unvollkommener  Heilung  und  die  trotz 
wiederholter  Insertionen  zahlreichen  Rückfälle  rechnen. 

237  wurden  mit  Jodeinspritzungen  behandelt; 
95  davon  hergestellt  =  40  Proc. 
88  nicht  geheut    j     =  ^  ^ 
54  starben  j 

Dagegen:  357  wurden  der  Exstirpation  unterworfen; 

194  kamen  mit  dem  Leben  davon; 

171  wurden  ihre  Geschwülste  los  =  fast  48  Proc 

163  starben      m  =         52      „ 

Dabei  ist  der  grosse  Schnitt,  oder  der  kleine,  welche  zu 
rechter  Zeit  und  hinreichend  vergrössert  wurde,  im  Vorthdle, 
doch  wohl  da  er  die  Operation  abkürzt  und  Zerrungen  weniger 
mit  sich  bringt: 
mit  dem  grossen  Schnitte  wurden  fast  56  Proc. 
mit  dem  kleinen         „  „        nur  50       „     gerettet 

Ich  lasse  nun  die  Erzählung  der  beiden  in  Leipzig  unter- 
nommenen Exstirpationen  folgen. 

I.  Am  4.  März  1859  wurde  ich  von  Herrn  Dr.  Kirsten 
veranlasst,  Frau  C.  zu  untersuchen.  Sie  war  53  Jahre  alt, 
Mutter  von  2  Kindern,  zart  gebaut,  von  grauer  Iris  und  hatte 
seit  iy4  Jahren  eine  Geschwulst  im  Leibe  bemerkt,  welche 
Herr  Dr.  Heil  für  eine  Kyste  des  rechten  Eierstockes  erklärte. 

Kirsten  war  hinzugezogen  worden,  um  wegen  der 
steigenden  Athemnoth  eine  Punction  zu  machen.  Sie  wurde 
in  der  Mittellinie  angestellt,  dann  noch  zweimal  auf  der  rechten 
Seite  wiederholt.  Beide  Male  ward  starke  Jodtinctur  einge- 
spritzt und  je  10  Minuten  lang  geknetet,  um  sie  allseitig  mit 
der  Wand  des  Sackes  in  Berührung  zu  bringen.  Es  folgte 
niemals  Reaction.  Eben  war  der  Bauch  wieder  unerträglich 
augeschwollen.  Ich  fand  das  Aussehn  der  Kranken  blass,  die 
Haut  etwas  düster  gelblich,  die  Kräfte  noch  gut,  in  der  Minute 
90  Pulsschläge,  den  Atbem  ruhig.  Die  Frau  konnte  auf  der 
rechten  Seite  nicht  gut  liegen,  auf  der  linken  zu  hegen  war 
ihr  fast  unmöglich.  Harn  wurde  oft  und  wenig  auf  einmal 
gelassen,  nur  nach  jeder  Punction  floss  mehr  und  in  längeren 
Pausen.  Er  war  eiweissfrei.  Die  Darmausleerung  stockte. 
Der  Schlaf  war  leidlich.  Der  Leib  war  sehr  ausgedehnt,  am 
gleichtnässigslen  rechts;  links  unten  fühlte  man  eine  besondere. 


ii.  d.  V efhftndl.  d.  Gesellschaft  f.  Geburteblilfe  *u  Leipzig  etc.    161 

kindskopfgrosse  Geschwulst  Der  grosse  Sack  giebt  Wellen- 
schlag, der  sich  auch  in  den  Scheidengrund  fortpflanzt 

Die  Kranke  glaubt  einmal  beim  Tragen  einer  Last  sich 
rückwärts  gebogen  und  sofort  einen  Knax  gefühlt  zu  haben, 
worauf  Schmerz  in  der  rechten  hypogastrischen  Gegend  ent- 
stand. Seit  November  1858  ist  der  Sack  rasch  gewachsen, 
doch  bis  zur  3.  Function  frei  beweglich  geblieben.  Das  Ab- 
gezapfte bestand  aus  je  5 — 6  Pfd.  zähflüssigem,  gelblichem 
Serum  mit  schlaffen  Faserstoffgerinnseln  von  der  Form  ge- 
quollener Fadennudeln,  aus  Eiwetssuolekeln,  Eiter-  und  Blut- 
körperchen, worunter  wenige  Körnchenzellen, 

Wegen  der  nutzlos  gewesenen  früheren  Operationen  war 
der  Kranken  der  Radicalschnitt  bereits  vorgeschlagen.  Sie 
war  darauf  eingegangen  und  hatte  guten  Math. 

Operation  am  9.  Mar*  1859  früh  10  Uhr. 

Puls  102,  Athmen  18.  Von  der  Hersgrube  bis  zum 
Schamberge  maass  der  Leib  30  Ctm.,  vom  Schwerdtfortsatae 
bis  ebendahin  36,  von  einem  vordem  obern  Darmbeinstachel 
qperhinüber  zum  andern  47,  von  dem  ersteren  über  den  Nabel 
weg  bis  zum  linken,  harten  Rand  des  Tumors  82  Ctm. 
Zimmerwärme  20°  R. 

Um  10  Uhr  10  Min.  wurden  1  Tfceil  Chloroform  und 
3  Tbeile  Aether  zum  Athmen  gereicht,  10  Uhr  30  Min.  in 
der  Narkose  der  Harn  mit  dem  Katheter  abgenommen,  10  Uhr 
40  Min.  der  Schnitt  in  der  weissen  Linie  3"  lang  gemacht. 
Der  Sack  war  überall,  links  untrennbar  verwachsen.  Rechts 
liess  sieh  die  äussere  Wand  mit  den  Fingern  swei  Hände  breit 
abtrennen,  Daher  war  der  Einschnitt,  während  er  vorsichtig 
in  die  Tiefe  verfolgt  wurde,  in  die  Höhle  des  Sackes  ge- 
drungen und  Hess  einen  Thail  des  Inhaltes  ausfliegen.  Seine 
innere  Auskleidung  war  noch  inniger  mit  der  äusseren  Wand 
als  diese  mit  dem  vorderen  Hatte  des  Bauchfelles  verwachsen. 
Ich  veranlasste  Kirsten,  einen  handbreiten  Streifen  aus 
der  2'"  dicJben  Kystenwand  auszuschneiden,  und  Heä 
legte  11  Uhr  im  obern  Wundwinkel  ein  Heft  an.  Kurz  da- 
rauf erfolgte  Erbrechen. 

Aus  der  Wunde  hatten  sich  6  Pfd.  Inhalt  entleert;  sie 
wurde  mitteis  HeftpAaster^mäesig  zusammengezogen.    Das  oben 

IfoaAStMfcr.  f.  Ortm**.  18SI.  Bd.  XX.,  HU.  *.  M 


162        VI.   Meütntr,  Ißttheihutgen  über  die  Thfttagkeit 

bezeichnete  Längenmass  des  Bauches  von  36  Ctm.  betrog  nur 
noch  31,  das  Quermaass  47  nur  noch  30. 

Abends  trat  wieder  Erbrechen  ein,  es  währte  trotz  zwei- 
stündlicher viertelgräniger  Morphiumgaben  bis  zum  anderen 
Mittage  fort,  wo  ein  Spulwurm  erbrochen  wurde.  Dann 
hörte  es  auf. 

11.  März  früh  Puls  102.  Die  Kystenwunde  hat  sich 
geschlossen. 

13.  März  platzt  die  Wunde  und  entleert  beim  Husten  blutige, 

15.  März  gelbliche  Jauche.  Die  grosse  Häufigkeit  des 
Pulses  lässt  nun  nach. 

Ein  Frostanfall.  Der  Schmerz  in  der  Umgegend  der 
Wunde,  mehr  rechts,  nimmt  zu.  Stuhlenüeerung  nur  durch 
Clysma,  Harn  gut.     Schlaf  durch  Chinin  mit  Morphium. 

17.  März.  Die  häufigen  Darmentleerungen  lassen  J)urcb- 
bruch  des  Sackes  nach  einem  Darme  ahnen.  Abends 
Erbrechen. 

21.  März.    Soor  der  Zunge  und  der  Wangen.     Mangel 
an  Esslust     Die  Darmfistel    entleert    viel,    die  Bauch  wunde  * 
wenig  trübgelbliches  Serum. 

25.  März.  Kirsten  hat  einmal  Wasser  in  den  Sack 
gespritzt;  es  war  starke  Reaction  erfolgt  Heute  injiciren  wir 
eine  Unze  Chinaabkochung. 

28.  und  29.  März.    Jodeinspritzung. 

2.  April.  Die  Jodtinctur  hat  Mund-  und  Zungengeschwüre, 
Nachts  faulen  Geschmack  erzeugt  Die  Absonderung  aus  der 
Kyste  lässt  auch  vorn  nach;  aus  dem  Darme  fliegst  seit 
3  Tagen  nichts  mehr  aus.  Wir  spritzen  nur  alle  3  Tage 
1  Tct.  iod.  :  2  Aq.  ein. 

10.  April  hat  sich  ein  6"  langes,  1"  breites  Stück  Kysten- 
wand  abgestossen  und  wird  durch  die  Bauchfistel  entfernt 
Es  war  dies  wahrscheinlich  der  künstlich  abgetrennte  aber 
nicht  herausgeschnittene  Streifen. 

Viel  flüssiger  Inhalt  dringt  nach.  Von  nun  an  wird  die 
Höhle  täglich  mit  Chinabrühe  ausgewaschen,  dann  Jodtinctur 
2 :  3  eingespritzt,  geknetet  und  wieder  abgelassen. 

16.  April  P.  120,  T.  30°,  2  R.  Es  entleeren  sich  mit 
dem  wenigen  Eiweisse  Eiterflocken.  Prof.  Schnitze  aus  Jena 
ist  gegenwärtig.    Im  Mastdarme,  aus   welchem   bis  gestern 


a.  d.  Verband!,  d.  Gesellschaft  f.  Geburtshülfe  su  Leipzig  etc.    163 

einige  Tage  lang  wieder  Kysteninhalt,  einmal  blutig,  entleert 
worden,  fühlt  man  hinter  dem  Körper  der  Gebärmutter  einen 
nach  hinten  spitzen,  kegelförmigen  Strang,  der  yon  der  Wurzel 
der  Geschwulst  ausgeht 

21.  Aprü.  P.  100,  T.  31°,6  R.  Vorgestern  langer 
Schüttelfrost.  Die  Absonderung  ist  halbeitrig,  riecht  übel. 
Schlaf  gut,  Stuhl  regelmässig.  Oedem  beider  Beine,  mehr  des 
rechten.    Einspritzung  von  Liq.  fern  sesqui-chlorati  1 :8  Aq. 

3.  Mai.  P.  120,  T.  29°,  8  R.  Die  Kyste  fühlt  sich  viel 
härter  an,  sondert  schwarze  Jauche  aus  (chinagerbsaures 
Eisenoxyd  färbte),  pilzfreier  Soor  auf  Zungen-  und  Wangen* 
Schleimhaut,  ward  gelbbraun,  diphtherisch  (chlorsaures  Kali). 

9.  Mai.  Ausfluss  schwarz,  halb  gallertig,  von  brandigem 
Gerüche.  Abends  nach  Einspritzen  von  lauem  Wasser  Collap- 
sus  (Chinin). 

10.  Mai,  früh  Tod*  Section  durch  Prof.  E.  Wagner. 
Die  Wände  der  noch  faustgrossen  Höhle  waren  innen  schwarz- 
blau gefärbt,  sehr  zerreisslich  und  rochen  brandig;  eine  Tasche 
ging  nach  links  unten  ab  und  mündete  mit  1,5  Centim.  breiter 
Oeffnung,  1"  über  der  Bauhin'schen  Klappe,  in  den  Blinddarm. 

Mit  der  geschrumpften  Kyste  hing  gestielt,  doch  nicht 
nachweisbar  hohl,  ein  faustgrosser  Krebsknollen  zusammen, 
der  gleich  einem  kleineren  Knoten  am  rechten  breiten  Bande, 
innen  käsig -eitrig  erweicht  war.  An  die  rechts  liegende  Ge- 
schwulst, deren  Wurzel  die  Stelle  des  Eierstockes  einnahm, 
trat  die  rechte  Trompete,  deren  Fransen  mit  dem  Grunde 
des  Cystocarcinoms  verschmolzen  waren. 

Gebärmutter  lang  gezogen;  ihre  linken  Anhänge  gesund, 
nur  mit  der  Beckenwand  verwachsen.     Frische  Peritonitis. 

Wurmfortsatz  nur  in  seinem  Anhange  durchgängig.  Leber 
atrophisch,  Nieren  fettig. 

11.  Fräulein  W.,  24  Jahre  alt,  blond,  von  blauer  Iris, 
war  von  mir  in  ihrem  13.  Lebensjahre  an  schwerer  Pleuro- 
pneumonie des  linken  unteren  Lappens  behandelt  worden. 
Vor  6  Monaten  war  sie  durch  den  Tod  ihrer  Mutter  heftig 
erschreckt  und  zum  Heben  einer  zu  schweren  Last  genöthigt 
worden.  Seitdem  flössen  ihre  Regeln  häufiger  als  normal. 
Vor  3  Monaten  war  Herr  Dr.  Benno  Schmidt  zugerufen  und 
hatte  eine  Geschwulst  im  Leibe  vorgefunden,  welche  vorn  dhd 

11* 


164       VI.    Mei$8n*ry  Mittbtilwigen  «bar  die  Thättgkeit  etc. 

oben  fluctuirte,  nach  links  unten  aber  in  eine  Hörte  Aberging, 
die  ins  Becken  hinabreichte.  Er  hatte  eine  Function  angestellt, 
welche  8  Unzen  blutige,  gallertige  Flüssigkeit  Ausbeute  gab, 
worauf  viel  reines  Blut  ausfioss.  Am  21.  November  1859 
fand  ich  sie  von  blassem  Aussehen,  etwas  herabgekommen, 
an  ihrem  Unterleibe  Undnlation,  die  sich  nicht  nach  dem 
Scheidengrunde,  deutlich  aber  nach  dem  Mastdarme  fortpflanzte. 
Die  vordere  Wand  der  Scheide  war  herabgetrieben,  etwa« 
ödematisch.  Es  bestand  massiger  Scheidenkatarrh.  Der  Urin 
war  frei  von  Eiweiss,  der  Schlaf  durch  Morphium  zu  bewerk- 
stelligen, die  Stimmung  gefasst. 

Die  Parakentese  ergab  vier  Pfund  bräunlicher,  eiweiss- 
haltiger  Flüssigkeit  4.  Januar  1860  früh  9  Uhr  betrug  der 
Puls  108,  das  Athmen  34,  die  Hautwärme  war  massig.  Der 
Umfang  des  Bauches  in  der  Höhe  des  Nabels  112  Ctm.,  vom 
Schwerdtfortsatze  bis  zur  Scbamfuge  46,  vom  Nabel  bis 
ebendahin  24. 

10  Uhr  90  Min.  begann  die  Narkose,  welche  nur  unvoll- 
ständig gelang.  Ich  brachte  den  Katheter  ein  und  entleerte 
wenig  Harn.  Die  Kranke  ward  unruhig  und  sträubte  sich 
gegen  das  Chloroform. 

10  Uhr  40  Min.  schnitt  Schmidt  nach  gebildeter  Haut- 
falte 6"  lang  ein  und  erweiterte  die  Bauchfellwunde  oben  und 
unten  um  je  1". 

10  Uhr  45  Min.  stiess  er  den  Troikar  in  die  erste  vor- 
liegende Kyste,  deren  noch  11  andere  bald  angestochen,  bald 
eingeschnitten  wurden.  Ein  walfaiussgrosser,  blassgelber  Gallert- 
klumpen schlupfte  dabei  heraus.  Ein  federspuldickes  Geßss, 
welches  zwischen  drei  kleineren  Bälgen  verlief,  war  verletzt 
worden  und  musste  unterbunden  werden. 

Das  Cystoid  war  mit  seinem  Scheitel  an  die  vordere 
Bauchwand  und  an  das  grosse  Netz  in  bedeutender  Strecke 
angewachsen  und  wurde  mit  der  Hand  vorsichtig  davon  befreit 
Ein  kleines  Stock  Netz  Wieb  an  der  Geschwulst  sitzen.  Der 
links  befestigte,  2"  breite  Stiel  der  Gallertgeschwulst  wurde 
durchstochen,  nach  beiden  Seiten  und*  dann  noch  gemein- 
schaftlich unterbunden,  darüber  abgeschnitten;  er  enthielt 
8  Schlagadern,  jede  %"'— %'"  breit  6  Knopfhäfate  ausser- 
halb des  Bauchfelles  schlössen  die  Wunde  11  Uhr  30  Msn. 


VII.   Notureii  »äs  der  Jawati- Literat«?.  166 

Die  sehr  standhafte  Kranke  hatte  beim  Trennen  der 
breiten  Verwachsungen  und  beim  Zuziehen  der  ersten  Stiel- 
schlinge laut  aufgeschrieen. 

Es  wurden  Eisblasen  auf  den  Bauch  gelegt  und  V4  Gran 
Morphium  gereicht,  worauf  die  Leibschmerzen  nachliesaeu. 

Im  Bette  hatte  die  Operirte  120  Pulsschläge,  30  Athem- 
züge.  Abends  war  sie  ruhig,  schlief  aber  nicht  die  Nacht 
hindurch. 

5.  Januar  früh  5  Uhr  erfolgte  Gähnen  und  Verfall. 

8y2  Uhr  entschlief  sie  sanft. 

Obduction  durch  Dr.  Schmidt:  organisirte,  mit  dem  Sacke 
verwachsen  gewesene  Exsudate  fanden  sich  an  der  1.  Puncfions- 
stelle  links,  dann  von  der  2.  rechts  angestellten  bis  weit  hinauf; 
sie  zogen  sich  an  der  vordem  Bauchwand  nach  links  hinüber. 

Mehrere  Darmschlingen  waren  frisch  und  meist  fein  in« 
jicirt;  keine  hatte  Adhäsionen.   Uterus  etwa  1"  länger,  schlaff. 

Reste  linksseitiger  Lungenfellentzfindung. 


VII. 
Notizen  aus  der  Journal -Literatur« 

Roter:  Zur  Behandlung  der  perimetritischen  Absoesse. 

M.  rftth,  bei  Abscessen  im  Zellgewehe  der  breiten  Mutter- 
bänder das  Lig.  Poupartii  neben  der  Schenkelarterie  blossulegen 
und  durch  Einbohren  einer  Hohlsonde  oder  Kornzange  auf  der 
äussern  Seite  des  Schenkelringes  dem  Eiter  einen  Atisweg  au 
▼erschaffen.  Die  Cur  pflege  ausser  zeitweisem  Einführen  eines 
elastischen  Katheters  nichts  weiter  su  erfordern. 
(Arch.  d.  Heilk.  1862,  3.  Heft.) 


van  Eaartman:   Stricturen  des  inneren  Muttermundes. 

Verf.  heilte  in  6  Füllen  die  Striktur  des  innern  Mattermundes 
durch  den  Sohnitt  nach  der  Methode  von  ßtmpton.  Es  wurde 
mittels  des  von  diesem  angegebenen  Instrumentes  die  Strikter 
naeh  beiden  Seiten  hin  eingeschnitten,  in  4  Füllen  ausserdem  noch 


168  VII.    Notitttt  ans  der  Journal -Literatur. 

Vorfall    der   Nabelschnur.     Wegen   nicht   su  bewerkstelligender 
Wendung-  decapitirte  F.    Die  Mutter  blieb  gesund. 

Zwei  weitere  neue  Falle  sind  von  Dr.  Qvtmann  in  Komon 
nnd  Prof.  Simon  Thoma»  (le toterer  ans  der  Nederi.  Tydschr.  v. 
Geneesk.  Leyden  1862)  nämlich: 

6)  Bei  einer  31jährigen  Mehrgebärenden  traten  in  der  Er- 
Öffnungszeit  starke,  von  Placenta  praevia  bedingte  Blutungen  sin. 
Die  behandelnden  Wundärzte  gaben  Matterkorn  and  rissen  die 
Placenta,  deren  Cotyledonen  sie  für  Blutgerinnsel  hielten,  stück- 
weise heraus,  woravf  das  Frachtwasser  abfloss,  der  Uterus  sich 
kräftig  zusammenzog,  nnd  die  Blutung  stand.  Es  wurde  nunmehr 
eine  Querlage  erkannt,  und  nach  misslungenen  Wendungsversuchen 
Matter  and  Kind  aufgegeben.  Zwölf  Standen  nach  Wehenbeginn 
wurde  G.  gerufen,  welcher  die  Fracht  in  «weiter  Querlage  mit 
Vorfall  des  rechten  Armes,  die  Gebärmutter  stark  um  dieselbe 
zusammengezogen,  die  Kreissende  sehr  erschöpft  fand.  Wendung* 
versuch  ohne  Erfolg,  Decapitation  nach  Braun, 

Normales  Wochenbett. 

7)  Th.  fand  bei  einer  32 jährigen  Mehrgebarenden,  77  Stunden 
nach  Abfluss  des  Frachtwassers,  nach  frachtlosen  Wendungsver- 
suchen dreier  Aerzte,  die  todte  Frucht  in  erster  Querlage  mit  dem 
Bücken  nach  vorn  und  mit  Vorfall  des  rechten  Armes  und  der 
pulslosen  Nabelschnur,  die  Gebärmatter  gleichm&ssig  fest  um  jene 
zusammengezogen,  den  inneren  Muttermund  am  Schulter  und  Thorax 
ringförmig  zusammengeschnürt.  Darreichung  von  Laudannm, 
vergebliche  Wendungsversuche,  sodann  Decapitation  nach  Braun. 
Beim  ersten  Versuch  wurde  der  Hals  nicht  ganz  nmfasst,  und 
nur  Weichtheile  durchtrennt,  beim  zweiten  gelang  die  Absetzung 
der  Halswirbel.  Die  Entwickelang  des  Rumpfes  wurde  unter  Ein- 
setzung des  Smellie' sehen  Hakens  zwischen  die  Rippen  unter  grosser 
Kraftanstrengung  bewirkt,  darauf  der  Kopf  mittels  der  Zange 
extrahirt.  Die  Nachgebart  zu  entfernen  gelang  der  Strictur  dei 
inneren  Muttermundes  wegen  erst  nach  erneuter  Darreichung  von 
Laudannm.  Das  Wochenbett  wurde  durch  eine  Endometritis  sub- 
acuta getrübt;  nach  drei  Wochen  jedoch  war  die  Frau  als  gesund 
anzusehen. 

(Wiener  med.  Wochenschr.,  1862,  Nr.  6  u.  11.) 


VIII. 
Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  Geburtshülfe 

in 

Berlin. 

Sitzung  vom  27.  Mai  1862. 

Herr  v.  Recklinghausen  legte  das  Präparat 
eines  Krebses  des  Uterus  ohne  Betheiligung 
des  Collum 
vor.  Aus  der  Anamnese  des  Falles  ergab  sich,  dass  während 
des  Lebens  der  betreffenden  Kranken  wegen  der  beträchtlichen 
Vergrösserung  des  Uterus  bei  gleichzeitiger  gesunder  Vaginal- 
portion die  Diagnose  auf  Fibroid  gestellt  worden  war.  Bei 
der  Section  zeigte  sich  indess  das  Cavura  uteri  als  eine  grosse 
Höhle,  die  eine  nicht  stinkende  puriforme  Flüssigkeit  enthielt 
und  -deren  Wände  mit  fetzigen  Massen  bedeckt  waren.  Die 
derbe  Substanz  des  kindskopfgrossen  Uterus  selbst  war  in 
ihrer  ganzen  Dicke  von  käsig  grünlich- weisser  Farbe.  Fast 
alle  angrenzenden  Organe  waren  mit  der  Aussenfläche  des 
Tumor  durch  frischere  krebsige  Eruptionen  verwachsen:  so 
die  Flexura  sigmoidea,  die  Blase  und  die  rechte  Tuba;  links 
lagen  Tuba  und  Eierstock  zwischen  Adhäsionen;  das  rechte 
Ovarium  war  ganz  in  dem  grossen  Tumor  -aufgegangen. 
Beide  Ureteren  verliefen  an  dieser  Geschwulst  •  vorbei  und 
waren  beträchtlich  comprimirt,  ohne  indess  krebsig  infiltrirt 
zu  sein.  In  der  Blase  zeigte  sich  eine  ganz  kleine  Perforation, 
entsprechend  der  Stelle,  wo  die  Verwachsung  am  festesten 
war.  Auch  im  Rectum  war  eine  ähnliche  Perforation  nach 
dem  Douglas'achen  Baume,  der  indess  durch  Adhäsionen 
in  eine  geschlossene  Eiterhöhle  verwandelt  war.  Metastasen 
in  anderen  Organen  waren  nirgend  vorhanden,  auch  die 
Lymphdrüsen  frei  von  Krebs. 

UonatBachr.  f.  GeburUk.    1862.    Bd.  XX.,  Hft.  3.  12 


170  VI11     Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Die  Beurtheilung,  ob  dieser  Fall  Krebs  oder  Tuberkulose 
sei,  war  auf  den  ersten  Blick  schwer,  die  mikroskopische 
Untersuchung  ergab  indess  unzweifelhaft  die.  krebsige  Natur 
dieser  Affection,  und  zwar,  namentlich  an  den  frischeren 
röthlich  grauen  Stellen,  ein  alveoläres  Gerüst  mit  Krebs- 
zellen; dasselbe  liess  sich  auch  in  den  zerfallenden  käsigen 
Hassen  noch  nachweisen,  indess  waren  in  diesen  sowohl 
Süonia  wie  Zellen  in  einer  fettigen  Umwandlung  begriffen. 

Herr  v.  Kecklinghausen  verwies  hierbei  auf  die  von 
Virchow  ausgesprochene  Ansicht,  dass  Krebs  des  Uterus, 
vom  Collum  ausgehend,  immer  cancroider  Natur  sei;  in  diesem 
Falle,  wo  das  Collum  gesund  war,  sei  auch  von  Cancroid 
keine  Rede. 

Bei  der  Herausnahme  der  rechten  Lunge  schien  eine 
Metastase  in  den  Lymphgeiassen  derselben  vorhanden.  Sie 
erschienen  als  zierliche  weissliche  Netze  und  entleerten  an- 
geschnitten eine  milchige  Flüssigkeit.  Die  mikroskopische 
Untersuchung  ergab  indess  keine  Spur  von  Krebszellen,  nur 
Lymphkörperchen,  so  dass  die  Anfüllung  der  Gefasse  nur 
auf  die  hinzugetretene  Pleuritis  bezogen  werden  konnte,  der 
die  Kranke  schliesslich  erlegen  war. 

Herr  Martin  zeigte  ein  todtgebornes  reifes  männliches 

Kind   vor   mit   mehrfachen   Kyslen   am   Halse,    unter 

beiden  Achseln  und  in  der  Gegend  der  Brustdrüse, 

nebst    Verunstaltung    der    Fusszehen    und    Finger 

und  blaurother  Färbung  der  Oberschenkel 

und  Bauchdecken. 

Die  Getturtsgeschichte  ist  folgende: 

Frau   W ,    eine   kräftige   Frau   in   den   dreissiger 

Jahren,  früher  nie  krank,  stets  regelmässig  tnenstruirt,  gebar 
in  acht  Jahren  fünf  gesunde  Kinder  ohne  irgend  welche 
Kunsthülfe.  Drei  derselben  starben  im  ersten  und  zweiten 
Lebensjahre  an  „  Zahnkrankheiten ".  Zwei  leben  noch  und 
sind  kräftig  und  gesund.  Seit  Ende  August  1861  zum 
sechsten  Male  schwanger  befand  sie  sich  bis  zum  Beginne 
ihrer  Niederkunft  ganz  wohl.  Die  Wehenthätigkeit  fing  am 
27.   Mai    1862   Morgens'  8   Uhr   an;   Gravida    wollte   noch 


für  Geburtshälfe  In  Berlin.  -  171 

an  diesem  Morgen  Kindesbewegung  gespürt  haben.  Unter 
regelmässigen,  kräftigen,  wirksamen  Wehen  verlief  die  Geburt 
sehr  glücklich;  um  2  Uhr  Mittags  hatte  der  Kopf  bereits  die 
äusseren  Genitalien  passirt,  und  da  nun  die  Schultern  zögerten, 
mussten  sie  von  der  anwesenden  Hebamme  mit  einiger  Mühe 
extrahirt  werden.  Der  geborene  Knabe  gab  durchaus  kein 
Lebenszeichen  von  sich.  Beim  Versuche,  die  Nachgeburt  auf 
die  gewöhnliche  Weise  zu  entfernen,  riss  die  sehr  dicke, 
ödematös  sulzige  Nabelschnur  nahe  an  ihrer,  (lVa"  von  der) 
Insertionsstelle  ab.  Die  Placenta  folgte  jedoch  leicht;  die-* 
selbe  war  gross,  dünn,  sehr  blass;  die  Insertion  der  Nabel- 
schnur fast  central';  die  Eihäute  ganz  unter  einander  verklebt; 
der  Riss  3 — 4"  vom  Rande  des  Mutterkuchens.  An  der 
Uterinfläche  eine  grössere  fibröse  Schwarte,  die  auf  dem 
Durchschnitte  eine  mit  geronnenem  Blute  gefüllte  Höhle  zeigte. 
Die  männliche  Frucht  zeigt  folgende  Beschaffenheit: 
Ueber  die  ganze  Oberfläche  des  Körpers  verbreitet  er- 
hoben sich  an  verschiedenen  Stellen  taubeneigrosse  fluetuirewte 
Geschwülste,  die  von  normaler  Haut  bedeckt,  sich  beim 
Einschneiden  als  Kysten  darstellten ,  die  ein  gelbliches  durch- 
sichtiges Serum  entleerten  und  ein  eigentümliches  gross- 
maschiges  Gewebe  zurückliessen.  Solcher  Tumoren  fanden 
sich  zwei  kleinere  und  am  Halse  je  ein  grosserer  auf  beiden 
Thoraxseiten  von  der  Brustwarze  bis  in  die  Achsei  reichend. 
Der  rechte  Ann  war  ziemlich  voluminös  und  die  Finger  der  Hand 
sehr  ungleich  entwickelt,  so  dass  die  beiden  grössten  (dritte 
und  vierte)  bedeutend  die  normale  Grösse  überschritten,  während 
die  drei  anderen  die  proportionale  Grösse  besassen.  Der  linke 
Arm  hingegen  war  etwas  kleiner  und  ebenso  die  entsprechende 
Hand ,  an  der  nur  der  Zeigefinger  beträchtlich  vergrössert  war. 
Die  Haut  der  unteren  Körperhälfte  zeigte  fast  in  der 
ganzen  Ausdehnung  eine  dunkel  blaurothe  Färbung,  offenbar 
beruhend  auf  ektatischen  Zuständen  der  Hautgefasse;  ein- 
geschnitten entleerte  hier  die  Haut  wie  das  Unterhantzellgewebe 
sehr  viel  zum  TheiJ  geronnenes  Blut.  An  einzelnen  Stellen, 
namentlich  an  den  Waden,  waren  grössere  Kysten  theils  mit 
klarem,  bräunlichem,  theils  mit  hämorrhagischem  Inhalte 
vorhanden;  andere  Theile  zeigten,  nachdem  das  Blut  aus- 
gedrückt war,  ein  grob  cavernöses  Ansehen.    Namentlich  war 

12* 


172  VIII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

letzteres  an  den  fast  schwarzroth  gefärbten  Füssen  der  Fall; 
jederseits.  waren  nur  ein  grösserer  Zehen  (dem  ersten  ent- 
sprechend) und  ein  kleinerer  vorhanden. 

Heber  die  Natur  dieser  Affection  waren  die  Ansichten 
getheilt.  Herr  Martin  hielt  sie  für  Cystosarconi,  Herr  GurU 
für  Cystohygrom  und  glaubte,  dass  namentlich  die  beiden 
grossen  Geschwülste  auf  dem  Thorax  von  den  betreffenden 
Achselgegenden  ausgingen.  Herr '  v.  Recklinghausen  hielt 
sie  für  eine  Entartung  des  Bindegewebes  mit  Kystenbildung 
(vielleicht  Cystomyxom)! 

Das  Präparat  wurde  Herrn  v.  Recklinghausen  zur 
genaueren  Untersuchung  übergeben.  Wir  geben  hier  das 
Resultat  seiner  Untersuchung,  welches  er  in  der  Sitzung  am 
17.  Juui  der  Gesellschaft  vorlegte. 

An  den  inneren  Organen  fanden  sich  wesentliche  Ver- 
änderungen am  Circulationsapparate.  Das  Herz  selbst  war 
zwar  normal  gebaut,  ebenso  die  grösseren  Arterienstämme, 
sammt  dem  Ductus  arteriosus,  dagegen  zeichneten  sich  beide 
Art.  iliacae  extern.,  namentlich  aber  die  Femorales  durch  eine 
exquisite  Kleinheit  aus  (ihr  Durchmesser  betrug  kaum  die 
Hälfte  der  Art.  brachial.).  Beide  Venae  iliacae  waren  sehr 
weit,  von  der  linken  ging  ein  weiter  Stamm  aus,  welcher 
nach  Aufnahme  der  linken  Nierenvene  entsprechend  der 
Hemiazygos  in  die  Brusthöhle  emporstieg,  sich  hier  aber  über 
die  hinteren  Theile  der  linken  oberen  Rippen  nach  aussen 
wandte,  um  dann  in  die  Subclavia  sin.  zu  münden.  Rechter- 
seits  stieg  die  durch  die  Vereinigung  der  beiden  Iliacae  ge- 
bildete weite  Yen.  cava  neben  der  Wirbelsäule  empor,  nahm 
die  rechte  Nierenveue  auf  und  gelangte  dann  durch  das 
Zwerchfell  in  die  Brusthöhle,  um  entsprechend  der  Vena  azygos 
als  ein  sehr  weiter  Stamm  bis  zu  den  oberen  Brustwirbeln 
zu  verlaufen  und  alsdann  gleichzeitig  mit  der  Subclavia  und 
Jugularis  dexlr.  die  Cava  superior  zu  bilden.  (Ob  gar  keine 
Verbindung  dieses  Stammes  mit  der  aus  den  Lebervenen 
zusammengesetzten  eigentlichen  Cava  inferior  innerhalb  der 
Bauchhöhle  vorhanden  war,  lässt  sich  durch  einen  Zufall 
nicht  mehr  angeben.)  In  jene  Cava  superior  trat  noch  ein 
von  links  kommender  kleiner  Stamm,  die  Ven.  jugular.  sioistr. 
ein.     Dagegen  verlief  der  aus  der  Subclavia  sinistr.  und  der 


für  Gebartabülf©  in  Berlin.  173 

Hemiazygos   gebadete  Venenstamm   aussen  am  linken  Vorhof 
unmittelbar    über   den    Eintrittstellen    det   Längenvenen    um' 
das  Herz   herum   zum   rechten  Vorhofe,   um  gleichzeitig  mit 
der  Ven.  cava  infer.  einzutreten. 

Die  Nervenstämme  Hessen  durchaus  keine  Abnormitäten 
erkennen,  auch  nicht  diejenigen,  welche  zu  den  hypertrophischen 
Fingern  gelangten.  Das  Gehirn  sammt  dem  Schädel  bot  nichts 
Abnorme«.     An  den  Lungen  kleine  lufthaltige  Stellen. 

Auffallend  waren  die  Abnormitäten  im  Bindegewebe  und 
in  den  Lymphdrüsen.  Letztere  waren  in  entschieden  spär- 
licher Zahl  im  Mesenterium  vorhanden,  an  der  Lendenwirbel- 
säule,  am  Ellenbogen,  in  der  Unterkiefergegend  Hessen  sich 
ebenfalls  einzelne  erkennen.  Sie  fehlten  aber  vollständig  in 
den  Leistengegenden,  den  Achselhöhlen  und  an  den  unteren 
Theilen  des  Halses.  Dafür  waren  gerade  die  beiden  zuletzt 
erwähnten  Theile  eingenommen  von  zahlreichen  Kysten,  welche, 
dicht  nebeneinander  gelagert,  meist  eine  klare  Flüssigkeit 
enthielten.  Die  Wandungen  derselben  waren  innen  glatt, 
meist  sehr  dünn,  mit  kleinen  Leisten,  oft  mit  kleinen,  Gefass- 
öflhungen  ähnlichen  Grübchen  und  Aussackungen  versehen. 
In  ihren  Wänden  verliefen  oft  die  grösseren  Gefäss-  und 
Nervenstämme  der  betreffenden  Gegenden  sehr  oberflächlich 
gelagert.  An  einzelnen  dieser  Wandungen  erkannte  man 
.Plaques  aus  ektatischen  Venen  bestehend. 

Die  Innenfläche  aller  Kysten  war  continuirlich  mit  einem 
Epithel,  ähnlich  dem  der  Blut-  und  Lymphgefasse,  versehen. 
Die  Substanz  der  Wand,  eben  so  das  ödematös  erscheinende 
Gewebe  der  grösseren  Tumoren  beider  Axillargegenden  bestajjd 
aus  gewöhnlichem  jungen  Bindegewebe,  in  welchem  hier  und 
da  Häutchen  von  gewöhnlichen  Fettzellen,  zahlreiche  Blut- 
gefässe, zum  Theil  mit  fettiger  Infiltration  der  Wand  ein- 
gesprengt Jagen.  Entschiedene  Schleimreaction  war  nirgends 
deutlich.  In  der  Leistengegend  waren  zwar  grössere  kystische 
Bildungen  nicht  anwesend,  dagegen  fanden  sich  einzelne 
Klürnpchen  oder  vielmehr  Knäuel  von  erweiterten  Venen.  — 
Lymphgefasse  waren  auch  innerhalb  des  ödematösen  Gewebes 
nirgends  zu  erkennen,  selbst  der  Duct.  thoracic,  war  wegen 
der  gallertigen  Beschaffenheit  des  Gewebes  vor  der  Brust- 
wirbelsäule nicht  darzustellen. 


174  vin     Verhandlung*!!  d*r  Gesellschaft 

Die  Verdickungen  des  Nabelstranges  zeigten  sich  mikro- 
skopisch als  Hyperplasieen  des  Schleimgewebes  mit  deutlicher 
Schleimreaclion. 

Die  Untersuchung   ergab   also   eine   multiple  Kysten- 
bildung   im  Bindegewebe   und   zwar   am   reichlichsten   in 
den  Achsel-  und  Jugulargegenden,  in  welchen  gleichzeitig  die 
Lymphdrüsen  fehlten.   Letzterer  Umstand  dürfte  dafür  sprechen, 
dass  die  Entstehung  der  Kysten  zu  dem  lymphatischen  Apparate 
in    enger    Beziehung    steht.      Weiterhin    waren    ekta tische 
Zustände   der   venösen   und    capillaren  Blutgefässe, 
namentlich   an   der  Haut  und  dem  Unterhauthindegewebe  der 
unteren    Körperhälfte    vorhanden,    welche    sich    oft   mit    der 
Kystenbildung  complicirten.    Endlich  fanden  sich  Abnormitäten 
in  dem  Verhalten  der  grösseren  Venenstämme,  so  wie  einzelner 
Arterien. 

Herr  Riedel  verlas  eine  von  Dr.  Samehon  eingeschickte 
Abhandlung  über  einen 

Fall  von   bilateralem   Cephalaemajom. 

Der  Fall  bot  ausser  dem  Vorhandensein  zweier  Cephalae- 
matome,  deren  eines  bei  der  Geburt,  deren  anderes  erst  am 
sechsten  bis  siebenten  Tage  bemerkt  wurde,  nichts  von  be- 
sonderem Interesse  dar.  Die.  das  Kind  zuerst  behandelnden 
Aerzte  hatten  an  eine  mögliche  Communication  mit  der 
Schädelhöhle  gedacht,  und  da  das  Allgemeinbeliuden  des  Kindes 
eine  übele  Prognose  bedingte  einen  Probeeinstich  vorgenommen, 
der  sich  aber,  nachdem  wenige  Tropfen  Blutes  entleert  waren, 
wieder  geschlossen  hatte.  Herr  Samehon  hinzugerufen, 
diagnosticirte  doppeltes  Cephalaematoni  und  begründete  seine 
Ansicht  durch  die  zwischen  beiden  Anschwellungen  verlaufende 
Rinne  und  die  beiden'  an  dieser  Stelle  deutlich  fühlbaren 
Knochenringe.  Er  empfahl  Schmucker' sehe  Umschläge  nebst 
einer  passenden  gegen  die  inneren  Störungen  gerichteten 
Behandlung.  Später  wurden  die  kalten  Umschläge  mit  lau- 
warmen Fomenten  von  Chamilleninfusum  mit  Spiritus  cam- 
phoratus  vertauscht  und  das  Kind  genas  innerhalb  sechs  Wochen 
vollständig. 

Herr  Samehon  vermuthet  einen  Zusammenhang  zwischen 
der  Entstehung   des  Cephalaematoms   mit   einer  Neigung  zu 


für  Geburtehülfe  in  Berlin.  175 

Blutung,  die  sich  bei  beiden  Eltern  des  Kindes  durch  häufiges 
Nasenbluten  und  schwer  zu  stillende  traumatische  Blutungen 
ausgesprochen  hatte. 

Herr  H.  Strassmann  erwähnt,  dass  bilaterale  Cephalae- 
matome  nach  den  Beobachtungen  im  Hauner' schon  Kinder- 
.  spitale  zu  den  grössten  Seltenheiten  gehörten.  Er  habe  aus 
dem  Berichte  ersehen,  dass  unter  29,000  kranken  Kindern, 
die  dort  behandelt  wurden,  nur  drei  mit  bilateralem  Cephalae- 
matom  gewesen  seien.  Interessant  sei,  dass  in  einem  Falle 
der  Einfluss  verschiedenartiger  Behandlung  nebeneinander 
beobachtet  wurde.  Bei  einem  Kinde  wurde  nämlich  die  eine 
Seite  durch  Incision  entleert  und  heilte  in  3 — 5  Tagen,  die 
andere  wurde  mit  Umschlägen  von  Salmiak  und  Tincturen  etc. 
behandelt  und  zertheilte  sich  erst  in  5 — 8  Wochen. 

Herr  Martin  hält  sich  in  Folge  seiner  Beobachtungen 
über  Cephalaetoma  neonatorum  zu  der  Annahme  berechtigt, 
dass  die  Entstehung  dieser  Blutansammlung  zwischen  Schädel- 
knochen und  Beinhaut  in  der  grossen  Mehrzahl  der  Fälle 
auf  einer  Gefässzerreissung  in  Folge  von  Verschiebung  oder 
Druck  der  genannten  Gebilde  bei  dem  Durchgange  des  Kopfes 
durch  den  Beckenkanal  beruhe;  in  einem  vor  der  Eröffnung 
durch  anderweite  Erkrankung  lötitlich  endenden  Falle  von 
Sturzgeburt  fand  sich  sogar  ein  Knochenbruch  mit  innerem 
und  äusserem  Gephalaemalom.  Da  man  aber  bei  Seelionen 
von  Leichen  Neugeborener  sehr  häufig  kleine  flache  Blutergüsse 
zwischen  Granium  und  Pericranium  findet,  welche  im  Leben 
wegen  der  Geringfügigkeit  des  ergossenen  Blutes  nicht  zu 
entdecken  gewesen  wären,  so  hat  man  ein  zweites  Moment 
aufzusuchen,  welches  jene  kleinen  Blutaustretungen  zu  einer 
deutlich  fühl-  und  sichtbaren  Geschwulst  bringt.  Herr  Martin 
sieht  dies  in  den  bei  Neugeborenen  so  häufig  eintretenden 
Blutstauungen  in  Folge  von  behinderter  Respiration.  Mit  dieser 
Anschauung  stimme  unter  Anderem  auch  das  in  den  ersten 
Lebenstagen  bemerkte  allmäligeWachsthum  des  Cephalaematoms. 
Was  die  Therapie  betrifft,  so  hat  Herr  Martin  zwar  auch 
in  einzelnen  Fällen  exspeclativ  verfahren  oder  ausschliesslich 
arzneüiche  Verordnungen,  z.  B.  Umschläge,  in  Anwendung 
gezogen  und  dabei  bisweilen  eine  raschere  oder  langsamere 
Resorption  des  ergossenen  Blutes  beobachtet,  allein  gewöhnlich 


176  VIII.    Vorhandlongen  der  Gesellschaft 

zog  sich  die  Rückbildung  so  lange  hin  und  verunstaltete  den 
Kopf  für  Jahre  lang  der  Art,  dass  er  diese  Methode  aufgab 
und  wie  bereits  in  einzelnen  früher  zur  Behandlung  gekommenen, 
so  in  allen  Fällen  während  der  letzten  zwölf  Jahre  zur  Punction 
und  Entleerung  des  Inhaltes  schritt  Diese  nehme  er  jedoch 
nie  vor  dem  neunten  oder  zehnten  Tage  vor,  da 
man  erst  um  diese  Zeit  ein  weiteres  Wachsthum  der  in  Rede 
stehenden  Geschwülste  nicht  mehr  bemerke.  Die  Punction 
geschah  stets  mit  einer  gewöhnlichen  Abscesslaucette  und  die 
Oeffnung  wurde  nur  3 — 5'"  gross  gemacht.  Nach  Ab* 
fluss  des  in  allen  Fällen  schwärzlich  rothen,  nicht  geronnenen 
Blutes,  welches  auch  wohl  durch  sanftes  Streichen  heraus- 
gedrückt wurde,  habe  er  die  kleine  Wunde  mit  einem  kleinen 
Heftpflaster  geschlossen  und  bei  diesem  Verfahren  stets  Heilung 
ohne  übele  Zufalle  und  ohne  weitere  Nachbehandlung  beobachtet. 
Die  Debatte  drehte  sich  nun  um  die  Vorzüge  des  activen 
und  passiven  Verfahrens.  Beide  fanden  ihre  Verfechter  wie 
in  früheren  Sitzungen  (52,  61)  ohne  dass  indes«  wesentlich 
neue  Ansichten  aufgestellt  wurden. 


Herr  Riedel  erzählt  folgenden 

Fall  von  Eclampsia 

Eine  22jährige  Erstgebärende,  die  als  Mädchen  häufig 
an  Kopfschmerz  und  Obstipation  gelitten  hatte,  sonst  stets 
gesund  war,  hatte  während  ihrer  Schwangerschaft  viel  an 
Erbrechen,  Schwindel  und  Kopfschmerzen,  die  sich  einmal 
bis  zum  bewusstlosen  Hinfallen  steigerten,  zu  leiden.  Mit 
dem  Ende  des  dritten  Monats  legten  sich  diese  Beschwerden 
mehr  und  mehr  uud  erst  gegen  Ende  der  Schwangerschaft 
trat  wieder  lebhafterer  Kopfschmerz  und  Oedem  der  Füsse 
ein;  Urinabsonderung  dabei  spärlich.  Die  Geburt  selbst  war 
in  zwei  Stunden  beendet;  die  Kreissende  hatte  bei  jeder  Wehe 
heftige  Kopfschmerzen  und  grosse  Empfindlichkeit  der  Genitalien, 
doch  verlief  die  Geburt  ohne  bedrohliche  Erscheinungen,  so 
dass  die  Hebamme  die  Wöchnerin  nach  einer  Stunde  verliess. 
Bald  darauf  trat  ein  kurzer  eclamp  tisch  er  Anfall  ein,  das 
Bewusslsein  kehrte  zurück,  doch  eine  halbe  Stunde  später 
trat   ein   zweiter   heftigerer  Anfall  ein,   so  dass  Herr  Riedel 


für  Geburtflhülfe  in  Berlin.  177 

zur  Wöchnerin  gerufen  wurde.  Er  fand  sie  mit  ruhigem 
Pulse,  rothem  Gesichte,  ohne  Sopor,  sie  gab  richtige  Antwort 
auf  seine  Fragen  und  wies  auf  ihren  Kopf  als  Sitz  eines 
Schmerzes.  Die  Untersuchung  der  Genitalien  war  sehr  empfind- 
lich, sonst  aber  ohne  Resultat,  rief  auch  keinen  neuen  Anfall 
hervor,  so  dass  Herr  Riedel  die  Kran  kr  nach  einer  Stunde 
verliess.  Zwei  Stunden  später  wurde  er  wieder  gerufen,  fand 
die  Kranke  nach  einem  dritten  Anfalle  soporös,  tief  schnarchend, 
mit  vollem  beschleunigtem  Pulse  -  und  blaurothem  Gesichte, 
so  dass  er  einen  Aderlass  von  drei  Tassen  Blut  anstellte. 
Schon  während  dieser  Operation  kam  Patientin  zu  sich  und 
äusserte  ihr  Wohlbehagen;  es  wurden  noch  15  Blutegel  an 
den  Kopf  gesetzt,  worauf  das  Bewusstsein  mehr  und  mehr 
klarer  wurde.  Sie  erhielt  darauf  sechs  Mal  1  Gran  Opium 
stündlich,  eine  Eisblase  auf  den  Kopf  und  verfiel,  ohne  einen 
weiteren  Anfall  zu  erleiden,  nach  dem  sechsten  Pulver  in 
einen  tiefen  Schlaf,  aus  dem  sie  als  Reconvalescentin  erwachte. 

Herr  Riedel  hatte  die  Kranke  leider  erst  nach  der 
Entbindung  zum  ersten  Male  gesehen,  stellte  indess  am 
zweiten  Tage  nach  derselben  eine  Untersuchung  des  Urins 
an  und  fand  ihn  frei  von  Eiweiss;  auch  das  Oedem  der  Fusse 
war  vollständig  geschwunden.  Er  glaubt  deshalb  auch,  dass 
vorher  keine  Brighf&che  Entartung  der  Nieren  bestanden 
haben  könne,  da  diese  jedenfalls  sich  nicht  so  schnell  zurück- 
gebildet haben  würde.  In  der  Sitzung  am  23.  März  1858 
habe  Litzmann  zwei  Fälle  von  Eclampsie  mitgetheilt  und 
darunter  einen,  bei  dem  sich  nur  Spuren  von' Eiweiss  im 
Harne  vorfanden.  Litzmann  scheine  auch  dort  eine  Harnstoff- 
intoxication  als  Grund  der  Eclampsie  anzusehen;  den  oben 
mitgetheilten  Fall  deute  er  (Riedel)  indess  durch  reine  Con- 
geslion  nach  dein  Gehirne,  und  hierfür  spreche  der  Erfolg  der 
eingeschlagenen  Behandlung,  die  einerseits  directe  Depletion, 
andererseits  Beruhigung  der  nervösen  Exaltation  bezweckt 
und  so  auch  die  Heilung  herbeigeführt  habe. 

Herr  L.  Mayer,  der  die  Albuminurie  zum  Gegenstaude 
seiner  Dissertation  (1853)  gewählt  und  eine  längere  Zeit  im 
Wiener  Gebärhause  Studien  an  Eclamptischen  'angestellt  hatte, 
gicbt  an,  dass  er  nie  einen  Fall  von  Eclampsie  gesehen  habe, 
wo  nicht  Eiweiss  im  Urine   nachzuweisen  war.    "Eines  Falles 


178  VIII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft' 

erinnere  er  sich  allerdings,  wo  die  Untersuchung  kein  Eiweiss 
ergab;  da  sich  indess  später  herausstellte,  dass  Patientin 
schon  froher  wiederholt  an  epileptischen  Anlallen  gelitten 
hatte,  so  sei  es  zweifelhaft,  ob  er  als  Eclarapsie  aufgefasst 
werden  dürfe. 

Herr  Martin  J6t  mit  Herrn  Riedel  der  Ansicht,  dass 
nicht  alle  Convulsionen  Gebärender  unter  dem  Namen  Eclampsie 
zusammenzufassen  seien.  Eiweiss  im  Urine  allein  entscheide 
gar  nicht,  denn  dies  lande  sich  bei  vielen  Schwangeren,  die 
normale  Entbindungen  überständen,  erst  Faserstoffcylinder 
berechtigten  eine  tiefere  Nierenaflection  anzunehmen.  Wo 
diese  aber  fehlten,  müsse  man  auch  andere  als  urämische 
Ursachen  suchen,  und  so  glaube  er,  dass  in  solchen  Fällen 
die  Bezeichnung  als  Meningitis  oder  sonstiger  Krampfformen 
mehr  am  Platze  sei,  z.  B.  in  dem  vorher  mitget  heilten  Falle. 

Herr  H.  Strassmann  hat  im  Ganzen  sieben  Fälle  von 
Eclampsie  beobachtet;  in  allen  war  Brighf sehe  Nieren- 
erkrankung vorhanden.  In  den  ersten  drei  Fällen  wendete  er 
den  Aderlass  an,  sämmtliche  drei  aber  starben  und  zwar 
zwei  am  dritten  Tage  unter  den  Erscheinungen  gestörter 
Herzthätigkeit  Die  Section  habe  compensatorische  Hyper- 
trophie des  linken  Ventrikels  und  seröse  Ergüsse  im  Abdomen 
erwiesen.  Er  glaube  also,  da  Hypertrophie  des  Herzens  bei 
Morbus  Brightii  oft  gefunden  werde  und  Eclampsie  in  der 
Regel  auf  einen  Morbus  Brightii  zurückzuführen  sei,  dass  der 
Aderlass  nur  schädlich  wirken  könne.  Opium  hingegen  habe 
er  mehrfach  mit  sehr  günstigem  Erfolge  angewendet,  und  wo 
er  es  nicht  durch  den  Mund  habe  beibringen  können,  es 
per  anum  applicirt;  vom  Chloroform  indess  habe  er  keine 
günstigen  Resultate  gesehen. 

Herr  Martin  findet  die  Zahl  von  sieben  Beobachtungen 
zu  gering,  um  daraus  allgemeine  Schlüsse  über  die  Zweck- 
mässigkeit einer  bestimmten  Behandlungsweise  zu  ziehen. 
Blutentziehungen  bei  apopleklischem  Habitus,  strotzenden 
Carotiden  und  blaurothem  Gesichte  seien  nicht  zu  umgehen 
und  namentlich  örtlichen  Blutentziehungen  könne  er  die 
günstige  Wirkung  nicht  absprechen.  Wenn  Herr  Strassmann 
seröse  Ergüsse  in  die  Bauchhöhle  als  Folge  der  von  ihm 
gemachten  Aderlässe  ansehe,  so  entgegne  er,  dass  diese  auch 


für  Geburtebülfe  in  Berlin.  170 

ohne  Blutentziehungen  vorkämen ;  übrigens  komme  er  auf  die 
vorhin  geäusserte  Ansicht  zurück  und  empfehle  eine  Indivi- 
dualisirung  der  Kranken. 

Herr  L.  Mayer  hat  sowohl  das  Chloroform  als  auch 
Blutentziehungen  in  Wien  sehr  häufig  gegen  Eclampsia  an- 
wenden sehen  und  zwar  bei  der  Geburt  wie  im  Wochenbette. 
Bei  beiden  seien  sowohl  günstige  als  ungünstige  Erfolge 
eingetreten.*  Was  das  Vorkommen  von  Eiweiss  bei  nicht 
iSdamptischen  betreffe,  so  wolle  er  noch  einer  Beobachtung 
Erwähnung  thun.  Er  habe  nämlich  öfter  den  während  einer 
Entbindung  gelassenen  Harn  Gesunder  untersucht  und  ver- 
häJtniss massig  oft  bei  diesen  ein  ganz  vorübergehendes  Auf- 
treten von  Eiweiss  beobachtet. 


Sitzung  vom  17.  Juni  1862. 

Herr  C.  Mayer  bemerkt  zum  Protocolle  der  letzten 
Sitzung,  dass  er  in  früheren  Jahren  oft  Gelegenheit  gehabt 
habe,  die  Eclampsia,  part.  zu  beobachten.  Er  habe  damals 
in  der  Rusf sehen  Zeitung  einen  grosseren  Aufsatz  darüber 
und  eine  Reihe  von  Fällen  veröffentlicht  und  entsinne  sich, 
wiewohl  er  die  einzelnen  Fälle  nicht  mehr  im  Gedächtnisse 
habe,  doch  sehr  deutlich,  dass  in  den  meisten  Fällen  sehr 
energische  Aderlässe  angewendet  seien.  Dass  nicht  alle 
Kranken  dadurch  gerettet  seien,  könne  die  Nützlichkeit  der 
damals  gebräuchlichen  Behandlungsweise  nicht  in  Frage  stellen. 
In  einem  Falle  in  des  alten  Hörn  Praxis  habe  er,  er  könne 
nicht  angeben,  ob  drei  oder  vier  Venäsectionen  gemacht, 
dann  Blutegel  applicirt,  so  dass  Hom,  der  durchaus  kein 
Gegner  der  Blutentziehungen  gewesen,  doch  den  Tod  der 
Kranken  prophezeit  habe.  Nichtsdestoweniger  sei  sie  voll- 
kommen genesen.  Harnuntersuchungen  babe  man  freilich 
damals  noch  nicht  angestellt,  und  so  könne  er  allerdings 
nicht  behaupten,  dass  auch  jedes  Mal  Eiweiss  im  Urine  vor- 
handen gewesen  sei. 

Herr  Wegscheider  verweist  auf  die  in  früheren  Sitzungen 
stattgehabten  Debatten  über   diesen  Gegenstand.     Er  glaube, 


180  VIII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

dass  die  Scheu  vor  Blutentziehungen  mehr  aus  theoretischen 
Gründen  herrühre.  Seit  die  Bright'sche  Krankheit  als  Causa 
proxima  beansprucht  werde,  scheue  man  den  Aderlass  und 
bedenke  nicht,  dass  eine  directe  Depletion  des  Gehirns,  auch 
wenn  sie  nur  durch  einen  in  anderer  Beziehung  contraindicirten 
Aderlass  erzielt  werde,  doch  als  nächste  fndication  gerecht- 
fertigt  sein  könne.  Ihm  habe  die  Natur  die  Richtigkeit  in 
einem  Falle  sehr  deutlich  erwiesen.  Eine  Eclantptische ,  bei 
der  er  sich  eben  zum  Aderlasse  rüstete,  wurde  von  einem 
heftigen  Blutsturze  belallen  und  genas. 

Herr  Strassmann  verwahrt  sich,  dass  er  nur  über  die 
von  ihm  beobachteten  Fälle  sein  Urtheil  abgegeben  habe.  In 
diesen  Fällen  sei  Morbus  Brightii  vorhanden  gewesen  und 
eine  compensatorische  Hypertrophie  des  linken  Ventrikels 
durch  die  Seclion  nachgewiesen,  dass  der  Aderlass  hier  die 
hydropischen  Ansammlungen  begünstigt  habe,  sei  ihm  nicht 
zweifelhaft,  und  er  würde  ihn,  sobald  die  gleiche  Diagnose 
festgestellt  sei,  ebenso  vermeiden,  wie  man  bei  Männern  oder 
nichtschwangeren  Frauen,  die  an  Morbus  Brightii  litten,  eben- 
falls keinen  Aderlass  anwenden  werde. 

Herr  L.  Mayer   findet  letzteren  Ausspruch   zu  schroff 

hingestellt,   da   es  immerhin  fraglich  sei,  ,ob  Morbus  Brightii 

oder  Eclampsie  das  Primäre  sei.     In  Fällen,  wo  das  letztere, 

stattfinde,    würde    oft    der    Aderlass    trotz    Morbus  Brightii 

gerechtfertigt  sein. 

i 

Herr  Körte  giebt  zu,  dass  in  einzelnen  Fällen  durch 
Morbus  Brightii  eine  Hypertrophia  conlis  bedingt  werde;  so 
allgemein  könne  man  aber  diese  Folge  nicht  hinstellen.  Es 
gehöre  jedenfalls  eine  lange  Zeit  des  Bestehens  des  Nieren- 
leidens dazu,  einen  Einfluss  auf  die  Herzmuskulatur  auszuüben; 
wie  viele  Fälle  treten  aber  in  verhältnissmassig' so  kurzer  Zeit 
auf,  dass  an  diese  Folgekrankheit  nicht  gedacht  werden  könne. 
Ferner  glücke  es  doch,  viele  Eclamptische  zu  retten  und  zur 
vollkommenen  Gesundheit  zurückzuführen;  sollte  nun  bei  allen 
diesen  eine  Hypertrophie  des  Herzens  bestehen,  so  möchten 
die  günstigen  Erfolge  sehr  fraglich  sein. 

üebrigens  sei  er  kein  entschiedener  Verfechter  des  Ader- 
lasses,  habe   ihn   allerdings  bei  robusten  vollblütigen  Frauen 


für  GeburUhülfe  in  Berlin.  181 

angewendet,   in    anderen   Fällen   indess   käme   er  mehr  auf 
roborirende  Behandlungsweise  und  Eigenmittel. 


Herr  H.  Strassmann  berichtet  über  folgenden 
Fall  von  Ruptura  uteri. 

In  der  Sitzung  vom  9.  Juli  1861  hat  Herr  Dr.  L.  Mayer 
einen  Fall  von  künstlicher  Frühgeburt  mitgetheilt,  deren  Ein- 
leitung durch  eine  von  der  inneren  Fläche  des  Kreuzbeins 
ausgehende  fibröse  Geschwulst  bedingt  war,  welche  Geschwulst 
stetig  wuchs  und  schliesslich  die  Conjugata  vera  bis  auf  3"  4'" 
verkürzt  hatte. 

Die  genauere  Beschreibung  des  gedachten  Falles  findet 
sich  im  Protocoll  der  Sitzung  im  Novemberheft  der  Zeitschrift 
für  Geburtskunde,  1861,  S.  354. 

Von  der  a.  a.  0.  niedergelegten  sehr  sorgfältigen  Kranken- 
geschichte erlaube  ich  mir,  die  nachfolgenden  Data  hier  zu 
recapituliren. 

Frau  S.  ist  33  Jahre  alt,  will  in  der  Jugend  stets  gesund 
gewesen  sein  und  ihre  Menses  mit  dem  18.  Jahre  bekommen 
haben.  Im  26.  Lebensjahre  gebar  dieselbe  schwer,  aber  ohne 
Kunsthülfe  einen  lebenden  Knaben,  während  die  zweite  Ent- 
bindung nur  „nach  voraufgegangener  Perforation  des  Schädels 
des  ungewöhnlich  starken  Knaben  durch  zwölfstündige  Zangen- 
tractionen"  beendet  werden  konnte.  Höchst  wahrscheinlich 
in  Folge  dieser  schweren  Entbindung  acquirirte  Frau  S.  eine 
profus  eiternde  Vaginalfistel,  zu  decen  Beseitigung  sie  die 
Hülfe  des  Dr.  L.  Mayer  in  Anspruch  nahm.  M.  fand,  dass 
diese  Fistel  zu  einer  am  letzten  Lenden-  und  ersten  falschen 
Kreuzbeinwirbel  sitzenden  Geschwulst  führte,  die*  von  „Knorpel- 
consistenz  war,  einen  Querdurchmesser  hatte,  der  etwa  dem 
Abstände  beider  Kreuzdarmbein -Verbindungen  entsprach,  eine 
rundliche  Gestaltung  besass,  mit  unregelmässigen  Hervor- 
ragungen und  weicheren,  wie  sehnige  Gebilde  erscheinenden 
Fortsätzen  in  die  Umgebungen.  Der  obere  Theil  des  hinteren 
Scheidengewölbes  war  an  diesen  Tumor  angelötbet,  ebenso 
das  untere  hintere  Uterinsegment.  Die  Vaginalportion  stand 
unbeweglich  nach  hinten  und  links".  Die  Beckenmessung  ergab 
damals   folgende    Maasse:    „Aeussere    Conjugata   =  8"  2 


m 


182  VIII.    Verhandlangen  der  Gesellschaft 

der  Abstand  der  Spin.  il.  super.  =  11"  6W,  der  Trochanteren 
=  12"  9'",  die  Conjugata  des  Beckeneinganges  =  3"  8  —  9*', 
die  schrägen  Durchmesser  jederseits  beiläufig  4 — ^/z",  der 
quere  Durchmesser  etwa  4 — 5".  Mithin  lag  ein  geringer 
Grad  von  allgemein  zu  engem  Becken  vor,  hei  dem  die 
Conjugata  um  9 — 10'"  verkürzt  war." 

In  der  Mitte  der  dritten,  sieben  Monate  nach  der  zweiten 
Entbindung  beginnenden  Schwangerschaft  entstand  links  vom 
Anus  eine  zweite  Fistel,  die  in  etwas  schräger  Richtung  6* 
bis  gegen  das  Promontorium  drang,  —  die  Conjugata  soll  sich 
in  dieser  Zeit  (durch  Wachsthum  des  oben  beschriebenen 
Tumors)  bis  auf  3"  6'"  verkürzt  haben. 

Da  Frau  S.  in  die  von  M.  vorgeschlagene  künstliche 
Einleitung  der  Frühgeburt  nicht  willigte,  so  musste  bei  der 
am  rechtmässigen  Ende,  Januar  1860,  erfolgten  Entbindung 
der  Kopf  des  wiederum  sehr  starken  Knaben,  nach  fruchtlosen 
Zangenversuchen,  mittels  Kephalothrypsie  entwickelt  werden. 
Zwanzig  Tage  nach  dieser  Entbindung  konnte  Frau  8.  das 
Bett  wieder  verlassen. 

Die  oben  erwähnte  Vaginalfistel  verheilte  später  aümälig, 
während  die  am  Anus  persistirte. 

Mitte  April  1860  wurde  Frau  8.  zum  vierten  Male 
schwanger.  Die  Conjugata  maass  zu  dieser  Zeit,  wie  M. 
angiebt,  3"  4W.  Da  Frau  8.  ncmmehr  zur  Einleitung  der 
künstlichen  Frühgeburt  ihre  Erlaubniss  gab,  so  wurde  am 
16.  December  desselben  Jahres  mittels  Injectionen  von  warmem 
Wasser  in  den  Uterus* die  Geburtsthätigkeit  angeregt.  Wegen 
Querlage  der  Frucht  machte  M.  später  die  innere  Wendung 
auf  den  Kopf,  um  die  Austreibung  des  Kindes  wo  möglich 
der  Natur  zu  überlassen.  Da  indessen  die  Geburt  wegen 
Webenstörung  sehr  langsam  verlief  und  die  Herzthätigkeit  am 
folgenden  Tage  bis  auf  80  Schläge  in  der  Minute  gesunken 
war,  wurde  die  Zange  angelegt,  ohne  dass  es  aber  gelang, 
sie  zum  Schluss  zu  bringen.  Die  Ausstossung  des  todten 
Kindes  erfolgte  am  Tage  darauf  durch  die  mittlerweile  regulirte 
Wehenthätigkeit.  —  Das  Puerperium  verlief  normal.  Frau  8. 
befand  sich  bis  zum  April  1861  völlig  wohl.  Die  Geschwulst 
nahm  nicht  mehr  zu. 


für  Geburtshfilfe  in  Berlin.  188 

Soweit  M.'s  Referat.  Ich  gebe  nun  die  weitere  Lebens- 
geschichte der  Frau  S.,  soweit  sie  uns  in  Röcksicht  auf  den 
lethalen  Ausgang  interessirt 

Am  2.  April  1861  trat  die  Regel  zum  letzten  Haie  ein. 
Die  darauf  folgende  (fünfte)  Schwangerschaft  verlief  ohne  alle 
Störungen.  Trotz  der  dringendsten  Torstellungen  Seitens 
ihres  Mannes  konnte  sich  Frau  S.  zur  vorzeitigen  künstlichen 
Unterbrechung  der  Schwangerschaft  nicht  entscMiessen.  Die 
Fistel  am  Anus*  war,  wie  schon  erwähnt,  noch  vorhanden  und 
entleerte  eine  massige  Menge  Eiters. 

In  der  Nacht  vom  10.  zum  11.  December,  also  circa 
vier  Wochen  vor  dem  normalen  Schwangerschaftsende,  traten 
.  ohne  Veranlassung  Wehen  auf,  die  indessen,  wie  begreiflich, 
die  Geburt  nicht  herbeiführten,  so  dass  am  Morgen  des  11. 
Herr  Dr.  K.  zur  Beendigung  derselben  gerufen  wurde. 
College  2T.  fand  die  Kreissende  ohne  Wehen,  den  Muttermund 
hinlänglich  erweitert,  die  Frucht  in  Querlage  mit  vorgefallenem 
Arme,  neben  welchem  ein  Gonvolut  Nabelschnurschlingen  zu 
fühlen  war.  Die  behufs  der  Wendung  eingeführte  Hand  drang 
leicht  ein  und  die  Umlagerung  der  Frucht  sowohl  wie  die 
Extraction  des  Rumpfes  und  die  Lösung  der  Anne  gelang 
ganz  mühelos,  nur  der  nachfolgende  Kopf  war  durch  die 
gewöhnlichen  Handgriffe  nicht  herauszubringen.  Dr.  K.  ver- 
ordnete nach  mehreren  erfolglosen  Versuchen  der  Frau  etwas 
Seeale  cornut.,  gönnte  ihr  einige  Zeit  Ruhe  und  schickte 
mittlerweile  zu  mir.  Als  ich  ankam,  war  bereits  mehr  als 
eine  Stunde  verflossen,  seitdem  der  Kopf  stecken  geblieben 
war.  Ich  erfuhr  nun  von  dem  Gollegen,  dass  während  dieser 
ganzen  Zeit  keine  Spur  von  Wehen  sieb  gezeigt,  dass  dagegen 
die  Halbentbundene  eben  einen  sehr  heftigen  Schüttelfrost 
von  viertelstündiger  Dauer  gehabt,  während  dessen  der  Pols 
zeitweilig  ganz  verschwunden  sein  sollte. 

Ich  selbst  fand  die  Frau  mit  kühler  Haut,  sehr  apathisch 
daliegend,  den  Puls  frequent,  kleiu,  „vix  tangendus,"  wie  der 
College  sich  ausdrückte.  Der  Kopf  des  Kindes  steckte  fest 
im  kleinen  Becken,  mit  dem  Hinterhaupte  in  der  rechten 
Hälfte  desselben.  Das  Promontorium  wegen  des  fest  ein- 
gekeilten Kopfes  nicht  zu  erreichen,  mithin  die  Diagonal- 
conjugata  nicht  zu  messen.     Der  Beckenausgang  erschien  bei 


184  VIII.    VerbftndlungeD  der  Gesellschaft 

.  der  Untersuchung  mit  dem  Finger  erheblich  verengt  durch 
zahlreiche  knotige  Verdickungen,  die  an  der  concaven  Fläche 
dem  Kreuzbeine  fest  aufsassen  und  stellenweise  als  circum- 
scripta kleinere  Tumoren  sich  abhoben. 

Die  bedrohlichen  Zeichen  der  Anämie  glaubte  ich  auf 
Rechnung  einer  intrauterinen  Hämorrhagie  setzen  zu  müssen, 
veranlasst  durch  Ablösung  der  Placenta. 

Nachdem  ich  in  der  Narkose  noch  einmal  versucht  hatte, 
den  Kopf  mit  den  Händen  zu  extrahiren,  und  dieser  Versuch 
misslungen  war,  entschloss  ich  mich,  da  das  Kind  längst 
todt  war  und 'die  Anwendung  der  Zange  bei  den  vorliegenden 
Beckenverhältnissen,  die  ich  aus  der  Beschreibung  des  Dr.  M. 
genügend  zu  kennen  glaubte,  nicht  ratbsam  erschien,  zur 
sofortigen  Anwendung  des  Kephalothryptors.  Nachdem  ich 
die  .  Branchen  im  ersten  Schrägdurchmesser  eingeführt  und 
langsam  comprimirt  hatte,  entwickelte  ich  ohne  alle  Mühe 
den  Kopf.  Die  Löffel  des  Kephalothryptors  hatten  den  Kopf 
zu  beiden  Seiten  gefasst  und  die  Schädelknochen  lagen  zer- 
trümmert in  der  allseitig  unverletzten  Kopfhaut. 

Das  Kind  wog  5  Pfund  28  Loth,  war  vom  Scheitel 
zu  den  Zehen  17"  lang,  mithin  seiner  Grösse  und  seinem 
Gewichte  nach  von  einer  völlig  ausgetragenen  Frucht  wenig 
verschieden.  Die  Placenta  kam  mit  dem  Kinde  heraus,  ohne 
dass  bis  zu  diesem  Moment  ein  Tropfen  Blutes  nach  aussen 
geflossen  wäre. 

Die  Entbundene  erwachte  sehr  bald ,  nachdem  sie  in  die 
horizontale  Rückenlage  gebracht  war,  aus  der  Narkose  und 
äusserte  anfangs  ihre  Freude,  dass  nun  Alles  vorüber.  Sehr 
bald  indess  fing  sie  an,  über  ein  brennendes  Gefühl  im  Larynx 
und  über  Luftmangel  zu  klagen.  Der  Uterus  war  etwas  weich 
und  stand  höher  als  gewöhnlich  nach  der  Entbindung,  nach 
aussen  entleerte  sich  aber  nur  eine  höchst  unbedeutende  Menge 
Blutes.  Cuter  steter  Coinpression  und  Einspritzung  von  kaltem 
Wasser  neben  der  inneren  Darreichung  von  Seeale  cornuL 
verkleinerte  sich  derselbe  und  wurde  fest  Gleichwohl  nahmen 
die  Erscheinungen  der  acuten  Anämie  in  rapidester  Weise  zu: 
die  Oppression  wuchs,  das  Sehvermögen  erlosch,  die  Haut 
wurde  marmorkalt,  Puls  verschwand,  wilde  Jactation  trat  ein. 


für  Gebnrtahülfe  in  Berlin.  185 

Da  von  einer  intrauterinen  Blutung  bei  der  Härte  und 
dem  Stande  des  Uterus  nicht  mehr  die  Rode  sein  konnte, 
nach  aussen  aber  sich  nur  bei  starkem  Reiben  des  Uterus 
sich  einige  Tropfen  Blutes  ergossen,  so  mussteo  wir  auf  eine 
Blutung  in  die  Bauchhöhle,  veranlasst  durch  Ruptura  uteri 
schliessen.  In  der.  Thal  konnte  man  jetzt  beim  tiefen  Ein- 
gehen mit  der  Hand  eine  Continuitätstrennung  an  der  linken 
Seite  des  Ccrvicalkanales  finden,  die  indess  den  Finger  nicht 
in  die  Bauchhöhle  gelangen  liess. 

Wir  gaben  innerlich  Wein  und  andere  Restaura ntien, 
allein  das  fliehende  Leben  liess  sich  dadurch  nicht  aufhalten. 
Nach  kurzer  Agone  starb  Patientin,  eine  halbe  Stunde  nach 
beendigter  Entbindung. 

Nach  aussen  hatte  sich  in  der  ganzen  Zeit  kaum  so  viel 
Blut  ergossen,  als  bei  normaler  Entbindung  die  Aussonderung 
der  Placenta  mit  sich  bringt. 

Bei  der  24  Stunden  nach  dem  Tode  vorgenommenen 
Seclion  zeigten  die  Lungen  nichts  Abnormes. 

Das  Herz  war  schlaff,  seihe  Muskulatur  Mass,  sonst  nicht 
verändert. 

Die  parenchymatösen  Organe  des  Abdomen  und  der  Darm 
anämisch,  aber  normal. 

Uterus  gross*  ohne  Blutcoagula,  an  der  linken  Seite  des 
Cervicalkanales  eine  thalergrosse  durchriebene  Stelle,  die  sich 
nach  oben  bis  gegen  den  inneren  Muttermund  erstreckte, 
den  unteren  Rand  aber  des  äusseren  Muttermundes  unversehrt 
liess.  An  der  Rissstelle  ist  das  Parenchym  des  Uterus  in 
grösserer  Ausdehnung  beträchtlich  verdünnt;  diese  Verdünnung 
nimmt,  je  näher  der  Ruptur,  immer  mehr  zu  und  erstreckt 
sich  sowohl  auf  die  vordere,  als  auf-  die  hintere  Lippe.  Eine 
ähnlich  verdünnte,  aber  kleinere  Stelle  zeigt  sich  auch  an 
dein  rechten  Seitenrande  des  Cervix,  in  Form  einer  gruben- 
artigen Vertiefung,  ohne  Trennung  der  Substanz.  Diese 
veränderte  Beschaffenheit  des  unteren  Uterinsegmentes  war 
augenscheinlich  herbeigeführt  durch  die  an  diesen  Stellen 
sehr  innige  Verwachsung  des  Uterus  mit  der  inneren  Fläche 
des  Kreuzbeins.  Der  Peritonäalüberzug  war  au  der  Rissstelle 
völlig  intact,  ebenso  das  Scheidengewölbe  ohne  Läsionen. 
Das  linke  Lig.  latum  zu  einer  bläulichen  kugeligen  Geschwulst 

MonnUschr.  f.  Öeburttk.   l&tt.   Bd.  XX.,  Hfl.  3.  13 


Igt»  VIII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

ausgedehnt  durch  ßlutextravasat,  welches  sich  von  hier  aus, 
das  unverletzte  Peritonäum  von  den  Bauchwandungen  ab- 
präparirend,  durch  die  linke  Weichengegend  bis  hoch  hinauf 
in  das  linke  Hypochondrium  erstreckte.  Die  Blutung  war 
also  eine  extraperitonäale.  Auch  die  linke  Douglas'whe  Fall** 
der  sehr  verflachten  Excavatio  recto-  uterina  zeigte  Extravasal 
zwischen  ihren  beiden  Blättern.  Die  Menge  des  ergossenen 
Blutes  war  indessen  im  Ganzen  nicht  beträchtlich. 

Sonstige  Veränderungen  waren  am  Uterus  nicht  zu  con- 
statiren,  nur  dass  die  hintere  Partie  des  unteren  Segmentes 
und  das  hintere  Scheidengewölbe  durch  sehr  zahlreiche  feste 
Narbenstränge  mit  dem  Kreuzbeine  innig  verlöthet  waren. 
Das  Periost  des  Kreuzbeins  und  das  die  Beckenhöhle  aus- 
kleidende Zellgewebe  war  sehr  stark  verdickt,  zumal  vom 
zweiten  falschen  Kreuzbeinwirbel  abwärts,  wo  es  an  einzelnen 
Stellen  eine  Dicke  von  4'"  und  darüber  erreichte. 

Von  dem  Tumor,  den  wir  hauptsächlich  suchten,  fand 
sich  nichts;  dagegen  fiel  sofort  die  beträchtliche  Verengung 
des  Beckens  im  geraden  Durchmesser  des  Einganges  auf. 
Die  Conjugata  vera,  an  dem  noch  mit  Weicht  heilen  bekleideten 
Becken  gemessen,  betrug  2"  10'". 

An  dem  .skelettirten  ßecken,  wie  es  jetzt  vorliegt,  ge- 
stalten die  Verhältnisse  sich  folgendermaassen :  Die  Knochen 
sind  im  Ganzen  ziemlich  derb,  nur  an  der  rechten  Darmbein* 
schaufel  macht  sich  eine  stark  durchscheinende  Stelle  be- 
merklich. Die  beiden  Darmbeinscbaufeln  sind  ungleichmässig, 
insofern  als  das  rechte  steiler  auf  die  Ebene  des  fiecken- 
eingauges  aufgesetzt  ist  als  das  linke,  welches  flacher  liegt 
und  auch  etwas  stärker  gewölbt  erscheint.  Die  Linea  in- 
nominata  zeigte  sich  erheblich  verkürzt.  —  Die  vorhandenen 
letzten  beiden  Lendenwirbel  zeigen  eine  leichte  Strophose  nach 
rechts,  wodurch  das  Promontorium  der  rechten  Synchondros. 
sacro-iliac.  etwas  genähert  wird.  Das  Promontorium  selbst 
ragt  stark  in  den  Beckeneingang  hinein  und  zeigt  an  der 
rechten  Seite  eine  stumpfkantige  Hervorragung  des  ersten 
falschen  Kreuzbeinwirbels.  —  Die  beiden  Flügel  des  Kreuz- 
beins zeigen  eine  Verschiedenheit  in  ihren  Dimensionen,  indem 
der  linke  um  3  —  4'"  breiter  ist,  als  der  rechte.  Das  Kreuz- 
bein ist  etwas  über  4"  breit  und  41/*"  hoch.     Sein  erster 


für  Geburtahftlfe  in  Berlin.  187 

und  zweiter  Wirbel  ist  glatt,  die  Knochenmasse  durchaus 
unverändert,  die  drei  letale»  falschen  Wirbel  zeigen  Residuen 
einer  peripherischen  Caries,  die  an  drei  Punkte«,  am  Körper 
des  dritten  und  beiden  Seitentheilan  des  vierten  m  der  Aus* 
dehnung  eines  Sälbersechsers  die  peripherische  Rindenschicht 
zerstört  hat»  so  dass  die  etwas  nüssJbrhige  compacte  Substanz 
sichtbar  wird.  Die  cariösen  Wirbel  sind  stark  porotisob  und 
durch  grosse  Geiässlöcher  wie  wurmstichig.  An  diesen  Stellen, 
oberhalb  der  erwähnten  cariösen  Heerde,  war  ganz  besondere 
die  Verdickung  des  Pariostes  und  des  umliegenden  Bindet» 
gewebes  bemerkbar,  die,  wie  sehe«  erwähnt,  als  kleio* 
Tumoren  imponiren  konnten  und  auch  als  solche  früher  an- 
gesehen worden  sind.  Von  diesen  eartosea,  Heerde»  aus 
wurde  auch  die  Eiterung  unterhalten,  die  ihren  Ausweg  durch 
die  Fisteln  in  der  Scheide  und  am  Damme  gefunden  halte. 

Der  Scbambogen  ist  stark  gewölbt,  die  absteigenden 
Aeste  desselben  und  die  aufsteigenden  des  SiUbens  beträcht- 
lich nach  aussen  eingeworfen. 

Das  Steissbein  ist  vollkommen  normal  ond  mit  dem 
Kreuzbeine  beweglich  nach  aussen  umgeworfen. 

Sonst  zeigt  sich  am  Becken  nichts  Bemefken&werthes. 
Die  Durchmesser  des  skelettirten  ßeokens  zeigen  folgende 
Grösse: 

Spin,  il =  9"  8'".       ' 

Crist.  il ==  9%". 

•Conjugata  ?era#de&  Beckeneinganges    .  .  =  3" — 3"  1'". 

Querdurchmesser  „  „  .  .  =  4"  11 "'— 5". 

Rechter  Schrägdurchmesser  des  Becken- 
einganges     =  4Ya"* 

Linker   Schrägdurchmesser   des  Becken- 
einganges . . .  „ =  4"  r. 

Entfernung  zwischen  beiden  Tub.  oss.  igchii  =  3"  10'". 
„  „  „  Spinae  oss.  ischii  =  3"7W. 

Gerader  Durchmesset*  des  Beckenausganges  =  3"  4W. 

Höhe  der  Symphyse =r  1"  8». 

Dicke    ,.         , =r  5". 

Höhe  des  ganzen  Beckens =  7". 

Senkrechter  Abstand  der  Tub.  oss.  ischii  von 

der  Linea  innominata  derselben  Seite  =  S1/*". 

18* 


188  WH-    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

Wir  haben  mithin  ein  in  allen  Aperturen  beschränktes 
Becken;  im  Eingange  ist  ganz  besonders  der  gerade  Durch- 
messer verkürzt,  in  den  tieferen  Beckenräumen  neben  diesem 
auch  die  queren.  Wollen  wir  es  deswegen  ein  „allgemein 
zu  enges  Becken"  nennen,  so  steht  dem  füglich  nichts  im 
Wege,  obschon  die  schrägen  Durchmesser,  abgesehen  von 
der  unbedeutenden  Asymmetrie  beider  Beckenhälflen ,  überall 
von  normaler  Grösse  sind.  —  Meiner  Ueberzeugung  nach  ist 
das  Becken  ein  rhachitisches,  obschon  die  Anamnese  nichts 
von  diesem  Leiden  ergiebt;  es  spricht  für  Rhachiüs  die  Ver- 
kürzung der  Linea  innominata  und  das  dadurch  bedingte 
Verhältniss  zwischen  Spin,  und  Crist.  iL,  die  vorwiegende 
Verkürzung  des  geraden  Durchmessers  (Hereiuragen  des  Pro- 
montoriums), die  Beschaffenheit  des  Schambogens  u.  A. 

Es  erklärt  sich  aus  diesem  Verhalten  des  Beckens  die 
Schwierigkeit  der  vorangehenden  Geburten,  indem  der  Kinds- 
kopf in  allen  Beckenräumen  Hindernisse  Onden  musste 
und  nicht  durch  passende  Einstellung  die  fehlerhafte  Be- 
schaffenheit der  einen  Apertur  oder  eines  Durchmessers 
compensiren  konnte.  Gesteigert,  und  zwar  sehr  erheblich, 
wurde  der  Beckenfehler  nach  der  zweiten  Entbindung  noch 
durch  jene  beträchtlichen  Schwellungen  und  Verdickungen  des 
Periostes  des  Kreuzbeins  und  des  anliegenden  Bindegewebes 
überhaupt,  sowie  namentlich  an  denjenigen  Stelleo,  die  ober- 
halb der  erwähnten  cariösen  Heerde  lagen. 

Der  vorstehenden  Beschreibung  erlaube  ich  mir  noch 
einige  epikritische  Bemerkungen  hinzuzufügen. 

Was  zunächst  die  Aetiologie  der  Ruptur  des  Uterus 
anlangt,  so  concurriren  in  unserem  Falle  eine  Reihe  von 
disponirenden  Momenten.  Abgesehen  von  der  beträchtlichen 
Verengerung  des  Beckens,  sind  es  namentlich  zwei  Dinge, 
die  hervorzuheben,  nämlich  die  Verwachsung  des  unteren 
Uterinsegmentes  mit  dem  Kreuzbeine  und  die  namentlich  an 
den  Verwachsungsstellen  stattgefundene  Veränderung  des 
Uterusparenchyms.  Was  die  Verwachsung  betrifft,  so  ist  es 
sehr  einleuchtend,  dass  ein  solches  Verhalten  des  Uterus  die 
Ausdehnungsfähigkeit  des  Muttermundes  9  ausserordentlich  be- 
hindern muss.    Um  so  auffälliger  ist  es  mir  gewesen,  in.  den 


för  GebnrUhülfe  in  Berlin.  189 

Lehrbüchern  der  Geburtshülfe,  wenigstens  soweit  ich  sie  ein- 
sehen konnte,  diesen  Umstand  unter  den  Ursachen  der  Zer- 
reissung  des  Uterus  nicht  erwähnt  zu  sehen.  Meines  Erachtens 
muss  in  einem  solchen  Falle  bei  irgend  festerer  Verleihung 
des  Uterus  dessen  unteres  Segment  nicht  aHein,  da  es  sich 
nicht  zurückziehen  kann,  beim  Durchtritt  des  Kindskopfes 
gegen  das  Kreuzbein  gequetscht  werden,  sondern  auch,  da 
die  angelöthete  Stelle  nicht  nachzugeben  vermag,  aus  rein 
mechanischen  Gründen  einreissen.  Dazu  kommt,  dass  der 
zur  Verwachsung  führende  entzündliche  Process  nothwendiger- 
weise  Parenchyms- Veränderungen  des  Uterus  herbeiführen 
und  damit  eine  weitere  Disposition  zu  Zerreissungen  setzen 
muss,  ein  Uebelstand,  der  in  unserem  Falle  durch  den  von 
den  cariösen  Heerden  aus  unterhaltenen  chronisch -entzündlichen 
Process  in  der  unmittelbaren  Umgebung  des  Uterus  nur  noch 
gesteigert  werden  konnte.  In  der  That  fanden  wir  auch  bei 
der  Obduction  das  untere  Uterinsegment  stark  verdünnt, 
stellenweise  bis  zur  Bildung  grubenartiger  Vertiefungen. 

Betreffend  den  Zeitpunkt,  in  welchem  die  Ruptur  statt- 
fand, so  glaube  ich,  dass  sie  zu  Stande  kam,  als  bei  den 
manuellen  Extractionsversuchen  des  nachfolgenden  Kopfes  das 
untere  Uterinsegment  stark  gezerrt  und  gegen  das  herein- 
ragende Promontorium  gequetscht  wurde,  oder  dass  sie  sich 
ereignete,  während  der  Kopf  im  Becken  steckte.  Dass  die 
Ruptur  bereits  vorhanden  war,  ehe  der  Kephalothryptör  an- 
gelegt wurde,  beweisen  die  Erscheinungen  der  Anämie:  der 
bis  zum  Verschwinden  kleine  Puls,  die  blasse,  kühle  Haut 
und  dergl.  —  Wenn  ich  sie  gleichwohl  nicht  diagnosticirte, 
sondern  die  Anämie  auf  Rechnung  einer  intrauterinen  Blutung 
in  Folge  von  Lösung  der  Placenta  schob,  so  lag  dies  eben 
daran,  dass  man,  wegen  des  eingekeilten  Kopfes,  den  Mutter- 
mund, resp.  die  Rissstelle  nicht  touchiren  konnte. 

Flervorzuhcben  ist  noch  jene  peripherische  Garies  an  der 
coneaven  Fläche  des  Kreuzbeins,  die  ihrerseits  zur  Bildung 
der  obengedachten  Fisteln  in  der  Scheide  und  am  Damme 
geführt  hatte.  Es  ist  wohl  ganz  unzweifelhaft,  dass  diese 
Caries  die  Folge  war  jener  „zwölfslündigen  Zangentractionen", 
die  bei  der  zweiten  Entbindung  ausgeführt  wurden.  Es  ist 
dies    einer    von    den    möglichen    Nachtheilen    der    forcirten 


190  VIII.    Verhandlung«!!  de*  Gesellschaft 

Zangenanwendung,  der  sich  in  den  geburtahfilf lieben  Lehr- 
büchern nicht  aufgeführt  findet. 

BeuerkenswerÜi  endlich  ist  noch  die  immerhin  seltenere 
Hämorrhagie  ewischen  Peritonaum  und  Bauch wandungen,  ohne 
Blutung  nach  aussen,  die  im  vorliegenden  Falle  den  tödtlicbeu 
Ausgang  herbeiführte. 

Herr  L.  Mayer  erklärt,  er  habe  Anamnestisches  Nichts 
zu  diesem  Falle  hinzuzufügen.  Er  weise  auf  seine  Mit- 
theilungeh  in  der  Sitzung  vom  9.  Juli  vorigen  Jahres  zurück, 
aus  welchen  überdies  Herr  Strassmann  soeben  der  Gesell- 
schaft einen  delaillirten  Auszug  gegeben  habe.  Von  wissen- 
schaftlichem wie  von, praktischem  Interesse  erscheine  es  ihm 
aber,  näher  auf  die  Entslehungsweise  und  die  weiteren  Eni- 
wickelungsstadien  der  besprocheneneu  Geschwulst  kn  kleinen 
'  Becken  einzugehen.  Er  schicke  voraus,  dass  er  ausserhalb 
des  Puerperiums  nicht  selten  Entzündungsheerde  mit  schnell 
wachsenden  Exsudaten  im  Zellgewehe  innerhalb  der  Becken- 
höhle  als  Folge  von  Erkältungen  oder  anderweitigen  schädlichen 
Einflüssen ,  in  Sonderheit  bei  schon  vorhandenen  entzündlichen 
Zuständen  des  Uterus  und  seiner  Adnexe  beobachtete.  Resorption 
der  Exsudate  erfolge  oft  auffallend  schnell  und  völlige  Heilung 
träte  alsdann  ein.  Fände  aber  Organisation  des  Exsudats  zu 
Bindegewebe  statt,  so  entständen  in  verbältnissmässig  kurzer 
Zeit  mehr  oder  weniger  feste,  oit  härtlich  anzufühlende  Stränge, 
Verdickungen,  Auflagerungen,  Verwachsungen,  wie  grössere 
Tumoren  von  verschiedener  Gestaltung.  Diese  Entzündungs- 
producle  vergrösserten  sich,  so  lange  ein  entzündlicher  Reiz 
vorhanden,  könnten  aber  auch  wieder  resorbirt  werden. 

In  dem  hier  vorliegenden  Falle  seien  die  soeben  erwähnten 
Entwickelungsstadien  sämmtlich  zur  Erscheinung  gekommen. 
Ausserdem  sei  dieser  Fall  mit  mehrfachen  Beckenanomalien 
complicirt,  wie  solche  auch  von  Herrn  S.  am  skelettirten 
Becken  vorgefunden.  Aus  denselben  seien  diagnostische  Irr- 
thümer  des  Verhältnisses  der  Geschwulst  zu  der  hinteren 
Beckenwandung  hervorgegangen.  Er  hebe  aber  hervor,  dass 
diese  praktisch  ganz  ohne  Bedeutung  geblieben.  Namentlich 
seien  unter  seiner  Behandlung  für  die  Mutter  keine  nach- 
teiligen Folgen  aus  den  vorhandenen  Hindernissen  entstanden. 


fttr  Gebnrtßhälfe  in  Berlin.  191 

Er  habe,  wie  bereits  mitgelheilt,  in  Gemeinschaft  mit  seinem 
Bruder  im  Anfange  des  Jahres  1860  ein  ausgetragenes  starkes 
Kind  freilich  unter  grossen  Schwierigkeiten  entwickelt,  und  Ende 
desselben  Jahres  sei,  nach  Einleitung  der  Frühgeburt,  eine  acht- 
monatliche Frucht  schliesslich  durch  fünfstündige  Wehen  zur  Welt 
gebracht,  nachdem  er,  um  das  Leben  des  Kindes  zu  erhalten, 
sich  vergeblich  bemüht  habe,  die  Geburt  durch  die  Zange  zu 
beenden.  Letzteres  habe  deshalb  nicht  geschehen  können, 
weil  die  Löffel  bei  nicht  hinreichend  eröffnetem  Muttermunde 
und  bei  der  Verleihung  des  hinteren  unleren  Uterinsegments 
nicht  ohne  Gewalt  zum  Schlüsse  zu  bringen  waren.  Er 
habe  damals  von  der  Operation  abgestanden,  weil  er  eine 
Ruptur  des  Uterus  bei  den  vorliegenden  Umstanden  durch 
gewaltsames  Vorgehen  gefürchtet  Die  KiAder  seien  freilich 
nicht  lebend  zur  Welt  gekommen,  die  Mutter  indessen  aus 
dem  ersten  Wochenbette  den  zwanzigsten,  aus  dem  zweiten 
den  achten  Tag  gesund  und  munter  hervorgegangen.  Es 
scheine  ihm  dadurch  der  Beweis  geführt,  dass  in  den  ob- 
waltenden allerdings  schwierigen  Verhältnissen  nicht  die 
Notwendigkeit  einer  Ruptur  begründet  sei. 

Er  komme  nach  diesen  Bemerkungen  nunmehr  zu  der 
Entstehung  der  von  ihm  im  18.  Bande  der  iMonatsschrift, 
S.  534  u.  f.  beschriebenen  Geschwulst.  Es  erscheine  ihm 
sicher,  dass  das  Geburtshinderniss  bei  der,  vor  seiner  Be- 
kanntschaft mit  der  Frau  stattgehabten  zweiten  Entbindung 
wesentlich  in  dem  Missverhältnisse  zwischen  dem  auffallend 
starken  Kinde  und  einer  Conjugata  von  2"  10"'  bestanden. 
Durch  zwölfstündige,  gewaltsame  Zangenoperationen  seien 
Quetschungen  und  Verletzungen  der  Weichtheile  iu  der  hinteren 
Beckenhöhle,  Quetschungen  des  Periostes  und  tiefere  Ver- 
letzungen der  unteren  Kreuzbeinwirbel  hervorgebracht.  In  dem 
hierdurch  gebildeten  Entzündungsheerde,  dessen  chronischer 
Charakter  durch  nekrotische  Processe  an  dem  dritten  bis  fünften 
Sacralwirbel  unterhalten  worden,  seien  durch  Organisation  der 
Exsudate  zu  Bindegewebe  beträchtliche  knotige  Verdickungen 
und  Geschwulstbildung  in  der  Excavatio  ossis  sacri  erfolgt. 
Als  er  und  sein  Bruder  die  Frau  einige  Monate  nach  dieser 
Entbindung  zuerst  gesehen  und  untersucht,  habe  sich  eine  6"' 
lange  Scheidenwunde  im  hinteren  linken  Theile  des  Scheiden- 


192  VIII.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

grumles  gefunden,  also  in  der  Lage  den  cariöseo   Stellen  am 
dritten  und  vierten  Kreuzbeinwirbel  entsprechend.      Oberhalb 
derselben  sei  der  untersuchende  Finger  auf  die  beschriebene 
Geschwulst   getroffen,   die   sich  von   dem   oberen   Theile   der 
Excavatio  ossis  sacri  nach  oben  über  den  ersten  Sacral-  und 
von   dort  über  den   letzten  Lumbal  wirbel  zu  erstrecken  ge- 
schienen.   Wäre  ihm  damals  eine  gleich  deutliche  Anschauung 
der  ßeckenenge  zu  Hülfe  gekommen ,  wie  sie  jetzt  durch  das 
skeletti[te    Becken    zu    Gebote    stehe,    so    würde    ihm    ohne 
Zweifel   ebenfalls  nicht   entgangen   sein,    dass  jener    Tumor 
nicht  ein  einziger  grosser,  runder  gewesen  sei,   sondern 
vielmehr  aus  dem  prominirenden   Promontorium    und 
einer   unterhalb   desselben   gelegenen   fibrösen  Ge- 
schwulst bestanden  habe.    Ein  Moment,  was  die  richtige 
Erkenntniss  dieses  Verhältnisses   um   so  schwieriger  gemacht, 
sei    die   Anlölhung    der    hinteren   Muttermundslippe    und   des 
ganzen  unteren  Uterinsegments  an  diese  Geschwulst  gewesen. 
Hauptsächlich   aus   diesem    letzteren  Verhallen    sei    auch    der 
Irrthum  zu  erklären,  der  bei  der  Beckenmessung  stattgefunden 
habe.   Der  messende  Finger  sei  nämlich  an  den  vorspringendsten 
Punkt  der  unter  dem  Promontorium  befindlichen  Geschwulst, 
also  zu  tief,   angesetzt.     Davon  sei  die  Folge  gewesen,   dass 
v  die  Länge  der  Conjugata  bei  Messung  im  Jahre  1859  3"  8M, 
bei  der  Messung  Anfang  1860  aber  3"  6"'  und  einige  Monate 
später  3"  4'"  betragen  habe,   indem   die  fibröse  Geschwulst 
unterhalb    des    Promontorium    sich    durch   Wachslhum    vor* 
geschoben  habe.    Wenn  nun  aber  Herr  S.  das  Vorhandensein 
der  Geschwulst  an  der  von  ihm  (Mayer)  behaupteten  Stelle  - 
überhaupt   in    Abrede    stellt,    so    müsse    er   (Mayer)    dem 
gegenüber  die  Zuverlässigkeit   der  von  ihm   in  Gemeinschaft 
mit  mehreren  Collegen   angestellten  Untersuchungen  aufrecht 
erhalten.     In  der  That  aber   werde   das   damalige  Ergebniss 
durch  den  Sectionsbefund  des  Herrn  S.  nicht  sowohl  widerlegt, 
als  vielmehr  gerade  bestätigt.     Herr  S.  habe  nämlich  an  der 
Stelle,   wo   früher  die   Geschwulst  ihren   Sitz   gehabt,    feste 
Narbenstränge   und  Verdickungen    des    die  Beckenhöhle   aus- 
kleidenden^ Zellgewebes^  gefunden.     Dies    sei   augenscheinlich 
nichts  Anderes,  als  die  Residuen  der  durch  Resorption  während 
der  letzten  Schwangerschaft  zurückgebildeten  fibrösen  Geschwulst 


ftr  GebnrUbülfo  in  Berit«.  J9ft 

in  der  oberen 'Beckenhöhle.  Während  hier  eine  retrograde 
Bildnng  eingetreten,  sei  in  der  Höhe  der  froheren  Vaginal- 
fistel,  welche  sich  bereits  seit  längerer  Zeit  geschlossen  gehabt 
habe,  um  die  nekrotischen  Heerde,  sowie  von  diesen  nach 
unten  ausgedehntere  Organisation,  zahlreichere  knotige  Ver- 
dickungen des  Zellgewebes  gebildet,  welche  den  Beckenausgang 
verengten.  Von  dieser  Geschwulst  sei  früher  Nichts  vorhanden 
gewesen. 

Herr  C.  Mayer  hat  in  seiner  Praxis  ziemlich  häufig 
Verlöthung  der  Vaginalportion  mit  der  hinteren  Beckenwand 
gefunden.  Grund  derselben  seien  natürlich  Exsudate  in  Folge 
entzündlicher  Reizungen,  und  man  könne  danu  deutlich  die 
auf  dem  Os  sacrum  abgelagerten  Exsudalmassen  durch  die 
gynäkologische  Untersuchung  constatiren.  Eine  ganz  genaue 
Diagnose  des  Sitzes  und  der  Natur  derselben  sei  indess 
während  des  Lebens  absolut  nicht  möglich,  und  es  genüge 
für  die  Prognose  und  Therapie  eines  Geburtshelfers  auch 
vollständig  zu  wissen,  dass  Exsudate  vorhanden  und  ihre 
Bedeutung  für  die  Beckendurchmesser  festzustellen  seien.  Es 
sei  allerdings  interessant,  in  einem  während  des  Lebens  genau 
beobachteten  Falle,  die  damals  gehegte  Ansicht  durch  eine 
Obduction  zu  kritisiren,  die  hier  gefundenen  Abweichungen 
seien  indess  zu  unbedeutend,  um  den  praktischen  Werth  der 
früheren  Untersuchungen  irgendwie  in  Frage  zu  stellen. 

Herr  Körte  bezweifelt,  dass  die  am  vorgelegten  Becken 
vorgefundene  Caries  durch  die  früher  stattgehabte  forcirte 
Zangenentbindung  herbeigeführt  sei.  Dies  scheine  auf  eine 
zu  grosse  Gewalt  zu  deuten;  er  frage  an,  ob  man  öfter  Caries 
als  Folgekrankheit  forcirter  Zangenentbindung  beobachtet  habe. 

Herr  Martin  giebt  die  Möglichkeit  dieses  Ausganges  zu. 
Er  sei  doch  öfters  zu  Entbindungen  gerufen  worden,  bei 
denen  in  Folge  forcirter  Zangenoperationen  die  Muttermunds- 
lippen zerschnitten  seien;  in  einem  anderen  Falle  sei  eine 
Verwachsung  der  hinteren  Uteruswand  mit  den  Wfrbeln  erfolgt; 
alle  diese  Ausgänge  deuteten  doch  auf  eine  heilig  einwirkende 
Gewalt  und  ebenso  gut  könne  diese  auch  durch  Quetschung 
der  Bedeckungen  des  Kreuzbeines  Caries  desselben  zur  Folge 
haben.        * 


194  VIII.    V~irh«ndlu*gen  der  Gesellschaft 

Herr  v.  EeckUnghauten  glaubt,  dass  jedenfalls  zuerst 
eine  Eiterung  in  den  Weicbtheileit  stattgefunden  und  diese 
allmfilig  auf  das  Periost  übergehend  zur  Zerstörung  des 
Knochens  geführt  habe. 


Sitzung  vom  8.  Juli  1862. 

Von  Herrn  Birnbaum  in  Köln  ist  folgender  Aufsatz  der 
Gesellschaft  eingeschickt  worden: 

Seit  zwei  Jahren   bestehende  Inversio   uteri, 

deren   Reposition   nach  vierteljährigen 

Bemühungen   gelang. 

Die  Patientin  war  22  Jahre  alt,  sehr  robuster  Constitution, 
kräftigen  Gliederbaues,  von  Jugend  au£  stets  völlig  gesund 
und  hatte  vor  zwei  Jahren  am  Ende  ihrer  ersten,  ohne  alle 
Störungen  verlaufenen  Schwangerschaft  sehr  leicht  und  rasch 
mit  anhaltendem  sturmischem  Mitpressen  bis  zuletzt  geboren. 
Die  Nachgeburt  folgte  leicht,  ohne  grossen  Blutverlust.  Am 
vierten  Tage  des  Wochenbettes  trat  plötzlich,  da  die  Frau  sich 
aufrichtete ,  eine  runde  rothe  Geschwulst  vor  die  Geschlechts- 
teile, welche  als  invertirter  Uterus  erkannt  und  in  die 
Scheide  zurückgeschoben,  aber  nicht  reponirt  wurde.  Ob 
sich  diese  Inversion  jetzt  erst  ausgebildet  habe,  oder  gleich 
nach  der  Geburt  entstanden  und  übersehen  worden,  steht 
dahin.  Das  Wochenbett  verlief  im  Uebrigen  ganz  günstig 
und  die  Frau  nährte  das  Kind  ein  Jahr  lang,  bis  es  an 
Krämpfen  starb. 

Cs  entwickelte  sich  nun  eine  heftige,  -sich  immer  mehr 
steigernde  Menorrhagie,  indem  die  Menses  immer  langer  an* 
dauernd  und  heftiger,  die  Zwischenräume  immer  kürzer  wurden. 

Der  behandelnde  Arzt  constatirte  Fortdauer  der  Inversion, 
hoffte  aber,  da  im  ersten  Jahre  während  des  Stilleus  die 
Blutung  nicht  vorhanden  gewesen  und  er  sie  der  heftigen 
Gemüthsaufregung  durch  den  Tod  des  Kind  zuschrieb,  allmiiigf 
Milderung  durch  die  Zeit.  Ein  auswärtiger  Arzt  glaubte  bei 
einem  Landaufenthalte  der  Patientin  den  Zustand  11s  abhängig 


for  QeburUliiUfe  in  Berlin.  105 

▼ou  einem  ulcerirten  Zustande  des  Muttermund*»  betreöhten 
m  müssen  und  cauterisirte  mittels  les  Specolum,  ohne  dit 
Inversion  zu  berücksichtigen. 

Anfang  December  vorigen  Jahres  consultirte  mich  die  Frau» 
Sie  bot  alle  Merkmale  ausgeprägter  Anämie  bei  der  Anlage 
nach  höchst  robustem  Körperbaue  und  Spuren  ursprünglich 
sehr  florider  Constitution.  Sie  klagte  über  ein  Gefühl  eines 
Hindernisses  bei  den  Stublentleerungen.  Ich  fand  hoch  oben 
in  der  weilen  schlaffen  Scheide  hinaufgehend  eine  frei  .ein* 
ragende,  glatte,  'runde,  pralle  Geschwulst,  welche  nach  oben 
in  Gestalt  eines  Stieles  von  ziemlicher  Breite  schmaler  beilief, 
von  einem  muttermundartigen  Saume  um  diese  engere  Stelle 
herum  rings  umgeben.  Die  Sonde  liess  sich  wegen  ringsum 
breiteren  Vorstehens  der  Geschwulst  nicht  so  in  den  Saum 
einführen,  dass  ein  entscheidendes  Urtbeil  möglich  gewesen 
wäre,  ob  Polyp  oder  Inversion  zugegen  sei.  Der  Widerspruch 
in  den  Ansichten  und  der  Behandlung  der  Aerzte  machte  mich 
zweifelhaft,  ob'  ich  unbedingt  Inversion  annehmen  müs*e.> 
Da  der  Mutlermund  zu  hoch  stand,  um  ihn  mit  dem  Finger 
bequem  erreichen  zu  können,  entschloss  ich  mich  zu  Niecler- 
ziehung  mit  der  Hakenzange. 

Die  Einsetzung  war  schon  sehr  schmerzhaft,  und  bei 
Zudrücken  des  Instrumentes  plattete-  sich  die  Geschwulst  auf- 
fallend ab  und  änderte  ihre  Form,  und  bei  leichtem  Anzüge 
konnte  man  schon  den  wie  eine  Krempe  rings  umgeschlagenen« 
undurchgängig  in  das  Scheidengewölbe  angedrängten  Mutter- 
mundsaum mit  voller  Bestimmtheit  constatiren.  Auch  fühlte 
ich  jetzt  in  dem  vermeintlichen  Polypenstiele  eine  bedeutende 
Arterie  pulsiren.  Die  Diagnose  war  jetzt  über  alle  Zweifel 
hinaus  klar.  Die  Hakenpincette  wurde  entfernt,  Alles  voll« 
kommen  auf  den  früheren  Stand  reponirt.  Innerlich  wurden 
Mineralsäuren  angeordnet  und  in  die  Scheide  ein  Schwamm 
mit  Ung.  Belladonnae  eingelegt 

In  den  nächsten  Tagen  versuchte  ich  sodann  zu  wieder- 
holten Malen  mit  Einführung  der  halben  Hand  die  Eindrückung 
und  das  Hinaufschieben  des  Muttergrundes.  Bei  vorsichtig 
energischem  Eingreifen  dieser  Art  gelang  durch  Massiren 
die  Erzielung  einer  grösseren  Weichheit  und  leichteren  Ein- 
druckbarkeit  des  Uterus,  aber  wenn  er  an  einer  Stelle  nachgab, 


196  VHJ.    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

quoll  er  nach  der  anderen  Seite  immer  um  so  entschiedener 
vor.  Und  diese  stete  Formveränderung  der  Geschwulst  er- 
schien wohl  als  ein  wesentliches  neues  Moment  zur  Bestätigung 
meiner  Diagnose,  führte  aber  sonst  zu  nichts. 

Nach  14  Tagen  ging  ich  in  vollkommener  Chloroform- 
narkose  der  Frau  nicht  ohne  Muhe  mit  der  ganzen  Hand  in 
die  Scheide  ein  und  erneuerte  mit  seitlicher  Compression 
der  Geschwulst  die  Versuche,  den  Grund  ein-  und  hinauf- 
zudrücken,  mit  einer  trotz  aller  vorsichtigen  Energie  nicht 
minder  vollständigen  Erfolglosigkeit 

Die   stark  wiedereintretende  Menstruation  Hess    bis   zum 
6.  Januar,   14  Tage   hindurch,   weitere  Versuche    unstatthaft 
erscheinen.      Dann    legte    ich    einen    bis    zu    schmerzhafter 
Spannung  im  Unterleibe  auseinandergetriebenen  GarieF&chen 
Tampon  ein.     Derselbe  hob   die  Geschwulst  empor,    plattete 
sie   aber  mehr  ab    und    trieb   sie  breiter  auseinander.     Ich 
veYsah   nun   die  Uterinsonde  mit  einem  länglich  runden,    fest 
gepolsterten,  ledernen  Knopfe  von  dem  Umfange  einer  Eichel, 
und  setzte  sie  unter  Leitung  zweier  Finger  an  verschiedenen 
Stellen  des  invertirten  Uterus  an,  bald  an  den  urogesclüagenen 
Saum,  um  diesen  breiter  und  tiefer  zu  machen,  bald  an  den 
Grund  selbst  in  der  Mitte  und  von  den  verschiedenen  Seiten 
her,    und    machte    diese   Versuche    mit    wechselnder    Kraft- 
anwendung je  nach  der  Empfindlichkeit  des  Organes  jedes  Mal 
durch    7*  Stunde  hindurch,    mit   einzelnen   Unterbrechungen 
täglich  bis  zum  18.  Januar.    Jedes  Mal  wurde  gleich  danach  der 
Gummitampon  angelegt  und  blieb  bis  zum  anderen  Tage  liegen. 

Die  Geschwulst  nahm  so  eine  veränderte  Form  an.  Sie 
ward  niedriger,  nach  oben  breiter,  der  Stiel  immer  umfang- 
reicher und  der  Muttermundssaum  trat  immer  deutlicher  markirt 
immer  tiefer  herab,  sich  allmälig  mehr  austiefend.  Die  Schleim- 
absonderung steigerte  sich  ungemein,  die  Menstruation  aber 
wurde  spärlicher  und  gestattete  am  20.,  24.,  27.,  28.,  30.  Januar, 
1.,  3.,  4.,  8..  10.  Februar  stetige  Erneuerung  der  Versuche. 
Nun  musste  jedoch  bei  der  äusserst  gesteigerten  Empfindlichkeit 
des  Organes  eine  grössere  Pause  eintreten,  während  welcher 
bloss  mit  dem  Gebrauche  des  Gummitampons  in  steigender 
Auftreibung  durch  den  InsufQateur  fortgefahren  wurde,  io 
Verbindung  mit  so   leicht  ermöglichter  starker  Bewegung  in 


fiir  GebnrUhttlfe  in  Berlin.  197 

freier  Luft  und  dem  Gebrauche  der  Tra.  ferr.  acet  aeth.  mit 
Acet.  digit  bei  roborirender  Diät. 

Am  6.  März  wieder  gerufen  fand  ich  die  Erscheinungen 
der  Anämie  bedeutend  "gemindert  das  Aussehen  der  Frau  viel 
gesunder,  blühender,  die  Kräfte  sehr  gehoben,  den  Zustand 
des  Uterus  aber  trotz  des  anhaltenden,  immer  gesteigerten 
Gebrauches  des  Tampon  vessie  ganz  unverändert  so,  wie  ich 
ihn  im  Februar  gelassep.  Es  schien  mir  jetzt  klar  erwiesen, 
dass  von  der  blossen  Anwendung  des  Tampons  nichts  zu 
erwarten  stehe,  sondern  die  Erhebung  mit  der  Sonde  die 
Hauptsache  sei,  und  der  Vortheil  des  Tampons  sich  lediglich 
auf  Erhaltung  des  mit  der  Sonde  erzielten  Standpunktes  be- 
schränke. Ich  erneuerte  daher  am  6.,  8.,  10.  und  12.  März 
diese  Versuche  wieder  mit  allmälig,  dem  zunehmenden  Erfolge 
gemäss,  steigernder  Energie.  Es  gelang  auch  so,  den  Grund 
des  Uterus  bis  zur  Saumhöhe  des  Muttermundes  empor- 
zuheben, aber  der  völligen  Reposition  widerstrebte  er  immer 
uoch  auf  das  Hartnäckigste,  und  die  sehr 'gesteigerte  Empfind- 
lichkeit zwang  wiederum,  eine  längere  Pause  eintreten  zu 
lassen.  Vom  18..'  bis  27.  März  dauerten  die  Menses,  aber 
schwächer,  wie  vorher,  und  ohne  den  geringsten  nachtbeiligen 
Einfluss  auf  Kräftezustand  und  Wohlbefinden.  Der  Blasentampon 
blieb  die  ganze  Zeit  ober,  auch  während  der  Menstruation 
mit  dem  erforderlichen  Wechsel  und  steigernder  Ausdehnung 
unausgesetzt  liegen.  Am  27.  März  fandv  ich  Alles  so,  wie 
ich  es  am  12.  gelassen,  und  erneuerte  an  diesem  Tage  und 
am  30.  März  die  Versuche  mit  der  Sonde  von  den  ver- 
schiedensten Seiten  her  durch  eine  lange  Zeit  hindurch  mit 
grosser  Kraftanwendung.  Der  Grund  hob  sich  dabei  ganz 
leicht  über  das  Niveau  des  Muttermundssauines,  wich  aber 
der  leUten  Durchdruckung,  so  nahe  sie  auch  öfter  schien, 
immer  noch  hartnäckig  aus,  da  eine  Steigerung  der  Kraft 
ohne  Bedenken  nicht  möglich  erschien.  Die  Tamponbiase 
wurde  unmittelbar  danach  wieder  eingelegt  und  auf  das  Höchste 
ausgedehnt 

Am  31.  März  Abends  wurde  die  Frau  plötzlich  von  einem 
furchtbaren  Schmerze  tief  unten  im  Leibe,  als  starkes  Zu* 
sammenschnüren,  befallen,  der  mit  bedeutendem  Blutabgange 
durch  l'/i  Stunden  hindurch   tobte,  dann  aber  auf  einmal 


108  VIII.    Verhandlungen  der  GeaeHschaft 

einem  eigenthütnlichen  Wohlbefinden  mit  NachJass  aller  bis- 
herigen Druckerscheinungen  auf  Blase  und  Mastdarm  und 
auffallender  Verminderung  des  weissen  Flusses  wich. 

Am  2.  April  fand  ich  hei  ganz  geringem  Schleiraabgange 
die  wulstigen,  weichen,  dicken  Muttermundslippen  frei  in  der 
Scheide,  den  Muttermund  geöffnet,  wie  etwa  am  siebenten  bis 
achten  Tage   des  Wochenbettes,    aber  ganz  frei  und  konnte 
mit   der  Uterinsonde    ohne    den   geringsten  Widerstand    frei 
2Y2"  hoch  in  die  UterinhöMe   ei  ngoheu.     So  vorbereitet  und 
eingeleitet   hatte   sich   die  Reposition   in   ihrem  letzten  Reste 
spontan   vollendet.     Injectionen   mit  Acet.   pyrolign.    und    A<j. 
laurocer.  beseitigten  die  letzten  Reste  des  Schleimflusses  und 
vollendeten  die  Röckbildung  der  Vaginalportion. 

Am  5.  April  vertauschte  ich  den  Blasentampon  mit  einem 
mit  Tannin,  Opium  und  Glyceiin  bestrichenen  Schwämme. 
Die  Frau  fühlte  sich  äusserst  wohl,  völlig  leicht  und  frei,  ihre 
Kräfte  hoben  sich  sichtlich,  die  blühende  Farbe  von  ehemals 
kehrte  wieder,  die  Muskulatur  nahm  an  Kraft  und  Masse  zu. 
Neben  dem  Schwämme  ordnete  ich  bloss  noch  Injectionen 
von  Natr.  carb.,  Aq.  laurocer.,  Liq.  myrrb*  und  Opium  an. 

Am  20.  April  theilte  mir  die  Patientin  mit,  dass  die 
Menstruation  zum  ersten  Male  wieder  ihren  vierwöchenüichen 
Typus  eingehalten  habe  und  nur  durch  4 — 5  Tage  lang  sehr 
massig  angedauert.  Die  Kräfte  waren  völlig  wiedergekehrt, 
das  Aussehen  blühend  und  kräftig,  der  Zustand  der  Gebär* 
»ütter  bei  scharfer  Abgrenzung  des  Mutterhalses  über  Er- 
warten befriedigend.  Ein  längerer  Aufenthalt  auf  dem  Lande 
sollte  die  Genesung  befestigen,  und  hatte  ich  ihr  dort  nur 
Rheinbäder  und  kalte  Douchen  anzurauhen,  welche  auch  die 
Herstellung  dauernd  befestigten. 

Ich  glaube,  der  Combinaiion  der  von  mehreren  Seiten 
her  empfohlenen  Mittel  einzig  und  allein  die  Reposition  zu* 
schreiben  zu  müssen,  indem  jedes  einzelne  für  sich  an  ihn 
besonders  eigenen  Hindernissen  scheiterte. 

Die  Versuche  mit  der  ganzen  Hand  zu  erneuern,  erschien 
mir  zu  gewaltsam ,  da  das  Manoeuvre  nicht  weniger  ermüdend 
für  mich  als  angreifend  für  die  Frau  selbst-  war. 

Einmal  den  Versuch  zu  machen,  hielt  ich  durch  die 
Aussicht,,  so  arn  raschesten  zum  Ziele  zu  kommen,  hinreichend 


für  Geburtahtüfe  in  Berlin.  199 

gerechtfertigt,  die  Erneuerung  desselben  aber  nicht.  Die  iu 
angegebeuer  Weise  vorgerichtete  Sonde  leistete  zur  Erhebung 
des  Grundes  das  Meiste,  schloss  aber  jede  Gewalt  zu  rascher 
Beseitigung  des  Leidens  wegen  Gefahr  des  Zerrejssens  oder 
Durchbohrens  der  Theile  aus,  und  ohne  Tampon  sank  der 
Grund  immer  eben  so  weit  herab,  wie  er  mit  der  Sonde  ge- 
hoben worden.  Der  Tampon  aber  für  sich  reichte  nicht  aus, 
da  er  nicht  in  der  richtigen  und  immer  gleichen  Richtung 
wirkte,  sondern,  wenn  der  Grund  nicht  vorher  mit  der  Sonde 
gehoben  war,  beim  Aufblasen  mittels  des  Insufflateurs  bald 
vor,  bald  hinter  die  Geschwulst  ruckte,  wie  man  sich  durch 
Untersuchung  unmittelbar  nach  seiner  Entfernung  aus  Form 
und  Richtung  derselben  fiberzeugte. 

Da  eben  derartige  veraltete  Inversionen  nicht  zu  den 
häufigeren  Leiden  gehören  und  das  Gelingen  der  Reposition 
dabei  noch  seltener  ist,  so  erscheint  mir  der  Fall  nicht  ohne 
Interesse  und  unterbreite  ich  ihn  dem  Urtheile  der  geehrten 
Gesellschaft,  ohne  mich  auf  die  diagnostischen  Schwierigkeiten 
und  die  Weise,  wie  ich  mich  irf's  Klare  darüber  zu  bringen 
suchte,  eines  Weiteren  verbreiten  zu  wollen. 

Die  Mittheilung  dieses  Falles  erregte  viel  Interesse  und 
führte  zu  einer.  Debatte,  in  welcher  namentlich  das  an- 
gewendete Verfahren,  die  Combination  der  geknöpften  Soride 
mit  dem  Blasentampon,  einer  Besprechung  unterworfen  wurde. 

Herr  Martin  erwähnte,  dass  er  in  den  von  ihm  be- 
handelten Fällen  mehrmals  von  dem  blossen  Tragen  des 
Colpeurynters  günstigen  Erfolg  gesehen  habe. 

Herr  Winckel  führte  ebenfalls  aus  der  betreffenden 
Literatur  verschiedene  Fälle  an,  wo  das  blosse  Tragen  des 
Colpeurynters  die  Reposition  bewirkt  halt«.  Er  hielt  die  An- 
wendung der  Sonde  für  gefährlich  und  sprach  seine  lieber^ 
Zeugung  aus,  dass  ii*  diesem  Falle  ebenfalls  durch  die  lange 
Anwendung  des  Tampons  und  nicht  durch  die  Sonde  der 
Erfolg  erzielt  sei, 

Referent  verlas  darauf  noch  einmal  mehrere  Salze  4*r 
Operationsbeschreibung  und  verwies  darauf,  dass  ausdrücJUkft 
darin  gesagt  sei,  dass  das  blosse  Tragen  des  Tampons  zu 
keinem  Resultate  geführt  h^be.    Erst  das  wiederholte  Hinauf- 


200  VW«    Verhandlungen  der  Gesellschaft 

drücken  des  Fundus  und  das  durch  das  Kneten  herbeigeführt* 
Erweichen  des  starren  Uteringewebes  habe  die  Repostkw 
ermöglicht 

Herr  Brandt  meint,  dass  das  Tragen  des  Colpeurynlen» 
die  Reposition  durch  Erweichen  des  Gewehes  nur  vorbereitet 
habe.  Der  Enderfolg  sei  aber  durch  die  Sonde  herbeigeführt 
mit  welcher  der  Fundns  allniälig  in  den  Muttermund  gezwängt 
sei  und  so  dessen  Erweiterung  herbeigeführt  habe. 

Herr  Winckel  ersieht  indess  aus  dem  Wortlaute  des 
Aufsalzes,  dass  die  Reposition  nicht  während,  der  Application 
der  Sonde,  die  den  Fundus  uteri  nie  über  die  Incarceratiou 
hinaufzuheben  vermochte,  sondern  gerade  längere  Zeit 
nach  derselben  während  des  ruhigen  Liegens  des  CoJpeu- 
rynters  spontan  erfolgt  sei.  Dies  beweise  ihm,  dass  die 
Sonde  nicht  nöthig  gewesen  sei. 

Die  Debatte  wurde  hier  abgebrochen  und  vom  Secretär 
ein  Auszug  des  kurzlich  eingegangenen  Aufsatzes  von 
Dr.  Köggerath  in  Newyork  über  denselben  Gegenstand  gegeben. 

Inversio  uteri  nach   dreizehnjährigem   Bestehen 

durch   eine  neue  Methode  der  Reposition 

geheilt 

Zu  Madame  Victorine  ReautJ,  38  Jahre  alt,  von  ziemlich 
kräftigem  Körper,  obgleich  durch  langes  Leiden  geschwächt, 
wurde  N.  am  22.  Februar  1860  wegen  eines  inlercurrenteo 
Leidens  gerufen.  Er  erfuhr  zufällig,  dass  Patientin  vor 
13  Jahren  nach  einer  Entbindung  eine  Inversio  uteri  erworben 
hatte,  welche,  von  den  behandelnden  Aerzten  erkannt,  wieder- 
holt Gegenstand  fruchtloser  Repositionsversuche  gewesen  war 
und  .  schliesslich ,  da  die  Blutungen  und  ersten  sturmischen 
Erscheinungen  mit  der  Zeit  geschwunden  waren,  sich  seihst 
überlassen  wurde.  Nur  auf  vieles  Zureden  unterwarf  sich 
Patientin  einer  neuen  Untersuchung  und  willigte  erst  dann 
in  den  ihr  darauf  vorgeschlagenen  abermaligen  Operations- 
versuch, als  ihr  ein  durch  Hälfe  des  Chloroforms  gunstigerer 
Erfolg  in  Aussicht  gestellt  wurde. 

Die    Operation    selbst   wurde    am   4.    März    vollzogen. 
N.  brachte  die  Krauke  in  die  Lage  zur  Lilhotomie,  ging  mit 


fflr  Geburtahülfe  in  Berlin. 


201 


der  rechten  Hand  in  die  Vagina  und  umfasste  den  ganzen 
invertirten  Uterus  mit  voller  Hand ;  dann  suchte  er  mit  einem 
breiten  Hastdarmbougie  in  der  Achse  des  Beckens  den 
Fundus  uteri  in  die  Höhe  zu  drangen;  aber  alle  Anstrengungen 
waren  vergeblich,  die  Anwendung  des  Bougies  schien  ihm 
gefährlich,  da  das  Uteringewebe  unter  seinem  Drucke  sehr 
weich  und  zerreisslich  zu  werden  schien.  Er  änderte  deshalb 
seinen  Operationsplan,  liess  das  Bougie  fort  und  erfasste  den 
Uterus  mit  dem  Zeige-  und  Mittelfinger  auf  der  rechten 
Seite,  während  er  den  Daumen  links  auf  einen  Punkt  fixirte, 


der  ungefähr  ein  Drittel  der  ganzen  Länge  vom  tiefsten 
Punkte  entfernt  lag.  In  dieser  Lage  übte  er  mit  dem  Daumen 
einen  stetigen  Druck  nach  innen  und  oben  und  erlangte  da- 
durch, dass  sich  an  dieser  Stelle  eine  längliche  Grube  bildete, 
welche  sich  bis  in  die  umgeschlagene  Stelle  hinein  erstreckte. 
Unter  fortgesetztem  Drucke  nach  oben  in  dieser  Richtung 
wicb  die  Uterinwand  immer  höher  hinauf,  der  untere  Theil 
faltete  sich  ganz  zusammen,  folgte,  und  plötzlich  entschlüpfte 
die  ganze  Geschwulst  der  operirenden  Hand  und  der  wulstige 
weite  Muttermund,  welcher  jetzt  das  obere  Ende  der  Scheide 
abschloss,  gab  Zeugniss  von  der  gelungenen  Reposition. 


Monttaschr.  f.  Geburtsk.  1862.  Bd.  XX.,  Hfl.  3. 


14 


2Q2  yHl.    Verhandlungen  der  Gesellschaft  etc. 

Patientin  fühlte,  sich  ungefähr  eine  Woche  lang  sehr 
schwach,  indess  die  Hämorrhagien  standen  von  Stunde  an; 
ein  leichter  Fluor  albus  trat  an  ihre  Stelle.  Drei  Woche* 
später  erschien  die  Regel,  dauerte  nur  sieben  Tage  und  mit 
der  Zeit  trat  vollkommene  Gesundheit  ein. 

Verfasser  findet  in  dem  von  ihm  befolgten  Verfahren  eine 
neue  Methode,  die  er  jener  anderen  häufig  in    Anwendung 
gezogenen,  nämlich  von  der  Mitte  des  Fundus  aus  die  Rcpesitiou 
zu  beginnen,  als   ganz   neu  entgegenstellt.     Hauptsächliches 
Gewicht  legt  er  dabei  auf  die  Anschauung,  dass  nicht  sowohl 
die  Erweiterung   des   invertirten  oberen  Ringes,    sondern  die 
Faltung    des   umgestülpten   Uterus    das    wesentliche    Moment 
gewesen  sei,  die  Reposition  so  leicht  zu  machen.     Wenn  m 
auch  dieser  Anschauung  nicht  in  dem  Maasse  folgen  können, 
um  darauf  hin  ein  neues  Gesetz  zu  normiren ,  da  wohl  nicht 
alle  Fälle  eine   gleiche  Faltbarkeit   des  Uterus  haben  werden 
und  ohnehin  bei  uns  schon  seit  längerer  Zeit  die  Angriffsstelle 
nicht  immer  im   Fundus,   sondern   an   verschiedenen   Stellen 
gesucht  wird,   wie  sie  eben  dem  concreten  Falle  am  zweck- 
entsprechendsten  erscheint;   so   müssen   wir   doch    dem   Ge- 
danken des  Verfassers  unsere  Aufmerksamkeit  zuwenden  und 
%  bei  sich  darbietenden   späteren  Beobachtungen  den  günstigen 
Erfolg,  den  er  nach  13j ährigem  Bestehen  des  Leidens  durch 
diese  Manipulation   so   überraschend    schnell   erzielt  bat,   vor 
Augen  behalten.  

Von  Herrn  Kv gelmann  in  Hannover  (Mitglied)  ist  eine 
Krankengeschichte  eingeschickt  worden,  welche  eine  Frau  in 
den  Zwanzigern  mit  granulöser  Verschwörung  des  Muttermundes 
und  Cervkalkanales  betrifft.  Nach  längerer  Behandhing  s*A 
Herr  K.  eines  Tages  bei  der  Untersuchung  mit  dem  Speculum, 
wie  synchronisch  mit  dem  Pulsschlage  die  Mutter- 
mundslippen sich  bewegten,  und  zwar  so,  dass  sie 
bei  jeder  Systole  sich  einander  näherten  und  bei 
jeder  Diastole  sich  von  einander  entfernten«  Bemerkt 
st  dabei,  dass  der  Eintritt  der  Menstruation  bevorstand. 
Dieselbe  Erscheinung  wurde  noch  einmal  14  Tage  später, 
indess  in  geringerem  Grade  beobachtet. 


IX.   Martin,  Ueber  Vertage  rang*  des  Scheidentheüa  >etc.    203 

Von  den  Anwesenden  konnte  sich  Keiner  entsinnen» 
diese  Pulsatton  so  ausgesprochen  beobachtet  zu  haben,  dass 
sie  seine  Aufmerksamkeit  erregt  hätte.  Pulsationen  der 
Geschwörsflächen  hatten  Mehrere  allerdings  öfter  gesehen,  aber 
ein  förmliches  OeflTneu  und  Schliessen  dos  Mutlermundes  nicht 

Die  Debatte  drehte  sich  deshalb  mehr  um  theoretische 
Erklärung  des  Facturus,  und  fand  die  Hypothese  Herrn 
Winckel's,  dass  wohl  der  Druck  des  Speculums  die  Er- 
scheinung zu  Wege  gebracht  habe,  ähnlich  wie  beim  ruhigen 
Sitzen  mit  öbereinandergeschlagencn  Beinen,  der  frei  hängende 
Fuss  ebenfalls*  mit  dem  Pulsschlage  sich  hebt  und  senkt,  die 
meiste  Billigung.  

Bei  darauf  folgender  Neuwahl  wurden  die  Herren 

Dr.  Eggt}, 

Dr.  Flume, 

Dr.  Münnich, 

Dr.  Tuchen, 

Dr.  Schuh]  Med.-Assessor  und  Phystkus, 

zu  ordentlichen  Mitgliedern  erwählt. 


IX. 

Ueber  Verlängerung  des  Scheidentheils  der  Gebär- 
mutter bei  Schwangeren  und  Nichtschwangereü 
als  Ursache  des  Vorfalls,  nebst  drei  Fällen 
von  Abtragung  des  Scheidentheils. 

Von 

Eduard  Martin. 

Als  Huguder  (Gaz.  hetd.,  V.,  20,  1858)  mit  der  Be^ 
haflptwng  hervortrat,  dass  der  Gebärmultervorfall  auf  einer 
totalen  oder  partiellen  Hypertrophie  des  Organts  beruhe,  und 
demgemäss  die  Abtragung  des  vorgefallenen  Scneidentheils  als 
Heilmittel  empfahl,  adoplirten  einige,  zumal  französische  Aerzte 


£04     IX.    Martin,  Ueber  Verlängerung  des  Scheidentheilfl 

diese  Anschauung  und  veröffentlichten  mehr  oder  weniger 
folgreiche  Operationen  dieser  Art,  während  von  anderer  Seite 
Zweifel  und  Bedenken  gegen  diese  Pathogeuie  und  das  ihr 
entsprechende  Verfahren  laut  geworden  sind.  Unter  diesen 
Umstanden  werden  neue  Beobachtungen  zur  Entscheidung  er- 
fordert. 

