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Monatsschrift
für
GEBURTSKUNDE
und
Frauenkrankheiten.
Im Verein mit der
Gesellschaft für Geburtshülfe in Berlin
herausgegeben von
Dr. 0. S. F. Cred6,
Hofratb , ord. Prof. und DJrector der Entbindung« • Anstalt in Leipzig etc.
Dr. 0. Hecker,
ord. Prof. and Dlreetor der Entbindung« - Anstalt In München etc.
Dr. Ed. Martin,
Geh. Rath, ord. Prof. nndDirector der Entblndungs- Anstalt in Berlin, Ritter etc.
Dr. F. A. von Bitgen,
Geb. R*th, ord. Prof. nndDirector der Entbindung* -Anstalt in Glossen,
Comthnr etc.
IVeittiebnter Band.
Mit drei Tafeln Abbildungen.
Berlin, 1862.
Verlag von Atagnat Hirichwald,
68 U. d. Linden, Ecke der 8chadow-Stra4.se.
Inhalt
Heft L o. IL
Seite
XI. Ueber die Veränderungen des Körpergewichtes bei
Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen. Von
Dr. U, K. Qauner, ehemaligem Assistenzarzte der Gebär-
anstalt in München 1
II. Verhandlungen der Gesellschaft fürGeburtshfilfe in Berlin:
Martin: Ueber sweinndiwamig von ihm eingeleitete
Frühgeburten 68
Pagenstecher: Ein Beitrag zur Statistik des Kaiser-
schnittes nebst einem Anhange: Ueber Qsteomalacie 11t
Kugelmann: Nene Uterussonde. (Kit Abbildung.) . . 129
Strassmann: Erfahrungen Über. die Cr ed& sehe Methode
cur Lösung der Nachgeburt 132.
HI. Geburtshinderniss durch Verklebung des äusseren Mutter-
mundes 144
Geburtshinderniss durch Verschliessung der Vagina
mittels organlsirter plastischer Häute. Vom Physicus
Dr. Boih in Eutin 150
IV. Notisen aus der Journal -Literatur:
Althaus: Die Resultate der Ovariotomie in England . 164
Legrand: Neuer Fall von Tod nach einer Jod-
einspriteung in eine Eierstockskyste 156
V. Literatur:
Das Nabelbläschen, ein constantes Gebilde in der
Nachgeburt des ausgetragenen Kindes , von Schnitze.
Leipzig, bei Engelmann, 1861. 4 166
Das schrägverengte Becken, von Seiten der Theorie
und Praxis, nach dem gegenwärtigen Stande der
Wissenschaft von Simon Thomas, Prof. su Leyden.
Leyden *. Leipsig. 1861. Fol .157
IV Inhalt.
Heft ID.
8«ite
VI. Schrägverengtes Becken mit Ankylosis" sacro-iliaea
nebet Bemerkungen über Simon Thomas' Ansicht der
Deformität von Dr. JB. Olshausen, Assistenzarzt am
Entbindungsinstitute su Halle. (Hierin eine Tafel mit
fünf Abbildungen.) v, 161
VII. Sechs Fälle von Ute ras nnicornis, darunter einer mit
Schwangerschaft in einem verkümmerten Nebenhorne.
Von Dr. Arnold Roeenburger in Basel. Mit einer Vor-
bemerkung von Prof.. Dr.. A. Kuemaul in Erlangen . . 186
VIII^ Sechsundvierzigster Jahresbericht über die Ereignisse
in dem Entbindungsinstitute bei der , königl. sa^chs.
chirurgisch -medicinischen Akademie zu Dresden im
Jahre 1860. Von Prof. Dr. Grenser, königl. sUchs.
Hofrath etc. ' 202
lX. Notizen aus der Journal -Literatur:
Cookie: Spontane Berstung einer Eierstockskyste . . 226
Spencer Weih: Spontane Beratung einer Eierstocks-
kyste mit ungünstigem Ausgange 227
Spencer Welle : Zwei Fälle von Ovarrotomie 227
B. Brown: Ovariotomie 227
Spencer Welle: Fall von Ovariotomie mit glücklichem
Ausgange 227
v. Scanzoni: Ueber Coccygodynie 228
Simpson: Fall von Coccygectomie bei Cocoygodynie 230
Baker Breton: Ueber die chirurgische Behandlung
. . der Uterusfibroide 231
G. Braun: Ueber das technische Verfahren bei ver-
nachlässigten Querlagen und über Decapitations-
Instrumente 232
v, Scanzoni: Ein Fall von Anwendung des Aucbenisters
am Kreissbette 234
Mathieu: Embryotome cache* mit beweglichen Stäben
und Kettensäge . . . 234
Olivier: Einige Betrachtungen über Eierstockskysten 235
Stadthagen: Ueber einen hochgradigen Defect sämmt-
licher vier Extremitäten eines lebenden Neugeborenen 237
Pollock: Ungewöhnliche Kindeslage bei Zwillingen 238
Dunsmure: Fall von Zerreissnng der Gebärmutter . 238
Inhalt* V
8*Jte
X. Literatur:
Martin t Handatlas der Gynäkologie und Geburtehülfe.
Berlin 1802« 71 Tafeln mit Einleitung und er-
klärendem Texte 239
Heft IV,
XI. Verhandlungen der Gesellschaft für Qebnrtshnlfe in
Berlin 241
- • Strasamann: Ueber eine eigentümliche Hyperplasie
der Decidua. (Hierzu eine Abbildung.) 242
Martin: Fall von glücklieber Entbindung durch De-
• capitation 247
Martin: Geburt bei durch Knochenwucherung am
• Kreuzbeine und schräg verengtem Becken, Con-
glutinatio orificii uteri. Wendung auf die Füsse,
Extraction , Erhaltung von Mutter und Kind .... 261
Lücke: Ueber Entstehen und Wachsthum von Ge-
schwülsten während der Schwangerschaft 261
XII. Ueber die Wendung auf die Füsse bei ^Querlagen mit
• Vorfall eines Armes. Von Dr. Bpondli, Privatdocent
in Zürich 271
XIII. Ueber die Frequenz der Nabelschnurumschlingung und
■den Einflus8 derselben auf den Ausgang der Geburt
für das Kind. Von Prof. Dr. Gustav Veit in Rostock 290
XIV. Bericht über einen glücklich ausgeführten Kaiserschnitt.
Von Wilhelm Jurran, Wundarzt und Geburtshelfer in
Penig , \ 304
XV; Notizen aus der Journal -Literatur:
Constantin Paul: Ueber den -Einfluss der Blei-
intoxication auf die Frucht 312
Goeehler: Fall von Placenta praevia centralis .... 312
Coatilhee: Granulationen der Uterinschleimhaut, durch
Höllenstein geheilt; erste Schwangerschaft im
43. Jahre. Verwachsung des äusseren Muttermundes 313
Frislo: Dystokie in Folge von Obliteration der
Beneide 314
PouU: Ein seltenes Geburtahinderniss 315
Born: Der Kautochukblasentampon , ein nothwendiger
Bestandteil der Hebamm eng erat hschaften 3)5
VI Inhalt.
Ferd. Weher: Meine Methode der Ansetzung ron
- Blutegeln auf den Muttermund 316
Koeggerath: Vier Fälle Ton Injection einer ätienden
Flüssigkeit in die Uterinhöhle; Nutaen and Ge-
fahren dieser Methode * 816
Chinin in der Geburtshülfe 817
Lloyd: Vorfall der Gebärmotter in Folge mehrjährigen
Bestehens eines Dammrisses 817
Arbeiter: Behält der Frnchthalter noch längere Zeit
nach dem Tode Schwangerer seine selbstständige
Tbatigkeit? 819
Kühn: Ans der gynäkologischen Klinik des Prof.
C. Broun in Wien * 820
Statistische Tabelle über die Vorkommniste in der
Kreis- und Local- Gebäranstalt in München im
Etatjahre 1860—1861 820
Heft V.
XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog. Von
Dr. Spiegelberg, Professor in Freibarg 821
XVIJ. Ueber die GewichtsverKnderang der Neugeborenen.
Von Dr. H. Haake, Privatdoeent der Geburtshülfe in
Leipsig 839
XVIII. Ein Instrument aar Messung des Beckens. Von
Dr. Howitz au Kopenhagen. (Mit einem Holaschsitte.) 855
XIX« Nutaen und Nachtheile des Tampons in der Geburts-
hülfe. Von Obermedieinalrath Dr. Vogler, Brunnen -
und Badearzt su Wiesbaden 861
XX. Notisen aus der Journal -Literatur:
Karl Martin (Wolfstein in der Pfale) : Ein Kaiser-
schnitt wegen osteomalazischen Beckens .... 372
Leven: Extrauterine Schwangerschaft 373
Habit: Ein Fall von Papillom des Gebärmutterhalses 374
Oruise: Fall von mangelhafter Entwickelung der
weiblichen Geschlechtstheile 375
SaiUy: Die Albuminurie als Hülfsmittel sur Unter-
scheidung der Epilepsie und Eclampsie der
Schwangeren 376
Goldschmidt: Ueber die Fungositäten des UterUs 376
Inhalt. VII
Seite
Edward Jackson : Ein Fall von Blasensoheidenfistel 877
Demarquai: Hypertrophische Verlängerung der
Portio vaginalis, mit gleichieitigem Bestehen
eines Fibroides 377
Q. Braun: Ueber Hydatlden - Degeneration der
Choriomotten als Ursaehe des Abortus 879
Maschka: Mittheilung, betreffend das Leben der
Neugeborenen ohne Atomen 380
Virchow: Ueber puerperale diffuse Metritis und
Parametritis 881
Hummel: Vernachlässigte Querlage, Deeapitation
mit BraurCs Schlüsselhaken 383
Peschko: Kaiserschnitt wegen Anomalie des Beckens 384
XX?.- Literatur:
Klinik der Geburtskunde. Beobachtungen und Unter-
suchungen aus der Gebäranstalt zu München von
Dr. C. Hecker, o. 5. Professor der Geburtskunde,
und Dr. L. Buhl, o. ö\ Professor der patholog.
Anatomie an der Ludwig-Maximilians-Universit&t
daselbst. Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann,
1861. 342 Pag. mit 9 lithogr. Tafeln 386
Heft VL
XXII. Verhandlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe in
Berlin 401
Virchow: 8pina bifida oocipitis, Hyperplasia cerebri
mit Enoephalocele und Hernia diaphragmatica . 401
Martin: Präparat eipes neugeborenen Knaben mit
Hernia diaphragmatica 408
Virthow: Ein neugeborenes Kind mit einer mehr
als faustgrossen Sacralgeschwulst 407
Wietfeldt: Eine Traubenmole 409
Langerhans: Vorfall der Darme durch Vereiterung
und Durchbrach eines Kabelbruches bei einem
Kinde -. 411
'Langerhans: Schwangerschaft einer Frau, welche
in den ersten Monaten an wiederholten Gebär-
mutterblutungen litt und die letzten neun Wochen
eine auffallende Menge Wasser verlor 411
VIII Inhalt.
8eIto
Winekei: Untersuchungen über die Gewicht« Verhält-
nisse bei hundert Neugeborenen in den ersten
Tagen nach der Geburt 416
XXIII. Mittbeilungen über die Thätigkeit und die Ver-
handlungen der Gesellschaft für Gebortshülfe zu
Leipiig im siebenten Jahre ihres Bestehens:
L Jahresbericht, erstattet durch den d. Z, Secretftr
Dr. med. Emil Apollo Meissner • . 443
IL Ueber einige Hülfsmittel bei derVaginalinspection.
Zweiter Artikel. Von Dr. Hermann Ploss .... 466
XXIV. Notizen aus der Journal -Literatur:
Demarquay: Ovariotomie ..».,. 469
Spencer WeUs: Ueber einige heilbare Ursachen der
Unfruchtbarkeit 470
Zepuder: Zur Frankenhäuser1 sahen Hypothese über
die. Geschlechtsbestimmung des Fötus 471
Fiedler: Ueber das Verhalten des Fötalpulses aur
Temperatur und sum Pulse der Mutter hei Typhus
abdominalis 471
Westphalt Entbindung auf u. aus einem Wate r-Closet 472
Panck: Die organische Verbindung der Tuba mit
dem Eierstocke » 472
Cdbaneüasi Behandlungsweise des Kindbettfiebers ;
Auszog einer der ntedicinischen Akademie in der
Sitzung des 18. Mars 1862 vorgelesenen Abhandlung 474
XXV. Literatur:
Ueber die Operation der Blasenscheidenfistel durch
die blutige Naht mit Bemerkungen Über die Heilung
der Fisteln, Spalten u. Defecte, welche an anderen
KÖrpertheilen vorkommen. Von Dr. Gustav Simon,
Prof. d. Chirurgie in Rostock. Rostock, Stiller1 Bche
Hofbuchhandlung, 1862 476
Die Wendung auf die Ffisse bei engem Becken. Ein
. . historisch -kritischer Versuch von Dr. W. Franke,
Privatdocent an der Universität Halle. Halle,
C. E. M. Pfeffer, 1862 479
Q. Gerhardt,, De situ . e,t magpitqdine cordis gra-
vidarum. Jen. 1862 479
Ueber die Veränderungen des Körpergewichtes bei
Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen.
Inaugnral-Dissertation
▼Oll
Dr. U. R. Gassner,
ehemaligem Assistenzarzte der Gebftranstalt in München.
EiileiUig.
Vorliegende Arbeit, auf deren Veröffentlichung Herr Pro-
fessor Hecker in seinem jüngst erschienenen Werke *) ver-
wiesen hat, verdankt ihre Entstehung einem Principe, das
gegenwärtig alle Zweige der Naturwissenschaften und der
damit verwandten^Jf^OlOT bjjröfeeiit und sie gegenüber der
apriorisüschenll^mimg^aiig^^Bhati nämlich dem Streben
nach ObjectnfyäL . Man hat in allen Disciplinen, insoweit
es ausführbar fwar uiid -fflörßniilftCmit zu grossen Schwierig-
keiten zu kämjJtät hatte^ diesen Weg mit Erfolg zur Förderung
der WiseenschafKjfety^ej^ und. dadurch dem verwerflichen
Subjectivismus immeP^engep» Grenzen gesteckt, so dass
allmälig an die Stelle der vagen, zu vielen Widersprüchen
führenden Bezeichnungen des Raum- und Zeitmaasses eine
wissenschaftliche, auf objectiven Messungen beruhende, all-
gemein verständliche, widerspruchslose Sprache tritt Je nach
dem Bedürfnisse und der Zulässigkeit ist und wird dieselbe
in den verschiedenen Fächern verschieden cultivirt, am meisten
in der Physik und Mineralogie, Chemie und Physiologie, diesen
zunächst in der Geburtshülfe, am wenigsten in der inneren
Heilkunde. Es wäre überflüssig, wollte ich nur bezüglich
der Geburtshülfe alles das aufzählen, was in dieser Hinsicht
1) Heektr u. Buhl, Klinik der Gebnrtokunde. Leipsig, bei
Engelmann, 1861.
Monatuehr. f. Qeburtak. ISN. Bd. XIX., Hft 1 n. 9. 1
2 I. Gassner, Ueber die Veränderungen
geleistet wurde, da dies ohnehin bekannt genug ist. Hai
man sich doch mit der .objectiven Bestimmung des Raumes
und der Zeit in letzterer Wissenschaft nicht zufrieden ge-
geben, sondern in jüngster Zeit KristeUer (Monatsschrift für
Geburtskunde und Frauenkrankheiten, XVII. Band, 3. Heft,
1861) sogar den originellen Vorschlag gemacht, bei ein-
schlägigen operativen Hülfeleistungen sich einer Geburtszange
zu bedienen, die vermöge ihrer dynamometrischen Construction
neben ihrer Eigenschaft als Extractionsmittel den Geburts-
helfer in den Stand setzt, die während der Operation auf-
gewandte Kraft in Zahlen auszudrücken.
Ungeachtet der eifrigen Bemühungen, die man sich in
der besprochenen objectiven Richtung gab, blieb doch noch
so manches Feld aus verschiedenen Gründen unbebaut. So
begegnet man in unserem Fache allenthalben noch manchen,
einer individuellen Auffassung entstammenden Ausdrücken, und
trifft dieser Vorwurf besonders die Verhältnisse des
Körpergewichtes des Weibes in seinen durch die
Schwangerschaft, Geburt und das Wochenbett
hervorgerufenen Veränderungen und den daraus
abzuleitenden Schlussfolgerungen, die Quantität
der amniotischen Flüssigkeit und deren Be-
ziehungen zu Mutter und Kind unter normalen
und anomalen Zuständen, den Einfluss der Masse
des mütterlichen Organismus auf die Massen-
entwickelung des befruchteten Eies überhaupt und
des Kindes insbesonders und die sich ergebenden
Consequenzen etc. etc. •
Die Verhältnisse näher zu beleuchten und ihr Verständnis
durch Zahlen dauernd zu befestigen, brachte den Verfasser
zu dem Entschlüsse, sich den darauf gerichteten Unter-
suchungen zu unterziehen. Dass derartige Arbeiten mit vieler
Mühe verbunden sind und Zeit und Geduld in hohem Grade
in Anspruch nehmen, wird mir jeder Fachmann gern zugestehen,
wenn er diese Abhandlung zu Ende gelesen hat. Wenn
gleichwohl die Frucht dieser Untersuchungen vorzugsweise nur
einen theoretischen Werth beanspruchen darf, so dürfte doch,
wie es sich im Verlaufe der Abhandlung zeigen wird, auch
4ie eine oder andere praktische Regel daraus abzuleiten sein.
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 3
Das meinen Untersuchungen zu Grunde gelegte Material,
das ich der grossen Güte und I Jberalität meines hochgeehrten
Lehrers und Vorstandes, des Herrn Professor Hecker, ver-
danke, ist gross genug, um dem dai;.;s genommenen Re-
sultate die Bedeutung einer Thatsache zu erleihen; es umfasst
nämlich eine Reihe von 320 weiblichen geschlechtsreifen In-
dividuen, von denen der grösste Theil (193) mehrmals im
Laufe der letzteren Schwangerschaftsmonate, während der
Geburt und im Wochenbette zu den Bestimmungen der Ge-
wichtsveränderungen benutzt wurde, während von den noch
übrigen 127 Frauen die einen entweder nur vor oder nach
der Geburt ihrer Kinder gewogen wurden-.
Wie sich die Fälle nach Erst- und Mehrgeburt, nach
einfacher und Zwillingsgeburt, nach Früh-, Zeit- und Spät-
gehurt etc. vertheilen, ist statt der ermüdenden Aufzählung
am besten den betreffenden Tabellen zu entnehmen.
Was die Cautelen, die eine Garantie für die Richtig-
keit der Untersuchungen abgeben müssen, betrifft, will ich
auf die Darstellung derselben näher eingehen.
Ich bediente mich einer sehr feinen auf 0,1 Gramme
Zulage noch reagirenden, sogenannten physiologischen Decimal-
Waage, l) die zum Schutze gegen Staub in einem eigens
dazu angefertigten dichtschliessenden Schranke aufbewahrt
wurde, und war bemüht, sie vor ihrem Gebrauche jedes Mal
auf ihre richtige Einstellung zu prüfen. Um das Netto-Gewicbt
zu erhalten, zog ich, um in der mercantilischen Sprache zu
reden, von dem Brutto die schon bekannte Tara ab. So
mussten Schwangere, in der ersten Geburtsperiode kreisende
Frauen und die Anstalt verlassende Wöchnerinnen nach voll-
ständiger Entkleidung in einem anstossenden Cabinette zu
diesem Zwecke ein talarähnliches Gewand von bekanntem
Gewicht anziehen, während Kreissende der zweiten und dritten
Geburtsperiode, Neuentbundene und Wöchnerinnen bis zum
siebenten Tage des Wochenbettes ebenfalls entblösst und dann
in zuvor genau gewogene, wohl durchwärmte Leintücher gehüllt
in einer eigens zu diesem Zwecke construirten, muldenförmigen,
l) Scho&nemann's Patentwage ans der Werkatätte von «7. Pintut
xx. Comp, in Brandenburg a. H.
1*
4 I. Gassner, Ueber die Veränderungen
mit vier Füssen versehenen, bettladeähnlichen Waagschale
gewogen wurden, welche letztere, aus Fichtenholz gefertigt,
eine Länge von 6' und eine Tiefe von 1' besass, und bei
ihrem Gebrauche, ohne den Boden mit ihren Füssen zu
berühren, auf dem 17a' vom Horizonte entfernten sogenannten
Stehbrette der Waage ruhte. Mit Füssen liess ich diese
Mulde desshalb versehen, um auf der einen Seite den etwa
widerstrebenden Individuen den versöhnlicheren Anblick einer
schmalen Bettlade zu gewähren und auf der anderen Seite
jede Gefehr bei einem unlieben Zufalle z. B. bei einem allen*
fallsigen Verlieren des Gleichgewichtes der das Stehbrett
überragenden Hebelarme von vornherein zu verhüten.
Um die Transferirung der zu Wägenden von dem Geburts-
oder Wochenbette in die beschriebene Waagschale zu er-
leichtern, wurde die Waage, auf der sie ruhte, jedes Mal
ganz in die Nähe des ersteren gebracht Nachgeburt, das
vor, mit oder nach Austossung derselben ausgeschiedene
Blut, die excrementiellen oder während der Entbindung er-
brochenen Stoffe wurden nach sorgfältiger Sammlung, gleich-
wie alles inter partum genossene Getränke in Gelassen gewogen,
deren Gewicht schon bekannt war. Eine gleiche Genauigkeit
wurde hinsichtlich der Bestimmung der Gewichtsverhältnisse
der Neugeborenen beobachtet
Auf solche Weise gelangte man nicht allein zu dem
Nettogewichte, sondern war auch bei Berücksichtigung eben-
besprochener und gleich zu erwähnender Umstände in der
Lage, die Gewichtsveränderungen zu analysiren, d. h.
die die letzteren hervorbringenden Factoren mit Ausnahme
eines einzigen (Stoffabgabe durch die Haut und Lungen) in
ihrem Antheiie an der Verminderung der Körpermasse näher
kennen zu lernen.
Um eine Gleichmässigkeit der Verhältnisse1)
zu erzielen, wurden die Wägungen der Schwangeren immer
nach Ablauf eines Zeitraumes von H Tagen genau zu der-
1) Die auf der klinischen Abtheilong befindlichen Schwangeren
sind sämmtlich, so lange keine Aendernng von ärztlicher Seite
getroffen wird, demselben Kostreglement in Beziehung auf Quantität
und Qualität unterworfen, so dass dadurch eine Gleichmassigkeit
der Zufuhr von Nahrungsmitteln gegeben ist.
des Körpergewichtes bei Sehwangeren etc. 5
selben Stunde (Nachmittags 3 Uhr) vorgenommen, und alle
Umstände, die auf die Zu- oder Abnahme des Körpergewichtes
einen Einfluss üben, wie z. B. reichlicher Genuss von Wasser,
längere Retention des Harns und der Fäcalmassen, Oedem
der unteren Extremitäten, ferner Schweiss, diarrhoische Aus-
leerungen, geringe Nahrungszufuhr in Folge mangelnder Ess-
lust etc. etc. aufgezeichnet und bei der Beurtheilung genau
gewürdigt; ebenso wurden in gleicher Absicht zu den Be-
stimmungen des durch die Geburt bedingten Gewichtsverlustes
des mütterlichen Körpers nur solche Kreissende benützt,
bei denen der Muttermund bereits über 2" eröffnet, also der
Blasensprung relativ bald zu gewärtigen war, so dass, da die
noch übrige Geburtsarbeit im Durchschnitte höchstens 2 bis
3 Stunden in Anspruch nahm, die Menge der auf der Lungen-
und Haut -Oberfläche während dieser kurzen Zeit verdunsteten
Flüssigkeit mit Hinweglassung jener ziemlich seltenen Fälle,
in denen eine sehr grosse Anstrengung in der ersten oder
zweiten Geburtsperiode (Drangweben) von Schweiss gefolgt
wird, nur eine ganz unbedeutende sein kann.1) Abgesehen
davon, dass der Fehler, der sich, wenn man diese Art der
Stoffabgabe ganz unberücksichtigt Hesse, bei der Berechnung
des Details des Gesammtverlustes (in Folge der Geburt)
ergeben würde, ein kleiner ist und durch approximative Zahlen
gestützt auf die physiologischen Untersuchungen von Valentin
und Sequin, wonach die innerhalb 24 Stunden von einem
Erwachsenen ausgeathmete Menge von Wasser 0,5 Kilogramme,
die auf der Hautoberfläche verdunstende Flüssigkeit 1,0 Kilo-
gramme, also in unserem Falle die Quantität der auf diesen
Wegen vermittelten Stoffabgabe für 2—3 Stunden 125—187
Gramme beträgt, wieder corrigirt werden kann, lässt sich am
Geburtsbette eine hierauf bezügliche exacte physiologische
Untersuchung ans begreiflichen Gründen nicht anstellen und
muss man sich daher mit den angeführten Ziffern begnügen.
1) Wenn der Zeitraum, der seit der letzten Wägung einer
Kreissenden verstrichen war, swei Stunden überschritten hatte
und das Fruchtwasser noch nicht abgeflossen war, so wurde
die Wägung wiederholt, so dass in riefen Fällen »wischen
letster Wägung und Beendigung der Geburt nur eine Zeit von
Vt— % Stande lag.
l
6 I. Gauner, Heber die Veränderungen
Einer directen quantitativen Bestimmung ist auch das
Fruchtwasser entzogen und kann die Menge desselben nur
durch Subtraction des Gewichtes des Kindes, der Nach-
geburt, der während der Entbindung entleerten Excremente,
des zwischen der letzten Wägung vor — und ersten nach
der Geburt durch Lungen und Haut ausgeschiedenen -Wassers,
der etwa erbrochenen Speisen und Getränke, von dem durch
die Geburt bedingten Gesammtverluste des mütterlichen Korpers,
nachdem zu letzterem alles inter partum in den Verdauungs-
kanal Aufgenommene, — das, wie schon erwähnt, vor der
Verabreichung an die Kreissende genau gewogen wurde — ,
addirt worden war, bestimmt werden. Die Methode, das
Fruchtwasser in einem untergelegten Geßsse zu sammeln,
hat ihre Bedenken; denn einmal ist sie der Kreissenden sehr
unbequem, und dann gelingt es wohl fast nie, die ganze
Menge dieser Flüssigkeit zu erhalten, da sie, durch die Con-
tractionskraft des Uterus beim Blasensprunge meist mit einer
Vehemenz und in einem Strahle ausgestossen, entweder das
Gefass nicht trifft oder von demselben unter einem Winkel
theilweise zurückgeworfen wird, ferner da das sogenannte
zweite oder Nachwasser ohnehin wegen der dem Kinde und
der Mutter zu leistenden Assistenz nicht gesammelt werden
kann. — Ein anderer Weg, zur Kenntniss der Quantität des
Liquor Amnii direct zu gelangen, wäre ausserdem noch
folgender: mehrere 4 — 5 untergebreitete Leintücher von be-
kanntem Gewichte nach dem Blasensprunge zu wägen und
aus der Gewichtszunahme die Menge des sogenannten ersten
Wassers zu berechnen, sie sodann durch frische zu ersetzen,
um nach der Geburt des Kindes sie sofort, ehe sich Blut
beimischt, herauszunehmen und aus Mer Zunahme auch das
Quantum des Nachwassers und durch Addition beider ge-
wonnenen Zahlen die Gesammtmenge des Fruchtwassers zu
bestimmen. . Diese Methode ist indess nicht zu gebrauchen,
da die rasche Verdunstung des auf die grosse Oberfläche
der Linnen vertheilten Fruchtwassers abgesehen von den
damit verbundenen sehr vielen Umständlichkeiten und von
dem grossen Zeitaufwand die Rechnung unmöglich macht,
und da der Weg der Subtraction zu einem vollkommen
richtigen Resultate führt. Bei dieser Gelegenheit will ich
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 7
gleich erwähnen, das* ich in Ermangelung eines bessere*
Verfahrens zur Bestimmung der Menge des Lochialsecretes
mich dieser Methode der Unterbreitung von Leintüchern
bedient habe.
Das Wochenbett anlangend wurden in jedem concretea
Falle, zum Verständnisse der Gewichtsabnahme alle hierbei
concorrirenden Factoren als Stillen oder Nichtstillen des
Kindes, Verschiedenheit hinsichtlich der Menge des Lochial-
secretes und der entleerten Excremente, Form der Per-
spiration (Gegenwart oder Abwesenheit von Wochenschweisseo),
Quantität der eingeführten festen und flüssigen Nahrung, im
Verlaufe der Schwangerschaft entstandene und in das Wochen-
bett hinübergenommene, mehr weniger bedeutende Oedeme
der unteren Extremitäten und was dergleichen mehr ist,
thunlichst berücksichtigt. Ganz besonders, mit minutiöser
Genauigkeit, achtete ich darauf in jenen 30 Fällen, in welchen
die Gewichtsabnahme in Beziehung zu den einzelnen Wochen-
bettstagen festgestellt wurde, und nahm auch hier, um eine
Gleichmässigkeit der Verhältnisse herbeizufuhren, die Wägungeh
der Wöchnerinnen jeden Tag genau zu derselben Stunde
(Nachmittags 2 Uhr) vor.
Ehe ich zur Mittheilung der gewonnenen Resultate schreite,
möchte ich noch einige Worte der Rechtfertigung
anführen, um den Vorwurf der Inhumanität oder mindestens
Indecenz abzuwehren, der mir vielleicht von* einem alba
ängstlichen Diätetiker oder allzu scrupulösen Ethiker gemacht
werden könnte, der eine in der Furcht, durch die Ausführung
fraglicher Untersuchungen würden die krankmachenden occa-
sionellen Momente der durch Schwangerschaft, Geburt und
Wochenbett ohnehin erhöhten Prädisposiüon gegenüber ver-
mehrt, und der andere im Wahne, das Sittlichkeitsgefühl
verletzt zu sehen. Indess kam, wie zu erwarten war, im
Verlaufe meiner Untersuchungen als eclatanter Beweis für
die Unschädlichkeit der Methode nie ein Fall von Erkrankung
eines zu dem genannten Zwecke verwendeten Individuums
zur Beobachtung, der auch nur im Entferntesten in Beziehung
zu den beim Wägen ausgeführten Manoeuvres zu bringen
gewesen wäre; sodann findet gewiss jeder Vorurteilsfreie
nichts die Menschenwürde und das ethische Gefühl Verletzendes
g I. Qa$tnert Ueber die Veränderungen
darin, dass sich ein Weib zu einem wissenschaftlichen Zwecke
obigen Untersuchungen unterziehen muss; die betreffenden
Personen selbst, die am ersten zur Einsprache berechtigt
gewesen wären, setzten in der Regel viel weniger Widerstand
diesem Unternehmen entgegen, als man es vermuthen sollte,
besonders wenn man sich die Mühe nicht gereuen lieas, in
ihnen ein gewisses Interesse an der Sache selbst zu erwecken,
soweit dies bei ungebildeten Laien durch eine populaire
Conversation zu erreichen ist Uebrigens bat man auch schon
an anderen Orten angefangen, ähnliche Untersuchungen sogar
an Kranken anzustellen. l)
Nach diesen einleitenden Worten wende ich mich der
Darstellung des Ergebnisses meiner Arbeiten zu und beginne
zum bessern Verständniss auf die Tabelle L verweisend
mit den
Gewichteveränderungen des Weibes in den letzten drei
Schwangerschaftsmonaten.
Gewichtszunahme.
a) Mittel derselben.
«
Es ist ein einfaches Rechenexempd , dass das Wachs*
thum des befrachteten Eies und die Vermehrung der Uterus-
substanz eine Gewichtszunahme des Mutterkörpers bedingen
muss, sofern nicht anomale die Körperernährung beeinträch-
tigende Zustände diese Massenvermebrung hindern, durch
krankhafte gesteigerte Ausscheidung anderer Stoffe aus dem
mütterlichen Organismus ausgleichen, oder wenn das letztere
1) So werden Privatmittheilungen infolge in einigen Spitälern
von Paris and auf der internen Abtheilung des Tübinger Kranken-
hauses die Patienten zum Zwecke der Ermittelung des Einflusses
einer Krankheit auf den Consum von Körpermas 8 e etc. bei deren
Aufnahme in's Spital, öfters im Verlaufe der Krankheit und im
Falle einer günstigen Wendung der letzteren auch im Verlaufe
der Beconvalescenz ohne nachweisbare nachtheilige Wirkung
gewogen. Was nun Kranken nicht schadet, ist gewiss ^bei Ge-
sunden am allerwenigsten *u befürchten.
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 9
in hohem Grade der Fall ist, sogar eine Gewichtsverminderung.
Dass unter physiologischen Bedingungen die Gewichtszunahme
constant ist, geht überdies aus der Tabelle II. zur Genüge
hervor, wornach sirfh ein Verbältniss der Abnehmenden zu
den Zunehmenden herausstellt
im achten Monate von 0 : 8,
„ neunten „ „ 1 : 11,5,
„ zehnten „ „ 1 : 6,24.
Was nun die Durchschnittszahlen für die Gewichts-
zunahme einer Schwangeren im letzten Dritttheil ihrer Gra-
vidität betrifft, so haben die Untersuchungen in dieser Be-
ziehung (Tabelle II) ergeben, dass das Weib im Mittel
im achten Monate um 2,4 Kilogrammes,
„ neunten „ „1,69 „
„ zehnten „ „ 1,54 „
an Körpermasse zunimmt, oder pro mille berechnet auf
1 Kilogramme schwangere Frau ein Zuwachs
im achten Monate von 37,9 Grammes,
„ neunten „ „ 27,0
„ zehnten „ „ 24,73 „
trifft
b) Abweichungen vom Mittel.
Von diesen mittleren Zahlen kommen häufige Abweichungen
nach oben und unten vor und ist dies bezüglich der 89 In-
dividuen, die im zehnten Schwangerschaftsmonate zugenommen
haben, aus folgenden Ziffern zu ersehen:
Eine Gewichtszunahme vonO— 7a KU. erfuhren 11 Schwangere,
» » n 1% * t> yt "" t>
1» M W *• * „ „ 11 „
n » » 2 — 3 „ „ 20 „
w * » 3 4 „ „ o „
t» w r* * & » * 4 »
» W 79 5 — 6 „ „ 7 „
Bei der Erklärung dieser Schwankungen kommen
nach Ausschluss der excessiv nach unten und oben vom
Mittel sich entfernenden Abweichungen zwei Umstände in
Betracht, nämlich der Einfluss der Körpermasse und die Zahl
red Schwangerschaften auf die Grösse der Gewichtszunahme.
10 I. Gatnur, Ueber die Veränderungen
Den ersten Punkt betreffend hat sich, wie folgende
Tabellen zeigen, durch zahlreiche Beobachtungen bis zur
Evidenz die Tbatsache ergeben, dass der weibliche Körper
während der letzten zwei Monate ders Schwangerschaft im
geraden Verhältnisse zu der Grosse seiner Masse an Gewicht
zunimmt. So vertheilen sich
21 Fälle, wo im neunten Monate eine Zunahme stattfand, und
89 „ „ „ zehnten „ „ „ „
in diesem Sinne wie folgt:
Neunter Monat
Körpergewicht
, ou Zahl der Falle. Mittlere Zunahme,
der Schwangeren.
75—70,5 Rilogrammes 3 2,2 Kilograinmes.
70—65,5 „ 5 2,088
65—60,5 „ 5 2,03
60—55,5 „ 5 1,9
55—50,5 „ 3 1,62
Zehnter Monat.
Körpergewicht
der Schwangeren. Zahl der Fälle' Mitt,ere Zunfthme-
75—70,5 Kilogrammes 7 2,55 Kilogramme*. •
70-65,5 „ 20 2,3
65—60,5 „ 24 2,1
60—55,5 „ ' 27 m 1,9
55-50,5 „ . 11 1,5
Hinsichtlich des zweiten Punktes inachte sich der
Einfluss der Zahl der Schwangerschaften auf das Verhalten der
Massenzunahme in der Art geltend, dass sich in 89 Fällen
bei Vergleichung der 23 Erstgeschwängerten mit den 66 Mehr-
geschwangerten eine Differenz der Gewichtszunahme von
0,2 Kilogramme zu Gunsten der letzteren herausstellte, wie-
wohl hei den ersteren das mittlere Körpergewicht um 0,8 Kilogr.
mehr betrug. Es wurde sich hier eine passende Gelegenheit
finden, über den Einfluss der Grösse der Körpermasse und
der Zahl der Schwangerschaften auf die Massenentwicklung
des Eies mich näher zu verbreiten, allein ich habe es vor-
gezogen, diesem Gegenstände ein eigenes Capitel anzuweisen
(s. später).
Während die excessiv hohen Zahlen der Gewichtszunahme
hu pathologischen Zuständen — in 8 Fällen in hochgradigem
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. H
Oedem der unteren Extremitäten und der Bauchdecken in der
Regio hypogastrica , in 6 Fällen in hartnäckiger lange an-
haltender Constipation — ihre Erklärung finden, konnten
keinerlei die die excessiv niederen Zahlen erklärenden Momente
im gegebenen Falle nachgewiesen werden.
v Gewicht sab nähme.
Dagegen sind in allen jenen Ausnahmsfällen, in denen
eine Gewichtsverminderung im Verlaufe des neunten und
zehnten Monates eintrat, tiberall greifbare, die Nutrition
wesentlich störende Ereignisse zur Beobachtung gelangt. Unter
diesen will ich vorzugsweise das Absterben und Ver-
weilen der todten Frucht im Cavum uteri hervor-
heben, ein Phänomen, das in 3 Fällen beobachtet jedes Mal
eine sehr nennenswerthe Gewichtsabnahme (2 — 3 Kilogrammes)
innerhalb 8 — 14 Tagen zur Folge hatte. Diese Constanz der
Gewichtsabnahme dürfte in Fällen, in welchen keine fötalen
Herztöne zu hören, überhaupt die Zeichen des Lebens nicht
vorhanden sind und andere die Körpergewichtsverminderung
erklärende Momente vollkommen fehlen, sogar ein diagnosti-
sches Zeichen für das Abgestorbensein der Frucht abgeben,
und verhalf uns dieser Umstand auch in der That schon
einmal zu einer solchen Diagnose, deren Richtigkeit durch
die Geburt einer todtfaulen Frucht erwiesen wurde. Wodurch
nun bei solchen Anomalien diese Abnahme der Masse des
mütterlichen Körpers zunächst hervorgebracht wird, bin ich
allerdings nicht in der Lage, direct zu zeigen, und vermuthe
ich wohl mit Recht, dass die retrograde Metamorphose der
Frucht nach dem Tode und die Verkleinerung des Eies durch
Resorption von Fruchtwasser den wesentlichsten Antheil daran
haben; denn vergleicht man solche todtfaulen Kinder mit
lebenden aus demselben Monate, so bemerkt man, dass das
Gewicht ersterer gegenüber dem der letzteren bei sonst
gleicher Entwicklung nach der Länge und Breite auffallend
gering ist, so dass man sich im concreten Falle sagen muss,
dieses Kind hat vor intrauterin erfolgtem Ableben ganz
gewiss ein grösseres Körpergewicht gehabt als nach 4er
Geburt. Es Ist denkbar, dass auf dem physikalischen Wege
der Exosmose und Endosmose eine Stoflabgabe von Seite
12 I* 0aw««r, Ueber die VeritndernogeD
des in seinen meisten Gewebstheilen .molekular und fettig
degenerirten Fötus, vermittelt durch den Funiculus umbilicalis,
die Placenta, die epidermislose Cutis, theils an das Frucht-
wasser, tbeils direct an den Uterus geschieht — Für die
Verkleinerung des Eies in Folge von Volumsverminderung
des abgestorbenen Foelus und Resorption von Fruchtwasser
spricht die Gewichtsverminderung des mütterlichen Körpers,
die fast ebenso constante Abnahme der Leibesperipherie,
ferner die stets zu beobachtende Eigentümlichkeit der un-
verletzten Eihäute, selbst während einer Wehe eine gewisse
Schlaffheit und Einstülpbarkeit (sobald der untersuchende
Finger gegen die Blase andrückt) zu besitzen, in Folge derer
die Ruptur der Velamente in der Regel erst erfolgt, nachdem
die unversehrte Blase zwischen den äusseren Genitalien längere
Zeit sichtbar war, und endlich, wenn man will, auch der
frühzeitige Eintritt der Geburt als Folge der Incongruenz
der ausdehnenden Kraft des Eies und der renitirenden Kraft
des Uterus (Scanzoni). Wenn nun auch die Behauptung von
Eichttaedt, dass dem Eintritte der Geburl nach physiologi-
schem Gesetze eine Volumsverminderung des Eies durch
spontanes Fruchtwasserverschlingen von Seite des Foetus als
ursächliches Moment vorangehe, der Begründung entbehrt,
so lässt sich doch nicht läugnen, dass unter anomalen Ver-
hältnissen sich die Bedingungen für eine Volumsverminderung
(in Folge der Resorption von Fruchtwasser bei Gegenwart
einer todtfaulen Frucht im Uterus) des Eies finden können
und letztere den Eintritt der Geburt zu einer abnormen Zeit
zur Folge haben kann.
Factoren der Gewichtszunahme.
Es bleibt nun noch übrig, die Frage zu beantworten,
ob die im Vorausgehenden nachgewiesene Gewichtszunahme
des Weibes innerhalb der letzten 3 Schwangerschaftsmonate
unter normalen Verhältnissen ausschliesslich nur auf Rechnung
der durch die Schwangerschaft im mütterlichen Organismus,
in specie im Genitalapparate bedingten Vorgänge zu setzen
oder auch theilweise in Beziehung zu bringen sei zu den im
Allgemeinen günstigeren Nutritionsverhältiüssen, in welche
Schwangere durch ihre Aufnahme in die Gebäranstalt in Folge
des Körpergewichte« bei Schwangeren etc. 13
von Ruhe, Sorglosigkeit, geordnete Diät, Reinlichkeit etc.
gelangen.
Diese Frage ist im Allgemeinen dahin zu beantworten,
dass zwar das Wachsthum des Eies und der Uterussubstanz,
sowie der Säftereicbthum des ganzen Genitalapparates einen
grossen Antbeil an der Gewichtszunahme des mütterlichen
Körpers haben, dass aber, wie es die in der Tabelle III.
nachgewiesenen Schwankungen der Gewichtsverhältnisse inner-
halb kleinerer Zeiträume darthun und wie es schon apriori
die hohen Zahlen der Gewichtszunahme plausibel machen,
auch im Gesammtorganismug Schwangerer sich Bedingungen
zur Vermehrung seines materiellen Substrates finden. — Ganz
abgesehen davon, dass um die fragliche Zeit der Gravidität
"die seröse Infiltration der unteren Extremitäten als Ausdruck
einer physiologischen Circulationsbehinderung ein ganz gewöhn-
liches Phänomen ist und in höheren Graden als Oedem bei
Erstgeschwängerten unter 100 Fällen 42 Hai und bei Mehr-
geschwängerten bei einer gleichen Anzahl von Fällen 25 Mal
beobachtet wurde, abgesehen ferner von den durch mechanische
Compression der Venae ifiacae hervorgerufenen Varicositäten
der ausserhalb der Fascien liegenden Venen der unteren
Extremitäten, kann es auch keinem Zweifel unterliegen, dass
bei der grossen Unthätigkeit und dem guten diätetischen
Regime der in Gebäranstalten verpflegten Schwangeren nach
Abzug des zum Schwangerschaftszwecke verwendeten Materials
immerhin noch ein Plus von Nutritionsmaterial dem Organismus
entweder in Form eines organischen (Blut, Lymphe etc.)
oder organisirten StofTes (Fett, Zellgewebe, Muskelgewebe etc.)
assimilirt wird und so als Massenvermehrung zur Zunahme
des Körpergewichtes beiträgt.
Wie viel Kilogrammes nun auf jeden einzelnen der
genannten Factoren zu setzen seien, lässt sich schlechterdings
nicht bestimmen, da vor allen Dingen die Gewichtsdifferenz
des Eies in den 3 letzten Monaten seiner Entwicklung, ebenso
die Gewichtsdifferenz des Uterus innerhalb dieser Zeit genau
gekannt sein musste, um nach Subtraction dieser gefundenen
Differenz von der Gesammtzunahme den noch übrig bleibenden
Zahlenrest als Antbeil der allgemeinen Massenvermehrung
14 *• &«MM4r, Ueber die Verände magern
des mütterlichen Körpers ansprechen zu können. Indessen
will ich es doch versuchen, die Gewichtsdifferenz des Eies
in den letzten 3 Monaten seiner Entwicklung wenigstens durch
approximative Zahlen anzudeuten. — Da beiläufig die Gewichts-
zunahme eines Kindes
im achten Monate 0,5 Kilogramme,
„ neunten „ 0,75 „
„ zehnten ., 0,75 „
beträgt, die Quantität des Fruchtwassers (siehe später)
im achten Monale ein Plus von 0,375 Kilogramme,
„ neunten „ „ „ „ 0,25
„ zehnten „ „ „ „ 0,25
erhält und die Nachgeburt in d: en 3 Monaten je um 0,084 Kilo-
gramme an Gewicht zunimmt, so wird sich darnach für den
achten Monate eine Gewichtsdifferenz des Eies von ca. 1,0 Kilogr.
neunten „ „ „ „ „ „ „ 1,0 „
zehnten „ „ „ „ „ „ „ 1,0 „
herausstellen. Nimmt man noch schätzungsweise an, dass das
Wachsthum der Uterussubstanz und der Säftereichthum in
der Genitalsphäre in jedem einzelnen Monate besprochener
Schwangerschaftszeit eiu Plus von 0,125 Kilogramme zu den
eben genannten Differenzen hinzufügt, so ist die vorhin
ausgesprochene Behauptung gerechtfertigt, dass die Gewichts-
zunahme zwar vorzugsweise durch die localen Vorgänge im
sexuellen Gebiete bedingt ist, dass aber daran auch der
Gesammtorganismu8 des schwangeren Individuums participire ;
es ist daher erlaubt, den Satz aufzustellen, dass der Gesammt-
organismus während der Schwangerschaft (wenigstens während
der letzten 3 Monate derselben) in Folge seiner grösseren
Vitalität eine primäre Erhöhung der Fähigkeit zu assimiliren,
Organisches und Organisirtes zu produciren, erfahrt, um
secundär aus dem Ueberschusse der assimilirten Stoffe der
speciellen Aufgabe, nämlich dem Aufbaue eines neuen Wesens,
zu genügen.
Nach welcher Richtung die Assimilation ihre Thätigkeit
besonders entfaltet, ob in der gleichmässigen Vermehrung
aller Blutbestandtheile oder in einer ungleichmässig grossen
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc.
15
Producüon des einen oder anderen Blutbestandtheiles z. ß.
der rothen oder weissen Blutkörperchen (Plethora- Chlorose
ähnliche Blutbeschaflenheil), des Blutserums, des Fibrins
(fibrinöse Blutkrase Schwangerer nach Kiwiach) oder ob in
der Verwendung des vermehrten Plasma zur Neubildung von
Geweben, lässt sich auf Grund des im Vorausgehenden Aus-
einandergesetzten nicht entscheiden.
Eine Erklärung für die Zunahme des Gesammtorganismus,
abgesehen von dem Antheile des wachsenden Eies, in der
Annahme erblicken zu dürfen, dass in Folge der physiologi-
schen Cession der Catamenien das Blutquantum, das perioden-
weise in den 9 Monaten der Schwangerschaft auszuscheiden
gewesen wäre und im Ganzen vielleicht ein mittleres Gewicht
von 2 Kilogrammes bedingt haben würde, im Organismus
zurückgehalten dessen Massenzunalmie verursache, ist un-
statthaft, weil für's erste das wachsende Ei, insbesonders das
Kind, noch weit mehr mütterliches Blut su seiner Entwicklung
bis zur Reife gebraucht als das in Folge der Menstruatio
suppressa im Körper der Mutter zurückgehaltene, ferner weil
die Grösse der Zunahme in den letzten 3 Monaten (1,425 Kilo-
gramme) die Quantität des Menstrualblutes dreier Monate
(0,6 Kilogramme) weit übersteigt.
Tabelle I.
Mittleres
Körpergewicht
einer Schwangeren
am Ende
des 10. Monates.
einer am normalen
Schwangerschafts-
ende
Neuen tbondenen.
einer Wöchnerin
des
7.— 8. Wochenbetts -
t«ges.
Zahl
der
Falle.
Mittel
des Körper-
gewichtes in
Kilogrammes
ausgedrückt.
Zahl
der
Fälle.
Mittel
des Körper-
gewichtes in
Kilogrammes
ausgedrückt.
Zahl
der
Fälle.
Mittel
des Körper-
gewichtes in
Kilogrammes
ausgedrückt.
242
62,8
190 •
56,26
269
51,45
16
I. Gattner, Ueber die Veränderungen
2
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des Körpergewichtes bei Schwangeren etc.
17
Tabelle in.
Körpergewichtsveränderungen des Weibes in den 12 letzten Wochen
der Schwangerschaft.
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c
Zahl
Mittel der Zun ahme,
bL O
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der Schwangeren,
die an Gewicht
Mittel
der Gewichts-
berechnet für die
Gesammtzahl der
* •
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Schwangeren nach
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zu-
genommen.
ab-
fecoiyimei».
zunahme. Abnahme.
Abzug des Mittels
der Abnahme.
KUogr.
KHotfr.
Kilogramme.
29.
3
3
—
0,67
—
0,67
30,
3
3
—
0,79
0,79
31.
6
4
g
0,78
0,86
0,235
32,
7
7
—
0,905
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0,906
33.
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0,35
0,72
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30
11
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0,626
37.
61
46
16
1,26 1 0,425
0,745
38,
77
53
24
0,9
0,735
0,4
39.
so
54
26
1,045
0,55
0,63
40.
54
34
SO
1,125
0,91
0,37
Anmerkung. Die mittlere Gewichtszunahme in diesen zwölf
Wochen beträgt sonach 7,09 Kilogramme», ein Resultat, das dem
auf Tab. II. verzeichneten bedeutend widerspricht; dieser Wider-
spruch erklärt sich dadurch, dass in den grösseren Zeiträumen,
wovon dort die Rede ist, die grössere Gewichtszunahme wieder
durch grössere Gewichtsabnahme ausgeglichen wurde, so dass
schliesslich als Mittel eine Gewichtszunahme sich herausstellte
im achten Monat von 2,4 Kilogrammes,
„ neunten „ „ 1,69 Kilogramme,
„ zehnten „ „ 1,64 „
Tabelle IV.
Innerhalb
eines
Zeit-
abschnittes
von
betrug bei
einer Anzahl
die Zunahme des Körpergewichtes
berechnet
nach
Kilo-
grammes.
als
Procent
d. mütterl.
Körpers.
I in I
Proportion | auf
zu dem 1 Kilogr.
mfltterl. ' Weib
Körper. I (pro mille).
3 Monaten
ante partum
2 Monaten
ante partum
1 Monate
ante partum
8 Indivuen
106
4,8
3,05
1,54
Procent.
7,68
4,9
2,473
llonatsscbr. f. Geburtsk. 1862. Bd. XIX., Hfl. 1 u. 2.
Gramm es.
1 : 13,2 i 76,8
1 : 20,42 j 49,0
1 : 40,43 24,73
2
lg I. Gassner y Ueber die Veränderungen
II.
Gewichtsveränderungen des Weibes in Folge der Geburt
Gewichtsverlust.
a) Mittel desselben
<r) In Folge der rechtzeitigen Geburt.
Die Ausstossung des vollkommen entwickelten Eies am
normalen Schwangerschaftsende, sowie der damit verbundene
Abgang von Blut und Exkrementen bedingt, nach dem Mittel
von 190 Fällen berechnet, einen Gewichtsverlust des mütter-
lichen Körpers von 6,564 Küogrammes, so dass, da das
mittlere Körpergewicht einer am normalen Schwangerschaft^-
ende Kreissenden 62,8 Küogrammes beträgt, 1 Kilogramme Weib
in Folge der Entbindung 0,1045 Kilogramme oder 104,5 Grammes
verliert, wornach sich folgende Proportion ergibt:
Grösse des Gewichtsverlustes : Grösse des Körpergewichtes
= 1 : 9,57.
Nach Procenten berechnet ist die Gewichtsabnahme
= 10,45 ProcenL
ß) in Folge der Frühgeburt.
Die Verminderung der Körpermasse durch die Entleerung
des Uteruscontentums bei Frühgeburten gestaltet sich nach
den einzelnen Monaten in der Art, dass die Grösse der
Gewichtsabnahme entsprechend der fortschreitenden Enl-
Wickelung des Eies mit der Zahl der Monate steigt, wie aus
folgender Tabelle hervorgeht.
Zahl Mittlere Auf 1 Kilogramme
der Fälle. Abnahme. Kreissende berechnet.
Anf. d. 6. Monats 2 3,485 Kilogr. 66,08 Grammes.
Ended.7. „ 1 4,00 „ 70,0
Anf. d. 8. „ 3 4,32 „ 74,0
Ended.9. „ 5 4,85 „ 85,0
y) in Folge der Zwülingsgebnrt.
Der Gewichtsverlust in Folge der Zwillingsgeburt ist
bedeutend; doch ist zu bedenken, dass die Zahl der hieber-
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 19
gehörigen Fälle zu gering ist, um dem daraus gewonnenen
Resultate die Bedeutung einer Thatsache beilegen zu können.
In zwei Fällen von Zwülingsgeburt entziffert sich eine mittlere
Abnahme von 11,815 Kilogrammes, oder auf 1 Kilogramme
Weib trifft ein Verlust von 132,1 Grammes.
b) Abweichungen vom Mittel.
Wie bezüglich der Zunahme der Körpermasse während
der Schwangerschaft, so kommen auch in Bezug auf die
Grösse des durch die Geburt gesetzten Gewichtsverlustes
häufige Differenzen vor, wie aus Tabelle VI., zu ersehen ist,
die mit Ausschluss der excessiv nach oben und unten vom
Mittel sich entfernenden Abweichungen ihre Begründung darin
finden, dass sich im Allgemeinen die Grösse des in Rede
stehenden Verlustes nach der Grösse des Körpergewichtes
der Kreissenden richtet, so dass also diesem Gesetze ent-
sprechend kräftig entwickelte Frauen in Folge der Geburt
eine bedeutendere Abnahme ihres Gewichtes erfahren als
schwächere. Diese Behauptung bestätigt nachstehende Zu-
sammenstellung :
Körpergewicht
Zahl
Mittlerer
der Kreissenden.
der Fälle.
Gewichtsverlust.
80 — 70,5 Kilogrammes
26
8,01
Kilogrammes.
70-68,0
13
7,37
>»
67,5—65,5
28
7,25
»»
65—60,5
50
6,60
»»
60—55,5
48
6,30
M
55—50,5
17
5,20
n
50—45,6
7
4,50
»»
Ausserdem macht sich auch noch, wie bei der Schwanger-
schaft in Betreff der Zunahme, so hier hinsichtlich der Ab-
nahme ein Einfluss der Zahl der Geburten in der Weise
geltend, dass die Primiparae (V8) gegenüber den Multiparae
(%) bei sonst fast ganz gleichen Körpergewichtsverhältnissen
einen geringeren Gewichtsverlust erleiden, und zwar beträgt
die Differenz 0,31 Kilogramme.
Was die einen ungewöhnlich hohen und niederen Gewichts-
verlust ausdrückenden, &°s dem Gesetze der proportionalen
Abnahme nicht zu begreifenden Zahlen (von 9 — 15 Kilo-
2*
20 I- Oatsner, lieber die Verl od orangen
grammes nach aufwärts und von 4—3 Kilogramines nacli
abwärts) betrifft, finden in allen 28 Fällen denen sie an-
gehören, die einen ihre Erklärung meist in enormen Mengen
von Fruchtwasser, in Metrorrhagie, Zwillingsgeburten, starker
Evacuatio alvi während der Entbindung etc., — die anderen in
einer geringen Entwicklung des ganzen Eies, besonders des
Kindes bei einer minimalen Menge der amniotischen Flüssigkeit.
c) Factoren des Gewichtsverlustes,
a) Mittlere Crosse der einzelnen Factoren.
Das ausgestossene Ei bildet den Hauptfactor und beträgt
sein Gewicht im Durchschnitte 5,76 Kilogrammes, auf welche
sich seine Bestandteile in folgender Weise vertheileu:
Mittleres Gewicht des Kindes = 3,283 Kilogrammes,
„ „ „ Fruchtwassers = 1,877 „
„ „ der Nachgeburt =*= 0,600 „
Die anderen Factoren sind: die durch Lunge und Haut
während der Entbindung abgegebenen Stoffe, die inter partum
ausgeschiedenen Excremente, sowie das in der Nachgeburts-
periode und mit der Hinwegnahtne der Nachgeburt entleerte
Blut; ihr Antheil an der Verursachung des Gewichtsverlustes
ist ein geringer und beträgt nur 0,804 Kilogramme, wovon
auf das Blut im Mittel 0,250 Kilogramme,
„ die Excremente „ „ 0,404 w
„ „ Lungen- und Haut- j
treffen.
ausdunstung < " " °,15°
ß) Schwankungen der Grosse der Factoren — ihre Ursachen.
Ich muss auch hier wieder darauf aufmerksam machen,
dass nicht unerhebliche Gewichtsschwankungen einzelner oder
aller Factoren vorkommen, die entweder in pathologischen
Vorgängen oder in dem Gesetze der unter physiologischen
Verhältnissen dem Körpergewichte proportionalen Massenrer-
mehrung des Eies ihre Ursache haben, und die auch schon
apriori aus den Schwankungen der Grösse des Gewichts-
verlustes begriffen werden.
Solche pathologische, die Gewichtsschwankungen der
Factoren verursachende Erscheinungen sind: schlechte Ent-
des Körpergewichte» bei Schwangeren etc.
21
wicklung des Kindes, Hydramnios, profuse Schweisse und
Diarrhöen, Metrorrhagie etc. etc.
Das Gesetz der der Grösse des mütterlichen Körper-
gewichtes proportionalen Massenverinebrung des Eies macht
sich in folgenden Tabellen in ecla tanter Weise geltend:
Körpergewicht
Zahl
Mittleres Körpergewicht
der
der
der
Kreissenden.
Fälle.
betreffenden
Kinder.
80 — 75,5 Kilogrammes
6
3,677 Kiio§
pammes.
75— 70,5
w
27
3,541
»»
70;— 66,5
n
49
3,416
»»
65—60,5
»
70
3,260
n
60—55,5
1» •
56
3,203
•f
55—50,5
11
23
2,995
w
60—454
♦1
7
2.
Zahl
2,835
11
Körpergewicht
Mittleres
Gewicht
der
der
der betreffenden
Kreissenden.
Falle.
Frnchtwassermenge.
80 — 75,5 Kilogrammes
3
2,535 Kilogrammes.
75—70,5
n
17
2,665
w
70-65,5
w
32
2,125
1»
65—60,5
«
48
1,780
11
60-55^
n
35
1,745
11
55 — 50,5
w
14
1,185
11
50—45,5
ff
4
1,095
11
45—40,5
w
1
0,750
1t
Körpergewicht
3.
Zahl
Mittleres Gewicht
der
der
der betreffenden *
Krebsenden.
Falle.
Nachgebarten.
80 — 754 Kilogrammes
3
0,750 Kilogrammes. .
75—70,5
n
23
0,666
fl
70—65,5
>t
38
0,665
1f
65—604
»
53
0,626
11
60-55,5
w
49
0,570
11
55—50,5
»♦
22
0,517
11
50—454
n
5
0,420
»
22
I. Gastner, Ueher die Veränderungen
Es sei mir gestattet, an diesem Platze einige Notizen
über das Verhältnis* des Gewichtes des Kindes zu dem des
Fruchtwassers und der Nachgeburt einzuflechten.
Aus der grossen Reihe der darüber geführten Unter-
suchungen erhellt die Thatsache, dass das Fruchtwasser
und die Nachgeburt ein dem Körpergewichte des Kindes
proportionales Gewicht haben, so dass also nicht eine Com-
pensation in der Weise stattfindet, dass bei einem grossen
Kinde wenig Fruchtwasser, bei einem schlecht entwickelten
Kinde viel Fruchtwasser etc. etc. vorhanden ist. Die Con-
gruenz der eben besprochenen Beziehung des Kindes zu den
Nachgeburtstheilen, in specie zu der Placenta, ist so selbstredend,
dass selbst ein directer Beweis dafür nicht geführt zu werden
brauchte; denn es ist unschwer einzusehen, dass die Placenta
als fötales Nutritions- und Respirationsorgan eines dem Um-
fange ihrer Function angemessenen materiellen Substrats bedarf.
Die gesammte Thatsache wird aufs Bestimmteste nach
beiden Richtungen durch folgende Zahlenverhältnisse bewiesen:
1.
Ztihl
der
Fälle.
1
1
7
51
66
23
5
2.
Zahl
der
Fälle.
1
2
8
60
83
A3
3
Körpergewicht
des
Kindes.
5,00 Kilogrammes
487
4,00
3,65
3,20
2,70
2,30
Körpergewicht
des
Kindes.
5,0 Kilogrammes
4,5
4,0
3,5 „
3,0
2,5
2,0
Mittleres Gewicht
des betreffenden
Fruchtwassers.
4,200 Kilogrammes,
3,500
2,320
2,010
1,910
1,445
1,350
Mittleres Gewicht
der betreffenden
Nachgeburten.
1,125 Kilogrammes,
0,905
0,845
0,685
0,582
0,498
0,416
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 23
Aus dem Vergleiche der Massenverbältnisse des Eies
der Primiparae mit denen des Eies der Multiparae resultirt
als Erläuterung des geringeren Gewichtsverlustes Ersterer
gegenüber den Letzteren die Thatsache, dass unter sonst ganz
gleichen Verhältnissen das Ei der Primiparae um 0,322 Kilo-
gramme dem Gewichte des Eies der Multiparae nachsteht,
und zwar ist diese Diflerenz die Summe folgender Differenzen
der einzelnen Bestandteile des Eies:
Das Kind einer Primipara wiegt im Mittel um 0,104 Kilo-
gramme weniger als das einer Multipara.
Das Fruchtwasser einer Primipara wiegt im Mittel um
0,202 Kilogramme weniger als das einer Multipara.
Die Nachgeburt einer Primipara wiegt im Mittel um
0,016 Kilogramme weniger als die einer Multipara.
Vergleich der Grösse des Eies und der Masse des mütter-
lichen Körpers mit der Dauer der Geburt, insbesondere
der ersten Geburtsperiode (bis zum Blasensprunge und
sur vollständigen Erweiterung des Orificii uteri).
«) Vergleich der Grösse des Eies mit der Dauer
der Geburt.
Da in jedem concreten Falle, einige Eventualitäten aus-
geschlossen, die Quantität aller durch den Geburtsact aus
der Uterinhöhle ausgestossenen Bestandteile des Eies unter
Anwendung der in der Einleitung näher besprochenen Cau-
telen äusserst genau bestimmt werden kann, so ist klar, dass
die durch Addition der gefundenen einzelnen Zahlenwerthe
erhaltene Totaisumme das Gewicht des ganzen Eies ausdruckt,
und es erlaubt ist, aus der Grösse des Gewichtes auf die
Grösse seines Gubiscben Inhaltes und seiner Peripherie eineh
Schluss zu ziehen. Diese Berechnung der Einlasse habe ich
nun an 154 Individuen angestellt und zwar in der Absicht,
unter genauer Aufzeichnung der Dauer der Geburt und ihrer
Perioden, besonders des Eröffnungsstadiums zu ermitteln, ob
bei Geburten, die die normale Schwangerschaft beenden,
mit der Zunahme des Gewichtes des Eies, id est, mit der
Zunahme seines cubischen Inhaltes und seiner Peripherie auch
die Zahl der Stunden der Geburtsdauer, besonders der ersten
24 I» Gauner, Ueber die Veränderungen
Geburtsperiode zu — oder im umgekehrten Verhältnisse mit
der Abnahme der Grösse des Eies auch die Zahl der Geburts-
dauer abnimmt
Es brachte mich zu dieser Idee der Umstand, dass grosse
Ausdehnung der Gebärmutter in Folge von vielem Frucht-
wasser, grossem Kinde, Zwiüingsfröcbten, kurz in Folge eines
Eies von ungewöhnlicher Grösse ziemlich allgemein als ein
indirectes, die Uterussubstanz verdünnendes und daher ihr
Contractionsvennögen verminderndes , ätiologisches Moment
der sogenannten primären Wehenschwäche angeklagt wird
(Naegde, Scanzoni u- v. a. A.)'.
Die Beurtheilung der Grösse des Eies darf nicht
gesondert, sondern nur mit Beziehung auf das Gesetz der
dem Körpergewichte der Mutter proportionalen Massenent-
wicklung des Eies geschehen, so dass man also nicht ab-
solut, sondern nur relativ von einem grossen oder kleinen
Eie sprechen darf. Dieser Umstand muss von vorneherein
zur Vermeidung falscher Schlüsse berücksichtigt werden;
denn es handelt sich um die Ermittelung des Einflusses der
zu dem Gewichte des Mutterkörpers improportional grossen
oder kleinen Eier auf die Geburlsdauer; ausserdem ist klar,
dass ein der Masse des Körpers, dem es angehört, propor-
tional entwickeltes Ei im Allgemeinen auch in einem Uterus
wurzeln wird, der es mit einer der Oberfläche des Eies
entsprechend reichen Muskellage umschliesst Es ist daher
am geratensten, die Grösse des Eies, aus der sich die Ober-
fläche begreift, als procentigen Werth seines Mutterkörpers
hinzustellen, wie dies in der hierauf bezüglichen Tabelle VIII.
geschehen ist, um daraus auf eine improportionale Erhöhung
oder Verminderung setner Peripherie zu schliessen, und diesen
Schluss weiter auf die Relation dieser Erhöhung oder Ver-
minderung zu. der Geburtsdauer ausdehnen zu können.
Zum besseren Verständnisse der ebenerwähnten Tabelle
will ich die mittleren Zahlenverhältnisse des Pro-
centes des ganzen Eies, der Dauer der Geburt etc. hier,
folgen lassen:
Das ganze Ei beträgt im Mittel 9,21 Procent des
mütterlichen Körpers einer Kreissenden von dem be-
kannten Durchschnittsgewichte, —
/
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 25
oder in Proportion ausgedrückt verhält sich die Masse
des Eies: Körpennasse der Motter = 1 : 10,81 —
oder auf 1 Kilogramme kreissendes Weib kommen im
Mittel 92,1 Grammes EL
Die mittlere Dauer der ganzen Geburt umfasst in
diesen 154 Fällen (44 Primiparae und 1 10 Multiparae)
12 Stunden, die Eröffnungsperiode (bis zur vollständigen
Erweiterung des Muttermundes und dem gewöhnlich
gleich darauf folgenden Blasenspruuge) 10 Stunden.
Ich wiederhole, dass ich bei der Beurtheilung des frag-
lichen Einflusses der improportionalen Grösse oder Kleinheil
des Eies auf die Geburtsdauer den Accent nicht auf die
ganze Geburtsdauer, sondern nur auf den Zeitraum lege,
der das erste Geburtsstadium ausfällt. Denn erstens bleibt
während des Letzteren wegen Mangel mechanischer die Geburt
retardirender Hindernisse die Beobachtung reiner, sodann
sind einerseits im zweiten Stadium nicht mehr dieselben
Volumsverhältnisse des Eies vorbanden wie im ersten, die
Kraft des Uterus, der sich nach dem Abfluss des Frucht-
wassers um ein Contentum von geringerem Volumen mit
relativ vermehrter Muskelmasse zusammenzieht, hat sich
geändert, abgesehen davon, dass andererseits in der Beschaffen-
heit des Beckens, der Weichtheile und dem kindlichen Kopfe
unzählige, für unsere Berechnung gar nicht abzuwägende,
hindernde oder die Geburtsbescbleunigung wesentlich fördernde
Momente liegen.
Die Untersuchungen Aber den in Rede stehenden
Einfluss der improportionalen Grössenverhältnisse des Eies
auf die Dauer der ganzen Geburt und des ersten Geburts-
stadiams insbesondere haben, wie Tabelle VIII. zeigt, ein
durchaus negatives Resultat ergeben; denn auf der einen
Seite ist zur Verkleinerung gleicbprocentiger Eier eine ver-
schieden lange Zeitdauer erforderlich und auf der anderen
Seite umfasst das erste Geburtsstadium bei verscbieden-
prooentigen Eiern eine gleiche Anzahl von Stunden. Dieses
Resultat ist gegen alle Vermuthung ausgefallen; denn man
sollte a priori denken, dass zur Verkleinerung eines impro-
portional grossen Eies eine längere Zeit erfordert werde als
zur Verkleinerung eines improportional kleinen Eies, da im
26 I- Gauner t Ueber die Veränderungen
ersten Falle die Conlractionskraft des unverhältnissmässig stark
ausgedehnten und darum muskelärmeren Uterus auf mehrere
Punkte (wegen der grösseren Oberfläche) vertbeilt schwächer und
langsamerwirken muss als im letzteren Falle, wo die Contracüons-
kraft des unverhältnissmässig wenig ausgedehnten und darum
muskelreicheren Uterus auf wenigere Punkte (wegen der kleineren
Oberfläche des Eies) vertheilt stärker und schneller wirken muss.
Allein, wie bemerkt, diese Vermuthung hat ihre Wider-
legung gefunden in einer Reihe von Thatsachen; ich will
beispielshalber nur eine die Sache besonders beleuchtende
Thatsache hier anfuhren; so dauerte in einem Falle, wo das
Ei 13,08 Procent des mütterlichen Körpers betrug, also
relativ ungemein gross war, die ganze Geburt nur 7, die
erste Geburtsperiode nur 5l/2 Stunden, während in einem
anderen Falle, wo das Ei nur 7,544 Procent des mütterlichen
Körpers betrug, also relativ sehr klein war, die ganze Geburt
nicht weniger als 35, das erste Geburtsstadium 32 Stunden
in Anspruch nahm (vide Tabelle VIII.).
Sieht man sich nach einer Erklärung dieses scheinbaren
Paradoxon um, so kann dieselbe nur darin liegen, dass die
Verschiedenheit der Kräfteentfaltung, die sich durch die ver-
schieden lange Geburtsdauer unter den vorhin angegebenen
widersprechenden Erscheinungen hinlänglich manifestirt, durch
ein ungleichmässiges Vorsichgehen des Wachsthuius des Uterus
in allen v seinen Gewebselementen oder nur in seinen Huskei-
fibrillen während der Schwangerschaft bedingt wird.
Dasselbe sagt Litzmann (Handwörterbuch der Physiologie
von Rudolph Wagner, pag. 64, Band IIL, Art. Schwanger*
schaft) mit folgenden Worten: „Das Wacbsthum scheint
nicht immer in allen Gewebselementen des Uterus gleich-
massig vorzugehen. Zwar liegen, soviel mir bekannt ist,
directe Beobachtungen über diesen Gegenstand nicht vor.
Allein wenn auch der anatomische Nachweis zur Zeit noch
fehlt, so werden wir doch durch die Verschiedenheiten in
der Dicke und Consistenz der Uterinwandungen und diesen
entsprechende Differenzen in der Action bei der Geburt, wie
sie uns die tägliche Erfahrung zeigt, zu einer solchen An-
nahme berechtigt. Bald finden wir dünne, glatte, fast darm-
äbnliche Uterinwände mit einer sehr energischen Contractions-
de» Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 27
kraft. Hier scheinen fast ausschliesslich die Muskelfasern
entwickelt zu sein. In anderen Fällen sind die Wandungen
dick, massig, schwer, oder weich und schwammig, ihre Con-
tractionskraft ist namentlich im Anfange der Geburt gering;
diesem liegt wahrscheinlich eine luxuriöse Entwickelung des
Bindegewebes und der Gefasse zum Grunde."
Allerdings ist die Verschiedenheit des Muskelreichthums
des Uterus die Hauptsache der in Tabelle VIII. erwiesenen
Negation jeder dem Gewichte id est dem Volum des Eies
proportionalen Dauer der Geburt, insbesondere des ersten
Stadiums; allein es giebt ausserdem noch zwei andere hierbei
concurrirende* Factoren, nämlich die Verschiedenheit der
Widerstandsfähigkeit der Velamente des Eies und endlich die
Mannichfaltigkeit der Reizempfindlichkeit der Uterinnerven; sie
können seihst bei grossem Muskelreichthume eine beträchtliche
Verzögerung der Geburt verursachen.
Der Nachweis, ob im gegebenen Falle Muskelreichthum,
oder Muskelarmuth des Uterus, grosse oder geringe Reiz-
empßnglichkeit der Uterinnerven, grosse oder geringe Wider-
standsfähigkeit der Velamente eine Incongruenz der Geburts-
dauer und der dem Körpergewichte der Kreissenden proportional
oder improportional entwickelten Eimasse herbeigeführt haben,
ist schwer, oder nach Umständen gar nicht zu entscheiden.
Theoretischer Seils sieht man sich gezwungen, anzu-
nehmen, dass der Uterus Erstgebärender ärmer an Muskel-
substanz ist als der von Mehrgebärenden, da trotz der gewiss
erhöhten Reizempfänglickeit desselben, und trotz des schon
erwähnten kleinern Volums des Eies — dennoch die Geburt
um ein Beträchtlicheres länger dauert als bei Wiederholt-
gebärenden. So ist das
Gewicht des Eies der 44 Pp, im Mittel = 5,58 Kilogrammes,
„ „ „ „ llOMp. „ w =5,90
und gestalten sich daraus folgende Proportionen:
Gewicht des Eies von Pp. : Kpgewicht = 1 : 11,1
„ „ „ „ Mp. : „ = 1 : 10,7
Die Differenz der Geburtsdauer war ziemlich bedeutend;
denn während bei 110 Mehrgebärenden
die ganze Geburt 10,40 Stunden,
„ erste Periode 8,63 „
28 !• 0a$9%er, lieber die Veränderungen
die zweite Periode 1,40 Stunden,
„ dritte „ 0,37 „
dauerte, nahm bei Erstgebärenden
die ganze Geburt einen Zeitraum von 15,52 Stunden,
„ erste Periode „ „ „ 12,80 „
m zweite M „ „ „ i,oO „
„ dritte „ „ „ „ 0,42 „
in Anspruch.
ß) Vergleich der Masse des mütterlichen Körpers
mit der Dauer der Geburt.
Man will die Beobachtung gemacht haben, dass schlecht
genährte Kreissende, oder besser gesagt Frauen, deren
Körpergewicht das Mittel nicht erreicht, in der Regel eine
kräftigere Wehenthätigkeit entfalten und in relativ kürzerer
Zeit gebären als Kreissende von einer Körpermasse, die das
Mittel übersteigt
Diese Wahrnehmung entbehrt jedoch einer gründlicheren
Unterlage, da sie nur flüchtig auf dem Wege der Schätzung
erworben ist. Ich bin nun zur Erledigung dieser Frage
objectiv zu Werke gegangen, und haben meine Untersuchungen,
wie dies nachstehende Tabelle zeigt, nicht nur die vorbin
angegebenen Beobachtungen als unrichtig erwiesen, sondern sie
constatiren auch im Allgemeinen die vollkommene Beziehungs-
losigkeil der Masse einer Kreissenden auf die Intensität der
Wehen und auf die dadurch bedingte kürzere oder längere
Geburtsdauer; aus dem Resultate dieser Untersuchung geht
vielmehr hervor, dass die Kreissenden ohne Unterschied der
Grösse ihrer Körpermasse im Durchschnitte eines gleichlangeu
Zeitraumes zur Vollendung des Geburtsgeschäftes bedürfen.
Körpergewicht
Zahl
Mittlere Dauer
der
der
der
Kreissenden.
Fälle.
Geburt.
80 — 75,5 Kilogrammes
5
15,4 Stunden,
75 — 70,5
21
9,0 „
70—65,5
40
11,4 „
66—60,5
60
11,7 „
60—55,5
51
12,4 „
55—50,5
18
11,8 „
50—45,5
8 .
12,2 „
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 29
Diese. Zahlen beweisen die Richtigkeit des über die
Irrelevanz der Grosse der Körpermasse in Beziehung auf
die Geburtsdauer eben Gesagten im grossen Ganzen, schliessen
aber nicht aus, dass Fälle vereinzelt vorkommen können, wo
bei einer auffallend schlechten Ernährung des Körpers, bei
grosser Abmagerung der Kreissenden, die Geburt dennoch
in unglaublich kurzer Zeit (74 — 2 Stunden) beendet worden
ist. Das thalsächlicbe Vorkommen solcher Fälle erklärt sich
daraus, dass in Folge der durch die Schwangerschaft im
mütterlichen Organismus veränderten Blutvertheilung, gemäss
welcher das Blut in grösserer Menge zu den Generations-
organen, vorzugsweise zu den Beckengenitalien (Litzmann)
strömt, und hier seine Verwendung findet, diese Theile,
darunter auch der Uterus auf Kosten des übrigen gleichgültig
ob gesunden oder kranken Körpers ihre Masse vermehren,
nur mit dem Unterschiede, dass das Quantum, was zum
Wachstbum dieser Theile dem gesunden Organismus ent-
zogen wird, wie dies schon im Vorausgehenden (s. Gewichts-
zunahme in Folge der Schwangerschaft) bewiesen wurde,
bei gesteigertem Appetite und gesunder Verdauung nicht nur
wieder ersetzt wird, sondern sogar eine Vermehrung der
Masse des Mutterkörpers erfolgt, während der kranke Orga-
nismus in Folge der Schwangerschaft und der durch die
Krankheit selbst bedingten Nutritionsstörung eine Gewichts-
abnahme erfährt. Der Uterus ist im letzteren Falle als ein
wahrer Parasit des übrigen Mutterkörpers anzusehen.
. Da also die Muskelsubslanz des Uterus in Folge der
physiologisch verstärkten Blutzufuhr auch im kranken Körper
ein entsprechendes Wachsthum erfährt, die Contractionen
dieses Organs aber einmal erwacht von der sonstigen Be-
schaffenheit des übrigen Körpers nicht abhängen, so ist es
einleuchtend, dass auch elend genährte Frauen relativ rasch
gebären können, wenn keine anderweitigen mechanischen oder
im Organe selbst liegenden dynamischen Einflüsse störend
einwirken. Gegentheilig lässt sich auch für die Thals ach e,
dass hie und da primäre Wehenschwäche oder mindestens
ein verschleppter Geburtsverlauf in Folge von Muskelarmulh
des Uterus auch bei sonst überaus kräftig entwickelten Frauen
vorkömmt, eine Erklärung darin finden, dass diese Muskel-
30 !• Gassner, Ueber die Veränderungen
armuth ihrerseits wieder in einer abnorm grossen Ausdehnung
des Organs durch ein improportional grosses Ei begründet,
also nur relativ vorbanden ist, oder dass in dem Falle, wo
das Ei eine proportionale Entwickelung seiner Grösse erlangt
hat, die absolute Muskelarmuth in einer auf Kosten der
Muskeln vermehrten Production anderer Gewebselemente des
Uterus, z. B. des Bindegewebes, der Gefasse etc., oder in
der eigentümlichen Neigung des' Körpers zur Fettbildung
ihre Ursache findet.
Was nun die Theorie der Aetiologie der primären
Wehenschwäche betrifft, ist dieselbe, soweit sie die abnorme
grosse Ausdehnung des Uterus durch ein improportional
grosses Ei betrifft, dahin zu vervollständigen, dass man den
Beisatz macht: die abnorm grosse Ausdehnung des Uterus
durch ein improportional grosses Ei ist zwar in vielen Fällen
die nächste Veranlassung zur Rarefaction, id est zur relativen
Muskelarmuth dieses Organes; allein sie ist es nicht immer,
was daraus hervorgeht, dass Fälle zur Beobachtung kommen,
wo das Ei in bedeutendem Grade unverhältnissmässig gross
war, und dennoch die Geburt in einem sehr kurzen Zeit-
räume beendet wurde, so dass man gezwungen ist, anzu-
nehmen, hier muss trotz der grossen Ausdehnung ein un-
verhältnissmässig grosser Muskelreichthum vorhanden gewesen
sein, der durch Neutralisation der Nachtheile des grossen
Volums des Eies die physiologische Harmonie zwischen
Geburtsobject und austreibenden Kräften bewirkt hat Es
ist vielmehr die causa proxima der Wehenschwäche, die
relative Muskelarmuth allein, die bei relativ grossem und
kleinem Volum des Uteruscontentums vorhanden sein und
die verschiedensten Ursachen haben kann.
Menge des Fruchtwassers, dessen Beziehungen zu der Hasse
des mütterlichen und kindlichen Körpers, zu der ersten
und wiederholten Schwangerschaft und zu der Lage
des Kindes.
a) Menge des Fruchtwassers.
Ueber die Zuverlässigkeit der Methode, welche bei den
Untersuchungen über die Quantität des Liquor Amnii ein-
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 31
gehalten wurde, ist das Geeignete bereits in der Einleitung
näher auseinandergesetzt worden, und kann ich daher gleich
an die Mittheilung des Resultates gehen.
Die mittlere Menge des Fruchtwassers wurde häufig fiber-
und unterschätzt, weil der Beurtheilung bei einer ungenügenden
Methode noch überdies eine grosse die Inconvenienzen und
Ausnahmen einzelner Fälle wieder ausgleichende Zahlenreihe
fehlte.
*
Meinen auf 163 Fälle ausgedehnten Untersuchungen zu-
folge beträgt im Mittel die Menge dieser Flüssigkeit am
Ende des
siebenten Monats 1,004 Kilogramme ( 3 Fälle),
achten „ 1,365 „ 2 „
neunten „ 1,618 „ 4 „
zehnten „ 1,877 „ 154 „
und in einem Falle von Zwillingsgeburt 4,01 Kilogramm es,
berechnet auf 1 Kilogramme kreissendes Weib beträgt die
Menge des Fruchtwassers am Ende des
siebenten Monats 17,87 Grammes,
achten „ 24,40 „
neunten „ 27,00 „
zehnten „ 30,00 „
bei Zwillingsgeburt 53,40 „
Ans diesem Klimax der Zahlen geht, wenn es erlaubt
ist, auf einer so niedrigea Zifter einen Schluss zu gründen,
hervor, dass gegen die Behauptung von Litzmann (Hand-
wörterbuch der Physiologie von R. Wagner, Art. Schwanger-
schaft, pag. 93, Band III.) und von v. Scanzoni (Lehrbuch
der Geburtshülfe, pag. 97) die Menge des Fruchtwassers in
der zweiten Hälfte der Schwangerschaft nicht ab- sondern
zunimmt.
b) Beziehungen der Menge des Fruchtwassers zu
der Grösse der mütterlichen und kindlichen Kurper-
masse, sowie zur ersten und wiederholten
Schwangerschaft.
Wie schon weiter oben gezeigt, kommen nicht unbeträcht-
liche Differenzen des Gewichtes des ganzen Eies und seiner
32 I- G*amerf Ueber die Veränderungen
Bestandtbeik», mithio auch des Fruchtwassers vor, und wurde
dort auch mit Ausschluss der excessiven Abweichungen vom
Mittel als Grund bievon die Ueberanstimroung der Massen-
entwicklung des Eies mit der relativen Körpermasse der
Mutter angegeben. Ebenso wurde schon gesagt, dass je
grösser das Kind, um so mehr Fruchtwasser vorhanden ist,
ferner dass bei Erstgebärenden die Menge des Fruchtwassers
um 0,202 Kilogramme weniger beträgt als bei Mehrgebärenden.
Ich kann mich daher kurz fassen und beschränke mich
bloss auf die Kambaftmacbung der variirenden Quantität frag-
licher Flüssigkeit.
Quantität des
Fruchtwasser*.
Zahl der beobachteten Fälle
6,50 Kilogrammes
Q
6,00
•»
1
5,50
*»
0
5,00
n
I
4,50
n
1
4,25
<»
1
4,00
t»
2
3,50
»«
1
3,175
r
8
2,66
n
23
2,09
»»
27
1,64
n
38
1,20
T»
26
0,755
n
20
0,25
r»
5
Hinsichtlich der excessiv grossen Menge von Frucht-
wasser ist zu bemerken, dass die hierher gehörigen 15 Fälle
Mutter und Kinder betreffen, von denen erstere, lauter
Wiederholtgebärende, ein Körpergewicht von 68 Kilogrammes,
also 6 Kilogrammes über das Mittel, und letztere ein Körper-
gewicht von 3,65, also 0,367 Kilogrammes über das Mittel
haben, und ist in letzterer Beziehung hervorzuheben, dass
demnach die betreffenden Kinder in ihrer Nutrition durch
die enorme Quantität ihrer umgebenden Flüssigkeit keineswegs
beeinträchtigt worden sind.
des Körpergewichte der Seh watiger ob etc. 33
Die Fälle, iü denen die Menge des Fruchtwassers das
**' Gewicht von 0,5 -Kilogramme nicht erreicht, gehören Müttern
■■P1 von 58 Kilogrammes und Kindern von 3,06 Kilogrammes an.
ny, c) Beziehung der Menge des Fruchtwassers zu der
Lage des Kindes.
*) Poatttonswoclftsel dos vorliegenden Kopfes.
Unter diesen 154 Fällen wurde 22 Mal ein im Verlaufe
der leUten 3 — 4 Schwangerschaftswochen erfolgter Positions-
^f M Wechsel, d. h. eine durch Drehung des Kindes um seine Langen-
flJÜIb achse bewirkte Veränderung der Stellung des kindlichen
Kopfes zum Beckeneingange durch die untrüglichsten Zeichen
constatirt, ebenso in zwei Fällen die sogenannte Culbute, des
aß Kindes, d. h. eine durch Drehung des Fötus um seine Quer-
achse bedingte Veränderung seiner Stellung zum unteren
Uterinsegmente.
Die Resultate der zu verschiedenen Zeiten vorgenommenen
Untersuchungen differirten nämlich so sehr, dass man sich
bei unbefangener Beurtheikmg sagen musste: da bei der
ersten Untersuchung der Kopf resp. Scheitel in erster Posi-
tion (Hinterhaupt nach links, Fusse deutlich rechts oben,
Herztöne links unten) vorlag, bei der zweiten Untersuchung
derselben Schwangeren aber die zweite Position (Hinterhaupt
nach rechts, Füsse deutlich links oben, Herztöne rechts unten)
angetroffen wurde, und so auch wieder umgekehrt eine zweite
in die erste Position überging, — so niuss im vorliegenden
Falle eine Umdrehung des Kindes um seine Längenachse
stattgefunden haben, eine Tbatsache, die ich mit dem Namen
Positionswechsel belege; dass diese Tbatsache, die sich
4 bei aufmerksamer Untersuchung und Vergleichung des gegen-
| wärtigen Befundes mit dem Resultate früherer Untersuchungen
I letebt nachweisen lässt, nicht vereinzelt oder gar als seltener
i Ausnahmefall vorkommt, erhellt aus ihrem Frequenzverhältnisse
zu jenen Längenlagen des Kindes, wo ein Positionswechsel
nicht erfolgt, das = 1 : 7. Diese grosse Frequenz erregt
eioigermassen eine Verwunderung darüber, dass dieses that-
sächlich häufige Phänomen seither unbeachtet geblieben ist.
Ich war nebenbei auch bemüht, dem ätiologischen Mo-
mente dieses Phänomens nachzuforschen, und habe gefunden,
Mon»U«obr. f. Oebnrtak. 1889. Bd. XIX., Hfl, U.i. 3
34 I- &a***6r, tTeber die Verltiideniiigen
dass es in der relativ grossen Fruchtwassermenge liegt, die
dem Kinde hinreichende Räumlichkeit bietet, um durah spontane
Actionen oder durch passive Bewegung bei den verschiedensten
Stellungsveränderungen der Mutter im Stehen, Liegen, Sitzen etc.
die besprochene Drehung um seine Längenachse ausführen
zu können. Die mittlere Fruchtwassermenge beträgt nämlich
in diesen 22 Fällen 3,505 Kilogramme*, also 0,888 Kilo-
grammes Ober das Mittel (der 154 'Fälle), und steht zu
dem Körpergewichte der betreffenden Mdtter in dem Vor*
hältittsse = 1 : 25,2, so dass also auf 1 Kilogramme Weib
0,0897 Kilogramme oder 89,7 Grammes Fruchtwasser, also
um 9,7 Grammes pro roille Aber das Mittel trifft. ~- Die zu
diesen Fällen von Positionswechsel gehörigen Kinder haben
eine mittlere Entwickelung erreicht; Air Durchschnittsgewicht
ist = 3,4 Kilogramme.
Fassen wir alle ätiologischen Momente des Position*-
Wechsels kurz zusammen , so beruhen sie vor »Wem auf zwei
Umständen, auf grosser Räumlichkeit des Cavum uteri in
Folge einer relativen Vermehrung der Fruchtwassermenge
imd nur minleren Entwickelung dos Fötus, und zweitens
auf einer activen oder vorzugsweise passiven Bewegung des
letzteren. Die passive Bewegung kommt zu Stande nach
dem Gesetze der Schwere durch die verschiedenen Stellung*-
Veränderungen der Schwangeren zu dem Horizonte.
ß) Culbute des Fötus.
Was die zwei Fälle von Culbute betrifft, war hier die
Quantität der amniotischen Flüssigkeit noch weit grosser als
in den 22 Fällen von Positionswechsel; ihre Menge beträgt
3,4 Kilogramme«, pro male 58,2 Grammes, gegenüber einem
Kinde von 8,471 Kilogrammes Körpergewicht, und entspricht
die Grösse dieser Differenz auch der grösseren Riomüchkett,
die die Drehung des kindlichen Körpers in» seine Querachse
gegenüber der um die Längenachse voraussetzt.
y) Kindeslagen.
In TöbeJle IX. sind die verschiedenen Lagen und die
dazu gehörigen mittleren Quantitäten der Amnionflüssigkeit
nebeneinandergestellt, ich enthalte mich aber, die
des Körpaiyawtahto» b*i SofawftBg&rea etc. 35
gezogenen Schlüsse als. allgemein gütig hinzustellen, da die
Zahl der Fälle mir nicht hoch genug erscheint; aus dieser
Tabelle geht allerdings wenigstens für die concreto Zahl von
154 FäUen die Thatsaclie hervor, dass bei Gesichts*-, Beckeriend-
und Querlagen, ferner bei Prolapsu** der Nabelschnur und
einer oberen Extremität des Kindes die Frucbtwasaermenge
nicht unbeträchtlich vermehrt ist, und es liegt daher dieVer-
muthung nahe, dass dieser Umstand mit zu den ätiologischen
Momenten oder doch wenigstens zu den Bedingungen dieser
ungewöhnlichen (Gesichts- und Beckenendlagen) und anomalen
(Querlagen und PreJapsus der Nabelschnur und des Vorfalles
einer Extremität) Phänomene zählt; es ist klar, dass das
untere Segment der Uterinhöble bei Gesichts* und Beckenend-
fagpn wegen der hier postirten grösseren KörperabschniUe
des Kindes (Streckung des Halses bis zur Berührung des
Hinterhauptes mit dem Nacken — Steiss, Anliegen der in
dreifacher Beugung befindlichen uuteren Extremitäten an das
untere Rümpfende) einen grösseren cubischen Inhalt haben
muss als dies bei ScheiteJlagen noth wendig, und dass diese
Vermehrung des cubischen Iahaltes nächst den resp. Kindes-
theilen nur allein durch reichlichere Production von Frucht-
wasser zu Stande kommt. Damit ist jedoch nur gesagt,
dass aus dem vorhin angegebenen Grunde bei fraglichen
Lagen constant eine das Mittel relativ überschreitende Frucbt-
wassermenge vorhanden sein muss, nicht aber, dass um-
gekehrt bei viel Fruchtwasser solche Lagen immer vorkommen
müssen. Dass grosse Quantitäten dieser Flüssigkeit der
Amnionhöhle auch bei Querlagen in der Regel nicht fehlen,
beweist zum Theil vorhegende Tabelle, noch mehr aber
die in diesem Punkte übereinstimmenden Beobachtungen der
meisten Autoren; ea darf dalier angenommen werde u, dass
fiel Fruchtwasser mit zu den Bedingungen des Zustande-
kommens solcher Lagen angesehen werden muas, nicht aber
darf so geschlossen werden, dass darum auch dort einr
Querlage vorbanden sein muss, wo eine grosse Menge Frucht-
wasser gegeben ist; mit einem Worte, das Uebermaass dieser
Flüssigkeit als einzige Ursache ansehen zu wellen, ist aus
dem Grunde nicht geeUUat, well auf der einen Seite erfahrung»-
gemäss oft enorme Quantitäten des Liquor Amnii vorhanden
3*
36 *• Qa**nery Ueber die Ve rinde rangen
sind and trotzdem keine dieser ungewöhnlichen oder anomalen
Lagen statt hat, and weil auf der anderen Seite noch andere
wesentliche Causalmomente für das Zustandekommen einer
Querlage in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft, nämhch
abnorme Erschlaffung and Ausdehnbarkeit des Uteruspareft»
chymes (v. Scanzont), mit Leichtigkeit in fast allen Fällen
nachweisen lassen (Erschlaffung der Uterussubstanz entweder
mittels des Tastsinnes oder durch Anamnese — chronische
Uterusblennorrhoen, häufige Schwangerschaften etc. — constatirt).
Uebrigens schliesst dies nicht aus, dass die nie fehlende
grosse Fruchtwassermenge als ein das Zustandekommen einer
Querlage begünstigendes Moment hinzutritt.
Die Gonstanz des Vorkommens grosser Quantitäten dieser
Flüssigkeit bei Querlagen hat ihren Grand in einem und
demselben ätiologischen Momente, wie die Querlage selbst,
nSmlich in der abnormen Erschlaffung und Ausdehnbarkeit der
Uterussubstanz, so dass in Folge davon wegen der geringen
renitirenden Kraft des Uterus das ganze Ei zu einem relativ
grösseren Volumen sich expandiren kann, was durch eine
reichlichere Secretion von Fracht wasser "geschieht
Von dem Gesetze der Abhängigkeit der Masse des Eies,
insbesondere des Kindes von der Masse des mütterlichen
Körpers — und von der praktischen Verwerthnng
desselben.
a) Gesetz der Abhängigkeit der Masse des Eies,
insbesondere des Kindes von der Masse
des mütterlichen Körpers»
Jedes neugeborene Wesen verräth, sofern es nicht monströs
oder durch Krankheitseinflüsse in seiner Entwicklung zurück-
geblieben ist, nicht nur durch die morphologische Anordnung
aller seiner Thefle seine Klasse, Ordnung, Familie, Gattung,
Species, Varietät, sondern steht auch in Bezug auf das Quantum
seiner Körpermasse in einem ganz bestimmten Verhältnisse
zu dem Quantum der Körpermasse seines Mutterthieres; denn
aller Welt ist bekannt, dass grosse voluminöse Tbiere auch
grosse Junge oder grosse Eier, kleine Thiere wiederum kleine
Junge oder kleine Eier gebären.
des Körpergewichte* bei Schwangere« etc. 37
Diese Analogie beweist freilich das an die SpiUe dieses
Capitels geschriebene Gesetz nur für Klassen, Ordnungen etc.
gütig v allein ich habe schon weiter oben bei Gelegenheit der .