Ohne    Zweifel   geht   Huguier   zu   weit,    wenn    er    die 
häufigste,  fast  ausschliessliche  Ursache  des  Gebärmuttervorfalls 
in  der  Verlängerung  des  Uterus  erblickt,  denn  es  giebt  viele 
Verlängerungen  des  Uterus,  ohne  dass  derselbe  herabgesunken 
ist  und  andererseits  viele  Vorfälle,  bei  welchen  die  Gebärmutter 
mit  ihrem  Grunde  in  der  That  mehr  oder  weniger  tief,  wenn 
auch  nur  selten  bis  zum  Scheidenausgang  herabgetreten    und 
dabei   entweder   gar   nicht   oder   nur   wenig   verlängert    ipt, 
wie  schon   die   nach  Präparaten  gefertigten  Abbildungen    von 
Dr.  Froriep  (Chirurg.  Kupfertafeln,  388  und  416) 2)  beweisen 
und  in  mehreren  klinischen  Fällen  von  mir  constatirt  wurde. 
Aber  richtig  ist  es,  dass  in  sehr  vielen,  wo  nicht  <in  der  Mehr- 
zahl von  Vorfallen  eine  Verlängerung  der  Gebärmutter  mittels 
der  Sonde  nachgewiesen  werden  kann.     Gewöhnlich  verbindet 
sich    diese    Verlängerung    mit    einem    Vorfall    der    vorderen 
Scheidenwand  und  Cystocele,  seltener  mit  einer  Enter  o-  oder 
Rectocele,   und   es  entsteht  dann  die  Frage:   ist   der  Gebär- 
muttervorfall Folge  des  Scheidenvorfalls,  oder  umgekehrt.    Ge- 
wöhnlich dürfte  dieselbe   Ursache:    mangelhafte   Ruckbildung 
der  inneren  Genitalien  und  ihrer  Adnexa  nach  Geburten,  so- 
wohl das  eine  wie  das  andere  vorgefallene  Organ  und  dessen 
Anheftungen    und   Bänder    getroffen   und    zum   Herab-   und 
Heraustreten  bei   ungünstigem  Verhalten   z.  B.  bei  stärkeren 
Zusammenziehungen  der  Bauchpresse  geneigt  gemacht  haben. 

In  einzelnen  Fällen  besteht  hingegen  unzweifelhaft  eine 
Verlängerung  des  Mutterhalses  und  insbesondere  des, 
Scheidentheils  als  die  wesentliche  Ursache  des  Herab-  und 
und  Hervortretens  der  Gebärmutter,  wie  unter  Umständen 
nicht  allein  die  Palpation,  sondern  auch  die  Messung  mit  der 
Uterussonde  zugleich  mit  Rücksicht  auf  das  Herabtreten  der 


1)  Vergl.  Martin,  Handatlas   der   Gynäkologie  und  Geburt** 
hülfe.     Berlin  1662.     Taf.  39. 


der  Gebärmutter  bei  Schwangeren  etc.  205 

Harnblase  und  des  hinteren  Theils  vom  Scheidengewölbe  er- 
giebt.  Der  Scheidentheil  tritt  dabei  entweder,  wie  ich  bei 
zwei  Bauermädchen,  welche  noch  nicht  geboren  hatten,  und 
nicht  schwanger  waren,  gesehen  habe,  als  zierlicher  Zapfen 
bis  vor  den  Scheideneingang  sogar  mehr  als  1"  lang 
heraus.  Die  eine  dieser  beiden  Patienten  behauptete,  dass 
der  Fehler  in  Folge  von  schwerer  Arbeit,  insbesondere  von 
Schiebkarrenfahren  entstanden  sei;  jedoch  waren  in  diesem 
wie  in  dem  anderen  Falle  höchst  wahrscheinlich  abnorme 
geschlechtliche  Reizungen  vorhergegangen.  In  beiden  Fällen 
ergab  die  Messung  mittels  der  Uterussonde  eine  Verlängerung 
des  Uterinkanals  auf  4V2 — 5",  der  Muttermund  zeigte  eine 
zierliche  Querspalte  und  der  Muttermund  erschien  nicht  oder 
nicht  viel  unter  seinen  Normalstand  herabgesunken.  Nach 
mehrwöchentlichem  Tragen  eines  Zwank'schen  Hysterophor 
war  in  dem  einen  dieser  Fälle  die  Verlängerung  auffallend 
zurückgebildet  und  der  Scheidentheil  blieb  auch  nach  Ent- 
fernung des  Trägers  an  der  gewöhnlichen  Stelle.  Inwiefern 
hierbei  vielleicht  der  Wegfall  der  geschlechtlichen  Reizungen 
günstig  mitgewirkt  haben  dürfte,  muss  ich  unentschieden  lassen. 

Oder  der  verlängerte  Scheidentheil  erscheint  total 
oder  auch  wohl  nur  partiell,  z.  R.  dessen  vordere  Lippe 
verdickt  von  verschiedener  Festigkeit  und  tritt  dann  als  un- 
förmlicher Wulst  in  oder  vof  die  äussere  Scham.  Diesen 
Zustand  habe  ich  als  acute  oder  chronische  ödematöse 
Schwellung  sowohl  bei  Schwangeren  als  auch  bei  Nicht- 
schwangeren beobachtet 

So  zeigte  die  im  vierten  Monate  ihrer  zweiten  Schwanger- 
schaft stehende  Bertha  Br.,  24  Jahre  alt,  welche  seit  dem 
siehenzehnten  Lebensjahre  menstruirt,  angeblich  stets  gesund 
und  vor  2%  Jahren  von  einem  lebenden  Kinde  ohne  Kunst- 
hülfe leicht  entbunden  war,  als  sie  Anfangs  März  1862  in 
die  gynäkologische  Klinik  des  königlichen  Charitekrankenhauses 
aufgenommen  wurde,  folgenden  Refund.  Nachdem  im  Sommer 
1861  die  Menstruation  ausgehlieben,  um  die  Mitte  December 
aber  eine  geringe  Genitalblutung  und  im  Januar  1862  unter 
dem  Gefühle  von  Senkung  eine  starke  Rlutung  stattgefunden 
hatte,  soll  Ende  Februar  in  Folge  eines  Falles  auf  den  Rücken 
unter   heftigen   Schmerzen    im  Unterleibe,    „etwas   aus   den 


206     IX.   Martin,  üeber  Verlängerung  de«  ßcbeidentfaeUs 

Schamtbeilen  herausgetreten  sein.44  Man  fühlte  unmittelbar 
unter  der  Schamfuge  vor  dem  Scheidcneingaitge  die  sehr 
verlängerte  ödemalös  geschwollene  Scheidenportion,  deren 
vorzüglich  verlängerte  vordere  Lippe  blaulich  roth  und  aa 
der  Innenfläche  mit  einem  Eiler  absondernden  Geschwür  be- 
deckt erschien;  die  Kreuzbeinaushöhlung  war  von  einer  elastisch» 
lluctuirenden  Geschwulst,  dem  sehr  erweiterten  Mulferkirper, 
in  welchem  man  kleine  bewegliche  Theile  wahrnahm,  aus- 
gefüllt. Es  bestand  somit  neben  dem  Prolapsus  eine  Retro- 
flexio  uteri  gravidi  ohne  sehr  erhebliche  Harn-  und  Slukl- 
beschwerden.  Unter  reichlichem  Biutabgange  erfolgte  in  der 
Nacht  vom  9.  — 10.  März  die  Ausslossung  eines  vier  Monate 
alten  Eies  ohne  beträchtliche  Schmerzen.  Die  am  10.  März 
vor  den  Schamtbeilen  noch  sichtbare  sehr  verlängerte  Scheiden- 
porlion  zog  sich  bei  Aufschlägen  von  Bleiwasser  bis  zun» 
17.  Harz  in  die  Scheide  zurück,  so  dass  marv,  später  nur 
mittels  des  Speculum  die  Geschwürfläche  mit  Liquor  bydrargrri 
nitrici  oxydulali  touchiren  konnte.  Zugleich  zeigte  sich  die 
Retroflexion  bei  Vermeidung  der  Rückenlage  gehoben.  Nach 
einigen  Wiederholungen  der  Aetzung  und  Einspritzungen  mit 
Bleiwasser  in  Leinsamenschleim  konnte  die  B.  bereits  am 
7.  April  geheilt  entlassen  werden. 

Eine  ganz  ähnliche  Beobachtung  bot  Frau  W.%  41  Jahre 
alt,  welche  vor  neun  Jahren  ihr  einziges  Kind  geboren  und 
mehrere  syphilitische  AiTectionen  durchgemacht,  deshalb  auch 
vor  längerer  Zeit  das  Zittmanri  sehe  Decoct  gebraucht  hatte. 
Der  letzte  Coilus  sollte  im  Februar  stattgefunden,  die  früher 
regelmässige  Menstruation  noch  im  März  als  heftige  Blutung 
zugegen  gewesen  sein,  dann  aber  bis  Mitte  Juni  ausgesetzt  haben. 

Das  sehr  unbequeme,  den  Hausarzt,  welcher  einige  Tage 
zuvor  einen  bohnengrossen  dünngesliellen  Polypen  aus  dem 
erweiterten  Mutlerhalskanal  entfernt  halte,  frappirende  Herab- 
treten  einer  Geschwulst  in  den  Scheidenausgang  veranlasste 
Patientin  von  auswärts  hierher  zu  reisen  und  am  14  Juni 
meinen  Ralh  zu  suchen.  Zwischen  den  Scharolefzen  sah  ich 
den  Scheideneingang  ausfüllend  einen  bläulich -rothen  weichen, 
mehr  als  dauraenstarken  Zapfen  mit  einer  schräg  verlaufenden 
offenen  dunkelrolhen  Spalte:  den  Scbeidentheil  mit  dem 
Muttermunde;  der  hinter  diesen  Zapfen  eingeführte  Zeigefinger 


der  Geb&ntoatter  bei  Schwangeren  «te*  207 

erreichte  Über  dem  herabgeclrdngten  Scheidengewölbe  die 
hintere  Wand  des  vergrösser ten  undeutlich  flucluirenden 
Mutter  körpers,  welcher  in  der  Kreuzbeinaushöhlung  lag  und 
mit  dem  verlängerten  Multerhalse  einen  Winkel  bildete.  Harn- 
und  Stuhlbeschwerden  waren  nicht  bedeutend  und  nach  Ein- 
führung eines  männlichen  Katheters  in  die  [Tarnblase  gelang 
in  der.  Knie-  und  EHenbogenlage  durch  einen  steten  mit  zwei 
in  die  Scheide  eingeführten  Fingern  geübten  Druck  auf  den 
Mutterkörper  die  Reposition  des  retrofleclirten  Uterus.  Die 
Herstellung  der  regelmässigen  Gestalt  und  Lage  der  Gebär- 
mutter, welche  bei  Vermeidung  der  Ruckenlage  in  der  dem 
vierten  Monate  entsprechenden  Stellung  l)  verharrte,  halte  die 
Ruckbildung  des  Mutterhalses  und  Scheidentheils  zur  Folge; 
vor  demselben  fühlte  man  jetzt  den  ausgedehnten  Gebärmutter- 
kürper  über  dem  Scheidengewölbe  und  dem  Multergrunde 
oberhalb  der  Schamfuge.  Eine  noch  fortbestehende  katarrhalische 
Entzündung  der  Scheide  und  des  Scheidentheils  wurde  durch 
Einspritzungen  mit  Leinsamenlhee  und  Bleiwasser  bekämpft.  — 

Dass  auch  in  der  späteren  Zeil  der  Schwanger« 
schaft  beträchtliche  Verlängerungen  des  Mütterhalses  bis 
zum  Heraustreten  des  Scheidentheils  vor  den  Scheideneingang 
stattfinden,  beweisen  folgende  Fälle. 

Eine  im  neunten  Mondsmonat  ihrer  achten  Schwangerschaft 
stehende,  vor  Jahren  syphilitisch  gewesene  Arbeiterfrau,  welche 
tih  am  11.  August  1835  mittels  der  Wendung  auf  den  Fuss 
wegen  fehlerhafter  Kindeslage  von  einem  lebenden  Mädchen 
entbunden  hatte  und  welche  nichts  von  einem  früher  be- 
standenen Vorfalle  der  Gebärmutter  wissen  wollte,  bemerkte, 
nachdem  die  Schwangerschaft  bis  dahin  ohne  besondere  Zufälle 
verlaufen  war,  am  8.  Juni  1837,  dass  ohne  bekannte  Ver- 
anlassung etwas  aus  ihren  Genitalien  hervortrete;  ich  fand 
die  beiden  dunkelblau  gefärbten  geschwollenen  Multerlippen 
zwischen  den  grossen  Scbamlefzen  und  den  Mutterhals  so 
verlängert,  dass  es  nicht  gelang,  den  vorliegenden  Kindes* 
theil  (wie  sich  später  ergab,  das  Beckenende  der  Frucht)  zu 


1)  Vergl.  Martin,  Ueber  einige  physiologische  Gestalt-  und 
Lage  Veränderungen  der  schwangeren  Gebärmutter  als  Zeichen 
der  Schwangerschaft  in  den  ersten  Monaten  dieses  Zustanden. 
Jeaaleohe  Annalen  für  Physiologie  und  Medicin,  I.  Bd.,  S.  28,  1340. 


208     *x-   Martin,  Ueber  Verlängerung  des  Scheidentiieil*  " 

erreichen,    während  der  Muttergrund   mehrere   Finger   breit 
oberhalb   des  Nabels    zu   fühlen   war.     Bei   vorsichtiger    Ab- 
Wartung  der  horizontalen  Lage   und  Sorge  für  regelmässige 
Ausleerung   verschlimmerte   sich  der  Zustand   nicht,     obwohl 
die  Schwangerschaft  noch  acht  Wochen  dauerte;    die   Geburt 
eines  lebenden  Mädchens  erfolgte  am  6.  August    unter   sehr 
langsamer  Verkürzung    des    aufgelockerten   und  verlängerten 
Mutterhalses   (binnea  14  Stunden)   glücklich,   indem    es   mar 
der  Regulirung  der  mangelhaften  Wehen  und  der  Lösung  der 
Arme   und   des   nachfolgenden   Kopfes   bedurfte.     Die    Rück- 
bildung der  Gebärmutter  ging  unter  fleissigen  Einspritzungen 
mit  Leinsamenscbleim,   später  mit  Eichenrindenabkocbung  so 
rasch  von   Statten,    dass  die  Patientin  nach  sechs  Wochen 
ganz   genesen   erschien   und    später   nicht   wieder   an   Vorfall 
des  Uterus  litt 

Eine    andere    Beobachtung    von   Vorfall    des     hoch- 
schwangeren  Uterus    wurde    in    der   von   mir  geleiteten 
geburtshölflichen    Poliklinik   vor   einigen  Wochen    gesammelt 
Die  34  Jahre  alte,  zum  elften  Male  schwangere  Arbeitersfrau  -P., 
welche  bereits  im  Laufe  der  vorletzten  Schwangerschaft  einen 
nach    der  Geburt   wieder    verschwundenen  Vorfall    bemerkt 
hatte,   meldete   sich  den  3.  Mai  1862  bei  dem  Secundärarzt 
der  Klinik,   Herrn   Dr.   Chisserow,   indem   sie   angab,   dass 
ungefähr   seit  der  Mitte   der  Schwangerschaft   wieder   etwas 
aus    den   Geschlechtstheilen    herausgetreten    sei.     Der   vorn- 
überhängende Muttergrund  stand  beinahe  handbreit  über  dem 
Nabel;  kleine  Theile  fühlte  man  in  der  linken  Seite.    Zwischen 
den  Schamlefzen   ragte   der  Scheidentheil   als  eine  dicke  auf- 
gewulstete,  Nteigig  anzufühlende  Masse  über  handbreit  heraus, 
so   dass   der  Patientin   das  Gehen  .ungemein   schwer  wurde. 
Der  Muttermund  bildete  eine  Querspalte  mit  vielen  seitlichen 
Einrissen  und  Erosionen,  welche  bei  Berührung  stark  bluteten; 
aus   dem   geöffneten  Muttermunde  drang  eine  grosse  Menge 
eiterigen   Schleimes  hervor.     Die   Harnblase    erschien    nicht 
dislocirt,  das  Urinlassen  nicht  erschwert    Man  konnte  den 
herausgetretenen  Scheidentheil,   freilich   nicht   ohne  Schmerz   ' 
zu  erregen,  empordrängen,  jedoch  trat  derselbe  sofort  nach 
Entfernung  der  Finger  wieder  hervor.    Der  vorliegende  Kindes- 
theil war  nicht  zu  erreichen.     Am  6.  Mai,   einige  Tage  vor 


der  Gebärmutter  bei  Schwaderen  *4«.  .     209 

dem  regelmässigen  Ende  der  Schwangerschaft  floss  das  Frucht- 
wasser ab,  am  Abend  des  7.  stellten  sich  Weben  ein,  und 
am  8.  früh  iy2  Uhr  erfolgte  ohne  Konsthülfe  die  Geburt  eines 
in  Folge  von  Umschlingung  um  den  einen  Fuss  scheintodten, 
doch  zu  vollem  Athmen  gelangenden  Knaben.  Der  Abends 
\0  Uhr  hinzugekommene  Praktikant  (Dr.  Sander)  fand  den 
Scheidentheil  nach  dem  Wasserabflüsse  bereits  in  die  Scheide 
emporgezogen  und  sah  sich  nur  veranlasst,  wegen  anfanglicher 
Schmerzhaftigkeit  der  Wehen  einige  Dosen  Rad.  Ipecacuanhae(grj) 
später  wegen  Wehenschwäche  Seeale  cornutum  @ij)  zu  ver- 
abreichen. Das  Wochenbett  verlief  ohne  Störung;  der  Vorfall 
zeigte  sich  nicht  wieder. 

Bei  Nichtschwangeren,  welche  vor  kürzerer  oder 
längerer  Zeit  geboren  haben,  beobachtet  man  die  Ver- 
längerung des  Scheidentheils  weit  häufiger.  In  der 
Regel  finden  zugleich  Dislocationen  der  Gebärmutter  und  der 
Nacbbarorgane,  insbesondere  der  Harnblase,  statt,  jedoch 
nicht  immer.  Quetschungen  der  vorderen  oder  der  hinteren 
Wand  des  Mutterhalskanals  bis  zu  einer  oberflächlichen  Con- 
tinuitätstrennung  scheinen  diesen  Hypertrophien  der  betreffenden 
Mutterlippe  häufig  vorauszugehen.  In  zwei  der  von  mir 
beobachteten  hierher  gehörigen  Fälle  war  schon,  obschon  die 
Geburt  mehrere  Jahre  früher  stattgefunden,  die  vordere  Lippe 
dick  unförmlich,  beträchtlich  länger  als  die  hintere,  und  man 
konnte  oberhalb  dieses  Wulstes  in  dem  geöffneten  Mntterhals- 
kanale  eine  tiefe,  fast  querlaufende  Einkerbung  mit  dem  ein- 
geführten Zeigefinger  constatiren.  In  dem  einen  dieser  Fälle 
sollte  eine  schwere  Entbindung  in  Gesichtslage  vorausgegangen 
sein.  In  anderen  Fällen  von  Verlängerung  des  Scheidentheils 
bei  Nichtschwangeren  lässt  sich  der  Grund  in  einer  Metritis  colli 
nachweisen,  und  hier  erfolgt  dann  und  wann  unter  passender 
arzneilicher  und  diätetischer  Behandlung  eine  Rückbildung. 

So  zeigte  sich  bei  der  unverheirateten  34  Jahre  alten  4f., 
welche  einmal  und  zwar  im  Deceinber  1858  geboren  hatte 
und  am  20.  Februar  1862  in  der  gynäkologischen  Klinik  des 
königlichen  Charite- Krankenhauses  aufgenommen  wurde,  neben 
einer  mit  der  Sonde  constatirten  Retroflexio  uteri  nongravidi 
eine  solche  Verlängerung  der  vorderen  Multermundslippe,  dass 
dieselbe  lfa"  aus  dem  Scheideneingange  hervorragte   und  die 


210     IX.   Martin,  Uttwr  Verfing eräug  dai  Sebeidentheilt 

Lflnge  des  Gebärmutterkanals  41/*"  maaas.  Die  vordere 
Mutterlippe  und  der  Mutterhalskanal,  soweit  mm  hineinsehen 
konnte,  erschienen  erodirt  entzündet,  bei  Berührung  leicht 
Mutend;  aus  dem  Muttermunde  floss  ein  blutiger  Schleim 
hervor.  Mit  der  Heilung  der  Entzündung  und.  Erosion  durch 
Umschlage  von  Bleiwasser  und  später  von  schwefelsaurer 
Kupferlosung  verminderte  sich  die  Veiiängerung,  so  da» 
Patientin,  als  sie  auf  ihren  Wunsch  am  16.  Mai  aus  der 
Klinik  entlassen  wurde,  eine  Länge  des  ganzen  Gebärmutter- 
kanales  von  nur  3"  zeigte  und  die  Scheidenportion  nicht 
mehr  im  Scbeidenausgange  zu  sehen  war. 

Auf  eine  derartige  Zurückbildung  der  hypertrophirffea 
Scbeidenportion  bat  man  dagegen  bei  jahrelangem  Bestände 
der  Anschwellung  nicht  immer  zu  rechnen,  sie  widersteht 
alsdann  auch  den  kräftigsten  Mitteln,  wie  Jodaufpinselungen, 
Kreuznacher  oder  Krankenheiler  Bädern  u.  s.  w„  und  ver- 
ursacht den  Kranken  nicht  allein  inannichfaltige  peinliche 
Beschwerden,  sondern  wird  zumal  da,  wo  die  Verlängerung 
vorzugsweise  die  eine  Lippe  betrifft,  Ursache  von  Sterilität 
In  solchen  Fällen,  in  welchen  eine  Heilung  des  Fehlers  auf 
andere  Weise  nicht  gelingt,  erscheint  die  Abtragung  der 
krankhaft  verlängerten  Scbeidenportion  angezeigt.  Damit  ver- 
schwindet der  scheinbare  Vorfall,  ja  es  übt  in  Fällen,  in 
welchen  die  Erschlaffung  der  den  Uterus  tixirenden  Fascien 
nicht  allzu  gross  ist,  der  angeregte  Entzumlungsprocess  bis- 
weilen eine  so  gunstige  Wirkung  auf  die  contractilen  Elemente 
der  Umgebung  des  Mutterhalses,  das»  wirkliche  Senkungen 
der  Gebärmutter  und  der  Nachbarorgane  dadurch  beseitigt 
und  die  letzteren  an  ihre  normale  Stelle  zurückgeführt  werden. 

Welches  Verfahrens  man  6ich  zur  Abtragung  des 
verlängerten  Scbeidentheils  mit  dem  sichersten  Erfolge 
zu  bedienen  habe,  ist  noch  nicht  allgemein  gültig  entschieden. 
Die  Abtragung  mit  dem  Messer  lässt  die  Gefahr  heftiger 
Nachblutung  aus  den  vier,  oft  beträchtlich  erweiterten  Arterien 
des  Mutterhalses  fast  mit  Sicherheit  erwarten,  wie  ich  mjch 
denn  eines  dadurch  unter  den  genannten  Umständen  herbei- 
geführten töd  Hieben  Ausganges  aus  einem  Pariser  Hospital . 
entsinne.     Neuere  Aerzte  ralhen   daher  nach   der  Abtragung 


der  Geb&rmatte*  bei  Schwangere*  ata,  g J 1 

sofort  das  Glüheisen  zu  apphciren.  —  Den  Gebrauch  der 
Galvanokaustik  rühmen  Andere  zur  Verkürzung  des 
Scheidenlheils;  ich  habe  mich  derselben  bis  jetzt  nur  zur 
Abtragung  cancroider  Wucherungen  bedient;  in  einigen  dieser 
Fälle  schien  ebenso  wie  nach  dem  Gebrauche  des  Glüheisens 
ein  rascheres  Wiederwachsen  der  cancroiden  Wucherungen 
eingetreten  zu  sein.  Ob  die  einfache  Hypertrophie  des  Scheiden- 
theils  mit  Sicherheit  gegen  Nachblutungen  durch  die  Galvano* 
kaustik  entfernt  werden  könne,  muss  ich  unentschieden 
lassen.  —  Den  Ecraseur  habe  ich  nicht  aHein  in  sechs 
Fallen  von  Fibroiden,  welche  als  Polyp  aus  dem  Muttermunde 
hervorgetreten  waren  und  mit  mehr  oder  weniger  breitem 
Stiele  aufsassen,  sowie  bei  wohl  zum  Theil  sehr  beträchtlichen 
cancroiden  Wucherungen  des  Mutterhalses,  sondern  auch  in 
drei  Fällen  zur  Abtragung  des  hypertrophsten  Scheidentheil* 
angewendet  und  muss  mich  mit  der  Wirkung  des  Instruments 
durchaus  zufrieden  erklären.        , 

In  den  hier  zu  besprechenden  Füllen,  wo  die  Umlegung 
der  Kette  um  den  zu  entfernenden  Theil  keinen  Schwierigkeiten 
unterliegt,  wo  die  Gefahr  benaclibarter  Tbeile  z.  B.  die 
Harnblase  mitzufassen  durch  vorher  eingestochene  Nadeln 
sicher  vermieden  werden,  kann,  feiert  der  Ecraseur  seinen 
Triumph,  indem  durch  die  hinlänglich  langsame  .Abscbnurung 
des  kranken  Theiles  auch  die  Gelasse  derartig  compriroirt 
und  zerrissen  werden,  dass  eine  bedenkliche  Nachblutung  nicht 
erfolgt  oder  doch  durch  kalte  Umsehläge,  Bestreichen  mit 
Liquor  ferri  sesquichlorati  u.  s.  w.  alsbald  beseitigt  werden 
kann.  In  allen  drei  Fällen  schritt  die  Heilung  der  Wunde  in 
so  kurzer  Zeit  vorwärts,  dass  die  Patienten  nach  4  —  6  Wochen 
entlassen  werden  konnten,  indem  hei  zwei  zugleich  eine  ge- 
hörige Zurückziehung  des  Uterus  und  seiner  Adnexa  bis  zu 
ihrem  gewöhnlichen  Stande  erfolgt  war,  bei  der  dritten,  bei 
welcher  der  Vorfall  viele  (12)  Jahre  bestanden  hatte,  jedoch 
ein  so  vollkommenes  Resultat  nicht  erzielt  wurde.  Diese  drei 
Beobachtungen  mögen  hier  folgen. ') 


1)  Die  beiden  in  der  gynäkologischen  Klinik  behandelten 
Fälle  hat  Herr  Dr,  Sander  in  »einer  Inangaral»  Dissertation  bereite 
beschrieben. 


212     IX*    Afrrifo»  Ueber  Verlängerung  des  Seheitfentheila 

I.    Seit  vier  Jahren  Vorlall  der  Gebärmutter,  welche 
6"    lang     erscheint     und    in    geringem    Grade 
retroflectirt  ist    Daneben  Cystocele.    Abtragung 
des  um  %"  zu  langen  Scheidentheils.     Heilung. 
Frau  Qrtinthal)   25  Jahre   alt,   von   Mittelgrosse,   seit 
dem  fünfzehnten  Lebensjahre  regelmässig  menstruirt,  gebar  im 
zwanzigsten  Jahre  (1856)  nach  normal  verrufener  Schwanger- 
schaft leicht  ein   Kind,    welches   nach   drei  Wochen   wieder 
starb.     Der  Blutverlust  während   der  ^Entbindung  war  gering. 
Den  vierten  Tag  nach   der  Entbindung   stand  Patientin   auf; 
sie  fühlte  sich  ziemlich  kräftig  und  arbeitete  ohne  Beschwerden. 
Ein  Jahr   später  bildete   sich   während   schwerer  Erntearbeit 
allmälig   und    ohne   Schmerzen   ein  Vorfall    des  Uterus   aus. 
Derselbe  ging  in  der  Ruckenlage  immer  zurück  und  trat  nur 
bei  schwerer  Arbeit  hervor.    Seit  14  Tagen  sind  Ulcerationen 
am  Vorfalle  bemerkt 

Status  praesens  am  13.  August  1861.  Aus  der  Scheide 
ragt  ein  cylindrischer  Körper  3 — 4"  lang  hervor;  die  untere 
Fläche  desselben  mit  dem  Orificium  externum  ist  thalergross 
ulcerirt.  Die  Scheide  ist  mit  ihrer  vorderen  und  hinteren 
Wand  umgestülpt,  aber  keine  Rectocele  vorhanden.  Patientin 
hat  keine  Schmerzen  im  Abdomen;  Urjn  und  Koth  werden 
ohne  Schmerz  entleert.  Bei  der  Untersuchung  durch  das 
Rectum  fühlt  man  nicht  weit  über  dem  Anus  vorn  einen 
Körper,  dessen  Erfde  mit  dem  Finger  nicht  zu  erreichen  ist, 
der  dem  im  Vorfall  durchfühlenden  harten  Körper  (dem  Mutter- 
halse) an  Breite  gleich  ist.  Die  in  den  Muttermund  im  Liegen 
eingeführte  Sonde  geht  anfangs  nach  oben,  dann  links  hin 
and  etwas  nach  hinten.  Die  Länge  des  eingeführten  Theils 
der  Sonde  beträgt  6".  Die  Sonde,  in  die  Harnröhre  eingeführt 
und  nach  unten  gerichtet,  dringt  etwa  2"  abwärts,  während 
sie  umgekehrt  auch  3"  weit  hinter  der  Schamfuge  aufwärts 
vordringt. 

14.  August.  Mittags  wurde  durch  den  Ecraseur  in  der 
Chloroform  -Narcose  ein  mehr  als  s/4*  langes  Stück  des  Vor- 
falls abgetragen.  Die  darauf  folgende  Blutung,  welche  aus 
vier  Gelassen  zu  stammen  schien,  war  massig  und  stand  auf 
Bestreichen  mit  Liquor  ferri  seequichlorati.  Am  Abend  Puls  84. 
Temperatur  kaum  erhöht.     Kalte  Umschläge.     Patientin  klagt 


der  Geb&rraiUUr  bei  Schwangeren  etc.  213 

•ober  Schmerzen  im  unteren  Theile  des  Abdomen  und  in  der 
Wundfläche. 

18.  August  Abends  Temperatur  =  40,4;  Puls  96.  Gestern 
und  vorgestern  geringer  Blutabgang  aup  dem  Uterus.  Angeblich 
ist  die  Zeit  der  Regel  vorhanden.  Patientin  hat  keinen  Appetit, 
viel  Durst.  Geringe  Sehmerzen  im  Uterus,  welche  zeitweise 
auftreten.  Der  bisher  noch  vorgelagerte  Uterus  hat. sich  heute 
Nachmittag  vollständig  in  die  Scheide  zurückgezogen. 

19.  August  Mittags  ein  Schüttelfrost,  danach  Hitze  und 
Schweiss.  Das  Abdomen  ist  weder  spontan  noch  auf  Druck 
schmerzhaft.  Appetit  schlecht;  kein  Husten.  —  5  Uhr  Abends 
Temperatur  =  40-,  Puls  108.  —  Ord.  Chinin,  sulphur.  gr.  ijS. 
Opii  puri  gr.  V4,  drei  Mal  täglich.  Einspritzungen  mit 
Decoct.  sem.  lini. 

20.  August.  Morgens  9  Uhr  Temperatur  ==  38,7°. 
Abends  5  Uhr  Temperatur  =  41°. 

21.  August.    Abends  Temperatur  =  39,7°. 

23.  August  Morgens  9  Uhr  Temperatur  =  38,1°, 
Puls  =  84   Abends  5  Uhr  Temperatur  =  40,3°,  Puls  =  92. 

24  August.  Morgens  9  Uhr  Temperatur  =  38,5  °, 
Puls  =  84  Abends  5  Uhr  Temperatur  =  38,6°,  Puls  =-94. 
Gut  geschlafen.  -Morgens  von  5 — 7  Uhr  Schweiss,  grosse 
Mattigkeit.  Appetit  ziemlich  gut;  Durst  stark;  Stuhlgang  in 
der  Nacht.  Milz  vergrössert;  Ausfluss  aus  der  Vagina  weisslich, 
massig. 

27.  August  Der  in  die  Scheide  retrahirte  Uterus  ist 
seit  dem  18.  August  nicht  wieder  hervorgetreten.  Patientin 
hatte  in  den  letzten  Tagen  keinen  Schmerz,  keine  subjective 
Hitze.  Der  Appetit  war  gut,  der  Stuhlgang  regelmässig, 
Defaecation  schmerzlos.  Die  Schnittfläche  des  Uterus  hat  sich 
sehr  verkleinert  und  ist  mit  schönen  Granulationen  bedeckt 
Leicht  gelblicher  Ausfluss  aus  der  Vagina.    Einspritzungen. 

17.  September.  In  der  Vagina  fühlt  man  hinter  der 
Portio  vaginalis  eine  rundliche,  ziemlich  resistente  Geschwulst, 
so  dass  zwischen  Portio  vaginalis  und  letzterer  der  Finger 
eindringen  kann.  Die  Sonde  wendet  sich  bei  der  Einführung 
mit  der  Concavitat  nach  hinten;  wird  die  eingeführte  Sonde 
mit  der  Concavitat  nach  oben  gekehrt,  so  verschwindet  die 
Geschwulst  hinter  der  Portio.    Die  Sonde  dringt  ungefähr  X" 


214     IX.    Martin,  Ueber  Verfolge rimg  des  ftchetdentheiU 

Aber  die  Norm  in  den  Uterus  ein.  Die  Wufldfliche  an  der 
Portio  vaginalis  ist  auf  ein  Minimum  reducirt.  Keine  Be- 
schwerden beim  Stuhlgange;  keine  Beschwerden  Seitens  der 
Retroflexkm. 

Da  die  Operirte  auch  bei  längerem  Anfrechtstehen  und 
Herumgehen  Ober  keinerlei  Beschwerden  klagte,  auch  keinen 
Vorfall  zeigte,  wurde  sie  Ende  September  aus  dem  Kranken- 
hause entlassen. 

IL  Seit  zwölf  Jahren  Gebärmuttervorfall  mit  Cysto- 
cele.  Uterus  5"  lang.  Abtragung  des  verlängerten 
Scheidentheils.     Unvollständige  Heilung. 

Frau  /?.,  geb.  A.s  Wiltwe,  43  Jahre  alt,  mager,  gross, 
kam  am  16.  October  1861  in  die  gynäkologische  Klinik. 

Patientin  ist  seit  ihrem  sechszehnten  Jahre  regelmässig 
alle  vier  Wochen  menstruirt,  mit  durchschnittlich  eintägiger 
Dauer.  •  Im  Jahre  1848  verhcirathet,  im  October  1849"  mittels 
Zange  entbunden,  bemerkte  sie  plötzlich  drei  Wochen  nach 
der  Entbindung,  als  sie  sich  bockte,  dass  aus  der  Scheide 
eine  hfthnereigrosse  Geschwulst  hervortrat.  Ein  GefiftM  von 
Schwere  und  von  Hinabgleiten  eines  Körpers  m  der  Scheide 
war  sogleich  nach  der  Entbindung  vorhanden  und  veranlasste 
Patientin  immer  etwas  gebückt  zu  geben.  Die  Geschwulst 
wurde  durch  eine  Hebamme  reponirt  und  ein  Schwamm  ein- 
gelegt, der  jedoch  alsbald  herausglitt,  wenn  Patientin  einige 
Schritte  zu  gehen  versuchte.  Im  Jahre  1851  wurde  Patientin 
abermals  schwanger,  war  während  der  Schwangerschaft  frei 
von  ihren  froheren  Leiden  bis  zum  November  1861,  wo  sie 
von  Zwillingen  entbunden  gleich  nach  der  Geburt  den  froheren 
Tumor  wieder  bemerkte.  Patientin  hat  seitdem  mehrere  Jahre 
hindurch  verschiedene  Matterkränze  getragen,  jedoch  woflte 
keiner  vollständig  passen. 

States  praesens  am  2.  November  1861.  Vollständiger 
Ptolapsus  uteri,  Cystooele,  jedoch  so,  dass  der  Scheidentheil, 
zumal  an- der  vorderen  Lippe,  3"  die  Verbindungsstelle  mit 
der  Harnblase  überragte,  und  dass  ein  grösserer  Tbeil  der 
Harnblase  hinter  der  Scbamfuge  mittels  der  Sowie  nach- 
zuweisen iet,  keine  Rectocele;  inversio  vaginäe.  Am  Orificii»!» 
enternum  uteri  eine   erodirte  Fläche.     Am  Introitus   vagmwe 


4*r  Gebärmutter  bei  Sdrwaagertn  et«.  216 

an  der  hinteren  Commissnr  ein  rundes  Geschwür.  Uterus 
4"  10"  lang.  Umschläge  mit  Sol.  Cupri  sulphur.,  Bäder  nät 
Decoct.  cort.  quercus.     Heilung  des  Geschwürs. 

25.  November.  Nach  Anästheairung  der  Kranken  durch 
Chloroform- Dämpfe  wurden  zwei  starke  Nadeln  unterhalb  der 
Verbindungsstelle  mit  der  Blase  durch  den  Mutterhals  gestochen 
und  der  Ltier'sche  Ecraseur  unmittelbar  darunter  angelegt 
und  langsam  zugeschraubt.  Nach  Abtragung  des  Scheidentheils 
wurde  die  Nachblutung  durch  Aufstreichen  von  Liquor  fcrri 
sesquichlorati  gestillt.     Kalte  Umschläge. 

26.  November.  Befinden  gut,  keine  Nachblutung,  etwas 
Frost  am  Vormittage. 

27.  November.  Uterus  in  die  Vagina  zurückgezogen ;  keine 
Störung  des  Allgemeinbefindens.     Eiterig- blutiger  Ausßuss. 

9.  December.  In  Folge  der  anhaltenden  Ruckenlage 
Retroversio  uteri.     Die  Operirte  verlässt  das  Bett. 

1862.  10.  Januar.  Uterus  iys"  zu  lang,  keine  deut- 
liche Retroversio  mehr. 

7.  Februar.  Der  Prolapsus  vaginae  anterior  mit  Cystocele 
hat  sich  wieder  eingestellt  Die  Blase  geht  bis  an  den  Mutter- 
mund. Uterus  %"  zu  lang.  Die  Wunde  am  Mutterhalse 
vollständig  vernarbt. 

Am  16.  Juni  1862  wurde  die  partielle  VerscUieseuog  des 
Scheidenausganges  durch  Elylrorapbie  vorgenommen,  nachdem 
verschiedene  Retentionsapparate  vergeblich  angewendet .  waren. 

III.  Seit  zwei  Jahren  Hervorragen  des  Scheiden- 
theils aus  der  Scheidenöffnung.  Uterus  fast  5" 
lang.  Abtragung  des  Scheidentheils.  Vollständige 
Heilung. 

Frau  K.  aus  T.t  37  Jahre  alt,  kleiner  Statur,  wohlgenährt, 
regelmässig  menstruirt,  gebpr  vor  drei  Jahren  ohne  besondere 
Zufalle,  blieb  aber  seit  dem  Wochenbette  leidend  und  concipirte 
nicht  wieder.  Einige  Monate  nach  ihrer  Entbindung  bemerkte 
sie ,  dass  unter  dem  Gefühle  von  Herahdräftgen  etwas  in  den 
Scheidenausgang  trat,  das  sie  bei  dem  Stehen  und  Gehen 
belästigte.  Ein  vor  Jahresfrist  auswärts  consultirter  angesehener 
Arzt  verwies  die  Patientin  an  mich;  dennoch  stellte  sie  sich 
erst  am  6.  April  1862  mir  vor.    Ich  fand  den  verdickten  und 


216    IX-   Martin,  Utbftr  Verl&ngeniBg  cUs  SdieKUntheils  etc. 

verlängerten  Scheidentheil  als  eine  hellrothe  unebene  massig  feste 
Geschwulst,  an  welchem  die  vordere  Lippe  betrachtlich  ober  die 
hintere  hervorragte,  etwa  2"  lang  aus  dem  Scheideneingange 
hervorsehend;  der  Muttermund,  eine  verhällnissmässig  kleine 
verzogene  Querspalte  erschien  versteckt  Die  Länge  des  ganzen 
Gebärmutterkanales  betrug  5",  derselbe  war  nicht  geknickt;  die 
Harnblase  zeigte  sich  nicht  merklich  herabgesunken,  ebenso 
wenig  die  hintere  Hälfte  des  Scheidengewölbes.  Nachdem 
die  Menstruation  abgewartet  war,  wurde  die  auf  dem  Rande 
eines  Operationstisches  liegende  Patientin  chlor oformirt,  der 
bypertrophirte  Scheidentbeil  mit  der  Mus etiaf  sehen  Zange  am 
unteren  Ende  gefasst,  am  oberen  Ende  unterhalb  der  Verbindung 
mit  der  Harnblase  mit  zwei  4  Zoll  langen  derben  Stahlnadeln 
durchstochen,  mit  der  Kette  des  Luer'schen  Ecraseurs  un- 
mittelbar darunter  umgeben  und  allmälig  zugeschraubt  In 
fünf  Minuten  war  der  Scheidentheil  abgetrennt  Die  durch  die 
Nadeln  fixirte  Wundfläche  blutete  fast  gar  nicht,  so  dass  nach 
V4  Stunde  die  Nadeln  entfernt  und  der  Scheidentheil  in  die 
Scheide,  welche  zu  mehrerer  Sicherheit  mit  in  verdünntem 
Liquor  ferri  sesquichlorati  getränkten  Wolltampons  ausgefüllt 
wurde,  zurückgebracht  werden  konnte.  Bei  kühlen  Wasser* 
Umschlägen  auf  den  Unterleib  verliefen  die  ersten  Tage  ohne 
erhebliche  Reaction.  Unter  Einspritzungen  mit  lauem  Lein- 
samenschleim verschwand  alle  Empfindlichkeit,  weshalb  bereits 
am  20.  April  eine  Auflösung  von  Cuprum  sulphuricum  zu 
den  Injectionen  verwendet  und  am  23.  die  rothe  unebene 
Wundfläche  mit  einer  Lösung  des  Argentum  nitricum  in 
Wasser  Qj  in  $v)  begossen  wurde.  Am  5.  Mai  stellte  sich 
die  Menstruation  in  gewöhnlicher  Weise  ein.  Nach  Ablauf 
derselben  wurden  Einspritzungen  mit  einer  Lösung  von 
Zincum  sulphuricum  verordnet,  und  am  23.  Mai  erschien  der 
Muttermund  gehörig  formirt,  die  vordere  Lippe  mit  der 
hinteren  gleich  lang  und  an  der  gehörigen  Stelle  im  Becken 
alle  Functionen  in  bester  Ordnung,  so  dass  Patientin  geheilt 
in  ihre  Heimath  abreisen  konnte. 


X.    Braun,  Bericht  über  die  Ereignisse  etc.  217 


X. 

Bericht  über  die  Ereignisse   in  der  unter  der 
Leitung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Hecker  stehenden 
geburtshülf liehen  Poliklinik  der  königL  Ludwig- 
Maximilians -Universität  zu  München 

vom  1.  October  1859  bis  zum  30.  September  1861. 

Von 

Dr.  M.  Braun, 

praktischem  Arzt  and  Hülfsarzt  an  der  Poliklinik. 

Innerhalb  der  genannten  zwei  Jahre  kamen  in  der  geburts- 
hilflichen Poliklinik,  welche  in  derselben  Weise,  wie  sie  ihr 
Gründer,  Herr  Professor  Hof  mann,  wiederholt  beschrieben, 
fortgeführt  wurde,  im  Ganzen  613  Geburten,  1859—1860  485, 
1860 — 1861  428,  zur  Beobachtung.  Im  Gegensatze  zur 
Klinik  fanden  sich  unter  den  913  Gebärendeu  391  verheirathele 
und  522  ledige,  während  in  erslerer  nur  ausnahmsweise  ver- 
heiratete Frauen  Aufnahme  suchen  und  finden. 

Dem  Älter  nach  standen  zwischen 

15  und  20  Jahren  51, 
21  „30  „  451, 
31  „  40  „  353, 
41    „    50      „        58. 

Die  jüngste  Gebärende  befand  sich  im  16.  Jahre,  die 
Älteste  zählte  49  Jahre  6  Monate. 

Unter  den  913  Gebärenden  fanden  sich  301  Primi-  und 
612  Multiparae.  Das  Verhällniss  zwischen  beiden  ist  demnach 
etwa  das  von  1:2,  weicht  also  gar  nicht  von  demjenigen, 
wie  es  in  der  Klinik  beobachtet  wurde  (1  :  1,9)  ab. 

Unter  den  612  Mehrgebärenden  wurden  beobachtet: 
214  Zweitgebärende,  21  Siebentgebäreuile,  3  Zwölftgebärende, 


127  Dritt-       „ 

26Acht- 

w 

,  5  Dreizehn t- 

114  Viert - 

|  lONeunt- 

n 

1  Fünfzehnt- 

49  Fünft-      „ 

,    7  Zehnt- 

» 

2  Siebenzehnt- 

27  Sechst-    „ 

!   3  EM- 

»» 

, 

Monatiiobr.  f.  GeburUk.  1868.  Bd.  XX.,  Hfl.  8.  16 


218  *•    Braun,  Bericht  übt*  die  ErejgaUse 

Unter  den  913  Geburten  kamen  24  Mal  Zwillinge  vor, 
also  in  .einem  Verhältnisse,  wie  1 :  38,  was  aus  naheliegenden 
Gründen  nicht  zu  statistischen  Betrachtungen  verwerthet 
werden  kann;  abnorme  Fälle  sind  in  einer  geburtshülflichen 
Poliklinik  im  Verhältnisse  zu  den  normalen  ungewöhnlich 
zahlreich,  so  auch  Zwillingsgeburten. 

Von  den  Geburten  waren  826  zeitige,  49  unzeitige  und 
38  frühzeitige;  die  Gesammtzahl  der  geborenen  Kinder  be- 
trug 937,  von  denen  495  männlichen  und  418  weiblichen 
Geschlechts  waren;  bei  24  Abortivfrüchten  konnte  das  Ge- 
schlecht nicht  bestimmt  werden. 

I.    Ans  der  Physiologie  der  Geburt. 

Es  wurden  im  Ganzen  880  Geradlagen  und  23  Quer- 
lagen beobachtet;  bei  34  Embryonen  war  die  Lage  unbestimmt. 

Bei  den  880  Geradlagen  zeigte  sich  807  Mal  der  Scheitel 
vorliegend  und  zwar'  628  Mal  in  erster,  175  Mal  in  zweiter 
Position;  dazu  kamen  nach  dir  Angabe  der  Praktikanten 
4  Vorderscheitellagen,  eine  Anzahl,  die  verhäftnissmässig  zu 
gering  ist,  um  nicht  auf  Beobachtungsfehler  schliessen  zu  lassen. 

Gesichtslagen  kamen  10  Mal,  Beckenendlagen  63  Mal  vor. 

A.     Gesichtslagen. 

Die  10  beobachteten  Fälle  ereigneten  sich  sämmtlicb  am 
normalen  Ende  der  Schwangerschaft  und  zwar  bei  3  Erst-, 
2  Zweit-,  1  Dritt ->  2  Fünft-  und  2  Siebentgebärenden. 

Als  ursächliche  Momente  für  das  Zustandekommen  der- 
selben Hess  sich  mehrfach  eine  eigentümliche  Configuration 
des  kindlichen  Kopfes ,  nämlich  bei  nicht  unbedeutender  Grösse 
desselben  eine  geringe  Differenz  zwischen  geradem  und 
diagonalem  Durchmesser  erkennen.  In  wie  weit  die  Gesichts- 
lagen aus  Schieflagen  entstanden  waren,  darüber  lässt  sich  . 
nichts  angeben,  weil  die  betreffenden  Personen  nicht  vor  der 
Geburt  untersucht  worden  waren.  Einige  frappante  Fälle, 
welche  zufällig  in  letzter  Zeit  sich  zusammengedrängt  haben, 
wird  Herr  Prof.  Hecker  bei  einet  anderen  Gelegenheil 
publiciren,  doch  kann  hier  nicht  unerwähnt  bleiben,  das*  ü 
vier  Fällen  eine  gewisse  Rigidität  der  vorderen  Muttermünds- 
lippe  für  das  Zustandekommen  der  ungewöhnlichen  Haltung 


in  der  geburtahtilflichen  Poliklinik  zu  München  etc.     219 

des  Kopfes  nicht  unwichtig  erschienen  war.  Die  Geburtsdauer 
schwankte  in  der  ersten  Periode  zwischen  5  und  36  Stunden, 
in  der  zweiten  zwischen  4  und  14  Stunden.  Die  Kinder 
wurden  bis  auf  eines  lebend  geboren;  bei  zweien  wurde  die 
massige  Asphyxie  schnell  beseitigt;  der  Tod  des  einen  Kindes 
schien  seine  Ursache  in  frühem  Abflüsse  des  Fruchtwassers 
und  zu  langer,  nämlich  vierzehnstündiger  Dauer  fder  zweiten 
Geburtsperiode  zu  haben.  Indication  zur  Kunsthülfe  war 
nicht  vorhanden,  da  vor  dem  Durchtritte  des  Kopfes  der 
kindliche  Herzschlag  noch  deutlich  gehört  worden  war.  Ueber- 
haupt  wurde  ein  operativer  Eingriff  nur  in  einem  Falle  vor- 
genommen; bei  einer  Erstgebarenden  nämlich  musste  nach 
normal  geborenem  Kopfe  der  Rumpf  manuell  entwickelt  werden. 
Das  Wochenbett  verlief  in  allen  Fällen  günstig ;  eine  32jährige 
Fünftgebärende,  welche  an  weit  vorgeschrittener  Laryngo- 
phthisis  litt,  wurde  nach  acht  Tagen  eines  relativ  normalen 
Puerperiums,    wie    gewöhnlich,     anderweitiger    Behandlung 


B.    Becke-nendlagen. 

Die  63  Fälle  von  Beckenendlagen,  zu  denen  15  bei 
24  Zwillingsgeburten  gehören,  kamen  bei  23  Primiparis  und 
40  Multiparis  vor.  Man  beobachtete  36  erste,  14  zweite 
Steisslagen,  9  erste  und  4  zweite  Fusslagen. 

Die  Einteilung  nach  der  Frage,  ob  sich  der  Rücken  des 
Kindes  in  der  linken  oder  rechten  Mutterseite  befindet,  zeigte 
sich  in  allen  Fällen  ausreichend  und  durchführbar;  im  Verlaufe 
der  Geburt  wurde  allerdings  nicht  ganz  selten  ein  Wechsel 
in  der  Position,  also  z.  B.  der  Uebergang  einer  ersten  in 
eine  zweite  Steisslage  bemerkt 

Dass  Beckenendlagen  relativ  häufiger  bei  lrühreifen  Kindern 
beobachtet  werden,  fand  man  bestätigt,  denn  unter  den 
63  Fällen  waren  nur  45  Kinder  ausgetragen,  18  dagegen 
unreif,  und  zwar  waren  die  Früchte  1  Mal  aus  dem  fünften, 
4  Mal  aus  dein  sechsten,  7  Mal  aus  dem  siebenten,  6  Mal 
aus  dem  achten  Monate  der  Schwangerschaft. 

Von  den  63  Kindern  waren  vier  vor  der  Geburt  ab- 
gestorben, 15  gingen  während  der  Geburt  zu  Grunde,  es 
wurden  mitbin  44  lebend  geboren  und  von  diesen  befanden 
sich  13  in  einem  Zustande  geringerer  oder  höherer  Asphyxie. 


220  X      Braun,  Bericht  über  die  Ereignisse 

Das  angegebene  Mortalitätsverhältniss  erscheint  nicht 
ungünstig,  wenn  man  die  Schwierigkeiten  der  poliklinischen 
Praxis  berücksichtigt  und  ferner  bedenkt,  dass  die  Zwillings- 
geburten mit  eingerechnet  sind,  dass  überhaupt  18  unreife 
Früchte  dabei  figuriren. 

Eine  operative  Nachhülfe  zeigte  sich  bei  den  Beckenend- 
lagen nicht,  selten  nothwendig  und  wurde  in  den  meisten 
Fällen  ohne  besondere  Schwierigkeit  ausgeführt  Einzelne, 
die  zum  Theil  freilich  in  das  Gebiet  der  Pathologie  der  Geburt 
gehören,  mögen  hier  schon  Erwähnung  finden. 

1.  Bei  einer  SOjfihrigen  Sechstgebärenden,  welche  früher 
mit  der  Zange  entbunden  worden,  machte  die  Entwickelang  des 
durch  seine  Grösse  im  Missverhältnisse  mit  den  mütterlichen 
Theilen  stehenden  Kopfes  viel  Mühe,  konnte  jedoch  ohne  An- 
wendung der  Zange  bewerkstelligt  werden,  das  Kind  blieb  eine 
halbe  Stunde  aspbyktisch,  wurde  aber  wieder  belebt. 

2.  Bei  einer  43jKhrigen  Viertgebärenden  mnsste  wegen 
Pulslosigkeit  der  zwischen  den  Schenkeln  hin  durchlaufenden 
Nabelschnur  die  Geburt  beschleunigt  werden;  auch  hier  wurde  das 
Kind  zum  Leben  gebracht. 

3.  Eine  20 jährige  Erstgebärende  kam  am  2.  April  1860 
nieder,  und  präsentirte  sich  das  nicht  ausgetragene  Kind  in  zweiter 
Fusslage;  drei  Wochen  vorher  waren  bei  ihr  heftige  eqlamptische 
Anfälle  beobachtet  worden,  die,  ohne  dass  Wehen  zu  Stand© 
kamen,  aufhörten;  diesen  Fall  hat  Prof.  Hecker  in  seiner  „Klinik ■, 
8eite  137,  beschrieben. 

C.     Zwillingsgeburten., 

Wie  schon  erwähnt,  kamen  24  Fälle  von  Zwillingsgeburten 
zur  Beobachtung,  und  zwar  bei  8  Erst-,  3  Zweit-,  3  Dritt-, 
6  Viert-,  3  Fünft. -,  1  Achtgebärenden.  Die  Diagnostik  der 
Zwillingsgeburt  muss  begreiflicher  Weise  in  der  Poliklinik 
auf  viel  grössere  Schwierigkeiten  stossen,  als  in  der  Klinik; 
es  ist  daher  auch  nur  in  wenigen  Fällen  vor  Ausstossung  des 
Kindes  möglich  gewesen,  mit  Präcision  das  Vorhandensein 
von  Zwillingen  nachzuweisen. 

Die  48  Kinder  stellten  sich  in  folgenden  Lagen  zur  Geburt. 

Beide  Kinder  in  Kopflagen 6  Mal. 

Erstes  Kind  in  Kopf-,  zweites  in  Schief  läge    .  .  5    „ 

„  „     »       »  „       ,,   Beckenendlage  4    „ 

„         „     „   Beckenend-,  zweites  in  Kopflage  4    „ 

Beide  Kinder  in  Beckenendlagen .  3    „ 


in  der  geburtsbütflichen  Poliklinik  au  München  etc.     221 

Beide  Kinder  in  Schieflagen 1  Mal. 

Erstes  Kind  in  Schief-,   zweites  in  Beckenendlage  1     „ 

Die  Zeit  zwischen  der  Geburt  des  ersten  und  des  zweiten 
Kindes  betrug  4  Mal  %  Stunde,  5  Mal  ya  Stunde,  4  Mal 
1  Stunde,  2  Mal  l'/2  Stunde,  4  Mal  2!/2  Stunde,  1  Mal 
3  Stunden,  1  Mal  8  Stunden,  2  Mal  10  Stunden. 

Der  Geburtsverlaul'  war  in  12  Fällen  ein  ganz  regel- 
mässiger, in  2  Fällen  trat  nach  der  Geburt  des  ersten  Kindes 
länger  dauernde  Wehenschwäche  ein,  welche  schliesslich  durch 
Sprengen  der  sehr  dicken  Eihäute  gehoben  wurde.  In  einem 
Falle  von  Querlage  beim  zweiten  Kinde  musste  wegen  profuser 
Blutung  der  Wendung  auf  einen  Fuss  sogleich  die  Extraction 
des  Rumpfes  und  manuelle  Entwickelung  des  Kopfes  folgen; 
das  grosse  reife  Kind  war  in  Folge  frühzeitiger  Lösung  der 
Placenta  an  Anämie  zu  Grunde  gegangen. 

Erwähnenswerth  erscheinen  an  dieser  Stelle  schon  zwei 
Fälle,  wo  nach  normaler  Geburt  des  ersten.  Kindes  je  in 
erster  Scheitellage  das  Leben  des  zweiten  Kindes  durch 
mangelhaft  ausgeübte  Kunsthülfe  von  Seite  unwissender  Bader 
gefährdet  wurde. 

Der  erste  betraf  eine  achtgebärende  39  jährige  Feldwebelsfrau, 
welche  schon  einmal  Zwillinge  zur  Welt  gebracht  hatte;  nachdem 
am  11.  Februar  1860  Morgens  2  Uhr  das  erste  Kind  in  erster 
Scheitellage  geboren  war,  stellte  sich  bald  darauf  eine  «weite 
Frnchtblase;  die  anwesende  Hebamme  sprengte  dieselbe,  da  sie 
keinen  Kindestheil  vorliegend  fand,  und  zog  das  linke  Aermchen 
herab,  welches  sie  für  eine  untere  Extremität  hielt;  zugleich 
fiel  eine  grosse  Schlinge  der  Nabelschnur  vor.  Der  nunmehr 
hinzugezogene  Landarzt  versuchte  bald  mit  dem  rechten,  bald 
mit  dem  linken  Arme  die  Wendung  ohne  Erfolg,  und  so  wurde 
nach  drei  Stunden  poliklinische  Hülfe  in  Anspruch  genommen. 
Man  fand  die  Frau  in  hohem  Grade  erschöpft,  dabei  aber  be- 
ständig pressend,  das  Kind  in  zweiter  Schulterlage,  erster  Unterart, 
vorliegend,  die  linke  Schulter  fest  im  kleinen  Becken  eingekeilt. 
In  einer  tiefen  Chloroformnarkose  gelang  die  Wendung  auf  den 
linken  Fuss  nicht  ohne  Schwierigkeit.  Das  Kind,  ein  kräftiger 
Knabe,  war  todt.     Die  Wöchnerin  genas. 

Im  zweiten  Falle,  bei  einer  32jährigen  viertgebärenden 
Zugführersfrau,  war  die  Complication  eine  noch  grössere.  Die 
Geburt  des  ersten  Kindes  hatte  Morgens  7  Uhr  am  6.  April  1860 
stattgefunden;  bis  Abends  ö'/4  Uhr,  wo  die  Poliklinik  intervenirte, 
waren    nicht    nur   drei    vergebliche    Wendungsversuche    gemacht 


X.     Braun,  Bericht  über  die  Ereignisse 

worden,  sondern  man  hatte  auch  Wehenpnlver  ans  Seeale  und  Borax 
bestehend,  verabreicht;  das  abgestorbene  Kind  konnte  nur  mit 
der  grössten  Mühe  gewendet  und  extrahirt  werden.  Die  Mutter 
wurde  von  einer  heftigen  Endo-  und  Perimetritis  befallen,  von 
der  sie  erst  nach  Ablauf  von  vier  Wochen  genas. 

Im  Gegensätze  zq  diesen  beiden  Fällen  steht  ein  anderer, 
wo  die  rechtzeitige  und  zweckmässige  Intervention  der  Kunst 
gluckliche  Resultate  hatte. 

Bei  einer  34jährigen  Zweitgebärenden  stellte  sich  das  erste 
Kind  in  erster  Schulterlage  erster  Unterart,  das  «weite  in  zweiter 
Schulterlage  zweiter  Unterart  zur  Geburt;  durch  Wendung  und 
Extraction  wurden  beide  Kinder,  ein  Knabe  und  ein  Mädchen, 
lebend  zu  Tage  gefordert;  das  Wochenbett  verlief  normal. 

Bei  zwei  Erstgebärenden  musste  die  Zange  applicirt  werden 
und  zwar  ein  Mal  an  den  Kopf  des  zweiten  Kindes,  weil  sich 
nach  normalem  Durchtritte  des  ersten  in  zweiter  Steisslage 
der  des  letzteren  schon  um  10  Stunden  verzögert  und  sich 
eine  bedenkliche  Erschöpfung  der  Kreissenden,  sowie  Gefahr 
für  das  Leben  des  Kindes  deutlich  herausgestellt  hatte.  Nach 
rascher  Entwickelung  desselben  konnte  es  trotz  hochgradiger 
Asphyiie  zum  Leben  gebracht  werden.  Die  Mutter  erholte 
sich  schnell.  Im  zweiten  Falle  fand  die  Anlegung  an  den 
Kopf  des  ersten  Kindes  statt  und  zwar  wegen  totaler  Wehen- 
schwäche, die  durch  andere  Mittel  erfolglos  bekämpft  worden  war. 

Der  gleichzeitige  Durchtritt  des  nachkommenden  Kopfes 
des  ersten  Zwillings  mit  dem  vorangehenden  des  zweiten, 
durch  Naturkräfte  bewirkt,  wurde,  ebenso  wie  der  Vorfall 
der  Pläcenta  des  zweiten  Kindes  nach  der  Geburt  des  ersten, 
in  der  „Klinik",   Seite  80  ff.,  von  Prof.  Hecker  oiftgetheilt. 

In  zwei  Fallen  war  neben  dem  Kopfe  der  rechte  Arm 
vorgefallen,  nach  dessen  Reposition  jedoch  die  Geburt  durch 
die  Naturkräfte  jedes  Mal  beendet  wurde. 

Vier  Mal  wurde  nach  Ausstossung  beider  Früchte  Atonie 
des  Uterus  beobachtet,  in  Folge  dessen  heftige  Blutungen 
auftraten,  welche  in  einem  Falle  durch  Reibungen  und  Ver- 
abreichen von  Seeale  cornutum,  in  zwei  Fällen  durch  manuelle 
Entfernung  der  Blutcoagula  aus  dem  Uterus  und  Injectionen 
von  kaltem  Wasser,  bei  einem  weiteren,  nachdem  dieselben 
Manipulationen  erfolglos  geblieben,  durch  Injectionen  von 
Liquor  ferr.  sesquichlorati  (3j  auf  %  ß  Wasser)  gehoben  wurden. 


in  der  gaburtehtilffichen  Poliklinik  mn  München  etc.     228 

V«n  den  Zwtföngskindern  waren  20  ausgetragen,  28  nicht 
reif;  von  diesen  6  aus  dem  sechsten,  6  aus  dem  siebenten, 
4  aus  dem  achten,  12  aus  dem  neunte«  Monate  der  Schwanger- 
schaft Dem  Geschlechte  nach  waren  es  6  Mal  je  zwei  Knaben, 
1  Mal  je  zwei  Mädchen,  17  Mal  ein  Knabe  und  ein  Mädchen. 

Es  wurden  36  Kinder  lebend  und  12  todt  geboren,  von 
denen  4  vor  der  Geburt  abgestorben  waren.  Von  den  36 
lebend  geborenen  blieben  29  innerhalb  der  ersten  acht  Tage 
am  Leben,  7  starben  an  Atrophie  nnd  Lebensschwäche. 

Die  Placenten  waren  15  Mal  nit  einander  verwachsen, 
0  Mal  von  einander  getrennt;  die  Eihäute  zeigten  sich  immer 
doppelt 

Marginal- Insertion  der  Nabelschnur  war  13  Mal  bemerkt 
worden. 

In  einem  Falle  zeigte  sich  eine  i  Placenta  im  Zustande 
körniger  Zotteninfiltration  in  Folge  von  Verödung  der  befasse. 
Der  derselben  angehörige  Fötus  war  in  seiner  Entwickelung 
hb  Vergleich  zu  dem  anderen,  dessen  Ausbildung  dem  siebenten 
Monate  der  Schwangerschaft  entsprach,  um  zwei  Monate 
zurückgeblieben  und  in  lipoider  Umwandlung.  Sein  frühzeitiges 
Absterben  erklärte  sich  aas  einer  Torsion  der  Nabelschnur, 
weshalb  die  Veränderung  in  der  Placenta  als  *ecundär  be- 
trachtet werden  musste. 

II.   Aus  der  Pathologie  der  Schwangerschaft  und  Geburt. 

Unter  den  Goraplicationen  der  Schwangerschaft  resp. 
Geburt  dürften  folgende  Erwähnung  verdienen.  Störungen 
kn  venösen  Kreisläufe  traten  in  höherem  Grade  nur  bei  zwei 
Schwangeren  auf;  beide  waren  Erstgebärende,  die  eine  17, 
die  andere  37  Jahre  alt,  beide  hatten  viel  Eiweiss  im  Urin, 
Oedem  der  unteren  Extremitäten  und  des  Gesichtes,  beide 
•kamen  im  siebenten  Monate  ihrer  Schwangerschaft  ohne 
eclamptische  Zufälle  nieder,  worauf  der  Hydrops  and  die 
Albuminurie  rasch  abnahmen.  Eine  andere  eigentümliche 
Circulationsstörung  zeigte  eine  30jährige  Frau,  indem  Er- 
scheinungen der  Anämie  sich  combinirt  zeigten  mit  deutlich 
nachweisbarer  sehr  beträchtlicher  Vergrösserung  der  Milz,  die 
w#W  das  Dreifache  ihres  gewöhnlichen  Volumens  angenommen 
hatte.     Inwiefern  bei  dieser   ein  in  den  ersten  Monaten  der 


224  X.     Brown,  Bericht  tttar  die  Ereignis«« 

Schwangerschaft  auftretendes  and  allen  Mitteln  Trotz  bietendes 
Erbrechen  mit  diesem  Milztumor  in  Zusammenhang  stand, 
liess  sich  nicht  nachweisen;  später  wurde  das  Vorhandensein 
von  Zwillingen  ohne  Muhe  diagnosticirt.  Der  Geburt  und 
dar  sie  complicirenden  und  nur  durch  Einspritzungen  vom 
Liquor  ferri  sesquichlorati  zu  stillenden  Blutungen  ist  weiter 
oben  Erwähnung  geschehen.  Was  später  aus  der  Patientin 
geworden,  kann  nicht  angegeben  werden. 

Complication  der  Schwangerschaft  mit  Syphilis  kam  nur 
zwei  Mal  zur  Beobachtung.  Bei  einer  *  auf  der  Durchreise 
befindlichen  Erstgeschwängerten  fand  man  Plaques  muqueuses 
und  spitze  Condylome  an  den  äusseren  Genitalien,  dabei 
syphilitische  Rachengeschwüre;  sie  entzog  sich  einer  weiteren 
Beobachtung  durch  Abreise.  Bei  der  zweiten,  einer  zum 
fünften  Male  Schwangeren ,  waren  im  dritten  Monate  von 
einem  anderen  Arzte  Condylome  weggeätzt  und  Sublimatpillen 
verabreicht  worden;  sie  kam  unter  Fortbestand  der  speeifischen 
Symptome  im  sechsten  Monate  mit  einer  todtfaulen  männlichen 
Frucht  nieder. 

Unter  den  Krankheiten  der  Brustorgane  mögen  angeführt 
werden  eine  rechtsseitige  Pneumonie  bei  einer  27jährigen  erst- 
gebärenden  Wäscherin,  die  sich  am  Ende  ihrer  Gravidität  einer 
heftigen  Erkältung  ausgesetzt  hatte;  nach  regelmässiger  Geburt 
musste  sie  wegen  Mangel  an  Pflege  in  das  Krankenhaus 
transferirts  werden.  Ferner  fünf  Fälle  von  Bronchitis  ohne 
nachteilige  Ruck  Wirkung  auf  Schwangerschaft  und  Geburt; 
zwei  Fälle  von  Insufficienz  der  Valvula  raitralis  ohne  wesentliche 
Verschlimmerung  der  massigen  Symptome   durch  die  Geburt 

Bei  einer  24jährigen  Erstgeschwängerten  wurde  im  vierten 
Monate  eine  linksseitige  eingeklemmte  Schenkelhernie  von  der 
Grösse  einer  Wallnuss  beobachtet,  welche  reponirt  werden 
konnte;   die  übrige  Zeit   der  Schwangerschaft  verlief  normal. 

Bei  einer  22jährigen  Frau  wurde  im  vierten  Schwanger- 
sebaftsmonate  ein  apfelgrosser  Abscess  der  linken  Bartbolinischen 
Drüse  eröffnet;  nach  Abfluss  von  ungefähr  3  Unzen  mit  Blut 
gemischten  Eiters  wurde  sehr  bald  ein  Verschluss  des  Abscesses 
beobachtet 

Ein  16jähriges  erstgeschwängertes  Mädchen  erkrankte 
im  siebenten  Monate  an  einem  hochgradigen  Typbus. 


in  der  geburtthülfttebea  Poliklinik  so  München  etc.     226 

Dieser  Fall  wird  unter  den  Frühgeburten  naher  mitgetheilt 

werden. 

Frühgeburten. 

An  die  erwähnten  Erkrankungen  schliessen  sich  die 
Frühgeburten  an,  von  denen  die  Poliklinik  ein  reichliches 
Material  aufzuweisen  bat  Im  Ganzen  wurden  87  Frühgeburten 
beobachtet  und  zwar 

1)  als  Abortus  bis  zum  vierten  Monate  der  Schwangerschaft 
in  24  Fällen; 

2)  vom  vierten  Monate  bis  zur  beginnenden  Lebensfähigkeit 
des  Fötus  in  24  Fällen; 

3)  jenseits  des  letzteren  Termins  in  39  Fällen. 

Die  Aetiologie  der  Frühgeburt  war  in  vielen  Fällen  völlig 
dunkel;  41  Mal  Hess  sich  gar  kein  Anhaltspunkt  für  dieselbe 
gewinnen,  wogegen  46  Mal  ursächliche  Momente  aufgefunden 
werden  konnten.  In  26  Fällen  schien  die  Ursache  auf  Seiten 
des  Eies  zu  liegen  und  zwar  war  die  Frühgeburt  9  Mal  ab« 
hängig  von  Erkrankung  der  Placenta ,  resp.  der  Chorionzotten, 
wobei  umfängliche  Blutextravasate  in  erster  Linie  zu  nennen 
sind;  die  Fälle  betreffen  besonders  Eier  aus  dem  zweiten  und 
dritten  Monate  der  Schwangerschaft  In  6  Fällen  hatte  die 
Placenta  einer  abnorm  tiefen  Sitz :  Placenta  praevia.  In  einem 
weiter  unten  näher  zu  beschreibendem  Falle  war  die  Ent- 
wicklung der  Placenta  nicht  zu  Stande  gekommen  und  in 
Folge  dessen  das  Ei  zu  einer  Mola  hydatidosa  degenerirt. 
In  10  Fällen  lag  die  Ursache  im  Abgestorbensein  der  Frucht, 
und  für  diesen  frühzeitigen  Tod  Hessen  sieb  wiederum  folgende 
erklärende  Anhaltepunkte  auffinden: 

Zwei  Mal  zeigten  .sich  Bildungsfehler  der  Frucht;  ein  Mal 
war  der  Fötus  ein  sogenannter  Agnatbus,  der  bei  einer  anderen 
Gelegenheit  von  Herrn  Prof.  Hecker  näher  beschrieben  und 
abgebildet  werden  wird;  der  zweite  betraf  eine  Spina  bifida; 
die  dem  achten  Schwangerschaftsmonate  angehörige  Frucht 
rührte  von  einer  21jährrgen  Erstgebärenden  her  und  zeigte 
eine  apfelgrosse  mit  einer  gelblichgrünen  Flüssigkeit  gefüllte 
Geschwulst  am  Kreuzbeine,  die  sich  zwei  Stunden  nach  der 
Geburt  spontan  entleerte.  Dabei  waren  beide  unteren  Ex- 
tremitäten im  Hüftgelenke  contrahirt  und  im  Kniegelenke  in 
vollständiger  fester  Streckung  befindlich,   so  dass  die  FüaM, 


226  X.     fron»,  Bericht  über  A«  Breignitpe 

die  beide  hochgradige  Klumpfüsse  darstellten,  bei  natürlicher 
Lage  der  Frucht  das  Kinn  beröhrten.  Das  Kind  manntichftn 
Geschlechts  starb  erst  16  Tage  nach  der  Geburt  an  Gangrän 
des  oben  angegebenen  Sackes  und  Atrophie.  Bei  der  Obduction 
Hand  man  besonders  die  Musculi  psoas,  üiaci  intern,  addoctores, 
vasä  o.  8.  w.  fibrös  entartet. 

In  zwei  Fällen  rührte  der  Tod  der  Frucht  von  dem 
Einflüsse  eines  überlebenden  Zwillingskindes  her. 

In  einem  Falle  war  der  Tod  abhängig  von  Torsion  der 
Nabelschnur,  in  einem  anderen  von  zweimaliger  ungewöhnlich 
fester  Umschlingung  der  platten  Nabelschnur  um  den  kind- 
lichen Hals. 

In  den  vier  übrigen  Fällen  konnte  der  Tod  der  Frucht 
nicht  erklärt  werden. 

In  20  Fällen  lag  die  Ursache  der  Frühgeburt  auf  Seite 
der  Mutter,  und  zwar  fanden  sich:  Drei  Mal  Morbus  ßrightii, 
davon  ein  Mal  mit  eclamptischen  Anfallen;  ein  Mal  ßla$en- 
katarrh  mit  Urethritis;  ein  Mal  Cholera  nosiras;  ein  Mal  Typhus, 
ein  Mal  Syphilis;  drei  Mal  ausgeprägte  Körperschwäche;  drei 
Mal  körperliche  Anstrengung,  und  zwar  ein  Mal  nach  einer 
weiten  Reise,  ein  Mal  nach  heftigem  Tanzen,  einmal  nach 
starkem  Drängen  bei  schwerer  Defacation;  drei  Mal  musste 
die  Frühgeburt  als  die  Wirkung  eines  äusseren  Insultes  auf- 
gefasst  werden,  nämlich  zwei  Mal  trat  sie  ein  nach  heftigem 
Falle  auf  den  Körper  und  ein  Mal  nach  schwerer  Miss- 
handlung. Der  Einfluss  von  Gemüthsaffecten  konnte  in  vier 
Fällen  nicht  weggeläugnet  werden. 

Hiernach  mag  noch  eine  Zusammenstellung  der  Früh- 
geburten nach  den  Monaten,  in  denen  sie  sich  ereigneten, 
folgen: 


Im  Januar  kamen 

vor 

16 

Im  April    kamen  vor 

5 

„    Februar      „ 

r> 

13 

„    November  ,,        „ 

4 

„    September  „ 

n 

12 

„    December  „        „ 

4 

„    October      „ 

n 

8 

»Juli                    » 

4 

„    März           „ 

»» 

7 

„    August      „ 

4 

n    Mai 

W 

7 

n   Juni          *        » 

3 

In  Besag  auf  die  Lagen  der  Fracht  muse  bemerkt  wenden, 
in  31  Fälen  eine  solche  nicht  angegeben  werden  konnte, 


in  der  geburUhülffichen  Poliklinik  zu  München  etc.     227 

dass  man  sie  dagegen  in  56  Fällen  zu  diagnoßticiren  im 
Stande  war.  Im  Allgemeinen  wurden  nämlich  beobachtet 
34  Kopf-,  17  Beckeuend-  und  5  Querlagen.  Der  Geburten 
verlauf  wich  in  54  Fällen  nicht  von  der  Norm,  ab;  in  den 
übrigen  zeigten  sich  verschiedene  Abweichungen,  6  Mal  Pia- 
centa  praevia,  1  Mal  Vorfall  der  Nabelschnur,  1  Mal  Vor- 
lagerung des  Armes  neben  dem  Kopfe,  3  Mal  war  der 
Geburtsverlauf  präcipitirt,  4  Mal  dagegen  so  verlangsamt  und 
mit  so  starken  Blutungen  complicirt,  dass  das  Ei  künstlich 
manuell  entfernt  werden  musste.  In  5  Fällen  musste  wegen 
Querlage  die  Wendung  gemacht  werden.  Die  meisten  Störungen 
kamen  aber  in  der  Nachgeburtsperiode  vor;  in  14  Fällen 
nämlich  beobachtete  man  Zögerung  in  der  Ausstossung  der 
Nachgeburt,  die  fast  immer  mit  mehr  oder  wenigen  Blutungen 
verbunden  war.  Eine  künstliche  Lösung  der  Placenta  wurde 
jedoch  nur  in  fünf  Fällen  nothwendig  und  wurde  hierbei 
immer  an  dem  Grundsatze  festgehalten,  möglichst  bald  nach 
Ausstossung  der  Frucht  zu  operiren  und  dabei  durch  Druck 
von  aussen  her  mit  der  nicht  operirenden  Hand  sich  die 
Manipulationen  innerhalb  der  Genitalien  zu  erleichtern.  Wie 
wichtig  dieser  Grandsatz  ist,  hatte  man  in  folgendem  Falle 
Gelegenheit,  zu  erfahren. 

Bei  einer  21jährigen  Erstgebärenden,  bei  welcher  fünf 
Stunden  nach  Ausstossung  der  fünfmonatlichen  Frucht  die  zur 
Entfernung  der  Placenta  angestellten  Operationsversuche  an  der 
schon  wieder  eingetretenen  Enge  des  inneren  Muttermundes 
gänzlich  scheiterten,  da  die  Blutung  eine  massige  war  und  man 
sich  von  der  Unmöglichkeit  zu  operiren  überzeugt  hatte,  über- 
liess  man  die  Sache  der  Natur,  durch  welche  dann  auch  nach 
Ablauf  von  48  Stunden  die  Ausschliessung  der  Placenta  erfolgte. 
Die  Wöchnerin  erkrankte  an  Mania  puerperalis,  welche  später 
noch  Erwähnung  findet. 

Auch  noch  in  einem  zweiten  Falle,  bei  einer  36 jährigen 
Achtgebärenden,  welche  in  Folge  von  Schrecken  im  vierten 
Schwangerschaftsmonate  unter  heftigen  Blutungen  aborthrt  hatte, 
konnte  die  Placenta  auf  keine  Weise  entfernt  werden;  erst  am 
siebenten  Tage,  nachdem  wiederholte  Schüttelfröste,  Schmerz- 
haftigkeit  des  Uterus,  übelriechender  Lochialfluss  und  andauernde, 
Temperaturerhöhung  das  Vorhandensein  einer  Endometritis  resp. 
Metro phlebitis  wahrscheinlich  gemacht  hatten ,  wurde  die  Placenta 
in  kaum  zersetztem  Zustande  ausgestossen,  worauf  die  stürmischen 
Symptome  rasch  schwanden  und  die  Wöchnerin  genas. 


228  x-    Jfr<nm,  Bericht  über  die  Ereignisse 

An  diesen  Fall  wollen  wir  einen  anderen  anreiben,  bei 
dem .  intrauterine  durch  Placenta  praevia  bedingte  Blutungen 
im  vierten  Monate  der  Schwangerschaft  das  Leben  der 
Patientin  gefährdeten. 

Eine  29  jährige  Fr  an,  welche  Bieben  Kinder  gehabt  hatte, 
concipirte  Anfangs  Januar  1860  von  Neuem.  Nachdem  Anfangs 
März  and  Anfangs  April  mehrere  Tage  hindurch  Blutungen  be- 
standen hatten,  folgte  in  der  zweiten  Hälfte  des  letzteren  Monates 
ein  continuirlicher  Abgang  einer  fleisch  wasserähnlichen  Flüssig- 
keit in  Verbindung  mit  Kreuzschmerzen  und  grosser  Mattigkeit. 
Am  2.  Mai,  wo  sie  in  poliklinische  Behandlung  kam,  fand  man 
deutliche  Zeichen  von  Blutleere,  nämlich  Blässe  der  Schleimhäute, 
frequenten  Puls  und  häufig  wiederkehrende  Obnmachtsan Wandlungen. 
Der  Uterus  hatte  eine  dem  sechsten  Monate  der  Schwangerschaft 
entsprechende  Ausdehnung,  reichte  bis  zur  Nabelhohe  und  fühlte 
sich  elastisch  gespannt  an.  Da  man  keine  Kindestheile  durch- 
fühlen konnte,  war  schon  durch  die  äussere  Untersuchung  die 
Vermuthung  einer  internen  Blutung  sehr  nahe  gelegt;  durch  die 
innere  Exploration  fand  man  die  Scheide  heiss ,  das  vordere 
Scheidengewölbe  herabgedrängt,  gespannt  und  empfindlich,  die 
Vaginalportion  nach  hinten  und  links  stehepd,  etwa  4  Linien 
lang,  mit  einem  durchgängigen  äusseren,  aber  geschlossenen 
inneren  Muttermunde.  Bei  massigem  Blutabgange  und  nach  dar 
Darreichung  eines  Infusi  Seealis  cornuti  stellten  sich  Abends 
Wehen  ein,  die  sich  unter  höchst  bedrohlicher  Zunahme  der 
Allgemeinerscheinungen  allmälig  verstärkten.  Den  3.  Mai  Morgens 
2  Uhr  war  der  Puls  ganz  fadenförmig,  die  Extremitäten  kalt,  die 
Respiration  kurz  und  beschleunigt  und  fast  völlige  Bewusstlosig- 
keit  zugegen.  Durch  den  jetzt  thalergrossen  Muttermund  fühlte 
man  deutlich  Placentargewebe,  und  dabei  war  von  einer  stärkeren 
externen  Blutung  nicht  die  Rede;  zwei  Stunden  darauf  wurde 
ein  viermonatlicher  Fötus  nebst  einer  blassen  zerklüfteten  Placenta 
spontan  ausgestossen ,  und  beiden  folgte  eine  grosse  Quantität, 
vielleicht  2  Pfund,  coagulirten  Blutes  nach;  die  Wöchnerin  er- 
holte sich  langsam,  war  aber  doch  nach  drei  Wochen  völlig 
hergestellt 

Die  übrigen  Fälle  von  Placenta  praevia  werden  an  einer 
anderen  Stelle  Erwähnung  finden.^ 

Zu  den  durch  Abnormitäten  der  Eihäute  bedingten  Früh- 
geburten gehört  auch  noch  der  weiter  oben  schon  erwähnte 
Fall  von  Mola  hydalidosa. 

Eine  86  jähr  ige  Frau  kam  am  19.  Februar  1861  wegen  Früh- 
geburt in  poliklinische  Behandlung;  die  Anamnese  ergab  Folgendes: 
Bei  der  im  Allgemeinen  gesunden  Person  war  die  erste  Menstruation 


in  der  geburtshtilflichen  Poliklinik  au  München  etc.     229 

Im  14.  Lebensjahre  ohne  besondere  Beschwerden  eingetreten, 
hatte  sieh  aber  nnr  sehr  spärlich  entwickelt  and  ceesirte  bald 
wieder  and  »war  bis  zu  ihrem  24.  Leben« jähre  vollkommen,  in 
welcher  Zeit  sie  an  den  Erscheinungen  der  Chlorose  gelitten 
haben  wollte.  Nach  ihrem  Wiedereintritte  sn  genannter  Zeit  war 
sie  stets  unregelmässig,  so  dass  sie  bald  in  8,  bald  in  14  Tagen 
wiederkehrte,  mitunter  ein  halbes  Jahr  vollständig  aasblieb.  Mit 
32  Jahren  wurde  sie  zum  ersten  Male  schwanger  and  gebar  an 
rechter  Zeit  einen  gut  entwickelten  Knaben,  der  am  Leben  blieb. 
Am  24.  August  1860  war  sie  zum  letzten  Male  menstruirt,  und 
bezeichnete  mit  grosser  Bestimmtheit  den  8.  September  als  den 
Tag  der  Conception,  eine  Angabe,  die  glaubwürdig  erschien. 
Im  Deeember  1860,  also  im  vierten  Monate  ihrer  jetzigen 
Schwangerschaft  stellten  sich  Uterinblutungen  ein,  welche  an 
nnd  für  sicjfr  ziemlich  unbedeutend,  bei  jeder  Anstrengung  heftiger 
worden,  anfänglich  ein  mehr  wässeriges,  später,  aber  immer 
dunkler  werdendes  Secret  lieferten  und  niemals  vollständig 
sistirten.  Im  Febrnar  wurde  die  Quantität  des  abfliessenden 
Blutes  eine  reichlichere  nnd  gesellten  sich  vorübergehende  Con- 
tractionen  des  Uterus  hinan,  die  am  19.  Februar  in  wirklich 
rytb mische  Wehen  übergehen.  Durch  die  Untersuchung  konnte 
ohne  Mühe  das  Vorhandensein  einer  Hydatidenmole  constatirt 
werden,  denn  einmal  war  der  Umfang  des  Leibes  im  Verhältniss 
sur  angeblichen  Daner  der  Schwangerschaft  (sechster  Monat)  so 
beträchtlich,  man  hatte  auch  nicht  das  Gefühl  resistenter  Kindes* 
theile,  und  dann  kam  bei  der  inneren  Exploration,  nachdem 
man  eine  Masse  Blutcoagula  ans  der  Vagina  entfernt  hatte,  das 
Corpus  delicti  in  Form  von  grösseren  and  kleineren  Stücken  des 
hydatidös  degenerirten  Eies  zu  Tage;  dass  eine  Ueberkleidung 
des  letzteren  mit  einer  Decidua  vorhanden  gewesen  sein  musste, 
war  leicht  daraus  erweislich ,  dass  man  an  den  genannten  Stücken 
an  ihrem  sieb  förmigem  Aussehen  erkennbare  Reste  derselben 
neben  frischen  und  älteren  Blutgerinnungen  anhaftend  fand.  Die 
Ausstossang  der  ganzen  Mole,  welche  durch  Darreichung  von 
Seeale  cornutum  und  manuelle  Kachhülfe  befördert  wurde,  nahm 
einen  Zeitraum  von  14  Stunden  in  Anspruch,  das  Gewicht  der 
ganzen  herausbeförderten  Masse  konnte  nicht  genau  eruirt  werden, 
mochte  aber  mehrere  Pfände  betragen;  die  Patientin,  welche  in 
dieser  Zeit  in  einen  hohen  Grad  von  Collapsus  nnd  Anämie 
verfallen  war,  erholte  sich  verhältnissmässig  schnell.  Hervor- 
gehoben darf  noch  werden,  dass  am  dritten  Tage  des  Wochen- 
bettes eine  starke  Tnrgescenz  der  Brüste  sieh  einfand. 

Eine  zum  fünften  Male  schwangere  35jährige  Näherin  wurde 
in  der  Nacht  des  5.  October  1860  auf  dem  Wege  zur  Entbindungs- 
anstalt in  der  35.  Schwangerschaftswoche  von  so  heftigen  Wehen 
befallen,   dass   sie  auf  der  Strasse  niederkam.    Nach  Aufnahme 


280  *•    Braun,  Bericht  aber  die  Ereignisse 

der  Wöchnerin   in  die   genannte  Anstalt  verlief  des  Wochenbett 
gans  normal;  auch  dai  Kind  hatte  keinen  Schaden  genommen. 

Interessant  ist  die  Frühgeburt  bei  dem  schon  angegebenen 
Falle  von  Typhus  abdominalis. 

Ein  16  jähriges  Mädchen  erkrankte  im  siebenten  Monate  ihrer 
ersten  Schwangerschaft  im  April  1860  anter  heftigen  typhösen 
Erscheinungen,  die  insofern  von  den  gewöhnlichen  abwichen, 
als  sich  deutlich  Roseola  entwickelte  und  ein  Knsserst  hartnäckiges 
Xrnginöses  Erbrechen  mit  hochgradigem  Meteorfsmas  and  grosser 
Empfindlichkeit  des  Abdomen  das  Vorhandensein  tob  Peritonitis 
wahrscheinlich  machten.  Da  das  Kind  die  Zeit  seiner  Lebens- 
fähigkeit schon  um  einige  Wochen  tiberschritten  hatte  nnd  sicher 
lebte,  so  wurde  im  Laufe  des  April  vielfach  die  Frage  gestellt, 
ob  nicht  sn  Gunsten  des  Kindes  die  künstliche  Frühgeburt  ein- 
snleiten  sei,  doch  nahm  man  immer  wieder  von  der  Ausführung 
Abstand,  weil  man  bei  der  grossen  Erregbarkeit  des  jugendlichen 
Individuums  von  der  Operation  einen  naohtheiligen  Einfluss  auf 
den  Verlauf  des  Typhus  erwarten  inusste.  Die  Natur  machte 
den  Verlegenheiten  durch  spontanen  Eintritt  von  Wehen  am 
27.  April  ein  Ende;  die  Kranke  war  indessen  so  erschöpft,  dass 
man  die  Geburt  mit  der  Zange  beenden  musste.  Das  Kind,  ein 
Mädchen,  dessen  Entwickelnng  etwa  dem  achten  Schwange rschafts«- 
monate  entsprach,  lebte  bei  der  Geburt,  ging  aber  am  sechsten 
Tage  an  Atrophie  su  Grunde.  Die  Befürchtungen,  die  man  fßr 
die  Mutter  an  den  Eintritt  der  Geburt  geknüpft  hatte,  bestätigten 
sich  nicht;  wenn  auch  die  ersten  Tage  des  Wochenbettes  noch 
sehr  gefahrdrohende  Erscheinungen  darboten,  indem  sich  häufiger 
Collapsus  einstellte,  der  Puls  fortdauernd  sehr  frequent  blieb 
und  sowohl  Meteorismus  als  Erbrechen  in  gleicher  Weise,  wie 
früher,  fortbestanden,  so  trat  doch  Patientin  etwa  vom  3.  Mai 
an  in  das  Stadium  der  Reeonvalescene,  welche  auch  nicht  weiter 
gestört  wurde. 

Von  den  87  Früchten  wurden  37  lebend  geboren  und 
von  diesen  blieben  20  am  Leben,  17  starben  innerhalb  der 
ersten  acht  Tage;  unter  den  ersteren  befand  sich  eines  mit 
hochgradiger  Hypospadie,  unter  den  letzteren  eines  mit  links- 
seitigem Labium  fissum,  das  wegen  Frühreife  des  Kindes  nicht 
operirt  werden  konnte;  26  wurden  todt,  17  faultodt  geboren, 
bei  7  Aborten  wurde  keine  Spur  von  Embryo  gefunden. 
Von  den  Wöchnerinnen,  die  zu  früh  entbanden,  erkrankten  17, 
und  zwar  6  an  Endometritis,  6  an  den  Erscheinungen  der 
Anämie,  die  übrigen  an  unbedeutenderen  Störungen.  Ein 
tödtlicher  Ausgang  ereignete  sich  nicht 


in  der  gt»vrtibüu1ftch«n  Poliklinik  in  Mönchen  etc.     231 

Geburtshindernisse. 
a)  Wehenanomalien. 

Anomalien  Ar  Wehen  thäügkeit  in  Form  der  sogenannten 
Wehenschwäche  wurden  bei  57  Geburten  beobachtet;  in 
29  Fällen  war  das  Einschreiten  der  Kunst  nothwendig  und 
zwar  bei  15  auf  pbarmaceutiscbftm,  bei  14  auf  instrumentellem 
Wege.  In  Bezug  auf  die  Aetiologie  wurde  nichts  Neues 
beobachtet;  in  einem  Falle  hatte  die  Wehenschwäche  ihren 
Grund  in  einer  durch  den  vorliegenden  Kopf  zurückgehaltenen 
beträchtlichen  Menge  Fruchtwassers;  nach  Emporbeben  des- 
v  selben  mit  den  Fingern  und  dadurch  ermöglichtem  Abfliessen 
des  Liquor  atnnii  beendeten  kräftige  Wehen  sehr  bald  die 
Geburt  Als  wehenbeförderndes  Mittel  wurde  in  den  meisten 
Fällen  Seeale  cornutum  in  Anwendung  gezogen;  eine  schädliche 
Einwirkung  des  Mittels  auf  den  kindlichen  Organismus  wurde 
niemals  beobachtet.  Zur  Anlegung  der  Zange  musste  in 
14  Fällen  geschritten  werden,  in  welchen  Verlangsamung  und 
Unregelmässigkeit  des  kindlichen  Herzschlages,  sowie  Abgang 
von  meconiumhaltigem  Fruchtwasser  ein  Absterben  der  Frucht 
befürchten  Hessen,  die  Gebärende  durch  die  lange  Geburts- 
dauer erschöpft  oder  aufgeregt  und  wehenbefördernde  Mittel 
erfolglos  geblieben  waren.   Der  Operationen  wird  später  gedacht 

Krampfwehen  kamen  23  Mal  vor,  15  Mal  waren  es 
partielle  spastische  Contractionen,  8  Mal  Tetanus  uteri.  Das 
Heilverfahren  wurde  je  nach  den  Ursachen  und  der  Heftigkeit 
eingerichtet;  zu  einer  Blutentziehung  sah  man  sich  in  keinem 
Falle  genöthigt,  dagegen  machte  man  einen  ziemlich  freigebigen 
Gebrauch  von  narkotischen  Mitteln,  besonders  vom  Opium 
und  zwar  in  der' Form  der  subcutanen  Injeetionen  mit  der 
bekannten  Word'scheu  Spritze.  Prof.  Hecker  wird  an  einer 
anderen  Stelle  über  die  Erfolge  dieser  Injeetionen  im  Zusammen* 
bange  referiren,  daher  sei  hier  nur  so  viel  bemerkt,  dass 
man  l/8  —  %  Gr.  Morphium  aceticum  in  Anwendung  zog  und 
dass  die  Wirkung  in  einzelnen  Fällen  eine  ganz  eclatante  war. 
Bei  zwei  Gebärenden  konnte  ein  warmes  Vollbad  angewendet 
werden  und  war  die  Wirkung  eine  günstige.  Die  im  Nach* 
geburtsstadiura  vorgekommenen  Fälle  von  Krainpfwehen  waren 
meist  mit  Blutungen  complicirt  und  erforderten  operative  Hülfe, 


232  x-    Braun,  Bericht  über  die  Ereignisse 

b)  Beckenfehler. 

Unter  den  913  Geburten  kamen  12  Fälle  von  nennens- 
werterer Verengerung  der  Beckenräumlichkeiten  vor.  Es 
ergiebt  sich  hier  ein  ziemlich  ähnliches  Procent  Verhältnis*, 
wie  das  für  dieselbe  Anomalie  in  der  Gebäranstalt  ermittelte, 
nämlich  dort  1,3  Procent,  hier  1,1. 

In  10  Fällen  beruhte  die  Beckendeformität  entschieden 
auf  Rhachitismus,  ein  Mal  war  sie  in  hochgradiger  Osteomalacie 
begründet  und  ein  Mal  hatte  man  es  mit  einer  wahrscheinlich 
angeborenen  Verengerung  des  Beckenausgangs  zu  thun.  Vdh 
den  Müttern  befanden  sich  4  zwischen  dem  20.  und  29., 
6  zwischen  dem  30.  und  39.  Jahre,  eine  war  43,  eine  andere 
45  Jahre  alt.  Sechs  kamen' zum  ersten  Male,  2  zum  zweiten, 
4  zum  dritten  Male  nieder. 

Bei  den  zwei  Zweitgebärendeu  wurde  die  erste  Geburt 
mit  Verlust  des  kindlichen  Lebens  durch  die  Zange  beendet. 
Von  den  Drittgebärenden  hatten  zwei  bei  den  früheren  Geburten 
schwierige  Operationen  überstanden,  die  Dritte  hatte  die 
vorausgegangenen  Kinder  langsam,  doch  ohne  Kunsthülfe 
geboren,  die  Vierte  war  nach  zwei  normalen  Geburten  in 
ihrer  dritten  Schwangerschaft  an  Osteomalacie  erkrankt. 

Es  braucht  wohl  nicht  besonders  hervorgehoben  zu  werden, 
dass  eine  exacte  Beckenmessung  in  der  geburtshülflichen  Poliklinik 
auf  grosse  Schwierigkeiten  stösst.  Man  begnügte  sich  daher 
in  der  Regel  bei  der  Gehurt  mit  der  manuellen  Ausmessung 
der  Conjugata  diagonalis  und  suchte  später  das  Versäumte  in 
der,  Weise  nachzuholen,  dass  man  die  Personen  nach  ihrer 
Genesung  zur  Untersuchung  in  die  Klinik  bestellte.  Auf  diese 
Weise  konnte  man  wenigstens  in  fünf  Fällen  sich  genauer 
über  die  Beckencapacität  Rechenschaft  geben. 

Es  wurde  gemessen  ein  Mal  3  Zoll,  drei  Mal  3  Zoll  2  Linien, 
ein  Mal  3  Zoll  ö  Linien  Conjugata  vera. 

Die  Kindeslagen  betreffend  wurde  acht  Mal  die  erste, 
vier  Mal  die  zweite  Scheitellage  beobachtet;  unter  den  letzteren 
Fällen  war  einer,  wo  der  Kopf  auf  dem  oberen  Rande  der 
Symphysis  ossium  pubis  seitlich  aufstand,  so  dass  man  das 
rechte  Ohr  deutlich  fühlen  konnte.  Der  Geburtsverlauf  war 
in  den  meisten  Fällen  bedeutend  verlangsamt,  die  erste 
Geburtsperiode  dauerte  drei  Mal  gegen  36  Stunden,  vier  Mal 


in  der  geburtshilflichen  Poliklinik  zu  München  etc.      233 

fast  48  Stunden;  die  zweite  Geburtsperiode  umfasste  iu  sechs 
Fällen  einen  Zeilraum  von  über  12  Stunden.  Nur  in  einem 
Falle  wurde  die  Geburt  durch  die  Naturkräfte  beendet,  das 
Kind  war  der  schon  oben  erwähnte  Agnathus  aus  dem  achten 
Monate  der  Schwangerschaft  Neun  Mal  wurde  die  Zange 
angelegt  und  in  mehreren  Fällen  16 — 20  Tractionen  aus- 
geführt 

'  Ein  Mal  musste  bei  dem  erwähnten  Schiefstande  des 
Kopfes  die  Geburt  durch  die  Wendung  auf  die  Füsse  beendet 
werden;  ein  Mal  wurde  die  künstliche  Frühgeburt  mit  günstigem 
Erfolge  für  Mutter  und  Kind  eingeleitet. 

Von  den  Kindern  wurden  5  lebend  und  7  todt  geboren. 

Von  den  Müttern  starb  eine  (Osteomalacie),  die  übrigen 
genasen,  nachdem  sie,  mit  Ausnahme  von  einer,  relativ 
massige  Störungen  des  Wochenbettes  durchgemacht;  dieser 
eine  Fall,  wo  Atresie  der  Vagina  eintrat,  wird  noch  mjt- 
getheilt  werden. 

Wir  heben  nun  speciell  einzelne  interessantere  Fälle  von 
Beckenenge  hervor. 

Osteomalacie.  Dieser  Fall  ist  von  Prof.  Hecker  in 
der  „Klinik",  Seite  lll  tf.,  ausführlich  beschrieben  worden. 

Rhachitisches   Becken;   künstliche   Frühgeburt. 

Eine  32jährige  .Näherin,  von  gesundem  Ausgehen,  aber 
kleiner  Statar,  war  schon  zwei  Mal  unter  Assistenz  der  geburts- 
hülflichen Poliklinik  entbunden  worden.  Die  erste  Geburt  am 
9.  März  1864  wurde  durch  eine  schwere  Zangenoperation  beendet; 
das  Kind,  ein  mittolmässig  entwickeltes  Mädchen,  war  hochgradig 
asphyktisch,  wurde  aber  wieder  belebt,  bei  der  zweiten  Geburt 
am  28.  December  1859  begegnete  man  denselben  Schwierigkeiten. 
Die  Conjugata  vera  wurde  auf  etwas  über, 3  Zoll  geschätzt  und  der 
Geburtsmechanismus  wurde  noch  besonders  durch  einen  starken 
von  abnormer  Beckenneigung  resultirenden  Hängebauch  erschwert; 
auf  diese  Weise  dauerte  die  erste  Geburtsperiode  15  Stunden, 
die  zweite  6.  Die  Anlegung  der  Zange  an  den  in  erster  Quer- 
Stellung  fest  am  Beckeneingange  stehenden  Kopf  gelang  erst 
nach  Ueberwindung  grosser  Schwierigkeiten,  ebenso  wie  der 
Schluss  deB  Instrumentes  noch  grossen  Kraftaufwandes  bedurfte; 
nach  14  schweren  Tractionen  wurde  der  Kopf  durch  die  Scham- 
spalte entwickelt,  das  Kind,  ein  Knabe  von  mittlerer  Grösse, 
wurde  nach  l/4  Stunde  aus  hochgradiger  Asphyxie  erweckt.  Es 
zeigte  an  der  rechten  Schläfengegend  ein  Blutextravaaat,  auf  dem 

Uoatutehr.  f.  Oeburtak.   ISttt.   Bd.  IX.,  Hft,  d.  16 


234  *•     Braun,  Bericht  tiher  die  Ereignisse 

rechten  Scheitelbein  ein  Cephalaematom  and  starke  Hauterösion 
in*  der  Gegend  des  linken  Ob  zygomaticum ,  dabei  worde  noch 
Lähmung  des  rechten  Nervus  facialis  und  nystagmns  bemerkt. 
Sämmtliche  Erscheinungen  gingen  verhältnissmässig  schnell  und 
ohne  besondere  Behandlung  zurück  und  das  Kind  blieb  am  Leben. 
Bei  der  Mutter  dagegen  verlief  das  Wochenbett  nicht  ohne  be- 
denkliche Abweichungen  von  der  Norm,  denn  neben  den  ge wohn- 
lichen Symptomen  einer  Endometritis  und  Encolpitis  .  klagte 
Patientin  von  vornherein  über  heftige  Schmerzen  in  den  Becken- 
knochen, die  sich  bei  Versuchen,  die  Schenkel  au  bewegen, 
beträchtlich  steigerten  und'  so  den  Verdacht  einer  durch  die 
Operation  bewirkten  Coritinuitätstrennung,  etwa  des  Symphysen- 
knorpels,  rege  machten.  Dieser  wurde  zwar  durch  die  innere 
Untersuchung  nicht  bestätigt;  aber  die  gante  innere  Wand  der 
Symphyse  und  der  absteigenden  Aeste  des  Schambeins  .aeigten 
sich  bei  Berührung  äusserst  empfindlich  (Periostitis  traumaticaj, 
und  wenn  auch  verhältnissmässig  bald  hierin  eine  Besserung 
eintrat,  so  war  doch  das  Geh  vermögen  der  Patientin  noch  lange 
Zeit  gehindert,  waa  zum  Theil  auf  Rechnung  lebhafter  beider- 
seitiger  Schmerzen  des  Nervus  ischiadicus,  die  wohl  derselben 
traumatischen  Ursache  ihre  Entstehung  verdankten  zu  setzen  war; 
erst  sechs'  Wochen  nach  der  Geburt  war  Patientin  wieder  im 
Gebrauche  ihrer  unteren  Extremitäten. 

Anfangs  Juni  1861  nun  wurde  der  Patientin  in  (Ter  32.  Woche 
ihrer  dritten  Schwangerschaft  die  Einleitung  der  künstlichen 
Frühgeburt  proponirt,  und  dieselbe  am  11.  desselben  Monats  in 
der  Weise  ausgeführt,  dass  man  Morgens  8  Uhr' eine  Wachsbougie 
durch  den  kaum  groschengrosBen,  schwer  erreichbaren  und  ebenso 
schwer  au  durchdringenden  Muttermund  hindurch  etwa  4  Zoll 
hoch  in  den  Uterus  einführte  und  dort  bei  horizontaler  Lage 
der  Frau  durch  2l/9  Stunden  liegen  Hess.  Nach  Ablauf  dieser  Zeit 
wurde  Bewegung  im  Zimmer  gestattet,  wobei- Patientin  mitunter 
wehenartige  vom  Kreuz  ausgehende  Schmerzen  zu"  verspüren 
angab;  Nachmittags  von  2 — 5  und  Abends  von  8 — 11  Uhr  wurde 
die  Einlegung-  der  Bougie  wiederholt,  ebenso  am  anderen  Morgen 
noch  einmal.  Gegen  Mittag  des  12.  hatten  sich  regelmässige,  in 
etwa  halbstündigen  Pausen  wiederkehrende  Wehen  eingestellt 
und  man  konnte  durch  den  guldengross  erweiterten  Muttermund 
den  Kopf  als  vorliegenden  Theil  erkennen;  man  glaubte  ntfn,  da 
sieh  bei  der  Untersuchung  die  Fruchtblase  prall  anspannte,  den 
weiteren  Vorgang  der  Natur  überlassen  zu  dürfen,  musste  aber, 
da  Nachmittags  eine  Retrocesslon  der  Wehenthätigkeit  eintrat, 
gegen  Abend  noch  einmal  zur  Bougie  greifen.  Nun  entwickelte 
sich  eine  energischere  Wehenthätigkeit,  und  nachdem  Nachts 
12  Uhr  das  Fruchtwasser  abgeflossen  war,  wurde  l'/4  Uhr  Morgen1*, 
also  41%  Stunden  nach  der  Einlegung  der  ersten  Bougie  das  Kind 


in  der  geburtshülflichen  Poliklinik  zu  München  etc.      235 

ohne  weitere  Kunsthülfe  geboren.  Dasselbe  war  weiblichen 
Geschlechts,  wog  4,9  Pfd.  Zollgewicht,  war  46  Ctm.  läng  und 
hatte  einen  Kopfumfang  von  33  Ctm.,  seine  Entwickeluhg  ent- 
sprach also  wohl  der  eines' Kindes  aus  dfein  neunten  Schwfchger- 
schaftsmonate. 

Bemerkenswerth  als  ein  die  Richtigkeit  der  Indication 
beweisendes  Symptom  war  eine  vom'  Promontorialdruck  her- 
rührende Impression  auf  dem  linken  I*arieta)bein  von  l1/,  Zoll 
Länge  und  3 — 4  Linien  Tiefe,  welche  gleich  nach'  der  Geburt 
bemerkt  wurde,  aber  schon  nach  10  Stunden  sich  völlig  aüs: 
geglichen  hatte.  Es  ist  zu  verinuthen,  dass  auch  bei  der  ersten 
und  zweiten  Entbindung  am  Schädel  ein  solcher  Promontorial- 
druck existirte,  dass  die  durch  die  Zange  gesetzten  Verletzungen 
indessen  ihn  haben  übersehen  lassen. 

Das  Wochenbett  verlief,  nachdem   heftige  Nach  wehen  durch 
Opium  beseitigt  worden  waren,  ganz  normal;    das' Kind,  an  der" 
Brust  genährt,  gedieh  sehr  gut  und  lebt  noch. 

Rhachitisches  Becken,  Schiefstellung  des  Kopfes, 
Abgleiten  der  Zange,  schwierige  Wendung,  Kind 
todtgeboren,  Genesung  der  Mutter. 

Am  17.  December  1860'  kam  eine  37 jährige  Näherin  bei 
ihrer  dritten  Geburt  in  poliklinische  Behandlung.  Die  resp.  -vor 
fönf  und  drei  Jahren  erfolgten  früheren  Entbindungen  waren 
langsam,  aber  ohne  Kunsthülfe  verlaufen.  In  der  letzte* Schwanger- 
schaft hatte  die  Patientin  durch  zwei  Mbriate  hindurch  wegen4 
beständiger  Schmerzen  im  Unterleibe  sich  ärztlich  behandeln 
lassen.  Am  Morgen  des  17.  December  fand  man  bei  der  äusseren 
Untersuchung  nichts  Ungewöhnliches;  bei  der  inneren  reigte  sich 
ein  alter  Dammriss,  die  Scheide  weit,  Muttermund  zu  Gulden- 
grosse  erweitert,  nnansgefüllt,  schlaff  herabhängend.  Der  Kopf 
befand  sich  über  dem  Beckenreingange,  devSeu  gerader  Durch- 
messer nicht  unerheblich  verkürzt  seih  müssttf,  da  man:  mit  dem 
Mittelfinger  das  Promontorium  ohne  Mühe  erreichen  konnte.  Es 
mag  hier  gleich  bemerkt  werden,  dass  eine  später  angestellte 
genauere  Beckenmessung' 

für  die  Conjugata  externa  .  .  61//', 
„     „  9  diagonalis  3"  9'", 

;      ,  ■  vera    .  .  .  3"  2-3'" 

ergfeb:  Unrsivh  getfalief  von  dehf  Stande  ties  Ktfpfeszu  überzeugen, 
wurde  eine  Untersuchung-  mit' der  ganzern  Hand  vorgenommen; 
hierbei  überzeugte  man  eich',  dass  derselbe  stark  auf  der  Symphyse 
aufstand ,  indem  man  das  linke  -Ohr  nach  unten  erreichte ,  dabei 
befand  sich'  die  Gesichtsfläche  nach  vorn  und  rechts,  so  dass 
man'  es"  mit  einem  Abweichen  des  Kopfes  nach  vorn  in  erster 
Vorderscheitellage  zu  thun  hatte.  An  und  für  sich  musste  ein, 
so    ungewöhnlicher   Kopfstand    schon    sehr    nachtheilig    auf   den 

16* 


236  x-     Braun,  Bericht  über  die  Ereignisse? 

weiteren  Geburtsmechanismus  einwirken;  data  kam  aber  noch 
eine  sehr  beträchtliche  Anomalie  der  Wehenthätigkeit.  Die 
Kreissende  gerieth  im  Laufe  des  Vormittags  in  grosse  Auf- 
regung, hatte  einen  Puls  von  108 — 112  Schlägen,  heisse  Haut, 
und  klagte  über  beständige  Schmerzen  in  der  Nabel-  und  Blase n- 
•  gegend,  mit  welchen  Symptomen  eine  beständig  andauernde 
tetanische  Spannung  des  Uterus  zusammentraf.  Es  lag  wohl  in 
diesem  Symtomencomplexe  eine  dringende  Aufforderung  zur 
Beendigung  der  Geburt,  um  so  mehr  als  auch  das  Leben  des 
Kindes  gegen  Mittag  bedroht  erschien.  Man  hatte  zu  wählen 
zwischen  der  Application  der  Zange  und  der  Wendung  auf  die 
Füsse;  für  beide  Operationen  erschien  die  Aussicht  auf  Erfolg 
keine  günstige,  für  die  erstere  war  der  hohe  und  ungewöhnliche 
Kopfstand  schwierig,  bei  letzterer  die  tetanische  ^usammen- 
ziehung  dea  Uterus  äusserst  störend.  Die  Anlegung  der  Zange, 
für  die  man  sich  entschied,  gelang  endlich  nach  wiederholten 
Versuchen,  wobei  auch  noch  die  Umgehung  des  im  Gegensatze 
zum  krampfhaft  contrahirten  Uteruskörper  schlaff  in  die  Scheide 
herabhängenden  Muttermundes  Schwierigkeiten  machte.  Nach 
drei  erfolglosen  Tractionen  glitt  das  Instrument  ab,  und  bei  der 
eigentümlichen  Sachlage  sah  man  sich  nicht'  veranlasst,  den 
Versuch  der  Anlegung  zu  wiederholen.  Man  versetzte  vielmehr 
die  »Kreissende  in  eine  tiefe  Chloroformnarkose,  führte  den 
rechten  Fuss  herunter,  wobei  man  sich  von  der  noch  fortwährenden 
Spannung  des  Uterus  deutlich  genug  überzeugte,  und  wobei  die 
Vollendung  der  Umdrehung  zunächst  daran  scheiterte,  dass  der 
Kopf  nicht  aufsteigen  wollte.  Auch  nachdem  man  noch  den  zweiten 
Fuss  herabgeholt  hatte ,  war  die  Sache  nicht  anders  geworden  und 
erst  nachdem  man  eine  halbstündige  Pause  hat(e  eintreten  lassen 
gelang  es  einer  kräftigen  Einwirkung  auf  den  Kopf,  ihn  und 
zwar  mit  einem  auffallenden  Ruck  in  die  Höhe  zu  bringen, 
worauf  das. Kind  schnell  bis  zu  den  Schultern  durchtrat;  Arm- 
lösung und  Extraction  des  Kopfes  waren  noch  sehr  mühsam;  das 
Kind,  ein  Knabe  von  63/4  Pfd.,  war  vollständig  todt;  die  Mutter 
machte  bis  auf  geringfügige  Störungen  ein  sehr  gutes  Wochenbett 
durch  und  konnte  schon  am  24.  December  aus  der  Beobachtung 
entlassen  werden. 

Verengerung  des  ßeckenausgaugs,  sehr  schwere 
Zangenoperation,.  Kind  todt,  hochgradige  Ver- 
wachsung der  Scheidenwände  miteinander  im 
Wochenbette. 

Am  23.  Januar  1861  kam  eine  21jährige  Erstgebärende,  von 
sehr  kleiner  Statur,  zu  poliklinischer  Beobachtung,  welche  ihre 
erste  Menstruation  erst  im  19.  Lebensjahre  bekommen  und  sie 
Mitte  April  1860   zum   letzten  Male   gehabt   hatte      Der  Geburts- 


in  der  geburtshülflichen  Poliklinik  zu  München  etc.     237 

verlauf  war  ein  verhältnissmSssig  träger,  die  Eröffnungsperiode 
dauerte  19  Stunden  nnd  die  Austreibungspenode  bis  zur  künst- 
lichen Beendigung  der  Geburt  12  Stunden.  Der  in  zweiter 
Scheitejlage  vorliegende,  dem  Gefühle  hart,  gross  nnd  unnach- 
giebig erscheinende  Kopf  wurde  schon  im  Anfange  der  zweiten 
Geburtszeit  nach  Verabreichung  mehrerer  Dosen  Seeale  cornutum 
durch  kräftige  Wehen  in  den  Beckenausgang  getrieben;  dort 
blieb  er  aber  unverrückt  stehen  nnd  man  erkannte  als  Ursache 
dieser  Zögerung  eine  abnorme  geringe  Entfernung  der  Tubera 
ischii  voneinander.  Das  Missverbältniss  «wischen  Becken  nnd 
Kopf  konnte  nur  durch  Aufwand  einer  grossen  Kraft  bei  etwa 
14  Tractionen  mit  der  Zange  überwunden  werden  und  kostete 
auch  die  Operation  dem  Kinde  das  Leben.  Es  zeigte  sich  un- 
gewöhnlich entwickelt,  es  wog  nämlich  über  8  Pfd.,  war  54  Ctm. 
lang  nnd  hatte  einen  Kopfumfang  von  37 — 38  Ctm.  Im  Wochen- 
bette Hessen  sich  sehr  bald  die  Erscheinungen  einer  nicht 
unbedeutenden  Verletzung  der  weichen  Geburtatheile  erkennen  : 
starke  ödematöse  Anschwellung  der  äusseren  Genitalien,  Störungen 
in  der  Secretion  des  Harnes,  die  durch  längere  Zeit  hindurch 
die  tägliche  Anlegung  des  Katheters  unmöglich  machten  und  in 
den  ersten  Tagen  lebhafte  Febricitation  war  dxs,  was  zunächst 
auffiel.  Vor  allem  aber  war  bei  einer  inneren  Untersuchung, 
die  bald  nach  der  Geburt  angestellt  wurde,  ein  tiefer  Einriss  in 
die  vordere  Scheidenwand  und,  wie  es  schien,  Continuitäts- 
trennungen  auch  noch  an  anderen  Stellen  leicht  aufzufinden, 
obwohl  die  grosse  Empfindlichkeit  bei  der  Einführung  des  Fingers 
eine  genauere  Orientirang  unmöglich  machte.  Dass  eine  künst- 
liche Verbindung  zwischen  Scheide  und  Harnblase  nicht  vorhanden 
war,  konnte  man  als  sicher  annehmen.  In  Folge  dessen  wurden 
aueh  die  Beschwerden  beim  Harnlassen  in  der  zweiten  Woche 
nach  der  Geburt  sehr  viel  gelinder  und  hörten  bald  ganz  auf. 
Ueberhaupt  genas  die  Wöchnerin  sehr  schnell,  und  es  war  des- 
halb um  so  'auffallender,  dass  man  bei  einer  Untersuchung1  am 
20.  Februar,  also  vier  Wochen  nach  der  Geburt,  eine  hoch- 
gradige Verengerung  der  Vagina  durch  Narbengewebe  und  Ver- 
wachsung der  Scheidenwände  vorfand ,  man  konnte  nun  mit  Mühe 
einen  Finger  neben  den  constringirten  Partieen  in  die  Höhe 
bringen  und  mit  diesem  den  Muttermund  nur  eben  berühren;  leider 
entzog  sich  die  Patientin  einer  weiteren  Beobachtung  und  Be- 
handlung gänzlich ,  so  dass  nicht  angegeben  werden  kann ,  ob 
bei  dem  Wiedereintritte  der  Menstruation  mechanische  Störungen 
in  der  Ausscheidung  des  Secretes  stattgefunden  haben  oder  nicht. 

e)  Geburtshinderaiase  von  Seiten  des  kindlichen  Körpers. 

Abnorme   Stellung   des  Kopfes.     Neben  der  weiter 
oben  bei  der  Beckenenge  erwähnten  und  von  dieser  abhängigen 


$38  £'    Braun>  Beriebt  Ob.*r  die  Ere^gniese 

Schiefstellung  des  Kopfes  wurden  noch  zwei  ähnliche  F-äHe 
aber  mit  zweifelhafter  Aetiologie  beobachtet. 

Am  15.  Mai  1860  wurde  poliklinische  Hülfe  bei  einer 
'32jBhrigen  Erstgebärenden  verlangt,  welche  seit  29  «Standen 
kreiste.  Man  fand  den  Kopf  in  erster  Scheitellage  hoch  vorliegend, 
nnd  zwar  so,  dass  er  an  der  vorderen  Beckenwand  aufgestemmt 
war  und  sein  der  hinteren  Beckenwand  zugekehrter  Theil  nach 
abwärts  gerichtet  erschien;  dem  entsprechend  verlief  die  Pfeil- 
naht fast  parallel  dem  queren  Durchmesser  dicht  hinter  der 
Symphyse  und  das  linke  Ohr  war  leicht  zu  erreichen;  die  vordere 
Muttermnndslippe  erschien  beträchtlich  angeschwollen.  Die  An« 
legung  der  Zange,  welche  in  der  beschriebenen  Schiefstellung 
des  Kopfes  daneben  in  beim  Kinde  auftretenden  Kreislaufs- 
Störungen  ihre  Indication  fand,  war  schwierig,  besonders  machte 
die  Application  des  weiblichen  Blattes  grosse  Mühe,  16  sehr 
kräftige  Tractionen  brachten  den  Kopf  zum  Ein-  und  Durch- 
schneiden; das  Kind,  ein  Knabe  von  7  Pfd.  Zoflgewicht,  50  Ctm. 
.Länge  und  35  Ctm.  Kopfumfang  zeigte  einen  sehr  schwachen 
langsamen  Herzschlag,  der  nach  einigen  Minuten  völlig  aufborte. 
Die  Wöchnerin  genas. 

Der  zweite  Fall  betraf  eine  Erstgebärende  von  89  Jahren, 
hei  der  der  kindliche  Kopf  in  erster  Vorderscheitellage  in  die 
unteren  Beckenaperturen  getreten  war;  nachdem  die  Wehen- 
thätigkeit  durch  38  Stunden  hindurch  gedauert  hatte,  fand  man 
das  Hinterhaupt  des  im  Beckenansgange  befindlichen  Kopfes 
hinten  und' links,  die  kleine  Fontanelle  nur  sehr  schwer  erreichbar, 
die  grosse  in  der  Mitte  des  Beckens.  Fast  gänzliches  Ausbleiben 
der  Wehen  forderte  zum  Operiren  auf;  mit.  sechs  kräftigen 
Tractionen  wurde  ein  scheinrodtes  aber  bald  wieder  belebtes 
Kind  weiblichen  Geschlechts  geboren;  hierbei  erfolgte  eine  ziem- 
lich beträchtliche  Rnptura  perinei,  welche  durch  Vereinigung  mit 
drei  Eisendrahtligaturen  zur  Heilung  gebracht  wurde. 

Vorlagerung  eines  Armes  neben  dem  Kopfe 
wurde  in  vier  Fällen  .beobachtet,  die  Complication  wurde 
jedes  Mal  durch  Reposition  beseitigt. 

Schieflagen.     Es  wurden  beobachtet 

9  Mal  erste  Schulterlage,  erste  Unterart, 
6     „    zweite  „  zweite      „ 

5     „    zweite  „  erste         „        und 

2    „    erste  „  zweite      *, 

Von  tfen  Muttern  waren 


1  Erstgebärende, 
6  Zweitgebäreode, 

2  Drittgebärende, 


7  Viertgebärende, 
2  Fünftgebärende, 


3  Achtgebärende, 

1  Fünfzehntgebärende. 


in  der  geburtshülflicben  Poliklinik  sn  München  etc..    239 

Die  Ätiologie  dieser  Schieflagen  war  nur  jtf  wenigen 
Fällen  einigermaassen  zufriedenstellend  zu  eruiren:  eine 
Viertgebärende  hatte  früher  zwei  Mal  Abortus  erlitten,  eine 
Dritt-,  zwei  Fünft-  und  eine  Achtgebärende  früher  schon 
Schulterlagen  gehabt,  von  den  anderen  zwei  Acbtgebärenden 
musste  bei  einher  vor  sechs  Jahren  die  Placenta  wegen  Ver- 
wachsung .künstlich  gelöst,  bei  der  anderen,  welche  ein  Mal 
abortirte,  die  dritte  Geburt  wegen  Schulterlage  durch  die 
Wendung  geendet  werden.  Die  Dauer  der  ersten  Geburtsperiode 
bei  den  Schieflagen  schwankte  zwischen  6  und  36  Stunden, 
die  der  zweiten  zwischen  ya  und  2  Stunden,  bei  zwei  ver- 
nachlässigten Fällen  von  Zwillingsgeburt  3  und  10  Stunden. 
Die  Kunsthülfe  bestand  in  10  Fällen  in  der  Wendung  auf 
den  rechten,  in  11  auf  den  linken  Fuss,  ein  Mal  jn  der 
Wendung  auf  den  Kopf.  In  18  Fällen  liess  man  der  Wendung 
die  Extraction  des  kindlichen  Körpers  folgen;  der  nach- 
kommende Kopf  wurde  mit  Ausnahme  eines  Falles  immer 
durch  manuelle  Nachhülfe  entwickelt;  hier  wurde  bei  einer 
39jährigen  Achtgebärenden,  nachdem  man  sich  vergeblich 
bemüht  hatte,  den  Kopf  durch  Manualhülfe  zu  extrahiren, 
die  Zange  angelegt,  ohne  dass  man  auch  mit  dieser  den 
Kopf  herausbefördem  konnte.  lVa  Stunden  später,  als  man 
sich  zur  Perforation  anschickte,  wurde  die  Geburt  unter 
kräftigen  Wehen  und  manueller  Beihülfe  beendet;  das  Kind 
war  ein  11  Pfd.  Zollgewicht  schwerer  todter  Knabe. 

Von  Complicationen  sind  noch  zu  erwähnen:  Fünf  Mal 
Vorfall  der  Nabelschnur,  fünf  Mal  Vorfall  des  Armes,  ein  Mal 
feste  Einkeilung  der  rechten  Schulter  bei  zu  spät  verlangter 
Hülfe  und  tetanischer  Zusammenziehung  des  Uterus;  die 
Chloroformnarkose  ermöglichte  in  diesem  Falle,  wie  in  den 
beiden  bei  den  zwei  Zwillingsgeburten  erwähnten,  die  Beendigung 
der  Geburt.  Die  Complicationen  von  Schieflagen  mit  Placedla 
praevia,  Vorfall  und  vorzeitiger  Lösung  werdeil  später  Er- 
wähnung finden. 

Von  den  22  Kinderu  waren  2  vor  der  Geburt  abgestorben, 
11  wurden  todt,  9  lebend  geboren,  von  den  letzteren  waren  5 
hochgradig  asphyk  tisch. 

Von  den  Wöchnerinnen  blieben  13  im  Wochenbette  ganz 
gesund,  während  9  erkrankten  und  diese  genasen  säramtlich. 


240  X-     Braun,  Beriebt  über  die  Ereignisse 

Von  den  Erkrankungen  sind  bemerkenswerth:  Eine  leichtere 
Endometritis  bei  der  erwähnten  Achtgebärenden  mit  dem  ausser« 
gewöhnlich  grossen  Rinde,  dessen  Kopf  anderthalb  Stunden  im 
Becken  zunickgehalten  worden  war;  es  trat  nämlich  11  Tage 
nach  der  Geburt  wahrscheinlich  unter  dem  Einflüsse  einer 
sehr  feuchten  Wohnung  zu  der  Affection  des  Uterus  eine 
Endocarditis  mit  Entzündung  und  Anschwellung  der  Lymph- 
drüsen des  linken  Armes  und  Betheiligung  verschiedener 
Gelenke  hinzu ;  die  Genesung  erfolgte  erst  nach  sechs  Wochen. 
Der  zweite  Erkrankungsfall  betrifft  die  Frau,  bei  welcher 
die  Wendung  in  Folge  von  Einkeilung  der  Schulter  besonders 
schwierig  gewesen  war;  es  trat  bald  nach  der  Geburt  eine 
intrauterine  Blutung  ein,  welche  durch  Entfernung  der  Coagula 
und  Anwendung  von  Kälte  gehoben  wurde;  die  Genesung 
erfolgte,  nachdem  durch  drei  Tage  hindurch  lebhafte  Febri- 
citation  ohne  nachweisbare  örtliche  Erkrankung  zugegen  ge- 
wesen war.  Erscheinungen  von  Anämie  nach  Complicalion 
mit  fracentaranomalien  werden  gleichfalls  noch  später  be- 
schrieben werden. 

Anderweitige   Geburtscomplicationen. 
1.    Eclampsie. 

Von  dieser  Complication  wurden  nur  zwei  Fälle  beobachtet. 

Der  erste  kam  vor  bei  einer  Erstgebärenden  von  30  Jahren, 
von  anämischem  schwächlichem  Aussehen;  sie  litt  in  den  letzten 
Wochen  vor  dem  normalen  Ende  der  Schwangerschaft  häufig  an 
Kopfschmerzen,  Schwindel  und  bemerkte  anch  ein  leichtes 
ödematöses  Anschwellen  der  unteren  Extremitäten.  Nachdem  die 
Wehen  18  Stunden  gedauert  hatten,  wurde  sie  den  11.  October  1860 
Morgens  10  Uhr  plötzlich  von  einem  sehr  heftigen  eclamptischen 
Anfalle  heimgesucht,  welcher  sich  bis  Nachmittag  2  Uhr  trotz 
Darreichung  grosser  Posen  Opium  drei  Mal  in  immer  heftigerem 
Maas s e  wiederholte;  der  mit  dem  Katheter  um  diese  Zeit  ent- 
leerte Urin  enthielt  grosse  Quantitäten  Eiweiss.  Da  der  Mutter- 
mund vollkommen  verstrichen  war  und. der  Kopf  sich  in  erster 
Position  am  Beckenausgange  befand ,  wurde  die  Zange  angelegt 
und  die  Geburt  mit  6—8  mittelstarken  Tractionen  beendet;  das 
Kind,  männlichen  Geschlechts  und  ausgetragen,  war  todt.  Nach 
der  Geburt  stellten  sich  noch  zwei  Anfalle  leichteren  Grades  ein, 
doch  kehrte  schon  am  folgenden  Tage  das  Bewusstsein,  das  während 
der  Geburt  vollkommen  erloschen  war,  seitweise  wieder,  und 
nach   einem   schluaimersüchtigen  Zustande   von    etwa  48  Stunden 


in  der  geburtshälflichen  Poliklinik  zu  München  ete.     241 

trat  die  Wöchnerin  schnell  in  Reconvalescenz,  womit  das  Ver- 
senwinden des  Eiweisaes  ans  dem  Urin  Hand  in  Hand  ging. 

Der  zweite  Fall  bei  einer  20j übrigen  Wäscherin,  bei  welcher 
drei  Wochen  nach  dem  letzten  Anfalle  die  Gebart  eines  lebenden 
Kindes  erfolgte,  wurde  vom  Prof.  Hecker  in  der  „Klinik",  S.  137, 
beschrieben. 

2.    Blutungen  während  und  nach  der  Gebort. 

Blutungen  während  <Jer  Geburt  in  Folge  von  vorzeitiger 
Lösung  der  normal  inserirten  Placenla  sahen  wir  in  fünf  Fallen; 
in  allen  war  der  Blutverlust  ein  unbedeutender,  ohne  Nach- 
theil für  Mutter  und  Kind,  ohne  daher  eine  Aufforderung  zur 
Intervention  der  Kunst  zu  geben. 

Durch  Placenta  praevia  bedingte  Blutungen  kamen  bei 
10  Fällen    vor.     Die   Patienten    waren   2  Mal  Erstgebärende, 

2  Mal  Zweit-,  2  Mal  Drittgebärende,  1  gebar  zum  sechsten, 

3  zum  achten  Male;  der  Sitz  der  Placenta  war  5  Mal  auf 
der  rechten  Seite,  3  Mal  auf  der  linken,  1  Mal  fast  central; 
bei  einem  Abortus  konnte  derselbe  nicht  genau  erkannt  werden. 

Ueber  das  Zustandekommen  der  Anomalie  wurde  wenig 
herausgebracht, -in  fünf  Fällen,  und  zwar  bei  den- beiden 
Primiparis,  einer  Zweit-  und  zwei  Drittgebärenden  war  gar 
kein  ätiologisches  Moment  zu  eruiren;  eine  Zweitgebärende 
hatte  vorher  ein  Jahr  lang  an  UterinkMarrh  gelitten;  bei  einer 
Sechst-  und  einer  Achtgebärenden  waren  wiederholt  Aborten 
dagewesen;  bei  einer  Achtgebärenden  endlich  war  ein  Mal 
die  Placenla  künstlich  gelöst  worden.  Kurze  Detailangaben 
über  den  .Verlauf  einzelner  unter  den  10  Fällen  mögen  nicht 
überflüssig  erscheinen. 

a)  Reifgeburt  bei  einer  Drittgeh&renden.  Unvollkommene 
erste  Fusslage.  Rechts  ein  kleiner  2  Zoll  breiter  Rand  der 
Placenta  zu  fühlen.  Blntnng  kurz  nach  dem  ßlasensprunge  und 
in  massigem  Grade  auftretend.  Extraction  wegen  Unmöglichkeit, 
den  kindlichen  Herzschlag  an  hören.  Das  Kind,  weiblichen  Ge- 
schlechts, asphyktisch,  wiederbelebt.  Die  Mntter  erholte  sich  bald. 

6)  Frühgeburt  von  sechs  Monaten  bei  einer  ZweitgebKrenden, 
nachdem  vier  Wochen  vorher  Abtrftufeln  von  Blut  unbeachtet 
geblieben.  Erste  Schulterlage,  erste  Unterart.  Ein  Dritttheil 
der  kleinen  Placenta  ragte  von  links  her  über  den  kronthaler- 
grossen  nnd  nachgiebigen  Muttermnnd.  Durch  Wendung  und 
Extraction  wird  eine  todte  weibliche  Frucht  zu  Tage  gefördert^ 
Rasche  Genesung  der  Mutter. 


242  &•    Braun*  Bericht  über  die  EreignUse 

o)  Plötzliches  Eintreten  einer  profusen  Blutung  bei  einer 
Achtgebärenden. nahe  am  Ende  der  Schwangerschaft.  Linksseitiges 
Aufsitzen  der  .Placenta.  Die. Lage  des  Kindes  war  zwei  Stunden 
vor  dem  Blasensprunge  deutlich  als  zweite  Schulterlage  be- 
stimmbar; nach  Abfluss  des  Fruchtwassers  stellte  sich  der  Kopf 
ein,  und  die  Geburt  verlief  in  zweiter  Scheitellage  ohne  Kunst- 
hirlfe;  das  Kind,  männlichen  Geschlechts,  wurde  todt  geboren. 
Die  Mutter  genas. 

d)  Eine  Sechstgebärende  hatte  während  ihrer  Scjwanger- , 
schaft  zwei  Mal  heftige  Blutungen  gehabt,  die  sich  im  achten 
Monate  wiederholten  und  von  Wehen  gefolgt  waren.  Der  thal er- 
grosse Muttermund  war  gänzlich  von  Placentargewebe  bedeckt. 
Kein  vorliegender  Kindestheil.  Nachdem  tamponirt  worden  war, 
ergab  sich  aus  neuem  Blutverluste  und  fortwährenden  OhnnuacbtB- 
anwandlnngen  die  dringende  Tndication  zur  Beendigung1  de,r,(?ebnrt. 
Manuelle  Erweiterung  des  elastischen  Muttermundes,  Herabholen 
der  Füsse,  nachdem  erste  Steisslage  erkannt  war,  und  Extraction. 
Das  Kind,  ein  Knabe,  31/«  Pfd.  Civilgewicht  schwer,  40  Ctm. 
lang,  lebte,  starb  aber  nach  drei  Tagen.  Die  Mutter  litt  noch 
mehrere  Wochen  an  den  Folgen  der  Anämie. 

s)  Mas 8 ige  Blutung  beim  Hereinragen  eines  handtellergroßen 
Stückes  der  Placenta  in  den  tbalergrossen  ^Muttermund.  Kopf 
in  zweiter  Scheitellage  vorliegend.  Herzschlag  des  ansgetragenen 
Kindes  konnte  12  Stunden  vor  natürlicher  Beendigung  der  Ge- 
burt nicht  mehr  gehört  werden.  Dem  entsprechende  Fäuloiss- 
erscheinungen  am  geborenen  Kinde,  einem  Mädchen.  Die  Mutter 
blieb  gesund. 