Analyse des Gewichtsverlustes in Folge der Geburt durch
Zählen bewiesen, dass nicht nur die Frucht, sondern das
ganze Ei, also auch das Fruchtwasser und die Nachgeburt
in ihrer Maftsenentwiekelung im Allgemeinen von der
Körpermasse einer gesunden Mutter abhängig ist, dass die
Ernährung des Kindes proportional zu der Ernährung seiner
Mütter vor sieh gebt; dadurch ist die Anwendbarkeit des in
Eede stehenden Gesetzes nicht Mos auf Klassen, Ordnungen etc.,
sondern au*h auf die in derselben Klasse, Ordnung, Familie,
Speciee etc. eta vorkommenden individuellen Differenzen in
der Grösse der Körpermasse constatirl.
4) Praktische Verwerthung dieses Gesetzes.
Dieses Gesetz ist von der praktisch grössten Wichtigkeit,
indem dadurch der Geburtshelfer in der Lage ist, nach Aus-
schluss aller jener Fälle, jn denen durch krankhafte Processe, .
die entweder schon vor der Schwangerschaft bestanden, sieh
noch in ihren Wirkungen in die Zeit der Gravidität fort-
erstrecken oder erst in diesem Zeiträume auftreten, die
Mutrition wesentlich gestört wurde, mit grösster Wahrschein-1
liebkeit aus dem Gewichte der gesunden Mutter das Gewicht
des Kindes am Ende der- Schwangerschaft zu berechnen,
daraus Schlüsse auf die grössere oder geringere Entwicklung
des letzteren zu ziehen, besonders in Bezug auf die cubische
Beschaffenheit des Kopfes und dieselben bei BeckenanoBalieo,
die das Product eines bereits schon längst abgeschlossenen
Krankhetaproeesses — RbachWs — sind , in jenen Fällen zu
verwerthen, welche es bisher zweifelhaft Uessen, ob der
Einleitung der künstlichen Frühgeburt oder einer späteren
operativen Nachhülfe der Vorzug einzuräumen sei. Nun sah
osan aber zuweilen bei der Discussion dieser Frage von der
Grösse des Kindes als einem Gegenstande, -der nach dem
gegenwärtigen Stande der Dinge der Prognose noch nicht
zugänglich sei, vollkommen ah und hielt sich, wiewohl die
tagliche Erfahrung diese Praxis nicht bestätigen konnte, bei
38 I- Ga*9*trt Üeber die VerÄnforrnigen
Aufstellung Ton Indicationen faßt ausschliesslich an den Grad
der Beckenverengerungen.
Berücksichtigt man aber in Zukunft nicht nur die mütter-
lichen Becken Verhältnisse, sondern auch die Grössenverbflltnisse
des Kindes, die sich aus dem Gewichtsverhallnisse desselben
zu seiner Mutter, das im Mittel = 1 : 19,13 ist, leicht und
genau berechnen läset, abgesehen von FIHen, in denen durch
anomale Ernäbrungsvorgänge die Rechnung unmöglich gemacht
wird, so wird es dem Geburtshelfer leichter werden, zu ent-
scheiden, ob das eine oder andere Heilverfahren, ob künst-
liche Frühgeburt, exspeetatire Methode, Zange, Perforation,
Kaiserschnitt angezeigt ist; es wird dann z. B. kaum ungerecht-
fertigt erscheinen, sich in einem concreten Falle, wo eine
Beekenverengerung von 3" Conjugata vera diagnoscirt wurde
und aus dem zuvor constatirten Körpergewichte der Mutter
ein Gewicht des vollkommen ausgetragenen Kindes von 7 oder
selbst über 7 Pfund mit der allergrössten Wabrscbemlichkeit
prognosticirt werden kann, zur Einleitung der künstlichen
Frühgeburt zu entschliessen , da es doch zu den grössten
Seltenheiten gehört, dass ein so stark entwickeltes Kind ohne
sehr schwierige, das Leben ungemein bedrohende operative
Hülfeleistung bei der angeführten Beckenbeschaffenheit geboren
wird; man wird bei hochgradiger Beckenenge, wenn man
weiss oder doch mit grösster Wahrscheinlichkeit voraus-
setzen darf, dass der Kopf des betreffenden Kindes sehr
gross ist, die Kreissende nicht durch eine sehr schwierige
Application der Zange und darauffolgende fruchtlose Tractionen
mit derselben ermüden und dadurch ihren ADgemeinzustand
vor Ausführung einer anderen ursprünglich schon angezeigten
Operation z. B. je nachdem Perforation und Kephalothrypsie
oder Kaiserschnitt bedeutend gefährden.
Ich begnüge mich damit, diese Idee der praktischen
Verwerthung des Gesetzes der Abhängigkeit der Massen-
entwickelung des Eies, resp. des Kindes von der Masse des
mütterlichen Körpers angedeutet zu haben und will zur Be-
gründung des Gesetzes selbst noch einige dafür spreehende
Momente hervorheben, sowie die Einwürfe, die man tbefls
gegen dieses Naturgesetz, theils gegen dessen praktische An-
wendung erheben könnte, von vorn herein beseitigen.
d*p KörpwgawU ht*0 der $chwftngajen etc. 39
Die diesem Gesetze parallel gebenden oder besser von
ihn? bediogUn Erscheinungen sind:
1) die den Körpergewichte der Mutter proportionale
Zvoahqie der Körperrosse während (1er letzten 3 Schwanger*
scfeaftsmonqte,
2) die der Hasse des schwangeren Körpers proportionale
Zunahme der Leibesperipherie als Maass der Itaumextension
des Eies, was nachstehende Tabelle zeigt:
Die MtUel des Leibesumfanges einer am normalen
Schwangerschaftsende Kreissenden = 100,5 Gentimetres.
Körpergenioht
Zahl
Mittel
4er
der
des betreffenden
Kreiesenden.
Fälle.
Leibesumfanges.
80 — 75,5 Kilogramme«
3
110,3 Ceutimetres,
75—70,5
M
16
106,2
70—65,5
»
34
103,0
65—60,5
n
38
100,24
60—55,5
n
27
98,0
55—50,5
»
14
\jUyOU „
50—45,5
»
5
92,0
45- 40,5
f»
3
90,01 „
Diese Zahlen bestätigen ausserdem die Wahrnehmung,
dass das absolute Maass des Leibesumfanges an sich, ohne
in Beziehung zu dem Körpergewichte der betreffenden
Schwangeren oder Kreissenden gebracht zu werden, in dia-
gnostischer Hinsicht zu vielen Irrthümern Veranlassung geben,
io einem Falle z. B. aus der Höhe der Centimetreszahl (110 Cm.)
zur Vermuthung einer Zwillingsschwangerschaft oder -Cjeburt,
im anderen Falle aus der niederen Ziffer der Centimetres
(90 Cm.) zur Annahme einer Frühgeburt führen würde,
während, wie soeben in der Tabelle gezeigt» diese Zahlen
der Ausdruck einer dem Körpergewichte proportionalen Ex-
tension des Eies am normalen Schwangerschaftsende sind.
Der Umfang des Leibes Erstgebärender beträgt bei sonst
gleichen Gewichtsverhaltnissen 1,3 Centimetre weniger als bei
Mebrgebärenden, ganz übereinstimmend mit der geringeren
Entwicklung des befruchteten Eies. Es ist hier am Platze,
nach der Ursache dieser Thatsache zu fragen; ich kann das
ätiologische Moment nur darin finden, dass der straffe Uterus
40 !• &**•**", Ueber df« Veiftaderaogoa
Erstgeschwängerter auf der einen Seite bei seiner grosseren
Widerstandsfähigkeit der Extension des Eies hinderlicher ist
als der nachgiebigere schlaffere Uterus Mehrgeschwängerter,
auf der anderen Seite aber auch die Bhitzufuhr zur Placeota
wegen des kleineren Calibers der von straffen Fasern eines
erstgeschwängerten Uterus umlagerten Arterien langsamer und
ärmer ist als bei dem mehrgeschwängerten Uterus von Arterien
mit grossem Lumen.
3) Der dem Körpergewichte proportionale Gewichtsverlust
in Folge der Geburt.
Die gegen das im Allgemeinen nachgewiesene
Gesetz der Abhängigkeit der Massenentwickelung
des befruchteten Eies von der Masse des Mutter-
bodens, in dem es wurzelt, aufzubringenden Entwürfe mögen
etwa folgende sein:
1) Von einer und derselben Mutter sind bald
kräftige, bald schwächliche Rinder geboren worden.
Diese Behauptung stützt sich allerdings auf Thatsachen ; allein
man hat in diesen Fällen allen nur möglichen, die NutriUou
fördernden und störenden, während der Schwangerschaft auf-
getretenen Einflössen Rechnung zu tragen und zu berück-
sichtigen, dass die Körpermasse desselben Individuums nicht
jedes Jahr dieselbe ist, sondern nach uberstandenen Krank-
heiten oder selbst diese noch ausgeschlossen aus rein
individuellen, den Stoffwechsel verändernden Ursachen zu
verschiedenen Zeiten auch verschieden und oft bedeutend
verschieden aufgefunden wird. Es ist sonach nur erlaubt,
von^dem Status praesens der Grösse der Körpennasse einen
Schluss auf die Entwickelung des Eies etc. der gegenwärtigen,
nicht aber einer vergangenen oder zukünftigen Schwanger-
schaft unter Anwendung aller Cautelen zu ziehen.
2) Es kommen bei Müttern von dem ganz
gleichen Körpergewichte Schwankungen der Ge-
wichtsverhältnisse der Kinder vor, ohne dass gerade
eine nachweisbare Krankheit in der Schwanger-
schaft stattgehabt hat Auch dieser Einwand basirt auf
Thatsachen; allein dieser jedenfalls nur ganz exceptionellen
Fälle wegen, in denen noch obendrein die Gewichtsdifferenz
der Kinder eine ganz unbedeutende ist, das Gesetz der
de« Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 41
Abhängigkeit der Massenentwickelung des Eies von der Masse >
des Matterkörpers umzustotsen, wäre gewiss nicbl gerechtfertigt
Den Grund dieser Schwankungen suche ich in der relativ
nicht so seltenen Wahrnehmung, dass die Dauer der Schwanger-
schaft keine scharf abgegrenzte ist, was in Bezug auf die
Thiere eine längst constatirte Tbatsache ist, und für das
menschliche Weib neuerdings wieder von Hecker (Klinik
der Geburtskunde, Leipzig 1861), auf Grund zuverlässiger
Angaben über den Conceptionstermin bekräftigt worden ist,
sondern dass in der Zahl der Tage noch im Bereiche der
Physiologie Schwankungen stattfinden, und darum auch die
Frucht bei verschieden langer Dauer ihrer intrauterinen Ver-
einigung mit der Mutter eine verschiedene ülassenentwiekeiung
erfahren wird; doch sind die Differenzen , wie schon erwähnt,
unbedeutend, im Mittel höchstens 0,15 — 0,25 Kilogramme.
Ob das Sperma des Vaters bei der Verursachung dieser
Differenzen auch eine Rolle mitspielt, überhaupt auf die
Massenentvvickelung des Eies influenzirt, möchte ich dahin-
gestellt sein lassen, da ich bei meinen Untersuchungen nicht
in der Lage war, die GewichtsverhäJtnisse des Erzeugers zu
constätiren; auf indirectem Wege jedoch drängt sich mir die '
Ansicht auf, als wäre die Körpermasse des Mannes, von dem
das befruchtende Sperma herrührt, bezüglich der Massen-
entwickelung der Frucht ganz irrelevant, da aus den Tabellen
zu invident das Gesetz der Abhängigkeit der Massenentwickelung
der Frucht von der Mutter in den Vordergrund tritt, und a priori
sich sehr ungezwungen begreifen lässt, dass das Ei in der
physiologischen Breite in dem Maasse sich ernähren wird,
als es sein Material vorfindet, dass das Ei sich so nähren
wird, wie sich die Mutter ernährt.
Gegen die praktische Verwerthung dieses Ge-
setzes in diagnostischer, prognostischer und thera-
peutischer Hinsicht lässt sich allenfalls einwenden,
dass bei der Unmöglichkeit der Coitstaftirung aller die Nutrition
der Mytter und des Kindes alterirenden Momente im concreten
Falle leicht grosse Irrthümer in Berechnung des Gewichtes
des ausgetragenen Kindes und in Benätzung des Resultates
zu geburtshdlfJichen therapeutischen Maassregeln (künstliche
Frühgeburt, exspectatives Verfahren, Wahl der operativen
42 I. Q*m**rf üeber die Veränderung«»
Halfeleistung, ob Zange, ob Perforation, ob Kepfaalothryptie,
ob Kaiserschnitt) begangen werden können*
Dieser Einwurf lässt sich indess dadurch beseitigen, dass
dieses Gesetz, wenn auch nicht in allen Fällen, so doch in
den meisten praktisch verwerthet werden kann, und dass
eine Unvollkonimenheit, welche die Gradeintheilung der
Beckenverengerungen in ihrer Anwendung auf geburtshilfliche
Verfahren in höherem Grade theilt, noch keineswegs einer
Unbrauchbarkeit gleichkommt. Wem wird es z. B. einfallen,
dem Eroflhetseio des äusseren und inneren Muttermundes
eines schwangeren Uterus deshalb alle praktische Verwerthung
in Bezug auf die Diagnose des Schwangerschaftsmonales ab-
zusprechen, weil der Geburtshelfer sich in dieser Richtung
unter 100 Fällen 20 Mal täuschen wird?
Ausserdem soll dieses Gesetz nicht als einziger Weg-
weiser zur Diagnose der Grösse des fraglichen Kindes führen ;
vielmehr kann die Anwendung dieses Gesetzes zu gedachtem
Zwecke noch controlirt und unterstützt werden durch die
gesammte geburtshülfliche äussere und innere Untersuchung;
es soll ferner die Anwendbarkeit dieses Gesetzes auf geburts-
hülfliches Heilverfahren weiter nichts als nur ein Supplement
zu den Betrachtungen der Indicationen bei einem Missverhält-
nisse zwischen den Aperturen und Räumen des Beckens und
der Grösse des kindlichen Kopfes sein, d. h. es soll in
einem gegebenen Falle nach Ermittelung des Grades der
Beckenverengerung bei Aufstellung der Indication nicht allein
auf diese Diagnose, sondern auch auf die Frage, wie viel
wiegt das betreffende Kind am normalen Schwangerschaftsende
und wie gross wird es um diese Zeit demgemäss sein,
Rücksicht genommen werden. > '
Ich bin freilich nicht in der Lage, aus der Erfahrung
Beweise für die Brauchbarkeit dieses Gesetzes in gedachter
Richtung anführen zu können, und muss es der Zukunft-
überlassen, darüber zu urtheilen. Indess lohnt es sich gewiss
der Mühe, künftighin in Fällen von Beckenanomalien, wo in
der Schwangerschaft keine Krankheit intercurrirte, dieses
Gesetz, das ich als factisch bewiesen habe, praktisch zu
verwertheu, da es keinem Zweifel unterliegt, dass die Frage
nach dem Gewichte und nach der Grösse des Kindes von der
de» Körpergewichtes bei 8cbwa»ge*en etc.
43
allergrössten Wichtigkeit und ihre richtige Beantwortung von
nicht minder grossem Werthe ist.
• Ein Umstand indess schwächt die praktische Bedeutung
dieses Gesetzes in allerdings nicht unerheblichem Grade, nämlich
die Unmöglichkeit der Einfuhrung in die Privatpraxis; nur
in Gebaranstalten kann man sich auf die damit verbundenen
Umständlichkeiten einlassen.
Tabelle V.
Zahl
der
Fälle.
Mittleres
Körper-
gewicht
einer
KreUsenden.
Mittleres Zahlenverhältniss des durch die
Geburt bedingten Gewichtsverlustes des
mütterlichen Körpers berechnet
nach
Kilo-
gramme!.
Als
Proceot
dei Körper-
gewichtes
einer
KreisseriÜen.
10,45
Jl^hSf kreidende«
g Jli«r 1 Weib
Kreidenden. ! <P« -"«O.
189
Kilogramme.
62,8
5,564
1 Gramme«.
1 : 9,67 104,5
Tabelle VL
Schwankungen des durch die Geburt bedingten Gewichts-
verlustes des mütterlichen Körpers.
Der Verlast berechnet
Zahl
der
Fälle.
nach
Kilo-
gramm es.
Zahl
der
Fälle.
als
Procent
des mütterl.
Körpers.
in auf '
Proportion 1 Kilogr.
«um mütterl. Weib
Körper. , ^pro mille).
Procent.
1
15,0
1
22
1 :
1
14,0
1
20
! 1:
3
11,5
1
17
1 :
1
11,0
6
.16
I 1:
3
10,0
4
15
1 :
1
9,5
7
14
1 :
5
ö,0
10
13
1 :
7
8,6
19
12
1 :
13
8,0
83
11
1 :
16
7,5
23
10
1 :
18
7,0
37
9
1 :
21
6,5
33
8
1 :
32
6,0
9
7
1 :
24
5,5
6
6
1 :
16
5,0
—
15
4,5
—
—
9
4,0
—
4
3,6
—
: 4,54
: 6,0
: 6,9-
: 6,26
: 6,67
7,14
; 7,7 '
8,33
9,09
10,0
11,1
12,6
: 14,3
16,66
Gramraes.
220
200
170 *
160
150
140
130
120
110
100
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des Körpergewichtes bei Schwangeren etc.
Tabelle VUL
Vergleich der Grösse des Eies mit der Dauer der Geburt.
'.
• Grösse
des reifen
Dane
>r der
Zahl
Zahl
Zahl
Eies als
der
Fälle.
der
Primi-
der
Multi-
Pro cent
des mtitterl.
ganzen
ersten
ftahfirt«.
parae.
parae.
Körpers
* berechnet.
Geburt.
, periode.
Pro cent.
Standen.
Standen.
4
1
3
13,08 |
22
7
20,5
5,6
1
1
—
11,1
l
29
36
27
84
3
2
1
10,675 j
26
24
24
14
26
6
20
9,62
14
18
8
33
26
20
17
16
12
12
6
32
20
18
15
14
69
21
48
9,247 <
12
11
7
6
5
2
19
18
15
9,4
9
5,8
6,1
4,2
1,3
14,6
15
18
48
12
36
. «.'S <
1
10
9
4
3
8
7,8
3
2
2
1
1
1,882
21
16
2
1
1
7,644 j
36
1
32
0,6
46 I- Q*uner, Ueber die Veränderungen
Tabelle IX.
Parallele zwischen den Kindeslagen und der Fruchtwassermenge.
Zahl
Mittleres
i
„.,., 1 Mittleres
Mittlere j VKmnäktß
des 1 %mm kÄ_
Auf
der
Gewicht
1 Kilogr.
Kindeslagen.
beobach-
der be-
W«ib
teten
Fälle.
treffenden
Kinder.
Frucht-
wassers.
treffenden
Mütter.
treffen
sonach
Kilogr.
Kilogr. | Kilogr.
Gramme».
Scheitellagen
142
3,266
*1,766 62,36
28,04
Gesichtslagen
2
3,529
2,933 . 64,436
46,46
Beckenend-
lagen ....
8
3,046
2,8 66,2
42,9
Querlagen . .
2
3,166
2,319
62,6
,87,0
Anmerkung. 1. Nach Weglassnng jener 22 Fälle, in denen
ein Positionswechsel des Kindes beobachtet wurde, beträgt die
mittlere Menge des Frachtwassers bei Scheitellagen für den noch
bleibenden Rest von 120 Fällen nur mehr 1,611 Kilogramme, so
das* auf 1 Kilogramme Weib nur mehr 26,82 Grammes Frucht-
wasser treffen.
2. ä) In drei Fällen von Nabe lschnnr Vorfall beträgt im Mittel
die Menge des Fruchtwassers 2,66 Kilogramme«.
b) In zwei Fällen von Vorfall eines Armes neben dem
vorliegenden Kopfe beträgt die mittlere Quantität der
amniotischen Flüssigkeit 2,82 Kilogrammes; verglichen
mit dem Körpergewichte der Mutter entziffern sich
ad a) auf 1 Kilogramme Weib 41,2 Grammes Fruchtwasser,
ad 6) • 1 ' . » 37,6 „
3. Eliuiinirt man nun auch noch diese fünf Fälle, sowie die
zwei Fälle von Culbute aus der Zahl der normalen Scheitel-
lagen, so ist das mittlere Gewicht des Fruchtwassers für die
übrigen 113 Fälle nur mehr = 1 ,64 Kilogramme und pro tnille
= 24,6 Grammes.
III.
Gewichtsverändemngen des Weibes in Folge des
Wochenbettes.
Gewichtsverlust.
a) Mittel desselben.
a) In Folge eines Wochenbettes nach rechtzeitiger Gebort.
In Folge der puerperalen Se- und Excrelionen sowie der
im Wochenbette üblichen blanden Diät verliert eine Wöchnerin,
die am normalen Ende der Schwangerschaft geboren hat und
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc.
47
als Neueutbundene das mittlere Körpergewicht von 56,25 Kilo-
grammes besitzt, innerhalb 172,43 Stunden nach ihrer
Entbindung, berechnet nach 238 Fällen, hn Durchschnitte
4,5715 Kilogramme*, so dass demnach der
Gewichtsverlust des Weibes : Körpergewicht der Neuentbundenen
= 1 : 12,305,
oder auf 1 Kilogramme neuen tbundenes Weib ein Gewichts-
verlust von 81,27 Grammes trifft, oder, was dasselbe sagen
will, der Körper der Neuentbundenen 8,127 Procent an
Gewicht verliert.
ß) In Folge eines Wochenbettes nach Frühgeburten.
In den Wochenbetten, die auf Frühgeburten folgten,
verhielt sich die mittlere Abnahme des Körpergewichtes wie
folgt.
Anfang d. 6. Monats
Ende des 7. „
Anfang d. 8. „
Ende des 9. „
Zahl
der
Fälle.
MUtlere
Abnahme
des
Körper-
gewichts.
1,165 Kilogr.
3,120 „
8,300 „
4,600 „
Auf 1 Kilogr.
Neuentbundene
trifft ein
Gewichts-
verlust
von
27,320 Gr.
67,505 „
60,138 „
79,279 „
Innerhalb
172 Stunden.
168 „
176 „
176 „
y) In Folge des Wochenbettes nach Zwillinge geburt.
Entsprechend dem grösseren Gewichtsverluste in Folge von
Zwilliiigsgeburt übertrifft auch die Abnahme der Körpermasse
im darauffolgenden Wochenbette, das Mittel um 1,5035 Kilo-
gramme (in 2 Fällen), so dass innerhalb 180 Stunden nach
der Entbindung auf 1 Kilogramme von Zwillingen Neuentbundene
ein Gewichtsverlust von 105,9 Grammes trifft, 24,6 Grammes
über das Mittel.
f ) Berechnet nmefe den einseinen Tagen «et Wochenbette«.
Wie sich der aus einer Anzahl von 30 Fallen berechnete
initiiere Gewichtsverlust von 4,8675 Kilogrammes auf die
eioxelnen Tag« des Wochenbettes vertheilt, ist aus der
Tabelle XI. ziT ersehen. Auffallend ist die Grösse der Zahl,
die den Gewichtsverlust des . ersten WochenbettsUges aus-
drückt, sich aber, wie ich später zeigen werde, aus der
48 l- Qa****r, Ueber die Veränderungen
vermehrten Diurese in Folge der Resorption des in dar
Schwangerschaft entstandenen ödematösen Infiltrates, sowie
aus der grösseren Masse der aus der Uterinhöhle entleerten
Lochia cruenta recht gut erklären läset. Ebenso lallt es auf,
dass vom 6. — 7. Tage nach der Entbindung die Grösse des
Gewichtsverlustes wieder steigt, nachdem sie jeden Tag bis
zur genannten Zeit stetig fiel; es mag diese Eigenthürolich-
keit ihren Grund darin linden, dass das Kind ein grösseres
Quantum Muttermilch zu sich nimmt und gewöhnlich nach
Verlauf mehrerer Tage post partum bei der Mutter eine
Defacation erfolgt
f) Bei Brat* und Mehrgebärenden, stillenden und nicht
stillenden Wöchnerinnen.
Bezüglich des Einflusses der Erst- und Mehrgeburt,
sowie des Säugungsgeschäftes auf die Abnahme der Körper«
masse in Folge des Wochenbettes ergeben die Untersuchungen,
dass 1 Kilogramme Erstgebärende gegenüber 1 Kilogramme
Mehrgebärende, um 4,58 Gramnies weniger — und 1 Kilo-
gramme stillende Wöchnerin gegenüber 1 Kilogramme nicht
stillende Wöchnerin um 0,1 Gramme mehr im Durchschnitte
(als Mittel von 238 Fällen) verliert Ueberraschend gering
ist die Differenz des Gewichtsverlustes stillender und nicht
stillender Frauen, und liegt die Vermuthung nahe, dass bei
nicht stillenden Wöchnerinnen das Minus des Brustdrüsen-
secretes durch ein Plus des Lochialflusses wieder aus-
geglichen wird.
b) Abweichungen vom Mittel
In Tabelle XII. sind die Schwankungen des durch das
Puerperium gesetzten Körpergewichtsverlustes übersichtlich
vorgefahrt, und finden dieselben innerhalb ihrer physiologischen
Breite ihre Erklärung
a) in dem Gesetze, dass die Grösse der durch die puer-
peralen Vorgänge verursachten Gewichtsabnahme im geraden
Verhältnisse zu der Grosse der Körpermasse der betreffenden
Wöchnerin steht.
des Korpergewichtes bei Schwangeren etc.
49
Zum Beweise dieses Gesetzes diene
folgende Zusammen*
Stellung:
•
Korpergewicht
Zahl
Mittlere
Abnahme
Angabe der Zeit
der
der
der
nach der
Neuentbundenen.
FSlIe.
Körpermasse,
Entbindung.
74,5 — 70Kilogr.
1
8,15 Kilogr.
192,0 Stunden.
69,5 — 65
n
17
6,53 „
175,0 „
64,5—60
M
46
6,545 „
170,6 „
59,5 — 55
»*
72
4,602 „
172,6 „
54,5 — 50
>»
68
3,955 „
172,3 „
49,5 — 45
w
25
3,385 „
174,7 „
44,5—40
w
7
3,265 „
172,0 „
39,5—35
n
2
2,71 „
180,0 „
b) und c) in der erwähnten Thatsache, dass Erst*
gebärende gegenüber den Mehrgebärenden (Differenz = 4,58
Granunes pro mille) und nicht stillende Mutter gegenüber
den stillenden (Differenz = 0,1 Gramme pro mille) eben
geringeren Verlust ihrer Körpermasse erfahren.
Was die excessiv vom Mittel nach Oben sich entfernenden
Abweichungen der in Rede stehenden Abnahme betrifft, so
lässt sich in allen 24 hieher gehörigen Fällen der Grund
dafür in vorhanden gewesenen ungewöhnlichen oder patho-
logischen Vorgängen nachweisen; so in 1 Falle enormes
Oedem der unteren Extremitäten und der Bauchdecken, das
einen Umfang der Unterschenkel von 49 Centimetres und
fast Unvermögen, sich von der Stelle zu bewegen, bedingte;
in 10 Fällen wenn auch nicht gerade so hochgradige, so
doch immerhin bedeutende ödematöse Infiltration der unterhalb
der Venae iliacae gelegenen Theile des Körpers, und dem-
gemäss sehr vermehrte Diurese (Resorption); in 8 Fällen
profuse Lochia cruenta und serosa; in 1 Falle Metrorrhagie
am zweiten Tage des Wochenbettes, in 4 Fällen anhaltende
diarrhoische Ausleerungen.
Auch die 19 Fälle von excessiv nach unten vom Mittel
sich entfernenden Abweichungen des Körpergewichtsverlustes
anlangend findet sich eine Erklärung hiefür in folgenden
Monataaobr. f. GeburUk. 1869. Bd. XIX., Hft. 1 u. 2. 4
50 I- Gauner t Ueber die Veränderungen
Umständen, die im coucreten Falle entweder vereinzelt oder
in Combination mit einander beobachtet wurden: sparsamer,
fast unterdrückter Wochenßuss, Unterlassung des Stillens,
meistens das erste Wochenbett (in 16 Fällen), Retention
der Fäces, Genuss grosser Quantitäten von Wollblumenthee
(2—3 Maass im Tage).
b) Factoren des Gewichtsverlustes.
Der Gewichtsverlust im Wochenbette wird herbeigeführt:
a) durch die Ausscheidung der Lochien und der Milch;
b) durch vermehrte Harnabsonderung am ersten und zweiten
Tage nach der Entbindung, die ihren Grund in der
Resorption des mehr weniger vorhandenen Oedems der
unteren ExfrmniiäleiL Jii£3 ,
c) durch^die in der4tegd- et\Va$ vermehrte Lungen- und
Haut*^ümjtup£ o C
d) durck die EttltefcrängJ fler1 Fäcqfe, deren Gewicht im
Mittel (5,34 KiLagj^cajne beträgt
e) durch die^ücl^hilduag yiejv äusseren und inneren Geni-
talien. "
Den Anlheil dieser Factoren au der Hervorbringung des
erwähnten Massenverlustes durch Zahlen auszudrücken, wie
dies bei der Analyse der durch die Geburl bedingten Gewichts-
abnahme geschah, bin ich nicht in der Lage, da die Er-
füllung einer solchen Aufgabe eine viel zu complicirte Unter-
suchung erfordert, deren Ausführung in unserem Falle an
der Opposition der zur Untersuchung herbeizuziehenden
Individuen und an dem Mangel an Zeit scheiterte. Ich muss
mich daher darauf beschränken, im Allgemeinen die Bedeutung
der einzelnen Factoren zu besprechen und durch vereinzelte
Beobachtungen dem Verständnisse näher zu bringen.
Nach Untersuchungen, die ich an 2 Wöchnerinnen (Primi-
parae von ziemlich gleichem Körpergewichte) nach der oben
in der Einleitung angegebenen Methode zur Ermittelung der
Quantität des Lochialflusses angestellt habe, ergibt
sich folgendes Resultat:
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 51
Mittlere Menge der Lochia cruenta (vom 1. — 3. Tage post partum)
= 1,00 Kilogramme.
„ % n n serosa (vom 4. — 6. Tage post partum)
= 0,28 Kilogramme.
n vi n n ftlDa (vom 6. — 8. Tage post partum)
= 0,205 Kilogramme.
Mittlere Menge des innerhalb der ersten 8 Tage post partum
entleerten Lochialsecretes = 1,485 Kilogramme.
Dass die Differenz der Menge der Lochien einer stillenden
und nicht stillenden Wöchnerin im Ganzen und an den ein-
zelnen Tagen nicht unbedeutend ist, geht aus folgenden
Tabellen hervor und bestätigt die in dieser Richtung schon
längst gemachte Erfahrung durch folgende Zahlen werthe ; dass
ebenso bei Erst- und Mehrgebärenden eine Differenz der
Menge des Lochialsecretes vorhanden, ist mehr als wahr-
scheinlich ; ingleichen wird die Menge der Lochien auch zu
der Grösse der Körpermasse der betreffenden Wöchnerin im
geraden Verhältnisse stehen, wiewohl ich dies nicht direct
zu beweisen vermag, sondern meine Vermuthung sich nur
auf Analogien stützt.
Die Menge des Lochialsecretes beträgt bei der erstgebärenden
stillenden Wöchnerin nichtstillenden Wöchnerin
(Körpergewicht == 53 Kilogr.) (Körpergewicht = 51 Kilogr.)
Gratnmes. Gramme«.
24 Standen Postpartum 400, L ochUcruento ft £, 670> LochUcruenU . &
1* . „ 160) 8 1 •« 860) * • W
bt) iO ' I 60
00
96 „ „ „ 70) Lochia serosa f • © 160 1 Lochia serosa f © ^
120 „ n » 130 i =0,2 Kilogr. f | 7 200» =0,36 Kilogr. > | *[
168 „ „ „ 60 LochlÄ alba 1 • S 120 Lochia alba J - IS
192 \ " ; tot ~ °'14 KÜ°^; © 8 J =0,27 Kilogr. ' 5 J
Hinsichtlich der Milchmenge, die innerhalb der ersten
acht Tage nach der Geburt von dem Neugeborenen aus den
Brüsten gesogen wird, fand ich als Mittel von drei Fällen «in
- Gewicht von 2,15 Kilogrammes.
Dass die Diurese vermehrt ist, bedarf in allen jenen
Fällen, wo ein Oedem in 1 — 2 Tagen nach der Entbindung
vollkommen verschwunden ist, keines Beweises.
52 !• Gauner , Ueber die Veränderungen
Um einen Begriff von Vermehrung der Diurese im Wochen-
bette zu bekommen, erwähne ich eines Falles, wo in Folge
der Resorption eines enormen Oedems der unteren Extremi-
täten und der Bauchdecken der regio hypogastrica eine
Wöchnerin, die einen Gesamintgewichtsverlust von 16,5 Kilo-
grammes innerhalb 8 Tagen post partum erlitten hat, in
einem Zeitraum von 42 Stunden 10 Kilogrammes hellen
sehr wasserigen (mit dem Gatheter genommenen) Urin entleerte.
Der Grad der Vermehrung der Diurese richtet sich selbst-
verständlich nach dem Grade des vorhandenen Oedems.
Nach Wägungen des Genitalapparates von an verschiedenen
Tagen gestorbenen Wöchnerinnen lässt sich approximativ be-
stimmen, dass durch die retrograde Metamorphose der
Genitalien, insbesondere des Uterus innerhalb 192 Stunden
post partum eine Gewichtsdifferenz von 0,3 — 0,4 Kilogramme
zu Stande kömmt.
Im Allgemeinen darf man daher sagen, dass die Aus-
scheidung der Lochien und der Milch, die vermehrte Harn-
absonderung, soweit letztere in der Ausleerung des resorbirteu
von der Schwangerschaft ins Wochenbett hinüber genommenen
öderaatösen Infiltrats ihre Ursache hat, sowie die Rückbildung
der Genitalien die Hauptfactoren des Gewichtsverlustes dar-
stellen, denen gegenüber die übrigen zwei Factoren, nämlich
die vermehrte Lungen- und Hautausdünstung, sowie die Ent-
leerung der Fäces, unbedeutend erscheinen; da letztere mehr
einen vorübergehenden als länger bestehenden Massenverlust
bedingen, so kann man sie besser aus der Reihe der genannten
Factoren streichen und den Gesammtverlust nur auf Rechnung
der Entleerung der Milch, Lochien und des Harns, sowie
der Massenverminderung der Genitalien bringen; denn das
durch die vermehrte Lungen- und Hautausdünstung Ab-
geschiedene wird durch die Einfuhr von Getränken in den
Körper, ebenso das Gewicht der entleerten Darmexcremente
durch die Zufuhr von Nahrungsloffen sogleich oder kurz
darauf wieder ersetzt
des Körpergewichtes l>ei Schwangeren etc.
53
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54
I. Gastner 7 Ueber die Veränderungen
Tabelle
Abnahme des Körpergewichtes einer Wöchnerin
Gesammtsahl
Zahl der Wöchnerinnen, die
der
Fälle.
zum
ersten Male
geboren
haben
iam
wiederholten
Male geboren
haben
das
Neugeborene
stillten
das
Neugeborene
nicht stillten
30
6
25
16
14
3
Ne
entbun
Mittleres Körpergewicht dieser
0'
u-
denen
6
neuentbund.
Primip.
! 35
neuentbund.
Multip.
16
neuentbund.
Stillenden
14
neuentbund.
Nicht-
stillenden
Kilogr.
54,35
i
Kilogr.
53,5
Kilogr.
64,6
Kilogr.
55,0
Kilogr.
63,58
Mittel d
es Gewichts verli
istes innerhalb 192 Stunden post partum
berechnet für
30
Fälle
5
Primiparae
25
Multiparae
16
Stillende
14
Nichtstillende
nach
Kilogr.
pro
mille
nach
Kilogr.
pro
mille
nach
Kilogr.
pro
mille
nach
Kilogr.
pro
mille
nach
Kilogr.
pro
mille
4,8676
Gramm.
89,646
4,0635
Gramm.
75,953
6,0
Gramm.
91,743
6,184
Gramm.
94,25
4,543
Gramm
84,74
de» Körpergewichtes bei Schwangeren etc.
56
XL
an den einzelnen Wochenbettstagen.
Mittlerer Gewichtsverlust einer Wöchnerin an den einseinen
Wochenbettstagen berechnet nach Kilogrammes und pro mille
des Körpergewichts der betreffenden Neuentbundenen,
und swar für
Zeitraum
nach
der
Gebart.
alle 30 Fälle
•
5 Primip.
26 Multip.
16 Stillende,
darunter
3 Primip. u.
13 Multip.
14 Nicht-
stillende,
darunter
2 Primip. u.
12 Multip.
nach pro
Kilogr.. mille
nach 1 pro | nach
Kilogr. mille Kilogr.
pro
mille
nach 1 pro
Kilogr.! mille'
nach i pro
KilogrJ mille
Stunden.
Gramm.
Gramm.
Gramm.
^
Gramm.
Grairm.
24
1,956
86,0
2,26
42,05
1,9
34,844
2,036
37,37
1,863
34,8
48
0,816
15,013
0,6026
11,263
0,856
16,7
0,821
15,0 1 0,81
16,12
72
0,64
9,9
0,515
9,9
0,6466
9,9
0,667
11,96 0,407
7,6
96
0,5666
10,4
0,1026
1,91 i 0,656
12,02
0,56
10,99 | 0,57
10,2
120
0,27
4,97
0,01
0,187 ! 0,322
5,8
0,283
5,15 j 0,265
4,76
144
0,1435
2,64
0,4
7,46 ' 0,1
1,9
0,183 ! 3,3271 0,1
1,87
168
0,2675
4,92
0,0 1 0,0 1 0,326
6,9
0,3 5,46 | 0,23
4,3
192
0,31
6,703
0,18
13,34
0,306
5,56
0,345
6,9
0,308
6,76
56
I. Gasmer, Ueber die Veränderungen
Tabelle XTT.
Schwankungen des durch die puerperalen Processe innerhalb
172,43 Stunden post partum bedingten Gewichtsverlustes
berechnet
Zahl
der
Fälle.
nach
Kilo-
grammes.
Zahl
der
Fälle.
als
Procent
des Körper-
gewichtes
der Neu-
entbnndenen.
in
Proportion
zu dem
Körper-
gewichte der
Neu-
entbundenen.
auf
1 Kiiogr. un-
entbnndenes
Weib
(pro niille).
Procent.
Grammai!
1
16,5
1
24
1 : 4,167
240
3
9,0
1
15
1 : 6,667
160
2
8,5
3
14
1 : 7,143
140
2
8,0
10
13
1: 7,7
130
6
7,5
9
12
1 : 8,34
120
7
7,0
10
11
1: 9,09
110
9
6,6
27
10
1: 10,0
100
18
- 6,0
26
9
1: 11,1
90
20
5,6
46
8
1: 12,6
80
36
6,0
60
7
1 : 14,3
70
32
*6
16
6
1 : 16,67
60
28
4,0
12
6
1: 20,0
60
36
3,6
9
4
1: 26,0 .
40
18
3,0
6
3
1 : 33,34
30
18
2,5
3
2
1: 60,0 |
20
7
2,0
1
1
1 ; 100,0
10
4
1,6
—
—
—
—
1
1,0
—
—
—
—
4
0,6
—
—
—
—
1
0,34
—
—
- i
—
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc.
57
IV.
Differenz des Körpergewichtes in Folge der Geburt und
der puerperalen Processe innerhalb der ersten acht Tage
des Wochenbettes.
Gewichtsverlust.
a) Mittel desselben
a) in Folge von rechtzeitiger Gebort und darauffolgendem
Puerperium.
In Folge der Vorgänge bei der rechtzeitigen Geburt
und innerhalb der ersten 8 Tage des Wochenbettes verliert
das Weib, das am normalen Schwangerschaftsende ein
Körpergewicht von 63,245 Kilogrammes hat, im Mittel be-
rechnet nach 201 Fällen 11,395 Kilogrammes oder 18,02 Pro-
cent, also beinahe den fünften Theil ihrer Körpermasse, so
dass sich die
Abnahme : Körpergewicht = 1 : 5,55 verhält,
oder auf 1 Kilogramme hochschwangeres Weib ein Gewichts-
verlust von 180,2 Grammes kommt
ß) in Folge von Frühgeburt und darauffolgendem Puerperium.
Hinsichtlich der Verminderung der Körpermasse bei
Frühgeburten als Folge der Geburt und der Vorgänge in
den ersten 8 Tagen des Wochenbettes ist zu bemerken,
dass übereinstimmend mit früheren Angaben mit der Zahl
der Monate die Grösse des Massen Verlustes steigt, wie dies
aus folgender Zusammenstellung hervorgeht:
Mittlere
Monat.
Anfang des 6. Monats
Ende „ 7. „
Anfang „ 8. „
Ende „ 9. „
Zahl
der
Falle.
2
1
3
5
Annahme
des
Körper-
gewichte«.
4,65 KUogr.
7,12 „
7,62 „
9,255 „
Auf 1 Kilogr.
Weib trifft
ein Gewichts-
verlust Ton
93,38 Grammes
126,00 „
134,00 „
163,00 „
58 I* Gauner, Ueber die Veränderungen
y) in Folge von Zwillingageburt und darauffolgendem
Puerperium.
Der Gewichtsverlust an Körpermasse in Folge von
Zwillingsgeburt, die am normalen Schwangerschaftsende ein-
getreten ist, und dem darauf folgenden Wochenbette (ersten
8 Tage desselben) beträgt als Mittel von 2 Fällen 17,89 Kilo-
gramme^ so dass sich auf 1 Kilogramme Weib eine Abnahme
von 238 Grammes oder 58 Grammes über das Mittel entziffert.
8) bei Eni- und Btehrgebärenden. .
Die Differenz der Procente der Abnahme bei Erst- und
Mehrgebärenden ist zu Gunsten der letzteren = 0,69; oder auf
1 Kilogramme Erstgebärende kommt ein Gewichtsverlust von
176,1 Grammes,
1 Kilogramme Mehrgebärende kommt ein Gewichtsverlust von
183,0 Grammes.
b) Abweichungen vom Mittel.
Aus dem im Verlaufe dieser Abhandlung Auseinander-
gesetzten begreift sich von selbst, dass wie in dem Grössen-
werthe einzelner Factoren, so auch in dem der Gesammt-
summe der Massenabnahme Schwankungen (vide Tabelle XIV)
vorkommen müssen, und verweise ich in Bezug auf das
Verständnifts derselben statt aller Wiederholungen auf das
früher bei Gelegenheit der Erklärung der Schwankungen der
Gewichtsabnahme in Folge der Geburt und des Wochenbettes
bereits Gesagte, und bemerke nur noch, dass wie bei den
einzelnen den Massenverlust zusammensetzenden Factoren sich
auch laut folgender Zusammenstellung in der Gesammtabnahme
der Einfluss der Grösse der Körpermasse auf die Grösse des
Verlustes geltend macht
Körpergewicht der ain
Zahl
Mittlere
Annahme
normalen Schwange rschafts-
der
in Folge
von Geburt
ende Kreissenden.
Falle.
and Wochenbett.
80 — 75,5 Kilogramme«
v 28
13,85 Kilogramme»
70—65,5
39
12,242
w
65—60,5
65
11,155
>»
60-55,5
50
10,218
n
OO — Ov,ö „
16
9,24
»»
50-45,5
3
6,93
n
des Körpergewichte« bei Schwangeren etc.
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60
I. Gastner, Ueber die Veränderungen
Tabelle XIV.
Schwankungen des durch die Vorgänge bei der rechtzeitigen
Geburt und in den ersten acht Tagen des Puerperiums
bedingten Körpergewichtsverlustes des Weibes berechnet
Zahl
der
Fülle.
nach
Kilo-
grammes.
Zahl
der
Fälle.
als
Procent
des Körper-
gewichtes
der
Kreissendeu.
in
Proportion
sa dem
Körper-
gewichte
der
KreisBenden.
anf
1 Kilogr.
kreissendes
Weib
(pro inille).
Procent.
Gramme».
1
25,0
1
32
1 : 3,125
320
1
20,5
1
30
1 : 3,34
800
1
19,5
1
28
1 : 8,57
280
2
17,6
2
26
1 :4,0
250
6
16,5
3
24
1 : 4,17
240
2
16,0
3
23
1 : 4,36
230
3
15,6
3
22
1 : 4,64
220
2
16,0
17
21
1 :4,8
210
3
14,6
18
20
1 :6,0
200
6
14,0
30
19
1 : 6,26
190
8
13,6
24
18
1 : 5,56
180
10
18,0
29
17
1 :6,9
170
18
12,6
26
16
1 : 6,25
160
10
12,0
20
16
1 : 6,67
150
21
11,6
10
14
1 : 7,14
140
27
11,0
6
13
1 :7,7
130
18
10,6
3
12
1 : 8,34
120
17
10,0
4
11
1:9,1
110
12
9,6
—
—
—
14
9,0
—
—
—
11
8,5
—
—
—
6
8,0
—
—
—
—
7
7,6
—
—
—
—
3
7,0
—
—
__
4
6,6
—
—
3
6,0
—
—
—
1
6,6
—
—
—
—
2
5,0
—
—
—
—
1
4,5
—
—
—
—
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 6]
V.
Wiederersatz des durch die Geburt und die puerperalen
Vorgänge verursachten Körpergewichtsverlustes.
Es wäre von Interesse für mich gewesen, den Wieder-
ersatz des durch die Geburt und die puerperalen Processe
herbeigeführten Gewichtsverlustes des Körpers an sich und
in seinen Beziehungen zu dem hiezu erforderlichen Zeitraum,
zur etwaigen folgenden Schwangerschaft, ferner zur Erst-
und Mehrgeburt verfolgen und Vergleiche zwischen dem
Verhalten der Gewichtsveränderungen desselben Individuums
in verschiedenen Schwangerschaften, Geburten upd Wochen-
betten anstellen zu können; allein auf der einen Seite machten
die Ausfahrung dieses Unternehmens die Hausgesetze der
Anstalt, deren zufolge gesunde Wöchnerinnen am achten
oder neunten Tage nach der Entbindung entlassen werden
müssen, und auf der anderen Seite die Kurze der Zeit in
Folge meines Austrittes aus meinem bisherigen Wirkungskreise
unmöglich.
Indess hat mir der Zufall einige Mal glücklich mitgespielt,
so dass ich in 10 Fällen nach Verlauf von 3 — 6 Wochen
nach der letzten Entbindung das Körpergewicht der betreffenden
als Neuentbundene und bei der Entlassung (8 Tage post partum)
gewogenen Individuen ermitteln konnte; das Resultat ist
1) Bei 6 Individuen, die 3 — 4 Wochen nach der Ent-
bindung ebensoviel als unmittelbar post partum wogen, war
der durch die puerperalen Vorgänge verursachte Gewichts-
verlust (4,5 Kilogrammes im Durchschnitte) innerhalb der
angegebenen Zeil sonach wieder vollkommen ersetzt
2) Bei 1 Individuum, das im Wochenbette in Folge
profuser Lochien und bedeutender Wochenschweisse 8,2 Kilo-
grammes an Körpergewicht verloren hatte, betrug die Gewichts-
zunahme innerhalb 4 Wochen vom Tage der Entlassung aus
der Anstalt an gerechnet nur 6 Kilogrammes, so dass der
Gewichtsverlust in Folge des Wochenbettes noch nicht ganz
ersetzt war.
62 I. G<u**er, Ueber die Veränderungen
3) Bei 3 Individuell, die 6 Wochen nach der Entbindung
nachgewogen wurden und in Folge der puerperalen Vorgänge
5,15 Kilogrammes ihrer Körpermasse verloren hatten, zeigte
sich ein Plus der Gewichtszunahme von 2,3 Kilogrammes
über den Wiederersatz hinaus.
Schlösse aus diesen Daten zu ziehen ist bei einer so
geringen Anzahl von Fällen unstatthaft Es ist indess apriori
vorauszusehen, dass, da die Restitution der verlorenen Körper-
masse und der Zeitraum, dessen sie bedarf, im concreten
Falle von den Nutritions Verhältnissen , denen das einzelne
Individuum angehört, und die bei der verschiedenen socialen
Stellung auch sehr verschieden sind, einzig und allein abhängt,
darauf hingerichtete Untersuchungen bezüglich der Zunahme
der Körpermasse und der Zeit, innerhalb welcher der Wieder-
ersatz geschieht, verschiedene Resultate zu Tage fördern werden.
VI.
R 6 s u m L
Am Ende dieser Abhandlung dürfte es nicht ungeeignet
erscheinen, die aus meinen Untersuchungen gewonnenen und
im Vorausgehenden ausführlich besprochenen Thatsachen als
Schlussstein des Ganzen und zu leichterer Uebersicht in
aphoristischer Weise zu recapituliren.
A. Schwangerschaft.
1) Es ist ein physiologisches Gesetz, dass der mütter-
liche Körper während der drei letzten Schwangerschaftsmonate
eine Zunahme seiner Masse erfahrt, die so bedeutend ist,
dass sie durch das Wachsthum des Eies aHein nicht erklärt
werden kann, sondern angenommen werden muss, dass der
mütterliche Organismus als solcher eine Vermehrung seiner
Elemente, unbekannt welcher, eingeht. — Eine Gewichts-
abnahme ist pathologisch. Die Zunahme der Körpermasse
innerhalb der angegebenen Zeit beträgt den dreizehnten Theil
des Körpers.
de« Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 63
2) Die Grösse der Zunahme des Körpers steht innerhalb
der physiologischen Grenze im geraden Verhältnisse zu der
Grösse des Quantum seiner Masse.
3) Erstgeschwängerte erfahren gegenüber den Mehr-
geschwängerten bei sonst gleichen Gewichtsverhältnissen eine
geringere Vermehrung ihres Körpergewichtes, und hegt der
Grund hiervon vorzugsweise darin, dass das Ei Erst-
geschwängerter wegen der grösseren Resistenzkraft des Uterus
sich nicht so sehr ausdehnen, also auch keinen solchen
cuhischen Inhalt und den entsprechenden Massengehalt er-
reichen kann, wie bei dem schlafferen der Expansion des Eies
weniger hinderlichen Uterus Mehrgeschwängerter.
4) Das intrauterine Verweilen einer abgestorbenen Frucht
ist constant von einer nicht unbeträchtlichen Abnahme der
mutterlichen Körpermasse gefolgt, und dürfte dieser Umstand
seiner Constanz wegen als diagnostisches Hülfsmittel in Gebär-
anstalten in jenen Fällen benützt werden, in welchen die
wiederholt angestellte Auscultation des schwangeren Abdomens
bezüglich des Vorhandenseins der fötalen Herztöne, besonders
wenn letztere früher schon einmal deutlich gehört worden
waren, ein negatives Resultat ergiebt In diesen Fällen würde,
vorausgesetzt, dass alle Vorsicht zur Hintanhaltung von
Täuschungen in Dezug auf die Ursachen der Gewichts-
veränderung in Anwendung gekommen sind, eine Tag für.
Tag sich wiederholende Abnahme für, — eine Zunahme aber
gegen das Abgestorbensein des Fötus sprechen.
B. Geburt.
1) Der Gewichtsverlust in Folge der Geburt beträgt im
Mitte] beinahe den neunten Tbeil des Körpergewichtes einer
Schwangeren, die das Ende des zehnten Monates ihrer
Gravidität erreicht hat, wird hauptsächlich durch das aus-
gestossene Ei, nebenbei aber auch durch das in der Nach-
geburtsperiode abgegangene Blut, die inter partum entleerten
Excremente und durch die auf Lungen- und Hautoberfläche
verdunstete Flüssigkeit herbeigeführt. Was die Bedeutung
der letztgenannten drei Factoren gegenüber dem erstgenannten
Hauptfactor in ihrem Antheile an der Hervorbringung der
64 I- Gauner, Ueber die Veränderungen
Gewichtsabnahme betrifft, so ergiebt sich eia Verhältniss der
Nebenfactoren zum Hauptfactor wie 1 : 7,164.
2) Je näher die Geburt dem normalen Ende der Schwanger-
schaft geruckt ist, um so grösser ist der durch ersten»
herbeigeführte Massenverlust, ganz entsprechend der mit der
Zahl der Schwangerschaftsmonate sich steigernden Gewichts-
zunahme des Eies.
3) Erstgebärende erleiden gegenüber den Hehrgebärenden
bei sonst gleichen Gewichtsverhältnissen eine geringere Ab-
nahme, die übrigens
4) in Folge der Zwillingsgeburt weit über das Mittel
hinaufreicht.
5) Die Grösse der Abnahme steht durchgehends, soweit
nicht ungewöhnliche oder pathologische Verhältnisse obwalten,
im geraden Verhältnisse zu der Grösse des Quantums der
Körpermasse.
6) Aus diesem Gesetze erklären sich zum Theil die
Abweichungen der Grösse des Gewichtsverlustes im Mittel.
7) Das Gewicht des ganzen reifen Eies — Kind, Frucht-
wasser und Nachgeburt — beträgt den 10,8. Theil des
Körpergewichtes einer Kreissenden.
8) Die Masse der einzelnen Bestandteile des Eies am
normalen Ende der Schwangerschaft verhält sich a) zur
Gesammtmasse des Eies und b) untereinander so, dass das
ad a) Gewicht des Kindes : Gewichte des Eies = 1 : 1,766
„ „ Fruchtwassers : „ „ n = 1 : 3,070
„ der Nachgeburt : , „ „ = 1 : 9,600
ad b) Gewicht des Fruchtwassers: Gewichte des Kindes = 1 : 1,750
„ der Nachgeburt : „ „ „ = 1 : 6,471
» » » : „ »Frucht-
wassers =* 1 : 3,130
9) Gorrespondirend mit den sub 2 A. und 5 JB. auf-
geführten Thatsachen ist das Gesetz, dass das ganze Ei und
seine einzelnen Bestandtheile ihre Masse proportional der
Grösse der Masse des mütterlichen Substrates vermehren,
d. h. dass das Gewicht des Eies und seiner Bestandtheile,
also das Gewicht des Kindes, des Fruchtwassers und der
Nachgeburt, proportional zu dem Körpergewichte der Mutter ist.
des Körpergewichtes bei Schwangeren etc. 65
10) Das ausgetragene Ei Erstgebärender ist kleiner als
das der Mehrgebärender (vide sub 3 A. und 3 B.)
11) Die improportionale Grösse oder Kleinheit des Eies
hat auf die Dauer der Geburt nicht den mindesten Einfluss,
und findet diese Thatsache ihre Erklärung in der Verschieden-
heit des Muskelreichthums des Uterus, der Hannichfaltigkeit
seiner Reizempfanglichkeit und der verschieden grossen
Widerstandsfähigkeit der Velamente des Eies.
Die improportionale Entwicklung des letzteren äussert
nur dann ihre die Geburt retardirende Wirkung wenn mit
dem Wachstbum des Eies das Wachsthum der Muskelsubstanz
nicht gleichen Schritt hielt, sondern eine improportional
schwache Muskellage des Uterus ein unverhältnissmässig grosses
Ei umschliesst.
12) Es ist aber nicht absolut nothwendig, dass in allen
Fällen durch eine ungewöhnlich grosse Expansion des Eies
auch eine entsprechende Verdünnung der umgebenden Uterin-
wandungen, also relative Muskelarmuth und als Folge davon
Wehenschwäche verursacht wird; denn es liegen Fälle vor,
die zu der Ueberzeugung drängen, dass bei ungewöhnlicher
Ausdehnung des Eies auch eine ungewöhnlich grosse Ver-
mehrung der Muskelsubstanz des Uterus stattgehabt hat, da
trotz enormer Grösse des Eies dennoch die Geburt in relativ
sehr kurzer Zeit beendet war.
13) Die Grösse der Körpermasse einer Kreissenden hat
keinen Einfluss auf die Zeitdauer der Geburt; denn kräftig
entwickelte Frauen bedürfen im Durchschnitte zur Vollendung
ihrer Geburtsarbeit weder einer kürzeren . noch längeren Zeit
als schwächliche Individuen.
14) Die Menge der amniotischen Flüssigkeit nimmt im
Verlaufe der letzten drei Schwangerschaftsmonate nicht ab,
sondern zu.
15) In allen jenen Fällen, wo ein Positionswechsel oder
eine Culbute des Kindes im Cavum uteri stattfand, war eine
unverhältnissmässig grosse Quantität Liquor Amnii vorhanden, —
und ist letzterer Umstand unter anderen mit als ein ätiologisches
Moment des Positionswechsels anzusehen.
MonatMehr. f. Geburtsk. 1883. Bd. XIX., Hft. 1 a. 3. 5
66 I. Gastner, üeber die Veränderungen
16) In allen jenen Kindeslagen, die zu ihrem Zustande-
kommen oder zu ihrem Bestehen einer grösseren Räumlich-
keit des unteren Abschnittes des Uterincavums bedürfen, als:
Gesichts-, Beckenend- und Querlagen, erwies sich das Vor-
handensein einer unverhältnissmässig grossen Fruchtwasser-
menge als ein diese Lagen begünstigendes Moment
17) Nach dem sub 9 B. ausgesprochenen Gesetze ist
der Geburtshelfer in der Lage, nach Ausschluss aller jener
Fälle, die durch intercurrirende pathologische Processe die
Anwendbarkeit dieses Gesetzes unmöglich machen, mit der
grössten Wahrscheinlichkeit aus dem Gewichte der gesunden
Mutter das Gewicht des Kindes zu berechnen, daraus Schlüsse
auf die grössere oder geringere Entwicklung — cubische
Beschaffenheit des Kopfes — desselben zu ziehen, und bei
Beckenanomalien in Folge von Rhachitis diese Schlüsse in
Beziehung auf die Wahl des geburtshülflichen Heilverfahrens,
ob künstliche Frühgeburt, exspectative Methode, Zange, Per-
foration etc. practisch zu verwerthen.
18) Die Grösse der Peripherie des Abdomens steht am
normalen Ende der Schwangerschaft oder zu Anfang der
rechtzeitigen Geburt im geraden Verhältnisse zu der Grösse
des Körpergewichtes der Schwangeren. Es ist diese Thatsache
im Auge zu behalten bei der Vermtjthupg von Zwillingen
(wegen eines Leibesumfanges von 110 Centim&tres) oder bei
der Diagnose des Schwangerschaftsmonates, um z. B. wegen
eines Leibesumfanges von 90 Centimetres nicht etwa erst
den achten oder neunten Monat anzunehmen, während diese
geringe Peripherie im zehnten Monate eben dem Körper
proportional ist
Dieses Gesetz harmonirt mit den sub 2 A. und sub 5
und 9 B. genannten Thatsachen.
C. Wochenbett
1) Der durch die puerperale Se- und Excretionen, ins-
besondere durch die Ausscheidung der Lochien und der
Milch, die vermehrte Harnabsonderung, sowie durch die Rück-
bildung der Genitalien hervorgerufene Verlust des Körper-
gewichts beträgt innerhalb der ersten acht Tage post partum
im Mittel den zwölften Theil des mütterlichen Körpers;
des Korpergewichtes bei Sehwangeren etc. 67
2) ist um so grösser, je näher die dem betreffenden
Wochenbette vorausgegangene Geburt dem normalen Schwanger-
schaftsende gerockt ist;
3) erscheint bei Erstgebärenden sowie bei Nichtstillenden
bei sonst ganz gleichen Körpergewichtsverhältnissen um etwas
geringer als bei Mehrgebärenden und stillenden Wöchnerinnen ;
4) steht im geraden Verhältnisse zu der Quantität der
Körpermasse der Neuentbundenen.
Vergleiche Ziffer 2 A — 5, 9, 18 B.
5) Die Quantität des in demselben Zeiträume aus-
geschiedenen Locbialsecretes ist bei nicht stillenden Wöchnerinnen
unverhältnissmässig grösser als bei stillenden/ und wird durch
diesen Umstand die auffallend geringe Differenz des Gewichts-
verlustes stillender und nicht stillender Wöchnerinnen erklärt.
6) Der überraschend grosse Gewichtsverlust am ersten
Tage des Wochenbettes hat seinen Grund in der vermehrten
Harnsecretion in Folge der gleich nach der Entleerung des
Uteruscontentums stattfindenden Resorption des durch die
Schwangerschaftsvorgänge verursachten serösen Infiltrats, ferner
in der am ersten Tage sehr reichlichen Ausscheidung des
Lochialflusses und in. dem fast nie fehlenden Schweisse.
D. Gesammtgewichtsverlust in Folge von Geburt
und Wochenbett
1) Der Gewichtsverlust in Folge der Geburt und des
Wochenbettes beträgt im Mittel fast den fünften Theil des
Körpergewichtes des hochschwangeren Weibes.
2) Der Einfluss der Erst- und Mehrgeburt, des Stillens
oder Nichtstillens, sowie der
9&) Grösse der mütterlichen Körpermasse auf die Grösse
des Verlustes macht sich consequenterweise auch in Bezug
auf den Gesammtgewichtsverlust geltend.
E. Wiederersatz des Gewicht?erlustes.
Es lässt sich vermuthen, dass der durch das Wochen-
bett erlittene Massenverlust des weiblichen Körpers innerhalb
3 — 4 Wochen — und der durch Geburt und Wochenbett
verursachte Gesammtverlust in Folge des Wiedereintrittes in
die früheren Nutritionsverhältnisse in 6 — 7 Wochen Voll-
öl
gg IL Verhandinngen der Gesellschaft
kommen restituirt wird; indess concurriren hier so viele die
Nutrition fördernde und beeinträchtigende Umstände, das«
apriori ohne statistischen Anhaltspunkt die Angabe der
mittleren Zeit, innerhalb welcher die Restitution vor sich
geht, eine blosse Vermuthung ist
n.
Verhandlungen der Gesellschaft fttr Geburtshülfe
In
Berlin.
Sitzung vom 8. October 1861.
Herr Martin theilte über zwei und zwanzig von ihm
eingeleitete
künstliche Frühgeburten
Folgendes mit:
In einer mehr als sechs und zwanzig Jahre langen, theils
klinischen, theils privaten Praxis hat sich, abgesehen von
den nicht allzu seltenen Fällen, in welchen lebensgefährliche
Blutungen wegen Placenta praevia während der letzten drei
Monate der Schwangerschaft zu der Einlegung des Kolpeurynter
oder Tampon, und damit zur Einleitung der Frühgeburt
nöthigten, zwei und zwanzig Mal (und zwar fünfzehn Mal
während der Jahre 1835 — 58 in Jena, sieben Mal von 1858 — 61
in Berlin) die Indication zur künstlichen Frühgeburt mir dar-
geboten. Viele der hier zu berichtenden Fälle verdanke ich
dem Zutrauen meiner Collegen und früheren Schüler, welche
nach aufgetretener Indication zur künstlichen Frühgeburt die
einer schweren Entbindung Entgegengehenden an mich und
in der Regel zur Klinik verwiesen.
Da bei drei Müttern die Operation zwei Mal vorgenommen
wurde, so vertheilen sich die 22 Operationen auf 19 Frauen,
und zwar waren es fünf zum ersten Male Schwangere, acht zum
zweiten Male, drei zum dritten Male, zwei zum vierten Male, eine
für Geburtshülfe in Berlin. 69
zum fünften Male, zwei zum siebenten und eine zum neunten
Male Schwangere1, welche der Operation sich unterzogen.
Was zuerst die Anzeigen zu den Operationen an-
langt, so gab am häufigsten und zwar zwanzig Mal
I. Enge des Geburtskanals die Aufforderung zum
Einschreiten in der angedeuteten Weise. Diese beruhte 19
Mal auf Verengung des Beckens und die letztere war bei
der grossen Mehrzahl bedingt durch in der Kindheit überstandene
Rbachitis. Die aus der genannten Ursache vollzogenen neun-
zehn Operationen betrafen jedoch nur sechszehn Frauen, da
bei drei derselben die Operation wiederholt zur Anwendung
kam. Alle diese 16 Frauen zeigten eine sehr erhebliche Ver-
kürzung des geraden Durchmessers, indem die Conjugata ex-
terna (Diameter Baudelocquei) zwischen 5" Sm und 6" 9*
und die Conjugata diagonalis (die Linie zwischen dem unteren
Rande der Schamfuge und dem Vorberge) 3 Zoll 5 Linien bis
4 Zoll 1 Linie maass.
Bei mehreren dieser Frauen fand sich aber zugleich eine
erhebliche Verkürzung der Querdurchmesser des grossen
Beckens, und zwar'bei sieben dermaassen, dass der vordere
Querdurchmesser zwischen den Spinae ossium ilium an-
teriores (Sp. J.), — welcher nach einer in der geburtshülf liehen
Klinik zu Berlin .während der letzten drei Jahre angestellten
sorgfältigen Messung bei 375 Schwangern 338 Mal mehr als
8% Zoll, unter diesen 289 Mal sogar über 9 Zoll zu halten
pflegt, — nur zwischen 78/4 Zoll bis 8Va Zoll, der hintere
Querdurchmesser aber zwischen den grössten Ausbiegungen
der Cristae ossium ilium (Cr. J.), — welcher bei den
375 Schwangeren 369 Mal mehr als 9 Zoll maass, — nicht
mehr als 7% bis. 9 Zoll betrug. In diesen sieben Fällen
hatte man daher genügenden Grund eine allgemeine Raum-
beschränkung des Beckenkanals zu diagnosticiren.
Diese allgemeine Beckenenge, welche sowohl da,
wo sie als eine gleichmässige auftritt, bei den sogenannten
Zwergbecken, als auch in denjenigen Fällen, in welchen
sie sich mit vorwiegender Verkürzung eines Durchmessers
vergesellschaftet zeigt, — z. B. so dass die Conjugata im
höheren Grade als die übrigen Durchmesser verkürzt ist —
die besondere Beachtung von Seiten des Geburtshelfers
70 H. Verhandlungen der Gesellschaft
fordert, diese Verkürzung der sämmtlichen Durchmesser einer
oder mehrerer Aperturen, erschwert erfahrungsgemäss die
Geburt eines ausgetragenen Kindes in überraschender Weise,
auch dort, wo die Verkürzung der einzelnen Durchmesser
eine nicht sehr beträchtliche ist, z. B. nicht mehr als V« Zoll
erreicht Die Geburtserschw&ung beruht dabei nicht allein
direct auf dem räumlichen Missverhältniss, sondern sehr häufig
auf einer wahrscheinlich in Folge des allseitigen Druckes,
welchen der untere Gebärmutterabschnitt zwischen dem Kinds-
kopfe und dem engen Beckeneingange erfährt, eintretenden Com-
plication mit Wehenfehlern, namentlich mit dem Tetanus uteri,
durch welchen die Erweiterung des Muttermundes im höchsten
Grade verzögert wird. Nach Ueberwindung dieses Hindernisses
keilt sich der Kopf, dessen Hinterhaupt in solchen Fällen nicht
selten auffallend tief herabsinkt, in der Beckenhöhle dermaassen
ein, dass es grosse Schwierigkeiten macht, die Zangenlöffel
zwischen Kopf und Beckenwand empor und an die ent-
sprechende Stelle zu führen, geschweige denselben auszuziehen.
Hinsichtlich dieser Einkeilung macht sich vorzüglich der
Umstand geltend, dass die Aushöhlung* des Kreuzbeins in
diesen Becken oft eine geringere ist, als gewöhnlich, und dass
überdies nicht selten die Verkürzung der Durchmesser gegen
den Beckenausgang zunimmt.
Bei dieser allgemeinen Beckenenge, welche ich in
Jena und Umgegend nicht allzuselten als Geburtshinderniss
zu beobachten Gelegenheit hatte, *) ist häufig schon die erste
1) Folgende drei Falle schwerer Entbindung Erstgebärender
wegen constatirter allgemeiner Beckenenge ans meinem früheren
Wirkungskreise mögen hier mitgetheilt werden. ,
Der erste Fall, welcher mich zugleich von dem Ungenügenden
der alleinigen Perforation, und der Notwendigkeit der Kephalo-
thryp8ie oder einer anderen directen Verkleine ruugsoperation
des kindlichen Schädels bei erheblicher Beckenenge überzeugte,
betraf eine 37 Jahre alte mittelgrosse Baue rf rau, welche am Morgen
des 20. April 1842 in einem l1/» Stunden von Jena entfernten
Dorfe zu kreissen begonnen hatte. Die zu Anfang der Geburt
vorhandenen Krampf wehen verzögerten trotz der nach ärztlicher
Vorschrift angewendeten Arzneien die Erweiterung des Mutter-
mundes bis zum Morgen des 22. , an welchem ich hinzugerufen
wegen bereits eingetretener Verlangsamung der Herztöne der
für Geburtshülfe in Berlin. 71
Geburt für die Mutter, wie für die Frucht verderblich, theils
indem die Geburt viele Tage sich hinzieht, und mit schweren
Fracht und sehr beträchtlicher Kopfgeschwulst mich veranlasst
sah, die Aasziehung des in der Beckenhöhle feststehenden Kopfes
mit der Kopfzange an versuchen. Allein der mit einer so
beträchtlichen Geschwulst bedeckte Kopf, dass die anwesende
Hebamme an ihrer anfanglichen Diagnose irre geworden, jetzt
den Steiss an fühlen glaubte, füllte das Becken so vollständig
ans, dass trotz entsprechender Anstrengung derselbe nicht von
der Stelle bewegt werden konnte. Da inzwischen die Herztöne
der Frucht aufgehört hatten, wurde der Schädel sofort mit dem
trepanförmigen Perforatorium*) ausgiebig geöffnet, und das Hirn
mittels Einspritzung warmen Wassers entleert. Als der Kopf
auch jetzt den erneuten Tractionen mit der Zange nicht folgte,
wartete ich bis, gegen Abend, um die Wirkung der Fäulniss auf
die Nachgiebigkeit des Kopfes zu benutzen. Jetzt erst gelang
es, den Kopf mit der Zange zu Tage zu fördern. Auch die Aus-
ziehung der Schultern des keineswegs ungewöhnlich grossen
Knaben forderte einen beträchtlichen Kraftaufwand; die Nach-
geburt folgte bald. Die Enthundene starb zwölf Stunden später
nach heftigen* Delirien. Die Section ergab eine Durchreibung
der Scheide dem Vorberge entsprechend, die beiden Svnchondroses
sacroiliacae geborsten, so dass die Spalte %— 1" weit klaffte.
Sp. J. =• 7" 10"', Querdurchmesser des Beckeneinganges = 4" 2"',
des Ausganges = 3" 6'", der gerade Durohmesser des Einganges
— 3" 2'", der Beckenhöhle = 4" 1'", des Ausganges = 3" 1'".
Der zweite Fall ereignete sich am 23. Mai 1846 in der ge-
burtshülflichen Klinik zu Jena. Eine 27 Jahre alte Primipara (J.W.)
bot nach 14 stündigen kräftigen Geburtswehen, fünf Stunden nach
dem Blasensprunge die Zeichen einer Quetschung der mütter-
lichen Weichtheile an der linken Seite im Becken: allmälig
zunehmenden Schmerz an der betroffenen Stelle und Anschwellung
der tiefer gelegenen Theile. Es wurde deshalb von dem die
Kreissende beobachtenden Praktikanten in meiner Gegenwart die
Zange an dem ungewöhnlich quer, in der Beckenhöhle stehenden
Kopf der Frucht angelegt, und mittels kräftiger, fast V4 Stunde
lang fortgesetzter Tractionen ein in Folge von Berstung des
Sinns longitndinalis (wie die Section ergab) abgestorbener Knabe
von sechs Pfund Gewicht extrahirt. Die Nachgeburt folgte ohne
Störung. Eine bald auftretende Perimetritis und Peritonitis
endigte am zwölften Tage mit dem Tode der Mutter. Die
Section bestätigte ausser dem linksseitigen Beckenabseesse
und Peritonäalezsudate, die während der Geburt in Folge der
*) Die Abbildung desselben a. Martin, Handatlas der Gynäkologie und
Geburtabfilfe. Berlin 1862. Taf. LX1X., Flg. 5.
72 II« Verhandlungen der Gesellschaft
Quetschungen der den Beckenkanal auskleidenden Weicbtheüe
verbunden ist, theils indem Berstungen der Beckensymphysen,
zumal bei forcirten Entbindungen mit der Zange u. s. w. iu
Stande kommen.
Zufolge der von mir und Anderen (z. B. Fr. C. Nägele)
gemachten Erfahrungen halte ich bei allgemeiner Becken-
enge, mag sie eine ebenmässige, oder mit vorwiegender Ver-
kürzung eines einzelnen Durchmessers verbunden sein, die
Einleitung der Frühgeburt auch bei Erstgebärenden
vollständig gerechtfertigt, ja dringend geboten, sobald
als ein erheblicher Grad der allseitigen Verkürzung der Durch-
messer nachgewiesen ist Zu diesem Nachweise reicht aber,
wie begreiflich, die Messung der Conjugata diagonalis keines-
wegs aus, sondern es bedarf einer allseitigen Ausmessung des
Beckens, insbesondere auch der Messung des Umfangs der
Beckenmessung gestellte Diagnose einer Peivis ubiqne justo
minor, indem Sp. J. = 9" 1'", Cr. J. = 9" 9'", Conjng. exter.
« 67, ", Conjng. diagonalis = 4", Conjug. vera -= 3" 4'",
Querdurchmesser im Beckeneingange = 4" 6'", die schrägen
Durchmesser = 4" J'" maassen. In der Beckenhöhle maass der
gerade Durchmesser = 3" 9'", der Querdurchmesser =a 8" 10'",
in der dritten Apertur der gerade Durchmesser = 3" 3'", der
Querdurchmesser 3" 3"'.
Ein drittes Beispiel von sehr erheblicher, durch Tetanus
uteri und Vorfall der Nabelschnur complicirter Geburtsverzöge-
rung in Folge von allgemeiner Beckenenge bot der geburtshülf-
lichen Poliklinik die 27 Jahre alte ledige A. K. in G., einem zwei
Stunden von Jena entfernten Dorfe, welche stets durch ihre
Kleinheit aufgefallen war, und erst als zweijähriges Kind gehen
gelernt hatte« Am rechtzeitigen Ende ihrer ersten von anhaltendem
Kummer und Verdruss gestörten Schwangerschaft, stellten sieb
am 11. August 1857 Wehen ein, welche den Muttermund troti
verschiedener Medication nicht früher als am 14. Vormittags
so erweiterten, dass man jetzt die Verkleinerung und Aus-
ziehung des in Folge des Druckes auf die vorgefallene irreponible
Nabelschnur abgestorbenen Kindes mit dem Kephalothryptor be-
werkstelligen konnte. Die Wöchnerin starb in Folge von Peri-
tonäalezsudat und Lungenödem drei Tage später, und die Section
ergab: Conjug. vera = 3" 1'", diagonalis 3" 10'", Querdurch-
messer des Beckeneingangs = 4" 9'", während an der Lebenden
8p. J. = 9", Cr. J. « 10" 1"', Conjug. externa « 6" 6'", und
die beiden schrägen Durchmesser des grossen Beckens je 7" 6'"
gemessen waren.
für Geburtahülfe in Berlin. 73
Höften, welchen ich in derartigen Fällen erheblich unter dem
Normalmaasse (31—36 Zoll) nämlich zwischen 26—28 Zoll
gefunden habe.1)
Zwei Beispiele allgemeiner Beckenenge, welche zur
künstlichen Frühgeburt bei der ersten Schwangerschaft An-
lass gaben, mögen hier ihre Stelle finden.
Die ledige C. Q. war nur 4 Fuss 2 Zoll gross, von
äusserst zierlichem Knochenbaue, kindlichen Händen und Füssen,
und seit dem fünfzehnten Lebensjahre regelmässig menstruirt
Seit Anfang Februar 1848 zum ersten Male schwanger meldete
sie sich im September zur Aufnahme in die Entbindungs-
anstalt zu Jena. Die Beckenmessung ergab Conjugata externa
= 6V2 Zoll, C. diagonalis = 4 Zoll 1 Linie , so dass man bei
dem üblichem Abzüge von 3 Zoll 5 Linien resp. 8 Linien
den geraden Durchmesser des Beckeneingangs = 3 Zoll
1 — 5 Linien anzunehmen hatte; der vordere Querdurchmesser
des grossen Beckens (Sp. J.) maass 7% Zoll, der hintere
(Cr. J.) 8V2 Zoll — Nachdem die allgemeine Beckenenge
constatirt war, wurde in der 34. Woche der Schwangerschaft,
am 3. October 1848, die künstliche Frühgeburt zunächst
mittels der Uterusdouche einzuleiten versucht Allein trotz
vier und dreissig Douchen von bis zu 35° ßäaum. erwärmtem
Wasser mittels eines Kitoüch' sehen Apparats war bis zum
13. October nur eine mangelhafte Wehenthätigkeit erzielt,
dagegen eine beträchtliche Anschwellung der Mutterlippen ver-
ursacht Desshalb legte ich jetzt einen konischen Press-
schwamm in den noch wenig geöffneten Muttermund ein.
Zwölf Stunden später hatte sich die nach dem Gebrauche der
Douche eingetretene blasenartige Anschwellung der hinteren
Mutterlippe verloren, und der Muttermund zu Silbergroschen-
grosse erweitert, wenn auch die Ränder desselben sich noch
hart anfühlten. Gegen Mittag des 15. October endlich sprang
1) Ueber die Beckenmesstrog bei Schwangeren und Gebärenden,
soweit dieselbe von praktischem ftutzen ist, und über eine
Modification des Baudelocquey sehen Compas d'epaisseur, um den-
selben in jedem geburtshilflichen Bestecke unterzubringen, werde
ich mich in einer der folgenden Sitzungen aussprechen; die Ab-
bildung des letzteren findet sich auf Tafel LXIX. , Fig. 1 meines
Handatlas der Gynäkologie und Geburtshülfe. Berlin 1862,
74 n. Varhandhuigeii der Gesellschaft
die Fruchtblase. Der Kopf rückte in das Becken herab,
erschien aber gegen Abend so fest im Becken eingekeilt, dass
ich, als die Herztöne der Frucht verlangsamt wurden, mich
zur Extraction mittels der Kopfzange genöthigt sah. Das zu
Tage geförderte lebende Mädchen wog 5 Pfund 4 Loth, Und
war 12 Zoll resp. 17 Zoll lang; dasselbe wurde, da die
Mutter an einer Metroperitonitis mit nachfolgender Diarrhoe
erkrankte, von einer anderen Wöchnerin gesäugt, und gedieh
in erwünschter Weise, obschon das Kind bis zum Jahre 1858,
in welchem es mir aus den Augen gekommen ist, auch nur
eine geringe Körpergrösse erreicht hat Die Mutter genas,
so dass sie am 4. December die Klinik völlig wohl verlassen
konnte und 1850 eine zweite künstliche Frühgeburt daselbst
durchmachte, welche sofort mittels des Pressschwamms ein-
geleitet wurde, jedoch nur für die Mutter ein günstiges
Resultat ergab.
Die andere zum ersten Male schwangere (L. Pf.),
welche wegen beträchtlicher allgemeiner Beckenenge mittels
künstlicher Frühgeburt entbunden wurde, hatte in der Kind-
heit an Rbachitis gelitten, und erst im vierten Jahre gehen
gelernt. Die Beckenmessung ergab Sp. J. = 8 Zoll, Cr. J.
= 8% Zoll, Troch. = 10% ZoD, Conj. extern. = 6 Zoll,
diagon. = 33/4 — 4 Zoll. Die letzte bis dahin regelmässige
Menstruation sollte Ende Juni 1858 Statt gefunden haben.
Dem Einlegen des elastischen Catheters in die Gebärmutter-
höhle wurde am 26. Februar 1859 eine einmalige Anwendung
der Cterusdouche und ein Abführmittel aus Sal amarum
vorausgeschickt Bei der Einführung des Katheters floss
Fruchtwasser ab, fünf Minuten darauf stellten sich Wehen ein,
welche jedoch bald sehr schmerzhaft und wenig wirksam
wurden, so dass ich alle Stunden Rad. ipecacuanhae gr. ij.
zu geben verordnete. Sechszehn Stunden nach Beginn der
Wehen kam der lebende Knabe in erster Schädellage durch
kräftige Wehen zu Tage, und zeigte einen rothen Druck-
streifen oberhalb der linken Schläfe, welche vor dem Vorberge
herabgetrieben war; er wog 5 Pfund 27 Loth; seine Kopf-
durchmesser betrugen 3V8 Zoll, 4% Zoll, 47/8 Zoll. Das
Wochenbett verlief bis auf vorübergehende Ischurie glücklich.
ffir Gebnrtehülfe in Berlin. 75
Bei partieller Beckenenge hingegen, welche wie überall
am häufigsten, so auch in allen von mir hier zu nennenden
Fällen den geraden Durchmesser des Eingangs betraf, und
die Folge der in der Kindheit überstandenen Rhachitis war,
halte ich, falls überhaupt von der künstlichen Frühgeburt
dabei die Rede sein kann, die Verkürzung also nicht so be-
trächtlich ist, dass nur der Kaiserschnitt dem Kinde Rettung
zu bringen vermag, das Abwarten der ersten oder mehrerer
Geburten für gerathen, indem man nicht selten, sogar gegen
Erwartung, die erste Geburt glücklich für Mutter und Kind
verlaufen sieht. Die Umstände, welchen die allein im
geraden Durchmesser, sogar bis zu 2% Zoll verengten
Becken bei der ersten Geburt diesen Vorzug verdanken,
sind folgende:
1) Die ersten Kinder der in der Kindheit rbachitisch
gewesenen Mütter pflegen, wie bereits Stein d. J. dargethan,
klein und von nicht sehr harten Schädelknochen, daher
fügsam zu sein, so dass dieselben, wenn schon mit stark
verschobenen Kopfknochen oder mit seichteren oder tieferen
Knocheneindrücken am Schädel, den engen Beckenkanal
passiren, ohne dadurch immer am Leben gefährdet zu werden,
oder das Leben und die Gesundheit der Mutter zu gefährden.
2) Die Wehen erscheinen zumal bei der ersten Geburt
solcher Frauen, welche in Folge von Rhachitis partiell verengte
Becken haben, wenn nicht anderweite besondere Umstände vor
der Geburt einwirkten, kräftig, die Configuration der Gebär-
mutter pflegt eine normale, daher die Kindeslage und Ein-
stellung eine für den Geburtsverlauf günstige zu sein. Dazu
kommt, dass die bei der ersten Geburt noch unverletzten
Gewebe der mütterlichen Weichtheile im Becken länger den
partiellen Druck, dem sie während der Geburt ausgesetzt werden,
ertragen, ohne durchrieben zu werden oder zu zerreissen.
3) Vor Allem aber trägt zu dem günstigen Verlaufe der
Geburten bei partiell -gerad verengten Becken der Umstand
bei, dass neben dem vorspringenden Vorberg und dem nicht
selten gleichzeitig nach innen hervorragenden Schamfugen
knorpel, in Folge des nicht verkürzten, ja bisweilen sogar
verlängerten Querdurchmessers Raum genug sich findet, um
das vollere Hinterhaupt mit dem hinteren grösseren Quer-
76
,11. Verhandlungen der Gesellschaft
durchmesser herabrücken zu lassen, während bei dieser seit-
lichen Vorlagerung des Kopfes der kleinere und nachgiebigere
vordere Querdurchmesser des Schädels zwischen den
Schläfengegenden in den verkürzten geraden Durchmesser
gelangt, und hier passiren kann. Da dieser vordere Quer-
durchmesser nach einer Messung an 200 Neugeborenen durch-
schnittlich nur 3 Zoll beträgt, *) während der hintere zwischen
1) Folgende tabellarische Zusammenstellung von 200 in der
geburtshilflichen Klinik sn Berlin während der letzten drei
Jahre angestellten, aus einer weit grösseren Zahl ohne Auswahl
herausgezogenen Schädelmessungen an 100 neugeborenen
reifen Knaben und 100 Mädchen mag das gegenseitige Verhältniss
der verschiedenen 8chädeldurchmesser veranschaulichen. Zu-
gleich wird aus der Tabelle ersichtlich, dass die Maasse der
neugeborenen Mädchen, wie deren Gewicht, durchschnittlich
geringer sind, als die der Knaben, von welcher Regel allein der
vordere Querdurchmesser eine Ausnahme zu machen scheint.
Eine Zusammenstellung der Resultate folgender Tab eile ergiebt
1. für den vorderen Querdurchmesser zwischen den beider-
seitigen unteren Enden der Kronennaht:
bei Knaben bei Mädchen
weniger als 3" fand sich derselbe 27 ( .- -a j 29
- »" » n , 60 77:73 44
3''l"bis3''3'''. . „ 22 L2724
darüber „ „ „ i|23.27j 3
2. für den hinteren Querdurchmesser zwischen den beiden
Scheitelhöckern :
bei Knaben bei Madchen
weniger als 3" 3"' betrug derselbe TJ^ . RR \ 12
3" 4"
3.
43 : 55
67
43
46 3?
bis 3" 5"' „ »36)
= 3"6'" . „ 62J
darüber „ „ 5(*" ,wi 6
für den geraden Durchmesser zwischen der Stirn und dem
Hinterhauptsbeine :
bei Knaben bei Mädchen
69
28
J41
25
weniger als 4" 2"' betrug derselbe 22 j KO
4" 8* bis 4" 5'" „ - 30 52:
= 4" 6'" w w 38;
darüber n „ 10 148:31| 6
4. für den grösseren Diagonaldurchmesser vom Kinn bis zum
Hinterhauptsbein:
bei Knaben bei Mädchen
weniger als 4" 11'" betrug derselbe 16 j Aa ^U*
= 6" „ „ 30|46:60,43
von 6" 1'" bis 6" 8 '" „ »33 26
darüber „ „ 2l|64:40j14
5. für den kleineren Diagonaldurchmesser zwischen dem unteren
Ende des Hinterhauptbeins am Nacken und dem hinteren
Winkel der grossen Fontanelle:
fikr Geburtehülfe in Berlin.
77
den Scheitelböckern 31/* Zoll zu messen pflegt, und überdies
nachgiebigere Endpunkte als der hintere Querdurchmesser
bei Knaben, bei Mädchen
weniger als 3" 2'" betrog derselbe 20 L0 .„(21
Yon3"8'"bis8"6'" „ „ 12iOT**7|26
• n n
darüber „ -
62) (45
lö! 68:63]
Querdurchmesser :
Gerader
Längerer | Kürzerer
a.
6.
Durch-
Diagonal-
vorderer.
hinterer.
messer.
durchmessen
Zoll.
Linien.
Kna- 1 Mftd-
Kna- 1 Mäd-
Kna-
Mäd-
Kna-
Mäd-
Kna-
Mäd-
ben. 1 chen.
ben. 1 chen.
ben.
chen.
ben.
chen.
ben.
chen»
2
2
— ! 1
2
3
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2
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7
2
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1
3
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60
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—
—
—
—
10
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2
8
2
1
—
—
—
—
3
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3
2
6
7
—
2
—
—
—
—
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2
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3
14
14
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16
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6
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—
—
—
—
1
1
—
—
100
100
100
100
100
100
100
100
100
100
gO II. Verhandlungren der Gesellschaft
3. Aus demselben Grunde zeigen sich auch die Wehen
bei späteren Geburten der mit verengtem Becken behafteten
Frauen minder regelmässig, und dürfen wegen drohender
Durchreibung und Zerreissungen nicht in dem Maasse ge-
steigert oder so lange abgewartet werden, als bei Erst-
gebärenden, deren Geburtswege noch nicht den nachteiligen
Einwirkungen des Druckes ausgesetzt waren. —
Erwägt man alle diese Verhältnisse, so wird es einleuch-
ten, dass bei den gerad-verengten Becken mittleren
Grades ohne gleichzeitige Verkürzung der übrigen
Durchmesser das Abwarten der ersten oder auch wohl
mehrerer Geburten empfohlen werden darf und tnuss, und
die künstliche Frühgeburt erst alsdann für indicirt zu halten
ist, wenn sich gezeigt hat, dass die Geburt eines ausgetragenen
Kindes bei dem vorliegenden Becken für die Mutter oder das
Kind verderblich werde.
Ein bestimmtes Maass für die Conjugata als In-
dicans für die künstliche Frühgeburt festzustellen, scheint um
so weniger rathsam, je mehr die Schwierigkeit der Geburl
hier zugleich von der Grösse des Kindes, insbesondere seines
Kopfes, sowie von dessen Härte abhängt, so dass in einzelnen
von mir beobachteten Fällen bei einer Conjugata von weniger
als 3 Zoll auch noch die Früchte wiederheiter Zeugung glück-
lich geboren wurden, während dies in andern Geburtsfällen
nicht der Fall war, obschon die Conjugata der Mutter mehr
als 3 Zoll maass. Sehr viel hängt dabei ab:
1) von der Gestalt des Beckeneingangs, ins-
besondere, ob der Vorberg etwa nach der einen Seite hin
verschoben ist, und diese entsprechende Hälfte des Becken-
eingangs dadurch vorzugsweise verengt wird,
2) von der Art und Weise, in welcher der Kopf sich
dabei auf den Beckeneingang einstellt, ob mit dem
dickeren Hinterkopfe auf der engeren Hälfte, oder umgekehrt
mit der schmäleren Stirn; ein Verhältniss, welches ich in
mehreren Beispielen von Geburt durch ein ungleich verengtes
Becken so einflussreich gefunden habe, dass dieselben Frauen
(abgesehen von dem bereits erwähnten wichtigen Einflüsse der
beträchtlichern Grösse und Härte des Schädels bei Knaben)
das eine Mal leicht und rasch, das andere Mal nicht ohne
für Geburtehülfe in Berlin. 81
Kunsthülfe eDtbunden wurden, oder erst dann einen glück-
lichen Erfolg der Wehen sahen , wenn sich aus der ungünstigen
Schädelstellung etwa eine Gesichtslage spontan herausgebildet
hatte. Indem das dickere Hinterhaupt auf der engeren
Beckenhälfte stehen blieb, und alhnälig die Stirn, endlich das
Gesicht in die Beckenhöhle herabgelangte, erfolgte, wie ich
beobachtete, die Geburt oft rasch, u. A. bei einer Frau
zwei Mal in derselben Weise mit der entsprechenden Drehung
des Kinns unter den Schambogen.
Für diese nicht sehr seltene ungleichmassige Becken-
verunstaltung bietet, wie ich bei einer anderen Gelegenheit1)
gezeigt habe, die Wendung auf den Fuss unter den dort
dargelegten Umständen ein Mittel, das Leben auch der reifen
Frucht zu retten.
Bei denjenigen Mebrgebärenden, bei welchen ich die Früh-
geburt wegen vorwiegend gerad- verengter Becken eingeleitet
habe, Hess die innere wie die äussere Beckenmessung nach
dem angenommenen Durchschnittsabzuge von 3 Zoll 5 Linien
für die Conjugata externa , und von 8 Linien für die Diagonal-
Conjugata eine Conjugata vera von 2 Zoll 7 Linien bis 3 Zoll
4 Linien annehmen. Sämmüicbe Frauen hatten eine bis
sieben schwere Entbindungen von todten Kindern mittels Zange
oder Perforation oder Kephalothrypsie bereits erduldet, und
in Folge davon mehr oder weniger schwere Wochenbetten
durchgemacht. —
In einem Falle war die Raumbeschränkung des Geburts-
kauales durch eine in der Beckenhöhle und zwar an
der hintern Wand festsitzende solide Geschwulst
bedingt.
Die betreffende Beobachtung, welche in der geburtshülf-
licben Klinik der Universität Berlin am 27. Juli 1859 und
den folgenden Tagen gemacht wurde, indem ich durch Ein-
legung eines elastischen Katheters die künstliche Frühgeburt
mit günstigem Erfolge für die Mutter einleitete, ist von dem
damaligen Assistenten der Klinik, Dr. Olshauten bereits in
dieser Zeitschrift, Bd. XVIII., S. 362 ff. veröffentlicht worden
und mag daher hier nur dorthin verwiesen werden.
1) S. Monatsschrift für Gebnrtsk., XV. Bd., S. 16 ff.
XonttMchr. t GeburUk. 1862. Bd. XIX., Hfl X u. 2. 6
32 H- Verhandlungen der 0 es ellschaft
II. Von denjenigen indicaiionen zur künstlichen Früh-
geburt, welche durch Zufälle und Erkrankungen, die
das Leben der Mutter bedrohen, gegeben werden, sind
mir, abgesehen von den hier näher nicht zu besprechenden
Fällen von Gebärmutterblutungen in Folge von Placenta
praevia u. s. w. nur zwei Beispiele von anhaltenden belligsten
Athembeschwerden zur Behandlung gekommen. Diese Atem-
beschwerden mit dauernder Schlaf- und Appetitlosigkeit,
Unvermögen zuliegen und zugeben und ödematöser Anschwellung
der Beine ohne Eiweissurin waren die Folge von enormer
Ausdehnung der Gebärmutter durch Hydramnios.
Die beiden Fälle mögen hier folgen.
1. Hydramnios, Zwillingsschwangerschaft mit ein-
fachem Mutterkuchen. Eihautstich in der 31.
Schwangerschaftswoche. Erhaltung der Mutter.
Frau N. , 84 Jahre alt, in W., einem V4 Stunde von
Jena entfernten Dorfe, eine4 grosse, wohlgebaute, früher stets
gesunde Frau, welche bereits vier gesunde Kinder rechtzeitig
glücklich geboren und die Menstruation Mitte März 1858
zum letzten Male bemerkt hatte , erlitt Anfang Mai desselben
Jahres anhaltenden Aerger und Kummer, welchen häufige,
ziehende Schmerzen in beiden Seiten des Leibes schon im
Juni folgten. Während des Juli und August bemerkte sie
eine so auffallende, rasche Ausdehnung des Leibes, dass sie
bis zum September einer Hochschwangeren glich, obschon
sie erst sechs Monate schwanger war; zugleich trat bei Ab-
magerung des Oberkörpers starkes Oedem der Beine auf.
Deshalb und wegen der Anfang October sich mächtig stei-
gernden Alhembeklemmung , suchte Frau N. Hülfe in der
geburtshülflichen Poliklinik. Man fand den Leib enorm aus-
gedehnt, ausgebreitete Fluctuation zeigend, 2% Elle im Um-
fange, und eine Elle von der Herzgrube zur Schamfuge messend.
Kindestheile waren durch die gespannten Bauchdecken nicht
zu fühlen, während der vorliegende Kindestheil klein und leicht
beweglich erschien. Ein wiederholtes Abführmittel erleichterte
wenig. Die peinlichen Zufalle erlangten, nachdem in Folge
einer Durcbnässung am 10. Oktober eine Pneumonie hinzu-
getreten war, bis zum lö. einen höchst bedenklichen Grad;
für Gebartahülfe in Berlin. 83
die schläflose Kranke inusste fortwährend in einer halbsitzen-
den Stellung zubringen; endlich gesellte sich zu der Athem-
noth Bluthusten. Unter diesen Umständen vollzog ich Abends
10 Uhr mit dem Meissner'schen Instrumente den Eihautstich,
höher oben in der Gebärmulterhöhle, damit die enorme Quan-
tität Fruchtwasser nicht plötzlich,- sondern allmälig abfliesse.