/)  Eine  achtgebärende  38jährige  Tagelöhnerin  hatte  in  den 
letzten  beiden  Monaten  ihrer  sonst  normalen  Schwangerschaft 
häufig  Blutungen  gehabt.  Der  Eintritt  von  Wehen  war  von  einem 
so  heftigen  Blutsturze  begleitet,  dass  die  Patientin  schnell  in 
die  äusserste  Lebensgefahr  versetzt  wurde.  Puls  fadenförmig, 
Gesicht  collabirt,  kalte  Extremitäten,  Schwarzsehen,  Erb re oben 
bildeten  den  Symptomencomplex.  Bei  goldengrossem,  jedoch  nach-* 
giebigem  Muttermunde,  welcher  zum  grossen  Theile  von  Placentar- 
gewebe bedeckt  war,  und  bei  in  erster  Vordere  che  jtelUge 
vorliegendem  Kopfe  wurde  die  Geburt  rasch  durch  Wendung  auf 
den  rechten  Fuss  und  Extraction  beendet.  Das  scheintodte  Kind, 
ein  Knabe,  wurde  nach  V4  Stunde  zum  Leben  gebracht.  Die 
incarcerirte  Placenta  musste  wegen  fortdauernder,  Blutung  manuell 
entfernt  werden.     Die  Mutter  genas  langsam. 

g)  Eine  25jährige  viertgebärende  Frau,  welche  in  ihrer 
ersten  und  zweiten  Schwangerschaft  im  dritten  Monate  abortirt 
hatte,  erlitt  am  15.  Mai  1861  einen  starken  Blutverlust,  nachdem 
Abends  vorher  die  ersten  Wehen  eingetreten  waren.  Die  Schwanger- 
schaft   datirte   von    Mitte    August    1800.     Während    man  sich  zur 


in  der  gebnrtabälfUchen  Poliklinik  tu  München  etc.    .348 

Untersuchung  anschickte,  wurde  die  Placenta  unjftr  W.ejpn  *u*- 
gestossen  (Prolapsus  placentae).  Man  fand  das  Rind  in  erster 
Sehalterlage,  e weiter  Unterart,  vorliegen  iJnd  konnte  die  Geburt 
leicht  durch  Wendung  und  Extraction  beenden.  Das  Kind,  ein 
6  Pfd.  schwerer  Knabe,  wurde  ohne  Herzschlag  geboren  und 
konnte  nicht  belebt  werden.  Es  folgte  noch  eine  starke  Blutung 
aus  dem  atonisoben  Uterus  nach.  Aus  hochgradiger  Anäm\e 
erholte  sich  die  Wöchnerin  schnell. 

a)  Ein  kräftiges  wohlgebildetes  26 jähriges  Mädchen,  welches 
eine  normale. Geburt  überstanden  hatte,  kam  am  10.  Decerober  1860 
wegen  profuser  Blutung  cur  Behandlung.  Durch  den  inneren 
Muttermund  fühlte  man  deutlich  Placentargewebe,  womit  überein- 
stimmte ,  dass  Patientin ,  welche  Ende  Mai  ihre  lettte  Menstruation 
gehabt  hatte,  schon  seit  Juli  von  14  au  14  Tagen  Blutverlust 
erlitten  hatte.  Kein  vorliegender  Kindestheil.  Nach  der  äusseren 
Untersuchung  zweite  Schulterlage ,  Herztöne  hörbar.  Nach 
symptomatischer  Behandlung  fand  man  Abends  7  Uhr  die  ganse 
Placenta  im  Scheidenausgange  (Prolapsus  placentae);  es  wurde 
rasch  die  Wendung  \usgefuhrt  und  ein  Mädchen  extrahirt,  dessen 
Entwickelnng  dem  siebenten  Schwangerschaftsmonate  entsprach; 
es  war  35  Ctm.  lang  und  der  Kopf  chatte  einen  Umfang  von 
27  Ctm.     Es  war  todt.    Das  Wochenbett  verlief  ohne  Störung. 

Zu  diesen  beiden  Fällen  von  Prolapsus  placentae  ver- 
gleiche man  den  von  Prof.  Hecker  in  seiner  „Klipik",  S.  153, 
auch  den  S.  81  mitgetheilten  Fall. 

Das  Ergebnis*  für  die  Mutter  in  den  10  Fällen  von 
Placenta. praevia  fjiuss  wohl  als  ein  selten  günstiges  bezeichnet 
werden,  denn  sie  genasen  säramtlich;  dabei  piuss  man  be- 
sonders berücksichtigen,  dass  nur  bei  vier  Fällen  die  Aus- 
stossung  des  Kindes  der  Natur  überlassen  werden  konnte ,  dass 
in  den  sechs  übrigen  Fällen  mehr  oder  weniger  schwere 
Operationen  ausgeführt  werden  musslen. 

Von  den  Kindern  wurden  5  lebend  und  5  todt  geboren; 
unter  den  letzleren  befanden  sich  2  reife,  1  aus  dem  sechsten, 
2  aus  dem  siebenten  Schwangerschaflsmonate. 

Gebärmutterblutungen  während  oder  kurz  nach  der  Aus- 
stossung  der  Placenta  wurden  in  35  Fällen  bemerkt,  und 
zwar  22  Hai  vor  und  13  Mal  nach  Beendigung  der  dritten 
Geburtsperiode. 

In  12  Fällen  lag  die  Ursache  der  Blutung  in  theilweiser 
oder  gänzlicher  Verwachsung  der  Placenta  mit  der  Uteruswand, 
und   man  musste  hier  die   manuelle  künstliche  Lostrennung 


244  X-     Braun,  Bericht  aber  die  Ereignisse 

derselben  üben  und  konnte  sich  seit  Bekanntwerden  <Jer  so- 
genannten Cred<?y&hen  Methode  zur  Herausbeförderung  der 
Nachgeburt,  welche  darin  besteht,  dass  man  von  aussen  her 
durch  Druck  auf  den  Uterus  seinen  Inhalt  in  die  Scheide 
und  vor  die  GeschJechtstheiJe  presst,  mehrmals  überzeugen, 
dass  man  mit  derselben  nicht  im  Stande  ist,  derartige 
Adhäsionen,  deren  Vorkommen  nun  einmal  nicht  geläugnet 
werden  kann,  zu  beseitigen.  In  sieben  Fällen  war  die  Blutung 
durch  Contraction  des  inneren  Muttermundes  und  dadurch 
erfolgter  Incarceration  der  Placenta,  drei  Mal  durch  Strictur 
an  einem  Tubarostium  bedingt  und  nöthigte  zu  manueller 
Hülfeleistung.  Vier  Mal  hatte  die  Blutung  ihre  Ursache  in 
Atonie  des  Uterus;  diese  war  zwei  Mal  ziemlich  beträchtlich, 
ein  Mal  bei  einer  30jährigen  Erstgebärenden,  welche  in  der 
Hälfte  ihrer  Schwangerschaft  aborlirte,  ein  Mal  bei  einer 
26jährigen  Fünftgebärenden  nach  einer  Wendung. 

Nach  Entfernung  der  Placenta  kamen  Blutungen  in  13  Fällen 
vor,  und  hier  war  als  Ursache  immer  eine  Erschlaffung  des 
Uterus  leicht  nachweisbar.  Der  Blutverlust  erreichte  in  keinem 
Falle  eine  sehr  bedenkliche  Höhe,  so  dass  die  gewöhnlichen 
Mittel  zur  Sistirung  hinreichten;  ein  Mal  wurde,  wie  weiter 
oben  schon  erwähnt,  eine  Injection  mit  verdönnter  Eisenchlorid- 
lösung  angewandt. 

An  diese  Blutungen  mag  noch  ein  Fall  von  Thrombus 
vaginae  et  labiorum  angereiht  werden. 

Eine  29 jährige  Tagelöhnerin  kam  am  11.  Mai  1860  in  poli- 
klinische Behandlung.  Sie  hatte  vor  acht  Jahren  in  Folge  einer 
überstürzten  Geburt  einen  sehr  bedeutenden  Dammriss  erlitten, 
der  in  Verbindung  mit  schwerer  Arbeit  ein  all  mal  ige  8  Hervor- 
treten des  Uterus  ans  den  Süsseren  Geschlechtstheilen  zur  Folge 
gehabt  hatte.  Der  Prolapsus  uteri  war  endlich  etwa  vor  drei  Jahren 
ein  totaler  geworden,  so  dass  die  Patientin  vor  1%  Jahren  der 
Operation  der  Episiorraphie  sich  unterziehen  mueste;  durch  diese 
war  der  Vorfall  des  Uterus  gänzlich  beseitigt  worden.  Nach 
22 ständiger  Wehenthätigkeit  gebar  sie  am  12.  Mai  1860  ohne 
Kunsthiilfe  ein  gut  genährtes  grosses  Mädchen;  hierbei  hatte  man 
die  allmaiige  Ausdehnung  des  sehr  langen  durch  die  angegebene 
Operation  gebildeten  Dammes  beobachten  können.  Ein  kleiner 
etwa  4  Linien  langer  Einriss  derselben  konnte  nicht  vermieden 
werden.  In  den  ersten*  Tagen  des  Wochenbettes  entwickelte  sich 
an   der  linken   grossen  Schamlippe   in   der  Nähe    der  Commissnr 


in  der  geburtshülflichen  Poliklinik  in  München  etc.     245 

ein  wallnussgrosses  B lut extra vnsat,  welches  deutlich  flnctairte 
und  über  dem  die  Haut  gespannt  nnd  bläulich  gefärbt  erschien. 
Bei  einer  zuwartenden  Behandlung  erfolgte  ziemlich  schnell  eine 
Resorption  des  ergossenen  Blutes.  Der  Fall  war  übrigens  insofern 
noch  interessant,  als  die  Patientin  vier  Jahre  vor  dieser  letzten 
Geburt  ausgeprägte  Erscheinungen  der  seeundären  Syphilis  gehabt 
hatte  und  durch  drei  Monate  hindurch  speeifisch  behandelt  worden 
war.  Das  Kind  bekam  wohl  Intertrigo  und  Soor,  aber  zeigte 
sechs  Wochen  nach  der  Geburt  noch  keine  Spur  heriditärer 
Syphilis. 

3.    Continuitätstrennungen  der  mütterlichen  Weichtheile. 

Hierher  gehören  wohl  ausschliesslich  die  Rupturen  des 
Dammes.  Es  ist  sehr  schwer  oder  fast  unmöglich,  irgend 
eine  genaue  Angabe  über  das  Vorkommen  der  Dammrupturen 
in  der  Poliklinik,  zu  machen.  Es  können  daher  auch  hier  nur 
die  Fälle  erwähnt  werden,  bei  denen  eine  genauere  Beobachtung 
und  Behandlung  zufällig  möglich  war,  und  diese  Gelegenheit 
ergab  sich  fast  nur  bei  operativen  Fällen,  da  nach  natürlichen 
Geburten  die  Laesio  continui  nicht  zur  Cognition  kam. 
In  die  genannte  Kategorie  gehören  sieben  Fälle  von  Ruptura 
perinei.  Die  Länge  derselben  betrug  3/4  —  l1/*  Zoll;  ein  Mal 
war  der  Damm  seiner  ganzen  Länge  nach  bis  in  den  Mast* 
darm  hinein  zerrissen.  Die  Behandlung  der  Dammrisse  wurde 
nach  den  von  Prof.  Hecker  in  der  „Klinik",  S.  146  — 149, 
angegebenen  Grundsätzen  geleitet.  Nach  gehöriger  Blutstillung 
und  Reinigung  der  Wunde  und  Glättung  der  Wundränder, 
wenn  etwa  ihre  zackige  Beschaffenheit  dazu  aufforderte ,  wurde 
eine  möglichst  tiefe  und  lineare  Vereinigung  der  Wunde  mit 
Metalldraht  vorgenommen.  Die  Ligaturen  wurden  meist  nach 
72  Stunden  entfernt;  Seitenlage,  grosse  Reinlichkeit,  Ent- 
leerung des  Urins  durch  den  Katheter  und  Beförderung  des 
Stuhlgangs  am  vierten  bi§  fünften  Tage  waren  die  Punkte,  auf 
die  man  besonderen  Werth  legte. '  Eine  Prima  reunio  erzielte 
man  auf  diese  Weise  in  drei  Fällen,  und  unter  diese  gehörte 
der  oben  erwähnte  von  Ruptur  bis  in  den  Sphincter  ani,  bei 
welchem  fünf  Ligaturen,  die  eine  durch  die  Mastdarmschleimhaut 
gelegt,  in  Anwendung  kommen  mussten.  In  einem  Falle  rirzielte 
man  eine  theilweise  Vereinigung  der  Wundränder,  und  in  den 
drei  übrigen  Fällen  war  der  Erfolg  ein  negativer,  was  seinen 
Grund  hatte  in  einem  gänzlichen  Mangel  von  Wartung  und 


246  X.     Braun,  Bericht  aber  die  Ereignisse  etc. 

Pflege,   so    dass   nicht  einmal  die  noth wendigste  Reinhaltung 
der  Wunde  erzielt  werden  konute. 

4.    Vorfall  der  Nabelschnur. 

Diese  Geburtscomplication  kam  in  neun  Fällen  zur 
Beobachtung  und  zwar  bei  drei  Zweit-,  zwei  Dritt-,  einer 
Viert-,  zwei  Fünft-  und  einer  Siebentgebärenden.  Die  Lage 
des  Kindes  war  vier  Mal  erste  Scheitellage,  zwei  Mal  zweite 
Scheitellage,  zwei  Mal  erste  Steiss-  und  ein  Mal  zweite  Fusslage. 
Die  Dauer  der  zweiten  Geburtsperiode  schwankte  zwischen 
V4  und  2  Stunden.  Im  ersten  Falle  war  die  vorgefallene 
Schlinge  nur  klein,  die  Pulsation  derselben  deutlich,  die 
manuelle  Reposition  gleich  nach  dem  Blasensprunge  bei  guten 
BeckenrfiumKchkeiten  und  hochstehendem  Kopfe  leicht  aus- 
führbar. Im  zweiten  Falle  bei  einer  Frühgeburt  von  sechs 
Monaten  war  die  vorgefallene  Schlinge  der  sehr  dünnen  Nabel- 
schnur ebenfalls  nur  sehr  klein,  aber  ohne  Palsation;  die 
Geburt  wurde  der  Natur  überlassen,  das  Kind  war  todt  Im 
dritten  Falle  war'  neben  dein  in  zweiter  Scheitellage  vor- 
liegenden Kopfe  der  linke  Arm  und  die  prüsirende  Nabel- 
schnur vorgefallen;  nach  der  gelungenen  Reposition  des  ersteren 
wurde  die  Zurückbringung  der  letzteren  erfolglos  versucht; 
das  Leben  des  Kindes  konnte  durch  Anlegung  der  Zange  und 
Extraction  mit  dieser  nicht  erhalten  werden,  obwohl  die 
Nabelschnur  kurz  vorher  noch  pulsirt  hatte.  In  emetti  vierten 
Falle  wurde  bei  einer  34jährigen  Fünftgebärenden  nach  er- 
folgloser Reposition  der  Nabelschnur  der  Kopf  rasch  (alt  der 
Zange  entwickelt  und  das  asphyktische  Kind  wieder  belebt. 
Bei  drei  Mebrgebärenden  verlief  die  Geburt  so  schnell,  dass* 
keine  Kunsthülfe  in  Anwendung  kam.  Wegen  Schwächer-  und 
Langsamerwerden  der  Pulsationen  wurde  in  einem  Falle  bei 
erster  Steisslage  und  in  einem  anderen  bei  zweiter  Fasslage 
die  Extraction  mit  Erhaltung  des  kindlichen  Lebens  vorgenommen. 

Aetiologische  Momente  für  das  Zustandekommen  des 
Nabelschmirvorfalls  konnten  nicht  mit  der  Exactheit,  wie  in 
einer  Klinik  ermittelt  werden;  nur  in  wenigen  Fällen  war  eine 
Messung  des  Nabelschnurstranges  vorgenommen  worden,  in 
diesem  betrug'  die  Länge  75,  68  und  42  Ctm..  üeber  die 
Stritte  de*  Eibauftrisses  finden*  sieb  fünf  Angaben,  dasti  nätötfch 


XI.    Notizen  aus  der  Journal- Literatur.  24$ 

derselbe  zwei  Mal  nur  einen  Zoll  vom  Placentarrande  entfernt 
war,  drei  Hai  dicht  an  demselben  sich  befand;  die  Insertion 
d$s  Nabelstranges  in  die  Placenta  wurde  drei  Mal  als  lateral, 
ein  Mal  als  marginal  angegeben.  Der  Erfolg  für  das  Leben 
(Jes  Kindes  war  in  den  neun  erwähnten  Fällen  ein  sehr 
gunstiger,  denn  es  wurden  sieben  Kinder  lebend  und  zwei 
todt  geboren.     Voq  den  Müttern  erkrankte  keine. 

(Schluss  folgt.)  ' 


XL 
Notizen  aus  der  Journal-Literatur. 


J.  Richard:  Harnblasen-Scheiden  -  Fistel  durch  einen 
Blasenstein  geschlossen;  Obliteration  der  Scheide 
oberhalb  der  Fistel. 

Die  jetzt  67jährige  Wittwe  F.  wurde  im  30.  Jahre  mit  Hülfe 
der  Zange  schwär  entbunden.  Einige  Tage  nach  der  Niederkunft 
stellte  sich  Harnträufeln  ein,  welches  bis  vor  ungefähr  6  —  7  Monaten 
anhielt,  worauf  die  Incontinenz  nachliess  und  der  Urin  seinen 
normalen  Weg  nahm.  Bald  stellten  sich  Schmerzen  in  der  Scheide 
und  den  Nieren  ein.  Die  Untersuchung  zeigte  einen  in  der 
vorderen  Scheidenwand  Ritzenden,  vorspringenden,  eckigen  und 
festen  Körper,  der  auch  «durch  einen  in  die  Blase  eingeführten 
Katheter  deutlich  gefühlt  werden  konnte.  Wiederholte  Versuche, 
den  in  der  alten  Fistel  eingeklemmten  Stein  zu  entfernen,  gelangen 
erst,  nachdem  mit 'langen  Scheeren  die  Fistel  erweitert  worden 
war.    Doch  brach  der  Stein  in  mehrere  Stücke. 

Die  Fistel  besteht  jetzt  noch  und  hat  ihre  frühere  Ausdehnung 
wieder  erlangt.  Mit  Wiedereintritt  der  Incontinenz  sind  auch 
die  oben  angeführten  Schmerzen  geschwunden.  Besonders  zu 
erwähnen  ist  noch  die  ausserordentliche  Kürze  der  Scheide,  ah 
deren  Ende  weder  Uterusmund  oder  Hals  zu  entdecken  war,  noch 
ein  Kanal,  welcher  zu  ihm  hinführte.  Sollte  wirklich  eine  solche 
Oeffnnng  nicht  existirt  haben,  so  müsste  man  annehmen,  dass  die 
Regeln  vermittels  einer  zweiten  oberhalb  derObliteration  gelegenen" 
Fistel  ihren  Ausweg  durch  die  Harnblase  genommen  hätten. 
(Gazette  des  hdpitauz,  1862 1  No.  61.) 


248  XI.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

Blaaehko:    Eine  Aehre   an    der  Portio  vaginalis  und   ihre 
Folgen.        i 

Bei  einer  63 jährigen  Frau,  welche  über  Fluor  albus,  Hitze 
in  der  Vagina,  Beschwerden  beim  Harnlassen,  sowie  über  zeit- 
weise auftretende  Krämpfe  klagte,  fand  B.  eine  l1/«"  lange  spitze 
Aehre  an  der  Portio  vaginalis,  welche  als  Ursache  jener  Leiden 
um  so  gewisser  anzusehen  ist,  als  nach  ihrer  Entfernung  eine 
vollständige  Genesung  in  Kürze  erzielt  wurde.  Die  Aehre  soll 
der  Frau,  während  sie,  theils  sitzend,  theils  knieend,  Garten- 
arbeiten verrichtete,  in  die  Geschlechtstheile  eingedrungen  sein. 
(Deutsche  Klinik  1862,  Nr.  11.) 


Hustyi  Totaler  Vorfall  einer  schwangeren  Gebärmutter. 

Eine  34jährige,  kräftig  gebaute  Frau  litt  seit  ihrer  zweiten 
Entbindung  an  einem  Gebärmuttervorfall.  In  ihrer  vierten 
Schwangerschaft  konnte  die  Gebärmutter  nie  ganz  im  Leibe 
erhalten  werden,  und  wurde  daher  durch  Binden  unterstützt, 
ein  Theil  derselben  ausser  dem  Leibe  getragen.  Von  den 
localen  Beschwerden  abgesehen,  war  die  Frau  gesund.  H.  wurde 
zu  ihr  gerufen,  nachdem  schon  seit  drei  Tagen  heftige  und 
anhaltende  Wehen  sich  eingestellt  hatten,  und  das  Fruchtwasser 
seit  zwei  Tagen  abgeflossen  war.  Er  fand  die  Gebärende 
sehr  erschöpft,  die  Schamlippen  auswärtsgekehrt  und  stark  aus- 
gedehnt, den  Uterus  aus  der  enorm  ausgedehnten  Scheide  zwischen 
die  Oberschenkel  herunterragend,  den  guldengrossen ,  wulstigen, 
stark  gespannten  Muttermund  in  der  Gegend  der  Kniee ,  den  Kopf 
des  bald  nach  dem  Eintritte  der  Geburtsthätigkeit  abgestorbenen 
Kindes  vorliegend.  Die  Gebärmutter  war  stark  um  die  Frucht 
zusammengezogen,  die  Wehen  häufig,  heftig  und  anhaltend.  Die 
Reposition  der  mit  Fett  bestrichenen  vorgefallenen  Theile  gelang 
bei  dem  sehr  geräumigen  Becken  leicht,  —  doch  mussten  dieselben 
fortwährend  zurückgehalten  werden.  Da  H.  ein  Fortscbreiten  der 
Geburt  auf  keine  andere  Weise  erzielen  konnte,  verschritt  er 
zur  Perforation  und  theilweisen  Auslösung  der  Kopfknochen. 
Mit  vieler  Mühe  gelang  es  ihm,  den  so  verkleinerten  Kopf,  und 
sodann  den  Rumpf  zu  entwickeln.  Das  vollkommen  reife,  neun 
Pfund  schwere  Kind  zeigte  deutliche  Spuren  von  Fäulniss.  Die 
Mutter  erholte  sich  bald,  —  nach  zwei  Jahren  gebar  sie  ohne 
ärztlichen  Beistand  einen  gesunden  Knaben,  nachdem  sie  diesmal 
durch  eine  Bandage  die  schwangere  Gebärmutter  im  Leibe  er- 
halten hatte. 

(Wien.  allg.  med.  Zeitschr.  1862,  Nr.  5.) 


XII. 
Ueber  herslose  Miasgeburten. 

Von 

Dr.  J.  Poppet  in  München. 
(Hierzu  eine  Tafel  mit  sechs  Abbildungen.) 

Die  Acardiaci,  deren  Beschreibung  Herr  Prof.  Hecker 
so  gütig  war,  mir  zu  übertragen,  gehören  einer  Gruppe  von 
Missbildungen  an,  die  dadurch  von  besonderem  Interesse  ist, 
weil  sie  wohl  einzig  in  ihrer  Aetiologie  anatomisch  demonstrirt 
werden  kann.  Dieselben  sind  immer  Zwillingsfrüchte,  von 
denen  '  die  andere  ein  normal  gebildetes  Kind  und  gleichet 
Geschlechts  mit  ersterer  ist.  Ausnahmslos  ist  für  beide 
Kinder  ein  Chorion,  fast  immer  zwei  Amnien  vorhanden. 
Auch  bei  Drillings-  und  Vierlingsschwangerschaften  sind  sie 
einige  Male  beobachtet  worden,  und  dann  war  der  Aoardiacus 
immer  mit  einem  der  anderen  Kinder  in  einem  gemeinschaftlichen 
Chorion  eingeschlossen.  Bei  Tiedemann l)  sind  zwar  drei 
Beobachtungen  von  älteren  Autoren  erwähnt,  bei  denen  ein 
Acardiacus  allein  geboren  worden  sein  soll,  doch  hat  Hempel2) 
die  Unzuverlässigkeit  dieser  Fälle  nachgewiesen. 

In  der  Placenta,  die  stets  gemeinschaftlich  ist,  findet 
man  die  Erklärung  für  die  Entstehung  der  Missgeburt  Obwohl 
von  112  überhaupt  bekannten  Acardiacis  bis  jetzt  nur  einige 
Placenten  untersucht  und  beschrieben  worden  sind,  so  ist 
doch  das  .gleich  näher  zu  besprechende  Verhalten  derselben 
in  Bezug  auf  den  Zusammenhang  mit  der  Entstehung  der 
Missbilduug    so   einleuchtend,    dass    ein    allgemeiner   Schluss 


1)  Anatomie  der  kopflosen  Miasgeburten.     Laudahut  1813. 

2)  Pe  monstris  acephalis.     Diss.     Hafniae  1860. 
Mouatxftobr.  f.  tteburtik.  1862.  Bd.  XX.,Hft  4.  17 


250  XII.    Poppet,  Ueber  herzlose  Missgebnrten. 

nicht  angefochten  werden  kann.  Bei  diesen  Placenten,  die 
ich  später N  noch  in  historischer  Beziehung  zu  erwähnen  Ge- 
legenheit finden  werde,  geht  nämlich  constant  ein  Hauptast 
der  Nabelarterie  und  Vene  des  gesunden  Kindes  unmittelbar 
in  die  Nabelarterie  und  Vene  des  Acardiacus  über.  Diese 
Geßsscommunication  verdankt  ihre  Entstehung  der  allerersten 
Zeit  des  Embryonallebens,  wenn  die  Allan tois  als  Vermittlerin 
der  Blutcirculation  zwischen  Frucht  und  Mutter  gegen  das 
Chorion  zunächst  und  zur  Bildung  der  Placenta  Veranlassung 
giebl,  beim  Menschen  also  etwa  in  der  fünften  Woche. 

Bei  Zwillingen  sind  mehrere  Möglichkeiten  des  gegen- 
seitigen Verhaltens  der  Aflantoisblaschen  und  ihrer  Gelasse 
gegeben.  Wenn  die  Zwillingsschwangerschaft  durch  Befruchtung 
zweier  Eier  entsteht,  in  welchem  Falle  immer  zwei  Chorien 
und  Amnien  vorhanden  sind,  können  sich  die  Allantoiden  jede 
für  sich  an  das  betreffende  Chorion  ansetzen  und  die  Ent- 
wicklung zweier  getrennter  .Placenten  bewirken,  oder  sie 
lagern  sich  nebeneinander  und  bilden  die  conglutinirte  Doppel- 
placenta,  die  miteinander  nicht  oder  bloss  durch  Capillaren 
anastomosiren.  Geht  aber  die  Zwillingsschwangerschaft  aus 
Einem  befruchteten  Ei  mit  doppelter  Keimanlage  hervor,  wobei 
stets  bloss  ein  Chorion  und  meist  zwei  Amnien  vorkommen, 
so  ist  die  Placenta  in  der  Regel  scheinbar  einfach,  es  be- 
stehen aber  doch  zwei  Capilfarsysteme  in  ihr,  die  allerdings 
durch  grössere  und  kleinere  Anastomosen  miteinander  coramu- 
niciren.  Wenn  hierbei  nun  zufällig  Hauptäste  beider  AJlantois- 
gefässe  an  der  Placentarstelle  von  entgegengesetzter  Richtung 
her  zusammentreffen  und  miteinander  unmittelbar  anastomo- 
siren, so  kommt  es  unter  Umständen  zur  Bildung  eines 
Acardiacus. 

Eine  noth wendige  Folge  des  erwähnten  Verhallens  ist 
zunächst  eine  Stauung  beider  senkrecht  gegeneinander  stossenden 
Blutströme;  es  ist  denkbar,  dass  die  Kraft  derselben  sich  das 
Gleichgewicht  hält  und  es  in  kurzer  Zeit  zur  Stagnation  und. 
Gerinnung  des  Blutes  mit  nachfolgender  Oblileration  des  Ge- 
fässes  kommt  und  dann  nimmt  die  Entwicklung  beider 
Früchte  ihren  ungestörten  Fortgang.  Auch  scheint  eine 
solche  Anastomose  ohjie  Beeinträchtigung  der  Entwicklung 
beider  Kinder  persistiren  zu  können,  wenigstens  finde  ich  bei 


XII.    Poppel,  Uener  heftilöse  Mißgeburten.  251 

Ff.  Meekd l)  zwei  ZwIlHhgsplacenten  Mfer  Rinder  abgebildet, 
von  denen  die  feirie  Weidfc  Ntbeiarterien  durch  ein  8/<i  Litiien 
starkes  Gefass  vMWädetf  steigt,  di£  artofefe  elrld  1  Lmfe  stärke 
Anastomose  der  Nrfbelarttirie  Und  eine  gleiche  Vfo  Linien 
starke  der  Nabelvene  blitzt.  Hitir  katart  ich  mir  den  Blutlairf 
nicht  aflders  2tt  Stande  kommend  dcfnken,  ate  das«  er  im 
Sthnte  deä  jeweilig  stärker  arbeitenden  Helens  in  diesem 
VertwÄdungszweige  strömt.  Gewiss  itt  dett  meisten  Fällen 
aber  gtebt  diese  Anastomose  dadurch  zur  Entstehung  eifies 
Acafdiacus  Veranlassung,  dass  bei  constant  etwaö  überwiegender 
Pfcpalsftkraft  des  Herzens  der  einen1  Frucht  der  Blatätrörtf 
dieser  die  Oberhand  gewinnt  and  den  der  anderen  brä  ttttück 
zum  Herzen  staut  und  endlich  in  umgekfeWrter  Richtung  iü 
fliessen  Zwingt;  dies  mtws  nothwendrg  anfänglich  Untegel- 
mÖssrgk^W  und  baM  Llhtnttag  der  Herzcontractioneri  der 
überwundWteir  Frucht  zur  Folge  hafben.  Date  Herz  gelrf  Atii 
atrophisch  zu  Grunde  und  die  ganze*  Frucht  ist  fortan1  als*  ein' 
Appetadix  der  gesunden  2v  betrachten,'  deren  Herz  tti  derselben 
Weise  wie  den  eigenen  Körper  auch  den  herztosen  mit  Blut 
Versorgt),  indem  nun  das  Blut  durch  die  Nftbelarterft  Hrtn 
zufliesst  und  durch  die  NabeKene  zu*  Hacfcnta  zurückkehrt. 
Am  Capillapsysteme  der  Pkeenta  hat  der  Acafdiacus  nach 
diesen  Erörterungen  keinen  Antheil,  sondern  es  gehört  nur 
dem  gesunden  Kinde  an.  Ein  einfache*  CapHfersystem  kann, 
nebenbei  bemerkt,  auch  m  ganz  seltenen  Fällen  ohne  Störung 
des  Kreislaufes  beider  Kinder  dann  vorhanden  sei»,  wenn  die 
Stammgefässe  beider  Allantoiden  schon!  in  ibreAi  Verlaufe 
zum  Chorion»  sich  in  einen*  spitzen  Winkel  zu  einem  gemein- 
schaftliche» Gefasse  verbinden,  das  sich  auf  der  Placenta 
einfach  verzweigt.  Hierher  gehört  ein  von  ReynolM2)  in 
einer  amerikanischen  Zeitschrift  veröffentlichter  Fall  von  ge- 
sunden Zwillingen,  die  ein  langes  Stück  der  Nabelschnur  mit 
Einer  Arterie  und  Vene  'gemeinschaftlich  besassen. 

Bezüglich  des  constant  gleichen  Geschlechts  der  Acardiaci 
mit    ihren   Zwillingsfrüchten    könnte    wohl    der   Schluss    der 

1)  Archiv    für    Anatomie,    Physiologie    etc.    von    «/.   jtf tiller. 
Jahrg.  18&Ö. 

2)  Julius  u".  QMon\  Äägätfin1  fäf  ausländische  Literatur.    1836. 

17* 


A 


252  XII.    Goppel,  Ueber  herzlos©  Mißsgeburten. 

zunächstliegende  scheinen,  dass  gleiches  Blut  gleiches  Geschlecht 
erzeuge,  denn  die  Differenzirung  des  Geschlechtes  tritt  erst 
nach  Bildung  der  Allan(,ois  auf;  eine  scheinbare  Bestätigung 
erhält  dieser  Schluss  dadurch,  dass  auch  normal  gebildete 
Zwillinge  dann  immer  gleichen  Geschlechtes  sind,  wenn  sie 
bloss  ein  Chorion  besitzen,  die  Placentargefasse  also  in  ge- 
ringerem oder  höherem  Grade  anastomosiren,  Jedoch  ist  zu 
bedenken,  da^s  in  beiden  Fällen  die  Zwillingsschwangerschaft 
aus  der  Befruchtung  Eines  Eies  mit  doppelter  Keimanlage 
hervorgeht  und  dass  schon  von  der  Befruchtung  an,  sei  es 
vom  Vater  oder  der  Mutter  oder  von  beiden,  das  Ei  in  seinen 
beiden  Keimen  zu  gleicher  Geschlechtsentwickeluug  bestimmt 
werden  kann;  und  die  erste  Annahme  würde  ja  auch  bloss 
erklären,  warum  beide  Kinder  gleichen  Geschlechts  sind, 
müsste  aber  doch  noch  auf  einen  weiteren  unbekannten  Grund 
recurriren,  warum  das  eine  Mal  zwei  Knaben,  das  andere 
Mal  zwei  Mädchen  entstehen. 

•  Hier  mögen  noch  einige  historische  Bemerkungen  Platz 
linden.  Die  Ansichten  der  älteren  Schriftsteller  über  die 
Entstehung  und  Circulationsverhältnisse  der  Acardiaci  sind 
theils  ganz  unklar  r  theils  abenteuerlich. 

Poujol1)  glaubte,  weil  er  in  einem  von  ihm  beschriebenen 
Acephalus  keine  Arterie,  auch  nicht,  die  Nabelarterie  gefunden 
haben  will,  sondern  bloss  eine  Nabelvene,  die  sich  durch 
eine  Hohlvene  im  ganzen  Körper  verzweigte,  darstellen  konnte, 
dass  die  Missgeburt  nach  Art  der  Pflanzen  ernährt -worden 
sei,  und  dass  gar  kein  Kreislauf  des  Blutes  stattgefunden 
habe;  .die  Quelle  der  Nahrung  sei' der  Mutterkuchen,  wo  die 
feinsten  Zweige  der  Nabelvene  das  Blut  aufnähmen  und  zu 
allen  Theilen  des  Körpers  führten. 

Mery  a)  und  Le  Cat 8)  nahmen  an ,  dass  bei  dem  Mangel 
des  Herzens  der  Kreislauf  durch  die  Thatigkeit  des  Heizens 
der  Mutter  l>ewirkl  worden  sei  und  ersterer  betrachtet  diesen 
Mangel    des    Herzens    als    eine    Bestätigung    seiner   Meinung, 

1)  M^moires  ponr  l'Hist.  des  Sciences  et  des  beanx  arts. 
Trevoux  1706.     Jouillet. 

2)  Mlmoires  de  l'Acad.  des  Sciences  de  Paris.    Ann.  1720. 
3J  Philo«.  Transact,  for  the  Year  1767.     Vol.  67, 


Xft.    Poppet t  Ueber  herzlose  Missgeburten.  253 

dass  eine  Gefassverbindung  zwischen  dem  Fölus  und  der 
Mutter  stattfinde. 

Winslow,*)  der  ausser  der  NabHvene,  die  in  die  Aoria 
gemundet  haben  soll,  keine  weitere  Vene  gefunden  haben 
will,  und  zwar  auch  zwei  Nabelarterien  angieht,  ihren  weiteren 
Verlauf  aber  nicht  beschreibt,  sah  in  den  Arterien  kein 
eigentliches  rolhes  Blut,  sondern  eine  lymphartige  Flüssigkeit, 
und  glaubt,  dass  der  Lauf  der  Ernclhrungsflüssigkeit'  in  dem 
Mutterkuchen  sehr  langsam  gewesen  und  bloss  durch  die 
Elasticität  der  Gefasse  bewirkt  worden  sei;  das  Blut  sei  durch 
die  Nabelvene  in  den  Stamm  der  Aorta  gelangt  und  von  da 
in  alle  Aeste  bis  zu  dem  Capillarsysteme ;  hier  sei  das  lymph- 
artige Blut,  weil  keine  Venen  vorhanden  gewesen,  in  die 
zellige  Textur  der  Organe  ergossen  worden,  und  habe  dadurch 
eine  Anfüllung  des  Zellgewebes  mit  einer  serösen  Flüssigkeit 
hervorgebracht;  vielleicht  sei  auch  ein  Theil  der  Flüssigkeit 
durch  die  Poren  der  Haut  ausgeschwitzt. 

Monro2)  nahm  an,  dass  das  Blut  aus  der  Placenta 
durch  die  Nabelvene  in  den  Körper  der  Missgeburt  geflossen 
sei,  und  dass  deren  Zweige  die  Stelle  der  Arterien  zu  vertreten 
hätten,  währeud  die  Arterien  das  Blut  durch  die  Nabelarterie 
zurück  zur  Placenta  geführt  hatten,  um  sich  wieder  mit  den 
Nabelvenen  zu  verbinden. 

Bei  J.  F.  Meckel3)  finde  ich  die  Vermuthung,  dass 
entweder  die  Nabelarterien  und  alle  ihre  Zweige  die  Stelle 
der  Körpervenen,  die  Nabel vene  dagegen  die  Stelle  der  Aorta 
und  ihrer  Zweige  vertreten,  oder  dass  das  Blut  durch  die 
Nabelarterien  zum  Fötus  fliessen  und  durch  die  Nahelveue 
zurückkehren  müsste ,  wovon  aber  das  erstere  wahrscheinlicher 
sei,  indem  die  Venen  eher  als  die  Arterien  gebildet  würden; 
wo  das  Cent  nun  movens  für  die  Bewegung  zu  suchen  sei, 
wird  nicht  erörtert. 

Tiedemann4)  hat  folgende  Ansicht  Das  im  Mutter- 
kuchen  oxydirte    Blut   wurde    den    Mittsgeburten    durch    die 

1)  M^moires  de  l'Aead.  des  Sciences  de  Paris.    Ann.  1740. 

2)  Transactionsofthe  royalSooiety  of  Edinburgh.  Vol.  3.  1794. 

3)  Handbuch  der  pathol.  Anatomie.     Leipsig  1812. 

4)  L.  c.  . 


254  *H-     POPP**  Utber  kersUte  Uist&hurUm. 


Nabelarterien  zugeführt,  verzweigte  sich  im 
tob   wo   es  durch  die  Venen   sich  in  die  untere  HohlreM 
sammelte,    um   durch   die  Nabelvene   zur  Placenta   zurück- 
zukehren,  die  wieder   mit  den  Anfangen  der  Nabelarterien 
zusammenhing.   Die  Stelle,  wo  die  Nabelarterien  in  die  Staune 
der   Körperarterien   einmündeten,    verhielten   sich    gleichsam 
wie  Herzen  und  zwar  wie  das  linke  oder  Aertaherz.     Der 
Uebergang  des  Venenstammes  in  die  Nabelvene  bezeichnete 
gleichsam  das  rechte  oder  Lungenaortaherz,   indem  von  ihm 
aus  das  Blut  zur  Placenta,  dem  Respirationsorgane,  strömte. 
Einen  Beweis   für  diese  Ansicht  findet  er  in  den*  analogst! 
Verhalten  des  Gefisssystemes  bei  Mollusken,  Fischen  und  im 
Pfortaderkreisbufe  bei  Säugethieren  und  Vögeln.    Den  Grund 
der   gehemmten   Bildung   sucht   er   in    piner  Anomalie    und 
Trägheit  des  Vegetationsprocesses,  die  nach  seiner  Vennutbtmg 
auf  einer  Trägheit  des  Zeugungsprocesses  beruht;  map  könne 
sich  vorstellen,   dass,   da  die   herzlosen  Jtyissgeburteu  immer 
als  Zwillingsfrüchte   geboren  werden,  bei  der  Zeugung  bloss 
ein  Ei  gehörig  befruchtet  wurde,  das  andere  nicht    Von  dem 
Grade  der  Befruchtung  des  letzteren   hinge  dann  der  Grad 
der  Ausbildung  der  kopflosen  Missgeburten  ab;  und  so  bildeten  . 
die    Geburten    eines    wohlgestalteten    und    eines    kopflosen 
Kindes  eine  Stufenfolge  zwischen  den  einfachen  und  Zwillings- 
geburten,   indem   zuerst  ein   ganzes   und   ein   vierteis   bind, 
dann  ein  ganzes  und  ein  halbes,  ferner  ein  ganzes  und  zwei- 
dritteis  Kind  und  endlich  zwei  Kinder  gezeugt  wurden. 

Qurlt1)  glaubt,  dass  die  Kabelvene  des  Acardiacus  das 
zuführende,  die  Nabelarterie  das  zurückführende  Gefass  sei, 
hauptsächlich  wegen  des  angeblich  constanten  Mangels  der 
Klappen  in  den  Venen  des  Acardiacus;  die  bewegende  Kraft 
vindicirt  er  allerdings  dem  Herzen  des  gesunden  Kindes,  stellt 
sich  den  Kreislauf  aber  so  vor,  dass  die  Nabelarterie  des 
gesunden  Kindes  in  der  Placenta  durch  Capillaren  sowohl  in 
die  eigene  Nabelvene,  als  auch  in  die  des  Acardiacus  übergeht 
Das  Blut  müsste  dann  in  dem  letzteren  durch  ein  zweites 
Capillarsystem,  analog  dem  Pfortaderkreislaufe,  circiiliren  und 
sich    durch    die    Nabelarterie    zur   Placenta    zurückbegeben; 


1)  Magasin  für  die  gesammte  Thierheilkunde.  VI.  Jahrg.  1840. 


XII.    Poppelt  Ueber  herzlose  Misegeburfcen.  266 

wie  <  jedoch  diese  sich  weiter  verhalten  soll,  ist  nicht 
recht  klar. 

Eine,  ähnliche  Ansicht  spricht  Marshall  Hall1)  aus, 
dass  nämlich  das  Herz  des  gesunden  Zwillings  das  Blut  durch 
die  Nabelarterie  nicht  nur  in  seine  eigene  Nabelvene  und  in 
die  des  herzlosen  Kindes  treibe,  sondern  dass  es  auch  „actione 
quadam  laterali"  das  Blut  das  in  der  Nabelarterie  des  Acardiacus 
enthalten  ist,   in   die  PJacenta   und  ihr  Capillarsystem  sauge. 

Bei  W.  Vrolik*)  wird  bei  der  Beschreibung  des  Gefäss- 
systeras  eines  Acephalus  gelegentlich  die  Heinang  geäussert: 
„vasorum  actione  fit  raeatus  sanguinis ". 

Asüey  Cooper  und  Hodgkin3)  machten  wohl  zuerst 
auf  die  Anastomosenbildung,  wie  sie  im  Anfange  beschrieben 
wurde,  mehr  aufmerksam,  und  gaben  auch  die  Abbildung 
einer  solchen  Placenta,  wobei  sie  auseinandersetzen,  dass  das 
Blut  durch  die  Anastomose  in  die  Missbildung  strömend  da- 
selbst auf  dieselbe  Weise,  wie  in  einem  Glied  des  gesunden 
Kindes  den  Umlauf  vollende. 

H.  Mechd*)  bildet  ebenfalls  eine  Placenta  von  ungefähr 
in  der  achten  Woche  abortirten  Zwillingen  ab,,  von  denen 
der  eine  normal,  der  'andere  verschieden  missbildet  und 
„vermuthlich"  herzlos  war;  es  geben  auch  die  Nabelarterie 
und  Vene  der  missbildeten  Frucht  unmittelbar  in  Hauptäste 
der.  entsprechenden  Gefässe  der  gesunden  über.  Meckel 
glaubt  nun,  dass  eine  Anzahl  herzloser  Missgeburten  dieser 
Geiässanomalie  ihre  Entstehung  verdanke,  ohne  dass  er  sich 
jedoch  näher  über  die  Art  ausspricht,  wie  sie  zu  Stande 
komme;  aber  für  alle  Acardiaci  lässt  er  diese  Entstqfrungs- 
weise  nicht  gelten,  indem  andere  sicher  aus  einer  aümäligen 
Selbstlösung  von  Parasitenbildungen  hervorgingen  oder  dadurch 
zu  Stande  kämen,  dass  bei  Vorhandensein  eines  doppelten 
Fruchthofes  unter  unbekannten  Bedingungen  eine  Area  in  der 

1)  Edinburgh  and  London  monthly  Journal,  N.  XXX. 

2)  Tabulae  ad  illustrand.  Embryogenesin  tarn  natural,  quam 
abnorm.    Amstelodami  1849. 

3)'  Tbe  biatory  of  an  unusually  formed  placenta  and  imperfect 
foetua  by  Dr.  Hodgkin y  with  an  aocount  of  tbe  atruotare  of  the 
ptaaenta  and  foetua  by  Sir  A.  Cooper. 

4)  L.  c. 


256  XII.    Poppelf  Ueber  herslose  Missgebnrten. 

Entwickelung  stehen  bleibe  und  der  ihr  entsprechende  Fötus 
schliesslich  als  blosser  Anhaug  des  anderen  erscheine,  dem 
ein  besonderes  Herz  fehlt 

Hempel1)  hat  zuerst  nachzuweisen  gesucht,  dass  auf 
die  im  Anfange  erörterte  Weise  der  Kreislauf  bei  allen  herz- 
losen Missgeburten  vor  sich  gehen  müsse.  Er  konnte  sich 
zwar  nur  auf  wenige  genau  beschriebene  Fälle  stützen,  denn 
ausser  der  schon  erwähnten  von  AsÜey  Cooper  und  Hodgkin 
beschriebenen  und  abgebildeten  und  einer  von  ihm  selbst 
untersuchten  Placenta  waren  nur  noch  bei  Tiedemann*)  drei 
bestimmte  Angaben  über  Anastomosen  der  Nabeigefasse  bei 
Acardiacis  zu  finden,  doch  sind  andere  Beobachtungen,  die 
dagegen  zu  sprechen  scheinen,  bei  denen  thefls  von  vollkommen 
getrennten  Placenten  berichtet  wird,  tbeils  von  Anwesenheit 
des  Herzens  und  mangelndem  Kopfe,  theils  von  herzlosen  Miss- 
geburten, die  aber  allein  ohne  einen  Zwilling  geboren  wurden, 
entweder  als  unzuverlässig  oder  als  nicht  hierher  gehörig  zu 
bezeichnen,  und  es  ist  somit  die  Aufstellung  einer  bestimmt 
abgegrenzten  Gruppe  von  Missbildungen  unter  dem-  Namen 
der  Acardiaci  gerechtfertigt.  Bisher  hatte  man  sie  immer  als 
Acephali  aufgeführt,  weil  man  darin  das  Charakteristische  fand. 

Diese  Arbeit  Hempets  scheint  noch  längere  Zeit  un- 
beachtet geblieben  zu  sein,  denn  bei  Förster9)  wird  noch 
die  Nabelvene  als  zu-  und  die  Nabelarterie  als  ableitendes 
Gefass  bei  den  Acephalis  ausgegeben;  auch  die  Gruppe  der 
Acardiaci  ist  noch  nicht  zusammengestellt,  ebens<j  wenig  wie 
bei  Rokitansky,*)  der  in  Bezug  auf  Aetiologie  bloss  vou 
einer  frühzeitigen  Beeinträchtigung  des  Keimes  durch  den 
andern  Zwilling  spricht.  Erst  Claudius5)  hat  in  neuester 
Zeit  die  allgemeinere  Aufmerksamkeit  auf  die  Acardiaci  gelenkt, 
und  auch  neue  Gesichtspunkte  über  die  Art  der  Entstehung 
aufzustellen  gewusst,  die  ich  theils  schon  anfangs  berührte, 
theils  noch  in  Kürze  mitzutheilen  mir  erlaube. 


1)  L.  c. 

2)  L.  c. 

8)  Handbnch  der  pathol.  Anntomie.     Leipsig  1855. 

4)  Letirboch  der  pathol.  Anatomie.     Wien  1855. 

5)  Die  Entwickelang  der  herslosen  Missgebarten.    Kiel  1859. 


XH.    Poppet,  Uebcr  herslose  Missgebarten.  257 

Ausser  dem  Herzen  fehlt  den  Acaräiacis  regelmässig 
das  Stermim  and  nie  kommen  alle  Tbeile  des  Körpers  zur 
Entwickehmg ,  am  seltensten  die  oberen  Extremitäten  und 
der  Kopf.  Für  den  Mangel  des  Brustbeines  beansprucht 
Claudius  eine  in  den  letzten  Stadien  der  Herzthätigkeit  auf- 
tretende Congestion  in  den  Brustorganen  mit  begleitendem 
Oedem  als  Ursache,  wodurch  eine  Vegetationsstörung  der 
eben  erst  sich  bildenden  Knorpelsubstanz  bedingt  werde.  Die 
vorzugsweise  Entwickelung  dieser  oder  jener  Theile  des 
Acardiacus  hängt,  wie  gleichfalls  Claudius  sehr  plausibel 
macht,  theilweise  gewiss  von  physikalischen  Gründen  ab. 
Wie  wir  oben  sahen ,  kehrt  sich  der  Blutstrom  in  dem 
Zwillinge,  aus  dem  der  Acardiacus  entsteht,  um,  und  er  wird 
durch  die  beiden  Art  umbilicales,  von  denen  auch  eine  öfters 
obliterirt,  demselben  zugeführt.  An  der  Einmündungsstelle 
der  Art.  umbilicalis  in  die  Art.  hypogastrica  wird  der  rück- 
läufige Blutström  am  leichtesten  in  die  Aeste  der  letzteren 
einfliessen,  da  er  in  ihnen  die  ursprüngliche  Richtung  inne- 
behalten  kann  —  welchem  Umstände  gewiss  die  fast  constante 
Ausbildung  des  Beckens  und  seiner  Weichtheile  zuzuschreiben 
ist  -r-,  während  er  nach  aufwärts  bis  zur  Art.  iliaca  communis 
die  Strpmrichtung  erst  umkehren  muss.  Hier  an  der  Ein- 
mündungssteile der  Art.  hypogastrica  in  die  Art  iliaca  communis 
theilt  er  sich  wieder  in  zwei  Ströme,  deren  einer  in  der  Art 
iliaca  externa  seine  Richtung  nicht  zu  ändern  braucht,  woraus 
sich  das  häufige  Vorkommen  der  unteren  Extremitäten  erklärt ; 
der  andere  hingegen  muss  in  der  Art.  iliaca  communis  und 
weiter  hinauf  in  der  Aorta  erst  den  entgegenfliessenden  Blut- 
strom überwinden. 

Ferner  ist  auch  die  Entfernung  eines  Gelasses  von  der 
Eintrittsstelle  der  Art.  umbilicalis  in  die  Art.  hypogastrica  von 
Einfluss,  da  je  näher,  desto  grösser  der  Hauptstrom  ist,  der 
den  Seitenstrom  liefert.  So  werden  z.  B.,  abgesehen  von 
den  Arterien  des  Beckens  und  den  unteren  Extremitäten  in 
der  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  die  Art.  meseraicae,  sgermaticae, 
renales  mit  Blut  versorgt,  und  es  bilden  sich  dem  ent- 
sprechend sehr  häufig  die  unteren  Abschnitte  des  Darmes, 
die  Geschlechtsdrüsen  und  die  Nieren  aus,  während  der 
Magen,   die  Leber,  Milz,   dann  der  Brustkorb,   oder  gar  die 


25£  XJI.    Pofiptl,  Ueber  herzlos«  Misigthurtea. 

oberen  Extremitäten  und  der  Kopf  viel  häufiger  fehlen  oder 
mangelhaft  entwickelt  find.    Die  Menge  des  Blutes  Überhaupi, 
die  dem  Acardiacus  zuströmt»  scheint  mir  ebenso- von  grosser 
Wichtigkeit  zu   sein;   unter   den   mir  zu  Gebote  stehenden 
Fällen   fand  ich  nämlich  27  mit  genauer  Angabe  der  Nabel- 
geßsse,    und    da   ist   es  gewiss   nicht   zufällig,    dass  neun, 
die  bloss  eine  Bauchhöhle  mit  Rudimenten  von  Darm  oder 
höchstens   noch  verkümmerte  untere  Extremitäten  besassen, 
durch  nur  eine  Nabelarterie  Blut  erhielten,  hingegen  von  den 
übrigen  18,   die  ausser  der  unteren  Körperhälfte  auch  noch 
einen   Thorax   und    mehr   oder   weniger   ausgebildete   obere 
Extremitäten,   selbst  Kopfrudimente  hatten,   17   durch  zwei 
Nabelarterien   ernährt  wurden,  also   offenbar  mehr  Blut  be- 
kamen, als  die  ersten.   Endlich  ist  auch  die  Weite  der  Seilen- 
äste   ein  begünstigendes   oder  ungünstiges  Moment,   weil  je 
enger  dieselben  sind,  desto  mehr  die  Reibung  an  den  Wänden 
und  die  Stauung  an  der  Eintrittsöffnung  den  Blutstrom  hemmt. 
Noch  seien  einige  Worte  über  das  eigentümliche  Ver- 
halten des  Venensystems  bei  Acardiacis  erlaubt     Zur  Zeit 
der  Bildung,  der  Mantois   steigen  im  Embryo  zu  jeder.  Seite 
der  Wirbelsaule  je  eine  Vene  vom  Kopfe  gegen  das  Herz, 
die  Jugularvenen,  und  je  eine   vom  Schwanzende,  aufwärts, 
die  Carduialvenea,  die  sich  mit  den  Jugularvenen  ihrer  Seite 
zu    den   beiden  Ductus   Cuvieri   vereinigen,   wekhe   gemein- 
schaftlich in  den  Vorhof  münden.    Die  Cardinalvenen  nehmen 
die  Leber-    und  Darmvenen   und   die  Nierenvenen  auf  und 
geben,  in  die  Veuae  ilweae  über,  die  sich  grösstenteils  in 
den  Allan toisvenen  fortsetzen,  welche  letztere  also  die  früheste 
Form   der  Nabelvenen   bilden.     Später  entsteht  die  Cava  in- 
ferior als  Zweig  der  vom  ersten  Kreisläufe  her  bestehenden 
Vena  oraphalomesenterica,  nimmt  einen  anastomotiaehen  Zweig, 
der  von  einer  der  Nabelvenen  im  Nabel  entspringt,  auf,  uod 
setzt  sich  durch  andere  Zweige  mit  den  Venae  crurales  und 
hypogastricae  in  Verbindung,  die  bald  ganz  in  sie  übergehen, 
so   das»  dann  die  Cardinal-   und  die  mit  ihnen  verbundenem 
hinteren  Vertebralvenen*  als  Venae  azygos  und  hemiazygos  enden; 
hiermit  gehen  zugleich  die.  inneren  Stücke  der  AJlantoisvenen, 
die  in  die  Venae  iliacae  einmündeten,  zu  Grunde«    Wenn  nun 


XII.     Poppsl,  Ueber  herslofe  Miaageburtejt.  250 

bei  Acardiacis  das  Her?  untergeht«  schwinden  die  Ductus 
Cuvieri  und  ^die  Cardin^venen  geben  unmittelbar  in  die 
Jugjularvenen  über,  und  dieses  Venensystem  bleibt  dann  auch 
in  der  weiteren  Eotwickelung  besteben. 

Die  bei  unseren  Missbildungen  also  doppelt  oder  auch 
einfach  vorkommenden  zu  beiden  oder  einer  Seite  der  Aorta 
aufsteigenden  Venenstämme  sind  demnach  nicht  als  Hohlvene*, 
sondern  als  die  Stamme  zu  deuten,  aus  deöen  sich  im 
normalen  Fötus  die  Vena  azygos  und  hemiazygos  bildet  Sie 
treten  dann  am  Becken  in  einen  venösen  Bogen  ein,  der  die 
beiden  Venae  iliacae  verbindet;  die*e  trennen  sich  in  die 
Venae  murales  und  hypogastricae,  in  welche  letztere  die  Nabel- 
venen, eine  oder  zwei,  einmünden,  die  in  ihrer  frühesten 
Form,  in  der  der  Allantoisvenen  persistiren.  Dies  ist  im 
Allgemeinen  das  Verhalten  des  Venensystems  bei  Acardiacis; 
natürlich  kommen  Varietäten  bei  der  zahlreichen  Entwicklung 
venöser  Anastomosen  nicht  selten  vor. 

Nach  der  Ausbildung  der  einen  oder  andern  Körper- 
region können  die  Acardiaci  in  drei  Hauptformen  eingetheiJt 
werden  und  zwar:  1)  In  Amorphi  und  Mylecephali,  die  eine 
kugelige  mit  Haut  überzogene  Hasse  ohne  Kopf  und  Ex- 
tremitäten, oder  die  letzteren  nur  durch  kleine  Höcker  an- 
gedeutet» darstellen;  im  Inneren  sind  meist  Knoehenkerne 
von  öfters  wirbeläknlfcher  Form  und  cystöse  Hohlräume  ent- 
halten, hier  und  da  findet  mau  noch  Nerven-  und  Muskel- 
fasern und  auob  eine .  blind  endigende  Darmschiinge ;  daß 
übrige  besteht  aus  Bindegewebe.  Davon  sind  18  Exemplare 
bekannt.  2)  In  Acormi,  die  bloss  aus  einem  verschieden 
nrissbildeten  Kopfe  mit  ganz  rudimentärem  Rumpfskelete  ge- 
bildet sind,  bloss  in  5  Exemplaren  bekannt.  3)  In  Acephali, 
die  die  höchste  Entwickelung  erreicht  haben  und  je  nach 
dem  Vorkommen  von  Extremitäten  oder  Kopfrudimeoten 
Acephalus  sympus,  monopus,  dipus,  monobrachius,  dibrachms, 
paraeephalus  heissen;  sie  sind  die  häufigsten  und  bei  Claudius 
in  89  Exemplaren  aufgeführt. ') 


1)   Die   Eintheilnng   nach   JftfrsJar;    Die   MisshiMungen    de« 
Mensaben.    Jena  18*1. 


260  XII.     Poj)pelt  Ueber  herzlose  Missgeburten. 

Zur  Beschreibung  der  einzelnen  Fälle  übergehend,  muss 
ich  bedauern,  dass  auch  bei  ihnen,  wie  bei  fast  allen,  die 
Placenta  fehlt  Im  Ganzen  kann  ich  höchstens  neun  Fälle 
finden,  in  denen  des  Verhaltens  der  Placentargefässe  Erwähnung 
gethan  wird;  die  drei  Fälle  bei  Tiedemann,  dann  die  von 
Ä8tley  Cooper  und  Hodgkin,  von  H  Meckel  und  von 
Hempel  sind  schon  früher  angeführt,  eine  siebente  Placenta 
besitzt  die  Kieler  anatomische  Sammlung,  und  die  anderen 
zwei  in  der  Literatur  sich  findenden,  auf  die  mich  Herr 
Prof.  Hecker  aufmerksam  machte,  werden  noch  später  kurz 
besprochen  werden.  Trotzdem  dürfte  die  Seltenheit  der 
Missbildung  eine  kurze  Beschreibung  mit  Abbildung,  welche 
letztere  mir  mein  Vater  den  Gefallen  erwies,  in  Stahl  aus- 
zuführen, rechtfertigen. 

Der  erste  Acardiacus,  Fig.  I.  in  natürlicher  Grösse  dar- 
gestellt, wurde  vor  einiger  Zeit  von  einem  praktischen  Arzte 
auf  dem  Lande  in's  hiesige  Gebärhaus  übersendet.  Er  stammt 
nach  den  beigegebenen  Notizen  von  einer  gesunden  27  Jahre 
alten  Frau,  die  schon  zwei  Mal  gesunde  Kinder  normal  geboren 
hatte.  In  ihrer  dritten  Schwangerschaft  litt  sie  in  der  letzten 
Zeit  an  brennenden  Schmerzen  in  der  Nabelgegend  und  an 
Gefühl  von  Pelzigsein  der  unteren  Extremitäten.  Vor  der 
Geburt  des  ersten  Kindes,  eines  wohlgebildeten  im  achten 
Monate  befindlichen  bereits  todtfaulen  Knaben,  entleerte  sich 
viel  stinkendes  Fruchtwasser;  die  Geburt  erfolgte  in  Kopflage. 
Nach  */4  Stunden  stellte  sich  ebenfalls  nach  Abfluss  stinkenden 
Fruchtwassers  das  zweite  Kind  mit  den  Füssen  voraus  und 
erschien  als  Missgeburt.  Zugleich  mit  derselben  kam  die 
Nachgeburt,  da  hier  die  Nabelschnur  sehr  kurz  war,  während 
sie  bei  dem  ersten  Kinde  eine  mittlere  Länge  halte;  die 
Placenta  war  klein,  beide  Nabelstränge  inserirten  sich  fast 
in  ihrer  Mitte.  Mehr  konnte  über  die  Nachgeburt  nicht  er- 
mittelt werden.  Das  Gewichtetes  Acardiacus  beträgt  103  Gnn.; 
die  Länge  ohne  die  unteren  Extremitäten  9  Ctm.,  die  rechte 
untere  Extremität  misst  9  Ctm.,  die  dicke  äusserlich  bloss 
4V2  Ctm.  Der  Nabelstrang,  ,an  dem  Amnionfalten  anhängen, 
ist  31/«  Ctm.  lang  und  scheint  auch  im  Ganzen  nicht  länger 
gewesen   zu    sein.     Die   obere   Körperhälfte   ist   eine   kugelig 


XII.    Poppet,  Ueber  herzlose  Missgeburten.  261 

plattgedrückte  Masse,  die  überall  mit  normaler  Haut  über- 
zogen und  an  einigen  Stellen  mit  feinen  Haaren  bedeckt  ist 
Mehrere  spaltförmige  Vertiefungen  mit  warzenähnlichen  Er- 
habenheiten sind  die  Andeutung  einer  Gesichtsbildung,  denn 
sie  entsprechen  dem  Schädelrudiment  am  Skelet.  Neben  dem 
Nabelstrange  ist  ein  grosses  freiliegendes  Paquet  Darmscblingen ; 
unterhalb  derselben  sind  Spuren  äusserer  Geschlechtsteile 
in  Form  eines  plattgedrückten  imperforirten  Penis;  Alter- 
Öffnung  ist  keine  da.  Die  rechte  untere  Extremität  ist  fast 
ganz  normal,  im  Hüftgelenke  flectirt,  adducirt  und  nach 
aussen  rotirt;  die  kleine  Zehe  ist  nur  durch  einen  kleineu 
Höcker  ohne  Nagel  angedeutet.  Die  linke  ist  mehr  deform, 
ein  Oberschenkel  ist  äusserlich  nicht  sichtbar,  und  es  sind 
bloss  drei  theils  missgebildete  Zehen  und  ein  hochgradiger 
Klumpfuss  vorhanden. 

Die  Hautdecken  sind  normal,  nur  das  Unterhautbindegewebe 
ist  wie  bei  allen  Acardiacis  in  dicken  Lagen  gewuchert  und 
innig  mit  dem  Skelet  und  den  Muskeln  verbunden;  Hohl- 
räume mit  serös- gallertige irf  Inhalte,  wie  sie  sonst  meist 
beschrieben  werden  und  die  ebenso  wie  die  Bindegewebs- 
wucherung  durch  die  venöse  Stauung  bedingt  zu  sein  scheinen, 
wofür  auch  die  öfters  beobachteten  cavernösen  Venen- 
erweiterungen der  Haut  sprechen,  sind  nicht  zugegen;  auch 
das  Unterhautfettgewebe  ist  nicht  entwickelt. 

Das  Skelet  ist  in  ziemlicher  Ausbildung  vorhanden  und 
nach  ihm  gehört  vorliegender  Acardiacus,  wenn  man  ihn 
gemäss  obiger  Eintheilung  rubriciren  will,  zu  den  Acephalis 
paracephalis;  von  solchen  Acephalis  mit  Schädelrudimenten 
sind  13  bekannt. 

In  unserem  Falle  ist  eine  Knochenkapsel,  aus  mehreren 
fest  verbundenen  Stücken  bestehend,  an  der  Stelle  des  Schädels 
vorhanden;  eine  grosse  Lücke  in  derselben  war  innig  mit 
den  oben  beschriebenen  für  Gesichtsbildung  angesprochenen 
Erhabenheiten  der  Haut  verwachsen.  Unten  besitzt  das 
Schädelrudiment  eine  zweite  grosse  OefTnung,  die  in  den 
Rückenmarkskanal  führt.  Die  Wirbelsäule  ist  im  Ganzen 
stark  lordotisch  nach  links  gebeugt,  besteht  aus  7  undeutlich 
ausgeprägten  Halswirbeln,  12  Brustwirbeln  und  5  ganz  regel- 
mässig   gebildeten    Lendenwirbeln.      Rippen    sind    links    12 


262  XII.    Poppel,  Heb  er  herzlose  Missgeburten. 

vorhanden,  durch  die  Lordose  unregelmässig  übereinander- 
geschoben,  verkrümmt  und  theil weise  mit  einander  verwachsen; 
vorn  sind  die  10  obersten  durch  Knorpelmasse  vereinigt. 
Der  rechte  Theil  des  Brustkorbes  hat  11  Rippen,  von  denen 
die  oberste  ganz  rudimentär  ist,  die  acht  folgenden  durch 
Knorpel  vorn  vereinigt  sind;  zwischen  den  beiderseitigen 
Knorpellamellen  ist  eine  weite  Lücke,  durch  den  Mangel  des 
Brustbeins  bedingt.  An  der  Stelle  des  Schulterblattes  ist  auf 
jeder  Seite  ein  unförmlicher  platter  Knochen,  der  sich  mit 
einem  dem  Schlüsselbeine  entsprechenden  Portsatz  mit  den 
Rippenknorpeln  verbindet.  Das  Becken  ist  ziemlich  normal 
gebildet,  nur  fehlt  links  die  Gelenkpfanne;  dem  entsprechend 
der  Gelenkkopf  mit  dem  oberen  Theile  des  linken  Ober- 
schenkels, dessen  unteres  Ende  ganz  in  der  Haut  verborgen 
und  äusserlich  nicht  sichtbar  ist.  N 

Das  Muskelsystem  ist  analog  der  Entwickelung  des 
Skelets  ausgebildet;  am  Kopfe,  Halse  und  oberen  Extremitäten 
waren  nur  zerstreute  mit  dem  Zellgewebe  der  Haut  verfilzte 
Muskelbündel;  am  Brustkorbe  sind  die  Zwischenrippenmuskeln, 
namentlich  rechts,  gut  entwickelt,  von  den  grossen  Brust- 
muskeln konnte  keiner  dargestellt  werden,  dagegen  waren  die 
langen  Rückenmuskeln  zu  beiden  Seiten  der  Domfortsätze 
in  zwei  dicken  Bäuschen  vorhanden;  die  Beckenmuskeln  waren 
normal,  die  Bauchmuskeln  in  ihren  einzelnen  Lagen  nicht 
darstellbar,  Von  Zwerchfell  keine  Spur  zu  finden. 

Was  das  Nervensystem  betrifft,  so  war  in  der  Schädel- 
kapsel eine  pufpöse  Masse,  die  mikroskopisch  bloss  Binde- 
gewebe, zahlreiche  Gefasse,  amyloide  Körperchen,  Ölutfarbstoff 
und  Gholestearinkrystalle  zeigte;  dies  ist  der  constante  ßefund 
bei  allen  Acardiacis  mit  Schädelrudimenten,  nie  ist  bei  ihnen 
ein  Gehirn  beobachtet  worden,  ausser  bei  den  Acormis,  die 
iitimef  Gehirntlieile  oder  ein  hydrocephalisches  Gehirn  besitzen. 
Das  Rückenmark  mit  seinen  peripherischen  Nerven,  so  weit 
sie  verfolgt  wurden,  ist'  vorhanden. 

Organe  der  Brusthöhle  sind  keine  da,  ihr  Untergang  ist, 
wie  wir  sahen,  bedingt  durch  die  Entstehungsweise  der 
ganzen  Missbildung,  durch  die  beim  Untergänge  des  Herzens 
stattfindende  Circulationsstörung;  mit  dem  Herzen  gehen  auch 
iftimer   die  Lungen   zu  Grunde.     An    der  Stelle  derselben  ist 


XII.    Poppet,  lieber  heralosö  Mfssgeburtdn.  283 

die  Brusthöhle,  wenn  überhaupt  eine  ausgebildet  ist,  in  allen 
Fällen  mit  Zellgewebe  ausgefällt;  in  unserem  Falle  sind  ober- 
flächlich auf  dasselbe  zwei  durch  einen  Hohlgang  verbundene 
Säcke  aufgelagert,  deren  Wandungen  aus  Bindegewebs-  und 
elastischen  Fasern  gebildet  sind  und  die  etwas  dortkeiröthe 
schmierige  Hasse,  aus  Blutfarbstoff  und  Detritus  bestehend, 
enthalten.  Solche  Hohlräume  sind  schon  an  anderen  Steifen, 
namentlich  aber  in  der  Brusthöhle,  nicht  selten  gefunden 
worden  und  verdanken  ihre  Entstehung  vielleicht  zu  Grunde 
gegangenen  Organen. 

In  der  Bauchhöhle  sind  zwei  Nieren  mit  blind  endigenden 
Ureteren,  zwei  Nebennieren  und  auf  dem  Annulus  inguinal» 
aufliegend  zwei  Hoden ;  ausserdem  ist  noch  eine  verkümmerte 
mit  einem  kleinen  Hohlräume  versehene  Harnblase  da.  Der 
Darmkanal-  hegt  ganz  ausserhalb  der  Bauchhöhle,  endigt 
beiderseits  blind  und  ist  durch  ein  langes  Mesenterium  afl 
die  Wirbelsäule  gehellet.  Es  fehlt  demnach,  wie  bei  den* 
meisten  Acardiacis,  vollständig  Magen,  Leber,  Müfc,  Pankreas. 

Die  Geßssvertheilung  endlich  ist  kurz  folgende.  In  den 
Nabelstrang  treten  zwei  Venen  und  eine  Arterie.  Die  eine  Vene 
entsteht  aus  der  Vereinigung  zweier  Venae  jugalares,  nimmt 
im  Herabsteigen  die  in  zwei  Stämmen  sich  sammelnder* 
Venae  intercostales,  die  rechte  Nierenvene,  die  Nebennieren- 
venen,  eine  einer  Lebervene  entsprechende  aus  ttem  Zell- 
gewebe des  Thorax  stammende  Vene  und  eine  Darmtene  auf, 
und  geht  direct  in  den  Nabelstrang  über,  ohne  mit  den  Venen 
der  unteren  Körperhälfte  Verbindungen  einzugehen.  Die  andere 
Vene  setzt  sich  aus  den  im  Bogen  vereinigten  Venae  iltacae 
externae  und  hypogastricae  beider  Seiten  zusammen  und  nimmt 
auch  noch  die  linke  Nierenvene  auf.  Die  Arterie  spaltet  sich 
noch  im  Nabelstrange  in  zwei  Aeste,  deren  linker  nach  ab- 
wärts steigend  in  die  Art  hypogastrica  und'  ilraca  externa 
dieser  Seite  sich  theilt,  während  der  rechte  direct  in  die 
Aorta  mündet,  die  die  Art.  hypogarstrica  und  iliaca  externa 
der  rechten  Seite  und  nach  aufwärts  steigend'  zu  den  vor- 
handenen Organen  die  normalen  Zweige  abgiebt. 

Der  zweite  Acardiacus,  Figur  V.  in  %  der  natürlichen 
Grösse  dargestellt,  befindet  sich  schon  seit  längerer  Zeit  in 
der  Sammlung  des  hiesigen  Gebärhauses,  es  sind  aber  keine 


264  XH*    Poppelf  Ueber  herzlose  Miesgebnrten. 

weiteren  Notizen,  als  dass  er  ein  Zwillingskind  war,  vor- 
handen. Darum  möge  eitle  ganz  kurze  Angabe  der  Organe, 
die  er  besitzt,  genügen.-  Er  wiegt  337  Grm.  und  ist  18  Gtm. 
lang.  Die  Hautdecken  sind  bei  ihm  durch  Wucherung  des 
Unterhautbindegewebes,  das  auch  viele  cystöse  Hohlräume 
enthält,  enorm  verdickt;  die  obere  Hälfte  stellt  eine  kugelige 
Masse  dar  ohne  jede  Hervorragung;  die  unteren  Extremitäten 
sind  auch  sehr  verdickt,  der  linke  Puss  hat  zwei  Zehen,  am 
rechten  sind  gar  keine  Pussknochen  vorhanden,  sondern  er 
endet  mit  einer  stumpfen  Spitze,  die  durch  das  Ende  der 
Tibia  bedingt  ist.  Vom  Skelet  fehlt  Schädel,  Halswirbeisäule, 
obere  Extremitäten  vollständig,  die  Brustwirbelsäule  hat  neun 
Wirbel,  an  denen  rechts  acht,  links  neun  theils  rudimentäre 
Rippen  sich  anheilten,  die  vorn  wieder  einen  weilen  freien 
Raum  zwischen  sich  lassen;  das  Becken  ist  normal.  Die 
Wirbelsäule,  die  stark  kyphotisch  gekrümmt  ist,  enthält  ein 
Rückenmark,  das  auch  peripherische  Nerven  aussendet.  Der 
Brustkorb  ist  oben  mit  Zellgewebe  ausgefüllt,  auf  welchem 
zwei  grosse  Nieren  mit  Nebeunieren  liegen.  Die  Ureteren 
münden  in  eine  Harnblase,  die  auch  eine  nach  aussen  mündende 
Urethra  besitzt.  Weiter  sind  einige  Dünndarmschlingen,  die 
nach  oben  blind  endigen,  nach  unten  in  einen,  normalen 
Mastdarm  mit  Afteröffnung  übergehen,  vorhanden.  Zwei  Hoden 
liegen  auf  dem  Anntilus  inguinalis  internus,  die  äusseren 
Genitalien  gleichen  mehr  weiblichen,  doch  ist  nur  eine 
Oeffnung,  die  Mündung  der  Harnröhre  vorhanden.  Nabel- 
strang war  keiner  da,  in  der  Bauch wandung  verHefen  eine 
Nabelarterie  und  eine  Nabelvene.  Erstere  mündet  in  die 
Art.  iliaca  communis  der  linken  Seite;  eine  Aorta  gieht  zu 
den  Organen  die  gewöhnlichen  Zweige  und  theilt  sich  ganz  . 
regelmässig  in  die  beiden  Art.  iliacae  communes.  Die  Nabel- 
vene mündet  in  die  Vena  iliaca  communis  der  rechten  Seite, 
die  mit  der  der  linken  Seite  im  Bogen  zusammenhängt,  und 
auch  einen  von  oben  herabkommenden,  das  Blut  laus  dem 
Thorax ,  den  Nieren  und  Nebennieren  sammelnden  Venenstamm 
aufnimmt. 

Noch  mag  ein  dritter  Acardiacus  kurze  Erwähnung 
finden,  der  in  der  pathologisch  -  anatomischen  Sammlung 
der   Anatomie   aufgehoben   isl.     Herr   Prof.  Buhl  hatte   die 


XII.    Poppet,  Ueber  herzlos«  Missgebarten.  266 

Gate,  ihn  mir  zur  Verfügung  zu  stellen  und  untersuchen  zu 
helfen.  Leider  war  er  durch  unbekannte  Hand  in  früherer 
Zeit  schon  in  einer  Art  präparirt,  dass  man  sich  mit  Mühe 
ober  die  inneren  Organe  orientiren  konnte  und  dass  eine 
Abbildung  unmöglich  gewesen  wäre.  Dessenungeachtet  Ver- 
dient er  eine  kurze  Beschreibung,  weil  seine  Entwickelung 
in  seltenerem  Grade  vorgeschritten  ist  Anamnestisch  ist 
ebenfalls  nichts  von  ihm  bekannt,  nicht  einmal,  ob  er  ein 
Zwilling  gewesen  sei.  Er  ist  18  Ctm.  lang,  hat  einen  normal 
gebildeten  Rumpf  mit  zwei  oberen  und  zwei  unteren  Ex- 
tremitäten, dagegen  keine  Andeutung  eines  Kopfes.  Die 
Arme,  die  unter  allen  Acardiacis  22  Mal  in  geringerer  oder 
grösserer  Ausbildung,  aber  nur  einige  Male  so  vollständig 
wie  in  unserem  Falle" beobachtet  worden  sind,  haben  weiter 
keinen  Defect  als  beiderseits  den  des  fünften  Fingers;  an 
den  Füssen  sind  auf  beiden  Seiten  bloss  drei  Zehen;  Hals- 
wirbelsäule ist  vollständig  da,  der  Thorax  ist  nicht  geschlossen 
und  hat  bloss  7 — 8  Rippen  auf  jeder  Seite.  In  der  oberen 
Brustapertur  liegen  noch  einzelne  miteinander  verbundene 
Knochenkerne,  die  gewiss  als  Rudimente  eines  Sternums  zu 
deuten  sind ;  äusserlich  entspricht  denselben  eine  erbsengrosse 
Hautausstülpung,  die  zwei  Hohlräume  besitzt  und  vielleicht 
dem  Untergänge  des  Herzens  ihre  Entstehung  .verdankt.  An 
den  Innenwänden  des  Thorax  sind  Reste  eines  verstümmelten 
Zwerchfells  mit  entschiedenen  Muskelfasern,  was  bei  den 
Acardiacis  zu  den  seltensten  Vorkommnissen  gehört,  denn 
nur  bei  zwei  bis  drei  Beschreibungen  wird  eines  Diaphragmas 
Erwähnung  gethan.  Der  Darmkanal  ist  ganz  entfernt  worden, 
und  man  findet  nur  noch  einen  Mastdarm  mit  Afteröflhung 
und  im  Brustkorbe  ein  arg  zerschnittenes  häutiges  Hohl- 
gebilde  mit  Schleimhaut  ausgekleidet,  nach  oben  blind  endigend, 
das  ohne  Zweifel  Magen  war;  mit  ihm  verbunden  ist  ein 
kleines  linsengrosses  Gebilde,  ein  Rudiment  der  Milz,  und 
ausserdem  ist  noch  eine  bohnengrosse,  links  von  der  Mittellinie 
gelegene,  mit  einem  Zweige  der  Nabelvene  versehene  Leber 
vorhanden.  Auch  diese  Organe  sujd  erst  einige  Male  beobachtet 
wordea  Nieren  mit  Nebennieren,  Ureteren,  "Harnblase  sind 
normal  gebildet,  ebenso  ein  Uterus  mit  zwei  Eileitern  und 
Eierstöcken,   nur  ist  die  linke  Tube,   die  abgeschnitten   ist, 

MonaUsehr.  f.  (Mortale.   1889.    Bd.  XX.,  HfL  4.  18 


266  'XII.     Poppet,  Ueber  herzlose  Mfssgeburten. 

bedeutend  länger,  so  dass  der  linke  Eierstock  höher  liegt, 
als  der  rechte.  Die  Süsseren  Geschlechtsteile  entsprechen 
auch  weiblichen.  In  den  Nabelstrang  tritt  eine  Vene  und 
eine  Arterie  und  sie  verhalten  sich  ganz  ähnlich,  wie  bei 
Figur  VI.,  nur  mit  dem  Unterschiede,  dass  der  aufsteigend« 
Venenstamm  links  von  der  Aorta  liegt. 

Zum  Schlüsse  möchte   ich   noch  die  zwei  Falle  aus  der 
Literatur  besprechen,    die   durch   Beschreibung   der  Placenta 
Interesse   bieten.     Der  erste   ist -in  den  „Verhandinngen  der 
Gesellschaft  für  Geburtshülfe  in  Berlin,  Jahrgang  1846«,  von 
Sanitälsrath  Dr.  C.  Mayer  mitgetheilt  und  mit  genauen  Ab- 
bildungen   versehen.      Er    betrifft,    um    kurz    die    ebenfalls 
interessante    Geburtsgeschichte    anzuführen,    eine    28jährige 
Erstgebärende,  die  im  siebenten  Schwangerschaftsmonate  nach 
längerer  Kränklichkeit   frühzeitige  Wehen   bekam.     Das   erste 
Kind,  ein  wohlgebildeter  Knabe,  musste  wegen  Erfolglosigkeit 
der  Wehen  mit  der  Zange  entwickelt  werden  und  starb  zwei 
Stunden  nach   der  Geburt.     Das  zweite  Kind  stellte  sich  mit 
den  Füssen  voraus  und  man  konnte  schon  an  ihrem  ungewöhn- 
lichen   Umfange    und    ihrer    ödematösen    Beschaffenheit    auf 
allgemeinen   Hydrops   des   Kindes   schliessen.     Die  Eitraction 
bot    ganz    beträchtliche    Schwierigkeiten,    denn    man    musste 
Bauch-  und  Brusthöhle  perforiren,  um  das  Volumen  zu  ver- 
kleinern.    Die   Mutter    starb    am    sechsten   Tage   an   Metro* 
Phlebitis.    Die  Beschreibung  der  Missbildung  Selbst,  die  ebenfalls 
männlichen  Geschlechts  war,   kann   hier  übergangen  werden. 
Die   Placenta   war  beiden   Kiudern   gemeinschaftlich,    ebenso 
die  Eihöhle.    Die  Nabelschnüre  beider  Früchte  schienen  mit- 
einander in  Verbindung  gestanden  zu  haben,  der  Zusammen- 
hang war  jedoch    nicht  vollständig  mehr  nachzuweisen,    weä 
die  Placenta  an  einer  Seite  etwas  zerrissen  war,  und  gerade 
nach  dieser  Seite  verliefen  die  GefSsse ,  welche  wahrscheinlich 
dem  Acepbalus  das  Blut  zuführten;  man  erkannte  aber  doch, 
dass  von  der  Stelle,  wo  die  etwa  12  Zoll  lange  Nabelschnur 
des  ausgebildeten  Knaben  central  eingeffigt  war,  zwei  grössere 
Gefässe  gegen   den  Rand   der  Placenta   liefen   und   hier  ab- 
gerissen waren;  es  hatten  sich  also  wahrscheinlich  die  Geffcsse 
für  den  Acepbalus  erst  in  den  Eihäuten  zu  einem  Nabelstrange 
vpreinifirt.    welcher   höchstens   6 — 7  Zoll    lang    gewesen   sein 


XII.    Poppdy  Ueber  h einlöse  Mistgeburten.  267 

konnte.  Verfasser  zog  damals  schon  aus  diesem  Verhalten 
der  Gefässe  den  richtigen  Schluss,  dass  die  Nabel&rterien 
des  anderen  Kindes  es  sein  müssten,  welche  auch  dem 
Acephalu*  das  Btat  zuführten,  und  untersuchte  deswegen  auch 
das  Herz  des  gesunden  Kindes,  weil  er  wegen  der  grösseren 
Leistung  desselben  eine  Hypertrophie  vermuthete,  die  sich  aber 
nicht  fand. 

Der  zweite  Fall  ist  aus  der  aUerneuesten  Zeit  und  von 
Prof.  Betschier  in  Breslau  in  seinen  „Klinischen  Beiträgen 
zur  Gynäkologie.  Breslau  1862"  beschrieben.  Die  betreffende 
Missgehnrt  wird  zwar  nicht  als  Acardiacus,  sondern  als  Hydrops 
anasarca  gelatinosus  des  Fötus  bezeichnet,  aber  schon  der 
erste  Blick  auf  die  Abbildung  und  noch  mehr  verschiedene 
gleich  zu  erwähnende  Angaben  geben  der  Vermuthung  Raum, 
oh  sie  nicht  möglicherweise  ein  Acardiacus  sei.  Eine 
26  Jahre  alte  Frau,  die  schon  zwei  Mal  normal  geboren  und 
ein  Mal  aboctirt  hatte,  bekam  im  siebenten  Monate  ihrer 
vierten  Schwangerschaft  frühzeitige  Wehen.  Das  erste  Kind 
hatte  eine  Schulterlage  und  wurde  ohne  Kunsthölfe  durch 
Selbstentwickelung  geboren;  es  war  ein  todtes  erst  während 
der  Geburt  abgestorbenes  Mädchen.  Das  zweite  Kind  wurde 
in  Fusslage  durch  Naturkräfte  geboren  und  war  die  Miss- 
geburt, die  kurz  beschrieben  werden  muss.  Sie  war  18  Zoll 
lang  und  wog  über  8  Pfund.  Die  Abgrenzungen  von  Kopf, 
Hals  und  Rumpf  waren  ganz  unkenntlich  durch  die  reichliche 
Entwickelung  des  Unterhautzellgewebes,  das  überall  mit 
einer  gelben  gelatinösen  Flüssigkeit  mßltrirt  war.  Nase, 
Mund,  Augen  und  Ohren  waren  nur  durch  kleine  Hervor- 
ragungen und  Grubchen  angedeutet,  doch  waren  die  Augen 
und  eine  normal  gebildete  Mundhöhle  mit  Zunge  vorhanden. 
Der  unke  Arm  war  rudimentär  mit  nur  zwei  Fingern,  der 
rechte  fehlte  ganz,  die  unteren  Extremitäten  waren  klein, 
mitisgestaltet  und  hatten,  die  linke  zwei,  die  rechte  nur  eine 
Zehe.  Es  bestand  ein  Hirnbruch  an  der  Nasenwurzel,  ein 
Hydrocephalus  internus  und  exlernus;  in  der  Brusthöhle  war 
ein  geringer  Wassererguss ,  stark  comprimirte  Lungen,  von 
denen  die  rechte  fast  ganz  fehlte,  Trachea  und  Oesophagus 
endigten  am  zweiten  Brustwirbel  Mind,  in  der  Peritonealhöhle 
war  eine  beträchtliche  Wasseransammlung,   sortät  aber  keine 

18* 


£68  XII.     Poppet,  Ueber  herzlose  Missgeburten. 

Abnormität  der  Unterleibsorgane  vorhanden.     Das  Kind   hatte 
weibliche  Geschlechtsteile.    In  die  gemeinschaftliche  Placenta 
inserirten  sich  beide  Nabelstränge,  welche  24  Zoll  lang  waren, 
fast  central,  einen  Zwischenraum  von  iy9  Zoll  zeigend,    der 
durch    eine    an    der   fötalen    Oberfläche   des    Mutterkuchens 
deutlich  erkennbare  Vene  eingenommen  war;   diese  verlief  iu 
gerader  Richtung,  von   einer  Vena    umbilicalis   nach   der    des 
anderen  Nabelstranges  und  vermittelte  eine  vollständige  Coramu- 
nication  beider  Nabelvenen,  die  übrigens  als  einzelne  Stämme 
weiter  in's  Parenchym  verliefen  und  sich  in  gewöhnlicher  Art 
verteilten.    Die  Vene  der  Nabelschnur  der  raissbildeten  Frucht 
hatte  ausserdem  in  der  Entfernung  von  3  Zoll  vom  Annulus 
umbilicalis  die  Eigentümlichkeit,  dass  sie  in  drei  Windungen 
ihre   beiden   Arterien    umlief   und   an   dieser   Stelle   mehrere 
Blutcoagula  enthielt,  welche,  ihrer  Wandung  fest  anhängend, 
ihr  Lumen   verengten,   auch  bot  die  Innenwand   dieses  Ge- 
lasses die  Zeichen  einer  Phlebitis  dar.    Wer  denkt  bei  dieser 
Beschreibung    nicht    an    die    Acardiaci?     Und    iu    der    Thal 
stimmen  alle  Angaben    so  genau  mit  den  bei  Acardiacis  vor- 
kommenden Anomalien  überein,  dass  man  nur  bedauert,  über 
das  Verhalten   zweier  Gebilde,    des  Herzens   und   der  Nabel» 
arterie,   nichts  zu   erfahren.     Denn   fürs   erste  war  es   eine 
Zwillingsgeburt  mit   einer  gesunden  Frucht  und  beide  Kinder 
waren    gleichen    Geschlechts;    zweitens    ist    der    sogenannte 
Hydrops    gelatinosus   gerade   bei  Acardiacis   ein   so   häutiges 
Vorkommen;   dann  wird  bei  den  Organen  der  Brusthöhle  er« 
wähnt,  dass  eine  Lunge  ganz  fehlte,  die  andere  sehr  comprimirt 
gewesen   sei;   auch   die  Verbildung  der  Extremitäten  erinnert 
{jjanz  an  die  bei  den  herzlosen  Missgeburten  gewöhnlich  defecte 
Ausbildung  derselben;  und  endlich  war  eine  deutliche  Anastomose 
beider    Nabelvenen    vorhanden.      Dürfte    man    nun    aus   der 
mangelnden  Angabe   über  das    Herz   auf   dessen  Abwesenheit 
schliessen  und  vielleicht  ein  Uebersehen  einer  Anastomose  der 
Nabelarterien  annehmen ,  so  könnte  kein  weiterer  Zweifel  sein, 
dass  es  sich  um  einen  Acardiacus  handle,   der  freilich  durch 
die    weit    gediehene,  Ausbildung    der    Unterleibsorgane    und 
namentlich   des   Schädels  einzig  dastehen   würde.    Jedenfalls 
vermisst   man   aber  die  ausdrückliche  Versicherung,  dass  es 
kein  Acardiacus  .ist.     Wenn   es  keiner   ist,   so   ist  die  Eptr 


XII.    Poppelf  Ueber  herzlose  Misffgeb  orten.  269 

stehungsweise  allerdings,  wie  es  auch  Prof.  Betschier  thut, 
in  der  Circulationsstorung,  bedingt  durch  die  Communication 
der  beiden  Nabelvenen  und  die  Phlebitis  in  der  Nabelvene 
der  missbildeten  Frucht,  zu  suchen.  Die  Missbildung  wäre 
dann  eigentlich  von  noch  höherem  Interesse,  indem  sie  ein 
Zwischenglied  darstellte  zwischen  den  zwei  im  Anfange  er- 
wähnten Fällen1)  von  gesunden  Zwillingen,  bei  denen  ein  Mal 
eine  Anastomose  beider  Nabelarterien,  das  andere  Mal  auch 
beider  Nabelvenen  stattfand,  und  dennoch  keine  Circulations- 
storung, die  die  normale  Entwickelung  beider  Früchte  gehemmt 
hätte,  zu  Stande  kam,  und  zwischen  den  Acardiacis,  bei 
denen  jene  Anastomose  so  verderblich  auf  das  Leben  der 
einen  Zwillingsfrucht  einwirkt. 


Erklärung  der  Abbildungen. 
Fig.  I.    Acardiacus  (Acephalus  paracephalus)!. 

a.  Mit  Haaren  besetzte  HautstelJen. 

b.  Hervorragung,   durch   das   Rudiment  der  rechten   oberen 

Extremität  bedingt, 
e.    Andeutung  der  Gesichtsbildung. 

d.  Aeussere  Geschlechtstheile. 

e.  Linkes  Knie. 

Fig.  II.     Derselbe. 

a.  Schädelrudiment. 

b.  Lücke  in  der  Schädelkapsel,   die   mit  den  warzenförmigen 

Bildungen  der  Haut  (Fig.  I.  c.)  verwachsen  war. 

c.  Rudiment  der  Scapula  und  Glavicula. 

d.  Plexus  bracbialis. 

e.  Nervus  cutan.  femor.  ant.  ext. 
/.    Nervus  cmralis. 

g.  Zwei  durch  einen  Hohlgang  verbundene  Säcke. 

Ä.  Nieren.   . 

u  Blindendigende  Ureteren. 

k.  Hoden. 

L  Harnblase. 

lj  Bei  E.  Meckel.    L.  c. 


270  XH.    Poppet,  Ueber  herslos«  Missgebnrte». 

Fig.  UI.     Derselbe. 

a.  &.  c.  wie  a.  i.  c  Fig.  II. 
d.    Linker  Oberschenkel 
6.    Plexus  ischiadicus. 

Fig.  IV.     Derselbe. 
a.    Vena  umbilicalis. 
4.    Desgleichen, 
c    Vena  iliaca  externa. 

d.  Vena  renalis  sinistra. 

e.  Vena  renalis  dextra. 

/.  Der  Lebervene  entsprechende  in's  Zellgewebe  des  Thorax 

gehende  Vene. 

g.  Vereinigte  Venae  intercostales. 

A.  Venae  jugulares. 

t.  Arteria  umbilicalis. 

k.  Art.  iliaca  externa. 

I.  Art  hypogastrica. 

m.  Aorta. 

n.  Art.  carotis  und  subclavia, 

o.  Nebenniere. 

2>.  Vena  mesenterica. 

q.  Art.  mesenterica. 

Fig.  V.     Acardiacus  (Acephalus  dipus). 

a.  Nebennieren. 

A.  Nieren. 

c.  Hoden. 

d.  Harnblase. 

e.  After. 

/.  Harnröhrenmündung. 

0.  Auseinandergescbnittener  Symphysenknorpel. 

A.  Vena  umbilicalis. 

t.  Art  umbilicalis. 

k.  Unteres  Ende  der  Tibia. 

Fig.  VI.     Derselbe, 
a.    Art.  umbilicalis. 
A.    ArL  iliaca  externa. 


XIII.    0Uhau*4n,  Utber  Durchreibuugen  u.  Rupturen  etc.     271 


e. 

Art  hypogastrica. 

d. 

Aorta.                      # 

6. 

Art.  renalis. 

/• 

Vena  umbilicalis. 

9> 

Ven.  iliaca  externa. 

k 

Aufsteigender  Venenstamm 

i. 

Ven.  renalis. 

k. 

Ven.  suprarenalis. 

L 

Harnleiter. 

m. 

Harnblase. 

XIII. 
Ueber  Dnrchreibungen  und  Buptnreü  des  Uterus. 

Von 

Dr.  R.  ^Olshausen, 

Assistenzarzt  des  Bntbfndungslnstltutr  In  Halle  ft/S. 

Die  LachapeUe  unterscheidet  in  ihrer  vortrefflichen 
„Praüque  des  accouchemens"  die  Ulcerationen  (ulceralious) 
der  Gebärmutter  von  den  Zerreissungen  (decbirures)  dieses 
Organs.  Erstere  sollen  nach  entzündlichen  Processen  mit 
nachfolgender  Eiterung  oder  Gangrän  ganz  ailmälig  zu  Stande 
kommen,  übrigens  selten  sein.  Zu  ihrer  Entstehung  ist  der 
Geburtsacl  nicht  notlüg ;  sie  entstehen  auch  in  der  Schwanger* 
schaft.  Die  Zerreissungen  (decbirures)  trennt  die  LachapeUe 
nach  ihrer  Entstehungsweise  wiederum  in  zwei  wesentlich 
verschiedene  Klassen,  indem  sie  sich  ungefähr  so  ausdrückt: !) 
Bald  verdünnt  sich  die  Gebärmutter  mehr  und  mehr  und  ihr 
ausgedehntes  Gewebe  erleidet  eine  Trennnng  oder,  wenn  es 
am  ßeckeneingange  gedrückt  ist,  wird  es  zerquetscht  und 
weicht  auseinander ;  bald  scheint  es  dagegen  ganz  plötzlich  zu 
reissen.  Die  erste  Art  könnte  man  Durchlöcherung  (eraillement) 
oder  Usur  (usure),  die  zweite  Art  Ruptur  nennen. 


1)  LachapeUe,  Pnrtique  de»  accouohetnen»,  Tome  HI.,  huiti&ifce 
memoire,  p.  109. 


272  XIII.     0Ukau$9ny  Ucber  Durch  reibnngen 

Dieser  schon  von  der  Lachapetle  gemachte  Unterschuß, 
welcher  in  dem  anatomischen  Verhalten  der  Continuitate- 
trennungen  des  Uterus  sehr  wohl  begründet  erscheint,  ist 
durchaus  nicht  allgemein  in  der  neueren  Literatur  üblich ;  die 
Handbücher  sprechen  grösstentheils .  nur  von  Rupturen  und 
auch  in  Zeitschriften  werden  Fälle  von  Durchreibungen  der 
Gebärmutter  gewöhnlich  unter  dem  Namen  von  Rupturen  be- 
schrieben. Da  die  Durchreibungen  im  Ganzen  nicht  häufig 
sind,  so  sei  es  mir  erlaubt,  einige  Fälle,  welche  ich  erlebt 
habe,  in  Folgendem  -mitzutheilen: 

I. 

Geradverengtes  Becken    van   3"  2'"  Conjugata    vera. 

Wehenmangel    während    dreier    Tage.      Perforation 

und    Kephalothrypsie.     Tod   am   siebenten  Tage    des 

Wochenbetts.     Durchreibmng  des   Uterus. 

Allgemeine  Peritonitis. 

Therese  B — ,  30  Jahre  alt,  will  im  Ganzen  gesund 
gewesen  sein;  sie  lernte  in  ihrem  zweiten  Jahre  laufen;  über 
etwaige  Rachitis  in  der  Kindheit  ergiebt  die  Anamnese  nichts. 
Ihre  Mutter  hatte  nur  zwei  Mal  geboren,  das  eine  Mal  ein 
lebendes  Kind,  die  Therese  B — ,  mit  Hülfe  der  Zange; 
das  andere  Mal  musste  der  Kopf  des  Kindes  verkleinert 
werden.  Nach  einem  regelmässigen  Verlaufe  ihrer  ersten 
Schwangerschaft  begehrte  die  Th.  B....  die  Hülfe  der  geburts- 
hülllichen  Poliklinik  in  Berlin,  an  welcher  ich  damals  als 
Secundärarzt  fungirte.  Ich  sah  die  Kreissende  am  7.  Juni  1860. 
Sie  befand  sich,  der  Schwangerschaftsrechnung  nach,  am 
normalen  Ende  der  Schwangerschaft.  Seit  zwei  Tagen  hatte 
sie  viele  Schmerzen  im  Kreuze  und  Leibe  auszuhalten  gehabt. 

Seit  einigen  Stunden   fehlten   alle  Schmerzen   und  die  B 

war    mit    häuslicher  Arbeit   beschäftigt.     Bei    der  jetzt   an- 
gestellten Untersuchung  fand  ich  Folgendes: 

Der  nur  kleine  Körper  ist  übrigens  regelmässig  gestaltet; 
keine  Verkrümmung  der  Wirbelsäule  oder  der  Schenkel.  Starke 
Beckenneigung.  Der  beträchtlich  ausgedehnte  Uterus  liegt  in 
einem  erheblichen  Hängebauche.  Im  Fundus  uteri  sind  rechts 
die  Füsse  wahrzunehmen;  auf  der  linken  Seite  die  fötalen 
Herztöne.     Die    schlaffe,    mit    vielem    Fruchtwasser    getollte 


and  Rupturen  des  Uterus.  273 

Blase  ist  bis  zum  Introitus  vaginae  herabgetreten;  der  hoch- 
stehende Muttermund  feinrandjg  und  völlig  geöflhet.  Der  Kopf 
steht  in  erster  Scheitellage  hoch  über  dem  Eingänge;  die 
Pfeilnaht  quer.  Das  Becken  erscheint  in  seinen  unteren  Räumen  - 
nicht  verengt.  Die  (erst  am  Abende  angestellte)  Becken- 
messung  ergab  für  die  Conj.  ext  =  6"  ll1";  Spin.  iL  =  9"; 
Crist.  iL  =  10";  Conj.  diagon.  (mit  zwei  Fingern  gemessen) 
=  4"  lw.  Die  Beckenknochen  schienen  ziemlich  gracil  zu 
sein;  das  Fettpolster  ziemlich  stark  entwickelt;  das  in  ^ier 
Medianlinie  befindliche  Promontorium  .  stand  hoch.  Demnach 
schätzte  ich  die  Conj.  vera  auf  3"  6'". 

Nach  fünf  Stunden  (5  Uhr  Nachmittags)  war  der  Zustand 
ganz  derselbe.  Keine  Wehe  war  in  der  ganzen  Zeit  von  der 
Kreissenden  oder  dem  sie  beobachtenden  Praktikanten  wahr* 
genommen  worden;  die  anhaltend  schlaffe  Blase  wurde  nun 
gesprengt,  in  der  Hoffnung,  dass  dem  Blasensprunge  bald 
Wehen  folgen  würden:  es  flössen  circa  10  Unzen  Fruchtwasser 
ab.  Der  Muttermund  fiel  wieder  auf  etwa  l'/2"  Durchmesser 
zusammen.  Der  Kopf  rückte  allmälig  tiefer  und  lag  bald 
dem  Muttermunde  auf. 

In  der  nun  folgenden  Nacht  schlief  die  Kreissende  bei 
absolutem  Wehenmangel  ziemlich  gut.  Erst  am  folgenden 
Mitlage  (8.  Juni)  traten  einige  leise  Wehen  ein;  in  Folge  dessen 
wurde  durch  den  andrängenden  Kopf  der  Muttermund  bis 
zum  Abend  dieses  zweiten  Tages  wieder  vollständig  erweitert. 
Abends  10  Uhr  stand  der  Köpf  nur  wenig  beweglich  auf  dem 
Beckeneingange  in  querer  Stellung;  eine  massige  Geschwulst 
hatte  sich  über  den  grössten  Theil  des  vorliegenden  Schädel-» 
Segments  verbreitet,  ein  Beweis,  dass  eine  Wehenthätigkeit 
nicht  ganz  fehlte,  wenn  auch  deutlich  unterschiedene  Con- 
tractionen  weder  subjectiv  noch  objectiv  bemerkt  wurden; 
auch  war  der  Uterus  festwandiger  geworden  und  schien  bereits 
wenig  oder  gar  kein  Fruchtwasser  zu  enthalten.  Die  fötalen 
Herztöne  zeigten,  wie  früher,  eine  Frequenz  von  140  per  Minute. 

Am  9.  Juni  Morgens  war  der  Stand  des  Kopfes  derselbe; 
die  Kopfgeschwulst  war  beträchtlicher;  der  untersuchende 
Finger  mit  reichlichem  Meconium  bedeckt.  Die  Frequenz  der 
fötalen  Herztöne  war  164  per  Minute.  Der  bisher  normale 
mütterliche  Puls  zählte  108  Schläge;  das  subjective  Befinden 


274  xni-     OMmaen^Veher  Durchreibungen 

der  Kreissendet)  war  gut.     Wehen  wurdai   nicht  empfunden 
und  auch  objectiv  nicht  wahrgenommen. 

Noch  am  Morgen  des  1(X  Juni  soll  nach  dem  Berichte 
des  stets  am  Bette  der  Kreissenden  weilenden  Praktikanten 
der  Zustand  ganz  derselbe,  das  Befinden  der  Kreissendou  nicht 
verschlechtert  gewesen  sein.  Im  Laufe  des  Vormittags  stellte 
sieh  jedoch  wiederholtes  Erbrechen  ein,  die  Kreissende  klagte 
über  heftige  Schmerzen  in  der  Magengegend,  welche  auch  bei 
Druck  empfindlich  war.  Der  Puls  der  Kreissen^en  war  bis 
Mittags  1  Uhr  auf  144  Schläge  in  der  Frequenz  gestiegen. 
Zugleich  verloren  die  fötalen  Herztone  ihre  bisherige  anomale 
Frequenz  von  164 — 170  Schlaget],  waren  um  12  Uhr  Mittags 
auf  144,  um  12 V«  Uhr  auf  120  und  um  1  Uhr  auf  100  Schläge 
gesunken. 

Jetzt  war  das  bisherige  abwartende  Verfahren  nicht 
mehr  am  Platze,  die  Kreissende  rausste  vielmehr  schleunigst 
entbunden  werden.  Von  der  Wendung  konnte  bei  der  Un- 
beweglichkeit  des  Kopfes  nicht  mehr  die  Rede  sein;  auch  die 
Zange  anzuwenden  erschien  sehr  missüch,  weil  der  Kopf  mit 
seiner  grössten  Peripherie  durchaus  den  Beekeneingang  noch 
nicht  erreicht  hatte,  und,  da  das  erlöschende  Kindesleben 
der  Perforation  nicht  entgegen  war,  so  wurde  zu  möglichster 
Schonung  der  Kreissenden  ohne  vorherigen  Zangenversuch 
zur  Perforation  geschritten.  Unterdess  waren  die  fötalen 
Herztöne  auf  20—30  Schläge  per  Minute  herabgesunken. 
Nach  der  mit  dem  Trepan  vollzogenen  Perforation  entleerte 
ich  mit  dem  Finger  mir  wenig  Gehirn  und  legte  dann  den  von 
E.  Martin  angegebenen  Kephalothryptor  (Kopfkrümmung =2"; 
Beckenkrümmung  3V2")  an.  Dieser  legte  sich  schräg,  fast  dem 
zweiten  schrägen  Durchmesser  entsprechend  und  drehte  sich 
dann,  während  der  Extraction,  in  den  queren.  Als  das 
Instrument  zu  gleiten  schien,  wurde  es  entfernt  und  nochmals, 
dem  ersten  schrägen  Durchmesser  mehr  entsprechend  eingeführt. 
Die  Extraction  des  Kopfes  gelang  jetzt  ohne  grosse  Mühe. 
Die  Operation  wurde  in  Chloroformnarkose  unternommen. 
Nach  vollständiger  Entwicklung  des  Kindes  fand,  hei  gut 
eootrahirtem  Uterus,  eine  Blutung  statt,  welche  aus  dem 
oberen  Tbeile  der  Scheide  zu  kommen  schien,  jedoch  hak) 
von  selbst  aufhörte.   Die  Knochen  der  Perforationsstelle  hatten 


und  Rupturen  des  Ute  ms.  276 

»ich  bei  der  zweiten  Anlegung  des  KepheJothryptor  dem  sie 
überwachenden  Finger  entzogen  «od  nun  wohl  die  hintere 
Scheidenwand  verletzt. 

Zehn  Minuten  nach  Beendigung  der  Geburt  trat  bei  der 
Kreissenden  massenhaftes,  wässeriges,  grünes  Erbrechen  ein. 
Der  Puls  machte  148  Schläge;  manche  Schläge  waren  un- 
fühlbar.  Sichtbarer  Collapsus.  Die  Narkose  war  vollständig 
vorüber;  6  Stunden  später  war  der  Zustand  etwas  besser; 
die  Pulsschläge  sämmtlich  fühlbar;  der  gut  contrahirte  Uterus 
kaum  empfindlich,  dagegen  die  Seiten  des  Leibes,  besonders 
die  rechte,  bei  Druck  schmerzhaft. 

11.  Juni.  In  vergangener  Nacht  vorzüglicher  Schlaf. 
Puls  120  Schläge;  Durst  massig;  Zunge  und  Haut  feucht; 
kein  Frost;  kein  Erbrechen;  keine  spontanen  Schmerzen  im 
Leibe;  die  Seitengegenden  des  Leibes  empfindlich,  der  gut 
contrahirte  Uterus  kaum;  Leib  etwas  aufgetrieben,  aber 
noch  weich. 

12.  Juni.  Ein  Mal  ist  Erbrechen  grüner  Flüssigkeit  auf- 
getreten; sonst  ist  der  Zustand  unverändert. 

13.  Juni.  In  der  letzten  Nacht  wenig  Schlaf.  Pub  120; 
Haut  immer  gelinde  transpirirend.  Stuhlgang  ist  durch  Glysmata 
und  Oleum  Ricini  erzielt.  Kein  Erbrechen;  keine  Schmerzen; 
Sensorium  frei;  Uterus  involvirt  sich.  Leib  aufgetrieben, 
wenig  schmerzhaft.    Lochien  sparsam. 

14.  Juni.  Der  Meteorisinus  scheint  etwas  vermindert; 
ein  reichlicher,  föculenter  Stuhl;  kein  Schlaf;  im  Uebrigen 
unveränderter  Zustand. 

16.  Juni.  Puls  120;  Aussehen  befriedigend;  Zunge  feucht; 
Sensorium  frei;  Euphorie.  Nachmitfags  neues,  heftiges  Er- 
brechen und  Durchfall;  heftige  Schmerzen  in  der  Magen« 
gegend.  Schneller  Collapsus;  Tod  unter  Delirien  6  Uhr  Abends, 
am  Beginn  des  siebenten  Tages  des  Wochenbetts. 

Section,  14  Stunden  post  mortem.  Nur  die  Unterleibs- 
höhle wird  geöffnet.  Todtenstarre;  stark  aufgetriebener  Leib. 
Die  nach  oben  liegenden  Darmschlingen  sind  durch  geringe 
Mengen  plastischen  Exsudats  verklebt  Eiteriges  Exsudat  ist 
im  Peritonäaback,  besonders  im  kleinen  Becken  und  dem  linke« 
Hypochondrium  zu  1—2  Pfund  angesammelt.  Die  Leber- 
oberfläche frei  von  Exsudat    Die  Nieren  stark  byperämiscfa, 


276  XIII.     OUHausen,  Uebcr  DurchreHmngen 

besonders  die  ('orticalsubstnnz.    Der  Magen,  stark  durch  Gase 
ausgedehnt,  zeigt  auf  der  Innenfläche  einige  Ecchymosen;  die 
dicken  Därme   zeigen  auf  ihrer  Innenflache  keine  Abnormität. 
Die    Harnblase    ist    leer,    zeigt    keine   Lasion,    obgleich    die 
Wöchnerin  in  den  letzten  Tagen  nicht  die  geringste  Quantität 
Urin  "zu   halten  vermochte.     Der  Uterus  war   mit  Blase    und 
Rectum   durch   frische  Adhäsionen   leicht  verklebt  und    ragte 
handbreit  über  der  Schamfuge  hervor.    Er  zeigte  am  vorderen 
Umfange    seines    Cervicaltheiles    auf    der   Innenfläche     einen 
Substanzverlust  von  ganz  runder  Form,   4'" — Qm  im   Durch- 
messer;  das  Centrum    dieses  Substanz  Verlustes   drang    tief  in 
die  Muskulatur  ein;  die  Ränder  waren  weit  flacher;  der  ganze 
Substanzverlusl  erinnerte  durch  seinen  terrassenförmigen   Bau 
an   ein   Ulcus  ventriculi   simplex.     Das   Peritonäum    und    die 
äussersten   Schichten   der  Muskulatur   waren   nicht  perforirf. 
Die  Stelle  entsprach  der  Symphys.  o.  pub.  —  An  der  hin  leren 
Muttermundslippe,  3'"  "vom  Rande  des  Muttermundes  entfernf, 
war  ein   ganz    ähnlich   geformter,    runder,    terrassenförmiger 
Snbstanzverlust ,    welcher   jedoch    in    seiner   Mitte   die    ganze 
Muskulatur  und  das  Peritonäum  durchbohrte.    Die  Perforation 
hatte  mehrere  Linien  im  Durchmesser ;  ihre  Ränder,  waren  so 
dünn,   dass   sie  bei   der  Berührung  mit  dem  Finger  alsbald 
zerrissen.    Die  in  den  üouglas'schen  Raum  fuhrende  Oeflhung 
war  durch    das    mit   dem   Uterus   verklebte  Rectum   verlegt 
Die  Wandung  des  Rectum  war  an  der,  dem  Substanzverluste 
des  Uterus  entsprechenden,  angelötheten  Stelle,  V  »n  Durch- 
messer erheblich   verdünnt,  jedoch  nicht  lädirt.     Die  lädirte 
Stelle  des  Uterus  entsprach  dem  Promontorium. 

Die  Ausmessung  des  Beckens  an  der  Leiche  ergab: 
Conj.  diag.  =  4"  3'";  Conj.  vera  =  3"  2"';  querer  Durch- 
messer der  oberen  Apertur  =  4*/4";  Höhe  der  Symph.  0. 
pub.  =  IV  P.  M. 

Epikrise.  Auf  einige  Punkte  der  vorstehenden  Geburls- 
geschichte möchte  ich  die  Aufmerksamkeit  lenken ;  zuerst  auf 
den  fast  völligen  Wehenmangel.  Von  der  vollständigen  Er- 
öffnung des  Muttermundes  an  wurden  deutlich  unterschiedene 
Wehen  kaum  noch  von  der  Kreissenden  wahrgenommen, 
ebenso  wenig  von  uns.  Dass  nicht  jede  Contra  ction  des 
Uterus   fehlte,    zeigte   freilich    der   aüiiiälig   härter   werdende 


und  Rupturen  des  Uterus.  277 

Uterus,  das  Tiefer  treten  des  Kopfes  und  besonders  die  sich 
entwickelnde  Kopfgeschwulst;  und  wenn  nun  auch,  um  einen 
Kopf  durch  einen  engen  Beckeneingang  hindurch  zu  fähren, 
sehr  kräftige  oder  gar  stürmische  Wehen  weder  nothwendig 
noch  wünschenswert  sind,  vielmehr  die  Natur  ein  solches 
Hinderniss  gewöhnlich  durch  leise  Stellwehen  überwindet,  so 
schien  doch  eine  abnorme  und  ungünstige  Wehenschwäcbe 
hier  nicht  abzuleugnen.  Vielleicht  war  dieselbe,  da  eine 
somatische  Ursache  sich  weder  in  der  Beschaffenheit  des 
Uterus  noch  in  einem  von  vornherein  durch  den  Kindskopf, 
ausgeübten  Druck  auffinden  liess,  in  dem  phlegmatischen 
Temperamente  der  Kreissenden  begründet,  wie  dies  nicht 
ganz  selten  beobachtet  werden  kann. 

Betreffs  des  Beckens  will  ich  nicht  entscheiden,  ob  die 
Form  desselben  eine  eigentlich  rachitische  war  oder  nicht, 
da  ich  leider  bei  der  Section  hierauf  mein  Augenmerk  nicht 
genug  gerichtet  habe.  Wenn  ich  die  Gonj.  vera  um  3'"  zu 
gross  taxirte,  obgleich  ich  die  Conj.  diagon.  um  2'"  zu  klein 
gemessen  halle,  so  lag  dies  daran,  dass  ich  den  üblichen 
Abzug  von  8'"  gemacht  hatte,  während  die  Conj.  vera  und 
diagonalis  hier  um  13'"  difTerirten.  An  einer  Anzahl  Leicheu, 
die  ich  zum  Theil  schon  während  des  Lebens  gemessen  hatte, 
betrug  die  Differenz  dieser  beiden  Maasse  nie  unter  9'"; 
durchschnittlich  1".  Ich  bin  deshalb  jetzt  überzeugt,  dass 
tnan  durchschnittlich  nahezu  1"  als  die  wahre  Differenz  be- 
trachten kann,  gebe  aber  zu,  dass  kleine  Differenzen  sich 
durch  geringe  Modificationen  in  der  Ausführung  der  Messung 
ergeben  mögen. 

lieber  das  therapeutische  Verfahren  in  obigem  Falle  kann 
ich  nicht  stillschweigend  hinweggehen  und  muss,  ohne  der 
Kritik  Anderer  das  Wort  abschneiden  zu  wollen,  erklären, 
dass  ich  dasselbe  jetzt  nicht  mehr  billige.  Dass  die  Mutter 
auf  die  erwähnte  Art,  durch  Usur  des  Uterus  gefährdet  war, 
konnte  man  allerdings  bei  der  ganz  schwachen  Wehenthätigkeit 
nicht  vermuthen,  aber  das  Leben  des  Kindes  war  schon  am 
/.weiten  Tage  gefährdet,  wie  die  Beschleunigung  der  Herztöne 
auf  160 — 170  Schläge  dies  bekundete.  Die  bei  Zeiten  aus- 
geführte Wendung  wäre. .hier  vielleicht  das  Beste  gewesen; 
denn  obgleich  ich  bei  Beckenenge  mittleren  Grades  Kopflagen 


2T8  XHI-     OUhaustn,  Üeber  Durch rei hangen 

für  das  Kind  im  Allgemeinen  für  weit  gunstiger  halte  als 
Beckenendelagen  (was  freilich  nicht  Jeder  zugiebt),  so  war 
die  Combination  der  Beckenenge  mit  Wehenschwäche  hier 
wohl  Grund  genug  zur  Wendung.  Niemand  spricht  «fiese 
Indication  bestimmter  aus  als  Kutan,  welcher  in  setner 
„operativen  Geburtshülfe",  Bd.  L,  p.  369  unter  den Indieationen 
zur  Wendung  auch  folgende  aufführt:  „4)  in  denjenigen  Fällen 
von  massiger  Beckenenge,  wo  die  schwachen  und  durch  Nichts 
zu  kräftigenden  Wehen  innerhalb  einer  vernünftig  abzumessenden 
Zeit  den  Kopf  gehörig  in  den  Beckeneingang  zu  treiben  nicht 
im  Stande  sind.  Auch  diese  Indication  suchen  wir  vergebens 
in   unseren  Lehr-   und  Handbüchern   und   wer  möchte   ihre 

Gültigkeit  in  Abrede  stellen? Es  bietet  also  die  Wendung, 

unter  diesen  Verbältnissen  geübt,  das  vorzüglichste  Mittel  dar, 
um,  wenn  auch  gleich  unter  Bekämpfung  grosser  Schwierig- 
keiten, die  Perforation  zu  verhüten." 

Soweit  Kutan.  Unser  Fall  war  solch*  einer  wie  ihn 
Kiliom  für  die  Wendung  geeignet  hält.  War«  nun  aber  einmal 
die JüVendung  rechtzeitig  zu  machen  versäumt,  so  fragte  es 
sich,  ob  man  nicht  auf  andere  Art  helfen  konnte:  Konnte 
man  nicht  künstlich  Wehen  hervorrufen?  Von  Secalc  eornutum 
verspreche  ich  mir  bei  so  hohem  Kopfstande  wenig  Erfolg, 
würde  es  aber  in  einem  ähnlichen  solchen  Falle,  wo  die 
Therapie  in  Verlegenheit  gerathen  kann,  wohl  ausnahmsweise 
einmal  versuchen.  Die  Gefahr,  welche  man  von  einem  vor- 
zeitigen Gebrauche  des  Seeale  eornutum  für  das  Leben  des 
Kindes  befürchtet,  ist  wohl  vielfach  übertrieben  worden  und 
an  Stricturen  des  Uterus  als  nachtheilige  Folge  des  unzeitigen 
Secale- Gebrauches,  wie  dies  Einige  wollen,  glaube  ich  nicht, 
weil  ich  zu  viele  Beweise  vom  Gegentheil  gesehen  habe;  auch 
dürften  Stricturen  des  Uterus  vor  der  Geburt  des  Kindes 
eine  grosse  Seltenheit  sein.  —  Aber  man  hätte  vielleicht 
durch  Einlegen  eines  elastischen  Katheters  c|ie  Wehenthätigkeit 
anzuregen  versuchen  können,  wie  dies  neuerdings  Htcker, J) 
Hennig9)  und  Vcdenta*)  empfohlen  haben.   Auch  dies  geschah 

1)  Hecker  u-  Buhl,  Klinik  der  Geburtskunde,  1861,  p.  91. 

2)  Hennig,  Monatsschrift  f.  GebuMsk.,  1860,  XVI.,  p.  177.      % 

3)  Vtüenta,  Wiener  Med.-Hntle,  1860,  Ho.   10,  11,  14. 


und  Bnptaren  des  Uterus.  2T9 

nicht.  —  Konnte  man  nicht  aueh  eine  vorsichtige  Zangen* 
anlegfing  zeitig  bei  noch  kräftigem  Leben  des  Kindes  er- 
suchen? Der  Kopf  war  noch  nicht  mit  »einer  grössten 
Peripherie  in  die  obere  Apertur  getreten  und  unter  solchen 
Umständen  ist,  zumal  bei  constatirter  Beokenengc,  Abwarte« 
im  Allgemeinen  das  Beste,  ja  meistens  das  einzig  Richtig«», 
weil  die  Wehen  den  Kopf  allmälig  in  der  günstigsten  Stellung 
auf  den  Beckeneingang  fixiren,  ihn  zu  conibrmiren  und  so 
weit  sicherer  durch  die  Enge  hindurchzuföhren  pflegen  als 
der  geschickteste  Operateur  es  mit  seiner  Zange  vermag. 
Hier  fehlten  aber  die  Wehen  fast  ganz  und  vielleicht  bestand 
eben  in  der  Wehenschwäche  das  hauptsächlichste  Geburts- 
hhiderniss.  Ein  nur  im  geraden  Durchmesser  verengtes 
Becken  von  3"  2m  Conj.  vera  (und  die  Conj.  war  sogar  noch 
grösser  taxirt  worden)  pflegt,  bei  gewöhnlicher  Grösse  des 
Kindes,  der  Geburt  doch  kein  unüberwindliches  Hinderniss 
entgegenzusetzen,  wenn  nur  einigermaassen  gute  Wehen 
wirken.  Mit  Rücksicht  auf  die  erhebliche  Wehenschwäche 
hätte  man,  etwa  am  zweiten  Tage,  als  die  Herztöne  des 
Kindes  sich  beschleunigten,  die  Zange  wohl  vorsichtig  ver- 
suchen sollen ,  um  das  Kind  zu  retten.  War  freilich  das  Kind 
doch  einmal  verloren,  dann  möchte  ich  die  sofortige  Per- 
foration auch  jedem  Versuche  mit  der  Zange  vorziehen.  Kurz 
gesagt,  so  sehr  ich,  zumal  bei  engem  Becken,  ein  Freund 
des  passiven  Verhaltens  bin,  glaube  ich,  dass  in  diesem  Falls 
die  Inactivität  zu  weit  getrieben  wurde. 

Was  nun  die  Läsion  ides  Uterus  an  seiner  vorderen  und 
hinteren  Wand  betrifft,  so  kann  wohl  über  die  Art  ihrer 
Entstehung  kein  Zweifel  sein  und  brauche  ich  wohl  nicht  zu 
fürchten,  dass  mir  Jemand  den  Einwand  mache,  die  Durch- 
bohrung der  hinteren  Muttermundslippe  sei  durch  den  Trepan 
oder  durch  Knochensplitter  hervorgebracht  worden.  Schon 
die  grosse  Kopfgesebwukt  machte  ein  Ausgleiten  des  Trepans 
unmöglich;  die  Knochensplitter  der  Trepaastelle  können  wohl 
die  Scheide,  aber  nicht  die  ganz  unerreichbare  hintere  Mutter- 
iuundslippe  lädirt  haben.  Uebrigeus  sprach  auch  die  eigen- 
thiuqliche,  charakteristische  Gestalt  der  usurirten  Stelle,  ferner 
der  Umstand,  dass  sie  dem  Promontorium  entsprach  und  dass 
an  der  vorderen  Muttermundsüppe  derselbe  Process  begonnen 


XIII.     OUkemmt  lieber  Durcbreibungen 

balle  f  zu  deutlich  für  ihre  Entstehungsart.  Wahrscheinlich 
fand  der  Durchbruch  in  das  Peritonäum  am  letzten  Morgen 
der  Geburt  statt  und  nicht  erst  im  Wochenbette.  Merkwürdig 
kann  es  erscheinen,  dass  die  sich  entwickelnde  Peritonitis 
nicht  als  eine  acutissima  verlief;  doch  war  hieran  wolü  die 
eingetretene  Verlöthung  zwischen  Rectum  und  Uterus  Schuld. 
Ich  muss  noch  erwähnen,  dass  das  Promontorium  zwar  in 
den  Beckeneingang  ziemlich  stark  vorragte,  aber  weder  irgend 
einen  Stachel  noch  sonstige  Abnormität  zeigte:  ebenso  wenig 
die  Symphys.  o.  pub. 

II. 

Schrägverengtes  Becken  mit  Ancylosis  sacro-iliaca 
sinistra.    Zweite  Scheitelbeinslage.    Dreimalige  ver- 
gebliche Zangenanlegung.    Perforation  und  Kephalo- 
thrypsie.     Tod  nach  3/4  Stunden.     Durchreibung 
des  Uterus   am  Promontorium^1) 

Frau  Stein,  einige  30  Jahre  alt,  befand  sich  im  Juli  1860 
am  Ende  ihrer  normal  verlaufenen  ersten  Schwangerschaft. 
Den  23.  Juli  traten  schwache  Wehen  auf  und  zugleich  Er- 
brechen grünen  Schleimes.  Ohne  wesentliche  Steigerung  der 
Wehenthätigkeit  erfolgte  den  24.  Juli  7  Uhr  Morgens  der 
Abfluss  der  Wässer.  Das  Erbrechen  dauerte  um  diese  Zeit 
noch  fort.  Nachmittags  37*  Uhr  wurde  Herr  Dr.  Böiticher 
gerufen,  fand  den  Kopf  in  zweiter  Scheitelbeinlage  auf  dem 
Beckeneingange  feststehend,  den  Muttermund  fast  vollständig 
erweitert.  Die  Wehen  waren  spärlich  und  schwach;  die 
Kreissende  bei  guten  Kräften;  der  Puls  ruhig;  ab  und  zu 
fand  noch  Erbrechen  grünlicher  Massen  statt,  namentlich  so- 
bald die  Kreissende  trank.  Die  nun  vorgenommene  Applicatiop 
der  Zange  gelang  ziemlich  leicht;  der  Kopf  folgte  bei  den 
ersten  Tractionen  merklich;  fernere  Tractionen,  welche  ab- 
wechselnd mit  einem  Collegeu  ausgeführt  wurden,  hatten 
jedoch  keinen  Erfolg,    Um  5y2  Uhr  wurde  die  Zange  entfernt 

l)  Die  Beobachtung  dieses  Falles,  sowie  den  Bericht  über 
den  Hergang  der  Gebart  bis  zu  meiner  Ankunft  verdanke  ich 
der  Güte  des  Herrn  Dr.  Bötticher  in  Berlin.  Die  genaue  anatomische 
Beschreibung  des  Beckens  mit  Abbildung  habe  ich  in  diesem 
Journal,  Bd.  XIX.,  H.  3,  p.  168  gegeben. 


and  Rupturen  des  Uterus.  2g  1 

Sitzbad.  Injectionen  in  die  Scheide.  Um  7y2  Uhr  Abends 
wurde %  die  Zange  zum  zweiten  Male  angelegt,  da  aber  der 
Kopf  den  Tractionen  nicht  folgte,  bald  wieder  entfernt.  Die 
Wehen  waren  in  der  ganzen  Zeit  selten  und  schwach.  Gegen 
das  fortdauernde  Erbrechen  wurde  Eis  gegeben.  11  Uhr 
Abends  war  der  Puls  noch  ruhig,  voll  und  jgleichmässig;  alle 
halbe  Stunde  Erbrechen. 

In  der  nun  folgenden  Macht  wurde  Herr  Dr.  Bötticker 
zwischen.  1  und  2  Uhr  gerufen-,  er  fand  die  Kreissende  in 
starker  Dyspnoe,  mit  kleinem,  sehr  frequentem  Pulse,  kühlen 
Extremitäten;  das  Erbrechen  war  häufiger  geworden.  Der 
Stand  des  Kopfes  hatte  sich  nicht  geändert.  Die  Zange  wurde 
nochmals  ohne  Erfolg  angewandt  und  bald  wieder  entfernt. 
Kleine  Dose  Morphium.     Eis. 

Am  25.  Juli  12  Uhr  Mittags,  20  Stunden  nach  der  ersten 
Zangenapplication,  sah  ich  zuerst  die  Kreissende,  auf  den 
Wunsch  der  behandelnden  Aerzte.  Sie  war  äusserst  collabirt; 
der  Radialpuls  fadenförmig  und  nicht  zählbar;  Hände  und 
Gesicht  kühl ;  die  Stimme  war  noch  kräftig  und  das  subjective 
Befinden  relativ  gut;  der  Leib  war  bei  Berührung  etwas  schmerz- 
haft; spontane  Schmerzen  in  der  Magengegend;  das  Erbrechen 
dauerte  fort  und  trat  nach  jedem  Schlucke  Getränks  augenblicklich 
ein;  der  Uterus  zeigte  sich  bei  der  äusseren  Untersuchung 
ziemlich  fest  contrahirt;  Weben  schienen  fast  vollständig  zu 
fehlen.  Bei  der  inneren  Exploration  fiel  augenblicklich  eine 
bedeutende  Schiefheit  des  Beckens  auf;  man  fühlte  ohne  Mühe, 
dass  das  linke  Tuber  ischii  weiter  jn  das  Becken  hineinragte, 
als  das  rechte  und  dass  die  linke  Linea  arcuata  flacher  waiv, 
der  Schambogen  erschien  eng;  das  Promontorium  konnte  ich 
mit  zwei  Fingern  nicht  erreichen.  Der  Kopf  stand,  bei  völlig 
erweitertem  Muttermunde,  dessen  vordere;  nicht  angeschwollene 
Lippe  allein  noch  fühlbar  war,  in  zweiter  Scheitelbeinlage  mit 
seiner  grössten  Peripherie  noch  oberhalb  des  Beckeneinganges; 
die  Pfeilnaht  verlief  nahezu  quer,  dem  zweiten  schrägen 
Durchmesser  etwas  genähert.  Das  in  der  weiteren,  rechten 
Beckenhälfte  stehende  Hinterhaupt  stand  ziemlich  tief  im 
Becken,  während  die  nach  links  gelegene  Stirn  noch  über  die 
linke  Linea  arcuata  interna  hinauf  auf  die  linke  Darmbein- 
schaufel sich  erstreckte.    Diese  abnorme  Stellung  des  Kopfes 

MoiUktaaohr.  f  Geburttk.   1862.  Bd.XX.,  Hft.4.  19 


£gg  XIII.     OUhausen,  Ueber  Durch  reib  an  gen 

mit  stark  gesenktem  Hinterhaupte  war  wohl  die  Folge  der 
Zapgenversuche,  bei  denen  die  über  der  engen  Beckenseite 
befindliche  Stirn,  nicht  so,  wie  das  Hinterhaupt  Mte  folgen 
können.  Der  Kopf  war  mit  einer  ziemlich  grossen,  weichen 
Kopfgepch wulst  bedeckt;  das  hintere  Scheitelbein  war  unter 
das  vordere  geschoben.  Kindliche  Herztöne  konnten  bei 
sorgfältiger  Auscultation  nicht  vernommen  werden. 

Der  Zustand  der  Kreissenden  war  gewiss  hoffnungslos; 
eine  Continuitälslrennung  des  Uterus  schien,  nach  dem  plötzlich 
eingetretenen  Collapsus  der  Kreissenden  in  der  vergangenen 
Nacht,  gewiss  zu  sein.  Ich  schlug  den  Herren  Collegen  die 
sofortige.  Perforation  und  Extraction  des  Kindes  mit  dem 
Kephalolhryptor  vor,  wenn  auch  nur  zu  dem  Zwecke,  die 
Kreissende  nicht  unentbunden  sterben  zu  lassen.  Nach  ge- 
schehener Perforation  wurde  Martin' s  Kephalothryptor  ein- 
gebracht; die  Anlegung  des  linken  Blattes  machte  (bei  der 
Verengerung  der  linken  Beckenhälfte)  kurze  Zeit  einige  Schwierig- 
keit. Das  Instrument  legte  sich  ganz  schräg  in  den  zweiten 
schrägen  Durchmesser  (dem  langen  des  schrägverengten  Beckeus). 
Die  Extraction  des  Kopfes  gelang  leicht,  mit  einer  einzigen 
Hand;  die  nach  vorn  stehende  Schulter  stellte  sich  auf  den 
gestreckten  linken  Raums  horizont.  o.  p.  fest;  nachdem  diesem 
Hindernisse  abgeholfen  war,  machte  auch  der  Rumpf  keine 
Schwierigkeiten  mehr.  Die  Placeqta  wurde  aus  dem  Mutter- 
munde entfernt.  Die  Kreissende  hatte,  weil  sie  ganz  apathisch 
war,  von  der  Operation  Nichts  zu  leiden  gehabt  und  sich 
ganz  ruhig  dabei  verhalten.  Eine  halbe  Stunde  nach  Beendigung 
der  Geburt  traten  heftige  Uebelkeiten  auf  und  V4  Stunde 
später  folgte  der  Tod. 

Die  Section,  18  Stunden  post  mortem,  ergab  Folgendes, 
was  von  Interesse  ist.  Gelbe  Flocken  peritonitischen  Exsudats 
liegep  dem  Uterus  und  den  Gedärmen  im  unteren  Theile  der 
Bauchhöhle  auf;  der  obere  Theil  ist  völlig  frei;  in  beideu 
Weichen  ist  1  Pfund  serös -blutiger  Flüssigkeit  angesammelt. 
Der  Uterus  ist  gut  coutrabirt.  Beim  Abheben  desselben  von 
der  hinteren  Beckenwand  zeigte  sich  uhten  in  seinem  Cervical- 
theile,  etwas  nach  links  hin,  eine. stecknadelkopfgroß  Oeflhung, 
aus  welcher  die  blutige  Flüssigkeit  der  Uterushöhle  in  den 
Douglas  sehen  Raum  sich  ergoss.    Die  durchbohrte  Stelle  des 


und  Rnptnrtn  de«  Uterus.  9gg 

Uteras  lag  dem  Promontorium  an,  an  welchem  sich  übrigens 
.keinerlei  Stacheln  fanden.  Der  Peritonäaläberzug  bildete  am 
die  Perforationsatelle  einen  schmalen,  1"'  breiten,  milchweissen 
Saum.  An  der  Inneniäcbe  des  Uteras  war  die  Perforation^- 
stelle  nicht  grösser  als  an  der  Au6senfiäche  und  kaum  mit 
dem  Pinger  fahlbar.  Der  Uterus  war  im  Ganzen  dünnwandig« 
An  der  PlacentarsteUe  war  es  nicht  zur  Bildung  ordentlicher 
Thromben  gekommen.  Das  Becken  erwies  sich  nach  der 
Herausnahme  und  Präparation  als  ein  exquisit  schrägverengtes 
mit  Ancylosis  sacro-iliaca  der  unken  Seite,  dessen  genauere 
Beschreibung  ich  a.  a.  0.  gegeben  habe.  Hier  will  ich  nur 
erwähnen,  dass  die  Verengerung  des  Beckens  im  Ganzen  nur 
massig  war;  die  Conj.  vera  maass  3"  10'"  P.  Die  Schiefheit 
war  dagegen  sehr  beträchtlich;  denn  -wahrend  der  linke 
schräge  Durchmesser  des  Einganges  4"  11'*  maass,  betrug 
der  rechte  nur  3"  3'". 