Das aufgefangene, mit Salpetersäure versetzte Fruchtwasser
zeigte eine deutliche Gerinnung, somit Eiweissgehalt. Im
Laufe des folgenden Tages traten Wehen , ein welche
unter fortdauerndem Wasserabflüsse am frühen Morgen des
18. October einen 2 Pfund 28. Loth ^chwefen, todten Knaben
in erster Fusslage austrieben. Der Leib der Mutter blieb
stark ausgedehnt und es bestätigte sich jetzt die bereits aus-
gesprochene Vermuthung, dass eine Zwillingsschwangerschaft
bestehe. Nachdem die Wehen mehrere Stunden ausgesetzt
hatten und der Muttermund wieder zusammengefallen war,
dagegen Blutabgang aus den Genitalien und in Folge davon
Ohnmachtsanwandlungen sich eingefunden, eröffnete ich um
Mittag die zweite Fruchtblase, wobei sich ebenfalls eine sehr
beträchtliche Menge Fruchtwassers entleerte. Nach 2 Stunden
erfolgte die Geburt eines zweiten, 4 Pfund 28 Loth schweren
Knaben, ebenfalls in erster Fusslage. Die Gebärmutter zog
sich jetzt gehörig zusammen, und die Nachgeburt konnte
% Stunde später ohne Mähe weggenommen werden; sie wog
2 Pfund 16 Loth; der sehr grosse Mutterkuchen war ein
gemeinschaftlicher, auf dessen Innenfläche deutliche Coinmu-
nicationsäste zwischen den Gefässen der beiden Nabelschnüre
bestanden. In dem gemeinschaftlichen, ziemlich festen Chorion
lagen, nur theilweise damit verklebt, die beiden Amnien, welche
unter einander innig verbunden waren; die sehr sulzreicbe
ödematöse Nabelschnur des ersten Kindes inserirte nahe an
der Verbindungsstelle der beiden Amnien. Die beiden Knaben
zeigten bei der am folgenden Tage angestellten Section keine
•Pemphigusblasen, wohl aber Oedem der Kopf- und Bauchhaut,
viel blutiges Serum .in dem Arachnoidealsacke, wenig in den
Brustfell- und Herzbeutelsäcken, beträchtliche Mengen hellen
Serums in den ausgedehnten Baucbfellsäcken, die Milz über
das Dreifache vergrösserl Die Wöchnerin genas unter einer
einfachen Behandlung in wenig Wochen vollständig.
84 H. Verhandlungen der Gesellschaft
3. Hydramnios bei einer zum siebenten Male
Schwangeren, Eihautsticb in der 28. Schwanger-
schaftswoche, Zwillinge mit einfachem Mutter-
kuchen. Erhaltung der Mutter.
Frau Bierbrauer Z. in S., einem fünf Stunden von Jena
entfernten Dorfe, 32 Jahre alt, gracil, war früher bis auf
lastige Fussschweisse gesund, und überstand sechs voraus-
gegangene Schwangerschaften und Geburten, zuletzt vor zwei
Jahren, glücklich. Anfang Februar 1853 war die Menstruation
zum letzten Male aufgetreten. Frau Z. glaubte sich seit
dieser Zeit von Neuem schwanger. Ende April hatte sie
nach einem starken Regen bei dem Ausräumen ihres Milch-
kellers die Füsse durchnässt, und litt seit dieser Zeit an
peinlichen Leibschmerzen, unter welchen die Ausdehnung des
Unterleibs rasch auffallend zunahm, sodass derselbe am Ende
des Monats Juli dem einer Hochschwangeren glich. Nach
einem heftigen Aerger steigerten sich die vorhandenen Be-
schwerden dermaassen, dass jetzt Hülfe bei einem in der
Nähe wohnenden Arzte gesucht wurde. Dieser verordnete
anhaltendes Liegen, wodurch die vorhandene Geschwulst
der Füsse sich verlor, ferner Abführmittel , Schröpf köpfe und
Vesicatorien. Dessenungeachtet nahmen die Beklemmungen
und die nächtliche Unruhe zu und stiegen zu einem
solchen Grade, dass mein Rath am 3. August 1853 ver-
langt wurde. Ich fand die Schwangere ächzend und weh-
klagend, seit mehreren Tagen ununterbrochen in halbsitzender
Stellung, weil sie nicht mehr liegen konnte, die Zunge gelb-
braun belegt, Durst hellig, Appetit mangelnd. Der Bauch
war enorm, gleichmässig ausgedehnt, zeigte in der Nabel-
gegend einen Umfang von 3 Fuss 8 Zoll, und bot bei der
Percussion bis zu den Rippen hinauf einen leeren Schall, im
Epigastrium und dem linken Hypochondrium hingegen Magen-
und Darmton. Während man ausgebreitete Fluctuation nach-
weisen konnte, war das Uteringeräusch nicht zu entdecken.
Bei der inneren Exploration fand ich das Scheidengewölbe
ziemlich hoch, elastisch gespannt, den stark nach hinten ver-
zogenen Scheidenlheil zu einem dünnen wulstigen Ring ver-
strichen, den Muttermund geöffnet, aber unnachgiebig; der
hindurch geschobene Zeigefinger, erreichte die elastisch ge-
für Gebnrtsbülfe in Berlin. 85
spannten Eihäute, welche mit Unebenheiten bedeckt erschienen.
Die Harnblase enthielt sehr wenig dunkelgelben Urins ohne
Eiweissgebalt. — Die Indieation zur Zerreissung der Eihäute
und somit zur Frühgeburt war durch die Lebensgefahr dec
Mutter gegeben. Demgemäss sprengte ich sofort die Eihäute
einige Zoll oberhalb des inneren Hutlermundes mittels eines
eingeschobenen männlichen Katheters, und entleerte über
14 Pfund eines geruchlosen, in der Siedhitze nicht gerinnen-
den Fruchtwassers. Der Uterus zog sich merklich zusammen,
und der Steiss einer Frucht zeigte sich sofort im Muttermunde,
während deutlich Uteringeräusch in beiden Seiten der Mutter
wahrgenommen werden konnte. Als ich die Kranke Abends
verliess, fühlte sie sich wesentlich erleichtert. Am folgenden
(4. August) Morgen 9 Uhr, traten lebhafte Wehen ein, welche
gegen Mittag zuerst einen lebenden etwa 7 Monate alten,
stärkeren Knaben in der Beckenendlage, und bald darauf einen
etwas schwächeren aber ebenfalls athmenden Knaben in der
Kopflage austrieben. Auch hier fand sich an der von der an-
wesenden Hebamme in üblicher Weise entfernten Nachgeburt,
welche mir sammt den Früchten sofort zugeschickt wurde, nur
ein Chorion und ein Mutterkuchen, dagegen zwei Amnien,
an deren Verbindungsstelle der 30 Zoll lange Nabelstrang des
zweiten Kindes sich inserirte. Die Wöchnerin erholte sich
bald, sodass sie am *11. September desselben Jahres sich mir
in Jena vorstellen konnte.
III. Die dritte Reihe der Indicalionen für die künstliche
Frühgeburt, nämlich derjenigen, welche nach dem Ausdrucke
der Compendien durch das habituelle Absterben der
Früchte in den letzten Monaten der Schwangerschaft
gegeben werden, bedarf, soweit meine Erfahrung reicht, zunächst
noch einer eingehenderen Erörterung, bevor sie aus der Reihe
der theoretischen Aufstellungen in das Gebiet der rationellen
Praxis übergehen kann. Abgesehen von den Gefahren, welche
dem Kinde wie der Mutter von der Geburt bei engem Becken
drohen , wovon hier nicht mehr die Rede sein kann , da sie der
ersten Reihe der Indicationen zu Grunde liegen, bleiben hier
nur Krankheiten der Frucht zu besprechen, welche bei
längerer Fortsetzung des Intrauterinlebens das Kind bedrohen.
Unter den Fötalkrankheiten aber, welche sich bei demselben
96 n. Verhandlungen der Gesellschaft
Elternpaare constant wiederholen und somit ein Absterben
der Fruchte in den spateren Monaten auf einander folgender .
Schwangerschaften herbeiführen, kenne ich aus eigener, ob-
schon vielfaltiger Beobachtung nur die eine, welche ich den
Hydrops sanguinolentus foetus genannt habe.1) Und
diese Krankheit, bei welcher die Früchte eine mehr oder
weniger beträchtliche Ansammlung von Flüssigkeit mit ge-
schrumpften Blutkörperchen gemischt, sowohl in verschiedenen
serösen Säcken, z. B. in der Schädelhöhle, der Brust- und
Bauchhöhle, als auch in dem Unterhautzellgewebe, und fast
constant in der Nabelschnursulze zeigen, bei welcher die Epi-
dermis nicht selten in grösseren oder kleineren Blasen er-
hoben oder abgestossen erscheint, — diese Krankheit des Fötus
habe ich da, wo sie wiederholt den Tod oder das Sterben
der Früchte (denn in seltenen Fällen geringerer Entwicklung
der Krankheit lebten die Früchte unter der Geburt, athmeten
auch wohl einige Male unvollkommen nach derselben) zur
Folge hatte, und wo ich den Vater examiniren konnte, stets
nur bei vorausgegangener sogenannter constitutioneller Syphilis
der Eltern angetroffen. Bei dieser Ursache habituellen Ab-
sterbens der Früchte kann aber meines Erachtens die künst-
liche Frühgeburt nichts nützen, vielmehr ist, wie ich mehr-
fach erprobt habe, eine consequente Cur der Eltern vor
einer neuen Zeugung das einzige wirksame Mittel der Wieder-
kehr des traurigen Leidens vorzubeugen.
Was die Schwangerschaftszeit anlangt, in welcher
ich die Einleitung der Frühgeburt vornahm, so war ich zwei
Mal (in den beiden Fällen von exquisitem Hydramnios), durch
die drohende Lebensgefahr der Mutter gezwungen, bereits um
die dreissigste Woche die Operation zu verrichten. — Zwei
Mal veranlasste mich, und zwar bei derselben Frau, welche
ich zwei Jahre vorher mit Erhaltung von Mutter und Kind
mittels des Kaiserschnitts von einem ausgetragenen , noch
jetzt lebenden Mädchen entbunden hatte, die hochgradige
Beckenenge die Operation in der 32. Schwangerschaftswoche
1) Siehe (7. QeutebrUekt Dias. in. De hydrope eangninolento
foetus. Jenae 1843.
für Geburkrhaife in Berlin. 87
vorzunehmen. — In der drei und dreißigsten Woehe nöthigte
%mich eine sehr beträchtliche allgemeine Beckenenge, sowie
die ani Kreuzbeine festsitzende unnachbiebige Geschwulst zur
Operation« — Keines von den in so früher Zeit gebornen
Kindern konnte erhalten werden, obschon 5 (darunter ein
Paar Zwillinge beim Hydramnios) nach der Geburt lebhafte
Atbembewegungen machten, und drei dieselben bis über zwölf
Stunden fortsetzten.
Fünf Mal wurde die Frühgeburt in der vier und dreissig-
sten Woche erregt, und dabei drei Kinder dauernd erhalten,
ein Kind starb 8 Tage dt an Atrophie, ein anderes kam
todt zur Welt — Zehn Mal leitete ich die Frühgeburt in
der fünf und dreissigsten Woche ein, und hatte unter diesen
zehn Kindern nur zwei Todtgeborene, das eine unter Ent-
wicklung von Fäulnissgasen im Uterus, nach Einspritzung
von Wasser in denselben, das andere, nachdem die Geburl
vom Fruchtwasserabflusse ab noch dreissig Stunden gedauert
hatte. — In einem Falle, bei einer Secundipara, welche
l1/* Jahr zuvor mittels der Kephalothrypsie entbunden war,
hatte eine in der drei und dreissigsten Schwangerschaftswoche
aufgetretene Bronchitis mit lebhaftem Fieber mich gezwungen,
die Einleitung der Frühgeburt bis in die sechs und dreißigste
Woche hinauszuschieben. Bei der indess erreichten Grösse
der Frucht (welche 5 Pfund 12 Loth wog), und bei der
beträchtlichen Beckenenge, gelang dem Hülfe leistenden
Assistenten die Ausziehung des in der Fusslage mit Vorfall
der Nabelschnur sich einstellenden Kindes nicht rasch genug,
um dasselbe zu retten.
Unter den bei den 22 künstlichen Frühgeburten (mit
Einschluss der zwei Paar Zwillinge bei den Fällen von Hydramnios)
beobachteten Kindeslagen waren siebenzehn Schädellagen,
vier Beckenlagen mit vorgefallenen Füssen, drei Querlagen. — ■
Complicationen mit Vorfall der Nabelschnur kamen bei
einer Scbädellage und bei einer Fusslage vor; Wehenfebler
wurden fünf Mal als Ursachen der Geburtszögerung notirt
Die Ausfübrungsmethoden zur Einleitung' der
Frühgeburt wurden meißt so gewählt, dass die weniger
gg II. Verhandlungen der Ge«ellsehaft
eingreifenden zuerst zur Anwendung kamen, und nur, wenn
diese im Stich Hessen, zu den eingreifenderen geschritten«
wurde.
1. Das mildeste Mittel schien die Anwendung der Brust-
sauger von Kaoutschouk; sie wurden bei drei Frauen in
Gebrauch gezogen, und zwar alle 4 — 2 Stunden aufgesetzt,
und 10 — 25 Hinuten, später noch länger in Wirkung gelassen.
Obschon sie in einem Falle 14 Mal applicirt wurden , konnte
ich einen erheblichen Einfluss auf die Contraction der Ge-
bärmutter nicht constatiren, jedenfalls keinen solchen, dass
dadurch allein die Frühgeburt angeregt ward. Dagegen klagten
die Frauen früher oder später über Schmerzen an den Brust-
warzen und Brüsten, sodass ich mich veranlasst sah, in allen
übrigen Fällen von diesem Mittel abzusehen.
2. Den Kolpeurynter oder den Scheidentampon
habe ich, abgesehen von den zahlreichen Fällen, in welchen
ich durch heftige Blutungen zu Folge von Placenta praevia
u. s. w. mich veranlasst fand davon, und zwar mit befriedi-
gendem Erfolge Gebrauch zu machen, zwei Mal zur Einleitung
der Frühgeburt eingelegt In dem einen Falle bei einer zum
siebenten Male Schwangeren geschah dieses, nachdem drei
Tage lang die Brustsauger angewendet waren und der Eintritt
einer, wenn schon massigen Uterinblutung auf den Gehrauch
der warmen Scheidedouchen auch diese bei Seite setzen liess;
der Scheidentheil verstrich während der 57 Stunden lang
fortgesetzten Kolpeurysis, allein der Muttermund blieb mangel-
haft erweitert, weshalb sodann ein konischer Pressschwamm
eingelegt wurde, und 28 Stunden spater die Geburt eines
lebenden Rindes erfolgte. In dem anderen Falle machte ich
nach vierzehn Mal wiederholter, jedoch vergeblicher Einspritzung
von erwärmter Aqua picea in die Gebärmutterhöhle (welche
nur Anfangs wehenartige Schmerzen hervorriefen, aber die
Geburt nicht in den Gang brachten), Gebrauch vom Kolpeu-
rynter. Hier erfolgte unter langsam sich entwickelnden Wehen
die Erweiterung des Muttermundes, und 20 Stunden später
die Geburt eines todten Kindes.
Dass ich für jeden Fall eines neuen, noch nicht gebrauch-
ten Kofyeurynters mich bediente, ist selbstverständlich für
Jeden, der weiss, wie leicht Debertragungen von Krankheit»-
fflr Geburtahülfe in Berlin. 89
kamen auf die weiblichen Genitalien während der Zeit des
Kreissens und des Wochenbettes bedenkliebe Polgen haben.
3. Die Uterus- oder richtiger Scheidend ouebe wurde
in zwölf Fällen zur Einleitung der Frühgeburt angewendet,
und zwar in den sechs ersten Fällen mittels eines nach
Kiwiseh9 s Angabe construirten hydraulischen Apparats, bei
welchem die Wassersäule eine Länge von über 8 Fuss hatte,
und die untere Oefftrang des Scheidenrohres fast zwei Linien
im Durchmesser zeigte, später mittels einer tüchtigen Klyso-
pompe. Die Temperatur des 10 — 15 Hinuten lang in die
Scheide und an den Muttermund strömenden Wassers betrug
zu Anfang und in den letzten seebs Fällen stets nicht über
29 — 30° Räaum. In denjenigen Fällen, in welchen ich die
Wehenthätigkeit und somit den Eintritt der Geburt dadurch
zu bestimmen hoffte, steigerte ich die Temperatur nicht selten
allmälig bis zu 35° Reaum., ohne damit jedoch durchweg das
Ziel zu erreichen. Nur in zwei Fällen führte die Scheiden-
douche allein zum Ziele:
1) Bei einer zum dritten Male Schwangeren, Frau G.
(1847), welche ein Jahr zuvor bereits eine künstliche Früh-
geburt mittels Uterusdouche und Pressschwamm glücklich
überstanden hatte, veranlassten eilf innerhalb drei Tagen ge-
gebene warme Douchen die Geburt, jedoch eines todten Kindes
in der Steisslage. Ob die in diesem Falle folgende Endo-
und Perimetritis, zu welcher sich Gastro -Enteritis gesellte
und welche am neunten Tage nach der Geburt mit Per-
foration des Oesophagus und Austritt von Mageninhalt nebst
zwei Spulwürmern in den linken Pleurasack endigte, in ursäch-
lichem Zusammenhange mit dem Gebrauche der Uterusdouche
zu bringen sei, ist mir zweifelhaft, da andere Causalmomente
für eine ernstere Erkrankung in dem Verhalten der Wöch-
nerin gegeben waren.
2) E. D. aus S., eine zum zweiten Male Schwangere,
welche zwei Jahre zuvor nach dreitägigem Rreissen durch
einen auswärtigen Kollegen mittels Perforation von einem
todten Kinde entbunden und hierauf 7 Wochen lang bettlägerig
gewesen war, meldete sieb im März 1852 zu ihrer Entbindung
in der Entbindungsanstalt zu Jena. Sie war 4 Fuss 9 Zoll
gross und zeigte folgende Beckenmaasse: Sp. J. = 8" 3",
QO II. Verhandlungen 4er Gesellschaft
Cr. J. - 9", Troch. — ' 10", Conj. ext. « 6" 6W, diagon. - 4".
Die letzte Menstruation sollte Ende Juli 1851 stattgefunden
haben; deragemäss und nach dem sorgfältig erhobenen Befunde
bestand die Schwangerschaft über acht Monate. Da die Ein-
leitung der Frühgeburt durch die Beckenverbältnisse, zumal in
Betracht der Torausgegangenen schweren Entbindung inditirt
erschien, wurde am 24. März in der fünf und dreißigsten
Schwangerscbaftswocbe mit dem Gebrauche der Douche begonnen.
Nach der fünften Douche, zuletzt von 35° Reaun. warmen
Wasser traten am Nachmittage des 26. März kräftige Wehen
auf, welche am 27. früh 2 Uhr die Blase mit den Füssen
der Frucht in den Scheidenausgang herab drängten. Zwei
Stunden später erfolgte der Blasensprung, die Frucht rückte
mit einer Drehung aus der zweiten in die erste Fusslage
herab; die Lösung der Arme, wie des Kopfes gelang ohne
Aufenthalt. Der lebende, 11" resp. 17" lange, 4 Pfd. 12 Lth.
schwere Knabe zeigte folgende Kopfdurchmesser 3V4", 4",
4%". Die Nachgeburt folgte nach % Stunde, und das
Wochenbett verlief so günstig, dass die Mutter mit ihrem
Kinde am 10. April in ihre Heimath zu reisen im Stande war.
In drei Fällen machte trotz vielfacher und energischer
Anwendung der Douche die Geburt und insbesondere die Er-
weiterung des Muttermundes so geringe Fortschritte, dass ich
mich endlich zur Einlegung des Pressschwammes entschloss;
einmal folgte auf den Gebrauch dw Douche, wie schon an*
gegeben, eine wenn schon nicht bedenkliche Blutung, sodass
ich von deren weiteren Gebrauche absah und dafür des Kolpeu-
rynters mich bediente, dem schliesslich auch nocb der Press-
schwamm folgte. — In den sechs jüngsten Fällen bediente
ich mich der Uterusdocbe nur als Vorbereitung für die Ein-
legung des elastischen Katheters, und zwar je 2 — 3 Mal in
einem Zeiträume von 12 — 24 Stunden. Ich habe dadurch*
nicht sowohl den Eintritt von Weben , als eine Auflockerung
des Scheidentheils erzielt.
4. Der Pressschwamm kam in vier Fällen zur An-
wendung, stets nach vorausgeschickter Scheidendouche. In
sämmüichen Fällen kamen kräftige Wehen nach mehreren,
bis 28 Stunden, der mangelhaft erweiterte Muttermund gab
nach, und die Geburt erschien durch dieses Mittel wesent-
föT Gebortthülfe in Berlin. 91
lieh gefördert Da die Einlegung stets nach wiederholtem
Gebrauche der Douche und damit erzielter Auflockerung und
Eröffnung des Muttermundes Torgenommen wurde, mjftbte
dieselbe keine erbeblichen Schwierigkeiten. Der Ausgang er-
schien für die Mütter, obschon eine derselben an Endo- und
Perimetritis erkrankte, günstig; von den Kindern kam das
eine in Folge von Hyperämie der Hirnhäute und seröser Aus-
schwjtzung in die Pia mater todt zur Welt. Ein Beispiel von
erfolgreicher Anwendung des Pressschwammes mag hier folgen.
Frau W. Sek., 32 Jahre alt, 4' 6" hoch, zierlich, hatte
als Kind iya Jahre lang an der englischen Krankheit gelitten,
jedoch erst, nachdem sie bereits geben konnte;' Anne und
Beine zeigten geringe Spuren von Krümmung. Die Menstrua-
tion war im 17. Lebensjahre eingetreten, kehrte anfangs
regelmässig, nach einer Erkältung im zwanzigsten Jahre un-
pünktlich, zumal während des Sommers aussetzend, wieder.
Im zweiundzwanzigsten Lebensjahre verbeirathet, wurde sie
1846, 48, 49, 51 stets von todten Früchten, wiederholt
wegen Querlage mittels der Wendung auf die Füsse ent-
bunden; die Wochenbetten verliefen im Ganzen ohne Störung.
Nachdem am 9. Juni 1853 die Menstruation zuletzt sich ge-
zeigt, die Frucbtbewegungen siebenzehn Wochen darauf (Anfang
October) zuerst wahrgenommen waren, die Geburt also
am 16. März 1854 zu erwarten stand, meldete sich die
Schwangere von dem Wunsche, ein lebendes Kind au gebären,
durchdrungen auf den Rath ihrer früheren Aerzte, welche be-
trächtliche Beckenenge als Ursache der unglücklichen Geburten
erkannt hatten, ata 9. Januar 1854 in der Entbindungs-
anstalt zu Jena, um sich der künstlichen Frühgeburt zu unter-
ziehen. Die Beckenmessung ergab Sp. J. — 10", Cr. J.
— 10", Troch. « ll1/*", Conjug, extern. — 6V4", diagonalis
*m 3" '10'", so dass, da auch die Scbamfuge eine nach innen
vorspringende Leiste bildete, die Conjugata vera nicht grösser
als 3" angenommen werden konnte.
Dazu kam, dase die Pfanoengegenden, insbesondere die
linke, nach innen prominirten, und dadurch den Beckenkanal
noch ungünstiger gestalteten. Da ich durch die innere und
äussere Exploration auch jetzt eine Querlage der Frucht con-
statirte, so liess ich die Schwangere zunächst anhaltend, auch
92 H. Verhandinngen der Gesellschaft
des Nachts, eine elastische Leibbinde mit seitlich unterge-
schobenen Tüchern tragen, und die Lage auf der linken Seite
einbflten, jedoch ohne merklichen Erfolg.
Am Abend des 30. Januar 1855, also im Beginne der
34. Schwangerschaftswoche, wo der Scheidentheil als ein ya*
langer Zapfen, der Muttermund als eine kleine Spalte gefühlt
wurde, versuchte ich zunächst durch Aufsetzen der Brust-
zieh er Wehen zu erregen. Allein obschon diese Anziehung
der Brustwarzen durch je zwei Stunden am folgenden Tage,
und am 1. Februar, im Ganzen neun Mal, zuletzt durch drei
Stunden wiederholt wurde, erfolgten doch keine Wehen, so dass
ich endlich Abends 5 Uhr die Uterusdouche mittels des
hydraulischen Apparats 10 Minuten lang und zwar mit 35° R.
warmem Wasser in Anwendung zog.
Bei der um 10 Uhr Abends, nachdem sich Ziehen im
Kreuz mit Eröffnung des Muttermundes eingefunden, wieder-
holten Douche stellte sich, — abgesehen von einem schon
nach der ersten Einspritzung aufgetretenen, jetzt verstärkten
heftigen ziehenden Schmerz in der linken Seite der Brust
und dem linken Arme, welcher drei Stunden währte und den
Arm wie gelähmt empfinden liess, — ein nicht -ganz uner-
heblicher Blutabgang, und Nachts gegen 12 Uhr ein lebhafter,
V4 Stunde anhaltender Schuttelfrost ein, so dass ich von dem
weiteren Gebrauche der Douche abstand. Gegen Morgen
des 2. Februar wurden die ziemlich häufigen Wehen wieder
seltener, und gegen 10 Uhr Vormittags fand ich den Mutter-
mund zwar wulstig, aber keineswegs erweitert; deshalb legte
ich den Kolpeurynter ein und füllte denselben mit warmem
Wasser. Am Abend ward derselbe herausgenommen, jedoch
da die Erweiterung des Muttermundes wenig vorgeschritten
war, von Neuem applicirt, ebenso am folgenden Morgen und
Abend. Erst am Morgen des 4. Februar traten lebhafte
Wehen ein, und gestatteten, da dieselben regelmässig wieder-
kehrten, Abends 7 Uhr den Kolpeurynter wegzulassen. Gegen
11 Uhr Nachts bemerkte man eine auffallende Hitze und
Empfindlichkeit der angeschwollenen Mutterlippen und leb-
hafte Schmerzhaftigkeit des Mutterkörpers bei leichtem Drucke
auf die Bauchdecken, so dass jetzt zehn Blutegel auf die
letzteren applicirt wurden. Zur directen Erweiterung des immer
für Gebnrtshülfe in Berlin. 93
noch engen Muttermundes legte ich sodann einen konischen
Pressschwamm ein. Um 8 Uhr des folgenden ltyorgen
(5. Februar) erschien der Scheidentheil -weich, der Mutter-
mund 1" weit, ein kleiner Kindestheil über dem Beckeneingang.
Der noch immer quer über dem Beckeneingange liegende
Kindeskörper wurde jetzt durch äussere Handgriffe gewendet,
sodass der Kopf in den Muttermund gelangte, und hierauf
die Kreissende auf die linke Seite gelagert, von welcher der
Kopf hereingeschoben war. Nochmals 10 Blutegel an den
Unterleib, Borax $ß mit Rad. ipecacuanh. gr. '/4 stündlich.
Nachdem das Fruchtwasser im Laufe des Nachmittags unbe-
merkt abgeflossen war, bildete sich eine beträchtliche Kopf-
gescbwulst, während man die Herztone der Frucht in der
rechten Seite der Mutter fortdauernd deutlich hörte. Abends
10 Uhr erschienen die Wehen nach eingetretener Brechneigung
regelmässiger und der Muttermund über 2 Zoll weit, und um
11 Uhr trieben kräftige Druckwehen das Kind aus den Ge-
burtswegen hervor. Dasselbe, ein lebender Knabe, wurde
durch Reiben bald zum vollständigen Athmen gebracht, wog
51/« Pfund, war 12, resp. 18 Zoll lang und zeigte auf der
rechten Seite des Schädels einen rothen Druckstreifen von
der Einwirkung des Promontorium und einen merklichen Ein-
druck an der linken Schläfe, welche hinter der nach innen
hervorragenden Schamfuge gelegen hatte. Die Kopfdurch-
messer hatten folgende Maasse: vorderer Querdurcbroesser
- 2" 10"', hinterer — 3" 2'", gerader Durchmesser _ 4%",
diagonaler = 5" 3'". Die Nachgeburt folgte nach V4 Stunde. —
Der bei der Geburt anwesende Ehemann versicherte mich:
„wenn ich der Entbundenen die ganze Stadt Jena schenken
könnte, so würde ihr dieses Geschenk nicht so lieb sein, als
der lebende Sohn". — Nach Beseitigung der vorhandenen
•Metritis, zu welcher sich noch in Folge einer Erkältung am
neunten Tage eine Pneumonie, und später eine Phlegmasia
alba dolens gesellte, erholte sieb die Wöchnerin bald und
das Kind gedieh an der Brust einer Amme dermaassen, dass
Mutter und Kind am 4. März in ihre, fünf Stunden entfernte
Heimath entlassen werden konnten.
5. Das Einspritzen von erwärmtem Wasser,
Theerwasser oder dergl. zwischen das Ei und die
94 'I- Verhandlungen der Gesellschaft
Gebärmutterwandung wurde vier Hai in Gebrauch ge-
zogen. Die Einzelfälle waren folgende:
a) Bei einer wiederholt durch die mannichfaltigsten Ope-
rationen wegen beträchtlicher Beckenenge (Conj. diagon. 3" 8")
schwer und von todten Kindern entbundenen Bauerfrau, welche
mir von ihrem früheren Geburtshelfer zur Einleitung der
Frühgeburt zugeschickt wurde, machte ich nach vergeblicher
Anwendung der Brustsauger (Dec. 1854) binnen 36 Stunden
vier Einspritzungen von je fünf Unzen erwärmten Theer-
wassers, wobei sich kräftige Wehen einstellten ; sechs Stunden
nach der letzten Einspritzung wurde ein lebendes Mädchen
glücklich geboren. Die Nachgeburtsperiode und das Wochen-
bett verliefen ohne Störung, und die Mutter reiste nach
14 Tagen mit ihrem Kinde wieder in ihre Heimath.
I) Christine W.St, 25 Jahre alt, 3' 11" gross, blond,
zeigte eine Verkrümmung der Wirbelsäule, so dass die untern
Brust- und die Lendenwirbel eine starke Krümmung nach
rechts, die oberen Brust- und Halswirbel einen geringeren
Bogen nach links bildeten, dabei war der Knochenbau im
Ganzen gracil. Beide Schienbeine erschienen nach vorn und
innen geknickt, ebenso die Vorderarme. Die Schwangere will
vom 2 — 7. Lebensjahre an der englischen Krankheit gelitten
haben, und erst mit dem 20. Jahre und seitdem unregel-
mässig menstruirt gewesen sein. Nachdem sie Anfang October
1855 die Regel verloren und im Februar Kindesbewegungen
bemerkt hatte, kam sie am 29. April 1856 in die Ent-
bindungsanstalt zu Jena, wo die Beckenmessung einen
Hüftumfang von 28l/i\ Sp. J. - 81//, Cr. J. « 8%",
Troch. — 9 Vi Conj. ext. - 5" 10w, Kreuzbeinbreite 2" 8'*,
Conj. diagon. = 3" 10 " ergab. Die rechte Pfanne fühlte man
nach innen hereingedrängt. Nachdem man sich vom Leben
der Fmcht mittels der Auscultation überzeugt und die erste
Scbädellage durch innere und äussere Exploration constatin
hatte, wurde am 6. Mai Abends 6 Uhr die erste Einspritzung
von 30° K. warmem Wasser mittels eines in die Gebär-
mutterhöhle etwa 3 Zoll tief eingeschobenen silbernen Kathe-
ters vorgenommen, worauf sich in der Nacht ruckweise
Schmerzen im Unterleibe einstellten und der bisher zapfen-
ähnliche Scheideulheil am folgenden Tage fast verstrichen er-
für Geburtshülfe in Berlin. 95
schien. Uro 10 Uhr Vormittags des 7. Mai zweite Ein-
spritzung; danach einmaliges Erbrechen. Der Puls der Mutter
zeigte um Mittag während der Wehe in je 5 Secunden
8, 9, 9, 10, 10, 9, 9, 8. Nachmittag 4 Uhr: Scbeidentheil
sehr fein verstrichen, Muttermund 1 Zoll im Durchmesser,
Wehen regelmässig alle 4 Minuten wiederkehrend, Wehenpause
nicht ganz schmerzlos. Abends 6 Uhr schlug der Puls während
der Wehe in je 5 Secunden 7, 7, 8, 8, 9, 9, 8, 8, 7, 7. Abends
7% Uhr 8, 8, 9, 9, 10, 10, 10, 9, 9, 8,. 8. Kurz vor 8 Uhr
Muttermund fast vollständig erweitert; 3/49 Uhr, die Frucht-
blase bleibt auch ausser der Wehe gespannt Nach 10 Uhr
Abends erbricht die Kreissende wiederholt; die Wehen kehren
in der Nacht selten wieder, bis am 8. Mai froh gegen 5 Uhr
die Blase springt An dem durch den Muttermund hindurch-
tretenden Kopf findet man die kleine Fontanelle links und
vorn, die Pfeünaht im rechten schrägen Durchmesser. Kräf-
tige Wehen treiben den Kopf um 6 Uhr Morgens in den
Beckenausgang herab und gemäss dem Mechanismus der ersten
Schädelstellung zu Tage. Der 5 Pfund 14 Loth schwere,
12, resp. 18 Zoll lange Knabe war Anfangs scheintodt, kam
aber nach Reiben und Besprengen mit frischem Wasser zum
vollen Athmen. Die Nachgeburt wurde % Stunde später ent-
fernt. Das Wochenbett verlief ohne Störung, sodass die Matter
mit dem gesunden Kinde am 30. Mai in ihre Heimath ent-
lassen werden konnte.
e) Die ledige M., 21 Jahre ak, 4' 5" grosß, hatte in der
Kindheit an scrophulösen Erkrankungen gelitten; sie verlor die
seit dem 18. Jahre eingetretenen Regeln Anfang December 1854,
behauptete jedoch bereits Ende October concipirt zu haben.
Die Beckenmessung ergab Sp. J. — 8", Cr. J. — 9", Tr. - 10",
Conj. eitern. — 63/4", Gonj. diag. » 4V4", also allgemeine
Verkürzung der Durchmesser um fast %". Nach Darreichung
eines Abführmittels wurde in der 34. Schwangerschallswoche
am Mittage des 31. Juli 1855 eine Einspritzung von ca. $vj er-
wärmter Aqua picea in die Gebärmutterhöhle gemacht. Nach
der dritten Einspritzung traten Wehen auf, welche jedoch in
er Nacht zum 2. August wieder nachliesBen, nach weiteren
11 Einspritzungen zwar wiederkehrten, jedoch den Scheiden-
tfaeil ungenügend verkürzten und den Muttermund nicht ge-
96 H. Verhandlungen der Gesellschaft
hörig erweiterten. Da das Fruchtwasser bereits abgeflossen
war, legte ich am 4. August gegen Mittag den Kolpeurynter
ein und füllte denselben mit warmem Wasser. Seit einem
am Morgen vorher eingetretenen Froste hörte man keine Fötal-
herztone mehr. Am 5. August Morgens 8V2 Uhr wurde end-
lich ein 4 Pfund schweres, todtes Mädchen in erster Schädel-
lage geboren. Die Mutter erholte sich bald, sodass sie schon
am 17. August die Klinik verlassen konnte. Die Section des
Kindes ergab ausser mehrfachen Ecchymosen am Herzen und
den Lungen massige seröse Ausschwitzungen in der Schädel-
und Brusthöhle.
d) Frau B. aus A., 40 Jahre alt, 4' 6" gross, miltel-
mässig genährt, soll als Kind an Kopf- und Gesichtsaus-
schlägen gelitten, aber nicht (?) rhachitisch gewesen sein.
Seit dem 20. Lebensjahre schwach und selten menstruirt
wurde sie 1843 nach dreitägigem Kreissen mittels der Kopf-
zange sehr schwer von einem todten Knaben entbunden, und
litt im Wochenbette 10 Tage lang an Ischurie. Eben so
schwer war die zweite, 1848 erfolgte Entbindung von einem
todten Mädchen, und auch die 1850 stattgehabte dritte
Entbindung von einem todten Mädchen mittels wiederholt an-
gelegter Zange hatte längere Harnbeschwerden, Fluor albus,
Hartleibigkeit und andere Zeichen einer langwierigen Ent-
zündung der Beckenorgane zur Folge. Als sie Anfang November
1856 von Neuem schwanger geworden, schlug man ihr die
künstliche Frühgeburt vor und sandte sie deshalb im Juli
1857 in die Entbindungsanstalt zu Jena. Da die Becken-
messung Sp. J. - 9", Cr. J. - 9y4", Troch. - 10V4", Con-
jug. extern. — 6" 4'", Conj. diagon. = 33/4" ergab, die
Schamfuge nach hmen ungewöhnlich hervorspringend, das
Kreuz tief eingezogen, die Lendenwirbel nach rechts scolio-
tisch, der rechte Oberschenkel im oberen Drittel nach aus-
wärts gekrümmt sich zeigten, also eine Verkürzung der Con-
jugata vera auf 3" nachgewiesen war, wurde am 10. Juli 1857
Abends die Frühgeburt mittels Einspritzen von beiläuGg sechs
Unzen 29° warmen Wassers durch einen in die Gebärmutter-
höhle eingeführten neusilbernen männlichen Katheter ein-
geleitet Ausser dem Gefühle von Wärme im Unterleibe trat
keine Veränderung ein, ebenso wenig unmittelbar nach der
für Gebtortahtilfe in Berlin. 97
zweiten, am folgenden Morgen gemachten -Einspritzung. Gegen
Mittag des 11. Juli stellten sich Frösteln und eine Ohn-
machtsanwJmdlung ein, ebenso1 um 3 Uhr Nachmittags, nach-
dem Mittags ' 1 Uhr eine weitere Einspritzung von warmem
Wasser gemacht war. Bei der vierteil Injection Abends 7 Uhr
ging eine geringe Menge Blut ab,- und erfolgte in der Nacht
mehrmaliges Erbrechen unter wehenartigen Schmerzen. Am
12. Juli Morgens 8 Uhr neue Injection, der nach einer Stande
Zittern, Angst und Beschleunigung des Pulses folgte. Hitze
der Haut, der Scheide, Kopfweh neben Frösteln und Durst.
Sa - der Scheidentheil sich wenig verändert hatte , vielmehr
fest geblieben* war, wurden, um die-Geburt zu« befördern, von
Mittag an alle 8—4 Stunden Scheiden -Douchen mit 32°
warmen Wasser gemacht. Während das allgemeine Unwohl-
sein zunimmt, wird der Uterus empfindlich, und der harte
scharfrandige Muttermund -erweitert sich nicht Aber 1" im
Durchmesser. Am 14. Morgens erscheinen die Abgänge aus
den' Geburtswegen sehr -übelriechend, faulig, bräunlich, <gegen
11 Uhr folgte ein heftiger Prostanfall mit Erbrechen. Nach einem
warmen Sitzbade, dem inneren' Gebrauche von Castoreum mit
Borax und Ihcisionen des unnachgiebigen Muttermundes kommt
endlich der Kopf gegen Mitternacht auf den Beckengrund
herab, während bei der Exploration Fäulnissgase abgehen.
Am 15. Juli früh l3/4 Uhr wird endlich nach eitler Dosis
Seeale cornutum ein todtes, 4 V2 Pfund schweres Mädchen,
dessen Körper mit einer schwarzbraunen stinkenden Masse
bedeckt ist, mittels der Kopfzange in erster Schädellage ex-
trahirt. Die faule Nachgeburt folgte alsbald. Die Entbundene
welche sehr erschöpft war, zeigte alle Erscheinungen der
Icborämie und i starb am 80. Juli. . Die Seetion ergab die
Produkte der Endometritis septica und jauchigen Zerfall der
Thromben in den ' Uterinvenen. — Die Ausmessung des
präparirten Beckens zeigte Sp. J. *-> 8" 5'", Cr. J. = 9",
Troch. -10"; Conjug. externa => ft" 7"', diagonal. « 3" 4'",
Vera = 2" 11"', Querdurchmesser im Beckeneingange = 4" 9'",
innerer rechter und linker schräger Durchmesser 4" 5'" ;
Dicke der Schamfuge = %".
Die Ergebnisse der sogen. CoÄen'schen Methode waren
somit, wenn schon in den beiden ; zuerst erzählten Fällen
MoMtMcbr. f. GeburUk. 1833. Bd. XIX., Hfl. U.2, 7
gg II. Verhandlungen der Gesellschaft
befriedigend . in den beiden übrigen , zumal im letzteren Falle,
der Art, dass ich ferner keinen Gebrauch davon machen
werde. Mag darüber gestritten werden können, ob in dem
letzten Falle der Eintritt der Fäulniss im Uterus allein von
dem Gebrauch der Injection in die Gebärmutterhöhle aus-
gegangen sei, immerhin bleibt die Möglichkeil nicht zu be-
zweifeln, dass bei einem nicht leicht zu verhütenden Blutergusse
zwischen Uteruswand und Ei das wiederholte Einspritzen von
Wasser, und damit auch der in dem eingeschobenen Rohre,
Catheter oder dergl. befindlichen Luft die Bedingungen der
Fäulniss (Wärme, zersttzungsfähige animale Substanz, Feuch-
tigkeit und atmosphärische Luft) gegeben sind, welche einen
ungünstigen Ausgang herbeizuführen vermögen.
6. Am häufigsten und zwar in den zehn jüngsten Fällen
ohne Ausnahme habe ich die Einlegung eines elastischen
Katheters in die Gebärmutterhöhle als wehenerregendes
Mittel benutzt. In sechs Fällen waren 2 — 3, in einer Zeit
von 24t Stunden gegebene Vaginaldouchen vorausgeschickt,
nachdem der Darmkanal durch Gebrauch von Bitterwasser
oder dergl. entleert war. Es bedarf kaum der Erwähnung,
dass stets ein neuer, noch nicht gebrauchter Katheter ange-
wendet wurde. Die Einführung desselben durch den Mutter-
halskanal machte nicht selten, zumal bei hochstehendem
Scheidentheile einige Mühe, und gelang in der Regel nur bei
Armirung des Katheters mit dem Silberdrahte ; doch wurde der
Katheter, sobald als der Mutterhals passirt war, über den
Siberdraht weiter vorgeschoben, der Draht zurückgezogen.
Zwei Mal war der Muttermund vorher mittels des von mir
bei Nichtschwangeren wegen Enge des Muttermundes vielfach
mit gutem Erfolge gebrauchten, in einer Uterussonde verbor-
genen Doppelmessers *) von innen nach aussen eingeschnitten.
Vier Mal geschah es, dass bei Einführung des Katheters das
Fruchtwasser sofort abfloss, in einem anderen Falle erfolgte
der Wasserabfluss zwei Stunden später. In acht Fällen traten
die Wehen 5 Minuten bis 12 Stunden nach Einlegung des
Katheters auf und entwickelten sich regelmässig. Bei drei
1) S. Martin, Handatlas der Gynäkologie und Geburtshülfe.
Berlin 1862. Taf, LXVIU., Fig. 6, 6 a.
für Gebnrtshfilfe in Berlin. 99
Frauen schob ich, als nach 5 , bezüglich 12 und 16 Stunden
keine gehörigen Wehen zu Stande gekommen waren, einen
zweiten stärkeren Katheter neben dem ersten ein, und ver-
anlasste damit alsbald den Beginn wirksamer Geburtswehen.
Die Ausstossung oder Entwicklung der Frucht erfolgte
1 Mal 12 Stunden nach Einleguog des Katheters.
1
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16 Stunden
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11
18 Stunden
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20 Stunden
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22 Stunden
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24 Stunden
1
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30 Stunden
1
»
42 Stunden
1
«
52 Stunden
Von den zehn Kindern kamen 6 lebend zur Welt, von
den Maltern erkrankte eine an Metritis und Lymphangioms,
der sie erlag; eine, bei welcher das lebende Kind wegen Ver-
langsamung der Herztöne desselben mit der Zange extrahirt
werden musste, erlitt einen Beckenabscess, nach dessen Ent-
leerung sie genass; zwei Mütter erkrankten an Metroperito-
niÜ6, zu welcher sich bei der einen Scarlatina puerperalis
und Furunculosis gesellte, beide wurden geheilt; die übrigen
sechs Mütter, von welchen zwei wegen bedrohlicher Erschei-
nungen für die Mutter oder das Kind mit der Zange, zwei
andere, (die eine wegen Querlage des Kindes, die andere wegen
irreponibelen Nabelschnurvorfalls) mittels der Wendung auf
den Fuss von lebenden Kindern entbunden werden mussten,
überstanden das Wochenbett ohne alle Störung.
Zwei Beispiele von Einleitung der Frühgeburt durch die
Einlegung eines Katheters in die Gebärmutterhöhle mögen
hier folgen.
a) Frau W. L. aus H., 36 Jahre alt, 44 6" gross, blond,
weiss nichts von überstandener englischer Krankheit, wurde
im achtzehnten Lebensjahre menstruirt, und 31 Jahre alt 1854
in ihrer Heimath von einem unter der Geburt abgestorbenen
Knaben, nach vergeblichen Versuchen mit der Kopfzange
durch einen auswärtigen Collegen, endlich von mir mittels
Perforation und Kephalothrypsie entbunden. Sie erkrankte in
jenem Wochenbette an Metritis und Phlegmasia alba dolens,
7*
100 II. Verhandlungen der Gesellschaft
' Nachdem sie ihre Menstruation am 24. August 1857 zuletzt
' bemerkt 'hatte, und die Kindesbewegungen vor Weihnacht
aufgetreten waren, kam sie am 12. April 1858 in die
'Entbindungsanstalt fcu Jena mit 'ftdematös angeschwollenem
linkem Beiire. Die jetzt wiederholte Beckenmessung ergab
Sp. J. ='7" 9'", Cr. J. = 9", Treten. i= 10", Conj. extern.
= 6" 6"', #diagon. = 4". Die Kreuzgegend erschien stark
eingezogen und der Processus spindstts des letzten Lenden-
wirbels stark herabgeruckt Den bei der früheren Entbindung
eingerissenen Muttermund fand man geoühet, wulstig, darüber
den vorliegenden Kindeskopf; die Herätöne hörte man an der
rechten Seite der Mutter. Am 15. April Mittags 2 Uhr schob
ich einen elastischen, mit Mandrin armirten Katheter hinter
der vorderen Wand der Gebärmutter etwa 6" hoch hinauf!
' Als Abends 7 Uhr keine Wehen eingetreten, führte ich einen
' zweiten Katbeter' zwischen Eihäute und Uteruswand etwa 9"
hoch4 ein. Einige' Stünden später, nachdem leichte Wehen
sich eingestellt, begann ein anhaltender Fruchtwasserabfluss.
Gegen 6 Uhr Morgens (16; April) wurden die Wehen stärker
und' 'häufiger; um* 7 Uhr früh trat ein sehr heftiger Schüttel-
frost' mit beschleunigtem Pulse und nachfolgender Hitze und
1 Durst auf. Dessenungeachtet nahmen die sehr empfindlichen
Wehen an Häufigkeit und Wirksamkeit zu , und nach mehr-
' maligem Erbrechen fand ich um 10 Uhr Vormittags den Mutter-
: mund 1" hn Durchmesser, den Kopf im Beckeneingange, die
kleine Fontanelle rechts, dabei einen massigen Blutabgang.
Sehr kräftige Wehen trieben sodann den Kopf, entsprechend
dem Mechanismus der zweiten Schädellage, in die Beckenhöhle
herab. Als Nachuiittags 21/* Uhr die Kreissende sehr er-
: schöpft wurde, und der Blutabgang fortdauerte, extrahrrte ich
nach eingeleiteter Chloroformnarkose mittels der Kopfzange
'nach einigen deichten Incisiönen in den narbig verhärteten
Damm den Kopf, und entwickelte ein lebendes Mädchen von
5 Pfand ll'Loth, 11 %>" resp. 17": Länge; die Kopfdurch-
messer betrugen 2" 9'", 3"'3'", 3" 11'", 4" 9"'. Dem Kinde
folgten einige beträchtliche Blutcoagula, Und die Nachgeburt
nach V4 Stunde. Die sich entwickelnde Melriüs wurde bald
beseitigt, und das Kind, von einer Amme genährt, gedieh
für Geburtehülfe in Berlin. 10J,
vortrefflich* sodass Mutter und Kind nach einigen Wochen.,
gesund aus der Entbindungsanstalt entlassen werden. konnten.
J) Frau, Ä, 27 Jahre alt, 4' gross, von. sehr zierlichem.,
Knochenbaue, überstand, obschon sorgfältig gepflegt, in der.
Kindheit die englische Krankheit, wurde später aber gesund*
und von einer ungewöhnlichen Energie. Die erste Entbindung
im Frühlinge des Jahres 1857 war eine äusserst langwierige;
die sehr anstrengende Zangenoperation eines erfahrenen,
Collegen förderte ein todtes Kind zur Welt» Mitte September..
1858 war die Menstruation wieder ausgeblieben, die ersten
Kindesbewegungen, zeigten sich in den ersten Tagen des..
Februar., Die. von mir vorgenommene Beckenmessung ergab; .
Hfiflenumfang 29'<, Sp. J. == 8V2", Cr. J. = 9Va", TVoch«.
=F 10V> Conjug, ext. — 6 V*", diagon. = 3" 8'<'. Da der
gerade Durchmesser hiernach nahezu 3" betrug und auch
die Querduxchmesser des Beckens unter der Norm waren,
somit der Beckenraum durchweg verengt erschien, wurde am..
7. Mai 1859 nach Verordnung eines Abführmittels aus Bitter-
wasser, die Uterusdouche mit einer Klysopompe, 29° warm,
10 Minuten lang zwei Mal angewendet Die Nacht zum 8. Mai •
verlief unter geringem' Ziehen im Kreuze ruhig. Am folgenden
Morgen schob ich in den. aufgelockerten, wenig offenen.,
Muttermund einen elastischen . Katheter . ein. Die im Laufe
des Tages eintretenden Wehen verstrichen den Scheidentbeil: <
bis Abends 7, Uhr, und erweiterten den Muttermund zu Vt" ■•
Durchmesser. Nachts 12 Uhr erschien der Muttermund fast
vollständig erweitert, die Fruchtblase stellte sich. Am 9» Mai
früh V22 Uhr trat die Fruchtblase vor den Scheidenausgang,
heraus und wurde daher gesprengt; ich .fand die rechte Schul-
ter im Beckeneingange, davor eine Nabelschnurscblinge , den
Kopf der Frucht über der rechten. Weiche hinter den Bauch-
decken. Nach, eingeleiteter Ghloroformnarcose führte, ich in .
der linken . Seitenlage der Kreissenden sofort die rechte Hand,
von hinten in die Scheide und die. Gebärmutter ein, holte, dea
rechten Fuss herab, und vollzog nach vorsichtiger Umdrehung
des. Kindes die Extraction auf dem Querbette, Das etwa
4 Pfand schwere Mädchen kam zwar zum anscheinend voll-
ständigen Athnaen und Schreien; allein nach 12 »Stunden er-
lo$cb das zarte Leben. Die Mutter überstand- das. Wochen-
102 II. Verhandlungen der OeeeJbcnaft
bett ohne besondere Zußlle. — Anfang Juni 1860 blieb die
Menstruation wieder aus; Anfang September wurden wieder
Kindesbewegungen wahrgenommen, die Schwangere befand
sich dabei, mit Ausnahme von Hartleibigkeit, wohl. Nach
Bestätigung des früheren Befundes bei der Beckenmessung
wurden am 10. Januar 1861, etwa in der 35. Schwanger-
schaflswoche in derselben Weise, wie das vorhergehende Mal,
zwei Scheidendouchen gegeben, und am 11. Januar Morgens
9 Uhr durch Einlegung eines elastischen Katheters die
Wehenthätigkeit angeregt. Gegen Abend traten Gebärmulter-
contractionen auf, dieselben wurden aber später so schmerz-
haft, dass die Kreissende dringend die Anwendung des
ihr von dem vorigen Male wohlbekannten Chloroforms ver-
langte. Unter leichter Chloroform -Narkose erweiterte sich am
12. Januar früh 9 Uhr der Muttermund vollständig, so dass
jetzt der eingelegte Katheter entfernt werden durfte. Eine
halbe Stunde später sprang die Fruchtblase und der Kopf
trat in der ersten Stellung in das Becken herab. Trotz sehr
kräftiger wohlverarbeiteter Wehen rückte der Kindeskopf,
welcher das enge Becken vollkommen ausfüllte, nur langsam
vor, und blieb von 4 Uhr früh auf dem Beckenboden unbe-
weglich stehen. Da die Kopfgeschwulst eine sehr beträcht-
liche geworden und die Kreissende von dem stundenlangen
heftigen Pressen und Drängen im hohen Grade erschöpft war,
legte ich unter erneuerter Chloroform -Narkose um 5 Uhr
früh die Kopfzange nicht ohne Mühe an, und extrahirte nach
5 Minuten langer Arbeit einen scheintodten , aber wohlgebil-
deten Knaben von mehr als 5 Pfund Gewicht, welcher durch
anhaltendes Reiben, Besprengen mit kaltem Wasser u. s. w.
allmälig zum vollständigen Athmen kam, und bald an der
Brust einer tüchtigen Amme trefflich gedieh. Die Nachge-
burtsperiode und das Wochenbett verHefen ohne bemerkens-
werthe Zufalle, und das Kind hatte im October bereits zwei
Zähne.
7. Der Eihautstich, die älteste Methode zur Einleitung
der Frühgeburt, wurde von mir in zwei Fällen angewendet,
und zwar in den bei Erörterung der Indicationen bereits aus-
führlich mitgetheilten beiden Fällen von Eiwassersucht Der
Erfolg war bei diesem eigenthümlichen Leiden ein rascher
für Geburtshülfo in Berlin. 103
und für dfe Mütter durchaus befriedigender, wahrend die
Fruchte (beide Male Zwillinge) wegen der frühen Schwanger-
schaftszeit (28. und 31. Woche), in welcher operirt werden
musste, am Leben nicht erhalten werden konnten.
Anderweite nach Einleitung der Frühgeburt zur Vollendung
derselben nölhig gewordene Operationen waren:
Zwei Mal die Wendung durch äussere Handgriffe
auf den Kopf wegen Querlage der Frucht mit vollkommen
günstigem Erfolge für die Mutter und das Kind.
Zwei Mal die innere Wendung auf den Fuss und
zwar einmal wegen Schulterlage der Frucht mit Vorfall einer
Nabelschnurschlinge, das andere Mal wegen irreponiblen Nabel-
schnurvorfalls neben dem Kopfe, und Druck auf die Nabel-
schnur. In beiden Fällen wurden die Kinder lebend zu Tage
gefordert, und die Mütter genasen ohne Störung des Wochenbetts.
Vier Mal wurde die Extractioti an den vorliegenden
oder eingeleiteten Füssen ausgeführt, und dadurch drei Kin-
der erhalten, das vierte starb ab, indem die Hindurchführung
des bereits zu gross und fest gewordenen Kopfes durch das
sehr enge Becken dem anwesenden Assistenten nicht rasch
genug gelang.
Vier Mal wurde der Kindskopf, als derselbe in der
Beckenhöhle stecken blieb, und für die Mütter oder die
Früchte Gefahr eintrat, mittels der Kopfzange ausgezogen
Drei Kinder und Mütter wurden dadurch erhalten, das vierte
Kind war schon mehrere Stunden abgestorben und faul.
Als Endresultat dürfte aus den vorstehenden zweiund-
zwanzig Operationsfällen hervorgehen, dass die künstliche Früh-
geburt, womöglich erst in der 34. oder 35. Schwangerschafts-
woche, am erfolgreichsten nach einigen vorbereitenden warmen
Scheidendouchen mittels Einlegung eines elastischen Kathe-
ters in die Gebärmutterhöhle einzuleiten sei. Für die Fälle
von lebenbedrohender Eiwassersucbt bleibt hingegen das Ab-
lassen des Fruchtwassers das geeignete Verfahren.
Nach vollendeter Niederschrift vorstehender Mittheilung
führte die Güte des Doetor Moritz in Graudenz mir noch einen
für die künstliche Frühgeburt geeigneten Fall zu, welcher von
104 II. Verhandlungen 4»r Getelltcliaft
den Praktikanten meiner .Klinik: mit lebhaftem Interesse Ter-,
folgt) hier angereiht werden mag.
Durch Rhachitis. veranlasste Beckenenge, mittleren
Grades. Drei Entbindungen durch Perforation.
Künstliche Frühgeburt mit Wendung durch
äussere Handgriffe. Erhaltung der Mutter und,,
des Kindes.
Die Nagelscbmiedsfrau Zuchotoska aus Löbau, 37 Jahre
alt, klein, zierlich v blond, hatte, nachdem sie bereits geben,
konnte, sechs Jahre lang an der englischen Krankheit gelitten
und dabei stets im Bette gesessen. Seit dem zwanzigsten Jahre
menstruirt, abortirte sie im zweiten Monate vor 13 Jahren in
Folge der Pocken. Bei den drei folgenden Geburten musste
das ausgetragene Kind perforirt werden, nachdem im achten
Monate der vierten Schwangerschaft von dem behandelnden
Arzte die künstliche Frühgeburt mittels der Tamponade der
Scheide vergeblich versucht war. Nachdem die Menstruation
im März 1861 zuletzt sich gezeigt , sandte der frühere
Arzt der Z. dieselbe am 9. November an mich; damit die
Frühgeburt eingeleitet werde. Die kleine pockennarbige
blasse zarte Frau zeigte einen Hüftenumfang von 89 Centim.,
Sp. J. = 9" 2<", Cr. J. ==" 9" 3"<, Rechter schräger Durch-
messer am grossen Becken = 6" 7'", linker = 6" 5". Conj.
extern. = 6", Conj. diagon. = 3"9<". Der Muttergrund stand
in der Herzgrube, der Scheidentbeil, ein- zierlicher fester
Zapfen erschien, hoch an der linken Beckenwand fixirt; der
vorliegende Theil war mit Bestimmtheit nicht zu erkennen. Die
äussere Untersuchung erwies eine Schieflage des Kindes, Kopf
links über der Weiche. Obschon die Schwangere weder über
den Beginn der Schwangerschaft, noch über den Eintritt der
Kindesbewegungen bestimmten Aufschluss zu geben vermochte,
entschloss ich midi dodij die künstliche Frühgeburt ein-
zuleiten. Nach Darreichung eines Abführmittels aus Bittersalz
wurde am 14. Nov. 1861 Abends 5 Uhr die erste Douche
mit 30° warmen Wasser 10 Minuten lang gegeben und am
15. Morgens 8 Uhr und i Abends 6 Uhr wiederholt: Der
Scheidentheil -zeigte sich, ohne dass Wehen aulgetreten, am
16. Morgens 8 Uhr aufgelockert, der Muttermund < durch*
ffi* GpVvbliiilfe in B^xlin, 105 :
gängig, sodass ich ohne Muhe auf dein Querbette einen armir-
ten elastischen Katbeter in die linke Seite der Gebärmutter
10 7- 11" hinaufscbob. Obgleich im Laufe des Tages all-
mälig Fruchtwasser abfloss, bemerkte, man Abends 6 Uhr
doch nur eine massige Erweiterung des Muttermundes und
keine deutliche Weben. Deshalb schob ich, nachdem durch
äussere Handgriffe der über der linken .Weiche liegende Kinds- .
köpf in den Beckeneingang hineingeschoben war, und die
Kreissende auf der linken Seite lag, einen zweiten stärkeren
Katheter neben den vorher eingelegten in die Gebärmutter
fast vollständig ein, wonach eine geringe Menge Blut und
ziemlich viel Fruchtwasser abfloss, Eine Stunde später,
zeigten sich deutliche Wehen von je 2 Minuten Dauer, alle
10 Minuten wiederkehrend. Der Kopt des Kindes blieb: über
dem Muttermunde, welcher jedoch gegen Mitternacht noch
eine ziemliche Spannung zeigte, so(dass ich einige Dosen Päd.
tpecacuanbae reichen liess. Nachdem Eibrechen erfolgt war, .
trat der Kopf in zweiter Schädelstellung in. den Beckeneingang
herein und bedeckte sich mit einer Kopfgescbwulst. Da die
Weben sehr schmerzhaft, die Scheide, sehr beiss und die
vordere .wie hintere, Mutterlippe beträchtlich angeschwollen
waren (Puls 112), nahm ich (J7. Nov.) 4 Uhr früh die: beiden
Katheter weg. Um 8 Uhr war die Hitze der Scheide ge-
mindert, der vorliegende Kopf vor dem Promontorium herab-
gedrängt, von den geschwollenen Mutterlippen vorn und hinten
umgeben, und die Wehen äusserst schmerzhaft, daher ordnete
ich eine leichte Chloroformnarcose an. AUmälig ward das
linke Scheitelbein tiefer herabgedrängt, die grosse Fontanelle
in der linken Beckenhälfte zu fühlen. Das seit 8 Uhr ab-
fliessende Meconium liess ebenso wie die wechselnde Frequenz
der Herztöne (140 — 86) für das Leben des Kindes fürchten,
als nach einer Lagerung der Kreissenden auf die rechte Seite
um 11 Uhr die Mutterlippen zurückwichen und das Hinter-
haupt in das Becken hereinrückte, so dass die Lambdanaht
deutlich • fühlbar wurde, und gegen %12 Uhr Mittags die.
Geburt eines bald aufschreienden Knaben rasch erfolgte. Der-
selbe wog 6 Pfund '2 Loth und zeigte folgende Kopfdurch-
messer: 2%",<3V4", 4"2'", 4"'10"'> 8" 7'". Der Schädel
war auf der rechten Hälfte beträchtlich abgeflacht. und. zeigte
106 H* Verhandlungen der GeeeHichaft
daselbst in der Schläfengegend eine tiefe Impression, mit
Sugillaüon der Haut neben dem hervorgetretenen Stirnbein-
rande ; ahnlich, jedoch minder tief, war der Eindruck auf der
linken Schläfe (entsprechend der innen hervorspringenden
Schamfuge) mit Röthung der Haut, von welchem ein ge-
rötheter Hautstreifen über dem linken Ohre zum Hinterhaupt
verlief. Das linke Scheitelbein war, abgesehen von der be-
trächtlichen Kopfgeschwulst, stark hervorgetrieben. Die Nach-
geburt von Meconium grün gefärbt, 1% Pfund schwer, folgte
einem massigen Drucke auf den Mutterkörper.
Die Mutter war sehr erschöpft, blass und erlitt eine
Stunde später eine Nachblutung, welche den Gebrauch der
Tr. cinnamoni, des Seeale corn. und der Compression des
Mutterkörpers forderte. Wegen hoher Empfindlichkeit des
Uterus wurden Abends kalte Umschläge verordnet, welche am
folgenden Tage mit einer Eisblase bedeckt bis zum sechsten
Tage in Anwendung blieben. Innerlich verordnete ich allein
eine Emulsio papaverina mit Liq. kali acetici. Das Kind zeigte
am zweiten Tage als Folgen der Hirnreizung oder des Blut-
ergusses ia die Schädelhöhle an der Impressionsstelle Zuckungen
der Gesicbtsmuskeln und der rechten Körperhälfte, genas aber
nach Anlegung eines Blutegels an die Stirne, und gedeiht am
12. December an der Brust der genesenen Mutter.
Herr Kauffmann bestätigt den Zusammenhang zwischen
habituellem Absterben und latenter Syphilis durch eine Beob-
achtung aus früherer Zeit. Eine Frau, die mehrfach todte
Kinder von 7 — 8 Monaten geboren hatte, wandte sich an ihn
im Anfange ihrer vierten Schwangerschaft Herr K. suchte
den Grund dieser Anomalie in einer Anaemie der Schwan-
geren, die sich durch Durchsichtigkeit der Haut, Blässe der
Lippen und odematöses Ansehn der Wangen, Hände u. s. w.
aussprach. Eine eingeleitete China- und Eisenkur in Ver-
bindung mit Mineralsäuren Hess das Kind auch in' der That
lebend das normale Ende der Schwangerschaft erreichen; es
wurde anscheinend gesund geboren, später indess von einem
ausgebreiteten, syphilitischen Ausschlage befallen.
Herr Abarbaneü beobachtete einen Fall habituellen Ab-
sterbens, in welchem er eine syphilitische Infektion gänslich
für Gefaurtshtilfe in Berlin, 107
in Abrede stellt Eine Frau, die zehn Jahre lang nach ihrer
ersten Entbindung wegen einer damals zurückgebliebenen
chronischen Metritis unfruchtbar war, wurde nach endlicher
Beseitigung dieses Uebels wiederholt schwanger, trug aber die
vier ersten darauf folgenden Kinder nicht aus, sondern abortirte
erst zwei Mal und gebar die beiden letzten Kinder todt im
sechsten und siebenten Monate. Erst die fünfte Schwanger-
schaft führte zur Geburt eines lebenden gesunden Kindes.
Herr Krieger will auch die Syphilis nicht als alleinige
Ursache des habituellen Absterbens gelten lassen. Eine Frau,
die er lange Zeit an Milzanschwellung behandelte und bei
der, so wie bei ihrem Manne keine Spur syphilitischer Er-
krankung je vorgekommen war, gebar im Jahre 1855 ein leben-
des Kind, welches sieben Wochen alt an einer Zellgewebs-
entzöndung des Halses starb. Im Jahre 1856 abermals ein
lebendes Kind, welches drei Wochen alt an Ikterus und
Lungenlähmung starb. Bei der folgenden Schwangerschaft 1858
erkrankte sie an wassersüchtiger Anschwellung der Schenkel
und des Unterleibes mit grosser Athemnoth, gebar etwa vier
Wochen zu früh ein scheintodtes Kind, welches zwar im
Bade noch zuckte, indess nicht athmete; die Placenta war
ähnlich einer Traubenmole degenerirt. Bei der nächsten
Schwangerschaft 1860 litt sie wieder an erheblichen Oedemen
und gebar drei Wochen zu früh ein todtes wassersüchtiges
Kind mit enormer Hypertrophie der Nieren. Die Placenta abermals
zum Theil in eine Traubenmole verwandelt Als ätiologisches
Moment kann er nur eine in früherer Zeit überstandene Inter-
mittens mit chronischer Milzanschwellung bezeichnen.
Herr Brandt sab in einer Ehe zwei Kinder todtfaul
geboren werden, das dritte kam zwar lebend zur Welt, wurde
aber bald von einem Pemphigus befallen, dem es erlag. Der
Vater litt an Acne syphilitica.
Herr Martin behauptet, dass ihm unter einer verhält-
nis8mässig grossen Anzahl von Beobachtungen wiederholt bei
demselben Elternpaare frühzeitig todtgeborener Früchte kein
Fall, den er genauer, auch durch Nachforschung bei dem
Vater habe verfolgen können, vorgekommen sei, in welchem
nicht vorausgegangene syphilitische Affectionen bei beiden
108 II. Verhandlungen der Gesellschaft
Eltern oder doch beim Vater stattgefunden hatten.. Er bfob- .
achtete wiederholt, dass Eltern im Anfange ihrer Ehe gesunde
Kinder zeugten, später aber, nachdem der Ehemann oder die
Frau eine syphilitische Infection sich zugezogen, mehrere an
der von ihm unter dem Namen Hydrops sanguinolentus
beschriebenen Krankheit abgestorbene, oder doch bald an
Pemphigus u. s* w. erkrankende Kinder zur Well brachten.
Umgekehrt sah er auch mehrere Male, dass dergleichen Eltern-
paare nach mehrfachem habituellen Absterben ihrer Kinder,
sobald als sie eine antisyphilitische Kur durchgemacht, später
lebende Kinder zeugten, so wie in einem Falle dieselbe Frau,
welche in erster Ehe mit einem syphilitischen Manne und
selbst angesteckt drei in der genannten Weise abgestorbene
Kinder gebar, in zweiter Ehe mit einem gesunden Manne
viele recht gesunde und kräftige Kinder zur Welt brachte.
Dennoch behaupte er nicht, dass es keine weitere Ursache
des habituellen Absterbens der Früchte im Mutterleibe gebe,
und wünsche sehr die Mittheilüng genau beobachteter und
insbesondere hinsichtlich der Todesart der Früchte fest-
gestellter Fälle von habituellem Absterben der Früchte
bei welchen Syphilis der Eltern mit Sicherheit aus-
geschlossen sei.
Herr Krittdler macht darauf aufmerksam, dass Syphilis
allein nicht Ursache sein könne, auch wenn sie unbezwetfelt
festgestellt sei; dejin da viele lebend geborene Kindernach
der .Geburt deutliche Zeichen angeborener Syphilis trügen, so
müsse, notwendig noch ein Mittelglied vorhanden sein, wel-
ches eben das vorzeitige Absterben bedinge.
Durch mehrere, in der Debatte vorgebrachte andere Fälle
todtgeborener Früehte , die . zwar nicht als Belege für habi-
tuelles Absterben gelten können, wjurde indess die Frage an-
geregt und länger discutirt, was unter, der Bezeichnung. „todt-
faul" zu verstehen sei.
Herr Kriegpr. unterscheidet zwei Arten todtfauler Früchte.
Die einen, welche, erst im. Momente der Geburt die geschlos-
senen Eihäute sprengen , zeigten , auch bei vorgeschrittener
Maceration immer einem süssüchen faden Geruch; die anderen,
bp denen durch frühzeitige Sprengung der Blase, die Luft
für Geburtshülfe in Berlin. 109
schon längere Zeit freien* Zutritt gehabt, hätten den fauli&en
Verwesungsgeruch wie jede tbicMsche Masse. Der Fäll, den
er im Sinne gehabt, beträfe die erste Art und sei dort der
Tod jedenfalls nicht* lange vor der Geburt erfolgt; indess be-
wiesen ja' einzeihe ZwiHingsschwangerschaften , wo ein mace-
rirter Foetus beben einem lebenden Kinde geboren werde,
dass auch ein langes Verweilen im Uterus ohne Luftzutritt
die: Fäulniss nicht zu Stande kommen lasse.
1 Herr Martin erklärt sich gegen die Bezeichnung „ todt-
faul " für die Fruchte , welche , ' nachdem sie längere Zeit
(Woihen, Monate) abgestorben bei unversehrten, Eihäuten in
dem Fruchtwasser verweilten, wie gewöhnlich rasch, etwa
ririt der Nachgeburt eines alisgetragenen Zwillings, geboren
werden. Dergleichen Früchte zeigten nafch seiner Erfahrung
einesthells die Produkte dei1 Krankheiten uüd Läsionen, denen
sie Pflegen sind z. B. Exsudate auf der Körperoberfläche,
Verwachsung öder AbrdssuAg der Nabelschnur, Reste innerer
Krankheiten u. s.w. , — andererseits die Erscheinungen der
Macer ation: geschrumpfte Epidermis, Lockerung aller Gebilde
auch -der Knochenvertrimhmgen u: s. w. - In -keinem* Falle der
Art habe er Entwicklung von Fäulnissgasen gesehen, wenn
die auch länger abgestorbenen Früchte bald nach dem Blasen-
sprunge geboren seien und wünsche deshalb für diese Fälle
eine andere Bezeichnung; der eigentümlich fade süssliche
Geruch , welchen man an den in Folge von Hydrops sangui-
nolentus abgestorbenen Früchten wahrnehme, sei vom Fäulniss-
geruche wesentlich verschieden, und scheine der genannten
Krankheit anzugehören. Wahre Fäulniss der Früchte im
Mutterleibe mit Bildung von Fäulnissgasen habe er nur da
beobachtet, wo atmosphärische Luft zu der abgestorbenen
Frucht hinzugetreten war, wie es bei vorgefallenen Kindes-
theflen oder bei vergeblichen Operationsversuchen mittels Ein-
führung, wenn auch nur der halben Hand vorkomme. Ein
exquisiter Fall der Art sei während des vergangenen Früh-
jahres in der geburtshülflichen Poliklinik beobachtet; hier
habe nach vergeblichen Repositionsversucben der vorgefallenen
Nabelschnur die Frucht, als sie wegen sehr verzögerter
Erweiterung des Muttermundes 36 Stunden später extrahirt
sei, einen solchen Grad von Fäulniss mit Emphysem der
110
II. Verhandinngen der Gesellschaft
Haut gezeigt, dass die Operation einen ungewöhnlichen Kraft-
aufwand erforderte. Die Mutter überstand das Wochenbett
glücklich.
Herr Krieger beruft sich auf die bisher gebräuchliche
Bezeichnungsweise, die man nicht so leicht umstossen könne;
auch sei die Wassersucht nicht constatirt, er glaube die Er-
scheinungen eher durch Imbibition erklären zu können.
Herr Martini „Wie soll ein todter Körper imbibiren,
so dass sich grössere Mengen von blutiger Flüssigkeit in den
serösen Säcken ansammeln ?"
Herr Krieger: „Nicht sowohl von aussen aus dem Frucht-
wasser als aus dem Blutserum.4'
Die Debatte schloss hier, da nicht genug eingehende
Beobachtungen todtfauler Kinder vorlagen. Es wurde aber
allgemein der Wunsch ausgesprochen, diesem Gegenstande
eine dauernde Aufmerksamkeit zuzuwenden, um bei einschlag-
lichen Beobachtungen namentlich durch genaue Sectionen die
eigentümlichen Veränderungen der Früchte festzustellen.
No.
Zustand der Matter vor der Operation.
Allgemeinzustand. I Beckenverhältnissc
Ehefrau des
Bäckers
Hamm**,
SO Jahre,
in sehr
ärmlichen
Verhält-
nissen.
Elherfeld.
Vierte
Geburt.
Seit fünf Jahren langsam, in
der letzten Schwangerschaft
rapid fortschreitende Osteo-
malacie mit Marasmus und
anhaltendem chronischem
Magen - und Qronchial-
catarrh. Die Frau befand
sich cur Zeit der ersten
Untersuchung in der ersten
Geburtsperiode. Stark über-
hängender Bauch, geringe
und seltene Wehen, die bis
zum Abend sich steigerten
uud die künstliche Beendi-
gung der Geburt vor Ab-
flugs des Fruchtwassers
möglich machte.
Entbindung am 9. Septem-
ber 1052. bei fast erreichtem
Ende der Schwangerschaft.
Allseitig zusammi
gedrücktes Beck«
mit stark schnab
förmiger Symphj
und sich berührend
absteigenden Scha
beinästen. Conjugi
des Eingangs doi
das vorspringen
u. heruntergedrücl
Kreuzbein auf 1 Z
verkleinert, Qu«
durchmesserdesAi
gangs l8/4— 2 Z<
Schlüssellochformij
Gestalt des Schal
bogens.
für Geburtshülfe in Berlin. Hl
Der Secretär verliest folgenden von Dr. Pagenstecher
in Elberfeld eingeschickten Aufsatz.
Ein Beitrag zur Statistik des Kaiserschnittes
nebst einem Anhange: lieber Osteomalacie.
Von den nachstehend mitgetheilten Kaiserschnitten sind
die fünf ersten bereits in diesem Journal 1854 und 1858 ver-
öffentlicht, die fünf letzten sind neu hinzugekommen. Ich müsste
diesen zehn Fällen noch einen hinzufügen, dessen Protokoll
mir aber zur Zeit abhanden gekommen ist Die Tabelle ent-
halt auszugsweise aus den Journalnotizen das Wichtigste über
Allgemeinverhältnisse wie über Beckendeformitäten der Mütter,
über den Zustand der Kinder vor der Operation und über
den Ausgang der Operation für beide Theile. Zum Schluss
sind dann die Resultate dieser Fälle übersichtlich zusammen-
gestellt, sowie einige klinische Bemerkungen über Osteomalacie
hinzugefügt.
instand des Kindes
Ausgang
vor der
Bemerkungen.
Operation.
für die Mutter.
für das Kind.
3a s Kind lebte nnd
Die Mutter
Das Kind
Der Fall ist in Buseh-Siebold's
lag: mit dem Kopfe
genas nach
wurde bei
Journal, 1854, Heft 1 mit-
vor.
2—3 Mo-
künstlicher
getheilt.
naten.
Auffütterung
Auffallend war die rapide
am Leben
Erweichung der kranken
erhalten.
Knochen in den ersten
Wochennach der Operation,
die eine vollkommene Be-
weglichkeitgestattete, ohne
dass im Harne eine Aus-
scheidungsmehrung der
Salze nachgewiesen werden
konnte.
Die Operation wurde
unter sehr günstigen All-
gemein Verhältnissen, aber
zur rechten Zeit und ohne
vorgangige Entbinduags-
versuche gemacht.
112
II. Verhandlungen der Gesellschaft
No.
Namen
und
Stand.
Geburts-
zahl.
Zustand der Matter Tor der Operation.
AHge meinzustand. Becken Verhältnisse
Ehefrau des
Arbeiters
Mungenberg,
40 Jahre,
in ganz
ärmlichen
Verhält-
nissen.
Elberfeld.
I Ehefrau des
Arbeiters
Rudolf,
28 Jahre,
in ganz
ärmlichen
Verhält-
nissen.
Elberfeld.
Kennte
Gebnrt.
Zweite
Gebnrt.
Die Frau hat seit der zwei-
ten Schwangerschaft an
Knochenschmerzen im
Schoosse und in den Hüften
gelitten, die vier letzten
Kinder todt unter müh-
samster Zangenoperation
geboren und während dieser
letzten Schwangerschaft
fast gar nicht aufstehen
können. Allgemeinzustand
leidlich; häufige Cardialgie
mit Oppression, Säure u. s. w.
Die Geburt hatte vor einigen
Stunden begonnen , die
Wehen waren regelmässig,
die Blase sprang kurz vor
der Operation.
Entbindung am 4. De-
cember 1857 bei vollkommen
ausgetragener Frucht.
Die Frau hat vor drei Jahren
ihr erstes Kind nach müh-
samer Geburtsarbeit lebend
geboren, dann vier Monate
sich gar nicht bewegen
können. Wiederkehr der
Kn och eng ch merzen in dieser
Schwangerschaft; im letzten
Vierteljahre hat die Kranke
nur auf dem Bettrande
sitzen können. Die Geburt
hatte vor 20 Stunden be-
gonnen, das Fruchtwasser
war vor 12 Stunden ab-
geflossen, etwa 1 —2 Stunden
vor meiner Ankunft war
Ruptura uteri und Austritt
des Kindes in die Bauch-
höhle erfolgt, unter Eintritt
von Kälte, Pulslosigkeit
und vollständigem Verfalle
der Gesichtszüge.
Entbindung am 9. No-
vember 1858 bei erreichtem
Schwangerschaftsende.
Ziemlich hoher Stai
des Promontor
Schnabelförmige
Compression d<
Symphyse und di
absteigenden Schar
heinäste , die vol
kommen aneinand*
lagen , Abstand d<
Tub'era 1 Zoll, AI
stand desPromonto;
vom Tuber 4— 41/«
Abstand der Spim
iliacae 8 Zoll, Coi
jugata extern. 6 Zol
Das Becken war nac
dem Sectionabefand
wesentlich halbseiti
verengt durch di
Hineinrücken de
letzten Lendenwii
bels, welcher nac
rechts und vorn s
weit in den Becker
eingang hineinragt«
dass die ganze recht
Beckenhälfte in Fori
eines zu % g*
schlossenen Oval
von der übrigen Oel
nung des kleine
Beckens abgeapen
wurde, indem ihi
gegenüber der enl
sprechende horizoi
tale Schambeinac
eine spitze Ein
knickung nach hin
ten zeigte. Eingangs
conjugata 8 Zoll
Querdurchmesser de
Ausgangs 1 Zoll,
fttr Gebnrtoh&lfe in Berlin.
113
ustand des Kindes
Ausgang
vor der
Bemerkungen.
Operation.
für die Mutter.
für das Kind.
>as Kind lebte nnd
Die Mntter
Das Kind
Mitgetheilt in Btuch-Siebold's
lug mit dem Kopfe
genas in
wurde von
Journal, 1858.
vor.
3— 4Wochen,
der Mutter
Die Operation konnte in
nachdem sie
gesäugt und
günstigster Zeit und ohne
eine leichte
am Leben
vorgangige Entbindungs-
circnmscripte
erhalten.
versnche gemacht werden.
Peritonitis
Die Nachgeburt war adhä-
am Ende
rent und musste gelöst
der zweiten
werden. Tüchtige Blutungen
Woche fiber-
und mangelhafteContraction
standen
der früher sehr energischen
hatte.
Gebärmutter waren die
Folge. Der Wochenfluss
erfolgte bis zum Ende der
ersten Woche grossentheils
aus der Hautwunde.
)as Kind war todt
Die Mntter
War todt.
Mitgetheilt wie Fall 2.
und lag voll-
starb 26 Stun-
Der Riss des Uterus lief
kommen beweg-
den nach der
vom Cervicaltheil bis sum
lich . im Bauche.
Operation in
rechten breiten Bande an
Folge der
der Hinterfläche hinauf.
Ruptur und
Die Substanz war gesund,
der in dem
die nächsten Umgebungen
Bauche er-
stark verdünnt, wohl noch
folgten Blu-
in Folge der Ueberausdeh-
tung.
nung und ungleichmässigen
Zusammensiehung.
Es erschien wahrschein-
lich, dass das Anstemmen
des Uterus gegen die spitze
Einknickung des Scham-
beins in Verbindung mit
sehr unpassender Anwen-
dungwehenf ordernder Mani-
pulationen das Zerreissen
der Gebärmutter zu Stande
gebracht hatte.
*Mon*Uftchr. f. Oeburtak. 1SÖ2. fi<l. XIX., Hfl. 1 a, 2,
114
II. Verhandlungen der Gesellschaft
No
Namen
und
Stand.
Znstand der Mutter vor der Operation.
Allgemeinzastand. Beckenverhältni*s<
Unverehel.
Bauers-
tochter
Holterkoff,
in leid-
lichen Ver-
hältnissen.
Somborn.
Ehefrau
Hamm et i
vide No. 1.
Elberfeid.
Erste
Gebart.
Fünfte
Gebart.
Zweiter
Kaiser-
schnitt.
Gesund and kräftig von
Muskulatur, massig stumpf-
sinnig und hochgradig
rhachitisch gebaut. Körper-
grösse knapp 31/, Fuss;
Schädel flach und stark
eckig verbreitert, Rohren-
knochen sämmtlich , zum
Tbeil winklicht verbogen.
Die Geburt hatte mit sehr
geringen Wehen Abends
vorher begonnen, das
Frachtwasser war allmälig
seit früh Morgens abge-
gangen.
Die Entbindung hatte statt
bei erreichtem Schwanger-
schaftsende am 8. März 1868
Mittags 1 Uhr.
Die Fran hatte, nachdem sie
im Jahre 1862 durch den
Kaiserschnitt entbanden
worden war, mehrfach an
Rückfällen derOsteomalacie
gelitten und war in dieser
letzten Schwangerschaft
hochgradig marastisch ge-
worden. Die Beckenknochen i
schmerzten heftig, seit Mo-
naten hatte die Frau nicht
gehen und sitzen können.
Der Bauch hatte eine
enorme Ausdehnung erlitten
und hing bis zu den Knieen;
seine fast papierdünnen
Decken waren mehrfach
nekrotisch. Ich sah die
Kranke übrigens seit Jahren
zum ersten Male wieder
am Tage der Entbindung,
nach vollkommen ausge-
tragener Schwangerschaft,
28. März 1868.
Allseitig vereng
Becken, mit eil
Conjugata des £
gangs von 2% Zi
Eine genaue Unt
snchung des Beck«
war durch den üb
hängenden Bat
und durch die l
mö'glichkeit, unt
halb der Symph;
einzudringen, si
erschwert. Bei
Schambeinäste Iaj
bis zn den Si
knorren fest
einander, die
seitige Verengen
hatte noch sugen<
men nnd die errei
baren Knochen wa
fühlbar verdünnt.
für GebnrUhfilf« in Berlin.
115
Zustand des Kindes
▼or der
Operation.
Ausgang
für die Matter, für das Kind.
Bemerkungen.
Das Kind lebte und
lag mit dem Kopfe
Die Mutter
genas in sehr
kurser Zeit
und stillte
ihr Kind
selbst
Das Kind lebte.
Das Kind war bei
beginnender Ge-
burt todt, sollte
aber Tags zuvor
noch gelebt
haben.
Die Mutter
starb 80 Stun-
den nach der
Entbindung
an unstill-
barer Blu-
tung in dem
Leibe.
War todt.
Mitgetheilt wie Fall 2.
Die Heilung erfolgte ohne
alle Eiterung, obsehon die
Operirte schon am dritten
Tage aufstand und eine
tüchtige Schüssel Kartoffeln
▼erspeiste. Die Narbe war
▼ollkommen fest in Haut
und weisser Linie, doch
haben steh später zwei
oder drei kleine nussgrosse
Lücken in der Vereinigung
der Linea alba gebildet.
Der Uterus lag mit der ein*
geschlossenen Frucht dicht
hinter der Bauchdecke,
welche nur aus der äusserst
▼erdünnten Haut bestand
und ganz ausser der eigent-
lichen Unterleibshöhle vor
den Oberschenkeln der Frau.
Die Wände derGebärmutter
selbst waren papierdänn und
▼ollkommen durchsichtig,
den Eihäuten gleich. Doch
aog sie sich nach Entfernung
des Kindes ziemlich zu-
sammen. Die Blutung war
im ersten Augenblicke un-
bedeutend, füllte aber bis
zum anderen Tage den
Bauch bis su derselben
Ausdehnung und Form , die
er vor der Entbindung be-
sessen hatte.
Mitgetheilt wie Fall 2.
*•
116
II. Verhandlungen der Gesellschaft
Namen
und
Stand.
TJnverehel.
Dienstmagd
Helmrich,
21 Jahre alt,
in leid-
lichen Ver-
hältnissen.
Elberfeld.
Ehefrau des
Tagelöhners
Prosper-
aehild,
34 Jahre,
in äusserst
ärmlichen
Verhält-
nissen.
Elberfeld.
Geburts-
zahl.
Erste
Geburt.
Sechste
Geburt.
Zustand der Matter vor der Operation.
Allgemeinzustand.
Gesunde, gut ernährte Frau
von rhachitischem Bau;
Körpergröße 3' 8". Alle
Röhrenknochen sklerotisch,
fast winklich verbogen ;
die Gelenkenden verdickt.
So machen die Oberschenkel
einen nach vorn und aussen
vorspringenden Bogen von
36 Grad. Die Schwanger-
schaftwar ausgetragen; die
Geburt hatte am 18. Januar
1859 früh Morgens be-
gonnen; Nachmittags ging
falsches Fruchtwasser ab,
und wurde demnächst die
Operation vorgenommen.
Hat fünf Kinder ohne Kunst-
hülfe, das letzte vor vier
oder fünf Jahren geboren;
ist in den letzten Jahren
häufig „gichtbrüchig"; in
dieser letzten Schwanger-
schaft fast ganz „lahm*
gewesen durch anhaltende,
sehr heftige Schmerzen in
den Becken- und Hüft-
knochen. Die Frau war
sehr abgemagert und ver-
fallen. Die Geburt hatte
angeblich 36 Stunden vor
meiner Ankunft und am
Ende des achten Schwanger-
schaftsmonates begonnen ;
zur Zeit, als ich ankam,
war das Fruchtwasser schon
12 Stunden abgeflossen;
der Bauch hing weit über
die Oberschenkel hinab, die
Leisten und Oberschenkel
waren excoriirt, durch die
sehr verdünnten Bauch-
wände und durch den Uterus
konnte man ein Knie und
eine Kniescheibe des Fötus
deutlich durchfühlen,
22. MKrz 1860,
Beckenverhältnisse.
Hoher Stand des Pro
montor, Conjugati
2% Zoll. Allseitig«
entsprechende
Beckenvereng'ernng.
Der Abstand derTuben
betrug %— % Zoll
die absteigendei
Aeste standen dich
aneinander, unter dei
Symphyse wichen sie
etwas weiter aus
einander, aberwede
hier noch zwischei
den Sitzbeinknorrei
vermochte der unter
suchende Finger ein
zudringen. Zuspitsunj
derSymphyse, schlüs
sellochförmige Ge
stalt des Scham
bogens.
Air Geburtehfilfe in Berlin.
117
Znstand des Kindes
vor der
Operation.
Aasgang
für die Mutter, für das Kind.
Bemerkungen.
Das Kind lebte und
lag mit dem Kopfe
Die Mntter
starb am
11. Tage an
Blutung aus
der wieder
eröffneten
Uteruswunde.
Wurde
Leben
halten.
er-
Das Kind hatte im
Laufe des Tages
noch Bewegungen
gemacht und leb te,
trotzdem wir seine
Herztöne nicht zu
su hören ver-
mochten. Es lag
mit dem Kopfe
Die Mutter
starb an Er-
schöpfung
am zweiten
Tage nach
der Entbin-
dung.
Das Kind lebte,
war aber
scheintodt.
Es wurde
zum Leben
zurückge-
bracht, starb
aber dann in
8 oder 14
Tagen aus
Mangel an
passender
Ernährung.
Die Operation ging sehr
leicht von Statten. Der
Zustand der Kranken war
in den ersten Tagen nach
Wunsch ; der üble Ausgang
wurde herbeigeführt durch
einen kleinen Blute rguss
«wischen Uteruswunde und
Bauchdecke , der wahr-
scheinlich am sechsten oder
siebenten Tage in Folge
unvorsichtigen Aufstehens
der Kranken . entstanden
war. Die genaue Vereini-
gung des unteren Wund-
winkels wurde dadurch
unmöglich, das Blut ver-
jauchte, die Uteruswunde
öffnete sich und die Kranke
starb an Blutung in die
Bauchhöhle am 28. Jan. 1859.
Die Operation ging ohne
üble Zufalle von Statten;
die Nachgeburt lag unten
im Schnitte vor, wurde
aber ohne Verletzung gelöst.
Die äusseren Verhältnisse
und das Allgemeinbefinden
der Frau waren zu un-
günstig, als dass ein guter
Ausgang hätte erzielt wer-
den können.
120
II. Verhandlungen der Gesellschaft
Geburts-
■ahl.
Zustand der Mutter vor der Operation.
Allgemeinsustand. Beckenverhältnisse.
geflossen, als ich am 4. Mai
1861 gerufen wurde.
Der Bauch hing weit
fiber die Oberschenkel hinab,
richtete sich dann in jeder
Wehe vollständig auf, so
dass der Nabel die höchste
Stelle bildete. Die Wehen
waren sehr stürmisch, mit
kaum minutenlangen Pau-
Ehefrau des
Consulenten
JBUbr,
32 Jahre,
in ziemlich
günstigen
Verhält-
nissen.
Somborn.
10. Ehefrau des Erste Klein gewachsene, kaum
Geburt. 4 Fuss grosse Frau, mit
sklerosirten , verbogenen
Röhrenknochen; Ernährung
gut.
Die Geburt hatte schon
über einen gansen Tag ge-
dauert, das Fruchtwasser war
seit 15 Stunden abgeflossen,
als ich die Kranke am 18. Mai
1861 sah. Die Gebärende
war durch sehr stürmische
Wehen erschöpft, der Bauch
hing vollkommen über den
Schambogen hinunter, die
stark gefüllte Blase war
aus dem kleinen Becken
hinausgedrängt, es war un-
möglich, den Katheter au
appliciren.
Das Gesicht des Kindes
lag vor, die Stirne vorn
und links, es war fest in
den Beckeneingang ein-
fekeilt, namentlich in
essen linker Hälfte, wäh-
rend rechts das Promontor
erreicht werden konnte.
Die Resultate, die sich aus vorstehender Tabelle ergeben,
sind folgende:
Zunächst ist hervorzuheben, dass die' Operation immer
in der Privatpraxis ausgeführt werden musste, und zumeist
unter den ungunstigsten äussern Verhältnissen soweit Wohnung,
Nahrung und Pflege der Kranken dahin gerechnet werden
dürfen.
Das Becken stand seh
steil durch den hohei
Stand des Promon
tors; es ragte diesei
rechts weiter vor all
links, so dass ein<
asymmetrische Ver
engerung des Becken
eingangs nachgewie-
sen werden konnte
Diagonaleonjugati
wurde auf 2*/4 Zoll
die wirkliche be
dem hohen Stand«
des Promontors au
2'/4 Zoll geschätzt
Der Beckenausgan g
war in allen Dimen-
sionen verengert,
aber in geringeren
Grade.
für Geburtshfilfe in Berlin.
121
astand des Kindes
vor der
Operation.
>as Kind sollte
sieh im Lanfe des
Tages noch be-
wegthaben; seine
Herztöne waren
nicht sn hören.
Ausgang
für die Matter, für das Kind.
Die Matter
starb an Blu-
tung am vier-
ten Tage.
Das Kind kam
todtzurWelt.
Bemerkungen.
Die Frau hatte während des
ersten Geburtstages einen
sehr quälenden Bronchial-
catarrh erworben. Ein
heftiger Hustenanfall gab
Veranlassung zum Bersten
der vorher vollkommen
geschlossenen Uterinwunde
und zu reichlicher Blutung
in die Bauchhöhle. Die
Kranke wurde eiskalt und
starb innerhalb 12 Stunden
nach Eintritt der Blutung.
Die Placenta lag in der
unteren UterusschnitthSlfte.
Zehn Mal wurde operirt, sechs Mal bei osteomalacischem
Becken, darunter zwei Mal bei derselben Frau, und vier Mal
bei rbachitischem Becken.
Die Osteomalacie (1, 2, 3, 5, 7, 9) war immer florid,
und das mit ihr verbundene Allgemeinleiden (Abmagerung,
Cardialgie, Bonchialcatarrh , Oedem) weit fortgeschritten; in
einem Falle (3) war Ruptur des Uterus und intraabdominelle
122 H* Verhandlungen der Gesellschaft
Blutung vor der Operation eingetreten, im fünften Falle war die
Frau, an welcher der Kaiserschnitt zum zweiten Male ausgeführt
wurde, sterbend, nachdem sich schon mehrfache Nekrose der
äusserst abgemagerten Bauchdecken eingestellt hatte. Die an
rhachitischer Beckenverengerung leidenden Frauen 4, 6,
8, 10 Hessen in Bezug auf ihr Allgemeinbefinden vor Beginn
der Geburt keinen Ausstellungen Baum.
Den Zustand der Kinder anlangend, so waren sicher
abgestorben vor der Geburt No. 3, 5 und 10, sterbend in
Folge von Zerquetschung des Schädels No. 8, scheintodt No. 7,
die fünf andern lebten.
Um eine Uebersicht über die Resultate zu gewinnen,
müssen wir zunächst feststellen, dass von den zehn Müttern
gesund waren vier (4, 6, 8, 10), an hochgradiger Osteoma~
lacie und entsprechendem Marasmus leidend vier (1, 2, 7, 9)
und sterbend zwei (3 und 5), während von zehn Kindern
drei gestorben (3, 5, 10), eins sterbend (8) und eins schein-
todt war (7). Nach Abzug der zwei# sterbenden Mütter und
der vier gestorbenen und sterbenden Kinder würden acht
Mütter und sechs Kinder übrigen, für welche der Endausgang
aus unsrer Tabelle zu berechnen ist. Von diesen vierzehn
Individuen wurden nur sieben erhalten, drei Mütter und vier
Kinder, ein fünftes Kind starb unter der Entbindung, und ein
sechstes starb nach 8 Tagen an Nahrungsmangel.