Ich  bedauere  eben  so  sehr,  dass  in  diesem  Falte  ober 
die  Entstehung  des  schrägverengten  Beckens  sich  Nichts  er* 
mittein  ,liees,  als  es  mir  leid  thut,  dass  der  Zustand  der 
schon  dem  Tode  nahen  Kreissenden  mir  eine  genauere  Aus- 
messung und  Untersuchung  an  der  Lebenden  nicht  gestattete. 

Epikrise.  Das  anhaltende  Erbrechen  in  dem  erzählten 
Falle  kann  die  Folge  des  Reizes  gewesen  sein,  welchen  die 
zwischen  dem  Kindsköpfe  and  dem  Promontorium  befindliche 
Stelle  des  Uterus  vielleicht  von  Beginn  der  Geburt  an  auf- 
zuhalten hatte.  Es  ist  zwar  das  Erbrechen  auch  schon  vor 
dem  Blasensprunge  vorhanden  gewesen;  doch  ist  es  sehr 
wohl  möglich,  dass  die  betreffende  Stelle  wegen  der  hoch- 
gradigen Asymmetrie  des  Beckens  auch  durch  die  Eihäute 
hindurch  schon  einer  bedeutenden  Reizung  ausgesetzt  war. 

Was  die  Entbindung  einer  schon  in  Agone  liegenden 
Kreissenden  durch  eine  Verkleinerungsoperation  betritt,  so 
leitete  mich  hierbei  die  von  Michaelis  und  auch  von  Anderen 
ausgesprochene  Meinung,  -man  solle  nie  eine  Kreissende  an* 
entbunden  sterben  lassen.  Wo  diesem  immer  unangenehmen 
Ereignisse  mit  Leichtigkeit,  z.  &  durch  eine  leichte  Zangen» 
Operation  abgeholfen  werden  kannT  da  glaube  ich,  tbut  matt 
recht,  obigem  Grundsatze  zu  huldigen.  Eine  Perforation  und 
nachfolgende  Exlraction,   deren  Schwierigkeiten  sich  nicht  im 

19* 


g#4  XIII.     OUhau*eny  Ueber  Durchreibungeo 

voraus  berechnen  lassen,  werde  ich  aber  an  einer  Agonisireoden 
gewiss  nicht  wieder  unternehmen;  der  Eindruck  dieser  Operation 
kurz  vor  dem  Tode  ist  für  die  Umstehenden  sicherlich  un- 
angenehmer, als  der  Tod  einer  nicht  Entbundenen.  Dass 
hier,  in  unserem  Falle,  von  einer  anderen  Operation  nicht 
die  Rede  sein  konnte,  als  von  der  Perforation,  weder  von 
nochmaliger  Zangenanlegung,  noch  von  der  Wendung,  brauche 
ich  nicht  zu  erörtern. 

Was  die  Durchreibung  des  Uterus  betrifft,  so  ist  es 
bemerkenswert^,  dass  auch  hier  wiederum  schwache  Weben 
genügten,  um  dieselbe  zu  Stande  zu  bringen;  dass  die  wieder- 
holten Zangenversuche  der  Läsion  des  Uterus  förderlich  waren, 
ist  wohl  anzunehmen.  Befremden  muss  es,  dass  bei  nur 
stecknadelkopfgrosser  Oeflhung  der  usurirten  Stellen  die 
Erscheinungen  denen  bei  einer  eigentlichen  Ruptura  uteri 
ähnlich  waren. 

:  IIL 

Ueber  einen  dritten  Fall,  in  welchem  es  zu  vollständiger 
Durchreibung  kam,  besitze  ich  leider  nur  wenige  Notizen. 
Der  Fall  ereignete  sich  auf  der  Berliner  geburtshilflichen 
Klinik.  Frau  L....,  32  Jahre  alt,  hatte  schon  fünf  Kinder 
geboren,  darunter  vier  lebende.  Das  erste  soll  gewendet 
worden  sein;  die  anderen  kamen  ohne  Kunsthälfe  lebend  zur 
Welt  Am  15.  Februar.  1859  begannen  die  Weben  zur  sechsten 
Geburt  Den  16«  Februar  Morgens  8  Uhr  Wasserabflüsse 
Ausserhalb  des  Entbindung«-  Instituts  wurde  die  Zange  an« 
gelegt  Bei  ihrem  Eintritte  in  das  Institut,  den  17.  Februar, 
fand  man  eine  Stirnlage" vor.  Es  wurde  durch  Herableiten 
des  Kinnes  mit  der  Hand  eine  Gesichtslage  hergestellt  und 
am  18.  Februar  das  Kind  mit  der'  Zange  entwickelt.  Der 
Tod  der  Wöchnerin  erfolgte  hoch  an  demselben  Tage.  Man 
fand  eine  Durchreibung  der  vorderen  Wand  des  Uterus  in 
seinem  Gervicaltheiie.  Hier  war  die  Schamfuge  der  ladirende 
Knochen  gewesen,  ohne  dass  spitze  Exostosen  an  derselben 
vorbanden  waren.  Ueber  die  sonstige  Beschaffenheit  des 
Beckens  kann  ich  nichts  angeben. 


und  Rupturen  des  Utero».  286 

Aehnliehe  Fälle  wie  die  beschriebenen  sind  schon  mehrfach 
bekannt  gemacht  worden ,  wenn  auch  ihre  Anzahl,  im  Vergleich 
zu  der  Häufigkeit  der  Uterusrupturen ,  gering  ist. 

Nevermann l)  sagt:  „In  230  verificirten  Fällen  von 
Rupturen  der  Gebärmutter,  die  in  diesem  Werke  mitgetheBt 
sind,  fanden  62  in  der  Schwangerschaft  und  168  während 
der  Geburt   statt;   von   den   letzten  hatten  80  ihren  Sitz  im 

Uteruskörper und  in  20  Fällen  war  der  Körper  oder 

der  Hals  bloss  durchlöchert."  —  Unter  diesen  Fällen  sind 
jedoch  auch  solche  mitverstanden,  wo  durch  äussere  Ver- 
anlassung und  Traumen  statt  eigentlicher  Rupturen  nur  Durch* 
löcherungen  des  Uterus  entstanden. 

Ich  fand  unter  circa  100  Fällen,  die  ich  in  der  Literatur 
(ausser  dem  Buche  von  Nevermann)  durchmusterte,  nur 
zwei  Fälle  von  Durchlöcherungen.  Diese  sind  von  Kutan9) 
mitgetheilt  und  war  in  beiden  eine  Exostose  an  der  obereB 
Beckenapertur  Ursache  der  Uterusläsion.  Ich  kenne  die  Fälle 
leider  nur  nach  dem  in  der  „Monatsschrift  för  Geburtskunde, 
1855,  S.  477 w  mitgeteilten  Auszuge.  In  dem  einen  Falle 
verlief  die  Geburt  zwar  langsam  aber  spontan.  Metroperitonitis 
am  ersten  Tage  des  Wochenbettes.  Tod  nach  acht  Tagen. 
Die  Section  ergab  „am  Uterus  eine  etwa  thalergrosse ,  einem 
brandigen  Geschwüre  gleichende  Stelle,  entsprechend  dem 
rechten  Rande  des  Beckeneinganges.  In  der  Mitte  dieser 
brandigen  Stelle  findet  sich  ein  tiefer,  fast  bis  in  die  Gebär- 
mutterhöhle reichender  Eindruck.  Das  Becken  ist  im  Ganzen 
normal,  nur  findet  sich  an  der  Synostosis  puho-iliaca  d extra 
ein  ansehnlicher  Stachel  von  etwa  ober  4'"  Höhe  auf  einer 
Basis  von  1 "  Breite."  Hier  war  es  also  zu  einer  vollständigen 
Durchreibung  noch  nicht  gekommen/ wohl  aber  in  der  nächst- 
folgenden Beobachtung:  Die  Wöchnerin  starb  neun  Stunden 
nach  der  durch  Zerstückelung  des  Fötus  beendigten  Geburt. 
„Das  Becken  ist  stark  rachitisch,  alle  Knochen  in  der  rechten 
Beckenseite  sind  kleiner  als  in  der  linken,  die  Gonjugata  misst 


1)  Duparcque'B  vollständige  Geschichte  der  Durchlöcherungen, 
Einrisse  nnd  Zerreissungen  des  Uterus,  der  Vagina  etc.,  bearbeitet 
von  Nevermann.     183*.     S.  233. 

2)  H.  F.  Kilian,  Schilderung  neuer  Beckenformen  und  ihres 
Verhaltens  im  Leben.     Mannheim  1854. 


Jgg  XIII.     OUhou*ent  Ueber  Dnrcfereibnngen 

8"  9"',  an  der  rechten  Synostosis  pubo-pectinea  sitzt  ein 
nadelspitzer  Stachel,  einem  grossen  Dorne  vergleichbar  von 
4M  Höhe  und  10"  Breite.  Genau  seiner  Stelle  entsprechend 
fand  sich  am  Uterus  eine. Durchbohrung,  so  dass  die  feine 
Spitze  des  Stachels  in,  die  Uterinhöhle  hineinragte,  übrigens 
aber  das  gemachte  Loch  vollkommen  verschloss." 

Wichtig  und  interessant  ist  folgender  Fall  m&Nevermann'& 
oben  ciürtem  Buche.  Seite  234  heisst  es:  „so  starb  z.  B. 
CoUins  eine  Frau  fünf  Tage  nach  der  Geburt  am  Blutflusse 
binnen  einer  Stunde;  man  fand  bei  der  Section  ein  Schilling- 
grosses  Stück  des  Uterus,  dem  Promontorium  gegenüber 
fehlend.  Einen  ähnlichen  Fall  scheinen  nach  Nevermanri* 
Angabe  beobachtet  zu  haben:  #.  d.  Wid  und  SoUngen  (Obs. 
rarior.,  Vol.  I.,  p.  284);  ferner  verweist  Nevermann  auf  die 
von  Blundell  (The  Lancet,  1828),  Powd,  Marino,  Chevreul 
gesammelten  Fälle.  Doch  ist  es  nicht  ganz  klar,  ob  unter 
diesen  Fällen  eigentliche  Durchlöcherungen  verstanden  sein 
sollen. 

Etwas  häufiger  als  die  erwähnten  seltenen  Fälle,  in  denen 
es  bei  einer  eigentlichen  Durchlöcherung  blieb,  sind  andere, 
ka^  denen  ebenfalls  ein  solcher  am  Beckeneingange  ausgeübter, 
beschränkter  Druck  die  Veranlassung  zu  einer  solchen  Continuitäts» 
trennung  gab,  diese  letztere  selbst  aber  die  Form  einer  gewöhn- 
lichen Ruptur  annahm.  Hierher  gehören  drei  Fälle  aus  Küiari* 
oitirter  Schrift:  Bei  einer  Frau,  die  unentbunden  gestorben 
war,  fand  man  ein  rachitisches  Becken  von  3"  Conj.  vera. 
Am  linken  Tubercul.  ileo-pectin.  war  ein  3"'  hoher  Stachel, 
von  welchem  aus  sich  ein  Gebärmutterriss  bis  zum  Fundus  uteri 
erstreckte.  —  Gaiu  ähnlich  war  ein  zweiter  Fall.  Die  Frau 
starb  ebenfalls  unentbunden.  Grosser  linksseitiger  Riss;  an 
der  linken  Crista  pubis  ein  schneidender  Kamm.  In  dem 
dritten  Falle  war  wiederum  ein  Stachel  Schuld.  Der  Tod 
erfolgte  erst  am  vierten  Tage  nach  der  durch  die  Zange 
beendigten  Geburt. 

Andere  Fälle,  in  denen  spitze  Exostosen  oder  scharfe 
Kanten  der  Crista  pubis  nicht  beschuldigt  werden  können, 
aber  wohl  das  Promontorium,  sind  z.  B.  folgende: 

Bei  einer  Frau  mit  engem  Becken,  welche  schon  ein 
Mal  durch  Perforation,   ein  Mal  durch  künstliche  Frühgeburt 


und  Rupturen  de«  Uterda.  287 

entbunden  •  war ,  machte  Ram$botham  l)  bei  vorliegendem 
Kopfe,  nach  Eintritt  einer  Ruptur»  uteri,  die  Wendung  und 
Exlraction.  Tod  nach  einer  Stunde.  Man  fand  einen  queren 
Riss  an  der  hinteren  Seite  des  Cervix  uteri,  gegenüber  dem 
prominirenden  Rande  des  Promontorium.  Ramsbotham  sagt 
selbst,  dass  das  Os  sacruiit  wohl  durch  den  Druck  eine 
Verdünnung  und  schliesslich  die  Ruptur  des  Cerra  herbei* 
gefuhrt  habe. 

Lehmann2)  machte  bei  einer  Fünftgebärenden,  deren 
anfangs  schon  schwache  Weben  schließlich  ganz  ausblieben, 
nach  eingetretenem  erheblichem  Collapsus,  bei  vorliegendem 
Kopfe  die  Wendung  und  Extraction.  Tod  nach  10  Standen. 
Die  Section  ergab  eine  Ruptur  an  der  hinteren  Wand  des 
Uterus,  vom  Collum  bis  fast  zur  linken  Tube  reichend. 
Lehmann  äussert  sieb  selbst  folgendermaassen  über  diesen 
Fall.  „VermuthHch  wurde  schon  in  den  letzten  Monaten  der 
Schwangerschaft  durch  einen  fortwährenden  Druck  gegen  diese 
Stelle,  an  welcher  der  Kopf  gegen  das  Promontorium  gedrückt 
hatte,  eine  entzündliche  Erweichung  vorbereitet,  welche 
während  der  Geburt allmftlig  einen  wahren  Detritus  ver- 
ursachte und  auf  diese  Weise  eine  Ruptur  zu  Stande  kommen 
liess."  Uebrigens  trug  auch  das  nach  hinten  gelegene  Scheitel- 
bein eine  kleine  Stelle,  an  welcher  die  Haut  gangräneseirte, 
eiu  Beweis  des  stattgehabten,  energischen  Druckes,  welchen 
Kopf  und  mütterliche  Weichtheile  gegen  einander  ausgeübt 
hatten. 

Unter  Lehmann'*  Fällen  ist  noch  ein  zweiter,  welcher 
hierher  gehört:  Bei  einer  Zweitgebärenden  wurde  nach  ver- 
geblicher Anwendung  des  Lowder'schen  Hebels,  das  Kind 
nur  schwierig  durch  energische  Zangentractionen  zur  Welt 
gefördert.  Am  zehnten  Tage  plötzlicher  Tod  der  Wöchnerin 
durch  Verblutung.  Die  Verblutung  war  aus  einem  kleinen 
die  Scheide  perforirenden  Geschwüre  erfolgt.  „An  der  hinteren 
Seite  des  Corpus  uteri,  welche  gegen  das  Promontorium  an- 
gelegen,  war  ausserdem  noch   eine  incoraplete  Ruptur  von 

1)  Ramsbotham,  Practical  Observation«  in  midwifery.  London 
1842,  p.  423  sqq. 

2)  Lehmann,  Ueber  Rupturen  des  Uterus  und  der  Vagina. 
Monatsschr.,  XII.,  1868,  p.  408  sqq. 


Jgg  XIII.     OUhauten,  Ueber  Durch reibnn gen 

l1/*"  Lange  in  einer  schrägen  Richtung  sichtbar,  wodurch 
aHein  die  Peritonäalbekleidung  und  ein  Theil  der  Muskel* 
schichte  betroffen  war. 

Nur  noch  eiue  Beobachtung  will  ich  anführen;  ich  finde 
dieselbe  in  Nevermann's  Buch  S.  182,  Beobachtung  144» 
ohne  Angabe  der  Quelle,  welcher  sie  entlehnt  ist:  „Eine 
Frau  fühlte  seit  12  Stunden  Geburtsschmerzen.  Das  Kind 
lag  mit  den  Hinterbacken  vor.  Der  Muttermund  war  noch 
nicht  vollkommen  erweitert,  als  der  ganze  vordere  Theil  des 
Gebärmutterbalses  sich  von  einer  Seite  bis  zur  anderen  ablöste, 
worauf  der  Fötus  sogleich  in  die  Abdominalcavität  fiel.  «Die 
Extraction  desselben  wurde  mit  vieler  Schwierigkeit  in  noch 
nicht  vollen  zwei  Stunden  ausgeführt;  es  war  todL  Die  Mutter 
selbst  starb  fünf  Stunden  nach  der  Entbindung.  Man  fand» 
dass  das  Becken  ein  wenig  enge  war;  die  Spitze  des  Heiligen- 
beins ging  durch  den  hinteren  Theil  der  Gebärmutter  (soll 
der  Kreuzbeinwirbel winkel  damit  gemeint  sein?);  der  innere 
,  und  hervorragende  Rand  des  Scham-  und  Darmbeins  glich  der 
Schneide  eines  Elfenbeinmessers  und  hatte  die  Gebärmutter 
ganz  durchgeschnitten,  als  wenn  sie  mit  einer  Ligatur  wäre 
abgebunden  worden." 

Ich  könnte  noch  manche  diesen  ähnliche  Beobachtungen 
anführen,  in  denen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  Ein- 
klemmung des  Gebärmutterbalses  zwischen  Kindskopf  und 
Beckeneingang  die  Ursache  der  Ruptur  war;  doch  die  an- 
geführten Beispiele  mögen  genügen.  Einige  Stimmen  aus  der 
Literatur,  welche  das  genannte  ätiologische  Moment  der 
Rupturen  berücksichtigen  und  anerkennen,  hier  zu  citiren, 
sei  mir  jedoch  noch  erlaubt. 

Die  Laehapette  sagt  Tome  III.,  p.  105,  wo  sie  über 
das  häufigere  Vorkommen  der  Rupturen  an  der  Hinterwand 
des  Uterus  spricht,  Folgendes:  remarquez  que  cette  partie 
posterieure  correspond  dune  part  ä  l'extremite  inferieure  de 
Faxe  de  l'uterus  et  du  detroit  superieur,  dans  le  sens  duquel 

agissent  les  puissances  expulürices remarquez  encore, 

que  dans  un  bassin  difforme,  le  meme  point  appuie  sur 
)a  saillie  sacro-vertebrale  qui  est  toujours  la  partie  la  plus 
anguleuse,    la   plus   eminente,    en   un   mot  la   plus   capable 


und  Rupturen  des  Uterus.  g§0 

d'entamer  Icterus  appuye  ou  tendu  sur  eile:  aussi  Ja  protection 
de  rette  eminence  est -eile,  au  yeux  de  certains  accoucheurs, 
une  cause  reelle  de  rupture.  *) 

Lehmann!*  Ansicht  ist  bei  dem  oben  angeführten  Falle 
schon  zur  Sprache  gekommen. 

Uhamer,*)  welcher  glaubte,  dass  die  Rupturen  meistens 
an  der  vorderen  oder  den  seitlichen  Wänden  stattfänden, 
drückt  sich  folgendermaassen  aus:  „Gegen  das  Ende  der 
Schwangerschaft  wird  nun  bekanntlich  das  untere  Segment 
des  Uterus  immer  dünner,  was  noch  sehr  begünstigt  werden 
kann ,  wenn  der  vorliegende  Kopf  nicht  zeitig  genug  in  den 
Eingang  des  Beckens  tritt,*  sondern  längere  Zeit  hindurch  auf 
dem  Rande  des  Beckeneingangs  steht  und  zwischen  diesem 
und  seiner  selbst  beständig  die  vordere  und  untere  Wand  des 
Uterus  reibt  und  presst,  wodurch  unabwendbar  die  dem  vorderen. 
Abschnitte  der  ungenannten  Linie  entsprechende  Partie  immer 
dünner,  morscher  und  «wahrhaft  zermalmt  werden  muss.  — 
Kommt  hierzu  noch  ein  ungewöhnlich  scharfer  Rand  der 
Linea  ileo-pectinea,  wie  man  dies  häufig  bei  rhachitischen 
Becken  findet  und  werden  die  Wehen  mit  Ungestüm  und  gar 
noch  in  sitzender  Stellung  verarbeitet,  so  sind  alle  Be- 
dingungen vereinigt t  unter  «denen  ein  Gebärmutterriss  erfolgen 
kann  und  hier  wird  er  auch  selten  ausbleiben/1 

Kutan3)  sagt  bei  den  Gefahren  der  Zangenoperation: 
„Diese  Durchreibungen  kommen  hauptsächlich  an  zwei  Regionen 
des  Beckens,  nämlich  an  der  Hinter-  oder  an  der  Vorderwand 
des  Beckens  vor.  Man  kennt  dieselben  entweder  a)  als  Durch- 
reibung der  Hinterwand  des  untersten  Segments  des  Uterus 
und  diese  ereignet  sich  namentlich  da,  wo  zwischen  Kopt 
und  Promontorium  ein  Stück  Uterus  festgeklemmt  ist,  welches 
Ereigniss  aber  nur  bei  rhachitischen  oder  ganz  insbesondere 
bei  Pelvis  aequabiliter  justo  minor  sich  zutragen  kann. 


1)  AU  Autoren ,  welche  dieser  Meinung  sind ,  fuhrt  die 
LaehapeUe  an:  Ramsbotham,  Bibl.  med.,  tome  XLV1II. ,  p.  260; 
Blegborought  ibid.,  p.  397;  Mm.  Boivin,  Memorial;  Denman,  Acc, 
tome  II.     Diese  Quellen   stehen   mir  sämmtlich  nicht  zu  Gebote. 

2)  Ulsamtr,  Erfahrungen  in  der  Qeburtshiilfe;  Neue  Zeitschr. 
f.  Geburtsh.,  XVII.,  1846,  p.  37. 

3)  Kutan,  Die  operative  Geburtsbülfe,  Bd.  II.,  p.  591. 


290  XUl.    Olgkauten,  Ueber  Durch  reib  tragen 

Nevermann  sagt  1.  c.  p.  183  über  die  prädisponirenden 
Ursachen  der  Uterusrnpturen:  ,,c)  Quetschung,  Attrition  and 
entzündliche  oder  sphacelöse  Erweichung  des  Gebärmutterhalses, 
ron  schwerer  und  langwieriger  Geburtsarbeit  herrührend, 
während  welcher  diese  Region  zwischen  dem  Kindskopfe  und 
dem  Rande  der  oberen  Apertur  gewaltig  compritnirt  war, 
sind  jedoch  die   gewöhnlichsten,   prädisponirenden  Umstände. 

Auch  E.  Martin  l)  hat  bei  Gelegenheit  eines  Falles  von 
erheblicher  Quetschung  der  mütterlichen  Weichtheile  in  der 
Gebart  sich  über  die  Durchreibungen  der  Geburtswege  weiter 
ausgelassen  und  erwähnt  mehrerer  von  ihm  beobachteter,  aber 
nicht  näher  beschriebener  Fälle  von  Durchreibungen.  Das 
eine  Mal  entstand  die  Durchreibung  bei  einer  Querlage;  ein 
zweites  Mal  bei  einer  Gesichtslage,  von  welcher  Lage  Martin 
überhaupt  glaubt,  dass  sie,  in  Folge  des  prominirenden 
Kinnes,  zumal  wenn  dasselbe  hinter  einer  stark  prominirenden 
Spina  o.  ischii  hängen  bleibt,  zu  Quetschungen  und  Durch- 
reibungen disponire.  Ein  Fall,  bei  welchem  der  Tod  am 
fünften  Tage  des  Wochenbettes  erfolgte  und  der  rechte  untere 
Sekentheil  des  Uterus  durchlöchert  war,  wird  kurz  erwähnt 
„Ganz  insbesondere,14  sagt  Martin  ferner,  habe  ich  die 
Folgen  (leichtere  und  bedenklichere  Quetschungen)  beim  Zu- 
sammentreffen eines  Hängebauches  mit  einem  vorragenden 
Promontorium  gesehen.*4  Dies  glaube  ich  bestätigen  zu  können, 
da  ich  schon  wiederholt  bei  starkem  Hängebauche  und  selbst 
weitem  Becken  beobachtete,  dass  das  Kind  mit  erheblichen 
Druckstellen  am  Kopfe  geboren  wurde,  nur  deshalb,  weil 
der  Uterus  in  einer  falschen  Richtung,  nämlich  gegen  das 
Promontorium,  den  Kopf  vorwärts  trieb.  In  solchen  Fällen 
muss  also  auch  das  mütterliche  Gewebe  nothwendig  starke 
Quetschungen  erleiden. 

Noch  andere  Autoren  Hessen  sich  anfahren,  welche 
gelegentlich  mitgeteilter  Fälle  von  Ruptura  uteri  die  Ursache 
der  Ruptur  m  einer  Quetschung  des  unteren  Gebärmutter- 
abschnittes durch  den  Geburtshergang  suchen,  so  z.  B. 
Pagenstecher*)  und  Klaproth.*) 

1)  Deutsche  Klinik,  Bd.  II.,  1860,  p.  78. 

2)  Monatsacbr.  f.  GeburUk.,  1858,  XII.,  p.  146. 
8)  Monatoschr.  f.  Gtbartak.,  1869;  XIII.,  pt  4. 


und  Roptnren  des  Uterai.  991 

Schliesslich  möchte  ich  mir  Aber  die  Durchreibungen 
des  Uterus  und  die  Entstehung  von  Uterusrupturen  überhaupt 
folgende  Bemerkungen  erlauben: 

Die  Entstehung  der  Durchreibungen  bedarf  keiner  näheren 
Erklärung.  Die  am  häufigsten  an  dem  hinteren  Theile  des 
Cervix  entstehenden  Läsionen,  welche  eine  Communication  der 
Cervicalhöhle  mit  dem  Douglas' sehen  Räume  herstellen,  können 
mit  den  in  der  Geburt  entstehenden  Blasenscheidenfistehl 
vollständig  zusammengestellt  werden.  Das  relativ  zum  Becken*» 
eingange  höhere  Hinaufreichen  der  vorderen  Wand  der  Vagina 
als  der  hinteren  Wand  bedingt,  dass  vorn  gewöhnlich  nicht 
der  Uterus,  sondern  der  obere  Theil  der  Vagina  die  am 
meisten  gedruckte  Partie  ist;  zu  bedenken  ist  dabei,  dass 
wohl  selten  der  allerhöchst  gelegene  Punkt  der  Symph.  o.  pub. 
den  hauptsächlichsten  Druck  ausübt,  dass  vielmehr  die 
engste  Conjugata  gewöhnlich  3'" — 6W  unterhalb  des  oberen 
Endes  der  Symphyse  fällt.  Und  wird  auch  wirklich  einmal 
die  vordere  Wand  des  Cervix  uteri  durch  Quetschung  durch- 
löchert, so  braucht  diese  Perforation  nicht  in  das  Peritoneal- 
cavum  zu  fähren,  wird  vielmehr,  weil  das  Peritonäum  den 
unteren  Theil  der  Vorderwand  des  Uterus  freilässt,  in  der 
Regel  nur  in  die  Blase  odtr  einen  Ureter  münden,  wodurch 
dann  eine  iMasengebärmutter-  oder  HarnleitergebSrmutterfistel 
hergestellt  ist.  Der  hinteren  Begrenzung  des  knöchernen 
Beckeneingangs,  dem  Promontorium,  stehfdagegen  in  normalen 
Fällen  bei  Gebärenden  selten  ein  Theil  des  Scheidengewölbes 
gegenüber,  sondern  in  der  Regel  der  Cervix  uteri  selbst. 
Dies  ergiebt  sich  schon  aus  dem  Umstände,  dass  man  bei 
der  inneren,  mit  den  Fingern  ausgeführten  Beckenmessung 
gewöhnlich,  um  das  Promontorium  zu  erreichen,  das  äusserste 
Spheidengewölbe  noch  etwas  in  die  Höhe  drängen  muss. 
Uebrigens  versteht  es  sich  von  selbst,  dass  es  nach  der  Form 
des  Beckens,  der  Stellung  des  Kindskopfes,  der  AnfÜlhing 
der  Harnblase  und  besonders  der  Form  und  Lagerung  des 
Uterus  variiren  muss,  welche  Theile  vom  Promontorium  oder 
der  Schamfuge  gedrückt  werden.  Orenser1)  erzählt  von 
einer  Geburt,  bei  welcher  die  vordere  Muttermundslippe  durch 


1)  Monatsflchr.  f.  Geburtsk. ,  1660,  XV.,  1,  p.  42. 


292  XITI-     OUkmuen,  Ueber  Du rch reih oiigen  . 

den  Druek  des  Kindskopfes  derartig  durchlöchert  wurde,  dass 
man  einen  Finger  durch  die  Oeffnung  bringen  konnte;  der* 
artige  Fälle  sind,  soviel  ich  weiss,  nicht  ganz  selten. 

Was  die  Verhütung  der  Durchreibungen  betrifft,  so  lägst 
sich  darüber  nur  ungefähr  dasselbe  sagen,  was  über  Ver- 
hütung der  Blasenscheidenfisteln  gelehrt  wird.  Bei  Geburten, 
welche  nach  dem  Blasensprunge  sich  lange  hinziehen;  kommt 
je  nach  der  Häufigkeit  und  Energie  der  Wehen  früher  oder 
später  ein  Zeitpunkt,  an  welchem  der  Druck  des  Kindskopfes 
den  mütterlichen  Weichtheilen  in  der  besprochenen  Art  ge- 
fahrlich wird.  Aber  abgesehen  davon,  dass  die  Energie  der 
Wehen  nur  annähernd  taxirt  werden  kann,  hängt  die  Gefahr 
einer  gefährlichen  Quetschung  der  mütterlichen  Werchtheile 
auch  von  anderen  Verhältnissen  ab;  besonders  von  der  Form 
des  Beckeneingangs  und  etwaigen  schärferen  Partieen  desselben, 
von  der  Härte  der  Kopfknochen  etc.  Daher  kommt  es  denn, 
dass  wir  die  Gefahr  nicht  immer  in  ihrer  ganzen  Grösse  er- 
kennen können.  Es  sind  deshalb  diese  Durchreibungen  des 
Uterus  ebenso  wenig  vollständig  zu  verhüten  als  die  Blasen- 
scheidenfisteln. Auch  die  Kopfgeschwulst  ist  natürlich  nur 
ein  unsicherer  Führer  in  der  Prognose,  da  ihre  Grösse  weniger 
durch  die  Stärke  des  Druckes  akt  durch  seine  Ausbreitung 
an  der  ganzen  Peripherie  des  Schädels  bedingt  wird.  Nach 
der  Geburt  des  Kindes  kann,  wie  auch  Martin  andeutet, 
eine  Druckstelle  am  Kindsschädel  einen  Fingerzeig  für  die 
Diagnose  geben.  In  den  meisten  Fällen  Haben  aber  dergleichen 
Druckstellen  eine  gefährliche  Quetschung  der  mütterlichen 
Weichtheile  doch  nicht  zu  bedeuten.  Beim  Auftreten  einer 
ganz  acuten  Peritonitis,  wie  in  unserem  zweiten  Falle,  kann 
die  Diagnose  einer  eigentlichen  Durchreibung  sicher  werden. 
Doch  braucht  eine  so  acute  Peritonitis  nicht  jedes  Mal  %n 
entstehen,  wie  dies  unser  erster  Fall  zeigt,  bei  dem  uns  denn 
freilich  auch  die  Durchreibung  ein  unerwarteter  Sections- 
befund  war.  Möglich  wäre  aber  auch  in  solchen  Fällen,  dass 
die  im  Mutterhalskanale  gelegene  Perforationsstelle  nach  der 
Geburt  durch  den  untersuchenden  Finger  constatirt  würde. 
Manche  solche  Durchreibung  ist  gewiss  als  Ursache  einer 
Wochenbetts -Peritonitis  verkannt,  vielleicht  auch  bei  Sectionen 
übersehen  worden. 


and  Rupturen  de«  Uteras.  293 

Wenn  nun  die  Quetschungen  des  unteren  Uterinsegments 
eine  Usur  und  blosse  Durchlöcherung  dieses  Theils  zur  Folge 
haben  können,  so  glaube  ich,  dass  weit  häufiger  eigentliche 
Uterusrupturen  die  Folge  dieser  Quetschungen  sind.  Ich  bin 
der  Ueberzeugung,  dass  die  grosse  Mehrzahl  aller  Rupturen 
des  Gervicaltbeils  solchen  Quetschungen  ihre  Entstehung  ver- 
dankt. Dadurch  wird  die  Thatsache  begreiflich,  dass  bei 
weitem  die  meisten  Rupturen  im  Cervicaltheile  entstehen  und 
nicht  im  Corpus  oder  Fundus  uteri;  damit  stimmt  es  auch 
überein,  dass  die  hintere  Wand  des  Cervicaltheils  am  «häufigsten 
die  zerrissene  ist.  Ffir  die  erstgenannte  und  ganz  constatirte 
Thatsache,  den  häufigeren  Sitz  der  Rupturen  im  unteren 
Uterinsegmente,  führen  fast  alle  Autoren  als  Grund  die  grössere 
Dünnheit  dieser  Partie  im  Vergleich  zum  Corpus  uteri  an. 
Diese  Erklärung  halte  ich  für  unzulässig  und  geradezu  falsch. 
Wahr  ist  es  freilich,  dass  in  nicht  ganz  seltenen  Fällen  der 
vor  dem  Mutlermunde  gelegene  Theü  des  unteren  Utefin- 
abschnittes  schon  am  Ende  der  Schwangerschaft  und  mehr 
noch  in  der  Geburt  eine  ungewöhnliche  Ausdehnung  und 
Verdünnung  erleidet,  wenn  besonders  der  Kopf  mit  diesem 
Theile  des  Uterus  in  den  Beckenkanal  herabtritL  In  diesen 
Fällen  mögen  die  Verdünnung  und  Quetschung  des  Uterus 
gleichmässig  zur  Entstehung  der  Ruptur  beitragen,  wie  dies 
Scanzoni1)  und  andere  Autoren  auseinandersetzen.  Aber 
das  erwähnte  Verhältniss  betrifft  fast  ausnahmelos  Erstgebärende 
und  regelmässig' den  vorderen  Abschnitt  des  unteren  Uterin- 
segments, während  die  meisten  Rupturen  sich  bei  Mehr- 
gebärenden und  an  der  hinteren  Wand  des  Cervix  ereignen. 
Hier  findet  eine  solche  Verdünnung  durch  den  sich  herab- 
senkenden Kindsschädel  nicht  statt  und  scheint  mir  die 
Annahme,  dass  uuter  den  gewöhnlichen,  normalen  Ver- 
hältnissen das  untere  Uterinsegment  dünnere  Wandungen  hat 
als  das  Corpus  und  der  Fundus  uteri  ganz  willkürlich.  Ich 
glaube  vielmehr,  dass  die  Sache  sich  umgekehrt  verhält  und 
dass  schon  die  Untersuchung  von  einigen  Dutzenden  Schwangerer, 
zumal  Mehrgebärender,  die  Ueberzeugung  verschaffen  muss, 
dass  äui  Grunde  der  Gebärmutter  ihre  Wandungen  viel  häufiger 

1)  Scanzoni,  Lehrburch  der  Geburtsh.,   1856,  p.   450. 


394    XIII.    OUhau*e*}  Ueber  Durch  rei bangen  a.  Rupturen  etc. 

eine  grosse  Dänowandigkeit  erreichen  als  am  Cervix.  Wie 
oft  sind,  nicht  die  Bauchdecken  und  die  Wandung  des 
Fundus  uteri  beide  so  unglaublich  verdünnt,  dass  die  kleinen 
Kindstheile  unmittelbar  unter  der  Bauchhaut  zu  liegen  scheinen. 

Nur  wegen  dieser  excessiven  Verdünnung  ist  es  bei 
Kaiserschnitten  schon  wiederholt  vorgekommen,  dass  das  im 
Uterus  befindliche  Rind  mit  dem  Messer  unversehens  verletzt 
wurde,  ja  dass  der  Operateur  mit  dem  ersten  Schnitte  nicht 
nur  die  Haut,  die  Bauchdecken,  die  Uteruswandung  und  die 
Eihäute  durchschnitt,  sondern  dem  Kinde  noch  in  den  Arm 
schnitt  Und  wie  selten  kommt  trotz  dieser  so  häufigen, 
ausserordentlichen  Dünnbeit  des  Fundus  und  Corpus  uteri 
eine  Ruptura  uteri  an  diesen  Stellen  zu  Stande.  Auch  bei 
der  inneren  Wendung  hat  der  Operirende  sehr  oft  durch  die 
aussen  den  Bauchdecken  aufgelegte  und  die  eingeführte  Hand 
Gelegenheit,  die  ausserordentliche  Düimwandigkeit  der  oberen 
Parüeen  des  Uterus. zu  constatiren. 

Auf  anatomischem  Wege  diese  Frage  zu  entscheiden,  ist 
deshalb  schwierig,  weil  sich  nur  selten  die  Gelegenheit  bietet, 
an  einem  in  der  Geburt  befindlichen  Uterus  die  Dicke  der 
Wandung  zu  messen.  Ein  Uterus,  welcher  das  Kind  aus- 
gestossen  bat,  ist  aber  natürlich  nicht  geeignet,  diese  Frage 
zu  entscheiden.  Auch  in  den  Buchern  von  W.  Hunter,  *) 
Noortwyck>2)  ächurigius  8)  u,  A.,  welche  über  Anatomie  des 
schwangeren  Uterus  handeln,  fand  ich  keine  sicheren  Angaben 
über  diesen  Punkt  Nur  Hunter  sagt  1.  c.  p.  21 :  „. . . .  weM 
die  Zahl  und  Grosse  der/  Gelasse  bei  weitem  beträchtlicher 

ist    Höchst  wahrscheinlich  ist  dies  auch  der  Hauptgrund, 

warum  Oberhaupt  die  Gegend  des  GebärmuUergrundes  ge- 
wöhnlich dicker  ist.,  als  die  des  Gebärmutterhalsea.?  Doch 
weiss  man  nach  dem  Vorhergehenden  nicht,  ob  er  nicht  von 
injicirten  Uteri  oder  von  solchen  spricht,  welche  keine  Frucht 
mehr  enthalten. 


1).  W.  Hunt  er' b  anatomische   Beschreibung  dea  schwangeren 
menschlichen  Uteras;  aas  dem  Engl,  von  Froriep,    Weimar  1802. 

2)  Noortioyck,    Uteri    humani    gravidi    anatome    et   historia. 
L.  B.  1743.     Pars  IL,  §  88. 

3)  Martin.   Schurigius }    Muliebria    historico-medica.     Dresd. 
et  Lipsiae  1729.     Sectio  III.,  Cap.  II. 


XIV.     Kutmaul,  Weitere  Beitrüge  snr  Lehre  etc.       295 

Ich  halle  demnach  die  Frage,  ob  der  Fundus  des  in  der 
Geburt  befindlichen  Uterus  wirklich  eine  dickere  Wandung 
habe,  als  der  Cervu  uteri,  noch  für  unentschieden  und 
glaube,  dass  die  Häufigkeit  der  Rupturen  des  Cervix,  lediglich 
oder  doch  hauptsächlich  die  Folge  des  Druckes  ist,  welchen 
derselbe  gewöhnlich  in  der  Geburt  zu  erdulden  hat* 


XIV. 

Weitere  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Ueber» 
wanderang  des  menschlichen  Eies. 

Von' 

Prof.  Dr.  A.  Kussmaul  in  Erlangen. 

Herr  Dr.  August  Maurer,  Assistenzarzt  der  mediciniscben 
Klinik  in  Erlangen,  hat  in  seiner  Inaugural- Dissertation  (Von 
der  Ueberwanderung  des  menschlichen  Eies,  Erlangen  1862) 
ein  Präparat  von  Graviditas  tubaria  beschrieben,  bei 
welchem  das  Ei  höchst  wahrscheinlich  aus  dem 
liqken  Eierstocke  in  das  Fransenende  des  rechten 
Eileiters  herüber  gewandert  ist.  Dieses  Präparat  wurde 
nebst  einigen  anderen  von  Herrn  Dr.  FronmüUer  sen., 
Hospitalarzt  in  Fürth,  dem  hiesigen  pathologisch -anatomischen 
Museum  zum  Geschenke  gemacht,  von  mir  im  Winter  1860/61 
der  Erlanger  physikalisch -niedicinischen  Gesellschaft  vorgezeigt 
und  dabei  die  Vermuthung  ausgesprochen,,  das  Ei  habe  in 
diesem  Falle  seinen  Weg  vom  Eierstocke  zum  Eileiter  der 
anderen  Seite  nicht  durch  den  Uterus,  sondern  durch  die 
Bauchhöhle  oder  unmittelbar  vom  linken  Eierstocke  zum  rechten 
Eileiter  genommen. 

Ueber  die  Krankengeschichte  und  den  Sectionsbefund  im 
vorliegenden  Falle  verdanken  wir  Herrn  FronmüUer  folgende 
kurze  Notizen: 

„Das  Präparat  stammt  von  einer  Frau,  Namens Engeihardtt 
die  am  10.  December  1851  nach  vierzehntägiger  Krankheit  im 


296  XIV-     Kussmaul,  Weite re  Beiträge  cur  Lehre 

Hospitale  zu  Fürth  gestorben  ist,  nachdem  sie  an  heftigen 
Schmerzen  im  Unterleibe,  später  auf  der  Brust,  Blutabgang 
aus  den  Genitalien,  Kälte  der  Extremitäten  gelitten  hatte, 
Milch  aus  den  Brüsten  ausgelaufen  war.  Der  Unterleib  war 
Yon  den  aufgetriebenen  Gedärmen  stark  ausgedehnt  In  der 
Unterleibshöhle  fand  sich  viel  ergossenes  Blut." 

Die  Beschreibung,  welche  Herr  Maurer  von  dem  Präparate 
giebt,  lautet  wie  folgt: 

„Die  birnförmige  Gebärmutter  misst  im  senkrechten  Durch- 
messer vom  Grund  zur  vorderen  Muttermundslippe  10  Ctm., 
im  Querdurchmesser  zwischen  den  Einmündungsstellen  der 
Tuben  7y2  Ctm.  Ihr  Umfang  hat  also  zugenommen.  Der 
Cervicalkanal  ist  4  Ctm.  lang.  Die  Höhle  des  Uterus  ist  mit 
einer  3 — 5  Millim.  dicken,  zottigen  Decidua  ausgekleidet, 
die  am  inneren  Muttermunde  und  an  den  Tuben  endigt  Die 
Dicke  der  Uteruswand  beträgt  an  der  dicksten  Stelle  des 
Grundes  15  Millim.  und  behält  diese  Dicke  so  ziemlich  an 
allen  Seiten.  Der  Muttermund  stellt  eine  geschlossene  Quer- 
spalte mit  bedeutend  hervorragender,  vorderer  Lippe  und 
einer  Narbe  am  rechten  Winkel  dar.  Die  vordere  Fläche  des 
Uterusgrundes  und  Körpers,  sowie  die  beiden  Seitenflächen, 
sind  mit  zahlreichen,  theils  mit  breiterer  Basis  aufsitzenden, 
grösstentheils  aber  fadenartigen,  bindegewebigen  Wucherungen 
bedeckt,  während  die  hintere  Fläche  des  Uterus  von  einer 
ganz  normalen,  glatten  Serosa  überzogen  ist. 

„Der  linke  Eierstock  ist  sehr  gross,  5'/a  Ctm.  lang, 
beginnt  schon  in  ganz  geringer  Entfernung  vom  Uterus,  und 
nimmt  gegen  sein  äusseres  Ende  an  Dicke,  Breite  und  Cou- 
sistenz  zu.  Seine  Flächen  zeigen  wenig  Narben,  aber  beide 
sind  mit  fadenförmigen,  bindegewebigen  Wucherungen  besetzt. 
Zwei  Centimeter  lange,  dünne,  aber  starke  Fäden  ziehen  sich 
vom  äusseren  Ende  dieses  Eierstocks  zum  Fransenende  der 
Tube.  Ein  senkrechter  Längendurchschnitt  halbirt  den  Eier- 
stock und  lässl  in  seiner  äusseren  Hälfte  einen  15  Millim.  im 
Durchmesser  haltenden,  nach  oben  und  aussen  bis  zur  Serosa 
vordringenden,  gelben  Körper  erkennen.  Derselbe  besteht 
aus  einem  helleren,  mehr  als  erb  sengrosse  n ,  weicheren  Kerne 
und  aus  einer  peripherischen,  concentrisch  geschichteten, 
consistenteren  und  dunkleren  Rinde,  die  wiederum  durch  eine 


von  der  Ueberwindercmg  dos  menschlichen  Eies.       297 

bindegewebige  Kapsel  theils  mit  dem  Slroma  des  Eierstocks, 
theils  mit  der  anliegenden  Serosa  adhärirL 

„Die  linke  etwa  8  Ctni.  lange  Tube  zeigt  sammt  dem 
Ligamentum  latum  an  Ihrer  Serosa-  kurze  und  lange,  frei 
herabhängende  Bindegewebsfaden. 

„Der  rechte  Eierstock  ist  4  Ctm.  lang,  derber  als  der 
linke  und  auf  seinen  beiden  Flächen  mit  zahlreichen  Narben 
bedeckt  und  stark  gekerbt.  Auch  dessen  beide  Flächen  sind 
mit  bindegewebigen  Excrescenzen  bedeckt.  Sein  äusserer 
freier  Rand  stösst  an  eine  Geschwulst,  den  Fruchtsack.  Ein 
Längendurchschnitt  lässt  ausser  einigen  slecknadelknopfgrossen 
Höhlen  (Graafschen  Follikeln)  bloss  ein  hanfkorngrosses, 
blau -schwarz  pigmentirtes  Corpusculum  nigruni  erkennen. 

„Die  rechte  Tube  ist  bis  zu  ihrem  Fransen trichter  ge- 
messen, der  zum  Fruchtsack  umgewandelt  erscheint,  7  Ctm. 
lang  und  beginnt  von  ihrer  Mitte  an  nach  aussen  sich  in 
einen  derben,  fleischigen,  von  stellenweise  rauher  Serosa 
überzogenen  Strang  zu  verdicken. 

„Zwischen  rechtem  Eierstock  und  rechter  Tube  schräg 
Vom  Ligamentum  ovarii  nach  aussen  und  oben  zur  Tube 
herüberlaulend  befindet  sich  eine  melir  als  haselnussgrosse 
Kjste  mit  sehr  dunner  Wand. 

„Der  etwa  gänseeigrosse  Fruchtsack  lag  länglich  rund 
hinter  der  rechten  Tube  und  dem  rechten  Eierstocke  hin- 
gestreckt, mit  der  ersten  und  wahrscheinlich  auch  diesem 
▼erwachsen.  '  Nach  aussen  erscheint  die  Oberfläche  glatt,  durch1 
das  yerdickle  Peritonäura  gebildet,  nach  innen  aber  rauh, 
lilzig,  aus  bindegewebigen  Häuten  und  Fibrinmassen  bestehend. 
Ob  und  wie  hier  Verwachsungen  mit  anderen  Beckeneingeweiden 
stattgefunden  haben,  lässt  sich  nicht  mehr  ermitteln,  sicherlich 
bestand  keine  Verwachsung  mit  dem  Uterus,  dessen  hintere 
Wand,  wie  schon  bemerkt,  ganz  glatt  ist  Die  Wände  des 
Fruchtsackes  besteben  nach  aussen  aus  dein  Peritoneum,  einer 
starken  Muskelschichte,  Chorion  und  Amnion  und  sind  etwa 
2  Linien  dick.  Nach  innen  besieht  die  Wand  hauptsächlich 
aus  der  durch  parenchymatöse  Blutung  bis  auf  2  Zoll  ver- 
dickten Placenta,  welche  die  Eihäute  bucklig  gegen  die 
Fruchthöhle  hineintreibt  Serosa  und  Muskelschichte  sind 
hier  nicht  mein*  erkeunbar. 

Mon*U«chr.  f.  <4el»nrt>«k.  186-2    Bd.  XX.,  Hft.4.  20 


298  XIV.     Kussmaul,  Weitere  Beiträge  anr  Lehre 

„Die  Frucht  ist  Aber  zwei  Monate  alt,  41/*  Ctm.  lang, 
Finger  und  Zehen  schon  deutlich  getrennt,  die  NabeJöflhung 
enthält  die  Darm  schlinge  nicht  mehr,  der  Nabelstmng  ist 
noch  nicht  gewunden,  eine  Glitoris  oder  Penis  ragt  weit  hervor, 
der  Sinus  urogenitalis  ist  noch  offen." 

Da  das  Corpus  luteum  links,  die  Eileiterschwangerschaft 
im  Fransenende  rechts  ist,  so  muss  das  Ei  aus  dem  linken 
Eierstocke  In  den  rechten  Eileiter  herüber  gelangt  sein.  Ich 
halte  es  für  unwahrscheinlich,  dass  das  Ei  den  weiten  Umweg 
durch  den  linken  Eileiter,  die  Gebärmutter  und  die  ganze 
Länge  des  rechten  Eileiters  genommen  habe,  zumal  die  auf 
den  mittleren  Theil  des  rechten  Eileiters  drückende,  mehr 
als  haseiiiussgrosse  Kyste  ihm  auf  dieser  Wanderung  hinderlich 
gewesen  sein  würde. 

Somit  verdient  die  Annahme  den  Vorzug,  dasselbe  sei 
aus  dem  linken  Eierstocke  auf  kürzerem  Wege  entweder 
unmittelbar,  oder,  nachdem  es  eine  Strecke  durch  die  Bauch- 
höhle zurückgelegt,  in  den  rechten  Eileiter  gelangt,  kurzum 
es  habe  eine  Transmigratio   extrauterina   stattgefunden. 

Das  Vorkommen  einer  extrauterinen  Ueberwanderung  beim 
Menschen  ist  durch  zwei  Beobachtungen,  wie  mir  scheint, 
hinreichend  gesichert 

1)  OMham  und  Wharton  Jones  fanden  bei  einer 
Graviditas  interstitialis  der  linken  Seite  den  gelben  Körper  in 
rechten  Eierstocke.  Das  Fransenende  des  rechten  Eileiters 
war  verschlossen  und  die  Verscbliessung  schien  den  beiden 
Beobachtern  von  so  altem  Datum,  dass  sie  behaupten,  das 
Ei  habe  unmöglich  auf  dieser  Seite  eindringen  können.  Die 
Portio  uterina  des  linken  Eileiters  war  durch  falsche  Bander 
zur  hinteren  Wand  der  Gebärmutter  gezogen,  auch  am  offenen 
Fransenende  dieses  Eileiters  fanden  sich  falsche  Bänder,  und 
Wharton  Jones  nahm  deshalb  an,  dasselbe  sei  durch  diese 
Bänder  in  Berührung  mit  dem  rechten  Eierstocke  gestanden, 
und  habe  das  aus  dem  letzteren  abgelöste  Ei  unmittelbar 
aufgenommen.  (Vergl.  Kussmaul^  Von  dem  Mangel,  der 
Verkümmerung  und  Verdoppelung  der  Gebärmutter  u.  s.  w, 
Würzburg  1859.    S.  339.) 


von  der  Ueberwaadernng  de*  menschlichen  Eies.        299 

2)  Rokitansky  iand  bei  einer  verstorben«*  Pawpera 
nach  einer  Graviditas  uterina  den  gelben  Körper  links»  den 
gezerrten  Bauchtheil  des  linken  Eileiters  in  der  Lange  von 
fast  2  Zoll  verödet,  verdünnt,  undurchgingig,  sein  Fransen* 
ende  oberhalb  der  oberen  Bechenanerüir  mit  dem  Gekröse 
des  Signa  romanom  verwachsen,  den  rechten  Eileiter  wegsein. 
Rokitansky  glaubt  ans  der  Innigkeit  und  Art  der  Verwachsung 
des  linken  Fransenendes  und  dem  hohen  Orte  derselben 
scWiessen  zu  dürfen,  dass  sie  schon  vor  der  letzten  Con- 
ceplan und  zwar  zur  Zeit  einer  der  vorausgegangenen  puer- 
peralen Vergrößerungen  des  Uterus  zu  Stande  gekommen  sei. 
Demnach  wäre  das  Ei  aus  dem  linken  Eierstocke  durch  den 
rechten  Eileiter  iu  die  Gebärmutter  eingewandert  (Aügem. 
Wiener  media  Zeitung,  1860,  Na  20).  ' 

Die  extrauterine  Ueberwanderung  des  Eies  hat  in  dem 
Falle  von  Rokitansky  zur  Graviditas  uterina,  in  den)  von 
Oldham  zur  Graviditas  interstitialis,  in  unserem  zur  Graviditas 
tubaria,  und  zwar  innerhalb  des  Fransen  trichtere,  gefäbrL 
Man  kann  darnach  eben  so  viele  Stationen  derselben  aufstellen. 

Wäre  in  diesen  drei  Fällen  durch  Adhäsionen  der  noch 
offene  Fransentrichter  des  einen  Eileiters  mit  dem  Eierstocke 
der  anderen  Seite  in  wimitteatare  Berührung  gebracht  gewesen, 
so  läge  der  Vorgang,  welcher  der  Traasmigratio  extrauterine 
an  Grunde  liegt,  sehr  klar  und .  einfach  vor  unseren  Augen. 
Das  abgelöste  Ei  könnte  unmittelbar  aus  dem  Eierstocke  in 
den  Eileiter  der  anderen  Seite  gelangt  sein.  Nun  sind 
aber  solche  Adhäsionen  nur  in  dem  Falle  von 
Oldham  wahrscheinlich  vorhanden  gewesen,  und 
Klob  (Wochenblatt  der  Zeitschr.  der  k,  k.  Gesellschaft  der 
Aerzte  in  Wien,  1861,  No.  40)  versuchte  deshalb  neulich, 
die  hieraus  erwachsenden  Schwierigkeiten  durch  den  Hinweis 
auf  die  Leichtigkeit  zu  beseitigen,  womit  man  in 
vielen  Fällen  an  der  Leiche  das  Fransenende  des 
Eileiters  der  einen  Seite  und  den  Eierstock  der 
anderen  gegeneinander  bewegen  und  miteinander  in 
Berührung  bringen  kann.  Eine  solche  Lageveränderung 
müsse  auch  zu  Lebzeiten  mitunter  durch  Druckkräfte,  die  in 
der  Beckenhöhle   wirksam   würden,  zu  Stande  kommen  und 

30* 


300  XIV.     Kussmaul,  Weitere  Beiträge  sttr  Lehre 

die  Umfassung  des  Eierstocks  durch  die  raenstruale  Schwellung 
und  Verlängerung  des  Eileiters  erleichtert  werden. 

Unzweifelhaft  ist  das  von  Klob  hervorgehobene  Verhalten, 
auf  welches  auch  ich  schon  früher  bei  Sectionen  aufmerksam 
gewesen  bin,  von  Bedeutung,  aber  ich  halte  eine  Be- 
rührung von  Eierstock  und  Fransentrichter  nicht 
für  unumgänglich  nothwendig  zur  Einleitung  des 
abgelösten  Eies  in  den  Trichter. 

Bei  vielen  Amphibien  und  Fischen  ist  es  eine  aus- 
gemachte Sache,  dass  die  Berührung  nicht  nothwendig  ist. 
J.  Müller  (Handbuch  der  Physiologie,  Bd.  IL,  2,  S.  645)  sagt: 

„Weniger  noch  ist  der  Uebergang  der  Eier  in  die  Tuba 
bei  denjenigen  Thieren  begreiflich,  deren  Tubenmündung  weit 
vom  Eierstocke  entfernt  liegt,  wie  bei  den  nackten  Amphibien, 
wo  das  Ende  der  Tuba  bis  in  den  obersten  Theil  der  Bauch- 
höhle und  weit  über  den  Eierstock  hinaufreicht ,-  und  bei  den 
Haien  und  Rochen,  wo  die  Verhältnisse  die&er  Aufnahme  noch 
ungünstiger  sind.  Denn  hier  befindet  sich  die  gemeinschaft- 
liche Mündung  beider  Tuben  in  der  Mitte  über  der  lieber, 
unter  dem  Zwerchfelle,  welches  die  Fovea  cardiaca  von  der 
Bauchhöhle  absondert.  Die  Eierstöcke  dagegen  befinden  sich 
nach  aussen  von  der  Leber,  oder  auch  bei  einigen,  den 
Scyllium,  Mustelus  und  Carcharias,  in  der  Mitte  unter  der 
Leber  vor  der  Wirbelsäule.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass 
hier  die  Wimperbewegung  der  Oberfläche  zwischen  Eierstock 
uud  Tuba  vermittelnd  eintritt.  Dafür  spricht  die  von  Mayer 
am  Peritonäum  der  Frösche  entdeckte  Wimperbewegung. 
Diese  Bewegung,  welche  sich  in  den  Tuben  der  Säugethiere 
bis  auf  die  innere  Fläche  der  Fimbrien  erstreckt,  muss  auch 
bei  den  Säugethieren  vielen  An  theil  an  der  Aufnahme  des 
Eies  iu  die  Tuben  haben.  Heule  hat  beim  Menschen  auch 
an  der  äusseren  Oberfläche  der  Fimbrien  noch  Fluniner- 
epithelium  beobachtet." 

Die  Gegenwart  des  Flimmerepithels  auf  der  Bauchfell- 
flache    der    Fransen    wurde    von    0.   Becker    (MoleschoWs 

1)  Valentin  sah  auch  bei  Rochen  das  Bauchfell  zwischen 
Leber  und  Eierstock,  vor  den  Nieren  und  den  Ovarien  nnd  das 
Bauchfell  der  geschwänzten  Batrachier  flimmern.  (Wagner,  Hand- 
wörterbuch,   Bd.   I,   Art:   Flimmerbewegung.) 


von  der  Ueberwunderang  des  menachlichen  Elea.        301 

Unters.,  Bd.  IL,  H.  1,  S.  71  —  99,  1857)  bestätigt,  ebenso 
die  Angaben  von  Purkinje,  Valentin,  Bischoff  u.  A.,  dass 
die  Richtung  der  Wimperschwingungen  des  Flimmerepithels 
der  Eileiter  von  der  Bauchhöhle  gegen  die  Gebärmutterhöhle 
gerichtet  ist.  Mit  Recht  hat  Becker  deshalb  angenommen, 
dass  in  der  serösen  Feuchtigkeit  an  der  Oberfläche 
des  Bauchfells  ein  constanter  Strom  in  der  Richtung 
gegen  die  Tnbenmündungen  stattfinde.  —  Ich  füge 
nur  hinzu,  dass  während  der  Menstruation  durch  die  Congestion 
zu  den  Genitalien  und  das  Bersten  des  Follikels  die  Wasser- 
schicht im  Bauchfellsacke  zwischen  den  Eingeweiden  der  Becken- 
höhle und  die  Triebkraft  des  Stromes  vermehrt  werden  muss. 
Platzt  irgendwo  am  Ovarium  ein  Follikel  und  schwimmt 
das  Ei  in  seiner  Follicular-Flüssigkeit  in  den  Bauchfellraum, 
so  wird  es  mit  derselben  jenem  Ostium  fimbriatum  zugetrieben 
werden ,  dessen  Strömung  sich  am  bemerklichsten  für  dasselbe 
macht,  d.  i.  in  den  meisten  Fällen  dem  Ostium  der  gleich- 
seitigen Tube.  Ist  das  Ei  auf  der  vorderen  Fläche  des 
Eierstocks  ausgetreten,  so  ist  es  in  der  zwischen  Eierstock 
und  Tube  liegenden  Bauchfelltasche  sicher  aufgehoben  und 
wird  nicht  leicht  verfehlen,  mit  der  auf  dem  Lig.  tubo-ovariale 
befindlichen  Flüssigkeit  in  die  Bauchpforte  einzuströmen.  v  Ver~ 
lässt  das  Ei  die  hintere  Fläche,  so  kann  es  leicht  zu  Grunde 
gehen,  wenn  der  betreifende  Strom  zu  schwach  ist,  doch  ist 
die  Gefahr,  dass  die  von.  der  hinteren  Wand  herabfliessenden 
Eier  zwecklos  in  der  Bauchhöhle  zu  Grunde  gehen  (v.  Finck), 
gewiss  lange  nicht  so  gross,  als  es  den  Anschein  hat,  denn 
es  wird  keines  sehr  starken  Stromes  bedürfen,  um  das  leichte 
menschliche  Ei  auch  vom  hinteren  Uterinaltheil  des  Eierstocks 
her  gegen  die  Tube  zu  leiten.  Da  es  sich  hier  um  eine 
Art  von  capillärer  Strömung  handelt,  wird  das 
Ei  auch- der  Schwere  entgegen  in  verschiedener 
Richtung  durch  den  Rauchfellraum  sich  bewegen 
können,    was   von   der  grössten  Wichtigkeit  ist. 

Unter  einen  neuen  Gesichtspunkt  wurde  die  Lehre  von 
der  Einleitung  des  Eies  in  den  Fransentrichter  neuerdings 
von  Rouget  (Journal  de  la  Physiologie,  T,  L,  1858,  p.  320, 
479   und   735)   in    einer   grossen,    scharfsinnigen   und   sehr 


302  X1V«    Kuawnaul,  Weitete  Beitrage  mr  Lehre 

lesen&werthen  Abhandlung  gebracht  —  Er  läast  früher  tbatk 
unbeachtete,  theila  unbekannte  Muskelkräfte  in's  Spiel  treten. 

Für  die  Fisehe  und  Amphibien,  bei  welchen  Tuben- 
möndung  und  Eierstöcke  weit  von  einander  liegen,  hebt 
Beuget  die  Bedeutung  der  Bauchpresse  hervor,  wodurch 
die  Eier  in  die  offene  Mundung  des  Eileiters  getrieben  werden. 
Bei  Squatus  Acanthias  ist  der  Trichter  der  oben  verschmolzenen 
Eileiter  auch  einer  Erweiterung  durch  Muskelkraft  fähig. 
Unzweifelhaft  kann  bei  diesem  Thiere,  dessen  Eier  die  Grösse 
von  Hühnereiern  erreichen,  nur  eine  sehr  wirksame  Kraft, 
wie  die  Bauchpresse  sie  ausübt,  nicht  aber  die  Wimper- 
bewegung in  s  Mittel  treten.  Bei  Thieren  mit  kleinen  Eiern 
aber  mag  diese  letztere,  deren  Sauget  keine  Erwähnung 
thiit,  neben  der  Bauchpresse  von  Bedeutung  werden  und  die 
Hypothese  von  J.  Müller  richtig  sein. 

Für  die  Vögel,  Saugethiere  und  den  Menschen  glaubt  Rouget 
besondere  Muskelapparate  in  den  Gekrösen  der 
Eierstöcke  und  Eileiter,  beim  Menschen  also  namentlich 
im  Mesovarium  und  Ligamentum  lalum,  in  Gestalt  von 
Faserzügen  glatter  Muskeln1)  nachweisen  zu  können, 
welche,  durch  Reflex  angeregt,  während  der  Ovula- 
lation  den  Tubentrichter  gegen  den  Eierstuck  be- 
wegten und  ihm  gestatteten,  über  die  entferntesten 
Gegenden  des  letzteren  hinwegzugleiten  und  die 
ausgetretenen  Eier  aufzunehmen. 

Der  Wimperbewegung  als  möglicher  Ursache  der  Einleitung 
des  Eies  in  den  Trichter,  wenigstens  der  kleinen  Säugetliier- 
Eier  gedenkt  Rouget  merkwürdiger  Weise  auch  hier  mit 
keinem  Worte,  er  sucht  nur  zu  zeigen,  dass  die  gegenseitige 
Anlagerung  von  Tube  und  Eierstock  weder  durch  Wurm* 
bewegungen  des  Eileiters  noch  durch  eine  erectüe  Turgescenz 
desselben  bewirkt  werden  könne.  Erectiles  Gewebe  komme 
wohl   dem   Uterus   und   Ovariuin,   aber   nicht  der  Tube  zu» 


1)  Das  Vorkommen  glatter  Muskeln  in  diesen  Bändern  war 
schon  deutschen  Histologen  bekannt,  Rouget  aber  hat  sieb  ein- 
gehender mit  ihnen  beschäftigt,  als  irgend  Jemand  vor  ihm.  — ~ 
Qlatte  Muskelfasern  im  Ovarium  des  Menschen  beschrieb  Bonget 
floeret,  Ch.  Aeby  (Archiv  f.  Anat.,  1861,  No.  ö,  8.  635)  bestätigt 
die  Angabe,   deren  Richtigkeit  andere   Forscher  widersprechen. 


▼ob  der  Ueberwandernog  de«  mcnsohliohen  Eies.       808 

Jene  Theile  aeieq  einer  wahren  Steüiing  fähig,  indem  die 
Venenausgange  ihrer  erectilen  Massen  verengt  würden,  was 
durch  die  gleiohfidls  reflectorisch  erregten  glatten  Muskeln 
des  Mesovarium  und  Mesometrium  geschehe.  Auch  das 
Platzen  der  Follikel  soll  durch  glatte  Muskeln  in  den  Ovarien 
vermittelt  werden  und  die  Menstruation  Folge  der  erectilen 
Schwellung  des  Uterus  sein,  dessen  Schleimhaut  gelockert  werde. 
Rouget  huldigt  noch  der  alten,  von  Kiwiach  so  erfolg* 
reich  angegriffenen  Anschauung,  das  befranste  Ende  des 
Eileiteis  umfasse  den  Eierstock  nur  während  der  Ovulations- 
periode  und  verlasse  ihn  wieder  naoh  derselben.  Er  kennt 
offenbar  die  Einwürfe  nicht,  welche  von  dem  oben  genannten 
unvergessiichen  Forscher,  von  Hyrtl,  v.  Finck,  Sommer  u.  A. 
erhoben  wurden  und  die  durch  seine  Theorie  keineswegs  be- 
seitigt werden.  Es  ist  sehr  unwahrscheinlich,  dass  die  dürftigen 
Muskelfaserzüge  im  Ligam.  latum  und  Mesovarium  eine  Kraft 
entfalten  sollen,  gross  genug,  um  dem  über  alle  Unterleibs- 
organe gleichmässig  verbreiteten  Drucke  der  Bauchpresse  und 
dem  Widerstände  der  von  Gas  ausgedehnten  oder- mit  Roth 
gefüllten  Därme  entgegen  ein  so  wenig  resistentes  Gebilde 
wie  den  Eileiter  gegen  den  Eierstock  zu  bewegen  und'  seine 
zarten  Fransen  diesem  anzupressen.  Sind  die  Fransen  noch 
dazu,  wie  Rouget  behauptet,  der  Erectionsföhigkeit  baar,  so 
würde  dadurch  die  Theorie  von  der  Aufrichtung  der  Fransen 
2ur  Menstruattonszeit  schon  allein  widerlegt.  Zahlreiche 
Leichenuntersuchungen  nicht  menstrnirter  Frauen  (Kiwisch, 
Sommer)  haben  aber  auch  gezeigt,  dass  die  Fransen 
nicht  bloss  während  der  Menstruation,  sondern 
auch  vor  und  nachher  mit  ihrer  Schleimhautfläche 
dem  Eierstocke,  zumal  an  seiner  vorderen  Wand, 
anliegen.  Damit  fallt  die  grosse  Bedeutung,  welche  Rouget 
seinem  tubo-ovarialen  Muskelapparate  beilegt,  sofort  weg, 
in  den  meisten  Fällen  bedürfte  es  desselben  gar  nicht,  da 
Eierstock  und  Fransentrichtcr  sich  schon  berühren.  Kapselte 
würde  dann  nur  dazu  dienen  können,  den  Trichter  über  die 
Oberfläche  des  Eierstocks  zu  verschieben,  wogegen  sich  aber 
die  oben  geäusserten  Bedenken  erheben  dürften.  —+  Ich  wiH 
nach  diesen  Betrachtungen  dennoch  nicht  in  Abrede  stellen, 
dass  mitunter  der  Rougetxhe  Muskelapparat  günstige  Be* 


304  XIV.    Kussmaul,  Weitere  Beitrüge  cur  Lehre 

dingungen  finde,  die  ihm  einen  freieren  Spielraum  und  eine 
gewisse  Wirksamkeit  gestatten,  aber  dagegen  glaube  ich 
streiten  zu  dürfen,  dass  er  das  ausschliessliche  oder 
auch  nur  das  wesentliche  Mittel  zur  Einleitung  des 
Eies  in  die  Tube  sei.  Vergleicht  man  seine  Leistungs- 
fähigkeit und  die  der  tubären  Flimmerströme,  so  versprechen 
diese  ungleich  sicherere*  Erfolge.  Auch  die  trotz  reichlich 
vorhandener  falscher  Bänder  und  abnormer  Befestigungen  der 
Eileiter  so  häutig  zu  Stande  kommenden  Eileiter-  und 
Gebärmutter- Schwangerschaften  sprechen  nicht  zu  Gunsten 
der  Ansicht  Rouge?  &,  doch  ist  erst  eine  sorgfaltige  Revision 
einschlagender  Präparate  nöthig,  um  auf  diesem  Wege  ihre 
Unnahbarkeit  nachzuweisen. 

Kehren  wir  nach  dieser  Abschweifung  zu  der  von  J.  Mntter 
angebahnten  und  von  O.  Becker  weiter  geführten  Theorie 
der  Flimmerströmung  als  Ursache  der  Einleitung  des  Eies  in 
die  Tube  zurück,  und  suchen  wir  uns  an  ihrer  Hand  den 
Vorgang  der  extrauterinen  Ueberwanderung  zu  erklären,  so 
ergiebt  sich  Folgendes. 

Das  Ei  kann  aus  dem  Eierstocke  der  einen 
Seite  in  die  Tube  der  anderen  gelangen,  wenn  der 
Flimmerstrom  der  letzteren  seine  Triebkraft  allein 
oder  vorwiegend  auf  dasselbe  geltend  macht;  eine 
Berührung  beider  Organe  ist  zur  Ueberwanderung 
nicht  erforderlich,  da  der  Flimmerstrom  auch  auf 
Distanz  wirkt;  wie  nahe  sie  sich  kommen  müssen,  ist  zur 
Zeit  nicht  zu  sagen. 

In  den  Fällen  von  Oldham  und  Rokitansky  kann  nur 
Ein  Strom  zur  anderen  Seite  hin  existirt  haben,  da  die 
Tube  der  gleichen  Seite  verschlossen  war.  In  dem  von 
Maurer  beschriebenen  Falle  war  diese  nicht  verschlossen; 
ob  ein  Strom  aus  anderen  Gründen  nicht  bestand,  oder  nur 
zu  schwach  gegenüber  dem  der  entgegengesetzten  Tube  war, 
lässt  sich  nicht  entscheiden.  Beide  Eileiter  waren  an  ihrer 
Oberfläche  mit  falschen  Bändern  besetzt,  vielleicht  war  durch 
sie  die  Tube  der  gleichen  Seite  in  eine  ungünstigere  Stellung 
zu  dem  das  Ei  liefernden  Eierstock  gebracht,  als  die  der 
anderen  Seite;   freilich   lässt   sich   bestimmt  behaupten,   dass 


tob  dar  Ueberwanderong  des  mensch  liehen  Ries.       306 

die  leUtere  (rechte)  nicht  mit  der  ganz  glatten  Hinterfläch* 
de*  Uterus  verwachsen  war,  aber  dessenungeachtet  kann  und 
wird  sie  dem  linken  Eierstocke  nahe  gelegen  sein. 


Während  bei  der  eitraiterlnen  Ueberwanderung 
das  Ei,  das  seinen  Eierstock  verlassen  hat,  durch 
die  Tube  der  anderen  Seite  seinen  Weg  zum  Uterus 
ganz  oder  theilweise  zurückgelegt,  gelangt  es  bei 
der  intrauterinen  Ueberwanderung  zwar  auf  dem 
gewöhnlichen  Wege  in  den  Uterus,  setzt  aber 
seinen  Weg  zur  anderen  Hälfte  des  Uterus  oder  in 
die  Tube  der  anderen  Seite  fort.  —  Diesen  beiden 
Anomalien  der  Eibewegung  würde  sich  als  eine  dritte  jene 
anschliessen,  wo  das  Ei  zu  weit  abwärts  wandert,  wie 
bei  Placenta   praevia   oder  de»   seltenen  Graviditas  cervicalis 

Dass  aus  dem  Eierstocke  der  einen  Seite  das  Ei  in  die 
entgegengesetzte  "Hälfte  einer  einfachen  Gebär- 
mutter  gelangen  kann,  wird  schon  dadurch  bewiesen,  dass 
man  die  Placentarwunde  nicht  selten  auf  der  dem  Eierstocke 
mit  dem  Corpus  luteum  entgegengesetzten  Seite  findet,  sogar 
nahe  an  der  Einmündung  des  entgegengesetzten  Eileiters. 
Ganz  schlagend  aber  ist  die  Beobachtung  FtrcAotc's,  der  ein 
kaum  wallnussgrosses  Ei  in  der  Decidua  reflexa  auf  der 
rechten  Seite  des  Uterus  nahe  an  der  Einmündung  der  Tube 
fand,  während  der  linke  Eierstock  das  Corpus  luteum  ent- 
hielt (Virchow,  Gesammelte  Abhandl.,  S.  776). 

Da  diese  Tbatsachen  feststehen,  das  Ei  sonach  bis  an 
die  Einmündungsstelle  der  andersseitigen  Tuba  herüberbewegt 
werden  kann,  so  ist  es  gewiss  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
es  auch  ausnahmsweise  in  diese  Tube  gelangen 
könne,  was  Klob  (a.  a.  0.)  bezweifelt.  Ich  habe  in  meinem 
oben  citirten  Werke  (S.  358)  die  Gründe  zusammengestellt, 
welche  dafür  sprechen,  dass  der  anscheinend  so  starre  Uterus 
des  menschlichen  Weibes  während  der  Menstruation,  zumal 
nach  erfolgter  Conception  kräftiger  musculärer  Bewegungen 
fähig  ist,  wodurch  sein  Inhalt  nicht  bloss  nach  abwärts, 
andern  auch  nach  aufwärts  bewegt,  werden  kann.  Es  steht 
also  der  Annahme,  dass  ein  Ei,  was  von  .der  linken  Tube 


306  XIV.     Kussmaul,  Weitere  Beitrüge  tut  Lehre 

hereinkommt,  in  die  rechte  binetngepresst  werden  kann, 
theoretisch  nichts  im  Wege,  zumal  bei  Thieren  mit  Uten» 
bicornis  die  Wanderung  ans  einem  Hörn  in's  andere  hin- 
reichend erwiesen  ist.  In  der  That  halte  ich  es,  noch  heule 
für  wahrscheinlich,  dass  der  Fall  von  Tubarschwangerschaft, 
den  ich  im  Jahre  1857  beobachtete  und  aus  einer  intrauterinen 
üeberwanderung  des  Eies  herleitete  (a.  a.  0.  S.  324),  wirklich 
auf  diese  Weise  zu  Stande  kam.  Doch  gebe  ich  Rlob  bereit- 
willig zu,  dass  ein  Präparat  die  intrauterine  üeberwanderung 
bei  Graviditas  tubaria  nur  dann  zweifellos  darthun  würde, 
wenn  das  Fransenende  der  schwangeren  Tube  in  solcher 
Weise  verschlossen  wäre,  dass  man  daraus  sicher  entnehmen 
könnte,  der  Verschluss  habe  schon  vor  der  letzten  Conception 
stattgefunden.  Ich  habe  auch  in  meinem  Buche  nicht  gewagt, 
meine  Ansicht  von  der  Sache  als  ganz  ausgemacht  richtig 
hinzustellen.  * 

Die  Gründe,  welche  mir  für  Transmigratio  intrauterina 
zu  sprechen  schienen,  waren:  1)  Die  Wegsamkeit  beider 
Eileiter;  2)  der  Mangel  jeder  Spur  einer  Verziehung  des 
schwangeren  linken  Eileiters  gegen  den  rechten  Eierstock  hin, 
der  das  Corpus  luteum  trug  und  die  nichts  Besonderes 
bietenden  Lageverhältnisse  der  inneren  Genitalien  überhaupt; 
3)  der  Sitz  des  Fruchtsackes  so  nahe  der  Uterushöhle;  die 
Schwangerschaft  war  fast  interstitiell  zu  nennen;  4)  die 
Partie  des  schwangeren  Eileiters  vom  Uterin -Ende  bis  zum 
Fruchtsack  war  weiter,  als  die  entsprechende  des  Eileiters 
der  anderen  Seite,  was  das  Eintreten  eines  Eies  vom  Uterus 
her  begünstigen  musste;  endlich  5)  die  grosse  Geneigtheit 
der  Person  zu  hysterischen  Krämpfen   und  Menstrualkoiiken. 

Es  ist  in  hohem  Grade  merkwürdig,  dass  trotz  der  sehr 
geringen  Zahl  von  Beobachtungen ,'  welche  über  Schwanger- 
schaft in  rudimentären  Uterushörnern  neben  aus- 
gebildeten einhörnigen  Uteris  bekannt  sind,  die  Üeber- 
wanderung gerade  hier  schon  zwei  Mal  constatirt  worden 
ist.  Ja  es  ist  ein  solcher  Fall,  bei  welchem  überhaupt 
zuerst  die  Üeberwanderung  erkannt  wurde,  ich  meine  die 
Beobachtung  von  Dtejer  und  Eschricht  m  Kopenhagen  aus 
dem  Jahre  1884  (8eite  145  meines  Boches)« 


von  fUr  Ueberwandemng  des  menschlichen  Eies.       807 

Vor  wenigen  Tagen  erfreute  midi  Herr  Prof.  Eschriekt 
durch  einen  Brief,  worin  nur  dieser  so  verdiente  Forsdber 
die  Ergebnisse  einer  küretitcb  erneuerten  Untersuchung  des 
Drejer'&ehen  Präparates  mittbeilt.  Er  bestätigt  die  Deutung, 
welche  ich  von  jenem  Präparate  angeblicher  Eileiterschwanger- 
schaft 1858  gegeben  habe.  Es  handelt  sich  in  der  Thal 
nur  um  einen  Uterus  unicornis  sinister  mit  verkümmertem, 
aber  geschwängertem  rechten  Nebenborne.  Das  letztere  hängt 
(nach  einer  beigefugten  schematischen  Zeichnung)  durch  einen 
Jangen  schmalen  Stiel  in  der  Gegend  des  inneren  Mutter- 
mundes mit  dem  linken,  mit  einer,  wie  bemerkt  wird,  dicken 
Decidua  versehenen  Uterus  zusammen;  dieser  Stiel  enthält 
einen  früher  unentdeckt  gebliebenen,  eine  sehr  starke  Sonde 
bequem  durchlassenden,  an  beiden  Enden  aber  anscheinend 
blinden  Gang;  der  äussere  zum  Fruchtsack  umgewandelte 
Tbeil  des  Nebenhorns  giebt  das  Ligamentum  teres  dextrum  ab; 
seine  Wand  besitzt  die  fleischige  Structur  eines  schwangeren 
Uterus  mit  reichlich  eingeflochtenen  Gefässen  und  erreicht  die 
Dicke  von  1%  Zoll;  der  Fruchtsäck  ist  nach  aussen  um- 
gestülpt, seine  Convexität  von  der  Placenta  besetzt,  seine 
Goncavität  vom  Peritonäum  bekleidet;  rings  um  die  Oeffhung 
der  Rissstelle  erscheint  er  sphineterartig  fest  eingeschnürt. 
Die  genauere  Untersuchung  der  Art  und  Weise,  wie  diese 
Umstülpung  zu  Stande  kam,  behält  sich  Herr  Eschricht  vor. 
Dass  in  diesem  merkwürdigen  Falle  ein  Uebergang  des  Eies 
vom  linken  Eierstocke  zum  rechten  Nebenhorne  stattfand, 
daran  ist  nicht  zu  zweifeln.  Herr  Eschricht  bemerkt,  dass 
er  es' für  wahrscheinlicher  gehalten  habe,  dass  die  Ueber- 
Wanderung  auf  extrauterinem,  als  auf  intrauterinem  Wege  zu 
Stande  gekommen  sei,  wobei  er  jedoch  fär  seine  Person 
keineswegs  an  ein  Ergreifen  des  Eierstocks  durch  die  Tube 
der  anderen  Seite  „wie  mit  Fingerspitzen "  gedacht  habe, 
sondern  nur  an  ein  Anschmiegen  der  Scjjleimhäutflächen  der 
Fimbrien  an  das  Ovarium.  Diese  Bemerkung  hat  wohl  darin 
ihren  Grund,  dass  Direjer  in  seiner  Mittheilung  die  Vermuthung 
aussprach,  es  möchten  die  Fransen  des  rechten  Eileiters  das 
abgelöste  Ei  des  linken  Eierstocks  ergriffen  haben,  welcher 
Ausdrucksweise  die  damals  noch  sehr  verbreitete  teleologische 


208  XIV*    Kv***a*l,  Weitere  Beitrüge  zur  Lehre 

Anschauung  des  Vorganges  von  der  Einleitung  des  Eies  in 
den  Fransentrichter  durch  ein  instinetives  Ergreifen  des  Eies 
mit  den  Fransen  zu  Grunde  gelegen  hat1) 

Offenbar  gebührt  Eschrichi  das  Verdienst,  zuerst  den 
Vorgang  der  Ueberwanderung  erkannt  an  haben.  — 

Die  andere  Beobachtung  verdanken  wir  Scanzoni;  er 
betrachtet  die  Ueberwanderung  als  intrauterin  erfolgt  und 
durch  das  Flimmerepithel  vermittelt. 

Es  entsteht  nun  zunächst  die  Frage,  kommt  in  solchen 
Fällen  die  Ueberwanderung  auf  extrauterinem  oder  intra- 
uterinem Wege  zu  Stande? 

Klob  entscheidet  sich  für  den  extrauterinen  Weg.  Die 
intrauterine  Ueberwanderung  scheint  ihm  nicht  hinreichend 
bewiesen  zu  sein,  während  das  Vorkommen  der  extrauterinen 
durch  die  Beobachtungen  von  Oldham  und  Rokitansky 
gesichert  sei.  Dagegen  ist  nun  zu  bemerken,  dass  die 
intrauterine  Ueberwanderung  nur  als  Ursache  der 
Eileiterschwangerschaft  nicht  vollkommen  sicher 
gestellt  ist,  wohl  aber  die  intrauterine  zur  anderen 
Seite  der  Uterushöhle,  und  beim  Hund,  Reh  und 
Meerschweinchen  mit  Uterus  bicornis  infra  simpler 
auch  die  von  einem  Hörn  in 's  andere.  Es  handelt 
sich  aber  bei  der  in  Frage  kommenden  Uterusform  um  die 
Wiederholung  ähnlicher  Verhältnisse,  wie  bei  den  Thieren  mit 
Uterus  bicornis  infra  simplex,  und  die  Häufigkeit  der  Ueber- 
wanderung gerade  bei  ihr  ist  auffallend.  Wie  vorsichtig  man 
hier  mit  einer  bestimmten  Entscheidung  für  den  extraiflerinen 
Weg  sein  muss,  lehrt  die  Versicherung  des  vielerfahrenen 
Bischoff,  dass  er  bei  den  Kaninchen,  die  einen  bis 
zum  Muttermunde  herab  gedoppelten  Uterus  haben, 
niemals     eine     Ueberwanderung     überhaupt     con- 

1)  Deshalb  nannte  ich  in  meinem  Buche  die  Auffassung 
Drejer's  eine  kindliche.  Klob  hat  mich  missverstand  cd,  wenn  er 
meint,  ich  betrachte  die  Lehre  von  der  extrauterinen  Ueber- 
wanderung überhaupt  als  eine  kindliche  Anschauung.  Ich  führe 
ja  in  meinem  Buche  (S.  341)  den  Fall  Ton  Oldham  als  ein  Bei- 
spiel von  extrauteriner  Ueberwanderung  ausdrücklich  an. 


von  der  Ueberwandenmg  des  menschlichen  Eies.       309 

statiren  konnte.  Die  extrauterine  Ueberwanderung  muss 
demnach  bei  den  Tfaieren  mit  Uterus  bicornis  sehr  schwierig 
zu  Stande  kommen,  während  die  intrauterine,  sobald  eben 
nur  die  Hörner  überhaupt  mit  einander  communiciren,  ein 
gewöhnliches  Vorkomipen  ist  Ich  niuss  nun  aber  auch  noch 
darauf  aufmerksam  machen,  dass  die  Lageverhältnis6e  der 
inneren  Genitalien  bei  der  uns  beschäftigenden  Uterusfora) 
des  menschlichen  Weibes  die  extrauterine  Ueberwanderung 
sehr  zu  behindern  scheinen.  In  zwei  von  mir  genauer  darauf 
untersuchten  Fällen  (a.  a.  0.  S.  112,  Fig.  35,  und  Bosenburger, 
Sechs  Fälle  von  Uterus  bicornis,  Diss.,  Erlangen  1801,  Fall  V.) 
lagen  die  Tuben  der  unentwickelten  Nebenhörner 
sehr  weit  entfernt  von  den  Eierstöcken  der 
anderen  Seile  und  gut  befestigt  hoch  oben  am 
Beckeneingange.  Doch  sind  in  dieser  Beziehung  weitere 
anatomische  Untersuchungen  anzustellen.  —  Einstweilen  scheint 
mir  die  intrauterine  Ueberwanderung  aus  dem  entwickelten 
Hörn  in  das  verkümmerte  Nebenhorn  der  wahrscheinlichere 
Vorgang. 

Erfolgt  die  Ueberwanderung  wirklich  von  Hom  zu  Hörn, 
so  könnte  an  das  Flimmerepithel  als  das  Beförderungsmittel 
des  Eies  gedacht  werden,  wie  Scanzoni  that.  Doch  ist 
dies  unwahrscheinlich,  weil  das  Flimmerepithel  der  Uterus« 
Schleimhaut  während  der  Menstruation  abgestossen  zu  werden 
pflegt,  und  so  bliebe  denn  nichts  übrig,  als  an  die  contractilen 
Elemente  in  den  Wänden  der  Uterushörner  selbst  zu  appelüren, 
durch  deren  Thätigkeit  das  im  Secrete  der  Schleimhaut 
schwimmende  Ei  die  Ortsveränderung  einginge. 


Schliesslich  theile  ich  folgende  genauere  Angaben  ober 
ejnen  Fall  von  Eileiterschwangerschaft,  in  welchem  wahr* 
scheinlich  das  Ei  übergewandert  ist,  so  wie  ich  sie  der  Gute 
des  Herrn  Dr.  Antonio  Agostini  in  Verona  verdanke,  mit 
Ich  habe  den  Fall  S.  339  meines  Buches  nach  einer  dürftigen 
Notiz  \n  Meissners  Forschungen  des  19.  Jahrhunderts, 
Bd.  IV.,  S.  77,  erwähnt,  ausführlich  ist  er  in  den  mir  nicht 
zugänglich  gewesenen  Annali  universali  de  Medicina,  compilati 


310  XIV,     Kunmaul,  Weitere  Beitrage  wr  Lehre 

da  Annibale  Qmodei,  1685,  eingetragen,  unter  den  Titel: 
Storia  di  una  gravidanza  della  feiba  faüopiana  sinistra  etc. 
dei  Prof.  G.  JB. 

„Es  ist  etwas  zweifelhaft,  wer  dieser  Professor  O.  B. 
gewesen  sei,"  sagt  mein  Gewährsmann,  wdnt.  Agostim,  „und 
wo  der  Fall  stattgefunden  habe;  denn  im  Aufsätze  ist  jedes 
Wort,  jeder  Wink  sorgfältig  vermieden,  wodurch  das  Publik«« 
aber  das  Individuum  einen  näheren  Ausschluss  hatte  gewinnen 
können.  Wir  meinen  aber,  dass  unter  diesen  Buchstaben 
Professor  Oictcomo  BarzeUötti  zu  lesen  sei  und  wir  haben 
allen  GrutM,  diese  Meinung  aufrecht  zu  erbalten.  Batrzettotti 
war  Professor  der  gerichtlichen  Medicin  in  Pisa  und  wird 
noch  heut  zu  Tage  als  tüchtiger  Beobachter  und  aus- 
gezeichneter Schriftsteller  sehr  hoch  geschätzt.  —  Der  Fall 
wird  von  ihm  bundig  beschrieben  und  zwar  nach  dem  Berichte 
sweier  ganz  verlässiger  Aerzte,  welche  das  visum  et  repertum 
der  gerichtlichen  Section  verfassten  und  dasselbe  sammt  dem 
Präparate  als  pathologisches  Curiosum  dem  Professor  zu« 
schickten.  Barzellotti  sagt  in  seinem  Aufsatze,  dass  das 
Präparat  im  Museo  niedergelegt  worden  ist;  wenn  also 
Barzellotti  der  Verfasser  ist,  so  sollte  das  Präparat  im 
Pisanischen  Museum  noch  immer  aufbewahrt  werden.  —  Es 
handelte  sich  um  ein.  18j9fcriges  Mädchen»  welches  plötzlich 
von  heftigen,  wehenartig  intermitürenden  Schmerzen  im 
Unterleibe  befallen  worden  war;  es  folgte  bald  darauf  Er- 
brechen, eine  tiefe  Ohnmacht  und  der  Tod.  Das  Mädchen, 
einer  guten  Familie  angehörend,  genoss  einen  unbefleckten 
Ruf,  erfreute  sich  immer  der  besten  Gesundheit,  und  nur 
einige  Tage  vor  seinem  Tode  war  eine  gewisse  Wehmuth  in 
seinen  Zügen  zu  merken.  " —  Des  plötzlichen  Todes  halber 
wurde  die  gerichtliche  Obduction  angeordnet,  welche  im 
Beisein  eines  Richters,  eines  Arztes  und  eines  Wundantes 
staltfand.  Der  Familie  sowohl  als  der  weiteren  Umgebung 
war  die  wahre  Ursache  des  plötzlichen  Ablebens  des  Mädchens 
ganz  unbekannt,  und  da  die  Gommission  darüber  ans  den 
ebenso  geschickt  als  schonend  erhobenen  Erkundigungen 
Gewissfaeit  erhielt,  beobachtete  sie  das  tiefste  Geheimnis« 
über  den  gerichtlichen  Befund.     Derselbe  war  folgender: 


von  dfcr  tUberWanderong  de*  meneeMlchta  Eies.      311 

.„Keine  Spur  von  Verfettungen  oder  sonstigen,  finsserlich 
wahrnehmbaren  Veränderungen  de*  Körpers.  Nur  der  Um- 
kreis des  Nabels  und  die  ganze  linke  untere  Seite  des 
Unterleibs  stark  ecchymotisch.  Bei  Eröflbung  des  Cavum 
abdominale  fand  nta«  eine  ungeheure  Menge  ergossenes  und 
theilweise  geronnenes  Blut,  und  wahrend  der  Beseitigung 
desselben  stiess  man  auf  einen  rundlichen  Körper  von  der 
doppelten  Grosse  eines  Gänseeies,  welcher,  von  durch- 
scheinenden Membranen  überwogen,  einen  kleinen  Fötus  deut- 
lich durch  dieselben  erkennen  liess.  Der  Fötus  schwamm  in 
seinen  Wassern,  zeigte  Tiermonatliche  Grosse  und  männliches 
Geschlecht. 

„Der  linke  Eileiter  war  an  der  Stelle,  wo  er  die  Frucht 
beherbergte,  zerrissen.  Der  Riss  war  im  Mittelpunkte  der 
Placentarintfertion.  Der  ÄerreisÄung  der  Eileiterwinde  gesellte 
sich  auch  die  des  Nabelilrangs  hinsu,  wofcef  die  starke 
Blutung,  der  Fall  des  Eies  in  die  Bauchhöhle,  der  Tod  der 
Mutter  und  der  Frucht 

„Bei  der  genaueren  Präparirung  der  Gebärmutter  -und 
ihrer  Adnex*  fand  ttiatt: 

1)  Die  Gebärmutter  um  etfeas  grösser  als  gewöhnlich,  ihre 
Farbe  lebhafter,  ihre  Substanz  weicher  und  an  der 
inneren  Seite  mit  tfnewi  schwammigen,  weissgelblichen, 
membranöseö  Ueberzug  —  einer  Decidua  —  überkleidet 

2)  Der  rechte  -Eileiter  war  in  seinem  Lumen  etwas  er- 
weitert, mit  stark  ausgebildeten  Gelassen  versehen  und 
ziemlich  gewunden. 

3)  Beide  Eierstöcke  waren  verfritesert,  der  rechte  Enthielt 
einen  entschieden  gelben  Korper. 

4)  Keine  pathologische  Veränderung  an  den  ftowwren 
Genitalien,  keine  an  den  traten  und  runden  Mutter- 
bänden. 

(>)  Die  Arteria  et  vena  spermatica  der  linken  Seite  er- 
weitert 

6)  Der  lmke  Eileiter  eu  einein  Sacke  ausgedehnt ,  darb 
und  mit  starken  GeAssen  versehen;  sein  freies  finde 
umfassie  noch  immer  den  Eierstock;  das  andere  Ende 
war  verschlossen  und  der  Durchgang  in  die  UtarMiöhle 
unmöglich. 


312  xv-    Brau»,  Bericht  ober  die  Erefgutoe 

„Die  nähere  Untersuchung  des  Eies  ergab: 

1)  Dass  die  Placenta  nicht  einmal  die  Hälfte  der  Ent- 
wicklung hatte,  wie  man  sie  sonst  bei  viermonatUchem 
Fötus  findet 

2)  Fötus  und  Eihäute  waren  nornial,  auch  zeigte  die 
Insertion  des  Nabelstraugs  keine  Abnormität." 

Welcher  Art  die  Ueber Wanderung   war,   die  hier  wahr- 
scheinlich stattgefunden  hat,  ist  nicht  zu  entscheiden. 


XV. 

Bericht  über  die  Ereignisse    in  der  unter  der 
Leitung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Hecker  stehenden 
geburtshttlf liehen  Poliklinik  der  königl.  Ludwig- 
Maximilians -Universität  zu  München 

vom  1.  October  1869  bis  zum  30.  September  1861. 

Von 

Dr.  M.  Braun, 

praktischem  Arzt  und  HUlfsarxt  an  der  Poliklinik. 
(Schluaa.) 

III.    Operatives. 

An  dieser  Stelle  erübrigt  nur,  über  die  Zangenoperationen 
etwas  Zusammenhängendes  beizubringen,  da  von  den  übrigen 
Operationen  schon  im  Verlaufe  des  Berichts  gehandelt  worden 
ist  Die  Zahl  der  Zangenoperationen  betrug  38 ,  d.  h.  es 
wurde  in  4,10  Procent  der  Fälle  von  dem  Instrumente  Ge- 
brauch gemacht  Dies  Verhältnis»  ist  ein  ziemlich  bedeutendes, 
aber  nicht  zu  hoch,  wenn  man  die  Aufgabe  einer  geburts- 
httlf liehen  Poliklinik,  jüngeren  Aerzten  Gelegenheit  zu  ver- 
schaffen, an  Lebenden  zu  operiren,  im  Auge  behält  Daneben 
nsoss  auch  für  die  Fälle,  wo  vielleicht  ein  längeres  Zuwarten 
erlaubt  gewesen  wäre,  zur  Geltung  kommen,  dass  die  meist 
sehr   weite   Entfernung    der  Wohnung    der   Gebärenden   viel 


in  der  geburtetiülflichen  Poliklinik  sn  München  etc.     813 

eher  zur  Operation   auffordert,   als  dies  in  einer  Klinik  der 
Fall  ist. 

Die  Operationen  wurden  bei  27  Erstgebarenden,  4  Zweit-, 
3  Dritt-,  2  Viert-,  1  Fünft-  und  1  Achtgebärenden  aus- 
geführt. Die  Lage  des  Kindes  war  bei  den  Operationen 
folgende: 

Bei  26  Geburten  erste  Scheitellage, 
„      8        „        zweite*       „ 
„      2        „        erste  Vorderscheitellage, 
„      1  Geburt  Schiefstellung  des  Kopfes, 
„      1        „      war  der  Kopf  nachkommend. 
Die  Indicationen  lassen  sich  auf  folgende  Weise  gruppiren : 

1)  In  10  Fällen  Beckenenge. 

2)  Vier  Mal  Missverhältniss  der  Grösse  des  kindlichen 
Kopfes  zu  den  Beckenräumlichkeilen. 

3)  Ein  Mal  Schiefstellung  des  Kopfes. 

4)  Zwei  Mal  Vorfall  der  Nabelschnur. 

5)  Vier  Mal  Gefahr  für  das  kindliche  Leben,  an  den  Ver- 
änderungen des  fötalen  Herzschlages  erkennbar,  aber 
ohne  bestimmt  nachweisbare  Aetiologie. 

6)  Zehn  Mal  Webenschwäche,  welche  man  erfolglos  mit 
wehenbefördernden  Mitteln  behandelt  hatte. 

7)  Ein  Mal  Eclampsie. 

8)  Ein  Mai  Schwäche  und  Dyspnoe  der  Mutter  während: 
eines  typhösen  Fiebers. 

9)  Fünf  Mal  Rigidität  der  mütterlichen  Weich  theile,  wo- 
durch entweder  eine  mechanische  Verzögerung  in  der 
Ausstossung  des  kindlichen  Körpers  bedingt  war,  oder 
durch  Anlegung  der  Zange  das  Einreissen  des  Dammes 
verhindert  werden  sollte.  Hierher  gehören  einige  Fälle 
von  geringer  Neigung  des  Beckens,  wo  der  Kopf  sich  in 
dem  Perinäum  wie  in  einer  Kappe  fing  und  dasselbe, 
wenn  man  die  Geburt  der  Natur  überliess,  zu  durch- 
brechen .  drohte. 

Die  Operation  wurde  immer  mit  einem  Instrumente  aus- 
geführt, welches  völlig  der  sog.  Busch'schen  Zange  nach- 
gebildet ist  und  sich  von  dieser  nur  dadurch  unterscheidet, 
dass  die  Fenster  gesclüossen,  ihre  Ränder  aber  ausgestemmt 
sind.    Was  den  Stand  des  Kopfes  betrifft ;  so  befand  er  sich 

MonaUaoUr.f.Qeburtflk.   18*52    Bd.  XX.,  Hft.4.      .  21 


814  XV.    Braun,  Beriaht  iUxur  dl«  Emigftfes« 

7  Mal  im  Beckeaaingaoge, 
12  Mal  in  der  Beckenenge,  ' 

19  Mal  im  Beckenausgange. 

Die  Anlegung  der  Zange  wurde  in  allen  Fälle»  ent- 
sprechend dem  Querdurchmesser  des  Beckens  bewirkt,  fwe 
Gelegenheit,  mit  Vortheil  von  der  schrägen  Anlegung  Gebrauch 
zu  machen,  hat  sich  nicht  geboten.  In  den  Fällen,  wo  der 
im  Beckeneingange  befindliche  und  querstehende  Kopf  ober 
Stirn  und  Hinterhaupt  gefasst  wurde,  sah  man  constant,  dass 
er  mit  dem  Gesichte  nach  unten  über  das  Perinäum-  glitt, 
sich  also  innerhalb  der  Zange  gedreht  haben  musste. 

Die  Dammgebilde  blieben  in  11  Fällen  ohne  Hinzuthun 
der  Kunst  vollkommen  intact;  in.  20  Fällen  dagegen  konnte 
ihre  Erhaltung  nur  durch  die  Anwendung  seitlicher  Incisiooen 
bewerkstelligt  werden;  in  awei  weiteren  Fällen  ereignete  sich 
trotz  derselben  eine  Ruptur.  Fünf  Mal  endlich  riss  der  D«um 
ein,  ohne  dass  man  von  seitlichen  Incisionen  Gebrauch  ge- 
maoht  hatte. 

Von  den  38  Kindern  wurden  26  lebend,  12  todt  geboren, 
unter  den  ersten  waren  15  mehr  oder  weniger  aaphyktisch, 
unter  den  letzteren  fand  sich  ein  faultodtes. 

Von  den  Müttern  machten  31  ein  völlig  normales  Wochen- 
bett durch,  während  7  erkrankten.  Von  diesen  genasen  5, 
starben  2,  nämlich  eine  mit  dem  oatoomalaciaohen  Becken 
und  dann  eine  26jährige  Erstgebärende;  diese  bekam  Peri- 
tonitis und  doppelseitiges  pleuritisches  Exsudat,  woran  sie 
34  Tage  post  partum  zu  Grunde  ging. 

IV.    Woohenbett. 

Von  den  913  Entbundenen  blieben  im  Wochenbette 
vitlig  gesund  844,  wogegen  69  erkrankten.  Die*  giebt  ein 
MorM*tÄtsverhalfc)is6  von  7,5  Procent  Von  den  genannten  69 
wurden  4  in  das  Krankenhaus  tranaferirt,  und  ist  wen  diesen 
unseres  Wissens  eine  (Osteomalacie)  gestorben.  . 

In  poliklinischer  Pflege  gingen  6  zu  Grunde,  so  dass 
im  Ganzen  sich  7  Todesfälle  ereigneten,  und  sieh  demnach 
das  MortaKtilsverhähniss  auf  0,76  Procent  herausstellt 

Ueber  die  Erkranktntgsformen  mag  iflitgetheilt  werden, 
desa  man  Endometritis  und  Metreperitonitis  bei  16  WöohnerinMB 


in  der  frebmrtshttlflichen  Pelfltltoik  zu  München  etc.     315 

beobachtete.  Diese  Falle,  die  sich  drei  Mai  mit  heftigen 
Diarrhöen  complicirten,  drei  Mal  mit  diphtherischen  Ge- 
schwüren auf  der  Scheidenschleimhaut,  gingen  sämmtlicb  in 
Genesung  über.  Von  therapeutischen  Mitteln  kamen  dabei  in 
Anwendung  Opium,  Ricinusöl,  viel  seltener  Caiomel,  dagegen 
häufig  Chinin.  Die  Anwendung  der  Kälte  auf  den  Unterleib 
schien  oft  erfolgreich  zu  sein. 

Phlebitis  sahen  wir  in  drei  Fällen,  ein  Mal  nach  normaler 
Geburt,  zwei  Mal  nach  sehr  schwerer  Placentarlösung.  Alle 
drei  Fälle  nahmen  lethalen  Ausgang.  Das  Charakteristische 
dieser  drei  Erkrankungen  war  kürzlich  folgendes. 

1)  Eine  36jKbrige  Zimmermannsfrau,  welche  zwei  Mal  juiit 
Zwillingen  niedergekommen  war  und  bei  der  drei  Mal  die  Placenta 
künstlich  gelöst  werden  musste,  litt  in  den  letzten  14  Tagen 
ihrer  nennten  Schwangerschaft  an  stechenden  Schmerzen  in  der 
rechten  Seite  des  Uteras.  Nachdem  die  Geburt  eines  grossen 
Knaben  am  30.  Dece,mber  1860  erfolgt  war,  trat  eine  sehr  heftige 
Metrorrhagie  auf,  welche  wiederum  in  Verwachsung  der  Placenta 
mit  der  Ute  ras  wand  ihren  Grund  hatte.  Nach  schwieriger  stück- 
weiser Entfernung  derselben  Hess  die  Blutung  nach  und  die  Frau 
schien  sich  von  ihrer  Anämie  erholen  zu  wollen,  aber  schon  am 
31.  December  erfolgte  ein  heftiger  Schüttelfrost,  und  bei  in  den 
nächsten  Tagen  continnirlich  auf  bedeutender  Höhe  bleibenden 
Fiebererscbeinungen  war  die  Diagnose  einer  Phlebitis  wohl 
ziemlich  sicher.  Am  14.  Januar  kamen  Symptome  einer  Pleuro- 
pneumonie hinzu  und  der  lethale  Ausgang  erfolgte  am  20.  Januar, 
22  Tage  nach  de.r  Geburt.  Aus  dem  Sectionsbefunde  heben  wir 
hervor,  dass  an  dem  Grunde  des  noch  grossen,  weiten  und 
schlaffen  Uterus  nach  rechts  sich  ein  haselnussgrosser  Piacentar- 
rest vorfand,  der,  mit  der  Schleimhaut  in  innigem  Zusammen* 
hange  stehend,  nach  aussen  hin  uneben  und  sottig  erschien,  auf 
dem  Durchschnitte  stellenweise  eiterigen  Zerfall  wahrnehmen 
liess.  Im  rechten  Plexus  pampiniformis  fanden  sich  zerfallene 
Pfropfe.  Ferner  in  beiden  Pleurasäcken  blutig -seröses  Exsudat, 
auf  dem  unteren  Lappen  der  linken  Lunge  zerstreute  Faserstoff- 
ablagerungen, in  dem  Lappen  selbst,  und  zwar  an  seiner  Basis, 
ein  siemlich  ausgedehnter  hämorrhagischer  Infarkt  und  swei 
kleine  pyämische  Keile.  Die  rechte  Lunge  war  nur  ödematös 
und  blutleer,  sonst  gesund.  Der  Herzbeutel  enthielt  etwa  6  Unzen 
flockigen  Serums  und  auf  dem  Visceralblatte  desselben  zeigten 
sich  an  verschiedenen  Stellen  frische  Faserstoffablagerungen. 

2)  Di«  aweite  hierher  gehörige  Erkrankung  ereignete  sieh 
bei  einer  26 jährigen  Frau,  weiche  am  27.  Juni  1860  regelmässig 
niedergekommen  war,  und  kündigte  sich  durch  einen  am  vierten 

21* 


316  XV-    Br***f  Berieht  über  4ie  Ereignisse 

Tage  nach  der  Gebart  auftretenden  heftigen  Schiittelfrost  an. 
Wie  in  dem  ersten  Falle  war  der  Verlauf  ein  im  Vergleich  mit 
den  heftigen  Formen  der  Peritonitis  lymphatica  langsamer;  erst 
am  18.  Juli  konnte  man  eine  pyämische  Pneumonie  diagnosticiren, 
welcher  die  Patientin  fünf  Tage  darauf  erlag.  Der  Krankheits- 
process  hatte  also  23  Tage  in  seinem  Ablaufe  gebraucht.  Die 
Seotion  wurde  nicht  gestattet. 

3)  In  dem  dritten  Falle  war  die  Aetiologie  der  Phlebitis 
eine  ähnliche,  wie  im  ersten.  Eine  23jährige  Fr«u  gebar  am 
28.  October  1860  zum  achten  Male.  Während  ihre  früheren  Ent- 
bindungen, mit  Ausnahme  der  vierten,  die  mit  Nabelschnur- 
vorfall complicirt  war,  einen  normalen  Verlauf  genommen  hatten, 
-trat  diesmal  nach  Ausschliessung  des  Kindes  eine  heftige  Blutung 
ein;  dio  Hebamme  riss  bei  einem  Versuche,  die  Placenta  «u 
entfernen,  die  Nabelschnur  ab  und  brachte  ein  nur  etwa  thaler- 
grosses  Stück  der  ersteren  zu  Tage.  Bei  unserer  Ankunft  zeigten 
sich  gefahrdrohende  Erscheinungen  von  Anämie;  die  an  der 
vorderen  Uterinfläche  sehr  fest  adhärirende  Placenta  konnte, 
da  mittlerweile  der  innere  Muttermund  sich  bedeutend  zusammen- 
gezogen hatte,  nur  mit  grosser  Mühe  und  auf  den  ersten  Angriff 
nicht  einmal  vollständig  entfernt  werden.  Ein  thafergrosses 
Stück  derselben  wurde  erst  nach  wiederholtem  Eingehen  mit 
der  Hand  he  raus  befördert  und  mit  ihm  schien  allerdings  die 
ganze  Nachgeburt  entfernt  zu  sein.  Sie  zeigte  bei  näherer 
Betrachtung  mehrere  hepatisirte  Stellen,  die  zum  Theil  von 
knorpelharter  Consistenz  waren,  ausserdem  filamentÖse ,  rund- 
liche, gelbe  Stränge;  die  Nabelschnur  war  central  inserirt,  sehr 
dünn  und  einen  halben  Zoll  von  der  Placenta  abgerissen.  Schon 
in  der  folgenden  Nacht  stellte  sich  ein  Schüttelfrost  ein,  der 
sich  am  2.,  5.  und  6.  November  wiederholte;  gegen  den  12.  No- 
vember kündigten  blutige  Sputa  den  Eintritt  einer  seeundären 
Pneumonie  an  und  der  Tod  erfolgte  am  16.,  d.  h.  am  18.  Tage 
nach  der  Geburt.  Bei  der  Section  zeigte  sich  deutlich,  dass  die 
Phlebitis  von  der  Placentarstelle  ausgegangen  war,  denn  an 
dieser  ragte  noch  eine  haselnussgrosse  gelblichbraune  Masse 
knotig  hervor  und  stach  ab  gegen  die  sonst  glatte  Innenfläche 
des  sehr  welken,  schlaffen  und  dünnwandigen  Uterus;  von  hier 
ans  konnte  man  direct  den  krankhaften  Process  in  den  rechten 
Plexus  pampiniformis  verfolgen,  dessen  Ge Tasse  in  grossem  Um- 
fange verpfropft  erschienen ,  dann  weiter  in  die  rechte  Vena 
spermatica;  diese  war  von  einem  fest  adhärirenden  Thrombus 
ausgefüllt,  ihre  Wandung  verdickt,  die  Tunica  intima  morsch 
und  ablösbar.  Die  linke  Vena  spermatica  war  frei.  In  der 
rechten  Pleura  blutig -seröses  mit  Faserstoffflocken  untermischtes 
Exsudat,  im  Parenchym  des  unteren  Lappens  der  rechten  Lunge 
eine   keilförmige   scharf  abgegrenzte  im  purulentem  Zerfalle   be- 


in  der  gebnrtsbülflichen  Poliklinik  an  München  etc.      317 

griffen«  Partie  Ton  4—5  Ctm.  Durehmesser;  der  ganze  Längen- 
lappen comprimirt,  luftleer.  In  den  zu  ihm  gehörigen  Zweigen 
der  Art.  pnimonalis  ein  wandständiges  blassgelbes  fest  adhärirenden 
Gerinnsel. 

Peritonitis  lymphatica  wurde  vier  Mal  beobachtet;  auch 
hier  mag  eine  cursorische  Detailanführung  der  Fälle  ge- 
stattet sein. 

1)  Eine  26jährige  Zweitgebärende  erkrankte  am  dritten 
Tage  nach  der  ganz  normalen  Geburt  unter  den  Erscheinungen 
einer  hochgradigen  Peritonitis,  die  schon  am  dritten  Tage  zum 
Tode  führte;  8ection  nicht  gestattet. 

2)  Am  16.  September  1860  erkrankte  eine  23jährige  Tage- 
löhnerstochter drei  Tage  nach  der  normalen  zweiten  Geburt. 
Hier  hatten  die  ungünstigsten  äusseren  Verhältnisse  in  Verbindung 
mit  den  gröbsten  Diätfehlern  eingewirkt.  Die  Wöchnerin  war 
nämltch  an  dem  Tage  der  Erkrankung  Morgens"  aufgestanden, 
hatte  sich  rücksichtslos  einer  heftigen  Erkältung  ausgesetzt  und 
eine  grosse  Quantität  Kartoffeln  zu  sich  genommen;  auch  hier 
war  der  Verlauf  der 'Peritonitis  ein  sehr  acuter,  denn  schon  am 
20.  September,  also  am  vierten  Tage  nach  der  Erkrankung,  trat 
lethaler  Ausgang  ein;  eine  Obduction  war  wegen  sehr  schneller 
Fäulniss  der  Leiche  unausführbar.  Nicht  unwichtig  erscheint 
vielleicht  zu  erwähnen,  dass  das  Kind  schon  zwei  Tage  darauf 
an  Entzündung  der  Nabelgefässe  und  Erysipel  der  Bauchdecken 
zu  Grunde  ging. 

3)  Bei  einer  38jährigen  Erstgebärenden  lehnte  sich  der 
Beginn  der  Erkrankung  ziemlich  nahe  an  die  Gebort  an,  und 
in  dieser  waren  allerdings  veranlassende  Momente  zu  Tage  ge- 
kommen. Es  hatte  nämlich  in  Folge  von  sehr  schmerzhaften 
und  spastischen  Wehen  die  Eröffnungsperiode  einen  Zeitraum  von 
60  Stunden  in  Anspruch  genommen,  auch  war  das  Kind,  ein 
Knabe,  schon  längere  Zeit  vor  der  Geburt  abgestorben;  Kunst- 
hülfe  wurde  indessen  nicht  ausgeübt.  Der  Ausgang  in  Tod  trat 
schon  nach  72  Stunden  ein.  Trotz  der  ziemlich  vorgeschrittenen 
Fäulniss  konnte  man  doch  noch  erkennen,  dass  der  Process  der 
Lymphgefässentzündung  sowohl  die  hintere  Fläche  des  Uterus 
und  hier  in  ganz  besonderer  Extensität,  als  auch  beide  Eier- 
stöcke und  die  Stränge  im*  retroperitonäalen  Bindegewebe  befallen 
hatte ;  in  beiden  Tuben  fand  sich  Eiter  und  im  Cavnm  peritonaei 
jauchiges  Exsudat. 

4)  In  diesem  Falle  war  es  nicht  sowohl  die  Peritonitis, 
als  eine  Pleuritis,  welche  zum  Tode  führte;  der  Fall  gehört  aber 
in  die  genannte  Kategorie,  weil  das  pleuritische  Exsudat  nicht 
als  ein  secundäres  von  Phlebitis  abhängiges,  sondern  als  eine 
directe   Fortsetzung   der   Peritonitis    betrachtet   werden    mttsste. 


318  XV.    Braun,  Bericht  übe*  4fo  Breigrtsse 

Eine  26  jährige  F*au,  bei  der  die  Gebort  am  10.  Oetober  1M0 
wegen  Mifsveraältnisa  de*  kindlichen  Kopfes  an  den  Beekeav 
räujnlicbkeiten  mit  der  Zange  beendet  werden  muate,  erkrankte 
Tags  darauf  unter  den  Erscheinungen  der  Peritonitis,  welebe  an 
einzelnen  Tagen  deutliche  Remissionen  machte,  während  an 
anderen  meist  unter  Frostanfällen  acute  Nachschübe  des  peri- 
tdnitischen  Exsudats  zu  disgnosticiren  waren.  Am  17.  October 
stellte  sich  ein  rasch  zunehmendes  linksseitiges  ptenritisthe« 
Exsudat  ein,  welches  schon  am  20.  das  Herz  um  einen  ZoU  nach 
rechts  verdrängt  hatte.  Am  28.  October  wurde  naeh  einem  neuen 
Frostanfalle  auoh  die  rechte  Pleurahöhle  Sitz  eines  Exsudata, 
und  unter  Entwickelung  hochgradiger  Dyspnoe  und  Cyanroae  er- 
folgte der  Tod  am  4.  November  am  24.  Tage  nach  dem  Beginne 
der  Krankheit.  Aus  dem  Öbductionsprotokoll  heben  wir  Folgendes 
hervor:  In  der  rechten  Brusthöhle  befand  sieb -ein  abgesacktes 
faserstoffiges  flockiges  Exsudat,  dessen  obere  Grenze  zwischen 
zweiter  und  dritter  Rippe  lag,  während  es  nach  unten  den  sechsten 
Intercostalraum  erreichte.  In  der  linken  war  gleichfalls  Exsudat, 
aber  in  geringerer  Quantität  vorhanden  y  im  Peritonäum  waren 
diefintzündnngserscheinungen  schon  sehr  zurückgegangen,  flüssiges 
Exsudat  war  vielleicht  nur  noch  in  der  Quantität  von  3  Unzen 
vorhanden,  das  Volumen  der  Nieren  vergrössert,  aus  den  Wärzchen 
Epithelbrei  ausdruckbar.  Der  Uterus  wog  220  Grra.,  war  also 
schon  beträchtlich  zurückgebildet,  seine  Länge  betrug  4s/4  Zoll, 
seine  Breite  l1/*  Zoll,  die  Placentarstelle  war  aber  noch  erkennbar 
und  zwar  nach  rückwärts  und  rechts,  nahe  an  der  Mündung 
der  Tuba. 

Krankheiten  der  Harnorgane  im  Wochenbette  beobachteten 
wk  einige  Male  als  catarrhaliscbe  Entzündung  der  Schleimhaut 
mit  seröser  Infiltration  der  -Mündung  der  Urethra;  ferner 
nach  zwei  schweren  Zangenoperationen  einen  tonischen  Krampf 
des  Constrictor  isthuii  urethrae,  welcher  mehrere  Tage  die 
Anwendung  des  Katheters  sehr  erschwerte;  hei  einer  Erst- 
gebärenden saheil  wir  eine  durch  mehrere  Wochen  andauernde 
Cystoblennorrhoe. 

Unter  den  Krankheiten  der  Brüste  heben  wir  eine  con- 
geetive  sehr  schmerzhafte  Anschwellung  bei  einer  23jäbrigen 
Erstgebärenden  hervor,  welche  nach  Anlegung  eines  Compressfv- 
verbandes  rasch  beseitigt  wurde ;  ferner  eine  Entzündung  des 
ganzen  Drusenparenchyms  bei  einer  32jährigen  Primipara, 
welche  zu  multipler  Abscessbildung  führte.  Der  häufig  vor- 
gekommenen Excoriaüonen  der  Brustwarze  braucht  nicht  be- 
sonders Erwähnung  gethan  zu  werden. 


in  der  g*4mrtshfilft<ofcen  PeKkknik  an  München  etc.     $^ 

Am  Schlüsse  des  Bäriehted  Aber  die  Wochenbetts- 
erkrankungen mag  noch  ein  Fall  von  Mania  puerperal!*  mit- 
gelheilt  werden. 

Er  betrifft  das  21jährige  Mädchen,  deren  Niederkunft  schön 
in  dem  Kapitel  über  Frühgeburten  beschrieben  worden  ist;  es 
wurde  dort  erwähnt,  dass  die  Placenta,  welche  künstlich  aus 
der  Uterushöhle  nicht  entfernt  werden  konnte,  später  spontan 
abging.  Am  vierten  Tage  nach  der  Gebart  stellten  sich  grosse 
Unruhe,  heftige  Kopfschmerzen,  Ohrensausen  und  eine  Trübung 
des  8ensorium  ein,  die  sich  durch  stieren  Blick  und  zusammenhang- 
lose Heden  manifestirte.  Diese  Trübung  ging  noch  an  demselben 
Tage  in  ein  furibnndes  Delirium  über;  die  Patientin  schrfe, 
schlug  mit  Händen  und  Füssen  um  sich,  machte  Versuche  in 
entfliehen  und  war  gänzlich  bewustlos.  Inwieweit  diese  Atfectiön 
mit  dem  Rückbildungsprocesse  in  den  Oenitalien  im  Zusammen- 
hange stand,  darüber  konnte  man  keine  bestimmte  Anschauung 
gewinnen.  Ganz  normal  war  der  letztere  jedenfalls  nicht,  denn 
das  Lochialsecret  blieb  wahrend  dieser  Zeit  beständig  sehr  übel- 
riechend, die  Patientin  reagirte  beständig  lebhaft  gegen  ftruck 
auf  das  übrigens  nicht  aufgetriebene  Abdomen,  und  der  Puls 
machte  bis  zu  120  Schlägen. 

Am  14.  und  15.  Januar  blieb  der  Zustand  derselbe,  am 
16.  und  17.  jedoch  erschien  sie  ruhiger  und  kam  bei  rascheln 
und  lautem  Anreden  auf  korst  Zeit  «um  Bewußtsein,  apräoh 
auch  einige  ansaminemhltageftde  Worte  und  erkannte  ihre  Um- 
gebung. Am  19.  folgte  ein  neuer  drei  Stunden  dauernder  heftiger 
Tobsuchtsanfall,  nach  welchem  sehr  bald  ein  normaler  physischer 
Zustand  zurückkehrte;  eine  Erinnerung  an  das  Vorgefallene 
fehlte  gänzlich.  Am  80.  Januar  konnte  sie  als  rollkömmen 
genasen  betrachtet  werden.  Im  folgenden  Jahr«  hat  sie  in  der 
Geb&ranstalt  zum  zweiten  Male  normal  geboren ,  und  das  Wochen- 
bett verlief  ohne  die  geringste  Störung. 

V.    Beobachtungen  an  neugeborenen  Kindern. 

fön  den  937  Früchten  haben  wir  einen  Gesammtverlust 
von  104  oder  11  Procent  zu  fegistrireti.  Von  diesen  104 
waren  Vor  Aet  Geburt  abgestorben  57  oder  6  Procent,  eine 
verhältntesmässig  hohe  Anzahl,  diel  aber  to  Akut  Umstände 
ihre  völlige  Erklärung  findet,  dass  sämmtliche  Aborten  hier 
mit  eingerechnet  sind.  Während  der  Geburt  starben  19  oder 
2  Procent,  nach  derselben  und  zwar  innerhalb  der  ersten 
adit  Tage  18  oder  3  ProcetiU 


320  xv-     ^rfl*n »  Bericht  über  die  Ereignisse  , 

Bildungsfehler. 

1)  Agnathia,  Mangel  des  Unterkiefers,  an  einem  acht- 
monatlichen todtgeborenen  2%  Pfd.  Civilgewicht  schwerem  und 
42  Ctm.  langem  Fötus  weiblichen  Geschlechts  ist  bei  den  Früh- 
gebarten nnd  den  Beckenfehlern  schon  erwähnt  worden. 1) 

2)  Encephalocele  anterior,  labium  et  palatnm  fissum, 
exophtbalmus  sinister  mit  Verschiebung  der  Nasalknochen ,  band- 
artiger mit  der  Nabelschnur  verwachsener  narbenähnlicher,  von 
der  Nasenwurzel  nach  rechts  und  oben  aur  Stirn  verlaufender 
Strang  bei  einem  reifen  in  erster  Scheitellage  todtgeborenein 
Eiude  weiblichen  Geschlechts  von  einer  27jährigen  Zweit- 
gebärenden.*) 

3)  Ectopia  der  Blase  bei  einem  8  Pfd.  schweren  von  einer 
42jährigen'  Achtgebärenden  herstammenden  lebenden  Knaben. 
Unter  dem  Nabel,  der  tiefer  lag  als  gewöhnlich,  befand  sich 
eine  apfelgrosse  rothe  sammtartige  leicht  als  nach  aussen  ge- 
drängte hintere  Blasenwand  zu  diagnosticirende  Hervorragung. 
Der  Fall  bedarf  keiner  eingehenden  Beschreibung,  weil  er  von 
der  gewöhnlichen  Form  der  Blasenectopie  nicht  abwich.  Das 
Kind  starb  nach  16  Tagen  an  Atrophie 

4)  Spina  bifida  wurde  bei  den  Öeckenendlagen  erwähnt. 
Ausser  diesen  Fällen  sahen  wir  noch  Defect  des  vierten 

and  fünften  Fingers  der  rechten  Hand  hei  einem  kräftigen 
lebenden  Mädchen  einer  40jährigen  Drittgebärenden;  ein  mit 
der  Zange  entwickeltes  sehr  starkes  Mädchen  einer  30jährigen 
Primipara  zeigte  an  der  linken  Hand  einen  sechsten  Finger 
und  am  rechten  Fusse  eine  sechste  Zehe;  einfache  Hasen- 
scharte kam  ein  Mal,  Hypospadie  ersten  Grades  ein  Mal, 
Hernia  umbilicalis  zwei  Mal,  Ankyloglosson  mehrmals  vor. 

Erkrankungen. 

Unter  den  Krankheiten  des  Nervensystems  finden  wir 
mehrmals  Convulsionen ,  ein  Mal  Trismus  mit  lethalem  Aus- 
gange, ein  Mal  Paralyse  des  Nervus  facialis  nach  schwerer 
Zangenoperation  aufgezeichnet 

Die  Respirationsorgane  erkrankten  ein  Mal  unter  der 
Form  einer  rasch  tödtlichen  lobulären  Pneumonie,   zwei  Mal 


1)  Vergleiche  übrigens  die  Abbildung  eines  ähnlichen  Falles 
bei  Förster:  Die  Missbildungen  des  Menschen,  Taf.  XIII., 
Fig.  19  u.  20. 

2)  Ganz  ähnlich  wie  die  Abbildung  bei  Förster  I.  c,  Taf.  XV., 
Fig.  8. 


in  der  gefeurtohtUflioton  Poliklinik  sn  München  etc.     3gJ 

unier  der  Form  der  Laryngisrous  stridulus  mit  krähender 
sehr  mühsamer  Athmung  und  hochgradiger  Cyanose;  beide 
Fälle  gingen  in  Genesung  über.  Ausser  den  gewöhnlichen 
Erkrankungen  des  Digestions tractus,  wie  Soor  und  Diarrhöen, 
welche  letztere  sehr  häufig  durch  frühzeitige  Darreichung 
consistenter  Nahrungsmittel  hervorgerufen  wurden,  sind  zwei 
Fälle  yon  Darmblutungen  zu  erwähnen;  der  erste  ereignete 
sich  bei  einem  wohlgenährten  kräftigen  Knaben,  der  24  Stunden 
nach  der-  normalen  Geburt  Blut  erbrach  und  später  solches 
auch  durch  den  Dann  entleerte,  und  dadurch  in  eine  hoch- 
gradige Anämie  versetzt  wurde;  unter  der  Anwendung  von 
Klystieren  mit  Eiswasser  und  mit  einer  Auflösung  von  Liquor 
ferri  sesquichloraü  hörte  die  Blutung  auf  und  das  Kind  genas. 
Im  zweiten  Falle,  ebeufalls  bei  einem  gut  entwickelten 
Knaben,  dessen  Geburt  keine  Schwierigkeit  gehabt  hatte, 
war  die  Hämorrhagie  eine  geringere  und  hörte  auf  Anwendung 
von  Kälte  und  Tannin  auf,  ohne  nachtheilige  Folgen  zu 
hinterlassen. 

Cephalaematom  kam  zwei  Mal  vor,  und  zwar  bei  männ- 
lichen Fruchten,  ein  Mal  an  der  rechten  Seite  nach  einer 
schweren  Za.ngenoperation ,  das  zweite  Mal  nach  normaler 
Geburt  doppelseitig.  Das  Blutextravasat  wurde  einige  Tage 
nach  der  Geburt  durch  einen  Einstich  mit  dem  Bistouri,  den 
man  möglichst  klein  machte,  entfernt,  und  dadurch  eine 
schnelle  Heilung  erzielt. 

Blepharoblennorrhoe  kam  in  sieben  Füllen  zur  Behandlung 
und  wurde  durch  Aetzungen  mit  einer  Lösung  von  Argent.  nkr., 
deren  Concentration  mit  der  Intensität  der  Entzündung  Schritt 
hielt,  meist  schnell  und  ohne  Nachtheil^beseitigt.  Von  den 
zu  häufigen  Cauterisationen  ist  man  indessen  sehr  zurück- 
gekommen. 


8&2  XVI.    Kotlzett  aua  der  Journal  <  Literatur. 

XVI 
Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

Simpson:   Üeber  Vagiflddynfe. 

Verf.  beobachtete  wiederholt  Falle,  wo  äusserst  schmerz- 
hafte Contractionen  in  den  Muskeln  and  sehnigen*  Gebildet*  längs 
der  Vagina  stattfanden.  Die  Schmerlen  waren  bisweilen  varmg»- 
weise  sympathische  oder  refleoUrto  nad  worden  oft  dureh  Be- 
wegungen der  Beekenmuskeln  vermehrt;  bald  fanden  sie  sich  im 
Kreuze,  bald  in  den  Reg.  iliacae,  bald  konnte  die  Pat.  nicht 
gehen,  weil  sie  bei  dieser  Bewegung  die  heftigsten  Schmerzen 
im  Becken  empfand.  Weder  am  Uterus  noch  den  Ovarien  lies« 
sich  etwas  Krankhaftes  nachweisen,  dagegen  war  ein  straffei 
querlaufendes  Band  an  irgend  einem  Theile  der  Scheide* wand, 
in  der  Regel  an;  eiser  Seite,  wahrzunehmen,  und  zwar  mehr  oder 
weniger  tief  anter  der  Schleimhaut,  gewöhnlich  etwa  einen  Zoll 
oberhalb  des  Scheideneinganges.  Hinsichtlich  Stärke  and  Spannung 
war  das  Band  verschieden;  bei  Berührung  desselben  worden  die 
Schmerzen  gesteigert.  In  einigen  Fällen  fühlten  die  Patient!»»** 
■vr  dann  Schmer»,  weea  die  Vagina  berührt  wurde,  und  suchte« 
ärztlichen  Rath,  weil  die  Ausübung  des  Coitms  ihnen  nicht 
möglich  war» 

Die  Heilung  gelang  in  der  Regel  leicht  und  vollständig, 
und  durch  Durchrchneidung  oder  Zerrefssung  des  erwähnte* 
Bandes  oder  in  milderen  Fällen  durch  Anwendung  Jetitfttver  Mittel 
In  de»  ickwenste»  FUN»»  wurde  nach  Cnktrofotmirung  der  Put 
das  Band  subcutan  durchschnitten,  in  leichteren  Fällen  reichte 
täglich  wiederholte«  Einbringen  von  Belladonnasalbe  oder  Chloro- 
form in  die  Vagina  zur  Heilung  aus. 

Die  Ursache  des  Schmerzes  ist  entweder  Krampf  einzelner 
Musfrelbündel,  Äe  ihre»  Sita  im  vorderen  Rand»  des  Levtrtor  ani 
haben,  oder  in  Contractionen,  die  von  einzelnen  Portiono»  der* 
Beckenfascie  ausgehen  und  vielleicht  auf  einer  subacuten  Ent- 
zündung beruhen.  Diese  Contractionen  erschienen  bisweilen  bei 
Frauen,  bei  denen  früher  niemals  eine  Störung  im  Bereiche  der 
Beckenorgane  wahrzunehmen  war. 

(Edinb.   med.  Journ.,  VII.,    p.   693,    Dec.    1861.     Schmidts 
Jahrb.,  Bd.  114,  No.  4,  1862.) 


\ 

•    XVI.    Notisen  aus  der  Journal -Litetattfr.  gjß 

Bosti:    Ueber     Oredd's    Methode    der    Entfernung    der 
Nachgeburt 

Verf.  bat  die  von  Credd  angegebene  Methode  der  Entfernung 
der  Nachgeburt  geprüft,  gleichzeitig  auch  auf  die  Prüfung  des 
von  John  Clay  angegebenen  Zeichens  der  vollendetes  Lostrenaung 
der  Placenta  Rücksicht  genommen.  Ueber  letzteres  einen  Aus- 
spruch jetzt  schon  zu  fällen,  reichen  seine  Erfahrungen  noch 
nicht  hin.     Zum  Schlüsse  stellte  er  folgende  Sätze  auf: 

1)  Die  Cr edfachQ  Methode   ist  ein  grosser  Fortschritt  in  der 
Behandlung  der  physiologischen  und  pathologischen  Zustände 
der  Nachgeburtszeit. 
2}  Dieselbe  verdient  eine  allgemeine  und  ernste  Prüfung.   , 
3)   Sie  soll  auch  schon  jetzt  den  Hebammenechülerinnen  ge- 
lehrt werden. 

Bezüglich  desWerthes  der  CVftfc' sehen  Methode  bei  Anomalien 
der  Nachgeburtszeit  bemerkt  Verf.,  dass  in  den  verflossenen  zwei 
Schuljahren  unter  3476  Geburten,  bei  31  Wöchnerinnen  die 
Lösung  der  Placenta  ausgeführt  wurde,  und  dass  er  in  diesem 
Zeiträume  75  Fälle  von  Metrorrhagie  verzeichnete.  Die  letzte 
Lösung  der  Placenta  nahm  er  im  October  1861 ,  als  er  erst  seine 
Beobachtungen  anzustellen  begann,  vor  und  würde  sie  nach 
seinen  jetzigen  Ansichten  auch  nicht  gemacht  haben.  Seit  jener 
Zeit  ereigneten  sich  762  Geburten,  bei  denen  10  Blutungen  (der 
Uterus  war  »  hier  in  9  Fällen  nicht  massirt  worden) ,  in  der 
Nachgeburtszeit  vor  Ausstossung  der  Placenta  auftraten.  Ebenso 
kam  er  seit  jenem  Monat  nur  ein  Mal  in  die  Lage,  Piacentar- 
reste, bei  einer  als  Gassengeburt  in  die  Anstalt  Aufgenommenen, 
zu  entfernen. 

(Wien.  med.    Wochenschrift,  No.  25  u.  26,  1862.) 


wm    Boopsn:     Ueber    die     Entfernung    der    Nachgeburt 
durch   auswendige  Handgriffe. 