Im Ganzen stellt sich das Verhältniss der Genesenen für
die Mütter auf 40 Procent, für die Kinder auf 70 Procent,
und der Durchschnitt für beide zusammen auf 50 Procent.
Ein Verhältniss, welches summarisch betrachtet, keinesfalls
ungünstiger sein kann, als das der Perforation, bei welcher
sicher 50 Procent geopfert werden müssen. Dabei muss her-
vorgehoben werden, dass im sechsten Fall der Tod der Mutter
wahrscheinlich durch unvorsichtiges Aufstehen und dadurch
herbeigeführtes Bersten der Uterinwunde herbeigeführt wurde.
Die Falle, in denen ein günstiger Ausgang für die Mutter
erzielt wurde, sind 1, 2 und 4, die zwei ersten bei osteoma-
lacischem, der letzte bei rhachitischem Becken, so dass auf
sechs, oder nach Abzug der zwei Fälle 3 und 5, auf vier
Osteomalacieen zwei und auf vier rhachitische Beckenverenge-
rungen eine Heilung kommen. In den zwei ersten Fällen
für Gebortshülfe in Berlin. 123
wurde die Operation frühzeitig, im dritten zwar etwas später
vorgenommen, aber doch zu einer Zeit, wo die Kreissende
durch übermässige Geburtsarbeit oder gar durch ungeeignete
Entbindungsversuche noch nicht erschöpft war. Von den sieben
gestorbenen Frauen befanden sich nur zwei in gleichgünstiger
Lage, Frau Hamrnes, No. 5, welche an Osteomalacie sterbend
war, und Helmrich, No. 6; welche wahrscheinlich unter dem
Einfluss äusserer Schädlichkeit zu Grunde ging. So stellt
sich also für diese Kategorie das Verhältniss der Genesenen
zu den Gestorbenen wie 3 zu 1, wenn man FaD fünf aus-
schliesst.
Die sieben gestorbenen Mütter gingen zu Grunde,
eine an Ruptur des Uterus (3),
eine an Marasmus der Osteomalacie (5),
zwei an Erschöpfung bei gleicher Ursache (7 u. 9),
zwei an Blutung in der Bauchhöhle (6 u. 10),
eine an eitriger Peritonitis (8).
Die Fälle 3, 5 und 6 sind schon besprochen; bei den
andern vier hatte die Geburt bereits ein bis anderthalb Tag
gedauert, war das Fruchtwasser schon zwölf und fünfzehn
Stunden abgeflossen, oder waren gar schon Entbindungsversuchc
gemacht worden, ehe man sich zur Operation entschloss.
Man kann aus der immerhin geringen Zahl von Beobachtungen
doch das Resultat feststellen, dass ein günstiger Erfolg da
erzielt wurde, wo frühzeitig, d. h. vor dem Blasensprunge
operirt werden konnte, während in den andern Fällen die
allgemeine Erschöpfung der Gebärenden und die nachlassende
Contractionsfähigkeit des Uterus die Hauptschuld des Übeln
Ausganges trugen.
Ueber die Technik der Operation ist Nichts Neues zu
berichten.' Der Schnitt wurde in allen Fällen durch die Linea
alba geführt, und meist bis über den Nabel verlängert, so
dass alle Manipulationen vollkommen bequem gemacht werden
konnten. Die einige Male im Uterusschnitt vorliegende Nach*
geburt wurde niemals durchschnitten, sondern immer seillich
gelöst Das wesentliche Hindemiss für einen guten Ausgang
lag in der erschöpften Contractionsfähigkeit des Uterus, wo
dann nach Entfernung des Kindes die Wunde weit klaffte und
blutete, oder im Verlaufe dar nächsten Tage sich wieder öffnete.
124 H* Verhandlungen der Gesellschaft
ehe gehörige Verklebung erfolgt war. Leichtes Reiben des
Gebärmuttergrundes, Eisstückchen, in die Höhle des Uterus
gelegt, Mutterkorn innerlich angewendet waren ohne grossen
Einfluss; ich glaube, dass eine durchlaufende in die Gebär-
multerhöhle hinabhängende Naht zu versuchen ist, um wenig-
stens einen einstweiligen Verschluss der Wunde herbeizu-
führen.
Zwei Mal lag das Netz vor dem Uterus, einmal lag in
ihm eine locker haftende und leicht zu lösende Kyste, welche
entfernt wurde. Uebrigens wurde das Netz nach Durchtren-
nung der Haut zurückgeschoben.
In keinem Falle hatten wir einen wesentlichen Darm-
vorfall zu beklagen; starkes Anziehen der Hautwundränder
im Augenblicke der Extraction des Kindes genügte, um diesen
Uebelstand ohne Schwierigkeit zu vermeiden.
Kalte Umschläge, feuchte Einwickelungen, Morphium und
Eispillen, absolute Diät wurden während der ersten Tage nach
der Operation angewandt
Die Heilung erfolgte in Fall 1 nach ziemlich langwieriger
Eiterung und nur durch Vereinigung der Haut, in Fall 2 mit
gleichzeitiger Bildung einiger brackenartiger Stränge in der
Linea alba, und in Fall 4 durch directe Vereinigung der ganzen
Linea alba, obschon die Kranke in den ersten Tagen nach der
Operation aufstand und später keine Bauchbinde trug. Als
ich nach 1 — 2 Jahren die Operirte wiedersah, halten sich
zwei nussgrosse Brüche in der Linea alba, gebildet.
Es bleiben einige Worte über die Osteomalacie zu
sagen. Es kommt diese Krankheit in unserer Gegend häufig
vor, zumeist allerdings in den grösseren Städten, während
auf dem Lande die Rhachitis vorwiegt Uebrigens habe ich
wiederholt beobachtet, dass früher rhachitische Frauen später
osleomalacisch wurden. Die Krankheit befallt fast ausschliess-
lich Frauen des Proletariats; feuchte, dunkle und enge Woh-
nungen, karge Kost, hauptsächlich aus Kartoffeln bestehend,
rasch aufeinander folgende Schwangerschaften waren die
äusseren Umstände, unter denen sich das Uebel entwickelte.
In einem Falle sahen wir die Krankheit bei einer Dame besseren
Standes allein unter dem Einflüsse einer überschwemmt ge-
wesenen Wohnung entstehen; bei einer anderen gleichen Standes
für Geburtsbülfe in Berlin. 125
gab eine gewaltsame Zangenentbindung t<Jie Ursache ab, bei
einer dritten war keine äussere Ursache aufzufinden. Alle
übrigen Fälle, und ich habe deren 40 — 50 notirt, betrafen
Frauen des geringsten Arbeiterstandes oder des vollkommenen
Proletariats, und waren überall die oben erwähnten äusseren
Einflüsse leicht nachweisbar. Von hohem Einflüsse auf die
Entwickelung und den Verlauf des Leidens waren die Schwanger-
schaften, einige Male führte die Krankheit in einer einzigen
Schwangerschaft zu hober Verbiegung der Beckenknochen,
während andere Male nach Ablauf der Schwangerschaft eine
wesentliche Remission oder gar eine scheinbare Heilung ein-
trat, bis dann später, in der Regel mit einer folgenden
Empfangniss die Krankheit wieder exacerbirte. Die rapideste
Entwickelung bot Fall 1, wo innerhalb vierzehn Tage nach
der Geburt die vorher erkrankten aber noch unnachgiebigen
Knochen vollständig erweichten, Osteomalacia cerea. Ueberhaupt
exacerbirte das Leiden meistens im Wochenbette, und be-
sonders nach gewaltsamen Zangenentbindungen. Einmal habe
ich beobachtet, dass die Krankheit gegen das Ende der Puber-
tätsperiode und unabhängig von Schwangerschaft eintrat, bei
einer Frau von 42 Jahren, deren jüngstes Kind damals zehn
Jahre alt war. Die Dauer der Krankheit war zumeist eine
sehr langwierige, eine Verschlechterung ist zuweilen schnell,
eine Besserung nur sehr langsam und unvollständig möglich:
Eisen, Leberthran, Kalk und daneben Salzbäder leisteten
ziemlich gleichviel, d. h. sehr wenig.
Die charakteristischen Erscheinungen der Krankheit sind
etwa folgende:
Schmerz in den befallenen Knochen. Derselbe
begann in den vom Beginn beobachteten Fällen immer an
einem oder an beiden Sitzbeinknorren; er war spontan
vorhanden, aber durch jeden Druck leicht zu steigern. All-
mälig verbreitete sich derselbe zur Symphyse und zum Sitz-
beinstachel, ging dann auf die übrigen Beckenknochen, aufs
Kreuz und auf die letzten Lendenwirbel über. Recht früh
wurden die Hüftgelenke, in schwereren Fällen die Schultern
schmerzhaft. Charakteristisch ist, dass Druck den Schmerz
in den Hüftgelenken nur massig vermehrt, während die,
Functionsstörung eine sehr bedeutende ist Schon in ziemlich
126 H. Verhandlungen der Gesellschaft
früher Periode der Krankheit werden alle Bewegungen inq
Gelenk des Schmerzes halber vermieden. Man kann sich
ohne Schwierigkeit überzeugen, dass ein grosser Theil dieses
Schmerzes durch die Spannung der am Becken befestigten
Musculatur vermittelt wird, während vorsichtige passive Be-
wegungen viel leichter ertragen werden. So sind denn die
Gehversuche der Kranken recht bezeichnend; der ganze
Schenkel ruht im Hüftgelenk unbeweglich auf dem die Erde
nicht verlassenden Fusse, nun wird abwechselnd bei fixirten
Zehen die Ferse und bei fixirter Ferse die Fussspitze vor-
geschoben und solchergestalt eine sehr mühsame Fortbewegung
vermittelt. Gleichzeitig ist das Sitzen durch den vorzugs-
weise die Sitzknorren treffenden Schmerz unmöglich, und da
bei vorgeschrittenem Leiden Kreuz- und Lendenwirbel mit
ergriffen sind, so können die meisten Kranken nur in der
Seitenlage abwechselnd auf einem und dem andern Trochanter
ausdauern. Ist dagegen ein Sitzknorren ziemlich schmerzlos,
das Uebel mehr einseitig entwickelt, so wählen die Kranken
eine schiefe halbsitzende Stellung auf der gesunden Seite mit
möglichster Vermeidung jeden Druckes auf die erkrankten
Knochen.
So schwankt das Leiden mit mannichfachen Remissionen
und Exacerbationen hin und her, Monate und Jahre lang;
häufig wiederkehrende, zuletzt anhaltende Catarrhe der
Bronchien und des Magens gesellen sich constant hinzu,
die Kranken werden anämisch, Fett und Musculatur magern
aufs äusserste ab, während in einzelnen Fällen gleichzeitig die
Körpergrösse messbar abnimmt.
Was nun endlich die Knocbenveränderungen anlangt,
so sind sie in entwickelten Fällen während des Lebens nach-
weisbar als Verbiegungen, Verkleinerungen in Breite und Länge
und als Erweichungen. Es ist selbstredend, dass der Process
in umgekehrter Reihenfolge stattfinden muss, dass die Resorption
der Kalksalze , d. h. die Erweichung der Verbiegung und Ver-
kleinerung voran gebe, während allerdings kleinere Grade von
Verbiegung eher erkannt werden können als eine leichtere
Erweichung, die immer nur aus der im Leben selten nach-
weisbaren Biegsamkeit zu ersehen ist
für Geburtshülfe in Berlin. 127
So bleibt denn neben den functionellen Störungen als
erstes klinisches Zeichen der Knochenerkrankung: die
Verbiegung. Dass dieselbe ein bestimmtes Schema ein-
halten müsse, glaubt heut zu Tage wohl Niemand mehr; sie
entwickelt sich vielmehr abgesehen von der gleich zu besprechen-
den Möglichkeit einer Infraction wesentlich unter dem Drucke
der Körperlast und unter dem Einflüsse der Muskel-
wirkungen« Der letzte Factor verliert seine Bedeutung aber
fast dadurch, dass die am Becken befestigten Oberschenkel-
muskeln fast gar nicht gebraucht und aus diesen, wie aus
allgemeinen Gründen sehr rasch atrophisch werden. Bei
einiger Aufmerksamkeit kann man sich auch sehr leicht über-
zeugen, dass die Lagerung der Kranken und die daraus resul-
tirenden Druckverhältnisse bedingend sind für die Becken-
deformität Bei den meisten Kranken sind beide Seiten des
Schambogens, die Tubera, und die Kreuzdarmbein fugen gleich-
zeilig erkrankt, das grade Sitzen und die Rückenlage sind
gleicbmässig unmöglich; so liegen die Kranken Monate lang
abwechselnd auf einem oder dem andern Trochanter und es
entwickelt sich die bekannte Querverengerung des Beckens
mit Zuspitzung der Symphyse, während dort, wo bei vorzugs-
weise einseitiger Erkrankung eine halbsitzende Stellung auf
dem gesunden Sitzknorren eingehalten wird, auch die Körper^
last mehr in der senkrechten wirkt Das Becken verengt in
der Höhe, Promonlor und Lendenwirbel rücken nach unten
und vorn bei gleichzeitiger Verengerung des Beckenausganges
durch Heranrücken des erkrankten Tuber. Es wird daneben
eine stellenweise höher entwickelte Knochenerkrankung auch
einzelne stärkere Einbiegungen gestatten, und endlich die
Verkleinerung und Schrumpfung aller Beckenknochen
einen gewissen Antheil an der Beckenverengerung haben
müssen.
Die Verdünnung ist zuweilen während des Lebens
nachzuweisen an den zugängigen Knochen des Schambogens,
wenn der Prozess beide Hälften in ungleichmässiger Entwicke-
lung befiel.
Die Erweichung vermochten wir nur in Fall 1, bei
rapidem KrankbeOsverlauf während des Wochenbettes zu er-
128. H. Verhandlungen der Gesellschaft
kennen. Ein massiger Druck reichte hin, um den Finger
durch eine Stelle des Schambogens zu führen, die früher un-
durchdringlich geschlossen war. In einem anderen Falle
haben wir die forcirte Zangenextraction nach vorgängiger
Perforation gemacht, und ebenfalls eine geringe Nachgiebigkeit
zu erkennen geglaubt.
Eine vollkommene Infraction existirte nur in Fall 3,
sie betraf die Verbindungsstelle des Hüft -Schambeins, und ging
spitzwinklig nach hinten. Durch welchen besondern Mechanis-
mus sie zu Stande gekommen, wurde nicht ersichtlich.
Dass der ganze Knochenprozess wesentlich beruht auf
Resorption des Knochenkalks ist pathologisch wie klinisch
bekannt Wir haben wiederholte Harnuntersuchungen beson-
ders in Fällen rapider Entwicklung des Leidens vorgenom-
men, ohne irgend welche Vermehrung der Harnsalze nachweisen
zu können. Der Harn war vielmehr specifisch leicht, 1008
bis 1012, von etwas vermindertem Volum, sehr blass, und
von vermindertem Salzgehalt. Gleiches gilt von der Milch,
die ferner z. B. in Fall 1, bei rapider und fehlbarer Knochen-
erweichung kaum einige Tage in spärlicher Menge abgeson-
dert wurde. So müssen wir uns damit begnügen, zu wissen,
dass reichlich Kalkablagerungen auf Darm- und Bronchial-
Schleimhaut stattfinden, woselbst sie die Quelle der für
hochgradige Osteomalacie constanten Catarrhe dieser Organe
abgeben.
Die charakteristische Schilderung der Osteomalacie erregte
bei der überaus grossen Seltenheit dieser Krankheit in Berlin
das ungetheilte Interesse der Gesellschaft Von den An-
wesenden konnte Niemand aus eigener Beobachtung in Berlin
einen Beitrag zu dem verlesenen Aufsatze liefern.
Herr Martin, der mehrere Fälle von Osteomalacie in
Jena und Umgegend beobachtet hat (z. B. einmal mit exqui-
siter Verunstaltung des Beckens bei einem Fräulein, welches
viele Jahre in der Irren -Heil- und Pflegeanstalt gelebt hatte
(Neue Zeitschr. f. Geburtskunde, Band XV., S. 69— 73) und
einmal bei einer zum achten Male Schwangeren durch die
hochgradige Beckenverengerung in Folge neunjähriger Knochen-
flttr Gebnrtehülfd in Berlin. 129
erweichung zum Kaiserschnitte genöthigt war, berichtete, das*
er bei einem Aufenthalte zu Kopenhagen in den letzten
Monaten von den Professoren Levy und Ipsen daselbst
Folgendes gehört habe: Obschon die Krankheit in Dänemark
kaum vorkomme, habe man in Kopenhagen vor längerer Zeit bei
drei Frauen, welche in einem dumpfen, schlechten Gefängnisse
detinirt waren, die höchsten Grade der Osteomalacie gefunden.
Nach dem vor etwa 15 Jahren stattgefundenen Umbau der
Gefängnisse sei ein Beispiel dieser Krankheit nicht wieder
beobachtet Auch in Holstein scheine nach Michaelis die
Krankheit kaum zu existiren; jedoch habe Litzmann sich
einmal durch diese Beckenverunstaltung zum Kaiserschnitte
genöthigt gesehen.
Sitzung vom 12. November 1861.
Der Vorsitzende zeigt den am 22. October erfolgten Tod
des Professor Dr. Leubuseher an, und weist auf die Verdienste
bin, welche der leider so früh verstorbene College, als ausser-
ordentliches Mitglied der Gesellschaft, durch rege Teilnahme
an deu Sitzungen und Debatten sich auch um diesen Kreis
erworben. Auf seinen Antrag erheben sich die Anwesenden,
als Zeichen ihrer Achtung, von ihren Sitzen.
Herr Dr. Kugelmann in Hannover (ausw. Mitglied) hat
an den Präsidenten eine von ihm erfundene Gebärmuttersonde
eingeschickt, welche in Abwesenheit dieses von dem Secretär
vorgezeigt wurde. Beigefügt für die Gesellschaft waren
folgende Zeilen mit Abbildung:
Neue Uterus-Sonde.
Die bisher gebräuchlichen Uterus-Sonden haben folgende
Üebelstände:
1) Der Maassstab ist auf der Sonde selbst durch Linien,
Zahlen und Erhöhungen bezeichnet. Durch die mangelnde
Glätte ist die Sonde bei der Einführung empfindlicher und
verursacht öfters Verletzungen der Uterinschleimhaut. Bei
den für die Harnröhre bestimmten Instrumenten (Katheter,
MonfctMohr. f. GebarUk. 18S9. Bd. XIX., Hft. 1 n. 8. 9
130 H* Verbandlungen der Gesellschaft
Sonden etc.) sind Rauhigkeiten längst als erheblicher Fehler
anerkannt und werden sorgfältig gemieden.
2) Die Länge des Uterus muss durch Fixiren des Fingers
an der Sonde bestimmt werden, wodurch selbst bei der
grössten Uebung, bei Lagenveränderungen, Fluor albus etc.
Ungenauigkeiten bisweilen nicht zu vermeiden sind.
3) Bei Flexionen muss die Sonde wiederholt eingeführt
werden, um die Länge bis zur Knickungsstelle und die Total-
länge des Uterus zu bestimmen.
Diese Uebelstände werden durch die Sonde vermieden,
welche, nach meiner Angabe, der Instrumentenmacher A. Ehr-
hardt hier, angefertigt hat
Auf der convexen Seite einer durchaus glatten, nach der
Beckenaxe gebogenen, neusflbernen Sonde, befindet sich ein,
der Breite derselben entsprechender, gut federnder Maassstab
von demselben Metall. Durch zwei nach vorn offene Klam-
mern wird derselbe an die Sonde gedrückt An seinem
oberen Ende ist ein flacher Knopf angelöthet Der Maassstab
geht so durch den Griff, dass die leichte Verschiebbarkeit
nicht beeinträchtigt ist, steht unten so weit unter dem Sonden-
schafte b vor, als der überragende Knopf der Sonde beträgt
und ist durch eine kleine Flügelschraube leicht zu fixiren.
Auf der Rückseite ist der Griff durch einen Schieber zu öffnen,
um den Maassstab zum Reinigen herauszuheben. —
Vor dem gewöhnlichen Gebrauche stellt man den
Maassstab auf die Normallänge Nt um durch den Knopf des-
selben zu wissen, wann man bis zur Normaltiefe eingedrungen
ist, lüftet die Schraube, zieht den Maassstab zurück, fuhrt
die Sonde bis in den Fundus uteri, schiebt den Knopf des
Maassstabs bis an das Orif. uteri und fixirt wieder durch die
Schraube. — Das Vorschieben des Maassstabs geschieht leicht,
indem man Zeige- und Mittelfinger an das Ende des Griffs
legt, durch den Daumen.
Wie bei Flexionen zu verfahren ist, erhellt von selbst.
Ist man bis zur Flexionsstelle gelangt, so kann man, ohne
die Sonde zu entfernen, äusserlich das Maass ablesen und
dann die ganze Länge bestimmen.
Die beigefügte Zeichnung entspricht der halben Grösse.
für GebnrtoMIfe in Berlin.
131
a-b.
b.
e — d.
e.
Sonde.
Unteres Ende des Sonden-
schafts, welches das Maass
markirt.
Normallänge des Uterus nach
Kiwisch's Sonde = 2" lm
Pariser Maass.
Knopf und oberes Ende des
beweglichen Maassstabes.
Schraube zum Fixiren des
Maassstabes.
Schieber auf der Rückseite
des Griffes.
Klammern, welche den Zu-
sammenhang des Maassstabes
mit der Sonde bewirken.
Durchschnitt des Sonden-
griffes.
132 H* Verhandlungen der GeselUchaft
Von demselben Verfasser (Kugelmann) war die Be-
schreibung der Exeision eines Gebärmutterpolypen eingeschickt,
welche der Gesellschaft vorgelesen wurde.
Herr Kauffmann referirte über das in der vorigen
Sitzung eingegangene Buch des Dr. A. ffegar: Pathologie
und Therapie der Placentarretention. Die fleissige und gedie-
gene Arbeit des Verfassers, der reiche literarische Nachweis,
den er in diesem Buche bietet, und die wissenschaftliche Be-
handlung des Gegenstandes machen es dem Referenten schwer
einen genügenden Auszug davon zu geben, und hält er es
um so mehr für Pflicht auf das Studium des Buches selbst
hinzuweisen. Kommt die Therapie auch nicht auf besonders
neue Verfahren und bat jeder wissenschaftlich gebildete Ge-
burtshelfer auch in praxi gewiss die angegebenen Regeln
meist befolgt, so entbehrte der Gegenstand doch bisher einer
eingehenden Arbeit, und sind wir dem Verfasser für die
übersichtliche Behandlung des pathologischen Theils jedenfalls
vielen Dank schuldig.
Sitzung vom 26. November 1861.
An das in der der letzten Sitzung gehaltene Referat
über Hegar: Pathologie und Therapie der Placentarretention
knüpfte sich eine Debatte über Placentarretention , welche von
Herrn H. ßtrassmann eröffnet wurde. Dieser theilte
einen in letzter Zeit verfassteil Aufsatz mit, in welchem er
seine in der geburtshülflichen Klinik und Poliklinik der
Universität als Secundärarzt derselben gemachten
Erfahrungen über die Credfache Methode zur
Lösung der Nachgeburt
zusammengestellt hatte.
Schon längst hat die allgemeine Ansicht der Geburts-
helfer zu Gunsten des activen Verfahrens in der Nachgeburts-
periode entschieden, und es wäre den Anhängern des passiven
Verhaltens längst jeder Grund zur Opposition genommen,
wenn nicht mit der bisher üblichen Weise der Entfernung
der Placenta eine Reihe von Uebelständen innig verbunden
für Geburtshtilfe in Berlin. 133
wäre. Die von Credt aufs Neue1) aufgenommene Methode
der. Herausbeforderung des Fruchtkuchens mittels äusseren
Drucks auf den Uterus schien nun die beste Vermittelung
zwischen den beiden extremen Richtungen zu sein, indem sie
einerseits nicht die Hände müssig in den Scbooss legen lässt,
andererseits aber jeden Eingriff vermeidend nur den Bestre-
bungen der Natur zu Hälfe zu kommen sucht Ich hatte
mir deshalb seit Langem vorgenommen, dieselbe sorgfältigst
zu prüfen, und dieser Vorsatz ward nur noch mehr befestigt
seit meinem Aufentbalte in der hiesigen Entbindungsanstalt.
In der Privatpraxis freilich, wo man die Hülfsleistungen
in der Nachgeburtsperiode selbst verrichtet oder durch zu-
verlässige Hebammen verrichten lässt, mögen auf den ersten
Blick die Vortheile der neuen Methode nicht so sehr ein-
leuchtend erscheinen, dass man sich veranlasst sähe, das alte
Verfahren, von dem man nie Nachtheil gesehen und mit dem
man in der grössten Mehrzahl der Fälle ausgekommen, auf-
zugeben. Anders gestaltet sich aber das Verhältniss in der
klinischen oder poliklinischen Praxis, wo der Natur der Sache
nach das Geburtsgeschäft öfters weniger geübten Händen über-
lassen werden muss. Unter solchen Umständen drängt sich
sehr bald das Bedürfnis« auf, ein Verfahren angeben zu
können, das mit Sicherheit und auch bei länger dau-
ernder Anwendung ohne Beleidigung der mütter-
lichen Genitalien zum Ziele führt. Diese Sicherheit
bietet aber das alte Verfahren in manchen Beziehungen nicht,
denn immer hegt hierbei die Gefahr des vorzeitigen Zuges
oder Abreissens der Nabelschnur, selbst ohne besonderes Ver-
schulden des Geburtshelfers bei weichen, dünnen, zumal fau-
lenden Nabelschnüren, bedenklich nahe.
Das Bedürfniss nach einem von Gefahren ganz freien
Handgriffe war es indess nicht allein, was bestimmte, die
1) Zur Vervollständigung der von Ortdi in seinem Anfsats
gegebenen historischen Zusammenstellung der Behandlungsweisen
der Nacbgeburtsperiode, will icb hier Anführen, dass sich fai
einer Schrift Joh. D. Busch1» (Beschreibung zweier menschlicher
Missgebarten, Marburg 1802) folgende Stelle findet: „ich mani-
pnlirte einige Minuten von Aussen gelinde und so ging die Nach-
geburt leicht und gkMdtah ab.*
134 II' Verhandlungen der Gesell* chaft
Credfsche Methode sorgfaltigst zu prüfen, sondern auch der
Ausspruch ihres Autors, dass die allgemeine Ausübung $gmes
Verfahrens das Gespenst der angewachsenen Placenten ganz
verscheuchen werde, da ihm solche Verwachsungen seit der
alleinigen Anwendung der äusseren Manipulationen nicht mehr
vorgekommen seien. Die gegnerischen Stimmen haben schon
auf der Königsberger Naturforscher- Versammlung diesen Punkt
namentlich bestritten und behauptet, dergleichen Verwachsungen
würden immer wieder zur manuellen Lösung zurückführen,
eine aprioristische Behauptung", da keiner der Gegner das
Verfahren erprobt hatte. Ich stellte mir daher die doppelte
Aufgabe: 1) zu erfahren, ob [die äusseren Manipulationen
überhaupt prompt reussiren, 2) ob auch bei alleiniger und
consequenter Anwendung derselben so abnorm feste Verbin-
dungen des Fruchtkuchens mit der Gebärmutter vorkommen,
dass selbst die durch den äusseren Druck gesteigerte Energie
der Uteruscontractionen die Lösung nicht zu bewirken im
Stande ist. Diese beiden Fragen sind jetzt freilich schon
nahezu vollständig erledigt, gleichwohl scheint es nicht über-
flüssig, hier auch meinerseits noch einen weiteren Beitrag zu
veröffentlichen.
Ich habe das Credf sehe Verfahren sehr oft ausgeführt
und besitze von 160 Fällen genaue Notizen. Die Resultate,
zu denen ich gelangt bin, sind folgende: Die Methode ist voll-
ständig sicher und führt fast immer zum Ziele, vorausgesetzt,
dass nicht bereits anderweite Lösungsversuche störend ein-
gewirkt haben. Es ist nicht schwer, sich die nöthige Uebung
zu verschaffen, und der Erfolg bei hinreichender Geübtheit
ein so prompter, dass man nur höchst ungern in jenen sehr
seltenen Ausnahmsfallen zu einer anderen Art der Heraus-
beförderung seine Zuflucht nimmt.
Es bat sich auch bei meinen Beobachtungen heraus-
gestellt, dass der Handgriff im Allgemeinen müheloser gelang,
je früher er angestellt wurde, am Sichersten, wenn ich un-
mittelbar nach der Geburt des Kindes das Manöver begann.
Indess ist die Zeit, die seit der Ausstossung der Frucht ver-
flossen, von keinem wesentlichen Belange: ich habe in einem
Falle nach zwei, in einem anderen noch nach drei Stunden
die Placenta mit grosser Leichtigkeit herausgedrückt. In beiden
för GeburtshtÜfe in Berlin. 135
Fallen war der Nabelstrang abgerissen; da aber die Blutung
unqjheblich war, so war die vermeintlich unumgängliche
manuelle Lösung bis zu meiner Ankunft verschoben worden.
Die Halbentbundene wie ihre Geburtshelfer waren beide gleich
sehr überrascht, die Sache auf so einfache Weise erledigt zu
sehen.
Es bat sich ferner gezeigt, dass schwere Placenten im
Allgemeinen leichter herausgeschnellt werden, als solche von
geringem Gewichte, indess giebt weder bedeutende Grösse, wie
z. B. einer Zwillings-Nacbgeburt, noch Kleinheit oder Weich-
heit ein wesentliches Hinderniss för die Herausbeförderung
mittels Druck ab. Ich habe unter meinen Beobachtungen
Fälle aus dem Anfange des sechsten und dem Ende des fünften1)
Schwangerschaftsmonats, wo die Placenta ohne alle Schwierig-
keit durch den Credf sehen Handgriff entfernt wurde.
Anlangend die Zeit, welche die Manipulation erfordert,
so genügen in den meisten Fällen 1 — 2 Minuten, bäußg fahrt
die Placenta schon beim ersten Auflegen der Hand aus der
Scheide heraus; nur in sehr wenigen Fällen erforderte das
Verfahren, die Pausen eingerechnet, 10 — 15 Minuten. Die
Fälle, in denen mir das Verfahren misslungen, fallen bis auf
wenige, die ich unten noch ausführlich mittheilen werde, in
die Anfangszeit meiner geburtshülflichen Thätigkeit und sind
lediglich auf Rechnung der Ungeübtheit zu schieben, da sich
die betreffenden Placenten leicht in alter Weise entfernen
Hessen.
In den allermeisten Fällen wird die Nachgeburt mit Ei-
häuten und etwanigen CoaguMs mit einer gewissen Schnellig-
keit bis vor die Genitalien getrieben. Ich habe über diesen
Punkt durchaus dieselbe Ansicht wie Credt gewonnen und
kann Bpiegdberg*) nicht beipflichten, wenn er angiebt, dass
„in der Mehrzahl der Fälle die Nachgeburt in der Scheide
liegen bleibt " und aus ihr entfernt werden muss. Freilich
muss man sich nicht scheuen, dreist zu drücken. Dagegen
geschieht es nicht selten, dass, obwohl die Placenta vor den
1) Placenten aus früherem Zeiträume habe ich immer mit
den Fingern wegnehmen müssen.
2) Wüwburg. Medic. Zeitschr., II., 1861.
136 H* Verhandlungen der GeseUachaft
Genitalien liegt, ein TKfeil der Eihäute noch im Uterus steckt
und herausgezogen werden muss.
Liegt der grösste Theil der Placenta bereits in der
Scheide, wenn man zu den äusseren Manipulationen schreitet,
so kommt die völlige Aussonderung mehr dadurch zu Stande,
dass der nach abwärts gedrückte Uterus dieselbe herausdrängt,
als durch die eingeleiteten Contractionen. Wenn übrigens
Credt sagt, dass der Uterus unter dem Drucke der Hand
meist seine normale Höhe nicht verlasse, so kann ich dem
nicht ganz beistimmen. Heiner Erfahrung nach steht derselbe
unmittelbar nach gelungenem Manöver etwas tiefer, als dies
gewöhnlich nach Aussonderung der Placenta der Fall ist,
und weicht erst später, allerdings ziemlich bald, in die
normale Höhe zurück.
Es fördert sehr, wenn man beim Drucke diejenigen Stellen
besonders berücksichtigt, an denen nach der Conformation
des Uterus, wie dies bei dünnen Bauchdecken oft möglich ist,
der Sitz der Placenta vermuthet wird. Ich habe vorwiegend
den Druck auf die hintere Wand, nächstdem auf die eine oder
andere Seitengegend geübt. Dieser Punkt ist sehr wesentlich
und macht bei gehöriger Berücksichtigung die Bemühungen
fast augenblicklich erfolgreich. Der Sitz der Placenta ist
übrigens nicht schwer zu entdecken, denn wenn man die
ersten streichenden Bewegungen am Uterus gemacht und diesen
dadurch zur Contraction gebracht hat, so fühlt man meist die
Placentalstelle etwas stärker hervorgetrieben.
Ganz besonders eclatant zeigt sich der Vorzug der
Credfschen Methode in den Fällen, wo Lage- und Gestalt-
veränderungen des Uterus Ursache der erschwerten Aus-
sonderung der Placenta wird, oder wo dieselbe durch den Uterus
an die Symphyse angedrückt liegt, indem in dem ersieren
Falle durch den Druck nach hinten und abwärts die Deviation
ausgeglichen, in dem letzteren aber durch dies Manöver die
Placenta von dem Schambeinkamme abgebracht wird. Es ist
dieser letztere Punkt um so mehr zu betonen, als die alte
Methode hier gar nicht zum Ziele führt, da die eingebrachten
zwei Finger nicht hoch genug an der Symphyse hinaufgebracht
werden können.
ffir Gebnrtaaülfe in Berlin. 137
Das CracWsche Verfahren ist für die überwiegend grösste
Mefcrzahl der Halbentbundenen nicht besonders schmerzhaft
Unter 160 genau notirten Fällen ist nur sieben Mal1) über
grössere Scbmerzhaftigkeit geklagt worden, und nur einmal
musste ich wegen alliugrosser Empfindlichkeit des Leibes
beim Betasten (in Folge von traumatischer Peritonitis während
der Schwangerschaft, die am achten Tage ihres Bestehens
einen Partus praematurus im neunten Monate veranlasste) von
vorn herein von diesem Verfahren Abstand nehmen.
In keinem meiner Fälle — und es ist ein ganz Theil
darunter, die ich bereits seit fast einem Jahre controlire — -
habe ich von dem Verfahren einen Nachtheil gesehen.
Ich komme nun zur zweiten Frage, nämlich ob auch bei
alleiniger Anwendung der äusseren Manipulationen Fälle von
sogenannter Verwachsung der Placenta vorkommen. Ich muss
gestehen, dass ich .in der That eine geraume Zeit von ihrer
Nichtexistenz überzeugt war. Ich bin wiederholt gerufen wor-
den, um „angewachsene" Placenten, die dem Zuge durchaus
nicht folgen wollten, zu entfernen und habe sie, mitunter
überraschend leicht, durch Compression herausgeschnellt
Aber ich bin in der letzten Zeh eines anderen belehrt wor-
den in zwei Fällen, die ich von Anfang bis zu Ende beob-
achtete, und also dafür einstehen kann, dass weder vorzeitiger
Zug an, der Nabelschnur noch sonst eine Beleidigung des
Uterus stattgehabt Der erste Fall betraf eine Drittgebärende
mit Piacent jpraev. lateral, die bei der ersten Blutung am
Anfange des neunten Monats stark anämisch geworden war.
In den darauf folgenden Wochen hatten nur unbedeutende
Blutabgänge Statt, und erst wieder der Eintritt der Wehen-
thäügkeit markirte sich durch eine stärkere Hftmorrbagie,
die indess durch das Sprengen der Blase bald sistirt wurde.
Die Geburt endete mit der Ausstossung eines neunmonat-
lichen lebenden Mädchens in erster Schädellage. Ich legte
sofort nach der Geburt des Kindes nie Hand auf den Uterus
und begann das Manöver. Es folgten energische Contractionen,
1) Unter diesen 160 Füllen sind 58 operativ beendigt worden,
davon 87 In der Chloroformnarkose; in diesen letzteren Fällen
kommt die Scnmer*haftigkeit des Verfahrens gmr nicht in Betracht.
138 H. Verhandlungen der Gesellschaft
die einen Tbeil der Placenta in die Scheide trieben. Diese
gelangte indes» nicht, auch auf wiederholte Compression des
Uterus , nach aussen. Eine eintretende Blutung nöthigte mich
endlich zur Hinwegnahme. Als ich mit zwei Fingern einging,
zeigte es sich, dass die Placenta nur mit dem nach vorn
sitzenden Theile des unteren (vorliegenden) Randes adhärirte,
ein Verhalten, welches sich mit grösster Bestimmtheit touchiren
liess. Nachdem die Adhärenzen mit den Fingernägeln durch-
drückt, konnte die Placenta weggenommen werden. Sie
zeigte an ihrer Uterinfläche am unteren Rande, meist in der
Nachbarschaft alter Blutheerde knorpelharte Spitzen und Zacken,
die bis lU" das Niveau der Uterinfläche überragten.
Der zweite Fall betrifft gleichfalls eine Plac. praev., aber
marginalis bei einer Fünftgebärenden. Die unter der Geburt
entstandene Blutung war durch den vorrückenden Kopf ge-
stillt worden. Wegen Abnahme der Herztöne legte ich die
Zange an und entwickelte einen lebenden Knaben. Darauf
übte ich die Compression des Uterus fast eine Stunde lang
ohne Erfolg, bis mich das inzwischen ergossene Blut, in Rück-
sicht auf die schon bestehende, allerdings nicht sehr bedeu-
tende Anämie zur manuellen Lösung drängte. Die Adhäsion
befand sich an dem rechten Rande der an der hinteren Wand
sitzenden, im Uebrigen völlig gelösten Placenta, und die
Trennung gelang leicht. An der Uterinfläche des Frucht-
kuchens ausser feinen Kalkeinsprengungen nichts Besonderes.
Ich glaube, diese beiden Fälle sind beweisend für die
Existenz genuiner, d. h. nicht durch unzweckmässiges Ver-
fahren veranlasster, abnorm fester Adhärenzen. Ich war in
beiden Fällen, während der ganzen Nachgeburtsperiode gegen-
wärtig, war hinreichend in dem Credf sehen Verfahren geübt
und habe dasselbe sofort instituirt. Sie sind um so mehry
beweisend, als sich in dem einen Falle die Verwachsungs-
residuen anatomisch nachweisen Hessen. Es musste indess
auflallen, dass beide Fälle Plac. praev. betrafen, und ich ge-
stehe, dass ich anfänglich nur zu geneigt war, das Misslingen
des Manövers, das ich so oft als erprobt gefunden, auf Rech-
nung der bei Plac. praev. obwaltenden eigentümlichen Um-
stände zu schieben, zumal darauf, dass man es einmal immer-
bin mit einem durch die voraufgegangene Blutung mehr
far Gebnrtahülfe in Berlin. 139
weniger atonischen Uterus zu thun hat, ferner darauf, dass
die. meist schon bestehende Anämie kein allzulanges Zu-
warten gestattet. Allein diese Annahme ist nicht stichhaltig,
wie mich neun andere zu meiner Behandlung gekommene
Fälle von Plac. praev., in denen die Entfernung mittels Druck
ohne alle Schwierigkeit gelang, und ein in der letzten Zeit
Torgekommener Fall überzeugt haben, den ich hier noch
anfuhren will.
Eine 36jährige Erstgebärende kommt nach dreissig-
.stundigem Krassen, wovon vier auf die Austreibungsperiode
kommen, um sechs Uhr Morgens mit einem lebenden Mädchen
in erster Schädellage nieder. Der Praktikant übte während
fast zwei Stunden die Compression des Uterus ohne Frfolg,
bis ihn die starke Blutung nöthigte, Hülfe zu verlangen. Als
ich ankam, erzählte mir derselbe, er habe sich nicht getraut,
die Placenta wegzunehmen, da im Muttermunde nichts von
derselben zu fühlen gewesen. Der Uterus stand in der Höhe
des Nabels, die rechte Gegend des Fundus etwas stärker ge-
wölbt, im Muttermunde kein Theil des Kuchens. Da die Blu-
tung stand, machte ich sofort wieder Compressionsversuche,
aber selbst nach halbstündiger Anwendung der Manipulationen
ward von der Placenta nichts fühlbar. Es blieb nun nichts
weiter, als die Lösung mittels eingeführter Hand übrig.
Diese war mit grossen Schwierigkeiten verknüpft, da sich der
innere Muttermund mittlerweile beträchtlich verengt hatte.
Nur am oberen Rande der Placenta fanden sich neben klei-
neren Blutergüssen bis knorpelharte Massen, die an der
Uterinfläche prommirten.
Dies sind die einzigen Fälle accreter Placenten unter
beiläufig 665 Geburten, über die ich genaue Berichte besitze,
die ich, seitdem ich das Crede't&e Verfahren übe und seit-
dem es von den Praktikanten in der Poliklinik geübt wird,
gesehen habe. In allen übrigen unter der Diagnose der Ver-
wachsung der Placenta mir zur Beendigung übertragenen Ge-
burten Hess sich die Entfernung, und häufig überraschend
leicht durch Compression de^ Uterus bewirken.
Ich muss hiernach also die Existenz abnorm fester Ver-
bindung des Fruchtkuchens mit dem Uterus auch bei alleini-
ger und consequenter Anwendung der Credf sehen Methode
140 n. Verhandlungen der Gesellschaft
aufrecht erhallne, muss indess zugestehen, dass durch dies
Verfahren die sogenannten Verwachsungen in der That seltener
zu werden scheinen, wie ich aus einer vergleichenden Zu-
sammenstellung früherer Jahre mit dem eben abgelaufenen
entnehmen kann, da sich kaum ein anderer Grund für die
relative Häufigkeit derselben in früheren Jahren auffinden lässt.
Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass ich damit
durchaus nicht einer „Placentitis" als Ursache jener Ver-
wachsungen das Wort rede. Im Gegentheil, was ich als Ad-
härenzen gesehen und untersucht habe, lässt sich mit grösster
Wahrscheinlichkeit als Umwandlungsproduct des Blutfaserstoffs
(aus hämorrhagischen Heerden) ansehen. Der einzige Fall, der
eine Placentitis vorzustellen schien, betraf eine Piacent, aus
dem Ende des achten Monats, deren zugehöriger Fötus be-
reits beträchtliche Fäulnisserscheinungen aufwies. Es fand sich
hier mitten in der Placenta ein gelb-grünlicher, breiig-weicher
Cotyledo, der täuschend das Bild der Eiterung darbot Es
zeigten sich sowohl eiterähnliche Einsprengungen an der freien
Fläche, als namentlich ein dicker puriformer Belag an der
Basis desselben« Das Mikroskop zeigte indess keine Spur von
Eiterkörperchen, sondern nur fettigen Detritus. —
Was die Incarcerationen anlangt, so ist mir unter jenen
665 Fällen, über die ich genauere Berichte besitze, nicht
einer zur Beobachtung gekommen. In den Fällen, die ich
gesehen, wurde ich immer erst in der Nachgeburtsperiode von
Hebammen hinzugerufen. Starker Zug an der Nabelschnur
und manuelle Entfernungsversuche hatten eingestandener-
maassen stattgehabt In zwei Fällen, in denen die Beendigung
des Nachgeburtsgeschäfts nicht drängte, versuchte ich den
Credf sehen Handgriff. Es waren beide Fälle exquisite Bei-
spiele von Strictur des Tubarostiums, und die Diagnose schon
bei Betastung des Uterus zu stellen. Die äusseren Manipula-
tionen hatten beide Male keinen Effect; in dem einen Falle
bemerkte ich sogar deutlich eine stärkere Zusamraenziehung
an der stricturirten Stelle während der Compression des
Uterus. Für diese Fälle passt also das Oecfc'sche Verfahren
nicht, wenngleich ich nach meiner Erfahrung unbedingt zu-
geben muss, dass ich in allen Fällen von Incarceration der
für Geburtshülfe in Berlin. 141
Pkcenta in dem unzweckmässigen Verhalten der Hülfeleisten-
den eine ausreichende Aetiologie fand.
Soll ich am Schlüsse meine durch ihre geringe Ansah!
allerdings wenig maassgebenden Beobachtungen zusammen*
fassen , so reduciren sie sich auf folgende Sätze?
1) Das von Credt in Gebrauch gezogene Verfahren ist
in der weitaus grössten Mehrzahl der Fälle völlig sicher,
bietet kaum mehr Schmerz wie das alte und theilt dessen
Uebelstände nicht, ja es führt noch dann zum Ziele, wenn
jenes nicht mehr anwendbar, z. B. bei abgerissener Nabel-
schnur, oder wenn die Placenta auf dem Schambeinkamme
aufliegt
2) Es giebt selbst bei alleiniger und consequenter An-
wendung der äusseren Manipulationen — allerdings selten —
so innige Verbindungen des Fruchtkuchens mit der Uterin-
wand, dass die Zerreissung der Adhärenzen mit den Fingern
der einzige Weg ist, um die Lösung zu ermöglichen.
Auf die Anfrage des Präsidenten, ob das Credfsehe Ver-
fahren sich allgemeinen Eingang gewonnen habe, nahm Herr
Wegscheider das Wort und sprach sich günstig über den
Erfolg aus, den er in ungefähr 30 — 40 danach behandelten
Fällen dadurch erzielt habe. Nur in einem Falle habe er
sich seitdem gezwungen gesehen, von vorn herein darauf zu
verzichten, da Patientin früher eine heftige Pneumonie über-
standen, dann aber während der Schwangerschaft durch eine
schmerzhafte Leberanschwellung an hochgradiger Dyspnoe ge-
litten habe, welche in Verbindung mit der grossen Empfind-
lichkeit des Unterleibes jeden Druck desselben contraindicirt
hatten. Leider folgte die Nachgeburt indess dem alten Ver-
fahren nicht ; da nach zwölf Stunden der Abgang nicht erfolgt
war, lösste Herr W. ungefähr V4 derselben, welches aus dem
zusammengezogenen Muttermunde hervorhing, von der Haupt-
masse ab, und stand von operativen Versuchen ab, da keine
gefahrdrohenden Erscheinungen vorhanden waren. In lünf
bis sechs Tagen stiess sich der Rest als jauchige Masse ab,
welche durch Einspritzungen entfernt wurde, und Patientin
genas.
142 H. Verhandlungen der Gesellschaft
Herr Hofmeier ist mehrfach mit dem Credf&chen Ver-
fahren nicht zum Ziele gekommen, äussert indess die Ver-
muthung, dass er wohl nicht kräftig genug gedrückt habe,
wenigstens habe der eben gelesene Vortrag eine viel grössere
Gewalt als nöthig dargestellt, als er bisher ausgeübt habe.
Derselben Ansicht war früher Herr Kauffmann, der indess
durch die Praxis selbst von der Unschädlichkeit eines stärkeren
Druckes überzeugt ist. Eine dem Credf sehen Verfahren nicht
folgende Nachgeburt sollte nun auf die frühere Weise entfernt
werden, der sehr dünne Nabelstrang riss indess ab, und da kein
Grund zu operativem Einschreiten vorlag, so versuchte Herr K.
nun zum zweiten Male und zwar in verstärktem Maasse die
Compression des Uterus und kam diesmal zum erwünschten
Ziele ohne nachtheiligen Einfluss für die Mutter. Seitdem
hat er das Credf&che Verfahren öfter mit Erfolg geübt, findet
indess dass bei einzelnen Wöchnerinnen der Druck eine so
unangenehme Schmerzempfindung erregt, dass nicht nur er in
diesen Fällen dem alten Verfahren den Vorzug giebt, son-
dern auch von Wöchnerinnen selbst darauf verwiesen wurde.
Herr Kristeller findet das Credfsche Verfahren das
naturgemässeste , da es auf dieselbe Weise wie die Natur
selbst a tergo auf das Geburtsobject wirke, es empfehle sich
namentlich da, wo die Placenta noch sehr hoch sitze, und
auch er habe gefunden, dass ein kräftiger Druck sehr gut
ertragen werde. Die spontane Ausstossung der Nachgeburt
und namentlich die früher gebräuchliche Lösung durch Ein-
gehen mit der Hand seien doch in der That nicht schmerz-
los und deshalb dürfe eine theilweise Schmerzhaftigkeit dieser
Operation nicht zu sehr ins Gewicht fallen. Er wende das
Verfahren indess nicht in jedem Falle an, da er nicht gleich
nach der Geburt die Placenta entferne. Bei der Untersuchung
10 — 15 Minuten nachher, finde er oft die Placenta von selbst
in die Scheide herabgetrieben und dann entferne er sie durch
einfachen Zug. Sei indess die Placenta noch im Uterus,
dann übe er den Druck und könne ihm nur ein günstiges
Zeugniss ausstellen.
Ein missverstandener Ausdruck in dem Aufsatze des
Herrn Strasemann gab zu einer Controverse über die Be-
v für Geburtshülfe in Berlin. 143
deutung der Achsenstellung des Uterus in der Nachgeburts-
periode Veranlassung, die indess durch Erklärung beseitigt
wurde.
Herr Martin hat ebenfalls die Erfahrung gemacht, das»
in mehreren Fällen die Entfernung der Nachgeburt mittels der
Credf sehen Handgriffe der Kreissenden sehr empfindlich war.
In einzelnen Fällen ist er überhaupt damit nicht zum Ziele
gekommen, so dass er die Placenta nach der früheren Methode
wegnehmen musste. Er glaubt nicht, dass ein Versehen in
den Manipulationen von seiner Seite Grund dieser Erfolglosig-
keit gewesen sei, doch räume er ein, dass er eine zu grosse
Gewaltanwendung vermeide. Was Credä's Angabe betreffe,
dass seit Einführung seiner Methode die Adhäsionen in der
Leipziger Anstalt gänzlich verschwunden seien, so könne er
dies doch nur einem günstigen Zufalle zuschreiben, denn auch
er habe es in seiner Klinik seit einem Jahre zur Regel ge-
macht, die Entfernung der Nachgeburt immer zuerst mittels
des Druckes auf den Mutterkörper zu versuchen. Dennoch
habe er in drei Fällen der Poliklinik, wo er bestimmt ver-
sichern könne, dass keine anderweiten Manipulationen vorher
gegangen seien, nach erfolgloser Anwendung der Credfachen
Methode bei der darauf indicirten Wegnahme der Nachgeburt
durch Einführung der ganzen Hand unzweifelhafte Adhäsionen
vorgefunden, die sich auch an der gelösten Placenta deutlich
hätten nachweisen lassen. Uebrigens sei die Existenz von
festen Adhäsionen des Mutterkuchens durch mehrfache
Sectionen hinreichend dargethan. In einem FaHe sei eine
vorhandene Strictur des Uterus um die adhärente Stelle des
Mutterkuchens durch die Knetung des Uterus dem äusseren
Befunde nach gesteigert worden.
Er könne daher seine Ansicht nur dahin aussprechen,
dass es trotz methodischer Reibung und Compression des
Uterus immer noch Fälle geben werde, in welchen eine an-
dere Methode der Entfernung der Nachgeburt eintreten müsse;
n welchem Verhältnisse diese zu jenen ständen, sei freilich
bis jetzt nicht zu bestimmen; jedenfalls sei indess die
Credf sehe Methode jederzeit zuerst zu versuchen und sie
als gewöhnliches Verfahren in die Praxis eingeführt zu haben,
sei ein anerkennenswerthes Verdienst Credt's.
X44 HL J?oiA,. Gebttrtabindernws durch Verkfebung
Auf die Frage des Herrn Wegscheider , wie sich die
Wirkung jler Credf sehen Methode bei Frühgeburten stelle,
entgegnet Herr Strassmann, dass er vom fünften Monat an
dieselbe mit günstigem Erfolge geübt habe; über frühere
Sehwangerschaftsperioden könne er nach seiner jetzigen Er-
fahrung noch nicht urtheilen.
IIL
(toburtshinderniss durch Verklebung des äusseren
Muttermundes.
Vom
Physicus Dr. Roth in Eutin.
In der neuesten Zeit hat DepauL die Aufmerksamkeit
des ärztlichen Publikums auf eine seltene Erschwerung des
Geburtsherganges geleitet , indem derselbe ausführlich drei
Geburtsfalle mittheilt, bei welchen der äussere Muttermund
verschlossen gefunden wurde, so dass die kräftigen Wehen
denselben nicht auszudehnen vermochten, um die Frucht durch-
zulassen. Diese Beobachtungen finden sich ausführlicher in
der Monatsschrift für Geburtskunde, Bd. XVL, 5, wie auch
in den Jahrbüchern d. ges. In- und Ausländischen Median,
Bd. 109, pag. 57, mitgetheilt. Depaul nämlich fand bei
dem von ihm beobachteten Falle da, wo er das orif. uteri
zu suchen hatte, eine quer laufende Hervorrag ung, welche
er, wohl mit Recht, für eine Andeutung (oder vielmehr den
letzten Rest) der vorderen Muttermundslippe hielt Ebenso
beschreibt er die beiden Geburtsfalle, welche von Jacqvez
und Alonso beobachtet wurden. Diese beiden Aerzte be-
merkten ebenfalls an der Stelle des Muttermundes jene
querlaufende Hervorragung. Alle drei schlugen sie bei
diesem Geburtshindernisse dasselbe ärztliche Verfahren ein,
indem sie an der Stelle, wo sie die Hervorragung fanden,
eine künstliche Oeflfhung, verbunden mit einem Kreuzschritte
machten, aus welchem dann die Kinder bald hervortraten.
des Äusseren Muttermundes. 145
So dankenswerth es ist, dass D&paul die Veranlassung
zur Besprechung dieses seltenen Vorfalles giebt, so ist doch
nicht zu übersehen, dass der eingeschlagene Weg zur Be-
seitigung des Leidens nicht der von der Erfahrung erprobte
und gut geheissene ist. Es wird nicht immer der Operation
bedürfen, und um so mehr ist dieselbe zu umgehen, da sie
nicht ganz ohne Gefahr sein dürfte, da sie jedenfalls die
Wöchnerin und die Umstehenden sehr beängstigen wird und
zu anderen Störungen des Geburtsherganges sehr leicht Ver-
anlassung geben kann. Ich will mir erlauben dasjenige mit-'
zutheilen, was mein verstorbener, sehr hochgeschätzter Lehrer
Franz Carl Nägele in seinen Vorlesungen Aber diese Vor-
kommenheit sagte und diesem dann eine eigene Beobachtung
anfügen.
In seinem Lehrb. d. Geburtshülfe für Hebammen, Thl. IL,
pag. 255 (der Leitfaden bei seinen Vorlesungen) sagt Nägele:
„Ferner kann der Muttermund durch ein fadenartiges Gewebe,
welches den Wehen ein hartnäckiges Hinderniss entgegen zu
setzen im Stande ist, verschlossen, eigentlich verklebt sein,
so dass er schwer aufzufinden ist und man in die Täuschung
gerathen kann zu glauben, es sei kein Muttermund vor-
handen. "
Zu diesem Satze machte Nägele bei seinem Vortrage
noch folgende Bemerkungen, indem derselbe sagte: Es komme
bisweilen vor, dass der Muttermund bei den kräftigsten Wehen
sich nicht öffnen wolle. In solchen Fällen finde man bis-
weilen da, wo man das Orif. uteri zu suchen habe, den
unteren Gebärmutterabscbnitt straff über den Kopf des Kindes
gespannt, aber keine Oeffnung an demselben. Untersuche
man nun ab0r genauer, so finde man an dieser Wölbung ein
sehr kleines Grübchen mit nach Innen geschlagenen Rändern,
ähnlich einem Schnürloche. — Diese Beschreibung des ver-
klebten Orif. uteri weicht von der Beschreibung DepauTs und
von meiner Wahrnehmung ab, indem Nägele eine Vertiefung,
die übrigen Beobachter aber eine Hervorragung fanden; bei
meinem Falle war es jedoch so, dass ich hinler der Hervor-
ragung eine spaltartige Vertiefung zu bemerken glaubte. —
Diese Andeutung des Muttermundes, führt Nägele fort werde
Jeicht übersehen und er glaube, dass, wo man das Orificium
MonAUiohr. f. GeburUk. 1863. Bd. XIX.. HA. 1 u. 1, 10
146 HI Roth, Geburtsfainderniss durch Verklebung
fehlend glaubte und ein Orificium mit dem Messer machte,
dieses Fälle von Verklebung des Muttermundes gewesen seien.
Ferner sagte er: „die Lehrbücher der deutschen und
englischen Geburtshelfer (es war vor 32 Jahren) sagen nichts
über dieses Geburtshinderniss ; obgleich ältere Schriftsteller
etwas Aehnliches anführen, so hat man es doch nicht in die
Lehrbücher übergetragen.4'
In den Heidelberger klinischen Annalen beschreibe schon
W. J. Schmitt zwei solcher Fälle und füge noch einen ähn-
lichen Fall aus Schweden an. Ausserdem habe er selbst
schon . einen ähnlichen Fall bei Paul Portal gefunden.
Mad. Lachapeüe habe mehrere solcher Fälle sehr schön be-
schrieben. Darauf lehrt Nägele weiter: Man bringe während
einer Wehe die Fingerspitze gegen diese markirte Stelle, drücke
fest gegen dieselbe und so werde man über dem Finger ein
knisterndes Zerreissen fühlen, worauf sich das Orif. uteri
schnell erweitere. Er habe diese Fälle mehrfach beobachtet
und dabei immer mit Gegendruck mit dem Schnellesten Er-
folge verfahren. — Es bestehe dieses Hinderniss in einer
Verklebung des Orif. uteri extern, durch ein Gewebe, welches
mit dem Finger leicht durchbrochen werden könne; sollte
jedoch das Orif. uteri zu hoch liegen, so könne man dazu
einen weiblichen Katheter benutzen.
In meiner 31jährigen, nicht eben geringen geburtshülf-
licben Praxis ist mir bis vor ca. einem Jahre kein solcher
Fall vom Verklebung des Muttermundes zur Behandlung vor-
gekommen; auch habe ich keinen derartigen Fall in den Ent-
bindungslisten der Hebammen meines Kreises bemerkt, welche
ich mir seit 20 Jahren halbjährlich einliefern lasse, und welche
sich über eine jährliche Zahl von pptr. 250 Entbindungen
erstrecken.
Hieraus würde resultiren, dass sich obiges Geburts-
hinderniss zu anderen Geburten etwa verhake wie 1 : 5000.
Nach diesen Bemerkungen bleibt es mir noch übrig im
Folgenden den von mir beobachteten Fall derselben Art mit-
zutheilen :
Am 4. Dec 1860, Abends, wurde ich aufgefordert, in
elftem eine Stunde entfernten Dorfe einer Frau A... bei ihrer
Entbindung beizustehen. Die Kreissende war Erstgebärende,
des Knsseren Muttermundes. 147
mit achtzehn Jahren verheirathet und jetzt neunzehn Jalire
alt. Sie war wohlgebaut, kräftig; die Schwangerschaft war
wohl r erlaufen und durch nichts gestört worden; die Rechnung
war zu Ende. Seit Tages vorher waren Wehen eingetreten,
die aber bis zu meiner Ankunft höchst schwach und seilen
waren. Bei meiner ersten Untersuchung fand ich den Kindes-
kopf im kleinen Becken angelangt, wohinein derselbe etwa
mit V8 seiner Höhe reichte. Der Kopf war prall mit dem
unteren Abschnitte der Gebärmutter überzogen und weder
die Hebamme noch ich, konnten ein Orif. uteri auffinden;
ich bemerkte jedoch in der Führungslinie, etwas mehr
nach vorne, einen kleinen länglichen Wulst (Hervor-
ragung), welchen ich für einen Rest der vorderen Lippe des
Muttermundes hielt, um so mehr, als ich hinter demselben
eine kleine längliche Vertiefung zu bemerken glaubte.
Nägele** Mittheilungen kamen mir sofort in Erinnerung und
glaubte ich fest, dass dieses ein Fall von Verklebung des
Muttermundes sein müsse. Da aber keine fruchtenden oder
doch nur sehr geringen Wehen dann und wann eintraten, so
gab ich einige Dosen Borax, die ieh bei mir führte, theils
um eine grössere Wehentbätigkeit hervorzurufen, theils um
zu erfahren, ob durch dieselben sich nicht eine andere Sach-
lage bemerkbar und meine vorläufige Diagnose verändern
werde. Diese Pulver verstärkten die Wehen bald kräftigst
und drängten den Kindeskopf tiefer ins Becken herab; aber
trotz wiederholter Untersuchung durch die Hebamme, welche
diesen Fall genau kennen lernen sollte, und mich, konnten
wir keine Veränderung des ursprünglichen Sachverhalts,
namentlich kein Oefliien des Orif. uteri entdecken. Ich führte
daher meinen Finger wiederum eift, suehte den kleinen
Wulst am unteren Abschnitte der Gebärmutter auf und legte
die Fingerspitze fest dagegen. Bei der nächsten Wehe zog
ich, stark gegendrückend, diesen Wulst bin und her und suchte
meine Fingerspitze hinter demselben in die längliche Ver-
tiefung, welche ich dort zu fühlen glaubte, zu drängen, was
der Wöchnerin momentan einen lebhaften Schmerz verursachte,
und sogleich bildete sich um meine Fingerspitze das runde
Orif. uteri, wie wir es bei jeder anfangenden Geburt immer
finden. Ueber meinem Finger entdeckte ich die Eihäute. Ich
10*
148 UI. Roth, GeburtahiDderniss durch Verklebung
dehnte noch die entstandene Oeffhung mit dem Finger nach
allen Seiten vorsichtig aus, um alles Hemmende zu zerstören.
Eine knisternde Empfindung, wie Nägele angiebt, habe ich
in meiner Fingerspitze nicht empfunden. Bei der nach etwa
10 Minuten folgenden Untersuchung fand ich das Orif. uteri
über 3 Zoll weit geöffnet, welches bei kraftigen Weben in
kurzer Zeit ein kräftiges lebendes Kind durchtreten und ge-
boren werden liess.
Es kann nicht zweifelhaft sein, dass von Geburtshelfern
bei Entbindungen Abnormitäten am Muttermunde gefunden
werden können und gefunden werden, die eine Operation er-
forderlich machen, wie Depaid und Viele vor ihm sie vor-
geschlagen und ausgeführt haben. Zu diesen Abnormitäten
des Orif. uteri gravidi rechne <ich die knorpelartigen Ver-
härtungen und Narben an demselben, entstanden durch
Krankheiten oder vorhergegangene schwere oder künstliche
Entbindungen; die bautartigen Querstreifen, wodurch man den
Muttermund in zwei Hälften getheilt gefunden haben will;
Geschwülste am und- im Muttermunde als Geburtshinderniss
beobachtet hat; endlich die krebsartigen Entartungen an dem-
selben. Aber der besprochene vorliegende Fall von Geburts-
hinderniss, wobei das Orif. uteri blos durch ein Gewebe ver-
klebt gefunden wird, — die tlrei Entbindungsfalle, welche
Depaul L c. mittheilte, scheinen unzweifelhaft in dieselbe
Kategorie zu gehören — scheint mir durchaus nicht den
operativen Eingriff zu rechtfertigen. Dass die Operation von
JacqueZj Alonso und DepatU, welcher für diesen Zweck
ein besonderes Hysterotom erfunden haben will, mit raschem
Erfolge ausgeführt worden, dürfte — in extenso ausgeführt,
d. h. dass jene nach der Eröffnung des Uterus hinter der
von allen dreien beobachteten Hervorragung noch einen
Kreuzschnitt in den unteren Abschnitt der Gebärmutter
machten — ebensowenig ihre Berechtigung erweisen , wie sie
zu erweisen im Stande ist, dass nicht schon der blosse Einstich
hinter der Hervorragung vollkommen ausreichend gewesen
wäre, die Geburt zu ermöglichen, indem auch hierdurch das
krankhafte Gewebe schon zerstört werden musste. Wenn
aber TT. J. Schmitt, Mad. Lachapdle und Nägele und
auch meine 'Beobachtung nachgewiesen haben f dass es nicht
des Äusseren Muttermundes. 149
nothwendig sei, bei Geburtshindernissen obiger Art Instru-
mentaleingriffe vorzunehmen, so kann ich von meinem Stand-
punkte aus die von Depaul empfohlene Operation nicht
billigen. Ueberdem glaube ich auch, dass der Geburtshelfer
jeder Kreissenden die Rücksicht schuldig ist, dass er stets
möglichst schonend und jeden Operativeingriff, wenn nicht
durchaus erforderlich, sorgfältig vermeidend zu verfahren habe
und in Fällen, wo er mit dem Finger fast ohne Schmerz
dieselbe Hälfe bringen kann, keine schneidende Instrumente
zur Anwendung bringen darf.
Was nun die Natur des besprochenen Leidens betrifft,
so kann dasselbe wohl nicht angeboren, sondern es muss
wohl die Folge eines abnormen Zustandes während der
Schwangerschaft sein , welcher entweder durch den Vorgang
der Schwangerschaft selbst oder durch äussere Schädlichkeiten
hervorgerufen wurde. So wie sich im Uterus durch die
Schwängerung die Decidua bildete, so konnte der plastische
Ausscbwitzungsprocess sich auf das Collum bis zum Orif. uteri
fortsetzen, und, wenn auch dort verschwindend, doch hier
erhalten bleiben, um so mehr, als vielfältige Ursachen
während der Schwangerschaft einen fortwährenden Reizungs-
zustand des Muttermundes zu erhalten im Stande sind. — Es
ist wohl nicht zweifelhaft, dass das die Erweiterung des Orif.
uteri, auch bei den kräftigsten Wehen, verhindernde Gewebe
plastisches Exsudat ist, welches den äussersten Rand des
Orif. uteri zusammenleimt, so zwar, dass die hintere kleinere
Lippe bis auf den äussersten Rand durch die Ausdehnung
des Uterus in denselben übergehen kann, während die vordere
im jungfräulichen Zustande wulstiger hervorstehende Lippe in
den hier besprochenen Fällen eine Erhabenheit zurück liess,
welche, weil mehr abstehend, nicht .wohl am äussersten Rande,
sondern mehr oberwärts mit verleimt werden konnte. —
Wenn Nägele die incriminirte Stelle des Uterus ähnlich
„einem Schnürloche" bezeichnete, so dürfte es möglich bleiben,
dass nach dem ersten oder zweiten Monate der Schwanger-
schaft, wo sich die Ungleichmässigkeit der Muttermunds-
lippen bei Erstgeschwängerten ausgleicht, die, die plastische
Ausschwitzung bedingende, äussere Ursache einwirkte, in
welchem Falle jene einen gleichmässigen gelippten, länglich
150 H. Roth, GeburtahinderniM durch Verklebtmg
gespaltenen oder runden Muttermund antreffen und die
NcUjM$che Beobachtung und Bezeichnung rechtfertigen wird.
— Denken wir uns nun diese plastische Verbindungsschicbt
aus sehr vielen einzelnen, dehnbaren Fäden oder aus einem
breiten Gewebe gebildet, von welchem die einzelnen Molecülen
auf jedem Punkte des Gewebes gleicluuässig und fest anein-
ander hängen, so dürfte keine Kraft im Stande sein, den
Kindeskopf, der als ein sehr stumpfer Keil wirkt, mit solcher
Wirkung gegen das verklebte Orif. uteri zu drängen, dass da-
durch das verklebende Gewebe . durchbrochen werden könnte,
weit eher würde das Gewebe der Gebärmutter an irgend einer
Stelle des unteren Gebärmiitterabschnitts gerreissen, es sei
denn, dass das verklebende Gewebe auf einmal in seiner un-
endlichen Menge von Molecülen zerspränge, was wiederum
von seiner Elasticität verhindert werden dürfte. Ganz anders
aber wird das Verhältnis sich gestalten, wenn während der
höchsten Spannung des Gewebes durch eine Wehe die Lage
der einzelnen Molecülen zu einander durch einen Gegendruck
nrit der Fingerspitze verändert und die Spannung des Ge-
webes über das Maass gesteigert wird. Diese Störung in
der völligen Gleichmässigkeit in der Adhäsion der einzelnen
Molecülen, diese aufs Höchste gesteigerte Spannung des Ge-
webes über seine mögliche Dehnbarkeit hinaus muss ein Zer-
reissen desselben zur Folge haben und das Auseinanderwei-
chen der MuUermiindslippen durch die folgenden Weben
gestatten«
Geburtshinderniss durch Versohliessung der Vagina
mittels organisirter plastischer Häute.
An das Oben erörterte Thema reiht sich dieses, als
innerlich nahe verwandt an und da mir von demselben zwei
eigene Beobachtungen zu Gebote stehen, so gestatte ich mir,
diese dem Obigen anzuhängen.
1) Vor vielen Jahren wurde ich aufgefordert einer jungen
Erstgebärenden, Ehefrau 2?..., bei ihrer Entbindung beizu-
stehen. Die Frau war gesund, kräftig, etwa 24 Jahre aH
und hatte während der Schwangerschaft keine besondere Ab-
-d«8 »msseroo Muttorotmdea. 151
weichungen in ihrem Befinden bemerkt, namentlich wusste
sie gar nicht anzugeben, dass sie während der Schwanger-
schaft ungewöhnliche Empfindungen und Erscheinungen in
oder an ihren Geschlechtstheilen wahrgenommen habe, ms-
besondere habe sie gar keinen Ausflugs bemerkt, die Weben
waren ziemlich kräftig und hatten schon beiläufig 24 Stunden
gedauert, waren aber nicht im Stande gewesen, den Kopf des
Kindes weiter herabzutreiben, als bis in die Mitte des. kleinen
Beckens, wo er beharrlich stehen blieb. Bei meiner Unter-
suchung bemerkte ich gleich hinter dem Introitus vaginae ein
hautartiges Hinderniss, welches meinen Finger mit einem
scharfen Rande umschloss. Ich konnte den Finger bis zur
Hälfte durch die Oeffhung bringen, was der Frau Schmerzen
machte. Ich orientirte mich genauer und fand, dass eine
halbmondförmig gebildete, dünne Haut das Hinderhiss bildete,
welche an der linken Scheidenwand ihre Basis hatte und sieh
an den Wandungen der Scheide herumzog, nach unten bis
auf den Damm , nach oben bis zur Harnröhre. Bei ausein-
ander gehaltenen Schamlippen machte ich mit einer Scheere
einen Einschnitt, worauf dieses Häutchen spurlos verschwurt
den zu sein schien. Als ich hier kein Hinderniss mehr fand,
führte ich meinen Finger tiefer ein, um den Stand der Sache
naher zu untersuchen. Zu meiner Verwunderung aber fand
ich 2" höher ein ähnliches meinen Finger zurückhaltendes
Hinderniss. Auch hier machte das forcirte Hindurchdrängen
des Fingers durch die gebliebene Oeflhung ebenfalls Schmerz.
Ich nahm aber wahr, dass das Hinderniss durchaus gleich-
artig war, dass es gebildet wurde durch ein halbmond-
förmiges dünnes Häutchen, welches straff durch die Scheide
gespannt war, dieses hatte aber seine Basis an der rechten
Wand der Scheide und dehnte sich an den Wandungen ans
nach unten bis auf die Kreuzbeinparthie und nach oben bis
auf die vordere Wand, da etwa, wo diö Harnblase in die
Harnröhre übergeht Der durchdringende Finger vermochte
dieße Haut nicht zu zerreissen, und so musste ich ein Messer
bis zur Spitze mit Leinewand umwickeln, um unter Leitung
des Fingers auf diese Weise die abnorme Haut zu zerstören.
Kaum aber hatte ich dieselbe berührt, so zerriss oder verlor
sich auch dieses Hinderniss, so dass ich den Rest nicht mehr
152 IIL Rotk> Geburtahindenrfas durch Verklebnng
bemerken konnte. Das Kind trat nun bald herunter and
wurde ohne weitere Kunsthülfe geboren.
Durch die Kraft der Wehen, wodurch der Uterus zu
kräftigen Zusammenziehungen veranlasst wird, wird ohne
Zweifel die Vagina in thätige Mitleidenschaft versetzt, sie dehnt
sich mit aus, geräth wenigstens, wofür die vermehrte Schleim-
absonderung spricht, in vermehrte Thätigkeit — Jene falschen
Membranen sind wohl nicht erst während oder kurz vor der
Entbindung entstanden, sondern ihre Festigkeit spricht für
ein schon längeres Bestehen. Es ist mir auch nicht glaublich,
dass dieselben schon früher in dem straffen Zustande be-
standen, worin ich sie vorfand, weil bei so ausgeprägtem
Hindernisse man ohne Zweifel schon länger vor der Ent-
bindung ärztlichen Rath gesucht haben würde. — Auffallend
war es mir, dass diese Membranen, die durch das Zerren
meines Fingers nicht zerreissen wollten, sogleich scheinbar
spurlos verschwanden, als kaum der scharfe Rand derselben
mit einem schneidenden Instrumente berührt wurde. Diese
auffallende Erscheinung erklärte ich mir dadurch, dass erst
nach der Aufhebung der bestehenden Adhäsion unter den
Molecülen am Rande dieser Membranen die Zusammenziehungen
der Vagina jetzt mit Leichtigkeit das Etnreissen, Zersprengen
derselben bewerkstelligen konnten, was ihr vorher bei aller
Anstrengung der höchsten Kraft nicht möglich war.
2) Im September 1857 wurde ich aufgefordert der
Wittwe 3f... wegen heftiger Leibschmerzen beizustehen, man
glaube, dass sie schwanger sei. Daselbst angekommen, ver-
sicherte die Frau, die schon seit mehreren Jahren Wittwe
war, die Leute meinten es, aber sie sei nicht schwanger,
sondern habe nur heftige Leibschmerzen, die ganz so wie
Wehen seien. Diese Versicherungen bei einem sehr ausge-
dehnten Leibe machten mich stutzig, da die Frau sich sagen
rousste, dass eine Lüge sehr bald entschleiert werden würde.
Sie war 44 Jahre alt, kräftig, blühend, etwas corpulent
und hatte sich angeblich im letzten halben Jahre ohne
Störung ihrer Gesundheit befunden. Da sie keinerlei Be-
wegungen , wie von einem Kinde , in ihrem Unlerleibe gefühlt
haben wollte, so dachte ich schon an Ueberfüllung des Uterus
mit Blut, mit Wasser oder Luft. Ich schritt zur Untersuchung
des iuser«n Muttermundes. ^ 153
und fand bald bei dar äusseren Untersudrang des Leibes
Kindestheile, die ich durch Druck und Reizung bald zu mir
deutlich fühlbaren Bewegungen reizte. leb erklärte der Frau
die Grundlosigkeit ihrer Behauptung und schritt nun zur innern
Untersuchung; aber wie erstaunte ich nach Lage der Kindes-
theile in Uterus keinen Kopf im wohlgebauten, ja weiten
Becken zu finden, wo sich ebenfalls keine andere vorliegende
Kindestheile bemerkbar machten, sondern meine Fingerspitze
stiess etwa in der Mitte des kleinen Beckens auf eine straff
ausgespannte Scheidewand, so straff, dass ich sie nicht
aufwärts drängen konnte, um etwas jenseits zu entdecken,
und so vollständig die Scheide in ihrem ganzen Lumen ver-
schliessend, dass sich auch nirgends eine Oeffnung entdecken
Hess. Die Membran war sammetartig dem Gefühle nach und
scheinbar sehr dick. Die vor derselben liegenden weiblichen
Geschlechtsorgane waren durchaus normal, und wusstexlie Frau
keine Ursache anzugeben, wodurch diese Abnormität entstan-
den seift könnte, namentlich wollte sie während der Schwanger-
schaft keine Krankheitserscheinungen an ihren Genitalien be-
merkt haben, insonderheit keinen Schleimfluss, keinen Schmerz,
keine kranke Empfindungen. — In der Furcht, es möchte
der Kindeskopf fast auf der dicken Membran stehen, vermied
ich es zunächst scharfe stechende Instrumente in Anwendung
zu ziehen, und da die Zerstörung der Membran mit dem
Finger nicht gelingen wollte, so versuchte ich es mit dem
Blasensprenger. Geöffnet drängte ich denselben fest gegen
die Membran, schloss ihn dann und riss das Gefasste ohne
Schmerz ab. Als ich das Instrument hervorzog, hielt es ein
Stückchen einer rothen fleischartigen Masse gefasst Ich
brachte den Blasensprenger wieder ein und riss, abermals
ihn in die entstandene Vertiefung einsetzend, mehrere Male
ähnliche Stücke dieser fleischartigen Masse ab, wobei keine
Blutung sich einstellte. Darauf setzte ich den Finger in die
entstandene Vertiefung und suchte mit demselben tiefer und
hindurch zu wühlen. Dieses gelang, und als ich versuchte
die Membran, die mir sehr, etwa 3 bis 4* dick zu sein
schien, zu zerreissen, verschwand dieselbe so rasch und ahne
Gewalt, dass ich dadurch frappirt wurde, als ob die Membran
plötzlich unter der Einwirkung meines Fingers mit einem ge*
154 IV. Nottaen ««0 der Journal -Literatur.
wiese!) Geräusche gerspränge. Die Lappen derselben hingen
darauf schlaff an den Wandungen der Vagina herab, aber vofti
Kindeakopfe oder anderen vorliegenden Theilen lies» sich für
jetzt nichts bemerken. Mach einiger Ruhe tob dieser, wenn
auch nicht schmerzhaften, doch spannenden Operation stellten
sieb wieder Wehen ein und Hessen flach einiger Zeit dtn
Kindeftkopf in erster Lage erkennen. Einige Stunden später
wurde ohne weitere Kunsthülfe ein munteres Knibchen ge-
boren. Im Wochenbette und auch nach demselben, fanden
keine Weitere Störungen statt.
Auch dieser Fall von Verschliessung der Geschlechte-
tbeile, so dass dadurch die Geburt des Kindes verhindert
wurde, muss durchaus während der Schwangerschaft ob durch
Krankheitszust&nde, ob durch instrumentale Verletzung in bös-
licher Absicht, muss dahin gestellt bleiben entstanden sein
und zeigt wiederholt darauf hin, wie spröde die plastischen
Membranen unter der Spannung durch die Wehen werden.
Dieser Fall aber zeichnet sich überdem noch dadurch aus,
dass die abnorme Membran so sehr organisirt sich zeigte,
dass sie wie eine rotfie fleischartige Masse erschien und dass
sie eine so immense Dicke angenommen hatte.
IV.
Notizen ans der Journal -Literatur.
Alihaut: Die Resultate der Ovariotomie in England.
Die noch in Deutschland bestehende Sehen der Chirurgen
vor der Ovariotomie sucht Verf. zu mindern, indem er uns eines-
teils nachweist, dass die Operation keineswegs zu denen gehört,
welche die grösste Mortalität besitzen, anderntheils, dass er nach
ßpanmr Well*, der gegenwärtig ala Hauptchampion der Ovariotomie
in England angesehen werden muss, die Bedingungen mittheilt,
deren Erfüllung die Sterblichkeit nach der_ Ovariotomie ver-
mindern soll. Es sind folgende:
1) Nur zur Operation geeignete Fälle dürfen gewählt werden,
d. h. es müssen Patientinnen, welche gleichzeitig an Erkrankungen
der Mieren und Lungen etc. leiden, von der Operation aus-
IV. Notiien au* der Journal -Literatur. 155
geschlossen bleiben. Adhäsionen der Kyste mit dem umgebenden
Tbeilen oder fester Kysteninhalt geben keine Contraindication ab.
2) Ist das Stadium der Krankheit, in welchem die Operation
zur Ausführung kommt, von grosser Wichtigkeit Es dürfte am
besten sein, das mittlere Stadium der Krankheit zur Operation
au wählen, wenn die Geschwulst bedeutende Beschwerden macht
und der allgemeine Kräftezustand anfängt au leiden, aber noch
kein Marasmus eingetreten ist.
3) Das Chloroform ist absolut nöthig, um die Wirkung des
operativen Eingriffs au verringern.
4) Gewisse Vorsichtsmaasa regeln bei der Ausführung der
Operation sind von grosser Wichtigkeit.
Die Luft des Operationszimmers , welche auf circa 17° R.
enrlirmt tot, wird durch WasserdSmpfe feucht erbalten; Patientin
ist leicht, jedoch warm bekleidet. Der Assistenten (am besten
drei bis vier) und sonstiger Zuschauer dürfen nicht au viele sein,
auch sollen sich dieselben vorher nicht in Secirsälen oder
Leichenhänsern beschäftigt haben. Der Einschnitt muss gerade
die Mittellinie des Bauches treffen. Sollte man die Grenaen der
Kyste nicht ausfindig machen können, so ist es besser, dieselbe
au öffnen, als das Peritoneum unnötigerweise von den Bauch-
decken loszulösen. Die Flüssigkeit aus der Kyste wird mittels
eines grossen Troikarts, der mit einer Kautschukröhre in Ver-
bindung steht, entleert, wodurch, und dies ist wichtig, die
Patientin vor aller DurchnKssung geschützt bleibt. Die Adhäsionen
trennt man besser mit der Hand als mit dem Messer, vielleicht
könnte man bei sehr festen den Ecraseur anwenden. Beim
Herausziehen der Kyste muss man sioh vorsehen, dass man nur
diese und nichts Anderes mitzieht und ist der Stiel der Kyste
mit Ligaturen oder Klemmer zu sichern. Nie darf man sich mit
einer einzigen Ligatur begnügen, da dieselbe leicht abgleitet und
man dann nachher die blutenden Gefasse nicht finden kann.
Das Peritonänm ist auf das Sorgfältigste von dem Kysten-
inhalte und coagulirtem Blute au reinigen, was am besten mit
ganz weichen Schwämmen geschieht. Der Stumpf des Stieles ist
ausserhalb der Bauchhöhle an fixiren« um die Zersetzungsprodncte
so viel wie möglich der Bauchhöhle und der allgemeinen Circulaiion
fern zu halten. Zur Vereinigung der Wundränder benutzt man
die umschlungene Naht.
5) Die Nachbehandlung ist von grösster Wichtigkeit -und
besteht namentlich in grösster Beinhaltung, Buhe und Gaben
von Opium gegen den Schmerz. Letzteres wird am besten durch
den Mastdarm applieirt. Sehr angenehm ist den Kranken ein
warmes Cfataplasma von Leinsamen. Die Nahrung besteht fn
den ersten fünf Tagen nur in Flüssigkeiten nnd wird am besten
mir dann verabreicht, wenn Pat. darnach verlangt. Der fötide
Stumpf wird mit einem Muslinbeutel bedeckt, der Kohlen pnlv er
156 V. Literatur.
enthalt und den man täglich ein oder swei Mal wechselt, damit die
Kranke durch den Üblen Geruch nicht sum Erbrechen gereist wird.
Schliesslich giebt Verf. noch eine TJebersicht der in den
lotsten drei Jahren in den Londoner Hospitälern vorgenommenen
Ovariotomien, deren Zahl sich auf 86 beläuft, nnd 16 Fälle
davon mit Heilung endigten. Auffallend bei dieser Statistik tat,
dass in den sogenannten grossen Hospitälern kein einsiger Fall
▼on Heilnng vorgekommen ist, während in den beiden kleinen
Speeialho spitälern (Samen tan Free Hospital und London Snrgical
Home) 16 Fälle Ton Radicalcur vorkamen.
(Wien. med. Wochenschrift, No. 19 u. 20, 1861.)
Legrand: Nener Fall tob Tod nach einer Jodeinspritsnng
in eine Elerstockskyste.
Eine 46jährige Frau litt seit etwa 10 Jahren an einer Eierstocks«
kyste. In den ersten 6 Jahren wurde sie 8 — 9 Mal pnnktirt nnd
jedes Mal war danach eine Jodinjection (Tct. jodi, Aq. dest. «*
gr. 60, Kali hydrojod. 2 Milligr.) gemacht worden. Die letste
dieser Einspritzungen schien endlich eine Radicalheilnng herbei-
führen su wollen. Nach vier Jahren füllte sich die Kyste indess
wieder, es wurde eine neue Punktion gemacht und eine bedeutende
Menge einer dicklichen und dunkler, als früher gefärbten Flüssig-
keit entleert. Unmittelbar darauf die Jodeinspritsnng wie früher.
Nach einem Monate schon und dann wieder nach drei Monaten
musste dasselbe Verfahren wiederholt werden.
Unmittelbar nach dieser letsten Einspritsung trat Uebelkeit
und Erbrechen ein und es folgten die Erscheinungen einer heftigen
Peritonitis, welche 27 8tunden nach der Operation sum Tode führte.
(Gas. des hdpitaux, No. 120, 1861.)
V.
Literatur.
Das Nabelbläschen, ein constantes Gebilde in der
Nachgeburt des ausgetragenen Kindes, von Schultte.
Leipsig, bei Engtlmann, 1861. 4.
Die unter vorstehendem Titel erschienene Monographie handelt
nicht nach Verf. von der embryogene tischen Bedeutung des Nabel-
blaachens, sondern lediglich von dem constant (?) naehsuweisenden
Ueberreste desselben in der reifen Nachgeburt des Menschen.
Nach Vorführung interessanter historischer Belege geht \^xt su
IV. Literatur. 157
seinen eigenen Untersuchungen über. In 150 genau untersuchten
Nachgeburten ausgetragener Kinder fand er 146 Mal das Nabel-
bläschen, in den meisten davon war der Ductus omphalo-entericus
.mit blossem Auge, in allen durch das Mikroskop nachweisbar.
Von den übrigen vier Fällen erwies sich in sweien das Ei ver-
letzt, indem der Ductus omphalo-entericus mit deutlich ab-
gerissenem Ende nachgewiesen werden konnte.
Das Nabelbläschen liegt auch im aufgetragenen Ei «wischen
Amnion und Chorion und bleibt, wenn das «wischen beiden
Eihäuten liegende Gewebe eine gallertartige sähe Beschaffenheit
hat, bei Trennung der ersteren am Amnion haften; hat dagegen
jenes Gewebe eine mehr trockene , membranartige Beschaffenheit
angenommen, so bleibt es am Chorion haften und ist dann
manchmal schwer aufsufinden. In seiner Entfernung von der 8telle
der Insertion des Nabelstranges in den Mutterkuchen variirt das
Nabelbläschen bedeutend; selten liegt es im Bereiche der Placentae
meist dagegen mehrere Zolle Ton deren Bande entfernt. Ebenso
▼erschieden ist die Grösse und Form des Nabelbläschens. Die
weissgelbe Masse, welche bald nur eine mittlere Trübung dar-
stellt, bald die Hauptmasse des gansen Bläschens ausmacht, seigt
sieh unter dem Mikroskope als ausammengesetst aus theils
kugeligen , theils unregelmässig gestalteten , stark lichtbrechenden
Körperchen von sehr wechselnder Grösse, und ist su betrachten
als das Resultat einer Fettmetamorphose der Wand des Nabel*
bläsohens und swar der Bindegewebesellen dieser Wand.
Dass der Ton der Vesicula sum Nabelstrang gehende Faden
der Ductus sei und nicht etwa Ueberbleibsel eines Vas omphalo*
meseraieum wird dadnrch sweifellos, dass er in selteneren Fällen
von einem oder mehreren Strängen begleitet ist, welche ohne
Zweifel jenen Gefässen angehören.
Wichtig bleibt nach Verf. das persistirende Nabelbläschen
für die genetische Deutung von Missbildungen. Jedes Doppel-
monstrum, welches einen gemeinsamen Darmnabel hat, besitst
ein einsiges Nabelbläschen. Die sn den Gruppen der Pjgopageu
und Cephalopagen gehörigen Doppelmonstra dagegen haben sicher
swei Dottergänge , höchst wahrscheinlich auch swei Nabelbläschen.
Die Tom Verf. untersuchten Nachgeburten von in getrennten
Eiern gelegenen Zwillingen besassen stets swei Dottergänge mit
swei Nabelbläschen.
Das schrägverengte Becken, von Seiten der Theorie
und Praxis, nach dem gegenwärtigen Stand der
Wissenschaft Ton Simon Thomat, Prof. su Leyden.
Levden u. Leipzig. 1861. Fol.
Die umfangreiche Monographie serfällt in swei Haupt-
abschnitte, deren erster auf 25 Seiten eine Beschreibung aller
158 v- Literatur.
derjenigen ankylotischen schrägverengten Becken mit den be-
treffenden Geburtsgeschichten liefert, welche Nägele in seiner
Monographie noch nicht beschrieben hatte. Dass der Verfasser
gerade diese sämmtlichen Fälle, aber auch nur diese, in seine
Arbeit aufgenommen hat, muss befremden, da viele, ja vielleicht
die meisten dieser Becken schon weit genauer beschrieben sind,
als Simon Thomas es thut, während manche der von Nägele er*
wähnten, aber nieht von ihm selbst untersuchten Becken einer
genaueren Beschreibung eher werth waren. Verf. kann deshalb
bei einer solchen Auswahl nur den Zweck gehabt haben, seine
Arbeit der Nägele'echen Monographie als Ergänzung ad die Seite
zu stellen. Das Verdienstlichste in dem ersten Abschnitte ist die
genaue Beschreibung zweier vom Verf. selbst während des Lebens
erkannter schrägverengter Becken mit der genauen Anamnese und
den Geburtsgeschichten. Beide Fälle sind schon in holländischen
Journalen früher beschrieben wurden. Die eine Frau war das
erste Mal durch Perforation entbunden und in den folgenden
vier Schwangerschaften durch künstliche Frühgeburt jedes Mal
ohne Erfolg für das Kind. In ihrer sechsten Geburt verweigerte
sie die künstliche Frühgeburt und starb unentbunden an Ruptura
uteri. Das Becken zeigte sich nur massig verengt, aber im
höchsten Grade asymmetrisch; die Differenz der schrägen Durch-
messer des Eingangs betrug 1" 6'". Die linke Öynchondrosis
sacro-iliaca war ankylosirt. Obgleich nach der Anamnese ein
entzündliches Leiden der Beckenknochen in der Kindheit statt-
gefunden zu haben schien, zeigten sich die Beckenknochen doch
überall glatt und ohne Osteophytbildung. Der zweite Fall betrifft
eine Frau mit hochgradig verengtem schiefen Becken, welche
8. Thomas in ihrer ersten Geburt, nach einem vergeblichen Zangen-
versuche durch den Kaiserschnitt entband. Sie starb am zweiten
"frage nach der Entbindung. Das Becken ist eines der schiefsten
und zugleich der engsten, welche beschrieben sind. Die Ankylosis
sacro-iliaca ist linkerseits. Spuren entzündlicher Erkrankung
fehlen am Becken.
Verf. zählt mit seinen beiden Fällen 21 schräg vor engte,
ankylotische Becken der Reihe nach auf. Dazu kommen 29 schon
von Nägele beschriebene (vier Wiener Becken in Nägele'* Mono-
graphie lässt Verf. als Becken dieser Gattung nicht gelten), also
im Ganzen 60 Fälle, in welchen durch die Sectton schrägveredgte,
ankylotische Becken nachgewiesen wurden.
Unter de» an Lebenden erkannten, »bei durch die Seoxiom
noch nicht bestätigten Fällen lässt 8. Thomcm nur zwei von Hayn
und Hohl diagnoaticirte als aller Wahrscheinlichkeit nach richtig
gelten, während acht Fälle {Ritgen drei Fall«; Meigs, Halder,
Lehmann, Giordano, Biquard je ein Fall) nicht mit Wahrschein-
lichkeit für schrägovale Becken zu halten sind. Diese sämmt-
lichen Fälle Bind der Reihe nach aufgeführt. Pag. 36 — 3U werden
V. Literatur. lftß
noch drei Becken mit angeborenen Formfehlern and Defecten
des Kreuzbeins beschrieben. Diese sind in Besag auf die Ent-
stehung schrägverengter Becken überhaupt von Wichtigkeit,
sprechen aber nicht für des Verfassers eigene Theorie.
Simon Thomas bestreitet dann die von Nägele vermuthete
Häufigkeit dieser Becken. In dem Abschnitte über die Aetiologie
(pag. 42 — 49) spricht er sich mit Entschiedenheit für die alleinige
Entstehung schrägverengter Becken mit Ankylosis sacro»iliaoä
durch entsündliche Knochenaffectionen im Kindesalter aus. Er
schliesst sich hier am meisten JB. Martin an , welcher den Knochen*
defect auf der durch die Synostose bedingte Ernährungsstörung
aurlickführt. 8. Thomas hält also mit Martin die Synostose für
das Primäre und verwirft vollständig jede Ansicht, welche von
einem angeborenen Defect des Kreuabeins die Deformität her^
leitet. Wie weit #. Thoma» hierin Recht habe, habe ich bei
Gelegenheit der Besehreibung eines neuen Beckens dieser Gattung
(s. das Aprilhett v. J. dieser Zeitschrift) au zeigen gesucht und*
habe dort den gansen Abschnitt über die Aetiologie dieser Becken
in 8. Thoma» Arbeit einer genaueren Kritik untersogen.
Die Diagnose der Beckenform (pag. 50—64) will der Verf.
besonders durch folgende Punkte begründen i 1) durch das Höher-
stehen einer Spina und Crista o. iL, 2) durch den verschiedenen
Abstand der Procp« spinös, lumbal, von den Hfiftbeinkämmen,
8) durch die Messung der hinteren Stdbocborden, 4) durch die
NUgeWnchen äusseren schrägen Durchmesser. Letztere Unter-
suchung fährt immer zur Diagnose; aueh in des Verfassers eigenen
beiden Fällen (ob auch, wenn die Differenz der schrägen Durch-
messe! nur circa 2'" beträgt, wie bei dem Hallenser Becken und
dem von Becker- Paetsch?). Aufmerksam soll man schon werden,
wenn die Anamnese auf frühere Erkrankungen der Beckenknoehen
sohliessen läset, sowie bei geringem Hinken eines Individuum.
Eine Ankylosis sacro-iliaca kann man bei bestehender Schiefheit
annehmen, wenn 1) die Anamnese oder der Befund ven Narben
am Gesäss dafür sprechen, 2) die Crista sacralis dem einen
Darmbeinkamme mehr genähert ist, als dem anderen, 8) die
Differenz der Nägele1 sehen Maasse erheblich ist, 4) die hinteren
Stenocborden ungleich sind, der Schambogen eng und der Quer«
durchmeseer des Ausgangs zU klein ist.
Der Abschnitt über den Einflute der Deformität auf die
Geburt (pag. 66—61) ist interessant und lehrreieh. Voran geht
eine Zusammenstellung über 42 Geburten bei 28 Frauen mit
schrägovalen Becken, von denen jedoch zwei durch die Autopsie
noch nicht bestätigt sind. 21 Frauen starben in Folge ihrer
ersten Geburt, 3 in Folge der zweiten, 1 in der sechsten Geburt.
Kur eine starb nicht in Folge einer schweren Entbindung. Unter
der Kunsthülfe kam 7 Mal die Perforation und 1 Mal der Kaiser-
schnitt, 4 Mal die künstliche Frühgeburt und häufig die Zange vor.
JjfjO V. Literatur.
Fünf Frauen starben unentbunden, 2 erlitten eine Ruptur* uteri
und 2 eise Fractur des Schambeins. Von 48 Kindern wurden
84 todt, 9 lebend geboren. Für die Matter hält 8. Thonuu die
Beckenendlagen für günstiger ; für die Kinder mit Hapn und Hohl
die Kopflagen. Bei Kopf- und Beckenendelagen iet diejeuige
Lage des Kindes die gunstigere, bei welcher der Rücken des
Kindes der abgeplatteten Seite sugekohrt ist. Aus der Literatur
ist nämlich in 11 Fällen die genaue Kopflage bekannt. Sechs Mal
stand das Hinterhaupt auf der weiten Hälfte des Beckens, 6 Mal
auf der engen. Zwei der ersteren Fälle ereigneten sich in der fünften
und sechsten Geburt bei einem so weiten schräg oralen Becken, da»
überhaupt kein Qeburtshinderniss stattfand; in den Tier übrigen
Geburten starb 3 Mal die Mutter unentbunden , 1 Mal 24 Stunden
nach der durch die Perforation beendigten Geburt. Bei den
6 engständigen Geburten dagegen wurde 1 Mal der Kaiserschnitt
gemacht, 1 Mal die Mutter durch Perforation gerettet; 8 Mal
genügte die Zange. Versuche mit Kinderachädeln an skelettirten,
•chrägverengten Becken bewiesen die Richtigkeit obiger Be-
hauptung, dass die Stellung des Hinterhauptes über der ver-
engten Seite günstiger ist. Auch an meinem schrägoYalen Becken,
welches linkerseits verengt ist, kann ich einen Kindesschädel,
den ich aur Hand habe, in aweiter Scheitelbeinlage nicht durch
den Beckeneingang hindurchfuhren, aber wohl in erster, bei tief
gestelltem Hinterhaupte. Sollte sich in der That diese Ansicht
Simon Thema** in praxi bewahrheiten, so erlitte dadurch die
neuerdings vorgebrachte Lehre, hei seb ragverengten Becken
durch die Wendung das Hinterhaupt aus der engen Seite in die
weitere su bringen, einen argen Stoss oder sie müsste geradesu
umgekehrt werden, vorausgesetat, dass es immer gelänge, das
Kind su drehen, wie man will.
Zur Therapie (pag. 62—64) bemerkt der Verf., dass die
Wendung ihm niemals durch die Beckenform, höchstens durch
Compticationen, wie KabelschnurvorfaU etc., bedingt schiene,
und stets nur da aulässig aei, wo die Perforation sicher unnüthig
ist. Denn wo sie nüthig sei, solle man lieber den vorangehenden
Kopf perforiren. — Von den sieben grossen Blättern mit gut
ausgeführten Lithographieen enthalten die vier ersten Abbildungen
der swei vom Verf. beobachteten schrägverengten Becken. Die
fünfte giebt Abbildungen von einem Becken mit angeborenem
Kreusbeindefecte, ohne Ankyloais sacro-iliaca. Die sechate giebt
die genauen Zeichnungen der Durchschnitte von fünf solcher
Ankylosen; die siebente endlich Abbildungen zweier kindlicher
Becken mit entsündlichen Zerstörungen eines Ilioftacralgelenks.
Die Form und Ausstattung des ganzen Werkes ist elegant und
fast tu anspruchsvoll. OUhausen.
VI.
Schrägverengtes Becken mit Ankylosis sacro-iliaca
nebst Bemerkungen über Simon Thomas' Ansicht
der Entstehung der Deformität
Dr. R. Olshausen,
Assistenzarzt am Entbinduugsinstitute zu Halle.
(Hierzu eine Tafel mit fünf Abbildungen.)
Seit einiger Zeit bin ich im Besitze eines schrägovalen
Beckens mit Synostose der linken Synchondrosis sacro-iliaca.
Zu der Trägerin dieses Beckens, einer Frau von gut gebautem
Körper, wurde in ihrer ersten Geburt Herr Dr. Bötticher
in Berlin gerufen.* Da ö^e Geburt ungewöhnliche Schwierig-
keiten darbot, begehrte Herr Dr. Bötticher meinen Beistand
und war so gütig, nach dem an Ruptura uteri erfolgten
Tode der Person, mir das Becken zu überlassen, wofür ich
ihm hiermit meinen herzlichsten Dank sage.
Das Becken ist von mittlerer Grösse. Zwei Lendenwirbel
sind mit' ihm natürlich verbunden. Die rechte Synchondrosis
sacro-iliaca und die Symphysis o. pubis sind künstlich ge-
heftet. Die Knochen sind compact aber ziemlich gracil, wie
die stark durchscheinenden Darmbeinschaufeln beweisen; das
Gewicht des Beckens mit den zwei Lendenwirbeln beträgt
nur 21 Loth. Es zeigt sämmtliche, wesentliche Merkmale
der schrägverengten, ankylotischen Becken. Die- Schiefheit
ist vielleicht beträchtlicher als bei irgend einem der bisher
beschriebenen Becken, indem die Differenz der Distantiae
sacro-cotyloideae hier, wie bei keinem jetzt bekannten, 2" 9"'
beträgt. ') Der Unke Seitentheil des Kreuzbeins fehlt fast
1) Alle Maassangafcen sind Pariser Zoll und Linien.
MonaU.chr. f. Gebartek. 1962. Bd. XIX., Hfl. 8. ' H
162 VI. OUhauten, Schrftgverengtes Becken
vollständig; in Folge dessen steht das Promontorium weit
links hinter der Symph. o. p. mit seinem Mittelpunkt der
linken Linea arcuata auf %" genähert; die beiden Lenden-
wirbel bilden eine Scoliose nach links, mit gleichzeitiger
Achsendrehung nach dieser Seite hin. Das Kreuzbein hat
eine stark von oben und links nach unten und rechts gehende
Richtung. Die rechte Darmbeinschaufel ist mit ihrer Con-
cavität stark nach vorn gerichtet; die linke steht (um 4°)
steiler als die rechte, sieht nach rechts und ein wenig nach
hinten. Der linke Tuber o. ischii ist zurückgewichen; in
Folge dessen sieht die Oeffnung des sehr spitzen Scham-
bogens (von 69°) etwas nach links. Das linke Acetabulum
ist weit mehr nach vorn gerichtet als das rechte. Die linke
Linea arcuata verläuft nur schwach gebogen; die rechte
ziemlich stark gekrümmt.
Die einzelnen Theile des Beckens bieten folgende Eigen-
tümlichkeiten: Das aus fünf Wirbeln bestehende Kreuzbein
zeigt die auffälligste Asymmetrie, indem der linke Seitentbeil
nach oben zu fast völlig fehlt; auch nach unten zu ist det-
derselbe erheblich schmäler als rechterseits. Dieses zeigen
folgende Breitenmaasse :
1 rechts link«
Kürzeste Entfernung zwischen dem oberen
Rande des ersten falschen Wirbels und
der Linea arcuata interna 1"10'", 5"V
Von der Mitte des Promontor. zur Syncbondr.
oder Synostos 2" 8"', 9y2'".
Nach den Seitenrändern des Kreuzbeins
von der Mitte des zweiten Wirbelkörpers 1 " 6 '", 1".
„ , dritten „ 1"5'", 11'".
Das Kreuzbein ist sowohl von den Seiten her als von
oben nach unten wenig ausgehöhlt. Die Verbindung des ersten
und zweiten Wirbels springt sogar ein wenig vor. Die
Foramina sacralia anteriora sind links erheblich kleiner als
rechts; dies gilt besonders von dem obersten Foramen, welches
nur 5'" im grössten Durchmesser hat, während das rechte
9'*' missL Dasselbe lässt sich von den Foramina sacralia
posteriora und besonders wieder von dem obersten sagen.
Die Seitenränder des Kreuzbeins unterhalb der Synchondr.
mit AakylotU sacro-iliae* etc. 163
sacro-iliaca sind auffallend verschieden; der. rechte Rand ist
nämlich normal scharfkantig; der linke zu einer 7'" braten
Fläche von links her abgeplattet (Fig. 3, d) vermutfehdi
durch den Druck der Gesässmuskeln.
Die Synostose des linken Bio -sacral- Gelenks ist ganz
vollkommen. An der oberen- (vorderen) Fläche ist die Synostose
durch einen flachen, aber deutlichen, völlig glatten Wulst,
welcher dem Auge als directe Fortsetzung der Linea arcuata
interna erscheint, markirt (Fig. 1, a). An der Vorder- und
HinterQäche ist die genaue Stelle des synostosirten Gelenks
durch keine Spur angedeutet. Die Höhe des Gelenks Usst
sich deshalb mit Genauigkeit nicht bestimmen. Misst man
jedoch an den wahrscheinlichen, d. h. denen der rechten
Seite analogen findpunkten, so findet man links wie auch
rechts 1"" 5'" Höhe. Nägele und alle Autoren nach ihm
geben an, dass die Synostose eine geringere Höhe habe als
die Synchondr. sacro-iliaca der gesunden Seite. Der Augen-
schein lässt dies glauben und ebenso eine Messung, welche
nach dem höchsten Punkt der Incis. isch. maj. ausgeführt
wird (etwa d in Fig. 1). Aber dieser Punkt entspricht durch-
aus nicht der Verschmelzungsstelle, sondern ein tiefer ge-
legener Punkt am Kreuzbein (etwa e in Fig. 1) wie ein Blick
auf jede normale Synchondr. sacro-iliaca zeigt Den ver-
muthlich richtigen Punkt findet man durch Vergleich mit der
anderen Seite; er muss demselben Foram. sacrale ant ent-
sprechen, welchem das untere Ende des Gelenks auf der
anderen Seite entspricht
Im Bereiche der Synostose ist Osteophytbildung nirgends
wahrzunehmen; der Knochen erscheint überall glatt. Nur in
der Nähe der Spina post. sup. befindet sich am Darmbeine
ein 2'" hoher Stachel, welcher jedoch von der Synostose
V4"— V*" entfernt liegt (Fig. 4, a).
Wichtig ist die Stellung des Kreuzbeins. Dasselbe
steht mit seiner linken, atrophischen Hälfte deutlich niedriger
als .mit der rechten; es stehen deshalb alle Foramma sacralia
anteriora und posteriora linkerseits erheblich tiefer als rechter-
seits. Die Längenachse des Kreuzbeins ist demzufolge stark
schief nach unten und reöhts gerichtet; die vier unteren
Kreuzbeinwirbel bilden eine schwache Scoliose naih rechts;
164 VI. . OWfcat**», Scbragverengtei Becken
die vordere Fläche des Kreuzbeins sieht etwas nach rechts
gegen die Symph. o. p. zu. Nur der obere Rand des ersten
Kreuzbeinwirbels siebt, wie auch die Lendenwirbel, schon
etwas nach links.
Die Verschiebung des Kreuzbeins am linken Hüftbeine
ist eine mehrfache. Hauptsächlich ist sie verticaL Das Kreuz-
bein ist mit seiner linken Hüfte am Hüftbeine herabgesunken
oder letzteres in die Höbe geschoben. Dies ergiebt sich aus
Folgendem:
Vom oberen Rande des letzten Foramen sacrale ant. zur
Synchondr. sacro-iliaca in der Höhe der Linea arcuata sind
links 2 'Ml'", rechts 2" 8"', während man von der aller-
dings schwachen Scoliose des Kreuzbeins nach rechts, eher
ein uragekehres Verhältniss erwarten sollte. . Viel deutlicher
noch ist die Verschiebung am obersten Foramr sacr. ant;
denn rechts- liegt sein oberer Rand fast in der Höhe der
Linea arcuata int. (Fig. 1, 4), links dagegen 6'" tiefer (Fig. 1, c).
Auf eine solche verücale Verschiebung der synostosirten Knochen
gegen einander ist bisher nur wenig aufmerksam gemacht;
auch Litzmann , welcher die Verschiebung beider Knochen
zu einander stark urgirt und darauf Schlüsse baut,« spricht
fast nur von einer Verschiebung des Darmbeins am Kreuzbeine
nach hinten, welche er durch Messungen beweist. Vielleicht
ist bei anderen schrägverengten Becken diese verticale Ver-
schiebung unerheblicher als an dem vorliegenden.
Die Verschiebung des Darmbeins nach hinten ist dagegen
an unserem Präparate nicht bedeutend, \vie der Augenschein
zur Genüge beweist (auch an Fig. 4 deutlich). Folgende
.Messung constatirt diese Verschiebung: Die Entfernung der
Spin, post sup. zum vorderen Punkt der Synchondr. sacro-iliaca
misst rechts 2" 41/«'/\ links 2" 81/*'". Eine ganz genaue
Messung auf 1'" — 2"' ist hier jedoch auf der Seite der
Synostose nicht möglich, weil die Verschmelzungsstelle nicht
genau kenntlich ist.
Die Sitzbeine zeigen folgende Verschiedenheiten. Der
linke Tuber o. ischii ist nach ein- und rückwärts geschoben.
Der Schambogen sieht in Folge dessen etwas nach links; das linke
Xuberculum ileo-pectineura ist deutlich ausgeprägt, während
rechts atine Stelle kaum kenntlich ist. Dicht vor dem linken
mit Ankyloris tsero-Ulaea etc.. 165
Tuberculum ileo-pectineunt bildet die Linea arcuata interna
einen */»" langen, ziemlich scharfen Kamm, welcher rechts
ebenfalls fehlt Die linke Spina ischii ist ein spitz aus-
laufender Stachel. Die rechte endet mit einer breiten Kante.
Der linke Schenkel des Schambogens ist 3" 5'" lang; der
rechte nur 3" 2'". Die beiden Pfannen, sowie die Foram.
obturat zeigen in jeder Richtung gleiche Dimensionen.
Wenn das Becken mit einer Neigung des Einganges von
circa 60° hingestellt wird, so ist seine Höhe am rechten
Darmbeinkamme = 6%"; links an derselben Stelle = hll%".
Die Höhe des kleinen Beckens vom Tuberculum ileo-pectineum
aus gemessen, beiderseits = 3V4".
Die Darmbein seh auf ein zeigen eine ganz ungleiche
Form. Diese zeigt sich schon, ohne Messung, beim blossen
Anblick, wie durch Vergleichung der Fig. 2 und 3 leicht
erhellt. Das linke Darmbein ist von vorn nach hinten kürzer,
aber von oben nach unten breiter als das rechte; denn die
Crista o. iL hat rechtg link8
von der Spin. a. sup. zur Spin, post sup.
mit dem Faden gemessen = 9V4", 8%". '
Die directe Entfernung zwischen beiden
Punkten = 5" 9'", 5" 2'".
Die Höhe (geringste Entfernung zwischen
. der Incis. isch. maj. und dem Ansätze
des Glutaeus max.) =3"6'",3"8V*'".
Die Crista o. iL ist links etwas stärker gekrümmt als
rechts. Die Incis. isch. maj. misst rechts in der Breite 2" 2'";
links 1" 6'" (s. Fig. 2 und 3). Hieran ist zum Theil die
geringere Lange des linken Darmbeins Schuld, vorzugsweise
aber das Zurück- und Aufwärtsschieben des Sitzbeins. Die
rechte Crista 0. iL steht %" — 1" höher als die linke. Die
linke Darmbeinschaufel hat gradiere Ränder, was besonders
an ihrem Tuber auffallt« Der Längenunterschied der Lineae
arcuatae ist iolgender: rochtg linkg
Von der Synchondros. sacro-ü. zum
Tuberc. ileo-pectin 2" 7'", 1" 6'".
Vom Tuljerc. ileo-pectin. zur Symph.
ö. pub . 2"87a"', J[^_Vj
5" BW,'*" W%'".
166 VI. 0frfa«#0», Sehrlgverengtes Betben
Diese Differenz von 9'" an den Lineae arcuatae kommt
nur zum Theil auf Rechnung der Verschiebung, da die Ver-
schiebung des Hüftbeins nach rückwärts nur circa 4'" betrügt.
Eine Einknickung der gestreckten Linea arcuata ist nirgend
vorhanden. Erwähnen muss ich auch, dass ein Foramen
nutritium an der Innenfläche der Darmbeinschaufel sich weder
rechts noch links findet.
Folgende äussere und innere Haasse werden die Form
und Grösse des Beckens näher erkennen lassen.
Am grossen Becken misst die Conj. externa = 6Va".
Der Abstand der Spin, anter. sup. o. iL = 8" 1'".
„ Cristae o. U = 9" 1"\
„ „ „ Spin, post sup. . . . = 1" 7'".
,, „ defe Proc. spin. vertsacral.1.
vom Darmbeinkamme rechts = 5V9'".
links = 11 V'.
Von der Spin. post. sup. dextr. zur Spin, ant
sup. sini$t = 5" 7"'.
Von der Spin. post. sup. sinistr. zur Spin, ant
sup. dextra . '. =6" 10'".
Vom Proc. spin. des letzten Lendenwirbels zur
Spin. ant. sup. sinistr. =■ 5".
Vom Proc. spin. des letzten Lendenwirbels zur
Spin. ant. sup. dextra = 6" 6'".
Auf die Wichtigkeit dieser schrägen Durchmesser für die
Diagnose machte bekanntlich schon Nägele aufmerksam, auf
die verschiedene Entfernung der Proc. spinosi von den Darmbein-
kämmen besonders Martin in Berlin.
Kleines Becken. Der Eingang stellt ein Oval dar, dessen
grösster Durchmesser von der Synostos. sacro-iliaca zur
Mitte des rechten, horizontalen Schambeinastes ver-
läuft = 4" 11"',
der Querdurchmesser dieses Ovals . . . . = 3/'3I4"'.
Die Schiefheit des Eingangs ist so beträchtlich, dass
wenn beide Tubera o. ischii gleich weit vorn stehen, eine
von der Symph. o. pubis gerade nach rückwärts« gezogene
Linie nicht das Promontorium trifft, sondern die rechte
Synchondr. sacro-iliaca.
mit Ankyloais sacro-iliaca etc. Jß7
Die Conjugata vera = 8" 10'".
diagonalis ±= 4" 21/a"/.
Querdurchmesser zwischen den TuWc.
ileo-pectin = 3" 11%"'.
Rechter schräger Durchmesser = 3" 3"'.
Linker „ „ = 4" 11'".
Distant. sacro-cotyl. dextr. . * = 4" 3"'.
„ sinislr = 1" 5"'.
Die Peripherie des Beckeneingangs beträgt l3ya" (statt
normaler Weise 16"); davon kommen auf die rechte Hälfte 8";
auf die linke 52/2".
Beckenweite, gerader Durchmesser = 4" 4'".
querer „ = 3" 8"'.
Beckenenge, gerader „ = 4" 5"'.
„ querer „ = 2" 7'".
Hintere Stenochorde (Entfernung der Spin.
o. ischii vom Ende des Kreuzbeins) rechts = 2" 4"'.
Hintere Stenochorde (Entfernung der Spin.
o. ischii vom Ende des Kreuzbeins) links = 1" 5"'.
Beckenausgang, gerader Durchmesser (vom
Ende des ersten Steissbeinwirbels) . . = 4" 2'".
Das Becken ist also durchaus kein, allgemein zu enges,
wie manche der schrägovalen, z. B. das von Hecker be-
schriebene; die rechte Beckenhälfte zeigt, zumal an der Peri-
pherie des Eingangs, die ganz normale Weite von 8"; auch
die Conjug. vera bleibt nicht hinter der Norm zurück; die
äusserst erhebliche Verengerung der linken Hälfte aber und
die zugleich entstehende, ungünstige Form des Beckens waren
bei der Geburt Hinderniss genug, das Kind nicht lebend
passiren zu lassen. Aber nicht allein der Eingang, sondern
auch alle tieferen Beckenraume zeigen, was nicht bei jedem
schrägverengten Becken der Fall ist, eine gam? beträchtliche
Asymmetrie und Verengerung der linken Seite, wie die einfache
Vergleichung der hinteren Stenochorden (Differenz = ll"')
ergiebt Die Asymmetrie nimmt nun zwar in den unteren
Räumen nicht zu im Vergleich zu den oberen; der linke
Sitzbeinstachel ragt aber in Folge der Verschiebung des Sitz-
beins derartig nach innen vor, dass er allein ein Geburts-
hinderniss hätte abgeben können und bei der grösseren, absoluten
Igg VI. OltKauten, Schr&gverengtes Becken
Enge des Beckenausgangs im Vergleiche zum Beckeneingange
wäre es sehr wohl möglich, dass bei diesem Becken ein
günstig gestellter nicht zu grosser Kopf den Eingang des
Beckens ungehindert hätte passiren können und erst durch
die Beckenenge aufgehalten worden wäre. Einen skelettirten
Schädel von 12Va" Peripherie kann ich allerdings durch den
Eingang, mit tiefgestelltem Hinterhaupte, ohne Hinderniss
hindurchbringen, durch die Beckenenge aber in keiner Weise.
Die Geburt gab keine Gelegenheit, einen solchen Einfluss des
Beckenausgangs zu beobachten, da bei hochstehendem Kopfe
die Perforation ausgeführt wurde. Die in anderer Beziehung
interessante Geburtsgeschichte werde ich in Kurzem, bei einer
anderen Gelegenheit, veröffentlichen. Wenn ich sie nicht der
Beschreibung des Beckens beigefügt habe, so ist dies deshalb
geschehen, weil weder im Leben die Beckenmessung (äussere
und innere) gemacht wurde, noch vom Geburtsmechanismus
bei der künstlichen Beendigung der Geburt die Rede war.
Da in Bezug auf die Entstehung der beschriebenen Becken-
deformität die leider unvollkommen erhobene Anamnese nur
ermittelt hat, dass die Trägerin, wenigstens seit einigen
Jahren, immer ein wenig gehinkt hat, so würde ich mich
hier kaum auf die schwierige und vielfach discutirte Frage
der Entstehung solcher Becken überhaupt einlassen, wenn
nicht ganz neuerdings Simon Thomas in Leyden in einer
eigenen Monographie1) diesen Punkt wieder ausführlich be-
sprochen hätte. Ich glaube, dass die bestimmt ausgesprochene
und exclusive Ansicht dieses Forschers eine Widerlegung verdient.
Bekanntlich difleriren die Ansichten der Forscher über
die Entstehung schrägverengter Becken mit Ankylose haupt-
sächlich in der Art, dass die Einen ein Vitium primae formaüonis,
die Anderen eine entzündliche Erkrankung im Kindesalter (in
einzelnen Fällen vielleicht im Fötalleben) als Ursache des
Fehlers betrachten. Die Meinungen der einzelnen Autoren
gehen wiederum vielfach auseinander, besonders in der Frage,
ob die Ankylose (sei es als Vitium primae formaüonis oder
als Entzündungsproduct) das primäre und wesentliche sei, den
1) Simon Thomas t Das schrägverengte Becken, von Seiten
der Theorie and Praxis etc., Leyden n. Leipaig 1861.
mit Ankylosis aaoro-iliaca etc. 169
Defect des Kreuzbeins bedinge oder ob dieser Defect das
ursprungliche und die Ankylose nur nebensächlich, secundär sei.
An ein Vitium primae conformationis, und zwar besonders
in Bezug auf die Ankylose glaubten Nägele, Robert, Vrolik;
an Priorität^ des Kreuzbeindefectes bei diesem Fehler der
ersten Bildung: Unna, Kirchhoff er, Moleschott, Hohl,
Siebold, Lambl u. A. m. Doch wollten Mehrere der Genannten,
z. B. Hohl, nicht ausnahmslos für alle derartigen Becken
diese Erklärung angewandt wissen.
Nachdem nun Bet8chlerl) zuerst im Jahre 1840 auf
die Entstehung der Deformität durch entzündliche Processe
aufmerksam gemacht hatte, stellte E. Martin2) diese Ursache
als die alleinige mit Bestimmtheit auf und vertheidigte diese
Ansicht gründlich. Er sieht die Ankylose als Folge eines
entzündlichen Processes und den Kreuzbeindefect als Folge
der durch die Ankylose bedingten Ernährungsstörung an«
Ihm stimmten Rosshirt, Danyau, Ritgen, Hayn in den
meisten Punkten bei. Litzmann9) wies in seiner gründ-
lichen Monographie die entzündliche Entstehung keineswegs
vollständig ab, zeigte aber zugleich auf weiter unten zu er-
wähnende Weise, dass sie entschieden für eine grosse Anzahl
der Fälle nicht passe.
Der neueste Forscher nun, Simon Thomas, spricht
wiederum die Meinung aus, dass alle schrägverengteft Becken
mit .Synostosis sacro-iliaca einem entzündlichen Gelenkleiden
ihre Entstehung verdanken, dass die Synostose durch Be-
hinderung der Ernährung die Entwickelung der Seitentheile
des Kreuzbeins hindere und dass an eine defecte Bildung des
Kreuzbeins durch Mangel der Kreuzbeinflügel in keinem Falle
zu denken sei. Simon Thomas sagt selbst (p. 43), dass
diese letztere Ansicht sich vorzugsweise auf negative Beweise
stütze, während die Anhänger der Entzündungstheorie durch
Beschreibung einschlägiger Präparate positive Beweise für ihre
Ansicht beigebracht haben. Hierin stimmen wir ihm bis zu
1) BeUchler in der Neuen Zeitschr. f.Geburtsk., IX., 1840, p. 121.
2) E. Martin, De pelvi oblique ovata cum ancylosi ...; pro-
gramma; Jenae 1841, und Neue Zeitschr. f. Geburtsk., XV., 1844, p.48.
3) Litzmann, Das schrägoyale Becken, mit besonderer Berück-
sichtigung etc., Kiel 1853.
170 VT* Olshauten, SchrKgrerengtes Becken
einem gewissen Grade bei. Dass in der That eine mangel-
hafte Entwicklung des Kreuzbeins schrägverengte Becken
mit Synostose bedingen könne, ist noch nicht positiv 'erwiesen;
es ist nur wahrscheinlich gemacht und zwar auf folgende Art :
Es sind eine Anzahl Becken mit angeborener, defecter
Bildung des Kreuzbeins bekannt; besonders Hohl1) hat auf
p. 11, 29 und 56 seiner Monographie mehrere derartige
Präparate beschrieben. Von besonderer Wichtigkeit ist das
auf p. 29 beschriebene Becken (auch abgebildet in HoKFs
Lehrbuch der Geburtsb., 2. Aufl., 1862, p. 33, Fig. 12),
eines zwanzigwöchentlichen Kindes; hier fehlt rechterseits der
Knochenkern für den Fhlgel des ersten Kreuzbeinwirbels;
zugleich hat das Becken eine schrägovale Gestalt Ferner
haben Robert9) und Martin (1. c. p. 16, Anm. 9) solche
Becken erwähnt. Ja Simon Thomas selbst beschreibt (p. 36
und 37) zwei neue Beispiele, in denen bei erheblich ver-
kümmertem Seitentheile des Kreuzbeins auf einer Seite das
Becken zugleich asymmetrisch ist. Beiden fehlt jedoch die
Ankylosis sacro-iliaca. Das zweite Becken (p. 37), dem
Nosocomium zu Leyden gehörig, hat eine schrägovale Form
und ist nach Simon Thomas* eigenen Ausspruch den
Nägele1 sehen Becken in vielen Punkten gleich; nur sei es,
meint er, weniger schief und verengt. Die Schiefheit ist
jedoch recht erheblich, denn die Differenz der schrägen Durch-
messer des Eingangs beträgt 11'"-, die der Distantiae sacro-
cotyl. = 1" 1'"; in dem zuerst beschriebenen" der beiden
Becken, dem Museum anatomicum in Groningen gehörig, ist
die Schiefheit wohl noch erheblicher; denn es differiren die
Distantiae sacro-cotyl. um IV2"; die schrägen Durchmesser
allerdings nur um 8'". Bei beiden Becken ist nach Simon
Thomas9 Meinung der Defect des Kreuzbeins ein Vitium primae
conformationis ; aber sie seien von den Nägele'&chen Becken
weit verschieden — weil ihnen die Synostose fehle. Darin
begeht eben Simon Thomas, wie die Mehrzahl derer, welche
derselben Ansicht sind, einen entschiedenen Fehler, dass sie
1) Hohl, Zur Pathologie des Beckens. Zwei Abhandlungen.
Leipzig 4852.
2) F. Robert , Beschreibung eines im höchsten Grade qner-
verengten Becken. 1842.
mit Ankylosis saoro-iliaea eto. 171
die Synostose für etwas ganz Wesentliches halten und die
Meinung derer gar nicht beachten, welche die Synostose für
accidentell erklären, wie Hohl, Lüzmann n. A. Simon
Thomas widerlegt deshalb nur die von Nägele ursprünglich
aufgestellten fünf Gründe,1) was in mancher Beziehung über-
flüssig oder wenigstens unzureichend ist; denn die modificirte
Ansicht, nach welcher der Defect das Wesentliche und Primäre
ist, nicht die Synostose, kann sich auf die ursprünglichen
N&gele'&chen Gründe nicht mehr stützen, sondern beansprucht,
vorzugsweise deshalb berücksichtigt zu werden, weil die
Entzündungstheorie *ur Erklärung, wenigstens für viele Fälle
nicht ausreicht. Es kam also darauf an, dass Simon Thomas
diese Theorie durch bessere, positive Gründe stützte, als es
bisher geschehen ist oder wenigstens die gegen sie gemachten
Einwände beseitigte/
Von. jeher sprach gegen dieselbe der Umstand, dass bei
der Mehrzahl aller schrägverengten Becken mit Synostose
Spuren entzündlicher Processe fehlen, sowie, dass die Anamnese
von solchen Krankheiten meist Nichts berichtete. Simon
Thomas giebt sich nun Mühe , die Unwahrheit dieser Angabe
1) Simon Thomas' ganze Monographie scheint überhaupt, in
Bezug auf die Lehre von dem schrägverengten Becken, eine
Ergänzung der ersten NägeleyBcheti Monographie darstellen zu
sollen. Es werden in ihr alle dem Verfasser aus der Literatur
bekannten, schrägverengten Becken beschrieben, mit Ausnahme
derer, welche schon in der Nägele' sehen Arbeit enthalten sind,
Da nun manche Becken, welche Nägele selbst nicht gesehen hat,
von ihm nur unvollkommen beschrieben worden sind, manche,
ja die meisten neueren Becken aber schon recht vollständig und
genau, so können wir in dieser Zusammenstellung keinen anderen
Zweck erblicken, als gewisse rmaassen alle anderen Monographien,
mit Ausnahme der Nägele* achen, überflüssig zu machen. Diesen
Zweck möchte jedoch der Verf. schwerlich erreichen. — So
wenig wir nun auch diese Zusammenstellung lobend erwähnen
oder dem Abschnitte über die Aetiologie der Beckengattung unseren
Beifall zollen können, so erkennen wir doch gern an, dass der
Verfasser sich durch die Beschreibung seiner beiden schrägverengten
Beoken mit genauer Anamnese, Geburte verlauf eto. ein Verdienst,
um. die Lehre von schrägverengten Becken erworben hat (in
holländischer Sprache hat Simon Thomas diese Fälle schon früher
bekannt gemacht) und' halten in seiner Monographie besonders
den Abschnitt über den Geburtsrerlauf für beachtungswerth.
172 VI- OUkoMM, SchrSgverengtes Beeken
zu zeigen. Von den 60 bisher beschriebenen Becken, welche
Simon Thomas anerkennt, soll es bei neun bekannt sein,
dass die betreffenden Frauen an einer Krankheit der Becken-
knochen gelitten haben, in drei Fällen sollen sich Zeichen
Torangegangener Periostitis am Becken finden, in zwei Fällen
ein Bruch des Schambeins (wahrscheinlich beide Male durch
die Zangenoperation bewirkt!) und in fünf Fällen gleichzeitig
Coxartbrocace vorhanden sein. Diese 19 Fälle, meint Simon
Thomas, sprächen evident für seine Ansicht; nur vier Fälle
sprächen dagegen, in denen sich weder aus der Betrachtung
des Beckens, noch aus der sorgfaltig angestellten Anamnese
auf entzündliche Erkrankung der Beckenknochen schliessen
lässt; und 27 Fälle, in denen die Anamnese nicht bekannt
sei (aber auch keine Osteophytbildung vorbanden ist), sprächen
nicht zu Gunsten irgend einer Ansicht — Ich möchte statt
dieser Gruppirung, die nicht genau ist, folgende gehen: Die
Anamnese sprach in sechs Fällen für ein während des Lebens
vorhanden gewesenes Leiden der Beckenknochen (Frenzel-
Otto, Simon Thomas erster Fall, Sinclair, Betschier,
Ritgen, Holst); in den drei letztgenannten Fällen fand sich
zugleich Osteophytbildung an der Synostose. In drei anderen
Fällen sprach nur das Becken selbst, nicht die Anamnese
für die genannte Entstehung (Hayn, Vbigtel-Martin, Hecker-
Paetsch). In acht Fällen fand sich ausser der Synost. sacro-
iliaca ein abgelaufener coxalgischer Process, meist mit mehr
oder weniger vollständiger Ankylose im Hüftgelenke. In
zwei dieser Fälle (Rosshirt und Nägele, No. 5) war die
Synost. sacro-iliaca auf der dem coxalgischen Process entgegen-
gesetzten Seite; in fünf auf der gleichen (Fabbri, LambPs
Marseiller Becken, Nägele, No. 24, Danyau, Sandifort)\
in dem Falle von Nägele, No. 12, waren beide Hüftgelenke
erkrankt, aber nur das rechte Iliosacra) - Gelenk ankylotisch.
Sehr bemerkenswerth ist, dass die am Darmbeine befind-
lichen Osteophyten in einzelnen dieser Fälle wohl bis in die
Nähe der Uiosacral- Synostose sich erstreckten, diese letztere
selbst aber in allen Fällen davon frei zu sein scheint
und nur jenen glatten Wulst zeigt, welcher sich an der
oberen Fläche der Synostose, in ihrer Längenrichtung, bei
einer grossen Anzahl aller scbrägverengten Becken findet und
mit Ankylosis »Aero-iHaca etc. -173
gewiss eine andere Erklärung als die einer periostalen Auf-
lagerung verfangt. Nor in Fabbri'z Fall war: „eine un-
regelmässige Aufwulstung mit glatter Oberfläche u vorhanden.
Bei allen übrigen Becken (c. 34) fehlt also jede Osteophyt-
. bildung und zeigt die Mehrzahl derselben, ausser jenem glatten
Wulst an der oberen (vorderen) Fläche der Synostose, an
der hinteren und unteren Fläche derselben auch nicht einmal
ein solches Zeichen der Verschmelzung. Es erscheint deshalb
sehr zweifelhaft, ja, man muss sagen, höchst unwahrscheinlich,
dass in allen diesen (inclusive der coxalgischen Becken c. 40)
Fällen ein entzündlicher Process, im ge wohnlichen, klinischen
Sinne des Wortes, die Synostose bedingt habe. Um so
weniger kann man dies glauben, wenn man an anderen, nicht
schrägverengten Becken die so uilgemein häufigen, mehr oder
minder vollkommenen Verknöcherungen des Iliosacralgelenks
in Augenschein nimmt. In dem hiesigen, anatomischen
Meckel' sehen Museum habe ich an drei Becken fünf mehr
oder minder vollständige Synostoses sacro-iliacae gesehen.
Die Präparate sind:
No. 2971 besteht aus zwei Lendenwirbeln, dem Kreuz-
beine, dem linken Dannbeine und Oberschenkel. Letzterer ist
mit der Pfanne ankylotisch verbunden und bat dieselbe nach
innen perforirt. Auf der oberen (vorderen) Fläche der
Syncbondros. sacro-iliaca finden sich Osteophytauflagerungen,
welche Kreuzbein und Darmbein mit einander verbinden.
Der grösste Theil des Gelenks scheint von Verknöcherung
frei zu sein.
No. 2943 (bez. Feraina annor. 52, L. V. 888). Voll-
ständiges Becken. Die Verknöcherung betrifft beiderseits allein
die obere Fläche des Gelenks und wird beiderseits durch
<>'" — 8'" hohe, unregelmässige Knochenwülste gebildet. Die
linksseitige Exostose ist zugleich mit dem Proc. transv. des
letzten Lendenwirbels verwachsen. Die nach der Höhlung
des kleinen Beckens gerichteten GelenkQäcben sind von Ver-
knöcherung frei; wahrscheinlich auch die hinteren Seiten,
soweit die schlechte Maceration ein Unheil erlaubt. Das
Becken ist symmetrisch geformt. Beide schräge Durchmesser
messen 4" 6"\
174 VI- 0l$haus4ut Scbrigrereagtes Backen
No. 2942. Di« Verknöcherung betrifft an diesem roll-
ständigen Becken beide Hüftkreuzbeinfugen zu ihrem grfrssten
Theile. Nur der spitz zulaufende untere Theil beider Gelenke
zeigt c. 4'" hoch eine Trennung des Kreuzbeins und der Darm-
beine. Die Knochenwulste an der oberen (vorderen) Fläche
sind mehrere Linien hoch, höchst unregelmässig geformt. Das
Becken ist symmetrisch; der Eingang etwas querelliptisch,
von vorn nach hinten massig verengt. Die vollständige Ver-
knöcherung beider Gelenke, mit Ausnahme des untersten,
kleinen Theils, wurde durch einen horizontal durch beide
Gelenke geführten Sägeschnitt erwiesen.
In diesen fünf Fällen von Synostosis sacro-iliaca zeigt
nirgends das Kreuzbein einen Defect, eine Verschleierung;
die Becken deshalb keine Asymmetrie. Gewiss ist es in den
vielen ähnlichen Fällen nicht anders; wenigstens kommen
erhebliche Kreuzbeindefecte dabei wohl nicht vor, sonst würde
Creve (die Krankheiten der Beckenkuochen etc.), welcher
in drei anatomischen Sammlungen c. 250 solcher .Ankylosen
der Hüftkreuzbeinfuge sah, solche Defecte des Kreuzbeins
und asymmetrische Becken gewiss erwähnen. Wenn nun aber
bei solchen mehr oder weniger vollständigen Ankylosen,
wenigstens in der Regel, Osteophytbildung vorhanden ist,
warum fehlt ' sie dann in der grossen Mehrzahl aller Fälle
von schrägverengten Becken, wo doch die Ankylose immer
eine ganz vollkommene ist. Dieses spricht zum mindesten
dafür, dass eine Gelenkentzündung in gewöhnlichem Sinne
des Wortes nicht vorhanden war. Allenfalls könnte eine so-
genannte adhäsive Entzündung, d. h. 'ein auf die weichen
Theile des Gelenks beschränkter Process stattgefunden haben,
welcher vielleicht ohne Symptome im Leben verlaufen kann.
Dieses deutet Simon Thomas an, sprioht es aber lange
nicht so entschieden aus, wie Hayn, l) welcher, ähnlich
wie schon früher Kiwi8ch> eine langsam durch entzündliche
Processe entstehende Verknöcherung annahm.
Einen entzündlichen Process in diesem Sinne, der während
des Lebens, sei es in der Kindheit oder später die Ver-
1) Hayn, Beiträge ssur Lehre vom schrftgovalen Becken.
Königsberg 1852.
mit Ankjlosis eaoro-iliaca etc. 175
knöeherung herbeigeführt, wollen aber auch die Anhänger
der Nägele'schen Theorie nicht leugnen. Nägele selbst und
Unna nahmen allerdings eine angeborene Synostose an;
Robert spricht sich so aus, dass man seine wahre Meinung
nicht erfährt; viele Andere aber, besonders Hohl und Litzmann
glauben für die Mehrzahl der Fälle an eine im Leben ent-
standene Ankylose. Es fragt sich bei einem solchen Ver-
knöcherungsprocess vor Allem, was ihn veranlasst, ob z. B.
Trauihen, wie in einigen wenigen Fällen nach der Anamnese
wahrscheinlich wird oder, wie Litzmann für viele Fälle will,
ein verstärkter Druck des Hüftbeins gegen das Kreuzbein.
Auf diesen letzteren Punkt kommen wir unten noch zurück.
Ausserdem handelt es sich für die schrägverengten Becken
vorzugsweise darum, ob der Defect des Kreuzbeins die Folge
der Synostose sein kann oder nicht und woher derselbe in
letzterem Falle rühre.
Die Cardinalfrage bleibt also die, ob die Synostose oder
der Defect das Primäre sei; nicht ob der Ankylose eine
Gelenkentzündung zu Grunde liege oder nicht. Denn an einen
solchen Ursprung der Ankylose glaubt heutzutage vielleicht
Jeder; und die Nägele- Unna'sdkie Annahme, dass auch die
Ankylose angeboren sei, dürfte nur noch wenige Anhänger
finden. Ich^würde dies auf geringeren Umwegen, als ge-
schehen ist, gezeigt haben, wenn nicht Simon Thomas noch
immer seiner Theorie diejenige der congenitalen Ankylose
entgegensetzte, ohne Rücksicht auf Hohl, Litzmann und
Hayn. Aus diesem Grunde bin ich näher auf das Gesagte
eingegangen.
Jetzt fragen wir zunächst: Kann der Kreuzbeindefect
die Folge der Synostose sein? — Es ist eine ausgemachte
Sache, dass nach Ankylosen einer unteren Extremität im
Hüft- oder Kniegelenke, die unterhalb der Ankylose befind-
lichen Röhrenknochen nicht selten im Wachsthume gegen die
der anderen Seite zurückbleiben. Man muss zunächst daran
denken , dass die • vermutlich geringeren Bewegungen der
ankylotischen Extremität eine mangelhaftere Ernährung der
Muskeln, sowie der Knochen bedingen; es ist aber ebenso
wahrscheinlich, dass in Folge der durch die Ankylose ge-
setzten Veränderungen der eineu Epiphyse die Ernährung des
176 VI. Olshausen, Schrägverengtes Becken
Knochens von dieser aus nun nicht mehr in normaler Weise
geschehen kann; und auf dieselbe Weise liesse es sich be-
greifen, wenn am Kreuzheine, nach Verknöcherung der Facies
auricularis die zunächst gelegenen Knochenpartieen atrophirten
oder die Kreuzbeinhälfte doch die einmal erlangte Breite be-
hielte. Hierbei muss jedoch erstlich der enorme Schwund
auffallen , welcher sich bei nicht wenigen der schrägverengten
Becken findet und bei einigen derselben, z. B. dem meinigen
und mehreren von Nägele beschriebenen, zum fast voll-
ständigen Hangel des einen Seitentheils des Kreuzbeins wird.
Um so mehr muss dies auffallen, als doch, so viel bekannt,
die Facies auricularis des Kreuzbeins in Bezug auf die Er-
nährung nicht diejenige Bedeutung für den Knochen hat als
für einen Röhrenknochen seine Epiphyse. Schwer begreiflich
bliebe es auch immer, wje durch eine auf diese Art gestörte
Ernährung in manchen Fallen sogar die unteren Kreuzbein-
wirbel, welche gar nicht bis an die Gelenkfläche hinanreichen,
zu ihrem Defect kämen.
Hierauf machte bekanntlich schon Nägele aufmerksam.
Weit wichtiger aber und noch kaum hervorgehoben, scheint
mir der Umstand zu sein, dass ja immer das Kreuzbein den
Defect zeigt und nicht das Hüftbein oder letzteres doch nur
inconstant und in unerheblichem Grade. Naturlich muss man
hier von den coxalgischen Becken absehen, bei welchen das
Hüftbein der von Coxitis befallenen Seite stets und in er-
heblichem Grade atrophirt ist Diese Atrophie kommt aber
auf Rechnung des coxalgischen Processes und findet sich
regelmässig auch in den Fällen ohne Synostosis sacro-iliaca.
In den übrigen Becken ohne Coxitis ist nun freilich ungemein
häufig, vielleicht constant, eine Verkürzung der Linea arcuata
interna der synostotischen Seite nachweisbar und diese wurde
früher ganz allgemein als Atrophie des Hüftbeins gedeutet.
Litzmann zeigte aber durch genaue Messungen, dass diese
Verkürzung grossen Theils auf der vielleicht constanten Ver-
schiebung des Hüftbeins am Kreuzbeine nach hinten beruht
und dass das, was vor der Synostose fehlt, hinter derselben
zu viel ist, indem {las Hüftbein hier zu weit hinausragt.
Litzmann hält demnach die Atrophie des Hüftbeins für sehr
unerheblich, wenn er sie auch nicht ganz leugnet. Jedenfalls
mit Ankylosis aacro-iliaca etc. 177
ist diese Atrophie mit der des (Kreuzbeins gar nicht zu ver-
gleichen. Weshalb, fragt man. deshalb mit Recht, wird in
Folge der Synostose constant das Kreuzbein so e^ieUich
-atrophisch; das Hüftbein kaum oder gar nicht
Wichtiger noch und ein fast directer Gegenbeweis gegen
die Theorie von Martin und Simon Thomas ist die schon
erwähnte Thatsache der Verschiebung des Hüftbeins am
Kreuzbeine. Dieses Argument, von Litzmann mit Recht
stark hervorgehoben, ist von Simon Thomas, bei der Frage
nach der Aetiologie der schrägverengten Becken, ganz ignorirt
worden. Die Verschiebung des Hüftbeins am Kreuzbeine ge-
schieht regelmässig nach innen und oben. Litzmann betont
besonders die Verschiebung nach hinten und hat sie an
allen Becken, welche er sah, durch Messung gefunden. An
meinem Becken ist die Verschiebung nach hinten nur gering,
2"' höchstens 4'" betragend; die Verschiebung nach oben
beträgt dagegen 6'"— 7'".
Litzmann hat nun schon die Bedeutung dieser Constanten
Verschiebung genügend hervorgehoben. Ist die Synostose
das Primäre, so ist nicht einzusehen, wie bei eintretender
Atrophie des Kreuzbeins die Verschiebung nachträglich zu
Stande kommen sollte. Diesen Punkt erwähnt Simon Thomas
in seinem ganzen Capitel über die Aetiologie gar nicht.
Wollen wir nun auch, Angesichts der oben angeführten
neun Fälle, in welchen entweder die Anamnese oder das
Becken selbst oder Beides für Entstehung der ganzen Ab-
normität aus entzündlicher Knochenkrankheit sprach (wozu
auch P. Dubois'a Fall *) von querverengtem Becken zu rechnen
ist), diese Möglichkeit für einige Fälle nicht leugnen, so
scheint sie doch für die Mehrzahl problematisch. Ja selbst
in einigen der genannten neun Fälle ist diese Entstebungsart
durchaus nicht sehr wahrscheinlich. Von Holsfs Fall wissen
wir nur, dass die Kranke im 19. Jahre, also nach fast voll-
ständiger Ausbildung des Skeletts, in Folge eines Falles
Blutspeien und Erbrechen bekam und neun Monate lang mit
1) F. Robert, Ein durch mechanische Verletzung .... quer-
verengten Becken, im Besitze von P. Duhoit. Berlin 1853.
Mon»U*ctar. f. Oeburtuk. 18«*. Bd.XlX., Hfl. 8. 12
178
VI. OUhausm, Schrftgrerengte« Becken
heftigen Schmerzen im Kreuz und Racken das Bett hüten musste.
Am Becken findet sich nun an der Synostose allerdings einige,
nicht erhebliche Osteophytbildung , aber eine beträchtliche
Schiefheit. Man könnte mit E. Martin einigermaassen ver-
muthen, dass bei frühzeitiger Entstehung der Synostose der
Defect des Kreuzbeins erheblicher sei, als bei später.
Stellen wir nun von den wenigen Fällen, wo wir den Zeit-
punkt der angeblich ursächlichen Krankheit kennen, diesen
mit der Schiefheit des Beckens zusammen, so ergiebt sich
Folgendes :
Zeitpunkt
der Krankheit
Fall. aer Becken-
knochen.
Simon Thomas (Fall 1) 7 Jahre
Ro88hirt (coxalgisch) 10 „
Oifferenc
Differenz
der schrägen
*der Distant.
Durchmesser.
sacro-cotyl.
1" 6'"
1" 10'".
1"
1" 9"'.
5ya'"
ioy,"'.
1" 5"'
2" 3'".
11'"
1"10'"
2" 5"'.
10'"
Danyau (coxalgisch) 10 „
Fabbri (coxalgisch) 10— 12 n
Ritgen 12 „
Höht 19 „
Fremd- Otto . . . erwachsen
Diese Zusammenstellung zeigt nicht, wie man erwarten
sollte, dass der Defect des Kreuzbeins bei schon ausgebildeten
Knochen gering ist und zeigt überhaupt kein regelmässiges
Verhältniss zwischen dem Grade der Atrophie des Kreuzbeins
und der Zeit der Entstehung der Synostose.
Schliesslich muss noch erwähnt werden, dass gerade
die zwei Fälle, welche unter allen die deutlichsten Spuren
entzündlicher Erkrankung der Beckenknocben zeigen, nämlich
die Becken von Voigtel- Martin (im Halleschen anatomischen
Museum) und von Hecker -Paetsch (in der Berliner Ent-
bindungsanstalt) gerade den geringsten Defect des Kreuzbeins
und die geringste Asymmetrie zeigen. Am Halenser Becken
ist dieselbe so unbedeutend, dass man erst durch die Synostosis
sacro-iliaca auf die schrägovale Form aufmerksam wird. Es
beträgt bei dem Halenser Becken die Differenz des schrägen
Durchmessers 2'", die Differenz der Distant." sacro-cotyl. 5'",
bei dem Berliner Becken die Differenz des schrägen Durch-
messers 17i'"> die Differenz der Distant. sacro-cotyl. S1/*"*
mit Ankylosis sacro-iiiao» etc. 179
Scheint somit die primitive Entstehung der Ankylose für
die Mehrzahl der Fälle unwahrscheinlich, so kommen wir
dazu, einen primären Defect des Kreuzbeins anzunehmen und
werden dazu um so mehr veranlasst, als solche Becken mit
ganz unzweifelhaften, angeborenen Kreuzbeindefecten, auch
von fötalen Skeletten existiren, ja selbst mit schrägoTaler
Form vorkommen. Das von Hohl beschriebene, oben schon
erwähnte Skelett eines zwanzigwöchentlichen Kindes mit Defect
des Knochenkerns für den obersten rechten Flügel des
Kreuzbeins bat ebenfalls schon eine deutliche schrägovale Form;
es beträgt bei diesem Skelett, welches ich vor mir habe, der
rechte schräge Durchmesser des Eingangs c. 1" 3V2'", der
linke nur 1" V2'".
Die schräge Gestalt dieses Beckens lässt sich natürlich
nicht aus dem verstärkten Drucke eines Schenkels auf das
Darmbein erklären. Hier ist ohne Zweifel HohPs Erklärung
richtig: Die Dehnung des Beckens nach den Seiten hin, die
Krümmung der Lineae arcuatae erfolgt bei jedem, auch
dem normalen Becken erst mit der gehörigen Entwickelung
der Kreuzbeinflügel, dem Breiterwerden des Kreuzbeins. Des-
halb hat auch jedes Kinderbecken, bei dem normaler Weise
das Kreuzbein verhältnissmässig schmal ist, einen längsovalen
Eingang und schwach gebogene Lineae arcuatae. Ist nun,
wie in dem obigen Falle, das Kreuzbein einseitig besonders
schmal, so ist die Streckung der Linea arcuata damit begreiflich
und- ebenso die Schiefheit des Beckens. Das Hinüberschieben
der Schambeinfuge auf die andere Seite aber und die ganze
Form der schrägverengten' Becken mit Synostose hieraus zu
erklären, möchte ich, mit Litzmann, Bedenken tragen.
Wenn Simon Thomas nun verlangt, dass Hohl an
jenem Becken erst die Synostose hätte nachweisen müssen,
um einen gültigen Beweis zu liefern, so hat er eben HohVs,
und Anderer Meinung nicht verstanden oder nicht verstehen
wollen, da die Synostose verrauthlich niemals angeboren ist,
sondern erst allmälig während des Lebens entsteht. Wenn
man nun aber asymmetrische oder schrägovale, völlig aus*
gewachsene Becken ohne Synostose, wenn auch nur wenige,
kennt, so fragt es sich, weshalb denn in der Mehrzahl der
Fälle die Synostose später hinzutritt. Nach Lüzmann ist
12*
180 VI. OUhausen, Sehr Hg verengtes Beoken
dies dii Folge davon, dass bei asymmetrischen Becken die
Körperlast ungleich vertheilt ist und auf den Schenkel der
defecten Seite der grösste Theil der Körperlast fällt Durch
den verstärkten Druck, welchen der betreffende Schenkelkopf
nun auf die Pfanne ausübt, entsteht 1) die Verschiebung des
Hüftbeins nach hinten, oben und innen, 2) die Abplattung
des Schambeins, der Linea arcuata, 3) die Synostose. Die
erste dieser Folgen wurde schon oben erwähnt und die
Richtung der Verschiebung ist, bei der Richtung, in welcher
der Schenkelkopf drückt, begreiflich, ja natürlich. Die Ab-
plattung der Linea arcuata auf diesen Druck zu schieben, ist
so natürlich, dass Nägele und viele andere Autoren sich in
ihrer Beschreibung so ausdrückten, dass das Schambein wie
durch einen Druck von aussen und vorn abgeplattet und
verschoben erscheine, ohne dass sie damals an einen solchen
Druck in der That glaubten. Hierdurch wird es denn auch
begreiflich, dass nicht nur alle Becken unserer Gattung ganz
dieselbe Form haben, sondern dass sie ganz ebenso bei
coxal glichen Becken ohne Ankylose, sowie bei rhachitischen
Becken vorkommt, wenn Scoliosen der Wirbelsäule eine un-
gleiche Vertheilung des Körpergewichts auf beide Schenkel zur
Folge haben. Auch Simon Thomas leitet diese charakteristische
Form von der genannten Ursache nach Litzmann ab, ohne
im Uebrigen dessen consequente Auflassung auch nur zu
erwähnen.
Endlich soll die Synostose Folge dieses Druckes sein.
Dass Knochen durch einen starken gegenseitigen Druck ver-
schmelzen können, ist gewiss gefiug. Man hat dies öfter
beobachtet an den Rippen bei starken Verkrümmungen der
Wirbelsäule; hier sind freilich keine Gelenke, welche etwa
der Verwachsung hindernd in den Weg treten; aber auch
die Wirbel können bei eben solchen Verkrümmungen mit
einander verschmelzen; am häutigsten sind es hier die Procc.
obliqui, seltener die Wirbelkörper, weil sie erst nach völligem
Schwund der dicken In lervertebral Scheiben mit einander in
Berührung treten können. *) Man könnte vermuthen , dass
_
1) Rokitansky, Handbuch der pathologischen Anatomie, Bd . I .,
1844, p. 27t,
% mit Ankylosis Bacro-iliaca etc. k 181
auch an Klumpfässen, wo die Knochen doch oft lange Zeit
in ganz anomaler Weise gegen einander gedrängt werden,
solche Synostosen vorkämen; doch ist dies, so viel mir bekannt,
nicht beobachtet worden. Vielleicht ist hier die stärkere
Beweglichkeit der Gelenke, welche beim Gange stets zur
Wirkung kommt, Schuld, dass sich Ankylosen nicht bilden
können. Die Hüftkreuzbeinfuge aber ist, wenn auch, nach
Luschka, mit einer Synovialmembran und allen Attributeil
eines wahren Gelenks versehen, jedenfalls von sehr geringer
Beweglichkeit und somit lässt sich wohl denken, dass ein
verstärkter Druck und ein solcher findet, wie es scheint, bei
Asymmetrie des Kreuzbeins, stets auf der defecten Seite statt,
eine Verknöcherung zu Wege bringt. Dass der Synostose
ein entzündlicher Process und sogenannte adhäsive Entzündung
vorausgehen müsse, ist wahrscheinlich, und es wäre deshalb'
auch sehr begreiflich, wenn dieser Process sich auf die zu*
nächst gelegenen Knochenpartieen verbreitend, eine Periostitis
und Osleophythildungen hervorbrächte. Somit braucht nicht
jede Osteophytbildung für die Ansicht von Simon Thomas
zu sprechen, wie dieser noch immer glaubt. Es spricht eine
solche Osteophytbildung nur emigermaassen gegen die An-
nahme einer congenitalen Synostose, die aber von den neueren
Autoren fast vollständig verworfen ist.
Es lässt sich nun nicht leugnen, dass bei der explicirten,
besonders von Litzmann dargelegten Entstehungsweise der
schrägverengten Becken mit Synostose, besonders ein Punkt
noch nicht erklärt .ist, nämlich die Häufigkeit, ja das fast
constante Vorkommen der Synostose bei solchen Kreuzbein-
defecten. Auffällig muss es erscheinen, dass wenn bei
angeborenen Defecten des Kreuzbeins in der Regel dieser ein-
seitig verstärkte Druck sich im Zuslandebringen einer Synostose
äussert, dass diese Synostose bei einfachen Scoliosen der
Wirbelsäule nicht häufiger entsteht, da doch erwiesenermaassen
das Schiefwerden des Beckens, die Abplattung der Linea
arcuata durch diesen Druck a'uch hier sich findet. Die
Synostosen in Folge einfacher Scoliosen sind aber sehr selten,
ja nach Litzmann ist ein solches Zustandekommen einer
Synostofafe sacro-iliaca noch nicht ganz zweifellos' nach-
182 Vjl. OUhausen, Bchr&gverengtea Becken
gewiesen. Folgende Erklärung ist hier vielleicht nicht un-
richtig.
Eine Scoliose der Wirbelsäule gleicht sich gewöhnlich
schon in ihrem Entstehen durch eine compensatorische Scoliose
aus; nur in einzelnen Fällen wird ein stärkerer Druck des
Körpers auf den einen Schenkel stattfinden. Der Körper,
an welchem primäre Scoliosen zu Stande kommen, besitzt
aber krankhaft nachgiebige Knochen. Wenn nun bei dieser
Beschaffenheit der Knochen, ein Schenkelkopf, einen stärkeren
Druck auszuüben beginnt, so wird er zwar auf das Darmbein
eine evidente Wirkung ausüben , die wir ja an der Abplattung
sehen; die durch das Darmbein auf die Iliosacralverbindung
fibertragbare Wirkung wird aber durch die Nachgiebigkeit
des Knochens verhindert. Dieser knickt vielmehr an einer
zwischen Synchondr. sacro-iliaca und Tuberc. ileo-pectineum
gelegenen Stelle der Linea arcuata ein. Diese Einknickung
sehen wir allerdings an der Mehrzahl aller schrägverengten
Becken ohne Ankylose, so dass Martin (in seinem Programm,
p. 13 u. 14, und Neue Zeitschr. f. Gebk., XIX., p. 134 u. 135)
hierin einen constanten Unterschied zwischen den Becken
mit und ohne Ankylose finden wollte. Dies ist nach Litzmann
(das schrägovale Becken, p. 19) nicht zulässig, wie durch
zwei Beispiele bewiesen werden kann; doch ist allerdings die
Regel, dass ankylotische Becken in der Linea arcuata keine
Knickung zeigen, nicht ankylotische dagegen sie besitzen.
Litzmann • drückt sich über diesen Punkt so aus, dass er
sagt, die Knickungsslelle könne sich der Synchondr. sacro-
iliaca mehr und mehr nähern, schliesslich in der Synostose
verschwinden. Richtiger ist vielleicht oder doch präciser die
eben gegebene Erklärung: Ist der Knochen relativ fest, so
pflanzt sich der vom Schenkel ausgeübte Druck durch die
Knochen bis auf das Iliosacralgelenk fort; ist er weich, so
erleidet er eine Einknickung an der Linea arcuata. Letzteres
ist bei den meistens rhachitischen Scoliosen der Fall. Bei
noch weicherer Beschaffenheit des Knochens, wie beim
osteomalacischen Knochen wirkt der normale Druck der
Scbenkelköpfe bekanntlich noch anders, indem er die Pfanne
mit der gaifeen Seitenwand in die Höhle des kleineiiQeckens
mit Ankylocis sacro-UiA«» etc. 183
hineindrängt, auch wohl den erweichten Pfannenboden nach
innen treibt. Dies geschieht in seltenen Fällen auch beim
rhachitischen Becken, wodurch das sogenannte pseudo-
osteomalacische Becken zu Stande kommt
Andere erhebliche Schwierigkeiten, als die angeführte,
stellen sich übrigens der Annahme der Zttefnann'schen
Theorie nicht entgegen. Der verschiedene Grad der Schief-
heit bei den Becken oder, mit anderen Worten, der verschieden
hochgradige Defect des Kreuzbeins ist zu begreifen. Wie
Hohl gezeigt hat, kann bei Defecten des obersten Kreuzbein-
wirbels der zweite Wirbel für ihn mehr oder weniger vicariirend
eintreten ; es kann aber auch der ursprüngliche Defect des
einen oder mehrerer Wirbel eine verschiedene Ausdehnung
haben, wie schon die wenigen bisher beschriebenen Präparate
von evident angeborenen Defecten deutlich zeigen. Wenn
Simon Thomas deshalb gegen die Nägele'sche Theorie noch
geltend macht, dass durchaus nicht, wie Nägele meine, der
Kreuzbeinflügel bei den schrägverengten, ankylo tischen Becken
vollständig fehle, sondern dass er nur verkümmert sei, so
spricht dies in keiner Weise gegen Nägele1^ Theorie. Es
kann eben der primäre Defect grösser oder geringer sein.
. Simon Thomas giebt zum Beweise, dass der Kreuzbeinflügel
in der That vorhanden sei, in seiner Monographie auf Taf. VI."
die horizontalen Durchschnitte der Ankylosen von fünf schräg-
verengten Becken; diese fünf Becken waren sämmtlich exquisite
Präparate, an denen der blosse Anblick in der That für einen
vollständigen Mangel der Flügel des Kreuzbeins auf der
TOikylotischen Seite- sprach. Auf dem Durchschnitt zeigte
sich nun, seiner Meinung nach, dass die Stelle, welche der
Synostose entsprach und sich durch grössere Dichtigkeit der
Knochensubstanz auszeichnete, eine nach aussen gekrümmte
Linie bildete. Es hat sich deshalb seiner Ansicht nach der
Kreuzbeinflügel, der allerdings verkümmert vorhanden ist, in
das Darmbein hineingedrückt und sich so dem äusseren
Blicke gewissermaassen entzogen. Die Abbildungen von
Simon Thomas überzeugen uns nun nicht (wenigstens drei
derselben durchaus nicht), dass an den Becken die Stelle
der Synostose " sicher erkannt werden konnte* Und wenn
dies wirklich der Fall war, so steht doch noch ganz dahin,
184 VI- OfaUaM», öchriffrerengtee Bocken
ob xu diesen immerhin sehr schmalen Seitcntheilen des Kreuz-
beins wirklich ein eigener Knochenkern für den Flügel, wie
am normalen ßecken, beigetragen hat Die ganze Frage
scheint uns aber nach dem oben Gesagten ziemlich überflüssig
and habe ich sie nur aus Rocksicht auf Simon Thomas
erwähnt Es ist deshalb auch fieDeicht zum Ueberfluss ge-
schehen, wenn ich in Fig. 5 einen horizontalen Durchschnitt
der ankylotischen Stelle von meinem Becken in naturgetreuer
Abbildung gegeben habe. Wenn nun auch an dieser Figur
zwischen den Endpunkten der Ankylose, a and A, ein ziemlich
breiter, undeutlich begrenzter Streifen dkhterer Knochensubstanx
sichtbar ist, so kann man doch nicht mit Bestimmtheit sagen,
wo nun die Verschmelzungsstelle sich genau befindet, wo das
Kreuzbein anfangt und das Darmbein aufhört Ebenso wenig
habe ich dies an einem Durchschnitt des auf p. 174 be-
schriebenen Becken (No. 2942 des hiesigen anatomischen
Museums) mit doppelseitiger Ankylose sehen können. Der
horizontal durch beide Ihosacralsynostosen geführte Sägeschnitt
giebt die Verwachstmgsstelle der Knochen nicht an.
Wir beanspruchen nun keineswegs, in dem Gesagten
alle Punkte, welche für die eine oder die andere Ansicht
über die Entstehung schrägverengter Becken mit Ankylose
sprechen, vollständig erwogen zu haben oder gar zu einer
definitiven und unangreifbaren Entscheidung gekommen zu
sein, wie es Simon Thomas von sich zu glauben scheint;
wir wissen vielmehr, dass zu einer endgültigen Entscheidung
noch Manches fehlt, nämlich ausser einschlägigen Präparaten
aus fötalem oder frühem Kindesalter besonders eine genaue
Geschichte der Entwickelung des Beckens. Andeutungen über
diesen Punkt gaben schon Martin und Robert in ihren
angeführten Schriften. Ausführlicheres darüber theilten Hohl
und neuerdings Schwegd1) und Litzmann2) mit Doch
bleibt noch Manches zu erforschen. Unsere Absicht war
1) Sckwegel, Die Entwicklungsgeschichte der Knochen des
Stammes n. der Extremitäten. Sitzungsberichte der k. k. Akademie
su Wien, Bd. XXX., Jfo. 17, 1868.
2) Lüsmamn, Die Formen des Beckens, insbesondere ....
Berlin 1861.
mit Ankyloaig «AQfo-iÜACA ato. 18Ö
lediglich, der von Simon Thema* mit voller Bestimmtheit
für alle Fälle in Anspruch genommenen Erklärung entgegen-
zutreten lind ihre Unhaltbarkeit zu zeigen.
Das Gesagte fassen wir in folgendem Resumä zusammen:
1) Die Entstehung schrägverengler Becken mit Ankylosis sacro-
iliaca im extrauterinen Leben nach Martina und Simon
Thomas' Erklärung ist für einige Fälle wahrscheinlich.
Für die Mehrzahl aller Fälle lässt sie gegründete Zweifel
gegen sich aufkommen.
2) Man wird hierdurch darauf geleitet, an eine angeborene
Deformität zu denken. Die Ankylose braucht jedoch
nicht congenital zu sein; vermuthlicb ist es nur der
Defect des Kreuzbeins. Hierfür sprechen die mehrfach
erwähnten Präparate von fötalen und Kinderbecken, sowie
die schrägovalen Becken Erwachsener ohne Ankylose.
3) Die Ankylose entsteht nach Litzmann's sinnreicher Er-
klärung am wahrscheinlichsten, wie auch die eigentüm-
liche, schrägverengte Beckenform, die Verschiebung des
^Hüftbeins und der platte Knochenwulst auf der oberen,
vorderen Seite der Ankylose durch den einseitig ver-
stärkten Druck von einer Pfanne her. Für solche Ent-
stehungsart der Synostose fehlt es nicht an Analogieen.
4) Diese Erklärung wird um so wahrscheinlicher, als dadurch
zugleich die Beckenform bei coialgischen Becken und
Scoliosen erklärt wird. Der einzige Grund, welcher da-
gegen spricht, das fast constante Vorkommen der Ankylose
bei Defecten des Kreuzbeins, während dieselbe bei ein-
fachen Scoliosen fast ebenso constant fehlt, ist einer
Erklärung fähig.
5) Simon Thomas hat wohl die Nägele'ache Ansicht, nach
welcher die Synostose selbst angeboren und die primäre
Anomalie sein sollte, zu widerlegen gesucht, auf die
viel wahrscheinlichere Modification dieser Ansicht durch
Lüzmann aber gar keine Rücksicht genommen und ist
deshalb seine Beweisführung höchst ungenügend.
186 VII. Eosemburgery Sechs F&Ue tob Utem unicornli,
VII.
Sechs Fälle von Uterus unicornis, darunter einer
mit Schwangerschaft in einem verkümmerten
Nebenhorne.
Von
Dr. Arnold Rosenhurger in Basel.
Mit einer Vorbemerkung
▼on
Professor Dr. A.' Kussmaul in Erlangen.
Vorbemerkung.
Als mir im Herbst 1859 die pathologisch -anatomische
Sammlung der hiesigen medicinischen Klinik anvertraut wurde,
fand ich unter einer grösseren Zahl missbildeter weiblicher
Geschlechtstheile auch drei Uteri unicornes. Im Laufe der
letzten zwei Jahre habe ich hierzu noch drei andere erworben,
zwei davon wurden hier bei klinischen Sectionen gefunden,
einer mit Schwangerschaft im verkümmerten Nebenhorne ist
uns als ein Präparat von Graviditas tubaria geschenkt worden.
Herr Dr. Arnold Rosenhurger aus Basel hat sich die
Beschreibung der sechs Präparate zum Gegenstande seiner
Inaugural- Dissertation (Erlangen, 1861) genommen, doch
durfte diese trotz der gewissenhaften Genauigkeit, mit welcher
ihr Verfasser seine Aufgabe gelöst hat, das gewöhnliche Loos
der heutigen Dissertationen tbeilen und wenig bekannt werden.
Auf den Wunsch des Herrn Dr. Rosenhurger ersuche ich
daher die geehrte Redaction dieser Zeitschrift, seiner Arbeit
durch Aufnahme in eines ihrer Hefte einen grösseren Leser-
kreis zu verschaffen. Es sind besonders interessant die Fälle
1, 5 und 6. Fall 6 scheint sogar ganz einzig dazustehen.
Ich erlaube mir, diese Gelegenheit zu einer persönlichen
Bemerkung zu benutzen.
Herr Prof. Stoltz in Sirassburg hat im verwichenen
Jahre eine kleine Abhandlung veröffentlicht: „Note sur le
darunter einer mit Schwangerschaft etc. 187
developpement incomplet d'une des moities de l'uterus etc.,
Strasbourg 1^60", welche er angeblich schon 1856 in der-
selben Gestalt der Academie des sciences vorlegte, ohne dass
bis zum Jahre 1860 ein Bericht von Seiten der Akademie
erfolgt wäre. Auf Seite 1 dieser kleinen Schrift findet sich
eine Bemerkung, welche ich so zu deuten gezwungen bin,
dass Herr Stoltz die Originalität meiner Abhandlung über
den Uterus unicornis mit und ohne verkümmertes Nebenborn,
welche in meinem 1869 erschienenen Werke über den Mangel,
die Verkümmerung und Verdoppelung der Gebärmutter u. s. w.
enthalten ist, bezweifelt. Oder um mich deutlicher aus-
zudrücken, Herr Stoltz vermuthet, dass ich unbefugter Weise
mit seinen Pferden meinen Acker gepflügt hätte, eine Ver-
dächtigung, die ich hiermit entschieden zurückweise. Mir ist,
bis die Note des Herrn Stoltz 1860 erschien, von seinen
Untersuchungen nichts bekannt gewesen, als das Wenige, was
die „Compt. rend. de l'Acad. d. sc." und die „Gaz. med. de
Paris, 1856" davon mittheilten, und was ich auch redlich
in meinem Buche, S. 124 u. a. a. 0. angeführt und benutzt
habe. Meine Abhandlung über den Uterus unicornis und die
Schwangerschaft in verkümmerten Uterushörnern ist nicht
weniger mein Eigenthum, als die übrigen Theile meines
Buches, und nicht einmal die Anregung dazu habe ich von
Herrn Stoltz empfangen.
Meinen Freunden und den zahlreichen Mitgliedern des
naturhistorisch- medicinischen Vereins in Heidelberg ist dies
wohl bekannt, denn sie konnten die ganze Entwicklungs-
geschichte meines Werkes, welches innerhalb eines Jahres
abgefasst und Stück für Stück der Gesellschaft in seinen
wichtigsten Ergebnissen vorgelegt wurde, genau verfolgen.
Zuerst veranlasste mich ein zufällig beobachteter interessanter
Fall von Eileiter -Schwangerschaft, das Verhalten des gelben
Körpers bei Graviditas tubaria überhaupt zu prüfen. Ich
untersuchte die unter diesem Namen in Heidelberg auf-
bewahrten Präparate und erkannte sie als Fälle von Schwanger-
schaft in verkümmerten Nebenhörnern. Dies hatte gerade
keine grossen Schwierigkeiten, nachdem uns Rokitansky
und Virchow die Unterscheidungsmerkmale von Tuba und
rudimentärem Nebenhorne in geschwängertem Zustande kennen
188 VII. Baienburg&r, Sech« Fälle ron Ute ras unicornis,
gelehrt hatten, und einige Jahre vorher (1854) in Würzborg,
wo ich das ganze Universitätsjahr 1853/54 zubrachte, Scanzoni
sein Präparat beschrieben und öffentlich demonstrirt hatte.
Die Herren Professoren Geh. Hofrath Dr. Lange und Dr. Kuhn
in Heidelberg nahmen lebhaft Antheil an meiner Untersuchung
der beiden in ihren Sammlungen befindlichen Präparate und
kamen bald mit mir zum Schlüsse, dass Hey f eider und
Czihak Uterus - Schwangerschaften für Eileiter - Schwanger-
schaften angesehen hatten. Eine fortgesetzte Vergleichung
zahlreicher in der Literatur aufbewahrter Fälle von Eileiter-
Schwangerschaft musste mich nothwendig zu der weiteren
Erkenntniss fuhren, dass die Geburtshelfer öfter verkümmerte
Uterushörner für Eileiter hielten, zu welcher Ueberzeugung
Herr Stoltz schon vor mir gekommen war; dazu musste
aber Jedermann kommen, wer, mit der nöthigen und leicht
zu erwerbenden Sachkenntniss ausgerüstet, eine Revision der
Literatur in dieser Richtung vorzunehmen sich entschloss.
Dass ich einigen Fleiss auf meine Nachforschungen ver-
wandte, geht daraus hervor, dass ich innerhalb eines Jahres
nicht nur alle jene Fälle auffand, welche Herr Stoltz in
seiner Note aus der Literatur anführt, obwohl er sich mehr
als 30 Jahre Zeit zu seinen Nachforschungen nahm, sondern
auch noch einige andere, die ihm unbekannt geblieben sind,
z. B. die von Drejer, Ingleby, Behse, ungerechnet den ob€n
erwähnten von Scanzoni.
Nehme sich doch Herr Stoltz die Mühe, die Vorrede zu
meinem Buche, ferner die Verbandlungen des naturhistorisch-
mediciniscben Vereins in Heidelberg vom Jahre 1857 — 1859,
S. 102, 139 und 178, den amtlichen Bericht über die Ver-
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Carlsruhe
' im September 1858, wo ich die Heidelberger Präparate vor
Deutschen und Franzosen demonstrirte (auch Herr Stoltz
war Mitglied der Versammlung), endlich den ganzen Inhalt
meines Buches mit dem seiner Note zu vergleichen. Ich
zweifle nicht, dass der viel verdiente Mann mir Gerechtigkeit
widerfahren lassen und seine Bemerkung zurücknehmen wird.
darunter einer mit Schwangerschaft etc. 189
Beschreibung der Präparate.
I. Uterus unicornis sinister cum rudimento cornu
alterius gravido.
• Dieses höchst werthvolle Präparat wurde mit einigen
anderen im Herbste 1860 von dem Director des christlichen
Krankenhauses in Fürth, Herrn Dr. Fronmüller sen., der
pathologisch -anatomischen Sammlung der Universität Erlangen
zum Geschenke gemacht, und mit einigen Notizen begleitet.
Dasselbe stammt von einer 24jährigen Magd, welche in
der Nacht vom 5. auf den 6. Mai des Jahres 1851 in's
Hospital zu Fürth gebracht wurde und daselbst nach wenigen
Stunden verschied. — Sie hatte seit Neujahr ihre Regeln
nicht mehr gehabt und war öfters von periodischen heftigen
Schmerzen im Unterleibe heimgesucht worden.
Bei der am 7. Mai erfolgten Section fand sich in der
Unterleibshöhle viel ergossenes Blut Bei Eröffnung der
Unterleibshöhle konnte man sofort Kindes theile in der halb-
durchsichtigen Eiblase erkennen, und die Placenta, aus
welcher die Verblutung erfolgt war. Der Uterus war nicht
sehr entwickelt; in demselben zeigte sich eine hinfällige Haut.
Ein Blick genügt, um jedem Sachkenner die Ueber-
zeugung zu verschaffen, dass einer jener seltenen Fälle vor
uns liegt, wo das verkümmerte Nebenhorn einer einhörnigen
Gebärmutter zur Entwickelungsstätte eines befruchteten Eies
gedient bat. Diese Beobachtung reiht sich somit an die
von Herrn Prof. Kussmaul in seinem Werke über den
Mangel, die Verkümmerung und Verdoppelung der Gebärmutter
S. 124 — 163 gesammelten.
Es besteht das Präparat aus einem linken ein-
hörnigen Uterus mit einem Stück der Scheide und der
Harnblase, rechts mit einem Nebenhorne verbunden,
das zu einem fast faustgrossen Fruchtsacke angewachsen ist,
aus dem eine Nabelschnur tritt, woran eine fünfmonatliche
Frucht hängt.
Der entwickelte linke Uterus ist von walzenförmiger
Gestalt und nach links gebogen. Seine Krümmung beginnt
schon im obersten Theile des Mutterhalses und nimmt zu bis
190 VII. Rosenburger, Sechs Fälle von Uterus unicornis
gegen die Einsenkungsstelle des Eileiters hin. Die vordere
Wand der Gebärmutter ist leider theilweise weggeschnitten,
im Uebrigen mehrfach zerschnitten. Die hintere Fläche ist
leicht convex. Aus der nach links gerichteten Spitze des
Uterus entspringen der linke Eileiter, das Lig. ovarii mit
seinem Eierstocke und das Lig. teres. Die Lange des Uterus
vom Fundus bis zur vorderen Muttermundslippe beträgt
33/4" P. M., wovon 31'" auf -den Körper und 14"' auf
den Hals kommen. Im Querdurchmesser von der Insertion
der Tuba Fallopii bis zum Abgange des Verbindungsstuckes
rechterseits misst- er 27"'.
Wegen des defecten Zustandes des Uterus sind die
Dickenverhältnisse der Wände nicht mehr genau festzustellen.
Im Allgemeinen nimmt die Dicke der Wände vom Mutterhalse
gegen den Fundus und insbesondere die Spitze desselben
merklich ab. Denn während dieselbe am inneren Muttermunde
Ober 4"' beträgt, nimmt sie gegen die Spitze hin bis auf
weniger als 1'" ab.
Die Decidua, welche der obigen Notiz zufolge entwickelt
war, ist weggenommen.
Der Cervicalkanal ist in seinem oberen Theile nach links
gekrümmt. Die Palmae plicatae, zwei mittlere Längs- und
zahlreiche Querfalten sind deutlich entwickelt.
Die Länge der Vaginalportion beträgt 4'". Der Mutter-
mund ist in jungfräulichem Zustande. Er bildet eine
querovale Spalte. Die Lippen sind wulstig, frei von Einrissen
und Narben. Von der Mutterscheide ist nur ein ganz kleiner
Rest mit Querrunzeln auf der Schleimhaut erhalten.
Aus der convexen Seite des linken Uterus entspringt
— mit seinem unteren Rande in der Höhe des Orificium
uteri intern um, mit seinem oberen Rande ungefähr in gleicher
Ebene mit der Einsenkungsstelle des linken Eileiters, — ein
plattes, 2 — 3"' dickes und l3/4" breites, muskulöses Band,
von 8'" Länge, das den linken Uterus mit seinem Neben-
hörne verbindet. Dieses rudimentäre Hörn ist zu einem
kugelförmigen Fruchtsacke ausgedehnt, von der Grösse einer
Kinderfaust. An der grössten Peripherie misst der Frucht-
sack 8y2". Seine Durchmesser betragen von hinten nach
vorn 31'", von rechts nach links 35'" und von oben nach
darunter einer mit Schwangerschaft etc. 191
unten 32'". Er besteht aus seinem peritonealen Ueberzuge,
einer. mit sehr erweiterten Gelassen durchzogenen Muskellage
und dem seine Innenfläche bekleidenden Mutterkuchen nebst
seinen Eihäuten. Das muskulöse Verbindungsstück zwischen
den beiden Hörnern ist mehrfach eingeschnitten, ohne dass
ein die beiden Hohlen verbindender Kanal aufgefunden wurde.
Die Muskelschichte des Fruchtsackes ist am dicksten
in der Nähe des Verbindungsstückes, wo sie 8'" misst, und
verdünnt sich ziemlich rasch nach rechts gegen die Rissstelle
hin bis auf die Dicke von nur l/%"4.
Am unteren Umfange des Fruchtsackes entspringen
nach vorn (8'" vom Verbindungsstücke entfernt) das runde
Mutterband, und mehr nach aussen das Lig. ovarü mit seinem
Eierstocke. Der rechte Eileiter entspringt 5'" unterhalb der
Rissstelle. Sein Ostium uterinum mündet auf einer papillen-
formigen Erhabenheit 4'" vom vorderen Rande der Rissstelle.
Es ist dieser Eileiter, wie auch der linke, für eine Borste
nur theilweise durchgängig. Die Länge der beiden Mutler-
trompeten ist ungeßhr dieselbe, sie beträgt bei beiden
etwa 40"'.
Betreffs der Gestalt und Grössenverhältnisse zeigen die
beiden Eierstöcke ein verschiedenes Verhalten. Der linke
Eierstock ist von platter,, länglich- ovaler Gestalt und hat
mehrfache Narben geborstener Graafscher Follikel. Seine
Länge beträgt 15'", seine Dicke 4'", bei einer Breite
von 12"'. Das rechte Ovarium ist fast dreieckig mit ab*
gerundeten Ecken, länger (17'") und breiter (14"') als das
linke, und von beträchtlicher, nach aussen zunehmender
Dicke (7'"); was von einem kirschgrossen Corpus luteum
herrührt
Ungeßhr V*" nach Innen von der Rissöilhung des
Fruchtsackes, und zwar an dessen hinterer oberen Wand
inserirt sich die magere, sulzlose Nabelschnur, deren Länge
7YS" beträgt. An ihr hängt eine gutgebildete männliche
Frucht in einem Alter von fünf Monaten. Ihr Kopf ist etwas
behaart, die Augenlider sind nicht mehr verwachsen, die
Nägel gebildet, der Penis durchbohrt, aber das Scrotum ist
leer. Vom Scheitel bis zum Steisse beträgt die Länge der
Frucht 77a".
192 VII. Rotenburgs, Sechs FKUe von Uterus unicornis,
IL Uterus unicornis sinister.
Margarethe Müller, von welcher dieses Präparat her-
rührt, starb 40 Jahre alt am 6. October 1860. Dieselbe
war in psychischer, wie in sexueller Entwicklung zurück-
geblieben, von Jugend auf schwächlich, kränklich, albern,
eigensinnig und unverträglich. Die Person hatte nur' einige
Male in ihrem Leben spärliche Blutungen aus den Genitalien
gehabt, die man als menstruale betrachtete, das erste Mal
angeblich in ihrem 16. Jahre. Sie war lange Jahre Belegerin
und Packerin in der hiesigen grossen Spiegelfabrik, litt viel
an Mercurialismus, verlor alle Zähne, sah mit 40 Jahren aus
wie eine 70jährige, und starb furchtbar abgemagert an
Tuberculosis pulmonum! (Vgl. Näheres: Kussmaul, Unter-
suchungen über den constituL Mercurialismus, Würzburg 1861,
S. 187.) Der Körperbau war weiblich, ebenso das Becken,
welches keine gröbere Anomalie darbot; Brüste klein, die
Pubes vorhanden, die äussere Scham bot nichts Auffallendes.
Aufbewahrt ist der Uterus (No. 865 der Sammlung) mit
seinen Adnexis und der Scheide, mit der Harnblase nebst
den Ureteren und den dazu gehörigen Nieren, ferner der
untere Theil des Rectum.
Beide Nieren sind atrophisch und zeigen einen grob*
porösen Bau durch eine sehr grosse Zahl von Kysten, deren
Grösse von gerade noch mit blossem Auge sichtbarem Um-
fange bis zu dem einer Erbse und Bohne wechselt Die
linke Niere ist namentlich reich an grösseren Kysten. Die
Rindensubstanz sehr schmal. Die normalen Harnleiter führen
in die kleine zusammengezogene Blase, deren Wand 2'" dick
ist Die Harnröhre ist eng und etwas mehr als 1" lang.
Die Scheide ist sehr dürftig ausgebildet und hat nur
eine Länge von 17"'. Man kann kaum mit dem kleinen
Finger in dieselbe eindringen. An ihrem Eingange befindet
sich auf der hinteren Wand eine häutige halbringiörmige
dünne Leiste von 1 bis 2'", die nach vorn immer schmäler
werdend allmälig sich verliert. Die innere Oberfläche -der
Scheide zeigt in ihrem unteren Theile eine vordere und eine
hintere schwache Längsfalte mit mehr weniger deutlichen
Querfallen dazwischen; im oberen Theile ist sie glatt und in
darunter einer mit Schwangerschaft etc. I93
der Gegend des Scheidengrundes mit einigen flachen, weiss-
lichen Narben gezeichnet.
Vom Uterus ist das linke Hörn ausgebildet. Es hat
dasselbe eine kegelförmige Gestalt, krümmt sich stark nach
links, aus seiner Spitze entspringen die linke Tuba, das
Lig. ovarii mit seinem Eierstocke und Lig. rotundum sinistrutn.
Die hintere wie die vordere Flache dieses Hornes sind convex.
Das Fleisch ist in der Gegend, wo der Körper aus dem
Halstheil entspringt, am stärksten entwickelt und somit liier
die Wand am dicksten.
Ein eigentlicher Scheideritheil der Gebärmutter ist nicht
vorhanden, die Muttermundslippen sind kaum angedeutet.
Der Scheidengrund geht trichterförmig sich verjungend fast
unmittelbar in den Kanal des Mutterhalses über. Der Hals-
kanal ist weiter, als der Kanal des Körpers. Die Plicae
palmatae bilden unregelmässige in der Längs-, wie in der
Querrichtung verlaufende Erhabenheiten, welche mit einer
Anzahl von hir$e korogrossen mit hellem Inhalte gefällten
Bläschen besetzt sind.
Der Halstheil des Uterus weicht nur in seinem oberen
Theile und wenig nach links ab, während der Körper in
einem stumpfen Winkel von demselben abgeht. Die Länge
des Mutterhalses beträgt IG'", die des Uteruskörpers 18"'.
Die Dicke der Wandungen des Mutterhalses beträgt in der
unteren Hälfte 3'" beiderseits, sie nimmt aber bis auf 4"'
gegen die Abgangsstelle des verkümmerten Nebenhornes zu.
Die Wände des linken Uteruskörpers sind beiderseits
ziemlich gleich dick (3'") und verdünnen sich erst gegen
die Spitze bin, wo sie beim Uebergange in den Eileiter nur
mehr 1V2'" betragen.
Die Höhle des Körpers ist am engsten gegen die In-
sertion des Eileiters zu, erweitert sich dann gegen die Mitte,
um wieder gegen den inneren Muttermund hin sich zu ver-
engern. Die weiteste Stelle hat eine Breite von 3'" und die
engste von 2"'. Der innere Muttermund misst 2"', der
äussere 2V2'" und der Cervicalkanal in der Mitte 4'".
In die Spitze des linken Hornes inserirt sich die linke
Tuba (55"' lang), an deren Fimbrien eine fast haselnüss-
grosse Hydatide sich befindet.
Monatsschr. f. Gebortsk. 1862. Bd. XIX., Hft. 3. 13
194 VII. Roienburger, Sech« Falle von Ute ms unicornis,
Von der nach rechts gerichteten Convexität des ent-
wickelten Hornes geht in der Höhe des inneren Muttermundes
das rechte verkümmerte Nebenhorn ab, in Form eines
langen, schmalen, sich im weiteren Verlaufe allmälig ver-
breiternden muskulösen Bandes. Die Länge dieses soliden
Stranges beträgt 5", die Dicke 1V2'". Bei» seinem Abgange
hat er eine Höhe von 3'", am Ende von 6'". Dieses bohnen-
förmig angeschwollene Ende zeigt eine kleine etwa ein Hirse-
korn fassende mit dem rechten Eileiter communicirende Höhle.
Von dieser Anschwellung entspringen das dicke Lig. teres,
die Tuba und das Lig. ovarii mit seinem Eierstocke. Der
Eileiter (40"' lang) ist aufgeschnitten und zeigt durchwegs
einen Kanal.
Der linke Eierstock ist sehr lang (21/»") und schmal
(6'")» 3'" dick, von glatter Oberfläche. Auf dem Durch-
schnitte entdeckt man einige wenige Graafsche Follikel
innerhalb eines derbfaserigen homogenen Stroma. Das rechte
Ovarium ist bedeutend kurzer, nur 22'" lang, aber dabei
breiter (7V2'") und etwas dicker. Beim Durclitchnitte zeigen
sich keine Graafschen Bläschen. Auf der Oberfläche gleich-
falls keine Narben.
Die Serosa bildet, indem sie von den beiden Uterus-
hornern zum Mastdarme übergeht, eine Excavatio recto-
uterina ohne eine Andeutung einer Falte, welche von der
hinteren Wand der Harnblase zur vorderen Wand des Mast-
darms striche.
Dieser Uterus gehört somit in die dritte Reihe der in
Cap. 7 des oben genannten Werkes (S. 117) beschriebenen
Formen von Uterus unicornis:
HI. Uterus unicornis dexter.
Die inneren Genitalien von einer an Pneumonie 49 Jahre
alten im Juli 1851 verstorbenen ledigen Handschuhnäheriu
aus der medicinischen Poliklinik. Sie hatte wenig Kinder-
krankheiten zu bestehen. Die Menstruation trat ein* im
16. Jahre, seitdem regelmässig vierwöchentlich. Nie chlorotisch.
Cessatio mensium zwei Jahre vor dem Tode und sechs bis
acht Jahre vorher Variola.
darunter einer mit Schwangerschaft etc. 195
An diesem Präparate (No. 439) fehlen die äusseren
Genitalien. Von der Harnblase ist noch ein kleiner Theil
mit der Einmündung des rechten Harnleiters, nebst der be-
treffenden Niere erhalten. Im Sectionsprotocoll ist aus-
drücklich bemerkt, dass die Einmündungssteile des
linken Ureters, sowie dieser und die linke Niere
fehlten. Die Scheide mit dem entwickelten rechten Hörne
und das zu einem langen soliden Strange ausgezogene linke
verkümmerte Hörn, nebst ihren Eileitern, Eierstöcken und
runden Mutterbändern sind vorhanden.
Das rechte entwickelte Hörn biegt in einer fast hori-
zontalen Richtung vom obersten Theile des Halses nach rechts
ab. Die Gestalt des Uterus ist im Ganzen walzenförmig mit
einer leichten Compression zwischen Hals- und Körpertheil,
welch* letzterer gegen aussen hin etwas länglich eiförmig
anschwillt. Der ovale wulstige Muttermund führt in den mit
ausgebildeten Plicis palmatis versehenen 2'" wehen Mutterhals.
Die Höhle des Körpers ist im Ganzen enger als der Hals-
kanal, am weitesten (1%'") in seiner Mitte und verengert
sich gegen den inneren Muttermund und die Insertion der
Tuba hin. Die Länge des Halstheiles der Gebärmutter be-
tragt 10'", die des Körpers 21'". Von der Spitze des
rechten Hornes geht das Lig. teres, die Tuba (circa 44'"
lang) und das Lig. ovarii mit seinem Eierstocke ab.
Das rechte Ovarium ist von normaler Grösse nnd Gestalt,
17"' lang, 9"' breit, 4'" dick, und an der Oberfläche finden
sich mehrere grössere und zahlreiche Narben, wie sie nach
dem Beraten Graafscher Follikel in Folge der Reifung der
Eier sich bilden.
Der rechte Eileiter beschreibt einen Bogen um sein
Ovarium und die Fimbrien sind an ihrer inneren Seite mit
dem äusseren Rande desselben verwachsen, während die nach
aussen liegenden Fimbrien frei und 7'" lang sind. Das
Ostium fimbriatum offen.
Von der convexen Seite des rechten Hornes geht an der
Uebergangsstelle vom Halse in den Körper das linke ver-
kümmerte Hörn ab in Form eines schmalen, soliden,
gelblichen, muskulösen Stranges von der enormen Länge von
6" 10"'t der bis in die Mitte seines Verlaufes 2'" hoch und
13* v
196 VII. Rotenburger , Sechs Falle von Uterus unicornis,
1"' dick ist, bis zum Abgange des Lig. teres auf das Doppelte
seines Umfanges sich vergrössert und ' schliesslich zu einem
soliden länglich rundlichen, 10'" langen, 7'" breiten und 3'"
dicken Körper anschwillt. Das Lig. teres ist 4'" breit und
11/*'" dick.
Wie das verkümmerte Hörn unmittelbar in das Lig. teres
übergeht, so hängt auch Jn unmittelbarem Zusammenhange
damit ein platter, 6"' breiter, 42'" langer, sehr derber
Körper von weissgelblicher Farbe, der an seinem oberen,
dickeren, der Länge nach halbirten Ende sich als ein Ovarium,
jedoch ohne Narben an der Oberfläche und ohne deutliche
Graa/'sche Follikel in seinem Inneren, präsentirt. An sein
Ende und zwar an die obere Fläche ist durch ein binde-
gewebiges 7 '" breites Zwischenstuck ein durch seine Fimbrien
als Infundibulum eines rudimentären Eileiters kenntlicher 9"'
langer Schlauch befestigt.
Die wenig entwickelte Scheide hat an ihrem unteren
Theile zahlreiche Querrunzeln, sie lässt den kleinen Finger
eindringen. Ihre Länge beträgt 2V2".
Die erhaltene rechte Niere hat eine Länge von 4" bei
22'" Dicke und zeigt auf dem Durchschnitte normale Structur.
IV. Uterus unicornis sinister.
Das Becken eines neugeborenen Mädchens, mit seinen
Eingeweiden und den äusseren Genitalien, sowie auch beiden
Nieren und Nebennieren mit ihren Gelassen, in natürlicher
Lage erhalten. (No. 417.)
Das Becken ist von guter (Konfiguration. Der quere
Durchmesser des grossen Beckens (von der Spina oss. ilei
ant sup. einerseits zu der entsprechenden der anderen Seite)
misst 2 Vi", und die äussere Conjugata 19 V, wobei zu
bemerken ist, dass sowohl über dem Kreuzbeine, als über
der Symphysis oss. pubis die Weichtheile bis auf geringe '
Reste entfernt sind.
Die äusseren Genitalien sind normal gebildet. Der Mons
veneris und die grossen Schamlippen sind fettreich. Letztere
bedecken die Nymphen und die hinter ihrem Präputium ver-
borgene Clitoris. Das Vestibulum ist eng. Das Hymen ist
in Form einer balbmqnd förmigen Klappe vorhanden.
4»ranter einer mit Schwangerschaft etc. 197
Durch die circa 1'" weile Harnröhrenmündung gelangt
man in die langgezogene Blase, zu deren Seite die Arteriae
umbilicales verlaufen. Es münden zwei Uretern) in die Blase,
und es kommen dieselben von den gelappten Nieren, die in
Grösse und Lage nichts Abnormes bieten.
Der sehr wohl ausgebildete Uterus stellt einen walzen-
förmigen, in seinem oberen Theile länglich eiförmigen nach
links und etwas nach vorwärts gebogenen Körper dar, der
sich gegen die Insertion des Eileiters hin etwas zuspitzt
Das Bauchfell senkt sich zwischen Uterus und Mast-
darm hinab und bildet eine- tiefe Grube zwischen beiden,
ohne dass ein Lig. recto-vesicale bemerklich ist.
Aus der Spitze des linken Hornes entspringt das Lig. teres,
die Tuba Fallopii (1" lang) und das Jjg. ovarii mit dem
Eierstocke nebst dem acht geschlängelte Gänge bildenden
Nebeneierstocke.