Verf.  hat  in  36  Fallen  die  Ostfl'sche  Methode  der  Entfernung 
der  Nachgeburt  mit  vollkommenem  Erfolge  angewendet,  und  hofft, 
da»«  sie  eine  allgemeine  Einführung  finden  möge,  indem  sie 
weniger  Mis*b  rauch  zulässt  and  die  Frauen  nicht  st>  grosser 
Gefahr  aussetzt,  als  da»  bisher  übliche  Verfahren.  Credit 
Methode  ist  jedoch  nicht  anzuwenden,  bei  Betentio  placentae 
durch  Inearce  ratio*» ,  da  sich  der  Zustand  dadurch  verffcblhnmem 
könnte,  abgesehen  von  der  SchtnerzhafKgkelt  derselben;  ferner: 
bei  heher  Empfindlichkeit  der  Bauchdeehen  oder  der  GebHr- 
nirtter,  bei  hohen  Graden  der  Atonie,  wo  sie  leicht  Umstftlptrag 
oder  Knickung  der  Gebärmutter  erzeugt.  Wenn  man  zwei  Mal 
durch  Druck  eine  kraftige  Wehe  hervorgerufen  hat,  ohne  dass 


3ß4  XVI.    Notlmen  ans  der  Journal -Literatur.   • 

dadurch  die  Nachgeburt  beim  Einführen  von  zwei  Fingern  tu 
erreichen  ist,  so  darf  man  annehmen,  class  entweder  Verwachsung 
oder  anormale  Lage  der  Placenta  oder  vielleicht  In carce ratio 
placentae  vorhanden  ist.  Wenn  keine  Strictur  gefunden,  wird, 
so  mus8  die  Nachgeburt  bei  abnormaler  Insertion  mit  der  Hand 
entfernt  werden. 

Verf.  hofft,  dass  die  Methode  der  auswendigen  Manipulation 
mehr  allgemein  angenommen  werde,  denn  sie  verdient  es  naeh 
seiner  Ueberzeugung.  Bei  normaler  Geburt  ist  die  Methode 
reiner  und  sicherer,  als  die  sonst  übliche.  Bei  Neigung  zu 
Blutungen  oder  Befürchtung  derselben  durch  mehr  oder  weniger 
bedeutende  Atonia  uteri  und  bei  Blutung  selbst  wird  die  Credfache 
Methode  sehr  gut  zu  Statten  kommen. 

(Archiv  mr  holländische  Beiträge,  Bd.  III.,  Heft  2.) 


Müller:  Graviditas  extranterina.  Vollkommen  reifes 
lebendes  Kind  in  einer  rechtsseitigen  Leistenhernie. 
Entbindung  mittels  Operation. 

Verf.  theilt  uns  in  sehr  unvollkommener  Weise  eine  im 
Jahre  1859  von  ihm  beobachtete  Schwangerschaft  mit,  wo  das 
Ei  in  einer  rechtsseitigen  Leistenhernie  sich  entwickelt  hatte, 
und  auf  diese  Weise  die  Fruchthülle  eine  auf  der  Leistengegend 
entspringende,  runde,  bis  an  das  Knie  reichende ,  ungefähr  8  Pfd. 
schwere  Geschwulst  darstellte.  Durch  Operation  wurde  ein  reifes 
lebendes  Kind  zu  Tage  gefördert.  Eine  Stunde  später  erlag  die 
Mutter  einer  inneren  Blutung.  Section  wurde  nicht  gestattet 
(Allgem.  Wien.  med.  Zeitung,  No.  29,  1862.) 


Clement  OÜivier:    Fibröser  Tumor   im    Scheidengewölbe. 

Mme.  D.,  37  Jahre  alt,  hat  10  Mal,  zuletzt  vor  vier  Jahren, 
geboren.  Niederkunft«  und  Wochenbetten  sollen  regelmässig 
gewesen  sein.  Seit  drei  Jahren  bemerkte  sie  eine  Geschwulst 
zwischen  den  Schamlippen  und  gleichzeitig  einen  bedeutenden 
weissen  Ausfluss.  Schmerzen  in  der  Nierengegend,  leichte 
gastrische  Beschwerden  waren  die  einzigen  begleitenden  Symptome. 
Die  Untersuchung  zeigte  eine  eigrosse  fleischige  Geschwulst  inner- 
halb der  Vulva,  ähnlieh  einer  geschwollenen  Port,  vagin.,  weich 
und  von  normaler  Färbung.  Sie  füllte  die  ganze  Beckenhöhle 
aus,  sasa  mit  breiter,  nicht  gestielter  Basis  in  der  rechten  Seite 
des  Scheidengewölbes  auf  und  erstreckte  sich  bis  in  den  rechten 
Theil  der  hinteren  Muttermundslippe.  Der  Uterus  war  durch  die 
Geschwulst  in  die  linke  Foesa  iliaea  gedrängt.    Einem   leiebtea 


XVI.    Nötigen  ans  der  Journal -Literatur.  326 

Zuge  folgte  die  fibröse  Masse  bis  yor  die  Genitalien.  Da  der 
Haupttheil  der  Geschwulst  sich  in  der  Scheiden  wand  ineerirte 
nnd  »war  ohne  Stiel,  so  legte  Verf.  anstatt  durch  lineares 
Ecrasement  die  unmittelbare  Entfernung  au  bewirken,  eine 
Ligatur  um  die  Basis,  um  auf  diese  Weise  künstlich  einen  Stiel 
su  bilden.  Nach  awei  Tagen  wurde,  da  durch  die  Ligatur  eine 
Art  Stiel  sich  gebildet  hatte,  mittels  einer  krummen  Scheere 
der  jetst  vollständig  runde,  1200 — 1300  Gramm  es  schwere  Tumor 
entfernt.  Eine  kleine  durchschnittene  Arterie  machte  das  Ein- 
legen eines  mit  Eisenchlorid  getränkten  Tampons  nöthig.  Die 
Kranke  wurde  von  einem  ziemlich  heftigen  Fieber,  welches 
36  Stunden  andauerte,  befallen.  Nach  24  Stunden  wurde  der 
Tampon  entfernt. 

Acht  Tage  nach  der  Operation  war  die  Vernarbung  in  voll- 
ständigem Gange.  Die  Wunde  hatte  ungefähr  die  Grösse  eines 
Fünffrankstücks  und  zeigte  vollkommen  gesundes  Gewebe.  Die 
hintere  Muttermundslippe  zeigte  starke  Schwellung  und  blutete 
leicht,  ohne  jedoch  degenerirtes  Gewebe  su  enthalten.  Eine 
geeignete  Behandlung  beseitigte  auch  diese  Anomalie. 
(Gazette  des  höpitaux,  No.  95,  1862.) 


Öosselin:  Haematocele  periuterina  oberhalb  des  Beckens 
gelegen. 

Es  giebt  Fälle  von  Haematocele  periuterina,  wo  das  Blut 
durch  Adhäsionen  oder  sonstige  Hindernisse  nicht  in  den 
Douglas1  sehen  Baum  gelangen  kann,  sondern  einen  mehr  oder 
weniger  grossen,  nur  durch  die  Bauchdecken  palpablen  Unterleibs- 
tumor darstellt.    Der  Fall,  den  Verf.  beobachtete,  ist  folgender. 

Die  Kranke,  25—26  Jahre  alt,  war  vor  circa  einem  Jahre 
im  Hospitale  Beaujon  an  einem  linksseitigen  Tumor  des  Unter- 
leibes behandelt  worden,  welcher  wegen  seiner  schnellen  Resorption, 
ohne  dass  Eiter  aus  Scheide,  Blase  oder  Rectum  sich  entleert 
hätte,  nachträglich  als  Haematocele  betrachtet  wurde.  Bfach 
einem  halbjährigen  Wohlbefinden  stellte  sich  vor  drei  Wochen 
zur  Zeit  der  Periode  eine  heftige  Metrorrhagie  ein,  die  nach 
Verabreichung  von  Ergotin  sich  zwar  minderte,  jedoch  erst  nach 
drei  Tage  langem  fiettliegen  und  Kühe  vollständig  verschwand. 
Alsbald  zeigten  sich  heftige  Kolikschmerzen,  Erbrechen  und 
Fieber;  die  linke  hypogas  tri  sehe  Gegend  wurde,  wie  früher, 
schmerzhaft  und  Hess  einen  faustgrossen  runden  Tumor  erkennen, 
der  jedoch  su  tief  lag  nnd  sich  zu  schwer  fixiren  Hess ,  als  dass 
man  an  (ihm  Fluctuation  nachweisen  konnte.  Die  Untersuchung 
durch  Scheide  und  Mastdarm  liess  keine  Geschwulst  erkennen. 
Auf  roborirende  Behandlung  erholte  sich  die  anämische  Patientin. 


XVI.    Notiz«*  aus  der  Journal -Literatur. 

DU  Geschwulst  verkleinert«  sich,  ohne  «lata  irgend  ein  Eitar» 
abgang  nachgewiesen  ward«,  and  die  Pariade  flow  regelmässig. 
Das  sohnel le  Auftreten,  ebenso  wie  das  prompte  Verseh winden 
der  Geschwulst  läset  nicht  mit  Bestimmtheit  ein«  Haematocele 
annehmen,  Ar  weiche  Verf.,  da  wedar  durch  Scheide  noch  durch 
Rectum  eine  Geschwulst  entdeckt  werden  konnte,  den  Namen 
Hematocele  sus-pelvienne  vorschlägt. 

(Gazette  des  hftnitaux,  No.  46,  1862.) 


Pqjots   Ueber   Kephalolhry psie. 

Der  „jeuue  et  savant  professeur"  rühmt  eine  Methode  der 
Kephalothrypsie,  welche  er  ab  die  seiuige  ausgiebt,  die  jedoch 
in  Deutschland  zu  den  längst  bekannten  gehören  dürfte.  Pajot 
verwirft  die  Kephalotribe  als  Extractionsinstrument  und  will  sie 
nur  zur  Zerquetschung  angewendet  haben.  Nach  vorausgeschickter 
Perforation  wird  mittels  der  Kephalotribe  der  betreffende  Kindes- 
theil comprimirt  und  vor  Abnahme  des  Instrumentes  eine  kleine 
Rotation  ausgeführt,  um  bei  wiederholten  Anlagen  desselben 
immer  neue  Durchmesser  zu  fassen.  So  wird  das  Instrument  in 
Pausen  von  mehreren  Stunden  eingeführt,  der  Kindestheil  von 
neuem  zerquetscht  (gleichsam  in  einen  häutigen  Sack  verwandelt, 
wie  durch  Simpson' s  Craniothlast;  Ref.)  und  die  Geburt  der  Natur 
überlassen. 

(Gazette  des  höpiteux,  No.  8,  1862.) 


Jouün:  Kopf-Zertbeiler. 

Unter  dem  Namen  Diviseur  cephalique  macht  der  schon 
durch  seinen  Aide -Forceps  bekannte  Verf.  ein  Instrument  be- 
kannt, welches  durch  Zertheilung  des  Kopfes  in  zwei  Hälften 
die  Geburt  des  Kindes  ermöglichen  soll.  Das  gewiss  ganz  un- 
brauchbare Instrument  gleicht  im  Wesentlichen  einem  Ecrasenr, 
wo  die  blosse  Kette  durch  eine  Kettensäge  ersetzt  wird. 

An  Lebenden  scheint  Verf.  seinen  Apparat  glücklicherweise 
noch  nicht  angewendet  au  haben. 

(Gazette  des  höpitaux,  No.  54,  1802.) 


XVII.    Literatur.  £07 

,     XVIL 
Literatur. 


Der  Catarrh  der  inneren  weibliche»  Geschlechts« 
theile  von  Dr.  Carl  Hennig.  Mit  sechs  Kupferfcafeln  etc. 
Leipzig,  Verlag  yon  W.  Engel/mann,  1862. 

»Ich  schrieb  zunächst  für  den  praktischen  Arzt,  desaen 
kostbare  Zeit  ich  zu  schätzen  im  Falle  bin,"  sagt  Verf.  im  Vor- 
worte. Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  mag  vorliegende  reich- 
haltige Monographie  betrachtet  werden.  Dieselbe  zerfällt  in 
«cht  Theile,  von  denen  die  beiden  letzten  Krankengeschichten 
sowohl  als  auch  dasjenige  übersichtlich  zusammengestellt  ent- 
halten, was  die  pathologische  Anatomie  an  den  durchgesehenen 
Präparaten  Bemerkenswertes  ohne  Bezug  auf  das  eigentliche 
Thema  gegeben  hat 

Im  ersten,  38  Seiten  umfassenden  Theile  bespricht  Verf. 
die  Anatomie  und  Physiologie  der  Eileiter,  Gebärmutter  und 
Scheide.  Wir  heben  besonders  hervor,  dass  es  Verf.  gelungen 
ist»  die  Existenz  des  von  Aran  geahnten  Sphincter  tubae  zu 
beweisen,  indem  er  die  Kreiafaa  erschient  des  Eileiters  an  seiner 
Einmündungsstelle  in  den  Uterus  drei-  bis  vierfach  mächtiger 
fand,  als  an  anderen  Stellen.  Die  Drüsen  des  Eileiters,  welche 
namentlich  schön  s«  sehen  sind,  wenn  man  die  Tuba  einige 
Tage  lang  in  massig  verdünntem  Liquor  fern  sesa^uichloratt  kalt 
stehen  laset  und  dann  an  der  Luft  trocknet,  sind  meist  einfach, 
oft  gabelig  getheilt  und  bestehen  aus  einer  feinen,  glashellen 
Haut,  welche  mit  flimmerlosem  Cy  linde  repithel  ausgekleidet  ist. 
Dar  Schleim  in  der  Tuba  reagirt  alkalisch  und  enthalt  ausser 
Drüf anepithel  etwas  Schleimstoff  und  einen,  vielleicht  im  völlig 
normalen  Zustande  fehlenden,  eiweissartigeu Schleim,  sogenanntes 
Hyalin.  Ausserdem  giebt  uns  Verf.  wie  auch  in  den  folgenden 
Abschnitten  sehr  genaue,  das  Lesen  jedoch  sehr  hindernde  Maass- 
bestimmungen der  betreffenden  Organe,  wodurch  allerdings  der 
ausserordentliche  Fleiss  des  Verf.  bekupdet  wird,  deren  Nutzen 
jedoch  bei  der  Bestimmung  des  Buches  für  'den  Praktiker  gewiss 
nur  ein  untergeordneter  genannt  werden  kann.  Dasselbe  gilt 
von  der  Angabe  der  Reaction  der  Uterusschleimhäute,  wo  Verf. 
viel  darauf  zu  geben  scheint,  ob  die  Inhaberin  des  betreffenden 
Uterus  Jungfrau,  Dirne,  Gattin,  unfruchtbar  etc.  ist.  Die  Scheide 
erklärt  Verf.  dem  praktischen  Arzte  als  „das  nächste  Aufnahms- 
organ für  den  männlichen  GeschleohtstheiL  und  das  Endglied  der 
anfangs    sweitheiligen   Röhre,    welche    das    Ei    als    Fallopischer 


338  XVII.    Literatur. 

Kanal  »um  Orte  seines  zebnmonatüchen  Aufenthalt»,  zum  Fracht- 
träger,  geleitet  und  danach  an  die  Aussen  weit  entlässt.*  Auch 
spricht  Verf.  nicht  von  einem  Embryo  oder  Fötus,  sondern 
beliebt  den  Namen  „Eibe wohner ";  kommt  hierin  noch  im  zweiten 
Theile ,  wo  von  Catarrh  des  Eileiters  die  Bede  ist,  als  Epitheton 
des  Eileiterexcretes  der  Name  „morgenroth"  vor,  so  müssen  wir 
dem  Verf.  eine  Originalität  zusprechen,  die  bisweilen  dem  Leser 
ein  Lächeln  abnöthigt. 

Nach  einer  genauen  Besprechung  der  Aetiologie,  Ausgänge 
und  Folgen  des  Eileitercatarrhs  kommt  Verf.  zur  Betrachtung 
des  Ergusses  von  Eiter  ans  der  Tube  in  die  Bauchhöhle,  und 
hält  denselben  ohne  Verletzung  der  Tubawändc  nur  dann  möglich, 
wenn  die  Menge  des  Eiters  so  bedeutend  ist,  dass  die  dem  Ein- 
wandern des  Ovulum  durch  die  Tuba  in  den  Uterus  vorstehenden 
Verrichtungen  seiner  Last  nicht  gewachsen  sind.  Der  Catarrh 
des  Gebärmutterkörpers  ist  übersichtlich  in  drei  verschiedenen 
Formen  abgehandelt,  je  nachdem  er  den  Uterus  ausser,  in  oder 
nach  der  Schwangerschaft  befallt.  Während  der  Schwangerschaft 
ist  der  Catarrh  sehr  selten  und  tritt  als  sogenannte  Hydro rrhoea 
gravidae  auf.  Verf.  fuhrt  hiervon '  drei  Fälle  an.  Wir  tragen 
Bedenken,  das  Beispiel  U.  ohne  Weiteres  als  Hydro  rrhoea  gelten 
zu  lassen,  indem  in  dem  auch  uns  bekannten  Falle  der  directe 
Nachweis  nicht  geliefert  worden  ist. 

Der  dritte  und  vierte  Theil  enthält  die  Besprechung  des 
Catarrhs  des  Mutterhalses  und  der  Scheide,  woran  sich,  nachdem 
kurz  im  fünften  Theile  der  Prognose  gedacht  ist,  im  sechsten 
Theile  die  Prophylaxe  und  Therapie  anschliesst.  Aus  letzterer 
erwähnen  wir,  dass  bei  Phlegmorrhoe  des  Halskanals  die  Entleerung 
des  stockenden  zähen  Schleimes  oft  viel  Mühe  macht.  Verf. 
schlägt  hierzu  die  Anwendung  einer  Saugpumpe  aus  Federhars 
und  Schläuchen  aus  vnlkanisirtem  Kautschuk  vor,  welche  dem 
Scheidentheile  angepasst  werden. 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  zur  Erläuterung  des 
Textes  sechs  nach  Originalen  des  Verf.  ausgeführte  treffliche 
Kupfertafeln  beigefügt  sind.  H. 


XVHL 

Der  Steinschneider  Jacob  Ruff  (oder  Ruoff, 
auch  Bueff  und  Etiff)  in  Zürich 

geschildert 
von 

Dr.  Meyer  -Ahrens, 

Arzt  In  Zürich. 

Wenn  wir  das  ganze  Gebiet  der  heutigen  Heilwissenschaft 
überblicken,  so  müssen  wir  gestehen,  dass  diese  Wissenschaft 
eine  so  gewaltige  Umgestaltung  erfahren  hat,  dass,  wer  der 
Entwickelung  derselben  nicht  gefolgt  wäre,  sich  kaum  mehr 
auf  dem  neuen  Boden  erkennen  dürfte;  und  es  möchte  daher 
wohl  manchen  Collegen  kaum  der  Mühe  werth  erscheinen, 
die  Arbeiten  der  Urvorfahren  aus  dem  Staube  der  Bibliotheken 
hervorzuziehen,  die  durch  die  Forschungen  und  Leistungen 
der  Jetztzeit  längst  überflügelt  sind.  —  Allein  die  Entwickelung 
der  Wissenschaften  ist,  einzelne  Entdeckungen  vielleicht  ab- 
gerechnet, keine  stossweise,  sondern  eine  allmälig  fort- 
schreitende, eine  Kette,  in  der  ein  Glied  gleichsam  aus  dem 
anderen  hervorsprosst,  und  wie  der  Enkel  wohlthut,  dankbar 
zu  forschen,  wie  der  Grossvater  und  Urgrossvater  ihm  sein 
festes  Haus  gegründet,  so  darf  sich  auch  der  hochgebildetste 
Arzt  der  Jetztzeit  nicht  schämen,  in  jene  frühen  Zeiten 
zurückzublicken,  in  denen  Männer,  die  an  Treue  und  Eifer 
für  ihre  Wissenschaft  den  strebsamsten  Forschern  und  Arbeitern 
der  Gegenwart  nichts  nachgaben,  das  Feld  urbar  gemacht 
haben,  auf  dem  die  Neuzeit  mit  so  grossem  Eifer  weiter  baut. 
Und  dann  ist  ja  der  Arzt  nicht  Arzt  allein,  er  ist  ja  auch 
Mensch  und  wird  als  solcher  mit  Interesse  das  ganze  Leben, 
Weben  und  Wirken  von  Männern  verfolgen,  die  nach  keinem 

Uonatoschr.  f.  Cteburtak.  1862.  Bd.  XX.,  Hit.  6.  22 


330  XVIII.     Meyer- Akren*,  Der  Steinschneider 

anderen  Ziele  rangen,  als  zur  höchst  möglichen  Stufe  wissen- 
schaftlicher Erkenntniss  zu  gelangen.  Diese  Gedanken  haben 
mich  zu  dem  Entschlüsse  geführt,  das  Leben  einer  Reihe 
schweizerischer  Aerzte  zu  schildern;  und  indem  ich  mir 
erlaube,  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  hiermit  eine  dieser 
Schilderungen  vorzulegen,  bemerke  ich  nur  noch,  dass  einige 
andere  ähnliche  Arbeiten  in  verschiedenen  Zeitschriften  er- 
schienen sind:  —  eine  Geschichte  der  schweizerischen  Aerzte 
und  des  schweizerischen  Medicinalwesens  im  Mittelalter  in 
Virchow's  Archiv,  eine  Biographie  der  beiden  Freitage  von 
Zürich  in  BiUrotV*  Archiv  für  Chirurgie,  eine  Biographie 
der  Arztfamilie  von  Murali  in  der  neuen  schweizerischen 
Zeitschrift  für  Heilkunde. 


Die  Mitte  des  sechszehnten  Jahrhunderts  sah  in  unserem 
Zürich  eine  schöne  Zahl  von  Aerzten  in  freundlichster  Harmonie 
vereinigt.  Da  war  noch  der  alte  Stadtarzt  Christoph  Clauser 
(gast.  1552),  ein  für  seine  Zeit  sehr  gebildeter  Arzt  und 
daneben  ein  wohlwollender  Mann,  der  C.  Gessner  aus  seiner 
wohlversehenen  Bibliothek  gefallig  unterstützte,  als  letzterer 
seine  classische  Bibliotheca  universalis  herausgab,  die  noch  für 
den  heutigen  Bibliographen  eine  reiche  Fundgrube  ist  Da 
lebten  G.  Keller  und  Casp.  Wolf,  C.  Gessner's  Schüler 
und  später  seine  genauesten  Freunde,  dann  der  gelehrte 
Dr.  Taddeo  Duno,  der  im  Mai  des  Jahres  1555  mit  mehr 
als  hundert  Glaubensgenossen,  welche  der  Fanatismus  der 
katholischen  Orte  aus  ihrem  Vaterlande  Locarno  vertrieben 
hatte,  in  Zürich  ein  bleibendes  Asyl  fand,  Giovanni  Muralto, 
ein  Leidens-  und  Schicksalsgefährte  Duno'a,  tüchtiger  Chirurg, 
und  wie  ersterer  mit  C.  Gessner  sehr  befreundet,  dann  der 
Augenarzt  Peter  Hafner ,  gewöhnlich  Meister  Peter  genannt, 
ein  Freund  der  Botanik,  der  C.  Gessner  öfter  auf  seinen 
botaqischen  Wanderungen  begleitete,  ferner  J.  Ruf,  der 
Steinschneider  und  Vjolksdichter,  auch  ein  Freund  Ge$sner% 
und  endlich  der  herrliche  Conrad  Geesner  selbst,  der  liebe, 
fromme  gute  Mann,  der  glanzende  Mittelpunkt  dieses  schönen 
Freundeskreises.  —  Von  allen  diesen  wackeren  Männern  er- 
laube ich  mir  dieses  Mal  den  J.  Ruf  zu  schildern. 


Jacob  Buff  etc.  in  Zürich.  331 

Jacob  Buff  war  aus  dem  Rheinthal  gebürtig,  doch  lässt 
sieb  das  Jahr  seiner  Geburt  schwerlich  ermitteln.  Kottmger 
meint,  man  könne  dasselbe  um  das  Jahr  1500  ansetzen. 
Wann  er  nach  Zürich  kam,  wissen  wir  ebenfalls  nicht,  jeden* 
falls  vor  dem  Jahre  1529,  insofern  wenigstens  seine  Comödie 
vom  reichen  Mann  und  armen  Lazarus,  welche  im  Jahre  1529 
von  der  Bürgerschaft  in  Zürich  aufgeführt  wurde,  mit  dem 
„tröstlich  Spiel  von  Lazaro",  das  im  Jahre  1552  zu  Zürich 
erschienen  sein  soll,  ein  und  dasselbe  Stück  ist  Sei  dem 
wie  da  wolle,  so  war  er  jedenfalls  im  Jahre  1525  bereits  in 
Zürich,  da  in  diesem  Jahre  sein  „Hiob"  auf  dem  Münsterhofe 
aufgeführt  wurde.  Der  Beweggrund  zu  seiner  Uebersiedlung 
nach  Zürich  kann  allerdings,  wie  Kottinger  sich  möglich 
denkt,  in  dem  Wunsche  nach  religiöser  Freiheit  gelegen  haben, 
die  den  Rheinthalern  unter  der  Herrschaft  des  Abtes  von 
St.  Gallen  nicht  gegönnt  ward,  doch  kann  ihn  auch  einfach 
der  Wunsch,  einen  grösseren  Ort  als  Centralpunkt  für  seine 
chirurgische  Praxis  zu  gewinnen,  zur  Uebersiedelung  bewogen 
haben.  Allerdings  war  er  selbst  ein  eifriger  Verfechter  der 
religiösen  Freiheit,  was  seine  Schriften  und  seine  Theilnahme 
an  dem  Kampfe  beweisen,  welcher  die  reformhrten  und 
katholischen  Kantone  entzweite,  indem  er  mit  Zürichs  Kriegs- 
schaaren  zwei  Male  gegen  die  katholischen  Kantone  auszog, 
das  erste  Mal  im  Jahre  1529,  um  die  Grenzen  des  Kantons 
gegen  den  den  möglichen  Einfall  Zugs  zu  decken,  das  zweite 
Mal  mit  Zwingli,  mit  welchem  er  am  12.  October  1531  bei 
Kappel  gegen  die  Katholiken  stritt 

Buffs  Beruf  war  die  Chirurgie,  und  er  nennt  sich  auf 
dem  Titelblatt  seiner  Comödie  von  der  Erschaffung  Adam's 
und  Heva  selbst  „Stein  sc  hnyder".  Daneben  war  Buff  aber 
auch  geburtshülflicher  Schriftsteller.  Allein  Buff  war  nicht 
nur  Arzt  und  ärztlicher  Schriftsteller,  sondern  auch  Dichter, 
und  als  geistlicher  und  weltlicher  Volksspieldichter  hat  er 
sich  einen  Namen  gemacht,  der  seinen  Namen  als  ärztlicher 
Schriftsteller  fast  überdauert  hat.  Seine  Volkscomödien, 
geistliche  und  weltliche,  geben  ihm  auch  als  Menschen  und 
Christen  ein  rühmliches  Zeugniss.  „In  Adam  und  Eva,u  sagt 
Kottinger,  der,  wie  wir  sehen  werden,  dieses  Schauspiel 
und   ein  weltliches  Schauspiel  von  Buff,  den  „Eiter  Heini " 

22* 


332  XVIII.     Meyer- Akren*,  Der  Steinschneider 

neu  herausgegeben  hat,  „herrscht  derselbe  religiöse  Sinn, 
dieselbe  Fruchtbarkeit  und  Lebendigkeit  frommer  geläuterter 
Gefühle  eines  von  den  Grundsätzen  der  Reformation  ergriffenen 
Gemüthes,  wie  im  Etter  Heini."  Kottinger  zweifelt  nicht, 
dass  Ruff  durch  seine  poetischen  Arbeiten  auf  die  Bildung 
seiner  Mitbürger,  besonders  der  jüngeren,  bedeutend  ein- 
gewirkt habe.  Man  kann  sich  wohl  denken,  dass  der  fromme 
C.  Ge88ner  sich  zu  einem  solchen  an  Geist  und  Herz 
trefflichen  Collegen  sehr  hingezogen  fühlen  musste,  und  in 
der  That  nennt  er  ihn  auch  in  seiner  berühmten  Bibliothek 
seinen  „Freund". 

In  seinen  ärztlichen  Fächern  war  Ruff  sehr  geschickt, 
wie  ihn  dann  wiederum  C.  Oessner  „vir  in  arte  sua 
peritissimus<(  nennt. 

Im  Jahre  1532  scheint  er  förmlich  als  eine  Art  Stadt- 
wundarzt in  Zürich  angenommen  worden  zu  sein  und  zugleich 
wurde  er  mit  dem  Stadtbürgerrechte  beschenkt. 

Wegen  seiner  Erfahrung  und  Geschicklichkeit  in  der 
Chirurgie  übertrug  man  ihm  auch  den  Unterricht  und  die 
Prüfung  der  Hebammen,  dem  später  sein  geburtshülf liehe» 
Werk  und  zwar  schon  zu  seiner  Zeit  und  dann  noch  bis 
gegen  das  Ende  des  siebenzehnten  Jahrhunderts  zu  Grunde 
gelegt  wurde,  doch  wurde  im  Jahre  1554  die  Oberleitung 
dieser  vierteljährlichen  Uebungen  C.  Oessner  als  Stadtarzt 
übertragen. 

Ruff  soll  mit  einer  Cleophea  Schenkel  verheirathet 
gewesen  sein.  Er  starb  im  Jahre  1558  und  ein  Jahr  später 
folgte  ihm  seine  Gattin  nach.  Ob  er  Kinder  zurückgelassen 
hat,  weiss  man  nicht. 

Es  ist  auffallend,  dass  ausser  unserem  Jacob  Ruff 
nach  dem  Zürcherischen  Geschlechterbuch  noch  zwei  Chirurgen 
ähnlichen  Namens  existirt  haben  sollen;  nämlich  ein:  Joachim 
Ryeff  und  ein  Virich  Ruff;  der  erstere,  Bruchschneider, 
soll  von  Konstanz  gebürtig  gewesen  und  im  Jahre  1532  eben- 
falls Bürger  von  Zürich  geworden  sein,  der  zweite  aus  dem 
Rheinthal  gebürtig,  soll  Bader  gewesen,  und  es  soll  ihm  im 
Jahre  1564  gestattet  worden  sein,  das  Bürgerrecht  der  Stadt 
Zürich  zu  erneuern.  Das  merkwürdige  Zusammentreffen,  dass 
Jacob  und  Joachim   im  Jahre   1532  Bürger  wurden  und 


Jacob  Ruff  etc.  in  Zürich.  333 

Ulrich  und  Jacob  aus  dem  Rheinthal  gebärtig  waren,  dass 
endlich  Ulrich  im  Jahre  1564  das  Bürgerrecht  nur  zu  er- 
neuern hatte,  lässt  mit  um  so  grösserer  Sicherheit  annehmen* 
dass  aüc  drei  Personen  Ein  und  derselbe  Ruff  waren,  als 
auch  Leu  in  seinem  helvetischen  Lexicon  nur  des  Jacob  Ruff 
erwähnt.  Die  Titel  thun  nichts  zur  Sache,  denn  die  Stein- 
schneider waren  auch  Bruchschneider  und  wenn  Ruff  eine 
Badestube  hielt,  so  war  er  auch  Bader. 

Ruffs  wissenschaftliche  Arbeiten,  zu  denen  wir  nun 
übergehen  wollen,  theilen  sich  in  poetische,  astrologisch- 
astronomische und  chirurgisch -geburtshülf liehe  Arbeiten,  und 
ich  hoffe  nicht  zweifeln  zu  dürfen,  dass  mir  die  Leser  dieser 
Zeitschrift  gern  auch  einige  Augenblicke  auf  das  erstere  Gebiet 
folgen  werden,  da  wir  den  inneren,  geistigen  Werth  eines 
Menschen  nur  vollständig  und  richtig  zu  erfassen  vermögen, 
wenn  wir  alle  Richtungen  seines  Wirkens  studiren. 

Die  grosse  Liebe  für  Drama  und  dramatische  Dar- 
stellungen, welche  in  der  zweiten  Hälfte  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  das  Volk  erfasst  hatte,  nahm  auch  im  sechszehnten 
Jahrhundert  nicht  ab;  vielmehr  wuchs  sie  in  solchem  Haasse, 
dass  die  Menge  der  dramatischen  Stücke  kaum  mehr  zu 
überschauen  ist,  und  während  im  fünfzehnten  Jahrhundert, 
wenn  sich  auch  die  Lust  an  dramatischen  Darstellungen  über 
ganz  Deutschland  verbreitet  hatte,  solche  sich  doch  nur  in 
wenigen  Städten  oder  Gegenden,  vor  Allem  in  Nürnberg,  dann 
in  Augsburg  und  etwa  auch  in  der  Schweiz  in  reicherer  Fülle 
finden,  in  den  übrigen  Provinzen  dagegen  nur  vereinzelt  vor- 
kommen, so  tauchen  im  sechszehnten  Jahrhundert  die  Spiele 
überall  auf;  von  der  See  bis  zu  den  Alpen  giebt  es  kaum 
nur  einen  einigermaassen  bedeutenden  Ort,  an  welchem  nicht 
theatralische .  Aufführungen  stattgefunden  hätten.  Aber  mit 
Ausnahme  der  Spiele,  welche  Hans  Sachs  dichtete,  sind 
nur  wenige  über  die  Grenzen  ihrer  nächsten  Heimath  ge- 
drungen; selbst  durch  den  Druck  erhielten  sie  nur  nothdürflige 
Verbreitung.  Gegen  die  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
hatten  sich  die  geistlichen  Spiele  allmälig  verloren,  ohne 
jedoch  ganz  aus  dem  Bewusstsein  des  Volkes  verschwunden 
zu  sein;  dagegen  war  das  weltliche  Drama  in  merkwürdiger 
Fülle  aufgetaucht,   hatte  sich  jedoch  nicht  über  die  ersten 


334  XVIII.    Meyer- Akren* ,  Der  Steinschneider 

Anfange  gehoben.  Gegen  das  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts 
hatten  ferner  die  Gelehrten  angefangen,  die  Dramen  der  Römer 
in's  Deutsche  zu  übersetzen,  und  es  war  Sitte  geworden,  auf 
den  Schulen  lateinische  Comödien  durch  die  Zöglinge  aufführen 
zu  lassen.  Beides  blieb  in  der  Folge  nicht  ohne  Einfluss  auf 
das  deutsche  Drama,  indem  einestbeils  selbst  die  Volksdichter 
auf  eine  gewisse  Regelmässigkeit  geführt  wurden ,  anderatheils 
auch  Gelehrte  begannen,  Dramen  in  deutscher  Sprache  zu 
schreiben,  wozu  sie  wohl  durch  den  Beifall  augeregt  worden 
sein  mochten,  den  die  lateinischen  Schulcomödien  selbst  bei 
dem  grösseren  schaulustigen  Publikum  gefunden  hatten/  Diese 
letzteren  hörten  zwar  keineswegs  auf;  vielmehr  wurden  sie 
gerade  ungefähr  zu  der  Zeit,  da  sie  im  protestantischen 
Deutschland  immer  mehr  durch  die  deutschen  Spiele  verdrängt 
wurden,  im  katholischen  Deutschland  von  den  Jesuiten  mit 
so  grossem  Eifer  wieder  aufgenommen,  dass  sich  ihre  Zahl 
ausserordentlich  vermehrte,  während  das  deutsche  Drama  nur 
an  einzelnen  Orten  Theilnahme  und  Bearbeiter  fand ;  und  wie 
die  lyrische,  didactische  und  epische  Poesie  beinahe  ohne 
Ausnahme  nur  von  den  Protestanten  bearbeitet  wurde,  so 
trägt  auch  das  Drama  des  sechszehnten  Jahrhunderts  und  der 
nachfolgenden  Jahrhunderte  einen  überwiegend  protestantischen 
Charakter.  Sobald  man  anfing,  die  Schulcomödie  in  deutscher 
Sprache  zu  bearbeiten  und  sie  so  für  eiu  grösseres  Publikum 
zu  bestimmen,  musste  sie  nothwendig  die  engen  Grenzen 
überschreiten,  in  welche  sie  bis  dahin  gebannt  gewesen  war. 
Hatte  sie  früher  zunächst  den  Hauptzweck  gehabt,  den 
Schülern  Gelegenheit  zu  geben,  sich  in  der  lateinischen 
Sprache  zu  üben,  und  waren  daher  die  einzelnen  Stücke 
theils  der  Schule  augepasste  Umarbeitungen  lateinischer  Dramen, 
theils  Bearbeitungen  antiker  Stoffe,  so  wandte  man  sich  jetzt 
zu  solchen  Stoffen,  welche  dem  grossen  Publikum  verständlich 
sein  konnten.  Aber  da  man  doch  die  Schule  nicht  aus  den 
Augen  verlieren  durfte,  so  wählte  man  nur  solche  Gegen- 
stände, mit  welchen  sich  pädagogische  Zwecke  vereinigen 
Messen,  und  da  die  Reformation  auf  die  Bibel,  als  das  Buch 
aller  Bücher  hingewiesen  hatte,  so  ist  es  begreiflieh,  dass 
man  vorzugsweise,  ja  beinahe  ausschliesslich  nur  biblische 
Stoffe  wählte.     Man   benutzte  jedoch  insbesondere  das  alte 


Jacob  Ruff  etc.  in  Zürich.  335 

Testament,  nicht  nur,  weil  es  dem  Gefühl  des  Protestanten 
widerstrebte,  Christus  zum  Gegenstande  theatralischer  Dar- 
stellung zu  machen,  sondern  auch,  weil  das  alte  Testament 
weit  mehr  acht  dramatische  Stoffe  darbietet,  als  das  neue 
Testament 

In  der  Schweiz  war  es  nun  unser  Buff,  der  nebst  den 
Zürichern  Christoph  Murer  und  Jonas  Mwrer,  dem  Solo- 
thurner  Probst  Joh.  Aal  von  Bremgarten,  dem  Solothurner 
Stadtschreiber  Joh.  Wagner,  dem  Solothurnischen  Eisenkrämer 
Georg  Ootthart  und  Jacob  Scherttceg  aus  Ölten  das  geist- 
liche Spiel  bearbeitete. 

Zu  den  biblischen  historischen  Spielen,  die  Ruff  ver- 
fasste,  gehören:  Die  Historie  Jobs,  die  im  Jahre  1535  auf 
dem  Münsterhofe  in  Zürich  öffentlich  aufgeführt  wurde;1) 
dann:  Ein  schön  spiel  von  dem  gläubigen  Vatter  Abraham, 
Zürich  A.  ?  in  8.,  dann:  Ein  tröstlich  Spiel  von  Lazaro, 
Zürich,  A.  1552,  das  schon  im  Jahre  1529  von  der  Bürger- 
schaft Zürichs  aufgeführt  worden  sein  soll. 

Aber  auch  das  geistliche  Mysterium  und  das  weltliche  Spiel 
wurden  im  sechszehnten  Jahrhundert  vielfaltig  bearbeitet,  und 
obschon  das  letztere,  das  schon  im  fünfzehnten  Jahrhundert 
gewonnene  Uebergewicht  behielt,  so  scheint  jenes  beinahe  sich 
wieder  zu  grösserem  Aufschwünge  erheben  zu  wollen ;  dies  ist 
namentlich  in  der  Schweiz  der  Fall,  wo  uns  das  Mysterium 
in  bemerkenswerther  Fülle  entgegentritt,  und  da  steht  wieder 
unser  Jacob  Ruff  obenan.  In  seinem:  Ein  nüw  vn  lustig 
Spyl  von  der  erschaffung  Adams  und  Heva,  auch  jrer  beider 
faai  im  Paradyss.  Gespilt  von  einer  loblichen  burgerschaffl 
Zürych  uff  den  9  vnd  10  Tag  Junii,  im  50  Jahr;  fast  textlich, 
onet  was  die  action  zuogetragen;  sammt  den  Concordantzen. 
Durch  Jaeobum  Rueff,  Steinschnyder  Zürych.  (1550)  umfasst 
er  die  ganze  biblische  Geschichte  von  der  Erschaflung  des 
Menschen  bis  zur  Sündfluth  in  einer  Reihe  von  unzusammen- 
hängenden Bildern.  Dieses  Spiel,  indem  nicht  weniger  als 
106  Personen  auftreten,  ist  in  der  naiven  und  kernbaften  Weise 
der  alten  Stücke  gebalten,  wo  der  Dialog  in  der  epischen 
Entwickelung  beinahe  verloren  geht.  —  Nun  einige  Mutffer: 


1)  Man  weiss  nicht,  ob  diese  Arbeit  gedruckt  worden  ist. 


336  XVIII.    Meyer- Akren* ,  Der  Steinschneider 

Der  Teufe],  entsetzt  von  dein  Gedanken,  dass  die  neu- 
erschaffenen Menschen  Gottes  Verbot  ehren  und  unschuldig 
bleiben  und  so  seiner  Gewalt  entgehen  möchten,  schickt  eineu 
Boten  nach  der  Hölle,  um  die  Teufel  zur  ßerathung  zu- 
sammenzurufen, wie  wohl  Gottes  Plan,  die  neuen  Menschen 
an  Leib  und  Seele  zu  heiligen  und  unsterblich  zu  machen, 
zu  vereiteln  wäre.  Der  Bote  klopft  nun  mit  grossem  Un- 
gestüm an  der  Höllenpforte  und  ruft: 

Mordjo!   mordjo!  jr  Tüfel  all! 

Thnond  uf  d'Hellthür  mit  grossem  Schall 

Und  lonffend  drnss  mit  grossem  G'schrey, 

So  wil  ich  üch  sagen  mengerley. 
Nun  antwortet  Lucifer: 

Bot«  Lungken,  Lahor  und  botz  Darm! 

Post!  fast  bist  g'louffen,  dir  ist  warm, 

Dann  du  fast  schwitz'st,  das  kan  ich  meoken. 

Was  machet  Gott?   thuo  uns  entdecken, 

Es  sey,  was's  well,  grad's  oder  krumb's, 

Das  sag  uns  all's  in  Einer  summ. 
Dann  antwortet  der  Bote: 

Herr  Lucifer!  was  sol  ich  sagen? 

Ich  han  nun  gar  ein  lären  Magen 

Und  bin  mer  g'louffen  in  der  Tl 

Ungessen  dann  vierhundert  Myl; 

Darzuo  ich  hab  ouch  wenig  truncken: 

Mir  ist  schier's  Herz  im  Lyb  versuncken :  etc.  etc. 
Hierauf  beginnt  der  Rath  der  Teufel,  welche  ihr  Votum 
immer  mit  einer  Art  Schwur  beginnen,  z.  B. 

Botz  Hüener8ädel  und  bots  Mist! 

Bote  Knobloch,  Bollen  und  bots  Reben!1) 

Botz  Hosenlatz  und  nestelglimpff! 

Botz  Ofengabel  und  bots  Magen, 

Botz  Fuchse  und  Hass,  ouch  Bären  Drack! 

Bots  Rinderzan  und  Ochsenhorn! 
Die  Teufel  rathen  dann  alle,  die  Schlange  zur  Verführung 
der  ersten  Menschen  anzuhetzen,  und  zuletzt  lässt  der  Teufel 
durch  offenes  Mehr  abstimmen: 

Uss  uiinem  schiächten)  Unverstand 

Wäm  das  wol  g'fall,  heb  uf  sin  Hand, 

Der  juchtzg  und  schry  mit  lutem  G'schrey 
•.  Hoch  und  nider,  mengerley, 

worauf  sammtliche  Teufel  (unter  Musik)  in  die  Hölle  zurücklaufen. 

1)  Bollen  =  Zwiebeln;  Beben  =  weisse  Rüben. 


Jacob  Ruf  etc.  in  Zürich.  357 

Freundlicher  und  wirklich  lieblich  ist  die  Scene,  wo  Gott 
in  der  Abendkühle  im  Selbstgespräche  im  Paradiese  spazieren 
geht,  neugierig,  ob  wohl  seine  Neugeschaffenen,  die  er  ver- 
geblich sucht,  sein  Verbot  geachtet  haben,  dann  aber,  da  er 
sie  nirgends  sieht,  ahnet,  dass  sie  von  der  verbotenen  Frucht 
gegessen  haben  und  nun  dem  Adam  ruft,  dass  er  sich  zeigen 
solle.    Nun  Adam: 

O  Herr!   dich  g'sach  ich  umbhär  gan, 
Die  Stimm  ich  hört,  nnd  forcbt  mir  seer; 
Ich  meint,  ich  wette  niemermer 
Für  dich  mee  kommen  und  dich  flühen, 
Din  göttlich  Wasen  allwäg  schuhen; 
Dann  ich  hin  nackend,  schamhafft  worden: 
Drumb  ich  mich  han  vor  dir  verborgen. 

Gott: 
War  hat  dir's  g'aagt,  dasst'   nackend  bist? 

Adam : 
Ich  weiss  nit,  wie's  zu o gangen  ist  u.  s.  f. 

Sehr  lieblich  ist  dann  das  Zwiegespräch,  in  welchem  sich 
Adam  und  Eva  nach  ihrer  Vertreibung  aus  dem  Paradiese, 
ihre  Sunde  herzlich  bereuend,  alle  Liebe  und  Treue  geloben, 
worauf  (unter  Musik)  Adam  sich  zu  Eva  legt  und  letztere 
endlich  einen  Sohn  und  eine  Tochter  gebiert.  Man  kann  aus 
diesen  wenigen  Beispielen  sehen,  dass  das  Ganze  recht  viel 
dramatische  Wirkung  hat.  Seminarlehrer  H.  M.  Kottinger 
hat  diese  Comödie  als  26.  Band  der  Bibliothek  der  deutschen 
Nationalliteralur  (Quedlinburg  und  Leipzig,  1848)  mit  Er- 
läuterungen neu  herausgegeben. 

Andere  Arbeiten  Ruff's  in  der  bezeichneten  Richtung 
sind:  Ein  geistlich  Spiel  von  der  Geburt  und  Empfangnuss 
Christi.  Zürich  1552.  8« ,  ferner  vom  Leiden  des  Herrn  nach 
den  vier  Evangelien  mit  geringen  Veränderungen  bearbeitet. 
Ob  dieses  letztere  Spiel  gedruckt  wurde,  weiss  man  nicht; 
es  soll  im  Jahre  1544  von  den  Schalern  der  lateinischen 
Schule  in  Zürich  aufgeführt  worden  sein.  —  Hieran  schliesst 
sieb  ein  anderes  neutestamentliches  Stüek  vom  Weingarten 
des  Herrn,  das  im  Jahre  1539  am  Tage  nach  Pfingsten  in 
Zürich  aufgeführt  wurde;  aber  auch  von  diesem  weiss  man 
nicht,  ob  es  gedruckt  worden  ist.  —  Aber  auch  im  weltlichen 
Spiele  hat  sich  Ruff  versucht.    So  haben  wir  von  ihm:   Eyn 


338  XVIII.     Meyer -Ähren*,  Der  Steinschneider 

nüwes    spil    vom    wol-     und    Uebelstannd    eyner    löblichen 
Eydgenoschaft.    Der  schon   erwähnte  Kottinger  gab  in  der 
ebenfalls  bereits  erwähnten  Bibliothek  der  gesaramten  deutschen 
Nationalliteratur  (Bd.  14,  Quedlinburg  u.  Leipzig  1847)  auch 
von  diesem  Spiele  eine  neue  Auflage  mit  Erläuterungen  heraus, 
und  zwar  nach  einer  Handschrift,  welche  Professor  EUmtiUer 
in  Zürich  auf  einer  Auction  erstand.   In  dieser  Handschrift  fand 
sich  vor  dem  fraglichen  Stucke  Ruff's  noch  ein  anderes  Stück, 
das  nicht  von  Ruff  herrührt  und  seinen  Namen  nicht  von  Ruff 
erhielt,  auch  mit  Ruff's  Stöcke  in  keinem  inneren  Zusammen- 
hange steht.  Da  das  eigentliche  Titelblatt  in  der  Handschrift  fehlte 
und  das  Hauptstück  unter  dem  Titel:  „Etter  Heini/'  welche  die 
Hauptperson   in   demselben  bildet,  im  Autionscataloge  stand, 
so  wählte  Kottinger  um  so  eher  den  Titel,    unter  dem  das 
Stück   im  Auctionscataloge  gestanden  hatte:   „Jacob  Ruff's 
Etter    Heini    uss    dem    Schwizerland ,"    als    er   damals   den 
ursprünglichen  Titel   des   Stückes   nicht  kannte.     Das  Stück, 
welches  dem  Etter  Heini  in  der  Handschrift  voranging;  setzte 
Kottinger  in  seiner  Ausgabe  dem  Etter  Heini  als  „Vorspiel4' 
voran.     Wer  das  Vorspiel  gedichtet  hat,   ist  nicht  bestimmt 
nachzuweisen;  vermuthlich  wurde  es  um  das  Jahr  1513  oder 
1514   geschrieben,   der  Etter  Heini   hingegen  wahrscheinlich 
im  Jahre  1538  oder  1539.  *) 

Der  Etter  Heini  ist  ein  politisches  Schauspiel,  das  vom 
glücklichen  und  unglücklichen  Zustande  des  Eidgenössischen 
Bundes  während  der  Epoche  der  Reformation  handelt.  In 
schlichter,  einfacher  Weise  werden  in  demselben  die  wichtigsten 
Regierungsmaximen  vorgetragen,  die  Mittel  angegeben,  welche 
einem  Staate  Ehre,  Glück  und  Wohlstand  verschaffen  und  die 
Gebrechen  aufgedeckt,  durch  die  endlich  jedes  Reich  zerfallen 
muss.  „Die  moralischen  Grundsätze,  die  in  beiden  Stücken 
vorgetragen  werden,  und  der  Hauch  frommer  Gefühle,  der 
sie  durchweht ,"  sagt  Kottinger ,  „machen  sie  ohne  Unterschied 
des  Bekenntnisses  jedem  Freunde  der  Sittlichkeit  und  un- 
gekünstelter Religiosität   ehrwürdig.     Für   die  Bekenner   der 


1)  Was  die  speciellere  Geschichte  der  beiden  Schauspiele 
betrifft,  so  müssen  wir  in  dieser  Beziehung  auf  die  weitläufige 
Untersuchung  Kottinger*  s  verweisen. 


Jacob  Ruf  etc.  in  Zürich.  339 

protestantischen  Religion  sind  sie  noch  besonders  darum 
wichtig,  weil  sie  noch  warme  Anhänglichkeit  an  die  Grund- 
sätze jener  denkwürdigen  Kirchenreform  athmen,  während  in 
unseren  Tagen  bei  Vielen  ein  kalter  Indifferentismus  ein- 
getreten ist.  Den  schweizerischen  Behörden  und  Völkerschaften 
geben  sie  manche  gute  politische  Lehre;  besonders  warnen 
sie  vor  der  alten  Neigung,  in  eidgenössischen  Dingen  fremdem, 
auswärtigem  Einflüsse  Raum  zu  geben  und  sich  dadurch  zum 
Partheiwesen  verleiten  zu  lassen.  Dem  Freunde  der  eid- 
genössischen Geschichte  gewähren  sie  manchen  Blick  in  die 
damaligen  öffentlichen  Zustände  der  Schweiz." 

Ein  weiteres  weltliches  Schauspiel  Ruff'&  war:  Ein 
hüpsch  und  lustig  spyl,  vorzyten  gehalten  zu  Ury  in  dem 
lob],  ort  der  Eydgnoscbaft,  von  dem  frommen  und  ersten 
Eydgenossen  Wilhelm  Thellen,  irem  landtmann:  jetz  nüwlich 
gebessert,  corrigirt,  gemacht  und  gespilt  am  nüwen  jarstag 
von  einer  lobl.  und  jungen  burgerschafft  zu  Zürich,  im  jar, 
als  man  zalt  1545.  Per  Joe.  Ruef,  urbis  Tig.  chirurgum. 
Zürich  bei  Aug.  Fries  1548.  Von  diesem  Schauspiele,  von 
dem  sich  das  Original  (Unikum)  auf  der  Hof-  und  Staats- 
bibliothek zu  Mündjen  befindet,  besorgte  Mayer  zu  Pforzheim 
im  Jahre  1843  eine  neue  Ausgabe.  Dieses  Schauspiel  scheint 
Ruff  also  schon  früher  geschrieben  und  im  Jahre  1545  nur 
durchgesehen  und  verbessert  zu  haben. l) 

Zu  den  weltlichen  Spielen  Ruff'a  gehört  endlich  noch: 
Von  der  edlen  und  keuschen  römischen  Matrone  Paulina, 
welche  im  Tempel  der  Isis  durch  Betrug  der  Priester  ge- 
schändet worden,  eine  Begebenheit,  welcher  Josephus  im 
18.  Buche  der  jüdischen  Alterthümer  und  Hegesippus  im 
2.  Buche  von  der  Zerstörung  Jerusalems  erwähnen.  Ob  dieses 
Spiel  gedruckt  wurde,  weiss  man  nicht 

Damit  haben  wir  sämmtlicher  poetischer  Arbeiten  Ruff9» 
gedacht,  so  weit  sie  uns  bekannt  sind.9) 


1)  G.  Qestner  sagt  in  seiner  Bibl.  nniv.  (1546)  ...  et  bis  diebus 
comoediam  de  WilMmo  Thello  foederis  Helvetici  authore  auct&m 
per  se  et  recognitam  magno  cum  applansn  publice  speetandam 
exhibuit,  quae  jam  excasa  est. 

2)  Specielle  und  sehr  ausführliche  Untersuchungen  über  die 
verschiedenen  Spiele  Ruf'*  findet  man  bei  KoUinger  a.  n.  a.  o. 


340  XVIII.     Meyer- Akren*,  Der  Steinschneider 

Eine  zweite  Reihe  von  Arbeiten  RujjFs  sind  astrologisch- 
atronomischer  Natur. 

Zu  diesen  gehören:  Catalogus  quo  continentur  medkorum 
fere  omnium  et  astrologoruui  nomina  cum  ßguris  (Verzeichnis* 
der  Namen   beinahe  aller   Aerzte  und   Astrologen),    der  um 
das   Jahr    1645   in    drei   Wandtabellen    erscheinen    sollte.1) 
Dann:  Interpretationes  ostentorum  aliquot:  De  duplici  infante, 
utroque   foeminei  sexus,   Scaphusiae  cedito  anno   1543  sexto 
die   februarii   capitibus  duobus,  brachiis  quatuor    totidemque 
pedibus  disjunctis:  uno  vero  solido  corpore  a  collo  ad  umbilicnm 
usque,   umbilici   subtus   vinculo   propendente;  —    de    circaJo 
quodam,   cujus  pars  una  medium  solem  distinguere  visa  est: 
per  centrum  vero  et  medium   circüli  transire  ins.      Apparuit 
Glaronae  in  Helvetia  1544  die  19  Aprilis;  —  de  cruce  alba, 
quae   plenam   lunam    obtegere   visa   est,   Villae   (Wyl)    (quod 
oppidum  est  Helvetiorum)  1544  die  7  Aprilis.    (Auslegungen 
einiger  Wunderzeichen  von  einem  doppelten  Kinde  weiblichen 
Geschlechtes,  das  im  Jahre  1543  zu  Schaffhausen  geboren  wurde 
mit  zwei  Köpfen,  vier  Armen  und  vier  getrennten  Füssen,  Einern 
Leibe  vom  Halse  bis  zum  Nabel;  —  von  einem  Kreise,  dessen 
einer  Theil  die  Sonne  in  der  Mitte  zu  theilen  schien  u.  s.  *., 
und    den    man   im  Jahre   1544  zu  Glarus    sah;    von    einem 
weissen  Kreuze,   welches   den  Vollmond  zu  bedecken   schien, 
und  das  man  im  Jahre  1544  zu  Wyl  sah.)    Beide  Schriften 
wurden    vor    dem   Jahre   1545   abgefasst;    ob    sie    gedruckt 
wurden,   wissen  wir  nicht.     Endlich  gehören  hierher   einige 
Kalender,  von  denen  der  erste  wahrscheinlich  im  Jahre  1543 
erschien. 

Zu  diesen  Kalendern  kann  man  wohl  auch  rechnen  und 
wahrscheinlich  war  es  eben  ein  solcher  Kalender:  Ein  nüwe 
und  Tütsche  Pronosücation  uff  das  M.D.XL1U.  Jar  mit  an- 
zeigung  etlicher  endrungen  weltlicher  löuffen,  sampt  besunderen 
tagen  des  wätters.  Per  Jacobum  JRueff,  urbis  Tigurinae 
Cbirurgum.  Dieses  Schriftchen,  das  mit  der  Titelseite  aus 
15  kleinen  Quartseiten  besteht,  enthält  zuerst  astrologische 
Prophezeiungen,  dann  das  Verzeichniss  von  drei  Mood- 
Onsternissen  und  einer  Sonnenfinsterniss   des  Jahres   1544, 

1)  Ob  er  wirklieh  erschienen  ist,  wissen  wir  nicht. 


Jacob  Ruff  etc.  in  Zürich.  341 

endlich  Witterungsprophezeiungen  auf  astrologischer  Grundlage. 
Endlich  zierte  Ruff  den  Abschnitt  über  die  Fische  des  Bodensees 
aus  O.  Mangold?*  Chronik  der  Stett  und  Landschaften  am 
Bodensee,  den  sein  Freund  C  Oessner  im  Jahre  1557  unter 
dem  Titel:  „Fiscbbuch  etc.  durch  den  Wolgelarten  G.  Mangold 
beschrieben a  herausgab,  mit  Sprüchen. l)  —  A.  v.  Haller 
führt  in  der  Bibl.  anatomica  noch  ein  Opus  chyromanticura 
auf,  das  im  Jahre  1560  in  4.  erschienen  sein  soll  und  das 
er  nach  Uffenbach  Ruff  zuschreibt,  ohne  jedoch  selbst 
sicher  zu  sein,  dass  es  von  Ruff  herrühre. 

Die  heilwissenschaftlichen  Arbeiten  Ruff 's,  zu  denen  wir 
uns  nun  wenden,  beschränken  sich  im  Wesentlichen  eigentlich 
nur  auf  zwei,  auf  eine  chirurgische  Schrift:  Libellus  de 
tumoribus  quibusdam  phlegmalicis  non  naturalibus  Hb.  ex 
veteribus  et  recentioribus  collectus  Tig.  1556.  4.  (Buch  von 
einigen  widernatürlichen  phlegmatischen  Geschwülsten,  aus 
älteren  und  neueren  Schriftstellern  gesammelt)  und  eine 
Geburtshülfe  oder  ein  Hebammenlehrbuch. 

Was  die  erstere  Schrift  betrifft,  welche  von  Heinrich 
von  Roonhuysen  in's  Belgische  übersetzt  wurde  (Amster- 
dam 1662.  8.),  so  kennen  wir  dieselbe  nicht  aus  eigener 
Anschauung.  Nach  Hauer  handelt  sie  von  den  Balggeschwülsten, 
mit  denen  Ruff  jedoch  auch  andere  Geschwülste  zusammen- 
geworfen zu  haben  scheint,  dem  Brande,  dem  Nagelgeschwür 
(Paronychia)  und  der  Exostose  und  ist  eine  Sammlung  von 
Formeln  mit  einer  theoretischen  Auseinandersetzung.  Man 
findet  darin  auch  Einiges  über  die  Exstirpation  der  Balg* 
gesch wülste,  die  er  ganz  zu  exstirpiren  ermahnt.  Er  sah, 
dass  wenn  man  Balggeschwülste,  die  aus  einem  Naevus  ent- 
standen waren,  abschnitt,  die  Operirten  verbluteten.  Er  lobt 
auch  die  Zerstörung  der  Balggeschwülste  mittels  des  Arseniks. 
Wenn  sie  an  der  Basis  schmaler  sind,  können  sie  mit  einem 


1)  Ausser  Leu' 8  helv.  Lexicon  und  O esaner' b  bibl.  oniv.  sind 
die  Hauptquellen :  Die  Dedicarion,  Vorrede  and  Einleitung  au 
Jacob  BujjTs  Etter  Heini  vss  dem  Schwizerland  summt  einem  Vor- 
spiel erläutert  und  herausgegeben  von  Hermann  Marcus  Kottinger, 
Secundarlehrer.  Quedlinburg  und  Leipzig  1847.  (Bd.  XIV.  der 
Bibliothek  der  geaammten  deutschen  Nationallitte ratur.  Quedlin- 
burg und  Leipzig,  1847.) 


342  XVIII.    Meyer -Ahrena,  Der  Steinschneider 

Faden  unterbunden  werden.  Er  erzählt  ferner  einen  Fall, 
wo  bei  Spina  bifida  die  Geschwulst  mit  tödtlichem  Erfolge 
eingeschnitten  wurde. 

Die  zweite  Schrift  muss  nach  von  Siebold  als  eine  neue 
Ausgabe  des  Hebammenlehrbuches  von  Euchariu*  RössUn 
angesehen  werden.  —  Der  Zustand  der  Geburtshülfe  war  im 
Anfange  des  sechszehnten  Jahrhunderts  ein  sehr  trauriger, 
die  Hebammen  hatten  sich  die  Ausübang  derselben  zum 
grössten  Theile  angeeignet,  und  wenn  auch  in  einzelnen  Fällen 
männliche  Hülfe  in  Anspruch  genommen  wurde,  so  geschah 
dieses  nur  bei  den  verwickeisten,  ja  bei  den  durch  voraus- 
gegangene schlechte  Hülfsversuche  ganz  verdorbenen  Fällen, 
aus  deren  Behandlung  die  Wissenschaft  keinen  Nutzen  ziehen 
konnte.  Operationen,  welche  nur  die  äusserste  Verzweiflung 
eingeben  konnte,  wurden  gemacht,  die  grausamsten  Perforationen 
und  Zerstückelungen  des  Kindes  wurden  vorgenommen,  denen 
oft  genug  auch  die  Mutter  unterliegen  musste.  Dabei  fehlte 
es  an  jeder  belehrenden  Zusammenstellung  in  eigenen  Schriften, 
weshalb  auch  der  Unterricht  sehr  mangelhaft  sein  musste, 
und  so  vererbten  sich  denn  von  den  älteren  Hebammen  anf 
die  jüngeren  Yorurthefle  jeder  Art,  welche  oft  genug  selbst 
von  Aerzten  begünstigt  oder  wenigstens  nicht  bekämpft  wurden. 
Darum  sagt  Röeelin: 

loh  meyn  die  Hebammen  alle  sampt 

Die  also  gar  keyn  wyssen  handt, 

Dana  durch  yr  hynlessigkeit 

Kynd  verderben  weit  und  breit. 

Und  handt  so  schlechten  Fleiss  gethon 

Das  sie  mit  Ampt  eyn  Mort  begon  n.  s.  w. 
Und  weiter  unten: 

Hab  ich  myr  das  zu  Hertsen  genommen 

Gott  za  lob  and  ans  sa  frommen 

Den  armen  seien  aach  za  trost 

Die  damit  werden  hie  erlöset 

Und  nit  so  vil  Mort  ward  geschehen 

Als  oft  and  dick  ichs  hab  gesehen  a.  s.  w. 
Diese  traurige  Unwissenheit  der  Hebammen,  veranlassten 
Catharina,  geb.  Prinzessin  von  Sachsen  und  Herzogs  Sigmund 
von  Oestreich  nachgelassene  Wittwe  (später  [seit  1496]  Ge- 
mahlin Erich'*  I.,  Herzogs  von  Braunschweig  und  Lüneburg, 
gest.  1524  zu  Göttingen),  EuchaviuB  Böeslin,  erst  Arzt  zu 


Jacob  Muff  etc.  in  Zürich.  343 

Worms,  dann  zu  Frankfurt  a.  ü,  aufzufordern,  ein  Hebammen- 
lehrbuch  herauszugeben,  von  dem  die  erste  Ausgabe  in 
deutscher  Sprache  im  Jahre  1513  unter  dem  freundlichen 
Titel;  „Der  s wangern  Frawen  und  Hebammen  Rosegarten u 
zu  Worms  erschien.  Rösslin  widmete  das  Buch  der  Prinzessin 
Caihorina  und  bat  sie,  dasselbe  unter  die  ehrsamen  zuchtigen 
schwangern  Frauen  und  die  Hebammen  auszutheilen.  Wie 
gross  das  Bedürfniss  nach  einem  solchen  Buche  war,  das 
beweisen  die  vielen  Ausgaben,  die  das  Buch  erlebte  und  seine 
Uebersetzungen  ins  Lateinische,  Französische,  Holländische 
und  Englische.  Es  bildet  eine  Zusammenstellung  der  geburls- 
hülf liehen  Lehren  des  Hippocra&es,  GcUenus,  der  arabischen 
Aerzte,  besonders  des  Avieenna  und  des  Albertus  Magnus. 
Ausserdem  benutzte  RössKn  die  geburtshälflichen  Kapitel 
bei  Aetiu8,  sowie  späterer  Schriftsteller,  besonders  des 
Oordon  und  Savonwrola  vielfach,  so  dass  das  Ganze  fast 
nur  einen  Ueberblick  über  die  Gestaltung  der  Geburtshölfe 
bis  zur  Zeit  des  Verfassers  darbietet.  Man  muss  aber  nicht 
glauben,  dass  RössKn  selbst  bedeutende,  durch  eigene  Er- 
fahrimg erworbene  geburtshülfliche  Kenntnisse  besessen  habe, 
im  Gegentheil  kannte  er  selbst  den  Hergang  einer  natürlichen 
Geburt  sehr  wenig,  und  erfand  Kindeslagen  und  liess  solche 
abbilden,  die  gar  nicht  vorkommen.  Allein  da  die  damalige 
Sitte  nur  Hebammen  den  Zutritt  zur  naturgemässen  Geburt 
gestattete,  so  blieb  ihm  nichts  übrig,  als  sich  theils  an  die 
Aussagen  der  Hebammen  und  die  Darstellung  seiner  Vorgänger 
zu  halten,  welche  aus  derselben  Quelle  geschöpft  hatten, 
theils  sein  Buch  nach  eigener  Erfindung  auszuschmücken. 
Nichtsdestoweniger  aber  war  Rössliris  Buch  nach  dem  UrtheUe 
von  Siebold  s,  dem  wir  hier  folgen,  ein  verdienstliches  Unter- 
nehmen, da  er  durch  dasselbe  den  Hebammen  seiner  Zeit 
eine  geregelte  Anleitung  gab,  wie  sie  ihre  Kunst  ausüben 
sollten,  den  Aerzten  und  Wundärzten  aber  einen  Ueberblick 
über  den  Zustand  der  Geburtshölfe  selbst. 

Als  eine  neue  Ausgabe  nun  dieses  Buches  von  Rösslin 
ist,  wie  schon  bemerkt  wurde,  das  Hebammenlehrbuch 
Jacob  Ruff's  zu  betrachten,  wobei  sich  jedoch  Letzterer 
bemüht  hat,  Rössliris  Werk  nach  besten  Kräften  zu  ver- 
bessern.    Auch    die    Veranlassung    zur    Herausgabe    dieses 


344  XVIII.     Meyer-Akrent,  Der  Steinschneider 

Hebammenlehrbuches  war  eine  .ganz  ähnliche  wie  bei  Rösstin. 
Aehnliche  traurige  Beobachtungen,  wie  sie  Rösslin  gemacht 
hatte,  hatte  auch  Ruff  machen  müssen,  und  wie  dort  die 
Prinzessin  von  Sachsen  Rösslin  zur  Herausgabe  seines  Buches 
aufgefordert  hatte,  waren  es  hier  zwei  Vorsteher  der  Chirurgeo- 
geseilschaft,  die  obersten  Heister  Jörg  Müller  und  Rudolf 
Cloter,  welche  nebst  Ruff  mit  dem  Unterrichte  und  der 
Prüfung  der  Hebammen  beauftragt  waren,  und  die  in  Ruff 
drangen,  einen  solchen  Leitfaden  herauszugeben,  der  nicht 
bloss  für  die  Hebammen,  sondern  für  alle  Frauen  bestimmt 
sein  sollte,  welche  in  den  Fall  kommen  konnten,  die  Hebammen 
bei  den  Geburten  zu  unterstützen  oder  die  Wöchnerinnen  zu 
pflegen;  und  wie  Rösslin  die  Prinzessin  Catharina  bat,  sein 
Buch  in  ihrem  Fürstenthume  und  anderen  deutschen  Ländern 
zu  verbreiten,  so  bittet  auch  Ruff  in  der  Vorrede,  die  er  an 
den  damaligen  Bürgermeister  der  Stadt  Zürich,  Joh.  Hab, 
richtet,  dass  es  Sr.  Weisheit  gefallen  möchte,  das  Buch 
sämmtlichen  Hebammen  und  pflegenden  Frauen  in  der  Stadt 
und  auf  der  Landschaft  zu  schicken,  damit  dieselben  das 
Buch  entweder  selbst  studiren  oder  sich  (besonders  das  dritte 
und  vierte  Buch,  welche  die  Praxis  der  Geburtshülfe  behandeln, 
wie  sie  von  den  Hebammen  ausgeübt  werden  soll)  vorlesen  lassen. 
In  Ruff's  Buch  ist  Manches  für  die  damalige  Zeit  klarer 
und  deutlicher  dargestellt,  als  in  Rösslin' %  Buch,  und  auf 
manches  wahrhaft  Nützliche  ist  ein  grösseres  Gewicht  gelegt 
Auf  der  anderen  Seite  aber  ist  auch  kein  Mangel  an  absurden 
und  abergläubischen  Lebren.  Das  Buch  erschien  zuerst  unter 
dem  Titel:  Ein  schön  lustig  Trostbüchle  von  den  empfengk- 
nussen  und  geburten  der  menschen,  vnnd  jren  vilföltigen  zufalen 
und  verhindernussen,  mit  vi)  vnnd  mancherley  be warten  stucken 
und  artznyen,  ouch  schönen  iiguren  darzu  dienstlich,  zu  trost 
allen  gebärenden  frouwen  und  eigentlichem  beriebt  der 
Hebammen,  erst  nüwlich  zusammengeläsen  durch  Jacob  Ruff 
burger  und  Steinschnyder  der  loblichen  Statt  Zürycb.  Getruckt 
Zürych  by  Christoflei  Froschouer  im  M.  D.  LIM.  jar.  Mit 
Vorrede  des  Verfassers  vom  heil.  Dreikönigstag  1554.  Zu 
gleicher  Zeit  erschien  eine  lateinische  Ausgabe  unter  dem 
Titel:  De  coneeptu  et  generätione  hominis,  et  iis  quae  circa 
haec   potissimum    consyderantur,    libri    sex,    congesti    opera 


Jacob  Uuff  etc.  in  Zürich.  345 

Jac.  Rueff,  chirurgi  Tigurini.  1554.  4.  (Mit  lateinischer  Vor- 
rede des  Verfassers.)  Von  dem  deutschen  Original  erschien 
im  Jahre  1559  in  4.  zu  Zürich  eine  neue  Aufjage.  Weitere 
neue  deutsche  Ausgaben  erschienen  zu  Frankfurt  a.  M.  in  den 
Jahren  1580,  1588  und  1600,  sämmtlich  in  4.,  die  erste 
derselben  aber  schon  mit  verändertem  Titel:  Hebammenbuch, 
daraus  man  alle  Heimlichkeit  dess  weiblichen  Geschlechts 
erlehrnen,  welcherlei'  gestalt  der  mensch  im  Mutter  Leib 
empfangen,  zunimpt  und  geboren  wirdt  u.  s.  w.  Alles  auss 
eigentlicher  Erfahrung  des  weltberühmten  Jacob  Ruffen, 
Stattarzts  zu  Zürich,  vor  dieser  Zeit  an  Tag  geben.  Jetzund 
aber  von  neuwem  gebessert,  mit  schönen  Figuren  gezieret: 
Sampt  einem  nützlichen  Anhang  von  Cur  und  Pflegung  der 
uewgebornen  Kindtlein.  (Mit  Vorrede  des  Buchhändlers  Sigmund 
Feyerabendt.)  im  gleichen  Jahre,  in  welchem  die  erste  neue 
Ausgabe  mit  dem  veränderten  Titel  erschien  (1580),  erschien 
auch  eine  neue  lateinische  unveränderte  Ausgabe  (ebenfalls 
zu  Frankfurt  a.  AI.),  jedoch  mit  etwas  verändertem,  sehr 
langem  Titel,  welcher  den  Hauptinhalt  des  Buches  giebt. 
Eine  dritte  lateinische  Ausgabe  erschien  ebendaselbst  im 
Jahre  1587  in  4.  Endlich  erschien  das  Werk  auch  noch  in 
holländischer  Sprache  unter  dem  Titel:  T'Boeck  Vande  Vroet- 
Wyfs  Int  welcke  ruen  mach  leeren  alle  heyinelichedeu  van: 
de  vrouwen,  ende  in  wat  ghestalte  de  Mensche  in  zyn  moeders 

lichaera   ontfanghen ,   groeyet  ende  gheboren  wort Alle 

samen  wt  eygen  ervarentheyl  van  den  seer  venu a erden 
Jacob  Ruffen  Stadt  Medicyn  tot  Zürich  eertyts  in  druck 
wtgegheveu,  ende  nu  ter  tyt  op  een  nieu  verbetert,  ende  met 
schoone  Figueren  verciert.  T'Amstelredam  M.  D.'XCI.  Dieser 
Uebersetzung ,  welche  von  Martyn  Everaert  besorgt  wurde, 
ist  auch '  die  Abhandlung  von  der  Pflege*  der  Neugeborenen 
beigefügt.  Nach  Hattet  soll  jedoch  schon  im  Jahre  1670 
oder  1672  eine  holländische  Ausgabe  erschienen  sein.  Endlich 
findet  sich  das  Buch  auch  in  den  gynäkologischen  Sammlungen 
Bauhins  und  Spack*  $. 

Was  nun  den  Inhalt  von  Ruff's  Buch  im  Speciellen 
betrifft,  so  wissen  wir  hier  qjchts  Besseres  zu  thun,  als  dass 
wir  der  Darstellung  v.  SieboloVs  folgen. 

Mo&atixicbr.  f.  Geburtsk.  1862.  Bd.  XX.,  Hft.6.  23 


346  XVIII.     Mayer ■  Akrens ,  Der  Steinschneider 

Das  Werk  ist  in  sechs  Bücher  ahgetheilt,  wovon  das 
erste  physiologischen  Inhalts  ist  und  sich  mit  der  Erklärung 
beschäftigt,  wie  aus  beiden  Samen,  dem  weiblichen  und  dem 
männlichen,  die  Frucht  gebildet  werde;  dabei  werden  das 
menschliche  Ei,  der  Höllen  der  Frucht,  ihre  Ernährung,  die 
Bildung  der  edlen  Eingeweide  besprochen;  überall  ist  zwar 
nur  Aelteres  wiederholt,  dieses  selbst  aber  in  fassl; eher  Sprache 
vorgetragen.  Die  beigefugten  Abbildungen  menschlicher  Eier 
sind  von  gar  keinem  Werthe  und  nur  Phantasiestücke.  —  Das 
zweite  Buch  giebt  die  Anatomie  der  Gebärmutter  und  erläutert 
diese  sogar  durch  Abbildungen,  welche  indessen  sehr  fehlerhaft 
sind  und  dem  Unkundigen  nur  einen  sehr  entfernten  Begriff 
des  Baues  dieser  Theile  beizubringen  vermögen.  Die  Lage  des 
Kindes  in  der  Gebärmutter  schildert  Rueff  ganz  so  wie  seine 
Vorgänger;  nicht  das  mindeste  mit  der  Natur  Uebere  in  stimmende 
lässt  sich  in  seiner  Darstellung  finden.  Auch  die  alle  Lehre 
der  Tödtlichkeit  achtmonatlicher  Geburten  ist  beibehalten,  als 
deren  Ursache  die  im  siebenten  Monate  erfolgte  Umstürzung 
und  dadurch  entstandene  Schwäche ,  von  welcher  das  Kind  sich 
erst  wieder  erholen  muss,  angeführt  wird.  Künstlich  erregter 
Abortus,  wozu  sich  Hebammen,  Bader  und  ungclehrte  Aerzte 
hergaben,  muss  damals  sehr  gebräuchlich  gewesen  sein;  der 
Verfasser  findet  es  nämlich  für  angemessen,  dringend  vor 
solchem  Verbrechen  zu  warnen.  Eine  ziemlich  gute  Lebens- 
ordnung, für  Schwangere  aufgestellt,  scbliesst  dieses  Buch. 
Das  dritte  und  vierte  Buch  lehrt  die  Praxis  der  Geburtsbülfe, 
wie  solche  von  Hebammen  geübt  werden  soll.  Im  fünften 
Buche  wird  die  Molenschwangerschaft  berücksichtigt,  zugleich 
werden  aber  auch  die  seltsamsten  Berichte  über  Missgeburten, 
hier  Wundergeburten  genannt,  mitgetheilt.  Die  beigegebenen 
Abbildungen  stellen  allerdings  die  wunderbarsten  Monstrositäten 
dar,  Kinder  mit  Elephantenrüsseln,  mit  Pferdeffisscn ,  Vogel- 
klauen u.  s.  w.  Dabei  untersucht  der  Verfasser  ganz  ernstlich, 
ob  der  Teufel  mit  Frauen  solche  Früchte  erzeugen  könne. 
Das  sechste  Buch  handelt  sehr  weitläufig  von  der  Unfruchtbar- 
keit des  Mannes  und  der  Frau,  ist  aber  selbst  sehr  steril. 
Die  eigentlichen  Lehren  der  Geburtshülfc ,  welche  Rueff  in 
seiner  Schrift  vorträgt,  befinden  sich  im  dritten  und  vierten 
Buche,    daher   auclj  der  Verfasser  in   der  Vorrede  zur  ersten 


Jacob  Ruf  etc.  in  Zürich.  347 

Ausgabe  gerade  diese  beiden  Bücher  den  Hebammen  an- 
gelegentlichst empfiehlt  Im  ersten  Kapitel  des  dritten  Buches 
trägt  der  Verfasser  die  alte  Lehre  wieder  vor,  als  ginge  die 
Geburt  von  dem  Kinde  aus.  Geburtswehen  sind  ihm  daher 
nichts  anderes,  „denn  die  Ungestüme  und  Stärke  des  Kindes, 
das  sich  um  wirfit,  und  mit  Wehetagen  und  Schmerzen  gegen 
den  untersten  Leib  licht,  unter  sich  und  über  sich  dringet  u.  s.  w." 
Als  rechte,  natürliche  und  geschickte  Geburt  gilt  ihm  nur 
die  Kopfgeburt,  wobei  er  indessen  die  Lage  sehr  fehlerhaft 
abgebildet  hat,  zum  besten  Beweise,  dass  ihm  die  Gelegenheit, 
Geburten  zu  beobachten,  gänzlich  gemangelt  habe.  Die 
Leistungen  der  Hebammen  bei  diesen  Geburten  beziehen  sich 
zuvorderst  auf  Trost  und  Gebet;  dann  soll  die  Gebärende  auf 
den  Stuhl  gebracht  werden,  welcher  mit  einer  starken  Rück- 
lehne, mit  einem  halbmondförmigen  Ausschnitte  und  mit 
Handhaben  versehen  abgebildet  ist;  eine  Gehülfin  umfasst  die 
Gebärende  von  hinten,  und  streicht  und  drückt,  während  das 
Kind  durchtritt,  sanft  den  Leib  nach  unten.  Einreibungen 
des  Bauches  mit  weissem  Lilienöl,  süssem  Mandelöl,  Hühner- 
schmalz u.  s.  w.  werden  überall  empfohlen.  Sobald  das  Kind 
dem  Ausgange  nahe  ist,  soll  die  Hebamme  mit  den  wohl- 
besalbten  Fingern  dem  Kinde  bei  seinem  Durchgange  helfen, 
der  Gebärenden  Leib  von  einander  theilen  und  streifen,  ohne 
Schaden  des  Kindes  und  der  Mutter,  auch  an  welchen  Orten 
und  Enden  es  sei,  unten  und  oben,  beseits  oder  neben  zu,  das 
Kind  sich  ansetzen  oder  stellen  wollte,  dass  sie  schnell  da 
sei  und  mit  ihren  Fingern  das  Kind  „im  durchschneiden  und 
oeflhen  der  Gerade  nach,  den  graden  Weg  weise  und  fördere." 
Dann  wird  der  Nabelstrang  unterbunden,  und  ohne  Säumen 
die  Nachgeburt  entfernt;  wird  die  Geburt  bei  übrigens  vor- 
liegendem Kopfe  erschwert,  so  müssen  wehenbefördernde 
Mittel  gereicht  werden.  Die  Ursachen  der  Nachgeburts- 
zögerungen  sind  ziemlich  gut  vorgetragen;  die  Behandlung 
beschränkt  sich  in  den  meisten  Fällen  auf  austreibende  Mittel, 
nur  bei  zu  fester  Verbindung  der  Placenta  mit  der  Gebär- 
mutter ist  das  künstliche  Lösen  derselben  gelehrt.  Endlich 
ist  noch  angegeben,  wie  die  Hebamme  bei  bedeutender  Enge 
der  Gebärmutter  sich  verhalten  soll.  Die  Hebamme  soll  in 
Fällen   dieser  Art   die  Theile   mit   ihren   Fingern   sanft  aus- 

23* 


348  XVIII.     Meyer  -  Ähren* ,  Der  Steinschneider 

zudehnen    suchen.     Gelingt    das    nicht,    so    werden    wehen- 
befördernde     Mittel    gegeben,     Räucherungen     vorgenommen, 
Pflaster  auf  den  Bauch  gelegt,  Mutlerzapfen  eingebracht,  und 
wenn  dieses  Alles  nicht  hilft,   so   mag  die  Hebamme  zu  den 
Instrumenten  greifen,  als  Schrauben,  Aufspanner,  Auftrieb  und 
Zangen. !)     Wenn   aber   das  todte  Kind  wegen  seiner  Grösse 
nicht  geboren  werden  kann,   so    soll  die  Hebamme  mit  einer 
Zange,  dem  sogenannten  Entenschnabel ,  das  Kind  anfassen  und 
hervorziehen.2)     Am  Ende   des  Buches  wird   noch   die  Blut- 
geschwulst der  Schamlippen  mit  ihrer  Behandlung  besprochen. 
Wenn   Ruft    im   dritten   Buche    hauptsächlich    von    den- 
jenigen   Geburten   handelt,   bei    welchen   das   Kind   mit   dem 
Kopfe  vorliegt,  so  ist  das  vierte  den  fehlerhaften  Kindeslagen, 
von   Ruft  „Missgeburten"   genannt,    gewidmet.     Im    Ganzen 
folgt  der  Verfasser  hier  ganz  den  Regeln  Rössliris,  und  wir 
Gnden  auch  beinahe  ganz  dieselben  Abbildungen.    Ruft  beginnt 
mit  den  Fussgeburten,  von  denen  er  zwei  Arten  unterscheidet, 
die   vollkommene    und    unvollkommene.     Bei  jener   empfiehlt 
er  die  Extraction  an  den  Füssen,  sobald  die  Arme  nach  unten 
gestreckt   liegen;    im    entgegengesetzten   Falle    aber   soll   der 
Kopf  hereingeleitet   werden.     Nur   bei   kleinen   Kindern    und 
Mehrgebärenden   kann  man  auch  in  dieser  Lage  das  Kind  an 
den  Füssen   hervorziehen.     Liegt-  nur  Ein  Fuss  vor,   so  ver- 
sucht man  die  Wendung  auf  den  Kopf.     Gelingt  diese  nicht, 
so  wird   der  zweite  Fuss    gelöst   und    das  Kind    so    zu  Tage 
gefördert.      Der    neben    dem    Kopfe    vorgefallene    Arm    wird 
reponirt.     Bei   Steiss-,  Rücken-,  Schulter-   und  Bauchlagen 
wendet  man  auf  den  Kopf.    Naturgemässe  Zwillingslagen  sind 
diejenigen,  bei  welchen  beide  Kinder  sich  mit  dein  Kopfe  zur 
Geburt  stellen.     Liegen    beide  mil   den  Füssen  vor,    so  wird 
eines   nach  dem   andern  zu  Tage  gefördert.     Liegt   das   eine 
Kind   mit   dem  Kopfe,   das   andere   mit  den  Füssen  vor,    so 

1)  Ruff  hat  diese  Instrumente  abgebildet;  zwei  davon  dienen 
zur  Eröffnung  der  Geschlechtstheile ,  sind  aber  aebr  plamp 
und  roh. 

2)  Der  Entenschnabel  ist  vorn  mit  Zähnen  versehen  und 
Muff  vergleicht  ihn  mit  der  Zange,  mit  welcher  die  Schärer  die 
Zähne  auszubrechen  pflegten.  Auch  ist  noch  eine  „glatte  und 
lange"  Zange  zu  gleichem  Zwecke  abgebildet. 


Jacob  Ruf  etc.  in  Zürich.  349 

wird  bei  dem  letzteren  die  künstliche  Frühgeburt  empfohlen, 
wenn  es  sich  nicht  von  selbst  auf  den  Kopf  schiebt. 

Für  die  Sittengeschichte  interessant  sind  die  Abbildungen 
von  zwei  Gebärzimmern.  In  der  einen  Abbildung  sieht  man 
die  Wöchnerin  in  einem  schwerfälligen  Himmelbette  liegen. 
Neben  dem  Bette  steht  ein  schwerer  Tisch,  auf.  dem  man 
einen  Teller,  ein  Messer  und  Brot  erblickt.  Auf  niedrigem 
Stuhle  sitzt  die  Hebamme  und  trocknet  den  Säugling,  den 
sie  soeben  aus  der  vor  ihr  stehenden  hölzernen  Wanne  ge- 
nommen, ab.  Neben  der  kleinen  Wiege  sitzt  ein  älteres  Kind 
mit  der  Puppe  spielend  auf  dem  Stubenboden.  Zwei  Klatsch- 
schwestern erzählen  sich  Neuigkeiten.  Eine  alte  Frau  reicht 
der  Wöchnerin  einen  Teller  Suppe.  Durch  die  offene  Stuben- 
thüre  erblickt  man  die  Köchin ,  wie  sie  auf  dem  Küchenheerde 
mittels  des  Blasebalges  das  Feuer  anbläst.  In  der  anderen 
Abbildung  sieht  man  die  Kreissende  auf  dem  Geburtsstuhle. 
Vor  ihr  auf  niedrigem  Schemel  sitzt  die  Hebamme  und 
empfängt  unter  einem  Tuche  das  Kind,  während  zwei  andere 
Frauen  neben  und  hinter  der  Kreissenden  stehen.  Auf  einem 
Tische  erblickt  man  einen  Knäuel  Faden  mit  Nähnadel,  eine 
Scheere  und  eiu  'Schreibezeug. 

Das  sind  die  wesentlichen  Leistungen  Ruff's  auf  dem 
Gebiete  der  Heilwissenschaft.  Zum  Theil  gehört  aber  auch 
die  von  C.  Gesßner  aufgeführte  Schrift:  de  duplici  infante 
utroque  foeminei  sexus  anno  1543  nato  capitibus  duobus  etc., 
deren  schon  bei  den  astrologisch -astronomischen  Schriften 
gedacht  wurde,  hierher.1) 

Interessant  ist  es  auch  in  Ruff's  Schauspielen  Andeutungen 
auf  seinen  ärztlichen  Beruf  zu  finden,  und  namentlich  durfte 
folgende  Stelle  Erwähnung  verdienen:  Etter  Heini  klagt  über 
den  Verfall  der  Sitten  und  bittet  nun  den  ersten  von  den 
sieben  Weisen,  welche  im  Spiele  auftreten,  um  Rath,  wie  die 
verschwundene  Arbeitsamkeit  wieder  in's  Land  zu  bringen  sei. 

1)  In  Bezug  auf  Ruff*e  heilwissenschaftliche  Leistungen  vergl. 
Versuch  einer  Geschichte  der  Geburtshülfe  von  Ed.  Ccup.  Jac. 
von  Siebold,  Bd.  II.,  Berlin  1846,  8.  1  —  6  u.  S.  24  —  31;  ferner 
Leu,  helv.  Lezicon  und  A.  de  Haller,  bibl.  med.  pract.,  ehir. 
et  anat. 


350  XVIII.    Meyer  -  Ähren*  t  Der  Steinschneider 

Der   erste  Weise   zeigt   nun   namentlich   die  Ursachen    und 
Folgen  der  Faulheit  und  zeigt: 

Zum  anderen  bringt  ouch  Prassen,  Spilen 

Huory  und  allen  Muottwillen. 

Dann  so  der  Seckel  ist  vol  Gellt  . 

Vom  Kriegen  kan,  wie  ich  hab  g'mcllt; 

So  ist's  am  Prassen,  Spilen  g'legen. 

Das  er  mit  Huren  wird  verwegen, 

Vermocht  so  gar  und  unverschampt. 

Damitt  er  sich  macht  so  vernampt, 

Das  im  all  böss,  vermochte  Wybvr 

Sin  Glimpf  nnd  Eer,  im's  Glück  vertriben, 

Das  er  allein  nit  mangelhafft 

Im  Seckel  wirt  nnd  prästhafft: 

Vol  Lemi  machendes  inn  und  Bülen, 

Das  Herz  im  Lib  im  möcht  ussfulen, 

Vol  Blater,  Löcher,  Krebs  und  Gallon, 

Das  er  nit  brünzlen  kan,  noch  stallen, 

Mit  Züchten  so  ichs  reden  muoss. 

So  ist  das  z'letst  ir  Göllt  und  Buoss, 

Das  87  rurschland  mit  der  Fulckeit, 

Mit  Müessig  gon  und  Trägheit. 

Eine  andere  Stelle  zeugt  von  der  rationellen  ärztlichen 
Anschauung  Euff's. 

Ein  Weiser  sagt  nämlich: 

Das  man  erdur  die  Sach  mit  Flyss, 

So  volg  man  hie  der  Arzet  Wyss: 

Die  Ursach  thuo  man  vor  ermessen. 

Schliesslich  wollen  wir  noch  erwähnen,  dass  der  Spital- 
arzt Hans  Heimich  Euff,  der  im  Anfange  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  im  Spital  in  Zürich  angestellt  war  und  im 
Jahre  1732  starb,  und  dessen  wir  in  der  Biographie  Joh. 
von  Muralfs,  sowie  auch  in  der  Biographie  der  beiden 
Freitage  erwähnen,  der  letzte  Bürger  der  Stadt  Zürich  aus 
dem  Geschlechte  Euff  war. 

Wir  haben  schon  im  Eingange  bemerkt,  dass  Euff  wegen 
seiner  Geschicklichkeit  in  der  Chirurgie  die  Prüfung  und  der 
Unterricht  der  Hebammen  übertragen  wurde,  und  die  Leser 
dieser  Zeitschrift  werden  es  mir  verzeihen,  wenn  ich  ihre 
Aufmerksamkeit  noch  einige  Augenblicke  in  Anspruch  nehme, 
um  sie  mit  den  ersten  Anfangen  eines  geordneten  Hebammen- 
wesens  und   eines  Hebammenunterrichtes   im   Kanton  Zürich 


Jacob  Ruff  etc.  in  Zürich.  351 

bekannt    zu    machen,    welche    ein    ebenso    grosses    cultur- 
historiscbes  als  specialhistorisches  Interesse  bieten. 

Es  gab  zwar  in  Zürich  schon  vor  dem  Jahre  1536  von 
der  Regierung  besoldete  Hebammen,  allein  eine  förmliche 
Uebammenordnung  scheint  im  genannten  Jahre  zum  ersten 
Male  aufgestellt  worden  zu  sein,  und  es  ist  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  sowohl  die  Aufstellung  dieser  Hebammen- 
ordnung als  die  Anordnung  einer  Prüfung  der  Hebammen 
von  unserem  Ruff  angeregt  wurde.  Was  die  Hebammen- 
Ordnung  betrifft,  so  wurde  nämlich  am  Mittwoch  nach 
Palmtag  des  Jahres  1536  von  Burgermeister  R'öust  und 
beiden  Käthen  ein  eigenes  Gesetz  für  die  Ausübung  des 
Hebammenberufes  aufgestellt,  welches  halten  zu  wollen,  die 
Hebammen  alle  Jahre  schwören  mussten.  Durch  dieses  Gesetz 
wurden  vor  allem  aus  die  Hebammen  verpflichtet,  jedem  Rufe 
einer  in  der  Stadt  oder  ausserhalb  derselben  nahe  hei  den 
Thoren  wohnenden  Kreissenden  zu  folgen,  ob  sie  reich  oder 
arm  sein  möge.  Eine  solche  Kreissende  durfte  dann  die 
Hebamme  vor  beendigter  Geburt  nur  verlassen,  wenn  es  die 
Kreissendc  selbst  gestattete,  und  die  Hebamme  selbst  fand, 
dass  es  ohne  Gefahr  geschehen  könne.  Bei  jeder  Geburt 
mussten  ausser  der  Hebamme  mindestens  noch  zwei  Frauen 
anwesend  sein,  und  wenn  sie  nicht  vorhanden  waren,  so  war 
die  Hebamme  verpflichtet,  sie  kommen  zu  lassen;  wir  finden 
daher  auch  in  Ruff's  Hebammenbuch  diese  beiden  Frauen 
abgebildet.  Zunächst  war  dann  ferner  den  Hebammen  ver- 
boten, die  Kreissende  zur  unrechten  Zeit  zur  Arbeit  zu  nöthigen, 
damit  sie  schneller  fertig  werden.  Eine  weitere  Bestimmung 
betraf  die  Behandlung  der  Nabelschnur  („Gertennäbeli"),  die 
sie  nicht  abschneiden  durften,  ohne  sie  unterbunden  zu  haben 
(„gehefft  und  versehen  zu  haben,  dass  es  ihnen  nit  entrünnen 
vermöge").  Die  Nachgeburt  („das  Büschelein")  hatten  sie 
zu  vergraben  oder  zu  verbrennen,  „damit  desshalb  kein 
Schad  beschäche.u  Dann  wurde  den  Hebammen  eingeschärft, 
beim  Empfange  des  Kindes  und  der  Nachgeburt  sorgfaltig  zu 
manipuliren,  damit  sie  weder  Mutter  noch  Kind  Schaden 
zufügen.  Für  den  Fall,  dass  die  Angehörigen  der  Kreissenden 
eine  zweite  Hebamnbe  zu  consultiren  wünschten,  durften  die 
beiden   Hebammen    keinen   Unwillen   gegen   einander   zeigen, 


352  XVII I.     Meyer -Ahrens,  Der  Steinachneider 

sondern  hatten  sich  freundlich  zu  vertragen,  einander  zu 
helfen  und  zu  rathen.  War  der  Geburtsfall  complicirt,  traten 
schwere  Zufalle  ein,  schwebte  Mutter  oder  Kind  in  Gefahr, 
so  waren  din  Hebammen  verpflichtet,  den  Stadtarzt  zu  rufen, 
bis  zu  dessen  Ankunft  eine  der  beiden  Hebammen  bei  der 
Kreissenden  bleiben  musste.  Sehr  interessant  ist  aber  die 
letzte  Bestimmung,  dass  wenn  die  Hebammen  an  einer  Geburt 
etwas  Verdächtiges  zu  bemerken  glaubten,  sie  hiervon  dem 
„obristen  Knecht"  (dem  ersten  Ralhsdiener)  Anzeige  zu 
machen,  verpflichtet  waren,  eine  Bestimmung,  die  wohl  dem 
Aberglauben,  dass  Missgeburten  eine  Folge  strafbarer  Ver- 
wünschung mit  dem  Teufel  seien,  ihre  Aufnahme  verdankt 
haben  mag,  indem  dann  wahrscheinlich  ein  Criminalproces* 
eingeleitet  wurde.  —  Endlich  durften  die  Hebammen  ohne 
Erlaubniss  des  Bürgermeisters  die  Stadt  und  ihre  nächste 
Umgebung  nicht  verlassen.  Der  Haupt  Ordnung  sind  dann 
noch  einige  Bestimmungen  angehängt,  welche  äussere  Ver- 
hältnisse betreffen.  Vor  Allem  wurde  den  Hebammen  die 
Nothtaufe  untersagt,  „da  die  Kinder  auch  ohne  die  Sacrament 
in  der  Gnad  vnd  verheissung  Gottes  seigen"  u.  s.  w.  Dabei 
wurde  ihnen  jedoch  zur  Pflicht  gemacht,  besorgt  zu  sein,  dass 
die  Kinder  förderlich  zur  Kirchentaufe  gebracht  werden.  Die 
Hebammen  der  Stadt  hatten,  wie  früher  angedeutet  wurde, 
schon  vor  dem  Jahre  1536  eine  fixe  Besoldung  von  der 
Stadt  bezogen,  allein  diese  Besoldung  war  so  schlecht  gewesen, 
dass  nur  arme  unwissende  Weiber  sich  zu  diesem  Dienste 
gemeldet  hatten.  Die  Besoldung  wurde  daher  für  die  Zukunft 
auf  8  Pfund  (4  Gulden)  Geld,  4  Mütt  Kernen,  ein  halbes 
Hundert  Holz  und  4  Eimer  Wein  gestellt.  Daneben  hatten 
die  Hebammen  von  einer  reichen  Frau  10  Schillinge  (V4  Gulden 
=  47  Cts.),  von  einer  Frau  aus  dem  Mittelstande  5  Schillinge 
und  von  ärmeren  Frauen  beim  ersten  Kinde  5  Schillinge,  bei 
folgenden  Kindern  3  Schillinge  4  Heller,  von  unehelichen 
Kindern  5  Schillinge  zu  beziehen. 

Wann  der  Hebammenunterricht  eingeführt  wurde,  ist 
zwar  nicht  mit  Sicherheit  nachzuweisen,  jedenfalls  aber  ge- 
schah es  vor  dem  Jahre  1554,  indem  Ruff  in  der  -Vorrede 
zu  seinem  Lebrbuche,  das  im  Jahre  1554  erschien,  mittheilt, 
dass   er  die  Aufgabe   gehabt   habe,  jährlich  etliche  Male  mit 


Jacob  Ruf  etc.  in  Zürich.  353 

noch  einigen  anderen  Herren  (die  früher  erwähnten  obersten 
Meister  „Jörg  Müller  und  Rudolf  Cloter")  die  Hebammen 
zu  „verhören",  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  schon 
gleich  bei  Einführung  der  Hebammenordnung  im  Jahre  1536 
eine  Art  von  Prüfung  oder  Unterricht  eingefühlt  wurde,  da 
es  am  Schlüsse  der  ersteren  beisst:  es  sollen  sofort  und 
auch  in  Zukunft  mehrmals  im  Jahre  die  Hebammen  ernst- 
lich* ermahnt  werden,  „gut  sorg  zu  haben  vnd  biderben 
Leutlien  in  allen  Treuwen  zu  thun,  dass  sie  ihnen  schuldig 
sind,"  da  man  ihnen  sonst  wieder  den  alten  Lohn  geben 
würde.  Einen  Leitfaden  hatten  die  Hebammen  also  noch 
nicht,  es  müsste  denn  sein,  dass  Rössltris  Buch  gebraucht 
worden  wäre,  wovon  aber  nirgends  Erwähnung  geschieht. 
Wir  besitzen  zwar  allerdings  einen  Hebammencatechismus, 
der  in  den  Acten  der  Wundschau l)  unmittelbar  auf  die 
Hebammenordnung  folgt;  da  sich  jedoch  derselbe  häufig  aut 
Ruff's  Hebammenlehrbuch  bezieht,  so  muss  er  spateren  Datums 
sein  und  wurde  wahrscheinlich  im  Jahre  1554  entworfen,  in 
welchem  Jahre  Ruff 's  Buch  erschien  und  C.  Oessner  Stadt- 
arzt und  mit  dem  Hebammenunterrichte  (oder  mindestens  der 
Oberleitung  desselben)  beauftragt  wurde.  —  Ruff  richtete 
daher  wahrscheinlich  an  die  Hebammen  beliebige  Fragen  und 
gab  ihnen  dann  die  nöthigen  Erläuterungen.  Im  Jahre  1554 
wurde,  wie  soeben  bemerkt  wurde,  C.  Oessner  erster  Stadtarzt 
und  zugleich  verpflichtet,  wenn  es  nölhig  sein  sollte,  den 
Hebammen  und  Kreissenden  zu  rathen  und  zu  helfen  und 
die  Hebammen  alle  Fronfasten  auf  die  Einladung  der  dazu 
verordneten  Commission  zu  prüfen  und  zu  unterrichten 
nach  seinem  besten  Vermögen.  Es  ist  sehr  auffallend,  dass 
dieser  Auftrag  im  selben  Jahre  an  Gessner  erging,  in  welchem 
Ruff  sein  Lehrbuch  herausgab,  er,  der  praktische  Chirurg, 
während  Oessner  nicht  einmal  die  Chirurgie  praktisch  studirl 
hatte,  geschweige,  dass  er  praktische  Kenntnisse,  d.  h.  Er- 
fahrung in  der  Geburtshülfe  besessen  hätte,  die,  wie  wir 
gesehen  haben,  damals  zum  Theil  noch  den  praktischen 
Chirurgen  abging.     Wir   müssen   daher  annehmen,   dass  nur 

1)  Die  damalige  oberste  Medicinalbehörde   and   zugleich  die 
ärztliche  Behörde  des  Spitales. 


354    XVIII.    Meyer- Akren* ,  Dar  Steinschneider  Jacob  Ruff  etc. 

die  Oberleitung  jener  Prüfungen  an  Gessner  übergegangen 
sei.  Vielleicht,  dass  Ruff  durch  diese  Berufung  Gessner's 
zum  Hebammenexaininator  veranlasst  wurde,  den  oben  er* 
wähnten  Catechismus  auszuarbeiten. 

Dieser  Catechismus,  der  die  Hebammenordnung  gewisser- 
maassen  ergänzt,  führt  den  Titel:  Frag  vnd  Antworten  So 
ein  Doctor  oder  Stattartzet  zu  Zürich  an  die  Hebammen  alle 
Fronfasten  zu  thun,  und  Sie  zu  antworten,  auch  darnach*  die 
Newangenommenen  zu  examiuiren  schuldig  ist.  Zuerst  examinirt 
der  Stadiarzt  die  Hebamme  über  die  Eigenschaften,  welche 
eine  gute  Hebamme  haben  soll.  Man  forderte  von  einer 
Hebamme,  die  sich  in  Zürich  anstellen  lassen  wollte,  dass 
sie  nicht  zu  alt  und  nicht  zu  jung  sei,  selber  Kinder  geboren, 
wenigstens  zwei  Jahre  sich  in  ihrer  Kunst  geübt  und  von 
dem  Orte,  an  dem  sie  früher  ihre  Kunst  ausgeübt  hatte,  mit 
guten  Zeugnissen  entlassen  worden  sei,  ferner  rousste  sie 
„woll  und  geschiklich  proportionirt,  nicht  zu  feist,  ringfehrüg 
und  geschickter  geberden  sein,41  und  reine  und  glatte  Hände 
haben,  „damit  Kindenden  Frauen  noch  den  Kinden,  die  sie 
empfahen  sollend,  durch  ohn geschickte,  ruche,  rüdige  und 
knorrachtige  Hand  nüt  widerfahren  möge,  noch  geletzt  werde." 
Dann  prüft  der  Catechismus  die  Hebamme  über  ihr  Benehmen 
beim  Eintritt  in's  Zimmer  der  Kreissenden,  die  Begrüssung 
derselben  und  der  anderen  anwesenden  Frauen,  die  erste 
Conversation  mit  der  Kreissenden  betreffend  die  Zeitrechnung, 
dann  die  erste  Manualuntersuchung  und  behandelt  den  ganzen 
natürlichen  Geburtsvorgang,  sowie  die  möglichen  anomalen 
Fälle  und  die  dabei  zu  leistende  Hülfe,  und  endlich  die  Be- 
handlung des  Nabelschnurrestes,  doch  Alles  nur  im  Umrisse, 
indem  er  in  Bezug  auf  die  Details  beständig  auf  die  be- 
treffenden Kapitel  des  Ruff'schen  Lehrbuches  verweist.  Für 
schwierige  Fälle  wird  die  Hebamme  gemäss  der  Hebammen- 
ordnung angewiesen,  beim  Stadtarzt  Bath  zu  suchen.  Was 
aber  der  Stadtarzt,  der  nicht  einmal  praktischer  Chirurg, 
geschweige  Geburtshelfer  war,  da  leisten  konnte,  ist  schwer 
einzusehen,  konnte  doch  nicht  einmal  der  Stadtchirurg,  der 
Verfasser  des  Hebammenlehrbuches,  instrumentale  Hülfe  leisten, 
hatte  doch  selbst  er  nur  den  Hebammen  die  nöthigen 
Instrumente   zu   leihen   und   ihnen  die  Anwendung   desselben 


XIX.     Breslau,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem  etc.        355 

zu  zeigen;  wo  es  sich  nämlich  um  die  Beantwortung  der 
Frage  handelt,  wie  die  Hebamme  zu  verfahren  habe,  um  ein 
wegen  zu  grosser  Enge  des  Beckens  während  des  Geburts- 
actes  gestorbenes  Kind  mit  Erhaltung  des  Lebens  der  Mutter 
zu  Tage  zu  fördern,  antwortet  die  Hebamme,  nachdem  sie  zuerst 
die  medicinische  Behandlung  des  Falles  beschrieben  hat:  „und 
ob  Ich  strauben,  Zangen  und  andere  werekzeug  bedörffte,  es 
die  noth  erforderte,  vnd  haben  müsste,  so  reich  ich  solchen 
Werekzeug  by  dem  Steinschneider  der  Statt;  der  mich  solcher 
arbeit  und  würkung  berichten  sol  und  handle  in  all  weis 
und  weg  der  nothdurfft  nach  wie  ich  gelehrt  wird,  und  wie 
sich  gebührt." 

Die  weiteren  Schicksale  des  Hebammenwesens  und 
Hcbammenunterrichtes  haben  wir  in  der  Biographie  Joh. 
von  Muralts  dargestellt. 


XIX. 

Kaiserschnitt   bei   dehnbarem   osteomalacischem 

Becken.     Rettung  des  Kindes.     Tod  der  Mutter 

nach  zehn  Tagen. 

Von 

Prof.  Dr.  Breslau  in  Zürich. 

E.  Schaufelberger ,  Frau  eines  Fabrikarbeiters,  wurde 
am  14.  Januar  1862  Nachmittag  gebärend  in  die  hiesige 
Entbindungsanstalt  gebracht.  Was  ich  von  ihrem  voraus- 
gegangenen Leben,  ihren  früheren  Geburten  etc.  theils  von 
ihr  selbst,  theils  von  den  sie  behandelnden  Aerzten,  den 
Herren  Leiner  und  Hürlimcmn  erfahren  habe,  theile  ich  in 
Folgendem  mit.  Frau  S.  ist  1829  in  Hessen,  einem  kleinen 
Weiler  auf  dem  südöstlichen  gegen  die  Töss  sich  neigenden 
Abhänge  des  Scheideggberges  im  Kanton  Zürich,  zwei  Stunden 
von  ihrem  späteren  Wohnsitze  entfernt,  geboren.  Hier  brachte 
sie  ihre  Jugend  zu,   in   grösster  Armuth,   wenig- mit  anderen 


356  XIX.     Brealauy  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem 

Menschen  verkehrend  und  besuchte  eine  %  Stunden  von 
ihrem  Wohnorte  entfernte  Schule,  wohin  grundlose  Wege 
führen,  im  Winter  oft  durch  mannshohen  Schnee  bedeckt, 
im  Sommer  durch  viele  Quellen  feucht  und  sumpfig.  Geistig 
und  körperlich  kümmerlich  sich  entwickelnd,  die  einfachsten 
Nahrungsmittel  wie  Milch,  Kartoffeln,  Rüben  u.  s.  w.  geniessend 
wurde  das  Mädchen  doch  gestählt  und  abgehärtet  und  fähig, 
die  späteren  Leiden  ihres  unglücklichen  Lebens  so  geduldig 
und  so  lange  Zeit  zu  ertragen.  Sie  verheirathete  sich  an 
einen  Weber  im  October  1848,  dessen  Behandlung  nicht  die 
zarteste  und  schonendste  gewesen  zu  sein  scheint.  Das  erste 
Kind,  ein  Mädchen,  gebar  sie  im  Januar  1849,  das  zweite, 
einen  Knaben,  im  April  1851,  das  dritte,  einen  Knaben, 
im  August  1855,  das  vierte,  gleichfalls  einen  Knaben,  im 
März  1859.  Diese  vier  Geburten  gingen  leicht  und  regel- 
mässig von  Statten.  Die  ersten  drei  Kinder  leben  noch,  da* 
vierte  starb  an  Eclampsie.  Im  Frühjahre  1859,  zu  welcher 
Zeit  Herr  Dr.  Leiner  die  ärztliche  Behandlung  der  Familie  Seh. 
übernahm,  wohnte  sie  in  Boden,  einem  Dorfe  auf  einer 
schmalen  Ebene  auf  der  nordwestlichen  Seite  des  Scheidegg- 
berges in  einer  armselig  ausgestatteten  Hütte,  wo  kaum  den 
bescheidensten  Ansprüchen  des  Lebens  Genüge  geleistet  werden 
konnte.  Vor  der  zu  allen  Fugen  eindringenden  Kälte  kaum 
geschützt,  von  Rauch  aus  einem  vielleicht  aus  keltischer 
Vorzeit  noch  stammenden  Kachelofen  umgeben,  von  Ungeziefer 
gequält,  ihr  erbärmliches  Lager  mit  Mann  und  Kindern 
theilend,  von  Lumpen  eingehüllt,  in  diesem  Zustande  gebar 
Seh.  ihr  letztes  Kind,  verbrachte  ihr  Wochenbett  und  vegetirte 
fast  drei  Jahre  hindurch  als  Kranke  von  peinlichen  Schmerzen 
gequält  und  doch  ihrem  Mantie  die  ehelichen  Umarmungen 
nicht  versagend.  Von  der  letzten  Geburt  und  dem  folgenden 
Wochenbette  datirt  die  nun  ununterbrochen  andauernde  Er- 
krankung. Ziehende  Schmerzen  im  Rücken,  in  der  Becken- 
gegend, in  den  Schenkeln,  in  den  Knieen,  Druck  in  der 
Magengegend  und  massige  Respirationsbeschwerden  waren  die 
vor  wiegendsten  Symptome,  wegen  welcher  erst  ein  Jahr  nach 
dem  Beginne  der  Krankheit  ärztliche  Hülfe  nachgesucht  wurde. 
Die  Behandlung  gegen  einen  Symptomen  -  Complex ,  der  mit 
einem  chronischen  Rheumatismus  manche  Aehnlichkeit  hatte. 


osteomalaciflcbem  Becken  etc.  357 

blieb  ohne  Erfolg.  Im  Juli  1861  wurde  die  Kranke  in  das 
Röslibad  nahe  bei  Zürich  gebracht.,  von  wo*  sie  aber  schon 
nach  wenigen  Tagen  verschlimmert  zurückkehrte.  Von  Anfang 
au  zog  sie  die  Kniee  an  den  Leib,  die  Fersen  au  die  Hinter- 
backen, bald  auf  dem  Rücken,  bald  auf  einer  Seite  liegend, 
und  scheint  bei  dieser  allmälig  permanent  werdenden  starkeu 
Adduction  beider  Oberschenkel  die  meiste  Erleichterung  ge- 
funden zu  haben.  Später  wurde  eine  spontane  Streckung  der 
unteren  Extremitäten  unmöglich,  die  Muskeln  wurden  atrophisch, 
verkürzten  sich,  es  trat  eine  Pseudoankylose  in  beiden  Hüft- 
und  Kniegelenken  ein,  die  selbst  einer  passiven  Streckung 
widerstand  und  das  Bild  der  hohen  Verkrüppelung  vergrößerte. 
Etwa  14  Tage  vor  Neujahr  1862  verbreitete  sich  das  Gerücht, 
Frau  Seh.  sei  neuerdings  schwanger.  Diese  Sage  war  nur 
allzu  begründet.  Zu  allem  Elend  sollte  auch  noch  dieses 
kommen.  In  4 — 5  Wochen  war  die  Geburt  zu  erwarten. 
Die  Armenbehörde  beschloss,  die  Schwangere  in  die  Gebär- 
anstalt zu  schicken,  was  am  14.  Januar  geschehen  sollte. 
In  den  frühen  Morgenstunden  des  14.  Januar  zeigten  sich 
die  ersten  Wehen,  wahrscheinlich  angeregt  durch  einen  Tags 
zuvor  stattgehabten  ehelichen  Streit,  bei  welchem  noch  zum 
Abschied  Worte  mit  Händen  kräftigst  unterstützt  worden  zu 
sein  scheinen.  Dr.  Leiner,  zu  der  Gebärenden  gerufen,  er- 
kannte bald  die  Unmöglichkeit  der  Entbindung  auf  natürlichem 
Wege,  berieth  sich  mit  den  Herren  Dr.  Hürlimann,  Vater 
und  Sohn,  und  beeilte  sich,  nachdem  er  zuvor  noch  durch 
Narcotica  die  Thätigkeit  des  Uterus  herabzustimmen  gesucht 
hatte,  die  Gebärende  auf  die  nächste  Eisenbahnstation  auf 
einem  Wagen  bringen  zu  lassen.  Nachmittags  gegen  4  Uhr 
langte  sie  in  der  Gebäraqstalt  in  Zürich  an. 

Der  Anblick  der  Unglücklichen  war  ein  höchst  bedauer- 
licher. Eine  durch  ein  fast  dreijähriges  Siechthum  herunter- 
gekommene Person,  erschöpft  durch  Leiden  und  Entbehrungen 
aller  Art,  angegriJFen  durch  den  Transport  und  schmerzhafte 
Weherrthätigkeit,  entkräftet  und  halb  verhungert,  zum  Skelette 
beinahe  abgemagert,  mit  zerzausten  Haaren,  gelblicher  Haut- 
farbe, kummervollem,  ängstlichem  Gesichtsausdruck,  stöhnend 
und  ächzend ,  unbeweglich  und  wegen  grosser  Empfindlichkeit 
fast    der    ganzen   Körperobertläche    uubeweghar    —    lag   vor 


358  XIX.     Breslau ,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem 

unseren  Augen,  Hülfe  und  Rettung  suchend  in  einem  Augen- 
blicke, wo  die'Noth  am  höchsten  war.  Die  Knice  waren 
dem  Unterleibe  bis  auf  wenige  Linien  genähert,  die  Fersen 
berührten  fast  die  Hinterbacken,  die  Rippen  waren  etwas 
deform,  an  einzelnen  Stellen  wie  geknickt,  der  Thorax  kurz, 
zusammengedrängt,  die  Wirbelsaule  gerade.  Der  Unterleib, 
87  Centimetres  im  Umfange,  war  nur  massig  ausgedehnt,  der 
Uterus  schien  wenig  Fruchtwasser  zu  enthalten,  contrahirte 
sich  häufig,  Hess  die  Lage  des  Kindes  von  aussen  nicht 
bestimmt  erkennen.  Auf  der  rechten  Seite  waren  die  Fötal- 
töne deutlich  vernehmbar.  Beim  Eingehen  des  Zeigefingers 
in  die  vorgewölbten  etwas  angeschwollenen  Genitalien  erkannte 
ich  sofort  die  eigenthümliche  schlussellochformige  Beschaffenheit 
des  Schambogens  gegen  seinen  Scheitel  nach  oben  zu  sich 
erweiternd,  nach  abwärts  gegen  die  einander  genäherten 
Sitzbeinhöcker  so  sich  verengend,  dass  ich  kaum  einen  Finger 
in  die  engste  Passage  einbringen  konnte.  Weiter  nach  hinten 
gegen  die  Steissbeinspitze  zu  war  wieder  mehr  Raum,  und 
hier  konnte  ich  selbst  mehrere  Finger  so  weit  in  der 
Scheide  fortbewegen,  dass  ich  den  beinahe  völlig  erweiterten 
Muttermund,  die  während  der  Wehen  sich  spannende  Frucht- 
blase und  den  hochstehenden  ballotirenden  Kopf  fühlen 
konnte.  Schon  nach  den  ersten  Untersuchungen  und  nach 
einigen  an  die  Gebarende  und  den  sie  begleitenden  Mann 
gerichteten  Fragen  war  kein  Zweifel  darüber,  dass  wir  es 
mit  einer  Osteomalacie  des  Beckens  zu  thun  hatten. 1)    Bevor 


1)  Die  Osteomalacie  gehört  im  Kanton  Zürich  durchaus  nicht 
zu  den  grossen  Seltenheiten.  Ich  selbst  habe  unter  etwa  OOO  Ge- 
burten seit  37s  Jahren  zwei  exquisite  Fälle  von  .Osteomalacie, 
den  jetzigen  mitgerechnet,  beobachtet.  (8.  die  Beschreibung  des 
ersten  Falles  in  No.  36  der  deutschen  Klinik,  1869.)  Bei  einem 
dritten  Falle  von  Osteomalacie,  den  ich  im  Maiheft  der  Monats- 
schrift für  Gebnrtshülfe  etc.,  1860,  veröffentlichte,  anerkenne  ich 
die  von  Herrn  Dr.  Winckel  in  der  preussischen  Medicimil- Zeitung, 
No.  40,  1861,  geäusserten  Zweifel  über  die  Richtigkeit  meiner 
Diagnose,  und  glaube  in  der  That  jetzt  selbst,  dass  ich  damals 
ein  rhachitisches,  pseudoosteomalacisches-  Becken  vor  mir  hatte. 
Fällt  auch  dieser  eine  Fall  von  Osteomalacie  weg,  so  bleiben 
doch  andere  genug,  welche  die  relative  Häufigkeit  dieser  Krank- 
heit  in    hiesiger  Gegend   beweisen.     In   der  anatomischen  wie  in 


osteomalacischem  Becken  etc.  359 

aber  eine  genauere  Bestimmung  der  Räumlichkeit  und  des 
verengten  Beckens  vorgenommen  wurde,  musste  vor  Allem 
die  Gebärende  etwas  restaurirt,  erwärmt  und  beruhigt  werden. 
Sie  erhielt  etwas  Suppe,  Kaffee,  Wein. 

Diese  Zeit  benutzte  ich,  um  die  studirende  mediciniscbe 
Jugend  zusammenzurufen,  einige  meiner  Collegen,  die  Herren 
BiUroth,  Spöndli,  Ernst,  zu  der  wahrscheinlich  bevor- 
stehenden Operation  einzuladen  und  alle  nöthi gen  Vorbereitungen 
für  alle  Eventualitäten  zu  treffen.  Nach  5  Uhr  wurde  Frau  /Seh. 
auf  das  Gebärbett  gebracht.  Sie  hatte  sich  ein  wenig  erholt, 
der  Puls  von  ungefähr  100  Schlägen  in  der  Minute  war  etwas 
gehoben,  kräftiger,  die  grosse  Aufregung  war  gemildert.  Um 
mit  Ruhe  untersuchen  zu  können  und  um  nicht  von  Neuem 
beim  Eindringen  der  Finger  zwischen  die  sehr  empfindlichen 
Schenkel,  des  Schambogens  Schmerzen  hervorzurufen,  wandte 
ich  die  Chloroformnarkose  an.  Mein  Augenmerk  war  nun 
hauptsächlich  auf  zwei  Punkte  gerichtet,  auf  die  Beschaffenheit 
des  Beckeneingangs  und  auf  die  Dehnbarkeit  des  Becken- 
ausgangs.  Das  Promontorium,  stark  hervorspringend,  war 
ohne  alle  Schwierigkeit  mit  Einem  Finger  zu  erreichen,  während 
die  Kreuzbeinaushöhlung  vertieft  der  Fingerspitze  einen  grossen 
Spielraum  erlaubte.  Entsprechend  der  von  aussen  fühlbaren, 
ja  in  geringem  Grade  sogar  sichtbaren  schnabelförmigen  Vor- 
treibung der  vorderen  Beckenwand,  konnte  ich,  wenn  ich 
den  Finger  hinter  der  Urethra  gerade  in  die  Höhe  brachte, 
mich  überzeugen,  dass  die  horizontalen  Aeste  der  Schambeine 
einander  bedeutend  genähert  waren.  Aus  allem  dem  ging  hervor, 
auch  ohne  dass  ein  Beckenmesser  mit  Zollen  und  Linien  zur 
Hand  genommen  wurde,  dass  das  vorliegende  osteomalacische 


der  geburtshül  fliehen  Sammlung  finden  sich  ausgezeichnete  osteo- 
malacische Becken,  deren  Geschichte  aber  leider  zum  Theil 
unbekannt  ist.  Mehrere  meiner  hiesigen  Collegen  haben  mir 
Beobachtungen  von  Osteomalacie  mitgetheilt  und  auch  die  auf 
meine  Veranlassung  von  Herrn  Dr.  Diener  der  Monatsschrift  für 
Geburtshülfe  etc.  eingesendete  und  nächstens  erscheinende,  liefert 
einen  Beitrag  zur  Kenntniss  der  Osteomalacie  im  Allgemeinen  und 
zum  Verfolgen  ihrer  eigenthümlichen  geographischen  Verbreitung, 
die  sich,  wie  es  scheint,  hauptsächlich  in  der  Richtung  von  Süden 
nach  Norden  dem  Rheine,  seinen  Seitenthälern  und  Seitenflü\sM?n 
entlang  erstreckt. 


360  XIX.    Breslau,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem 

Becken  in  seiner  Grösse  und  Form  die  grössten  Veränderungen 
erlitten  habe,  und  es  hätte  unter  den  gegebenen  Verhältnissen 
kaum  ein  anderer  Gedanke  als  der  an  den  vorzunehmenden 
Kaiserschnitt  Platz  greifen  können,  wenn  nicht  die  cautschouc- 
artige  Dehnbarkeit  des  Beckenausgangs  von  mir  sowohl 
wie  von  den  anwesenden  Collegen  bei  dem  hakenförmigen 
Einsetzen  zweier  Finger  der  rechten  und  linken  Hand  an  die 
Schenkel  des  Schambogens  auf  das  Unzweifelhafteste  gefunden 
und  wiederholt  constatirt  worden  wäre.  Die  einander  sich 
fast  berührenden  Sitzbeinhöcker  konnten  bei  diesem  Manoeuvre 
so  weit  von  einander  gezogen  werden,  dass  zwei  Finger  bequem 
neben  einander  Platz  fanden.  Da  drängte  sich  mir  mit  aller 
Macht  die  Erinnerung  an  jene  Fälle  von  Osteomalacie  auf,1) 
bei  welchen  die  scheinbar  grössten  mechanischen  Hindernisse 
durch  die  Kräfte  der  Natur  allein  überwunden  wurden,  oder 
nicht  mehr  als  eine  der  gewöhnlichen  geburtshülflicheu 
Operationen,  wie  Zange,  Wendung  u.  s.  w.  erforderten.  Die 
Knochen  des  Beckenausgangs  waren  weich,  dehubar,  wie 
verhielten  sich  die  des  Beckeneingangs?  War  es  wahrscheinlich, 
dass  die  schon  vorhandene  Weichheit  während  der  Geburt 
noch  zunehme,  dass  der  Schädel  des  Kindes  sich  wie  ein 
Keil  in  die  obere  Beckenapertur  nach  Abgang  des  Frucht- 
wassers und  bei  kräftiger  Contraction  des  Uterus  eindränge, 
um  später  allenfalls  mit  der  Zange  gefasst  zu  werden?  Konnte 
man  darauf  rechnen,  etwa  mit  der  Hand  in  den  Uterus  ein- 
gehen, die  Wendung  oder  Extraction  machen  zu  können? 
Das  waren  Fragen  an  das  Wissen  und  Gewissen  gestellt  und 
Augenblicke,  in  welchen  es  mir  unendlich  schwer  tiel,  eine 
Entscheidung  in  Betreff  des  geburtshülflicheu  Handelns  zu 
fassen.  Man  konnte  die  Hände  iij  den  Schooss  legen,  nichts 
thun,  zusehen,  wie  sich  die  Umstände  im  weiteren  Verlaufe 
der  Geburt  gestalten  werden,  man  konnte  etwas  thun,  den 
Versuch  machen,  die  linke  kleinere  Hand  nach  gewaltsamem 
Auseinanderspreizen  des  Beckenausgangs  in  den  Uterus  hinein- 
zuzwängen, um  das  Kind  auf  die  Füsse  zu  wenden  und  zu 
extrahiren,  man  konnte  endlich  viel  thun,  den  Kaiserschnitt 
in   dein   günstigsten  Stadium   der  Geburt,   am  Ende  der  Er- 

1)  Cfr.  Kilian,  Das  halisteretiscbe  Becken,     Bonn  1867. 


osteomalaci  »ehern  BeckoD  etc.  36 1 

öflhungsperiode  bei  stehender  Blase  ausführen.  Noch  lebte 
das  Kind,  noch  konnte  mit  Wahrscheinlichkeit  darauf  gerechnet 
werden,  ein  lebendes  und  lebensfähiges  Kind,  wenn  auch  auf 
ungewöhnlichem  Wege  zu  extrahiren.  Für  Erhaltung  des 
Lebens  der  elenden  Mutter  war,  wie  man  sich  auch  verhalten 
mochte,  wenig  Aussicht.  Ging  die  Geburt  auf  naturlichem 
Wege,  sei  es  mit,  sei  es  ohne  Hülfe  der  Kunst  nicht  rasch, 
nicht  sehr  glücklich  von  Statten,  wozu  gar  keine  Hoffnung 
vorbanden  war,  so  konnte  sich  der  Fall  ereignen,  dass  die 
Mutter  während  der  Geburt  unentbunden  starb  oder  dass  man 
später,  wenn  auch  das  Leben  des  Kindes  verloren  war, 
dennoch  zum  Kaiserschnitt  seine  Zuflucht  hätte  nehmen 
müssen,  unter  Verhältnissen,,  welche  die  Chance  des  Gelingens 
bis  auf  ein  Minimum  herabgedrückt  hätten.  Lange  Zeit  zur 
Ueherlegung  blieb  uns  nicht.  In  jeder  Minute  konnte  die  Blase 
springen,  der  wasserarme  Uterus  sich  um  das  Kind  zusammen- 
ziehen, Blutung  entstehen  u.  s.  w.  Ein  Eutschluss  musste 
gefasst  werden,  und  er  ging  dahin,  den  Kaiserschnitt  un- 
verweilt  auszuführen,  obwohl,  ich  gestehe  es  offen,  alle 
Zweifel  über  absolute  Indication  der  gefährlichsten  aller 
Operationen  bei  mir  nicht  völlig  geschwunden  waren. 

Bei  fortgesetzter  Chloroformnarkose,  bei  welcher  un- 
angenehmer Weise  einige  Male  Erbrechen  auftrat,  machte  ich, 
2"  über  der  Schambeinvereinigung  beginnend,  von  unten  nach 
aufwärts,  links  am  Nabel  vorbei,  einen  über  6"  langen  Schnitt 
durch  die  Bauchdecken  in  der  Richtung  der  Linea  alba.  Der 
Schnitt  musste  in  der  Gegend  des  Nabels  etwas  vorsichtig 
geführt  werden,  weil  sich  durch  den  geöffneten  Nabelring  eine 
kleine  pralle  Geschwulst  'drängte,  welche  vielleicht  dem  Darme 
oder  dem  Netze  angehörte.  Es  zeigte  sich  aber,  dass  es 
eine  mit  seröser  Flüssigkeit  angefüllte  Ausstülpung  des  Peri- 
tonäums  (vielleicht  ein  alter  Brucbsack)  war,  ohne  jeglichen 
weiteren  Inhalt,  und  nun  konnte  dreist  der  Schnitt  nach  oben 
verlängert  und  der  blaurothe  Uterus  blossgelegt  werden.  Die 
Eröffnung  desselben  geschab  durch  einen  etwa  5"  langen 
Schnitt  genau  in  der  Längsachse  und  parallel  mit  der  äusseren 
Bauchwunde.  Die  Wand  des  Uterus  war  nicht  mehr  wie 
fingerdick,   Blutung  war  sehr  massig,   keine  Arterie  spritzte. 

Monatuehr.  f.  OaburUk.  ldtt.  Bd.  XX.,  Hfl. .  6  24 


362  XIX.     Breslau,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem 

Der  Schnitt  traf  die  Placentarstelle  nicht  Nur  wenig  Frucht- 
wasser floss  aus  der  eröffneten  Eihöhle.  Das  Kind,  stark 
zusammengekrümmt,  präsentirte  sich  mit  der  linken  Seite. 
Linker  Arm  und  linker  Fuss  drängten  sich  in  die  Uterus- 
wunde. Zwei  Assistenten  setzten  ihre  Zeigefinger  in  den 
oberen  und  unteren  Winkel  derselben,  um  den  Zwischenraum 
zwischen  Uterus  und  Bauchdecken  aufzuheben,  beide  an- 
einander zu  halten  und  das  Vordrängen  der  Eingeweide  zu 
verhüten. 

Das  Kind,  ein  4%  Pfd.  schweres,  46  Ctm.  langes,  der 
Reife  nahes,  kleines,  aber  wohlgebildetes  Mädchen,  wurde 
an  dem  linken  Fusse  schnell  und  ohne  Schwierigkeit  aus  dem 
Uterus  entfernt,  lebte  und  schrje  augenblicklich.  Fast  un- 
mittelbar, noch  vor  der  Abnabelung,  folgte  die  Nachgeburt 
von  selbst 

Mehrere  Darmschlingen  und  ein  Stock  des  grossen  Netzes 
drängten  sich  von  den  Seiten  her  trotz  angewandter  oben 
bezeichneter  Vorsichtsmaassregel  wahrscheinlich  in  Folge  wieder- 
holten Brechens  und  Wilrgens  bei  der  Chloroformnarkose  vor 
die  äussere  Bauchwunde,  während  der  Uterus  nach  Entfernung 
des  Kindes  und  der  Placenta  schnell  sich  verkleinerte.  Es 
kostete  einige  Mühe,  die  Darmschlingen  sammt  Netz  zu  reponiren. 
Nach  geschehener  Reinigung  und  Entfernung  des  Blutes  durch 
Schwämme  wurde  die  Bauchwunde  durch  die  Kuopfnaht  ge- 
schlossen. Ich  bediente  mich  eines  englischen  Eisendrahtes  und 
suchte,  mit  Ausnahme  des  Nabels,  wo  es  nicht  möglich  war, 
das  Peritonäum  zu  schonen,  dasselbe  in  die  Naht  nicht 
mitzufassen.  Vierzehn  Nähte  vereinigten  die  Wundränder.  Der 
untere  Wundwinkel  wurde  nicht  offen  gelassen  und  kein  Sindon 
eingelegt  Streifen  von  Heftpflaster,  obwohl  in  Bereitschaft 
gehalten,  konnten  entbehrt  werden,  da  die  Wunde  genau 
vereinigt  und.  keine  Spannung  bemerkbar  war. 

Gegen  6  Uhr  Abends  waren  alle  Acte  der  Operation 
vollendet.  Gleich  nachdem  die  Wöchnerin  in  ein  erwärmtes 
Bett  gebracht  worden,  wurde  ein  kleines  Klysma  mit  30  Tropfen 
Laudanum  gegeben,  Eiswasser  mit  Brausepulver,  hin  und 
wieder  etwas  Wein  verordnet  Die  Wunde  wurde  anfänglich 
nur  mit  einem  m  Oel  getränkten  Lemwandstretfen  bedeckt 
und  vor  äusserlichen  Insulten  durch  einen  unter  der  Bettdecke 


osteoinalnciftchem  Becken  etc.  363 

befindlichen  Holzbogen  geschützt.  Erst  gegen  8  Uhr,  nachdem 
die  Wöchnerin  etwas  innerlich  und  äusserlich  erwärmt  worden, 
lim  ich  die  Wunde  und  deren  Umgebung  mit  in  Eiswasser 
getauchten  Compresscn  bedecken,  die  alle  fünf  Minuten  er- 
neuert wurden.  Einmal  erfolgte  noch  Erbrechen  bald  nach- 
dem dir  Operirte  in  ihr  Bett  gebracht  worden  war.  Blut 
und  blutgemisebte  Flüssigkeit  floss  in  massiger  Menge  beim 
Erbrechen  und  später  bei  Husten  und  Würgen  zwischen  den 
Eisendrahtnähten  hervor.  Aus  der  Chloroformnarkose,  die 
fast  eine  Stunde  gedauert  hatte,  vollständig  erwacht,  war  sich 
die  Seh.  dessen,  was  mit  ihr  vorgegangen,  nicht  bewusst. 
Sie  fühlte  sich  schwach,  klagte  über  Frost  und  heftigen 
kaum  zu  löschenden  Durst,  über  etwas  Brennen  und  Stechen 
in  der  Wunde,  besonders  beim  Athemholcn.  Der -Puls,  112  Mal 
in  der  Minute,  war  klein,  leicht  zu  comprimiren,  die  Gesichts- 
züge waren  entstellt  wie  vor  der  Operation,  verriethen  grosse 
Aengstlicbkeit  und  Aufregung.  Von  8  Uhr  Abends  an  wurde 
halbstündlich  ya  gr.  Opium  gegeben,  im  Ganzen  3l/2  gr.  Gegeu 
Mitternacht  stellte  sich  etwas  Ruhe  und  Schlaf  ein. 