Das linke Ovarium ist lang (7'") und schmal (2"').
Seine Oberfläche ist glatt, aber an seinem vorderen Rande
ist es mit mehreren in ziemlich regelmässigen Abständen auf-
einanderfolgenden Einkerbungen versehen.
Ungefähr 7'" unterhalb der Spitze des linken Hornes
geht das rechte verkümmerte Nebenhorn ab in Form
eines sehr schmächtigen, anfangs platten, gegen sein Ende
hin mehr rundlichen soliden Bandes, welches ein wenig
kürzer ist, als das linke Hörn. Nach einem Verlaufe von
circa 7'" geht ein Lig. teres, ein Eileiter und ein Lig. ovarii
mit seinem Ovarium von ihm ab.
Die Tuba hat eine Länge von ll4". Das rechte Ovarium
ist lang (11 '") und schmal (2"'), mit wenigeren und un-
regelniässigeren Einkerbungen versehen, als das linke.
V. Uterus unicornis sinister.
Dieses Präparat wurde von der chirurgischen Klinik der
pathologisch -anatomischen Sammlung überlassen.
Es stammt von einem acht Jahre alten Mädchen, das
wegen einer im dritten Lebensjahre nach Geschwüren im
Munde und am Zahnfleische zu Stande gekommenen Ver-
wachsung des mittleren Theües der Unterlippe mit dem
198 VII* Bo04tiburgertSech§ Falle von Uteras omcoraii,
Unterkiefer in die chirurgische Klinik gebracht und daselbst
am 10. April 1860 operirt wurde.
Nachdem -die Wunde am 22. schon vollkommen ver-
einiget war, entwickelte sich am 27. ein Erysipel, in Folge
dessen das Kind am 7. Mai starb.
Die am 8. Mai vorgenommene Section ergab: Erysipelas
capitis, faciei und thoracis; Oedema pulmon. acut.; ferner
parenchymatöse Entzündung der linken hypertrophischen Niere;
Mangel der rechten Niere; Uterus unicornis sinister.
Das Becken mit seinen Weichtheilen und Eingeweiden,
wie auch die linke Niere und beide Nebennieren, sind in ihrer
natürlichen Lage erhalten.
Im Verhältnisse zum Alter ist das Becken geräumig.
Der Abstand der beiden oberen Darmbeinstachel beträgt 6".
Der gerade Durchmesser des Beckeneinganges misst 2" 7'".
Die äusseren Genitalien sind normal gebildet Der
Schamberg ist fettreich, ebenso die haarlosen grossen Scham-
lippen, zwischen denen die Nymphen vorn etwas hervorragen.
Das Vestibulum vaginae ist eng. Die Harnröhrenmündung
für eine %'" dicke Sonde durchgängig. In die Scheide kann
man mit einer Sonde durch die halbmondförmige, wohl aus-
gebildete Scheidenklappe eindringen.
Die Beckenhöhle enthält ihre Eingeweide in folgender
Lagerung: hinter der Schamfuge liegt, dieselbe etwa V
überragend, die contrahirte mehr als wallnussgrosse dick-
wandige Harnblase. Sie ist vorn aufgeschnitten, man erblickt
die stark gefaltete Schleimhaut und erkennt nur ein link-
seitiges Ostium uretericum.
Der Mastdarm tritt. links von der Mittellinie des Kreuz-
beins herab. Nach aussen von ihm liegt der linke Ureter,
welcher mit einer grossen (4" langen und 2" dicken) Niere
zusammenhängt. Diese Niere liegt links von der Wirbelsäule
hinter dem Bauchfelle an normaler Stelle und ist enorm an-
geschwollen. Bei der Section bot sie alle Erscheinungen
einer frischen parenchymatösen Nierenentzündung.
Rechts vom Mastdarme, ungefähr an der Vereinigungs-
stelle des Kreuzbeins mit dem Darmbeine, liegt ein mehr als
darunter einer mit Schwangerschaft etc. 199
2" langer, nur 3'" breiter und etwa 1VV" dicker, derber,
solider Körper, der nach unten mit der inneren Hälfte des
das rechte Uterushorn repräsentirenden muskulösen Bandes
innig verwachsen ist.
Bei näherer Untersuchung zeigt dieser Körper eine deut-
liche Scheidung in Mark- und Rindensubstanz. Die Gefasse
treten durch einen Hilus mit lockerem Bindegewebe in denselben.
Die erhärtete und mit Carminlösung imbibirte Rinden-
substanz besteht, nach Herrn Prof. Thiersch, der einige
Präparate anfertigte, unter dem Mikroskop aus narbigem
Bindegewebe mit Gefassen und kleinen gewundenen Kanälen
mit Zellenbeleg. Dazwischen Onden sich Zellengruppen v mit
platten, kantigen, stark imbibirten Kernen. Diese Zellen
sind durchscheinend und von polyedrischer Gestalt (Fett-
zellen?) Die Rinde enthält ferner noch kugelige Hohlräume
von der Grösse eines Glomerulus an abwärts, welche theils
leer, theils mit einem körnigen, vielleicht geronnenen, theils ,
mit einem zelligen (?) Inhalte erfüllt sind.
Es ist vsomit kein Zweifel, »dass man es mit
einem degenerirten drüsigen Organe, wahrschein-
lich einer Niere, zu thun hat.
Hinter der Blase gehen die Hörner des Uterus, das
wohlgebildete linke und das zu einem muskulösen Faser-
strange umgewandelte rechte nach beiden Seiten ab.
Das linke Hörn geht gegen das Tuberculum ileo-
pectineum sin., ohne dasselbe zu erreichen. Es stellt einen
länglicheiförmigen Körper von 15'" Länge dar, welcher an
seiner Ursprungsstelle in der Nähe des Orificium internum
2'" dick ist und gegen sein Ende hin bis zu 4"' anschwillt.
Von der Spitze dieser Anschwellung gehen das linke Lig. teres,
der Eileiter und das Lig. ovarii mit dem betreffenden Eier-
stocke ab.
Der Eileiter ist schmal, 20'" lang und hat einen
geschlängelten Verlauf. In die Bauchöffnung desselben kann
eine Sonde bequem einige Linien weit eingeführt werden,
bis sie durch die Krümmung des Eileiters aufgehalten wird.
Die Oberfläche des linken Eierstocks ist ganz glatt und
bohnenförmig. Seine Länge beträgt 9'", bei einer Breite
von 5'" und einer Dicke von 3"'.
200 VII. Bonnburgtr, Sechs Fälle von Uterus unicornis,
Der Halstheil des Uterus liegt in der Tiefe des Beckens
hinter dem Blasenhalse unzugänglich verborgen.
Der derbe, rundliche Muskelfaserstrang, welcher das
rechte Hörn darstellt, tritt gleichfalls unter einem spitzen
Winkel von dem Halstheile des Uterus und der Mittellinie
des Beckens seitlich ab, wie das linke Hörn. Seine untere
Hälfte ist, wie schon bemerkt, mit dem oben beschriebenen
drüsigen Organe in der hinteren rechten Beckenpartie ver-
wachsen, und dadurch etwas nach hinten gezogen. Die
obere Hälfte wendet sich mehr nach vorn, schwillt an ihrem
Ende etwas an, so dass sie hier 2"' dick wird. Die ganze
Länge beträgt bis zum Abgange des Lig. teres 1Y2".
Der Eileiter ist ll/a" lang, verläuft etwas weniger ge-
schlängelt als der linke. In sein Osüum abdominale kann
man mit einer Sonde fast 4"' weil eingehen.
Der glatte Eierstock hat eine Länge von 9'", eine Breite
von 4'" und eine Dicke von 2V2'".
Das Parovarium ist rechts sehr schön zu sehen, während
es auf der linken Seite nicht so deutlich hervortritt.
VI. Uterus unicornis sinister cum rudimento colli
dextri accreto, rudjmeiUo ligamentoso cornu dextri,
et dissepimento transversali in fundo
vaginae dextro.
Dieses Präparat ist unter No. 300 eingetragen und
rührt angeblich von einem 10 Jahre alten Mädchen her.
Es ist der ganze Urogenitalapparat mit der Aorta ab-
dominalis, Vena cava ascendens und dem Endstucke des
Rectums erhalten.
Die äusseren Genitalien sind von normaler Grösse. Die
grossen Schamlippen unbehaart; Glitoris und die kleinen
Schamlippen gut gebildet und von den grossen bedeckt.
Die Harnblase hat die Gestalt einer Birne und ist 28'"
lang, rechte und linke Hälfte sind gleich gut entwickelt. Sie
mündet in die 11'" lange und ziemlich weite Harnröhre.
Es ist nur eine Niere und zwar die linke mit ihrem
Ureter (ö1/*" lang) vorhanden. Sie ist von einer dem
Alter entsprechenden Grösse (3" lang) und zeigt dem
äusseren Ansehen nach keine Abnormitäten in ihrem Baue.
darunter einer mit Schwangerschaft etc. 201
In der Harnröhre ist nur die Einmündungsstelle des linkeu
Harnleiters zu bemerken.
Die Scheide ist im unteren Theile enger (circa 4'" weit)
als im oberen, wo sie ungefähr 6"' weit ist. An ihrem
Eingange besitzt sie eine Scheidenklappe in Gestalt einer
häutigen ringförmigen schmalen Leiste. Der untere Theil
ihrer Wand hat Längsfalten, während sie im oberen Ab-
schnitte nahezu glatt ist. Der Scheidenkanal erstreckt sich
nach links um 4'" höher hinauf, als nach rechts, wo der-
selbe durch eine zarte mit einer feinen Oeffnung versehene
Membran verschlossen ist, nach deren Eröffnung man in
einen, eine kleine Bohne fassenden Hohlraum und in diesem
erst zu einem Muttermunde gelangt. Dieser kleine durch
die Membran von der übrigen Scheide getrennte
Raum muss als die oberste, durch ein Septum
getrennte rechte Hälfte des Scheidengrundes an-
gesehen werden, da ers in ein Orificium uteri
dextrum führt.
Aus dem linken Abschnitte der Scheide gelangt man
durch ein feines Orificium uteri sinistrum in einen nach
oben sich erweiternden Va'" langen Halskanal mit Längs- und
Querfalten, der linkshin sich krümmend in den Kanal des
Körpers eines linken Uterushornes von fötaler Grösse (7 "'Länge)
übergeht Das rechte Orificium uteri ext. führt in einen
nur 3"' langen schmalen Halskanal, der durch eine feine
Oeffnung mit dem unteren Theile des linken Halskanals
zusammen mündet. So ist nur ein Rudiment vom
untersten Theile des Collum uteri dextri vorhanden
und mit dem Collum uteri sinistri zu einer Masse
verwachsen, wodurch dann der vorhandene Uterus unten
am dicksten erscheint und nach aufwärts schon im Halstheile
sich bedeutend verschmälert. Sein Durchmesser an der Basis
beträgt 4 Vs'", da wo das linke Hörn vom Halse abbiegt, 3'".
Statt des rechten Uterushornes findet sich ein
13'" langes, schmächtiges Muskelband, welches von
dem unteren Dritttheile des linken Hornes oberhalb des
Orificium internum abgeht. Dieser Strang ist 2'" breit und
V2'" dick, verdickt sich wenig an seinem Ende, von dem
das Lig. teres und das Lig. ovarii dextr. abgehen. Die
2Q2 VIII. Grenter, 46. Jahresbericht über die Ereignisse
rechte Toha mangelt Dagegen finden sieb am äussersten
Ende des rechten Eierstockes fransenartige Bildungen, das
Rudiment des Infundibulum tubae.
Vom linken Home geht eine 2" lauge dünne Tuba
Fallopii ab. Neben ihr befindet sich das Lig. ovarii mit dem
9'" langen und 4'" breiten Eierstocke. Das rechte Ovarium
ist doppelt so lang als das linke, 3'" breit und circa 1'"
dick, das linke ist 2"' dick. Die beiden Eierstöcke haben
eine durchweg glatte Oberfläche.
Der Mastdarm ist von der Dicke eines Fingers. Zwischen
Uterus und Mastdarm findet sich eine tiefe Excavatio recto-
uterina. '
An dem Präparate sind beide Nebennieren erhalten.
VIII.
Sechsundvierzigster Jahresbericht über die Er-
eignisse in dem Entbindungsinstitute bei der
königl. sächs. chirurgisch-medicinischen Akademie
zu Dresden im Jahre 1860.
Von
Professor Dr. Grenser,
königl. sächs. Hofrath etc.
Im Verlaufe des Jahres 1860 wurden 610 Schwangere,
Gebärende und Wöchnerinnen in der Anstalt verpflegt, von
denen 6 Schwangere und 18 Wöchnerinnen vom vorigen Jahre
im Bestand verblieben waren und 586 neu eintraten.
Geboren haben 574, und zwar im Januar 48, im
Februar 46, im Harz 64, im April 47, im Hai 58, im
Juni 41, im Juli 44, im August 47, im September 50, im
October 44, im November 44. im December 41. Davon
gebaren zum ersten Haie 311, zum zweiten Haie 178,
zum dritten Haie 47, zum vierten Haie 15, zum fünften
Haie 13, zum sechsten Haie 3, zum siebenten Haie 3,
ia dem Entbindniigsinstftiite etc. bu Dresden im J. 1860. 203
zum achtel) Male 2 and zum neunten Male ebenfalls 2.
Von den Gebärenden waren 43 verbeiratbet, 12 verwittwet
oder geschieden und 519 ledigen Standes. 137 hatten ihre
Heimath in Dresden, 385 in anderen Orten Sachsens, 52 im
Auslande. 550 waren evangelisch -lutherischer, 23 römisch-
katholischer und 1 deutsch -katholischer Confession.
Was das Alter der Gebärenden anlangt, so waren vier
erst 16 Jahre, die älteste 44 Jahre; die meisten standen in
dem Alter von 22 bis 26 Jahren.
568 Geburten waren einfache, 6 Mal wurden Zwillinge
geboren. In 516 Fällen reichten die Natur kr äfte zur
Vollendung der Geburt hin, in 58 waren operative Ein-
griffe nötbig, und zwar 35 Mal die- Zange, 6 Mal die
Wendung, 2 Mal die Extraction an den Füssen, 1 Mal die
Perforation und Kephalothrypsie, 1 Mal der Kaiserschnitt bei
einer an Eclampsie Verstorbenen, 1 Mal die künstliche Er-
regung der Frühgeburt und 12 Mal tbeils die künstliche
Wegnahme, theils Lösung der Nachgeburt v
Von den Früchten stellten sich zur Geburt:
338 in erster Schädellage, " *
200 „ zweiter „ (14 Mal ohne Drehung),
2 „ erster Gesichtslage,
1 „ zweiter „
7 „ erster Steisslage,
4 „ zweiter „
2 „ erster Fusslage,
5 „ zweiter „
6 „ Querlage.
In 15 Fällen blieb der Geburtsmechanismus unermittelt,
und zwar 4 Mal wegen Abortus, 2 Mal bei unzeitiger Geburt
und 9 Mal, weil die Kinder bereits auf dem Wege nach der
Anstalt geboren worden waren.
Die Geburtsdauer betrug in 15 Fällen nur bis zwei
Stunden, am häufigsten 8 — 12 Stunden, in 2 Fällen über
vier Tage.
Die Zeit der Beendigung der Geburt fiel am häufigsten
in die Stunden zwischen 10 und 11 Uhr Abends und
6 — 7 Uhr Morgens.
204 Till. Qren*er, 46. Jahresbericht über die Ereignin«
Gesund entlassen wurden 572 Wöchnerinnen, ab-
gegeben an das Stadtkrankenhaus 2; 4 Wöchnerinnen und
eine Schwangere ver starben.
Geboren wurden 580 Kinder, davon 276 männlichen
und 300 weihlichen Geschlechts, während bei 4 Abortus das*
Geschlecht unbestimmt blieb.
Von den Rindern waren ausgetragen 547; früh-
zeitig 24 (13 Knaben und 11 Mädchen i; unzeitig 5
(1 Knabe und 4 Mädchen). Scheintodt kamen zur Welt 23
(14 Knaben und 9 Mädchen). Todtgeboren wurden im
Ganzen 30, als 14 Knaben und 16 Mädchen; davon 5 un-
zeitig, 8 frühzeitig in macerirtem Zustande, 1 wegen Syphilis
der Mutler, 2 wegen Fracturen der Schädelknochen und
Blutextravasate während schwieriger Zangenoperationeu . 7 wegen
Druck der Nabelschnur, 6 wegen fötaler Krankheiten, als
Peritonitis, Pericarditis, Pleuritis und Hydrocephalus.
Das grössle Gewicht eines ausgetragenen Neugeborenen
(Knaben) betrug ll1/« Pfund, die grössle Länge 22 Zoll.
Der kürzeste Nabelstrang maass 11. Par. Zoll, der längste
37 Par. Zoll. Die Insertion des Nabelstranges war" 171 Mal
central, 345 Mal seitlich, 55 Mal marginal und 5 Mal
velamental. Der grösste Mutterkuchen hatte 9 und 10 Zoll
in seinen Durchmessern. 15 Mal zeigte die Placenta faser-
stoffige Ablagerungen in ihrem Gewehe, 2 Mal kalkige.
Bei den 6 Zwillingsgeburten wurden 3 Mal 2 Knaben
und 3 Mal je 1 Knabe und 1 Mädchen geboren. Die Zwillinge
kamen sämmtlich lebend zur Welt, zwei starben jedoch schon
in den ersten Tagen an Lehensschwäche. Sie stellten sich
zur Gehurt: in zwei Fällen der ersle in erster Schadellage,
der zweite in zweiter Schädellage, ein Mal der erste in erster
Fusslage, der zweite in zweiter Schädellage ohne Drehung,
ein Mal der erste in erster Steisslage, der zweite iu zweiter
Schädellage, ein Mal der erste in erster Schädellage, der
zweite in zweiter unvollkommener Fusslage und endlich ein
Mal der erste in zweiter Schädellage und der zweite in erster
Steisslage. Die Placenta war in fünf Fällen eine gemein-
schaftliche, fest verwachsene, jedoch ohne Communication der
Fötalgefässe, während jede Frucht ihr Chorion und Amnion
in dem Entbindiingfiiiistitute etc. zu Dresden im J. 1860. 205
hatte, von denen das eine Chorion mit dem anderen in der
Rege] verklebt war. Nur in einem Falle waren die beiden
Eier vollkommen von einander getrennt
Anomalien der Schwangerschaft.
Abortus im engeren Sinne wurden vier beobachtet.
Der erste, im vierten Monate wurde veranlasst, wie es schien,
durch primäre Erkrankung und Absterben des Eies. Die
kleine, welke Placenta wurde erst 26 Stunden nach dem
Embryo ausgestossen, der Blutabgang blieb massig. — Im
zweiten Falle, der eine kräftige 29jährige Bauernmagd betraf,
die schon zwei Mal geboren hatte, wurde das Tragen schwerer
Futterkörbe als Veranlassung zu einer Metrorrhagie im vierten
Schwangerschaftsmonate angegeben. Tags darauf traten Wehen
ein, die den Embryo bis in den Muttermund drängten, von
wo aus «ich derselbe leicht entfernen Hess. Auch hier ging
öie Nachgeburt erst 26 Stunden später ab. — Der dritte
Fall betraf eine 35jährige Aufwärlerin, die im dritten Monate
ihrer zweiten Schwangerschaft plötzlich Wehen fühlte, an-
geblich, ohne sich irgend einer Schädlichkeit ausgesetzt zu
haben. Diese förderten unter massigem Blutabgange den
Embryo und 23/4 Stunden später die noch in der Bildung
begriffene Placenta heraus. — Im vierten Falle wiederholte
sich der Abortus zum zweiten Male bei einer 35jährigen
Köehin, nachdem diese die Nacht zuvor mit ihrem Liebhaber
auf dem Tanzboden zugebracht hatte. Die Blutung war
reichlich. Die kleine Nabelschnur erschien am Bauche des
EiÄbryo zu einem dünnen Fädeben zusammengedreht, so dass
Torsion der Nabelschnur als Ursache des Absterbens des
Embryo und seeundär des Abortus angenommen werden muss.
Unzeitige Geburten fanden fünf statt, in zwei Fällen
hatte ein starker Schüttelfrost den erfolgten Tod des Fötus
angezeigt und die Fötus kamen. in macerirtem Zustande zur
Welt In einem Falle war die Schwangere eine Treppe
herabgestürzt und erlitt darnach Blutabgang. Das Wochenbett
verlief bei- Alien ohne Störung.
Frühgeburten zählten wir im Gauzen 22, darunter
zwei Mal Zwillinge. Von den Früchten wurden 10 todtgeboren,
davon 8 in macerirtem Zustande; drei zeigten sich sehr
jJOti VIII. Grauer, 46. Jahresbericht über die Ereignisse
lebensschwach und starben in den ersten Tagen. Bemerkens-
wert!) sind folgende Fälle:
1. Ein 22 jähriges Dienstmädchen, Erstgebärende, wurde
am 13. Mai Nachmittags krank in die Anstalt gebracht Sie
befand sich im achten Schwangerschaftsmonate. Ihr Gesicht
erschien gedunsen, die Respiration sehr beschleunigt, Puls 124;
die Percussion des Thorax ergab linkerseits bis zur fünften
Rippe leeren Ton, die Auscultation daselbst bronchiales
Athmeu. Wehenthätigkeit schwach beginnend. Sie erhielt
Cataplasmata emollientia in die linke Seite der Brust und des
Rückens und ein schwaches Infus, rad. ipecac. Am 16. Mai
erfolgte in erster Schädellage die Geburt eines 5 Pfund schweren,
sehr lebensscbwacben Mädchens, welches sehr bald starb.
Unmittelbar nach der Geburt trat 2war Erleichterung der
Brustsyroptome ein, allein schon am 18. Mai vermehrte sich
wieder die Dyspnoe bedeutend und gleichzeitig klagte die
Kranke aber Schmerzen im Unterleibe, dem Fundus uteri
entsprechend. Die physikalische Untersuchung der Brust ergab
auch rechterseits Dämpfung bis zur dritten Rippe herauf und
bronchiales Athmen, weshalb auch auf dieser Seile Cata-
plasmen applicirt wurden. Am folgenden Tage steigerte sich
die Dyspnoe noch mehr, 30 « Respirationen in der Minute;
Abends wilde Delirien, mit maniakischer Aufregung, kleiner
Puls. Am 20. Mai früh völlige Bewusstlosigkeit; Abends
7 Uhr trat unter den Erscheinungen der Lungenlähmung der
Tod ein. Die Seclion ergab: die Dura Mater gespannt, stark
injicirt, die inneren Häute massig injicirt, aber blassgelb in-
filtrirt Nach unten verstärkt sich die Infiltration in 'der
vorderen und mittleren Schädelgrube bis zur Basis. Hirn-
substanz blutreich, Ventrikel mit gefärbtem Serum reichlich
erfüllt In der linken Pleurahöhle zwischen Lungenbasis und
Zwerchfell eigentümlich sauer riechende, schmutzig braune
Flüssigkeit in geringer Menge; die Lunge in den unteren und
hinteren Partieen durch eine liniendicke, gelbe, frisch fibrinöse
Schwarte fest verwachsen, luftleer comprimirt. In der rechten
Pleurahöhle einige Drachmen trübes Serum, die Pleura selbst
mit frischen fibrinösen Ablagerungen bedeckt, nur der untere
Lappen der Lunge an der hinteren Fläche luftleer. Im
Herzbeutel einige Drachmen trübes Serum; das äussere Blatt
in dem Entbindungsinstitnte et«. 211 Dresden im J. 1860. 207
stark injicirt , stellenweise ecchymosirt, uod mit weichen,
fibrinösen Ablagerungen bedeckt. Das Endocardium mit zahl-
reichen, grossen Ecchymosen. In der Bauchhohle etwas
trübe, bräunliche Exsudatflüssigkeit, das Bauchfell in der
Umgebung des Uterus stark injicirt ; die Innenfläche * der
Gebärmutter mit blassgelbem Exsudat bedeckt. Der Magen
zeigt im Fundus gerade vor der Cardia nach hinten
ein thalergrosses, rundes, scharfrandiges Loch; die
angrenzenden Zwerchfellpartien sind missfarbig, erweicht
und nach der Pleurahöhle zu ebenfalls perforirt, so dass
der Finger durchgesteckt werden kann. Die vollständige
Diagnose war daher in dem angegebenen Falle: Eiterige
Meningitis, Hirnhyperämie, doppelseitige Pleuritis
mit consecutiver partieller Compression des Lungen-
gewebes, Pericarditis, Endometritis, geringe cen-
trale Peritonitis, Erweichung und Perforation des
Magens, sowie des Zwerchfells.
2. Am 17. April fand in Wehen Aufnahme ein 28 jähriges
Dienstmädchen, Erstgebärende, mit stark ödematos geschwollenen
Schenkeln und Schamiippen. Die Geburt eines frühzeitigen,
5 Pfund schweren, lebenden Mädchens, erfolgte leicht in erster
Schädellage. Eine nähere Untersuchung ergab blasendes
Geräusch beim ersten Herzton, den Harn sehr stark
eiweisshaltig. Sie erhielt ein Infus, hb. Digitalis und
aromatische Fomentationen über die Schamlippen. So ver-
minderte sich zwar in den ersten Tagen des Wochenbettes
das Oedem, die Diurese wurde reichlicher und der Eiweiss-
gehalt des Harnes vermindert, allein die chronische
Harnaffection mit consecutiver Bright'scher Nieren-
krankhett dauerte fort, weshalb die Kranke mit ihrem
Kinde, welches sie stillte, am 1. Mai an das Stadtkranken-
haus abgegeben wurde.
3. Eine Näherin aus Dresden, 28 Jahre alt, zum zweiten
Male schwanger, suchte am 12. Juni, im sechsten Monate
ihrer Schwangerschaft, wegen plötzlich eingetretener
Metrorrhagie Zuflucht in der Anstalt. Der Muttermund
nahm gerade die Fingerspitze auf. Da Symptome beträcht-
licher Depletion nicht vorhanden waren, wurde nur ruhige,
horizontale Lage und das Elixir ackl. Hallen verordnet. So
208 VIII. Qrert*ery 46. Jahresbericht über die Ereignisse
stand die Blutung bis zum 1 7. Juni gänzlich und die Schwangere
konnte am 20. desselben Monats gesund entlassen werden.
Am 18. August, in der 34. Schwangerschaftswoche, erschien
die Person wieder, weil sich Wehen eingestellt hatten. Seit
ihrer Entlassung hatte sie sich wohl befunden und keinen
Blutverlust wieder gehabt. Für den vorzeitigen Eintritt der
Wehen wusste sie keinen Grund anzugehen. Die Erweiterung
des Muttermundes nahm 50 Stunden in Anspruch; darauf
wurde in zweiter Schädellage ein asphyktischer Knabe ge-
boren, der bereits 15 Stunden nach seiner Geburt starb,
und zwar an Atelectasis pulmonum, wie die Section lehrte.
4. Eclampsia gravidarum. Sectio caesarea post
mortem. Die Betreffende, kräftiger Constitution, 27 Jahre
alt, zum ersteh Male schwanger, war zu Anfang des Monats
März als Hausschwangere aufgenommen worden und befand
sich angeblich vollkommen wohl, als sie die Nachricht erhielt,
sie sei von ihren Eltern wegen ihrer Schwangerschaft Ver-
stössen worden. Diese Nachricht afficirte sie so, dass sie
bis in die Nacht hinein schluchzte und ächzte. Am anderen
Morgen (am 7. März) stellte sich heftiges Erbrechen ein und
darauf gegen Mittag ein vollständiger Anfall von Eclampsie,
weichem in Kurzem noch drei andere Anfälle von gleicher
Intensität folgten. Ein versuchter Aderlass blieb ohne Erfolg,
weil an beiden Armen die Venen zu wenig entwickelt waren.
So beschränkte sich die Behandlung auf Eisumschläge auf
den Kopf, Sinapismen, Essigklystiere und die Darreichung
einiger Dosen Calomel. In den Nachmittagsstunden traten
noch zwei Paroxysmen auf, welche aber weit schwächer
waren. Der Harn zeigte nur sehr geringen Eiweissgehalt.
Vom 8. — 10. März blieb die Kranke ganz verschont * und
hrachte ausserhalb des Bettes zu ; im Harne. Hess sich keine
Spur von Eiweiss mehr entdecken. Am 16. März früh brachen
plötzlich neue eclamptische Convulsionen aus und das Bewusst-
sein kehrte auch in den freien Intervallen nicht wieder. Die
Untersuchung des Harnes wies jetzt wieder Eiweissgehalt
nach. Da Eisumschläge, Sinapismen und Essigklystiere nichts
änderten, wurde die Kranke in ein warmes Essigbad ge-
bracht und dabei der Kopf mit kaltem Wasser übergössen.
Nichtsdestoweniger wiederholten sich die Paroxysmen bis mr
in dem Entbindangsinttitate ete. tu Dresden im J. 1890. 209
Zahl von 37, es trat Lungenödem ein, der Puls wurde «immer
frequenter und kleiner und so starb die Schwangere desselben
Nachmittags unter den Symptomen der Lungenlähmung. Bald
nach ihrem Tode wurde vorschriftsmässig der Kaiserschnitt
gemacht, obwohl Herztöne der Frucht schon seit dem 8. Harz
sich nicht mehr vernehmen liessen. Die todte Frucht, ein
Mädchen, von 18 Zoll Länge und 8 Pfund Schwere trug
schon Spuren der Haceration an sich. Die Section des
Leichnams der Mutter ergab: zähe Beschaffenheit der Substanz
des Gehirns und des oberen Theils des Rückenmarks, massiges
Oedem des Hirns und seiner Häute, enormes Lungenödem,
keine Structuryeränderung in den Nieren. Bei der
Section des Leichnams des Fötus fanden sich ver-
breitete venöse Hyperämi* der ineisten Organe, sowie kleine
Extravasate und Ecchymosen am Schädelperiost, den Pleuren,
dem Pericardium und der Valvula mitralis.
Zu den eben beschriebenen vier Fällen, wo als Ursache
der Frühgeburt verschiedene Krankheiten der Schwangeren
sich herausstellten, kommt noch einer, wo Syphilis der Mutter
als causales Moment der Frühgeburt angesehen werden niusste.
In zwei Fällen schien Zwillingsschwangerschaft die Frühgeburt
veranlasst zu haben, namentlich wegen zu grosser Menge
Fruchtwassers. Neun Mal dagegen fährte primär erfolgter Tod
der Frucht die Frühgeburt herbei, worunter in fünf Fällen fötale
Krankheiten, namentlich Peritonitis und Hydrocepbalus sich
nachweisen liessen. In den übrigen Fällen blieb die Ursache
der Frühgeburt unermittelt. Von den frühzeitig geborenen
13 Knaben und 11 Mädchen stelltön sich 18 mit dem Schädel
voraus zur Geburt, 4 mit dem Steiss voraus und 2 in
Querlage. Bei sämmtlichen 22 Frühgeburten verlief die
Eröffnungsperiode nur langsam, in 12 Stunden bis 3 Tagen,
während die Austreibungsperiode sehr schnell beendet wurde.
Wie bei mangelnder Disposition des Uterus zur Früh-
geburt bisweilen die schädlichsten Einwirkungen von
Schwangeren ausgehalten ^werden, ohne die Früh-
geburt zu erregen, zeigte recht auffallend das Beispiel
einer Kutschersfrau, welche im neunten Schwangerschafts-
monate von einem Pferde einen Hufschlag gegen die rechte
Seite des Unterleibes erhielt, worauf starke Schmerzen und
MonalMchr. f. OebarUk. 1868. Bd. XIX.. Hfl. 8. i 4
210 VIII. GrenMr, 46. Jahresbericht über die Ereignisse
Metrorrhagien eintraten, die sie nötbigten, zwei Tage das
Bett zu hüten. Trotz- der noch immer bestehenden Schmerzen
und des noch fortdauernden, obwohl verminderten Blutabganges
stand denn die Frau auf, verrichtete ihre gewöhnlichen, nicht
selten anstrengenden Geschäfte und gebar einen Monat später,
am normalen Ende der Schwangerschaft, einen wohlgebildeten,
71/* Pfund schweren Knaben, welchen sie stillte. Geburt
und Wochenbett verliefen normal.
In medicoforensischer Beziehung bemerkenswert« waren
vier Fälle, wo Schwangere noch im letzten Monate
der Schwangerschaft über ihren Zustand in völliger
Ungewissheit sich befanden. Eine davon, eine 23jfthrige
Bauermagd, hatte sich wegen veAneintlieher Wassersucht an
die chirurgische Klinik gewendet und freute sich nicht wenig,
als man ihr sagte, dass sie schwanger sei; vierzehn Tage
später wurde die Person in der geburtshfilflichen Klinik von
einem 9 Pfund schweren Mädchen ziemlich leicht entbunden.
Endlich erwähnen wir noch eine auffallend starke,
dunkelreissbleifarbene Pigmentablagerung im Ge-
sichte einer Schwangeren, so dass diese fast das Aussehen
einer Mulattin hatte. Die Warzenhöfe und die weisse Linie
des Bauches waren ähnlich pigroentirt.
Anomalien der Geburt.
Enge Becken kamen 16 Mal zur Beobachtung, wovon
15 in Folge von Rhach-itis verengte. Die Conjugata
interna maass in vier dieser Fälle 3" 6'", in vier 3" 4'",
in zwei 3" 2— 3'", in zwei 3" und in drei 2" 7—8"'.
Die Dauer der Rhachitis war nicht maassgebend fär die
Verkürzung der Conjugata, so <3ass z. B. zwei, welche an-
geblich bis zum sechsten und siebenten Lebensjahre an der
englischen Krankheit gelitten hatten, eine Conjugata von
3" 6'" zeigten, während zwei, die nur bis zum fünften Jahre'
rhachitisch gewesen waren, eine Verkürzung der Conjugata
bis zu 2" 7'" herab darboten. Davon konnten den Natur-
kräften überlassen bleiben sieben Fälle, ein Mal sogar
bei einer Conjugata von 2" 7'"; das Kind, ein aufgetragenes,
8 Pfund schweres Mädchen, kam lebend zur Welt, zeigte
aber einen auffallend weichen, configurablen Schädel; überhaupt
ia dam Eatbtadaogsinftitnfce etc. cu Dresden im J. 1860. 211
wurden in diesen bei rhachilischer Beckenenge von den Natur-
kräften allein beendeten Geburten 6 Kinder lebend und 1
todt geboren. In den übrigen 8 Fallen machte sich 6 Mal
die Zangenoperation nöthig, wodurch 3 Kinder lebend und 3
todt zur Welt gefordert wurden., ein Mal die Perforation mit
nachfolgender Kephalothrypsie und in einem Falle wurde die
Frühgeburt künstlich erregt; siehe unter geburishülflichen
Operationen.
Der 16. Fall von Beckenenge betraf ein allgemein zu
enges Becken, wo während der Geburt zugleich
Eclampsie «intrat. Der Fall ist kürzlich folgender: Eine
22jährige Dienstmagd aus dem sächsicben Voigtlande, von
untersetztem, kräftigem Köqierlpaue, brünett, zeigte bei ihrer
Aufnahme in die Anstalt beträchtlichen Hängebauch und sehr
hohen Kopfstand. Am 28. Öctober früh stellten sich die
ersten Wehen ein, die bis 10 Uhr Abends eine Erweiterung
des Mutlermundes bis zur Tbalergrösse bewirkt hatten, als
urplötzlich ein eclamptiscber Anfall ausbrauch. Nach einer
Venäsection von 16 Unzen, Eisumschlägen, Sinapismen, Essig-
klystieren und der Darreichung von 4 Gran Calomel trat Ruhe
ein, bis IV4 Uhr Morgens, wo der zweite Paroxysmus aus-
brach, welchem bis Mittag noch zwölf andere folgten, so dass
im Ganzen vierzehn conyulsivische Anfalle aufgetreten waren,
ehe der Muttermund eine solche Erweiterung erlangte und
der Kopf der Frucht so stand, dass die Zange angelegt
werden konnte. Wegen Harnverhaltung hatte sich mittlerweile ,
die Application des Katheters in der Knie -Ellenbogenlage
nöthig gemacht; der entzogene Harn gerann beim Kochen
bis zur Hälfte, war mithin sehr stark eiweissbaltig. Die
Zangenoperatiou erforderte grossen Kraftaufwand und es kam
dabei zur Fracüirirung eines Scheitel- und Stirnbeins der
Frucht; dieselbe, weiblichen Geschlechts, war todt, maass
18 Zoll und wog 81/« Pfund. Die Blutung in der Nach-
geburtsperiode war sehr reichlich. Die eclamptischen Anfalle
mit fortdauernder Bewusstlosigkeit in den Intervallen wieder-
holten sich noch während und nach der Entbindung und
führten bereits sechs. Stunden danach den Tod der Wöchnerin
herbei. Section: Pia mater und Araohnoidea durch Exsudat
miteinander verklebt, blutreich; auf der Oberfläche der rechten
212 VIII. Orenser, 46. Jahresbericht über die Ereignis««
Hemisphäre in der Stirngegend unter den Häuten ein Bhit-
extravasat 1V2" lang und V2" breit. Lungen theilweise
ödematös, das Pericardium und Endocardium etwas getrübt,
das Herz etwas vergrösser t, sehr dickwandig. Beide Nieren
in der Substantia cortic. ziemlich blutreich , das Nierenbecken
mit Ecchymosen besetzt; der rechte Ureter an einzelnen
Stellen um das Dreifache ausgedehnt. Die Beckenmessung
im Leichnam ergab: Conjugata 3" 4'", Querdurchmesser des
Eingangs 4" 3'".
Hängebauch kam ausser bei den Schwängern, wo die
Conjugata beträchtlich verkürzt war, noch b«i 27 anderen
Mehrgebärenden vor und wurde durch Emporhalten während
der Geburt in allen Fällen unschädlich gemacht
Schiefheit der Gebärmutter höheren Grades beob-
achteten wir fünf Mal; in zwei Fällen, wo das Fruchtwasser
vorzeitig abgegangen war, bildete sich in deren Folge eine
nicht unbeträchtliche Anschwellung der vorderen Muttermunds-
lippe, weshalb erweichende Sitzbäder in Gebrauch gezogen
wurden.
Ebenso mussten wegen Rigidität des Muttermundes
erweichende Sitzbäder bei einer Erstgebärenden angewendet
werden.
Vollständige Atresie des Muttermundes erforderte
bei einer 28jährigen Erstgebärenden die blutige Eröffoung
während des -Geburtsactes. Die Person war während ihrer
Schwangerschaft wegen Excoriationen an den Muttermunds-
lippen und im Cervicalkanal zu wiederholten Malen mit
Argent. nitric. fus. intensiv cauterisirt worden. In Folge
dieser Cauterisation war Verwachsung des Mutter-
mundes entstanden. Bei Aufnahme der Gebärenden zeigte
sich das untere Uterinsegraent sehr verdünnt, der Mutterhals
völlig verstrichen und der Muttermund so glatt verwachsen,
dass sich kaum eine Andeutung davon fühlen Hess; der Kopf
stand im Beckeneingange. Kräftige Wehen drängten das
untere Uterinsegment bis in die Beckenhöhle, wobei dasselbe
bis zur Dünne eines Papierblattes gewöhnlicher Starke aus-
gedehnt wurde, während der Muttermund festverwachsen blieb.
Es wurde deshalb mittels des Oslander' sehen
Hysterotoms an der verwachsenen Stelle während
in dem EatbinduDgainstitute etc. zu Dresden im J. 1860. 213
einer Wehe ein Einschnitt gemacht, welcher zugleich
die Eihäute traf, so dass das Fruchtwasser dabei abschoss.
Unmittelbar darauf erweiterte sich der Muttermund bis zur
Tbalergrösse und nach anderthalb Stunden erfolgte in zweiler
Scbädellage die Geburt eines bereits längere Zeit abgestorbenen
Knaben von 5 Pfund Gewicht. 4)as Wochenbett verlief ohne
Störung.
Eine häutige Verwachsung des unteren Dritt-
tbeils der äusseren Schamlippen fanden wir bei
einer 22jährigen Erstgebärenden. .Während des Einschneiden
des Kindeskopfes, welches sehr allmälig erfolgte, gerade in
dem Momente, als wir eine Incision zu machen beabsichtigten,
beobachteten wir, wie zuerst am unteren Theile der
Verwachsung, dicht über dem Schambändchen, eine Oefihung
in Form einer Längenspalte entstand, welche sich nach vorn
vergrössernd innerhalb fünf Minuten die Brücke bis zur
Scheidenmündung immermebr verkleinerte und zuletzt voll-
kommen trennte. Kurz darauf erfolgte in erster Schädellage
die Geburt eines 14 Pfund schweren Mädchens, wobei der
Damm unversehrt blieb. Um Wiederverwachsung zu ver-
hüten, wurde in den ersten Tagen des Wochenbettes ein
beöltes Leinwandbäuschchen zwischen die Wundränder gelegt
Vorfall der vorderen Scheidenwand kam in fünf
Fällen bei Gebärenden vor; das Zurückhalten der herab-
getretenen Scbeldenwand mittels der Finger genügte, um
weiteren Nachtheilen vorzubeugen.
Struma massigen Grades complicirte sich drei Mal mit
der Geburt, ohne bedenkliche Athemnoth zu veranlassen.
In drei Fällen von Oedem der Schamlippen und
der Schenkel zeigte der Harn EiweissgehalL Die Geburten
verliefen dabei normal und Oedem und Albuminurie verloren
sieb schon in den ersten Tagen des Wochenbettes.
Ausser dem oben beschriebenen Falle von Eclarapsie,
complicirt mit Beckenenge, kam -am 16. -Juli ein zweiter zur
Beobachtung, welcher einen glücklichen Ausgang nahm. Eine
26jährige Erstgebärende wurde in Wehen in die Anstalt auf*
genommen. Es Hessen sich weder Fruchtbewegungen, noch
Herztone der Frucht wahrnehmen; die Schwangerschaft war
erst bis zur 36. Woche vorgerückt, der Muttermund ziemlich
214 Vm. Grauer, 46. Jahresbericht über die Ereigated
vollständig erweitert und ein vorliegender Fruchttbeil liess
sich mit dem Finger nicht erreichen. Beim Einfähren der
ganzen Hand fand man die erste Schulterlage und schritt
deshalb sofort zur Wendung. Währenddem traten eclatnptische
Convulsionen ein, so dass der gefasste rechte Fuss angeschlungen
und gewartet werden musste. Nachdem der Anfall vorüber
war, liess sich die Wendung durch den doppelten Handgriff
unschwer beenden, und man schritt sofort zur Extraction,
wodurch eine bereits macerirte frühzeitige Frucht zur Welt
gefördert wurde. Während der Extraction zeigte sich ein
dritter convulsivischer Anfall, welchem nach der Entbindung
noch zwei, aber von weit geringerer Intensität, folgten.
Darauf blieben die Anfälle von selbst aus und die Wöchnerin
konnte bereits am neunten Tage des Wochenbettes gesund
entlassen werden. Der Leichnam der Frucht zeigte bei der
Section fötale Peritonitis.
Metrorrhagie in der Eröffnungsperiode in Folge theil-
weiser Abtrennung der Placenta bei gehörigem Sitze derselben,
wurde durch künstliches Sprengen der Blase gestillt.
Wegen ungewöhnlich rapiden Verlaufs der Austreibungs-
periode, wurden zwei Kinder mit der Glückshaube ge-
boren. Da die Eihäute sogleich eröffnet wurden, erwuchs
daraus weder den Müttern, noch den Rindern ein weiterer
Nachtheil.
Vorfall des Armes neben dem Kopfe fand zwei Mal
statt-. Die Reposition des Armes gelang in beiden Fällen leicht
. Ebenso kam Vorfall der Nabelschnur in zwei Fällen
vor. In dem einen Falle liess sich die Schlinge mittels der
Hand vollständig reponiren und das Kind wurde lebend ge-
boren. In dem zweiten Falle ereignete sich der Vorfall der
Nabelschnur bei rhachitisch verengtem Becken, als der Mutter-
mund erst einen Zoll im Durchmesser erweitert war und alle
Repositionsversuche blieben fruchtlos, daher der Fötus starb.
Dammrisse höheren Grades sahen wir sieben, doch
erstreckte sich in keinem Falle die Ruptur bis in den Sphincter
des Afters. In sechs Fällen gelang unter Mithülfe des
Gollodiumverbandes die prima reunio; in einem Falle trat
Eiterung ein mit reichlicher Granulation, welche eine theil-
weise Schliessung der Wunde bewirkte.
in d«n Entbind aag»in«titvte etc. zu Dresden im J. 1Ä60. 215
Präcipitirte Geburten* fanden im Ganzen zehn statt.
Davon war in acht Fällen die Geburt bereits auf dem Wege %
nach der Anstalt erfolgt (ein Mal in einem Strassengraben,
ohnweit dem Dorfe Plauen, zwei Mal auf der Strasse, zwei
Mal in einer Droschke, ein Mal auf einem Fleischerwagen,
ein Mal auf dem Markte, ein Mal auf der Treppe). Jn keinem
Falle war hieraus den Müttern oder den Kindern irgend ein
NachtheU erwachsen.
Einen Anfall von Starrkrampf beobachteten wir bei
einer 23 jährigen, zum zweiten Male gebärenden Fabrikarbeiterin,
welche am 28. August früh 7 Uhr in der zweiten Geburts-
periode in die Anstalt gebracht worden war. Die Wehen
waren schwach und der Muttermund zeigte die Grösse eines
Zebnneugroschenstückes, als nach vorausgegangenem leichten
Kopfschmerz unerwartet ein Anfall von Starrkrampf eintrat,
während welchem die Kranke regungs- und besinnungslos
mit steifen Gliedern dalag. Der Anfall währte trotz aller
angewendeten Analeptica und Bubefacientia von Vormittag
7*10 Uhr bis Nachmittags 5 Ubr. Darauf klagte die Kranke
nur über leichten Schwindel und Kopfschmerz und gab an,
dass solche Anfalle von Starrkrampf bei ihr seit der Kindheit
habituell seien. Die Wehen schwiegen darauf ganz und der
Muttermund zog sich wieder einigermaassen zusammen. So
befand sich die Person wohl bis zum 12. September, an
welchem Tage von Neuem Wehen eintraten. Die Geburt eines
9 Pfund schweren, gesunden Knaben erfolgte am 13. Abends;
im Wochenbette blieb die Person frei von weiteren Anfällen.
Endlich erwähnen wir, als in gerichtlich -medicini scher
Hinsicht bemerkenswert!), eine Verheimlichung der Ge-
burt und Kindesmord. Die Betreffende, eine 23 Jahre ,
alte Dienstmagd, kam am 8. Mai in die Anstalt unter der
Angabe, sie sei von ihrer Herrschaft wegen Mutterblutung
hineingeschickt wordea Bei der Untersuchung fanden wir eine
Placenta in der Scheide, die sogleich entfernt wurde. Dieselbe
zeigte sich als einem reifen Kinde angehörig, 6 Zoll in ihrem
Durchmesser haltend, mit einem 8 Zoll langen Nabelschnurrest,
welcher scharf abgeschnitten schien. Da die Person durchaus
läugnete, ein Kind geboren zu haben, wurde der Fall ge-
richtlich angezeigt. Bei der gerichtlichen Haussuchung fand
216 VIII. Ortnier, 46. Jahresbericht über die Ereignete
man den Leichnam eines ausgetragenen Kindes und die
Person gestand nun ein, ihr Kind nach der Geburt erwürgt
zu haben.
Geburtshülfliche Operationen.
Von den vorgekommenen 35 Zangenoperationen
wurden indicirt:
10 durch Wehenschwäche,
14 durch Missverhältniss zwischen der Grösse der Frucht
und Weite der Geburtswege, wobei sich Kopf-
geschwulst bildete,
6 durch rhachitisch- verengtes Becken,
1 durch allgemein zu enges Becken,
1 durch Eclampsie,
1 durch Rigidität des Dammes,
2 durch Abgang von Meconium bei vorliegendem Schädel.
Sa. 35.
Die Operation wurde ausgeführt 25 Mal bei erster und
10 Mal bei zweiter Schädellage. So wurden extrahirt 23 Knaben
und 12 Mädchen, davon 32 (22 Knaben und 10 Mädchen)
lebend (darunter 12 asphyktisch), und 3, nämlich 2 Mädchen
und 1 Knabe, todt Als Ursache des Todes war zu starke
Compression des Gehirns während der schwierigen Zangen-
entbindung anzunehmen. Das Wochenbett verlief in 29 Fällen
ohne jede Störung, 4 Mal folgte Peritonitis mit glücklichem
Ausgange,* 1 Mal langanhaltende Endometritis, die jedoch
auch glücklich endete, und 1 Mal erfolgte der Tod in dem
oben beschriebenen Falle von Eclampsie, complicirt mit all*
gemein zu engem Becken.
Die Wendung wurde 6 Mal vollzogen, und zwar 5 Mal
auf einen Fuss, 1 Mal auf den Kopf. Ueber den ersten
Fall siehe die künstliche Frühgeburt. Ueber den zweiten,
welcher sich bei der von Eclampsie ergriffenen Gebärenden
nöthig machte, ist bereits unter den Anomalien der Geburt
berichtet worden. Zwei ganz ähnliche Fälle kamen im Juli
und September bei einer Zweit- ynd einer Erstgebärenden
vor. Beide Male war die Geburt in der 32. Schwangerschafts-
woche eingetreten, in beiden Fällen fand sich erste Schulter-
lage und die Früchte waren bereits macerirt. Bei der
iaüem EntbindnngBiiittitate etc. su Dresden im J. 1860. 217
Erstgebärenden musste wegen starker Metrorrhagie die Ex-
traction an den Füssen folgen. In dem fünften Falle kam
eine Drittgebärende mit völlig erweitertem Muttermunde und
springfertiger Blase in die Anstalt; auch hier stellte sich der
Fötus in erster Schulterlage zur Geburt; die Wendung war
leicht, die Austreibung des Fötus wurde den Naturkräften
überlassen, doch machten sich das Lösen der Arme und die
Entwicklung des Kopfes noth wendig; das Kind, ein 7V4 Pfund
schweres Mädchen, war zwar asphyktisch, wurde aber bald
zum Athmen und Schreien gebracht.
Die Wendung auf den Kopf kam bei einer 23jährigen
Erstgebärenden in Ausführung. Der Fötus stellte sich in
zweiter Schulterlage zur Geburt, das Fruchtwasser war so eben
erst abgeflossen, die vorliegende Schulter jedoch beweglich.
Während der Wendung, welche nach der Buech' sehen Methode
gemacht wurde, fiel der rechte Arm vor, der sich aber so»
gleich zurückbringen liess. Darauf trat der Kopf gehörig ein,
allein bei tieferem Herabdrücken desselben bildete sich Kopf-
geschwulst und die Herztöne wurden seltener, so dass sich
die Anlegung der Zange nötbig machte. Es wurde ein 7V2 Pfund
schweres Mädchen im Zustande der Asphyxie extrahirt, welches
sich durch kräftig angestellte Belebungsversuche allmälig er-
holte, so dass nach 17 Tagen. Mutter und Kind gesund ent-
lassen werden konnten.
Die Extraction an den Füssen machte sich zwei Mal
npthwendig nach vorausgegangener Wendung, ein Mal wegen
Eclampsie, das andere Mal wegen Metrorrhagie, worüber
schon berichtet worden ist.
Die Perforation mit nachfolgender Kephalo-
thrypsie betraf eine 38jährige Erstgebärende, welche bis
in ihr fünftes Lebensjahr an Rhachitis gelitten hatte. Die
Person war kleiner Statur, schlechter Ernährung, von
kachectischem Aussehen; der Unterleib stark ausgedehnt,
Hängebauch, Ober- und Unterschenkel verkrümmt, beträcht-
liche sattelförmige Einbiegung in der Kreuzgegend, Diagonal-
conjugata = 3 " 6 "', so dass die innere Conjugata = knapp 3 "
geschätzt wurde. Es waren von einem Geburtshelfer in der
Stadt bereits vergebliche Versuche mit der Zange gemacht
worden. Das Levret sehe scheerenförmige Perforatorium wurde
218 VIII. Qrenttr, 46. Jahresbericht über die Ereignis«
durch die sehr beträchtliche Kopfgeschwulst und dann so-
gleich mitten durch das vorliegende Scheitelbein eingestochen
und die Stichöflnung nach allen Seiten erweitert, wobei sich
schon ziemlich viel Gehirn entleerte. Um aber dieses noch
vollständiger zum Abgang zu bringen, wurde der Knopf eines
Mutterrohrs durch die bewirkte Scbädelöflhung eingeführt und
so durch Injectionen mit lauem Wasser das Gehirn vollständig
entfernt. Da fast gar keine Wehen mehr vorhanden waren,
wurde der Stanzonf&che Kephalotrib angelegt, welcher aber
wiederholt abglitt. So musste die Entbindung mittels des
Hakens beendet werden, welcher in der Orbita einen festen
Haltpunkt fand. Die Entbindung nahm 1% Stunde Zeit in
Anspruch. Es wurde ein Mädchen extrahirt, welches 18 Zell
lang war und ohne das entleerte Gehirn 8 Pfund wog. Die
Nachgeburt kam leicht, die Blutung war reichlich, ein Damm-
riss fand nicht statt Im Wochenbette folgte Peritonitis,
welche sich aber glücklich beseitigen liess, so dass die
Wöchnerin gesund entlassen werden konnte.
Den Kaiserschnitt bei der an Eclampsia Verstorbenen
haben wir bereits oben erwähnt.
Die künstliche Erregung der Frühgeburt kam in
Anwendung bei' der 38jährigen Ehefrau eines Handarbeiters,
welche bereits vier Mal schwere Perforationen überstanden
hatte. Die äussere Conjugata mit dem Baudelocque'schea
Tasterzirkel gemessen betrug 6V4", die Diagonalconjugata 4",
so dass die innere Conjugata zu 3" 3"' abgeschätzt wurde.
Ihren Angaben nach befand sich die Frau, als sie sich am
25. März in der geburtshülf liehen Lehranstalt einstellte, in
der 33. Schwangerschaftswoche. Wir säumten daher nicht,
bereits am 27. das Cohen'sche Verfahren einzuschlagen.
Schon eine Stunde nach der ersten Injection zeigten sich
leichte Wehen, welche nach drei wiederholten Injectionen
immermehr an Kraft und Dauer zunahmen, so dass binnen
zwanzig Stunden der Muttermund völlig erweitert und die
Blase springfertig war. Da ein vorliegender Kindestbeil mit
dem Zeigefinger sich nicht erreichen liess, wurde die Ge-
bärende auf das Querbett gebracht und die ganze Hand ein*
geführt, wobei sich der Fötus in erster Schulterlage zeigte.
Da sich bei der Wendung die Gebärmutter schnell und fest
in dem Entbindangtinetitute etc. sn Dresden im J. 1860. 219
zusammenzog, machte sich der doppelte Handgriff nöthig.
Der Steiss der Fracht kam nur sehr langsam zum Ein- und
Durchschneiden. Die Arme und der Kopf Hessen sich nicht
ohne Schwierigkeit entwickeln. So kam der Fötus todt zur
Welt; derselbe war weiblichen Geschlechts, 17 Par. Zoll lang
.und 7 Pfand schwer, so dass sich hieraus ergab, dass die
Schwangerschaft bereits viel weiter vorgerückt war, als nach
den Angaben der Person angenommen werden musste. Das
Wochenbett verlief ohne Störung.
In 12 Fällen sahen wir uns veranlasst; die Nach-
geburt künstlich wegzunehmen; 5 Mal machte sich
dabei die künstliche Lostrennung wegen theilweiser zu
fester Adhärenz der Placenta nothwendig. In einem
dieser Fälle, wo die Placenta an der vorderen Gebärmutter-
wand ansass, leistete das Ueberschlagen des rechten Schenkels
der Gebärenden über den operirenden rechten Arm des
Geburtshelfers, so dass die Trennung in der Seitenlage der
Gebärenden vorgenommen wurde , in Bezug auf leichtere
Ausführung der Operation gute Dienste. In den übrigen
7 Fällen wurde die Nachgeburt nur wegen Einsackung
und damit verbundener Metrorrhagie weggenommen.
Anomalien des Wochenbettes.
Entzündliche Affectionen des Bauchfelles kamen
im Ganzen 47 zur Beobachtung, ein im Vergleiche zu dem
vergangenen Jahre günstiges Yerhältniss, indem nur etwas
über 8 Procent der Wöchnerinnen davon ergriffen wurden.
Dazu kommt, dass in 29 dieser Erkrankungen die Entzündung
lediglich auf den Peritonäalüberzug des Uterus und dessen
nächste Umgebung beschrankt hlieb (Perimetritis) und Sina-
pismen und einfache Mohnsamenemulsionen hinreichten, die
Perimetritis in wenigen Tagen zu beseitigen. Weiter ver-
breitet zeigte «ich die Peritonitis in 18 Fällen, von denen
11 auf die Monate Februar und März kommen. Bei grosser
Schmerzhaftigkeit des Unterleibes leistete das Extract. thebaic.,
zu V2 gr. pr. dosi, zwei- bis dreistündlich gereicht bis zu
3 Gran, gute Dienste. Mit Ausnahme der folgenden zwei
Fälle genasen alle übrigen.
220 VII 1. Grenser, 46. Jahresbericht über die EreignUee
1. Eine 30jährige Näherin aus Dresden, welche bereits
tor fünf Jahren normal geboren hatte, kam als Gebärende
am 13. März in die Anstalt, wo schon in den Nachmittags-
stunden die Geburt eines 8 Pfund schweren Mädchens in
zweiter Schädellage erfolgte. Die Nachgeburt folgte regelrecht,
Blutung war gering. Während sich die Wöchnerin in den
ersten vier Tilgen ganz wohl befunden hatte , trat am 18. März
Fieber ein (Puls 120) und der Unterleib zeigte sich in der
rechten Weicbengegend schmerzhaft und erschien lympanitisch.
Cataplasmata emollieut., Cnguent. einer, und innerlich eine
Emulsion besserten den Zustand nicht. Da man aus den
veränderten Lochien auf Complication mit Endometritis schloss,
wurden Injectionen aus Hb. Cicutae in die Scheide gemacht.
Der Puls wurde aber immer schneller und kleiner (132 in
der Minute), die Kranke verfiel, delirirte und so trat am
23. März der Tod ein. Bei der Section zeigten sich die
Lungen frei, blutreich, theilweise odematös; der rechte untere
Lungenlappen nach hinten in grösserem Umfange luftleer,
das Herz normal, das Endocardium theilweise iuibibirL
Unterleib massig aufgetrieben, das Netz mit dünnen, gelb-
lichen Fibrinschichten bedeckt, theilweise verklebt; in der
Bauchhöhle wenig trübes, eiteriges Exsudat An der Ober-
fläche des rechten Leberlappens eine erbsengrosse rundliche
Narbe, die Gallenblase stark ausgedehnt, mit zahlreichen,
kirschkerngrossen Gallensteinen erfüllt. Der seröse Ueberzug
des Uterus injicirt, die Innenfläche mit breiigem, graurötblichem
Exsudate belegt und starke Injection der zunächst angrenzenden
Uterinsubstanz, an den Ostien der Tuben kleine, geschlängelte
Gefässe mit Eiter angefüllt. Linke Tube geschwellt, Fimbrien
sehr injicirt, in der Umgebung am Ligam. latum zahlreiche,
mit Eiter gefüllte Gefässe. Das linke Ovarium angeschwollen
mit stark injicirtem und ödemalösem Stroma. Mithin voll-
ständige Diagnose: Peritonitis, Endometritis, Oophoritis,
Lymphangioms, Oedema pulmonum, rechtseitige Lungen-
hypostase, Gallensteine.
2. Ein 24 jähriges Dienstmädchen, brünett, guter Er-
nährung^ hatte am 11. October Vormittags normal geboren,
als schon am folgenden Tage Symptome von Peritonitis, von
m dem Entbindnngsinstitate etc. «n Dresden im J. 1860. 221
der Gegend des linken Ligam. latum ausgehend, anflraten,
gegen welche Sinapismen, Cataplasmata, später auch Ungnent
einer., und innerlich Emulsionen vergeblich in Anwendung
kamen. Am 15. Oclober gesellten sich grosse Abspannung,
Eingenommenheit des Kopfes und Gehörschwäche hinzu, und
die Frequenz des Pulses steigerte sich bis zu 140. Unter
Fortdauer dieser Symptome und Zunahme der Tympanitis
starb die Kranke am 21. Oclober. Section: Pia mater stark
injicirt, nach hinten getrübt, Hirnsubstanz ziemlich blutreich.
Lungen und Herz normal. Bauchhöhle mit massenhaftem
eiterigem Exsudat erfüllt, Peritonäalüberzug der vorderen
ßauchwand, sowie der Därme, stark injrcirt. Innere Genitalien
normal Diagnose: Peritonitis mit eiterigem Exsudate, Hirn-
hyperämle.
Endometritis trat bei sieben Wöchnerinnen auf, wovon
vier Mal Gomplication mit Peritonitis vorhanden war. Es
wurden Iujectionen von einem Infus, hb. Cicutae gemacht,
bei sehr übelriechendem Wochenflusse ausserdem reinigende
Einspritzungen mit Zusatz von gepulverter Lindenkohle.
Innerlich reichten wir Emulsionen oder Kaiisaturationen.
Endoiolpitis kam 32 Mal vor, wovon zwei Mal in
Gemeinschaft mit Peritonitis. In der Hälfte dieser Fälle kam
es zur Geschwürsbildung, deren Heilung unter Beobachtung
grosser Reinlichkeit und Belegen der Geschwürsflächen mit
Charpie jedoch immer in Zeit von 8 — 12 Tagen gelang.
Mania puerperalis beobachteten wir ausser in dem
oben (s. Frühgeburten) berichteten Falle, wo eiterige Meningitis
zu Grunde lag, als reine Neurose ohne materielle Begründung
bei einer Wöchnerin, wie es schien, nach einer gemüthlichen
Aufregung. Drei Gaben Morphium acetic. (V4 gr. pr. dosi)
•reichten hier hin, ruhigen Schlaf zu bewirken, aus welchem
die Wöchnerin gesund erwachte.
Lungentuberculose complicirte sich fünf Mal mit
dem Wochenbette, ohne in den ersten neun Tagen, wo die
Kranken in unserer Pflege waren, sich zu verschlimmern.
Ein Linctus mit Zusatz von Morphium nützte insofern, als
er den lästigen Hustenreiz sehr verminderte und Ruhe schaffte.
Pneumonie trat bei einer Wöchnerin am dritten Tage
nach der Niederkunft ein. Die Entzündung beschränkte sich,
232 VIII. Qrenstr, 46. Jahresbericht über die Ereignisse
wie die physikalische Untersuchung ergab, our auf den
unteren Lappen der rechten Lunge. Cataplasmata emollientia
und ein leichtes Infus, rad. ipecac. genügten, die Entzündung
zu beseitigen, so dass die Wöchnerin am 15. Tage entlassen
werden konnte.
An Rheumatismus acutus litten sechs Wöchnerinnen.
Der Rheumatismus war in den Extremitäten localisirt, in
zwei Fällen in Form einer Arthrophlogosis pedis. Senfteige,
einige Schröpfköpfe und Einwickelungen in Flanellbinden
leisteten gute Dienste.
- Harnverhaltung in Folge entzündlicher Anschwellung
des Bläsenhalses kam 39 Mal im Wochenbette vor. In
25 Fällen beschränkte sich dieselbe auf nur einen Tag, in 9
auf zwei Tage, in 2 auf vier Tage, in 2 auf sieben Tage
und im hartnäckigsten Falle auf zwanzig Tage. Katheterismus
und ruhige Bettlage reichten zur Heilung hin.
Bedeutende Metrorrhagien traten in den ersten zwei
Stunden nach Entfernung der Nachgeburt in Folge von Atonta
uteri bei sechs Wöchnerinnen auf. Vier Mal genügte zur
Stillung der Blutung die Wegnahme der in der Gebärmutter-
höhle angesammelten Blutgerinnsel mittels der eingeführten
ganzen Hand, und Compression der Gebärmutter von den
Bauchdecken aus, nebst einigen Gaben Zimmttinctur. Zwei
T^alle machten jedoch noch ausserdem Einspritzungen von
Oxykrat nöthig. Wegen hochgradiger Anämie wurde eise
Wöchnerin am zehnten Tage des Wochenbettes zur weiteren
Verpflegung an das Sladtkrankenhaus abgegeben.
Darmkatarrhe und dadurch bedingte profuse Diarrhöen
waren iu den Wintermonaten ziemlich .häufig, fanden aber,
unter Mithülfe einiger Gaben des ExtracL thebaic, durch die
vermehrte Hautthätigkeit im Wochenbette gewöhnlich sehr
schnelle und gründliche Beseitigung. .
Gegen wunde Brustwarzen, die leidige Plage stillender
Wöchnerinnen, wendeten wir oft mit Nutzen ein Gemenge
von 1 Drachme Benzoetinctur und einer halben Unze fetten
Rahmen an. Wo es aber zur wirklichen Schrundenbilduog
und Exiliceration kam, wurde ein Gemenge von gleichen
Theilen Pulv. Corlic. Chinae subtilis&imus und Gummi arabicum
eingestreut.
in dem Entbind angain st i tote etc. au Dresden im J. 1860. 223
Anomalien der Neugeborenen.
Nach der Geburt verstarben in der Anstalt 18 Kinder,
und zwar:
3 an hochgradiger Atelectasis pulmonum,
5 an Lebensschwäche in Folge frühzeitiger Geburt,
7 an Convulsionen in Folge von Hirnuyperämie,
1 an Peritonitis in Folge einer Verbildung des Oeso-
phagus. Die Section wies hier nämlich einen sack-
förmigen Divertikel des unteren Theils des Oesophagus
unmittelbar über dem Zwerchfell mit hämorrhagischer
Infiltration seiner Wände, Peritonitis, Eechymosen
des Pericardiums, Katarrh des Magens und der Darm-
schleimhaut, Anämie und Induration der Leber und
Milztumor nach.
1 an Perforation des Zwerchfells, hinter dem
Magen nach links; durch' die perforirte Stelle war
eine Schlinge des Dünndarms und des Dickdarms in
die Brusthöhle getreten, welche letztere Darmschlinge
mit Meconiura strotzend angefüllt war; die linke
Lunge war dadurch fast völlig comprimirt, die rechte
in ihrem oberen und mittleren Lappen lufthaltig,
während der untere theilweise luftleer erschien;
1 an einer Verbildung des Herzens. Das betreffende
Kind, weiblichen Geschlechts, 9 Pfund schwer, lebte
bis zum vierten Tage, scheinbar gesund, als es
plötzlich starb. Die Section ergab am Pericardium
zahlreiche Eechymosen, das Herz erschien breit und
schlaff; das Foramen ovale nicht geschlossen und
nur ein Ventrikel vorhanden, aus welchem die
Aorta entsprang, welche die Pulmonalarlerien abgab.
Sa. 18/
Ausser den obengenannten sieben Fällen von Cou-
vulsionen, welche tQdtlich abliefen, behandelten wir noch
sechs, welche unter dem Gebrauche des Calomel in Verbindung
mit Flor. Zinc, Bädern und Kamillenklystieren glücklich endeten.
Wegen beträchtlicher Kopfgeschwulst und Sopor
des Neugeborenen in den era|pn Lebenslagen, welche Hirn-
224 VII L Gremter, 46. Jahresbericht über die Ereignis»
hyperämie annehmen Hessen, wendeten wir in drei Fällen
äusserlich kalte Fomentationen und innerlich Calornei mit
Nutzen an.
i
Cephalaematoma massigen Grades wurde zwei Mal
beobachtet und die Zertheilung der Natur überlassen.
Furunculosis zeigte sich bei zwei Neugeborenen, kam
aber unter dem Gebrauche von Leinmehlbreiumschlägen bald
zur Heilung.
Bei 29 Kindern kam die Ophthalmia neonatorum
vor. In 17 dieser Fälle blieb dieselbe nur auT 1 Auge be-
schränkt, während 12 Mal beide Augen ergriffen waren. In
zwei Fällen waren die Wucherungen auf der Conjunctiva
palpebrarum so bedeutend, dass blosse Einträufelungen der
Solutio argent. nitric. nicht hinreichten, sondern Cauterisationen
mit Lapis infernalis in Substanz gemacht werden mussten,
die auch guten Erfolg hatten. Während 28 Mal die Heilung
vollkommen gelang, blieb in einem Falle eine Macula corneae
zurück. Bei Geschwürsbildung auf der Cornea wendeten wir
mehrmals die Tinct thebaica und das Zinc. sulfuricum an.
Ein überzähliger Finger an der rechten Hand neben
dem kleinen Finger wurde durch Abbinden entfernt. In
einem anderen Falle zeigte ein übrigens wohlgebautes, sehr
kraftiges Mädchen, an jeder Hand einen vollständigen
sechsten Finger mit Phalangen und Metacarpusknochen.
Andere Bildungsfehler ausser den oben genannten, welche
den Tod schon in den ersten Lebenstagen bedingten, kamen
keine vor.
Unterricht in der Geburtshülfe wurde 18 Studiren-
den und 52 Schülerinnen ertheilt.
in dem Entbiadungsiastitute etc. «u Dresden im J. 1860. 225
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226 IX. Notizen aas der Journal -Literatur.
IX.
Notizen aus der Journal-Literatur.
Coekl'e: Spontane Beratung einer Eierstockskyste.
0. zeigte in der medioinischen Gesellschaft zu London «ine
Eierstockskyste und ein Stück Darm, in welchen sich der Inhalt
der Kyste ergossen hatte und durch den After abgegangen war.
Die Kranke. war 60 Jahre alt gewesen und hatte zwei Mal heftige
Leibschmerzen und Erbrechen gehabt, als sie in's Hospital kam.
Bald nach der Aufnahme schwand der Ascites, wegen welches
sie gekommen war, und es zeigte sich eine Eierstockskyste, die
bis gegen die Leber reichte und diese dislocirte. Es wurde die
Punktion gemacht und nach Entleerung einer reichlichen klebrigen
Flüssigkeit die Kranke als gebessert wieder entlassen. Nach
einigen Tagen hatte sie das Gefühl, als ob ihr innerlich etwas
abginge und eine eigenthümliche Masse ging durch den Darm
ab, was den Durchbruch klar machte. Die Kranke starb bald
und es zeigte sich die Durchbruchsstelle in den Mastdarm hinein.
Eigentümlich war, dass die Kranke nur eine Niere von
91/* Unzen Gewicht und einen Ureter hatte.
Haherehon hat mehrere ähnliche Fälle beobachtet; in dem
einen communiclrte die einfache Kyste mit dem Coecum.
Salter berichtet: Eine alte ledige Dame litt lange an Eierstocks-
Wassersucht und war sehr oft ohne dauernden Erfolg gezapft
worden. Eines Tages fühlte sie ein Bersten in ihrem Leibe und
es stellte sich der Ausfluss aus der Vagina ein, der längere Zeit
anhielt. Die Kyste füllte sich nicht wieder und die Kranke
starb später an einer anderen Krankheit.
Harding berichtet von einem Falle* wo der Durchbruch in
die Harnblase und vollkommene Genesung erfolgte.
Henry Lee untersuchte vor einiger Zeit einen Fall, wo die
Kranke eine Zettlang den Ausfluss aus dem Darme gehabt hatte,
wo beide Ovarien abscedirt waren und der Eiter In den Darm
durchgebrochen war.
Leared beobachtete den spontanen Durchbruch nach aussen.
Die Kranke starb.
(The X,ancet, 26. Oct. 1861, p. 401.)
IX. Notizen ans der Journal -Literatur. '227
Spencer Well»: Spontane Berstung einer Eierstockskyste
mit ungünstigem Aasgange.
Eine 23jährige Frau, welche an einer grossen Kyste litt,
wnrde pnnktirt, blieb die ersten 24 Stünden danach wohl, dann
aber begannen die Erscheinungen der Peritonitis mit reichlichem
Erguss, an welcher sie am sechsten Tage starb. Am Abende
vor dem Tode war durch die Punktionsöffnung ein Katheter ein-
geführt and drei Pinten einer trüben flockigen Flüssigkeit ab-
genommen worden. Bei der Section fand sich eine bedeutende
Menge derselben Flüssigkeit in der Bauchhöhle, die zusammen-
gesetzte Kyste umgebend. Eine grosse Kyste auf der unteren
hinteren Fläche war in die Bauchhöhle hinein geborsten und ihr
dickerer gelatinöser Inhalt, sowie Blut füllten das Becken.
(Patholog. Gesellschaft an London, 19. Mars 1861, Med.
Times and Qasette, 30. Mars 1861.)
8peneer Welle: Zwei Fälle von Ovariotomie.
Der erste Fall betraf eine 27jährige ledige Person, die nie
gezapft worden war. Die Kyste war einfach, doch eine kleine
Gruppe von secandären Kysten sprach gegen Jodinjectionen.
Der Inhalt betrag 44 Pinten, die Operirte ist ganz wohl.
Im zweiten Falle war die Kyste zusammengesetzt, die grösste
enthielt 20 Pinten. Die Kranke war ledig, 35 Jahre alt and
zwei Mal pnnktirt. Sie genas schnell.
(Geburtsh. Gesellsch. in London, 2. Oct. 1861, in The Lancet,
19. Öct. 1861.)
B. Brown: Ovariotomie.
B. operirte vor einigen Wochen ein 21 jähriges Mädchen, die
vorher pnnktirt worden war. Der Inhalt betrag 17 Pinten. Die
Kranke genas.
(Patholog. Gesellsch. in London, 16. Oct. 1861, in The Lancet,
19. Oct. 1861.)
Spencer Welle: Fall von Ovariotomie mit glücklichem
Ausgange.
Eine ledige 22jährige Dame in Liverpool litt seit Jahren
an Ovarienkysten, war vor 14 Monaten pnnktirt worden mit
nachfolgender Jodinjection. Es wuchs eine andere Kyste hervor
and nun wurde die Ovariotomie beschlossen. Es fand sich nur
eine leichte Adhäsion mit dem Netze, die leicht gelöst wurde
16*
228 H.« Notizen ans der Journal -Literatur.
und dio ganze Operation ging gut von Statten und die Kranke
genas. Die Geschwulst wog mit Inhalt 16 Pfand. Interessant
war der Befund der zusammengeschrumpften, früher mit Jod
injicirten Kyste. Dieselbe hing wie eine fibröse Masse' der Kyste
an und erschien verdickt und geschrumpft. — Wells fügt hinzu,
dass er' in einer Woche drei Ovarienkysten im Samariter Spital
zur Behandlung bekommen habe. Bei der einen machte er die
Ovariotomie und sie genas, bei der zweiten injicirte er Jod und
sie genas auch, bei der dritten punktirte er einfach und hier
trat Peritonitis an der entleerten Kyste auf und die Kranke
starb an Erschöpfung. Im Ganzen hat WelU bisher 22 Ovario-
tomien gemacht und 16 Genesungen bewirkt. Nur ein Mal war
keine Punktion vorausgegangen.
Oibb legt ein PrHparat vor, welches B. Brown ezstirpirt
hatte, bestehend in einer mehrfachen Eierstockskyste der rechten
Seite und einem Fibroid des linken Eierstockes. Die Kranke
war unverheiratet, 48 Jahre alt und litt erst seit einem Jahre
an den Geschwülsten. Die Exstirpation ging glücklich von
Statten, die Wunde wurde mit Silberdrähten geschlossen und
erfolgte vollständige Genesung. Es war dies die neunte Ovario-
tomie im Surgical home of Women und der sechste gunstige
Ausgang.
(Pathol. Gesellsch. in London, 19. März 1861; Med. Times
and Gazette, 30. März 1861.)
e Scantoni: Ueber C opcygo dynie.
Schon vor längerer Zeit wurde die Aufmerksamkeit des
Verf. auf einen eigenthümlichen , zuweilen sehr heftigen Schmerz
gelenkt, welcher theila für sich allein, theils in Begleitung
anderer Erkrankungen benachbarter Organe in der Gegend dea
Steissbeines auftritt und ein Symptom darstellt, welches bis jetzt
nur noch sehr wenig beachtet , doch seiner Heftigkeit wegen die
'Aufmerksamkeit der Gynäkologen verdient. Simpson hat bis
jetzt diese Affection genauer gewürdigt und zwar nur bei Frauen
beobachtet, die eine Erkältung oder traumatische Einwirkung
als Ursache dieses, in der Steissbeingegend auftretenden Schmerzes
angaben. Das Niedersetzen, Sitzen, Aufstehen, bisweilen auch
das Gehen ist den Patienten sehr beschwerlich, während bei
Anderen besonders die Stuhlentleerung es ist, welche heftige
Schmerzen verursacht. Selbige werden durch Druck auf die
Steissbeingegend gesteigert, ebenso durch Versuche, den Knochen
vor- und rückwärts" zu bewegen. Das Uebel dauert oft Jahre
lang und zeigt gewöhnlich bei einer und derselben Kranken eine
merkliche Zu- und Abnahme. Simpson wandte dagegen die ver-
IX. Notizen aus 3er Journal -Literatur. 229
schiedensten Mittel frachtlos an. Einige Male haben örtliche
Blutentziehungen und Blasenpflaster gute Dienste geleistet; die
subcutanen Einspritzungen einer Morphiumlösung wirkten höchstens
palliativ. In solchen hartnackigen Fällen fährte Simpson mit
einigem Erfolg die subcutane Tenotomie aller sich am Steissbein
anheftenden Sehnen aus nnd räth, sollte auch dieses nicht zum
Ziele führen, das Steissbein vollständig oder theilweise ab-
zutragen.
Scantoni beobachtete während der letzten vier Jahre 24 hierher-
gehörige Fälle, nnd zwar nur bei Frauen, welche geboren hatten.
Neun Frauen gaben mit Bestimmtheit an, dass der Schmerz in
einem Wochenbette zum ersten Male aufgetreten sei, und unter
diesen 9 Frauen befanden sich 6, die nur 1 Mal geboren hatten;
in 6 Fällen trat dieses Leiden unmittelbar nach einer Zangen-
operation auf. Es dürfte demnach anzunehmen sein, dass der
Qeburtsact eine wesentliche, r wenn auch nicht die Hauptrolle in
der Aetiologie dieses Leidens spiele, was dadurch um so wahr-
scheinlicher wird, als Läsionen des Steissbeins und seiner Bänder
beim Durchtritte des Eindeskopfes durch den Beckenausgang
unvermeidlich sind. Dass dieses wirklich häufig geschehen mag,
dafür sprechen die Untersuchungen JUischka'B und HyrtVa, welche
beweisen, dass Ankylose der Steissbeinwirbel, namentlich zwischen
drittem und viertem Wirkel, sehr häufig vorkommen.
Ferner bemerkt Verf., dass auch der Einfluss des häufigen
und lange fortgesetzten Reitens bei der Entstehung des frag-
lichen Uebels Berücksichtigung verdiene, nnd er nennt zwei
Patienten, welche die Gewohnheit des Reitens als Ursache ihres
Leidens angeben.
Von den 24 vom Verf. beobachteten Fällen endeten nur 10
mit vollkommener Heilung, in 9 wurde eine merkliche Besserung
erzielt und in den übrigen blieb der weitere Verlauf unbekannt.
Die Hartnäckigkeit des Uebels beruht theils auf dem eigenthü ra-
uchen Verhältnisse des Steissbeines zu den Nachbartheilen,
theils auf den das Leiden so häufig begleitenden Erkrankungen
dieser letzteren selbst. Jede Bewegung einer unteren Extremität,
jedes etwas raschere Niedersetzen Und Aufstehen, jede Ent-
leerung etwas härterer Fäces ruft eine Locomotion des Knochens
oder seiner Verbindung hervor, die nothwendig der Beseitigung
der daselbst vorhandenen anatomischen Veränderung hindernd
entgegentritt. Andererseits sieht man, dass das Leiden schwindet
und sich doch verringert, sobald es gelingt, das den Steissbein-
schmerz begleitende Leiden der Oeschlechtstheile zu heben oder
doch zu verringern. Bezüglich der Symptome der Coccygodynic
fand Verf. die schmerzende Stelle in den meisten Fällen ziemlich
unscheinbar wkI beschränkt auf die Steissbeingegend und dem
untersten Umfange des Kreuzbeines, von wo sich der Schmerz
230 IX« Notixen aus der Journal -Literatur.
zuweilen den am meisten nach Innen gelegenen Theilen einer
oder beider GefässhKlften mittheilt. Beinahe oonstant zeigte
sich die Steissbeingegend gegen Druck empfindlich, namentlich
bei Berührung der hinteren Fläche; am heftigsten wurde er
jedoch gesteigert bei jedem Versuche, das Steissbein mittels
eines stärkeren Druckes aus seiner Lage au verrücken. Die
Prognose ist im Gänsen ungünstig, namentlich in denjenigen
Fällen, wo die Anamnese eine bedeutendere traumatisehe Ver-
letzung des Steissbeines und seiner Umgebung, wie sie bei
schweren Gebarten so leicht erfolgt, vermuthen lässt, insbesondere
dann, wenn sich Dislocationen, Anschwellungen oder sonstige
Veränderungen der Steinb einstücke mit Sicherheit ermitteln
lassen. Hier ist die Dauer des Schmerses in der Regel eine
jahrelange und das Leiden schwindet gewöhnlich erst dann,
wenn die Erregbarkeit der Nerv, coceygei durch den anhaltenden
Druck bedeutend gemindert worden ist.
Was die Behandlang anlangt, so hat sioh Verf. überzeugt,
dass alle direct gegen die Coccygodynie gerichteten Mittel er-
folglos bleiben, so lange sich eines der Nachbarorgane in einem
Zustande befindet, der entweder mechanisch die Umgebung be-
helliget oder durch Unterhaltung chronischer Stasen die Erregbar-
keit der Nerv, coecygei steigert. Neben der Behandlung der
Nachbarorgane kann aber auch ein unmittelbar gegen die
Coccygodynie gerichtetes Verfahren Plats greifen. In frischen
Fällen räthVerf. neben grosser Buhe, aar örtlichen Antiphlogose ;
ausserdem verhüte man die Anhäufung festerer Kothmassen durch
milde Abführmittel oder tägliche Klystiere. Fehlen jedoch
hyperämische Erscheinungen, so ist ein antineuralgisches Ver-
fahren einzuschlagen, namentlich subcutane Injectionen einer
Morphiumlösung.
(Würzburg, medicin. Zeitschrift, Bd. 2, Hft 4, 1861.)
Simpion: Fall von Coccygectomie bei Coccygodynie.
Die Kranke litt in Folge einer Erkältung seit Monaten an
Coccygodynie in sehr heftiger Weise und ununterbrochen. Am
erträglichsten waren die Schmerzen beim Stehen and Gehen,
dagegen konnte sie sich nicht bequem auf einen Stuhl setzen,
sondern immer nur auf einer Hinterbacke, auch war das Liegen
auf dem Bücken im Bette unmöglich. Nach vergeblicher An-
wendung Verschiedener Mittel wurde sie auf 14 Tage durch
Isolirung des Steissbeines von den umgebenden Theilen mittels
der Operation befreit. Da die Schmerzen jedoch wiederkehrten,
kam sie ins Hospital und hier wurde der Steißsknochen mit
bestem Erfolge exstirpirt, so dass die Kranke nicht nur völlig
IX. Notizen an« der Journal -Literatur. 231
von ihren Schmerzen genas, sondern auch nicht die geringste
Störung durch die Entfernung des Knochens zurückbehielt.
In den meisten von S. beobachteten Fallen reichte die Ab-
trennung des Steissb eines von seinen Muskeln und Sehnen zur
Heilung vollständig aus. Die Schmerzen liegen aber in, ver-
schiedenen Muskel parthien und deshalb ist zuweilen eine Wieder-
holung der 'Trennung nöthig, wenn beim ersten Mal wohl nioht.
alle Fasern durchschnitten worden waren.
(VerhandL der Edinburger geburtsh. Gesellschaft vom
28. Mars 1860; Edinburgh med. Journ., July 1861, p. 87.)
Baker Brown: Ueber die- chirurgische Behandlung der
Uterusfibroide.
Erster Fall. Intrauteriner fibröser Tumor, seit
sieben Jahren bestehend. Operation. Heilung. — Die
35jährige Kranke wurde am 14. April 1859 in's London Surgical-
Home in einem Zustande höchster Anämie und Frostration auf-
genommen. Gleichzeitig bestandene Schmerzen im Epigastriuni
, und acht Tage anhaltende Blutungen aus den Genitalien, die
alle 14 Tage wiederkehrten. Die Untersuchung constatirte einen
faustgrossen fibrösen Tumor im Uterus. Nachdem sich Pat. erholt'
hatte, incidirte Verf. am 25. Mai die Muttermundsränder, worauf
die Blutungen etwas nachliessen. Nachdem sieh Pat. drei Monate
auf dem Lande aufgehalten hatte, schnitt Verf. am 27. October
ein Stück von dem Tumor ab, wodurch dessen Wachsthura ver-
zögert wurde. Bei jeder Menstruation hatte nun Pat. mehr.
Schmerzen, was Verf. aus der zunehmenden Blutfülle des Uterus
zu dieser Zeit erklärte. Die Schmerzen mit gleichzeitiger Aus-
stos8ung der Geschwulst wichen im Februar 1860 und am 21.
war Pat. geheilt.
Zweiter Fall. Intrauterines Fibro-Cystoid; Operation;
Besserung. — Pat., 30 Jahre alt, hat drei Mal geboren und
leidet seit ihrer ersten Niederkunft an starkem Scheidenfiuss und
Blutungen. Zwei Jahre nach ihrer letzten Entbindung fühlte sie
eine Geschwulst im Leibe , die sich allmälig vergrösserte. Nach-
dem die sehr heruntergekommene Pat. dnrch tonische Mittel und
kraftige Diät etwas gestärkt worden war, zerschnitt Verf. am
6. Juli 1861 die Muttermundsrander und am folgenden Tage mit
einer spitzen Scheere die Geschwulst selbst, was einen Stillstand
in dem Wachsthnme derselben, bei gleichzeitiger Ausstossung
einzelner Stücken, zur Folge hatte. Pat. bekam Symptome von
Pyämie, erholte sich jedoch. Fünf Monate spater traten von
Neuem Hämorrhagien auf.
282 **• Notiien ans der Journal -Literatur.
Dritter Fall. — Pat., seit 12 Jahren krank, 46 Jahre alt,
zeigt bei der Untersuchung ein apfelgrosses Fibroid. Das Hymen
ist unverletzt, der Mutterhals normal. Am 19. November wurde
nach Trennung des Muttermundes und Mutterhalses, ein Stück
ausgeschnitten und sein Gewebe lerstört. Blutung gering. An
den folgenden Tagen trat Pyämie ein, welche am sehnten Tage
nach der Operation den Tod der Patientin herbeiführte. Die
Section zeigte eine diffuse eiterige Infiltration. Verf. glaubt den
ungünstigen Verlauf auf die gleichseitig ausgeführte Incision und
Zerstückelung des Tumor bringen zu müssen, und führt seitdem
die Operation in zwei Sitzungen aus. Die Resultate waren auch
im vierten und fünften Falle günstig und führte die Operation
durch allmäligen Schwund der Geschwulst zur Heilung.
Sechster Fall. Drei Fibroide. Operation. Heilung. —
Die Pat., 87 Jahre alt, war schon vor sieben Jahren vom Verf.
wegen eines fibrösen Polypen operirt worden. Seit zwei Jahren -
stellten sich Schmerzen und Hämorrhagien ein und wurde die
Diagnose auf drei in der Nähe des inneren Muttermundes sitzende
Fibroide gestellt. Am 16. Januar schnitt Verf. auf jeden Tumor
ein, wonach sich ein schleimig -eiteriger Ausfluss einstellt. Am
16. Februar war nur noch ein Tumor zu fühlen, der jedoch nur
die Hälfte seiner früheren Grösse besass. Die Hämorrhagien
verschwanden.
Verf. führte die Operation mit den von Harper angegebenen
Instrumenten aus und schliesst mit den Bemerkungen:
1) Die TJterusfibroide können durch theilweise Incision be-
seitigt werden.
2) Die Operation kann zur Heilung führen. Von mehr als
ein Dutzend Operirten starb nur eine. ,
3) Die vorläufige Trennung der Muttermundslippen und des
Uterushalses bewirkt sehr häufig einen Stillstand oder doch
Nachlass der Hämorrhagien.
(The Lancet, Bd. I., No. XI., 1861.)
O. Braun: Ueber das technische Verfahren bei ver-
nachlässigten Querlagen und über Decapitations-
instrumente.
Verf. schildert die Schwierigkeiten und Gefahren einer
forcirten Wendung nach Abfluos des Fruchtwassers und bei fester
Contraction des Uterus und findet es durchaus gerechtfertigt, in
jenen Fällen von vernachlässigten Querlagen, wo die Früchte
bereits abgestorben sind und die Wendung ohne Lebensgefahr
für die Mutter absolut nicht mehr ausführbar ist, durch Ver-
kleinerung der Frucht die Entfernung derselben aus der Gebär-
mutterhöhle zu bewerkstelligen.
IX. Notizen aus der Journal -Literatur. 23$
Zur Verkleinerung des kindlichen Rumpfes bei Querlagen
benutete man seit alter Zeit drei Methoden, welche a) theils in
der Eröffnung der Brust- und Bauchhöhle mit nachfolgender
Entfernung des Inhaltes; b) theils in der Ampntation oder
Enucleation des vorliegenden Armes; c) theils in der Absetzung
der Wirbelsäule in der Halsgegend mit gleichseitiger Durch-
trennung der in der Umgebung befindlichen Weichtheile be-
standen. '
Die erste Methode ist nur dann zu machen, wenn die
Wendung unmöglich ist und die Decapitation wegen au grosser
Entfernung des Halses vom Becken ans nioht ausführbar ist.
Die Abtrennung der Arme wird von den meisten neueren
Geburtshelfern mit Recht als überflüssig verworfen.
Die dritte Methode, die Decapitation wird stets nur in jenen
Fällen von vernachlässigten Bchulterlagen ausgeführt, wo der
Arm tief in den Beckencanal herabgepresst wurde, die Wendung
selbst unter der Chloroformnarkose unmöglich, der kindliche
Hals erreichbar, das Kind todt und reif ist.
Die Technik ist eine vielfache, Dubois machte die Decapitation
mit der stumpfen Smettie* sehen Incisionssefaeere, J. Klein benutste
den ßmellie' sehen halbstumpfen Haken, mit welchem er den Hals
berabeog und die Durchtrennung der Halswirbelsäule mit einer
stumpfen geraden Scheere vollsog. Bamtbothatn, Cazeaux, Scantoni
n. A. benutzten einen in der Krümmung scharf schneidenden Haken
von Levret- Davis; Kilian brachte in dem stumpfen Haken eine
Kettensäge an; bei Baudelocque's 8omatome wird durch eine
complicirte Vorrichtung eine convexe Messerklinge in die Con-
oavität des stumpfen Hakens vorgeschoben; ähnlich ist der
Apparat von Concato; Heyerdahl und Kierulf empfahlen, den Hals
mit einer starken Schnur aus Hanf oder Beide durchzuschneiden;
Faye schlug eine Kettensäge vor, welche an der gewöhnlichen
Geburtszange angebracht ist, ähnlich wie Van IfaeWsForceps-scie;
C, Braun einen geknöpften Sobiösselhaken, Scantoni den Auchenister,
bei welohem ein Messer in die Concavität eines stumpfen Hakens
eingetrieben wird.
Da das letzte Instrument bisher nur an Kindesleichen versucht
worden ist, so hat Verf. zunächst die Versuche fortgesetzt und
theift deren zehn mit, bei denen sich das Instrument in mehr-
facher Hinsicht unzureichend zeigte. Aehnliohe Versuche wurden
auch von den Assistenzärzten Madurowicz und Biedl mit dem-
selben Erfolge ausgeführt. — Verf. hält demnach den Auchenister
für nicht verlässlich, da einer mangelhaften technischen Con-
struetion zufolge, Messerhülse und Messerklinge nioht jedes Mal
rechtzeitig beim Vor- und Rückwärtsbewegen sich vor und zurück-
begeben; er ist ebenso wenig tauglich wie der Somatome von
Bamdelocque und der Decapitator von Conoato, weil er auf dem
234 HL» Notizen aus der Journal -Literatur.
falschen Principe beruht, durch Druck zu wirken, schneidende
Instramente müssen aber stets anch durch Zug wirken. Ans
demselben Grunde ist auch der perforatorische Kephalotribe von
Cohen unzweckmässig. Der Auchenister ist ferner leicht aer-
brechlioh und für den Arzt gefährlich.
Dagegen berichtet Verf. 18 Geburtsialle, in welchen der
Braun' ache Schlüaselhaken von verschiedenen Geburtshelfern
(C. Braun, Spaeth, Ghiari, Bartsch, Q. Braun, Habit, Klein, Streng,
Thoma$, Lemke) mit Erfolg angewendet wurde und sieht aus
diesen Beobachtungen folgende Schlüsse : 1) Der Schlüaselhaken
als stumpfes Werkzeug bringt bei einiger Vorsicht weder für die
Mutter, noch für den Operateur Gefahr; 2) er ist ein einfaches,
wohlfeiles Instrument, nicht leicht Reparaturen ausgesetzt; 3) er ist
vollkommen tauglich , die Halswirbelsäule und umgebenden Weich-
theile abzusetzen; 4) es ist nicht immer noth wendig , sammtliehe
Weich theile des Halses zu trennen, da sie wegen ihrer Elasticität
das Herabsiehen des Rumpfes gestatten; 6) die Decapitation mit
dem Schlüsselhaken ist jedenfalls einer forcirten Wendung, selbst
nach vorausgeschickter Exenterise vorzuziehen; 6) durch den
Sohlüsselhaken sind alle schneidenden, bei ihrer Anwendung
entweder unsicher wirkenden oder selbst verletzenden Instrumente
vollkommen überflüssig gemacht.
Nachträglich berichtet Verf. noch eine günstige Beobachtung,
welche Boa&i in Graz- mit dem Schlnsselhaken machte.
(Wiener medic. Wochenschrift, No. 45 — 60, 1861.)
Scanzoni: Ein Fall von Anwendung des Auchenisters
am Kreissbette.
Verf. veröffentlicht eine briefliche Mittheilung des Prof. Walter
in Dorpat über einen Geburtsfall, in welchem letzterer mit Erfolg
den Auchenister angewendet hat. Walter bemerkt hierbei, dass
dies in einer 42jährigen Praxis der zweite Fall gewesen sei,
wo ihm die Decapitation nothwendig erschien. Scanzoni hat bis
jetzt noch nicht Gelegenheit- gehabt, den Auchenister ansuwenden.
(Wiener medic. Wochenschrift, No. 50, 1861.)
Mathieu: Embryotome cache* mit beweglichen Stäben
und Kettensäge.