15.  Januar.  Mehrmals  war  in  der  vorangegangenen  Nacht 
Neigung  zum  Erbrechen,  gegen  Morgen  ein  Mal  Erbrechen 
üüssigen  Schleimes  eingetreten.  Um  8J/2  Uhr  nach  einem 
Versuche  etwas  Kaffee  zu  nehmen,  neuerdings  Erbrechen. 
Extremitäten  waren  kühl,  Puls  108.  Urin  wurde  mit  dem 
Katheter  entleert.  Als  Unterlage  wurde  ein  mit  warmem 
Wasser  gefülltes  Cautchouckissen  gegeben« 

Nach  12  Uhr  neuerdings  Brechneigung  und  mehrmals 
Erbrechen  schwach  grünlich  gefärbter  Flüssigkeit.  Therapie: 
Eiswasser,  Eispillen.  Brausepulver,  Malagaweiu,  Liq.  auodyn. 
Hoffm.  mit  Laudan.  liq.  stündlich  10  Tropfen;  eis -kalte  Um* 
schlage  auf  den  Unterleib. 

Abends  6  Uhr  Erbrechen  und  Uebelkeit  haben  auf- 
gehört. Die  Kranke  ist  ruhiger,  ja  mitunter  selbst  heiter. 
Rührend  war  ihre  Dankbarkeit  für  die  Pflege  und  Aufmerk- 
samkeit, die  man  ihr  schenkte.  Sie  war  daran  nicht  gewöhnt 
und  äusserte  sich  öfters,  dass  sie  nicht  wisse,  wie  sie  so 
viel  Gutes  verdiene  und  wie  sie  es  vergelten  solle.  Wunde  sieht 
gut  aus;  zwischen  den  Wund  rändern  fast  kein  Ausfluss. 
Schmerzen   gering.     Beginnender   Meteorismus.     Zunge  rein, 

24* 


364  XIX.     Breslau ,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem 

nicht   trocken.     Puls    120,    etwas   gehoben.     Therapie:    drei 
balbgränige  Opiumpulver. 

16.  Januar.  Morgens.  Die  Nacht  verlief  ziemlich  gut; 
zwar  wenig  Schlaf,  doch  hin  und  wieder  Schlummer,  Ruhe 
und  mehr  Behaglichkeit.  Kein  Erbrechen.  Wenig  Schmerzen. 
Wunde  ohne  Secretion,  kantenförmig  zugespitzt.  Unterleib 
etwas  mehr  tympanitisch ,  aber  ohne  besondere  Spannung. 
Lochien  normal,  Brüste  wenig  geschwellt,  enthalten  nur  Spuren 
von  Milch.  Zunge  rein.  Starker  Durst  Puls  108,  massig 
kräftig.  Aussehen  und  Gemu thsstimmung  befriedigend.  Hier 
und  da  nimmt  die  Kranke  etwas  Suppe,  Wein,  und  scheint 
dies  gut  zu  vertragen. 

Therapie:  Einfaches  Klysma,  Laudan.  liq.  mit  Liq.  anodyn. 
Hoffm.  stündlich  10  Tropfen,  Eiswasser,  Eispillen  etc. 

Abends.  Extremitäten  warm.  Kein  Erbrechen.  Kein 
Stuhlgang,   kein  Abgang  von  Flatus.     Meteorismus  vermehrt. 

Gegen ,  11  Uhr  Nachts.  Bei  grösserer  Spannung  und 
Empfindlichkeit '  des  Unterleibs  mehrmals  Erbrechen  grünlich 
gefärbter  Flüssigkeit.  Von  12 — 3  Uhr  Morgens  leichter  Schlaf. 
Von  4  Uhr  an  wiederum  nauseose  Bewegungen  und  öfteres 
Erbrechen. 

17.  Januar.  Morgens.  Decomposition  der  Gesichtszüge. 
Unruhe,  fortwährende  Ueblichkeit,  anhaltendes  Erbrechen; 
grosser,  unstillbarer  Durst.  Der  ausserordentlich  reizbare 
Magen  gab  alles  Genossene,  selbst  das  Eiswasser  wieder  von 
sich.  In  dem  Erbrochenen  fanden  sich  ganze  Knäuel  von 
Spulwürmern.  Unterleib  ziemlich  stark  aufgetrieben,  obere 
Wund winkel  sehr  schmerzhaft;  zwischen  den  Nähten  geringe 
eiterige  Secretion.  Keine  Stuhlentleerung,  kein  Gasabgang. 
Kräilezustand  verhältnissmässig  gut,  Puls  108,  Extremitäten 
bisweilen  kühl,  Lochien  normal. 

Therapie:  Das  erschöpfende  Erbrechen  zu  stillen,  den 
Darm  nach  unten  frei  zu  machen,  wurde  nun  durch  eine 
Reihe  von  Mitteln  angestrebt,  und  dabei  li«ss  man  nicht  ausser 
Auge,  die  Kräfte  aufrecht  zu  erhalten,  zu  beruhigen  und  örtlich 
antiphlogistisch  zu  wirken.  Schwarzer  Kaffee,  feiner  alter 
Rheinwein  (Geschenk  aus  dem  Hotel  Baur).  Tr.  moschata, 
Tr.  nuc.  vomic.  versuchten  wir  nach  einander.  Durch  ein 
langes  elastisches  Rohr  ward  ein  Klysma  von  kaltem  Wasser 


osteomalftcischem  Becken  etc.  365 

applicirt.  Alles  umsonst.  Mit  mehr  oder  weniger  Intensität 
dauerte  das  Erbrechen  fort  und  kein  Stuhlgang  erfolgte.  Gegen 
Abend  wurde  ein  Klysma  mit  40  gtt.  Laudanum  zurückbehalten 
und  es  trat  etwas  Schlaf  ein. 

18.  Januar.  Gegen  Morgen  wieder  häufigeres  Erbrechen. 
Die  erbrochenen  bis  jetzt  grünlichen  Massen  werden  heller, 
sind  hin  und  wieder  mit  geronnener  Milch  gemengt,  die  gestern 
Abend  von  der  Kranken  genossen  wurde.  Puls  120,  von 
massiger  Stärke,  Wangen  eingefallen,  Zunge  in  der  Mitte 
etwas  trocken,  schwach  gelblich  belegt.  Schmerzen  selbst 
bei  sanfter  Berührung  der  Beckenknochen,  Schmerzen  bei  der  * 
geringsten  Bewegung  und  beim  Umbetten.  Die  Kranke  liegt 
immer  auf  einer  Seite,  nie  auf  dem  Rücken.  Schenkef  sind 
stets  an  den  Leib  gezogen.     Der  übrige  Zustand  wie  gestern. 

Therapie:  Klysma  mit  30  Tropfen  Laudan.-,  im  Laufe  des 
Vormittags  elastisches  Rohr  so  hoch  wie  möglich  bis  über  das 
Promontorium  eingeführt  und  mit  einer  kräftigen  Spritze  kaltes 
Wasser  in  den  Mastdarm  injicirt.  Kalte  Umschläge  auf  den 
Unterleib  werden  weniger  häufig  als  bis  jetzt  gemacht  und 
Abends  mit  warmen  Kataplasmen  vertauscht.  Auf  die  Magen- 
gegend, die  am  meisten  .  empfindlich  ist,  wird  ein  kleines 
Vesicans  gelegt,  um  Morphium  einstreuen  zu  können. 

Abends.  Erbrechen  fast  ununterbrochen.  Die  Kranke 
hat  beständig  neben  sich  eine  Schüssel  stehen,  um  das  Er- 
brochene aufzufangen.  Grosse  Müdigkeit  und  doch  keine  Ruhe 
zu  finden.  Puls  140,  klein.  Auftreibung,  Empfindlichkeit, 
spontane  Schmerzen  im  Abdomen  sind  massig.  Lochien  ziem- 
lich reichlich.     Urin  muss  mit  dem  Katheter  entleert  werden. 

Therapie:  Emulsio  oleosa  föj.  mit  3/3  Tr.  op.  simpl. 
und  gr.  iv.  Mosch,  wird  auf  drei  Mal  in  den  Mastdarm  injicirt. 
Innerlich  wird  fast  gar  nichts  ertragen.  Hier  und  da  nahm 
die  Kranke  einen  Schluck  Wasser  mit  Wein,  Kaffee,  Milch 
oder  Limonade. 

19.  Januar.  Allgemeiner  Zustand  etwas  besser.  Nacht 
war  ruhiger,  Erbrechen  seltener,  wenn  gleich  immer  wieder- 
kehrend. Puls  128,  kräftiger.  Bewundernswerthe  Zähigkeit 
und  Widerstandsfähigkeit  der  Kranken,  die  schon  gestern  dem 
Tode  nahe  war  und  momentan  sich  wieder  erholte.  Noch 
immer  kein  Stuhlgang.     Die  Unthätigkeit  des  Darmes  musste 


366  XIX.     Breslau,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem 

einen  mechanischen  Grund  haben.  Das  Hinderniss  konnte  in 
einer  Einklemmung  in  die  Uteruswunde,  in  die  Bauchwunde 
bestehen ,  es  konnte  durch  die  Reposition  eine  Achsendrehung, 
ein$  Verschlingung  entstanden  sein.  Wie  aber  den  Darm 
wegsam  machen?  Etwa  durch  eine  Laparotomie  oder  durch 
eine  Enterotomie?  Durch  AufLrennung  der  Bauch  wunde,  durch 
Aufsuchen  der  eingeklemmten  Darmschlinge  oder  durch  An- 
legung eines  künstlichen  Afters?  Gewagte  Unternehmen,  die 
weder  ich  noch  Prof.  Bülroth,  den  ich  zu  Rathe  gezogen 
hatte,  verantworten  zu  können  glaubten,  oder  man  durch 
eintüchtiges  Laxans,  etwa  gar  durch  den  Mercuritis  virus, 
suchen  sollen,  den  Darm  in  energische  Thätigkeil  zu  versetzen 
und  ihn  aus  seiner  Klemme  zu  befreien?  Unmöglich, 
denn  alle,  auch  die  beruhigendsten,  mildesten  Medicamente 
wurden  sofort  wieder  erbrochen.  Eines  war  noch  zu  ver- 
suchen. Ein  Infus.  Senn,  conipos.  von  5  Unzen  wurde  in 
Forin  eines  Klysma  gegeben.  Nach  drei  Stunden  ging  es 
ohne  den  gewünschten  Erfolg  wieder  ab.  Erbrechen  den 
ganzen  Tag  hindurch.  Auch  Champagner  mit  Eis  wird  nicht 
vertragen.  Ebenso  ging  es  mit  einer  Medicin,  bestehend  aus 
Liq.  Ammon.  anisal.  mit  Aq.  Cinnam.  In  die  Vesica torwunde 
in  der  Magengegend  wurde  Vagr  Morph,  muriat.  eingestreut. 
Die  Kräfte  sinken  zusehends.  Gegen  Abend  wurde  ein  Klysma 
von  Bouillon  mit  zwei  Eidodern  gegeben.  Die  Kranke 
schlummert  hier  und  da.  Mund  und  Augen  sind  halb  geöffnet. 
Respiration  fast  aussetzend,  manchmal  nur  vier  bis  fünf  Atem- 
züge in  der  Minute. 

In  der  Nacht  vom  19.  bis  zum  20.  Januar  ging  das  Klysma 
von  gestern  Abend  wieder  ab;   mit  demselben  eine  Spur  von 
Fäcalmasseu   und   einige   Flatus,    worauf  eine   Spur   von  Er- 
'  leichterung. 

20.  Januar.  Beiiiiden  relativ  gut.  Haut  warm.  Puls  120. 
Zunge  reinigt  sich  wieder.  Durst  geringer,  Erbrechen  weniger 
häufig  und  weniger  heftig.  Obere  Wundwinkel  etwas  geöffnet ; 
Wunde  sieht  gut  aus,  eitert  wenig.  Um  die  Stichkanäle 
leichte,  circuuiscripte  Röthe.    Gegen  Abend  Verschlimmerung. 

21.  Januar.  Heisse,  trockene  Haut.  Puls  120,  schwach. 
Zunge  trocken.  Erbrechen  häufig.  Mehr  Schmerzeu  im 
Epigastrium.    Meteorismns  verdeckt  die  gewöhnliche  Dämpfung 


osteomalncischem  Becken,  etc.  '367 

.der  Leber,  geht  unmittelbar  in  den  Lungenton  über.  Einige 
Nähte  dem  Durchschneiden  nahe;  der  obere  Wund winkel  klafft 
etwas.  Was  auch  immer  versucht  wird,  um  das  Erbrechen 
zu  stillen  und  Stuhlgang  hervorzurufen,  ist  ganz  erfolglos. 
Klysmata  mit  Bouillon,  Eidottern  und  Opium  scheinen  allein 
das  Leben  zu  unterhalten;  die  Schmerzen  werden  durch 
endermatische  Anwendung  von  Morphium  gelindert 

22.,  23.,  24.  Januar.  In  den  letzten  Tagen  blieb  der 
bedauernswerthe  Zustand  so  ziemlich  der  gleiche.  Bald  mehr 
Collapsus,  bald  wieder  etwas  Reaction.  In  den  letzten 
36  Stunden  war  die  Kranke  bewusstlos,  soporös.  Stinkender 
Ausfluss  zeigte  sich  aus  deu  Genitalien.  Jumentöser,  alkalischer 
Urin  floss  unwillkürlich  ab.  Erbrechen  wurde  gegen  das 
Ende  zu  seltener.  Extremitäten  erkalteten  vom  24.  Januar 
Mittags  an.  Puls  wurde  unfühlbar.  Abends  7  Uhr,  gerade 
10  Mal  24  Stunden  nach  der  Operation,  trat  endlich  der 
Tod  ein.  Einige  Nähte  waren  in  den  letzten  Tagen  aus  der 
Wunde  entfernt  worden,  und  der  obere  klaffende  Theil,  unter 
welchem  sich  eine  seröse  verdickte,  getrübte  Haut  zeigte, 
wa*r  durch  Heftpflaster  zusammengezogen. 

Section    17  Stunden   nach  dem  Tode. 

Das  Gewicht  der  Leiche  beträgt  nur  51  eidgenossische 
Pfunde  =  25500  Grammes.  Sie  ist  zusammengekrümmt,  die 
Stellung  der  unteren  Extremitäten  fast  wie  bei  der  Lebenden. 
Unterschenkel  sind  gegen  die  Oberschenkel  fast  spitzwinkelig 
im  Kniegelenk  gebeugt;  Oberschenkel  sind  dem  Unterleibe 
bis  auf  einige  Zolle  genähert.  Streckung  gelingt  auch  bei 
starker  Anwendung  von  Kraft  nur  wenig.  Die  Länge  der 
Leiche  beträgt  126  Centimetres.  Die  unteren  Rippen  sind  in 
der  Gegend  ihrer  grössten  Wölbung  etwas  eingesunken. 
Röhrenknochen  sind  gerade.  Die  letzten  Lendenwirbel  sind 
lordotisch,  an  dem  übrigen  Theile  der  Wirbelsäule  ist  keine 
Verkrümmung  wahrnehmbar.  In  grellem  Contrast  zu  dem 
abgemagerten  Körper  mit  fettloser  welker  gelblicher  Haut 
stehen  jüe  üppigen,  dunkeln  schwarzen  Haare.  Die  Muskeln 
der  unteren  Extremitäten,  vorzüglich  vom  Knie  abwärts,  sind 
in  hohem  Grade  atrophisch. 

Schädelhöhle.  Das  Schädeldach  ist  von  abnormer 
Dicke  und  Consislenz,  an  einzelnen  Stellen  1  Centiiuetre  dick 


368  XIX.     Breslau,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem 

und  die  Diploö  sklerosirt,  tbeilweise  so  hart  wie  Elfenbeto. 
Auf  der  Innenwand  ist  die  bekannte  puerperale  Osteophyt- 
bildung  nicht  bemerkbar.  Es  findet  sich  reichliche  Menge 
von  Cerebrospinalflüssigkeit,  schwaches  Oedem  der.  Pia  Mater. 
Die  Gehirnsubstanz  ist  zäh,  glänzend,  anämisch.  Auf  dem 
Boden  des  rechten  Seitenventrikels,  dem  rechten  Thalamus 
nerv,  optic.  angehörend,  ist  eine  circa  Fünf- Centimes -Stück 
grosse,  etwas  in  die  Tiefe  dringende,  graulich  weisse,  gelatinös 
erweichte  Stelle.  Der  übrige  Befund  im  Gehirne  bot  nichts 
Bemerkenswertlies. 

Brusthöhle.  Linke  Lunge  zurückgesunken,  gut  luft- 
haltig, der  untere  Lappen  reich  an  Blut.  Au  diesem  finden 
sich  einige  oberflächliche  subpleurale  Ecchyuiosen.  Sein  Pleura- 
überzug  ist  trüb  und  von  einigen  frischen  Faserstoffitacken 
belegt  Kein  flüssiges  Exsudat  in  der  Pleura.  Rechte  Lunge 
in  ganzer  Ausdehnung  durch  alte  Adhäsionen  mit  der  Coslal- 
pleura  verwachsen.  Der  untere  Lappen  wölbt  sich  ganz  über 
das  bis  fast  zur  dritten  Rippe  heraufgedrängte  stark  convexe 
Zwerchfell  herüber,  unter  welchem  die  nach  hinten  geschohene 
und  um  ihre  Querachse  gedrehte  Leber  vollständig  verborgen 
ist.  Der  nach  vorn  vorgezogene  vordere  freie  Rand  des 
rechten  unteren  Lungenlappens  ist  nur  durch  das  dünne 
Zwerchfell  von  dem  darunter  liegendem  Colou  Iransversutn 
getrennt,  und  es  erklärt  sich  aus  diesem  fast  unmittelbarem 
Angrenzen  der  lufthaltigen  Lunge  an  einen  ausgedehnten  gas- 
haltigen Darm,  dass  mehrere  Tage  vor  dem  Tode  (s.  oben 
21.  *Januar)  keine  Leberdämpfung  gefunden  werden  konnte, 
sondern  der  sonore  Lungenton  unmittelbar  in  den  tympaniüschen 
Darmton  überging.  In  dem  unteren  Lappen  der  rechten  Lunge 
finden  sich  einige  erbsengrosse  Höhlen  mit  kreideartigem 
Inhalte.  Die  ganze  Lunge  ist  blutarm,  trocken,  lufthaltig. 
Im  Herzbeutel  eine  kleine  Menge  seröser  Flüssigkeit;  das 
Herz  klein,  schlaff,  zeigt  an  der  Spitze  einige  alte  Sehnen- 
flecke. JMuskelfleisclt  dünn,  von  normaler  Farbe  und  Consislenz. 
Klappen  normal. 

Bauchhöhle.  Länge  der  Bauchwunde  beträgt  6"  2". 
Die  meisten  Eisendrahtnähte  liegen  noch.  Eine  Heilung  ist 
nur  an  dem  unteren  Wundwmkel  in  einer  Länge  von  1"  3'" 
und  in  der  Gegend  des  Nabels  in  einer  Ausdehnung  von  6 — 8" 


osteomaUcischtm  Becken  eto. 

erfolgt  Die  übrigen  Stellen  zeigen  nach  Herausnahme  der 
Nahte  durchaus  keine  Vereinigung,  sondern  klaffen  auseinander. 
Die  Wunde,  von  innen  betrachtet,  bildet  einen  nach  vorn 
ausgebuchteten  Sack,  an  welchen  sich  das  grosse  gerunzelte, 
verdickte  Netz  von  oben  bis  gegen  das  untere  Drittheil  anlegt. 
Das  untere  Drittheil  wird  von  einer  Dünndarmschlinge  bedeckt. 
Netz  und  Darmschlinge  sind  mit  der  parietalen  Oberfläche 
der  vorderen  Wand  des  Peritonäums  verklebt,  können  aber 
ohne  Schwierigkeit  abgelöst  werden,  ohne  dass  eine  Zerreissung 
stattfindet  und  sind  nirgends  in  die  Wunde  incarcerirt  oder 
eingenäht  Da  wo  die  Wundränder  aneinanderstossen,  bestehen 
die  Weichtheile  aus  fettarmer  Haut  und  der  nicht  mehr  deutlich 
erkennbaren,  sehr  verdünnten  aponeurotiscben  Linea  alba.  Das 
durchschnittene  Peritoneum  ist  mit  Ausnahme  des  unteren 
Wundwinkels  und  des  verheilten  Nabels  an  der  Wunde  gar  nicht 
betheiligt,  sondern  mit  den  geraden  Bauchmuskeln,  an  diese 
anliegend,  seitwärts  so  weit  zurückgezogen,  dass  der  Zwischen- 
raum zwischen  den  Rändern  der  peritonealen  Schnittwunde 
wenigstens  2"  beträgt 

Sämmtliche  Darmschlingen  sind  in  massigem  Grade 
tympanitisch  aufgetrieben  und  unter  einander  sowohl  wie  mit 
der  Bauchwand  vorn  und  seitlich  verklebt.  Es  finden  sich 
zwischen  den  verklebten  Darmschlingen  zahlreiche,  grössten- 
teils nur  nussT-  bis  eigrosse  abgeschlossene  Heerde,  deren 
Inhalt  an  den  wenigsten  Stellen  ein  dicker,  rahmartiger  Eiter, 
an  den  meisten  Stellen  ein  grünlich- gelbes,  flockiges  Serum 
ist  Nirgends,  auch  nicht  in  der  Tiefe  des  Beckens,  ist 
freies  flüssiges  oder  fibrinöses  Exsudat,  und  von  frischem 
oder  verändertem,  frei  ausgetretenem  Blute  ist  nichts  wahr- 
zunehmen. Das  parietale  Blatt  des  Peritonäums  und  das 
viscerale  der  Leber  und  der  Milz  ist  trüb,  stellenweise  ver- 
dickt und  von  Fibrinaullagerungen  überzogen.  Die  Leber  ist 
stark  fetthaltig,  brüchig,  morsch.  Die  Milz  klein,  atrophisch; 
der  Magen,  stark  contrahirl,  enthält  nur  wenige  grünlich- 
schleimige  Flüssigkeit;  die  Magenschleimhaut  gefaltet,  hier  und 
da  mit  hämorrhagischen  Erosionen  bedeckt  Nieren  sind  klein, 
blutarm,  von  normalem  Gefüge. 

Gegen  die  linke  Darmbeingrube  gewahrt  man  nach  Zurück- 
legung" einiger   bedeckender   Darmschlingen    den    nach   links 


370  XTX.     Breslau,  Kaiaer*chnitt  bei  dfebnbarem 

geneigten  fauslgrossen  Uterus.  In  seiner  Schnittwunde,  deren 
Ränder  in  der  Mitte  1V2"  von  einander  entfernt  sind»  liegt 
eine  der  untersten  Dünndarmschlingen.  Sie  ist  ringsum  mit 
,  den  Schnitträndern  verklebt  und  ragt  in  die  Höhle  des  Uterus 
hinein.  Ihr  seröser  Ueberzug  ist  missfarbig,  aber  nicht  in 
dem  Grade,  wie  dies  bei  stark  incarcerirten  Hernien  vor- 
zukommen pflfegt.  Muscularis  und  Schleimhaut  sind  nicht 
erweicht,  nicht  durchbrochen.  Der  Uterus  selbst  ist  mit  der 
linken  Beckengegend  und  auf  der  linken  Seite  mit  der  vorderen 
Bauchwand  verklebt  Ovarien  und  Tuben,  in  fibrinöse  Exsudat- 
masse eingehüllt,  sind  mit  Uterus  und  Umgebung  verfilzt. 
Die  Scbnittränder  des  Uterus  sind  von  einem  röthlich-  gelatinösen 
Exsudat  bedeckt;  der  Schnitt  ist  vollständig  in  der  Mittel- 
linie 3"  9'"  (Par.  Maass)  lang,  erstreckt  sich  von  der  Gegend 
des  inneren  Muttermundes  nach  aufwärts,  wo  er  5'"  vom 
Grunde  des  Uterus  entfernt  endigt  Legt  man  die  klaffenden 
Wundränder  des  aus  der  Leiche  genommenen  Uterus  an- 
einander, so  beträgt  seine  grösste  Höhe  vom  äusseren  Mutter- 
munde bis  zum  Grunde  6"  3'",  seine  grösste  Breite  in  der 
Gegend  der  Ansatzpunkte  beider  runder  Mutterbänder  3"  6W. 
Die  Muscularis  ist  3  —  5'"  dick.  Dem  Schnitte  gegenüber, 
somit  an  der  hinteren  Wand  des  Uterus,  ist  die  Placentar- 
stelle,  in  grosser  Ausdehnung  durch  etwas  vorragende 
thrombosirte  Gefassstümpfe  sich  auszeichnend.  Nach  unten 
gegen  die  Cervicalhöhle  zu  ist  etwas  rölblicbbruune  zer- 
setzte Lochialflüssigkeit  angesammelt  und  einzelne  kleinere 
Stellen  der  unteren  Parthie  der  Uterusschleimhaut  zeigen 
eine  diphtherische  Infiltration.  Weder  in  der  Muscularis  des 
Uterus  noch  gegen  das  Peritonäum  findet  sich  eiterige  oder 
eiterartige  Flüssigkeit  Keine  Phlebitis,  keine  Lymphangoitis. 
Scheide  und  Blase  sind  inlacl.  k»  rechten  Ovariuin  ist  ein 
mehr  als  erbsengrosses  Corpus  luteum.  Das  linke  Ovarium 
ist  geschrumpft,  hart,  von  zahlreichen  tief  eingezogenen 
Narben  durchsetzt 

Das  Becken,  mit  fünf  Lendenwirbeln  und  dem  obersten 
Drittheil  der  Oberschenkel  aus  der  Leiche  genommen,  habe 
ich  nicht  in  der  gewöhnlichen  Weise  uiacerireu  uud  trocknen 
lassen,  sondern  frisch  seiner  Weicbtheile  entkleidet  und  in 
verdünntem  Weingeiste  aufbewahrt,  in  welchem  seine  ph>saka- 


esteomalacischera  Becken  «te.  371 

liscben  Eigenschaften  fast  unverändert  fortbestehen.  Was  diese 
betrifft,  so  ist  die  Leichtigkeit,  Weichheit  und  Dehnbarkeit 
seiner  Knochen  hervorzuheben.  Das  präparirte  Becken,  an 
welchem  sich  noch  alfe  Bänder,  aber  keine  Muskeln  befinden, 
wiegt  1500  Grammes.  Seine  sämmllichen  Knochen,  auch  die 
letzten  Lendenwirbel,  aber  nicht  die  Oberschenkelknochen, 
sind  so  weich,  dass  man  sie  mit  einer  starken  Nadel  oder 
einem  spitzen  Bistouri  ohne  Schwierigkeit  durchstechen 
kann  und  lassen  sich  mit  einem  scharfen  Bistouri  nach  allen 
Richtungen  schneiden. !)  Am  weichsten  sind  die  Schaufeln 
der  Darmbeine,  der  letzte  und  vorletzte  Lendenwirbel,  die 
absteigenden  Aeste  der  Schambeine  und  die  aufsteigenden 
Aesle  der  Sitzbeine.  Die  Dehnbarkeit,  deren  ich  schon  oben 
bei  der  Geburtsgeschichte  Erwähnung  gethan,  zeigt  sich  auch 
jetzt  in  ausgezeichneter  Weise,  wenn  man  zwei  Finger  an 
die  einander  genäherten  Sitzbeinhöcker  einsetzt  und  den  Recken- 
eingang aiiseinamWziehl.  Wendet  man  eine  bedeutende 
Kraft  an,  so  kann  man  die  nur  8'"  von  einander  entfernten 
'  Sitzbeinhöcker  bis  auf  nahezu  3"  vou  einander  bringen. 
Sobald  man  mit  dem  Zuge  nach  auswärts  aufhört,  so  nähern 
sich  die  Sitzbeinhöcker  einander  wieder.  Diese  Theile  des. 
Beckenausgangs  lassen  sich  bis  zur  gegenseitigen  Berührung 
durch  einen  massigen  Druck  von  beiden  Seiten  einander 
nähern.  Lässt  der  Druck  nach,  so  entfernen  sich  die  Theile 
wieder  und  kehren  zur  früheren  Distanz  zurück.  Man  kann 
diese  Eigenschaft  des  Reckens  nicht  mit  Dehnbarkeit  oder 
Weichheit  oder  Biegsamkeit  genügend  bezeichnen,  sondern 
man  niuss  sagen:  „das  Recken  federt,  das  Recken  ist 
plastisch."  Im  frischen  Zustande  war  diese  Elasticitat  am 
ausgesprochensten,  jetzt  nachdem  das  Becken  schon  mehrere 
Monate  in  Spiritus  gelegen  ist,  tritt  diese  Eigenschaft  weniger 
deutlich  und  weniger  rasch  hervor.  So  oft  ich  auch  diese 
Elasticitat  geprüft  habe,  schien  es  mir  immer,  als  ob  sie 
nicht  allein  den  Knochen  des  Beckenausgangs,   sondern  auch 

1)  Was  die  histologische  and  chemische  Beschaffenheit  der 
Knochen  unseres  Beckens  betrifft,  so  verweise  ich  auf  die  nach- 
folgenden Bemerkungen  von  Prof.  Frey  t  de*,  meiner  Aufforderung 
Folge  leistend,  sehr  schwierige,  aber  auch  desto  lohnendere 
Untersuchungen  unternahm. 


372  XIX.     Breslau,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem    u 

der  Schambeinsymphyse  und  ihren  Bändern  zu  verdanken  sei. 
Eine  Dehnbarkeit  und  Elasticität  des  Beckeneingangs  ist  nur 
in  ganz  geringem  Grade  wahrzunehmen.  Ich  bin  nicht  im 
Stande,  den  Beckeneingang,  von  welcher  Seite  und  in  welcher 
Richtung  ich  es  auch  versuchen  mag,  viel  zu  verändern  und 
die  einander  an  einer  Stelle  bis  auf  4'"  genäherten  dicken, 
horizontalen  Aeste  der  Schambeine  um  mehr  als  einige  Linien 
von  einander  zu  trennen. *)  Die  Gestalt  des  Beckens  ist  die 
allgemein  charakteristische  aller  hochgradiger  osteomalacischer 
Becken,  und  es  wurde  nichts  als  eine  Wiederholung  zahl- 
reicher da  und  dort  niedergelegter  Beschreibungen  sein, 
wollte  ich  es  unternehmen,  auch  für  diesen  Fall  ein  Bild 
der  Form  zu  entwerfen.  Von  grösserem  Interesse  dürften  die 
wichtigsten  Maasse  des  Beckens  sein. 

A.     Beckeneingang. 

1)  Conjugata  vera  2"  6W  (Pariser  Maasse 

2)  Conjugata    falsa.     Linie    vom    Promontorium    in    gerader 

Richtung  nach  vorn  bis  zu  einer  die  bis  auf  4'"  ge- 
näherten Punkte  der  horizontalen  Schambeinäste  quer 
verbindenden  Linie,  d.  i.  derjenige  Raum,  welcher  allen- 
falls zur  Einstellung  des  kindlichen  Schädels  in  gerader 
Richtung  hätte  verwerthet  werden  können:  1"  3'". 

3)  Querer  Durchmesser  3''  6'". 

4)  Rechter  schräger  Durchmesser  3  "-5'". 

5)  Linker  schräger  Durchmesser  3"  6'". 

6)  Linke  und  rechte  Distancia  sacrocotyloidea  1"  6"'. 


1)  Diese  directe  Wahrnehmung,  über  das  ungleiche  Verhalten 
des  Becken  ein  gang«  nnd  Beckenausgangs  in  Bezug  auf  Dehnbarkeit 
bestätigt,  dass  die  Zweifel,  die  ich  bei  meinem  ersten  Falle  von 
08teomalacia  cerea  (s.  Deutsche  Klinik,  1869,  No.  36)  aas- 
gesprochen habe,  vollkommen  in  der  Natur  der  Sache  begründet 
sind.  Meine  Worte  daselbst  heissen:  „.  .  .  .  Aus  der  gefundenen 
Dehnbarkeit  des  Scbambogens  konnte  ich  nur  mit  einiger  Wahr- 
scheinlichkeit, aber  keineswegs  mit  Gewissheit  eine  gleiche 
Beschaffenheit  der  Knochen  des  Beckeneingangs  annehmen. 
Diese  Ungewissheit  wird  bei  allen  Füllen  gleicher  Art  gleich 
gross  sein  und  ist  um  so  störender  für  die  Beurtheilnng  des 
Falles,  als  es  doch  zunächst  darauf  ankommen  muss,  die  Möglich- 
keit des  Eintritts  des  Kindes  in  das  Becken  tn's  Auge  eu  fassen. 


osteoraalacischera  Recken  etc.  373 

B.     Beckenmitte. 

1)  Gerader  Durchmesser  4"  9'"  (grösste  Tiefe  der  Kreuzbein- 

aushöhlung). 

2)  Querer  Durchmesser  2"  10'". 

C.     Beckenausgang. 

1)  Gerader  Durchmesser  3".  . 

2)  Querer  Durchmesser  8'". 

Die  Höhe  der  Schambeinsymphyse  beträgt:  1"  10 m.    , 
Die  Entfernung   des  Promontoriums  von  der  Steissbein- 
spitze  beträgt:  2"  3". 

Misst  man  die  Peripherie  des  Beckeneingangs  mit  einem 
Schneid ermaasse,  so  erhält  man  13"  2'"  oder  35l/a  Ctm., 
somit  5 — 7  Ctm.  weniger,  als  sie  bei  einem  normalen  weib- 
lichen Becken  zu  betragen  pflegt.  Dies,  ist  ein  Punkt,  auf 
welchen  ich  die  Aufmerksamkeit  meiner  Fachgenossen  hin- 
zuleiten, nicht  umhin  kann.  Die  beträchtliche  Verminderung 
der  Peripherie  des  Beckeneingangs  beweist  nämlich  am 
augenscheinlichsten ,  dass  das  Becken  nicht  einfach  zusammen- 
gedrückt, oder  wie  man  es  sich  auch  vorstellen  kann,  in 
Falten  gelegt  ist,  sondern  es  hat  gleichzeitig  mit  der  Ver- 
legung der  Beckenknochen  eine  Schrumpfung,  eine  Ver- 
kleinerung und  Atrophie  stattgefunden.  Würde  man  dem 
Beckeheingauge  seine  frühere  Gestalt  durch  Ausbiegen  seiner 
winkeligen  Buchten  wiedergeben  können,  so  hätte  man  doch 
nicht  das  frühere  geräumige  Becken,  sondern  ein  allgemein 
zu  kleines  Becken,  ein  Becken  in  verjüngtem  Maassstabe,  durch 
welches,  wenn  es  noch  mit  Weichtheilen  bekleidet  ist,  ein 
kindlicher  Schädel,  dessen  mittlerer  Umfang  etwa  35 Ctm.  beträgt, 
natürlich  nur  mit  der  grössten  Schwierigkeit  oder  nur  verkleinert 
durchzutreten  vermöchte.  Nicht  bei  allen  osteomalacischen 
Becken  findet  sich  eine  so  ausgesprochene  Schrumpfung  des 
Knochengewebes.  In  der  hiesigen  geburtshülflichen  Sammlung 
ist  ein  hochgradig  osteomalacisches  Becken  mit  sehr  gracilen, 
dünnen  Knochen,  bei  welchem  die  Peripherie  des  Eingangs 
44  Ctm.  misst.  Die  Entbindung  konnte,  bei  diesem  Becken 
durch  die  Wendung  von  Herrn  Dr.  Spöndli  Sohn  vollendet 
werden.  Bei  einem  anderen  osteomalacischen  'Becken,  an 
welchem  von  meinem  Vorgänger,  Herrn  Prof.  Spöndli  Vater, 


374  XIX.     Breslau ,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem 

im  Jahre  1844  der  Kaiserschnitt  gemacht  wurde,  misst  freilich 
die  Peripherie  des  Eingangs  auch  nur  36  Ceutimetres. 

Dass  Becken  mit  so  bedeutender  allgemeiner  Schrumpfung, 
selbst  wenn  sie  in  höchstem  Grade  weich  und  dehnbar  sein 
sollten ,  immerhin  noch  ein  bedeutendes  mechanisches  Hinder- 
niss  abgeben  müssen,  bedarf  keiner  weiteren  Erörterung. 
Die  Dehnbarkeit  kann  nur  dann  von  entschiedenem  Vortheile 
sein ,  wenn  durch  sie  die  gewöhnliche  Geräumigkeit  des  Beckens 
ganz  oder  nahezu  wiederhergestellt  werden  kann. 

Mögen  mir  schliesslich  noch  ein  paar  epikritische  Be- 
merkungen erlaubt  sein,  die  sich  mir  bei  einer  Rückschau 
auf  die  Operation  und  deren  unglücklichen  Ausgang  ergeben. 

1)  Der  Kaiserschnitt  war  *--  es  kann  jetzt  kein  Zweifel 
.  mehr  darüber  sein  —  absolut  indicirt.     Wenn  es  überhaupt 

möglich  war,  das  Leben  der  Mutter  zu  retten,  so  konnte  es 
am  Ende  der  Schwangerschaft  nur  durch  diese  Operation  und 
durch  keine  andere  gescheiten.  Nur  durch  einen  künstlichen 
Abortus  oder  eine  künstliche  Frühgeburl  in  einer  sehr  frühen 
Zeit,  etwa  um  die  28.  Woche,  hätte  der  Kaiserschnitt  um- 
gangen werden  können. 

2)  Die  Operirte  erlag  einer  subacut  verlaufenden  Peritonitis, 
deren  Ursache  wahrscheinlich  in  der  massigen  Incarceration 
einer  Dünndarmschlinge  in  die  Uteruswunde  zu  suchen  ist 

3)  Es  ist  nicht  zu  entscheiden,  ob  bei  der  Reposition 
der  vorgefallenen  Darmschlingen  eine  derselben  in  die  nicht 
geschlossene  Uterus  wunde  gedrängt  wurde,  oder  ob  sie  von 
selbst  während  einer  Wiederausdehnung  des  sich  involvirenden 
puerperalen  Uterus  in  dessen  Wunde  eingesunken  ist.  Würde 
nur  einige  Sicherheit  für  die  erste  der  beiden  Möglichkeiten 
vorhanden  sein,  so  würde  ich  in  einem  künftigen  Falle  darauf 
bedacht  sein  müssen,  die  Reposition  vorgefallener  Darm- 
schlingen, die  man  sich  natürlicher  Weise  zu  machen  beeilt,  — 
langsam,  vorsichtig  und  erst  nach  vollständiger  Contraction 
des  durch  den  Schnitt  eröffneten  Uterus  zu  machen  oder  ich 
würde  selbst  an  die  Vereinigung  der  Schnittwunde  des  Uterus, 
wozu  schon  öfters  gerathen  wurde  (z.  B.  von  Lebas),  etwa 
durch  einige  Silberdrähte  denken. 

4)  Die  'in  den  ersten  Tagen  des  Wochenbetts  durch- 
geführte Behandlung   mit   grossen  Gaben   von  Opium   ist    fflr 


oiteomalacischem  Becken  etc.  „     375 

den  weiteren  Verlauf  der  Krankheit  wahrscheinlich  nachtheilig 
gewesen,  indem  sie  die  peristaldschen  Bewegungen  der  Darm- 
schlingen sistirte  und  die  Verwachsung  einer  Dünndarmschling« 
in  die  Wunde  des  von  Tag  zu  Tag  sich  immer  mehr  und  mehr 
verkleinernden  und  verengenden  Uterus  begünstigte.  Vielleicht 
wäre  der  Verlauf  ein  günstiger  gewesen,  wenn  gleich  im 
Anfange  ein  drastisches  Abführmittel  gereicht  worden  wäre, 
welches  eine  kräftige  Bewegung  des  Darmes  und  eine  Selbst- 
befreiung  aus  seiner  Klemme   hätte  zur  Folge  haben  können. 

5)  Das  absichtliche  Nichtmitfassen  des  Peritoneums  in 
die  Naht,  welches  in  neuester  Zeit  von  Dr.  Gliszinsky  l)  als 
sehr  empfehlenswert  hervorgehoben  wurde,  schein!  für  den 
späteren  Erfolg  nicht  vorteilhaft,  weil  sich  die  geraden 
Bauchmuskeln,  zwischen  welche  sich  Darmschliugen  und  Netz 
vordrängen,  von  einander  weit  entfernen,  wodurch  der  Schutz 
für  die  Eingeweide,  wenn  es  wirklich  zur  Heilung  der  nur 
aus  Haut  bestehenden  Bauchwunde  kommt,  ein  zu  geringer 
wird  und  unfehlbar  zu  grossen  Hernien  der  Linea  alba  führt. 
Ich. werde*  wenn  ich  wieder  (Gelegenheit  finde,  einen  Kaiser- 
schnitt zu  machen,  tief  durchstechen,  die  geraden  Bauch- 
muskeln aneinanderziehen,  das  Bauchfell  mitfassen  und  es 
darauf  ankommen  lassen,  durch  diesen  allerdings  grösseren 
Eingriff  das  Bauchfell  in  einen  stärkeren  Zustand  von  Reizung 
und  Entzündung  zu  versetzen. 

6)  Das  Vereinigen  der  äusseren  Wunde  durch  Eisendrähte, 
meines  Wissens  in  unserem  Falle  zum  ersten  Male  angewendet, 
hat  einige  Vortheile  gegenüber  der  gewöhnlichen  Methode  zu 
nähen,  aber  auch  einige  Nachtheile.  Zu  den  Vortheilen  rechne 
ich  die  geringe  Reaction  in  den  Stichkanälen,  die  geringe 
Neigung  zu  Eiterung,  und  daher  die  Thunlichkeit,  die  Metall- 
drähte länger  unberührt  liegen  zu  lassen,  als  Fäden  oder 
Bändchen  '  aus  Seide.  Zu  den  Nachtheilen  rechne  ich  das 
missliche  Auflegen  und  Abnehmen  von  Corapressen  und 
Verbandstücken  auf  die  durch  Metalldrähte  geschlossene  Wunde, 
indem  man  beim  Wechseln  des  Verbandes  an  den  immer 
etwas  vorragenden  spitzen  Enden  der  abgeschnittenen  Drähte 
leicht   hängen   bleibt,   Schmerzen   verursacht   und   die  Wunde 

1)  Monatsschr.  f.  Geburtöh.,  HJ.  XVII. 


276        XIX-     Breslau,  Kaiserschnitt  bei  dehnbarem  etc. 

und  deren  Umgebung  zerrt.  Ein  weiterer  Nachtheil  ist  noch 
dann  gegeben,  wenn  die  Drähte  entfernt  werden.  Dieser  Act 
geschieht  stets,  so  biegsam  auch  die  Drähte  sein  mögen,  mit 
einiger  Schwierigkeit,  ist  schmerzhaft  und  kann,  wenn  die 
Wundränder  noch  nicht  innig  mit  einander  verwachsen  sind, 
ein  Wiederaufgehen  zur  Folge  haben.  Weitere  Erfahrungen 
müssen,  erst  vollgiltig  über  den  Werth  der  Metalldrähte  bei 
Kaiserschnitt  entscheiden.  Vielleicht  ist  es  zweckmässig, 
Metalldrahtnäbte  mit  Seidenfadennähten  zu  combiniren,  und 
wenn  es  richtig  ist,  was  Prof.  Simon  in  seiner  kürzlich  er- 
schienenen Schrift:  ,,Ueber  die  Operation  der  Blasenscheiden- 
fisteln  u.  s.  w.",  S.  100  behauptet,  dass  feine  Seide  gut  gedreht 
und  von  möglichster  Festigkeit  keinem  der  übrigen  Näh* 
materialien  nachsteht,  so  dürfte  man  schon  der  Bequemlichkeit 
des  Anlegens  und  Entfernens  der  Seidendrähte  wegen  diese 
allein  heim  Kaiserschnitt  in  Anwendung  bringen.  Mag  man 
aber  auf  die  eine  oder  die  andere  Weise  nähen,  so  wird  es 
immer  die  Hauptaufgabe  bleiben,  genau  die  Wundränder  an* 
einanderzubringen,  durch  tiefes  Durchstechen  möglichst  breite 
Wundflächen  zu  erhalten,  und  die  Wunde  von  oben  bis  unten 
in  ihrer  ganzen  Länge  zu  vereinigen,  ohne  den  unteren 
Wund  wink  M  offen  zu  lassen  oder  einen  Sindon  in  denselben 
einzulegen,  pjii  zwar  vielfach  geübtes  und  ziemlich  herkömm- 
liches Verfahren,  dessen  Nutzen  mir  nicht  ^einleuchtet,  dessen 
Schädlichkeit  aber  vom  allgemein  chirurgischen  und  rationellen 
Standpunkt  aus  klar  zu  Tage  liegt 

Zürich,  im  Juni  1862. 


XX.  Frey,  Bemerkungen  sn  dem  vorhergehenden  Anfaatae.    377 

XX. 
Bemerkungen  zu  dem  vorhergehenden  Aufsatze. 

Von 

Prof.  H.  Frey. 

Der  erzählte  Fall  gab  mir  Veranlassung,  einige  Unter- 
suchungen des  pathologisch  veränderten  Knochengewebes  vor- 
zunehmen. Sind  dieselben  auch  nur  fragmentarischer  Natur 
gewesen,  immerhin  gewähren  sie  einen  nicht  uninteressanten 
Einblick  in  die  Natur  des  betreffenden  Prozesses,  so  dass 
sie  hier  ihre  Veröffßntlichung  finden  mögen.  Sie  ergeben 
manches  Aehnüche,  wie  eine  Arbeit  von  Lambl  (s.  Kutan, 
das  halisteretische  Becken  etc.,  Bonn  1857,  S.  72),  manches 
aber  auch,  was  mit  den  von  jenem  Beobachter  mitgetheilten 
Resultaten  nicht  stimmt. 

Ich  untersuchte  zuerst  ein  Stuck  der  oberen  Diaphysen- 
hälfte  des  linken  Femur.  Der  Knochen  bot  der  Säge  die 
gewöhnliche  Härte  dar;  an  dem  Querschnitte  zeigte  sich  das 
normale  Knochenmark  des  betreffenden  Skeletstückes.  Die 
grosse  Markhöhle  war  aber  nahezu  um  das  Doppelte  ver- 
grössert  und  die  sie  umscbliessende  Knochenmasse  in  ent- 
sprechender Weise  verdünnt,  Eine  Prüfung  des  Knochenmarkes 
lehrte  in  seinen  inneren  centralen  Theilen  nichts  Besonderes. 
Die  bekannten  Markzellen  erschienen  nach  Grösse  und  Inhalt 
denjenigen  des  normalen  Gewebes  gleich.  Höchstens  könnte 
eine  an  manchen  derselben  sichtbare  geringere  Fetteinfüllung 
als  eine  unbedeutende  Abweichung  hervorgehoben  werden. 
Demgemäss  ergab  sich  auch  das  Colorit  der  Markmasse  dem 
normalen  gleich.  In  den  peripherischen  Theilen  des  Markes 
zeigte  dagegen  die  mikroskopische  Untersuchung  die  bekannten 
kleineren,  0,004 — 0,005'"  messenden,  rundlichen  Zellen  mit 
deutlichen  Kernen  und  granulirtem  Inhalte,  wie  man  sie  als 
Ausfällungsmasse  der  Hohlräume  in  den  Epiphysen  der  langen 
Knochen,  sowie  in  platten  und  auch  kurzen  Knochen  antrifft. 

Das  Knochengewebe  selbst  bot,  an  dünnen  Plättchen 
geprüft,  keine  nennenswerthe  Abweichung  dar.  Markkanälchen, 
Knochenlamellen    —    und    zwar    die   Ravers' sehen  wie    die 

Monatitchr.  f  Geburt« k.  1882.   Bd.  XX.,  Hfl.  5.  26 


378    XX*  Frey,  Bemerkungen  sn  dem  vorhergehenden  Aafs&Ue. 

allgemeinen  Lamellensysteme  —  erschienen  in  der  gewöhnlichen 
Beschaffenheit;  ebenso  die  sogenannten  Knochenkörperchen 
und  Kalkkanälchen. 

Hiermit  war  denn  auch  die  chemische  Constitution  in 
Einklang,  welche  ich  wenigstens  auf  das  Verhältniss  von 
organischer,  leimgebender  Substanz  zur  Knochenerde  geprüft 
habe.  Hundert  Theile  der  compacten  Knochensubstanz,  nach 
vorheriger  Behandlung  mit  destillirtein  Wasser,  Alkohol  und 
Aether  im.  Wasserbade  getrocknet,  boten  einen  Gehalt  an 
Aschenbestandtheilen  von  57,88°. 

Nur  die  äussers te,  die  vergrösserte  Markhöhle  eingrenzende 
Randschicht  des  compacten  Diaphysengewebes  war  in  wechselnder 
(0,1"'—  0,2'"  im  Mittel  betragender)  Breite  heller,  durch- 
sichtiger, die  Knocbenzellen  weniger  zackig  und  ihre  Ausläufer- 
systeme, die  Kalkkanälchen  mühsam  und  unvollkommen  sichtbar. 
Die  Consistenz  dieser  hellereu  Randpartie  war  diejenige  de? 
Knorpels.  Die  entkalkte  Knochenpartie  erschien  unter  dem 
Bilde  des  sogenannten  osteogenen  Gewebes  (vergl.  meine 
Histologie  und  Histochemie,  S.  320).  Wie  bei  dem  Ver- 
knöcherungsprocesse  zur  Erkennung  des  noch  nicht  diffus 
verkalkten  osteogenen  Gewebes  von  dem  bereits  mit  Kalksalzen 
imprägnirten  fertigen  Knochens  die  GerZacfc'sche  Carminfarbung 
ein  treffliches  Hülfsmittel  abgiebt,  so  bewährte  sich  das 
Reagens  alsbald  zur  Nachweisung  des  der  ruckschreitenden 
Metamorphose  anheimgefallenen  und  seiner  Kalksalze  beraubten 
Theiles.  Gleich  embryonaler  osteogener  Substanz  trat  sehr 
bald  die  bekannte  Röthung  ein,  während  die  verkalkte  Masse 
der  Carminimbibition  hartnäckigeren  Widerstand  entgegensetzte. 
Um  diese  für  Untersuchung  pathologischer  wie  fötaler 
Knochen  so  wichtige  Unterscheidung  zu  gewinnen,  bedient 
man  sich  am  besten  einer  ziemlich  schwachen  wässerigen 
Carminsolution,  gemischt  mit  ungefähr  dem  gleichen  Volumen 
reinen  Glycerins,  in  welcher  Flüssigkeit  die  Knocbenstückchen 
eine  Reihe  von  Stunden  verweilen  müssen. 

Es  bedarf  für  den  mit  den  Umänderungen  des  Knochen- 
gewebes vertrauten  Arzt  wohl  kaum  der  Bemerkung,  dass 
diese  entkalkten  Knocbenränder  der  Einschmelzung  anheim- 
zufallen bestimmt  waren  und  dass  sich  in  dieser  Weise  die 
bedeutende  Erweiterung  der  grossen  Markhöhle  erklärt. 


XX.  Frey,  Bemerkungen  su  dem  vorhergehenden  AnfsaUe.    379 

Indessen  noch  in  einer  anderen  höchst  interessanten 
Weise  fanden  sich  Trümmer  abgeschmolzener  Knochensubstanz 
als  Zeugnisse  früherer  Vorgänge. 

Bei  der  Untersuchung  des  Knochenmarkes,  deren  oben 
gedacht  wurde,  stiess  man  auf  mitten  in  dem  Fettzellengewebe 
steckende  harte  Massen.  Isolirt  ergaben  sich  unregelmässig 
geformte,  papierdünne  Pläticben  Knochensubstanz  unter  höchst 
zierlichem  Bilde.  Das  Ganze,  von  zahlreichen  grossen  Löchern 
durchbohrt,  einem  Spitzenwerte  gleichend,  bestand  aus  zarten 
feinen  Bälkchen  netzartig  zusammentreffender  Knochensubstanz. 
Ich  gewann  aus  einer  etwa  2  Zoll  hohen  Marksäule  gegen 
zwanzig  dieser  zierlichen  Knochennetze,  von  2'"  bis  zu  6  und  8'", 
ja  mehr,  Länge.  Man  erkannte  leicht,  wie  die  grossen  glatt- 
randigen,  rundlichen  oder  länglichen  Löcher  (von  % —  1" 
im  Durchmesser)  die  Querschnitte  erweiterter  Havers'scher 
Gänge  darstellten.  Hier  und  da  waren  sie  so  dicht  stehend, 
dass  die  sie  trennenden  Knochenbälkchen  nur  V8  —  V«'"  Dicke 
besassen.  An  anderen  Stellen,  bei  grösserer  Entfernung  der 
Löcher,  waren  bis  zu  %  und  */8'"  breite  platte  Partieen 
Knochengewebe  zwischen  jenen  sichtbar.  Mitunter  an  dem 
Rande  einer  solchen  Netzplatte  erstreckte  sich  ein  unregelmässig 
verlaufender,  mit  ein  paar  kurzen  Astbildungen  versehener, 
wie  ein  Faden  erscheinender  Ausläufer  der  Knochensubstanz 
weit  in  die  angrenzende  Fettmasse  des  Knochenmarkes  herein. 
Gewöhnlich  war  das  ganze  Netzwerk  ein  flächenhaft  aus- 
gebreitetes, selten  mit  reichlicheren  aufsteigenden  Bälkchen 
versehen. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Knochenbälkchen 
ergab  Folgendes: 

Die  Ränder  zeigten  sich  ganz  glatt  Bei  hinreichender 
Breite  des  Balkens  erschien  die  Acbseupartie  noch  unter  dem 
Bilde  normaler  Knochens truetur,  mit  Andeutungen  lamellöser 
Schichtung,  mit  deutlichen  Knochenkörpereben  und  Kalk- 
kanälchen.  Die  Randpartie  war  dagegen  entkalkt,  Mass,  mit 
undeutlichen  Kanälen  und  weniger  zackigen  Knochenkörperchen 
versehen.  Kurz,  es  wiederholte  sich  genau  das  Bild,  welches 
vorher  für  die  Innenschicht  der  Diaphyse  gegeben  wurde.  An 
schmäleren  Bälkchen  war  dagegen  das  Ganze  entkalkt  und 
weich,  von  unverändertem  Knochengewebe  nichts  mehr  zeigend. 

26* 


XX.  Frey,  Bemerkungen  zu  dem  vorhergehenden  Anfoatse. 

Ich  wandle  meine  Aufmerksamkeit  auf  die  die  Peripherie 
der  Netzplatten  bildenden  Knochenbälkchen.  Ihre  Enden  waren 
sammtlich  glatt,  abgerundet;  nirgends  erschien  etwas,  was 
auf  eine  gewaltsame  Trennung  von  der  Rindenschicht  des 
Knochens  deutete. 

Es  waren  somit  in  einer  früheren  Zeit  von  den  Havers'&chen 
Kanalchen  aus  bedeutende  Enlkalkungen  und  Einschmelzungen 
der  jene  Gänge  begrenzenden  Knochensubstanz  geschehen. 
Die  stehen  gebliebenen  Reste  der  Knochenmasse,  zu  dünnen 
Bälkchen  reducirt,  waren  schliesslich  in  ihrer  Continuität  von 
der  Erweichung  durchbrochen  worden ;  die  Netzplatten  hatten 
sich  von  der  Knochenwand  des  Femur  ganz  gelöst  und  waren 
in  das  Hark  gelangt.  Auffallend  erschien  allerdings  die 
Conservirung  der  abgelösten  Netzplatte  innerhalb  der  Markhöhle. 

Ich  opferte  eine  Anzahl  der  zierlichen  Bildungen  zur 
quantitativen  Bestimmung  der  Aschenbestandtheile.  100  Theile 
getrockneter  Substanz  ergaben  39,69  Mineralstoffe. 

Die  Frage,  welche  Säure  diesen  Auflösungsprocess  des 
Knochens  herbeifuhrt,  ist  bekanntlich  in  mancher  Hinsicht 
eine  noch  offene.  Ich  konnte  in  dem  Knochenmarke  trotz 
aller  Sorgfalt  keine  Spur  von  Milchsäure  darthun. 

An  weit  entlegener  Stelle ,  an  einem  Stucke  des  rechten 
Scheitelbeines  vermochte  ich  keine  Spur  des  Erweichungs- 
processes  zu  erkennen. 

Der  Körper  des  vorletzten  Lendenwirbels  erschien  dagegen 
so  weich,  dass  er  sich  bequem  mit  einem  scharfen  Messer 
in  dünne  Scheiben  zerschneiden  liess  und  die  Klinge  nur  auf 
einzelne  knirschende  härtere  Stellen  traf. 

Die  zelligen  Hohlräume,  die  Markzellen  ergaben  sich  hier 
unverkennbar  beträchtlich  erweitert  und  mit  roth-  oder  gelb- 
brauner Masse  erfüllt.  Dieselbe  bestand  aus  den  kleinen 
granulirten  Markzellen  und  war,  so  weit  ich  an  diesem  Knochen, 
der  längere  Zeit  in  Weingeist  gelegen  hatte,  zu  erkennen 
vermochte,  bei  röthlichbraunem  Ansehen  durch  diffusen  Blut- 
farbestoff gefärbt 

In  dem  stehen  gebliebenen  Knochengewebe  sah  es  dagegen 
eigenthümlich  aus.  Die  Ränder  der  Markräume  umziehend 
erschienen  in  ganz  wechselnder,  nicht  selten  bedeutender 
Breite  Zuge   entkalkter   Knochenmasse.     Die   Havers'tchen 


XX.   Frsy,  Bemerkungen  su  dem  vorhergehenden  Aufsätze.    381 

Lamellen  waren  öfters  von  einander  abgespalten,  so  dass  an 
Schnitträndern  Balken  des  osteogenen  Gewebes  hervorstanden, 
in  ihrer  biegsamen  und  weichen  Beschaffenheit  jedem  Drucke 
des  Deckglaschens  nachgebend  und  folgend.  Ihre  Knocben- 
körpercben  traten  als  längliche,  kurzzackige  Lücken  hervor 
und  ihre  Kalkkanälchen  liessen  sich  nur  noch  spurweise  mühsam 
erkennen.  Im  Innern  der  stehengebliebenen  Knochenmassen, 
umzogen  von  der  erweichten  Substanz,  traten  höchst  ungleich 
geformte  und  mit  sehr  wechselnder  Grösse  Reste  noch  nicht 
entkalkter  Knochenmasse  auf  mit  der  gewöhnlichen  Textur. 
Die  Ränder  der  noch  nicht  entkalkten  Knochensubstanz  waren 
aber  meistens  nicht  glatt,  sondern  zackig  und  rissig.  An 
manchen  Stellen  grenzten  sie  übrigens  unmittelbar  an  einen 
Markhohlraume  an.  Zwischen  beiden  Extremen  stehend  und 
einem  mit  Salzsäure  in  üblicher  Weise  entkalkten  normalen 
Knochengewebe  gleichend,  erschienen  andere  Stellen  von  bald 
grösserer,  bald  geringerer  Ausdehnung  mit  gewöhnlicher 
Lamellenbildung,  sowie  derartigen  Knochenkörperchen  und 
Kalkkanälchen.  Als  besonders  instructiv  ergaben  sich  namentlich 
Localitaten ,  wo  im  Centrum  kalkhaltiger  gewöhnlicher  Knochen, 
ihn  zunächst  umziehend  entkalkter  und  als  peripherische  Schicht 
balkig  zerklüftete  unmittelbarer  Einschmelzung  anheimgefallene 
veränderte  osteogene  Substanz  lag. 

Ich  bemerke  hier  noch,  dass  an  einzelnen  Stellen  die 
unveränderten  Knbchengewebereste  sich  durch  eine  ungewöhn- 
lich feinkörnige  Grundsubstanz  und  eine  dadurch  gesetzte 
beträchtliche  Trübung  auszeichneten,  wie  ich  sie  von  normalen 
Knochen  nicht  kenne. 

Die  Entkalkung  und  Abschmelzung  hielt  in  den  meisten 
Fällen  mehr  oder  weniger  genau  die  Züge  der  Lamellensysteme 
ein.  In  anderen  Fällen  aber  gerade  entgegengesetzt  hatte  sie 
von  den  Seiten  und  nicht  vom  Centrum  her  die  Lamellen 
ergriffen. 

Eine  andere  Frage  nämlich,  ob  diese  entkalkte,  balkig 
zerklüftete  osteogene  Substanz  in  eine  Art  von  Bindegewebe 
schliesslich  sich  umwandele,  muss  ich  für  den  betreffenden 
Wirbelkörper  nur  negativ  beantworten.  Nirgends  erschien 
etwas  der  Art,  was  einem  solchen  Gewebe  auch  nur  annähernd 
hätte  verglichen  werden  können.     Heiner  Ansicht  nach  ist 


382    XX.  Frey,  Bemerkungen  sn  dem  vorhergehenden  Aufsatse. 

ein  so  weit  verändertes  Knochengewebe  keiner  bindegewebigen 
Zukunft  —  man  verzeihe  den  Ausdruck  —  mehr  fähig, 
sondern  der  Auflösung  und  dem  Untergange  geweiht.  Auch 
in  den  so  vergrösserten  Markräumen  unseres  Wirbeikörpers 
sah  ich  von  Bindegewebebündeln  nicht  viel. 

Wir  haben  aJso  in  dem  Femur  und  im  betreffenden 
Lendenwirbel  den  gleichen  Process,  aber  auf  ungleicher  Stufe. 
Entkalkter  Knochen  lallt  der  Einschmelzung  anheim  und  an 
seine  Stelle  setzt  sich  die  feinkörnige,  kleine,  rundliche 
Markzelle. 

Vom  Becken  selbst  wurde  linkerseits  ein  Stuck  aus  der 
Verbindungsstelle  des  absteigenden  Schambeinastes  mit  dem 
aufsteigenden  Sitzbeinaste,  sowie  aus  dem  Ramus  horizont. 
oss.  pub.  herausgenommen.  An  beiden  Stellen  genügte  hierzu 
die  Messerklinge;  Alles  liess  sich  wie  fester  Knorpel  zer- 
schneiden, nur  kamen  einzelne  härtere  knirschende  Stellen 
vor.  Der  Process  zeigte  sich  im  Uebrigen  an  beiden  Knochen- 
stücken sehr  ähnlich. 

Zunächst  fiel  eine  bedeutende  Verdickung  der  Beinhaut 
auf,  welche  sich  ziemlich  gut  in  Schichten  abtragen  liess. 
Die  obersten  Lagen  waren  gewöhnliches  periosteales  Gewebe, 
die  tieferen  ein  balkig  zerklüftetes,  unentwickelteres  Binde- 
gewebe mit  länglichen  Biudegewebskörperchen  und  nur  hier 
und  da  einmal  eine  feine  elastische  Faser  zeigend.  Ging 
man  mit  Flachenschnitten  unter  der  Beinhbul  tiefer  in  den 
Knochen,  so  zeigte  sich  dessen  Rinde  weicher  als  es  mir 
anderwärts  vorgekommen  war.  Die  mikroskopische  Unter- 
suchung ergab  nur  ganz  entkalktes  Gewebe  mit  deutlichen 
Lamellen  und  wie  längliche  Lücken  erscheinenden  Knochen- 
körperchen.  Von  Kalkkanälchen  sah  ich  nichts  mehr. 
Mannichfacbe  in  grösserer  Länge  getroffene  Markkanalchen  und 
Markräume  boten  dagegen  einen  anderen  Inhalt.  Viel  weniger 
zahlreich,  häufig  fast  ganz  verschwunden  waren  nämlich  die 
kleinen  granulirten  Markzellen,  und  an  ihrer  Stelle  erschienen 
massenhaft  länglich  runde  oder  spindelförmige  Zellen,  Binde- 
gewebskörperchen ,  wie  ich  annehmen  muss.  Die  letztere  Zellen- 
formation  zeigte  vielfach  die  spindelförmigen  Enden  benachbarter 
Zellen  einander  zustrebend,  so  dass  derartige  Zellenzüge 
longitudinal ,  der  Längsrichtung  des  Markkanals  folgend,  hervor- 


XX.  Frey,  Bemerkungen  zu  dem  Torhergebenden  Aufsatse.    388 

traten.  Andere  Kanäle  waren  überhaupt  arm  an  Zellen  zu 
nennen,  dagegen  erfüllt  mit  einem  deutlich  fibrillaren  Binde- 
gewebe und  einem  Faserwerk  longitudinal  verlaufender  feiner 
elastischer  Fäden.  Hier  hatte  sich  also  ein  Bindegewebe 
erzeugt,  aber  von  Nachkömmlingen  der  granulirten  Mark- 
zellen aus  und  nicht  durch  Umwandlung  osteogener  Substanz, 
welche  ganz  unbetheiligt  daneben  lag. 

Waren  die  Schnitte  aus  tieferen  Stellen  der  betreffenden 
Knochen  gewonnen  worden,  so  wiederholten  sich  im  Allgemeinen 
die  Bilder,  welche  ich  für  den  Wirbelkörper  beschrieben  habe. 
Nur  waren  die  Reste  unenlkalkten  Knochengewebes  weit  spär- 
licher und  weiter  von  einander  entfernt  Ich  maass  einzelne 
derselben  von  V30»  Vto»  V12'"  m*1  8anz  unregelmässiger  Form 
und  zackig,  wie  ausgefressen  erscheinenden  Contouren. 
Knochenkörperchen  und  Kalkkanälchen  befanden  sich  im 
normalen  Zustande,  die  Grundmasse  zwischen  ihnen  trat 
dagegen  im  höchsten  Grade  feinkörnig  und  recht  stark  ver- 
dunkelt hervor.  Weiter  nach  innen  nahmen  jene  Knochen- 
reste an  Ausdehnung  zu  und  rückten  näher  zusammen. 
Stellenweise  zeigten  sich  sogar  noch  ausgedehntere  zusammen- 
hängendere Strecken  des  Knochengewebes,  Markräume  kleinen 
Calibers  umschreibend.  Zwischen  ihnen  und  dem  Querschnitte 
des  Markraumes  kam  dagegen  in  wechselnder  Breite,  den 
letzteren  unmittelbar  begrenzend,  das  entkalkte  osteogene 
Gewebe  zum  Vorschein. 

Ich  bemerke,  dass  die  Ausfüllungsmasse  der  durch  Ab- 
Schmelzung  der  Wand  erweiterten  Markräume  nach  einwärts 
mehr  und  mehr  den  bindegewebigen  Charakter  verlor,  bis 
endlich  nur  noch  die  rundlichen  granulirten  Markzellen  den 
einzigen  Inhalt  bildeten. 

Schliesslich  wurde  noch  eine  Bestimmung  der  Mineral- 
bestandtheile  in  dem  Verbindungsstücke  des  absteigenden 
Schambeinastes  mit  dem  aufsteigenden  Sitzbeinaste  vor- 
genommen. Sie  ergab  auf  100  Theile  getrockneter  Substanz 
22,07  Mineralstoffe. 


384  XXI-     Thomat,  Die  Entstehung 

XXL 

Die  Entstehung  des   schräg  verengten  Beckens 

durch  eine  durch  Krankheit  der  Ereuzdarmbein- 

fuge  erworbene  Ankylose, 

verth eidigt  * 
gegen  die  „Bemerkungen"  des  Herrn  Dr.  Ohhausen 


A..  E.  Simon  Thomas, 

Professor  der  Geburtshfllfe  zu  Leyden. 
(Hieran  eine  Tafel  mit  zwei  Abbildungen.) 

Im  3.  Heft  des  XIX.  Bandes  der  Monatsschrift  für 
Geburtskunde  u.  s.  w.  findet  sich  ein  von  Herrn  Dr.  R.  Ols- 
hausen,  Assistenzarzt  am  Entbindungsinstitute  zu  Halle,  ver- 
fasster  Artikel  über  ein  noch  unbekanntes  schräg  verengtes 
Becken,  worin  zugleich  die  von  mir.  vertheidigte  Ansicht, 
dass  jedes  schräg  verengte  Becken  durch  eine,  meist  in  der 
Jugend,  erworbene  Ankylose  der  Kreuzdarmbeinfuge  entstehe, 
widerlegt  werden  soll.  Ich  achte  mich  durch  diese  ausfuhr* 
liehe  Kritik  eines  Theils  meiner  Monographie:  „Das  schräg 
verengte  Becken  u.  s.  w.,  Leyden  und  Leipzig,  186 lu  sehr 
geehrt  Sie  hat  mich  überzeugt,  dass  mein  Werk  einiger 
Aufmerksamkeit  gewürdigt  worden,  und  dass  man  die  Argu- 
mente, worauf  sich  meine  Meinung  stützt,  doch  nicht  für 
ganz  unbedeutend  gebalten.  Noch  mehr  freute  ich  mich  über 
diese  Kritik,  trotz  des  spärlichen  Lobes,  das  mir  darin  ge- 
spendet wird,  weil  sie  es  mir  zur  Pflicht  macht,  den  be- 
strittenen Punkt  noch  einmal  zu  besprechen  und  meine  Ueber- 
zeugung  näher  zu  beleuchten. 

Bevor  ich  jedoch  zur  Sache  selbst  schreite,  muss 
ich  eine  Bemerkung  vorangehen  lassen.  Bereits  in  dem 
Referate,  womit  Herr  Dr.  Olshausen  meine  Monographie 
im  Januar -Heft  der  obengenannten  Monatsschrift  ankündigte, 
hat  er  mir  den  Vorwurf  gemacht,  dass  ich  die  sämiut- 
lichen  Fälle  von   schräg  verengten  Becken,  die  nach  1839 


des  schräg  verengten  Beckens  etc.  385 

bekannt  gemacht  worden  und  wovon  die  meisten  schon  weit 
genauer  beschrieben  seien,  zusammengestellt  habe,  während 
manche  der  von  Naegele  erwähnten,  aber  nicht  von  ihm 
selbst  untersuchten,  Becken  einer  genaueren  Beschreibung 
eher  werth  gewesen  wären.  Dieser  Vorwurf  wird  in  einer 
seinen  „Bemerkungen"  .(S.  11)  angehängten  Note  noch  einmal 
ausgesprochen,  und  dabei  zugleich  die  Vermuthung  geäussert, 
ich  hätte  gewissermaassen  durch  meine  Schrift  alle  anderen 
Monographien  mit  Ausnahme  der  Naegele'schen  überflüssig 
machen  wollen.  Ich  muss  auf  diese  Bemerkung  antworten, 
dass  ich,  als  praktischer  Geburtshelfer  und  Lehrer  der  Klinik, 
vorzüglich  für  die  klinisch-therapeutische  Seite  des  Gegen- 
standes, worüber  ich  schrieb,  Interesse  hegte,  und  zwar  um 
so  mehr,  da  ich  selbst  Geburtsfalle  bei  zwei  Weibern,  von 
denen  ich  wusste,  dass  sie  mit  schräg  verengten  Becken  be- 
haftet waren,  geleitet  hatte,  und  deshalb  auch  darüber  etwas 
Erspriessliches  mittheilen  zu  können  glaubte.  Um  aber  meine 
Mittheilungen  auf  möglichst  gute  Gründe  zu  stützen,  und  auch 
meine  Leser  in  Stand  zu  setzen,  meine  Ansichten  über  die 
Diagnose,  Prognose  und  Therapie  bei  schräg  verengten  Becken 
zu  beurtheilen,  sah  ich  mich  genöthigt,  sämrotliche  Fälle,  in 
welchen  man  bei  der  Geburt  ein  schräg  verengtes  Becken 
wahrgenommen,  oder  seine  Existenz  vermuthet  hatte,  zu- 
sammenzustellen. Dass  ich  überdiess  noch  diejenigen  sechs 
Becken  aufhahm,  Von  welchen  man  nicht  weiss,  ob  sie  Gegen- 
stände geburtshülflicher  Praxis  gewesen  sind  oder  nicht  (§.  1. 
Nr.  2,  5.  §.  2.  Nr.  4,  12.  §.  4.  Nr.  1),  geschah  nur  der 
Vollständigkeit  wegen,  was  doch  wohl  niemand  tadeln  wird. 
Im  Gegentheil  glaube  ich,  durch  diese  Zusammenstellung 
sämmtlicher  nach  1839  bekannt  gemachten  Fälle,  jeden,  den 
unser  Gegenstand  interessirt,  zu  Dank  verpflichtet  zu  haben, 
wäre  es  auch  nur  darum,  weil  etliche  dieser  Fälle,  theils  in 
nicht  allgemein  bekannten  Sprachen,  beschrieben,  theils  in 
nicht  leicht  zu  bekommenden  Journalen,  Monographien  oder 
Probeschriften  niedergelegt  sind.  Gern  gestehe  ich,  dass  einige 
der  von  mir  besprochenen  Becken,  z.  B.  diejenigen  der  Herren 
Martin,  Hayn,  Danyau,  von  Holst  und  Eosshirt  bereits 
ausführlicher  beschrieben  sind,  dass  ich  sie  aber  nicht  mit 
der  zur  Beurtheilung  der  speciellen  Beschaffenheit  eines  jeden 


386  XXI.     Thomas,  Die  Entstehung 

Beckens  und  seines  Einflusses  auf  die  Geburt  erforderlichen 
Genauigkeit  besprochen  habe,  muss  ich  entschieden  verneinen. 
Wer  sich  die  Mähe  nehmen  will,  meine  Referate  mit  den  ur- 
sprünglichen Mittheilungen  zu  vergleichen,  der  wird  sich  gewiss 
überzeugen,  dass  ich  nichts  Wesentliches  weggelassen  habe. 
Was  aber  den  zweiten  Punkt  betrifft,  so  habe  ich  zu 
hemerken,  dass  Naegele  eilf  der  von  ihm  besprochenen  schräg 
verengten  Becken  (Nr.  3,  4,  5,  6,  7,  10,  11,  13,  14,  16,  24) 
selbst  untersucht  ha),  eines  (Nr.  12)  ist  später  ausführlich 
von  Litzmann  beschrieben  worden;  zwei  (Nr.  23,  25) 
namentlich  die  Becken  von  Broers  und  Salomon  habe  ich 
selbst  näher  untersucht,  wobei  sich  freilich  herausgestellt  hat, 
dass  das  erste  ein  männliches  ist;  eines  (Nr.  22.)  ist  verloren 
gegangen;  fünf  (Nr.  26  —  30)  haben,  wie  ich  in  einer  Note 
(S.  11)  nachgewiesen,  wahrscheinlich  niemals  existirt,  und 
von  sieben  (Nr.  1,  2,  31  —  35)  weiss  niemand,  wo  sie  zu 
finden  sind.  Es  bleiben  also  nur  noch  acht  Becken  der 
Naegele'scheu  Sammlung  übrig ,  von  welchen  es  vielleicht 
möglich  gewesen  wäre  eine  genauere  Beschreibung  zu  liefern. 
Von  diesen  acht  Exemplaren  müssen  sich  zwei  (Nr.  8,  9)  zu 
Mailand,  eines  (Nr.  15)  zu  Dublin,  und  zwei  (Nr.  17,  18) 
zu  Löwen  befinden.  Naegele  besass  deren  „genaue  Be- 
schreibungen4', „einen  musterhaft  gefertigten  Gipsabgüss"  oder 
„in  natürlicher  Grösse  gefertigte  Abbildungen4'.  Von  den  drei 
übrigen  befinden  sich  zwei  (Nr.  19,  20)  zu  Paris,  und  unter 
diesen  das  Mumien-Becken,  von  welchem  Dr.  Nebel  eine 
sehr  genaue  Beschreibung  lieferte;  das  letzte  endlich  (Nr.  21) 
ist  in  Montpellier  zu  Hause.  Keineswegs  will  ich  in  Abrede 
stellen,  dass  nicht  vielleicht  das  eine,  oder  das  andere  dieser 
Becken  einer  näheren  Beschreibung  werth  gewesen  wäre,  doch 
niemals  hätte  ich  gedacht,  dass  man  mir  darüber  einen  Vor- 
wurf machen  würde,  dass  ich  über  diese  acht  Becken,  welche 
fast  über  halb  Europa  zerstreut  sind,  nicht  etwas  mehr  oder 
etwas  anderes  mitzutheilen  hatte,  als  was  bereits  in  Naegele 
vorlag.  Hat  doch  auch  Dr.  Lambl,  dem  bei  seiner  wissen- 
schaftlichen Reise  im  Jahre  1856  das  Thema  auf  osteo-patho- 
logische  Studien  gestellt  wurde,  über  keines  der  bereits  von 
Naegele  besprochenen  schräg  verengten  Becken  etwas  Neues 
milgetheilt.     Nach   diesen  vorläufigen  Bemerkungen   gehe  ich 


des  schräg  verengten  Beckens  etc.  387 

zur  Sache  selbst  über.  Bereits  im  Anfange  seiner  Bemerkungen 
spricht  Dr.  Olshausen  sich  dahin  aus,  dass  ich  einen 
entschiedenen  Fehler  begebe,  wenn  ich  die  Synostose  beim 
Naegele'scben  Becken  für  etwas  ganz  Wesentliches  halte. 
Den  zweiten  Theil  dieses  Satzes  will  ich  nicht  verneinen, 
dass  ich  jedoch  damit  einen  Fehler  begehe,  ist  noch  keines- 
wegs erwiesen..  Herr  OUhausen  sagt  selbst  (S.  170),  „dass 
in  der  that  eine  mangelhafte  Eit Wickelung  des  Kreuzbeins 
schräg  verengte  Becken  mit  Synostose  bedingen  könne,  ist 
noch  nicht  positiv  erwiesen. "  Ich  weiss  wohl,  dass  Hohl 
und  besonders  auch  Litzmann,  um  mit  Spaeth  zu  sprechen, 
unter  dem  Namen  „schräg  ovale  Becken"  alle  diejenigen  con- 
fundirt  und  identificirt  haben,  an  welchen  der  Eingang  die 
Gestalt  eines  schräg  liegenden  Ovals  hat, J)  kann  jedoch  nicht 
umhin,  noch  immer  Naegele  beizustimmen,  wenn  er  das 
Becken  mit  einseitiger  Ankylose,  als  zu  einer  besonderen 
Gattung  difformer  Betken  gehörig  betrachtet.  Dass  es  Becken 
giebt,  welche  zu  Folge  eines  Formfehlers  des  Kreuzbeins  eine 
asymmetrische  Gestalt  bekommen  haben,  dass  solche  Becken 
auch  zu  den  verengten  gehören  und  am  Geburtsbette  nur 
schwer  von  einem  Naegele  sehen  mit  geringerer  Verschiebung, 
wie  z.  B.  das  Hecker1  sehe,  zu  unterscheiden  sein  möchten, 
gebe  ich  gern  zu,  aber  darin  liegt  noch  keineswegs  der  Be- 
weis, dass  die  Becken  mit  und  ohne  Ankylose  zu  der  näm- 
lichen Gattung  gehören.  Man  braucht  nur  etliche  Exemplare 
beider  Beckengattungen,  so  wie  ich  es  thun  konnte,  neben 
einander  zu  stellen,  und  die  ganze  Gestalt  des  Beckens  zu 
betrachten,  um  sich  zu  überzeugen,  dass  die  Sache  sich  ganz 
anders  verhält. 

Bereits  die  Form  und  nicht  weniger  die  Räumlichkeit 
der  Beckeneingänge,  welche  ich  auf  Taf.  V.,  Fig.  1  u.  2  und 
auf  Taf.  VII.,  Fig.  3,  4  u.  5  abbildete,  spricht  dafür.  So  misst 
z.  B.  die  Peripherie  des  Eingangs  am  Becken  der  Groninger 
Sammlung  14  Zoll  und  an  demjenigen  der  Sammlung  des 
hiesigen  Nosocomium  Acaderaicum  14  Zoll  3  Linien,  während 
sie  an  meinem  ersten  schräg  verengten  Becken  und  an  dem 


1)  Klinik  der  Geburteh.  and  Gynftkol.  von  Chiari,  Braun  und 
8paetk.    Erlangen  1856.    8.  662. 


388 


XXI.     Thomas,  Die  Entstehung 


Becken  Nichet's  nur  13  Zoll,  an  dem  Becken  des  Herrn 
Vrolik  nur  12  Zoll  5  Linien  und  an  meinem  zweiten  Exemplar 
nicht  mehr  als  11  Zoll  11  Linien  misst  Vergleicht  man 
weiter  die  Länge  des  Abstandes  von  der  Schambeinfuge  bis 
zur  normalen  und  bis  zur  abnormen  Kreuzdarmbeinfuge,  oder 
zur  Ankylose,  so  bekommt  man  die  folgenden  Maasse. 


Bezeichnung  der  Becken. 

An  der  Seite 

des 

abnormen 

Kren&bein- 

flügels. 

5" 
5"  4"' 

An  der  Seite 

des 

normalen 

Kreusbein- 

BSgels. 

5" 
5"    1"' 

Differenz. 

Asymmetrisches   Becken    zu 
Groningen 

0 

Asymmetrisches  Becken  des 
Nosocominm  Academicum 

+  3'" 

Schräg     verengtes    Becken: 
Simon  Thomas,  No.  1  .  .  . 

4"  8'" 

5"   2'" 

-  6*" 

Schräg    verengtes    Becken: 
Simon  Thomas,  No.  2  .  .  . 

4"  4'" 

4"   8'" 

-  4"' 

Schräg  verengtes  Becken  des 
Herrn  Nicket 

4"  9"' 

5"    3'" 

—  6'" 

Schräg  verengtes  Becken  des 
Herrn  Vrolik 

4"  7'" 

4"  11'" 

—  4'" 

Aus  diesen  Maassen  geht  hervor,  dass  die  Linea  ilio- 
ßectinea  bei  den  Becken  ohne  Ankylose  an  der  missgestalteten 
Seite  nicht  kürzer,  bisweilen  selbst  länger  ist,  als  an  der 
andern  S^ite,  während  sich  bei  den  Becken  mit  Ankylose 
eine  Verkürzung  von  nicht  weniger  als  4 — 6  Linien  zeigt. 
Diese  mag  nun,  wie  Litzmann  behauptet,  von  einer  Ver- 
schiebung des  Hüftbeins  nach  hinten,  oder,  wie  ich  meine, 
von  Schrumpfung  der  Knochensubstanz  herzuleiten  sein,  so 
viel  ist  gewiss,  dass  sie  in  der  Regel  an  der  einen  Becken- 
gattung gefunden,  an  der  anderen  in  der  Regel  vielleicht  auch 
immer,  vermissl  wird. 

Ein  zweiter  Unterschied  findet  sich  im  Beckenausgang. 
Der  Schambogen  ist  bei  den  Naegele'scheti  Becken  fast  durch- 
gängig mehr  oder  weniger  verengt;  er  misst  an  meinen  beiden 
schräg  verengten  Becken,  resp.  nur  62°  und  71°,  am  Becken 
des  Herrn  Nichei  66°,  und  am  Becken  des  Herrn  Vrolik 
73°,  dagegen  an  dem  asymmetrischen  Beeken  der  Sammlung 


des  schräg  verengten  Beokens  etc.  389 

zu  Groningen  105°  und  an  dem  der  hiesigen  Sammlung  90°. 
Deshalb  ist  auch  der  Beckenausgang  an  den  beiden  letzt- 
erwähnten Exemplaren  nicht  verengt,  während  bei  den 
Naegele' scheu  die  Entfernung  der  Spinae  ischii  und  der 
Querdurchmesser  des  Ausganges  erheblich  verkürzt  sind.1) 

Endlich  möchten  auch  in  klinischer  Hinsicht  die  Nae- 
gele'schen  Becken  von  den  asymmetrischen  ohne  Ankylose 
zu  unterscheiden  sein;  denn  während,  nach  1839,  mit  Ein- 
schluss  des  von  Herrn  Ohhausen  besprochenen,  nicht  weniger 
als  elf  schräg  verengte  Becken,  bekannt  geworden  sind, 
welche  die  Geburt  in  der  Art  störten,  dass  die  sämmtlichen 
Mütter  daran  starben  und  nur  zwei  Kinder  gerettet  werden 
konnten,  so  ist,  so  viel  ich  weiss,  noch  kein  einziges  Becken 
mit  angebomem  Kreuzbeindefect  und  ohne  Ankylose  als  Ur- 
sache eines  mechanischen  Geburtshindernisses  beschrieben 
worden. 

Ein  zweiter  Einwurf,  welcher  mir  von  Herrn  Ohhausen 
gemacht  wird,  ist  der:  dass  ich  „nur  die  von  Naegele  ur- 
sprünglich aufgestellten  fünf  Gründe14  widerlegt  habe,  „noch 
in  mancher  Beziehung  überflüssig  oder  wenigstens  unzu- 
reichend "  sei.  Dass  es  überflüssig  genannt  werden  könne,  noch 
heutzutage  den  Beweis  zu  liefern,  dass  man  bei  den  schräg 
verengten  Becken  nicht  an  eine  angeborne  Synostose  zu  denken 
habe,  kann  ich  unmöglich  zugeben,  denn  obschon  „viele 
Andere,   besonders  Hohl2)  und  Litzmann"   und  auch  Herr 


1)  Nur  an  Einem  Becken,  dessen  Abmessungen  ich  kenne, 
nämlich  am  Becken  der  Sammlung  zu  Dresden  {Naegele,  No.  12) 
ist  der  Beckenausgang  erweitert;  dieses  Exemplar  ist  jedoch, 
nicht  nur  durch  Ankylose  der  Kreuzdarmbeinfuge,  sondern  auch 
durch  Cozalgie  verunstaltet  und  letzterem  Umstände  möchte  es 
zuzuschreiben  sein,  dass  die  8itzbeinhÖcker  weiter  von  einander 
abstehen. 

2)  Gern  will  ich  sugeben,  dass  ich  Hohl  nicht  recht  verstanden 
habe,  wenn  ich  meinte,  er  habe  (Das  schräg -ovale  Becken,  S.  4), 
von  einer  hinzugekommenen  Verwachsung  sprechend,  geglaubt, 
diese  Verwachsung  könne  eine  Folge  der  gehemmten  Bildung  der 
Knochenkerne  Bein.  Darum  äusserte  ich  (8.  44)  den  Wunsch,  Herr 
Hohl  möchte  an  dem  von  ihm  besprochenen  Becken  eines  zwanzig- 
wöchentlichen Kindes  den  Mangel  des  Gelenks  sichergestellt  haben. 
Ich  kann  mich  jedoch  wegen  dieses  Irrthums  einigermaassen  damit 


390  XXI*     Tkomm,  Die  Entstehung 

Olshausen  selbst,  „für  die  Mehrzahl  der  Falle  an  eine  im 
Leben  entstandene  Ankylose  glauben",  so  ist  ja  die  Theorie, 
dass  die  Ankylose  in  den  meisten  Fällen  eine,  angeborne  sei, 
selbst  in  Deutschland,  noch  nicht  so  gänzlich  verhallt 
Rokitansky  z.  B.,  der  doch  auch  die  Schrift  Lüzmann's  und 
HoJiTs  kannte  und  citirte,  sagt  noch  im  Jahre  1856:  „Die 
Synostose  ist  wohl  gemeinhin  angeboren1)  und  Scanzoni, 
dessen  Lehrbuch  der  Geburtshülfe  ohne  Zweifel  noch  vielfach 
benutzt  wird,  beschreibt  noch  im  Jahre  1856  das  schräg 
verengte  Becken  unter  dem  Titel:  „Die  angeborne  Synostose"*) 
und  ffibrt  die  fünf  Naegele'schen  Gründe,  die  er  fast  wörtlich 
abschreibt,  noch  immer  an  als  Beweise  für  seine  Meinung, 
dass  die  Synostose,  nicht  durch  Entzündung  entstehe. 

Hätte  ich  mich  jedoch  mit  der  Bekämpfung  der  Naegele' sehen 
Gründe  begnügt,  so  hätte  vielleicht  Herr  Olshausen  Recht 
gehabt,  als  er  meine  Beweisführung  eine  unzureichende  nannte, 
ich  glaube  jedoch  mehr  gethan  zu  haben,  indem  ich  nicht 
blos  die  Gründe  angab,  wodurch  bewiesen  wird,  dass  die 
Ankylose  ein  erworbenes  Uebel  sei,  sondern  auch  die  Weise 
besprach,  auf  welche  die  Synostose,  wenn  sie  zu  Stande 
gekommen,  den  Defect  des  Kreuzbeinflügels  und  die  Schief- 
heit und  Verengung  des  Beckens  bedingte. 

Herr  Olshausen  sagt  (S.  175):  „Die  Cardinalfrage  bleibt 
also,  ob  die  Synostose  oder  der  Defect  das  Primäre  sei." 
Dieser  Auffassung  unseres  Gegenstandes  kann  ich  recht  wohl 
beipflichten,  wetin  aber  Herr  Olshausen  zunächst  fragt: 
„Kann  der  Kreuzbeindefect  die  Folge  der  Synostose  sein?" 
und  in  seinen  weiteren  Behandlungen  auf  diese  Frage  eine 
verneinende  Antwort  giebt,   so   kann  ich   ihm  ganz  und  gar 

entschuldigen,  dass  eben  die  Worte  Hohles:  „Die  Knochenkerne 
für  die  Flügel  des  zweiten  und  dritten  Kreuzwirbels  sind  »war 
vorhanden,  aber  jeder  um  das  Doppelte  kleiner,  als  die  ent- 
sprechenden der  linken  Seite,  und  Btehen  nur  mit  dem  Hüftbeine 
in  Verbindung  u.  s.  w."  (a.  a.  O.  S.  29)  den  Gedanken  bei  mir 
aufkommen  lassen  mnssten.  dass  Hohl  hier  allerdings  an  eine 
Bildungshemmung  der  Krenzdarmbeinfuge  geglaubt  habe.' 

1)  C.  Rokitansky ,  Lehrb.  d.  pathol.  Anatomie.   3.  Aufl.   2.  Bd. 
Wien  1856.     8.  188. 

2)  F.  W.  Scantoni,  Lehrb.  d.  Geburtshilfe.   3.  Aufl.    Wien  1865. 
3.  561. 


des  schräg  verengten  Beckens  etc.  391 

nicht  beistimmen,  sondern  ich  muss  auf  diese  Frage  dahin 
antworten:  dass  der  Kreuzbeindefect,  der  zum  Theil 
nur  ein  scheinbarer  ist,  nicht  allein  die  Folge 
der  Synostose  sein  kann,  sondern  notwendiger- 
weise dadurch  bedingt  werden  muss,  sobald  sie 
im  Kindesalter  entsteht,  und  dass  der  Defect  selbst, 
obgleich  in  einem  geringeren  Grade,  auch  noch  durch 
die  Synostose  bedingt  werden  kann,  wenn  diese  in 
den  ersten  Jahren  der  Pubertät  zu  Stande  kommt. 

Obschon  ich  mich  in  meiner  Monographie  (S.  45,  46) 
bereits  ziemlich  bestimmt  über  diesen  Punkt  ausgesprochen 
habe,  so  möchte  es  doch  der  Muhe  werth  sein  noch  einmal 
darauf  zurückzukommen. 

Herr  Ohhausen  scheint,  wenn  ich  von  Schwund  oder 
Schrumpfung  der  oberen  vereinigten  Knochen  sprach,  blos 
au  ein  Zurückbleiben  im  Wachsthume  oder  an  eine  mangel- 
hafte Ernährung  gedacht  zu  haben,  wie  sie  in  einer  ankylo- 
tischen  Extremität  durch  verminderte  oder  aufgehobene  Be- 
wegung stattfindet.  Ich  habe  die  Sache  jedoch  auf  eine  ganz 
andere  Weise  aufgefasst  und  mich  ganz  an  die  Ideen  des  um 
die  Osteopathologie  so  sehr  verdienten  Lambl  angeschlossen, 
dessen  Worte,  wenn  er  jede  Synostose  oder  Ankylose  mit 
einer  Narbe  vergleicht,  „deren  schrumpfendes  Gewebe  ihre 
nächste  Umgebung  nach  ihrem  Centrum  zieht/4  ich  (S.  46) 
citirte.  Es  ist  dies  ein  allgemeines  Gesetz,  welches  fast  durch 
jedes  Präparat  von  Ankylose  bestätigt  wird,  und  wohl  niemals 
eine  Ausnahme  erleidet,  sobald  die  Ankylose  in  einer  Zeit 
auftritt,  in  welcher  das  Skelett  noch  nicht  völlig  ausgebildet 
ist.  Lambl,  der  diesen  Satz  zuerst  deutlich  aussprach,  weist 
auf  den  gänzlichen  Schwund  des  Schenkelkopfes  und  die  Ver- 
kürzung des  Schenkelhalses  bei  Verwachsungen  (Ankylosen) 
des  Hüftgelenkes;  ich  fand  ganz  dasselbe  an  mehreren  Prä- 
paraten der  hiesigen  anatomischen  Sammlung,  von  denen  ich 
eines  in  einer  Note  (S.  46)  kurz  beschrieben  habe.  Da  diese 
Beschreibung  jedoch  der  Aufmerksamkeit  des  Herrn  Ols- 
hau8en  entgangen  ist,  und  weil  die  Sache  selbst  möglicher- 
weise durch  eine  blosse  Beschreibung  nicht  hinlänglich  de- 
monstrirt  werden  kann,  so  gehe  ich  jetzt  (Fig.  1)  eine 
Abbildung   eines   andern  derartigen   Präparates,    das  sich   im 


392  XXI.     Thoma*,  Die  Entstehung 

hiesigen  Museum  Anatomicum  befindet  und  das  bereits  von 
Sandifort  abgebildet  worden  ist.  Zur  Vergleicbung  sägte  ich 
ein  normales  Hüftgelenk  durch,  nachdem  ich  den  Schenkel- 
knochen ganz  in  dieselbe  Stellung  zum  Hüftbein  gebracht 
hatte,  welche  er  am  ankylotischen  Gelenke  eingenommen  hat, 
und  zeichne  (Fig.  2)  auch  diese  Durchschnittsfläche  ab.  Ver- 
gleicht man  beide  Abbildungen  miteinander,  so  kann  es  wohl 
nicht  zweifelhaft  sein,  dass  im  ankylotischen  Hüftgelenk  ein 
normaler  Knochenschwund  stattgefunden  hat,  wodurch  nicht 
allein  das  Caput  femoris  spurlos  verschwunden, l)  sondern 
auch  der  Schenkelhals  verkürzt  worden  ist,  und  dass  auch 
der  bei  der  Ankylose  beiheiligte  Theil  des  Hüftbeins,  ja  selbst 
der  grosse  Trochanter,  bedeutend  an  Volumen  abgenommen  hat 
Dieselbe  Erscheinung,  welche  hier  als  eine  Folge  der 
Ankylose  wahrgenommen  wird,  findet  man  mehr  oder  weniger 
bei  jeder  abnormen  Verwachsung  benachbarter  Knochen 
wieder.  Lambl  constatirte  sie  an  verschiedenen  Präparaten 
von  Ankylosen  des  Hüft-,  Knie-  und  Kiefergelenkes3)  und 
auch  bei  der  Verwachsung  der  Rückenwirbel,  ja  selbst  bei 
vorzeitiger   Verknöcherung   der  Nähte   am  Schädel  wird    sie 


1)  Im  Vorbeigehen  ihuss  ick  noch  zu  dieser  Abbildung  be- 
merken, dass,  obgleich  die  Verschmelzung  der  Knochen  an  diesem 
Präparate  nur  für  eine  durch  Krankheit  hervorgebrachte  Ankylose 
angesehen  werden  kann,  dennoch  nirgends  eine  Verknöcherungs- 
linie  von  compacter  Substanz  bemerkbar  ist.  Diese  kann  denn 
auch  bei  notorisch  erworbenen  Ankylosen,  wie  Lambl  bereits 
bemerkte,  vollständig  fehlen,  aber  wenn  sie  vorhanden  ist  und 
der  Stelle  der  Ankylose  entsprechen  kann,  dann  glaube  ich  das 
Recht  zu  haben,  eben  diese.  Vorkndcherungslinie  für  einen 
Ueberrest  der  ehemaligen  Trennung  der  Knochen  anzusehen. 
Uebrigens  will  .ich  mit  Herrn  OUhausen  über  den  Werth  meiner 
Abbildungen  (Das  schräg  verengte  Becken  u.  s.  w.-,Taf.  VII.)  nicht 
streiten;  Herr  OUhausen  scheint  es  ja  nicht-  einmal  für  der  Mühe 
werth  gehalten  zu  haben,  die  drei  Abbildungen,  die  ihn  durchaus 
nicht  überzeugt  haben,  „dass  an  den  Becken  die  Stelle  der 
Synostose  sicher  erkannt  werden  könnte,"  namhaft  zu  machen. 
Auch  habe  ich  bereits  (S.  45)  eingestanden,  dass  die  erwähnte 
Verknocherungslinie  in  den  Figg.  3  und  4,  welche  demselben 
Becken  entnommen  sind,  weniger  deutlich  hervortrete. 

2)  W.  Lambl,  Reisebericht.    1856.   Vierteljahrsschr.  f.  d.  prakt 
Heilkunde.    15.  Jahrg.    Bd.  III.    Prag  1658.    S.  107.  135,  136,  171. 


des  schräg  verengten  Beckens  etc.  393 

nicht  vermisst;  wesshalb  Virchow  bereits  vor  10  Jahren 
„den  schräg  verengten  (schiefen)  Schädel  als  analog  dem 
schräg  verengten  Becken,  welches  aus  frühzeitiger  Synostose 
der  Synchondrosis  sacro-iliaca  hervorgeht"  betrachtet  hat.1) 

Diese  Erscheinung,  welche  Rokitansky  nach  LambVs 
Darstellung  der  Synostosis  sacro-iliaca  bei  querverengten  Becken 
in  sein  Lehrbuch  aufgenommen,  habe  ich  zur  Erklärung  der 
Deformität  des  schräg  verengten  Beckens  angewendet  Wenn 
aber  Herr  Olshausen  mich  auffordert,  meine  Theorie  auf 
bessere  positive  Gründe  zu  stützen,  so  sei  es  mir  erlaubt, 
die  folgenden  anzuführen. 

Der  Knochenschwund,  die  Atrophie,  ocfer  die  Behinderung 
der  Ernährung,  welche  zufolge  der  Ankylose  eintritt,  trifft 
sowohl  den  Flügel  des  Kreuzbeins  als  denjenigen  Theil 
des  Hüftbeins,  an  welchem  die  Gelenkfläche  ursprünglich 
existirte,  und  ist  nicht  nur  in  frontaler,  sondern  auch  in 
verticaler  und  sagiltaler  Richtung  bemerkbar. 
,  In  frontaler  Richtung  hat  er  am  Kreuzbein  die  Ver- 
schmälerung  des  Flügels  zur  Folge,  und  diese  kann  so  weit 
gehen,  dass  dieser  Theil  ganz  udd  gar  zu  fehlen  scheint, 
während  er  am  Hüftbeine  zur  Verminderung  der  Dicke  des 
Knochens  führt,  wodurch  der  Ueberrest  des  Kreuzbeinflügels 
sich  in  die  Substanz  des  Hüftbeins  hineindrängt. 

Dass  auch  dieser  Knochenschwund  in  vertikaler  Richtung 
bemerkbar  ist,  lässt  sich  auf  folgende  Weise  sicherstellen. 
Naegele  und  alle  Autoren  nach  ihm  geben  an,  dass  die 
Synostose  eine  geringere  Höhe  habe,  als  die  Synchondrosis 
sacro-iliaca  der  gesunden  Seite.  Herr  Ohhausen  will  diesen 
Beweis  nicht  gelten  lassen,  weil  der  höchste  Punkt  der  Inci- 
sura  iscb.  maj.  nicht  der  VerschmelzungssteUe  entspricht. 
Wenn  man  jedoch  an  einem  schräg  verengten  Becken  an 
der  Seite  der  Synchondrose  von  dem  höchsten  Punkt  der 
Incisura  isch.  inaj.  bis  zum  höchsten  Punkt  des  Kreuzbein- 
flügels,   und    an   der   Seite   der   Ankylose   ebenso   von  dem 


1)  R.  Virchow,  Ueber  den  Cretinismus  u.  s.  w.    Verhandlangen 
d.  Physik. -Medic.  Gesellschaft  in  Wünsburg.  Bd.  11.  Erlangen  1863. 
S.  289. 
Moaatisthr.  f.  Gebor  Uk.  186«.  Bd.  XX..  Hfl.  5.  26 


394  XXI-     Thoma$,  Die  Entstehung 

höchsten  Punkt  der  Incisura  isch.  maj.  bis  zum  höchsten 
Punkt  des  Knochens  auf  der  Stolle,  wo  etwa  die  Synostose 
angenommen  werden  muss,  misst,  und  wenn  man  diesen  Ab- 
stand, wie  ich  dies  an  meinen  beiden  schräg  verengten  Becken 
und  an  den  Becken  der  Herren  Nicket  und  Vroltk  dar- 
gethan,  an  der  Seite  der  Ankylose  7 — 9  Linien  kürzer  findet, 
dann  wird,  glaube  ich,  dadurch  ganz  bestimmt  erwiesen,  dass 
eine  Verkleinerung  der  betheiligten  Knochen  stattgefunden 
haben  muss.  Denn,  was  an  beiden  Seiten  zwischen  den 
angegebenen  Messpunkten  liegt,  gehört  notwendigerweise, 
theiis  zum  Kreuzbein,  theils  zum  Hüftbein,  und,  wo  immer 
die  Stelle  der  Ankylose  gesucht  werden  muss,  so  viel  ist 
gewiss,  dass,  wenn  dieser  Abstand  an  beiden  Seiten  nicht 
unerheblich  differirt,  sowohl  der  Flügel  des  Kreuzbeins  als 
der  Theil  des  Hüftbeins,  womit  er  verwachsen  ist,  entweder 
durch  Behinderung  der  Ernährung  kleiner  geblieben,  oder 
durch  Knochenschwund  kleiner  geworden  ist. 

Dass  endlich  auch  in  sagittaler  Richtung  eine  Verklei- 
nerung des  bei  der  Ankylose  betroffenen  Theils  des  Hüftbeins 
bemerkbar  ist,  das  beweisen  nicht  allein  die  vier  schräg  ver- 
engten Becken,  welche  ich  darauf  untersuchen  konnte,  sondern 
das  lässt  sich  auch  an  dem  Becken,  welches  Herr  Olshausen 
besitzt  und  abgebildet  hat,  darthun  und  zwar  auf  folgende 
Weise.  Wenn  ich  die  Entfernung  des  vordem  untern 
Hüftbeinstachels  zum  hintern  obern  messe,  so  finde  ich 
diesen  Abstand  an  der  Seite  der  Ankylose  an  meinem  ersten 
schräg  verengten  Becken  4  Zoll  4Va  Linie,  an  meinem  zweiten 
Exemplar  4  Zoll  8  Linien,  an  dem  Becken  Nicket*  4  Zoll 
9  Linien  und  an  dem  Becken  Vrolik's  4  Zoll  7  Linien, 
während  dieselben  Entfernungen  an  der  Seite  der  normalen 
Kreuzdarmbeinfuge  resp.  5  Zoll  1%  Linie,  5  Zoll  4  Linien, 
5  Zoll  5  Linien  und  5  Zoll  2  Linien  lang  sind.  Der  untere 
Theil  des  ankylosirten  Darmbeins  ist  desshalb  an  jedem  dieser 
Becken  von  vorn  nach  hinten  7 — 9  Linien  kleiner  geblieben 
oder  geworden,  und,  wo  immer  die  Stelle  der  Ankylose  zu 
suchen  sei,  und  ob  bei  der  Verwachsung  der  Knochen,  eine 
Verschiebung  des  Hüftbeins  nach  hinten  (Litzmann),  oder 
mehr  nach  oben  (Olskauseri)  stattgefunden  hat,  oder  nicht, 
so  viel  ist  gewiss,  dass  die  Kleinheit  des  Knochens  in  dieser 


des  sehr&g  verengten  Beckens  etc.  395 

Richtung  nicht  durch  Verschiebung  erklärt  werden  kann, 
sondern  bestimmt  für  Behinderung  der  Ernährung  oder  für 
Schrumpfung  der  Knocbensubstanz  spricht 

Auch  an  den  Becken,  welches  Herr  Olshausen  beschrieben 
und  abgebildet  hat,  wird  ganz  die  nämliche  Erscheinung  ge- 
funden. In  Fig.  2  hat  er  die  äussere  Fläche  des  rechten 
(nicht  ankylosirten)  und  in  Fig.*  3  die  des  linken  (ankylosirten) 
Hüftbeins  vorgestellt.  Wenn  ich  nun  an  diesen  beiden  Ab- 
bildungen vom  hintern  obern  Hüftbeinstachel  (g)  zum  vordem 
untern  messe,  so  finde  ich  diesen  Abstand  auf  Fig.  2  2  Zoll 
8  Linien  und  auf  Fig.  3  nur  2  Zoll  3V8  Linien  lang,  und 
weil  die  Abbildungen  in  halber  Grösse  verfertigt  sind,  so  muss 
der  Unterschied  ain  Becken  selbst  mindestens  9  Linien  be- 
tragen und  an  der  innern  Seite  des  Knochens  liegt  hinter 
dieser,  um  9  Linien  verkürzte  Linie,  die  ankylosirte  Gelenk- 
verbindung, welche  ich  für  die  Ursache  der  Missgestaltung 
des  Knochens  halte.  Ich  gehe  aber  noch  einen  Schritt  weiter 
und  behaupte,  dass  die  ganz  ungleiche  Form  der  Darmbein- 
schaufeln und  selbst  die  geringe  Verlängerung  des  ankylosirten 
Darmbeins  von  oben  nach  unten,  welche  Herr  Olshausen  an 
seinem  Becken  nachgewiesen,  und  welche  ich  auch  an  meinen 
beiden  Becken  und  an  den  Becken  der  Herren  Nicket  und 
Vrolik  constatiren  konnte,  als  eine  nothwendige  Folge  der 
Schrumpfung  oder  der  Behinderung  der  Ernährung  des 
Knochens,  welche  vorzüglich  die  Stelle  der  Ankylose  und 
die  ihr  am  nächsten  gelegenen  Theile  des  Knochens  ge- 
troffen hat,  erklärt  werden  kann  und  muss. 

Sobald  die  Ankylose  des  Hüftbeins  mit  dem  Kreuzbein 
eingetreten  ist,  wird  die  dabei  betheiligte  Knochensubstanz 
im  Wachsthum  behindert;  an  diesem  gehemmten  Wachsthum 
nimmt  auch  der.  peripherische  Theil  des  Darmbeins,  jedoch 
im  geringeren  Grade  Theil;  die  Crista  ilii  wächst,  während 
das  ganze  Skelett  sich  vergrössert,  noch  ziemlich  regelmässig 
heran  und  muss  sich,  weil  der  untere  Theil  des  Darmbeins 
im  Wachsthum  behindert  ist,  stärker  krümmen,  als  sie  gethan 
haben  würde,  wenn  keine  Ankylose  eingetreten  wäre.  Mit 
dieser  stärkern  Krümmung  hängt  die  Verlängerung  der  Darm- 
beinschaufel  von  unten  nach  oben  zusammen.  Man  denke 
sich  einen   Bogen   und   daran   eine   Sehne;   wird   die   Sehne 

26* 


396  XXI.     Thoma$f  Die  Entstehung 

verkürzt,  so  muss  der  Bogen  sich  stärker  krummen*  und  in 
der  Mitte  des  Bogens  entfernt  sich  das  Holz  von  der  Sehne; 
wird  jedoch  die  Sehne  viel  verkürzt  und  zu  gleicher  Zeit 
auch  der  Bogen  selbst  ein  wenig  kurzer  gemacht,  dann 
wird  der  Bogen  doch  noch  etwas  starker  gekrümmt  werden; 
seine  beiden  Endpunkte  werden  sich  einander  beträchtlich 
nähern,  aber  der  Abstand  der  Sehne  von  der  Mitte  des  Bo- 
gens wird  sich  nur  wenig  vergrössern,  und  das  ist  es  eben 
was  an  der  zufolge  der  Ankylose  verunstalteten  Darmbein* 
schaufel  wahrgenommen  wird  und  auch  von  Herrn  Ohhausen 
an  seinem  Becken  besprochen  worden  ist. 

Naegele,  der  die  ganz  ungleiche  Form  der  beiden  Darm- 
beinschaufeln  bereits  beobachtete  und  beschrieb,  fand  darin 
einen  Beweis  für  seine  Theorie,  dass  die  Verunstaltung  des 
Beckens  von  einer  Bildungsabweichung  herrühren  muss,  kannte 
jedoch  den  LambV sehen  Satz  nicht,  sonst  würde  er  sich 
wahrscheinlich  auf  eine  andere  Weise  darüber  ausgesprochen 
haben.  Wollte  aber  auch  noch  jetzt  jemand  behaupten,  dass 
diese  Form  Veränderung  von  einer  angebornen  Verschiedenheit 
der  Gestalt  der  beiden  Darmbeinschaufeln  herrühre,  welche 
sich  zu  dem  angebornen  Defect  des  Kreuzbeins  gesellt  habe, 
während  die  Ankylose,  bloss  als  etwas  Accidentelles  und  Un- 
wesentliches zu  betrachten  sei,  so  kann  ich  auch  dafür  den 
Gegenbeweis  hefern.  An  den  beiden  asymmetrischen  Becken 
ohne  Ankylose,  die  ich  kenne,  wird  nämlich  dieser  Unter- 
schied der  Gestalt  der  beiden  Darmbeinschaufeln  nicht  be- 
merkt, sondern  die  Entfernung  des  vordem  untern  Hüftbein- 
stachels  vom  hinteren  oberen  missl  am  Becken  der  Sammlung 
des  Nosocomium  Academicum  sowohl  rechts  wie  links  4  Zoll 
il  Linien,  und  an  dem  Becken  der  Sammlung  zu  Groningen 
rechts  5  Zoll  1  Linie  und  links  5  Zoll,  und  die  geringste 
Entfernung  zwischen  der  Insisura  ischiadica  major  und  dem 
Ansätze  des  Muse,  glutaeus  max.  hat  auch  an  diesen  beiden 
Becken  an  jeder  Seite  ganz  dieselbe  Länge,  nämlich  8  Zoll 
4  Linien  am  Becken  zu  Leyden  und  3  Zoll  3  Linien  am 
Becken  zu  Groningen. 

Ich  komme  jetzt  zu  einer  anderen  Besonderheit,  welche 
von  Herrn  Olshausen  als  triftiger  Grund  gegen  meine  Theorie 


des  schräg  verengten  Beckens  etc.  397 

hervorgehoben  wird  (S.  177),  ich  meine  die  von  Litzmann 
entdeckte  und  als  Grund  gegen  die  Annahme  einer  Atrophie 
des  Hüftbeins  gedeutete  Verschiebung  dieses  Knochens  am 
Kreuzbeine.  Dass  ich  darüber  in  meiner  Monographie  nicht 
gesprochen,  rührt  nicht  etwa  daher,  dass  ich  diese  Be- 
hauptung nicht  gekannt  habe  oder  nicht  habe  kennen  wollen, ' 
sondern  weil  ich  meinte,  jedermann  würde  leicht  begreifen, 
dass  diese  an  etlichen  Becken  wahrgenommene  Verschiebung 
zu  den  „übrigen  Deformitäten u  (S.  49,  Coroll.  11)  gehöre, 
welche  zum  Theü  aus  Knochenschwund  u.  s.  w.  erklärt  werden 
müssen.  Weil  nun  aber  Herr  Ohkausen  diese  Verschiebung 
so  sehr  hervorhebt,  will  ich  auch  gern  auf  diesen  Einwurf 
antworten.  Zuerst  muss  ich  dagegen  einwenden,  dass  die 
Verschiebung  eben  nicht  constanl  und  bisweilen  ganz  un- 
erheblich ist.  An  meinem  ersten  schräg  verengten  Becken 
misst  die  Entfernung  der  mutbmaasslichen  Stelle  der  Ankylose 
von  der  Spina  post.  sup.  sinistra  2  Zoll  2 — 3  Linien  und 
die  Entfernung  des  vordem  Theils  der  Hüflkreuzfuge  von 
der  Spina  post.  sup.  dextra  2  Zoll  4  Linien ;  an  meinem 
zweiten  Exemplare  finde  ich  den  erstgenannten  Abstand  2  Zoll 
8  Linien  und  den  zweiten  2  Zoll  7  Linien,  während  an  diesen 
beiden  Becken  die  Linea  arcuata  interna  an  der  Seite  der 
Ankylose  6 — 8  Linien  kürzer  ist l)  als  an  der  anderen.   An  dem 

1)  Um  jeder  Anmerkung  vorzubeugen,  muss  ich  zu  diesen 
Maassen  noch  bemerken,  dass  wenn  ich  oben  sagte,  an  meinen 
schräg  verengten  Becken  sei  die  Linea  ileo-pectinea  an  der 
missgestalteten  Seite  4'"  —  6'"  kürzer,  als  an  der  anderen,  und 
wenn  ich  jetzt  von  einem  Läugenunterschiede  der  Lineae  arcuatae 
von  6'" — 8'"  spreche,  diese  scheinbare  Inconsequenz  davon 
herrührt,  dass  die  Verkürzung  der  Linea  arcuata  des  Darmbeins 
zum  Theil  durch  eine  Verlängerung  des  horizontalen  Schambein- 
astes compensirt  wird.  Diese  Eigentümlichkeit,  welche  Herr 
OUhausen,  auch  an  diesem  Becken  constatiren  konnte,  findet 
sich  an  den  beiden  mir  bekannten  asymmetrischen  Becken,  ohne 
Ankylose  nicht;  an  diesen  haben  die  beiden  horizontalen  Scham- 
beinüste  dieselbe  Länge.  Fragt  man  nun,  warum  eine  solche 
Verlängerung  des  horizontalen  Schambeinastes  an  dieser  Becken- 
gattung vermiest  werde,  dagegen  an  den  ankylotischen  Becken 
sich  vielleicht  immer  zeige ,  so  kann  ich  darauf  folgende  Antwort 
geben.  An  den  ankylotischen  Becken  hat  die  Schrumpfung  des 
Darmbeins  in  sagittaler  Sichtung  eine  Zerrung  des  horizontalen 


398  XXI-     Thoma*,  Die  Entstehung 

Becken  des  Herrn  Ofohausen  ist  die  Verschiebung  nach  hinten 
auch  gering;  sie  beträgt  höchstens  4  Zoll  und  vielleicht  nur 
2  Linien,  während  die  Lineae  arcuatae  (von  der  Synchondros. , 
sacro-il.  zum  Tuberc.  iliorpectin.)  1  Zoll  1  Linie  differiren, 
überdiess  findet  man  an  diesem  Becken  eine  Verschiebung 
des  Hüftbeins  nach  oben,  welche,  nach  Herrn  Olshausen^ 
6 — 7  Linien  betragen  soll.  Nun  frage  ich  aber:  Wann  und 
wie  kommt  diese  Verschiebung  an  den  Becken,  an  welchen 
sie  in  Wahrheit  existirt,  zu  Stande?  Hält  man  mit  Herrn 
Ohhausen  die  Ankylose  für  etwas  Accidentelles  oder  Un- 
wesentliches, wovon  weder  der  Schwund  des  Kreuzbeinflugeis 
noch  die  Formveränderung  des  Darmbeins  abhängt,  so  kann 
man  schwerlich  auf  diese  Frage  eine  genügende  Antwort 
geben.  Ich  finde  diese  Antwort  daher  auch  nicht  in  den 
„Bemerkungen"  des  Herrn  Ohhausen.  Hält  man  aber  mit 
mir  die  Ankylose  für  das  Primäre  und  Wesentliche  und  alles 
Andere  für  secundär,  so  lässt  sich  jede  Verschiebung  und 
der  Zeitpunkt  ihres  Entstehens  ganz  leicht  erklären.  Sobald 
die  Ankylose  zu  Stande  gekommen  ist,  fangt  die  Schrumpfung 
der  dabei  betheiligten  Knochen  an.  Trifft  sie  ganz  gleich- 
massig  alle  Punkte  der  ehemaligen  Superficies  auricularis  des 
Darmbeins,  so  findet  keine  Verschiebung  statt,  sondern  der 
Ueberrest  des  grösstenteils  geschwundenen  Kreuzbeinflügels 
dringt  in  frontaler  Richtung  in  die  Substanz  des  Hüftbeins 
hinein,  oder,  wenn  man  lieber  will,  das  Hüftbein  nähert  sich 
der  Mittellinie  des  Kreuzbeins  und  nimmt  den  im  Wachsthum 
behinderten  Kreuzbeinflügel  in  sich  auf;  kommt  aber  die 
Ankylose  an  dem  vorderen  Theile  der  Superficies  auricularis 
früher  zu  Stande,  als  an  dem  hinteren,  oder  ist  die  Ver- 
wachsung an  der  vorderen  Seite  eine  festere  und  innigere 
und  deshalb  auch  die  Schrumpfung  des  Knochens  oder  die 
Behinderung  der  Ernährung  am  Hüftbeine  vor  der  Stelle  der 


Schambeinastes  zur  Folge  nnd  weil  dieser  in  der  Schambeinfuge» 
mit  dem  der  anderen  Seite  verbanden  ist,  so  kann  er  sich  nur 
durch  Streckung  und  Verlängerung  der  geänderten  Form  der 
übrigen  Theile  des  Beckens  accommodiren ;  während  bei  den 
Asymmetrischen  Becken  ohne  Ankylose,  an  welchem  kein  Knochen- 
schwund  beobachtet  wird,  eine  solche  Zerrung  nicht  eintritt,  und 
deshalb  auch  der  Schambeinast  die  gewöhnliche  Länge  behält. 


des  s  ehr  Kg  verengten  Beckens  etc.  399 

Ankylose  beträchtlicher  als  hinter  derselben,  so  muss  eben 
dadurch  eine  Verschiebung  des  Hüftbeins  nach  hinten  hervor- 
gebracht werden,  welche  Verschiebung  sich  demzufolge  nach 
der  Ankylose  und  während  des  Heranwachsens  der  Knochen 
allmälig  ausbildet  und  wahrscheinlich  erst,  nachdem  das  ganze 
Skelett  seinen  volligen  Wachsthum  erreicht  hat,  unveränderlich 
geworden  ist 

Noch  ein  Einwurf,  welchen  Herr  Olahausen  gegen  meine 
Theorie  gemacht  bat,  bleibt  mir  zu  widerlegen  übrig.  Herr 
Olskausen  meint,  die  vielen  Präparate  von  Synostosis  sacro- 
iliaca  ohne  Kreuzbeindefect,  welche  sich  in  anatomischen 
Sammlungen  befinden  —  Creve  sah  deren  nicht  weniger 
als  250  und  Herr  Ofohausen  selbst  beschreibt  noch  über- 
diess  5  an  drei  Becken  —  sprechen  laut  dafür,  dass  eine 
Ankylose  nicht  nothwendig  eine  Schiefheit  des  Beckens  be- 
dingt, und  wenn  daran  in  der  Regel  Osteophytbildung  vor- 
handen, sei,  warum  fehlt  sie  dann  in  der  grossen  Mehrzahl 
aller  Fälle  von  schräg  verengten  Becken,  wo  doch  die  An- 
kylose immer  eine  ganz  vollständige  sei  und  wo  ich  die  Ver- 
wachsung als  die  Folge  einer  Gelenksentzündung  betrachte? 
Was  die  Osteophyten  oder  Exostosen  betrifft,  so  habe  ich 
darauf  niemals  ein  grosses  Gewicht  gelegt;  ich  habe  sie  bloss 
angeführt  zum  Beweise,  dass  Nasgele  Unrecht  habe,  wenn 
er  sage;  „In  keinem  Falle  sind  krankhafte  Zustände  u.  s.  w. 
nachweisbar,  die  Anlass  zur  Deformität  hätten  geben  können." 
Wo  Krankbeitsresiduen  vorhanden  sind,  sprechen  sie  freilich 
für  einen  krankhaften  Zustand  des  Knochens  oder  des  Peri- 
osteum,  sie  können  jedoch  ebenso  gut  fehlen  und  die  Anky- 
lose kann  doch  durch  eine  Gelenksentzündung  ia  gewöhn- 
lichem Sinne  hervorgebracht  sein,  wie  dies  bei  meinem  ersten 
schräg  verengten  Becken  durch  die  Anamnese  bewiesen  wird, 
und  deshalb  kann  ich  auch  nicht  zugeben,  dass  die  Ab- 
wesenheit von  Spuren  einer  Knochenkrankheit,  welche  ich 
für  31  Exemplare  annahm  und  welche  Herr  Ohhausen  für 
c.  34  vindicirt,  Etwas  gegen  den  entzündlichen  Ursprung  der 
Ankylose  beweise. 

Und  die  Präparate  von  Ankylose  der  Hüftkreuzfuge  ohne 
Kreuzbeindefect? 


400  XXI-     Thomas,  Die  Entstehung 

leb  gestehe,  dass  sie  ungemein  häufig  sind,  so  häufig, 
dass  man  sie,  wie  Creve  sagt,1)  „beim  Durchsuchen  der 
Beinhäuser  auf  Kirchhöfen  der  zu  grossen  Menge  wegen 
nicht  mehr  aufbewahren  will/4  aber  Creve  sagte  auch  bereits, 
dass  eine  unvollständige,  oberflächliche  Verbindung,  welche  er 
nur  als  eine  „Verknöcherung  des  Knorpelbandes44  betrachtet, 
die  gewöhnlichste  sei,  und  dass  ein  Verschmelzen  der  Knochen 
selbst  sehener  angetroffen  werde.  Deshalb  wird  auch  von 
Rokitansky  behauptet:  „Die  Synostose  der  Kreuzdarmbein- 
fuge  ist  nicht  gar  selten;  im  Fötus  oder  in  frühzeitiger 
Extrauterinperiode  entstanden,  bedingt  sie  als  einseitige  die 
häufigere  schräge,  als  symmetrische  die  quere  Verengerung. 
Im  spätem  Alter  acquirirt,  besteht  sie  öfter  in  einer  knöcher- 
nen Ueberbrückung  der  Synchondrose."2)  Ich  selbst  kenne 
etwa  25  solcher  Präparate;  an  den  meisten  findet  sich  nur 
eine  knöcherne  Ueberbrückung  oder  Verknöcherung  der  Bän- 
der, an  einigen  ist  die  Verwachsung  mehr  oder  weniger  voll- 
ständig, an  Einem,  welches  zur  Sammlung  des  Nosocomium 
Academicum  gehört,  selbst  vollständiger  als  an  dem  dritten 
Präparat,  welches  Herr  Olshausen  beschreibt,  und  an  welchem 
„der  spitz  zulaufende  untere  Theil  beider  Gelenke  c.  4  Linien 
hoch  eine  Trennung  des  Kreuzbeins  und  der  Darmbeine  zeigt14; 
aber  dieses  Präparat,  dessen  Herkommen  mir  freilich  unbe- 
kannt ist,  hat  ohne  Zweifel  einein  alten  Individuum  gehört, 
wie  aus  der  Verknöcherung  des  Limbus  cartilagineus  acetabuli 
hervorgeht,  und  niemals  habe  ich  behauptet,  dass  eine  Anky- 
lose der  Kreuzdarmheinfuge,  wenn  sie  z.  B.  im  klimacterischen 
oder  im  Greisen-Alter  auftritt,  auch  dann  noch  zu  Knochen- 
schwuud.  oder  Schrumpfung  leiten  müsse;  im  Gegentheil  in 
meinem  Referat  das  Becken  von  Holst9»  betreffend,  sagte 
ich  ausdrücklich:  (S.  18)  „da  diese  Krankheit  jedoch  erst 
im  neunzehnten  Lebensjahre  eintrat,  d.  h.  in  einem  Alter, 
in  welchem  das  ungenannte  Bein  fast  vollständig  entwickelt 
ist,  so  erlitt  diess  blos  eine  Formveränderung,  aber  keinen 
eigentlichen     Schwund  ;u    und     bei     der    Beschreibung    des 

1)   C.  C.  Creve  t   Von   den  Krankheiten   des   weibl.   Beckens. 
Berlin  1795.     S.  163. 

.  2)  C.  Rokitansky,  Lehrb.  d.  pathol.  Anatomie.    3.  Aufl.   Bd.  II. 
1856.     8.  187. 


dee  schrig  verengten  Beckens  etc.  401 

Heckeryschen  Beckens  fügte  ich  die  Bemerkung  hinzu,  dass 
die  geringe  Schiefheit  desselben  darin  seine  Erklärung  finde, 
dass  die  Ankylose  erst  nach  der  Pubertät  eingetreten  sei. 

Zum  Schluss  noch  eine  Bemerkung.  Herr  Ohhausen 
gesteht  (S.  181)  dass  bei  der  von  ihm  explicirten  Entstehungs- 
weise der  schräg  verengten  Becken  mit  Synostose  ein  Punkt 
noch  nicht  erklärt  ist,  nämlich  die  Häufigkeit,  ja  das  fast 
constante  Vorkommen  der  Synostose  bei  den  von  ihm  als 
wahrscheinlich  angenommenen  angebornen  Kreuzbeindefecten. 
Das  ist  vollkommen  wahr;  dieser  Punkt  ist  noch  nicht  er- 
klärt, und  wird,  nach  meinem  Dafürhalten  auch  wohl  niemals 
erklärt  werden,  gerade  weil  man  das,  was  nicht  wahr  ist, 
vergebens  zu  erklären  sucht.  Es  bleiben  jedoch,  wenn  man 
die  Theorie  des  Herrn  Ohhausen  annimmt,  auch  noch  mehre 
Punkte  ganz  unerklärt: 

1.  Warum,  wenn  die  Ankylose  nur  etwas  Accidentelles 
oder  Unwesentliches  ist,  an  den  Becken  mit  Ankylose  eine 
bedeutende  Formveränderung  der  Darmbeinschaufel  mit  Ver- 
schmälening  ihres  untern  Theils  beobachtet  wird,  und  warum 
diese  Formveränderung  nicht  wahrgenommen  wird  an  Becken 
mit  notorisch  angebornen  Kreuzbeindefecten  und  ohne  An- 
kylose. 

2.  Warum  an  den  ankylotischen  Becken  der  Ausgang 
verengt  und  der  Schambogen  zu  scharf  ist,  und  warum  man 
diese  Erscheinung  an  den  asymmetrischen  Becken  ohne  An- 
kylose vermisst. 

3.  Warum  eine  Verschiebung  des  Höftbeins  nach  hinten 
oder  nach  oben,  an  etlichen  Becken  mit  Ankylose  gefunden, 
an  andern  derselben  Gattung  nicht  gefunden  wird. 

4.  Warum  bereits  eine  ziemlich  grosse  Anzahl  Becken 
mit  Ankylose  bekannt  geworden  ist,  welche  den  Tod  der 
Mutter  und  des  Kindes  veranlasst  haben,  und  warum  dies 
bis  jetzt  von  keinem  einzigen  Becken  mit  angebornem  Kreuz- 
beindefect,  aber  ohne  Ankylose,  behauptet  worden  ist. 

Meine  Theorie  dagegen  erklärt  alle  diese  Umstände  ganz 
leicht  Sie  hat  überdies  noch  den  Vortheil,  dass  sie  die 
einfachere  ist,  denn  während  Herr  Ohhausen  an  einen 
Bildungsfehler  glaubt,  zu  welchem  er  später  noch  eine  er- 
worbene Krankheit,  wahrscheinlich  eine  adhäsive  Entzündung 


4Q2  XXII.    Notisen  aus  der  Journal -Literatur. 

hinzukommen  lägst  (S.  101),  erkläre  ich  die  ganze  Miss- 
gestaltung des  schräg  verengten  Beckens,  ja  selbst  die 
Varietäten,  die  dabei  wahrgenommen  worden  sind,  aus  einer 
und  derselben  Ursache  und  bringe  die  Lehre  seiner  Entstehung 
mit  andern  in  der  Osteopatbologie  als  wahr  anerkannten  That- 
sachen  in  Einklang. 


XXII. 
Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 


Woodmann:   Eiternde   Kyste  im   Unterleibe. 

Bei  einer  38jährigen  Frau  zeigte  sich  eine  mannskopfgrosse 
rundliche  Geschwulst  links  vom  Nabel,  etwas  nach  rechts  hinüber- 
ragend. -  Der  PercusBionston  war  matt;  die  Geschwulst  selbst 
etwas  beweglich.  Rechts  vom  Nabel  waren  zwei  Fistelöffhungen 
vorhanden,  die  von  einem  entzündeten  Rande  umgeben  waren. 
Dabei  zeigte  die  Frau  einen  Ballen  Haare,  die  aus  den  Fisteln 
herausgekommen  waren.  Der  Uterus  war  gesund.  Die  Anamnese 
ergab  Folgendes:  Zwei  oder  drei  rheumatische  Fieber  aus- 
genommen will  sie  immer  gesund  gewesen  sein.  Mit  13  Jahren 
ist  sie  menstruirt.  Seit  ihrem  18.  Jahre  verheirathet  gebar  sie 
in  erster  Ehe  zwei  Rinder  und  abortirte  ein  Mal,  in  zweiter  Ehe 
gebar  sie  drei  Rinder,  von  denen  das  jüngste  im  Juli  1861  elf 
Monate  alt  war.  Vor  dem  letzten  Wochenbette  hatte  sie  Schmerzen 
in  der  linken  Weiche  und  der  linken  Leistengegend.  Gleich 
nach  der  Entbindung  bemerkie  Patientin,  dass  ihr  Leib  starker 
als  gewöhnlich  sei,  und  dies  nahm  immer  mehr  zu,  so  dass  sie 
bald  nach  beendetem  Wochenbette  die  Gesehwulst  entdeckte. 
Im  November  1860  brach  die  Geschwulst  neben  dem  Nabel  anf 
und  es  soll  eine  grosse  Menge  klarer  gelber  Flüssigkeit  heraus* 
geflossen  sein,  etwas  später  das  oben  erwähnte  Bündel  Haare. 
Am  31.  Juli  1861  wurde  Patientin  im  London  Hospital  auf- 
genommen und  man  entsohloss  sich,  die  bestehende  Fistel  zu 
spalten,  die  Höhle  zu  untersuchen  und  womöglich  zu  entfernen. 
Aus  der  gespaltenen .  Fistel  stürzte  eine  Masse  fötiden  Eiters 
heraus,  mit  Haaren  wie  aus  einer  Ovaria!  kyste  untermischt. 
Die  Kyste  war  mit  den  Bauchwandungen  adhärent.  Dieselbe: 
verkleinerte    sich    übrigens    ohne    weitere    Medication    derartig, 


XXII.    Notizen  ans  der  Journal -Literatur.  403 

dass  die  Kranke  am  20.  September  ohne  fühlbare  Geschwulst  als 
geheilt  entlassen  wurde. 

(Medical  Times,  Deeember  1861.)  G. 


Sampton  Oamgee  (Birmingham):  Zwei  Fälle  von  Ovariotomie. 

Im  ersten  Falle  bestand  eine  multiloculäre  Kytta  seit  drei 
Jahren.  Bei  der  Operation  fanden  sieh  ausgedehnte  Adhäsionen. 
Der  Tod  trat  nach  16  Stunden  ein,  bei  der  Section  seigte  sich, 
dass  der  Tumor  vom  linken  Ovarium  mit  einem  langen  Stiele 
ausgegangen  war.  Es  zeigte  sich  keine  Verletzung  der  Ein- 
geweide trotz  der  Trennung  vieler  Adhäsionen. 

Der  zweite  Fall  betraf  einen  ebenfalls  vom  linken  Ovarium 
ausgehenden  mannskopfgrossen  Tumor  der  mit  Ascites  complicirt 
war.  Bei  der  Operation  mussten  zwei  starke  Adhäsionen  mit 
dem  Omentum  nach  vorangegangener  Unterbindung  getrennt 
werden.  Es  folgte  eine  heftige  Peritonitis  mit  Abscessbildung, 
wobei  sich  der  Eiter  aus  der  Wunde  entleerte;  später  folgte  eine 
Bronchopneumonie,  von  der  Patientin  genesen  ist. 

(Medical  Times,  Deeember  1861.)  G. 


Spencer  Wells:   Fall  von  Ovariotomie. 

Eine  50jährige  Frau  bemerkte  seit  sieben  Jahren  eine 
Zunahme  ihres  Leibes  mit  geringen  Schmerzen  ohne  Störung 
des  Allgemeinbefindens.  Nach  31/,  Jahren  wurde  die  diagnosticirte 
Ovarialkyste  punetirt  und  13  Pinten  einer  dünnen  Flüssigkeit 
entleert  Sieben  Monate  darauf  wurde  eine  zweite  Punction 
nöthig-,  13  Wochen  später  die  dritte.  Im  Ganzen  ist  die  Punction 
12  Mal  gemacht  worden,  wobei  die  Flüssigkeit  immer  dicker 
wurde  und  die  Quantität  immer  grösser.  Bei  der  letzten  Punction 
im  October  1861  wurden  40  Pinten  entleert.  Im  Deeember  1861 
war  Patientin  sehr,  abgemagert,  sonst  aber  leidlich  gesund.  Der 
Umfang  des  Leibes,  um  den  Nabel  gemessen,  betrug  44",  die 
Entfernung  vom  Processus  ensiformis  bis  znr  Symphyse  22". 
Wells  diagnosticirte  eine  vielfächerige  Kyste  mit  seitlichen 
Adhäsionen.  Am  17.  Deeember  machte  er  unter  Chloroform- 
narkose eine  6"  lange  Incision  in  der  Linea  alba,  in  der  Mitte 
zwischen  Nabel  und  Symphyse.  Die  Hauptkyste,  vom  rechten 
Ovarium  ausgehend,  war  mit  dem  Peritonäum  verwachsen  und 
mnsste  durch  sorgfältige  Schnitte  davon  getrennt  werden;  sie 
wurde  geöffnet  nnd  entleert.  Ausgedehnte  seitliehe  Adhäsionen 
wurden  mit  der  Hand  getrennt.  Gruppen  kleinerer  Kysten  wurden 
ebenfalls  entleert.  Der  Stiel  war  kurz  aber  leicht  mit  einer 
Klammer,    etwa  1"  von  der  rechten  Seite  des  Uterus  entfernt, 


404  XXII.    Notizen  ans  der  Journal -Literatur. 

gefasst  und  dann  durchschnitten.  Das  linke  Ovariuro  fand  sich 
atrophisch,  aber  eine  dünnwandige  Kyste*,  von  der  Grösse  einer 
Orange,  wurde  in  einer  Falte  des  breiten  Mntterbandes  dicht  am 
Uterus  bemerkt  und  durch  eine  Incision  entleert*  Die  Bauch- 
wunde wurde  durch  Silbersuturen ,  die  durch  die  ganze  Dicke 
der  Bauchwandungen  mit  Einschluss  des  Peritonäums  geführt 
wurden,  geschlossen.  Der  Rumpf  wurde  mit  der  Klammer  im 
unteren  Wund wiukel  befestigt.  Die  leeren  Kysten  wogen  9 — 10  Pfd., 
der  Inhalt  30  Pfd.  Nach  der  Operation  war  Patientin  so  wohl  und 
schmersensfrei,  dass  nicht  einmal  Opium  gegeben  wurde.  Der 
Puls  blieb  meist  80.  Die  Klammer  wurde  am  fünften  Tage, 
nachdem  der  Stumpf  vertrocknet  war,  entfernt,  die  Nähte  vom 
siebenten  Tage  an,  wo  die  Wunde  fast  gans  geschlossen  war. 
Am  81.  December  wnrde  die  Patientin  geheilt  entlassen. 