-, Nach der Angabe Jacquetnier'8 hat der Instrumentenmacher M.
ein neues Instrument construirt zur Durchschneidung des Halses
oder Rumpfes des Fötus innerhalb der Gebärmutter. Es besteht
1) aus einem stumpfen Haken, der auf der concaven Seite in
IX. Notizen *iis der Journal- Literatur. 285
der ganzen Länge durch einen Fais gehöhlt ist; 2) aas einem
Stiele, der mittels einer Schraube an einem Griffe befestigt ist,
frei in dem Falze fortgleiten kann und in einer Reihe gegliederter
runder schneidender Plättchen endigt, deren convexe Ränder über
den Rand des Falzes hervortreten; 3) aus einem zweiten Stiele,
welcher an Stelle des ersten eingeschoben werden kann, ohne
den angelegten stumpfen Haken Tom Fötus abzunehmen, welcher
aber statt der runden Plftttchen an seinem Ende eine Kettens&ge
hat, deren Glieder mit dem Sägenrande gleichfalls über den
Rand des Falzes innerhalb der Concavität des Hakens hervor-1
treten; 4) aus einer beweglichen Scheide, welche man bis zur
Krümmung des Hakens vorschieben kann und welche die mütter-
lichen Theile gegen Verletzungen durch die Plättchen und die
Kettensäge schützt.
Man kann nach Belieben den Haken allein oder mit den
Plättchen oder der Säge gebrauchen. Das Instrument lässt sich
leicht auseinandernehmen und reinigen.
Es wird zuerst der Haken allein angelegt, dann die schützende
Scheide vorgeschoben und nun der Stiel mit der 8äge oder den
Plättchen eingebracht, während die linke Hand den Haken an
seinem Stiele festhält, bewegt die rechte Hand den Stiel auf
und nieder. Nach zahlreichen Versuchen an Kinderleichen ergab
sich, dass die schneidenden Plättchen leicht und schnell die
Weichtheile trennen , . während die Säge langsam die Knochen
theilt. Dieser letzte Theil der Operation muss besonders ein-
geübt werden. 4MEan darf mit dem Haken nicht zu stark anziehen,
während man sägt, weil sonst die Säge schwer zu bewegen ist.
Eine Abbildung ist beigefügt.
(Gas. des höp., 139, 1861.)
OUvier: Einige Betrachtungen über 'Eierstockskysten.
Verf. theilt die Eierstockskysten in fünf Classen ein:
1) Harte oder vielfächerige Kysten, anheilbar.
2) Eiterkysten oder Kysten maligner Beschaffenheit
Hierher gehört folgender Fall: Pat. hatte in Pausen von
einem Monate sechs Punktionen, welche 20 — 25 Litres Jnhalt
lieferten, durchgemacht. Verf. machte nun eine Einspritzung
von einem Gemenge, bestehend aus Jodtinotur und Jodkalium,
und liess die Canüle während vier Tage liegen. Da sich alsbald
die Symptome einer Jodvergiftnng zeigten, wurde eine Injection
jron 60 Grmm. Eisenchlorid auf 600 Grmm. Wasser gemacht.
Vierzehn Tage später mnsste wieder zur Punktion geschritten
werden, und dies Mal entleerten sich circa 20 Litres einer
236 1X- Notizen **» der Journal -Literatur.
eiterigen fdtid riechenden Flüssigkeit. Acht Tage später 12 Litree
schwärzlicher Eiter mit viel Schwefel wasserstoffgas. Injection
Ton 2 Gjrmm. Argent. nitr. auf 250 Grmm. Wasser. Tod.
3) Kysten entzündlicher Natur.
Der Inhalt dieser Kysten ist chocolatfarbig nnd stark eiweiss-
haltig. Sobald der Operateur eine Jodinjection versucht, empfindet
die Kranke einen heftigen Schmers in der Regio pubica. Ob
diese Art Kysten heilbar sind, weiss Verf. nicht anzugeben.
4) Oomplicirte Kysten.
Verf. versteht hierunter solche Kysten, die von einer Läsion
des Uterus oder seiner Anhänge begleitet sind.
Verf. behandelt hier zuerst die Gebärmutterkrankheit, welche
er in ursächlichen Zusammenhang bringt. In dem hierhergehörigen
Falle ging 'die Application von 10 Blutegeln an die geschwollene
Gebärmutter der Punktion der Kyste voraus, welche 12 Litres
einer kaffeebraunen, wenig eiweisshaltigen Flüssigkeit lieferte.
Ein Jahr hindurch blieb die Kyste leer, füllte sich dann von
Neuem plötzlich , entleerte sich jedoch zur Zeit der Menstruation
durch die natürlichen Wege vollständig. Sechs Monate später
musste die Kyste von Neuem punktirt werden und es entleerte
sich eine schwarze eiweisshaltige Flüssigkeit; eine ausgeführte
Injection von der Dauer von einigen Minuten war ausserordent-
lich schmerzhaft. Heilung seit zwei Jahren.
5) Einfache Kysten.
Ihr Inhalt ist gewöhnlieh durchsichtig, ungefärbt und wenig
eiweisshaltig; die Einspritzungen sind vollkommen schmerzlos
und von Erfolg begleitet.
Ueberblicken wir das Gesagte noch einmal, so sehen wir,
dass die Kysten der zweiten Gattung als Zeichen ihrer Unheilbar-
keit die schnelle Wiederansammlung des Inhaltes und Aenderung
seiner Beschaffenheit darbieten.
Die dritte Kategorie zeichnet sich durch die besondere Natur
ihres Inhaltes aus, und es fragt sich, wodurch die grosse
Empfindlichkeit derselben gegen Jodeinspritzungen bedingt wird,
eine Empfindlichkeit, welche selbst die des Peritonium übertrifft.
Es muss deshalb bedacht werden, ob die Jodinjection en nicht
durch Höllensteinlttsung oder Eisenchloridlösung, welche keine
Symptome von Intozication hervorrufen, ersetzt werden können.
Die günstigen Erfolge des Verf. lassen diese Frage bejahen:
(Gaz. des hdp., 1861, No. 98.)
IX. Notizen ans der Journal -Literatur. . 237
Stadihagen: Ueber einen hochgradigen Defect sämmt-
licher vier Extremitäten eines lebenden Neu-
geborenen.
Eine 24jährige Frau, welche schon ein gut gebildetes Kind
ron demselben Manne geboren hatte, gebar diesmal leicht ein
ausgebildetes Kind, welchem bei sonst guter und kräftiger Ent-
wicklung des Kopfes und Rumpfes , sämmtüche vier Extremitäten
defect gebildet waren, die oberen Extremitäten in minder hohem
Grade als die unteren. Von jenen war beiderseits noch ein
Stumpf übrig geblieben, rechterseits mit einem 1" langen Narben-
streifen, einer zweiten tief eingesenkten Narbe von %" Länge,
einem Grübchen und einem angehängten wärzcftenähnliohen Ge-
bilde; linkerseits endete der Stumpf wie bei einer im Ellenbogen-
gelenke stattgefundenen Exarticulation und auch an ihm drei
Narben, eine Vertiefung und zwei waizenkorngrosse Hautpapillen.
An Stelle der Unterextremitäten sitzt beiderseits ein grosser
halbkugeliger Wulst, einer Mamma sehr ähnlich, indem auch ein
brustwarzenähnliches Gebilde von einer trichterförmigen Ver-
tiefung eng umschlossen auf der Höhe der Wulste sitzt. Das
Kind zeigt grosse Beweglichkeit in dem Rumpfe und den Resten
der Gliedmaassen. Der Nabelstrang zeigte gar keine Sülze und .
keine spiralförmigen Windungen, sondern statt ihrer bald Aus-
buchtungen nach den Flächen, bald solche nach den Seiten hin.
Neben seinen sehr dünnen Gefässen zeigte er flügeiförmige sehnige
Anhänge, die, zwischen den Ausbuchtungen ausgespannt, eine
Breite von 2 — 3'" jederseits einnehmen mochten. Etwa 4" von
der Placenta entfernt verästelten sich die Gefässe in vielfache.
Zweige, während jene sehnigen Flügel nach entgegengesetzten
Seiten hin sich zu zweien jener Zweige hinauferstreckten und
immer breiter werdend sich segeiförmig bis über den Placenta-
rand hinaus ausspannten. An ihrem freien Rande zersetzten sich
diese Segel (oder Klappen) zu verschiedenen grossen Zipfeln,
die schliesslich dütenförmig gedreht in Schnüre übergingen, deren
man auf der einen Seite vier, auf der anderen sieben, und
zwar in ihrer Dicke zwischen der einer dünnen Violinsaite und
derjenigen einer Rabenfeder variirend, in ihrer Länge aber
diejenige eines Fingers erreichend, entwirren konnte. Dem
Versuche, sie zu zerreissen, widerstanden diese Stränge und es
riss statt dessen das Amnion ein.
Verf. geht näher auf die Entstehungsweise der beschriebenen
Missbildung ein, verwirft das Versehen, die Sünde, erbliche
Anlage, Missbildung der Keime, Defecte der Ganglien und
Arterien, allgemein« Erkrankung, Gangrän, anliegenden Uterus,
Fraoturen, Abschnnrung durch die Nabelschnur, sämmtlich mit
beweisenden Gründen und nimmt die Umschnürung durch die
aufgefundenen abnormen etrangartigen Gebilde an. Letztere
238 IX- Notizen ans der Journal -Literatur.
erklärt er nicht erzeugt durch organisirte Lymphe oder Exaudate
der Fötusdecken oder des Amnion, aondern lediglich durch
Duplicaturen des Amnion gebildet, eine Ansicht, die in neuester
Zeit die Oberhand gewonnen habe und die Verf. auch näher
zu begründen sucht. Dass diese Duplicaturcn durch mechanische
Erschütterungen des Fötus, welche eine Streckung desselben
Teranlassen, erzeugt werden können, ist dem Verf. wahrschein-
lich und insofern ist auch eine physische Einwirkung auf die
Schwangere für, die 'Bildung des Fötus von Wichtigkeit, freilich
in ganz anderer Bedeutung, als das gewöhnliche von den Laien
angenommene Verseben.
Verf. weist nach, dass die Missbildung in seinem Falle im
dritten Monate entstanden sein müsse.
(Achtunddreissigster Jahresbericht d. Schles. Gesellsch. für
vaterl. Cultur im J. 1860, S. 140.)
Pollock: Ungewöhnliche Kindeslage bei Zwillingen.
Eine 25 Jahre alte Frau, zum ersten Male schwanger, kam
rechtzeitig zur Geburt. Der vorliegende Steiss ruckte gut durch
das Becken, aber die folgenden Theile des Rumpfes verzögerten
die Geburt und boten beim Zuge einen ungewohnten elastischen
Widerstand. Endlich wurde der Rumpf entwickelt, aber mit ihm
kam ein Kopf hervor, der einem anderen Kinde angehörte. Bei
näherer Betrachtung ergab sich, dass der Unterkiefer des einen
Kindes sich gegen den des anderen anstemmte und heide voll-
ständig in einander eingriffen. 8omit zog der Kopf des ersten
Kindes den des zweiten herab und veranlasste jenen eigentüm-
lichen elastischen Widerstand bei der Extraction. — Beide Kinder
waren todt. Die Mutter blieb gesund.
(Obstr. society of London, 8. April 1861. — Med. Times*
and Gaz., 27. April 1861.)
Dunsmure: Fall von Zerreissung der Gebärmutter.
Am 12. Januar 1856 wurde D. su einer 89jährigen, zum
achten Male Gebärenden gerufen. Dieselbe war schwächlich,
aber sonst gesund. Der Kopf lag hoch über dem Becken. Wegen
grosser Empfindlichkeit der Gebärenden Hess D. Chloroform
holen, ehe aber noch der Ehemann mit demselben zurück-
gekommen war, schrie sie heftig auf wegen eines Schmerzes in
der linken Seite. D. führte sogleich seine linke Hand an diese
Stelle und fühlte die Füsse des Kindes so deutlich, dass er so-
gleich an einen Riss dachte. Die Gebärende wurde sehr schwach
und ohnmäohtig. Unter Chloroformnarkose wurde sogleich sur
X. Literatur. 239
Eztraction geschritten; es fand sich zunächst ein bedeutender
Wasserkopf, der mit dem Messer geöffnet wurde und eine be-
trachtliche Menge Wasser floss ab. Die Wendung auf die Füsse
und Eztraction vollendete schnell die Geburt. Als D. zur Fort»
nahme der , Nachgeburt schreiten wollte, fand er den ganzen
Uterus mit Gedärmen angefüllt. Er Hess deshalb die Placenta
sitzen, zumal die Gebärende im Sterben lag. Der Tod erfolgte
nach 12 Stunden.
(Edinburgh med. Journ., May 1861, p. 1044.)
X.
Literatur.
Martin, Handatlas der Gynäkologie und Geburtshülfe.
Berlin 1862. 71 Tafeln mit Einleitung und erklärendem Texte.
Der Verf. spricht in dem Vorworte die Absicht, welche ihn
bei Herausgabe dieses Handatlas leitete, dahin aus/ dass er
theils die unorlässliche Verbindung der Lehre von den Krank-
heiten der weiblichen Sexualorgane mit den Lehren der Geburts-
hülfe durch Darlegung des systematischen Zusammenhanges beider
Disciplinen herzustellen, theils das Studium der Gynäkologie durch
naturgetreue Abbildungen der hier einschlagenden physiologisch*
und pathologisch -anatomischen Befunde zu fördern wünsche.
Jene Vereinigung werde sowohl von der Wissenschaft, in welcher
die Geburtshülfe bisher, so lange als das Fach "mehr mit Rück-
sicht auf den Hebammenunterricht bearbeitet wurde, eine ganz
exceptionelle Stellung einnahm, als auch von der Praxis ge-
fordert. Denn die Lehre von den Sexualkrankheiten des Weibes
werde nur derjenige vArzt gehörig würdigen, der zugleich
Geburtshelfer sei. Indem die bisher sogenannten Geburtshelfer
aber sich fast ausschliesslich mit dem Gebäracte beschäftigt
haben, die sogenannten inneren Aerzte und die Chirurgen hin-
gegen von dem Schwangerschafts- und Geburtsverlauf meist
völlig abseben, ist' es leicht zu erklären, weshalb die so häufigen
und für das ganze weibliche Leben so wichtigen Erkrankungen
der 'SexuaKen bis zur neuesten Zeit sehr oft unerkannt und
nicht selten äusserst stiefmütterlich behandelt worden sind.
Um die von dem Verfasser gewählte Reihefolge der Ab-
bildungen zu begründen, schickt derselbe in der Einleitung eine
detaillirte schematische Ueb ersieht der Gynäkologie mit Ein-
240 *• Literatur.
schluss der Geburtthülfe voraus , welche er seit mehreren Jahren
seinen Vorträgen über das Fach sn Grande gelegt hat. Eben '
diesen Vorträgen soll der Handatlas einerseits als Illustration
dienen und den Zuhörern das an Lebenden nnd Präparaten u. s. w.
Demonstrirte immer wieder vergegenwärtigen, während derselbe
andererseits dem praktischen Arzte die Veranschaülichnng des
früher Gehörten oder Gelesenen ans der ihn so beschäftigenden
Disciplin darbieten mag.
Die Anordnung der einzelnen Tafeln ist aber folgende:
Auf die Darstellungen des weiblichen Beckens mit und ohne
Weichtheile und der weiblichen Geschlechtsorgane folgen Ab-
bildungen der schwangeren Gebärmutter und des befruchteten
Eies aus den verschiedenen Monaten, sodann Zeichnungen der
verschiedenen Lagen und Stellungen der Frucht zur Geburt,
sowie der mehrfachen Schwangerschaft. Der pathologische Theil
enthält Abbildungen der krankhaften Veränderungen der äusseren
Geschlechtsorgane, der Scheide, der Gebärmutter, der Eileiter
und Eierstöcke, sowie der Brüste. Daran reihen sich Dar-
stellungen der Schwangerschaft am unrechten Orte, der Place nta
praevia, der Erkrankungen der Eihüllen, der Nabelschnur und
des Mutterkuchens, sodann der für den Geburtshelfer wichtigeren
Missbildungen der Frucht, der fehlerhaften Kindeslagen und
endlich der engen Becken. Den Schluss bilden die zur gynäko-
logischen Diagnostik und Operationslehre gehörigen Instrumente,
bei welchen, der bestimmten Grenzen des Umfanges wegen, fast
ausschliesslich die von dem Verf. angegebenen und gebrauchten
Instrumente berücksichtigt werden konnten.
Um der gestellten Aufgabe willen, den Handatlas sowohl
für Studirende wie für die praktischen Aerzte zugängig zu
machen, ist der Preis dieses Werkes, trotz der sorgfältigen Aus-
führung der 303 Figuren so billig als möglich gestellt.
M.
XL
Verhandlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe
In
Berlin.
Sitzung vom 17. December 1861.
Herr C. Mayer beantragt, die Gesellschaft möge durch
eine Sammlung der Photographien sämmtlicher Mitglieder ein
AJbum begründen, welches der Bibliothek einverleibt werde.
Die allgemeine Ausdehnung, welche die Photographie in
neuerer Zeit genommen, gestatte es, für einen äusserst
geringen Preis einem Jeden, sein getroffenes Portrait im
gebräuchlichen Visitenkartenformate zu beschaffen und eine
vollständige Sammlung derselben, die auswärtigen Mitglieder
natürlich eingeschlossen, würde namentlich für spätere Zeiten
gewiss sehr interessant sein.
Der Vorschlag fand allgemeinen Beifall und wurde der
Secretär ermächtigt, die nqthigen Schritte zu thun.
Vor der Tagesordnung ergreift Herr Virchow das Wort,
um eine Berichtigung eines von ihm gethanen, aber ungenau
protocollirten Ausspruches zu geben. In dem Berichte des
Dr. V. Hüter Aber die 36. Naturforscherversammlung in
Speier (Monatsschrift, 18. Bd., Novemberheft) könne eine
Stelle so verstanden werden, als ob er es für ein günstiges
Ereigniss hielte, wenn die Lymphgefässe beim Puerperalfieber
mit Eiter erlullt würden. Hecker hätte damals den Aussprach
gethan, dass die schweren Fälle immer dadurch charakterisirt
seien , dass sich Eiter in den Lymphgefässen vorfinde. Gegen
diese Behauptung habe er ungefähr Folgendes erwidert:
livmphgefassaffectionen bei Puerperalfieber träten nie isolirt
auf, sondern seien immer auf einen phlegmonösen Process
MoMUachr. f. Gebortet. 186*. Bd. XIX., Hft. 4. 1*
242 XI. Verhandinngen der Gesellschaft
des Uterus oder seiner Anhänge zurückzuführen. Dadurch
zeigten sie schon die Schwere der Krankheit an, zumal ihre
eigene Erkrankung darauf deute, dass deletäre Stoffe in die
Blutmasse geführt werden und sei daher Lymphgefassaffection
an und für sich ein ominöses Zeichen. Der missverstandene
Ausspruch sei nun der, dass wenn diese resorbirten Stoffe
in den Lymphgefässen fest würden und zu einer Thrombose
derselben Veranlassung gaben, dadurch die Prognose sich
günstiger gestalte, da auf diese Weise die Weiterverbreitung
deletärer Stoffe abgeschnitten werde, während im anderen
Falle, wo die Lymphgefässe anscheinend gesund seien und
doch ein inficirter Heerd in der Nähe, dessen Zersetzungs-
producte ungehindert durch sie circulirten, die Krankheit
viel rapidere Fortschritte mache.
Herr Martin legt eine frische Placenta vor, auf deren
Fötalfläche sich eine Kyste von der Grösse eines halben Eies
zeigte, die sich tief in das Parenchym derselben hinein er-
streckte. Sie lag unmittelbar unter dem Chorion und enthielt
einen hellen limpiden Inhalt. An einer Stelle flottirte eine
kleine, mehr als erhsgrosse lockere gelbliche Masse, weiche
sich bei der mikroskopischen Untersuchung als amorphe Hasse
darstellte und so den Verdacht, dass es sich um Anwesenheit
eines zweiten Eies handele, nicht bestätigte.
Herr H. Strassmann berichtet über eine
eigentümliche Hyperplasie der Decidua.
. . (Hierzu eine Abbildung.)
Vor einiger Zeit hat Virchow in dieser Gesellschaft ein
Präparat demonstrirt, welches eine „eigenthümliche, vielleicht
syphilitische Veränderung der Decidua" darstellte, die in einer
excessiven Hyperplasie der ganzen Uterinschleimhaut» soweit
dieselbe zur Bildung der hinfalligen Haut verwendet wird,
bestand und stellenweise bis zur Production von grossen
„Schleimpapeln und Schleimtuherkeln vergleichbaren Höckern"
gediehen war. Eine genauere Beschreibung und Abbildung dieses
Präparates befindet sich im XXI. Bande von Virchow's Archiv,
Heft 1, S. 118. Ich bin in der Lage, ein bei der Be-
handlung eines Abortus gewonnenes ähnliches Präparat vorlegen
Ar Gebtirtakülfe in Berlin. 243
»u können, welehes nach Virchow't eigenem Unheil ganz
identische Verhältnisse bezüglich der gedachten Veränderung
der Decidua, wie das von ihm beschriebene, darbietet, nur
dass die Hyperplasie wo möglich noch excessiver ist. Ich
halte bei der Seltenheit de» Befundes die Veröffentlichung ffir
gerechtfertigt und habe zum besseren Verständniss für aus«
wärtige Leser eine Zeichnung in natürlicher Grösse hinzu-
gefügt
Das Präparat stammt von einer blassen, sehr gracilen
Erstschwangeren, Frau üf., die in ihren ersten Kinderjahren
'gesund gewesen sein will. Im achten Jahre bekam sie Chorea;
die bis zum Eintritt der Menses im 15. 'Lebensjahre anhielt
Die Regel verschwand nach einmaligem Auftreten wieder und
die K. litt wahrend zwei Jahren an allen Erscheinungen der
Chlorose. Im 17. Jahre fing die Menstruation an periodisch
wiederzukehren, meist alle drei Wochen, häufig nach vierzehn,
selten nach acht Tagen, unter starken Leibschmerzen während^
acht Tagen profus fliessend. Ausserdem traten geringere
Blutabgänge oft aus den Genitalien ein, zumal bei körperlichen
Anstrengungen, z. B. beim Tanzen. Von Ausfloss aus den
Geschlechtsteilen will die K. nur wenig bemerkt haben.
Syphilitische Affection wird auf das Bestimmteste in Abrede
gestellt und das sorgfaltigst angestellte Examen weist keine
Zeichen einer nach vorhandenen oder schon über-
siandenen Syphilis nach. Um Pfingsten 1861 ver-
heirathete sich die JT. Die Menses wurden jetzt normal, nur
einmal erschienen sie nach fünfwöchentlicher Pause sehr
profus, so dass die schon vorhandene Anämie bedenklieh
wurde. Die K. wurde deshalb aufs Land geschickt, brauchte
Eisen und kehrte ziemlich restaurirt wieder. Am 12. August
trat die Regel zum letzten Male ehi. In der darauf folgenden
Schwangerschaft ausserordentliches Wohlbefinden. Am 14. No*
vember, also am Aufange des vierten Schwangerschaftsmonats,
trat Mittags ohne Veranlassung wässerig -blutiger Ausfloss
aus den Genitalien, um 2 Uhr eine massige Blutung ein; unt
4 Uhr deutliche Contractionen des Uterus. Um 7 Uhr fand
ich den Muttermund für den Zeigefinger durchgängig und in
demselben einen Theil des Eies, welches sich ohne Mähe
entfernen Hess.
16 •
£44 Xf- Verhandlungen der Gesellschaft
Wie aus der Abbildung ersichtlich, besiebt dasselbe aus
zwei innig mit einander verbundenen Theilen, dem Ei und
der Decidua vera, d. b. der gesammten Innenfläche der Uterus*
Schleimhaut. Die Verbältnisse des Eies sind die gewöhnlichen
und aus der Zeichnung leicht ersichtlich. Es sitzt (m der
Zeichnung nach abwärts geschlagen) in der einen Tuben*
gegeud, lässt deutlich das durch Gallertmasse (A) mit dem
Chorion (a) verklebte Amnion (6) unterscheiden — und ist
auf mehr als der Hälfte seiner Oberfläche noch von Cborion-
zotten bedeckt, die man bei / noch in denjenigen Thefl
der Uterusschleimhaut eindringen, sieht, welcher als Decidua*
serolina (gg) den mütterlichen Theil der Placenta bildet. Bei g '
ist die Decidua serolina von dem unterliegenden Chorion (a')
abgelöst, so dass die sie verbindenden Zotten sichtbar werden;
kk bezeichnet die Grenze, wo die Decidua serotina ziemlich
scharf an dem bereits glatten Theil des Eies aufhört. Der
Eihautriss (d) führt in eine kleinapfelgrosse Höhle, in der
sich noch das Rudiment eines Stranges (e) befand, der für
den Rest des Nabelstranges angesprochen werden musste, da
er sich bei der mikroskopischen Untersuchung als aus fettig
degenerirten Gelassen im gleichfalls verfetteten Schieinigewebe
bestehend auswies. Das Nabelbläschen (c) findet sich als
weissgelbes, hartes, linsengrosses Knötchen am Amnion in
der Nähe des Eihautrisses. Vom Embryo habe ich trotz
sorgfältigen Suchens nichts entdecken können. (
Die mikroskopische Untersuchung der Chorionzotten hat
keinerlei Abweichungen ergeben. Ganz auffällig sind dagegen
die Veränderungen an der Decidua, die in ganzer Ausdehnung
bis zum inneren Muttermunde hin erhalten ist Ihre Aussen-
fläche, d. h. diejenige, mit der sie der Innenwand des Uterus
adhärirte, ist überall sehr stark zottig, ihre innere sammtartig
glatt und lässt deutlich die haarfeinen Mündungen der Utricular-
drüsen erkennen, welche nur an den Seitenwänden und in
der Gegend des Fundus zu grösseren, runden oder ovalen
Löchern ausgezogen sind. Wählt man diese beiden Seilen-
wände (A und 2?), an denen die Decidua sich verdünnt,
zum Ausgangspunkte, so kann mau sich sehr leicht orientiren.
Es stellt dann C und Z>, wo der Strich der erweiterten
Drüsenmündungen hinzieht, die Uterinorificien der Tuben,
für Geburtohülfe In Berlin. 245
E die Gegend des Fundus, F die eine (hintere?), Q die
andere (vordere?) zurückgelegte Wand1) des Uterus dar,
H die Gegend des inneren Muttermundes, an welchem be-
kanntlich die Decidua ziemlich scharf abgeschnitten endet.
Die Dicke der Decidua ist an den einzelnen Stellen sehr
verschieden. An den Seitenwinden beträgt dieselbe V™%
erreicht aber zumal an einzelnen Partieen der vorderen und
hinteren Wpnd eine Mächtigkeit von 3 — 4"\ Neben dieser4
allgemeinen Verdickung findet man auf der Innenfläche, be-
sonders in der Gegend des Orificium internum mehrere breit-
basig aufsitzende, vollkommen glatte, etwas abgeplattete,
polypöse Excrescenzen. Sie zeichneten sich vor ihrer Um-
gebung am frischen Präparate durch ihre gesättigte rothe Farbe
und dichtere Beschaffenheit aus. Diese zitzenförmigen Fort-
sätze (JJJJ) haben eine Länge von V4" bis Yft" und darüber,
eine Dicke von %", verschmälern sich zti einer rundlieh
abgesetzten Spitze und lassen an ihrer Oberfläche nur bei
Lupenbetraehtung und auch dann nur äusserst spärlich die
Mündungen für die Utriculardrusen erkennen. Auf dem
Durchschnitte (K) zeigen sie eine derbe Corticalschtcht und
nach innen von dieser ein reticulirtes Aussehen, welches
hauptsächlich von Geflssdurcbschnitten, theilweise auch von
Bindegewebszägen herrührt. Ausser diesen „Schleimpapeln"
bemerkt man noch die Anfange kleiner gestielter Polypen
(LLLL)% wie sie bei chronischer Endometritis so häufig
gefunden werden.
Was die mikroskopische Untersuchung anlangt, so weiss
ich dem Ton Virchoto gegebenen Befunde nichts hinzu-
zufügen, und es mag mir daher gestattet sein, seine Worte8)
hier anzuführen* „Ueberall sieht man das Interstitielle (Inter-
glanduläre) im Zustande der ausgesprochensten Hyperplasie.
In einer schwach faserigen Grundsubstanz liegen grosse,
stellenweis© geradezu mächtige Zellen von linsenförmiger
Gestalt, welche auf senkrechten Durchschnitten meist als dicke
Spindeln sich darstellen. Nach Behandlung mit Essigsäure
1) Auf der' linken Seite der Zeichnung ist dieselbe nur theil-
weise ausgeführt.
2) L. o. S. 119.
$46 Xf. Verliaadlangea dar Gesellschaft
beben sie sieb mit ihrem dunkleren luhalt und grossen Kernen
als umfangreiche Körper aus der helleren Grundsubstaoz
hervor, und das ganze Gewebe erinnert dann an faser-
knorpelige oder sklerosirte Bindegewebsbildungen, am meisten
an die Struetur der dicken Platten der Arteriosklerose. Fettige
oder andere Degeneration habe ich nicht gesehen. Dagegen
finden sich schon in den oberen Lagen zahlreiche Durch-
schnitte grösserer Gefisse, namentlich dickwandige Arterien
mit concentrischen Höfen eines dichten Scheidengewebes.
Gegen die Tiefe hin wird das Ganze lockerer, mehr sinuäs,
und schliesslich findet sich nur noch ein weitmaschiges
Balkenwerk/'
Was diesen Fall nun auszeichnet, ist also die Hyper-
plasie der gesammten Decidua, d. h. die excessive Anbiklung
der conslituirenden normalen Elemente, die stellenweise bis
zur Ergänzung der geschilderten knolligen Protuberanien
fortgeschritten ist, eine Wucherung, die ganz aussergewöhuüch
ist, wenn man bedenkt, dass sonst am Ende des dritten
Schwangerschaftsmonats die Decidua als besondere häutige
Membran noch nicht existirt, Virehoto giebt an, dass ein
grosser TheU der geschilderten Veränderung der Schwanger-
schaft als solcher angehört, obschon er es für wohl möglich
hält, dass ein hyperplastischer Zustand der Schleimhaut des
nichtschwangeren Uterus bereits bestanden und sich nacliher
unter dem Einflüsse der Gravidität bis zu dem beschriebenen
Grade gesteigert haben mag. Virchow setzt in seinem Falle
die Hyperplasie der Decidua mit Wahrscheinlichkeit auf
Rechnung einer bestehenden syphilitischen Endometritis.
Dass auch bei Frau K. eine Endometritis vorbanden war, ist
aus den profusen, schmerzhaften, unregelmässjgen Men-
struationen,, aus dem wenn auch spärlichen Ausflusse und der
Neigung iv Blutungen aus den Genitalien und aus den Ar*
f)ngep der Polypenbildung (LLLL) mit Gewissheit anr
zunehmen und in ihr die Disposition zu der geschilderten
Veränderung der Decidua zu suchen. Dagegen fehlt in
unserem Falle die Syphilis und er liefert mithin den Beweis;
dass diese hyperplastische Wucherung der Decidua nicht als
eine speeifische Folge der syphilitischen Endometritis an-
zusehen ist. Jedenfalls aber ist diese Art der Veränderung
für GUbarUhülf© in Bettia* 247.
der hinfälligen Haut für die Aetiotogie des Abortus von
grossem Interesse.
Herr Krieger fragt, ob die Patientin früher an Dysmenor-
rhea membranacea gelitten, was Herr Strassmann verneint.
Herr Krieger berichtet über die Geburtsverhaltnisse des
niederbarninischen Kreises.
Der nach statistischen Principien möglichst genau ge-
arbeitete Vortrag kann wegen leider eingetretener schwerer
Erkrankung des Herrn Krieger hier nicht folgen, wird indess
nach der Wiederherstellung desselben in extenso veröffentlicht
werden.
Herr Martin theilte einen
Fall von glücklicher Entbindung durch Decapitation
mit, indem er folgende Bemerkungen vorausschickte,
Obschen M. von der Ueberzeugung geleitet, dass der
Lehrer in den Operationscursen alle am Phantom und einer
in Spiritus aufbewahrten Kindesleiche ausfuhrbaren geburt&~
hülflichen Operationen deraonstriren und einüben lassen müsse,
in seinen seit 1835 alljährlich ein oder mehrere Male wieder-
holten obstetricischen Cursen regelmässig die Embryotomie
und insbesondere auch die Decapitation gezeigt und vollzogen
hatte, so war ihm doch bis in die neueste Zeit die Gelegen-
heit nicht geboten worden, diese Operation in den Geschlechts»
theilen einer lebenden Frau auszuführen. Bei einer nicht
geringen Anzahl von Geburtsstörungen durch vernachlässigt*
Querlagen der Frucht, bei welchen selbst erfahrene College»
nach vergeblichen Wendungsversuchen ihn aufgefordert hatten,
die Embryotomie zu verrichten, war es M. bisher immer
noch gelungen und zwar mit Erhaltung der Mütter die Wendung
auf den Fuss zu bewerkstelligen, ein Resultat, welches er .
der Beihülfe theils der Chloroformnarkose, theils der Lagerung
der Kreissenden auf die Seite, welclie M. bereits in dem
zweiten Hefte seiner gynäkologischen Beiträge 1849 dringend
empfohlen, und seitdem stets bewährt gefunden hat, zuschreibt.
Der sogleich zu erzählende Fall von Schulterlage bei
sehr beträchtlicher Beckenenge, welche von einer zwei Jahre
zuvor mittels Perforation und Kephalothrypsie beendigten
218 XI V«ihandhuigan der Gesellschaft
Entbindung ihm bekannt war, nöUngte durch feste Um-
schnfirung der Frucht von Seiten des Uterus um so mehr
mr Decapitation als nach eingetretenem Tode der Frucht alle
Sorge der Erhaltung der Mutter gelten musste. Der Vorzug,
welchen M. bei dieser Operation dem stumpfspitzigen
jSmellie'&chen Haken vor dem C. .Bratm'schen SchHssel-
haken gab, gründete sich auf die erwähnten zahlreichen Ver-
suche mit den beiden Instrumenten am Phantom, welche ihm
die Ueberzeugung verschafft hatten, dass der stumpfspitze
Haken leichter die Weichtheile des Halses durchdringe und die
Halswirbel zerbreche. Bei einem durch C. Braun'* Güte
aus Wien erhaltenem Instrumente war es M. begegnet, dass
während der Operation an einer Leiche im Phantom der
hölzerne Griff der Länge nach zerborst, bevor der Hals ge-
trennt wurde. — Der von M. in der geburtshülflichen Klinik
behandelte Fall ist folgender:
Frau Paris geb. Pfeiffer, 25 Jahre alt, blond, mittel-
gross, von zierlichem Knochenbaue, hatte als Kind an der
englischen Krankheit gelitten und deshalb nicht vor dem
siebenten Lebensjahre gehen gelernt; sie war vom dreizehnten
Jahre an regelmässig menstruirt. In ihrem 23. Lebensjahre,
seit der Mitte Februar 1859 nach zweimaligem Abortus zum
dritten Male schwanger, wurde sie am Abende des 6. November
1859 wegen beträchtlicher Beckenenge nach achtzehnstündigen
Wehen aus der Poliklinik in die königl. Entbindungsanstalt
zu Berlin transferirt, wo die angestellte Beckenroessung
Sp. J. = 9° 9'", Cr. J. = 10" 3", Conj. extern. = 6* 9",
Conj. diagon. = 3" 4'" ergab.. Nach weiteren vierundzwanzig
Stunden sprengte man die bis zum Beckenausgange herab-
gedrängte Fruchtblase, nachdem die vorher gehörten Herztöne
bereits nicht mehr aufgefunden werden konnten. Neben dem
in erster Schädellage auf dem Beckeneingange stehenden
Kopfe lag rechts eine pulslose Nabelschnurschlinge. Am
7. November Abends 11 Uhr/ als die vorher kräftigen Wehen
ohne den Kopf in den Beckeneingang herabzutreiben nach-
Hessen, eröffnete Jbf., nachdem die Kreissende chloroformirt
war, den noch nicht feststehenden Schädel mit seinem
trepanförmigen Perfora torium, comprimirte denselben in drei
Richtungen mit seinem Kephalothryptor und förderte den vom '
für Gebnrtehiilfe in Berlin. 249
Hirn fast entleerten Köpf zu Tage. Der todte Knabe wog
6 Pfund. Die Nachgeburt folgte ohne Aufenthalt, und die
Entbundene erwachte nach % ständiger Karkose ziemlich wohl.
Dem sofort angeordneten Gebrauche kalter Umschläge folgte
mehrmaliges Frösteln, weshalb die ersteren weggelassen
wurden. Das Wochenbett vedief, einen Esslöffel Ricinusöl
abgerechnet, ohne Arzneigebrauch so glücklich, dass die
Wöchnerin bereits am 16. November das Bett und in der
zweiten Woche die Entbindungsanstalt Verliese. '
Trotz der Aufforderung bei wieder eintretender Schwanger-
schaft sich zur Einleitung der Frühgeburt zu melden, blieb
Frau P., als die Menstruation seit April 1861 cessirt hatte
und die eingetretene Schwangerschaft ohne störende Zufalle
verlief, in ihrer Behausung, und rief in der Nacht vom
27. zum 28. November 1861, nachdem Wehen eingetreten
waren, einen Privatarzt zu Hülfe. Dieser glaubte den Steiss
als vorliegenden Theil zu fühlen, auch als um 8 Uhr früh
die Blase vor hinreichend erweitertem Muttermunde gesprengt
war. In Folge der sehr kräftig werdenden Weben kam jedoch
gegen Abend die rechte Schulter tief in den Beckeneingang
herab und die früher hörbaren Herztöne waren nicht mehr
zu hören. Da jetzt die Hülfe der geburtshölflichen Poliklinik
in Anspruch genommen wurde, stellte sich heraus, dass
der Uterus bereits zu fest um die Frucht zusammengezogen
war, um die Einführung der Hand zur Wendung noch zu
gestatten. Die Kreissende wurde deshalb in die königl. Ent-
bindungsanstall gebracht, wo sie am 28. November Abends
67a Uhr in einem erschöpften Zustande eintraf, ohne dass
deshalb die Wehen an Heftigkeit nachgelassen hätten. M. fand
die rechte Schulter, an welcher sich bereits Fäulnissemphysem
entwickelt hatte, vor dem leicht zu erreichenden Vorberge
herabgepresst, äusserlich den Rücken der Frucht nach rechts
und vorn, den Kopt links von der Wirbelsäule. Ein in der
Chloroformnarkose und Seitenlage wiederholter Versuch, die
Wendung auf den Fuss zu bewerkstelligen, überzeugte M.
sofort von der Unmöglichkeil, die Füsse zu erreichen, da
der Uterus das Kind so fest umschloss, dass der Kopf auf
die Brust, neben welcher die beiden Arme emporgestreckt -
250 XI- Verhandlungen der Gesellschaft
lagen, fest aufgepressi war. Ohne die linke Hand, welche
den langgestreckten Hals der Frucht umfassle, herauszuziehen,
schob Af., nachdem die Kreissende auf das Querlager ge-
bracht war, die stumpfspitzen Theile des^ Smdlie1$cke&
Doppelhakens in seiner Hohlhand empor, zog den Haken um
die Halswirbel fest an und drehte innerhalb seiner den Hals
umgebenden Finger den mit einem Handtuche am weiteren
Theile umwickelten Haken mit der rechten Hand so lange
um, bis der Hals der Frucht (Weichtheile und Knochen)
getrennt waren, ein Operationsact, welcher in diesem Falle,
wegen der eingetretenen Fäulniss der Frucht weniger Mühe.
verursachte, als an den Spirituspräparaten im Phantom. Nach
vorsichtiger Entfernung des Hakens holte M. den rechten
Arm der Frucht herab und zog dann den Rumpf aus: Der
Kopf wurde nach einigen Minuten von den Wehen im Becken-
eingange fixirt und alsdann mit den in den Mund eingesetzten
Fingern aus der Scheide nicht ohne Mühe hervorgezogen,
während der Daumen den Halsstumpf bedeckte. Die Nach-
geburt wurde durch Druck auf den Muttergrund herabgedrückt.
Der bereits faulige Knabe, dessen Oberhaut an mehreren
Stellen sich gelöst hatte, wog 4 Pfund 22 Loth Zollgewicht,
die Nachgeburt 18 Loth.
Die Entbundene erwachte nach % Stunde sehr befriedigt
über die rasche Entbindung aus dem Chloroform schlafe, zeigte
100 Pulse, schlief aber bereits gegen Morgen trefflich und
überstand das Wochenbett unter Anwendung von Einspritzungen
mit l«insamenschleim und lauen Wasserumschlägen auf den
Leib vortrefflich, so dass sie bereits am 9. December die
Anstalt ohne Bedenken verlassen konnte.
Sitzung vom 14. Januar 1862.
Herr C. Mayer legt ein von Herrn Dressler in Peters-
waldau eingeschicktes Abortivei vor, welches indess durch
bereits eingetretene Maceration keiiie klare Untersuchung mehr
.gestattete.
für Gebortfhfllfe in Berlin. J51
/
Herr Martin erzählt folgende Beobachtung:
Gebnrt bei durch Knochenwucherung am Kreuzbeine
und schräg verengtem Becken, Conglutinatio orificii
uteri. Wendung auf die Füsse, Extraction,
Erhaltung von Mutter und Kind.
Frau Seh., 34 Jahre alt, stammt angeblich aus einer
gesunden Familie, und will in def Kindheit stet» gesund
gewesen und seit dem zwanzigsten Jahre menstrutrt sein.
Im dreiundzwanzigsten Jahre trat sie als Dienstmädchen erhitzt
in einen mit Wasser gefüllten Keller und erkrankte bald darauf
an einer Entzündung in der Gegend der linken Syncbondrose,
welche eine langwierige Eiterung und. zwei Jahre langes Un-
vermögen zu gehen zur Folge hatte, so dass sie später am
Stocke das Gehen wieder erlernte. Die Menstruation war
während dieser schweren Erkrankung, welche sie anfangs
im königL Charite-Krankenhause, später in ihrer Heimath
abwartete, ausgebliehen. Nachdem sie sich im Jahre 1857
verheirathet halte, überstand sie im Winter 1858 eine schwere
Entbindung, nach Mitlheilung des Arztes, bei erster Schädellage
des Kindes, wobei zunächst die Kopfzange wiederholt, jedoch
vergeblich, sodann von einem anderen Arzte die Perforation
und Kephalothrypsie zur Anwendung kamen. Im Jahre 1859
erfolgte im dritten Monate ein Abortus unter heftiger Blutung.
Nach ungestörtem Wohlsein blieb im October 1860 die
Menstruation aus, es stellten sich viel Uebelkeit und Zahn-
schmerzen ein und am 20. Februar zeigten % sieb Kindes-
bewegungen. Am 25. Juli 1861 begannen die Wehen, jedoch
erschienen sie erfolglos, weshalb ein am 26. hinzugeraConer
Arzt in den folgenden Tagen mehrere Arzneien verordnete.
Als ich am Mittage des 30. die Kreissende in ihrer Woboung
zuerst sah und untersuchte, fiel mir zunächst der ungewöhn-
lich tiefstehende zapfenförmige circa V/A" lange Scheidcütheil
auf; derselbe stand so tief, dass bei der Exploration der in
den wenig geöffneten äusseren Muttermund eindringende
Zeigefinger in die erweiterte Harnröhrenmündung zu gelangen
schien. Erst eine genaue Untersuchung ergab das auffallende
Verhalten der Portio vaginalis. Nicht ohne einen gewissen
Kraftaufwand konnte ich mit der Fingerspitze den durchweg
252 XI. Verhandlungen der Gesellschaft
verklebten Mutterhalskanal öflhen, indem ich unter geringem
Bhitabgange das ZeiTeissen der gallertartigen Exsudatmassen
fühlte. Oberhalb des langen an die vordere Beckenwand
herangedrängten Scheidentheils und hinter demselben lag der
Kopf der Frucht im Beckeneingange. Da die aufgenommene
Anamnese auf einen Beckenfehler hinwies, nahm ich die
Beckenmessung vor und fand
den Beckenumfang = 82 Centimeter,
Sp. J. = 7" 2"/ Cr. J. = 9" 3", Conj. externa = 7" 9W,
die Breite des Kreuzbeins zwischen den beiden Sp. post.
super, oss. iL = 2" 6'",
die Spina vertebrae lumbalis V. von der Spina posl sup.
oss. iL rechts = 1* 4'", links = 1" 2",
die Länge der rechten Darmbeinschuppe = 5" 2W, der
linken = 4" 10'",
der rechte schräge Durchmesser des grossen Beckens von
der Sp. post. sup. oss. iL dextri zur Sj\. anter. sup.
oss. iL sinistri = 6* 10"',
der linke von der Sp. post. sup. oss. iL smistri zur Sp. anter.
sup. oss. iL dextri = 7" 4'",
vom Processus spinosus des letzten Lendenwirbels zur
Sp. ant. sup. oss. iL sin. =5" 7'",
vom Processus spinosus des letzten Lendenwirbels zur
Sp. ant. sup. oss. iL dextr. = 5* 10 w,
vom Tuber ischii dextrum zur Sp. post super, oss. iL
sin. = 8" 3",
vom Tubef ischii sinistrum zur Sp. post. super, oss. iL
dextr. = 8",
vom Scheitel des Schambogen» zur Sp. post super, oss.
iL sin. = 7" T\
vom Scheitel des Schambogens zur Sp. post. super, oss.
iL dextr. *= 6? 6W.
Bei der inneren Beckenuntersuchung fand ich an der
vorderen Krenzbeifffläche eine beträchtliche, etwas nach links
gerichtete Hervorragung, welche ähnlich einem sogenannten
doppelten Vorberge erschien , wahrscheinlich jedoch auf einer
Knochenwucherung an der Innenfläche des Kreuzbeins beruht;
die Conjugata diagonalis bis zum oberen Rande dieser
Herwragnng maass 4" 5" bis zum vorspringenden unteren
für Geburtsfaülf* in Berlin. 253
jRande 4" V". Die Entfernungen der ^Spinae ischii vom Rande
des Kreuzbeins schienen nicht erheblich zu difleriren; im Ganzen
aber die linke Beckenhälfte weniger Raum zu bieten , als die rechte.
Der Unke Darmbeinkamm stand wenig höher als der rechte.
In der Gegend. der linken Synchondro&e zeigten sich in
der Haut vier bis fünf vertiefte Narben und auf dem hinteren
Theile des Os iUum sinistrum fand sich etwas unterhalb der
Spina posterior superior eine flache, etwa wallmissgrosae
Exostose.
Da die Entbindung voraussichtlich noch längere Zeit m
Anspruch nehmen durfte, so überredete ich Frau Sek., sich
in die königl. Entbindungsanstalt bringen zu lassen. Nachdem
die Kreissende am 30. Juli 1861 Abends 5 Uhr daselbst
angelangt war, constatirte' ich noch einmal die Messungen,
und verordnete, da der Scheidentheil immer noch nicht ge-
hörig verstrichen war, die Scheidendouche mit 29° warmem
Wasser, nachdem ich den seit Mittag verhaltenen Harn mit
dem Katheter abgelassen und durch einen Esslöffel voll Ricinusöl
reichliche Stuhlausleerung erzielt hatte. Abends 8 Uhr stellte
sich allmälig die Fruchtblase, während der Muttermund nach
der zweiten und dritten Douche bis um 10 Uhr vollständig
verstrich und sich langsam erweiterte. Der äusserst schmerz-
haften Wehen halber wurden gegen Mitternacht und l1/« Stunde
darauf Pulv. Doveri grx. gegeben. Am 31. Juli früh 7 Uhr fand
ich den feinrandigen- Muttermund vollständig erweitert, darin
die pralle Blape, darüber hoch im Deckeneingange den Kinds-
kopf in erster Schädellage. Als die Fruchtwasser um y28 Uhr
früh mit Meconium gemischt abgeflossen waren, schritt ich,
weil der Kopf in der für dieses schrägverengte Becken un-
günstigen ersten Schädellage, sich eingestellt hatte, nach ein-
geleiteter Chloroform -Narkose zur Wendung auf die Fasse.
Nachdem die Kreissende auf die rechte Seite gelagert war,
führte ich die linke Hand von hinten ein« während meine
rechte Hand den Mutterkorpqr fixirte, ergriff zunächst den
linken Fuss, schlang denselben an, holte dann auch den
rechten, vollzog hierauf die Umdrehung ohne Schwierigkeil,
und liess die Extraction folgen, nachdem die Kreissende auf
das Querlager herumgelegt war. Nach der Losung der Arme
drehte ich das Gesicht des Kindes nach links und hinten und
254 XI Verbannungen der Gesellschaft
entwickelte des Kopf unter gleichzeitigem Druck von Seiten
eines Assistenten auf das Hypogastrium. Der starke asphyctische
Knabe wog 7 Pfund 8 Loth Zollgewicht, zeigte 11 V resp.
SO1/*" Lange und wurde nach anhaltenden Bemühungen zum
vollen Äthanen gebracht; seine Kopfdurchmesser maassen
= 3Vt", SV, 4%", 5V4", SV- Der Uterus zog sieb
mangelhaft zusammen, so dass eine Dosis Seeale cornutum
und anhaltende Reihung desselben durch die Bauchdeckeii
uothwendig erschien, um den Blutabgang zu stillen, als die
Nachgeburt 20 Minuten später durch Druck entfernt war.
Als am folgenden Morgen, trotz mehrstündigen Schlafes
grosse Schmerzhaftigkeit des "Leibes eingetreten, wurden die
bereits angewendeten lemperirten Waeserumschläge mit einer
Eisblase bedeckt, und Einspritzungen von Leinsamendecoct
mit Zusatz von einem Infusum florum Arnicae in die Scheide
verordnet. Der Urin erfolgte spontan, der Stuhl durchföllig;
der Schlaf blieb sehr gut. Da der Durchfall am 3. August
zunahm und ein Frostanfall eintrat, wurde Extract dpü
aquosi grj. in Solut. gummosa« 3iv. gegeben und am 4 die
Eisblase weggelassen, um so mehr als die Schmerzhaftigkeit
des Leibes aufgehört hatte. Zur Beseitigung der Durchfälle
kam am 5. auch noch Solut argenti nttrici (grj. in iß, Wasser)
zu 10 — 15 Tropfen taglich drei Mal zur Anwendung. Am
8. August verlies« die hergestellte Mutter sammt ihrem Kinde
die königL Entbindungsanstalt und befindet sich im Januar 1862
vollkommen wohl und bereits wieder schwanger.
Herr Martin reihte an die Mittheilung dieses Geburts*
falles folgende Bemerkungen:
1) Ueber die Verklebung des Muttermundes bei
Gebärenden.
Die bei Frau Seh. als Ursache der mehrtägigen (fünf Tage
langen) Verzögerung der Geburt nachgewiesene Verklebung
des Mutterhalskanals gehört in der hier beobachteten Aus-
dehnung ohne Zweifel zu den grossen Seltenheiten. Obscbon
ich in acht von mir notirten Geburtsfallen Verklebungen des
äusseren und zwei Mal dergleichen des inneren Muttermundes
beobachtet habe, so war mir doch noch kein Fall zur
Beobachtung gekommen, in welchem der Mutterhalskanal in
fBr OtbtirtAbfflfo fn Berlin. 265
einer längeren Strecke diese Verschliessung gezeigt hätte.
Während in meinen Beobachtungen von Conglutinatio orificii
nteri externi der Scheidentheii bis auf einen anscheinend
kartenpapierdünnen Ring mit mehr oder weniger fest-
geschlossenem Grübchen verstrich, dieser aber trotz regel-
mässiger Wehen sich nicht erweiterte, bis nach stundenlanger
Dauer der Geburt die gegen den Müttermund angedrängte
Fingerspitze jene Exsudatföden meist unter Austritt von einigen
Tropfen Blut gesprengt hatte, fohlte ich und in einem klinischen
und einem poliklinischen Falle mit mir die gerade anwesenden
jungen Aerzte bei der Verklebung des inneren Mottermundes
das Orifitium uteri externum gleich einen feinen Ring von circa
V2 — %" Durchmesser unterhalb der geschlossenen, ebenfalls
nur von einem dönnen Rande umgebenen, durch zerreissliche
Masse verklebten inneren Oeffnung; zwischen der geschlossenen
inneren und der weiteren äusseren Oeffnung fand sich in beiden
Fällen eine ringsum laufende dünnwandige Tasche, in welche
die Fingerspitze eingeschoben werden konnte. — In dem
hier ausführlich mitgeteilten Fälle erschien der über 1" lange
Mutterhalskanal durchaus verklebt und forderte dessen fer-
(Vffnung eine allmäfig fortgesetzte Trennung der mit einander
verbundenen Wandungen. Das Gefühl bei der Trennung der
gallertigen Massen war stets so, als ob dieselben wie Fäden
ton einer Seite zur anderen, jedoch auch an derselben Rand*
fläche hingespannt seien. In allen von mir beobachteten
Fällen war die Geburtsverzögerung bis zur Trennung der
Gallertilden eine sehr erhebliche, alsdann erfolgte die Geburt
in der Regel verhältnissmässig rasch, falls nicht andere
Bindernisse vorlagen. Ohne Zweifel kann die Verklebung des
äusseren Muttermundes bei einem etwas roheren Untersuchen
der Wahrnehmung des Geburtshelfers sich entziehen, indem
die Gaiiertföden dem derberen Druck des Fingere unerkaunt
weichen; auf diese Weise mag es zu erklären sein, dass
manche Aerzte dies Geburtshinderniss nicht beobachtet haben.
2) Der Beckenfehler, welcher in dem vorstehenden
Geburtsfalle KuusthuHe forderte und welcher bei der vor
Jähren vorausgegangenen zeitigen Geburt nach wiederholtem
vergeblichen Gebrauche der Kopfzange -aur Perforation and
Kephalothrypsie genöthigt hatte, bestand nach den Ergebnissen
356 XI. Verhandlungen der Gesellschaft
der äusseren und inneren Beckenuntersucbung in einer
schrägen Verschiebung mit Verkürzung des rechten
schrägen Durchmessers und in beträchtlicher
Hervorragung der vorderen Fläche der oberen
Kreuzbeinwirbel*
Dafür, dass die letztere während der Kindheit etwa in
Folge rhachitischer Knochenerkrankung entstanden sei, waren
weder in der Anamnese und dem sonstigen Verhalten des
Knochengerüstes, noch an dem Becken selbst Beweise auf-
zufinden. Denn sowohl die Conjugata externa betrug (7" 9'")
etwas mehr als bei gesunden Becken gewöhnlich (unter 454
in der Entbindungsanstalt zu Berlin während der letfcten drei
Jahre gemessenen Frauen war dieser Durchmesser 76 Hai
weniger als 7", 207 Mal = 7" bis 7" 6", 101 Mal = 7" V"
bis 7" 11'", 43 Mal 8" und darüber); als auch das Ver-
MUniss zwischen dem vorderen und hinteren Querdurchmesser
des grossen Beckens zeigte sich ganz entgegengesetzt dem-
jenigen, welches bei durch Rhachitis verunstalteten Becken
gewöhnlich ist; nämlich Sp. J. = 7" 2'", Cr. J. = 9" 3".
Bei rhachitischen Becken pflegt der hintere Querdurchmesser
dem vorderen an Länge sich zu nähern, bisweilen sogar
weniger als dieser zu betragen.
Ziehen wir in Betracht, dass bei Frau Seh. ein mehr-
jähriger Entzündungsprocess in der Gegend der linken
Synchondrose beobachtet war, und dass nach länger be-
standener Eiterung auch an der Aussenfläche des linken
Darmbeins eine ausgebreitete Knochenwucherung nachgewiesen
ist, so gewinnt die Annahme grosse Wahrscheinlichkeit, dass
die Hervorragung in den oberen Sacralwirbeln auf einer
Knochen Wucherung beruhe.
Dass das Becken zugleich ein schrägverengtes ist,
beweist das mitgetheilte Ergebniss der Messung: theils der
beiden schrägen Durchmesser des grossen Beckens, theils
der beiderseitigen Linien von dem einen Sitzknorren zu der
entgegengesetzten Spina posterior superior ossis ilium, theils
die ungleiche Entfernung der beiden Spinae anteriores
stiperiores ossium ilium von dem Processus spinosus des
letzten Lendenwirbels, theils der verschiedene Abstand der
Spinae posteriores superiores ossium ilium vom Scheitel des
fax GebnrUhftlfe in Berlin. 257
Schambogens, welche Maasse in ihren übereinstimmende^
Differenzen als wesentliche Kennzeichen schrägverengter Becken
bereits yod Fr. C. Naegde in dessen klassischer Mono*
graphie über das schrägverengte Becken angegeben, theilg
von Simon Thomas in dem neuesten Werke Ober denselben
Gegenstand (1861) als charakteristisch bestätigt sind. Ausser
diesen Maassen fand sich auch eine, wenn schon geringe
Verkürzung des Abstandes der linken Spina poster. super,
ossis ilium von der Spina vertebrae lumbalis V, ein Ver-
hältnisse welches keineswegs so constant ist, als man nach
der Untersuchung vieler derartiger Becken erwarten konnte.
Wenn wir annehmen und dazu haben wir nach den
Beobachtungen von Hayn, Fabbri, v. Rügen, Simon Thomas
und Anderen guten Grund, dass der im 22. Lebensjahre von
Frau Seh. überstandene Entzündungs- und Vereiterungsprocess
um die linke Synchondrose die Ursache der Verkümmerung
des linken Kreuzbeinflügels und somit 4er schrägen Ver-
schiebung des Beckens gewesen, so wird es begreiflich sein,
weshalb dieser Fehler hier nur einen sehr geringen Grad
erreicht hat, da von einer Behinderung des Wachsthums in
diesem Falle nur insofern noch die Rede sein kann, als das
weibliche Becken nach dem zweiundzwanzigsten Lebensjahre
noeh wächst Dass dies zumal da, wo eine Schwangerschaft
und Geburt noch nicht stattgefunden, in gewissem Maasse
stattfindet, wird durch mehrere von mir bei Sectionen alter
Jungfern und solcher Frauen, die nicht geboren haben, ge-
machte Beobachtungen bestätigt, nach welchen die Becken
derselben merklich kleinere Maasse zeigten, als durchschnitt*
lieb bei Frauenbecken nach vorausgegangenen Geburten ge-
funden werden.
Alle so eben aufgeführten Momente zeugen daffiir, dass
in dem hier in Rede stehenden Falle ein schräg verengt es
Becken mit Ankylose der linken Synchondrose und
mit Knochenwucherung an den obersten Kreuz-
wirbelkörpern vorlag.
Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht unterfassen, meine
Genugtuung darüber auszusprechen, dass die sehr sorgfiftige,
jeden einzelnen Grand, welcher für und wider angeführt
)fonftta«6far.f Grtiirtik. 18*8. Bd. XIX., Hft.4. 17
258 XI- Verfuutdlungeii der Gesellschaft
worden ist, einer besonderen auf Thatsachen gestifteten Kritik
unterziehende Arbeit des berühmten Leydener Professors der
Geburtshülfe diejenige Ansicht über die Entstehung der
schrägverengten Becken mit Ankylose der einen Hüftfcreuz-
beinfuge vollständig bestätigt hat, welche ich bereits in meinem
1841 erschienenen Programme „De pelvi oblique ovata cum
ancylosi, Jenae 1841" ausgeführt habe. In jenem Programme,
in deren Noten zugleich zahlreiche Studien über die Ent-
wkkelung und das Wachsthum der Beckenknochen an Fötus-
und Kinderskeleten mitgetheilt wurden, deren spätere Autoren,
z. B. Litzmann in seinem Werke über das enge Becken
(Kiel 1860) nicht gedenken, obschon letzterer ähnliehe sehr
schätzenswerthe Studien veröffentlicht, sprach ich aus, dass
die Entstehung dieser Art schrägverengter Becken (denn ich
unterschied schon damals bestimmt davon die anderen Arten,
welche ohne Ankylose bestehen) auf einer durch Ent-
zündung der einen Ileosacralsynchondrose entstandenen Ver-
wachsung beruhe und dass die übrigen dabei constant
beobachteten Verunstaltungen der Beckenknochen secund&re
seien. Simon Thomas sagt S. 49: „Bei jedem schräg-
verengten Becken ist die Ankylose für die primitive Ab«
weichung und für ein erworbenes Uebel zu halten. Zur
Entstehung der Ankylose ist eine Entzündung des Ueosacral-
gelenkes erforderlich."
3) Was die von mir eingeschlagene Therapie der Ge-
burtsstörung, soweit dieselbe von dem Beckenfehler ausging,
anlangt, so entsprach sie durchaus den von mir in meinem
Vortrage „über die Wendung auf den Fuss als
Rettungsmittel des Kindes bei Beckenenge" vor
zwei Jahren aufgestellten, in der Monatsschrift für Geburts-
kunde, Bd. XV., S. 16 ff. ausführlich mitgetheiken Grund-
sätzen. Ich hatte es hier freilich mit einem nicht allein
sebrägverengten Becken zu thun, sondern zugleich mit einer
durch Knochen Wucherung am Kreuzbeine bedingten Verkürzung
der geraden Durchmesser bis zu 3" 5W. Immerhin erschien
die linke Beckenbälfte im höheren Grade verengt, als die
rechte, und die Einstellung des Kindskopfes in erster Schädel-
Stellung deshalb minder günstig; wie denn auch dieselbe bei
der vorausgegangenen Entbindung nach der Mittheilung
für GebnrtahWfc in Berlin. 269
dabei anwesenden Arztes sich so hinderlich erwiesen hatte,
dass, nachdem die Zange wiederholt vergeblich in Anwendung
gesogen war, endlich nur die Perforation und Kephalothrypsie
die Mutter befreien konnten. Unter diesen Umständen musste,
zumal da das Kind ein ausgetragenes war, sogar mehr als
gewöhnlich gross sich erwies, der Versuch den in erster
Schädellage beweglich Aber dem Beckeneingange stehenden
Kopf mit der Zange zu Tage zu fördern unterlassen werden.
Dagegen erblickte ich, als nach der endlich erfolgten hin-
reichenden Erweiterung des Muttermundes die Beschleunigung
der Geburt durch die Erschöpfung der Kreissenden u. s. w.
geboten erschien , in der Wendung des Kindes auf die Füsse
das geeignete Mittel, den dickeren Hinterkopf in die weitere
rechte Beckenhälfte zu leiten und dadurch die Ausziehung
eines lebenden Kindes zu ermöglichen. Der günstige Erfolg
bat meine Erwartung in diesem Falle bestätigt.
Ob bei einfach schrägverengten Becken mit Ankylose die
Wendung auf die Füsse, wie Simon Thomas glaubt, weniger
verspricht als die Kopflage, muss wohl erst durch zahl-
reichere Beobachtungen entschieden werden. Erkennt ja1 doch
Simon Thomas nach den bisherigen Erfahrungen selbst an,
dass bei diesem Beckenfehler die Beckenendelage in Beziehung
auf die Mutter günstiger sei, als die Kopflage. In 27 hin-
sichtlich ihres Verlaufes und Resultates näher bekannt ge-
wordenen Fällen von Entbindung bei schrägverengtem Becken
mit Ankylose hat man 19 Mal die Zange versucht und dabei
nur vier Mütter am Leben erhalten, darunter zwei Mal mit
einem Bruche eines Schambeines, in 15 Fällen folgte der
Tod und zwar hatten fünf Mal noch andere Operationen, wie
Perforation und Kephalothrypsie, in Anwendung kommen
müssen. — Der Ausspruch von Simon Thomas (S. 64):
„bei todten Früchten oder bei denjenigen, welche bereits
durch die lange Dauer der Geburt — gelitten haben, ist
keine andere Operation als die Perforation erlaubt4* könnte zu
Fehlern der Behandlung Anlass geben, wenn man nicht an-
nehmen dürfte, dass hier unter „Perforation" die Verkleinerungs-
Operationen des Kopfes überhaupt zu verstehen seien. Denn
die Perforation als solche verkleinert den Kopf nicht, sondern
begünstigt nur die Verkleinerung, welche durch die Kephalo-
17*
260 XI- Verhandlungen der GeielUchaft
thrypsie oder in anderer Weise eflectuirt werden mute*
wie ich Monatsschrift „ Band XVII., S. 103 dargetban habe«
Ebendaselbst habe ich nach mehlfachen Versuchen am Phantom
und Beobachtungen an Kreissenden ausgesprochen, dass die
Kephalothrypsie an dem zuletzt kommenden Kopfe besonders
leicht und mit dem besten Erfolge vollzogen werde und zwar
ohne vorausgeschickte Perforation; ein Ergebniss der Er-
fahrung, welches eventuell für die Wendung auf die
Fasse bei beträchtlicher Beckenenge da, wo dieselbe über-
haupt zulässig ist, anzuführen sein möchte.
Herr L. Mayer ist der Meinung, dass eine einfache
Conglutinatio des Muttermundes der Gewalt der Wehen immer
weichen müsse; sei dies nicht der Fall, so müsse man wohl
eine Verwachsung und nicht eine blosse Verklebung annehmen.
So hätte auch in dem vorliegenden Falle, wo ein einfacher
Fingecdruck hingereicht habe, die Verklebung zu trennen,
eine längere Einwirkung der Wehen gewiss die Eröffnung des
Muttermundes herbeigeführt. Ihm selbst seien drei Fälle
bekannt, wo diese Entwickelung mit der Zeit stattgefunden habe.
Herr Martin wendet ein, dass.wohl nur die jedesmalige
Beobachtung die angeführte Möglichkeit ergeben könne und
diese im vorliegenden Falle, wo drei Tage lange Wehen zum
Theil unter ärztlicher Assistenz und Förderung die Ent-
wickelung des Scheidentheils nicht bewirkt hätten, aus-
zuschliessen sei. So sehr leicht sei übrigens der angewendete
Fingerdruck nicht zu nennen, und habe er deutlich das
Zerreissen der Adhäsionen gefühlt, während gleichzeitig etwas
Blutabgang eingetreten sei. Endlich stände diese Beobachtung
nicht vereinzelt da: Naegele d. J. führe in seiner Schrift „De
mogostocia e conglutinatione orificii uteri (Heidelbergae 1835)"
zahlreiche Beispiele an, wo die Geburt Tage lang gezögert
habe, nach Zerreissung der Verklebung hingegen schnell vor-
wärts gegangen sei.
Herr C. Mayer erwähnt einen Fall, wo die üi der
Schwangerschaft durch Entzündung der Vaginalportion und
Scheide gebildete Verklebung des Muttermundes ebenfalls
durch mechanische Mittel beseitigt werden musste. In anderen
Fällen habe er solche Verklebung sich ohne mechanische
fir GebartshiHfa in Berlin. 261
Hülfe lösen sehen, doch bezweifle er die Möglichkeit solch
stärkerer Verklebungen nicht
In Bezug auf eigentliche Verwachsung erwähnt Herr
L. Mayer einen Fall, den er ausführlicherer Mittheilung
vorbehält.
Herr Ulrich bat im Wiener Gebärhause einen Fall
beobachtet, wo durch einfache Conglutinaüon die Entbindung
bedeutend verzögert wurde. Ob damals die mechanische
Erweiterung vorgenommen sei oder die Wehenkraft gesiegt
habe, weiss er nicht mehr anzugeben, jedenfalls aber sei
die mechanische Behandlung der ieichtere, schnellere und
schonendere Weg die Entbindung zu Ende zu fuhren.
Herr Eavoth verweist auf die milde und doch ergiebige
Erweiterung, die ein bohrender Finger auch in anderen
Fällen zu Wege bringe; so habe er kurzlich eine Strictur
des Mastdarms ebenfalls auf diese, Weise zur genügenden und
günstigen Erweiterung gebracht.
Sitzung vom 28. Januar 1862.
Vor der Tagesordnung zeigt der Vorsitzende den vor
wenigen Tagen erfolgten Tod des Geh. Medicinalraths Professor
Dr. Hohl der Gesellschaft an. In einer kurzen Schilderung
gab er eine Uebersicht über die Verdienste, welche Hohl
sowohl als Lehrer wie als Schriftsteller sich um die wissen-
schaftliche Ausbildung der Geburtshülfe erworben, erwähnte
die Theilnahme, mit welcher derselbe als auswärtiges Mitglied
stets den Verhandlungen der Gesellschaft gefolgt war und
gab der Traner um diesen Verlust einen beredten Ausdruck.
Durch allgemeines Erheben ehrte die Gesellschaft das An-
denken ihres alten Freundes und Lehrers.
Herr Lücke hielt folgenden Vortrag:
Ueber Entstehen und Wachsthum von Geschwülsten
während der Schwangerschaft.
Das zu besprechende Thema verdient in hohem Grade
die Aufmerksamkeit der Geburtshelfer, auch wenn wir von den
262 XI* Verhandlungen der Gtselbchaft
Geschwülsten absehen/ welche ihren Sitz an den Geschlecfate-
theilen haben und wegen der mechanischen Hindernisse, die
sie der Geburt entgegensetzen können, dem Geburtshelfer
wohl bekannt sind. Geschwülste an anderen Körpertheilen,
welche mit der^Schwangerschaft einen gewissen Zusammenhang
haben , sind wohl häufiger von Chirurgen beobachtet worden ;
wenigstens findet sich in den Lehrbüchern der Geburtshelfer
so gut wie Nichts darüber und doch muss hier die wichtige
Frage erörtert werden, zu welcher Periode der Schwanger-
schaft nöthige Operationen am gefahrlosesten für deren Verlauf
vorgenommen werden können.
Es würde gewiss nicht schwierig sein, in der Literatur
eine grössere Anzahl von Fallen zu finden, welche hierher-
gehören, ich will mich jedoch darauf beschranken, eine Reihe
von solchen Fällen mitzutheilen, die ich selbst im königl. chir.
Universitäts- Klinikum zu beobachten Gelegenheit gehabt habe.
Bei der veränderten Vegetation und Innervation des weib-
lichen Körpers während der Schwangerschaft ist es nicht
auffallend, dass auch Geschwülste verschiedener Art sich ent-
wickeln, oder einmal vorhanden einen rapideren Verlauf nehmen;
es können dies bösartige Neubildungen sein, wie Carcinom,
oder in d$m Geruch verhältnissmässiger Gutartigkeit stehende,
wie Enchondrome und Sarkome; auch vom Knochengewebe
ist es bekannt, dass es in Gestalt von Osteopbyten am
Schädelgewölbe der Schwangeren sich entwickeln kann. Mögen
sie nun dieser oder jener Kategorie angehören, so viel
scheint gewiss, dass ihr Vorhandensein — abgesehen von den
Tumoren der Geschlecbtstheile — keinen Einfiuss weder auf
den Verlauf der Schwangerschaft, noch auf die Gesundheit
des Kindes ausübt.
Geschwülste können entweder bereits vor der Schwanger-
schaft bestehen, und der Einfiuss, den dieselbe auf sie ausübt,
besteht darin, dass sie plötzlich in ein rapides Wachsthum
gerathen und die Operation dann erforderlich machen, wenn ein
weiteres Wachsthum die Exstirpation unmöglich oder lebens-
gefährlich machen würde. Oder zweitens entstehen Tumoren
während der Gravidität und nehmen einen mehr oder weniger
rapiden Verlauf. In dritter Reibe wären solche Fälle auf-
zuzählen, wo Geschwülste, bestehend« oder erst in der
Illr Gebnrtshbife in Berlin.
Schwangerschaft entstandene, bei erneuter Schwangerschaft
ein erneutes Wachsthum beginnen, also gewissermaassen einen
typischen Verlauf nehmen. *)
Fälle der ersten Art sind folgende:
1. Frau von 40 Jahren, angeblich stets gesund gewesen,
leicht kyphotisch gebaut, bemerkte im Jahre 1858 einen
kleinen verschiebbaren Knoten in der Achselhöhle. Im August
1860 verheiratbete sie sich und bemerkte bald nach erfolgter
Conception eine zweite kleine Geschwulst in der Nähe der ersten,
welche rasch an Wachstbum zunahm; über ihr röthete sich
die Haut und sie ward der Sitz heftiger lancinirender Schmerzen.
Ende vierten Monates ihrer Schwangerschaft wurde die Patientin
in das königl. Klinikum aufgenommen ; Kindsbewegungen waren
deutlich gefühlt; in der Achselhöhle befand sich eine mehr
wie faustgrosse Geschwulst, die sich bis an den Axillarrand
der Mamma erstreckte; sie war hart, kaum verschiebbar,
mit der gerötheten Haut fest verwachsen. Die Exstirpatio»
wurde Mitte Januar 1861, im fünften Schwangerschaftsmonate
vorgenommen; die Geschwulst musste von der Scheide der
grossen Axillargefäese abgelöst und ein Stück Haut mit-
entfernt werden. Die Untersuchung ergab sie als Carcinom.
Die Heilung ging innerhalb zweier Monate ungehindert von
8tatten, die Kindsbewegungen blieben nach wie vor lebhaft.
2. Frau von 36 Jahren, seit 12 Jahren verheirathet,
bat vier Kinder geboren. Im März 1860 bemerkte sie am
Rande der linken Brust einen harten Knoten, der wahrschein*
lieh schon länger bestanden hatte und ihr keinerlei Be-
schwerden verursachte. Im April coneipirte Patientin zum
fünften Male. Der Knoten blieb klein und schmerzlos bis
zum sechsten Monate der Schwangerschaft, von wo ab eine
schnelle Vergrösserung begann, die Geschwulst wurde schmerz-
haft und brach auf. Trotz dem bedeutenden Säfteverluste
durch das jauchende Carcinom verlief die Schwangerschaft
normal und Patientin gebar im Januar 1861 ein gesundes
Kind. Im April wurde die Patientin in die Klinik reeipirt
1) Ein Theil der Krankengeschichten ist von M. Kaeppel in
seiner Inauguraldissertation, Berlin 1861, mitgetheilt Fall 6
theilweise von Dr. BUfri ia der Deutschen Klinik, 1860.
264 XL Verhandlungen der Gesellschaft
Sie war äusserst abgemagert, fieberte fortwährend, hatte
wegen der Schmerzen wenig Schlaf; die linke Mamma war
nahezu zerstört, die Ulceration hatte etwa die Grösse eine«
Handtellers; in der Umgegend bis weit auf die rechte Brust
hinüber sich erstreckend zeigten sich eine grosse Anzahl
flacher Hautcarcinomeu, von verschiedener Grösse. An eine
Exstirpation war hier naturlich nicht zu denken, jedoch wurde
der Versuch gemacht, durch das Glüheisen einen Theil des
Krankhaften zu zerstören und es wurde wenigstens das er-
reicht, dass die Schmerzhaftigkeit nachliess und der scheuss-
liche Gestank beseitigt ward. Indessen trat bald brandiger
Decubitus ein, die Ulceration machte Fortschritte in die Tiefe
und Patientin erlag. Die Section ergab secundäre Carcinome
auf Pleura, Pericardium und in der Leber.
3. Frau von 30 Jahren; seit zwei Jahren verheirathet
bemerkte sie, nachdem in Folge einer Erschütterung eine
-Blutung aus dem Munde stattgefunden hatte, ein Knötchen
am harten Gaumen, welches bei Berührung leicht blutete. Sie
wurde schwanger. Im sechsten Monate der Schwangerschaft
fing das Knötchen an, lebhaft zu wachsen und wurde
schmerzhaft Schwangerschaft und Geburt verliefen indessen
trotz des zunehmenden Wachsthums der Geschwulst normal,
Patientin gebar ein gesundes Kind, welches sie bis zum
siebenten Monate nährte, und da während dem der Tumor
unaufhaltsam zunahm, kam sie in die Klinik, wo die Ex-
stirpation der faustgrossen Geschwulst mit Wegnahme des
harten Gaumens ausgeführt wurde. Die Geschwulst war ein
Enchondrom.
Fälle der zweiten Art — Entstehen von Tumoren in der
Gravidität — sind folgende:
4. Frau von 30 Jahren, war in ihrer Jugend scrophiulös,
ihre Menses waren stets unregelmässig. In ihrem 26. Jahre
verheirathete sie sich und gebar vier Kinder« Die letzte
Niederkunft fand vier Wochen vor ihrer Aufnahme in das
Klinikum statt. In den letzten Monaten der Schwangerschaft
hatte sich an der v linken Brustwarze eine Erosion gebildet,
deren Umgegend sich bald verhärtete. Gleichzeitig litt Patientin
an den heftigsten Schmerzen im Kreuze und reissenden
Schmerzen in den unteren Extremitäten. Patientin war sehr
fö* Gebnrtohfilfe in BmKb. 265
schwach und abgemagert, der Lochialfluss hatte noch nicht
aufgehört, die linke Mamma zeigt eine hübnereigrosse, fest
aufsitzende, harte GescbwuJst; die Warze ist eingezogen und
ron einer thalergrossen, flachen Ulceration umgeben. Dabei
klagt die Kranke fortwährend ober die heftigsten Rücken-
schmerzen, eine leichte Anästhesie der Fusse ist nachweisbar.
Verlagerung der Gebärmutter ist nicht vorhanden. Im Mai 1861
wurde die linke Mamma mit der -Geschwulst entfernt, nebst
einigen inßltrirten Acbseldrüsen. Der Tumor war ein Scirrhus.
Die Ueberhäutung der Wunde kam nicht zu Stande, die
Kräfte der Patientin nahmen unter den fortwährenden heftigsten
Schmerzen im Racken, welche den Verdacht auf anderweitige
Caräneme vom Anfange an erregt hatten, ab; der Tod erfolgte
nach drei Monaten durch eine Pleuritis. Die Section ergab
secundäre Carcinome der Pleura und Lungen , des Pen-
cardiums und der Leber, sowie sämmtlicher Wirbelknochen,
des Kreuzbeins, der Bedienknochen, der Rippen und des
Brustbeins.
5. Kräftige Frau von 36 Jahren, bisher stets gesund
gewesen. Seit 16 Jahren verheirathet hat sie sieben Kinder
geboren. Bei ihrer Aufnahme in das chirurgische Klinikum
war sie im siebenten Monate ihrer .achten Schwangerschaft.
Vor 18 Wochen hatte sie eine erbsengrosse Geschwulst am
linken Kieferwinkel bemerkt, welche seit sechs Wochen ein
rapides Wachsthum begonnen hatte. Die erst harte Geschwulst
fing an zu erweichen, wurde sehr schmerzhaft. Vor 14 Tagen
wurde durch Incision eine Quantität Eiter entleert. Bei der
Aufnahme der Kranken war die Geschwulst hühnereigross,
weich, wenig verschiebbar und nahm genau die Regio parotidea
ein, nach oben reichte sie bis an den Arcus zygomaticus,
nach unten über den Kieferwinkel hinaus; sie war der Sitz
der heftigsten spontanen Schmerzen, welche ihr jeden Schlaf
raubten und sie vor Allem zur Operation bestimmten. Kinds*
bewegungen waren lebhaft. Die Geschwulst wurde mit einiger
Schwierigkeit exstirpirt ; der Arcus temp. musste unterbunden
werden, der Plexus anserinus durchschnitten. Es war ein
Epitheliakarcinom der Parotis. Die Heilung erfolgte sehr
schnell und Patientin gebar ein gesundes Kind; es traten
baM Recidive auf.
266 XI. Verhandlungen 4er Geeelbebaft
Io dritter Reihe theile ich zwei Fälle mit, die gleichsam
eisen typischen Verlauf darbieten.
6. Frau von 30 Jahren. Sie hat fünf regelmässige Ge-
burten gehabt, einmal abortirt und befand sich cur Zeit ihrer/
Aufbahme in die Anstalt im achten Monate ihrer siebenten
Schwangerschaft Patientin ist eine kräftige Frau. Sie ist vor
langen Jahren einmal auf den rechten Ellenbogen gefallen, hat
aber später nur zuweilen Schmerzen in der Ulna empfunden,
bis im Beginne der letzten Schwangerschaft sie in der Gegend
der Ulna ehe Geschwulst bemerkte, die anfangs langsam, im
siebenten Monate aber sehr rasch zunahm. Die mannsfaust-
grosse harte Geschwulst nimmt die Gegend des oberen Drittel
der Ulna ein und ist fast auf dem Knochen unbeweglich.
Das Allgemeinbefinden der Patientin ist gut, die Kinds»
bewegungen werden lebhaft gefühlt. Zur Entfernung der
Geschwulst muss die Resection des Ellenbogengelenks vor*
genommen und ein grosses Stück der Ulna mitentfernt werden;
das Capitul. radii wurde erhalten. Die Heilung ging vor*
trefflich von Statten, Patientin bekam ein etwas lose beweg-
liches Gelenk und genas zur rechten Zeit eines gesunden
Kindes.
Ein Jahr später trat erneute Schwangerschaft ein und
in derselben entwickelte sich in der Narbe ein Reoidiv der
Geschwulst, welche sich als Sarcom ausgewiesen hatte und
machte eine Exstirpation derselben nöthig, die wegen des
oberflächlichen Sitzes der Geschwulst, nicht schwer war. Die
Schwangerschaft verlief angestört und die Patientin befindet
sich gegenwärtig wohl.
7. Frau von 26 Jahren, seit 15 Jahren verheirathet,
hat elf Schwangerschaften überstanden, in der sechsten,
siebenten, achten trat Abortus ein. Acht Tage vor der
neunten Entbindung, wo sie ein todtes Kind gebar, bemerkte
sie, nachdem schon längere Zeit Reissen im Kopfe und Thränen
des rechten Auges vorausgegangen war, eine bobnengrosae,
harte Geschwulst über dem rechten inneren Augenwinkel.
Dieselbe wuchs auch nach der Entbindung noch fort und ver-
stopfte das rechte Nasenloch, erreichte fast WaUnusagröese.
Als die Menses wieder eintraten, begann die Geschwulst sich,
ohne Anwendung von Mitteln, zu verkleinern, und war baM
Ar GeburtsfcWe In Berlin. 297
nur noch bei genauester Untersuchung als flache Auftreibung
sichtbar.
Im November . 1858 bemerkte Patientin bei erneuter
Schwangerschaft ein Wachsen der Geschwulst, welches be-
sonders in der zweiten Hälfte derselben und ganz auffallend
gegen Ende hervortrat. Der Tumor war jetzt höhnereigross,
verstopfte das rechte Nasenloch vollständig, das linke theil-
weise, das Geruchsvermögen war beeinträchtigt. Nach der
Entbindung verkleinerte sich die Geschwulst von Neuem und
verschwand bis auf einen geringen Rest Das Geruchsvermögen
kehrte wieder. So blieb es bis zum Eintritte einer neuen
Gravidität im März '1860. Damit begann die Geschwulst
langsam zu wachsen, erst vom siebenten Monate ab nahm
sie ganz rapid zu und begann schmerzhaft zu werden.
November 1860 ward Patientin von einem gesunden Kinde
entbunden. Aber jetzt nahm die Geschwulst nicht wieder ab,
im Gegen theil vergrösserte sie sich enorm, dass sie nahezu
die Grösse eines Kindskopfes erreichte und Patientin bewog,
sich behufs der Operation in das königl. Klinikum aufnehmen
zu lassen. Die Exstirpation wurde von B. Langenheck ver-
sucht, konnte aber nur theilweise ausgeführt werden, weil
{lieh fand, dass der Tumor in der Gegend des Os ethmoideum
die Basis cranii perforirt hatte. Die Geschwulst war ein
MeduRarsarcom. Es trat zwar zuvörderst Heilung ein, aber
bald ein Recidiv, das dann seinen Verlauf nahm. —
Aus dieser verhältnissmässig geringen Anzahl von Kranken-
geschichten lässt sich natürlich kaum etwas Allgemeingültiges
herleiten. Indessen scheint mir doch besonders beachtens-
wert, dass das lebhafteste Wachsthum der Geschwülste vom
wehsten und siebenten Monate der Schwangerschaft an statt-
zufinden pflegt leb constatire nur diese einfache Thatsache,
die vielleicht physiologisch verwerthet werden könnte.
Was die praktische Frage anbetrifft, so ist es wohl
zweifellos, dass unter zwingenden Umständen dem Chirurgen
die selbst gefährliche Exstirpation von Geschwülsten gestattet
werden muss, und der Grundsatz, nach abgelaufenem fünften
Sehwangerechaftismonate zu operiren, scheint gerechtfertigt
zu sein; in den betreffenden von B. Langenbeek operirten
XI. Verhandlungen der Geselfochaft
Fällen ist niemals ein ungünstiger Einfluss auf den Verlauf
von Schwangerschaft und Geburt zu bemerken gewesen.
Herr L. Mayer constatirt das rapide Wachsen eines
Cancroids der Vaginalportion während der Schwangerschaft.
In einem anderen Falle entwickelte sich eine kleine polypöse
Excrescenz an der Vaginalportion ebenfalls wahrend der
Schwangerschaft. Zur Zeit behandelt er eine Frau, die un-
gefähr im sechsten Monate schwanger ist und eine sich stark
Vergrössernde Geschwulst in der Herzgrube trägt, über deren
Natur er nicht recht im Klaren ist Andererseits kann er
indess Beobachtungen beibringen, wo z. B. Fibroide des Uterus
während der Schwangerschaft durchaus keine Vergrösserung
erlitten haben.
Herr Hesse hat häufig die Beobachtung gemacht, dass
Schwangere seine Hülle wegen einer eigentümlichen polypösen
Wucherung des Zahnfleisches in Anspruch nahmen. In einem
erst kürzlich beobachteten Falle war diese Wucherung so
stark, dass die Zähne auseinandergetrieben wurden. Eine
blutige Operation hat er bei dem vasculären Bau derselbe^
bisher gescheut und sich auf die Anwendung von Aetzmitteln
beschränkt. Er rätli aber auch picht zu energisch gegen
dieses Uebel einzuschreiten, da er in allen Fällen ein frei-
williges Schwinden der anomalen Bildung nach erfolgter Ent-
bindung gesehen hat. ^
Herr Strassmann bestätigt diese Beobachtungen durch
einen von ihm selbst kürzlich behandelten Fall
Herr Lücke wirft die Frage auf, ob auch andere gut-
artige Geschwülste diesen Zusammenbang mit der Schwanger-
schaft zeigten; seine Beobachtungen bezögen sich nur auf
das Wachsthum bösartiger Fremdbildungen.
Herr Martin weist darauf hin, dass allgemein angenommen
werde, dass Fibroide des Uterus während der Schwanger-
schaft wüchsen, und nachher wieder kleiner würden. Dass
krebsige Bildungen excessiv wucherten habe er selbst in einem
Falle beobachtet, in welchem neben mehreren anderen Knochen-
krankheiten eine an der Vorderfläche des Kreuzbeins und
eine an dem rechten Schambeine entstandene Krebsgeschwulst
für Gaburtahülfe in B«ri!a.
dermaassen wucherten und dadurch einfache Verengerung, dea
Beckens herbeiführten, das» nur in Folge des im siebenton
Monate der Schwangerschaft eingetretenen Todes der Frucht
die Entbindung auf natürlichem Wege möglich wurde. ')
Herr Kauffmann fand nach der Entbindung einer Erst-
gebärenden von einer Hydatidenmole im vierten Monate bei der
Untersuchung des Uterus die hintere Wand des Uterus durch
eine beträchtliche Geschwulst ausgedehnt, die bis an den
Fundus reichte und die er für ein eingebettetes Fibroid hielt.
Längere Zeit nach der Entbindung konnte* er die Geschwulst
nicht mehr deutlich fühlen und bei einer späteren normalen
Entbindung war keine Spur derselben mehr zu entdecken.
Herr Kristeller fragt, ob es sich in diesem Falle nicht
vielleicht um Reste der Decidua gehandelt habe, welche nach
einer kürzlich von ihm gemachten Beobachtung den Anschein
einer auffallenden Verdickung einer Uteruswand hervorrufen
könnten.
Diese Auffassung theilt Herr Kauffmann indess für
vorliegenden Fall nicht, da er nach nochmaliger Durchsicht
seiner damals gemachten Notizen die fibroide Natur dieser
Geschwulst für unzweifelhaft hält.
Herr Schnitze erwähnt eines Lipoms, das er vor einigen
Jahren in der königl. Entbindungsanstalt zu beobachten Ge-
legenheit hatte. Dasselbe sass in -der Lendengegend einer
fettleibigen Schwangeren und nahm während des Aufenthalts
derselben in der Anstalt in den letzten beiden Mondsmonaten
augenfällig an Umfang zu, so dass Patientin beabsichtigte, sich
nach erfolgter Entbindung operiren zu lassen. Vierzehn Tage
nach der Entbindung indess wurde schon eine beträchtliche
Abnahme des Lipoms wahrgenommen; Patientin verliess un-
operirt die Anstalt und als sie sich nach Verlauf von einigen
Monaten eines anderen intercurrenten Leidens wegen Herrn
Schnitze vorstellte, hatte sich die Geschwülst, die früher fast
1) Die ausführliche Beschreibung mit Abbildung s. in der
lllustrirten Medicinischen Zeitung, München, III. Band, Heft 4,
S. 167 — 186. Martin, über den Krebs .der Beckenknochen als
Oeburtshinderniss. Die Abbildung s. auch in Martina Handatlaa
der Gynäkologie und Geburtshülfe , Taf. LXVII., Fig. 2.
270 XI. Verhondlimgen der OeeeUaehaft etc.
Kindskopfgrösse hatte, bereits biß zum Umfange einer Crtrone
verkleinert.
Herr Winckel theilt die ebenfalls in der königl. Ent-
bindungsanstalt gemachte Beobachtung einer Geschwulst im
linken oberen Augenlide mit, welche bei jeder Menstruation
der Patientin eine vorübergebende Vergrösserung erlitt. Bei
einer später eintretenden Schwangerschaft erreichte die Ge-
schwulst die Grösse einer Wallnuss, zeigte eine deutlich
elastische Beschaffenheit, ohne gelappt zu sein und liess sich
leicht unter der Haut verschieben. Nach dem Wochenbette
verkleinerte sie sich bedeutend und da die lästigen Druck-
beschwerden fast gänzlich verschwunden waren, so verzichtete
Patientin auf die früher gewünschte Operation.
Bei demnächst vorgenommener Wahl neuer Mitglieder
wurden mit Stimmenmehrheit gewählt:
Zu ordentlichen Mitgliedern:
Herr Dr. Ernst Paetsch.
„ „ Siegfried Wilcke.
„ „ Philipp Groethuysen.
Zu auswärtigen Mitgliedern:
Herr Dr. Simon Thomas in Leyden.
„ „ Alfred Hegair in Darmstadt.
„ „ Samelson in Manchester.
Die Kasse, wurde revidirt und richtig befunden.
Bei der Neuwahl des Vorstandes wurden gewählt:
Herr C. Mayer, Präsident.
„ Martin, Vicepräsident.
„ Kaufmann, Secretär.
„ Kristeller, Vicesecretär.
„ L. Mayer, Kassenführer.
Schliesslich wurde eine Commission aus den
Herren Lücke, Kristeller und Ousserow
erwählt, um die Feier des Stiftungsfestes würdig vorzubereiten.
XII. Bpimdli, Uetor dto Wmdmig auf die Fasse etc. 271
XII.
TJeber die Wendung auf die Ftisse bei Querlagen
mit Vorfall eines Armes.
Von
Dr. Spöndli,
Privatdocent in Zürich.
Die WendungsfäUe der bezeichneten Art gehören bekannter-
'maasaen zu den schwierigsten; sie sind es vorsügUcfa, bei
denen häufig die Alternative zwischen Wendung und Embryotomie
oder die Gefahr eines Gebärmutterrisses auftritt Ohne mit
neuen Ideen über die Behandlung soieher Fälle an's Licht
treten zu wollen, glaube ich doch nichts Unnützes zu unter*
nehmen, wenn ich dem ärztlichen Leserkreise eine Ansah!
soieher Beispiele aus meiner eigenen Praxis vorführe, um die
Hindernisse, Gefahren und mitunter auch Verstösse hn Zu-
sammenhange klar zu machen, welchen man hierbei au»*
gesetzt ist
1. Wendung auf den linken Fuss bei Querlage
mit Vorfall des rechten Armes.
Eine noch sehr junge Frau, welche ich vor einem Jahre
mittels einer mühsamen Zange von ihrem Erstgeborenen ent-
bunden hatte, ward Abends 6 Uhr von Wehen befallen. Um.
1 Uhr nach Mitternacht sprang die Blase; und bei der unmittelbar
hernach angestellten Untersuchung fand dioHehamme den rechten
Arm bis in die Vagina herunterragend; sie behauptete, froher
den Kopf vorliegend geffibll zu haben, was bei der bedeutenden
mit Gewalt hervorstfirzenden Wassermenge und mit Hinblick
auf zuweilen während des Geburtsactes vorkommende Ab-
lenkungen des Schädels nicht ganz unmöglich ist. Immer
aber wird man wohl daran thun, solche Angaben mit einiger
Vorsicht aufzunehmen. Als ich nach einer vollen Stunde su
Wagen bei der entfernt wohnenden Kreissenden anüngte, lag
die rechte Hand, auf Berührung sich bewegend, vor den
Genitalien, der Muttermund zeigte sich hinlänglich geMbet,
272 XII. SpöndU, üeber die Weaduag auf dl« Fflsae
die Wehen waren weder stark noch häufig. Aeusseriich
fühlte ich den Kopf rechts, die Fasse in der linken Matter-
seite, und da nichts zu versäumen war, liess ich sogleich
das Querlager herrichten, legte um die vorgefallene Hand
eine Schlinge, und ging, letztere der Linken übergebend, mit
der rechten Hand in die Uterushöhle ein. Bald erreichte ich
einen Fuss, es war der linke, und zog denselben sogleich
nach dem Beckenausgange herunter. Hierauf liess ich eine
Pause eintreten, doch dauerte es kaum 10 Minuten, bis
kräftige Wehen den Steiss ins Einschneiden brachten. Ob-
schon die Fersen ursprünglich abwärts schauten, drehte sich
der Rücken von selbst nach vorn. Der linke Arm erschien
in gewöhnlicher Haltung mit abwärts gestrecktem EübogefL,
und der Kopf war gegen die Brust hin gebeugt. Da indessen
letzterer Act mit etwelcher Zögerung verlief, so ward das
Kind, ein starker Knabe, asphyktisch geboren, und es bedurfte
einer halben Stunde, um durch unausgesetzte Bemühungen,
denselben in's Leben zurückzurufen. Die Placenta Uifete sich
spontan, das Wochenbett ward leider durch eine beschwer-
liche Mastitis getrübt.
Es sei mir gestattet, über diesen, wie über die folgenden
Fälle einige erläuternde Bemerkungen anzuknüpfen.
Bei sogenannten Armlagen wird man stets am Besten
thun, eine Schlinge über das Handgelenk zu legen, um
dadurch die Sacrälgegend räumlicher zu gestalten. Manche
Collegen haben den Gebrauch, zu reponiren; es nützt dies
aber rein nichts und kann, wenn dabei roh verfahren wird,
sogar schädlich wirken. Ebenso hinderlich wirkt blosses
Liegenlassen, weil die operirende Hand den Arm mit sich
zurücknimmt und dadurch vielfach gehemmt wird. Den anderen
Arm aber herunterzuziehen würde eben so. leicht zum Ziele
führen, wie wenn ein schlechter Schwimmer, um sich vor
dem Ertrinken zu retten, noch tiefer in den See hiaeinwaten
würde. Ueber die Amputation, Ausdrehung und ScarificatieB
endlich des vorgefallenen Armes hat die Wissenschaft schon
längst ihr Urtheil gesprochen. Ist das Kind abgestorben,
so hat ein solches Verfahren am Ende wenig zu bedeuten;
lebt es aber, so liegt darin eine nicht zu entschuldigende
Barbarei, welche in einem Falle ihre gerechte Strafe dadurch
bei Querlagen mH Vorfall eiaes Armes. 278
erhielt, dass der Verstümmelte Bach erlangter Volljährigkeit
seinem Lebensretter eben fatalen Process anhängte.