(Medical  Times,  Januar  1862.)  O. 


Henry  Hank»:    Geburt  eines  Doppelmonstrum. 

Die  betreffende  Missgeburt  bestand  aus  zwei  vom  Manubrium 
sterni  bis  sum  Nabel  zusammengewachsenen  ausgetragenen  Kindern, 
die  susammen  das  Gewicht  von  16%  Pfd.  hatten.  Die  Geburt 
war  schwer  und  die  Kinder  waren  todt.  Der  Mechanismus  der 
Geburt  war  interessant,  indem  zuerst  der  Kopf  des  einen  Kindes 
geboren  wurde,  dann  der  Kopf  des  zweiten,  indem  er  mit  seinem 
Vorderhaupte  auf  den  Nacken  dos  erste ren  gepresst  wurde.  Dann 
folgte  der  gemeinsame  Körper.     Die  Mutter  blieb  gesund. 

(Medical  Times,  December  1861.  & 


Ferber:    Zur  Pathogenie   der  sogenannten  Haematocele 
retro-uterina. 

Verf.  giebt  uns,  auf  Sectionsbefunde  fassend,  die  Be- 
schreibung verschiedener  Grade  von  Blutungen  in  das  Becken- 
peritonäum.  Er  fand  in  der  Beckenserose  folgende  Vorgänge: 
Hyperämie  und  Nenbildung  von  Capillaren ,  anfänglich  nicht  über 
das  Niveau  des  Mutterbodens  hinausreichend,  sodann  umkleidet 
von  Bindegewebe  in  Zottenform  in  das  Cavum  peritonaeale  hinein- 
ragend, als  weitere  Entwickelung  von  Capillarnetzen  strotzende 
Pseudomembranen,  welche  nur  lose  mit  der  Serosa  zusammenhingen, 
und  endlich  in  dem  letzten  Falle  zwischen  Lamellen,  den  Pseudo- 
membranen gleich,  zahlreiche  Residnen  feiner  Blut  extravasale. 
Diese  Vorginge  entsprechen  nach  gewiesene  rmaassen  einem  zu- 
sammenhSngenden  Pro c esse  aller  serösen  Häute.  Man  nennt  die 
in  Rede    stehende  Ernährungsstörung   daselbst    meist    eine  Ent- 


XXII.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  405 

stindung  mit  hämorrhagischem  Exsudate.  Es  wird  daher  in 
manchen  Fällen,  and  vielleicht  in  der  Mehrzahl,  die  sogenannte 
Haematocele  retro -uterina  nichts  anderes  als  eine  Pelviperitonitis 
haemorrhagica  sein. 

In  der  That  bieten  die  übrigen  klinischen  Erscheinungen 
der  Haematocele  nach  dem  Ausspruche  der  meisten  Autoren  das 
Bild  einer  Peritonitis  mit  hämorrhagischem  Exsudate. 

(Archiv  der  Heilkunde,  1862,  3.  Jahrg.,  6.  Heft.) 


Ranubotham:    Klinische  Vorträge  über   Geburtshülf  e. 

In  mehreren  Aufsätzen  unter  diesem  Titel  skizzirt  der  Verf. 
zunächst  kurz  alle  Fälle  von  Blutungen  in  den  ersten  Geburts- 
perioden, die  ihm  während  der  Jahre  1840 — 1843  zur  Beobachtung 
gekommen  sind.  Es  sind  deren  46.  Davon  waren  33  Fälle  von 
Placenta  praevia  und  13  von  vorzeitiger  Lösung  der  Placenta 
oder  Zerrung  derselben  durch  tiefen  Sitz  bedingt.  In  allen  Fällen 
sprengte  Bamtbotham  die  Eihäute ,  sobald  er  nur  irgend  dieselben 
fühlen  konnte,  ohne  alle  Kücksicht  auf  die  Grösse  und  Be- 
schaffenheit des  Muttermundes,  gab  dann  ebenfalls  sogleich 
Ergotin  und  reichliche  Quantitäten  Brandy.  Die  Tamponade  der 
Vagina  wurde  nur  in  zwei  Fällen  angewandt.  Die  angeführte 
Behandlung  genügte  in  den  Fällen  von  Placenta  praevia  9  Mal 
allein  zur  Beendigung  der  Geburt  und  zwar  betraf  es  jedes  Mal 
ttchädellagen.  Von  den  Müttern  wurden  acht  am  Leben  erbalten, 
die  ueunte  starb  den  Tag  nach  der  Entbindung  in  Folge  der 
Anämie.  Sechs  Kinder  wurden  todt,  zwei  lebend  geboren.  Vom 
neunten  Kinde  fehlt  eine  Angabe  darüber,  es  ist  aber  wohl  als 
todtgeboren  anzunehmen.  Da  die  Placenta  zuerst  ausgestossea 
wurde.  Die  übrigen  24  Fälle  von  Placenta  praevia  erforderten 
die  Wendung  auf  einen  Fuss  bei  vorliegendem  Schädel  17  Mal, 
zwei  Mal  war  nach  erfolgter  Wendung  noch  die  Perforation  des 
Kopfes  nöthig  wegen  Beckenenge.  Die  Mütter  wurden  allein  in 
12  Fällen  am  Leben  erhalten.  Von  den  17  Kindern  kamen  nur 
fünf  lebend  zur  Welt.  Ein  Mal  wurde  die  Wendung  bei  Querlage 
ausgeführt  mit  günstigem  Erfolge  für  Mutter  und  Kind.  Drei 
Fälle  von  Placenta  praevia  waren  mit  Fuss  lagen  verbunden;  in 
allen  drei  Fällen  wurde  die  Extraction  mit  günstigem  Erfolge  für 
die  Mutter  gemacht.  Von  den  Kindern  kam  eines  lebend  zur 
Welt.  Die  Zange  wurde  ebenfalls  drei  Mal  angelegt,  jedoch  nur 
ein  lebendes  Kind  damit  zu  Tage  gefördert.  Von  den  Müttern 
starb  eine  gleich  nach  der  Entbindung,  die  zweite  am  neunten 
Tage  des  Wochenbettes  an  Peritonitis. 

In   den   13  Fällen   von  Blutungen,    bedingt   durch  Zerrung 
oder  vorzeitige  Lösung  der  Placenta,  genügte  acht  Mal  die  Zer- 


406  XXII.    Notisen  aas  der  Journal -Literatur. 

re issung  der  Eihäute  (womit  immer  die  Darreichung  von  Ergotin 
und  Brandy  yerbunden  war),  um  die  Geburt  auf  natürlichem 
Wege  in  beenden.  8ieben  Mal  betraf  dies  Schädellagen,  ein  Mal 
eine  Steisslage.  Die  Mütter  wurden  in  diesen  Fällen  immer  er- 
halten; von  den  acht  Kindern  wurden  drei  todt  geboren.  In  fünf 
Fällen  wurden  Operationen  nöthig,  und  iwar  «in  Mal  bei  Steiss- 
lage die  Extraction  mit  glücklichem  Ausgange  für  Mutter  und 
Kind;  drei  Mal  die  Wendung  bei  vorliegendem  Kopfe,  wodurch 
ein  Kind  (bei  gleichseitigem  Nabelschnurvorfalle)  gerettet  wurde, 
während  von  den  Müttern  swei  durch  Nachblutung  ex  atonia  uteri 
starben;  endlich  wurde  ein  Mal  der  vorangehende  Kopf  perforirt. 
Die  Mutter  blieb  gesund. 

(Medical  Times,  Januar  1862.)  G. 


Ousterow:  Bericht  über  die  in  der  geburtshülflichen  und 
gynäkologischen  Klinik  des  Herrn  Geh.  Medicinal- 
rath  Prof.  Dr.  Martin  zu  Berlin  im  Wintersemester 
1861  — 1862  sur  Behandlung  gekommenen  Geburten 
und  Krankheitsfälle. 

1.     Geburtshilfliche   Klinik   und  Poliklinik. 

Es  kamen  vor:  Geburten  552  <173  in  der  Konigl.  Ent- 
bindungsanstalt, 874  in  der  Poliklinik). 

Zwillingsgeburten  9  (2  Kinder  todt). 

Geboren  wurden  810  Knaben  (30  todte)  and  261  Mädchen 
(16  todte). 

Lagen:  Gesichtslage  4  Mal;  Steisslage  21  Mal;  Fusslage 
19  Mal;  Schädellagen  (9  Mal  dritte  und  7  Mal  vierte)  601  Mal; 
Quer-  und  Schieflagen  10  Mal. 

Fehl-  und  unzeitige  Geburten  18  Mal. 

Frühgeburten  16  Mal. 

Krampfwehen  16 Mal.  Wehenschwäche  18 Mal.  Becken- 
enge 11  Mal  (stete  durch  Rhachitis  bedingt;  2  Mal  verlief  die 
Geburt  ohne  operative  Hülfe,  darunter  ein  Nabelschnurvorfsll, 
der  mit  Glück  reponirt  wurde;  3  Mal  wurde  die  Zange  angelegt; 
die  Wendung  auf  die  Füsse  wurde  2  Mal  ausgeführt;  Kephalo- 
thrypeie  nach  vorangegangener  Perforation  wurde  2  Mal  aus- 
geführt: 1)  bei  3 Vt"  Conj.  und  sehr  grossem  Kopfe,  2)  bei  einem 
rachitischen  Becken  von  3"  4"'  Conj. ;  1  Mal  wurde  die  Decapitation 
nöthig  bei  einer  vernachlässigten  Querlage  bei  einer  Beckenenge 
von  8"  1'"  Conj.;  1  Mal  (31/,"  Conj.)  wurde  die  künstliche 
Frühgeburt  eingeleitet). 

Umschlingung  der  Nabelschnur  66  Mal. 

Vorfall  der  Nabelschnur  (9  todte  Knaben)  19  Mal. 

Eclampsie  1  Mal.   ' 


XXII.    Notizen  aus  der  Journ»]- Literatur.  407 

Blutungen  durch  vorzeitige  Lösungen  der  Pla- 
centa 4  Mal;  Placenta  praevia  6  Mal;  Blutungen  in  der 
Nachgeburtsperiode  16  Mal. 

Operationen:  Reposition  der  Nabelschnur  2  Mal ;  Wendung 
auf  einen  Fuss  10  Mal;  Extraction  an  den  Füssen  18  Mal; 
Zange  an  den  vorliegenden  Kopf  24  Mal.  Incisionen  in  den 
Scheidenmund  8  Mal;  Lösung  der  Placenta  2  Mal,  Kephalothrypsie 
2  Mal:  Decapitation  1  Mal;  Sectio  caesarea  post  mortem  1  Mal; 
kunstliche  Frühgeburt  1  Mal. 

2.  Frauenkrankheiten.. 

Erkrankungen  417.  Die  wichtigsten  Fälle  sind: 
Fistula  recto  -  vaginal.  2  Mal;  Fistula  vesico-  vaginal.  3  Mal; 
Ulc  syphilit.  6  Mal;  Ulc.  puerper.  12  Mal;  Cysto cele  6  Mal; 
Atresia  orific.  uter.  2  Mal;  Prolapsus  uteri  8  Mal;  Hypertrophia 
portion.  vag.  2  Mal;  ftetroversio  uteri  7  Mal;  Retroflexio  uteri 
13  Mal;  Endometritis  colli  uteri  36  Mal;  Endometritis  universalis 
bei   Wöchnerinnen    15    Mal;    Perimetritis    17   Mal.     Polypen: 

1)  Follicularpolyp  4  Mal   (2  Mal  mittels   des  Ecraseurs   entfernt, 
2  Mal  abgedreht,  jedes  Mal  mit  vollständigem  Erfolge;  darunter 

1  Mal    während    der    Gravidität    ohne    Störung    des    Verlaufes; 

2)  fibröser  Polyp  1  Mal  (abgeschnitten) ;  Carcinoma  uteri  16  Mal ; 
Dysmennorrboea  mexnbranacea  1  Mal;    Haomatocele  periuterina 

2  Mal;  Mastitis  8  Mal. 

3.  Krankheiten   der  Neugeborenen. 
Zu  erwähnen  sind: 

Hemieephalia  1  Mal;  Spina  bifida  2  Mal;  Blutbrechen  aus 
einem  Ulcus  duodeni  1  Mal;  Meningitis  2  Mal;  Cephalaematom 
1  Mal;  Pemphigus  neonator.  1  Mal;  Ophthalmie  29  Mal;  Trismus 

3  Mal;  Hydrocele  2  Mal. 


Boafti:   Bericht. über  die  Ereignisse  in  der  Graser  Gebär- 
anstalt in  den  Schuljahren  1869  —  1860  und  1860—1861. 

Von  3496  in  der  Anstalt  verpflegten  Schwangern  haben  3467 
geboren  und  zwar  3089  in  der  Anstalt,  368  ausserhalb  derselben 
(als  sogenannte  Gassengeburten).  3406  Geburten  waren  einfache, 
60  Zwillings-  und  1  Drillingsgeburt.  Fehlgeburten  41,  Früh- 
geburten 344  (unter  letzteren  21  Zwillingsgeburten  und  1  Drillings- 
geburt). 

Unter  den  in  der  Anstalt  beobachteten  3146  Kindeslagen 
befanden  sich  2979  Scheitelbeiulagen,  84  Gesichtslagen,  104  Rumpf- 
endlagen und  18  Schief-  und  Querlagen.  Vier  Mal  zeigte  sich 
der  rechte  Arm  neben  dem  Kopfe  und  ein  Mal  der  rechte  Fuss 
neben  dem  Kopfe  eines  zweiten  Zwillingskindes  vorgefallen. 

Nabelschnur:  Umscblingungen  bei  mehr  als  300  Kind  ein, 
Stenose  6  Mal,  Knoten  6,  Vorfalle  18  (6  todte  Kinder). 


408  XXII.    Notisen  ans  der  Journal-Literatur. 

Hydra mnios  9  Mal.  Placenta  praevia  3  Mal.  Vorzeitige 
Loslösung  des  normal  angehefteten  Mutterkuchens  6  Mal,  Me- 
trorrhagieen  in  der  Nachgeburtsperiode  75  Mal. 

Dammrisse  92,  davon  3  bis  in  den  Spbincter  ani. 

Convulsionen;  epileptische  3,  eclamptische  8. 

Beckenverengerangen  19  (keine  nnter  3"  Conj.  vera). 

Geburtshülfliche  Operationen:  Einleitung  der  künst- 
lichen Frühgebart  6.  Fälle,  5  Mal  wurde  die  Colpeuryse,  1  Mal 
die  blutige  Erweiterung  des  Muttermuudes ,  18  Mal  der  künstliche 
Blasensprang,  4  Mal  die  Kauterisation  des  Uteras  als  die  Gebart 
vorbereitende  Operation  angewendet;  der  Schamschnitt  wurde 
40  Mal  gemacht.  Wendungen  20  (2  Mal  auf  beide  Fasse,  3  Mal 
der  doppelte  Handgriff).  Manuelle  Extractionen  am  Kämpfende  7, 
Lösung  der  Arme  and  des  Kopfes  64.  Zangenextraction  83  (2  Mal 
am  nachfolgenden  Kopfe).  Perforation  and  Kephalothrypsie  3, 
Decapitation  1. 

Von  den  Wöchnerinnen  erkrankten  247,  davon  starben  theils 
in  der  Anstalt,  theils  im  Krankenhause  97. 

Kinder.  Todtgeboren  138,  scheintodt  70,  innerhalb  der 
ersten  acht  Lebenstage  gestorben  140  (and  «war  an:  Debilitas 
congenita  74,  Hydroceph.  cong.  2,  9  Atelectasie,  6  Infiltration 
der  Lange,  20  Apoplexia  meningum  et  cerebri,  1  Abscess  der 
Thymusdrüse;  2  an  Peritonitis',  2  Trismus;  je  1  mit  Exanthem* 
papnlosum,  Pemphigus,  Erysipels*  genital.,  Vomitns  cruentas 
and  Melaena).  Von  wichtigen"  Missbildungen  erwähnen  wir: 
Hydrocephalus  2,  Anencepbalus  3,  Mangel  des  rechten  Anges  1, 
Syndactylus  1 ,  Atresia  ani  1  Mal. 

(Oesterreichische  Zeitschrift  für  prakt.  Heilkunde,    1862, 

$o.  28—36.) 


XXIIL 

Temperaturstadien  bei  der  Geburt  und  im 
Wochenbette. 

Von 

Dr.  F.  Wlnckel, 

erstem  Assistenzarzt  der  König!.  UniToraitKta  •  Entbindungsanstalt  In  Berlin. 

Bei  Erforschung  der  Eigenwärme  des  menschlichen  Körpers 
in  seinen  einzelnen  Organen  und  Höhlen  hat  mau  auch  die 
weiblichen  Genitalien  in  den  Kreis  der  Beobachtung  gezogen. 
Berger  und  Maunoir  bestimmten  die  normale  Temperatur 
der  Scheide  bei  zwei  Mädchen;  Fricke  verglich  diese  mit  der 
Wärmeentwickelung  zur  Zeit  der  Menstruation  und  in  der 
Schwangerschaft  und  Hecker  suchte  die  Tcmperaturcurve  des 
normalen  Wochenbetts  festzustellen.  Ebenso  sind  die  patho- 
logischen Processe  beim  geschlechtsreifen  Weibe  in  dieser 
Beziehung  untersucht  worden:  Qierse,  v.  Baerensprung, 
Traube  und  Hecker  haben  Wärmemessungen  an  kranken 
Wöchnerinnen  vorgenommen,  die  seitdem  besonders  in 
Puerperalheberepidemieen  vielfach  fortgesetzt  wurden.  —  Bei 
alledem  bleibt  es  auflallend,  dass  Untersuchungen  über  das 
Verhalten  der  Körperwärme  bei  der  Geburt  selbst  bis 
jetzt  ganz  und  gar  fehlen,  um  so  auftauender,  als  die 
richtige  Würdigung  der  Teraperaturcurve  des  Wochenbetts, 
wie  mit  dem  ganzen  Geburtshergange,  so  mit  der  dabei 
stattgefundenen  Wärmeproduction  aufs  engste  zusammenhängen 
nauss.  Wenn  man  liest,  „dass  nach  Hecker'z  Ansicht  namentlich 
die  Intensität  und  Aufeinanderfolge  der  Wehen  auf  die  Er- 
höhung der  Temperatur  bald  nach  der  Geburt  von  wesentlichsten 
Einfluss  sei,"  musste  da  nicht  der  Gedanke  nahe  liegen, 
die  Wehen  selbst  mit  dem  Thermometer  zu  messen?  Konnte 
i  man  nicht  hoffen,   gewisse  Unterschiede   zwischen  normalen 

MonatMohr.  f.  Oeburuk.   1862.   Bd.  XX.,  Hft.6.  27 


410  XXIII.    Winckel,  Temperaturverhältnisee 

und  abnormen  Wehen  zu  finden,  zumal  da  nach  dem  be- 
kannten Versuche  von  Hdmholtz  ein  in  Tetatus  versetzter 
Muskel  seine  Temperatur  merklich  erhöht  und  nach  «7.  BeclarcTs 
Behauptung  der  blos  in  Spannung  versetzte  Muskel  mehr 
Wärme  entwickelt,  als  wenn  derselbe  zugleich  eine  äussere 
mechanische  Arbeit  verrichtet? 

Sehen  wir  aber  auch  von  diesen  vielleicht  allzu  sanguinisch 
erscheinenden  Hoffnungen  ab,  so  liess  sich  von  dem  Gebrauche 
des  Thermometers  hei  der  Geburt  doch  manches  Resultat 
erwarten.  Giebt  es  ja  immer  noch  Indicationen  zu  operativer 
Hülfe  bei  der  Geburt,  die  an  sich  höchst  elastischer  Natur 
und  nur  von  subjectiver  Anschauung  abhängig,  einer  positiven 
Abgrenzung  dringend  bedürfen.  Ich  erinnere  blos  an  die 
Termini -Erschöpfung  und  Gefährdung  der  Kreissenden  durch 
Blutung,  Quetschung  u.  s.  w.  Nach  den  Erfahrungen  bei 
chirurgischen  und  inneren  Krankheiten  konnte  die  Verwerthuug 
des  Thermometers  auch  hier  wohl  von  Erfolg  sein. 

In  dieser  Erwartung  und  mit  dem  Bewusstsein  eine  wenn 
auch  schwierige,  an  Zeit  sehr  kostspielige  aber  auch  höchst 
interessante  und  wichtige  Arbeit  zu  unternehmen,  suchte  ich 
das  reichliche  Material,  welches  mir  die  hiesige  Universitäts- 
Entbindungsanstalt  gewährt,  zur  Ausfüllung  dieser  Lücke  zu 
benutzen. 

Die  zwei  Thermometer  der  Anstalt,  welche  mir  zur 
Disposition  standen,  sind  Normalthermometer  nach  CeUius 
bei  28"  2m  Barometerstand  verfertigt,  deren  148/4"  lange 
Glasröhre  einen  Endkolben  mit  Quecksilber  von  13'"  Länge 
und  18'"  Umfang  hat.  Diese  stimmen  nach  wiederholten 
Proben  genau  miteinander  überein  und  stellte  ich  mit  ihnen 
alle  Messungen  selbst  an. 

Aus  verschiedenen  Gründen  wählte  ich  zur  Bestimmung 
der  jedesmaligen  Temperatur  vor,  bei  und  nach  der  Geburt  — 
die  Scheide  und  muss  daher  zunächst  durch  Anführung  einer 
Reihe  von  correspondirenden  Messungen  in  Scheide  und 
Achselhöhle  die  Einwände  von  der  Hand  weisen,  welche  dieser 
Untersuchungsmethode  gemacht  werden. könnten. 

Bei  der  Geburt  werde  der  eine  Thermometer  immer 
mindestens  2 — 4"  weit  in  die  Vagina  eingelegt  und  durch 
die   aneinandergedrückten  Oberschenkel   in   seiner  Lage   ganz 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  411 

genau  fiiirt,  während  ich  den  in  der  Achselhöhle  augebrachten 
namentlich  bei  unruhigen  Kreissenden  in  der  Wehenzeit  immer 
selbst  hielt.  Die  Messungen  in  der  Achselhöhle  während  der 
Geburl  sind  nicht  blos  sehr  mühselig  und  zeitraubend,  sondern 
den  meisten  Gebärenden  wegen  der  gebundenen  Haltung  des 
Armes  geradezu  unerträglich.  In  der  Achselhöhle  muss  das 
Thermometer  mindestens  25  Minuten  sicher  hegen,  während 
es  in  der  Scheide  schon  nach  6 — 12  Minuten  (in  20  Fällen 
durchschnittlich  nach  9  Minuten)  seinen  höchsten  Stand  er- 
reicht Die  letztere  ist  also  der  Achselhöhle  um  so  mehr 
vorzuziehen,  als  in  der  oben  angegebenen  Weise  bei  Böcken- 
und  Seitenlage  das  in  die  Vagina  eingeführten  Thermometer 
der  Kreisscuden  durchaus  keine  Unbequemlichkeit  verursacht 
Es  fragt  sich  nur:  erstlich,  ist  nicht  inter  partum  der 
Scheidenkanal  zu  weit,  um  genaue  Wärmemessungen  in  ihm 
anzustellen  oder  falls  dies  nicht  der  Fall,  lässt  dann  die 
bestehende  locale  Hyperämie  der  Scheide  überhaupt  einen 
richtigen  Schluss  auf  die  allgemeine  Körpertemperatur  zu? 
Zunächst  ist  es  noth wendig,  die  Thermometerkugel  stets  so 
lief  als  möglich  einzuführen,  um  den  untersten  besonders 
gefässreichen  Theil  der  Scheide  zu  passiren  und  dann  muss 
durch  Aneinanderlegen  der  Kniee  immer  ein  enges  Umschliessen 
der  Glasröhre  durch  die  äusseren  Genitalien  erzielt  werden.  — 
Dann  ergeben  die  correspondirenden  Messungen  ganz  genaue 
Resultate,  die  wir  mit  Hinweis  auf  die  angefügte  Tabelle  No.  1. 
hier  kurz  hervorheben: 

1.  Unter  sonst  gleichen  Verhältnissen  (Kleidung, 
Luft,  Nahrung  u.  s.  w.)  ist  bei  gebunden  Genitalien  die 
Differenz  zwischen  Temperatur  der  Achselhöhle 
und  Scheide  fast  ganz  constant.  Natürlich  bleibt  die 
erstere  immer  um  0,1° — 0,4°  C.  hinter  der  letzteren  zurück. 
Cf.  Tab.  I.  aus  der  Schwangerschaft  (bei  warmer  Bekleidung) 
No.  1  und  2,  bei  der  Geburt  No.  1  und  6  und  im  Wochen- 
bette No.  1. 

2.  Treten  Schwankungen  in  jener  Differenz  ein, 
so  werden  dieselben  fast  immer  durch  die  grösseren 
Hauttemperatur  seh  wankungen  bedingt.  Beweis: 
No.  2,  3,  4,  5  bei  der  Geburt  und  No.  1  und  2  im  Wochen- 
bette (Rubrik  a.  <?.). 

27* 


412  XXIII.     Winde tl,  Temperatnrverbältnisse 

3.  Auch  bei  stärkerer  Erkrankung  der  Scheide  und  des 
Uterus  —  die  fast  nur  im  Wochenbette,  bei  der  Geburt  aber 
höchst  selten  in  Frage  kommen  —  hält  die  Temperatur  der 
Achselhöhle  fast  genau  gleichen  Schritt  mit  derjenigen  der 
Scheide.  Die  Differenz  ist  fast  nie  abnorm  erhöht  und  schwankt 
zwischen  engen  Grenzen  0,005—0,24  (III.  b.  1),  0,06— 0r31 
(Hl.  b.  2),  0,075—0,54.  In  der  Regel  sind  auch  hier  die 
Schwankungen  in  der  Hauttemperatur  grösser,  als  die  der 
Scheidentemperatur:    IDL  6.  1,  2,  3. 

Ja  dasselbe  gilt  auch  ftkr  die  stärksten  und  ausgedehntesten 
Grade  der  Colpitis  und  Endometritis  im  Wochenbette;  zum 
Beweis  Fall  d,  in  welchem  die  höchste  Differenz  nur  0,4 
betrug,  also  nicht  mehr  wie  bei  vielen  normalen  Geburten 
(1,  2,  3,  L)  und  im  Wochenbette  (1,  2,  II.) 

Dies  hat  darin  seinen  Grund,  dass  die  Entzündungen 
und  Ulcerationen  der  Scheide  nach  der  Geburt  in  der  Regel 
hauptsächlich  am  Scheideneingange  ihren  Sitz  haben  und 
nach  dem  Scbeidengewölbe  hin,  bis  zu  welchem  das  Thermo- 
meter hinaufgeführt  wird,  an  Intensität  schrittweise  abnehmen. 
Kann  man  nun  schon  diesen  beschränkten  Entzündungen 
keine  zu  grosse  Wärmeproduction  zuschreiben,  so  wird  die- 
selbe natürlich  um  so  geringer  sein,  je  weiter  entfernt  von 
dem  Entzüngsheerde  die  Kugel  gebettet  wird. 

Freilich  liesse  sich  erwarten,  dass  bei  abnormer  Wärme- 
entwickelung durch  den  Uterus  während  der  Geburt  das  in 
die  Scheide  eingeführte  Thermometer,  durcb  die  grosse  Nähe 
des  wärmestrahlenden  Körpers  etwas  höher  steigen  werde, 
namentlich  wenn  bei  rasch  aufeinanderfolgenden  Wehen  die 
Ausgleichung  der  localen  Wärmeentwickelung  nicht  so  rasch 
wie  gewöhnlich  erfolgen  könnte;  mit  anderen  Worten,  dass 
in  solchen  Fällen  die  Differenz  zwischen  Scheide  und  Achsel- 
höhle constant,  wenn  auch  nur  wenig,  steige;  dies  zeigte 
sich  allerdings  in  einem  Falle  (IV.  Tab.  I.)  von  krampfhafter 
Wehenthätigkeit  bei  Endometritis,  bei  welchem  jene  Differenz 
aUmälig  von  0,2  auf  0,201;  0,25;  0,27  bis  0,3°  (?.,  also 
um  0,1°  C.  wuchs.  Zugleich  erhellt  aber  aus  diesem,  wie 
vollständig  dennoch  die  locale  Wärmeentwickelung  immer  aus- 
geglichen wird. 


bei  der  Geburt  un«l  im  Wochenbette. 


413 


Aus  alle  diesem  folgt  endlich,  dass  sowohl  bei  der  Geburt 
als  im  Wochenbette  von  der  Temperatur  der  Scheide  ein 
mindestens  ebenso  sicherer  Schluss  auf  die  Blut- 
temperatur gezogen  werden  kann,  als  aus  der  Tem- 
peratur der  Achselhöhle. 

Tabelle  Ho.  1 

CorTespondirende  Messungen  in  Achselhöhle 

und   Scheide. 

I.    In  der  Schwangerschaft 


Zeit. 

Achsel- 
hohe. 

-i 
Scheide. 

Differenz. 

Differenz  zwischen 
zwei  Messungen 

der              ^er 
Ahthee!"     ■*•«•■ 

Uhr 

1 )  Morgen 8  10 

38,076 
37,9 

38,2 
38,06 

.0,126 
0,16 

]  0,126 

0,15 

Nachm.     4 

38,0 

38,125 

0,125 

]o,i 

0,076 

2)  Morgens  10 
„10 

»      io 

38,06 
38,16 
38,275 

II. 

38,16 

38,225 

38,35 

Bei  der 

0,1 

0,076 

0,075 

Geburt. 

]o,i 

1  0,126 

0,076 
0,126 

1)  Abends  6 

*        9% 

38,35 
38,31 
38,09 

38,75 
88,71 
38,5 

0,4 
0,4 
0,41 

1  °»04 
]0,22 

0,04 
0,21 

2)  Morgens  9 
Nachm.  2 
Abends   6 

■ .     »V. 

37,7 
37,326 
37,7 
37,46 

38,02 
37,79 
37,975 

87,8 

0,32 
0,47 
0,275 
0,36 

]  0,376 
]  0,375 
10,26 

0,24 

0,185 

0,176 

3)  Morgens  9 
Nachm.  2 
Abends   6 

-     «V. 

37,7 
37,325 
37,7 
37,46 

88,02 
37,79 
37,975 
37,8 

0,32 
0,47 
0,275 
0,35 

1  0,376 
]  0,375 
]0,25 

0,23 

0,185 

0,176 

4)  Abend«  7% 

.       9'A 

38,19 
37,76 

38,31 
38,19 

0,12 
0,44 

]0,44 

0,12 

6)  Morgens  9 

.    10% 

38,45 
38,1 

38,625 
88,325 

0,176 
0,226 

1  0,  )5 

0,3 

6)  Morgens  10 
Mittags  12 '/t 

37,-76 
37,826 

38,025 
38,09 

0,265 
0,265 

]  0,016 
cc 

0,016 

414 


XXIII.     Winckel,  TeinperaturverhHltnisse 
III.     a)  Im  normalem  Wochenbette. 


Zeit. 

Achsel- 
hohe. 

Scheide. 

Differenz. 

Differene  «wischen 
iwei  Messungen 

der              , 
MhS"     S<heide' 

Uhr 

1)  Morgens  8 
Abends   6 

38,39 
37,91 

38,69 
38,3 

0,3 
0,39 

0,48 
0,01 5 

0,39 
0,025 

Morgens  8 
Abends  6 

37,926 
38,56 

38,325 
38,95 

0,4 
0,4 

0,625 

0,625 

2)  Mittags  12 
Abends  6 
Morgens  7*/4 
Abends  5s/4 

38,2 
37,72 
38,36 
38,325 

38,62 
39,1 
38,72 
38,8 

0,42 
0,38 
0,37 
0,475 

0,52 
0,37 
0,025 

0,4S 
0,38 
0,08 

b)  Bei  starkem  acutem  Oedem  der  äusseren  Genitalien 
im  Wochenbette  (Colpitis). 


I)  Abends  6 % 
Morgens  91/, 
Abends    7 
Morgens  9l/2 
Abends    6 
Morgens  91/» 
Abends    6 
Morgens  9 
Abends    61/, 
Morgens  9 


40,3 

39,6 

39,776 

38,81 

39,45 

38,66 

38,81 

38,6 

38,925 

38,5 


40,62 

39,95 

40,0 

39,19 

39,81 

38,91 

39,1 

38,975 

39,3i» 

38,775 


0,22 

0,35 

0,225 

0,38 

0,36 

0,26 

0,29 

0,375 

0,465 

0,275 


0,7 

0,175 

0,965 

0,64 

0,2 

0,16 

0,21 

0,325 

0,425 


0,67 

0,05 

0,81 

0,62 

0,1 

0,19 

0,126 

0,426 

0,615 


2)  Bei  Uicns  puerperale   des   Scheideneingangs 
mit  Oedem. 


Abends  5 
Morgens  8 
Abends  6 
Morgens  9 
Abends  6 
Morgens  9 
Abends  6 
Morgens  9 
Abends    6 


40,76 

39,49 

40,675 

39,1 

40,41 

38,475 

38,825 

38,025 

38,85 


41,12 

39,825 

40,925 

39,6 

40,6 

38,825 

39,226 

38,375 

39,2 


0,37. 

0,335 

0,25 

0,5 

0,19 

0,36 

0,4 

0,35 

0,35 


1,26 

1,296 

1,186 

1,1 

1,675 

1,325 

1,31 

1,0 

1,93 

1,77 

0,36 

0,4 

0,8 

0,85 

0,826 

0,826 

a 

ff 

bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette. 


415 


c)  Ulcera  puerperialia 

im  Scheideneingange  mit  Oedero. 

Achsel-   ' 

Differenz  zwischen 
zwei  Messungen 

Zeit. 

höhe.     1 

Scheide. 

Differenz. 

der              , 
Aohsel-     c  *e.r, 
höhe.     iScheide- 

i 

übt 
3)  Morgens  8 

39,025 

39,5 

0,476 

]  1,55 
]  2,086 
]  0,86 
]  0,775 
]  0,875 

]  M 
]  0,56 

1,2 

Abends    6 

40,576    ' 

40,7 

0,125 

1,675 

Morgens  8 

38,49      | 

39,125 

0,666 

0,775 

Abends    6 

39,35      ! 

39,9 

0,56 

0,9 

Morgens  8 

38,576    j 

39,0 

0,425 

0,65 

Abends    6 

39,45 

39,65 

0,2 

1,05 

Morgens  8 
Abends    6 

38,36      ' 
38,91*     ! 

38,6 
39,4 

0,25 
0,49 

0,8 

d)  Bei  enorm  grossen  Geschwuren  im  Scheideneingange 

mit  speckigem  grauen  Belag  und  gleichzeitigem 

Thrombus  pariet.  vagin.  poster. 


1)  Morgens  10 

39,2 

39,6 

0,3 

Abends    61/* 

39,69 

39,75 

0,16 

2)  Morgens  8 Va 

39,39 

39,69 

0,8 

Abends    6V9 

39,6 

39,9 

0,3 

3)  Morgens  8Va 

40,09 

40,4 

0,31 

Abends    6% 

39,75 

40,05 

0,3 

4)  Morgens  8 

39,6 

39,8 

0,3 

Abends    6% 

39,5 

40,4 

0,4 

5)  Morgens  8 

39,375 

39,66 

0,276 

Abends    6% 

40,126 

40,4 

0,275 

6) Morgens  81/» 

39,06 

39,29 

0,24 

7)  Morgens 

38,325 

38,575 

0,26 

IV.     I 

Sei  Wehei 

lanomalier 

Abends'   9*/4 

37,6 

37,8 

0,2 

Morg.     107, 

37,99 

38,2 

0,201 

Nachm*.    1% 

37,85 

38,1 

0,25 

Abends    51/, 

38,18 

38,45 

0,'27 

Abends    7l/4 

38,25 

38,66 

0,8 

]  0,39 
]0,2 
]0,21 
]0,49 
]  0,34 
]0,25 
]0,5 
]  0,626 
]  0,76 
]  1,075 
]  0,625 


]  0,39 
]0,14 
]  0,33 
]0,07 


0,25 

0,06 

0,21 

0,5 

0,85 

0,25 

0,6 

0,75 

0,75 

1,11 


0,4 
0,1 
0,36 
0,1 


In  der  Rubrik  et  ist  die  Differenz  zweier  aufeinanderfolgender 

Messungen  der  Achselhöhle  berechnet. 
In  der  Rubrik  a  ist  die  Differenz  zweier  aufeinanderfolgender 

Messungen  der  Scheide  berechnet. 


416  XXIII.     Winckel,  TemperaturverhÄltnitse 

Wenn  nun  aber  das  Thermometer  in  der  Scheide  doppelt 
so  rasch  sehten  höchsten  Stand  erreicht,  als  in  der  Achsel- 
höhle, wenn  ferner  diese  Art  der  Messung,  welche  den  be- 
treffenden Personen  viel  bequemer  als  in  der  Axilla  ist, 
mindestens  ebenso  sichere  Resultate  giebt,  als  in  der  Achsel- 
höhle, so  wird  man  bei  ausgedehnteren  Studien  der  Art  sich 
nicht  durch  falsche  Gründe  der  Decenz  von  denselben  ab- 
halten lassen,  zumal  da  man  bei  einiger  Uebung  wie  den 
Katheter  so  auch  das  Thermometer  in  Seiten-  und  Röckenlage 
sieber  und  schmerzlos  einfuhren  und  mit  vollem  Rechte  den 
Frauen  sagen  kann,  dass  man  dadurch  iiher  den  Verlauf  der 
Geburt,  die  Beschaffenheit  des  Ausflusses  u.  s.  w.  sich  am 
besten  unterrichte. 

Nach  dieser  Rechtfertigung  der  Methode,  welche  den 
folgenden  Daten  zu  Grunde  liegt,  wenden  wir  uns  nun  zu  den 
Messungen  bei  Schwangeren  in  deu  letzten  zwei 
Monaten  der  Gravidität.  Berger  und  Maunoir  fanden 
als  mittlere  Temperatur  der  Scheide  bei  zwei  Mädchen  von 
19  und  25  Jahren  in  einer  Tiefe  von  1%— 4  Zoll  =  38,3°  C. 
Man  will  ferner  während  der  Menstruation  eine  Steigerung 
derselben  von  38,44—38,75°  C.  bemerkt  haben  (cf.  Valentin, 
Lehrbuch  der  Physiologie,  L,  S.  143).  Allein  alle  diese 
Werthe  sind  offenbar  zu  hoch  angegeben,  da  die  Zahl  der 
Beobachtungen  sehr  gering  ist. 

Bei  100  Messungen,  die  ich  anstellte,  um  nach  ihnen 
den  Grad  der  Steigerung  bei  der  Geburt  ziemlich  genau  be- 
stimmen zu  können,  schwankte  die  Temperatur  der  Scheide 
Morgens  9—10  Uhr  zwischen  37,9  und  38,35  und  betrug 
im  Mittel  =  38,15°  C.  Abends  von  5 — 7  Uhr  aber  zwischen 
37,95  und  38,55  und  zeigte  durchschnittlich  ==  38,22°  C. 
Das  Thermometer  lag  jedes  Mal  mindestens  eine  Viertelstunde. 
Tabelle  No.  II.  Diese  Temperatur  der  Scheide  .blieb  sich  in 
den  letzten  Monaten  stets  vollkommen  gleich  und  auch  wenige 
Stunden  vor  Beginn  der  Geburt  war  sie  keineswegs  merklich 
gestiegen.  Nur  in  einem  einzigen  Falle  stieg  Abends  in  den 
vier  letzten  Tagen  vor  der  Geburt  die  Temperatur  von  38,3 
auf  38,32;  38,4;  38,42.  —  Sonst  aber  ging  die  Hoflhung,  mit 
dem  Thermometer  vielleicht  den  bald  erfolgenden  Eintritt  der 
Wehen  prognosticiren  zu  können,  nicht  in  Erfüllung. 


bei  der  Gebart  und  im  Wochenbette. 


417 


Tabelle  Ho.  IL 

Temperatur  der  Scheide  in  den  letzten  zwei 

Monaten  der  Schwangerschaft 


Morgens  9—10  Uhr. 

Abends  6 — 7  Uhr. 

1) 

3)           J4) 

6) 

1) 

8) 

4) 

6) 

38,08 

38,1     <  38,22 

38,1 

38,2 

38,19 

38,3 

38,175 

38,36 

38,19 

38,276 

88,2 

38,3 

38,21 

38,1 

38,1 

38,2 

38,12 

38,3 

38,06 

38,3 

38,10 

38,16 

38,125 

38,2 

38,12 

38,12 

38,126 

38,6 

38,15 

38,16 

38,65 

38,06 

38,1 

ß) 

38,225 

38,36 

38,1 

6) 

38,2 

38,0 

38,22 

38,12    .  38,15 

38,475 

38,05 

38,19 

37,96 

2)               38,2 

38,12    !  38,225 

2) 

38,1 

88,56 

38,3 

38,3 

38,16 

38,22    !  38,36 

38,3 

38,2 

38,06 

38,12 

38,276 

38,1     ,  38,15    1  38,06 

38,32 

38,32 

38,1 

38,1 

38,2 

37,9       38,0      !  38,26 

38,4 

88,2 

38,26 

88,076 

38,4 

4)           '  38,0        38,05 

38,425 

4) 

38,2 

38,026 

3) 

38,12 

37,99 

3) 

38,3 

38,225 

v 

38,1 

37,96 

38,12    ! 

38,1 

38,12 

38,226 

38,2 

38,2 

37,925  i 

38,2 

38,15 

38,376 

38,2                    | 

38,3 

! 

496,756  j  495,47  |495,56    |  419,726 

498,170 

496,19    496,865 



419,820 

50  :  1907,610  =  38,15 

50  :  1911,045  —  38,** 

Morj 

:ens. 

Abel 

tdfl. 

Hieran  reiben  wir  nun: 
1.    Die  Temperaturverhältnisse  während  der  Geburt 

Bei  den  oben  angegebenen  Vorsichtsmaassregeln  kann 
man  sowohl  in  der  ersten  als  auch  in  der  zweiten  Geburts- 
periode sichere  Messungen  in  der  Scheide  anstellen.  Am 
häufigsten  freilich  in  der  ersten  Periode,  da  in  der  zweiten, 
wenn  der  Kopf  zu  rasch  vorrückt,  das  Thermometer  zuweilen 
ausgetrieben  wird.  Wo  jedoch  der  vorliegende  Theil  nur 
langsam  herabtritt  oder  längere  Zeit  feststeht,  da  sind  auch 
in  der  zweiten  Periode  genaue  Temperaturmessungen  möglich. 
Ein  vorzeitiges  Sprengen  der  Blase  durch  den  Thermometer 
vermeidet  man,  wenn  die  Kugel  in  schräger  Richtung  nach 
der  einen  oder  anderen  Synchondrose  hin  unter  die  hintere 
Muttermundslippe  geführt  wird.  Dies  gelingt  in  der  Regel 
ziemlich  leicht  —  Die  Genauigkeit  der  so  erhaltenen  Zahlen- 
werthe  baben  wir  wiederholt  durch  correspondirende  Messungen 
in  der  Achselhöhle  constatirt-,  ja  jede  auffallende  Veränderung 
regelmässig    zu    unserer    eigenen   Ueberzeugung    durch    die 


418  XXIII.     Winckel,  Temperaturverhältnisse 

Untersuchung  der  Achselhöhlen temperatur  controlirt  (cf.  No.  24 
in  Tab.  III.  und  Tab.  I.). 

Führen  wir  uns  nun  kurz  die  Momente  vor  Augen,  welche 
zur  rechten  Beurtheilung  der  gefundenen  Resultate  nothwendig 
sind,  so  haben  wir  erstlich  die  täglichen  Normalschwankungen 
der  Körpertemperatur  zu  berücksichtigen.     Bekannt  ist,  dass 
die    Körperwärme    von    Morgens    2 — 10    und    Nachmittags 
2 — 6  Uhr  steigt,  dass  sie  dagegen  fallt  von  Mittags  10 — 2  Uhr 
und  Abends  6  bis  Nachts  2  Uhr  (Davy  und  v.  Baerensprung). 
Es  ist  ferner  erwiesen,   dass  bei  hungernden  und  ruhenden 
Menschen  dennoch  eine  Zu-  und  Ahnahme  um  einige  Zehntel- 
grade erfolgt  (Lichten/eis  und  Fröhlich).    Es  ist  ausserdem 
durch   die   genauen  Untersuchungen    von  Davy,   Becquerd, 
Breschet  und  Helmholtz  dargethan,  dass  Muskelanstrengung, 
Bewegung   u.  s.  w.    die   Temperatur    merklich    erhöht  (nach 
Davy    um    0,3—0,7°    C).      Da    die    Muskelthätigkeit   bei 
Kreissenden   schon   in  der  ersten  Periode  ziemlich  erheblich, 
mit    dem    regelmässigen   Fortgange   der   Geburt    fortwährend 
wächst,   so   sollte   man   eine   nicht   unbeträchtliche  Erhöhung 
der  Körpertemperatur,  namentlich  bei  Erstgebärenden,  voraus- 
setzen.    Allein    es    concurriren    viele   Momente,    welche  die 
Körpertemperatur  während  der  Geburt  selbst  herabsetzen  und 
reguliren.     Einmal   empfinden  die  Wenigsten  der  Kreissenden 
bei   ihren    Schmerzen   das    ßedürfniss,   Nahrung   zu   sich  zu 
nehmen;    entsprechend    der    stark    vermehrten    Hautsecretion 
verlangen    die    Meisten   nur   nach   kühlenden    Getränken,   an 
welche   natürlich   immer   ein   Theil  Wärme    abgegeben  wird. 
Sodann    bringen    die   Wehenschmerzen    die   Gebärenden  fast 
ohne  Ausnahme  zum  Stöhnen,  Klagen  und  Schreien,  also  zu 
einer  verlängerten    und   verstärkten  Exspiration,   während  die 
Inspiration  in  der  Regel  kurz ,  rasch  und  oberflächlich  geschieht. 
Wird  nun  durch  diese  Art  der  Inspiration  nicht  viel  mehr  als 
gewöhnlich  Sauerstoff  den  Lungen  zugeführt,   und  ist  die  bei 
der    Respiration    direct    entwickelte    Wärmequantität    schon 
keineswegs   bedeutend,    so    wird   durch   die   bei   der  starken 
Exspiration  wesentlich  gesteigerte  Lungenverdunstung  eine  mehr 
als  gewöhnliche  Wärmemenge  abgegeben.     Mit  der  Muskel- 
anstrengung  geht  aber  auch  die  Secretion  der  Haut  Hand  in 
Hand  und  der  Wärmeverlust  durch  Hautverdunstung  und  Haut* 


bei  der  Gebart  and  im  Wochenbette.  419 

abkählung  ist  bei  Kreissenden  um  so  grösser,  als  sie  gewöhnlich 
leicht  gekleidet,  sich  gern  blossdecken  und  besonders  in 
Gebärhäusern  oft  mehr  als  nöthig  entblösst  werden.  Erwähnen 
wir  endlich  noch,  dass  zur  Erwärmung  der  Inspirationsluft, 
wie  zu  der  des  üblichen  Klystiers  ebenfalls  geringe  Wärme- 
mengen verbraucht  werden;  so  wären  also  die  Haupt- 
inomente,  welche  inter  partum  die  Temperatur  reguliren,  vor 
Allem  die  vermehrte  Lungen-  und  Hautverdunstung;  sodann 
die  stärkere  Hautabkühlung,  ferner  die  aussergewöhnliche 
Nahrungsabstinenz  und  schliesslich  die  Einführnng  bestimmter 
Körper  (Luft,  Getränke,  Clysma  u.  s.  w.) 

Diese  Gesichtspunkte  müssen  uns  leiten  bei  der  Beurtheilung 
und  Erörterung  der  nun  folgenden: 

a)  Temperaturcurren  bei  normalen  Geborten. 

Die  Zahl  der  im  Verlaufe  gesundsheitsgemässer  Geburten 
angestellten    Messungen    beläuft    sich    auf  90,    welche    sich 
unter  40  Geburten  so  theilen,  dass 
bei  12  Geburten  nur  1, 

»     15         »>  «> 

6        „  3, 

».      O         >»  4, 

1  Geburt  5  und 

„  1  „  sogar  6  Messungen 
angestellt  wurden.  78  derselben  wurden  in  der  ersten,  12  in 
zweiten  Geburtsperiode  vorgenommen.  Unter  den  Kreissenden 
waren  28  Erst-  und  12  Mehrgebärende.  —  Alle  Messungen 
wurden  von  mir  selbst,  gewöhnlich  im  Beisein  eines  Praktikanten 
ausgeführt  und  das  Thermometer  erst  dann  entfernt,  wenn 
es  schon  5  Minuten  lang  seinen  höchsten  Stand  erreicht  hatte. 
Indem  ich  gewöhnlich  von  zwei  zu  zwei  Minuten,  zuweilen 
auch  nach  jeder  folgenden  Minute  den  Stand  des  Thermometers 
notirte,  fand  ich  zunächst,  dass  die  Quecksilbersäule  während 
der  Wehe  immer  viel  rascher  stieg  als  in  der  wehen- 
frejen  Zeit;  den  Unterschied  konnte  man  sehr  deutlich  sehen, 
schwieriger  war  es,  ihn  genau  aufzuzeichnen.  Ein  Fall  diene 
als  Beispiel:  Nachmittags  3l/2  Uhr  zeigte  das  Thermometer 
in  der  Scheide 

nach  2  Minuten  eine  Temperatur  von  37,9°  C. 

3  RA  1  o 


420  XXIII.     Winektl,  TeinperatunrerhäUniMe 

nach  4  Minuten  eine  Temperatur  von  38,21°  C. ) 
„     5       „         „  „  „   38,31  °  „  >  erste  Wehe, 

»        ^  *»  w  »i  »i     00)00       „    / 

„     7        n         *  »  »   38,4°    „  |     Wehen- 

«i     8       „         „  „  „   38,41°  «  )      pause, 


y      ,,       „  „         „  öö,4o 

10       „  „  „  38,49 

15       „  „  „   38,49° 


o  "  i     Wehe, 

n    1 


Bei  der  Wehe  betrug  die  Steigerung  =  0,008,  in  der 
Wehenpause  aber  nur  0,001  °  C. 

Interessanter  noch  war  die  Beobachtung,  dass  auch,  wenn 
das  Thermometer  schon  einige  Minuten  lang  seinen  Gipfel 
erreicht  hatte,  die  Säule  während  der  Höbe  der  Wehe 
und  gleich  nach  derselben  doch  immer  noch  etwas 
stieg  und  erst  in  der  wehenfreien  Zeit  wieder  auf 
den  früheren  Punkt  zurücksank.  Die  Höhe  dieser 
Steigerung  war  verschieden  und  hing  unzweifelhaft  mit  der 
Dauer  und  Stärke  der  Wehe  zusammen ;  ich  habe  sie  oft  von 
dem  anwesenden  Praktikanten  abschätzen  lassen  und  einige  Male 
mit  Sicherheit  ein  Steigen  um  0,05°  C.  wahrgenommen;  in 
der  Regel  betrug  diese  Erhöhung  jedoch  nur  0,0125— 0,025°  C. 
So  entspricht  also  der  im  Verlaufe  der  Wehe  zunehmenden 
und  bald  nachher  wieder  sinkenden  Pulsfrequenz  auch  ein 
deutlich  wahrnehmbares  Steigen  und  Sinken  der  Wärme- 
production. 

Aus  der  tabellarischen  Zusammenstellung  aller  Messungen 
bei  jenen  40  Geburten  ergiebt  sich  demnächst  Folgendes: 

I.  Bei  jeder  gesundheitsgemässen  Geburt  ist 
die  Körpertemperatur  etwas  erhöht;  allein  diese 
Erhöhung  ist  nur  gering.  Mit  der  Temperatur  in  den 
zwei  letzten  Monaten  der  Schwangerschaft  verglichen  war  die 
Wärme  inter  partum  durchschnittlich  nur  um  0,18 — 0,25°  C. 
gestiegen.  Hieraus  erhellt,  wie  schön  die  vermehrte  Wärme- 
erzeugung bei  der  Geburt  durch  die  gleichzeitig  gesteigerte 
Wärmeabgabe  in  der  Regel  compensirl  wird.  Viel  wichtiger 
aber  ist  die  Thatsache,  dass 

H.  die  Temperatur  keineswegs  entsprechend  der  Dauer 
der  Geburt  fortwährend,  wenn  auch  nur  unerheblich  steigt, 
sondern  dass  sich  auch  bei  voranschreitender  Geburt 
die  täglichen  Normalschwankungen  der  Eigenwärme 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  421 

deutlich  erkennen  lassen,  d.h.  dass  sie  mit  diesen  steigt 
und  fällt.  Zum  Beweise  hierfür  müssen  einige  Fälle,  in  denen 
alle  2 — 3  Stunden  die  Temperatur  notirt  wurde,  eingehender 

mitgetheilt  werden. 

* 

1.  P.  W.,  22  Jahre,  Erstgebärende,  klein,  blond,  kräftig. 
Wehenanfang  Morgens  10  Uhr;  Schädellage. 

1)  Abends  6  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,75;  reich- 
liche Schleimabsonderung;  Muttermund  sechsergross;  Wehen 
noch  selten. 

2)  Abends  71/«  Uhr,  Temperatur  der  Scheide  38,71; 
Muttermund  fünfgroschengross ,  alle  V/% — 2  Minuten  eine 
gute  Wehe. 

3)  Abends  9%  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,5; 
die  Wehen  kräftiger;  der  Muttermund  zehngroschengross,  die 
Eihäute  unverletzt. 

4)  Nacht»  2y4  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,2; 
gleich  nach  der  Geburt,  deren  erste  Periode  13 3/4  Stunden, 
deren  zweite  Periode  l1/*  Stunde  und  deren  dritte  Periode 
15  Minuten  dauerte. 

2.  P.  ö.,  34  Jahre,  Erstgebärende,  mittelgross,  blond, 
hager,  kräftig. 

1)  Morgens  9lU  Uhr  Puls  72,  Temp.  der  Scheide  38,35; 
häufige  kräftige  Wehen,  Mutlermund  zweigroschengross;  das 
untere  Uterinsegment  sehr  fein  verstrichen.     Schädellage. 

2)  Morgens  93/4  Uhr  Puls  72,  Temp.  der  Scheide  38,39; 
regelmässige,  kräftige  Wehen.  Muttermund  thalergross;  Blase 
stellt  sich. 

3)  Morgens  11  Uhr  Puls  72,  Temp.  der  Scheide  38,075; 
häufige,  kräftige  Wehen;  seit  V*  Stunde  ist  das  Fruchtwasser 
abgeflossen;  der  Muttermund  vollständig  erweitert. 

4)  Mittags  12  Uhr  5  Min.  Puls  76,  Temp.  der  Scheide  38,2 ; 
gleich  nach  der  Geburt:  Dauer  der  ersten  Periode  7Y4  Stunden, 
der  zweiten  Periode  1  Stunde  und  der  dritten  Periode  4  Minuten. 

3.  E.  B.y   geb.  N.,   22  Jahre,   Erstgebärende,   gross, 
blond,  kräftig. 

1)  Abends  7  Uhr  40  Min.  Puls  82,  Temp.  der  Scheide  38,31 ; 
Muttermund  sechsergross;  Wehen  regelmässig;   Schädellage. 


422  XXIII.     Winckelf  Temperatarverhältnisse 

2)  Abends  9V4  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,19; 
Muttermund  über  thalergross;  Blase  stellt  sich,  sehr  kräftige 
Wehen. 

3)  Abends  9%  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,125; 
Muttermund  vollständig  erweitert,  sehr  kräftige  Wehen  mit 
kurzen  Pausen. 

4)  Abends  101/«  Uhr  Puls  56,  Temp.  der  Scheide  38,075; 
gleich  nach  der  Gehurt:  Dauer  der  ersten  Periode  6  Stunden, 
der  zweiten  Periode  12  Minuten,  der  dritten  Periode  3  Minuten. 

Von  diesen  drei  Beispielen,  deren  die  Tabelle  noch  viele 
andere  aufweist,  zeigt  No.  1  die  Remission  der  Temperatur 
von  Abends  6  bis  Nachts  2  Uhr,  No.  3  von  Abends  73/4  bis 
10 V2  Uhr,  trotz  kräftiger  Wehen  und  rasch  voranschreitender 
Geburt.  —  In  No.  2  ist  die  morgendliche  Steigerung  von 
9  — 10  Uhr,  dann  die  Remission  von  10 — 11  Uhr  deutlich 
ausgedruckt,  schon  um  12  Uhr  Mittags  begann  aber  die  zweite 
Steigerung. 

Zuweilen  erschienen  die  Schwankungen  allerdings  nicht 
so  vollständig  harmonisch  mit  der  täglichen  Teraperalurcurve. 
So  ergeben  z.  B.  bei  einer  22jährigen  Secundipara  (Tab.  III., 
No.  28)  die  Messungen: 

Morgens       10  Uhr  38,25   —    11 V»  Uhr  38,45, 
Nachmittags   3     „    38,42,  Abends  6    „    38,1  und 
Abends  8Va„   38,05  gleich  nach  der  Geburl,  — 

wesentlich  ist  also  die  stets  um  einige  Zehntel  wechselnde 
Zu-  und  Abnahme,  aber  nie  zeigte  sich  eine  länger  dauernde 
constante  Zunahme  der  Temperatur. 

Ja  so  genau  stimmen  im  Allgemeinen  die  ermittelten 
Temperaturcurven  bei  der  Geburt  mit  der  täglichen  Normal- 
schwankung überein,  dass  sich  diese  in  den  gefundenen 
Durchschnittszahlen  aller  ganz  genau  wiederspiegelt.  Vergleiche 
hierzu  Tabelle  No.  IV. 

III.  Auch  daran  ist  der  physiologische  Verlauf  einer 
Geburt  zu  erkennen,  dass  die  gewöhnliche  (kaum  =  0,5°  C.) 
„Beweglichkeit  der  Eigenwärme4*  auch  inter  partum, 
bei  der  geringen  Temperaturerhöhung,  nicht  ab- 
norm gesteigert  ist.  Bei  24  von  jenen  40  Fällen,  in 
denen  unter  durchaus  regelrechtem  Verlaufe  mehrere  Messungen 


r 

bei  de 

r  Gebort  und 

im  Wochenbette 

>. 

423 

angestellt    wurden,    schwankte    die    Differenz    zwischen    den 

einzelnen   von  0,03—0,66   und   betrug   durchschnittlich  nur 

0,286°  C.   Nur  bei  stärkerem  Erbrechen  (z.  B.  No.  24)  wurde 

die  Schwankung  zuweilen  etwas  grösser  (0,81  °  C.) 

IV.    Sieht  man  von  diesen  normalen  Schwankungen  der 

Temperatur  im  Verlaufe   der  Geburt   ab   und   vergleicht   die 

mittlere     Wärmeproduction     in.    der     ersten     und 

zweiten  Geburtsperiode,    so   findet   man   mit  Hülfe   der 

Tabelle  Nachstehendes: 

(Tabelle  No.  III.  s.  die  Beilage.) 

Tabelle  No.  IV. 

Mittlere   Temperatur   bei   normalen    Geburten 

nach   der  Tageszeil. 

Zeit. 

Xo. 

Morgens 

NachaiittagB 

Abends 

Nacbts 

7  —  9  |9  — 11 

11  —  2 

2—4      4—6 

6__g   '   8  —  10 

10—12 

1 

38,225)  38,35 

37,91 

38,15 

38,75 

38,5        38,5 

38,125 

2 

38,525;  38,39 

38,19 

37,825 

38,35 

38,1        38,19 

37,626' 

3 

38,4 

38,075 

38,45 

38,42  |  38,6 

38,8     .  38,126 

38,26 

4 

38,626 

38,35 

37,975 

38,49  !  38,7 

38,4        38,82 

38,4 

5 

38,5 

38,38 

38,41 

37,89  1  38,525 

38,15      38,26 

38,41 

6 

38,0 

38,2 

38,2 

38,12  ,  38,45 

38,71   |  37,95 

38,1 

7 

38,1 

38,6 

38,38 

|  38,576 

38,46   !  38,15 

38,26 

8 

38,026 

37,82 

38,3 

i  38,45 

38,46      38,16 

9 

38,66 

38,52 

37,59 

j  38,726 

38,71    !  38,1 

10 

38,49 

38,4 

|  ' 

38,31       38,45 

11 

38,6 

38,19 

38,95 

12 

38,1 

38,3 

38,2 

13 

38,2 

38,025 

38,22 

14 

38,275 

% 

38,66   i 

15 

37,99 

38,39   l 

16 

38,25 

38,41   | 

17 

|  38,25 

| 

38,65 

18 

■  37,85  " 

38,59 

19 
20 

1 

|              | 

i 

38,69 

Summe 

498,34    688,186  342,406 

228,895j347,126 

730,63  [382,686 

267,360 

Mittel 

38,383 

1  38,232    38,045 

i 

38,149 

|  38,569 

38,46      38,268 

38,194 

Zahl  der 

feobtch. 

tonnen 

13    '     t8         y 

6            9 

19           10 

7 

Zeit 

7—9 

!  9—11 

j  11— 2 

2^-4~ 

I    4^-6 

1 

6—8" 

8— 10 

10—12 

424 


XXIII.     Winckely  TemperaturverhSlhrisse 


Bei  gesundheitsgemässen  Geburten  ist  also': 

1)  die  Temperatur  am  höchsten  Morgens  7—9;  Abends 
4—6  Uhr; 

2)  Abends  immer  etwas  höher  als  Morgens; 

3)  am  niedrigsten  Mittags  von  11  —  2  Uhr  und  Nachts  von 
10  Uhr  an; 

4)  die  Erhöhung  der  Temperatur  inter  partum,  im  Vergleich 
zu  der  ante  partum  beträgt  Morgens  0,183°  C,  Abends 
0,249°  C.  durchschnittlich; 

5)  die  Differenz  zwischen  höchsten  und  niedrigsten  Mittel- 
werlh  beträgt  nur  0,524°  C.\ 

6)  die  Differenz  je  zweier  aufeinanderfolgenden  Stunden 
war  am  höchsten:  Nachmittags  zwischen  2—4  und 
4—6  Uhr,  sie  betrug  =  0,42°  C. 

Bei  12  Messungen  in  der  zweiten  Periode  schwankte 
die  Temperatur  zwischen  38,075  und  38,6  und  betrug  durch- 
schnittlich 38,342°  C.  Zwölf  genau  zu  derselben  Zeit  in 
der  ersten  Periode  angestellte  Messungen  ergaben  für  diese 
einen  Mittelwerth  von  38,271°  C.  Das  Nähere  zeigt  die 
folgende  Tabelle: 

Tabelle  Ho.  Y. 


Zeit  der  Messung. 

No. 

der 

Tab.  IV. 

Erste 
Periode. 

No. 

der 

Tab.  IV. 

Zweite 
Periode. 

Morgens       108/4  Uhr 

4. 

_ 
38,35 

2 

38,075 

Abends          9%     „ 

10 

37,96 

3 

38,126 

Morgens       10         „ 

23 

38,3 

•    13 

38,52 

8%     . 

22 

38,525 

15 

38,6 

10 

28 

#  38,25 

22 

88,19 

9fr     » 
Abends          6y4     „ 

Naohmittags  4%    „ 

3y9    „ 

8 

38,2 

23 

38,4 

16 

38,39 

28 

38,1 

36 

38,726 

31 

38,45 

9 

38,12 

33 

38,49 

Abends         10%     „ 
Morgens        7y9     „ 

30 

38,1 

34 

38,26 

22 

38,226 

35 

38,5 

Abends        1074    » 

28 

1 

38,125 

38 

I 

38,41 

• 

12 

469,260 

ii    | 

460,110 

Hiernach  ist  al 
zweiten  Periode  um 


Erste  Zweite 

Periode:  38,271.         Periode:  38,34t. 

so  die  Wärraeproduction   in   der 
0,071°  höher  als  in  der  ersten. 


No. 

Alter. 

Erst- 
oder 
Mehr- 
ge- 
bärende. 

Mess 
in 

I. 

Pe- 
riode. 

ungen 
der 

II. 

Pe- 

riode. 

Morgens 
2  —  9  Uhr.      9— 10  Uhr. 

Vormi 
10— l 

- 1 

1 

22  Jahre. 

Lp. 

3 

• 

2 

34       „ 

I. 

2 

1 

— 

9Y.            9% 
38,35  . .  38,39 

10! 
.  .  38,' 

3 

22       n 

I. 

2 

1 

_ 

— 

- 

4 

28       „ 

I. 

4 

— 

8% 
38,55  .  . 

' ;  io% 

-           !38,86 . 

5 

26       „ 

I. 

2 

— 

— 

1         i 

—         -         -i 

B 

24      „ 

23       , 

I. 
I. 

4 

1 

1- 

9"/4 

:*8,38  .  . 

..  .38 

7 

~~ 

8 

22      , 

I. 

1 

9% 
38,2    .. 

9 

22      „ 

I. 

3 

' 

— 

— 

11 
38, 

10 

23      n 

I. 

2 







10 
38j 

11 

26      „ 

I. 

1 

— 

1 

12 

30      „ 

I. 

2 

— 

—     • 

— 

t 

13 

25      n 

1. 

1 

1 

— 

38,49  .  . 

10 

•  -38, 

14 

28      „ 

I. 

■ 

~~ 

— 

9'A 
37,82  .  . 

• 

i 

15 

27      „ 
25      „ 

I. 
I. 

2 

1 

8V« 
38,6  .  .  . 

....» 

16 



_ 

17 
18 

25       „ 
23      „ 

I. 
I. 

2 

1 

77*            9 
38,1  . .  38,2 

9% 
38,4  .  .  . 

. . .  .i 

19 

29      „ 

I. 

4 

— 



■i 

20 

23      „ 

I. 

2 

- 

* 

Tabelle  Ho.  in. 
3mperaturmessangen   bei  normalen  Geburten. 


achraittags 


Uhr.    6  — 7  Uhr. 


Nachts 
7  —  2  Uhr. 


,89 


5 


,12 


*Y4 

*,6. 


2 
8,3 


e 

38,75 


,  38,71  .  .  3ö,5  . 


5% 
.  38,525 


I     7"A  9%  *V«    r 

—       ^38,31.  38,19  *3H,125 


i1/-  » 

38,35  .  3H,82  .  . 

7 

38,8 


7 

38,22 


37,95 


io'A 
38,65  .  .  38,1 


38,61 


38,39  . 


6V4 
.  38,41  . 

6% 
38,59  . 


7Y* 
38,65 

7 
38,59 


Gleich 
nach  der 
Geburt. 


10% 
38,20 


38,2 

38,2 

38,075 

38,15 

38,52 

38,7 

38,7 
38,22 

37,95 

38,2 

38,09 

38,25 

38,59 

38,4 

38,59 
38,5 
38,62 
:)8,6 

38,45 


Stande 

der 
Gebart. 


Uhr 
Morgen  «2 l/4 

Mittags  12 

Abends  10% 

Nachm.    4}/%t 

Morgens  2a/4 

Morgens  6 

Morgens  8%. 
Abends    S\/4' 

Abends  10'/4 

Abends  10»/4 
Abends  7V4 
Morgens  38/4 

Mittags  12  % 

Mittags     1    ■ 

Morgens  10% 
Nachts      1 
Mittags   12 
Morgens  11  ( 
Abends    9s/i 


Abends    81/ 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  425 

Man  könnte  dasselbe  auch  noch  auf  einem  zweiten  Wege 
annähernd  zu  ermitteln  suchen,  indem  man  nämlich  jene 
12  Messungen,  welehe  meist  im  Anfange  der  zweiten  Periode 
vorgenommen  wurden,  mit  der  Temperatur  gleich  nach  der 
Geburt  zusammenhielte.  Diese  betrug  bei  denselben  durch- 
schnittlich 38,348°  C.  Die  Differenz  von  0,008°  käme  dann 
auf  die  zweite  Periode  allein.  Freilich  kann  man  hieraus 
keineswegs  einen  nur  einigermaassen  richtigen  Schluss  auf 
den  Grad  der  Erhöhung  ziehen,  sondern  auch  hieraus  wurden 
wir  nur  das  Resultat  gewinnen,  dass  die  Temperatur  in 
der  zweiten  Periode  überhaupt  etwas  höher  als  in 
der, ersten  Periode  ist,  dass  die  Differenz  aber  nur 
unbedeutend   sein  kann.  — 

Y.  Frühzeitiger  Wasserabfluss,  wenn  derselbe 
nicht  durch  Erkrankung  der  Genitalien  (Colpitis  und  Endo- 
metritis) bedingt  war,  blieb  gewöhnlich  ohne  Einfluss 
auf  die  bei  der  Geburt  entwickelte  Wärme;  Tab.  111. 

Beispiele:  No.  14.  Erstgebärende.  Wasserabfluss  bei  kaum 
geöffnetem  Muttermunde.  Geburtsdauer  15%  Stunden.  Tem- 
peratur Morgens  9%  Uhr  37,8°  C;  Mittags  1  Uhr  38,4°  C.\ 
ebenso  No.  39. 

No.  27:  Wasserabfluss  mit  Beginn  der  Wehen.  Primipara. 
Geburtsdauer  10%  Stunden.  Temperatur  Morgens  11  Uhr 
38,25,  Mittags  12%  Uhr  87,75°  C. 

No.  37.  Wasserabfluss  64  Stunden  vor  Beginn  der  Geburt, 
aus  unbekannter  Ursache;  Partus  praematurus  hei  einer  Mehr- 
gebärenden im  Anlange  des  neunten  Monats.  Geburtsdauer 
12  Stunden;  Temperatur  Abends  6%  Uhr  38,71;  Abends 
11%  Uhr  38,4;  folgenden  Morgens  7%  Uhr  38,6°  C. 

Aus  diesem  letzten  Falle,  sowie  aus  zwei  anderen  Bei- 
spielen von  vorzeitigen  Geburten  erhellt  ferner,  dass 
die  Temperatur  hei  denselben,  falls  die  Kreissende 
sonst  nicht  erkrankt  war,  nicht  höher  wie  bei  recht- 
zeitigen Geburten  stieg  und  denselben  Gesetzen  folgt. 
Dass  Erst-  und  Mehrgebärende  keinen  Unterschied  in  der 
Temperaturhöhe  inter  partum  boten,  geht  ebenfalls  aus 
Tabelle  No.  III.  hervor. 

MoimtüRchr.  f  ttplmrtsk.   18R   Bd.  XX  .  TTft.6.  2* 


426  XXIII.  '  Winckel,  Temp«raturverb»ltni8S6 

VI.  Die  Temperatur  gleich  nach  der  Geburt 
betrug  in  50  Fällen  durchschnittlich  38,362°  C.  —  Im  Ver- 
gleich zu  der  Temperatur  der  zweiten  Periode  war  sie  iu  der 
Regel  erhöht,  wenn  die  Geburt  in  der  Zeit  von  Morgens 
2 — 10  Uhr  und  Nachmittags  2 — 7  Uhr,  erniedrigt  aber, 
falls  diese  in  der  Zeit  von  10—1  und  Abends  7  bis  Nachts 
2  (Ihr  stattfand.     Ausnahmen  kamen  jedoch  öfter  vor. 

Inwiefern  durch  die  Stärke  der  Wehen  und  die  Dauer 
der  zweiten  Periode  der  Temperaturgrad  gleich  nach  der 
Geburt  beeinflussl  wurde,  soll  später  bei  Betrachtung  der 
ersten  Temperalurveränderung  im  Wochenbette  genauer  aus- 
einandergesetzt werden.  Hier  nur  so  viel,  dass  bei  kurzer 
Dauer  der  zweiten  Periode  mit  kräftigen  Wehen  im  Durch- 
schnitt von  32  Fällen  die  Temperatur  =s  38,288°  C.  betrug, 
bei  sehr  kräftigen  (10  Fälle)  Wehen  durchscbnitllich  = 
38,335  °  C.  und  endlich  bei  längerer  Dauer  und  grösserer 
Anstrengung  in  der  zweiten  Periode  sich  im  Mittel  (12  Fälle) 
eine  Temperatur  von  38,558°  C.  zeigte. 

Ebenso  führen  wir  schliesslich,  nur  mit  Hinweis  auf  später 
folgende  ausführlichere  Data,  kurz  an:  dass  nach  alleri 
normalen  Geburten  die  Temperatur  im  Wochen- 
bette innerhalb  der  nächsten  zwölf  Stunden  etwas 
steigt  (in  25  Fällen  durchschnittlich  =  0,45°  C.)  und  erst 
in  den  zweiten  zwölf  Stunden  post  partum  in  der 
Regel  fällt  —  Resumiren  wir  nun  in  wenigen  Worten  die 
Ergebnisse  der  Temperaturbestimmung  bei  normalen  Geburten, 
so  zeigte  sich  die  aligemeine  Wärme  immer  etwas  erhöht,  in 
der  Wehe  selbst  eine  kleine  Steigerung  derselben,  Zurück- 
sinken in  der  Wehenpause.  Der  Grad  der  Erhöhung  über- 
haupt unterliegt  den  täglichen  Normalschwankungen,  —  scheint 
aber  in  der  zweiten  Periode  etwas  stärker  zu  sein,  als  in 
der  ersten.  Die  Differenz  ist  jedoch  nicht  erheblich,  wenn 
die  Wärmemoderatoren  normal  funetioniren. 

Die  Temperatur  gleich  nach  der  Geburt,  wenig  höher 
als  die  inter  partum,  richtet  sich  im  Vergleich  zu  dieser  im 
Allgemeinen  auch  nach  der  Tageszeit  und  endlich  ist  die  nächste 
Folge  einer  jeden  normalen  Geburt  eine  massige  Steigerung 
der  Temperatur  in  den  ersten  zwölf  Stunden  des  Wochenbetts.  — 


bei  der  Gebort  and  im  Wochentette.  427 

Bier  mag  nun  zuerst  dt* 

*)  Temperaturcurve  einer  durch  teberhafte  Brkranko&g 
der  Matter  complicJrten  Gebart 

folgen,  da  die*  bis  jetzt  der  einzige  Fall  ist,  den  wir  beobachten 
konnten  und  zur.  ßeurtheitung  des  Temperalurverhaltens  bei 
Wehenanomaiien  durchaus  nothwendig  ist. 

L.  F.,  Secundipara,  29  Jahre,  Partus  praematura»  initio 
mens.  X.  nach  vorzeitigem  Wasserabflüsse.  Leichter  Bronchial- 
und  Darmkatarrh. 

1.  Vor  der  Geburt:  Abgang  des  Fruchtwassers  am 
24.  Juli  Morgens  8  Uhr  —  bei  schwerer  Arbeit;  bald  hernach 
leises  Ziehen  im  Kreuze;  ging  Nachmittags  2  Uhr  der  Anstalt  zu. 

24.  Juli  Nachmittags  23/4  Uhr  (gleich  nach  der  Ankunft) 
Temperatur  der  Scheide  38,225. 

Abends  6  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,15. 

Abends  73/4  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,15;  seltenes 
Ziehen  im  Kreuze;  die  Eihäute  scheinen  sich  dabei  vom  Kopfe 
abzuheben,-  der  Scheidentheil  ist  noch  V«  Zoll  lang. 

Abends  10%  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,0;  Wehen 
sind  noch  nicht  vorhanden;  etwas  Wasserabgang. 

Erst  am  27.  Juli  Nachmittags  43/4  Uhr,  also  80—81  Stunden 
nach  dem  Wasserabflüsse,  begann  die  WehenthätigkeiL  In- 
zwischen hatte  sich  Gravida  durch  Erkältung  etwas  Husten 
ohne  Auswurf  und  Diarrhoe  zugezogen. 

27.  Juli.  Abends  6  Uhr  Puls  120,  Temperatur  der  Scheide 
39,5;  Muttermund  geöflnet,  Scheidentbeil  fast  ganz  ver- 
strichen, Fruchtwasser  geht  noch  ab.  Die  Haut  ist  trocken 
und  etwas  heiss.  Die  Zunge  rein  und  feucht.  Die  Scheide 
mit  reichlicher  Schleimabsonderung  zeigt  dicht  an  der  hinteren 
Commissur  ein  sechsergrosses  Ulcus  mit  graugelbem  Belag,  — 
sonst  keine  Erkrankung. 

Abends  6%  Uhr  Puls  128,  Temperatur  der  Scheide  39,45, 
Temperatur  der  Achselhöhle  39,19,  Differenz  0,26.  Alle 
1V2 — 2  Minuten  eine  massig  schmerzhafte  Webe;  der  Mutter- 
mund zwei-  bis  viergroschengross,  seine  Lippen  noch  dick; 
etwas  Kopfgeschwulst. 

Abends  7l/2  Uhr  Puls  124,  Temperatur  der  Scheide  39,3; 
Muttermund  thalergross,  seine  Lippe*  dünner;  Wehen  massig 
stark;  Haut  noch  trocken;  Ipecacuanha  ad  nauseam. 

28* 


428  XXIII.'    Winckely  TeinperaturverbUltniflse 

Abends  8V2  Uhr  Puls  124,  Temperatur  der  Scheide 
39,125;  Muttermund  über  zweithalergross ;  die  Wehen  kräftig; 
Muttmnundslippen  fein  verstrichen;   massige  Kopfgeschwulst. 

Abends  9%  Uhr  Puls  124,  Temperatur  der  Scheide  38,9 
gleich  nach  der  Geburt  Die  erste  Periode  dauerte  nur 
4  Stunden,  die  zweite  V4  Stunde,  die  dritte  5  Minuten.  Der 
Blutverlust  war  massig.  —  Die  Temperatur  am  folgenden 
Morgen  betrug  38,35,  Abends  38,5  und  wieder  12  Stunden 
weiter  38,60(7. 

Wie  schön  ist  auch  in  diesem  Falle  das  Sinken  der 
Temperatur  von  Abends  6  Uhr  bis  9'/4  Uhr  von  Stunde  zu 
Stunde  zu  verolgen!  Bedarf  es  ausser  dem  ganzen  Verlaufe 
in  der  Dauer  der  Geburt  noch  eines  Beweises,  dass  hier  das 
Fieber  nicht  durch  eine  Erkrankung  der  Genitalien,  namentlich 
aber  nicht  durch  Webenanomalie,  sondern  einfach  durch  den 
bestehenden  Bronchial-  und  Darmkatarrh  bedingt  wurde? 
Evident  beweist  dieser  Fall,  dass  also  auch  bei  Geherhaften 
Erkrankungen  der  Kreissenden,  die  mit  der  Schwangerschaft 
und  Geburt  in  keinem  directen  Zusammenhange  stehen,  sich 
die  gewöhnlichen  Temperaturschwankungen  geltend  machen. 
Und  wenn  hier  der  nächste  Effect  der  Geburt  auch  durch 
den  notwendigen  Blutverlust,  die  vermehrte  Hautthätigkeit  etc. 
ein  fiebervermindernder  war,  so  zeigte  sich  doch  bald  die 
allen  normalen  Geburten  folgende  Temperaturzunahme  von 
38,35—38,6°  C.  etc.    Das  Wochenbett  verlief  sehr  gut. 

Leider  kann  ich  diesem  interessanten  Falle  keine  analogen 
mehr  hinzufügen.  Es  sei  mir  jedoch  gestattet,  kurz  auf 
die  Bedeutung  hinzuweisen,  welche  die  Tocothermometrie  für 
ähnliche  Fälle  erlangen  kann.  Bekannt  ist,  dass  bei  vor- 
handener Tuberculose  der  Lungen  namentlich  der  Geburtsact 
und  das  Wochenbett  (Blutverlust  etc.)  gewöhnlich  den  un- 
günstigsten Einfiuss  auf  den  Fortschritt  des  Leidens  ausüben. 
Es  wäre  zunächst  also  von  Interesse,  zu  untersuchen,  ob 
hier  etwa  mit  der  Dauer  der  Geburt,  der  steigenden  Thätigkeit 
der  Respirationsorgane  auch  eine  constante  Steigerung  der 
Temperatur  Hand  in  Hand  ginge;  ja  man  würde  hier  durch 
den  Thermometerstand  eine  directe  Indication  zur  raschen 
künstlichen  Beendigung  der  Geburt  finden  können,  wenn  bei 
normal    voranschreitender    Geburt    etwa    eine    beträchtliche 


bei  der  Gebart  und  im  Wochenbette.  429 

Temperaturerhöhung  sich  zeigte.  —  Wichtig  für  Prognose, 
Prophylaxis  und  Therapie  werden  ferner  thermometrische 
Untersuchungen  bei  Kreissenden  mit  Herz-,  Magen-  und 
Nierenleiden,  mit  Epilepsie  und  Eclampsie  etc.  sein,  —  kurz, 
es  bleibt  hier  dem  Thermometer  noch  ein  grosses  Feld  zur 
Untersuchung.  Hoffen  wir,  dass  dasselbe  bald  und  gründlich 
bebaut  wird!  — 

e)  Temperatnnnewungen  bei  WehenanomaUea. 

Wigand,  der  eigentliche  Begründer  der  Wehenlehre, 
beginnt  das  Kapitel  „von  den  Krämpfen  in  der  Gebärmutter 
oder  den  Krampfwellen "  §  87  mit  den  Worten:  „Wir  kommen 
jetzt  an  einen  der  interessantesten  aber  auch  schwierig- 
sten und  dunkelsten  Gegenstände  der  praktischen 
Geburtshülfe  und  zwar  an  die  unregelmässigen,  falschen 
oder  unrechten  Bewegungen  im  Uterus,  die  wir  mit  dem 
Namen  eines  Krampfes,  einer  Krampfwehe  belegen/4  Wohl 
gilt  dieser  Ausspruch  auch  heute  noch,  denn  wenn  schon  ein 
grosser  Theil  der  Geburtshelfer  der  Wigand'schexi  Eintheilung 
getreu  clonische  und  tonische,  allgemeine  oder  partielle 
Contractionen  des  Uterus  unterscheidet,  so  giebt  es  auch 
heutzutage  noch  namhafte  Autoritäten,  welche  die  Möglichkeil 
einer  Krampfwehe  überhaupt  leugnen  und  das  für  abnorm 
gesteigerte  Sensibilität  ansehen,  was  Andere  für  anomale 
Muskelcontraction  halten.  Der  Begriff  einer  Krampfwehe  muss 
also  noch  gar  nicht  so  sicher  festgestellt  sein,  wenn  man 
über  ihre  Existenz  überhaupt  noch  streiten  kann.  —  Hohl 
sagt  (§  226  seines  Lehrbuchs)  „die  Erkenntniss  der  Wehen- 
schwäche ist  nicht  immer  leicht"  und  später:  pag.  488  „die 
Diagnose  der  Krampfwehen  ist  nicht  besonders  schwierig/*  — 
Das  Letztere  trifft  nicht  immer  zu.  Bisweilen  ist  die  Diagnose 
einer  Strictur,  namentlich  in  der  Austreibungsperiode  sehr 
schwierig;  denn  keins  der  bis  jetzt  gekannten  Symptome 
derselben  ist  wirklich  pathognomisch.  Eine  ungleiche  Con- 
traction  des  Uterus  ist  durchaus  nicht  immer  durch  die  Bauch- 
decken hindurch  zu  erkennen;  bei  Schmerzhafügkeit  des  Uterus 
selbst  ist  manchmal  kaum  zu  unterscheiden,  ob  Wehenpausen 
eingetreten  sind  oder  nicht;  giebt  es  doch  Fälle,  in  denen,  bei 


430  XXIII.     Winekelf  TeinpcratnryerhäHniflfle 

Mehrgebärenden  sogar,  durch  die  starke  Spannung  der  Baueh- 
decken  Kindestbeile  kaum  mit  Sicherheit  durchgefühlt  werden 
können.  —  Andrerseits  ist  oft  bei  notorisch  vorhandener 
Strictur,  der  als  „ganz  eigentümlich"  beschriebene  Wehen- 
schmerz kaum  der  Art,  dass  er  die  Kreissende  zu  einer 
Scbmerzensäusserung  überhaupt  brächte  —  von  einem  evi- 
dentem Fall  der  Art  weiter  unten  —  und  endlich  kann  dir 
wachsende  Kopf-  resp.  Kindesgeschwulst  ein  Vorrücken  des 
Kindestheiles  simuliren,  welches  erst  recht  jeden  Anhaltspunkt 
zur  Diagnose  einer  krampfhaften  Uterusconlraction  abschneidet. 
Mit  diesen  Wigan ef  sehen  Hauptkennzeichen  einer  Krampfwehe 
sind  wir  also  nicht  immer  im  Stande  eine  solche  wirklich 
zu  erkennen.  Wie  mancher  Geburshelfer  hat  nicht  schon  bei 
normalem  Verhältnis*  von  Kopf  lind  Becken  in  der  zweiten 
Periode  nach  fruchtlosen  Anstrengungen  erschöpft  die  Zange 
abgenommen  und  endlich  durch  die  Naturkräfte  ein  lebendes 
Kind  gebären  sehen  ?  —  Alte,  erfahrene  Geburtshelfer  werden 
freilich,  indem  sie  die  ganze  Summe  der  Symptome  richtig 
auffassen,  selten  solche  diagnostische  Fehler  begehen  —  allein 
von  Studirenden  habe  ich  gar  oft  die  Frage  gehört:  wober 
hier  „Krampfwehe  und  nicht  Wehenschwäche?"  —  ihnen 
erschienen  nicht  selten  die  genannten  Symptome  zu  subjeetiv 
ausgebeutet,  da  gerade  die  Uebergangsformen,  die  am  häufigsten, 
auch  am  schwersten  zu  unterscheiden  sind.  Sehen  wir,  ob  hier 
das  Thermometer  uns  helfen  kann.  —  Wir  beginnen,  behufs 
der  differentiellen  Diagnose  mit  einem  Falle  von 

1.  Wehenschwäche  bei  fehlerhafter  Gestalt  des  Uterus 
(Graviditas  duplex  in  utero  duplici  [?]). 

L.  K.,  28  Jahre,  Erstgebärende. 

Morgens  9  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,02,  der 
Achselhöhle  37,7;  seit  6  Uhr  Wehen;  Muttermund  geöffnet; 
Lippen  dick;  Wehen  selten  und  schwach.     Schädellage. 

Nachmittags  2  Ubr  Temperatur  der  Scheide  37,79,  Achsel- 
höhle 37,325;  Wehen  selten,  wenig  wirkend  nach  Clysma- 
Stuhigang;  hat  nichts  zu  Mittag  genossen. 

Abends  6  Uhr  Puls  68,  Temperatur  der  Scheide  37,975, 
Achselhöhle  37,70;  die  Weben  etwas  kräftiger,  der  Muttermund 
viergroschengross;  Blase  stellt  sich;  —  grosse  Pausen. 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  431 

Abends  7  Uhr  Temperatur  der  Schrieb  37,975,  Achsel- 
höhle 37,7;  Muttergrund  zweithalergross;  Blase  sprungfertig; 
bat  am  ganzen  Tag  Nichts  genossen. 

Abends  9V2  Uhr  in  der  zweiten  Periode:  Temperatur  der 
Scheide  37,8,  Achselhöhle  37,45;  seit  3/4  Stunden  der  Mutter- 
mund vollständig  [erweitert,  —  alle  V/% — 2  Miuulen  eine 
Presswehe.  — 

Abends  103/4  Uhr  Wasserahfluss.  In  der  zweiten  Periode: 
Seeale.  Endlich  Nachts  12  Uhr  nach  15slfindiger  Dauer 
der  ersten,  fast  dreistündiger  Dauer  der  zweiten  Periode 
wurde  ein  reifer  lebender,  kräftiger  Knabe  geboren;  —  die 
Placenta,  nach -5  Minuten  mit  massigem  Blutverluste  heraus- 
gedrückt, bot  nichts  Abnormes;  der  Uterus  war  gut  zu- 
sammengezogen. 

Nachts  127a  Uhr  gleich  nach  der  Geburt  Temperatur 
der  Scheide  38,25.  — 

Genau  36  Stunden  nach  Vollendung  der  ersten  Geburt 
ging,  ohne  alle  Wehen  beim  Versuch  Urin  zu  lassen  ein 
zweiter  sogenannter  Foetus  papyraceus  ab,  der  die  Ausbildung 
einer  fünfmonatlichen  Fruchtzeigle,  und  durch  die  lange,  stark 
gedrehte  Nahelschnur  mit  seiner  ganz  platten,  fettig  de- 
generirten  Placenta  zusammenhing.  Die  Untersuchung  der 
zum  Theil  zurückgebildeten  portio  vaginalis  am  14.  Tage  des 
Wochenbettes  Hess  einen  von  der  vordem  Lippe  ausgehenden 
Vorsprung,  der  den  Muttermund  in  zwei  Hälften  trennte  er- 
kennen. 

Die  fünf  ersten  Messungen  fanden  hei  diesem  Falle  in  der 
ersten  Periode  statt  und  bei  keiner  einzigen  erhob  sich  die 
Temperatur  der  Scheide  auch  nur  bis  zu  dem  oben  für  die 
Schwangerschaft  angegebenen  Mittel  wert  h  (Morgens  38,15, 
Abend»  38,22).  Natürlich!  denn  Kreissende  mit  seltenen  und 
schwachen  Wehen  gleichen  vollkommen  hungernden  und  ruhen- 
den Menschen.  Die  sparsam  auftretenden  Wehen  produciren 
nicht  soviel  Wärme  um  die  durch  die  verminderte  Nahrungs- 
zufuhr, und  die  stärkere  Hautabkühlung  und  die  lange  Ruhe 
bedingte  Temperaturabnahme  zu  compensiren.  Daher  sind  auch 
jene  fünf  Messungen  alle  unter  dem  Durchschnittswert ;  ja  nach 
3  stündiger  Dauer  der  zweiten  Periode  zeigte  unmittelbar  post 
partum  die  Scheide  eine  Temperatur,  die  sich  nur  um  0,03°  C. 


432  XXIII.    Winckel,  Temperaturverhältnisse 

über  die  mittlere  Abendtemperatur  erhob.  Die  grösste  Differenz 
bei  der  Geburtbetrug  0,22°  C.  und  Steigen  und  Fallen  des 
Thermometers  folgte  genau  der  gewöhnlichen  Zeit  — 

2.     Unregelmässige  Uteruscontractionen; 

a)  durch  vorwiegende  Zusammenziehung  ein- 
zelner Fasern  —  strictura  uteri  bedingt  durch  fehler- 
hafte Lage  der  Frucht  (Schieflage)  Partus  praematura 
mens.  VII. 

J.  S.,  23  Jahre,  Zweitgebärende. 

Die  erste  Entbindung  war  leicht  —  Frühgeburt  im  achten 
Monate  angeblich  nach  einem  Falle.  —  Bis  voi:  ffirof  Wochen 
gesund  will  Gravida  dann  in  Folge  einer  schweren  Anstrengung 
heftigen  Frost  bekommen  und  seitdem  keine  Kindsbewegung 
mehr  verspürt  haben.  In  den  letzten  Wochen  stellte  sich 
öfter  Frost  ein,  dabei  klagte  sie  über  Mattigkeit,  Uehelkeit 
und  unangenehme  Schweisse.  Seit  dem  24.  Juli  Abends 
11 7s  Uhr  hatten  sich  Wehen  eingestellt 

Am  25.  ging  sie  der  Anstalt  zu. 

Morgens  11  Uhr  Puls  96,  Temperatur  der  Scheide  38,7 ; 
der  Fundus  uteri  steht  in  der  Höbe  des  Nabels ;  Herztöne  sind 
nicht  zu  hören  —  ebensowenig  mit  Sicherheit  bestimmte 
Kindestheile  durchzufühlen;  die  Scheide  glatt,  schlüpfrig,  nor- 
mal; der  Muttermund  vollständig  erweitert;  die  Blase  tief  im 
Becken;  die  Wehen  regelmässig  und  kräftig;  vorliegend  ist 
sehr  hoch  nur  ein  kleiner  Theil  zu  fühlen.  —  Digestions-  und 
Respirationstractus  gesund.  —  Hat  einen  längern  Weg  zu 
Fuss  gemacht.  - 

Mittags  12  Uhr  Puls  92,  Temperatur  der  Scheide  38,59; 
trotz  regelmässiger,  starker  Wehen  sind  die  Eihäute  noch 
nicht  geplatzt,  der  vorliegende  Theil  nicht  tiefer  herabgfedrückL 

Zwischen  12  und  1  Uhr  erfolgte  dann  der  Blasensprung. 

iNachmittags  2  Uhr  Puls  88,  Temperatur  der  Scheide 
38,9;  Parturiens  hat  Nichts  zu  Mittag  genossen.  Nach  dem 
Wasserabfluss  glitt  der  rechte  Arm  in  die  Scheide  herab,  die 
rechte  Schulter  trat  in  den  Muttermund;  —  es  zeigte  sich 
mithin  eine  deutliche  Schieflage  der  Frucht;  Kopf  rechts, 
Bauch  nach  vorn.     Zugleich  liess  sich  aus  der  Beschaffenheit 


bei  der  Gebart  and  im  Wochenbette.  433 

des  Armes  schliessen ,  das»  das  Kind  nicht  gross  und  längere 
Zeit  abgestorben  sei. 

Bei  dem  Versuche  die  Selbstentwickelung  durch  Ziehen  an 
dem  vorgefallenen  Arme  zu  befördern,  äussert  Parturiens  leb- 
hafte Bauchschmerzen  und  man  fühlt  dann  den  innern  Mutter- 
mund stärkern  Widerstand  leisten.  —  Alle  2 — 3  Minuten 
tritt  eine  sehr  schmerzhafte,  ganz  wirkungslose  Wehe  ein. 

Nachmittags  2s/4  Uhr  Puls  88,  Temperatur  der  Scheide 
39,1 ;  die  Wehen  sind  sehr  schmerzhaft,  es  sind  keine  Press- 
wehen, sie  repeliren  alle  2 — 3  Minuten  und  klagt  dabei  die 
Kreissende  über  Uebelkeit;  der  innere  Muttermund  hat  sich 
fest  um  die  rechte  Schulter  contrahirt.  — 

Es  wurde  nun  um  3  Uhr  Nachmittags,  da  die  Geburt 
nicht  voranschritt,  und  die  Wendung  entschieden  contraindicirt 
war,  durch  Einhaken  zweier  Finger  oberhalb  der  kurzen  Rippen 
das  Steissende  der  Frucht  mit  einiger  Mähe  eingeleitet  und 
der  marcerirte  FWus  in  der  Narcose  extrahirt;  derselbe  wog 
2  Pfd.  1  Lth.;  der  Kopf  war  ziemlich  gross.  Der  Blutverlust 
war  gering,  die  Placenta  wurde  nach  10  Minuten  heraus- 
gedrückt. Gleich  nach  der  Geburt:  Nachmittags  3%  Uhr 
betrug  die  Temperatur  der  Scheide  38,9;  Abends  8  Uhr  Puls 
92,  Temperatur  der  Scheide  38,69  und  am  folgenden  Morgen 
7  Uhr  Temperatur  der  Scheide  38,45°;  das  Wochenbett  ver- 
lief ohne  jede  Störung.  — 

Hier  verlief  also  bei  regelmässigen,  kräftigen  und  wirk- 
samen Wehen  die  erste  Periode  durchaus  normal.  Die  keines- 
wegs abnorm  erhöhte  Temperatur,  welche  nach  einem  längern 
Gang  nur  38,7°  betrug,  nahm  bis  gegen  Mittag  noch  um 
0,11  °tC.  ab;  nach  dem  Biasensprunge  aber  trat  sofort  mit 
Beginn  der  Wehenanomalie  eine  ungewöhnlich  hohe  (—  39, PC) 
Temperatursteigerung  ein,  die  einzig  und  allein  von  der  fühl- 
baren festen  Strictur  des  inneren  Muttermundes  abhängig, 
genau  so  lange  anhielt  wie  diese,  mit  der  Dauer  derselben 
noch  stieg  (38,9 — 39,1°  C.)  und  direct  mit  Beseitigung  der- 
selben durch  die  künstliche  Beendigung  der  Geburt,  trotzdem 
dass  diese  in  die  Zeit  der  Temperaturzunahme  fiel  einem 
ungewöhnlichen  Sinken  der  Temperatur  von  38,9  auf  38,69, 
auf  38,45°  C.  Platz  machte.  — 


434  XXIII.    Winkel,  TeroporAtnrverltHltnisse 

Wichtiger  ist  noch  der  folgende  Fall: 

b)  Abnorm  starke  Spannung  des  ganzen  Uterns 
(Tetanus  uteri)  in  der  ersten  Periode  durch  Sccale 
veranlasst 

J.  F.,  31  Jahre,  Zweitgehärende ;  war  in  der  Schwanger- 
schaft ganz  gesund,  5 '4  Standen  vor  Beginn  der  Wehen- 
thätigkeit  floss  das  Fruchtwasser  ah.  Kurz  nachher  betrug, 
nach  einem  weiten  Gange,  den  Gravida  bis  zur  Anstalt  machte, 
Abends  103/4  Uhr  die  Temperatur  der  Scheide  38,62.  Erst 
in  der  Nacht  um  lJ/2  Uhr  zeigten  sich  die  ersten  Wehen, 
anfangs  noch  selten  und  schwach.  Zwischen  ö  und  6  Uhr 
Morgens  erhielt  Parturiens  von  dem  durch  Warten  ermüdeten 
Praktikanten  einige  Dosen  Seeale.  als  der  Muttermund  kaum 
zehngroschengross  war.  Bald  nachher  wurden  die] Wehen  häufiger 
und  schmerzhafter  —  allein  die  Erweiterung  des  Muttermunds 
schritt  nicht  mehr  voran.  Um  9  Uhr  Vormittags  betrug  die 
Temperatur  der  Scheide  38,79;  es  zeigte  sich  etwas  Kopf- 
geschwulst, der  Uterus  hart  und  empfindlich.  Die  krampfhafte 
Contractiou  der  Circularfasern  des  untern  Gebärmutterabschnitts 
wurde  immer  starker;  Parturiens  erhielt  daher  Tart.  slib.  mit 
Ipecacuanha  bis  reichliches  Erbrechen  erfolgte,  dennoch  stieg 
bis  um  11  Uhr  Vormittags  die  Temperatur  der  Scheide  auf 
39,15°  C;  die  Kreissende  klagte  fortwährend  über  sehr  leb- 
haften Schmerz  in  der  rechten  Inguinal  gegen  d  und  der  tief 
im  Becken  stehende  Kopf  hat  trotz  allmälig  zunehmender 
Kopfgeschwulst  den  Muttermund  kaum  auf  Zweitlialergrösse 
gebracht.  Die  Scheide  ist  glatt,  schlüpfrig,  keineswegs  heiss, 
der  Puls  hat  88  Schläge.  —  Es  wurde  ihr  nun  ein  Sinapis- 
mus  aufs  Kreuz  und  bald  darauf  auch  auf  das  Abdomen 
gelegt.  Kaum  hatten  diese  beiden  Senfteige  die  Haut  lebhaft 
geröthet,  so  schritt  die  Erweiterung  des  Muttermunds  rasch 
voran  und  zwei  bis  drei  kräftige  Weben  genügten  das  ganze 
Kind  lebend  hervorzutreiben.  Direct  nach  dem  Durchschneiden 
des  Kopfes  folgten  mehrere  BJutcoagula  —  ein  Beweis  der 
vorzeitigen  Lösung  der  Nachgeburt.  Die  Nabelschnur  war 
nicht  um  den  Hals  geschlungen.  —  Die  erste  Periode  dauerte 
im  Ganzen  9  Stunden,  die  zweite  y4  Stunde,  die  dritte  nur 
3  Minuten.  Der  Blutverlust  war  gering.  Gleich  nach  der 
Geburt  Vormittags  11%  betrug  die  Temperatur  der  Scheid«1 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  435 

39,5°  C,  Nachmittags  5  Uhr  betrug  die  Temperatur  der 
Scheide  38,65  und  am  folgenden  Morgen  7y4  Uhr  die  Tem- 
peratur 37,6°  C.    Das  Wochenbett  verlief  sehr  gut. 

Da  Parturiens  Abends  vor  der  Geburt  durchaus  wohl,  kein 
Fieber,  keine  Beckenanomalie,  überhaupt  nichts  Abnormes 
zeigte,  als  den  vorzeitigen  Wasserabfluss,  und  di'pscr,  wie  wir 
gesehen,  keineswegs  einen  Eiufluss  auf  die  Temporal  url.Clic 
iuter  partum  hat,  wenn  er  nicht  durch  bestimmte  Erkrankungen 
der  Genitalien  bedingt  ist,  so  sind  wir  hier  um  so  mehr  ge- 
zwungen die  abnorme  Temperatursteigerung  der  anomalen 
Muskelcontraction  zuzuschreiben  als  sie  erst  mit  dieser  begann, 
mit  ihrer  Dauer  consequent  stieg  und  direct  nach  ihrer  Be- 
seitigung in  eine  ebenso  hohe,  als  ungewöhnliche  Tempe- 
ra turabnabme  von  39,5  auf  37,6°  C.  überging.  Die  höchste 
Differenz  zwischen  91/«  und  ll3/4  Uhr  betrug  0,71°  CA  — 

Die  vorzeitige  Lösung  der  Placenta  kommt  hier  wohl 
ebenfalls  auf  die  Wehenanomalie  in  der  ersten  Periode  und 
hieraus  sowie  ans  der  besonders  starken  Temperaturznnabme 
schliessen  wir,  dass  die  abnorme  Mnskelspannung  nicht  blos 
auf  das  untere  Uterinsegment  beschränkt  war,  sondern  sich 
mehr  weniger  auf  den  ganzen  Uterus  verbreitete  —  dass  mit- 
hin der  beschriebene  Zustand  einem  Tetanus  uteri  ähnlich 
war.  Dass  Seeale  diese  Folgen  haben  kann,  wenn  es  kräftig 
ist,  ist  bekannt,  da  sich  unter  seinem  Einflüsse  die  Gebär- 
mutterfaseru  stark  und  anhaltend  zusammenziehen,  die  Gefasse 
comprimiren  und  den  Kreislauf  in  der  Placenta  mehr  oder 
weniger  aufheben.  — 

In  diese  Kategorie  gebort  nun  noch  ein  Beispiel  von 
enormer  Strictur  des  innern  Muttermunds,  welches  im  Januar 
d.  J.  in  der  hiesigen  Entbindungsanstalt  vorkam.  Leider  stellte 
ich  damals  noch  nicht  fortdauernd  Temperaturmessungen 
inter  partum  an;  aber  durch  die  fühlbar  erhöhte  Temperatur 
der  Scheide  aufmerksam  gemacht,  führte  icb  das  Thermometer 
Abends  6%  Uhr  in  dieselbe  ein  und  fand:  39,75° CA  — 

Parturiens  war  ganz  gesund  gewesen  in  der  Schwanger- 

*  schaft  und  im  Anfange  der  Geburt  —  das  Wochenbett  verlief 

später    ohne  jede    Störung;    wir    können    also    auch    diese 

Temperaturerhöhung  nur  der  exquisiten  Strictur  des  inneren 

Muttermundes  zuschreiben,  welche  an  dem  mit  dem  Forceps 


436  XXIII.     Winckel,  Temperatarverhältnisse 

entwickelten  todten  Kinde  eine  evidente  Strangulationsmarke 
zurückliess;  —  alle  Theile,  welche  ausserhalb  des  Uterus 
gewesen,  Kopf,  Gesicht,  Hals  und  linke  Schulter  waren  tief- 
blauroth;  alle  anderen  während  der  Dauer  der  Strictur  noch 
im  Uterus  befindlichen  Theile :  Rumpf  und  untere  Extremitäten 
waren  Mass  und  in  Todtenstarre !  —  Die  Dauer  dieser  krampf- 
haften Contraction  betrug  ungefähr  6  Stunden,  —  die  Messung 
wurde  angestellt  zwei  Stunden  vor  Beendigung  der  Geburt 

Nach  Anführung  dieser  Beispiele  von  unregelmässiger, 
an  einzelnen  Stellen  besonders  überwiegender  Contraction  der 
Ulerusfasern,  ohne  gleichzeitige  Erkrankung  der  Genitalien, 
wird  Jeder  zugeben,  dass  für  sie  der  Name  „Kramp fwehen" 
um  so  mehr  passt,  als  nun  auch  ein  wesentliches  Merkmal 
der  krampfhaften  Zusammenziehung  —  die  steigende  Temperatur- 
erhöhung bei  derselben  —  unzweifelhaft  nachgewiesen  ist 

3.    Fehlerhafte  Wehenthätigkeit  bedingt  durch  Ver- 
wachsung des  äussern  Muttermunds. 

Bei  einer  31jährigen  Erstgebärenden,  die  Nachmittags 
4  Uhr  der  Anstalt  zuging,  gab  sich  der  Muttermund  nur  als 
erbsengrosse  Vertiefung  zu  erkennen ,  welche  keine  Blase  ein- 
treten liess  und  über  dem  tiefstehenden  Kopf  ziemlich  dick 
anzufühlen  war.  Abends  6%  Uhr  betrug  die  Temperatur  der 
Scheide  38,6° 6\;  häufige,  abnorm  schmerzhafte,  wirkungs- 
lose Wehen  quälten  die  Kreissende.  Abends  8  Uhr  war,  ohne 
dass  sich  irgend  eine  Veränderung  an  dem  conglutinirten  Mutter- 
munde gezeigt  hätte,  die  Temperatur  der  Scheide  bis  auf  38,9°  C. 
noch  gestiegen.  Bald  nachher  wurde  die  Exsudationsmembran 
im  Muttermund  mit  dem  Finger  zerrissen,  sofort  stellte  sich 
eine  Blase  in  den  Muttermund,  die  Temperatur  sank  bis 
auf  8%  Uhr  Abends  auf  38,8,  bis  10y4  Uhr  auf  38,49  und 
betrug  gleich  nach  der  sehr  rasch  verlaufene^  Geburt  Nachts 
12V4  Uhr  —  38,32°  C.  Die  erste  Periode  dauerte  nach  dem 
Zerreissen  jener  Membran  nur  2%  Stunden,  während  Partu- 
riens  vor  ihrem  Zugange  schon  8 — 10  Stunden  wehenartige 
Schmerzen  verspürt  haben  wollte. 

Dieser  Fall  erinnert  uns  lebhaft  an  die  oben  erwähnte 
Behauptung  von  J.  Btclard.  Denn  so  lange  ab  die  Ex- 
sudationsmembran ein  Eintreten  der  Blase  in  den  Mutlermund 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  437 

hinderte,  so  lange  also  durch  die  Wehen  nur  eine  gleich- 
massige  Spannung  des  ganzen  Uterus,  die  ohne  jeden  Effect 
blieb,  verursacht  wurde,  so  lange  stieg  die  Temperatur  selbst 
in  einer  Zeit,  in  der  die  Remission  in  der  Regel  beginnt. 
Sofort  nach  Beseitigung  des  Hindernisses  sank  sie  und  zwar 
in  einer  um  diese  Zeit  ungewöhnlich  starken  Weise,  um 
0,41°  C. ;  daraus  erbellt,  dass  die  Höhe  von  38,9°  C.  jedenfalls 
abnorm  sein  musste.  Ausser  der  erwähnten  Conglutination 
liess  sich  aber  kein  Grund  zu  dieser  ausnahmsweisen  Stei- 
gerung finden.  — 

4.     Wehenanomalie  bei  Colpitis  und  Endometritis. 

Für  diese  Formen  fehlerhafter  Wehen  sind  die  Temperatur- 
bestimmungen während  der  Geburt  ganz  besonders  wichtig. 
Sowohl  der  Diagnose  wegen ,  als  auch  in  Betreif  der  Therapie. 
Was  die  Diagnose  anlangt,  so  haben  wir  oben  an  einem 
exquisiten  Fall  dargethan,  dass  die  eigentliche  reine  Wehen- 
schwäche, abgesehen  von  dem  mangelnden  Vor  anrucken  der 
Geburt  —  wesentlich  mit  einer  verhältnissmässig  geringen 
Temperatur  einhergehen  muss.  Ist  nun  bei  einer  deutlich 
ausgesprochenen  Endometritis  und  Colpitis  ante  partum  die 
Temperatur  der  Scheide  nicht  abnorm  erhöht,  und  es  treten 
seltene  und  kurze  d.  h.  eigentlich  schwache  Wehen  ein,  so 
wird  durch  diese  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  Temperatur 
nicht  wesentlich  erhöht  werden  und  den  gewöhnlichen  Tages- 
schwankungen folgen  müsse.  Finden  wir  dagegen  bei  diesen 
Erkrankungen  mit  der  Dauer  der  Wehen  eine  consequent 
steigende  Wärmeproduction ,  auch  ohne  dass  manchmal 
stundenlang  irgend  ein  Fortschritt  im  Verlauf  der  Geburt 
zu  erkennen  ist,  so  sind  wir  keineswegs  berechtigt,  die  vor- 
handenen Wehen  als  „schwache"  zu  bezeichnen,  denn  bei 
schwachen  Contractionen  kann  nicht  ein  abnorm  vermehrter 
Stoflumsatz,  wie  ihn  die  Temperaturerhöhung  anzeigt,  statt- 
finden. Und  wenn  auch  diese  beiden  Arten  von  Webenano- 
malien sich  darin  gleichen,  dass  bei  beiden  die  Geburt  nur 
höchst  langsam  voranrückt,  so  sind  sie  in  ihrem  Wesen  doch 
ganz  verschieden.  Die  Wehenschwäche  charakterisirt  sich 
durch  zu  kurze  Dauer  der  Contractionen,  durch  zu  lange 
Pansen   und  durch   zu  geringes  Erhärten  des  Uterus,   neben 


438  XXIII.     Winckel,  TomperaturrerhältniBse 

dem  geringen  Erfolge.  Die  Zusammenziehungen  des  Uterus 
bei  Entzündung  seiner  Innenfläche  sind  nicht  blos  in  der 
Regel  abnorm  schmerzhaft,  häufiger  wie  gewöhnlich,  mit  un- 
gleichen Pausen,  werden  durch  die  empßndlicben  Kinds- 
bewegungen öfler  ruckweise  hervorgerufen  (cf.  Fall  2)  sondern 
namentlich:  ungleich  massig,  länger  oder  kürzer  dauernd, 
an  verschiedenen  Slellen  verschieden  schmerzhaft  und  haben 
deshalb,  obwohl  die  Conlraclioiien  gewöhnlich  grösser  und  der 
Stoffttmsntz  merklich  durch  sie  gesteigert  wird,  doch  ebenfalls 
nur  geringen  Erfolg  für  den  Verlauf  der  Gehurt.  Das  Thermo- 
meter giebt  uns  hier  den  sichersten  Anhaltspunkt  zur  Diagnose 
und  kann  uns  dadurch  allein  zu  einer  consequenten  Therapie 
helfen.  — 

Fall  1.  A.  S.,  24  Jahre,  Erstgebarende,  Partus  prae- 
maturus  inilio  mensis  X.,  litt  in  der  letzten  Zeit  der  Gravidität 
an  starkem  Fluor:  die  Scheide  ist  stark  granulirt,  besonders 
im  Laquear  vaginae.  Das  Fruchtwasser  ging  am  4.  Juni 
Nachmittags  ab. 

Am  5.  Juni  Morgens  8  Uhr  betrug  die  Temperatur  der 
Scheide  38,4.  Erst  10  Uhr  Morgens  begann  die  Wehen- 
thätigkeil. 

Mittags  12  Uhr  Temperatur  der  Scheide  39,4  Häufige, 
kurze,  sehr  schmerzhafte  und  fast  wirkungslose  Wehen;  massige 
Kopfgeschwulst.  Der  Muttermund  thalergross,  hat  sich  seit 
beinahe  einer  Stunde  nicht  mehr  erweitert;  Sinapismus  auf's 
Kreuz  und  innerlich  lpecacuanha. 

Nachmittags  1%  Ehr  Temperatur  der  Scheide  40,03, 
Temperatur  der  Achselhöhle  39,65;  der  Muttermund  etwas 
weiter;  die  Wehen  noch  sehr  schmerzhaft,  fast  ohne  Pausen. 

Gleich  nach  der  Geburt:  Nachmittags  3y2  Uhr  Temperatur 
der  Scheide  39,65,  Temperatur  der  Achselhöhle  39,2.  Die 
erste  Periode  dauerte  4  Stunden,  die  zweite  V2  Stunde,  die 
dritte  5  Minuten. 

Vier  Stunden  nach  der  Geburt:  Abends  7y2  Uhr  betrug 
die  Temperatur  der  Scheide  39,2,  am  folgenden  Morgen  8  Uhr 
38,1  und  am  folgenden  Abend  53/4  Uhr  38,05. 

Vorangestellt  ist  dieser  Fall,  weniger  zur  Bestätigung 
des  direct  vorher  Gesagten,  als  zum  Beweise,  wie  hoch  durch 
eine   ohne  jeden   Effect   begleitete   Muskel  Listigkeit  bei   vor- 


bei  der  Gebart  und  im  Wochenbette.  439 

handener  Entzündung  in  wenigen  Stunden  die  Temperatur 
gesteigert  werden  kann  (von  8  Uhr  Morgens  bis  V/2  Uhr 
Nachmittags  um  1,65°  CA).  Die  Steigerung  ist  um  so  auf- 
fallender, als  sie  zum  Theil  in  die  Zeit  der  Remission  von 
11  —  1  Uhr  fällt.  Der  Beweis,  dass  sie  allein  von  der  anomalen 
Muskelaction  mit  Steigerung  der  localen  Entzündung  bedingt 
war,  wird  durch  die  Temperatur .  ante  partum,  durch  die 
Beschränkung  der  Exacerbation  auf  die  Dauer  der  Wehen  und 
durch  den  unmittelbar  nachfolgenden  Temperaturabfall  (von 
40,05— 38,05  °C.  innerhalb  28  Stunden)  geliefert. 

Das  Wochenbett  verlief  sehr  gut. 

Ungleich  wichtiger  ist  der  folgende  Fall: 

2.  Amcdie  B.<  29  Jahre,  Erstgebärende,  litt  in  den 
letzten  vier  Wochen  ihrer  Schwangerschaft  an  einer  intensiven 
Colpitis  granulosa  mit  zeitweiser  ödematöser  Anschwellung 
der  äusseren  Genitalien  und  gebrauchte  mit  ziemlich  gutem 
Erfolge  Injectionen  von  Sublimat  ©j  zu  einem  Sitzbad  und 
Einspritzungen  täglich).  —  Die  Webenthätigkeit  begann  am 
23.  August  Nachmittags. 

23.  August.  Abends  %7  Uhr  Puls  60,  Temperatur  der 
Scheide  37,8.  Alle  viertel  Stunde  eine  Wehe.  Der  Mutlermund 
ist  sehr  hoch  und  kaum  durchgängig.  Die  schleimig-eiterige 
Absonderung  der  stark  körnigen  Scheide  ist  nur  massig. 
Schädellage. 

Abends  3/49  Uhr  Pute  68,  Temperatur  der  Scheide  37,775. 
Zwei  Wehen,  während  der  Thermometer  lag;  der  Muttermund 
ist  noch  nicht  weiter. 

Abends  %11  Uhr  Puls  72,  Temperatur  der  Scheide  37,95. 
Die  Wehen  etwas  häufiger,  aber  ganz  wirkungslos. 

24.  August  Morgens  8'/4  Uhr  Puls  68,  Temperatur  der 
Scheide  38,4.x  Der  Muttermund  sechsergross,  etwas  tiefer 
stehend;  die  Wehen  häufig  und  schmerzhaft;  fünf  Wehen  in 
J/4  Stunde;  seit  5  Uhr  Morgens  Wasserabfluß. 

Morgens  9%  Uhr  Puls  68,  Temperatur  der  Scheide  38,675. 
Reine  wesentliche  Veränderung ;  der  schleimig  eiterige  Ausfluss 
ist  stärker  geworden,  der  Müttermund  noch  sechsergross. 

Morgens  liy4Uhr  Puls  60  (Wehe  —84),  Temperatur 
der  Scheide  38,825.  Trotzdem,  dass  alle  Vfo—  2  Minuten 
eine  höchst  schmerzhafte  Wehe  eintritt,   ist  der  Muttermund 


440  XXIII.     Winckely  Temperatarverhültnisse 

noch  gar  nicht  weiter  geöffnet  Zuweilen  fehlen  die  Wehen- 
pausen ganz;  Parturiens  klagt  über  besonders  lebhaften  Schmerz 
in  der  Regio  mesogastrica  dextra.  Seit  gestern  Mittag  hat 
sie  Nichts  gegessen,  nur  kühles  Wasser  getrunken.  —  Die 
Haut  ist  trocken,  aber  nicht  heiss. 

Um  11  y2  Uhr:  Sinapismus  aufs  Kreuz  und  viertelstündlich 
gr.j.  Ipecacuanha  bis  zum  Erbrechen. 

Mittags  12%  Uhr  Puls  64,  Temperatur  der  Scheide  38,75. 
Der  Muttermund  hat  sich  noch  nicht  mehr  erweitert;  nach 
eigener  Angabe  der  Kreissenden  sind  jedoch  die  Wehenpausen 
etwas  grösser  geworden.  Nach  griij  fpecac.  hat  sie  bis  jetzt 
nicht  gebrochen.  —  Tb  er;  Sinapismus  auf  den  Leib. 

Nachmittags  \%  Uhr  Puls  64,  Temp.  der  Scheide  38,775. 
Parturiens  hat  ohne  weitere  Dosen  Ipecac.  mehrmals  stark 
gebrochen. 

Nachmittags  2%  Uhr  Puls  64,  Temp.  der  Scheide  38,65. 
Der  Muttermund  ist  zweigroschengross,  seine  Lippen  noch 
dick;  die  Wehen  häufig. 

Nachmittags  4'/4  Uhr  Puls  64,  Temp.  der  Scheide  38,69. 

Abends  b\  Uhr  Puls  64,  Temp.  der  Scheide  38,7. 

Abends  6%  Uhr  Puls  64,  Temp.  der  Scheide  38,75. 
Der  Muttermund  ist  zebngroschengross,  der  schleimig  eiterige 
Ausfluss  aus  den  Genitalien  viel  starker.  Die  Wehen  noch 
schmerzhaft,  die  Pausen  weniger.  Seit  mehr. als  24  Stunden 
hat  Parturiens  Nichts  genossen. 

Abends  10V*  Uhr  Piüs  64,  Temp.  der  Scheide  38,7. 
Der  Muttermund  thalergross;  öfterer  Krampf  im  linken  Beine. 
Wegen  der  noch  vorhandenen  Schnierzhaftigkeit  der  häufigen 
Wehen  erhielt  Parturiens  Pulv.  Doveri  gr.  x. 

25.  August.  Morgens  81/*  Uhr  Puls  64,  Temp.  der 
Scheide  38,575.  Nach  Pulvis  Doveri  sind  die  Wehen  seltener 
geworden;  gegen  Morgen  hat  die  Kreissende  nochmals  ge- 
brochen, der  Muttermund  ist  immer  noch  thalergross,  seine 
Lippen  gleich  dick;  daher  um  9  Uhr  Vormittags:  Uterus- 
douche. 

Nachmittags  1%  Uhr  Puls  72,  Temp.  der  Scheide  39,05. 
Trotz  der  Uterusdouche  sind  die  Muttermuhdslippen  noch  dick, 
gespannt,  unnachgiebig;  massige  Kopfgeschwulst,  fortwährende 
Kreuzschmerzen,  starkes  Pressen  bei  den  häufigen,   schmerz- 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  441 

haften  Wehen.  Muttermund  dennoch  blos  thalergross.  Ther.: 
Cucurbit.  XII.  auf's  Kreuz. 

Nachmittags  4  Uhr  Puls  72,  Temp.  der  Scheide  39,2. 

Nach  Angabe  der  Kreissenden  sind  durch  die  Schröpfköpfe 
die  Kreuzschmerzen  viel  geringer  geworden  und  seitdem  die 
kräftigsten  Wehen  eingetreten.  Diese  haben  die  vorher  dicken 
Muttermundslippen  sehr  rasch  zum  Theil  mit  starker  blutenden 
Einrissen  erweitert  und  den  Kopf  bis  an  den  Damm  getrieben. 
Der  Muttermund  erweiterte  sich  bis  5  Uhr  25  Minuten  Abends 
vollständig  und  um  7  Uhr  Abends  wurde  unter  sehr  kräftigen 
Wehen  ein  7%  Pfund  schwerer  lebender  Knabe  geboren.  — 
Gleich  nach  der  Geburt,  deren  erste  Periode  47 V2  Stunden, 
deren  zweite  Periode  1%  Stunde  und  deren  dritte  Periode 
nur  5  Minuten  dauerte,  betrug  bei  96  Pulsen  Abends  7%  Uhr 
die  Temperatur  der  Scheide  38,775,  Abends  9  Uhr  38,6  und 
am  folgenden  Morgen  %8  Uhr  38,175. 

Dieser  Fall,  den  wir  durch  16  inter  partum  angestellte 
Messungen  von  Stunde  zu  Stunde  genau  verfolgt  haben,  giebt 
uns  zu  folgenden  Bemerkungen  Veranlassung. 

Ohne  den  Gebrauch  des  Thermometers  muss  man  hierbei 
in  den  ersten  30  Stunden,  während  welcher  der  Muttermund 
kaum  bis  auf  Thalergrösse  gebracht  wurde,  da  der  Puls  sich 
stets  auf  gleicher  Höhe  hielt  zunächst  an  „Wehenscbwäche" 
denken  und  als  deren  Ursache  die  Colpitis  und  Endometritis 
ansehen,  die  ja  von  Vielen,  (HoU,  Spiegelberg)  auch  als 
Ursache  von  Wehenschwäche  angeführt  wird.  Die  Temperatur- 
schwankungen innerhalb  dieser  Zeit  waren  nicht  der  Art,  dass 
sie  durch  das  Gefühl  auch  nur  annähernd  hätten  bestimmt 
werden  können. 

Mit  Hülfe  des  Thermometers  aber  erkannten  wir  erstlich 
eine  constant  steigende  Temperaturerhöhung  von 
Abends  3/49  Uhr  bis  andern  Morgens  1174  Uhr  von  37,775 
auf  37,95,  38,45,  38,675,  38,825;  —  also  um  mehr  als 
einen  Grad  Celsius  ganz  genau  folgend  der  Häufigkeit  der 
schmerzhaften,  doch  unwirksamen  Wehen.  Eine  Verminderung 
der  Schmerzhaftigkeit  mittels  mehrerer  Sinapismen  und  eine 
Ableitung  durch  Ipecacuanha  hatte  nur  vorübergehend  geringen 
Erfolg ,  denn  von  2%  Uhr  Nachmittags  begann  schon  wieder 
bis    Abends   10l/2  Uhr   eine   constante,   freilich    etwas 

MonaUsohr.  f.  Geburtak.  1808.  Bd.  XX.,  Hft.  6.  29 


442  XXIII.     Winckel,  TemperatarverbRltnUae 

geringere  Steigerung  der  Temperatur:  Ebenso  hatte 
Pulvis  Doveri,  gereicht  zur  Verminderung  der  Schmerzhaflig- 
keit  und  Regulirung  der  zu  häufigen  Wehen,  mit  neuerdings 
eingetretenem  Erbrechen,  kaum  einen  wesentlich  wehenver- 
bessernden Einfluss.  Und  als  nun  nach  Anwendung  der  Uterus- 
douche  zur  Erweichung  der  unnachgiebigen  Muttennundslippen 
die  Temperatur  sogar  mit  den  wieder  häufiger  eintretenden 
Wellen  stieg  —  musste  uns  die  Höhe  derselben  zu  einer 
energischen  Antiphlogose  drängen,  die  denn  bald  vom  schönsten 
Erfolg  gekrönt  war.  —  Natürlich  folgte  denn  auch  diesem 
protrahirten  Geburtsverlauf  eine  beträchtliche  Temperatur- 
abnahme  in  den  ersten  12  Stunden.  —  Weit  entfernt  mit  einem 
post  hoc  ergo  propter  hoc  den  Schröpfköpfen  allein  den 
raschen  Erfolg  zuzuschreiben,  heben  wir  nur  nochmals  hervor, 
dass  uns  das  Thermometer  allein  die  rechte  Indication  zu 
ihrer  Anwendung  bei  einer  Kreissenden  gab,  welche  durch 
lange  Geburtsdauer  erschöpft  schien  und  nicht  bloss  gar  Nichts 
zu  sich  genommen,  sondern  auch  oft  und  reichlich  ge- 
brochen hatte. 

Diese  beiden  Fälle  von  anomaler  Wehenthätigkeit  bedingt 
durch  Endometritis  und  Colpitis  haben  also  gemeinsam,  1)  d  a  s 
während  der  Dauer  der  Wehen  constante  und  be- 
trächtliche Steigen  der  Temperatur  selbst  in  der 
Remissionszeit  und  2)  die  gleich  nach  Beendigung 
der  Geburt  beginnende  ebenso  beträchtliche  Tem- 
peraturabnahme. Da  sie  in  diesen  beiden  Punkten,  ferner 
in  der  Schmerzbaftigkeit  und  dem  Mangel  an  Erfolg  mit  den 
oben  beschriebenen  eigentlichen  Krampfwehen  vollständig  über- 
einstimmen, so  ist  auch  für  sie  mit  besonderer  Berücksich- 
tigung ihrer  Ursache,  der  Name  „Krampfwehen44  wohl  gerecht- 
fertigt 

Hier  folge  nun  noch  ein  Fall  von  Wehenanomalie,  der 
von  mehreren  Ursachen  abhängig  zwischen  diese  beiden  Arten 
von  Krampfwehen  gehört,  indem  er  theils  von  einer  bestimmten 
Muskelausbildung,  theils  von  einer  wahrscheinlichen  Muskel- 
erkraukung  herzurühren  schien. - 

5.   Rheumatismus  uteri  (?)  bei  einer  alten  Erstgebärenden. 

M.  8.9  37  Jahre,  gross  brünett,  hager,  kam  Morgens 
61/*  Uhr  in  der  Ansialt  an. 


bei  der  Gebort  und  im  Wochenbette.  445 

1)  Morgens  7  Uhr  Puls  #  104 ,  Temperatur  der  Seheide 
38,55;  der  Muttermund  ist  zebngroschengross,  die  Blase  steht, 
der  Kopf  liegt  vor;  —  die  Scheide  ist  ganz  gesund  —  nur 
geringer  Schleimausfluss  aus  den  Genitalien;  —  der  Uterus 
gegen  Druck  äusserlich  überall  schmerzhaft;  —  Parturiens 
klagt  über  kalte  Füsse. 

2)  Morgens  9  Uhr  Puls  120,  Temperatur  der  Sclieide 
39,0;  fast  stetig  anhaltendes  Pressen  und  lebhafte  Kreuz- 
schmerzen, bei  sehr  empfindlichen,  wirkungslosen  Wehen;  — 
V4  ständlich  gr.j.  Ipecacuanha. 

3)  Morgens  10  Uhr  20  Minuten  Puls  80,  Temperatur 
der  Scheide  39,0;  nach  Ipecacuanha  sehr  reichliches  Er- 
brechen; —  die  Wehen  noch  nicht  viel  besser. 

4)  Nachmittags  12  Uhr  Puls  92,  Temperatur  der  Scheide 
39,0;  während  der  Wehe  der  Scheide  zeigte  der  Puls  100 
Schläge;  —  der  Muttermund  ist  etwas  über  thalergross;  — 
die  Haut  noch  nicht  feucht    Um  12  Uhr  Sinapismus  aufs  Kreuz. 

5)  Nachmittags  ll/2  Uhr  Puls  96,  Temperatur  der  Scheide 
39,25;  während  das  Thermometer  lag  ist  die  Blase  gesprungen, 
die  Wehen  sind  häufiger  und  kräftiger,  aber  höchst  schmerzhaft. 
Der  Muttermund  ist  fast  vollständig  erweitert. 

6)  Nachmittags  5  Uhr  Puls  76,  Temperatur  der  Scheide 
39,15;  gleich  nach  der  Geburt: 

die  erste  Periode  derselben  dauerte  17  Va  Stunden, 
„    zweite     „  „  M  37a        „ 

„    dritte        „  „  „  5  Minuten. 

In  der  zweiten  Periode  musste  bei  Nachlass  der  Weben 
Seeale  verabreicht  werden.  —  Am  folgenden  Morgen  8V4  Uhr 
hatte  der  Puls  84  Schläge ;  die  Temperatur  der  Scheide  38,0°  C. 
Bei  dieser  37  jährigen  Primipara  trat  also  die  anomale 
Wehenthätigkeit  nicht  bloss  in  der  ungewöhnlichen  Schmerz- 
haftigkeit,  in  der  sehr  zögernden  Erweiterung  des  Muttermunds 
(die  woM  auch  auf  ihr  Alter  geschoben  werden  muss)  trotz 
der  vorhandenen  Fruchtblase,  sondern  namentlich  durch  er- 
hebliche Steigerung  der  Temperatur,  die  sich  dann 
während  der  Remissionszeit  in  Folge  der  angewandten  Mittel 
eine  Zeitlang  auf  derselben  Höhe  hielt,  schliesslich  am  Ende 
der  ersten  Periode  doch  noch  stieg  und  durch  den  direct  nach 
Aufhören  der  Wehen   beginnenden   Fall  der  Temperatur 

29* 


444  XXIII.     Winckel,  TemperatunrerhältoUie 

zu  Tage.  Die  Empfindlichkeit  des  ganzen  Uterus,  die  Klage 
über  das  fortwährende  Kältegefühl  in  den  Füssen;  die 
Beschaffenheit  des  Pulses,  welcher  Anfangs  erheblich  be- 
schleunigt und  gespannt  nach  dem  Erbrechen  bedeutend  an 
Frequenz  abnahm,  bald  jedoch  wieder  stieg  und  direct  nach 
der  Geburt  beträchtlich  sank,  —  lassen  uns  bei  dem  voll* 
ständigen  Mangel  einer  Colpitis  und  Endometritis  hier  einen 
geringen  Grad  des  sogenannten  Rheumatismus  uteri,  als  die 
Quelle  der  Wehenanomalie  annehmen. 

Bekannt  ist,  dass  bei  sehr  protrahirtem  Verlauf  der 
ersten  Geburtsperiode  auch  ohne  vorzeitigen  Wasserahfluss, 
nicht  selten  erst,  inter  partum  sich  eine  Endometritis  aus- 
bildet, die  die  Geburt  wesentlich  verzögern  und  complicireii 
kann.  Zwei  Fälle  der  Art  können  zeigen,  dass  man  mit 
Hülfe  des  Thermometers  auch  diese  Uebergangsforraen 
von  Wehenschwäche  in  Krampfwehen  genau  er- 
kennen kann. 

1.  B.  H.,  20  Jahre,  Erstgebärende,  gross,  blass,  feil, 
mit  schwacher  Muskulatur,  klagte  in  der  letzten  Zeit  der 
Schwangerschalt  über  fortwährende  Kreuzschmerzen,  die  offen- 
bar durch  den  sehr  tiefen  Stand  des  Kopfs  im  kleinen  Becken 
bedingt  waren.  Das  Uterinsegment  war  bis  auf  Kartenblatt- 
dicke  verstrichen,  der  Muttermund  sehr 'hoch,  kaum  zu  er- 
reichen, —  die  Scheide  sehr  eng,  ganz  glatt,  kaum  die  Spur 
einer  Absonderung  vorhanden.  Die  Scheidentemperatur 
schwankte  in  den  letzten  14  Tagen  Morgens  zwischen  37,95 
und  38,12;  Abends  zwischen  38,2  und  38,8. 

In  den  ersten  20  Stunden  der  Geburt,  welche  am  28.  Juli 
Nachmittags  4  Uhr  begann ,  bot  sich  das  deutlichste  Bild  der 
Wehenschwäche  dar. 

Bei  76  Pulsen  schwankte  die  Temperatur 
nach   der  Tageszeit  zwischen  Abends    7  Uhr:  38,2, 

»»         •»  »•  99  9*  9  /4  ,,       «>7,0, 

am  folgenden  Morgen    9      „    38,1, 

99  99  99  10  /4  99  38,2, 

Nachmittags     l9/4  „    38,1. 
Die  sehr  seltnen,   kurzen  Wehen  hatten  inzwischen  den 
Muttermund  kaum   auf  Thalergrösse  gebracht,  die  Blase  hob 
sich  gar  nicht  vom  Kopf  ab.     Von  Nachmittags  V/%  Uhr  an 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  445 

wurden  die  Wehen  häufiger,  —  Parturiens  begann  namentlich 
bei  der  Untersuchung  über  Schmerzen  zu  klagen  und  wurde 
sehr  unruhig,  —  dabei  stieg  die  Temperatur  trotzdem,  dass 
die  Kreissende  seit  mehr  als  24  Stunden  gar  nichts  genossen, 
?on  38,1  auf  38,45  (Abends  5%),  38,55  (Abends  7V4),  ohne 
dass  jedoch  der  Muttermund  wesentlich  erweitert  worden  wäre. 
Erst  Abends  10y2  Uhr  war  die  Erweiterung  des  Muttermunds 
vollständig ,  die  zweite  Periode  dauerte  dann  noch  43/4  Stunden 
und  als  sie  mit  der  Geburt  eines  72/3  Pfund  schweren  lebenden 
Mädchens  geendet,  musste  endlich  noch  die  Nachgeburt  nach 
längeren  vergeblichen  Druckversuchen  manuell  entfernt  werden ; 
dabei  zeigte  sich  der  innere  Muttermund  sehr  fest  zusammen- 
gezogen und  die  Placenta  nur  theilweise  gelöst.  Die  Temperatur 
gleich  nach  der  Geburt  betrug  39,15;  am  folgenden  Abend 
6V4  Uhr  40,5°  C.  etc.- 

Hier  folgte  also  der  deutlich  ausgesprochenen  Wehen- 
schwache,  —  eine  mit  conslanter  Temperatursteigerung  ver- 
bundene fehlerhafte,  ungleich  massige  UterinthätigkeiL  Die 
Erhöhung  inter  partum  konnte  hier  nicht  sehr  evident  sein, 
da  sich  bei  der  ohnehin  schwächlichen  Kreissenden  die  Charaktere 
des  vermehrten  Stoffumsatzes  mit  denen  des  Hungerns  und 
der  Inanition  vermischten,  sie  hatte  schon  in  der  ganzen 
letzten  Zeit  sehr  wenig  und  während  der  ganzen  Gehurt  gar 
Nichts  genossen.  Die  inter  partum  entstandene  Endometritis 
setzte  sich  auch  im  Wochenbette  noch  fort.  — 

2.  L.  TT.,  21  Jahre,  Erstgebärende,  gross,  blond,  gut 
genährt  mit  schwacher  Muskulatur. 

Parturiens  ging  von  ausserhalb  Morgens  7y2  Uhr  der 
Anstalt  zu ,  nachdem  sie  Abends  vorher  gegen  8  Uhr  Wehen 
bekommen  hatte.  In  Folge  einer  starken  Erkältung  waren 
in  der  vergangenen  Nacht  mehrere  dünne  Stuhlausleerungen 
eingetreten. 

Bei  sehr  seltenen,  kurzen  und  wirkungslosen  Wehen  sank 
von  Morgens  8y4  bis  9%  Uhr  die  Temperatur  von  38,2 
auf  38,125°  C.  Auffallend  war  aber  schon  um  liy4  Uhr 
Vormittags  bei  64  Pulsen  die  Temperatur  der  Scheide  aui 
38,35  gestiegen  und  die  Wehen  etwas  schmerzhafter  ge- 
worden.    Um    liy2  Uhr  trat  sodann  mehrmals    spontanes 


446  XXIII.     Winckely  TemperatarverMUtoiiae 

Erbrechen  ein,  in  Folge  dessen  die  Temperatur  etwas  sank: 
11%  Uhr:  38,2. 

Von  nun  an  jedoch  trat  mit  zunehmender  Schmerzhaftig- 
keit  der  Wehen  eine  constante  Temperatursteigerung  ein: 
Nachmittags  2   Uhr:  38,35, 
5%  „     38,45, 
Abends      1%  „    38,55, 
10V2  n    38,675; 
trotzdem  dass  Sinapismen,  Ipecac,  Pulv.  Doveri  nacheinander 
angewandt   wurden.  —  Der  Muttermund  war  in  dieser  Zeit 
allmälig  nur  bis  zu  Thalergrösse  gediehen,  seine  Erweiterung 
dauerte  noch  bis  Nachts  4  Uhr;   die  zweite  Periode  endigte 
dann  Morgens  6   Uhr,    die   dritte   dauerte    nur  7   Minuten. 
Gleich  nach  der  Geburl  betrug  die  Temperatur  der  Scheide 
39,2,  Morgens  9  Uhr  nur  39,09. 

Die  schon  vorhandene  Endometritis,  die  erst  inter  partum 
sich  ausbildete,  machte  im  Wochenbette,  namentlich  da  Eihaut- 
reste  in  utero  zurückblieben,  noch  weitere  Fortschritte. 

Auffallend  war  der  während  der  ganzen  Geburtsdauer 
abnorm  langsame  und  sehr  gespannte  Puls,  dessen  Frequenz 
nur  von  48—52  Schläge  stieg. 

Auch  in  diesem  Falle  konnten  wir  den  Beginn  der  eigent- 
lichen unregelmässigen  Contractionen  genau  feststellen,  —  er 
fällt  in  die  Zeit  von  Vormittags  11 — 12  Uhr.  Bis  dahin  war 
bei  wirklich  schwachen  Wehen  die  Temperaturhöhe  ganz 
normal,  dann  aber  blieb  trotzdem,  dass  die  Geburt  fast  gar. 
nicht  voranschritt  und  ganz  unbeeinflusst  durch  die  Tages- 
zeit, die  Temperatur  innerhalb  der  nächsten  12!  Stunden 
fortwährend  am  Steigen,  wie  wir  durch  fünf  Messungen  genau 
constatirten. 

Wenn  uns  also  das  Thermometer  so  deutlich  den  Zeit- 
punkt der  beginnenden  Erkrankung  erkennen  lässt,  so  haben 
wir,  namentlich  für  epidemische  Erkrankungen  ein  höchst 
werthvolles  propbylactisches  Mittel  in  ihm  gewonnen.  — 

Zur  besseren  Uebersicht  ordnen  wir  zum  Schlüsse 
die  Temperaturmessungen  bei  Wehenanomalien  nochmals 
tabellarisch. 


bei  der  Geburt  and  im  Wochenbette. 


447 


a 
S  | 

CO    • 


CO 


i 

s" 


00  g. 


oo*  ** 

CO    OO 


s. 


00 
CO 


SS 


eo  eo 


00 


CO    00 


3 

•s 


a 
I 


5 
.s 

<D 

Ca 

§ 


0* 

a 


iO 


a 


* 


8 


SS 


ss 


Iß  l©l© 
00  00  00 


-  IO        IO 

ßs*a" 

00  t»fc^ 


IO 


■o  IO 
x  IO 

00       ~ 

°!8 


2 
•  oo 

00  ■*. 

oo  od 
.  00 


s 


D*  co 


00    <N 


09    Ol 


o>  X 

0   *2 

ja 

0 

o 

* 

s 

&  s 

9 

ja 
© 

3  3 

* 

QQ   H 

o 
»o 

0 

a  H 
*    §    2 

«2  SS 

fi  'S    • 
**    o 


448  XXIII.     Winckel,  TemperatarrerhSltiiisae 

1)  Bei  Wehenschwäche  ist  [die  Temperatur  also  in  der 
Rege)  etwas  niedriger  als  gewöhnlich  (cf.  1  und  von  5  a  die 
vier  ersten  von  5  b  die  zwei  ersten  Messungen)  und  folgt 
den  gewöhnlichen  Tagesschwankungen. 

2)  Bei  allen  „Krampf wehen",  seien  es  nun  allgemeine 
oder  partielle,  klonische  oder  tonische,  zeigt  sich  eine  der 
Dauer  der  Wehenanomalie  entsprechend  stefgeade 
Temperatur  (cf.  namentlich  3  und  4  a;  aus  2,  4  6,  5  a  und  b 
die  fetten  Zahlen). 

3)  Dabei  erhellt  die  Abnormität  der  Steigerung  aus  den 
meist  hohen  Differenzen  der  einzelnen  Messungen 
inier  partum  (durchschnittlich  =  0,735°  (7.)  und  aus  der 
ungewöhnlichen  Zeit  der  Steigerung,  nicht  immer  durch 
besonders  starke  Erhöhung  der  Temperatur  selbst  (cf.  5a  und  b). 

4)  Die  gleich  nach  der  Geburt  in  der  Regel  noch 
abnorm  erhöhte  Temperatur  fällt,  wenn  nicht  Ent- 
zündungen der  Genitalien  inter  partum  entstanden,  sich  iu's 
Wochenbett  hinein  fortpflanzen  (5  a  und  b)  in  den  nächsten 
12  Stunden  meist  sehr  beträchtlich  (cf.  2,  3,  4a  u.  b). 

Durch  alle  diese  Punkte  unterscheiden  sich  nun  die 
fehlerhaften  Gebärmultercontractionen  ebenso  klar  von  den 
schwachen  wie  von  allen  normalen  Wehen. 

Endlich  mögen  hier  noch  zwei  Beobachtungen  von  dem 
Verhalten  der  Temperatur  bei  Verzögerung  der  Geburt  durch 
abnormen  Widerstand  der  harten  Geburtswege  Platz  finden. 

1.  Eine  25jährige  Secundipara,  deren  Temperatur  bei 
der  Gebtfrt  anfangs  ganz  normal  von  38,575  auf  38,3.. 38,15  .. 
38,125  von  Abends  6  — 10  %  Uhr  unter  regelmässigen  Wehen 
und  voranschreitender  Erweiterung  des  Muttermundes  sank, 
verlor  Nachts  2%  Uhr  das  Fruchtwasser.  Der  bis  dahin 
hochstehende  Kopf  trat  nun  fest  in  den  Eingang  des  etwas 
verengten  Beckens  (Diagonalconjugata  =  4"  2 — 4'").  Die  gut 
verstrichenen  Muttermundslippen  fingen  durch  den  Druck  an 
zu  schwellen  und  der  Muttermund,  vorher  ganz  erweitert, 
schien  dadurch  wieder  enger  zu  werden.  Nachts  3V3  Uhr 
betrug  die  Temperatur  der  Scheide  38,59°  C. ,  und  als  alimälig 
unter  kräftigen  Weben  mit  Bildung  einer  beträchtlichen  Kopf- 


bei  der  Geburt  und  im  Wochenbette.  449 

geschwulst  nach  3y2  Stunden  das  starke  Kind  geboren  war, 
zeigte  sich  anf  dem  vorderen  Tbeile  des  linken  Scheitelbeins 
eine  2 — 3  Linien  breite  stark  gerottete  Hautstelle  (Druck 
vom  Promontorium  bei  erster.  Schädellage)  und  gleich  nach 
der  Geburt  Morgens  7%  Uhr  betrug  die  Temperatur  der 
Scheide  39,0,  Abends  5%  Uhr  38.3,  am  folgenden  Morgen 
7Va  Uhr  37,55°  C. 

2.  BerihaBl.,  31  Jahre,  Erstgebärende.  Wehenanfang 
Nachts  3  Uhr. 

Morgens  73/4  Uhr  Puls  88,  Temperatur  der  Scheide  38,21. 

»      974   „     „   88,         „  „        „     38,525. 

„    10y*   „     „    84,  w  „        „     38,675. 

„  IP/4  „  „  84,  „  „  „  38,59. 
Bis  hierher  verlief  die  Geburt  ganz  regelmässig,  nun  aber 
begannen  bei  noch  stehender  Blase  die  Muttermundslippen 
durch  Druck  stark  ödematös  zu  schwellen.  Der  Kopf  stand 
fest  im  Beckeneingange,  der  Leib  war  sehr  stark  ausgedehnt, 
das  Becken  nicht  nachweislich  verengt.  Nachmittags  IV2  Uhr 
Temperatur  der  Scheide  38,89.  Nachdem  dann  um  2  Uhr 
die  Blase  endlich  gesprungen,  gelang  es  den  kräftigen  Wehen 
erst  in  drei  Stunden  den  Kopf  durch  das  Becken  zu  pressen 
Die  Temperatur  der  Scheide  betrug  gleich  nach  der  Geburt  39,0 
am  folgenden  Morgen  38,425°  C. 

Bei  beiden  Fällen  zeigte  sich  also  mit  dem  Beginne  der 
Schwellung  der  Muttermundslippen  eine  nicht  unbeträchtliche 
Temperaturerhöhung,  die,  namentlich  bei  No.2  in  der  Remissions- 
zeit auftretend,  schon  durch  die  Höhe  der  Differenz  von  den 
vorhergehenden  Messungen  sich  auszeichnete.  Bei  beiden  war 
die  Temperatur  gleich  nach  der  Geburt  entschieden  abnorm 
erhöht  und  sank  zunächst  bald  nach  der§elben.  —  Mag  nun 
diese  Temperaturerhöhung  bedingt  sein  durch  die  mit  der 
Quetschung  eintretende  locale  Entzündung,  oder  durch  eine 
bei  derselben  auftretende  Wehenanomalie  oder  auch  bloss  Folge 
der  aussergewöhnhch  starken  Muskelanstrengung  zur  Ueber- 
windung  des  abnormen  Widerstandes;  jedenfalls  giebt  uns 
der  Thermometer  hier  die  Steigerung  und  den  Grad  des  Stoff- 
Umsatzes  deutlich  zu  erkennen  und  damit  auch  die  Höbe  einer 


450  XXIII.     Wiiuküt  TemperatarrerhUtatae  etc. 

etwa  vorhandenen  Gefahr.  Unter  diesen  Umständen  kann  er 
also  z.  B.  bei  stärkerer  Beckenenge,  Kopflage,  abgestorbenem 
Kinde  (durch  Nabelschnarvorfall)  und  sehr  zögernder  Erweiterung 
des  Muttermundes  ganz  entschieden  uns  einerseits  rechtfertigen, 
die  Perforation  noch  eine  Zeit  lang  aufzuschieben,  andererseits 
aber  ebenso  nothwendig  zur  Ausfuhrung  derselben  drängen, 
selbst  ehe  noch  der  Muttermund  vollständig  erweitert  ist 
Wenn  man  weiss,  wie  weit  in  dieser  Beziehung  noch  die 
Ansichten  der  Geburtshelfer  auseinandergehen,  so  lässt  sich 
hoffen,  (Jass  der  Gebrauch  des  Thermometers  hierbei  eine 
Einigung  bewirken  kann,  indem  er  uns  die  Naturkräfte  genau 
beurtheilen  lehrt.  Ist  es  denn  nicht  viel  rationeller,  eine  be- 
stimmte Indication  in  der  Beschaffenheit  der  Temperatur  zu 
finden,  als  in  dem  Pulse  und  dem  sonstigen  ganzen  Befinden 
der  Kreissenden? 

Im  Verlaufe  unserer  Untersuchungen  lernten  wir  also 
erstlich  in  dem  Thermometer  ein  sicheres  Mittel  kennen, 
normale  von  schwachen  und  krampfhaften  Wehen  zu  unter- 
scheiden, wir  deuteten  an,  wie  es  mit  seiner  Hülfe  gelingen 
werde,  die  Begriffe:  Erschöpfung,  Gefahrdung  etc.  bei  Er- 
krankung der  Kreissenden  genauer  zu  präcisiren;  wie  wir 
dadurch  an  ihm  zugleich  ein  Mittel  zur  Feststellung  der  Art 
und  Zeit  operativer  Indicationen  gewinnen  könnten  und  dass 
er  demnach  auch  eine  Bedeutung  für  die  Prophylaxe  erlangen 
werde.  Durch  fortgesetztes  genaues  Studium  aller  Processe 
bei  Gebarenden  wird  also  Physiologie  und  Pathologie  der 
Geburtshülfe  durch  den  Thermometer  wesentlich  ergänzt  und 
allmälig  auch  bereichert  werden.  Es  eröffnen  sich  diesen 
Studien  noch  so  viele  Felder  bei  jeder  einzelnen  Geburt,  dass 
sie  schwerlich  binnen  Kurzem  erschöpft  sein  werden. 

Dieser  kurze  Hinweis  auf  den  Werth  der  Tocothermometrie 
mag  genügen,  um  zu  weiteren  Forschungen  anzuregen«  So 
leicht  diese  auszuführen  sind,  so  sicher  werden  sie  zu  er- 
freuliehen Resultaten  führen.  Und  wenn  ihr  Nutzen  zunächst 
auch  nur  in  klinischen  Instituten  erprobt  wird,  so  lässt  sich 
doch  hoffen,  dass  allmälig  der  Thermometer  in  dieser  Be- 
ziehung sogar  in  der  Privatpraxis  in  Gebrauch  kommen  wird. 


XXIV.  Chrmm**,  Versammlung  deutseker  Nftturforscher  etc.  461 

Zur  Entscheidung  wichtiger  Fragen  braucht  man  mit  dem 
Thermometer  nur  wenig  Zeit,  und  ohnehin  sitzt  der  Arzt  ja 
fo6t  bei  keinem  Leidenden  so  lange,  wie  bei  einer  Kreissenden. 
Mit  der  Pelvimetrie  verglichen  hat  die  Tocothermometrie  un- 
zweifelhaft eine  weit  grössere  Zukunft  und  wünschen  wir  ihr 
zum  Heile  der  Geburtsbfttfe  eine  möglichst  rasche  und  allseitige 
Ausdehnung! 


XXIV, 

Versammlung  deutscher  Naturforscher  und  Aerzte 
in  Karlsbad  im  Jahre  1862. 

Verhandlungen  der  Section  für  Gynäkologie. 

Berichtet 
von 

Prof.  Dr.  Germann. 

Erste  Sitzung.    Am  18.  September. 

■ 
Vorsitzender:   Geh.  Rath  Prof.  Dr.  Betschier  (Breslau). 
Schriftführer:  Dr.  Brechler. 

Nachdem  Geh.  Rath  Betschier  zum  Tagespräsidenten 
erwählt  worden  wat*,  sprach  Dr.  Freund  jun.  (Breslau) 

über   erworbene   primäre   Rückwärtsknickung 
der   Gebärmutter. 

Der  Vortragende  steht  nicht  auf  Seiten  Derjenigen,  welche 
die  Knickung  der  Gebärmutter  an  sich  für  etwas  Unbedeutendes 
hatten,  weil  die  Knickung  nur  durch  ihre  Folgekrankheiten  und 
Compücationen  (Gebärmutterinfarct,  Peritonitiden,  Störungen 
und  Krankheiten  im  Gebiete  der  Hernblase,  des  Mastdarms 
und  der  Verdauung)  schliesslich  gefährlich  werde.  Denn  dieser 
Ansicht  hege  die  Behauptung  zu  Grunde,  dass  die  pathologisch- 
anatomischen  Veränderungen  der  geknickten  Gebärmutter 
unmöglich  zu  beheben  seien  und  dass  somit  nur  eine 
symptomatische  Behandlung  der  etwaigen  Beschwerden  ihrig 


462    XXIV.  (tormann,  Vereammlnng  deutscher  Naturforscher 

bleibe.  Nach  Dr.  F.  Ansieht  sind  es  nur  die  selteneren 
Fälle,  in  welchen  die  anatomischen  Veränderungen  als  unheilbar 
erscheinen,  während  viele  durch  die  Folgezustände  verursachte 
Leiden  nur  allein  durch  Hebung  der  Knickung  dauernd  heilbar 
sind,  so  insbesondere  die  chronische  Entzündung  und  der  Catarrh 
der  Gebärmutter,  die  Sterilität,  die  Störung  der  Functionen 
des  Mastdarms  und  der  Harnwege,  und  hier  insbesondere  die 
Hydronephrose.  Dr.  F.  weiss  aus  eigener  Beobachtung,  dass 
trotz  bedeutender  anatomischer  Veränderungen  die  Knickung 
sammt  den  Folgezuständen  durch  Fleiss  und  Ausdauer  sich 
beheben  Hessen.  Drei  Indicationen  sind  hierbei  in's  Auge  zu 
fassen,  hergeleitet:  1)  aus  der  Krankheit  in  ihrem  pathologisch- 
anatomischen Substrat,  2)  aus  den  Folgezuständen  und  Com- 
plicationen,  3)  aus  der  Individualität  der  Kranken. 

Die  von  Rokitansky,  Virchow  u.  A.  nachgewiesenen 
Bindegewebsveränderungen  an  den  KnickUngsstetten,  ebenso 
die  Adhäsionen  der  Gebärmutter  sind  häufig,  aber  nicht  überall 
vorhanden.  Dr.  F.  beobachtete  die  Adhäsionen  am  häufigsten 
vom  Grunde  oder  der  vorderen  Wand  der  Gebärmutter  rückwärts 
nach  dem  Mastdarme  und  dem  Douglasischen  Räume.  Zuweilen 
fand  sich  als  Ueberrest  der  Anheftungen  nur  ein  Strang. 
Diese  Fälle  betrautet  er  als  unheibar.  Dagegen  lassen  nach 
seiner  Meinung  diejenigen  Anheftungen  Veränderung  und  Heilung 
zu,  welche  man  als  ligamentöse  Massen  im  Knickungswinkel 
fühlen  kann.  Was  vorzugsweise  die  Hydronephrose  anlangt, 
so  findet  man  sie  überhaupt  oft  bei  Frauen  in  Folge  von 
Verzerrung  des  Blasenhalses,  Vergrößerung  der  Gebärmutter, 
Eierstocksgeschwülsten,  fibrösen  Entartungen  und  Knickungen 
der  Gebärmutter.  Die  Hydronephrose  führt  nieist  nicht  bis 
zur  Atrophie,  doch  sind  die  begleitenden  Symptome  sehr 
auffällige  und  lästige.  Zwei  Fälle  bedeutender  Entwickelung 
der  Hydronephrose  kennt  der  Redner.  Die  Ursachen  sind 
doppelter  Art.  Die  Stenosirung  eines  oder  beider  Harnleiter 
tritt  nämlich  entweder  ein  durch  Druck,  nach  Bindegewebs* 
entzAndung,  oder  durch  Knickung  bei  Senkung  oder  Knickung 
der  Gebärmutter.  In  diesem  Falle  ist  nur  durch  Reposition 
der  Gebärmutter  Hälfe  möglich.  Dr.  F.  spraoh  hierüber 
schon  gelegentlich  der  Veröffentlichung  eines  Falles  von 
Hanüetter-Gebirmutterfistel.     Der    anatomische  Verlauf   des 


v»d  Aeräte  in  Karlsbad  im  Jahre  186«.  4M 

Harnleiters,  der  neben  dem  Cervix  uteri  angebetet  ist,  die 
durch  Perimetritis  hinzukommende,  öfter  stattfindende  An* 
löthung  als  Loszerrung  des  Harnleiters  von  der  Gebärmutter 
erklärt  den  Vorgang.  Als  Symptome  der  Hydronephrose  be* 
zeichnet  der  Vortragende  zunächst  einen  bohrenden  Sehmerz 
in  der  Lumbaigegend,  der  in  der  Lendengegend  und  selbst  in 
den  Schenkeln  empfunden  werde  und  die  Beweglichkeit  hinderet 
Ferner  Cardialgie,  Harndrang,  Neuralgien  ausgehend  vom 
Sympathicus,  als  Kopfweh,  Zahnweh.  Das  Leiden  wurde  häufig 
für  Blasencatarrh  gehalten  oder  mit  dem  Namen  der  Hysterie 
belegt.  Als  eigentümlich  wird  die  zeitweilige  Remission  der 
Erscheinungen  hervorgehoben.  Der  Urin  verhalt  sich  hierbei 
wie  bei  chronischem  Blasencatarrh,  er  ist  trübe,  enthält  zu 
einem  Dritttheil  trüben,  schleimigen  Bodensatz  und  bildet  bald 
nach  der  Entleerung  ein  Häutchen.  Der  dicke  Satz  besteht 
aas  Blasenschleim  mit  Epithelien  der  Harnwege,  die  fettig 
entartet  sind,  das  Häutchen  aus  einer  structurlosen  Masse, 
aus  Fetttropfen  und  vereinzelten  Margarincrystallen.  Der  Harn 
reagirt  meist  neutral,  selten  alkalisch,  zeigt  das  kohlensaure 
Ammoniak  und  den  Harnstoff,  letzteren  bis  zu  4  und  4%  Proo. 
vermehrt  und  ebenso  Vermehrung  des  Chlornatriums,  somit  den 
Zustand  eines  concentrirten,  im  ersten  Stadium  der  Zersetzung 
begriffenen  Harnes.  In  dem  bereits  angeführten  Falle  konnte 
man  die  Niere  durch  gleichzeitigen  Druck  von  der  Lumbal* 
gegend  und  von  vorn  her  fühlen,  und  die  Geschwulst,  welche 
klopfend  auf  der  Iliaca  communis  lag,  reponiren.  Dr.  F.  sah 
das  Leiden  meist  rechtsseitig,  aber  auch  beiderseits.  Der 
gesammte  Beckeninhalt  betheiligte  sich  dabei  bald  durch 
Atrophie,  bald  durch  Hypertrophie.  Im  ersteren  Falle  waren 
die  Scheidenwände  atrophisch,  das  Laquear  weit,  der  gesammte 
Beckeninhalt  leicht  durchzufühlen,  selbst  die  Knochen  waren 
dünner  und  durchscheinend,  die  Temperatur  vermindert,  die 
Gebärmutter  schlaff  und  beweglich.  Zugleich  allgemeine  Anämie 
und  Magerkeit  und  zwar  vorzugsweise  im  Becken  und  un- 
abhängig von  einer  Consumtionskrankbeit  Bei  Hypertrophie 
fand  man  die  Gebärmutter  vorn  fixirt  und  schmerzhaft  gegen 
Druck.  In  wie  weit  hierbei  ein  vorangegangenes  Wochenbett 
oder  Ernährungsstörung  die  veranlassende  Ursache  war,  liess 
sich  nicht  sagen. 


464    XXIV.  Germern* ,  Verftannstaog  deutscher  Ntfarforscher 


Die  Therapie  hat  zunächst  die  pathologisch -2 
Veränderung  der  geknickten  Gebärmutter  zu  beröcksichtigen 
und  durch  mechanische  Aufrichtung  und  Erhaltung  darin 
möglichst  den  normalen  Zustand  herzustellen. 

Geheimrath  Betschier  bestätigt,  aufgefordert  von  Dr.  Fn 
dass  diesem  die  Herstellung  der  Kranken  im  betreffenden 
Falle  vollständig  gelungen  und  dass  vermöge  der  Reproductivität 
der  Gebärmutter  selbst  eine  neue  Verdickung  des  Knickungs- 
wiukels  eingetreten  sei.  Die  Heilung  erfordert  oll  eine 
Vorciir  und  eine  gewissenhalte  Ausdauer  von  ein*  bis  ein- 
undhalbjähriger  Behandlung.  So  lasse  sich  Alles  oder  doch 
sehr  viel  erreichen.  Die  kurzer  abgeknickte  Sonde  von  VaUeiw 
verdient  den  Vorzug  vor  der  von  Kiloisch,  oder  man  bediene 
Bich  einer  Sonde  aus  englischem  Zinn.  Die  Adhäsionen  werden 
im  Verlaufe  der  Behandlung  länger  und  resorbirt,  ebenso  wie 
die  Athembewegungen  diesen  Einfluss  auf  die  plenritischen 
Anheftungen  der  Lunge  üben.  Bleibt,  was  die  Folgezustände 
und  die  Complicationen  anlangt,  in  einer  geknickten  Gebär- 
mutter nach  der  Menstruation  durch  zwei  bis  drei  Tage  Blut 
zurück  und  zersetzt  es  sich,  veranlasst  die  gehemmte  Blut- 
circulation,  blennorrhoisches  Secret,  bildet  sich  Hydronephrose, 
so  sind  alle  diese  Zustände  nur  durch  Beseitigung  der  Knickung 
dauernd  zu  heben.  Zu  Hebung  der  locakn  Hypertrophie 
wurden  Antiphlogose,  Resorbentien,  Kräuterschwämme,  Uterus- 
douche,  medicamentöse  Klystiere  empfohlen.  Letztere  theils 
um  den  Magen  zu  schonen,  theils  um  als  Cataplasmen  zu 
wirken,  theils  um  den  Stuhl  zu  fördern.  Die  Individualität 
endlich  erfordere  vor  Allem  Berücksichtigung  des  synochalen, 
erethischen  oder  torpiden  Zustande«  der  leidenden  Organe, 
je  nach  der  Constitution  der  Kranken. 

Geheimrath  Behm  (Stettin)  hebt  noch  hervor  T  dass 
Rtickwärtaknickung  der  Gebärmutter  auch  ohne  irgend  welche 
auffälligen  Symptome  und  gefahrlos  verlaufen  könne,  und 
theilt  zwei  Krankengeschichten  mit  Im  ersteren  dieser  Fälle 
bestand  Sterilität,  Atrophie  der  Gebärmutter,  keine  Adhäsionen, 
im  zweiten  wurde  die  Knickung  durch  hinzukommende 
Schwangerschaft  gehoben. 

Zinn  Schlüsse  gelangte  eine  Abhandlung  von  Dr.  C.  JL 
Schreiber   (Königsberg):    „Ueber   die   wahre    und   alleinige 


und  Aente  in  Ktrlsbftd  im  Jahre  18S2.  466 

Ursache  des  Eintritts  der  Geburtswehen  im  schwängern  Uterus, 
Nürnberg  1861"  zur  VertheSung  an  die  Versammlung.  Die 
Diseassion  Aber  eine  von  demselben  angeregte  Frage:  „Wie 
und  wann  bilden  sich  sowohl  die  Umschlingungen  der  Nabel- 
schnur, um  verschiedene  Theüe  des  Fötus  als  auch  die  wahren 
Knoten  in  derselben  ?"  wurde  wegen  vorgerückter  Zeit  vertagt. 


Zweite  Sitzung.    Am  19.  September. 

Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Hecker  (München). 
Schriftführer:  Dr.  Brechler. 
Die  Versammlung  wird  zunächst  benachrichtigt,  dass 
Medicinalrath  Günther  (Zwickau)  zum  Zwecke  einer  Discussion 
über  einzelne  Fragen  der  Geburtshülfe  aus  dem  Entwürfe  einer 
Medicinalordnung  für  das  Herzogthum  Gotha  für  Sonnabend 
den  20.  eine  gemeinschaftliche  Sitzung  mehrerer  Sectionen 
beantragt  habe.  Prof.  Hecker  und  Geheimrath  Betschler 
sprechen  gegen  diesen  Antrag,  der  auch,  nachdem  Prof.  Jaksch 
noch  erwähnte,  dass  vorerst  eine  Specialisirung  der  hierbei 
vorzukommenden  Fragen  stattzufinden  hätte,  per  majora  ab- 
gelehnt wird.  Hierauf  beginnt  Prof.  C.  Braun  (Wien)  seinen 
Vortrag : 

lieber  die  Statistik  der  Puerperalkrankheiten 
im  Wiener  Gebärbause. 

Prof.  Braun  bemerkt  zunächst,  dass  er  den  Gegenstand 
seiner  Besprechung  durchaus  nicht  fl&r  abgeschlossen  erachte 
und  dass  er  genaue  statistische  Zahlen  der  Versammlung  im 
nächsten  Jahre  vorlegen  werde.  Bei  Entwickelung  seiner 
Ansichten  komme  es  ihm  gegenwärtig  bloss  darauf  an,  eine 
lehrreiche  Discussion  anzuregen.  Aus  der  hier  folgenden 
Statistik  des  Wiener  Gebärhauses  gebt  hervor,  dass  dieses  fast 
ausschliesslich  für  die  Schule,  ein  kleiner  Theil  für  die  geheime 
Abtheilung  bestimmt  ist;  vom  Jahre  1850—1860  waren  auf 
letzterer  nie  über  3—400,  auf  der  Schule  über  7—8000 
Geburten.  Beide  Schulen,  sowohl  für  die  Aerzte  als  Hebammen, 
sind  im  allgemeinen  Krankenhause  und  von  einander  getrennt 
Die  Hälfte  aller  in  letzterem  verpflegten  Weiber  sind  Wöchnerinnen. 
Die  erste  Gebärklinik   hat  18  Säte,   die  hoch,  geräumig  und 


466    XXIX.  G&rmmin,  Versammlung  dentaotor  Naturforscher 

niebt  fiberfüllt  sind.  Die  Räume  für  die  kranken  Wöchnerinnen 
und  Schwangeren  sind  etwas  mangelhaft;  es  sind  479  Betten 
für  die  kranken  Wöchnerinnen  und  in  jedem  Saale  im  Durch- 
schnitte 26  Bitten,  welche  Räumlichketten  jedoch  erst  seit 
fünf  Jahren  bestehen.  Der  Unterricht  dauert  das  ganze  Jahr. 
In  der  ersten  Klinik  werden  jährlich  250—300  Studirende 
unterrichtet  Für  je  eine  Woche  wird  eine  bestimmte  Zahl 
von  Praktikanten  festgesetzt,  meist  12,  selten  mehr.  Unter 
diesen  befinden  sich  keine  Wundärzte.  Ein  Dritttheil  derselben 
sind  Ausländer.  In  der  zweiten  Klinik  werden  durchschnittlich 
200  Hebammen  zum  Unterrichte  zugelassen. 

Die   Jahre    1850 — 1855    bieten    bei    Anwendung   aller 
Vorsieh  tsmaassregeln    und     der    Chlorwaschungen     folgende 


statistische  Verbältnisse  dar: 

Jsbr. 

Zabl 

der 

Gebnrten. 

SterbefSllo. 

Mortalitits- 
verhMtni*«. 

1850 

7204 

122 

1,7  Procent. 

1851 

7614 

201 

2,6        „ 

1852 

8006 

376 

4,6        „ 

1853 

7765 

160 

2 

1854 

7968 

614 

8,5       „ 

1855 

6823 

370 

ö,o         „ 

Von  1849—1853  war  Prof.  Braun  Assistent,  während 
welcher  Zeit  bei  sorgfältigen  Chlorwasserwaschungen  (denn 
Chlorkalk  in  gewöhnliches  Wasser  gebracht,  bleibt  wirkungslos) 
die  Mortalität  im  Jahre  1852  doch  4,6  Procent  erreichte,  fan 
Jahre  1854  und  1855,  wo  Braun  nicht  in  Wien  war,  wurde 
dieselbe  Vorsicht  beobachtet  und  die  Zahl  der  Verstorbenen 
betrug  über  8  Procent  und  5  Procent.  Es  sind  aber  hier  nur 
die  niederen  Ziffern  als  richtig  anzusehen,  die  höheren  Züfern 
müssen  höher  genommen  werden  durch  Hinzufügung  der* 
jenigen,  welche  während  dieser  zwei  Jahre  als  Kranke  nach 
der  Geburt  in's  Krankenhaus  abgegeben  wurden.  Denn  nur 
für  Gesunde  haben  die  beiden  Gebärschulen  gute  Räumlichkeiten, 
nicht  für  Kranke.  Nur  17  —  20  Kranke  kann  ein  Zimmer 
aufnehmen.  Bei  zahlreichen  Erkrankungen  müssen  daher  die 
Wöchnerinnen  übertragen  werden. 


«ad  Aaste  in  Kulebtd  im  Jean  IMS. 


457 


Weitere  Daten  zeigen: 

Jahr. 

Z*M 

der 
Geburten. 

Sterbefiille. 

MortMit&ta- 
Verhältnisse. 

1856 

7446 

289 

3   Proceut. 

1857 

8524 

205 

2,4      „ 

1858 

8925 

147 

1,6      „ 

1859 

8879 

128 

1,5      „ 

1860 

8058 

164 

2        „ 

Im  Jahre  1866,  zu  welcher  Zeit  Prof.  Braun  jun.  die 
erste  Klinik  supplirte  und  Prof.  Bartsch  die  zweite  Klinik 
innehatte,  wurden  bloss  Waschungen  mit  Seife  vorgenommen, 
und  die  Mortalität  blieb  doch  gering,  wenigstens  eben  so 
günstig,  wie  in  den  früheren  besseren  Jahren.  Von  1867 — 1860 
war  die  grösste  Mortalität  2,4  Procent,  die  kleinste  1,5  Procent. 
Damals  wurden  unter  Prof.  C.  Braun  gegen  200  Aerzte  im 
Operiren  an  Leichen  eingeübt,  weil  nur  diejenigen ,  welche 
am  Cadaver  fertig  operiren,  zu  den  Operationen  an  der  Klinik 
zugelassen  werden.  Zur  Reinigung  der  Hände  wurde  bloss 
Nagelbürste  und  Seife,  aber  kein  Chlor  genommen.  Braun 
hält  die  Seife  für  vorteilhafter  als  Chlorkalk,  der  nur  den 
Geruch  für  einige  Zeit  verdeckt.  Kranke  wurden  nicht  touchirt 
Man  liess  die  Kranken  nicht  unter  den  Gesunden  sterben, 
sondern  überwachte  sie  in  getrennten  Kammern. 

Bezüglich  der  Differenzen  zwischen  beiden  Kliniken 
wechseln  von  1850 — 1853  selbe  häufig;  die  Jahre  1854  und 
1855  sind  ominös  für  beide  Kliniken;  die  Jahre  1857  —  1860 
bieten  kleine  Unterschiede  an  den  zwei  Schulen  und  sind  für 
beide  sehr  günstig,  wie  dies  aus  Folgendem  ersichtlich: 

Qesammt- 


Jahr. 

mortalittU 

Ente 

Zweite 

an  beiden 

Klinik. 

Klinik. 

Kliniken. 

1857 

2,4  Procent. 

2  Proceut. 

2,1  Procent. 

1858 

1,6        „ 

1.9      „ 

1,4        „ 

1859 

1,5        „ 

1,9      „ 

1 

1860 

2 

2,2      „ 

2 

Hier  fragt  sich's,  yie  viel  diese  oder  jene  Klinik  Kranke 
in's  Spital  abschickte.     In  Wien  werden  nach  10  Tagen  die 

MoaaUtehr.  f.  Geburuk.  1869.   Bd.  XX.,  Hft.  6.  30 


458    XXIV.  6«rffl«ftny  Vorsatttnl^ii^  dentteheTNatttrforicher 

gesunden  Wöchnerinnen  der  Findetanstalt  und  die  kranken 
dem  Spitale  zugewiesen,  ausser,  wenn  sie  in  Hinsicht  des 
Unterrichtes  ein  Interesse  darbieten.  Denn  im  Spital  tragen 
die  gesammten  Länder  die  Kosten.  Ebenso  werden  vice  versa 
kranke  Kreissende  aus  dem  Spitale  in's  Gebärhaus  transferirt 
mit  Ausnahme  der  Blatternkranken. 

Braun  citirt  bloss  die  in's  Spital  transferirten  Wöch- 
nerinnen und  zwar: 

t      t«i>.ä  Von  der  Von  der 

Im  Jaore 

ersten  Klinik.  «weiten  Klinik. 

1857  3  Procent  2  Procent 

1858  4       „  2       „ 

1859  5       „  3       „ 

1860  5       w  2       ,, 

Somit  wenigstens  2  Procent  mehr  von  der  ersten  Klinik; 
am  meisten  syphilitische  Kranke  (2  Procent),  ausserdem  meist 
chronische  Kranke,  die  früher  vom  und  dann  in  das  Spital 
zurücktransferirt  wurden.  Die  grössere  Zahl  der  Transferirten 
an  der  ersten  Klinik  erklärt  sich  aber  daraus,  dass  die  erste 
Klinik  im  Ganzen  50  Tage  länger,  daher  mehr  aufnimmt  als 
die  zweite  Klinik.  Die  Sterblichkeit  war  in  den  vier  Jahren 
1857  — 1860  gewiss  eine  geringe,  obgleich  an  1000  Studflfend* 
unterrichtet  worden. 

Das  Jahr  1861  war  anfangs  günstig,  es  kamen  im  Sommer 
bloss  wandernde  Erysipele  vor;  vom  22.  October  an  zeigten 
sieh  jedoch  zahlreiche  Puerperalerkrankungen.  In  der  feftrten 
Octoberwoche  erkrankten  auf  der  ersten  Klinik  50,  von  denen 
btB  1.  November  22  starben. 

Es  fand  zu  dieser  Zeit  keine  Ueberföllung  statt  TägHeh 
standen  über  50 — 60  Betten  leer.  Die  Reinlichkeit  ward 
sehr  gepflegt.  Wäsche,  Kotzen,  Stroh  wurden  gut  geliefert, 
jede  Bettfourniture  der  Kranken  wurde  ersetzt.  Die  Wäscherei 
der  Gebäranstalt  genügte  den  Anforderungen.  Die  Ventilation 
geschah  durch  Oeflhen  der  Fenster  hinreichend.  Es  wurde 
noch  nicht  geheizt  wegen  Wärme.  Der  Heizutigsapparat  wurde 
von  1857 — 1861  ebenso  wie  die  Ventilation  sehr  überwacht 
Die  Ventilationsvorrichtungen  sind  die  Meissner'&chen.  Es 
wird  von  aussen  und  zwar  mit  Eichenholz  geheim,  so  dass 
allerdings    nicht   stets   Feuer   vorbanden    ist    uöd  die   Zug- 


«nd  Amte  in  Karlsbad  Im  Jahr«  1862. 

öttnngen  betragen  leider  nur  8  — 10  Zoll.  Jede  Kranke 
wurde  scbnell  übertragen  and  separirt,  was  Brown  aus 
Humanttätsrücksichten  stets  anempfiehlt.  Das  Krankenzimmer 
ist  150  Schritt  entlernt.  Besonders  das  Schwefelammoniam 
der  Lochien  wirkt  auf  Gesunde  und  Kranke,  und  zwar  auf 
alle  Kranke,  nicht  bloss  auf  Wöchnerinnen,  sehr  übel.  Die 
Abzugskanäle  waren  nicht  überfallt,  die  Aborte  reinlich,  ohne 
Gestank  und  mit  Wasserciosets  versehen.  Von  den  Praktikanten 
wurden  nur  zwölf  täglich  beschäftigt  und  jedem  nur  eine 
Gebärende  zugewiesen.  Das  Touohiren,  die  praktischen 
Uebungen  überhaupt  wurden  damals,  wegen  der  erst  vor 
sich  gehenden  Inscription,  noch  wenig  betrieben  und  der 
Unterricht  konnte  qicht  angeklagt  werden.  Die  acht  Warte- 
hebammen kamen  mit  den  kranken  Wöchnerinnen  gar  nicht 
zusammen,  nur  der  Praktikant  stützte  den  Damm.  Die  Ober- 
hebamme machte  keine  Injectionen.  Jedes  Wocbenzimmer 
ward  nach  zehn  Tagen  durch  zwei  Tage  geleert  und  gelüftet, 
vor  dem  Belegen  jedes  Mal  gescheuert  und  stark  geheizt. 
Die  Bettstatt  wurde  in  siedendes  Wasser  getaucht,  alle  Betten 
abgeräumt  und  dem  Luftzuge  ausgesetzt.  Die  Wöchnerinnen 
gingen  nicht,  sie  wurden  übertragen.  Vor  jeder  Exploration 
roussten  die  Hände  mit  Seife  und  Bürste  (nicht  mit  Chlorkalk) 
gereinigt  werden. 

Besonders  zu  erwähnen  ist,  dass  in  der  letzten 
Octoberwoche  ein  Fünftheil  der  in  das  Gebärhaus 
Aufgenommenen  schon  krank  dahin  kam  laut  der 
Protokolle.  Im  October  erkrankten  von  65  Wöchnerinnen 
an  der  ersten  Klinik  50,  wovon  25  starben,  während  ausser- 
dem mehrere  transferirt  wurden.  22  starben  allein  in  der 
letzten  Woche  des  October.  In  Folge  dessen  wurden  von 
Braun  ganz  ausserordentliche  Maassregeln  getroffen.  Vom 
1.  November  an  durfte  kein  Student  exploriren,  den  acht 
besoldeten  Wartehebammen  der  Schule  wurden  Geburten 
atiein  übertragen;  es  wurde  kein  Operationscurs  gegeben,  kein 
praktischer  Unterricht  ertheilt;  massenhafte  Transferirungen 
fanden  statt,  so  dass  alle  entschieden  Puerperatkranken  ab- 
gegeben wurden. 

Die  chemische  Desinfection  wurde  vielfach  geübt  und 
zwar,  da  sich  verdünnte  Lösungen  von  Chlorkalk  1854  und 

so* 


462    XXIV.   (forma**,  Versammlung  doutaeher  Naturforscher 

jede  vierte  der  Erkrankten  vorher  fieberte.  Während  dieser 
vier  Monade  trugen  13  Procent  der  Entbundenen,  13  Procent 
der  Erkrankten  und  13  Procent  der  Verstorbenen  nicht  aus. 
Das  Verhältniss  der  Erkrankungen  im  Gebärhause  und  Spital 
überhaupt  (eingerechnet  alle  anderen  acuten  Processe)  war 
in  den  letzten  12  Jahren  parallel.  Die  Mortalität  im  Gebär- 
hause war  von  1851  — 1862  am  höchsten  im  März  379,  dann 
im  December  350,  im  Januar  336,  im  November  315,  im 
April  290,  im  Februar  283,  im  October  260,  im  Mai  255, 
im  September  180,  im  Juli  179,  im  Juni  158,  im  August  152; 
die  Sommerhälfte  somit  im  gleichen  Verhältnisse  zur  Kranken- 
bewegung  im  Spital  fast  um's  Doppelte  geringer,  als  die 
Winterhälfte.  _ 

Dritte  Sitzung.    Am  20.  September. 
Vorsitzender:  Prof.  Dr.  Hecker.    Schriftführer:  Dr.  Brechler. 

Prof.  H.  hält  einen  Vortrag 

über  Rhachitis   congenita. 

Eine  Schwangere,  die  im  Februar  dieses  Jahres  in  die 
Münchener  Gebäranstalt  aufgenommen  und  daselbst  entbunden 
wurde,  gab  H.  und  Prof.  Buhl  Veranlassung  zu  einer  Reihe 
von  Untersuchungen,  die  sich  auf  jene  bisher  nur  beiläufig 
oder  gar  nicht  genauer  erörterte  Krankheitsform  bezogen. 
Abgesehen  von  den  pathologisch -anatomischen  Verhältnissen 
aber  war  jener  Fall  auch  in  geburtshülflioher  Beziehung 
mannichtacb  complicirt  Der  Geburtsverlauf  nämlich  war 
folgender:  Eine  23  Jahre  alte,  kleine  Person  wurde  von 
Eciampsie  befallen  und  kam  deshalb  am  19.  Februar  d.  J. 
in  die  dortige  Entbindungsanstalt  Die  eclamptischen  Anfälle 
wiederholten  sich  rasch,  so  dass  fünf  innerhalb  der  nächsten 
zwei  Stunden,  im  Ganzen  16  bis  17  heftige  Anfälle  beobachtet 
wurden.  Die  Untersuchung  des  Unterleibs  ergab,  dass  das 
Kind  ausgetragen  sein  musste  und  üT.  vennuthete,  dass 
möglicherweise  selbst  Zwillinge  vorhanden  seien,  weil  die 
Ausdehnung  des  Unterleibs  bei  dem  nur  180  Centimeter  langen 
Individuum  eine  ungewöhnlich  grosse  war.  Die  Unteruchung 
blieb  jedoch  auch  ausserhalb  der  eclamptischen  Anfälle  so 
erschwert,   dass  das  Vorhandensein  von  Zwillingen  nicht  mit 


\ 


und  Aerqte  in  Karlsbad  im  Jahre  1868.  463 

Sicherheit  erwiesen  werden  koante.  Innerlich  fand  sich  der 
Muttermund  für  zwei  Finger  zugänglich,  die  Blase  stehend, 
der  Kopf  vorliegend.  Der  Vorberg  wurde  ungewöhnlich  leicht 
erreicht.  Wiederholte  Messung  ergab  eine  Diagonalconjugata 
von  3  Zoll,  so  dass  man  glaubte,  höchstens  auf  eine  Con- 
jugata  vera  von  2  Zoll  5  Linien  bis  2  Zoll  6  Linien  rechnen 
zu  können.  Eine  Entscheidung  musste  wegen  des  Lebens  des 
Kindes  bald  getroffen  werden  und  da  die  Prognose  auch  für 
die  Mutter  übel  war,  so  entschloss  man  sich,  wenn  auch  nicht 
ohne  Bedenken,  zum  Kaiserschnitt  Die  Operation  wurde  in 
der  Chloroformnarkose  ausgeführt  Von  einer  Blutung  keine 
Spur,  weder  hei  Durchschneidung  der  Haut,  noch  bei  Durch- 
schneidung der  Gebärmutter.  Das  erste  Kind,  dessen  Ellen- 
bogen sogleich  hervortrat,  wurde  an  dem  Kopfe  entwickelt, 
war  asphyk  tisch,  ein  Knabe.  Jetzt  drängte  sich  sogleich  eine 
neue  Fruchtblase  in  die  Schnittwunde,  und  nach  deren 
Sprengung  wurde  ein  scheintodtes  Mädchen  hervorgezogen, 
das  unter  Belebungsversuchen  alsbald  kräftig  athmete.  Beide 
Kinder,  durch  eine  Amme  ernährt,  leben  noch  heute  und 
sind  ungewöhnlich  gross.  Das  eine  der  Kinder  hat  schon 
zwei  Zähne,  und  jedes  einzelne  kann  für  ein  grosses  Kind 
gelten.  Die  Mntter  ging  innerhalb  24  Stunden  nach  der 
Operation  zu  Grunde.  Weder  an  der  Bauch  wand,  noch  am 
Uterus  war  eine  Spur  von  Verklebung  zu  finden.  Darm- 
schlingen lagen  vor  dem  Uterus.  Die  Nieren  befanden  sich  im 
Uebergange  vom  ersten  zum  zweiten  Stadium  der  Brightischen 
Erkrankung.  Prof.  Buhl,  welchem  die  Nieren  ohne  alle 
weitere  Mittheilung  vorgelegt  wurden,  erklärte,  die  Krankheit 
könne  ohngefähr  seit  acht  Tagen  bestehen,  und  gerade  seit 
dieser  Zeit  war  auf  ein  geringes  ein  sehr  starkes  Oedem  der 
Füsse  gefolgt.  Die  Kranke  hatte  in  der  letzten  Zeit  ausser 
Kaffeebohnen  und  Anis  nichts  mehr  genossen  und  H.  sprach 
seine  Ueberzeugung  dahin  aus,  dass  in  vielen  Fällen  die 
Eclampsie  Folge  der  Nierenkrankheit  sein  möge  oder  diese 
ihr  wenigstens  vorangehe,  und,  dass  in  vorliegendem  Falle  die 
Nierenkrankheit  gewiss  nicht  Folge  der  Eclampsie  gewesen  sei. 
Die  Durchmesser  des  Beckens,  speciell  die  Gonjugata  vera 
fand  üT.  grösser,  als  er  vermuthet  hatte.  Die  Conjugata  vera 
betrug  2  Zoll  9  Linien.    Der  Jrrthum  wurde,  abgesehen  von 


464    XXIV.  Qermann,  Versammlung  dent* eher  Naturforscher 

den  Schwierigkeiten  bei  der  Untersuchung,  begünstigt  durch 
ein  falsches  Promontorium  und  eine  sehr  starke  Becken- 
neigung. Man  nahm  den  Yerbindungsknorpel  des  ersten  und 
zweiten  Rreuzwirbels  für  den  Vorberg  und  die  Schamfuge 
▼erlief  so  nach  einwärts,  dass  der  Abzug  von  der  Conjugata 
diagonalis  nur  5  Linien  betrug.  H.  hielt  die  Mutter  für  mit 
Wahrscheinlichkeit  verloren,  und  ob  es  gelungen  wäre,  die 
Rinder  auf  natürlichem  Wege  lebend  zu  entwickeln,  Wieb 
unentschieden.  Von  dem  Skelett  der  Verstorbenen  Hess  H. 
eine  Photographie  anfertigen,  welche  den  Anwesenden  vor- 
gelegt wurde.  Bei  der  Betrachtung  fällt  die  Verkürzung  der 
oberen  und  unteren  Extremitäten  auf.  Die  Knochen  sind  fast 
gerade,  aber  zu  kurz.  Das  Verhältniss  der  Länge  der  Ex- 
tremitäten zu  der  Gesammtlänge  in  Procentzahlen  ausgedrückt, 
ergiebt  in  diesem  Falle  für  die  oberen  Extremitäten  37  Procent, 
bei  normalen  Verhältnissen  dagegen  40  Procent,  bei  einem 
Falle  von  Rhachitis  acquisita  48  Procent,  für  die  unteren 
Extremitäten  bei  der  Rhachitis  congenita  41  Procent,  bei  der 
Rhachitis  acquisita  51  Procent,  bei  normalen  Verhältnissen 
50  Procent 

Die  Anamnese  anlangend,  so  wurde  nach  Aussage  der 
Eltern  die  Person  mit  kurzen  Extremitäten,  insbesondere  mit 
sehr  kurzen  Armen  geboren.  Sie  erlernte  das  Geben  erst 
nach  iy«t  Jahren.  Nach  jedem  Durchbruche  eines  Zahnes 
vermochte  sie  für  einen  Monat  und  länger  nicht  zu  gehen, 
woraus  sich  schtiessen  lässt,  dass  der  intrauterine  Krankheits- 
process  extrauterin  sich  fortsetzte.  Die  erste  Menstruation 
trat  im  15.  Jahre,  Schwangerschaft  im  23.  Jahre  ein.  Der 
Vortragende  stellt  nun  die  Frage,  ob  hier  ein  Fall  von 
Rhachitis  congenita  vorliege  und  was  sich  über  dies  Capitel 
in  der  Literatur  finde.  Meist  werde  nur  auf  Skelette  neu- 
geborener Kinder  hingewiesen.  H.  selbst  besitzt  ein  solches 
Skelett  von  einem  10  Tage  alten  Kinde  mit  sehr  kurzen 
oberen  Extremitäten  und  ebenso  dessen  Photographie,  welche 
vorgelegt  wird.  Auf  der  Photographie  ist  derselbe  Krankhetts- 
process  zu  sehen,  welchen  Vrolik  in  seinem  grossen  Atlas 
mit  „Osteogenesis  imperfecta "  bezeichnet;  die  unteren  Ex- 
tremitäten sind  so  verbogen,  dass  sie  fast  einen  Kreis  bilden, 
die  Biegung  und  Verwerfung  der  einzelnen  Knochen  so  be- 


und  Aerzte  in  Karlsbad  im  Jahre  1862.  465 

deutend,  dass  man  an  intrauterine  Fracturen  denken  kann, 
welche  heilten.  Die  Schädelknochen  sind  so  dünn,  dass  man 
vollständig  hindurch  sehen  kann.  Es  lässt  sich  von  diesem 
Process  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen,  ob  er  Rhachitis  con- 
genita sei  oder  nicht. 

Ebenso  lässt  sich  nach  Hecker>&  Meinung  der  Beweis 
nicht  fähren,  ob  die  Verbilduug  der  Knochen  von  Fracturen 
herrühre,  oder  nicht,  es  könne  ebensowohl  Rarefactio  und 
Anhäufung  von  Knochenmasse  sein.  Heinrich  Müller  in 
Würzburg  (vergl.  die  Würzburger  medic.  Zeitschr.,  Bd.  I., 
H.  3  u.  4,  1860)  untersuchte  die  Knochen  eines  Kalbs -Embryo, 
welcher  in  die  Würzburger  Anstalt  eingeliefert  wurde.  Dieser 
zeichnet  sich  durch  eine  ungewöhnliche  Kürze  der  Extremitäten 
aus,  ferner  durch  welke  Haut  und  durch  einen  Schädelbau, 
den  Müller  als  einen  cretinischen  bezeichnete.  Das  ganze 
Gesichtsprofil  ist  zurückgetreten  und  die  Nase  fallt  platt  ab. 
Müller  zeichnete  auch  einen  Durchschnitt  des  Oberschenkels 
desselben  Kalbes  ab,  an  welchem  eine  ungewöhnlich  zurück- 
gebliebene Knochenbildung  bemerkt  wird,  nach  Müße^s  An- 
sicht, in  Folge  von  Rhachitis  congenita.  H.  untersuchte  nun 
mit  Buhl  eine  unter  dem  Namen  Phocomelus  bekannte  Miss- 
geburt und  machte  Durchschnitte  durch  die  betreffenden 
Oberschenkel  und  durch  das  ganze  Skelett.  Ein  fünfmonatlicher 
Phocomelus  wurde  neben  einem  gleich  alten  normalen  Fötus 
abgebildet  vorgelegt.  Der  Hauptunterschied  zeigte  sich  in  der 
Knochenbildung.  Bei  dem  Oberschenkel  des  normalen  Fötus 
sind  nur  die  Epiphysen  knorpelig,  bei  der  Robbengliederbildung 
dagegen  finden  sich  genau  die  Verhältnisse,  welche  H.  Müller 
bei  dem  Oberschenkel  jenes  Kalbs -Embryo  schildert.  Ausser- 
dem erscheint  die  ganze  Wirbelsäule  des  Phocomelus  noch 
völlig  knorpelig,  und  verbindet  sich  mit  der  auch  noch  ganz 
knorpeligen  Schädelbasis  (eine  spheno-basilare  Synostose 
fehlt)  fast  unter  einem  Winkel  von  180°,  während  die  einzelnen 
Wirbelkörper  des  normalen  fünfmonatlichen  Embryo  alle  ihren 
Knochenkern  haben  und  hier  die  Verbindung  zwischen  Wirbel- 
säule und  Basis  beinahe  rechtwinkelig  ist.  Die  Vergleichung 
des  zuerst  in  Rede  stehenden  Skeletts,  an  dessen  Schädelbasis 
gleichfalls  ein  sehr  steiles  Aufsteigen  des  Clivus  beobachtet 
wird,    mit    der   Phocomelenbildung    zeigt,    dass   jenes    zur 


4ß$     XXIV.  Qsrman»,  Voraatumlang  deutscher  Naturforscher  etc. 

Rhachitis  congenita  gehört,  wenn  man  den  Beweis,  dass  die 
Phocomelenbildung  eiue  Form  der  Rhachitis  congenita  sei, 
für  geführt  erachtet,  wovon  H.  eben  im  Hinblick  auf  die 
Untersuchungen  von  H.  Müller  nicht  im  mindesten  zweifelt 
Rücksichtlich  des  betreffenden  zweiten  Skeletts  lässt  H.  es 
zweifelhaft,  vielleicht  sei  es  eine  Modification,  eine  verschiedene 
Form  der  Rhachitis  congenita. 

Prof.  Braun  freut  sich,  in  obigem  Falle  eine  Bestätigung 
seiner  Ansicht  über  das  Verhältniss  von  Nierenerkrankung 
und  Eklampsie  zu  finden.  Die  über  das  Skelett  des  Kindes 
ausgesprochene  Meinung  hält  er  für  richtig.  Klinisch  jedoch 
sei  ein  solcher  Fall  sehr  schwer  zu  diagnosticiren.  Die 
Verkrümmung  der  Extremitäten  allein  sei  nicht  beweisend. 
Prof.  Patruban  (Wien)  kennt  unter  einer  Zahl  von  6 — 7000 
Geburten  nur  eine  einzige  ähnliche  Bildung.  Das  Kind  wurde 
drei  Monate  alt  der  k.  k.  Gesellschaft  der  Aerzte  vorgestellt 
und  war,  den  äusseren  Formen  nach,  dem  oben  erwähnten 
Kinde  sehr  ähnlich.  Er  glaubt,  dass  nur  durch  Messung 
und  Chemie  zugleich  hier  die  Grenze  bestimmt  werden  könne, 
die  Lösung  der  Aufgabe  aber  sei  noch  nicht  geliefert  Auch 
Prof.  Buhl  betrachtet  den  Begriff  der  angebornen  Rhachitis 
bis  jetzt  als  nicht  festgestellt.  Wolle  man  die  Charaktere  der 
Rhachitis  acquisita  auf  die  Rhachitis  congenita  übertragen, 
so  zeige  sich,  dass  die  genaue  Gestalt  der  erworbenen 
Rhachitis  angeboren  nicht  vorkomme,  oder  doch  nur  in 
einzelnen  Fällen.  Seiner  Meinung  nach  gehöre  das  grosse 
Skelett  zu  den  Phocomelen,  das  kleine  Skelett  eher  der 
Osteomalacie  als  der  Rhachitis  und  Phocomelie  an.  Das 
Skelett  sei  ungemein  brüchig,  bei  der  Phocomelie  dagegen 
finde  man  nur  Knorpel.  Dass  die  Kürze  der  Extremitäten 
allein  für  Rhachitis  nicht  beweisend  sei,  sucht  Dr.  Freund  jun. 
aus  einem  in  Berlin  vorhandenen  Skelett  einer  Frau  zu  be- 
weisen, an  welcher  Mursinna  den  Kaiserschnitt  machte. 
Dies  Skelett  verhält  sich  bis  zum  Becken  ganz  normal,  von 
da  aber  ab  sind  alle  Knochen  so  im  Wachsthum  zurück- 
geblieben, dass  das  Skelett  aus  zwei  verschiedenen  Skeletten 
zu  bestehen  scheint.  Mikroskopisch  lässt  sich  an  ihm  Rhachitis 
nicht  nachweisen.  H.  betrachtet  diesen  Fall  wegen  Be- 
schränkung der  Verkürzung  auf  die  unteren  Extremitäten  nicht 


XXV.    8m$n,  Die  operative  VerlSagenppfc?  etc.         467 

för  hierher  gehörig.  Eben  die  gleichmässige  Verkürzung  der 
Extremitäten  in  seinein  Falle  spreche  dafür,  dass  die  Störung 
des  Wachstbums  sehr  früh  eingetreten  sein  müsse,  da  (nach 
MiiBer)  die  Ausdehnung  der  Extremitäten  schon  sehr  früh 
beginne.  Auch  das  eigentümliche  Verhalten  der  Schädelbasis 
entspreche  in  seinem  Falle  ganz  dem  Verhalten  der  Phocoiuelen. 
Dr.  Bauehfuss  aus  St  Petersburg  hält  mit  Bruns  dafür, 
dass  Osteogenesis  imperfecta  und  Rbachitis  wohl  zu  unter- 
scheiden seien,  obwohl  letztere  auch  gleichzeitig  mit  Ver- 
kürzung der  Extremitäten  vorkomme.  Auf  eine  Anfrage  des 
Dr.  BrecKUry  ob  der  Urin  jener  Operirten  auf  Eiweiss 
untersucht  wurde,  erwidert  üTM  dass  er  reich  an  Eiweiss 
und  Faserstoffcylindern  war,  dass  aber  in  dem  Eiweiss  an 
sich  nichts  beweisendes  hier  liege,  weil  ja  eclamptische  Anfalle 
bereits  vor  der  Aufnahme  aufgetreten  waren;  das  für  die 
Aetiologie  der  Eclampsia  Wichtigste  hätte  die  Obduction  ergeben. 
Der  auf  diese  Discussion  folgende  Vortrag  des  Dr.  Hegar 
(Dartnstadt):  „lieber  Abort  in  den  ersten  Monaten  der 
Schwangerschaft"  wird  von  Dr.  H.  selbst  demnächst  in  der 
Monatsschrift  f&r  Geburtskunde  veröffentlicht  werden. 


XXV. 

Die  operative  Verlängerung  (Allongement  opöra- 

toire)  fibröser  Gebärmutterpolypen.  Eine  Methode 

der  Exstirpation  sehr  voluminöser  Polypen. 

Von 

Prof.  Dr.  G.  Simon  in  Rostock. 

Fibröse  Gebärmutterpolypen,  welche  eine  so  bedeutende 
Grösse  erreicht  haben,  dass  sie  immobil  in  den  Geschlechts- 
theilen  lagern1)  und  so  wenig  gestatten,   dass   man  weder 


1)  Immobil  find  (abgesehen  von  den  verwachsenen  Polypen) 
vorzugsweise  intrauterine  Polypen,  welche  mit  breiter  Basis  im 
Gebarmnttergrande  festaitsen  und  nur  mm  Theüe  in  die  Scheiß* 


468  XXV.    Simon,  Die  operative  Verlängerung 

mit  dem  Finger,  noch  mit  Instrumenten  zum  Stiele  gelangen 
kann,  bieten  den  bisher  gebräuchlichen  Operationsmethoden 
sehr  bedeutende,  manchmal  unüberwindliche  Schwierigkeiten 
dar.  —  Die  Conditio  sine  qua  non  zur  Excision  dieser  Polypen 
ist  die  Verkleinerung  des  Dickendurchmessers ;  denn  nur  durch 
sie  kann  man  hinreichenden  Raum  gewinnen,  um  zum  Stiele 
zu  gelangen  und  die  Excision  auszufuhren.  Nach  den  bisher 
gebräuchlichen  Methoden  griff  man  aber  diese  Polypen  immer 
von  der  Spitze  an.  Man  suchte  von  dieser  ausgehend  die 
Geschwülste  mit  scheeren-  oder  messerförmigen  Instrumenten 
so  hoch  hinauf  (von  der  Spitze  bis  zur  Basis)  zu  zertheilen, 
bis  der  Dickendurchmesser  geringer  geworden  war,  oder  man 
erstrebte  eine  Verkleinerung  dieses  Durchmessers  durch  trichter- 
förmige Aushöhlung  des  Polypen  von  der  Spitze  bis  zur  Basis. 
Aber  es  leuchtet  wohl  ein,  wie  ausserordentlich  schwierig 
eine  solche  Verkleinerung  des  Durchmessers  bei  beträchtlicher 
Grösse  des  Polypen  sein  muss,  wie  unzählige  Messer-  oder 
Scheerenschnitte,  die  alle  mit  den  Pingerspitzen  der  anderen 
Hand  controlirt  werden  müssen,  dazu  gehören,  um  bis  über  den 
grössten  Dickendurchmesser  zu  gelangen,  und  wie  durch  die 
lange  Dauer  der  Operation  die  Ausdauer  des  Arztes  und  die 
Kräfte  der  Patientin  aufs  Aeusserste  erschöpft  werden  können. 
Diese  Schwierigkeiten  der  Excision  sind  so  allgemein  anerkannt, 
dass  sonst  tüchtige  Operateure  die  Exstirpation  sehr  voluminöser 
Polypen  gar  nicht  zu  unternehmen  wagen.  Ja  ich  kenne 
Fälle,  in  welchen  die  Operation  zwar  unternommen,  aber 
unvollendet  gelassen  wurde,  weil  sich  der  Operateur  nach 
langem  Operiren  kein  glückliches  Ende  seiner  Unternehmung 
versprach,  oder  weil  die  Kräfte  der  Patientin  eine  Fortführung 
der  Operation  nicht  ertragen  hätten. 

Ich  glaube   nun  in   dem  Aüongement  eine  Methode  ge- 
funden zu  haben,  durch  welche  die  Hauptschwierigkeiten  der 

vorragen.  Dagegen  können  solche  Gebärmutterpolypen,  welche 
mit  ihrem  grössten  Umfange  in  der  Scheide  Hegen,  oft  noch 
mit  der  Geburtszange  zusammengedrückt  and  vor  die  Russeren 
Geschlechtstheile  gezogen  werden,  auch  wenn  sie  so  voluminös  sind, 
dass  man  bei  ihrer  ursprünglichen  Lage  nicht  zum  Stiele  gelangen 
kann.  —  Indessen  ist  auch  bei  diesen  Polypen  das  AUongement 
das  weniger  gewaltsame  und  deshalb  weniger  eingreifende  Verfahren. 


fibröser  Gebarmutterpolypen  etc.  4Q9 

Operation»  nämlich  die  Verkleinerung  des  Dickendurchwessers 
des  Polypen  auf  sehr  einfache  und  ungefährliche  Weise  er- 
reicht» die  ganze  Operation  sehr  erleichtert  und  abgekürzt 
wird.  Das  Allongement  besteht  in  transversaler  Ein- 
schneidung des  Polypenkörpers,  in  spec.  der  un- 
nachgiebigen Theile  der  Kapsel  des  Polypen,  bis 
die  Geschwulst,  durch  einen  an  ihrer  Spitze  an* 
gebrachten  Zug  in  die  Länge  ausgezogen  und  dabei 
so  verdünnt  wird,  dass  man  mit  leichter  Mühe  mit 
Finger  und  Instrumenten  zum  Stiele  gelangen  kann. 
Diese  Verlängerung  des  Polypen  auf  Kosten  seines  Dicken- 
durchmessers wird  durch  die  Eigenschaft  der  Fasern  der 
fibrösen  Polypen1)  bedingt,  dass  sieb  diese  sehr  stark  aus« 
ziehen  und  in  starken  Bündeln  von  einander  trennen  lasseif, 
sobald  der  unnachgiebige  Ueberzug  (die  hypertrophische  Schleim- 
haut, besonders  das  hypertrophische  submueose  Bindegewebe 
des  Uterus)  in  hinreichender  Ausdehnung  gespalten  ist 

Zur  Ausführung  der  Operation  fasst  man  mit  Museuxschcv 
Hakenzange  den  Polypen  an  der  Spitze,  zieht  ihn  an  und 
schneidet  dann  mit  langer  und  spitzer  Coojper'scher  Scheere 
in  querer  Richtung  und  so  hoch  als  möglich  in  den  Polypen- 
körper ein.  Von  diesem  Schnitte  aus  spaltet  man  mit  weiteren 
kräftigen  Scheerenschnitlen  die  Kapsel  und  die  damit  verT 
wachsenen  fibrösen  Fasern  bis  zur,  selbst  über  die  Mitte  des 
Polypeuumfanges.  In  der  Regel  wird  sich  jetzt  der  Polypen- 
körper ausziehen  und  so  weit  verdünnen  lassen,  dass  mau 
zum  Polypenstiele  gelangen  kann.  Sollte  dies  aber  noch  nicht 
der  Fall  sein,   sollten  sich  unnachgiebige  Kapseltheile  an  der 


1)  Durch  diese  Eigenschaft  unterscheiden  sich  die  fibrösen 
Polypen  von  den  kugeligen  Fibroiden,  mit  welchen  sie  gleiche 
elementare  Zusammensetzung  haben.  —  Die  fibrösen  Fasern  der 
Fibroide  sind  so  fest  mit  einander  verbunden,  dass  sie  sich  nur 
mit  grösster  Gewalt  von  einander  trennen  lassen;  mit  ihrer  Kapsel 
hangen  diese  Geschwülste  dagegen  nur  lose  zusammen  und  lassen 
sich  sehr  leicht  in  toto  aus  derselben  herausbeben  (enucleiren).  — 
Die  fibrösen  Polypen  haben  (ganz  im  Gegensatze  zu  den 
Fibroiden)  einen  fest  verwachsenen,  unnachgiebigen  Ueberzug, 
wShrend  die  den  Polypen  constitnirenden  Faserbündel  locker 
zusammenhängen!  sich  deshalb  leicht  ausziehen  und  voneinander 
trennen  lassen. 


47Ö  XXV.    Simon,  Die  operative  Vertiagernng 

entgegengesetzten  Seite  de»  ersten  Einschnittes  dem  Autogenen! 
widersetzen,  so  mnss  man  aoch  diese  Theile  zerschneide». 
Iris  eine  hinreichende  Verlängerung  und  Verdünnung  erreicht 
wird.  Man  macht  die  Scheerenschnitte  in  die  Geschwulst 
sehr  kräftig,  weil  dadurch  nicht  der  geringste  Nacktheit  ent- 
steht, die  Operation  aber  verkürzt  wird.  Die  AfuaeWschen 
Hakenzangen  werden  bei  der  Verlängerung  des  Polypen  immer 
höher  nach  oben  eingesetzt  Die  Blutung  ist  sohr  gering 
und  steht  bald  nach  der  Entfernung  des  Polypen.  —  Bei 
voluminösen,  mit  der  Scheide  oder  den  Uterinwanduugen 
verwachsenen  Polypen,  welche  der  Exstirpation  noch 
weit  grössere  Hindernisse  entgegensetzen,  als  nicht  verwachsene, 
kürzt  man  die  Exoision  ebenfalls  sehr  bedeutend  ab,  wenn 
man  nach  Durcbtrennung  der  Verwachsungen  an  der  zu* 
gänglichsten  Stelle,  die  Umhüllung  des  Polypen  auf  dieselbe 
Weise  und  soweit,  als  es  ohne  Verletzung  der  Geschlechtsthctfe 
möglich  ist,  nach  links  und  rechts  einschneidet,  die  nach- 
giebigen, fibrösen  Theile  auszieht,  theilweise  selbst  entfernt 
und  dann  nach  Gewinnung  hinreichenden  Raumes  die  Trennung 
der  übrigen  Verwachsungen  und  des  Polypenstiels  vornimmt. 

Ich  hatte  bis  jetzt  Gelegenheit,  das  AUongement  in  drei 
Fällen  vorzunehmen.  Zwei  Mal  bei  nicht  verwachsenen,  im 
Fundus  uteri  wurzelnden  Polypen,  ein  Mal  bei  einem  mit  der 
Scheide  verwachsenen  Polypen,  dessen  Stiel  im  Cervix  uteri  sass. 

Erster  Fall.  Im  October  1854  schnitt  ich  in  Darmstadt 
einen  %  Pfund  schweren  Polypen  mit  der  Assistenz  der  Herren 
DDr.  Orih,  Tenner ,  Heidenreich  und  von  Siebold  aus. 
Der  Polyp  wurzelte  im  Fundus  uteri,  sein  Volumen  war  so 
bedeutend  und  die  fnsertionsslelle  lag  so  hoch,  dass  man 
nur  sehr  schwierig  mit  der  Fingerspitze  zur  hinteren  Seite 
derselben  gelangen  konnte.  Mit  der  Scheere  machte  ich  hier 
mehrere  Einschnitte  in  die  Einpflanzungsslelle  und  erlangte 
so  viel,  dass  ich  darauf  ein  geknöpftes,  rechtwinkelig  zum 
Stiele  gestelltes  Sichelmesser  an  der  vorderen  Seite  vorschieben 
und  etwa  1  Zoll  vor  der  Insertionsstelle  den  Polypenkörper 
der  Quere  nach  bis  zur  Mitte  einschneiden  konnte.  Sogleich 
zog  sich  der  Polyp  aus  und  mit  leichter  Mühe  gelang  es  jetzt, 
den  Polypenstiel  an  der  hinteren  Hälfte  von  seiner  Insertions- 
stelle im  Muttergrunde  zu  trennen  und  dadurch  den  Polypen 


tibröser  Gdb&nmtttttfpolypen  etc.  4?1 

ra  extraLiren.  Ein  Stück  de*  vorderen  Theilß  des  Pofype»* 
sliels,  welches  durch  das  Sichelmesser  von  dem  Polypenkörper 
getrennt  worden  war,  blieb  zurück.  Es  verursachte  aber  nicht 
den  geringsten  Sehaden.  Die  Frau  erfreut  sich  jetzt  noch, 
nach  acht  Jahren,  vollkommenen  Wohlseins.  (Vergl.  diese 
Zeitschrift,  Bd.  XIII.,  H.  6,  1869.) 

Zweiter  Fall.  Im  Januar  1859  exstirpirte  ich  mit  der 
Assistenz  der  Herren  DDr.  Orth,  Tenner  und  Beiser  in  einem 
Dorfe  nahe  bei  Darmstadt  einen  mehr  als  faustgrossen  Polypen, 
dessen  Basis  den  ganzen  Fundus  des  entsprechend  ausgedehnten 
Uterus  eingenommen  hätte.  Der  Polyp  konnte  auch  durch 
die  stärksten  Tractionen  mit  Museuxschen  Hakenzangen  nicht 
so  weit  vorgezogen  werden,  dass  man  die  Exstirpation  mit 
Exectbeit  hätte  ausführen  können.  Ich  schnitt  deshalb  die 
harte,  unnachgiebige,  beim  Schneiden  knirschende  Umhüllung 
des  Polypen  an  vielen  Stellen  der  Insertion  ein.  Sogleich 
zogen  sich  die  den  Polypen  constituirenden  fibrösen  Faserbündel 
so  weit  aus,  dass  die  Exstirpation  des  Polypen  aus  der  Höhle 
des  Fundus  mit  leichter  Mühe  vollendet  werden  konnte.  Die 
Frau  hütete  das  Bett  nur  einige  Tage.  Ein  Jahr  darauf  bekam 
sie  ein  gesundes,  jetzt  noch  lebendes  Kind,  ohne  dass  die 
Normalität  der  Geburt  die  geringste  Störung  erlitten  hätte. 
(Vergl.  diese  Zeitschrift,  Bd.  XIII. ,  H.  6,  1859.) 

Der  dritte  Fall  betraf  einen  mit  der  Scheide  sehr 
stark  verwachsenen,  gänseeigrossen  Polypen,  welchen  ich  in 
der  Klinik  zu  Rostock  am  27.  November  1861  ausschnitt. 
Der  Polyp  war  nur  an  der  Spitze  und  an  einer  verhältniss- 
mässig  kleinen  Stelle  der  Knken  Seite  von  Verwachsungen  frei. 
Er  konnte  durchaus  nicht  hervorgezogen  werden.  Ä*H  dem 
Finger  war  weder  der  Muttermund,  noch  der  Polypenstiel  zu 
erreichen;  nur  mit  der  Uterussonde  konnte  man  auf  dar  linken 
Seite  durch  die  nicht  verwachsene  Stelle  zwischen  Polyp  und 
Scheidenwand  nach  oben  in  das  Scbeidengewölbe  vordringen« 
Von  die&er  Stelle  ausgehend  suchte  ich  die  Verwachsungen 
zu  trennen,  was  mir  auch  nach  vieler  Mühe  bis  etwa  über 
die  Mitte  des  Polypenkörpers  gelang.  Aber  die  Verwachsungen 
an  der  hinteren  und  rechten  Seite  waren  noch  so  bedeutend 
und  der  Polyp  war  immer  noch  so  unbeweglich,  dass  ich 
voraussichtlich   noch   lange  Zeit  in  der  Operation  hätte  fort- 


472         XXV.   Simon,  Die  operative  Verlängerung  etc. 

fahren  m Assen,  bis  ich  den  Polypen  hätte  upfei)  machen, 
hervorziehen  und  von  seiner  Insertion  trennen  können.  Um 
Raum  für  die  Finger  und  die  Instrumente  zu  schaffen,  zer- 
schnitt ich  deshalb  den  Polypenkörper  an  seiner  dicksten  Stelle 
mit  kräftigen  Scheerenschnitten  bis  zur  Mitte  seines  Umfang*. 
Sogleich  Hessen  sich  die  fibrösen  Faserbündel  ausziehen  und 
theilweise  ganz  aus  der  Umhüllung  herausziehen.  Dadurch 
entstand  so  viel  Raum,  da9s  ich  zum  Stiele  gelangen  konnte, 
welcher  innig  mit  der  hinteren  Muttermundslippe  verwachsen 
war.  Ich  durchschnitt  denselben  mit  einem  Theile  der  hinteren 
Muttermundslippe,  und  während  ich  die  laserigen  Theile  des 
Polypen  immer  mehr  aus  der  Vagina  vorzog,  konnte  ich  auch 
mit  leichter  Mühe  die  Adhäsiouen  desselben  |an  der  hinteren 
und  rechten  Seite  trennen.  Die  Patientin  war  in  wenigen 
Tagen  genesen.  ^ 

Aus  diesen  Krankengeschichten  erhellt,  dass  die  Exstirpaüou 
der  voluminösen  Polypen  (die  nach  den  bis  jetzt  gebräuchlichen 
Operatiousinetboden  äusserst  schwierig  gewesen  wäre)  mit 
leichter  Mühe  gelang,  als  die  unnachgiebigen  Theile  des  Ueber- 
zuges  zusammt  einem  Theile  der  fibrösen  Fasern  des  Polypen 
durchschnitten  waren.  Die  Geschwulst  liess  sich  danach 
sehr  bedeutend  ausziehen  und  so  verdünnen,  dass  man  zum 
Stiele  gelangen  und  die  Excision  vollenden  konnte.  Dies  gelang 
selbst  im  dritten  Falle,  wo  nur  der  vordere  Tbeil  des  Polypen- 
körpers eingeschnitten  werden  konnte.  Die  Blutung  war  in 
allen  Fällen  sehr  gering;  die  Genesung  trat  schnell  ein.  — 
Man  wird  deshalb  die  operative  Verlängerung  des  Polypen 
überall  in  Anwendung  ziehen,  wo  die  Extraction  des  Polypen 
in  tote  nur  im  Geringsten  mit  Schwierigkeiten  verbunden  ist 

Anmerknag.  Bei  meiner  kti  raliühen  Anwesenheit  in  Darm- 
Stadt  erfuhr  ich  von  Herrn  Dr.  Hegar,  dass  er  im  Frühjahre  1861 
einen  sehr  grossen  {21/t  Pfund  schweren)  mit  der  Umgehung  stark 
verwachsenen  extrauterinen  Polypen  auf  ähnliche  Weise  excidirt 
habe.  Naeh  unsKbligen  Einschnitten,  welche  den  Polypenkörper 
spiralförmig  umkreisten,  bewerkstelligte  er  die  Aussiehung  der 
fibrösen  Faserbündel  und  die  Excieion  des  Polypen.  Der  Operateur 
kam  au  diesem  Verfahren ,  als  es  ihm  nicht  gelingen  wollte,  den 
Polypen  in  toto  oder  in  grösseren  Stücken  au  excidiren. 


XXVI.   Franke,  Fall  tod  Zwillingsseli Wanderschaft  etc.     473 

XXVI. 

Fall  von  ZwiUingMchwangerschaft  mit  gleich- 
zeitigem Eintritt  beider  Köpfe  in  das  Becken. 

Von 

Dr.  Walther  Franke, 

Prlv*tdocent  an  der  UnWeraität  Halle. 

Eine  33jährige  kräftige  Multipara  auf  dem  Lande  bekam 
am  regelmässigen  Ende  ihrer  siebenten  Schwangerschaft, 
welche  mit  grösseren  Beschwerden,  Oedem  beider  unterer 
Extremitäten  verbunden  gewesen  war,  Weben,  welche  ungefähr 
drei  Stunden  anhielten  und  dann  gänzlich  aufhörten,  nachdem. 
nach  Aussage  der  Hebamme,  der  Muttermund  ungefähr  2  Zoll 
weit  eröffnet  war.  Die  froheren  Geburten  der  Frau  waren 
einfache  gewesen,  regelmässig  verlaufen,  und  immer  lebende 
Kinder  leicht  geboren,  worden.  Die  Kreissende  war  daher 
über  die  Abweichung  im  Verlauf  dieser  Geburt  um  so  mehr 
beunruhigt,  als  die  schon  erwähnten  bedeutenderen  Unbequem- 
lichkeiten und  Störungen  im  Allgemeinbefinden  während  der 
jetzigen  Schwangerschaft  sie  über  den  Ausgang  der  Geburt 
besorgt  gemacht  hatten.  Doch  tröstete  sie  die  Hebamme,  und 
als  nach  36  Stunden  die  Wehen  von  Neuem  begannen,  schwan- 
den auch  Furcht  und  Angst  der  Kreissenden,  zumal  sehr  bald 
die  Blase  bei  vollständig  eröffnetem  Muttermunde  sprang,  wobei 
ziemlich  viel  Fruchtwasser  abgeflossen  sein  soll  und  Treib- 
wehen den  vorliegenden  Kopf  in  und  durch  das  Becken  trieben. 
Doch  ensland  jetzt  abermals  eine  unwillkommene  Verzögerung, 
als  nach  gebornem  Kopfe  der  Rumpf  des  Kindes  trotz  der 
kräftigsten  Wehen  und  aller  nur  denkbaren  Anstrengungen 
von  Seiten  der  Kreissenden  und  Hülfsleistungen  seitens  der 
Hebamme,  d.  h.  Ziehen  am  gebornen  Kopfe,  nicht  folgen 
wollte  oder  konnte.  So  wurde  denn  ärztlicher  Beistand  nöthig. 
Bei  meiner,  wegen  der  Entfernung  von  hier  erst  nach  Verlauf 
von  einigen  Stunden  erfolgenden  Ankunft  fand  ich  die  Kreissende 
sich  unruhig  und  ungeduldig  auf  ihrem  Lager  herumwälzend, 
gequält  von  den  heftigsten  Wehen,  von  denen  eine  buchstäb- 
lich  die  andere  jagte  und  die   auch  die  Hfllfskräfte  in  das 

Monatuehr.  f.  Qebnrtsk.  1809.  Bd*.  XX.,  Hfl.  6.  31 


476      XXVI.   Franke,  Fall  von  ZwilUngMohwangerschalt 

die  Vermuthung  auf  Zwillingsschwangerschaft,  denn  die  unter 
dem  gebornen  Kopfe  eingeführte  Hand  stiess  auf  einen  zweiten 
Kopf,  welcher  in   erster  Scheitelbeinslage  an  dem  Hals   des 
vorangegangenen  Zwillings  fest  im  Becken  stand.    Das  Vor- 
kommen  solcher   fehlerhaften  Stellung   der  Köpfe   von   reifen 
oder  unreifen  Zwillingen  gehört  nach  Hohl  (Lehrbuch,  2.  Aufl. 
S.  584)  gerade  nicht  zu  den  gross ten  Seltenheiten,  nament- 
lich ist  die  andere  Art  der  fehlerhaften  Stellung,  wo  nämlich 
das  erste  Kind  sich  in  einer  Beckenendlage  zur  Geburt  stellt 
und  neben  dessen  zurückgebliebenem  Kopf  sich  der  Kopf  des 
zweiten  Kindes  einstellt,  nach  Ansicht  des  genannten  Autors 
häufiger,    wenngleich  bekanntlich   bei  Zwillingsgeburten  zwei  . 
Kopflagen  relativ  am  häufigsten  beobachtet  werden.    Scanzoni 
lehrt,   dass  sich  beide  Früchte  selten  gleichzeitig  zur  Geburt 
stellen,  (unter  98  Fällen  von  Zwillingsschwangerschaften  nur 
ein  Mal,   das  erste  Kind  stellte  sich  in  einer  Beckenendlage 
zur  Geburt,   während  das  zweite   in   der  noch   unverletzten 
Blase  mit  dem  Kopfe  vorlag)   und   dass  dann  in  der  Regel 
mit  dem  Eintritt  kräftiger  Wehen  das  eine  Kind  tiefer  herab- 
steigt und  vollends  ausgestossen   wird,  während  das  zweite 
vom  Beckeneingange  zurückweicht  und  in  denselben  erst  nach 
der  Expulsion  des  ersten  wieder  eintritt  (Lehrbuch,  3.  Aufl. 
S.  241).    C.  Braun  dagegen,  welcher  erst  jüngst  einen  Fall 
der  zweiten  Art  veröffentlicht  bat  („über  .einen  sehr  seltenen 
Vorgang  bei  Zwillingsgeburten  mit  gleichzeitiger  Praesentation 
der  Füsse  und  des  Kopfes  differenter  Früchte44   in  der  AJlg. 
Wiener  medicinischen  Zeitung  1861,  Nr.  ö)  rechnet  jene  Fälle 
zu  den  seltensten  und  gefährlichsten  Vorgängen  bei  Zwillings- 
geburten, denn  unter  90,000  Geburtsfällen  während  der  letzten 
12  Jahre  in   den   beiden   Wiener  geburtshülflichen   Kliniken 
hat  sich  jene  Anomalie  nach  seinen  Beobachtungen  und  Er- 
kundigungen nur  ein  einziges  Mal  ereignet.    Die  Natur  selbst 
kann  Fälle  der  ersten  wie  zweiten  Art  unter  günstigen  Ver- 
hältnissen beenden,  indem  sie  den  Zwilling,  welcher  sich  als 
zweiter  zuc  Geburt  stellt,  zuerst  geboren  werden  lässL  Braun 
kennt  ausser  seinen  eigenen  13  Fälle   der  zweiten  Art  und 
darunter  wurde  fünfmal  durch  die  Naturkräfte  allein  das  zweite 
Kind  zuerst,  das  mit  dem  Rumpf  zum  Theil  geborne  zuletzt 
ausgestossen.    Hecker  hat  in  der  neuesten  Zeit  eine  ähnliche 


mit  gleichzeitigem  Eintritt  beider  Köpfe  in  das  Becken.     477 

Beobachtung  veröffentlicht  (Klinik  der  Gehurtskunde  von  Hecker 
und  Buhl,  Leipzig  1861,  S.  80)  und  wurde  hierbei  durch 
die  Naturkräfte  allein  der  Durchtritt  des  nachfolgenden  Kopfes 
vom  ersten  Zwilling  mit  dem  vorangehenden  des  zweiten 
gleichzeitig  bewirkt.  Die  Aussichten  auf  eine  natürliche  Be- 
endigung waren  nun  zwar  in  unserem  Falle  nicht  vorhanden, 
es  fehlte  aber  auch  jeder  Zweifel,  auf  welche  Weise  die  Kunst 
Hülfe  zu  bringen  habe,  da  ja  die  Natur  auch  hier  wieder 
dieser  den  richtigen  Weg  gezeigt  hat.  Wehentreibende  Mittel, 
Ziehen  am  Kopf,  Zunickschieben  des  Kopfes  oder  gar  die 
Decapitation  sind  unnütz  und  verwerflich ;  die  Zange  dagegen 
-  oder  im  Nothfall  wegen  räumlichen  Missverhältniss,  sei  es  durch 
Grösse  des  Kopfes  oder  Enge  des  Beckens  bedingt,  Perforation 
oder  Kephalotrypsie,  sind  am  Platze.  So  wurde  denn  auch 
in  diesem  Fall,  nachdem  die  Kreissende  auf  das  Querbett 
gelagert  worden  war,  die  Zange  an  den  zweiten,  im  Becken 
stehenden  Kopf  gelegt.  Die  Einführung  des  Instruments  war 
natürlich  nicht  so  leicht,  als  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen 
zu  bewerkstelligen;  von  grossen  Schwierigkeiten  war  aber 
dabei  wirklich  nicht  die  Rede. 

Die  Kreissende  konnte  sich  selbst  mit  dem  besten  Willen, 
des  Drückens  und  Pressens  während  der  gewalligen  Wehen 
nicht  enthalten,  und  deshalb  würden  wir  in  diesem  Falle  sicher 
durch  Chloroform  eine  leichte  Narkose  derselben  herbeigeführt 
haben,  wenn  wir  das  Mittel  zur  Hand  gehabt  hätten.  Der 
reebtseitige  Zangenlöffel,  er  lag,  da  der  Kopf  noch  eine  schräge 
Stellung  einnahm,  die  Pfeilnaht  im  rechten  schrägen  Durch- 
messer, das  Hinterhaupt  nach  links  und  vorn,  über  dem 
rechten  Stirnbein,  warf  sich  und  die  Zange  konnte  nur  während 
einiger  sogenannter  Rotationen  auf  dem  Fleck  zum  Schluss 
gebracht  werden.  Das  sind  aber  Uebelstände,  die  auch  unter 
anderen  Verhältnissen  vorkommen  und  deren  Beseitigung  in  der 
That  wohl  keine  schwere  ist  Die  eigentliche  Operation  war 
eine  sehr  leichte.  Denn  es  wurde  mittels  einiger  Tractionen 
das  Kind  entwickelt  und  mit  der  nächsten  Wehe  wurde  dann 
auch  der  Rumpf  des  anderen  geboren,  welches,  obschon 
sein  Kopf  schon  stundenlang  geboren  war,  doch  das  Zweit- 
geborne  wurde.  Dieselbe  Bestimmung  würde  übrigens  auch 
richtig  sein,  wenn  ja  einmal  bei  solch*  fehlerhaften  Zwillings- 


478    XXVI.   Franke,  Fall  von  Zwülingsschwangerschaft  etc. 

geburten  das  Recht  der  Erstgeburt  wegen  Erbschaft  etc.  in 
Frage  gestellt  werden  sollte.  (Vergl.  Hohl,  Neue  Zeitschrift 
f.  Geburtsk.  Bd.  32,  1852,  S.  9).  Die  Kinder  waren  beide 
todt,  männlichen  Geschlechts,  mit  den  Zeichen  der  Reife,  von 
massiger  Grösse.  Genaue  Gewichtsbestimmung  etc.  war  leider 
nicht  möglich.  Das  Herz  des  mit  Hülfe  der  Zange  gebornen 
Kindes  pulsirte  zwar  noch  schwach,  doch  blieben  die  Wieder- 
belebungsversuche erfolglos.  Die  gemeinsame  Placenta  mit 
einfachem  Amnios  und  Chorion  folgte  unmittelbar  dem  zweiten 
Kinde,  dieser  eine  massige  Nachblutung,  welche  durch  Rei- 
bungen des  Fundus  uteri  gestillt  wurde;  dann  blieb  der  Uterus 
gut  contrahirt.  Das  Wochenbett  verlief  ohne  Störung.  Der 
Ausgang  solcher  Abweichungen  vom  regelmässigen  Mechanis- 
mus kann  aber  auch  für  die  Mutter  ein  unerwünschter  werden, 
indem,  wohl  selbst  ohne  krankhafte  Beschaffenheit  der  Sub- 
stanz des  Uterus,  dieser  oder  die  Scheide  durch  die  am  vor- 
handenen Hinderniss  sich  steigernden  Wehen,  ebenso  gut  wie 
bei  anderen  mechanischen  Hindernissen  *  Beckenenge,  oder 
durch  das  gewaltsame,  heftige  Verarbeiten  der  Wehen  zer- 
rissen, oder  eine  Blutung  in  Folge  zu  früher  Lösung  der 
Placenta  oder  eine  Nachblutung  aus  Atonie  des  Uterus  der 
Mutter  Gefahr  bringen  kann,  ganz  abgesehen  von  verschiedenen 
Krankheitszuständen ,  welche  im  Gefolge  solcher  Geburten 
auftreten  können.  Die  Prognose  für  die  Kinder,  namentlich 
für  das,  welches  sich  zuerst  zur  Geburt  gestellt  hat,  muss 
wohl  ungünstig  genannt  werden,  wenngleich  die  Aussichten 
für  das  andere  manchmal  besser  sein  mögen.  So  wurden 
nach  Brauris  Mittheilung  von  den  26  Kindern,  welche  in 
jenen  13  Fällen  geboren  wurden,  drei  lebend  geboren;  dazu 
kommt  als  viertes  das,  in  dem  von  ihm  selbst  beobachteten 
Falle,  mit  der  Zange  entwickelte,  welches,  leicht  asphyctisch, 
durch  die  gewöhnlichen  Mittel  bald  belebt  wurde.  Freilich 
starb  es  schon  nach  fünf  Stunden  an  Lebensschwäche,  hatte 
aber  auch  nur  2%  Pfd.  Wiener  Gewicht 

Für  unsern  Fall  genügen  wohl  die  durch  die  häufigen, 
heftigen  Wehen  bedingten  Circulationsstörungen  in  den  Ge- 
fässen  der  Nabelschnur  und  der  Placenta  vollständig,  um  den 
auch  dieses  Kindes  erklärlich  zu  finden, 


\ 


XX  VII.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  479 

Uebrigens  hat  Braun  in  dem  mehrfach  erwähnten  Auf- 
sätze sehr  schätzenswerthe  Mittheilungen  sowohl  über  den 
abweichenden  Mechanismus  bei  Zwillingsgeburten  als  auch 
über  die  daraus  zu  deducirenden  therapeutischen  Regeln  ge- 
macht, auf  welche  wir  hiermit  verweisen  wollen. 


XXVII. 
Notizen*  ans  der  Journal -Literatur. 


Habit:   Ein  Fall   von  Heilnng    eines   Gebärmutter-   und 
Scheidenkrebses. 

Die  63  Jahre*  alte ,  ledige  S.  U.  wurde  am  27.  Oetober  1866 
auf  Zimmer  No.  88  der  Frauenabtheilung  des  k.  k.  allgemeinen 
Krankenhauses  aufgenommen.  Die  Menstruation  hatte  sich  bei 
ihr  mit  18  Jahren  eingestellt  und  war  regelmässig  geschlossen. 
Die  Kranke  hatte  zwei  Mal,  zuletzt  vor  17  Jahren,  geboren. 
Bei  der  ersten  Geburt  wurde  das  Kind  mit  der  Zange  entwickelt, 
bei  der  zweiten  mnsste  die  Wendung  ausgeführt  werden.  Nach 
der  letzten  Entbindung  lag  sie  10  Wochen  krank  darnieder.  Mit 
46  Jahren  hörte  die  Menstruation  auf,  und  es  stellte  sich,  nach- 
dem durch  vier  Jahre  keine  Abgänge  aus  den  Genitalien  statt- 
gefunden hatte,  eine  Blutung  ein,  welche  sich  von  da  an  regel- 
mässig in  Zwischenräumen  von  vier  Wochen  wiederholt  haben 
soll.  Die  Blutung  war  eine  massige,  Pat.  fühlte  sich  vollkommen 
wohl,  nur  zeigte  sich  in  der  Zwischenzeit  der  Blutungen  ein 
fleischwasserähnlicber ,  manchmal  übelriechender,  reichlicher 
Ausfluss  und  häufiger  Drang;  zum  Uriniren.  Zwei  Monate  vor 
ihrem  Spitaleintritte  trat  eine  heftige  Blutung  auf,  die  sich 
seitdem  wiederholte.  Nebstbei  litt  die  Kranke  an  Schmorzen  im 
Unterbauche  und  im  Kreuze  und  an  einem  beständigen  Drängen 
zum  Uriniren.  Sie  war  schlaflos,  magerte  ab  und  kam  von  Tag 
zu  Tag  mehr  von  Kräften,  so  dass  sie  zuletzt  das  Bett  nicht 
mehr  verlassen  konnte. 

Bei  ihrer  Aufnahme  zeigte  sich  eine  spröde,  blasse,  trockone 
Haut.  Der  Unterleib  war  oberhalb  der  Schambeine  empfindlich 
und  für  den  untersuchenden  Finger  zeigte  sich  im  Beckeneingange 
eine  gewisse  Völle.  Innerlich  stellte  sich  das  Vaginalrohr  als 
eine  mit  grossen  Granulationen  und  fungösen  Wucherungen  be- 
setzte Fläche  dar:  Vaginalportion  zerklüftet,  Cervix  trichter- 
förmig, der  Band  des  Trichters  war  wulstig,  gelappt,  die  Ober- 


480  XXVII.   Notizen  aus  der  Journal  -  Literatur. 

fliehe  desselben  weich,  uloerirt.  Die  Gebärmatter  fiziri.  Wegen 
der  grossen  Neigung  zu  Blutungen  wurde  die  Untersuchung  mit 
dem  8peculum  unterlassen.  Die.  Granulationen  waren  leicht 
blutend  und  aus  der  Vulva  floss  eine  dünne,  höchst  übelriechende, 
missfarbige  Jauche  in  grosser  Menge  ab.  Die  Diagnose  wurde 
auf  ein  ezulcerirendes  MeduUarcaroinom  des  Uterus  und  der 
Vagina  gestellt. 

Die  Behandlung  war,  da  bei  der  Ausbreitung  des  Uebels 
an  eine  Radicalheilung  nicht  mehr  zu  denken  war,  eine  rein 
symptomatische,  doch  besserte  sich  in  etwas  das  Allgemein- 
befinden dabei;  der  Appetit  nahm  su,  der  Schlaf  stellte  sich  ein, 
die  Schmerzen  und  der  Ausfluss  verminderten  sich,  letsterer 
wurde  weniger  übelriechend,  die  Blutungen  hörten  auf.  Sieben 
Wochen  nach  ihrer  Aufnahme,  nachdem  seit  einigen  Tagen  sich 
fast  gar  kein  Ausfluss  gezeigt  hatte,  zeigte  die  Inspection  die 
Scheide  einen  Zoll  weit  über  ihrem  Eingange ,  von  einer  derben, 
narbenähnlichen  Masse  ausgefüllt  und  abgeschlossen,  die  das 
Vordringen  des  Fingers  nicht  gestattete.  Sie  bestand  aus  leicht 
•  blutenden,  normal  aussehenden  Granulationen.  Weder  mit  dem 
Auge,  noch  mit  der  feinsten  Sonde  konnte  irgend  eine  Oeffnung 
aufgefunden  werden.  Der  Uterus  konnte  weder  durch  das  Rectum, 
noch  durch  die  Bauchdecken  deutlich  gefühlt  werden.  Der  in 
die  Blase  eingeführte  Katheter  ging  nach  rück-  und  abwärts 
und  konnte  durch  das  Rectum  zwar  nicht  deutlich  gefühlt  werden, 
man  bemerkte  aber  doch,  dass  die  Schichte  zwischen  dem  im 
Mastdarme  befindlichen  Finger  und  dem  eingeführten  Katheter, 
die  aus  der  vorderen  Mastdarmwand,  der  atresirten  Vagina  und 
der  hinteren  Blasenwand  bestand ,  keine  sehr  dicke  war.  Es  war 
also  in  diesem  Falle  unzweifelhaft,  dass  hier  eine  der  seltenen 
Heilungen  stattgefunden  hatte,  wie  sie  Rokitansky,  KiwUek, 
8canzoni,  Virchow,  Schuh,  Ar  an  etc.  beschreiben. 

(Allgem.  Wien.  med.  Zeitung,  1862,  No.  29.) 


LUtner:   Angeborener  Mangel  der  Gebärmutter. 

Die  betreffende  Person  war  35  Jahre  alt,  seit  13  Jahren 
kinderlos  verheirathet,  Menses  haben  sich  nie  gezeigt,  dagegen 
leidet  Pat.  seit  ihrem  17.  Jahre  alle  drei  Wochen  an  schmerz- 
haften Empfindungen  in  den  Hand-  und  Kniegelenken,  an  Kopf-, 
Magen-  und  Kreusschmerzen  mit  Appetitlosigkeit.  Diese  Be- 
schwerden dauern  gewöhnlich  drei  Tage ;  enthält  sich  Pat.  während 
dieser  Zeit  nicht  aller  Anstrengungen,  dann  werden  die  Be- 
schwerden heftiger  und  ziehen  sich  oft  durch  acht  Tage  hin. 
Auch  während  ihrer  Ehe  blieben  die  Besehwerden,  die  als 
Molimina  menstrualia  gedeutet  werden  müssen.  Coitus  wurde 
von  Seiten  der  Frau  ohne  rechtes  Wollustgefühl  vollsogen. 


XXVII.    Netiaen  aus  der  Journal- Literatur.  481 

Aeusserer  Habitus  vollständig  weiblieb,  an  der  Innenseite 
der  beiden  Oberschenkel  hamHell  ergrosse  marmorirte  Stellen, 
flache  Telangieetasieen  darstellend,  die  nach  Angabe  der  Pat. 
während  der  jedesmaligen  Molim.  menstr.  mehr  hervortreten  sollen. 

Aenssere  Geschleehtstheile  normal,  Glitoris  schwach  ent- 
wickelt, etwas  gelappt  Die  Scheide  zeigt  sich  vollständig  vor- 
gefallen and  endigt  blindsackförmig,  ohne  dass  eine  Portio 
vaginalis,  noch  ein  Orificium  uteri  sich  nachweisen  lässt.  Die 
Entfernung  vom  Introitns  vaginae  bis  zum  Gewölbe  betrügt 
3%  Zoll.  In  der  Mitte  des  Gewölbes  findet  sich  eine  secfaser- 
grosse  Stelle  etwas  erhaben  and  rings  umgeben  von  einem  ver- 
tieften Rande.  (Andeutung  des  Muttermundes.)  Seit  wann  der 
Prolapsus  besteht,  läset  sieh  nicht  feststellen;  Urethra  normal;  ein 
männlicher,  gekrümmter,  fester  Katheter  lässt  sich  mit  Leichtig- 
keit einführen  und  kann  von  der  Scheide  aus  deutlich  gefühlt 
werden,  ohne  dass  man  auf  einen  daswischen  liegenden  festen 
Körper  stösst.  Der  in's  Rectum  eingeführte  Finger  fühlt  oberhalb 
der  Seheide  keinen  festen  Körper  und  kann  die  Spitse  des  in 
der  Scheide  liegenden  Fingers  sowie  den  in  die  Blase  ein- 
geführten Katheter  deutlich  fühlen,  was  bei  Vorhandensein  eines 
Uterus  nicht  möglich  wäre.  Ferner  ist* es  möglich,  den  in 
Scheide  oder  Rectum  eingeführten  Finger  durch  die  sehr  schlaffen 
Bauchdecken  deutlich  su  fühlen.  Höhe  der  Symphyse  2%  Zoll, 
Schambogen  auffallend  spiti,  Entfernung  der  Spin,  anter.  super. 
3 V,  Zoll,  Neigung  des  Beckens  sehr  gering.  Die  Diagnose  eines 
angebornen  Mangels  der  Gebärmutter  sttttst  sich  also  auf 
Folgendes : 

1)  Zwischen  Blase  und  Mastdarm  befindet  sich  kein  die  Uterus- 
forin  darbietender  Körper,  noch  „ein  Uterus  bipartitus, 
oder  ein  kleiner,  hohler,  dünnwandiger  Uterus  ohne  Hals 
und  ohne  Scheidentheil B. 

2)  Menses  sind  nie  vorhanden  gewesen,  und  es  wurde  trota 
der  regelmässigen  Molimina  mens! um  keine  Geschwulst 
oberhalb  der  8cheide  gefunden  (Haematometra). 

8)  Der  männlichen  sich  annähernde  Bildung  des  Beckens. 
4)  Vollständig  sackförmiger  Verschluss  der  Vagina. 

„'  (Vierteljahrascbr.  f.  gerichtl.  u.  öffeutl.  Medicin,  Bd.  XXII., 
Heft  1.)  

Beroniw:    Uterus    bicornis    et  bilocularis.     Peritonitis. 

Das  betreffende  21jährige  Mädchen  war  seit  dem  18.  Jahre 
menstruirt.  Die  Regeln  setaten  bisweilen  aus  und  waren  mit 
mancherlei  Beschwerden  verknüpft.  Als  sie  aufgenommen  wurde, 
gab  sie  an,  dass  sie  während  drei  Wochen  an  heftigem  Druck 
and  starken  Schmeraen  nach  den  Schamtheilen  hin,  als  ob  etwas 
ans  denselben  heraus  wolle,  gelitten  habe.    Die  Palpation  durch 


483  XXVII.   Hotiaen  ans  der  Journal -Li  terato?. 

die  Bauehdeoken  konnte  nichts  Abnormes  finden,  aber  beim 
Touchiren  per  vaginam  fühlte  man  schräg  nach  oben  und  rechts 
durch  die  ganse  Lauge  der  Vagina  einen  resistenten,  länglichen» 
fast  cylindrisehen  Körper,  der  sich  bei  Druck  nicht  schmershait 
erwies.  Der  Muttermund  war  weit  nach  hinteu  und  schräg  nach 
oben  links  zu  fühlen.  Am  Introitus  vaginae  schien  die  Scheiden- 
wand gleichsam  verdünnt  und  war  bei  leisem  Druck  etwas 
Flnctuation  wahrnehmbar.  Durch  eine  an  der  Stelle  gemachte 
Oeflhung  gelangte  der  Finger  in  eine  Höhle  mit  festen  Wunden 
und  mit  einer  rauhen,  etwas  sottigen  Bekleidung  versehen.  Diese 
Höhle,  welche  eine  Menge  theils  in  Dissolution  befindlichen, 
theils  geronnenen  Blutes  enthielt  und  nach  deren  Entleerung  die 
Fat.  sich  frei  von  Schmers  fühlte,  schien  in  ihrer  Ausdehnung 
der  in  der  Vagina  gefundenen  Geschwulst  au  entsprechen.  Am 
fünften  Tage  nach  der  Operation  empfand  Pat.  gleichsam  ein 
Zerreissen  im  Unterleibe,  worauf  sich  eine  heftige  Peritonitis 
einstellte,  die  innerhalb  36  Stunden  tödtlich  verlief.  Die  Ob- 
dnction  aeigte  einen  Ut  bicorn.  et  bilocul.  Die  linke  Gebärmutter- 
höhle  hatte  ihre  regelmässig  gebildete,  obwohl  kurse  Vaginal- 
portion und  öffnete  sich  mit  dem  Muttermunde  normal  in  die 
Scheide.  Die  rechte  Cöhle  aeigte  auch  eine  Vaginalportion  an- 
gedeutet, diese  war  jedoch  durch  die  vorhandene  Blutstagnation 
so  ausgedehnt  worden,  dass  die  Gebärmutterhöhle  mit  der  Vagina 
einen  fast  uniformen  Kanal  bildete ,  dessen  äussere  Mündung  die 
künstliehe  Oeffnung  war.  Das  rechte  Ovarimm  war  theil weise 
mit  dem  Ostium  abdom.  tub.  Fallop.  verwachsen  und  bildete 
durch  Verschmelzung  mit  den  umgebenden  Theilen  eine  ab- 
gekapselte Höhle,  deren  vordere  Wand  das  Ligam.  iatum,  die 
hintere,  dünnere  hatte  eine  Ruptur,  wodurch  also  diese  Höhle 
ihren,  ohne  Zweifel  aus  stagnirtem  Blute  bestandenen  Inhalt  in 
die  Bauchhöhle  entleert  hatten 

(Preuss.  Medicinal -Zeitung,  1862,  No.  33.) 


E.  J.  Tut:  TJeber  die  Abstossung  der  Schleimhäute 
der  Gebärmutter  und  der  Scheide  während  der 
Menstruation. 

Während  die  Structur  der  suweilen  aus  dem  Uterus  und  der 
Scheide  abgehenden  Häute  bekannt  ist,  sind  die  Bedingungen, 
unter  denen  diese  Abstossung  zu  Stande  kommt,  noch  in  Dunkel 
gehüllt.  Verf.  glaubt,  dass  die  Bildung  und  Abstossung  dieser 
Häute  nicht  selten  mit  der  Menstruation  im  Zusammenhange  steht 
und  dass  viele  hartnäckige  Dysmenorrhöen  hierin  ihren  Grand 
haben  mögen.  Er  selbst  hat  swei  derartige  Fälle  beobachtet  und 
theilt  noch  einen  dritten  Fall  aus  dem  Italienischen  mit,  das 
Dr.  Vannoni  in  Florena  veröffentlicht  hat 


XXVII.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  488 

Krater  Fall.  Die  25 jahrige,  bisher  immer  gesunde  Frau, 
seit  dem  16.  Jahre  immer  regelmässig  menstruirt,  litt  seit  ihrer 
Verheirathang  im  23.  Jahre  an  schmerzhaftem  Menstrualfluss  und 
Abgang  fleischäbnlicher  Massen  ans  der  Scheide,  wozu  ein  lästiger 
Schleimfluss.  sich  gesellte.  AUmälig  bildete  sich  eine  nervöse 
Schwäche  aas.  Die  innere  Untersuchung  ergab  den  Uterushals 
byperämisoh  and  empfindlich,  beide  Uteruslippen  intensiv  geröthet 
and  excoriirt.  Nach  Aetzung  mit  Höllenstein  erfolgte  eine  normale 
Menstruation.  Heisse  Fassbäder,  heisse  Umsehlage  auf  den 
Unterleib  und  warme  Einspritzungen  in  die  Seheide  bewirkten 
zwei  Monate  spater  einen  ausserordentlich  reichen  Menstrualfluss, 
und  unter  heftigen  Schmerzen  ging  ein  geschlossener  Sack  von 
der  Form  der  Uterushöhle  ab,  der  beim  Eröffnen  flüssiges  Blut 
entleerte,  aber  durchaus  keine  Spuren  eines  Fötus  enthielt.  Die 
Structur  der  Haut  'entsprach  vollkommen  der  Decidua.  Diese 
Häute  wurden  wahrscheinlich  auch  vorher  bei  jeder  Menstruation 
entleert;  wenigstens  sah  sie  die  Kranke  später  darauf  aufmerksam 
gemacht,  fast  bei  jeder  Menstruation  abgehen. 

Hier  war  also  die  „Deciduous  dysmenorrhoea"  mit  Ent- 
zündung des  Uterus  verbunden,  welche  nach  des  Verfassers 
Beobachtungen  nie  fehlt;  doch  ist  sie  nicht  eine  Ursache  der 
häutigen  Bildungen,  sondern  eine  Folge  derselben,  indem  durch 
die  umfangreichen  blutgefüllten  Säcke  der  Gebärmutterhals  über* 
massig  ausgedehnt,  die  Sehleimfollikel  entzündet  und  au  einer 
sähen  Schleimabsonderung  veranlasst  werden,  welche  durch  das 
Secret  der  ausgebreiteten  Excoriationen  am  Muttermunde  alkalische 
Reaction  erhält.  Die  Behandlung  ist  zunächst  gegen  die  Ent- 
zündung zu  richten;  doch  ist  die  Prognose. immer  ungünstig,  da 
es  nur  selten  möglieh  ist,  die  Bildung  der  Membranen  zu  ver>  . 
hüten  und  da  Sterilität  die  noth wendige  Folge  derselben  ist. 

VannonVs  Fall  betraf  eine  seit  sechs  Jahren  verheirathete 
aber  kinderlose  Frau,  welche  seit  drei  Jahren  an  Schmerzen 
beim  Coitus,  Beschwerden  beim  Wasserlassen  und  unangenehmen 
Empfindungen  in  der  rechten  Regio  iliaca.  Ein  am  Uterushalse 
sitzender  Polyp  wurde  exstirpirt;  trotzdem  blieb  die  Empfindlich- 
keit des  Uterus  gegen  Druck  unverändert,  die  Menstruation  blieb 
aus  und  kehrte  erst  fünf  Monate  später  unter  heftigen  Schmerzen, 
Fieber,  Delirien  und  Krämpfen  wieder.  Am  dritten  Tage  nach 
der  Menstruation  wurde  ein  rother  grosser  Klumpen  entleert,  der 
äusserlich  weich,  glatt,  mit  rothen  Punkten  besät  war  und  einen 
Abguss  der  Uternshöhle  darstellte.  Die  Innenfläche  war  sammet- 
artig,  mit  sehr  goiassreichen  Zotten  besetzt.  Die  Zotten  fanden 
sich  hier  an  der  Innenseite  des  Decidoasackes ,  weil  derselbe 
beim  Herauspressen  aus  dem  Uterus  umgestülpt  worden  war. 

Bei  der  Menstruation  werden  zuweilen  auch  andere  häutige 
Substanzen   entleert,   welche  aber  nach  Farrt  selten  aus   den 


484  XX  VII.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur. 

Uterus,    sondern   ans   der  Vagina   stammen  nnd  durch  die  vom 
Uterushalse  bewirkte  Einsenkung  cbarakterisirt  sind. 

Verf.  beobachtete  folgenden  Fall: 

Eine  24jährige  Fran  hatte  seit  ihrem  14.  Jahre  regelmässig, 
doch  immer  unter  Schmeraen  menstrairt.  Die  Schmerzen,  be- 
sonders im  Kreuze  nnd  den  Lenden  steigerten  sich  mit  dem 
20.  Jahre  und  nothigten  Pak,  alle  Arbeit  einzustellen;  ein  fixer 
Schmers  über  dem  Schambeine  nnd  ein  branner  nnd  rötblicber 
Ansflnss  ans  den  Genitalien,  als  gewöhnliche  Zeichen  einer 
Metritis,  waren  nicht  vorhanden.  Blntegel  und  Vesicatore, 
Schwammpessarien  nnd  Kohlensäureinjectionen  waren  ohne  allen 
Nutsen  angewendet  worden.  Uterus  nnd  oberer  Scheidentheil 
seigten  sich  normal.  Verf.  verordnete  Alauneinspritzungen ,  nnd 
wenige  Tage  nachher  entleerte  djie  Kranke  mit  dem  Menstrusl- 
blute  unter  ungewöhnlich  heftigen  Schmerzen  eine  Haut,  welche 
l'/s  Zoll  lang  und  2  Zoll  breit,  schlauchförmig,  oben  flach  ein- 
gedrückt und  mit  swei  seitlichen  Ecken  (doch  ohne  Löcher  rar 
die  Tuben)  versehen,  unten  unregelmässig  abgerissen  nnd  seitlich, 
wahrscheinlich  durch  die  Blutansammlung  im  Uterus  susamm en- 
gedrückt war.  Die  Haut  war  dünn,  stellenweise  blutig  gestreift, 
ohne  siebförmige  Durchlöcherung  auf  der  Innenfläche;  unter  dem 
Mikroskope  zeigte  sie  deutliche  Pflastersellen.  Unter  Fortsetzung 
der  Alauneinspritzangen ,  kalten  WaBserbfidern  und  Hercurial- 
einreibungen  besserte  sich  die  Krankheit.  Bei  der  nächsten 
Menstruation  ging  eine  ähnliche,  aber  schon  theilweise  zersetzte 
und  durch  häutige  Flocken  verdickte  Membran  ab;  die  zweit- 
folgende Menstruation  war  nur  sparsam,  nicht  mit  häutigen  Ab- 
sonderungen und  nur  mit  wenig  Schmerzen  verbunden. 

Im  vorliegenden  Falle  waren  die  von  Favre  angegebenen 
Merkmale  für  die  Abstammung  der  Haut  aus  der  Scheide  nicht 
vorhanden.  Die  Anwesenheit  der  Pflasterzellen  erklärt  sich  nach 
BtuU  dadurch,  dass  die  entzündete  Uterusschleimbaut  statt  des 
normalen  Flimmerepithels  Pflasterzellen  bildet;  Verf.  glaubt  daher, 
dass  diese  Häute  trotz  ihrer  Verschiedenheit  von  der  Dectdua 
dennoch  aus  dem  Uterus  stammen. 

(Arch.  of  med.,  III.,  9,  p.  96,  Oct.  1861,  u.  Schmidt,  Jahrb., 
Bd.  114,  No.  4,  1862.) 


Heer:   Ruptura  uteri  spontanea. 

Die  betreffende  Gebarende  hatte  durch  die  lange  Dauer  des 
Geburtsverlaufes  und  die  hiermit  verbundenen  Leiden  veranlasst, 
in  das  Hebammeninstitut  (Oppeln)  behufs  Beendigung  der  Geburt 
gebracht  zu  werden  verlangt  und  war  nach  einer  fast  zwei- 
stündigen Fahrt  in  «inem  schlechten  Wagen  Nachts  in  der  Anstalt 
angekommen,  unter  unsäglicher  Angst,  blase,  pulslos,  mit  kalten 


XXVII.    NotUen  aus  der  Journal-  Literatur.  485 

Extremitäten.  Der  Leib  war  teigig,  die  Umrisse  des  Uterus  gar 
nicht,  die  Kindestheile  dagegen  ungewöhnlich  deutlich  an  fühlen. 
Die  Wehen  hatten  aufgehört.  Die  Frau  verschied,  nachdem  sie 
auf  das  Geburtsbett  gebracht  war  und  bevor  noch  eine  innere 
Exploration  vorgenommen  werden  konnte.  £s  wurde,  da  der 
Kopf  des  Kindes  bei  vollkommen  eröffnetem  Muttermunde  in 
•angenrechter  Höhe  vorlag,  un verweilt  die  Zange  applicirt 
und  ohne  Mühe  ein  abgestorbenes  Kind  extrahirt,  welchem  ein 
präcipitanter  Blutstrom  folgte.  Bei  der  Untersuchung  zeigte  sich 
die  vordere  Wand  des  Uterus  in  einer  Ausdehnung  von  beinahe 
5  Zollen  geborsten. 

(Preuss.  Medicinal -Zeitung,  1862,  No.  31.) 


Chavanne:    Neue    Art    der    Extrauterinsch wangerschaft 
oder  Schwangerschaft  des  Gebärmutte  rhalses. 

Man  sollte  glauben,  dass  die  Untersuchungen  von  Velpeau, 
Dubai»  und  namentlich  Deteimeris  säinmtliche  Arten  von  Extrauterin- 
sch wangers  chatten  festgestellt  hätten,  denn  man  unterscheidet 
Ovaria!-,  Tubar-  Tubouterin-,  Uterotubar-  oder  interstitielle, 
subperitonäale  und  intraperitonäale  Schwangerschaften.  Deteitnerit 
will  sogar  zehn  verschiedene  Arten  unterschieden  wissen. 

Verf.  hat  nun  aber  noch  die  Beobachtung  einer  Gebar- 
mutterhalsschwangerschaft  gemacht.  Er  fand  bei  einer  jungen 
Frau,  welche  über  heftige  Schmeraen  im  Becken  klagte,  tief  in 
der  Scheide  eine  Geschwulst  von  der  Grösse  und  Form  eines 
Hühnereies,  die  er  sofort  für  das  ausgedehnte  Collum  uteri 
erkannte,  während  das  Corpus  uteri  seine  gewöhnlichen  Ver- 
haltnisse darbot;  zwischen  Collum  und  Corpus  fand  sich  eine 
scharfe  ringförmige  vertiefte  Grenze.  Die  freie  Oberfläche  des 
Collum  war  glatt,  ohne  Höcker,  der  Druck  erregte  keinen  Schmers 
und  es  ließe  sich  an  mehreren  Stellen  kräftige  Pulsation  von 
Arterien  erkennen.  Die  Lippen  waren  verstrichen,  das  Orificium 
ein  kleines  geschlossenes  Grübchen.  Zwei  Tage  darauf  traten 
heftige  Geburtswehen  ein,  die  man  mit  dem  Finger  deutlich  am 
Collum'  uteri  nachweisen  konnte.  Plötalich  trat  Erleichterung 
ein  und  die  Kranke  gab  an,  sie  sei  durchnässt«  Es  war  Blut 
abgegangen  und  in  demselben  fand  sich  ein  unverletztes  Ei  von 
der  Grösse  einer  Nuss.  Das  Collum  uteri  glich  je  tat  dem  einer 
Schwangeren  im  siebenten  Monate,  war  normal  lang,  dick,  weich, 
der  äussere  Muttermund  offen,  der  Kanal  trichterförmig,  der 
innere  Muttermund  geschlossen.  Der  grösste  Theil  der  inneren 
Oberfläche  des  Halskanales  unregelmässig,  wie  schwammig,  sonst 
glatt.  Verf.  sweifelt  nicht,  dass  das  Ei  im  Collum  gesessen  hat 
und  die  rauhe  Stelle  der  Insertion  entsprach.  Das  Ei  hatte  deutliche 
Häute  und  Zotten,  enthielt  aber  nur  Wasser  und  keinen  Fötus. 


486  XXVII.    Notizen  aus  der  Journal  -  Literatur. 

Obwohl  diese  Art  Ton   Schwangerschaft  noch  niemals  be- 
schrieben   worden    ist,    so    zweifelt  Verf.   nicht,    dass    sie    Öfter 
vorgekommen,  aber  Übersehen  sein  möchte. 
(Gaz.  des  hdpit,  1862,  No.  182.) 


M.  Jober  t  de  Lamb  alle :  Beobachtungen  Über Vesico- vnginal- 
Fisteln. 

Erster  Fall.  Patientin,  21  Jahre  alt,  immer  gesund,  war  seit 
ihrem  19.  Jahre  regelmässig  menstruirt.  Ihre  erste  Schwanger- 
schaft endigte  am  28.  Mai  1861.  Das  Kind  befdbd  sich  in  einer 
Schulterlage;  nach  Aussage  der  Kranken  wurden  wiederholte, 
natürlich  jedooh  vergebliche  Zangenversuche  gemacht.  Nachdem 
auch  die  Schulter  exarticulirt  worden  war,  wurde»  als  letztes 
Hülfsmittel  der  Kaiserschnitt  (?1)  vorgeschlagen,  jedoch  nicht 
angenommen.  Vi erands wanzig  Stunden  nach  diesen  Qualen  er- 
folgte die  Selbstentwickelnng  des  Kindes,  welches  sehr  stark 
entwickelt  war.  Das  Wochenbett  verlief  im  Ganzen  regelmässig, 
doch  bemerkte  die  Kranke  am  zehnten  Tage  Harnträufeln  aus 
der  Scheide,  gleichviel,  ob  sie  lag  oder  stand.  In  Folge  dessen 
entwickelte  jich  ein  Erythem  um  Soheideneingaag  und  After. 
Ende  August  zeigte  sich  eine  geringe  Besserung,  da  Pal.  einige 
Zeit  lang  im.  Liegen  den  Urin  halten  konnte.  Im  Oetober  stellte 
sich  die  Regel  ein  und  blieb  seitdem  regelmässig.  Die  Unter- 
suchung zeigte  die  Fistel  3  Ctm.  vom  Eingange,  ungleich  rund, 
in  der  Mittellinie  gelegen,  ein  wenig  nach  rechts  sich  erstreckend. 
Die  Oeffnung,  die  circa  3  Ctm.  im  Durchmesser  von  vorn  nach 
hinten  hat,  findet  sich  durch  die  Harnblasenschleimhaut  ver- 
schlossen. Eine  Sonde  kann  leicht  in  die  Blase  eingeschoben 
werden.  Am  12.  März  wurde  die  Operation  vorgenommen.  Die 
angefrischten  Wundränder  wurden  durch  drei  Fäden  von  Seide 
vollständig  vereinigt,  die  Kranke  au  Bett  gebracht  und  ein 
Gnmmi -Katheter  in  die  Blase  eingelegt  Die  Reaction  war  nnr 
unbedeutend.  Am  19.  traten  die  Regeln  ein,  und  da  Verf.  die 
Folgen  der  Uterincongestion  fürchtete,  wurden  am  21.  die  Fäden 
entfernt,  und  es  zeigte  sich  eine  vollkommene  Verklebuag  der 
Wunde.  Bei  wiedrholter  Untersuchung  mit  dem  Speeulum  fand 
man  die  8cherde  trocken  und  eine  transversale  regelmässige 
Narbe.  Die  Harnblase  hat  fast  ihre  normale  Ausdehnung  wieder 
erlangt;  die  Kranke  urinirte  nur  ein  Mal  im  Laufe  der  Nacht 
und  im  Mittel  4 — 5  Mal  am  Tage. 

Zweiter  Fall.  Fistula  vesico- utero  -vaginalis.  Patientin  ist 
37  Jahre  alt,  von  lymphatischem  Temperamente,  seit  dem 
14.  Jahre  immer  regelmässig  menstruirt.  Ihre  Entbindung  dauerte 
vier  Taga;  Zange  und  Seeale  com.  wurden  vergeblich  angewendet, 


XXVII.    Notizen  aus  der  Journal -Literatur.  4g7 

bis  nach  unendlichen  Leides  die  freiwillige  Gebort  eines  todten 
Kindes  erfolgte.  Vierzehn  Tage  später  zeigte  sich  Urinabgaag 
aus  der  Seheide  und  nebenbei  bildete  sich  eine  sechs  Monate 
anhaltende  unvollkommene  Lähmung  der  unteren  Extremitäten 
ans.  Die  Untersuchung  zeigte  ein  ausgebreitetes  Erythem  an 
und  um  die  Geschlechtstheile ,  den  Damm  zerrissen,  die  Harn- 
röhre von  normalem  Caliber  und  eine  in  der  Mittellinie  gelegene 
Fistel ,  welche  sich  an  die  vordere  Lippe  des  Uterushalses  anlegt. 
Zwei  in  die  Fistel  eingelegte  weibliche  Katheter  füllen  dieselbe 
noch  nicht  aus.  Am  28.  März  wurde  wie  im  vorigen  Falle  die 
Operation  (seidene  Fäden)  ausgeführt.  Die  Folgen  waren  eben- 
falls massig  und  durch  Steigerung  des  Erythems  und  einer  über 
den  ganzen  Körper  sich  verbreitenden  Miliaria -Eruption  com- 
plicirt;  auch  stellten  sich  zwei  Tage  nach  der  Operation  die 
Regeln  ein.  Am  5.  April  wurden  die  Fäden  entfernt  und  eine 
völlige  Vereinigung  der  Wunde  constatirt.  In  keiner  Stellung 
verliert  die  Kranke  Urin  aus  der  Scheide.  Sie  muss  ungefähr 
aller  zwei  Stunden  uriniren;  der  Harn  ist  dünn  und  klar. 

Vorstehende  Fälle  zeichnen  sich  aus  durch  die  vollkommene 
Vernarbung   der  Wunde,   trotz   der  Anwendung  seidener  Fäden, 
die  in  keinem  Falle  durcheiterten,  dann  durch  die  kurze  Zeit  (nach 
Angabe  des  Verf.  15  Minuten),  die  zur  Operation  nöthig  war. 
(Gaz.  des  höpit.,  1862,  No.  59.) 


Tarnier:    Beschreibung   einer   neuen   Methode    zur   Er- 
regung der  künstlichen   Frühgeburt 

Die  Schlüsse,  welche  Verf.  aus  seiner  der  Pariser  Akademie 
der  Medicin  vorgetragenen  Arbeit  zusammenfasst,  sind:  1)  Die 
Schwierigkeit  und  Erfolglosigkeit  bei  Anwendung  des  Press- 
schwammes,  die  grossen  Gefahren  der  Uterindouchen  rechtfertigen 
die  Empfehlung  eines  neuen  Verfahrens  zur  Erregung  der  künst- 
lichen Frühgeburt.  2)  Ich  empfehle  einen  Intrauterinen  Er- 
weiterer (Dilateur).  Derselbe  besteht  aus  einer  Sonde,  deren 
Ende  mit  einem  Kautschukrohr  überzogen  ist.  Dieses  kann 
durch  eine  Injection  kugelig  aufgeblasen  werden;  ein  Hahn  ver- 
hindert den  Rückfluss  der  eingespritzten  Flüssigkeit.  3)  Das 
Instrument  wird  bis  in  die  Uterinhöhle  eingeführt,  und  wird, 
aufgeblasen,  allein  durch  den  inneren  Muttermund  zurückgehalten. 
4)  Die  Einbringung  ist  leicht  und  schmerzlos,  die  Eihäute  werden 
nicht  zerrissen  und  scheint  überhaupt  keine  Gefahr  damit  ver- 
bunden zu  sein.  6)  Der  im  Uterus  befindliche  grosse  fremde 
und  feste  Körper  erregt  schnell  Contractionen  des  Uterus  und 
bringt  die  Geburt  in  Gang.  6)  Zehn  bis  jetzt  gesammelte 
Beobachtungen    scheinen    zu    beweisen,    dass    man    mit   diesem 


488  XXVII.    Notisen  «ig  der  Journal -Literatur. 

Apparate   die   Geburt   leiohter   erregt,    als   mit  jedem   anderen 
Verfahren. 

(Gas.  des  höp.,  1892,  No.  182.) 


Hemmern:  Ein  Fall  von  künstlicher  Frühgebart. 

Verf.  giebt  ans  die  Ge bartage« chiehte  einer  Frau,  die  bereits 
swei  Mal  durch  Perforation  und  Kephalothrypsie  entbanden  worden 
war.  Circa  6  Wochen  vor  dem  Ende  ihrer  dritten  Schwanger- 
schaft worden  durch  16  in  einem  Zeiträume  von  6  Tagen 
applicirte  Vaginaldouchen  die  Wehen  angeregt,  welche  auch  ein 
4  Pfund  schweres,  t  Fuss  3  Zoll  langes  Mädchen  su  Tage  förderten. 
Etwas  rasch  nach  der  Geburt  erfolgte  die  Nachgeburt,  darauf 
eine  nicht  unbedeutende  Blutang ,  welche  indessen  einigen 
Kaltwasser- Einspritzungen  nachgab.  Die  Mutter  erholte  sich 
bald  wieder,  das  Kind  befindet  sich  gans  wohl. 

Die  Conjugata  konnte  höchstens  3  Zoll  1  Linie  betragen. 

(Schweizerische  Zeitschrift  für  Heilkunde,   1862,  Bd.  I., 

Heft  1  u.  2.) 


Spencer  Welle  berichtete  in  der  Obstetrical  Society  of  London 
am  2.  October  1861   über  swei  Ovariotomien. 

Die  erste  wurde  an  einer  fedigen  Person  von  27  Jahren 
ausgeführt,  die  nie  punktirt  worden  war.  Es  war  hauptsächlich 
eine  einsige  Kyste ;  doch  hielt  eine  kleine  Gruppe  von  secundären 
Kysten  von  der  Jodinjection  ab.  Die  Kyste  enthielt  44  Pinten 
Flüssigkeit«    Pat.  befindet  sich  gans  wohl. 

Im  sweiten  Falle  war  die  Kyste  zusammengesetzt:  Die 
grösste  Höhle  enthielt  20  Pinteu  Flüssigkeit.  Die  Kranke  war 
unverheirathet,  35  Jahre  alt  und  war  bereits  zwei  Mal  punktirt 
worden.  Die  Operation  wurde  am  15.  August  ausgeführt,  die 
Kranke  genas  schnell. 

(Medical  Times  and  Gazette,  1862,  No.  590.) 


Berichtiffunc. 

Seite  19,  Zeile  8  dieses  Bandes  ist  85  statt  35  zu  lesen. 


Druck  ron  A.  Tb.  Engelhardt  In  Lelpsitf. 


3. 


v 


•■*. 


■ 


0  i 


J 


.'f-'W  8-   '•::* 


tfl0 


'-V 


Ifc 


r1     ^ 


'