Ferner ist es Manchem vielleicht aufgefallen, dass ich
nicht auf den gleichnamigen Fuss wandte. Obschon nun
mancher Operateur in demselben Falle sich mag befunden
haben 9 so hegt doch darin etwas Kunstwidriges, welches mir
gegenwärtig, wo ich stets längs der abwärts gerichteten
Kindesfläche bis zum Steisse in die Höhe zu gehen pflege,
nicht so ohnehin begegnen dfirfte. Indessen haben sich zu
verschiedenen Zeiten gewichtige Autoritäten, wie Röderer,
Jörg und Simpson, daför ausgesprochen, dass das Erfassen
des oberes Fusses namentlich in schwierigen Wendungsfallen
eine leichtere und vollständigere Umdrehung gestatte, und ich
selbst habe mich am Phantom Afters ftberzeogt, dass dies
hauptsächlich bei nach vorn- gerichteter Bauchfläche der Fall
sei« Man darf sich also über jenen Kunstfehler, wenn er am
rechten Orte begangen wird, beruhigen und der Ausnahme
von der Regel ihr Recht vindiciren. In solchen Sachen muss
der praktische Gesichtspunkt leiten, und gesetzt auch, man
halte fehlerhafter Weise in nicht ganz leichten Fällen den
ungleichnamigen Fuss gefasst, so wird es jedenfalls besser
sein, denselben anzuziehen, statt fahren zu lassen, um den
anderen erst aufzusuchen. Gelingt die Umdrehung nicht wegen
Kreuzung der Schenkel, so hat man immer noch Zeit, das
Letztere auszuführen.
2. Wendung auf den linken Fuss bei Querlage
mit Vorfall des rechten Armes.
Eine Frau, welche schon acht Mal glücklich nieder-
gskanmen war, kam Vormittags 6 Uhr m Geburtsarbeit
Als nach einiger Zeit die Blase sprang, fielen Nabelstrang
und rechter Arm gleichzeitig vor, und es begann sich der
letalere unter heftigen Wehen immer mehr mit der Schulter
einzupressen und anzuschwellen. Ein geschätzter College,
der, ich weiss nicht genau, wann? gerufen ward, und die
Frucht schon abgestorben fand, versuchte die Wendung auf
die Fasse auszuführen, und da ihm der vorgefallene Arm
hinderlich war, ezartieuhrte er denselben um Mittag. Dessen-
ungeachtet kooote er weht zum Ziele gelangen, und ermftdet
MoBfttMehr. f. Qtbvrtok. 186». Bd. XIX., Hfl. 4. 18
274 xn- flpfrrfK, tf •*>" d** Wendnng «nf dito Fasse
lies* er mich um Hülfe bitten. Da das Queriager schon «feil
mehreren Stunden exietkie, so hatte ich nicht* Western* an
thnnf als, da der Kopf rechte, die Fasse links sich befänden,
mit der rechten Hand die Wendung au versuchte. Es war
allerdings keine leichte Arbeit; indessen gelang es mir bas*\
den in der linken Vorderbsuobgegend befindlichen linken Fuaa
zu erreichen und vor die Genitalien herauszustellen. Ee wtoe
höchst überflussig gewesen, mit der Extraction langer an
saudern, die Entwicklung hielt nicht schwer« der rechte
Schenkel folgte, und bles die Arme und der sehr veluumfee
Kopf, welchen ich mittels des Prager Handgriffes entwickelte,
verursachten einige Schwierigkeit. Die männliche Frucht
war 9 Pfund schwer» die Ptaeenta entfernte ich nach einer
Viertelstunde und das Wochenbett hatte einen günstigen
Verlauf.
Die meisten Querlagen kommen bei HehrgeUreadan zur
Beobaohtjjng, und auch eine Reihe der glückUchsUn Phorien
schützt nicht vor diesem Vorkommnisse, UnKngst aber erlebte
ich den umgekehrten, gewiss seltenen Fall, dase eine Frau,
wekhe von der ersten Geburt an, und zwar vier Mai, Quer*
lagen gehabt, das fünfte Kind trota ihrer Befürchtung einer
Wiederholung rasch und glücklich in Sch&dellage sur Welt
brachte.
i
3. Wendung auf den linken Fuss bei Querlage mit
Vorfall des rechten Armes und eingepresster
Schulter.
Eine kleine rhachitische , aber überaus muntere und ge-
sunde Frag wer 1854, nachdem ich durch äussere Handgriffe
die Querlage in eine Schfidettege verwandaU halte, mit anobm
lebenden Kinde glucklich niedergekommen. Ein Jahr späte»,*
gebar sie ihr zweites ganz normal, ond da sie veramthliaii
von der ersten Niederkunft trotz meiner ausführlichen Er-
klärung nur einen schwachen Begriff hatte, vielfeieht auch
meine damaligen Bemühungen für überflüssig haken mochte,
so glaubte sie sich für alle Zukunft sicher, und sandte, als
1866 beim Beginne der dritten Gebort das Fruchtwasser
abfloss, zu spät um Hälfe. Vorher wurden Wefaenpuivtr in
Anwendung gezegen, aber mit den erwachenden Wehen ward
. feoft QiiefiflgMi «Ht Votfall «Ines Antra. 275
iriobt der Kopf, sondern der rechte Arm heruntergetrieben.
Ein mir befreundeter College, den man noch langen Beratbungen
über die passendste Persönlichkeit vier Stunden nach dem Blasen-
spnmge berief, traf die Schuller durah heftige Contractionen
bereits ki's Becken gepreest, strebte unter Gebrauch von
Chloroform den Arm zu reponiren und die Wendung auf die
Füese auszuführen, konnte aber damit nicht tum Ziele gelangen.
Da um derselbe die Verantwortlichkeit des Falles nicht allein
ober sich nehmen wollte wid (es waltete ein wahrer Unstern
Aber dieser Geschichte) ein nahe wohnender Arzt nicht zu
trauen war, kam die Reihe zu hdfen an wich. Ich erbannte
bald die Unmöglichkeit, m der gewöhnlichen Rückenlage auf
den Qoerbette die Wendung zu bewerkstelligen, denn die
FOsse lagen vom in einem bedeutenden Hängebauche, und
die Einführung der Hand hielt der vorgefallenen Extremität
wegen äusserst schwierig. Da nun der Kopf sich mehr auf
der rechten Seite befand, so Hess leb die Gebärende auf die
linke Seite lagern, und strebte, nachdem ich den vorgefallenen
Arm angeschlungen, neben der Schulter und dem angrenzenden
Theifte des Thorax vorbei in die Höhe zu dringen, während
mein College die Güte hatte,, zu chlorbfbrtftiren. In einer
der nfictoten Wehenpausen gelengte ich an den Kopf, der
sich der Fübningshnie nahe befwrd, und diesen umgehend,
weiter nach oben an den Unken Fues , welcher vom Nabel-
strange sich umwickelt zeigte. Nachdem ich erstcre gefasst
und an den Beokenausgang gezogen, Hess ich eine Pause
von 5 Minuten eintreten und schritt darin zerr Extraction,
während ich gleichzeitig, um Platz zu gewinnen, mit der
Unken den Thorax etwas beb, mit anderen Worten, in
schonender Weise den doppelten Handgriff ausfährte. Bis
hierher ging Alles gut von Statten, nun aber kamen Schwierig-
keiten eigentümlicher Art. Die Fersen waren abwärts ge-
richtet, und Wtnl das bei meiner Ankunft schon abgestorbene
Kind jeglicher Elasticieät entbehrte, konnte die fehlerhafte
Richtung des Rumpfes trotz alter Bemühungen so wenig
verbessert werden, dass schliesslich, nachdem auch die Arme
gelöst worden, das Kinn hartnäckig Aber der Symphyse sieb
anetemnte. In dieser Verlegenheit brachte ich Zeige- und
Mittelfinger beider Hände an den Kopf und drehte das Gesicht
18*
276 £U- Bp9ndH9 Ueb«r die W«nd»i* »nf die Ffiue
nach rechte hinüber. Indessen auch jetzt wollte es n*cb
nicht gelingen, die Entwicklung des Schädels zu beendigen,
und ich kam erst zum Ziele, als die Seiten* in die Rücken-
lage verwandelt wurde und nun bei freiliegendem Steisse der
Prager Handgriff zur Ausführung kommen konnte. Die Lösung
der Placenta erfolgte nach 20 Minuten. Die Frucht, minn-
lichen Geschlechtes, war von mittlerer Grösse» der Nabel-
st! ang zeigte sich doppelt um Thorax und Extremitäten
gewunden. Die Entbundene, deren Narkose keineswegs eine
fortdauernde gewesen, hatte sich während der drei Viertel-
stunden dauernden Operation sehr standhaft benommen, und
ich hoffte anfanglich auf glücklichen Erfolg unseres, freilich
etwas gewagten Eingriffes. Leider sollte diese Hoffinung nicht
in Erfüllung gehen, denn der Puls stieg gegen Ende der
Extraction von 80 plötzlich auf 120 bis 130 Schläge, ward
schwach und fadenförmig, die Kräfte sanken rasch, es trat
Frost ein, und eine tiefe Ohnmacht ward zwar bezwungen,
aber zwei Stunden später starb die Wöchnerin. Wir kennten
nach allen Erscheinungen zu schliessen blos eine Ruptur
verniuthen, und in der That wies die Section eine solche
von anderthalb Zoll Länge nach, welche alle drei Schichten
der hinteren linken Ahtheilung des Mutterhalses durchdrang.
Zugleich fand sich, wie häufig bei Rupturen, dieselbe Partie
hochgradig verdünnt und atrophisch; in der Peritonealhöhle
war Blutextravasat enthalten.
Es wirft sich hierbei von selbst die Frage auf: Wodurch
war die Ruptur zunächst bedingt, und hätte dieselbe verhütet
werden können? Die Beantwortung ist nicht leicht, aber
principiell wichtig. Zuerst muss in's Auge- gefasst werden
die anatomische Veränderung der verletzten Uteruspartie;
vielfache Beispiele thun dar, dass in asymmetrischen Structur-
verhältnissen die Prädisposition zu Rupturen begründet liegt»
und dass solche auch bei normalen Geburten auftreten können.
Sodann fallt in's Gewicht die verspätete Hülfeleistung bei heftigen
Wehen, welche durch Mutterkorn noch gesteigert wurden; ohne
letzteres Moment wäre die Schulter schwerlich in's Becken
heruntergetrieben worden. Drittens aber fallt di,e Operation
selbst in Betracht; mein College war a posteriori der
bei Querlagen mit Vorfall eines Armes. 277
man hätte die Embryotomie ausfuhren sollen und würde dadurch
wahrscheinlich die Frau gerettet haben. Um aber hierüber zu
entscheiden, hat man die Wendung sorgfältig von der Ex-
traction zu trennen; wenn die Ruptur schon aus der Wendung
hervorging, so wäre vielleicht die Embryotomie besser ge-
wesen; röhrte aber die Verletzung von der Extraction her,
so wäre, abgesehen von den bei der Kinderzerstückelung
leicht möglichen instrumentalen Läsionen mit der letzteren
Operationsmethode um so weniger geleistet worden, als ihr
ebenfalls die Extraction zu folgen hatte. Nun ist es That-
sache, dass die oben erwähnten Erscheinungen erst während
der Extraction begonnen, und ihr Anfang war deutlich durch
die Empfindung eines lebhaften Schmerzes im Abdomen be-
gleitet Folglich hätte nur ein solches Verfahren Aussicht
auf besseren Erfolg gehabt, welches die Extraction umging;
ein derartiges giebt es aber nicht. Ich glaube auch nicht,
dass man durch längeres Zuwarten mit der Extraction bei
den ohnehin schon misslichen Verhältnissen ein besseres
Resultat erzielt hätte, während ich allerdings nicht läugnen
will, dass vielleicht mit noch grösserer Behutsamkeit die
Extraction hätte ausgeführt werden können. Aus allem dem
geht aber zur Genüge hervor, dass der üble Ausgang durch
Vornahme der Embryotomie nicht wäre verhütet worden, und
dass es namentlich unstatthaft wäre, zu glauben, diese Methode
würde schonender als die Wendung gewesen sein. Damit soll
durchaus nicht bestritten werden, dass es Fälle gebe, wo
die Embryotomie indicirt sei, — aber hier war sie es nicht!
Ich habe mich auch durch diese unglückliche Erfahrung
durchaus nicht abschrecken lassen, in späteren Fällen ganz
nach denselben Grundsätzen zu handeln, und war trotz
ähnlicher Schwierigkeiten vom Glücke besser begünstigt.
Schliesslich ist es gewiss gerechtfertigt, ceteris paribus sich
aus ästhetischen Gründen immer für die Wendung zu ent-
scheiden, wo man die Alternative zwischen der letzteren und
der Embryotomie hat; denn es ist Aufgabe der rationellen
Geburtshülfe, die zerstörenden blutigen Operationen da in den
Hintergrund zu verweisen, wo sie nicht entschieden Vortheile
zu bieten geeignet sind.
278 XJI- B&mdU, Uebtff die Wendung auf dl» Fftsse
4. Verschleppter Wenäungsfall bei Armlage.
Eine Frau aus den unteren Standen, welche schon drei
Kinder, und zwar das letzte abgestorben, ohne ärztliche Hälfe
zur Welt gebracht, verlor, am Ende ihrer vierten Schwanger-
schaft angelangt, Nachmittags 4 Uhr das Fruchtwasser. Die
Hebamme bemerkte bei der hierauf angestellten Untersuchung
zwar keinen vorliegenden Kindestbeil f beruhigte sich aber
vielleicht mit dem Gedanken, der werde schon noch komme*
Er kam auch, in Gestalt des linken Armes, den folgenden
Morgen rasch in die Vagina herunter. Diese unangenehme
Entdeckung nun nötbigte, einen Arzt rufen zu lassen. Dieser
fand eine Querlage vorhanden, er versuchte die Wendung
drei Mal und zwar zuletzt Abends 9 Uhr auszuführen, und
als ihm dies nicht gelang, legte er sich schlafen und ersuchte
mich am folgenden Morgen, also volle 24 Stunden nach dem
Vorfalle des Armes und 40 Stunden nach dem Bbsensprnnge,
um Hülfe. Auf dem entfernten Platze angelangt liess ich
sogleich das Querlager herrichten und fand bei der er*
schöpften, von Weben augenblicklich befreiten Gehörenden
den linken Arm total vorgefallen, mit der Hand aus den
Genitalien hervorragend und blau angeschwollen; das Orificium
war geöffnet, die Fösse befanden sich auf der linken, der
Kopf auf der rechten Mutterseite. Nachdem ich nun um daß
Handgelenk eine Schlinge gelegt und die Narkose bewerk-
stelligt worden, ging ich mit der Rechten tin, fand aber
sogleich, dass es unmöglich sei, in der Röckenlage neben
der eingetriebenen Schulter vorbeizukommen. Dies gelang
erst, nachdem ich die linke Seitenlage angewiesen, und mit
vorsichtiger Langsamkeit mir den Weg bahnend erreichte ich
endlich fast in der Höhe des Muttergrundes den linken
Unterschenkel, welchen ich ungesäumt herunterzog und ein«
leitete. Das Anschlingen des Fusses, welcher nicht sogleich
auf das wünschbare Niveau gebracht werden konnte, war eine
schwere Arbeit. Nachdem dies beendigt, machte ich mich
an die Extracüon; es kamen allmalig Steiss und rechter
Sehenkel und dann rasch die übrigen Theile dar Frucht in's
Durchschneiden, ohne dass weitere Hülfe nötbig war. Erstere
bei iQMflagen mit« Vorfall eine» Arme». 279
war von mittlerer Grösse, männlichen Geschlechtes, stellen-
weise von der Epidermis entblösst und verbreitete einen
intensiven Fäutoissgeruch, Eine tiefblaue Färbung erstreckte
sieb von der vorgefallenen Extremität über die Schalter und
den angrenzenden Theil des Thorax, zum Beweise, dass auch
letzten* dem Becfceneingange nkht fremd gewesen. Die
Pkctnta folgte-spontan; ein bald eintretender Frost bei kleinem,
aber nebt frequantem Pulse, setzte uns glücklicher Weise
vergebens in Schrecken; eine peritonhisohe Anfechtung in den
ersten Tagen des Wochenbettes ward von meinem CoUegen
erfolgreich bekämpft
5. Wendung auf den linken Fuss bei Querlage
mit Vorfall des linken Armes.
Abends um 7 Uhr ward ich durch deu Telegraphen
nach einer entfernten Ortschaft oitirt, #o in einer elenden
Dachstube zwei CoUegen einer Zweitgebärenden seit dem
Vormittage Beistand zu, leisten versuchten. Die Wehen be-
gannen am frühen Morgen, es konnte kein vorliegender
Kindestheil erreicht werden, Jim 10 Uhr sprang die Blase
und um 5 Uhr Abends fiel der linke Arm vor. Unterdessen
wurden die Wehen immer stärker, wobei vielleicht etwas
Seeale im Spiele war, das Orificium zog sich krampfhaft um
den Arm zusammen, und die Entbindung ward wiederholt,
aber vergebens angestrebt
Um 8 Uhr daselbst angelangt traf ich den Arm beinahe
bis zum Ellbogen aus der Vagina hervorragend und dick an-
geschwollen ; die linke Schulter drängte sich in's Becken
hinunter, rechts war der Kopf, links oben ein Fuss durch
die Batichdecken zu fühlen. Auf die Frage, ob man gegen-
wärtig die Entbindung unternehmen könne, gab ich zur
Antwort, dass dieselbe, obscbon voraussichtlich mit grossen
Schwierigkeiten verbunden, nicht länger aufgeschoben werden
dürfe. Da meine CoUegen die Operation schon in ver-
schiedenen Lagen versucht hatten, .ohne zum Ziele zu ge-
langen, so wies ich gleich von vornherein die Knieellbogenlage
an und ging nach bewerkstelligter Narkose mit der Linken
ein; der vorgefallene Arm war schon früher angeschlungen
worden» Indessen so vorsichtig ich auch weiter zu kommen
280 XII. SpondU, Uebtr die Wudnig aaf IU Ffiase
strebte; so gelang es doch nur mit der gifteten Mibe, nebe«
der Schulter vorbei in den Uterus zu gelangen, und meina
Hand rousste sich so dünn gestalten wie ein Marder, der in
den Huhnerstall schleicht. Indern ich nun längs der abwärts
gerichteten Kindesfläche weiterglitt, erreichte ich das linke
Knie, ergriff sodann den Unterschenkel, zog denselben herunter
und legte die Schlinge um den Fuss, welche vorher am Atme
gelegen hatte. Letzterer aber bewegte sich in die Höbe, zum
Beweise, dass die Umdrehung gelungen war. Nun blieb noch
die zweite, minder schwierige Aufgabe übrig, die Extraction
auszuführen. Steiss, rechter Schenkel und Thorax liessen
sich ohne Schwierigkeit entwickeln, aber die Arme und dar
Kopf konnten nur successiv und mit bedeutender Anstrengung
an's Licht gezogen werden. Dass die früher schon tief
gelegene Nabelschnur mit dem linken Pusse vor die Genitalien
gebracht wurde, wat ein höchst gleichgültiger Umstand, da
die Frucht längst aufgehört hatte zu leben. Dieselbe war
männlichen Geschlechtes, besass mittlere Dimensionen um)
war mit einem sehr voluminösen Kopfe begabt. Eine Viertel-
stunde später folgte die Placenta. Obschon nun die Ent-
bundene sich recht ordentlich befand und der Puls seine
normale Frequenz besass, so hielten wir es doch für passend,
Kataplasmen und eine Oelemulsioti zu verordnen. Wie ich
später vernahm, war zwar die erste Zeit des Wochenbettes
etwas stürmisch, ging dann aber in vollkommene Genesung über.
Die Knieellbogenlage, welche ich in diesem und in anderen
Fällen zur Anwendung brachte, war schon häufig der Gegen-
stand lebhafter Controversea Einer der Letzten, welche
hierüber geschrieben, war Dornseiff\ dieser vertheidigte zwar
die erwähnte Lage gegen verschiedene Angrille mit Glück;
doch dürfte von Rügen mit seiner Schule wohl ziemlieh
vereinzelt dastehen in Generaliairung einer Methode, welche
aufrichtig gestanden wider die einfachsten ästhetischen Begriffe
verstösst Ohne mich deshalb auf andere Operationen ein-
zulassen und um blos bei der Wendung auf die Füsse stehen
zu Weihen, so sehe ish wahrlich nicht ein, warum noth-
wendig alle Wendungen iu dieser Lage ausgeführt werden
sollen. Unnötbige Verallgemeinerung kann dem Ansehen der
Methode nur schaden, während sie auf richtige Schranken
• - bei Querlagen mit Vorfall eine« Armes. 281
zurückgeführt nicht auf ernstlichen Widerstand stossen wird.
ia fetalerem Sinne aber aufgefasst würde ich dieselbe nicht,
wie Stanzoni, als ultimum reftigium, sondern immer von
vornherein anwenden. Am meisten scheinen mir daher folgende
File hierher zu gehören: 1) Querlagen, wobei die Fasse im
Vorderbauehe oder gar in einem Hängebauche liegen; 2) Quer-
lagen, wc^ mit oder ohne Armvorfall eine Schulter sich in
den Beckeneingang getrieben zeigt. Hotte ich z. B. nicht die
bestimmte Ueberzeugung, dass die Ruptur im dritten Falle
erst bei der Eitraction sich ereignete, so würde ich nicht
»stehen, a posteriori die Wahl der Seitenlage als einen
Fehler iir qualificiren. Denn die wesentlichsten Vortheüe der
KineeUbogenlagtt besteben darin, dass 1) bei nach vorn ge-
-ricbteter Bauchfläche die Fasse leichter erreicht werden können,
dass 2) eine zufällig eingetriebene Schulter vom Beckeneingange
zurück weicht, und dass 3) ein früher nicht zu erreichender
Schenkel durch rasche Umänderung einer anderen in die
genannte Lage der hierbei nicht herauszuziehenden Hand des
Operateurs mitunter von selbst entgegenfSHL Auf letzteren
Punkt wurde ich durch einen schwierigen Fall geführt, welcher
in den Beginn meiner Praxis fällt und den ich zu weiterer
Belehrung mittheilen will.
6. Wendung auf die Füsse bei Schulterlage
mit Vorfall des linken Armes.
Es war im Sommer 1852 , als eines Abends um 10 Uhr
zwei Frauenspersonen meinen seligen Vater ersuchten, einer
Zweitgebärenden Hülfe zu leisten, welche ein College ver-
gebens zu entbinden strebte. Da Ersterer verhindert war,
-sieb nach dem etwas entfernten Domicil zu begeben, so
übertrug er mir das Geschäft. In H. angelangt traf ich eine
26 jährige Frau, welche vor einem Jahre mit ihrem ersten,
zwar todten Kinde normal niedergekommen war. Vor ungefähr
60 Stunden war das Fruchtwasser abgeflossen, der Kopf oder
vielmehr das Gesicht sollte damals vorgelegen haben. Da
indessen möglicher Weise ein diagnostischer Irrthum ob*
waltete, so beschränke ich mich mit Beiseitelassung alles
inzwischen Vorgefallenen darauf, zu erwähnen, dass ver-
282 Xn. J3&MU, lieber <U« Wftadnag aaf die Fflwe
gangenen Nachmittag der Muttermund sieb vollkommen erMbelc
und der linke Arm vorfiel, worauf unser College bei eonstattrtej
Schulterlage sich mit Wendungsversuchen abmühte. Da nun
der Kopf auf der rechten Seite sieh befand und nebst der
rechten Schulter auch' ein Tbeäl dea Thorax sich in's Bedien
drängte, so strebte ich nach Herrichtung des Querbettes mit
der rechten Hand neben der Schulter in die Höbe zu gelangen»
Indessen über die Höften hinauszudringen war mir unmöglich ?
gerade so weit war auch unser College gekommen, und trota
linker Seitenlage, Wechsel der Hand u. s. w. musatafi «wir
an der chinesischen Mauer des eontrahirten Uterus atefeen
bleiben. Da ich nun schon viele Wendungen angesehen«
aber noch keine ausgeführt hatte, und weil der blosse Nanse
der in Vorschlag gebrachten Emkryotomie mein Anitager-
gewissen in Schrecken setzte, so zog ich es vor, meinen
Vater durch einen Eilboten um Unterstützung angehen au
lassen. Um 2 Uhr Morgens erschien derselbe, war indessen
in seinen Versuchen, zum Schenkel vorzudringen, nicht
glücklicher; aber hei der reichen Erfahrung, die ihm eigen
war, besags er eine grössere Auswahl von Hülfenritteln, und
so üel ihm ein (das sind seine ipässima verba), ohne die
Hand auszuziehen, der Gebärenden die Knieellbogenlage an«*
zuweisen. Diese Manipulation war von augenblicklichem Erfolge
gekrönt; denn nun konnte er den linken Schenkel, sodann
auch den rechten ergreifen, und an den eingeleiteten Füssen
die Extraction ohne besonderen Kraftaufwand ausführen. Mein
Vater hielt die Conjugata für wesentlich verkürzt, was übrigens
auch bei einer Schwester der Entbundenen der Fall sein soll.
Die Frucht, weibliehen Geschlechtes, zeigte sich an den vor*.
gelegen gewesen Theilen blau angelaufen, von der Epidermis
manchenorts entblösst und verbreitete einen aashaften Geruch.
Vermuthlich war dieselbe schon seit mehr als acht Tagen
abgestorben; ihr Gewicht betrug 7 Pfund. Bald folgte die
Placenta und wir trafen, ehe wir heimfuhren, unsere Vor*'
kehrungen für's Wochenbett, welches zwar anfänglich durch
entzündliche Erscheinungen getrübt ward, glücklicher Weise
aber in vollkommene Wiederherstellung endigte.
bei Querlagen mit Vorfall eines Arme«. ggg
7. Wendung auf den linken Fuss bei Querlage
mit Vorfall des linken Armes.
In dem nach meiner Erfahrung wenigstens an Querlagen
reichen Jahre 1868 ersuchte mich eines Abends eip befreundeter
College, ihm bei einer schwierigen Wendung behilflich zu
sein. Eine Frau, welche schon vier Mal normal nieder-
gekommen war, verlor bei noch unerreichbarem vorliegendem
Theile um 6 Uhr Abends das Fruchtwasser; nach kurier
Zeit fiel der linke Arm vor; mein Freund, hinzugerufen,
strebte denselben zu repomren, und* in verschiedenen Tagen,
auch ä la räche, die Wendung auf die Ffisse auszuführen;
er hatte sogar den linken Fuss schon gefasst, aber weder
gelang ihm, den letzteren anzuziehen, noch mittels eines
Führungsstäbchens anzuschlingen. Ich fand nun die linke
Hand der Frucht zwischen den Schamlippen mit einer Schlinge
umgeben und mit aufwärts gerichteter Fläche, den Kopf links,
die Fasse nahe dem Muttergrunde, die Brust nach vorn ge-
richtet. Nach Erhebung dieses Thatbestandes liess ich die
von häufigen Wehen geplagte Gebärende in die Knieellbogen«
läge bringen und chloroformiren und ging mit der Rechten
behufs der Operation ein. Da ich indessen auf diese Weise
uur bis zum Steisse vorzudringen vermochte, so wechselte
ich die Hand, führte die Linke ein, gelangte glücklich zum
linken Unterschenkel, zog denselben an, erfasste den Fuss
und umgab ihn, nachdem er den Beckenausgang erreicht hatte,
mit einer Schlinge. Zum Beweise gelungener Umdrehung
zog sich unterdessen der vorgefallene Arm zurück, und ich
liess, da nur noch die Extraction uhrig blieb, wieder die
gewöhnliche Rückenlage anweisen. Zur Entwickelung des
Steisscs bedurfte es keiner bedeutenden Anstrengung, und die
wunschbare Drehung des Rückens nach vorn und links war
leicht auszuführen, aber wie es bei abgestorbenen Kindern
bisweilen geht, die noch unentwickelten Theile wollten sich
dieser Drehung nicht sogleich fügen. Daher kam es, da*s
zuerst der linke Arm von links her durchschnitt und aus
seiner Haft befreit sich rasch nach rechts begab, während
ich den rechten, der rechten Synchondrose zugekehrten Arm
mit leichter Mühe loste und nach links hinüberführte. Dar
284 XH* Spondlty üeber die Wendung auf die Füsse
voluminöse Kopf blieb noch einige Zeit über dem Becken-
eingange stehen, folgte dann aber dem anhakenden Zuge der
ober die Schultern gelegten Finger und trat im Bogen zu
Tage. Die Frucht, männlichen Geschlechtes, wog etwas zu
7 Pfanden. Zehn Minuten . später ward die Placenta entfernt,
worauf sich eine beträchtliche Metrorrhagie einstellte, indessen
durch kalte Injectionen, desgleichen Ueberschläge und eine
Dosis Mutterkorn zum Stehen gebracht wurde. Das Wochen-
bett verlief glücklich.
8. Wendung auf den linken Fuss bei Querlage
mit vorgefallenem linken Arme.
Den 8. Juli Vormittags 7 Uhr erschien bei mir ein
Eilbote aus B. mit dem Ansuchen, mich so bald wie möglich
zu einer daselbst wohnenden Frau zu begeben, welche von
zwei anwesenden Aerzten nicht entbunden werden könne.
Schon 10 Minuten vor 8 Uhr langte ich an ^bezeichnetem
Orte an und fand eine nahezu 40jährige Frau, welche früher
fünf Kinder regelmässig geboren hatte. Soviel mir einer der
Collegen (der andere war abberufen worden) und die Hebamme
erzählten, hatte sich am verflossenen Nachmittage eine grosse
Blase gestellt und als dieselbe geborsten, wurden kleine
Kindestheile vorliegend entdeckt. Meine Collegen wurden nun
nach einander gerufen, versuchten wiederholt die Wendung
anf die Füsse zu verrichten, konnten aber nicht zum Ziele
gelangen, weil unter der Zeit der linke Arm vorgefallen war.
Diesen reponirten sie heute früh und reichten, was ich aber
nicht glauben kann, bei glücklicher Weise sehr schwachen
Wehen einige Dosen Mutterkorn. Gleichzeitig ward nach mir
ausgesandt. Der Gesammtzu stand war bei meiner Ankunft
befriedigend und die Contractionen verhielten sich massig.
Die Untersuchung ergab den linken Ellbogen in der Vagina
und die entsprechende Schulter im Beckeneingange. Der Kopf
sass links, die Füsse waren fast in der Mittellinie, die Bauch-
fläche nach vorn gerichtet. Ich liess nun sogleich auf einem
Tische das Querlager bereiten, streckte zuerst den vor-
gefallenen Arm aus und legte eine Schlinge um das Hand-
gelenk/ Eigentlich hätte ich die linke Hand zur Operation
verwenden sollen, wählte "aber alsbald die rechte, weil sie
bei Querlagen mit Vorfall eines Armes. 286
den nunmehr auftretenden befugen Klemmungen und gefübis-
raubenden Contractionen besser gewachsen war, und weil die
Füsse, wie bemerkt, fast in der Führungslinie sieh befanden.
Mit Mühe ging ich neben der Schulter in die Hohe, be-
gegnete zuerst dem rechten Arme und dann dem linkes
Unterschenkel, zog denselben -an, und legte, nachdem ich
ihn eingeleitet, um den Fuss zur besseren Ueberwachung
dieselbe Schlinge, welche um die Hand gelegen hatte. Nach
einer kleinen Pause schritt ich zur Extraction, der Steisa
und der Rücken drehten sich unter leiser Mithülfe nach rechte
und vorn; die pulslose Nabelschnur, welche straff zwischen
den Schenkeln hindurchgezogen war, befreite ich aus ihrer
Haft und streckte den rechten Schenkel aus. Leicht kam
der linke, wieder in die Höhe gestiegene Arm zum Vorschein,
während der rechte, aufwärts gestreckte gelost werden musste»
Grössere Schwierigkeiten verursachte der Kopf, dessen Kinn
nach links und vorn gerichtet war und nicht von selbst eine
bessere Stellung annehmen wollte. Ich ging deshalb mit
zwei Fingern der Rechten an das Kinn und drehte dasselbe
nach hinten, worauf der Vollendung der Extraction nichts
mehr im Wege stand. Das Kind, männlichen Geschlechte»,
und ganz mit Meconium besudelt, kam natürlich todt zur
Welt. Eine Viertelstunde später entfernte mein College die
Placenta, und wir konnten die Wöchnerin, welche sich sehr/
gut benommen hatte, bald hernach mit der firoheu Hoffnung
verlassen, dass sie sich gut erholen werde*, letztere ward
auch nicht zu Schanden.
9. Wendung auf den linken Fuss bei Querlage
mit vorgefallenem linken Arme.
Den 14. Januar Abends, bei heftiger Winterkälte, ward,
ich zu einer ausserhalb der Stadt wohnenden 36jährigen
Frau gerufen. Diese hatte früher drei Kinder, normal, obscbon
fast ohne Wehen, geboren. Am vorhergehenden Tage war
das Fruchtwasser abgeflossen, jedoch erst heute Abend um
6 Uhr ein College gerufen worden, weil statt des längst
erwarteten Schädels andere Theile sich zur Geburt stellten.
Ersterer fand nun in der Vagina den linken Arm und iri dem
286 XH- 8pS*dU, Ueber die Wendung auf die Fiuse
vollkommen geöffiieten Orificram den pufefosen Nabelstrang.
Alsbald strebte er die Wendung auf die Fasse auszuführen,
sah aber sein Streben von keinem Erfolge gekrönt, weil die
eingetriebene linke Schulter und der nahe befindliche rechte
Arm ihn hinderten, einen Fuss zu erreichen. Ermüdet sandte
er deshalb nach einer halben Stunde zn mir. Gegen 8 Uhr
traf ich ein und fand die Verhältnisse wie .geschildert; der
Kopf schien mir links, die Fftsse rechts zu liegen, denn die
Handfläche war aufwärts und der Daumen nach links gerichtet.
Da ich somit die Bauchfläche hinter der vorderen Becken-
wand vermuthen musste, Hess ich sogleich die Knieellhngenhige
anweisen, legte eine Schlinge um das Handgelenk und ging
behufs der Operation mit der Rechten ein. Bald aber über-
zeugte ich mich, dass ich über die Lage mich getäuscht habe,
denn die Füöse lagen links und der Kopf rechts. Ich wechselte
darum die Hand, und war, bei allerdings mühsamem Vordringen,
so glücklich, den linken Schenkel, und längs demselben ab-
wärts gleitend, dessen Fuss zu erreichen. Diesen von seiner
Umgebung frei zu machen und art den Beckenausgang zu
ziehen hielt schwer; sobald dies geschehen, löste ich die
Schlinge von der Hand und legte sie um das Fussgeienk,
liess hierauf eine Pause eintreten und versetzte die Gebärende
wieder in die gewöhnliche Rückenlage. Die Ettraction nun,
die ich mit zahlreichen Intervallen vornahm, war äusserst
mühsam, nicht nur wegen totalen Wehenmangels, sondern
auch weil • die weibliche Frucht abgestorben und sehr gross
war. Obschon nämlich die Umdrehung vollkommen gelungen
war, dauerte es gewiss eine volle Viertelstunde, ehe ich den
Schenkel ganz zu extrahireir vermochte. Hierauf setzte ich
den rechten Zeigefinger in's rechte Hüftgelenk und forderte
den Steiss zu Tage. Aber auch den. Thorax und die auf-
wärts und theilweise nach hinten geschlagenen Arme zu ent-
wickeln kostete grosse Anstrengung. Am leichtesten gelang
die Extraction des Kopfes. Die Placenta löste sich spontan
und um 9 Uhr konnten wir die Wöchnerin, der es hernach
gut ging, in befriedigendem Zustande verlassen.
bei Qaeriags« mit Verfall eines Armes. 2W
10. Wendung auf den rechten Fuss bei Vorfall des
rechteu Armes und im Becken stehenden Thorax.
Bitte 40jährige robuste gesunde Frau hatte neun Kinder
leicht und die letrten drei sogar ohne Hälfe einer Hebamme
gehören; sie war eben selbst eine weise Frau. Indessen die
zehnte Schwangerschaft verlief nicht nach Wunsch, sie war
mit allerlei Beschwerden verknöpft, der Bauch sehr aus-
gedehnt; die Kindesbeweguagen fühlten sich nicht an der
gewöhnlichen Stelle, so dass man ZwUinge vernwthete^
Abends um 6 Uhr, die Geburt hatte nach der Berechnung
schon vor 14 Tagen eintreten sollen, -brach, ohne voraus-
gehende Wehen, das Frachtwasser und fiel sehr bald der
rechte Ann vor. Der gegen 8 Uhr eintreffende Hausarzt
fand die Gebärende in wenig aussetzenden helligen Wehen,
die Schulter mit einem Theile des Thorax im Becken und
strebte auf dem Querlager die Wendung auf die Fasse so
verrichten. Indessen bei wiederholten Versuchen war er nicht
im Stande, weiter als bis zum rechten Oberschenkel vor-
zudringen, «ad sandte deshalb, ehe er zum Aatissersten, zur
Entbryotomie, schritt, zu mir. Bei dar bedeutenden Ent-
fenmng der Gebarenden konnte ich erst um 10 y4 Uhr daselbst
eintreffen; der Zustand war noch ganz der frühere, mit dem
emsigen angenehmen Unterschiede, dass der rechte Vorderarm
sich ausserhalb der Vagina und ein -schöner Theil des Thorax
sich im kleinen Becken befand. Wenn mich auch bei Durch-
hlätnruug meiner Memoiren mitunter ein Humor überläuft,
wie bei einem schrecklichen Romane, dessen glückliches Ende
der sträfliche Vorwitz schon herausgebracht hat, so gestehe
ich doch, dass mir damals gar nicht herrlich zu Muthe war;
denn hier stand mit Flammenschrift geschrieben „Bmbryotomie*,
ein Wort, das ich bis auf den heutigen Tag hasse, und'
welchem doch nicht immer ausgewichen werden kann» Indessen
die vorausgehenden zahlreiche« gMckichen Geburten, welche
auf ein geräumiges Becken und auf ein kräftiges Gebärorgao'
hindeuteten, liessen mich dennoch der Hoffnung Raum gehen,
jetzt noch die Wendung ausführen zu können. Konnten denn
nicht Mcmricecni und Andere unter ebenso schwierigen Ver-:
288 XII, Speidli, üeber 4ie Weidng m* die Fasse
hältnissen wenden, und müssen wir sie nicht gerade deshalb
als unerreichte Meister der Kunst bewundern? Dass aber
nur von der Knieellbogenlage etwas erwartet werden dürfe,
war mir ebenfalls klar. Der Kopf war nach rechts, die
Füsse nach links, die Bauchfläche nach vorn, die Handfläche
nach aufwärts, der Daumen nach rechts gerichtet Nachdem
nun mein verehrter College die Gebarende narkotiairt hatte
und die genannte Lage hergestellt war, legte ich um das
Handgelenk eine Schlinge, und ging, letztere mit der Rechten
haltend, mit der Linken in den Uterus eia Die Kreiseende
leistete anfänglich bedeutenden Widerstand, und meine Hand
gedeih in eine unüberwindlich scheinende, des Gefühls beinahe
beraubende Klemme, — aber dennoch gelang es mir* den
Weg zum rechten Oberschenkel zu bahnen, und als dies Ziel
erreicht war, blieb noch das minder schwierige Werk übrig,
bis zum Unterschenkel vorzugehen, denselben zu erfassen
und einzuleiten. Ich wiederholte nun, sobald der Fuss sieb
innerhalb der Labien befand, das gewöhnliche Verfahre»,
wechselte die Schlinge, wies die Rückenlage an und schritt
nach einer Pause von 5 Hinuten zur E&tracüon. Letztere
war von keinen Schwierigkeiten begleitet; leicht liess sich
der Rücken nach vorn drehen und eben so leicht der Unke
emporgeschlagene Arm' lösen. Nach einer neuen Pause folgte
der Kopf dem gewöhnlichen Handgriffe. Das Kind, weiblichen
Geschlechtes, war gut entwickelt, mindestens 8 Pfund schwer;
übrigens war dasselbe schon vor meiner Aqkunft, wann ist
schwer zu sagen, abgestorben. Bald folgte die Placenta.
Ein anhaltender Schüttelfrost, der alsbald eintrat, hatte durch-
aus keine .Folgen; die Wöchnerin hatte solche auch nach,
normalen Geburten erlebt; zwei Tage später fand ich dieselbe
munter und mit der Pflege eines älteren Kindes, welches auf
ihrem Bette sass, beschäftigt
ich stellte den zehnten Fall absichtlich an den Schiusa
der ganzen Reihe, welche ich noch mit mehreren Beispielen
vervollständigen könnte, wenn ich nicht Ermüdung des Lesers
befürchten müsste. In diesem Falle eulminiren sich alle
bei Armlagen auftauchenden Schwierigkeiten, welche vielen
Autoren, namentlich der neueren Schule, die Embryotomie
bei Q««rUg*n »it Vorfall etees Armei. %fjfy
und Decapitation von vornherein ab Indurationen erscheinen
lassen. Ich glaube gezeigt und auch durch den Erfolg
bewiesen zu haben, dass diese Ansicht nicht unbedingt richtig
sei, sondern dass man auch in den verzweifeltsten Fällen die
Wendung nicht ganz preisgeben dürfe, so lange nur einige
günstige Bedingungen gegeben sind. Es fällt mir nicht ein,
behaupten zu wollen, dass die Embryotomie unter die obsoleten
Operationen zu rechnen sei, aber das wage ich zu pro*
clamiren, dass man der Wendung immer den Vorzug vor der
Embryotomie erlheilen müsse, so lange noch für die erstere
eine Möglichkeit vorhanden. Es liegt eben die Wendung weit
eher im Sinne einer rationellen vollkommenen Geburtshülfe,
als die Embryotomie. Damit sollen jene Fälle nicht negirt
werden, wo nur für die letztere Platz bleibt. Der Erfolg,
mit Ausnahme eines einzigen Falles, war wenigstens auf
meiner Seite, und es würde mich zur Stunde noch gereuen,
wenn ich in einem einzigen Falle die Embryotomie ausgeführt
bitte. Die Erfolge für die Kinder, welche ich dabei erzweckt,
sind allerdings äusserst gering; indessen können diese neben
der Embryotomie nicht in Frage kommen. Zudem waren
es meistens consultative, tbeilweise verschleppte, der Land*
praxis angehörige Fälle. Was aber den Erfolg für die Mütter
betrifft, so hege ich starken Zweifel, ob er bei vorgenommener
Embryotomie derselbe gewesen wäre. Es ist mir überhaupt
aufgefallen, dass ich bei den Armlagen verhältnissmässig
weit starker vom Glücke begünstigt war, als bei anderen
Wendungsfallen ohne diese Complication, wo ich verschiedene
unglückliche Ausgänge erlebte. Wer wird es mir darum ver-
argen wollen', dass ich es versuchte, für die Wendung eine
Lanze zu brechen, und dass ich auch ferner mich zu der
Ansicht bekennen werde , überall da , wo Wendung ; und
Embryotomie als gleichberechtigte Indurationen auftreten, mich
wo immer möglich für die erstere zu entscheiden?
Monfttoukr. f. Geburt*. IS*. Bd. XV., HA, 4. 19
290 HM- Ttttt üeber «e FYequfca«
xni.
lieber die Frequenz der Nabelschnurumschlingung
und den TMnflmw derselben auf den Ausgang
der Geburt für das Kind.
Von
Professor Dr. Gustav Telt in Rostock.
Nabelschnurumschlingungen kommen so häufig vor, daas
zur Ermittelung ihrer Frequenz nicht enorme Zahlen erfordert
werden. Bei genauer Buchführung genügen nahezu Hunderte.
Die erheblicheren Differenzen in den Angaben, welche von ver-
schiedenen Seiten über dieses Verhältnis« gemacht worden sind,
rühren offensichtlich davon her, dass nicht überall gleich richtig
gebucht wurde. Deshalb hat auch Weidemann's *) Versuch,
durch Zusammenstellung einer möglichst grossen Zahl von
Beobachtungen die vermeintlich aus ungenügenden Zahlen
resultirenden Differenzen auszugleichen, nur dazu führen
können, dass das Ziel verfehlt wurde.
In Heidelberg2) wurde bei 5,2 Geburten» in Marburg8)
bei 4 Geburten 1 Mal die Umschlingung beobachtet; ähnlieh
stellte sich die Frequenz auch in Göttingen4) — wie 1 : 4,5 — ,
in Trier6) — wie 1 : 3,4 — und Stettin6) — 1 : 5,2. Hin-
gegen ergeben die Berichte aus Dresden 7) die Frequenz im
Durchschnitte zu 1 : 6,2; und nach den Mittheilungen aus
Berlin9) fallt sie auf 1 : 9,8, nach den Angaben ans Wurz-
burg •) sogar auf 1 : 83.
1) Bemerkungen über die Umschlingungen des Nabelstrangs
am die Frucht u. 8. w. Marburg 1866.
2) (?. A. Mayer, D. i. de circumvolutionibus funiculi umbilicalis
foetus vitae haud raro infestis. Heidelb. 1842.
8) Hüter, Neue Zeitschr. f. Geburtsk., Bd. 31, und Weidsmann 1. c.
4) v. Siebold1 s Berichte in der Neuen Zeitschr. f. Geb.
6) Birnbaum, Monates ehr. f. Geb., Bd. 16.
6) Behm, Monatssohr. f. Geb., Bd. 18.
7) Haa*t u. €hren$ert Berichte in der Neuen Zeitschr. f. Geburtek.
8) Neue Zeitschr. f. Geburtek., Bd. 28, und Monatssohr., Bd. 4,
9) Neue Zeitsohr. f, Geburtsk., Bd. 81,
der N*belMluMUMsetti*ffua£ q«4 den KlnfluM etc. 801
Die letetgenanitte ZtU ist offensichtlich nur dareh geringe
Beachtung der Umschüngueg entstanden, wie Hofmatm
selbst anerkannte. Bei dem Ergebnisse der Berliner Journale
konnte die ausserordentliche Uebereinstimmung zwischen den
aus den Jahren 1836—1841 und 1842—1847 erhaltenen
Zahlen — 1 : 9,8 und 1 : 9,4 — frappiren. Bekanntlich
aber ist das Budget der Unglücksfälle und Verbrechen be-
rechenbar; und dass diese Thatsache auch hier Anwendung
findet, lehrt der Umstand, dass in dem Zeiträume von
1829 — 1835, in welchem die Menge der klinischen Geburten
noch über die der poliklinischen das Ueberge wicht hatte, die
Aufzeichnungen also genauer stattfinden mussten, die Frequenz
der Nabelschnurumschlingung wie 1 : 5 festgestellt wurde. *)
Auch die aus den von Dresden ausgegangenen Berichten
gezogene Durchschnittszahl ist, obwohl sie der Wahrheit näher
kommt, unrichtig. Dies zeigt die abweichende Frequenz der
UmscUingung in den verschiedenen Jahren. .
Zahl
Freqnem
Jahr.
der
d*r Nabelschnur-
Neugeborenen.
umschlingung.
1825
229
1:
4,6
1827
SU
1:
*»•
1828
290
1 :
8,6
1829
292
1 :
4,9
1830
276
1:
6,6
1831
261
1:
6,6
1882
246
1:
7,*
1833
814
1:
6,6
1834
242
1 :
6,»
1837
219
1:
6,8
1888
211
1 :
7
1839
*fel2
1 :
6,4
1840
212
1:
12
1841
286
1:
14
1842
270
1 :
14
1848
282
1:
16,6
1844
. 276
1 :
6,6
1846
269
1:
6,3
1846
301
1:
6
1847
302
1 :
8,9
1848
330
1:
7,2
1849
884
1 :
M
1860
343
1:
M
1861
346
1:
4,8
1862
276
1:
8
1863
298
1:
•,«
1) Nene ZeiUchr. f. GebnrUk., Bd. 6, p. 206.
19«
Diese Üngk«charögk«it rtkhrt olckt davon her, dm mit
iu kleinen Zahlen gerechnet wurde; denn in Göttingen,
Heidelberg und Marburg kamen bo bedeutende Schwankungen
nicht vor.
Göttingen.
Heidelberg.
Marburg.
ZabJ der
Frequenn
Zahl 4er
Frequens
Zahl der
Frequenz
Neu-
der
Neu-
der
Neu-
der
geborenen.
TJmiohlingung.
geborenen.
Ümtehllngung.
geborenen.
Umiohlingung.
108
1 :4
209
1:6,6
91
1:4,3
109
1 :6,4
209
1
!6,4
98
1 : 4,1
U8
1:4,2
281
1
:6,1
118
1:6,6
126
1 :4,2
261
1
6,8
111
1:3,8
274
1 : 4,9
214
1
6,1
106
lj 4,8
380
1:4^6
281
1
.6,6
119 -
1:6,6
467
1:4,2
261
1
6
137
1:4,1
246
1
6,2
176
1:3,4.
263
1
.6,6
174
1:3,9
281
1
6,6
161
1:4
269
1
7,*
191
l!4,8
299
1 «
6,6
189
1:4,1
318
1 :
M
122
1 :6,1
303
1:
8,9
Will man also die Frequenz der Umschlingung aus
grösseren Zahlen berechnen, so kann man nur auf den Be-
richten aus Heidelberg, Marburg, Göttingen, Trier1) und
Stettin2) — aus Berlin fehlen gerade pro 1829— 1835
speciellere Angaben — fussen. Eine Zusammenstellung der-
selben
Ort.
Zahl
der
Neugeborenen.
1 Zahl
der
UflMchlingungen.
Heidelberg .
Marburg . .
Göttingen .
Trier ....
3587
2930
1632
568
689
686
726
344
167
133
Stettin . . .
9806
2064
1) Monatsschr., Bd. 16.
2) Monatsschr., Bd. 17.
der Nabebehnnrumschliagntig und den Einflnss etc. 298
ergiebl das Verhällniss von 1 : 4,5/) und diese Zahl druckt
das Minimum der Frequenz aus, weil hier und da noch ein
Mangel in der Registrirung anzunehmen ist
In demselben Maasse, als das zur Zeit vorhandene
Material zur Ermittelung der Frequenz der Umschlingung
genügt, ist es für eine genaue Abschätzung des Einflusses
der Umschlingung auf den Ausgang der Geburt für
das Kind unzureichend.
Man darf sich nicht durch die Uebereinstimmung von
Zahlen, welche aus abweichenden und zum Theil irrigen
Grundlagen hervorgegangen sind, blenden lassen.
In Heidelberg wurden von 685 umschlungenen Kindern
72 asphyctisch und 31 todt geboren; da bei 18 der letzteren
der Tod einzig und allein der Umschlingung zugeschrieben
werden konnte, so stellte sich die Lethalitat der Umschlingung
wie 1 : 38, die Frequenz des Scheintodes wie 1 : 9,5.
In Marburg betrug die Zahl der Umschlingungen 725,
die der Scheintodten 72 und der Todten 45; aus dem Um-
stände, dass nur 18 von diesen 45 Kindern in Folge der
Umschlingung starben, ergiebt sich die Lethalität der letzteren
zu 1 : 40, während die Frequenz des Scheintodes 1 : 10
beträgt.
Auch die von Weidemann ausserdem benutzten Berichte
aus Dresden, Göttingen, Würzburg und Berlin — im Ganzen
918 Umschlingungen mit 25 Todesfallen — weisen auf ein
ähnliches Verhältniss — 1 : 37 — hin ; eine bestehende und
doch rein zufallige, deshalb werthlose Uebereinstimmung.
Schon in Heidelberg und Marburg rechnete man mit un-
gleichen Grössen, was bei dem Werthe dieser Journale für
die vorliegende Frage um so mehr zu bedauern ist. Mayer
rechnete zu den scheintodtgeborenen nur diejenigen Kinder,
welche wieder in's Leben zurückgerufen werden kontften;
Weidemann begriff unter ihnen, auch solche, bei welchen
1) Hiermit stimmt auch der Bericht Credos über die Er-
gebnisse der Leipziger Poliklinik, welcher 276 Umsohlingungen
auf 1217 Kinder zählt, fiberein. (Monatwehr., Bd. 15.)
294 xni r***> Ueber aie Fnqttemi
der Schemtod in Tod überging. Offenbar hat Mmyer die
Asphyxie richtiger begrenzt; der Eintritt der Asphyxie bezeugt
dfen Eintritt der Gefahr; weiterhin ist es besonders wichtig,
zu erfahren, wie oft diese wieder vorübergeht und wie oft
sie tödtlich wird, während es gleichgültiger ist, ob an dem
bereits dem Tode verfallenen Kinde noch nach seiner Geburt
Lebenszeichen wahrzunehmen sind oder nicht Weidemann
hat daher zu viele Scheintodte und zu wenig Todte in
Rechnung gestellt. Eine Correctur dieses Fehlers würde sicher
eine Abweichung in den Angaben Mayer'% und Weidemann*»
über die Frequenz des Scheintodes zur Folge haben, wenn
auch möglicher Weise eine noch grössere Uebereinstimmung
in den Berechnungen über die Lelhalität herausstellen.
Die Mittheilungen aus Dresden, Berlin und Wurzburg
lassen sich auf "diese Weise nicht benützen, weil sie un-
richtige Angaben über die Häufigkeit der Umschlingung
enthalten; in Würzburg registrirte man 6 Todesfälle bei
75 Umschlingungen, aber mir 75 Umschlingungen bei 6237
Kindern. Von den Dresdener Berichten darf man nur die
folgenden verwenden, weil in den übrigen, zum Theil ganz
unrichtige, zum Theil keine Daten vorliegen:
1825: 49 Umschlingungen, 3 Todtgeburten.
1
0
0
o
o
4
1827:
43
1829:
60
1837:
38
1846:
59
1847:
78
1849:
77
1850:
59
1851:
72
535 Umschlingungen, 10 Todtgeburten.
Also 1 Todtgeburt auf 53,5 Umschlingungen, oder 1:48,
wenn man die Jahre 1837 und 1890 mit einer Frequenz der
Umschlingung von nur 1 : 5,8 eliminirt.
Aus den Berichten endlich von Göttingen darf man nicht
den einzigen, welcher eine Todtgeburt durch Umschlingung
enthält, verwerthen wollen, wenn daneben Andere das Vor--
die Zabl
im Jahr©
der
UmaeblingangvB
1837
27
1841-1844
109
1845
40
1846
24
1847
23
1848
15-
1849
34
1850
20
1851
28 '
1852
30
der Nab«tahMt«n#flfcUngQag ad de» Ätofluss etc. £95
kommen eine* sokhen Ereignisses bestimmt in Abrede nehmen.
Es betrug
die ZM
der hierdurch
entstandenen
Todtgeburten
0
1
0
?
0
0
0
?
?
0
Die drei Fragezeichen in vorstehender Tabelle sollen nur
andeuten, dacss in dem betreffenden Berichte ein bestimmter
Ausspruch fehlt; bei der Persönlichkeit des Berichterstatters
hat die Annahme, dass auch in diesen Jahren Todtgeburten
in Folge von Umschlingung nicht beobachtet wurden, die
meiste Wahrscheinlichkeit. Hiernach stellte sich in Göttingen
die Lethalität der Umschlingung, wie 1 : 350 oder wie
1 : 278, also sehr abweichend von den in Heidelberg, Marburg
und Dresden beobachteten Verhältnissen heraus. Auch in
Trier verzeichnete man bei 167 Umschlingungen nur 2 (bei
143 Umachlingungen um den Hals nur 1) Todesfälle.
Diese erhebliche Differenz der an verschiedenen Orten
erhaltenen Resultate bedarf der Aufklarung. Bei der An-
nahme, dass hier eine Wirkung des blossen Zufalles, eine
Folge der zu geringen Anzahl von Beobachtungen, welche
den Berechnungen zu Grunde gelegt wurden, vorliege, kann
es nicht sein Bewenden behalten. Diese Annahme darf nicht
befriedigen, wo die Ergebnisse drei verschiedener Gebärhäuser
sehr nahe mit einander übereinstimmen und kein unbedeutendes
Mortalitatsverhältniss nachzuweisen scheinen. Somit wird man
darauf hingewiesen, die Ursache der Differenz* in den ab-
weichenden Ansichten der Beobachter bei Bestimmung der
Todesart zu suchen. Die geburtshülfliche Literatur zeigt
296 XUL V*U, Uebor 4ie FrtfKes»
überall, wie gross gerade die Divergenz der Meinungen auf
diesem Gebiete war und zum Thett noch ist In Heidelberg
und Marburg hat man den Umschlingungen eine besondere
Aufmerksamkeit zugewandt, wie schon die von beiden Orten
ausgegangenen Mittheilungen darthun. In dei4 Entbindungs-
anstalt zu Dresden wurden die Beobachtungen unter der
Leitung von Männern gedeutet, von welchen der eine bereits
1829 überzeugt war, dass die Festigkeit der Umschlingung
wenig in Betracht komme; und der andere die in Heidelberg
geltenden Anschauungen acceptirt und an allbekannter Stelle
ausgesprochen hat. Dass diese Anschauungsweise in Göttingen
nicht getheilt wurde, deutet schon der Ausspruch: „quamquam
circumvolutionem mortis causam fuisse contendere vix ausim"
an. *) Es fragt sich daher, ob man hier die Bedeutung der
Umschlingung unter- oder ob man sie dort überschätzt habe.
Die Entscheidung dieser Frage bleibt am zweckmässigsten
neuen thatsäcblichen Belegen vorbehalten. Solche werden
auch ergeben, ob, wie die Resultate aus Trier gedeutet
werden können, die Wahrheit in der Mitte liege.
Das Bedürfniss, neue Zahlen zur Controle herbei-
zuschaffen, legt den Versuch, diese auf einem Umwege zu
finden, nahe. Nimmt man die Frequenz der Umschlingungen
als ermittelt (1 : 4,5) an, so Hesse sich ihre Lethalitat auch
aus der Gesammtzahl der geborenen Kinder und der Summe
der gleichzeitig durch Umschlingung erfolgten Todtgeburten
berechnen. Doch auch hierzu fehlt es an Material Schon
die Zahl der Quellen, in welchen man über beide in Rechnung
zu stellende Factoren einen bestimmten Ausspruch findet, ist
äusserst gering. Zudem erscheint mir wenigstens die Be-
nutzung dieser spärlichen Quellen nicht statthaft. Denn wo
die gleichzeitigen Angaben über die Frequenz der Um*
schlingung von einer viel zu geringen oder wohl gar nur
ausnahmsweisen Beachtung ihres Vorkommens zeugen, ist zu
fürchten, dass an Umschlingung gestorbene Kinder nicht als
solche verzeichnet sind. Bei anderen Quellen ergeben sich
aber daraus Bedenken, dass bei Bestimmung der Todesursache
1) Ed. de Siebold, De circumvolntione folliculi umbil.,
Ooetting. 1834, p. 11.
der Nabelschnurumschlingung und den Einfluss etc. 297
augenscheinlich nie zu grosser, oder selbst ausschliesslicher
Werth auf die Festigkeit der Umschlingung gelegt wurde.1)
Hierin liegt ein Anklang an die Zeit, wo man an wirkliche
Strangulation dachte. Wie schwierig es war, sich von dieser
Ansicht ganz loszuringen, zeigen ja auch di6 Bemühungen,
1) Unter den Jahresberichten ans Dresden enthalten nur 16
über die Zahl der Todtgeburten dnrch Umschlingung bestimmte
Angaben; ausser den bereits früher verwerteten Jahrgängen
würden sich daher nur 7 benätzen lassen, und dadurch keine
wesentliche Differenz von dem früher erhaltenen Resultate ent-
stehen. Auf 4871 Geborene 18 Todtgeburten durch Umschlingung;
Lethalitat 1 : 61. — Von 6287 in Würzburg 1806 — 1846 geborenen
Kindern sind angeblich nur 7 (1 : 200) in Folge von Umschlingung
während der Geburt zu Grunde gegangen, überhaupt aber wurden
nur 76 Umschlingungen und in manchen Jahren keine einzige
notirt. — Für die Jahre 1886 — 1841 in Berlin würde sich ein
Lethalitätayerhältniss von 1 : 466 ergeben. — Adelmann (Neue
Zeitschr. f. Geb., VI IL) zählte in Fulda bei 164 Kindern 82 Um-
schlingungen, und unter letzteren 2, welche zu Scheintod führten;
ob diese 2 Fälle aber zu den 6, in welchen der Scheintod in
Tod Überging, gehörten, bleibt unbekannt. — UUamer (Neue
Zeitschr. f. Geb., XVII.) lässt wenigstens in drei, vielleicht in
vier von den sehn Jahren, welche sein Referat über Landshut
umfasst, nicht mit Sicherheit über den Einfluss der Umsehlingung
auf das Leben der Frucht urtheilen; es fragt sich also, ob
unter 1238 oder nur unter 866, resp. 730 Kinder 4 durch Um-
schlingung gestorbene zu zählen sind. — Franst M. Kutan fand
in den Journalen zu Mainz nur sehr wenige Fälle von Um*
schüngung vermerkt, und unter 7829 Kindern nur 3 verzeichnet,
welche mit um den Hals geschlungener Schnur todt geboren
wurden; auch hier waren jedoch andere Todesursachen mit Wahr-
scheinlichkeit angenommen (Neue Zeitschr. f. Geb., XXX.). —
Ritgen (Gem. d. Zeitschr. f. G , V.) führt unter 249 Umschlingungen
21 Fälle von Scheintod und 4 von Tod an, nennt aber die Gesammt-
zahl der Geburten in diesem Zeiträume nicht (1667?). — Ed. e. Siebold
beobachtete zu Marburg unter 864 Geburten 68 UiriflchUngunge»
und 1 Todtgeburt, wagt aber die letztere nicht als Folge der
Umschlingung anzusprechen (De circumvolut. etc.) — Nach Credi
(Monatsschr. f. Geb., XV.) trat bei 600 in der Klinik geborenen
Kindern (84 Umschlingungen) 1 Todtgeburt in Folge zu fester
Umschlingung des Nabelstranges um den Hals ein. Von 1217 in
der Poliklinik geborenen (276 Umschlingungen) starb 1 während
der Geburt wegen zu feste /Umschlingung um den Hals, während
in 2 anderen Fällen die Umsehlingung um andere Körpertheile
wahrscheinlich das Absterben mit veranlasst hatte. —
gQg Xm. Veit, üeber die Freien»
sie zu modificiren, und dadurch einem anderen Standpunkte
anzupassen. Dass es aber nicht vornehmlich. auf die Festig*
keit der Umschlingung, mithin auch nicht auf die hierdurch
vermeintlich entstehende Applattung und Undurchgängigkeit
der Nabelschnur ankommt, beweisen schon die zahlreichen
Fälle (cf. u. A. Haase, Gem. d. Zeitschr. f. G., V.) von so
fester Umschlingung, dass die Durchschneidung nöthig wurde,
bei völliger Integrität des kindlichen Lebens.
Das wesentliche Moment, aus welchem die Gefahr der
Umschlingung bei der Geburt hervorgeht, liegt, wie NaegeU
zuerst klar ausgesprochen und mit Erfahrungen begründet
bat, in dem Drucke, welchen die Nabelschnur zwischen dem
kindlichen Halse und der vorderen Beckenwand (gelegentlich
auch zwischen dem Rumpfe und der Uteruswand) gegen Ende
der Austreibungsperiode erleiden kann. Hierin verhält sich
die Umscblingung dem Vorfalle ganz gleich; in beiden Fällen
handelt es sich um eine Lagerung des Stranges, welche die
Compression desselben begünstigt. Bei dem Vorfalle tritt
die Compression regelmässig ein, bei der Umschlingung ins-
besondere, wo die Räumlichkeit des untersten Theiles des
Geburtskanales relativ beschränkt ist, daher vorzugsweise bei
Primiparen und grossen Kindern. Bei dem* Vorfalle dauert
die Compression nur ausnahmsweise so kurze Zeit, dass das
Leben des Kindes nicht in Gefahr kommt; bei Umschlingungen
beobachtet man dies sehr viel häufiger, weil hier der Druck
erst eintritt, wenn das Kind bereits zu dem Beckenausgange
gelangt ist Wie also bei dem Vorfalle ein präcipitirter Geburts-
verlauf die Gefahr abwendet, so wird bei der Unischlingung
eine Zögerung des Durchtrittes des Kindes die Bedingung der
Beschädigung, und führt je nach ihrer Dauer zu Asphyxie
in verschiedenem Grade bis zum Tode hin. Nur bei sehr
erheblicher Zögerung werden hier die Kinder ohne alle Lebens-
zeichen oder doch in hülfelosem Zustande geboren; daher die
grosse Frequenz der Asphyxie und die relative Seltenheit des
Todes bei Umschlingung. Ich verkenne nicht den Werth der alten
Erfahrung, dass eine Zögerung in diesem Stadium der Geburt
auch ohne Copcurrenz der Uroschlingung das Kind gefährden
kann; aber die relativ grössere Frequenz des Scheintodes
und Todes bei Umschlingung beweist, dass in letzterer selbst
der NabelfchnurtnnftchUngung und den Binflass etc. 299
eine besondere, von dem Wehendrucke im engeren Sinne
dieses Wortes unabhängige Quelle der Gefahr für das Kind liegt
Als neue statistische Belege dieser Ansicht, an welche
hier anscheinend nicht unzeitgemäss erinnert worden ist,
gebe ich die folgenden, durch einen Vergleich von 2550 Ge-
burten (cf. meine Beiträge zur geburtsh. Statistik, Honatsschr.,
VI., p. 119) gewonnenen Zahlen. Diese Geburten verliefen
sammtlich in Schädellagen, und der grossen Mehrzahl nach
ohne Kunsthülfe; nur der 40. bis 50. Theil wurde wegen
bedenklicher Zögerung mittels der Zange beendigt. - In 442
derselben fand ich Umschlingungen um Hals und Rumpf,
mithin 1 : 5,8 notirt. Wenn daher auch hier wohl nicht
ganz richtig gebucht worden ist', so entfernt sich doch die
verzeichnete Summe nicht sehr weit von der Wahrheit
Denn, wenn man die von mir nicht berücksichtigten Um-
schlingungen um andere Körpertheile nach den hierüber in
Heidelberg und Marburg gemachten Erfahrungen zu circa 50
annimmt, erhält man im Ganzen 1 Umschlingung auf 5,2 Kinder.
Von den vorgenannten 442 umschlungenen Kindern wurden
63 schein todt und 7 todt, von den anderen 2108 hingegen
84 scheintodt und 23 todt geboren; das Nähere ergiebt sich
aus nachstehenden Columnen.
1. Absolute Zahlen.
Erste TafeL
Primiparae.
Schein-
todt
Todt
Multiparae.
Schein. <
todt
Todt
Summa.
Schein- 1
todt
Todt
bei
Umschlingung
ohne
Umschlingung
48
67
7
18
15
17
63
84
7
88
Zweite TafeL
Soheintodte
Knaben I Mädchen
Todte
Knaben Mädchen
bei Umschlingung . .
ohne Umschlingung .
40
60
23
84
3
18
4
10
300
XIII. Veit, Ueber die Freqoeni
2. Relative Zahlen.
Dritte Tafel
Primiparae.
Multiparae.
Summa.
Sohein-
todt
Todt
8 oh ein -
iodt
Todt
Soheln-
todt
Todt
bei
Umachlingung
1 : 6
1:41
1 : 10,4
0:166
1: 7
1 :68
ohne
Umschlingung
1:21
1 : 78
1:41
1: 140
1 :26
1 : 92
Vierte Tafel.
-
Scheu
Knaben
itodte
Mädchen
To
Knaben
dte
Ifadeben
bei Umachlingung ....
ohne Umicblingung . . .
1: 6,8
1 : 21,6
1 : 9,1
1 :80
1:77
1 :8S
1: 62
1:105
Man darf annehmen, dass, abgesehen von der Um-
schlingung, die Verhältnisse für beide Reihen von Kindern,
für die umschlungenen und nicht umschlungenen gleich waren,
und dass die Gefahr für die letzteren vorzugsweise, wenn
nicht ausschliesslich aus dein sogenannten Wehendrucke
hervorging. Wir haben hier also gleichzeitig einen Maassstab
für die approximative Schätzung des Wehendruckes erhalten.
In den Fällen von Umschlingung ist, weil auch diese ausser
dem Wehendrucke mitwirkte, eine Beschädigung der Kinder
in grösserem Umfange eingetreten. Berechnet man aus den
obigen Ziffern die Grösse der Gefahr, welche ausschliesslich
m der Umschlingung gelegen war, um den schädlichen Ein-
fluss der letzteren und des Wehendruckes besser vergleichen,
sowie um die hier erhaltenen Resultate den an anderen
Orten gemachten Erfahrungen gegenüberstellen zu können, so
erhält man die
der Nabelaehnnrnmschltngang und den Einflnss etc. 301
Fünfte Tafel.
Primiparae.
Multiparae.
Scheintodte
Im Ganzen.
Schein-
todt
Todt
Sehein-
todt
Todt
Knaben Mädchen
Schein-
todt
Todt
in Folge
von
UmschliDgang
1
1
1 : 8,4 ' 1 : 86
1: 14
l:<x>
1: 9,7
1 : 13
1: 9,7
1 :200
in Folge
von
Wehendruek
1:21
1:78
1 :41
1:140
1 : 21,5
1:30
1:25
1 : 92
Diese Tafeln beweisen zunächst die Richtigkeit der froher
Aber die nachtheilige Einwirkung der Umschlingung von mir
ausgesprochenen Ansicht Störungen des fötalen Respirations-
proeesses kommen bei Umschlingungen zwei bis drei Mal
häufiger, als bei normaler Lagerung des Nabelstranges vor;
sie werden bei gewöhnlichen Schädelgeburten auch häufiger
durah Umschlingung als durch Wehendruck hervorgerufen.
Die Gefahr, welche aus der Umschlingung selbst dem Kinde
erwächst, beginnt erst gegen das Ende der Austreibungs-
periode; sie ist bei Primiparen grösser, als bei Multiparen,
fär das männliche Geschlecht (gleich jeder anderen) erheb-
licher; sie fährt bei Multiparen wohl nur sehr selten zum
Tode, während bei Primiparen die Asphyxie beinahe in jedem
zehnten Falle einen lethalen Ausgang nimmt
Störungen der fötalen Respiration durch Wehendruck
treten auch unter sonst einfachen Verhältnissen erst etwa bei
jeder 20. Primipara und 40. Multipara ein, aber diese sind,
da hier schon etwa das vierte Kind unrettbar verloren gebt,
ungleich gefährlicher (offenbar deshalb, weil ihre Genesis nicht
an ein bestimmtes — das letzte — Stadium der Austreibung»-
periode gebunden ist).
Die summarischen Ergebnisse der von' mir verglichenen
Geburtsfalle — . cf. die letzten Columnen der Tafel 5 — sind
insofern ohne Bedeutung, als sie bei dem sehr abweichenden
Verhalten der ersten und der wiederholten Geburten nur für
das hier zufällig gegebene, ganz abnorme Verhältniss zwischen
Primiparen und Multiparen (1 : 0,5) auf Geltung Anspruch
3Q2 XIII. Veit, Ueber die Frequan.
machen können. Im grossen Ganzen, wo drei Multiparen
durchschnittlich auf eine Primipara zu rechnen sind, muss
selbstverständlich ein schädlicher Einfluss von Seiten der
Umschlingung viel seltener hervortreten und das Lethalitäts-
verhältnits sich noch ungleich günstiger gestalten.
Von grosser Wichtigkeit aber ist, dass ich zu summa-
rischen Ergebnissen gelangt bin, welche von den in Heidelberg,
Harburg und Dresden gemachten Erfahrungen völlig abweichen
und dennoch nicht isolirt dastehen, da auch aus Göttingen,
Trier, Landshut und Leipzig ähnliche günstigere Mortalitäts-
verhältnisse bei Umschlingungen der Nabelschnur berichtet
werden. Die Frage nach den Ursachen dieser Differenz tritt
mithin von Neuem in den Vordergrund. Der Umstand, dass
ich eine etwas geringere Zahl von Geburtsfällen zur Hand
hatte, kommt, wenn überhaupt, so doch sehr wenig hierbei
in Betracht, weil die Resultate zu weit abweichen. Ebenso
wenig liegt die Ursache der Differenz in dem Verhtitnisee
zwischen Primi- und Multiparen; vielmehr kamen in Dresden
0,8 und in Marburg sogar 1,5 Mehrgebärende auf eine Erst-
gebärende, so dass sich bei dem gleichen Verhältnisse, wie
in Berlin, eine noch beträchtlichere Lethalität herausgestellt
haben würde.
Der Weg, welchen ich betreten habe, um den Einfluss
der Umschlingung zu ermitteln, leidet allerdings an dem
scheinbaren Mangel, dass die Ursache des Todes niemals im
concreten Falle festgestellt wurde, aber gerade aus diesem
Mangel erwuchs der meiner Ansicht nach unberechenbare
Vortheil, dass Irrthümer in der Deutung, welche bei der
Beurtheilung concreter Fälle leicht eintreten können, aus-
geschlossen wurden. Derartige Irrthümer sind um so leichter
zu erwarten, wenn sich die Untersuchung nicht, wie kt
meinen Tabellen, auf einfache Schädelgeburten begrenzt,
sondern, wie bei der Verwerthung der aus Heidelberg,
Marburg und Dresden hervorgegangenen Mitteilungen, alle
Geburten ohne Ausnahme umfassL Eine andere Erklärung
vermag ich wenigstens nicht in Bezug auf die abweichenden,
die Lethalität der Umschlingung betreffenden Resultate
in geben.
der Nabelschnurumschlingung und den Einflnsa etc.
Die Differenzen in Betreff der Angaben über die Frequenz
der Asphyxie erklären sich auch durch eine vielleicht näher
gelegene Annahme; sie sind überdies viel geringer. Die
Frequenz des Scheintodes bei Umschlingung ergab sich in
Heidelberg zu 1 : 9,5, in Marburg zu 1 : 10, in der vierten
Tafel zu 1:7. Ob dort, wie hier, ein Abzug von VS6 zur
Ermittelung der ausschliesslich durch die Umschlingung
beschädigten Kinder hinreicht, kann in Frage gestellt werden,
weil dort in einer Anzahl von Fällen verschiedenartige
Complicationen vorausgesetzt werden 'müssen, und deshalb
vielleicht ein grösserer Bruchtheil nicht in Folge der Um-
schlingung, sondern aus anderen Ursachen asphyctisch geboren
wurde. Lässt man jedoch dieses Bedenken fallen, so würde
in Heidelberg 1 von 15, in Marburg 1 von 17 Kindern nur
in Folge der Umdchlingung in Scheintod verfallen sein. Da
die fünfte Tafel ein Verhältniss von 1 : 7 ergiebt, so bleibt
eine nicht unansehnliche Differenz bestehen. Indessen er-
scheint mir dieselbe nicht so gross, dass sie nicht aus einer
verschiedenen Begrenzung der Asphyxie erklärt werden könnte.
Abweichende Auffassungen dieses Begriffes liegen sehr nahe,
da das erste Stadium der Asphyxie eben noch nicht Scheintod
in dem gewöhnlichen Sinne dieses Wortes ist
Haben die vorstehenden Erörterungen nicht viel weiter
als dahin geführt, dass die Unsicherheit unseres Wissens auf
dem hier betretenen Gebiete eine schärfere Beleuchtung erhält,
so werden sich andere Berufsgenossen vielleicht um so eher
zur Mittheilung ihrer Erfahrungen entschliessen.
304 * X1Y Jurran, Bericht über elmen
XIV.
Bericht über einen glücklich ausgeführten
Kaiserschnitt.
Von
Wilhelm Jurran,
Wundarzt und Geburtshelfer in Penig.
Johanna Christiana Steinert in Tauscha bei Penig,
27 Jahre alt, von kleinem untersetztem, aber gut genährtem
Körper, war von einem kräftigen Vater gezeugt, aber von
einer kleinen schwächlichen Mutter am 23. December 1832
von dem Berichterstatter durch operative Kunsthülfe (Wendung)
an die Aussenwelt gefördert Sie erhielt eine gehörige Wartung
und Pflege und überstand glücklich die gewöhnlichen Krank*
heiten des kindlichen Alters. Seit ihrem 20. Lebensjahre
war sie regelmässig menstruirt.
Im Juni 1859 concipirte sie zum ersten Male, wo die
gewöhnlichen Begleiter der Schwangerschaft, als: Nieder-
geschlagenheit, Schwere der Gliedmaassen, Appetitlosigkeit,
Gelüste nach besonderen Gegenständen, sich einstellten, auch
die bei der Oekonomie zu leistenden Arbeiten verrichtete sie
nicht mehr mit der früher gewohnten Lust und Leichtigkeit.
Zu Anfang des October fühlte sie die ersten Bewegungen
des Kindes in der rechten Seite ziemlich lebhaft. Am
3. Januar 1860 sab sie sich genöthigt, die zu verrichtenden
ökonomischen Arbeiten ganz aufzugeben und beschäftigte sich
später mit Näherei. Ohne irgend über ein Unwohlsein zu
klagen, verfloss. die Zeit bis zum 5. März früh 1 Uhr, wo
sie die ersten wehenartigen Empfindungen bemerkte; dieselben
nahmen an Kraft zu und hatten in kurzer Zeit den Abgang
des Fruchtwassers zur Folge, von dem eine bedeutende
Quantität im Bette abgeflossen sein soll. Die Bewegungen
des Kindes fühlte sie lebhaft
Durch dieses Ereigniss sahen sich die Angehörigen ver-
anlasst, die Hebamme Dietze in Cbursdorf rufen zu lassen,
welche früh y43 Uhr eintraf und nach angestellter Unter-
suchung den Verwandten mittheilte: „Es stehe Alles gut; sie
glfleklicbr ausgeführten Kaiserschnitt. 305
wolle der Kreissenden ein paar Tropfen geben; vielleicht
dauere es nicht lange; da der Muttermund bei den kräftigen
Wehen sich sehr wenig eröffnet habe, wolle sie warme Oel-
emreibungen machen und der Kreissenden ein Klystier geben.**
Nachdem die Hebamme mehrere Stunden das Geburts-
Geschäft beobachtet und nach vorgenommener Untersuchung
aoch nicht die geringste Veränderung am Muttermunde wahr-
genommen, nimmt sie ihre Zuflucht zu Wehenpulvern, indem
sie früh 8 Uhr dem Herrn Dr. Jancovius in Penig um deren
Verordnung ersucht. Dieser verordnet: Rp. Seeale cornut,
Borac, Sacchar. alb. aa 9ij., M. f. Pulv. divid. in iv. park aeq.
S. Alle Stunden ein Stück.
Unter der Darreichung von genannten Pulvern , der fort-
gesetzten Anwendung von warmen Öleinreibungen an den
Muttermund, Veränderung des Lagers der Kreissenden bald
anf die rechte, bald auf die linke Seite, bald auf den Röcken,
verfliegst der ganze Tag und auch fast die Nacht, so das*
der Geburtsact noch auf. derselben Stelle sich befindet, wie
die Hebamme ihn bei ihrer Ankunft vorgefunden hatte.
Die Angehörigen sahen sich dadurch genöthigt, meine
Hülfe in Anspruch zu nehmen.
Bei meiner Ankunft um 4 Uhr früh, des 6. März, fand
ieh die Hebamme Dietze anwesend, die Kreissende im Bette
Hegend, das Gesicht dunkelroth gefärbt, das Köpf haar von
Sehweiss durchnässt, dabei klagte sie über heftigen Schmferz
des Unterleibes. Die äussere Untersuchung ergab:
Der Unterleib war gleichmässig ausgedehnt, durch einen
vorsichtig angebrachten leisen Druck meiner beiden Hände
an die gegenseitigen Wände der Gebärmutter bei der be-
deutenden €ontraction derselben bemerkte ich Bewegung des
Kindes. Bei Untersuchung der äusseren Form des Beckens
stiess ich auf einen bedeutend abnormen Zustand des grossen
Beckeos, indem die Breite der Darmbeine kaum 7 Zoll be-
tragen konnte; die Entfernung der Trochanteren betrug
10 Zoll; Deformität des Rückgrats und der Oberschenkel fand
nicht statt.
Aus diesen Wahrnehmungen schloss ich auf ein kleines
bedeutend verengtes BeckeYi.
Jfoafttnobr.f.Oobortsk. 1S81. Bd. XIX., Hfl. 4. 20
308 XIV. Jurron, Beriebt Aber eisen
Die innere Untersuchung ergab Folgendes:
Die äusseren Geschlechtstheile waren regelmässig gebildet ;
der Eingang in die Vagina sehr eng, die Temperatur derselben
nicht erhöht und kein Abfliessen von Blut oder Fruchtwasser
wahrzunehmen; der Ausgang sowie die Hohle des Beckens
bedeutend verengt; der Muttermund wulstig schlaff anzufthle^
und von der Grösse eines Neugroschenstücks eröffnet: das
Fruchtwasser war abgeflossen ; den Eingang des Beckens füDte
eine birnförmig elastische Geschwulst vollkommen aus und
dieselbe war so fest hineingedrängt, dass ich bei diesem enge*
Räume kaum im Stande war, dieselbe mit meinem Finger
zu umgehen, um die Weite des Beckens zu erforschen. Bei
dieser äusserst schwierigen Untersuchung fühlte ich eine
kleine hart gewölbte Rundung, an welcher ich eine drehende
Bewegung wahrnahm, welche für das noch stattfindende Leben
des Kindes sprach; die Gonjugata konnte im Durehmesser
21/* — 2% Zoll betragen; Wehen waren unausgesetzt vor-
handen und für die Kreissende sehr angreifend.
Ich gewann sogleich die feste Ueberzeugung, dass bei
diesem in seinen Dimensionen absolut zu engen Becken der
Kaiserschnitt das einzige Mittel sei, um das Leben des Kindes
und im glücklichen Falle auch das der Mutter zu netten,
weshalb ich auch von allen anderen Operationsversuehen ab-
stand. Und sollte durch die erwähnte Operation ein günstiges
Resultat erzielt werden, so rousste dieselbe auch ohne längeren
Aufschub zur Ausführung gebracht werden.
Da bei dem kleinen Körperbau eine kräftige Gesundheit
vorhanden, die Geburtsorgane keineswegs durch fruchtlose
Operationsversuche gelitten hatten, der Gemütszustand kein
deprimirter war, indem die Kreissende in der frohen Hoffnung
lebte, dass sie durch diese Operation von einem lebenden
Kinde entbunden würde, konnte die Prognose ttr die Mutter
nicht ungünstig gestellt werden.
Vorsichtig und so schonend als möglich theilte ich den
anwesenden Verwandten sowie der Kreissenden das Resultat
meiner Untersuchung mit, und ich erhielt auch ohne Wider«
spruch die Zustimmng zur Ausführung des Kaiserschnittes
mit den Worten der Kreissenden:' „Der gütige barmherzige
Gott gebe seinen Segen dazu, damit ich mein Leben erhalte,"
' gUteklick UfffftAUtfton Ksfotrsolinitt. 807
•
Da es noch Nacht war, so beobachtete ich »tili and ruhig
den Geburtsact bis 7 Uhr des Morgens, wo ich durch brief liebe
Mittheiluog den Herrn Dr. Jancovius um dessen Assistenz bat
Derselbe kam früh */48 Uhr, untersuchte und war voll*
kommen mit meiner Ansicht einverstanden.
Die Kreissende wurde nun auf ein Sopha gebracht Ich
bemerkte noch Bewegungen des Kindes. Wehen waren noch
vorbanden, Stuhl und Urinausleerungen erfolgt Mit Kohle
hatte ich auf der Linea alba durch einen 6 Zoll langen Strich
die Stelle bezeichnet, wo der Einschnitt geschehen sollte.
Dem Wunsche der Kreissenden entsprechend ward das
Chloroform durch Herrn Dr. J. in Anwendung gebracht
Nachdem ich mich von dar Wirkung des Chloroforms
überzeugt hatte, schritt ich zur Durchschneidung der Baucb-
haut und des Bauchfelles, wobei keine Blutung erfolgte und
auch kein Darm vorfiel. Nach Durchschneidung genannter
Theile zeigte sich die vordere Wand der Gebärmutter, welche
bedeutend dftnn war und dem vorliegenden Theile des Kindes
fest anlag. Uro nun keine Verletzung des Kindes zu be-
wirken, «machte ich mit Vorsicht einen kleinen Einschnitt
durch die Substanz der Gebärmutter, fahrte. zwei Finger der
linken Hand in den Schnitt hinein, verlängerte zwischen
meinen Fingern die Wunde der Gebärmutter, der Bauchwunde
gleich. Nun präsentirte sich die weisse rechte Rtickenfläche;
die Blutung war unbedeutend, aber die Zusammenziehung des
Uterus um das Kind sehr stark. Ich ging nun mit meiner
linken Hand vorsichtig an der rechten Seite des Rückens und
der Wand der Gebärmutter ein, suchte zum Steisse des
Kindes zu gelangen (dieser Theil schien mir der geeignetste
zur Entwickelung des Kindes zu sein, indem die Contractionen
nach dem Halse und Kopfe ausserordentlich stark waren),
welches mir auch bald glückte, machte eine kleine drehende'.
Bewegung, an dem Körper desselben jnit meiner rechten Hand*
und entwickelte bald darauf einen asphyktischen Knaben aas»
der Höhle der Gebärmutter.
Der Neugeborene erholte sich bald darauf vollkommen.
Ich schritt jetzt sogleich zur Wegnahme der Nachgeburt aus
der Wunde der Gebärmutter, fand aber ein bedeutendes
Hinderniss, indem sie am Grunde des Uterus fest adhärirt
20*
306 XIV. Jurran, Bericht über etaen '
war. Mit Voracht löste ich so schnell wie möglich dieselbe
«Bit Zurüeklassung einiger tendinösen Partien vom Grunde
los; sie war mehr gross und in der Mitte zeigten sich noch
mehrere sehnigt speckartige Stellen. Die Blutung während
der Lösung war unbedeutend.
Nachdem nun der Geburtsact vollkommen beendet, reinigte
ich die Bauchhöhle von dem ergossenen Blute vermittels eines
weichen Seh wammes, suchte die Wundränder der Gebärmutter
genau aneinander zu bringen und vereinigte die Bauchwunde
mit vier Knopfnahten, liess jedoch zwischen dem unteren
Rande der Wunde und dem unteren Stiche der Naht einen
etwas grösseren Zwischenraum, um den Austritt von Blutmassen
oder anderen Aussonderungen nicht hemmend entgegen zu
treten, legte über dieselben drei 2 Zoll breite und 24 Zoll
lange Heftpflasterstreifen, einen Charpiebausch und Compresse,
befestigte das Ganze mit einem Tuche, welches vor der
Operation schon unter die Kreissende gelegt worden war.
Die Mutter erwachte aus ihrem Chlore formschlafe, als ich
dieselbe von dem Operationsiager in ihr zweckmässig bereitetes
Wochenbett trug. Der Operationsact war in 14 Minuten beendet.
Der Entbundenen ward eine Emulsion aus den Semin.
papav. alb., Aq. lauroceras. und Aq. amygd. verordnet. Ich
beobachtete dieselbe noch drei Stunden nach der Entbindung,
wo sie zuweiten über einen brennenden Schmerz der Wunde
des Unterleibes klagte; der Puls war kräftig, etwas be-
schleunigt, doch nicht hart anzufühlen; Blutungen aus der
Baucbwunde und 'Mutterscheide zeigten sich nicht Dm
7*12 Uhr Mittag verliess ich die Patientin.
Den 6. März, Abend. Ich fand dieselbe in dem Zustande,
wie ich sie verlassen; es zeigten sich keine bedenklichen
Erscheinungen. Der ganze Körper war mit einem leichten
Sehweisse bedeckt, das Gesicht hatte ein lebhaftes Ansehen;
der Puls war etwas frequenter geworden, aber dabei nicht
hart; mit Appetit war eine geringe Quantität Semmelsuppe
gegessen worden; der Unterleib nicht aufgetrieben, aus der
Vagina war etwas Blut abgeflossen.
Um die gehörige Vorsicht für die Entbundene zu beob-
achten, übernahm ich diese Nacht die Wartung und Pflege.
Sie schlief in kurzen Zwischenräumen, Um 1 Uhr des Nachts
glücklich ausgeführtes Kaiserschnitt. 300
bekam sie Drängen, den Urin zu lassen, gelangte aber nicht
dazu. Um 5 Uhr des Morgens erneuerte sich das Dringen,
wo auch eine gehörige Quantität ohne Schmerz sieb entleert*.
Die Erneuerung des Verbandes ward um 9 Uhr Morgens im
Bette vorgenommen; die Schmerzen waren dabei gering, der
Verband von flössigem Blute befeuchtet; der Unterleib weich
und in der Tiefe fühlte man deutlich die kugelförmig coit»
trahirte Gebärmutter; aus der Vagina war eine bedeutende
Quantität coagulirten Blutes abgeflossen.
Der Neugeborene, ein kraftiger, gesunder Knabe, ist
vollkommen wohl.
Den 7. März, Nachmittag. Die Entbundene klagte über
einen heftigen Schmerz des rechten Schultergelenkes, so dass
sie nicht im Stande sei, den Vorderarm* im geringsten zu
bewegen. Ich liess ihr erwärmte Wattpausche auf das Gelenk
legen; sie hatte wenig geschlafen; der Puls war noch frequeirter
geworden, zählte in der Minute 100 Schläge, ein leichter
Seh weiss bedeckte die Haut; vermehrter Durst hatte sich
eingestellt; die Zunge war rein, der Appetit gut und an der
Wunde fand ich nichts verändert
Den 8. März. Der nervöse Schmerz war noch vorhanden,
auch im rechten Hüft- und Kniegelenke zeigte sich derselbe;
auch hier wurden Watteinwickelungen gemacht; der Schlaf
war dadurch unterbrochen worden; der Puls war noch
frequenter, zählte in der Minute 120 Schläge, aber dabei
nicht hart anzufühlen; die Zunge rein, der Appetit gut, der
Durst gross, die Schweissabsonderung in ihrer grössten
Thätigkeit; der Unterleib etwas mehr aufgetrieben und schmerz-«
haft; aus der Wunde und Mutterscheide entleerte sich blutige
Secretion; Stuhlausleerungen waren noch nicht erfolgt; der
Urin geht willkürlich ab. Wegen des heftigen Durstes liess
ich der Patientin einige Citronenscheibchen mit Zucker reichen.
Die Mohnsamenemulsion ward repetirt
Den 9. März. Die Patientin hatte die vergangene Nacht
sehr unruhig zugebracht; obgleich die Schmerzen im Schulter»,
Hüft- und Kniegelenk nicht mehr so heftig waren. Abends
10 Uhr hatte sich ein lästiger Durchfall eingestellt, so das*
sie bis diesen Nachmittag acht Mal Stuhlgang im Bette gehabt,
vfo sie sich danach sehr matt und kraftlos fühlte; der Unter«
{JJO XIV- Jurr*n, Bericht über «inen
Mb war mehr aufgetrieben und an der rechten Seite desselben
klagte sie über einen stechenden Schmerz: der Puls zählte
186 Schläge, intermittirte, war aber dabei weich anzufühlen;
die Zunge mit einem leichten weisslichen Schleim bedeckt;
der Appetit unverändert; der Durst verringert, die Haut-
auBd&nstung in ihrer gestrigen Thätigkeit; Milchabsonderung
in den Brüsten nicht bemerkbar. An einigen Stellen der
Bauchwunde bemerkte ich Eiterabscheidung und aus der
Mutterscheide floss ein dicker blutiger Schleim, die Temperatur
derselben war nicht erhöht. Wegen des heftigen Durchfalles
ward ihr die TincL op. crocat, Aq. menth. pip. verordnet
und Pfeffermünztbee als Getränk.
Den 10. März. Die Patientin hatte heute ein besseres
Ansehen als gestern; sie hatte vergangene Nacht ruhiger zu-
gebracht und periodenweise geschlafen; die lästigen Stuhl-
ausleerungen waren nicht wieder eingetreten; der Puls hatte
sich in der Frequenz verringert, zählte 130 Schläge, war
aber dabei intermittireüd. Bei Erneuerung des Verbandes
bemerkte kh nichts verändert.
Den 11. März. Die Entbundene hat vergangene Nacht
recht ruhig periodenweise geschlafen; der Schmerz im Schulter-, m
Hüft- und Kniegelenk ist ganz gewichen und ihr Befinden
im Allgemeinen befriedigend. Durch die anhaltend milden
Schweissabscbeidungen am ganzen Körper scheint die Milch-
secretion in den Hintergrund gestellt zu werden. Die Patientin
bezeugt heute grossen Appetit, weshalb ich ihr erlaubte,
etwas gebratenes Kalbfleisch mit zwei Semmeln zu gemessen.
Der Puls hatte sich in seiner Frequenz noch mehr gemässigt,
sähltd in der Minute 110 Schläge, aber dabei war er immer
noch idtermittirend ; der Urin geht regelmässig ab, Stuhl-
aualeeruogen waren nicht erfolgt; der Abfluss aus der Mutter-
scheide regelmässig.
Den 12. März. Die vergangene Nacht hatte die Patientin
recht leidlich geschlafen; der Blick ihres Auges und das Aus-
sehen ihres Gesichts verrieth kein besonderes inneres Un-
wohlsein; der Puls zahlte 98 Schläge, war weich anzufühlen;
der Appetit und Geschmack gut; Schweissabscheidung un-
verändert; Milchseoretion fehlt gänzlich; Urinausleerung regel-
mässig und beute war die drste Stuhlausleerung wieder
gHfokfUb awgtffihrleB Kafeerackfiitt. SU
eingetreten. Die Wundränder lagen in genauester Vereinigung
aneinander und aus der Mutterscheide entleerte sich eiterig
blutiger Schleim. Nach genommener Ansicht des Abgangs
entdeckte ich mehrere tendinöse Rudimente der Nachgeburt,
welche sich von der Substanz der Gebärmutter abgelöst hatten.
Den 13. März. Das Befinden der Patientin wie gestern;
ausser der Milchsecretion gehen alle Wochenverrichtungen
regelmässig von Statten. Es gehen taglich mehrere Blähungen
ab. Der tympanitische Zustand des Unterleibes ist ganz ge-
schwunden; die Gebärmutter hat sich kugelförmig zusammen-
gezogen und die Entbundene giebt kein Zeichen von Schmerz
beim tiefen Eingreifen des Unterleibes zu erkfcnnen. Da steh
die oberen Wundränder fest vereinigt zeigten, löste ich zwei
Knopfnahthefte. Die Opiummixtur ward nicht wieder erneuert,
allein der Thee aus PfefFermünzkraut fortgebraucht.
Den 14 März. Das allgemeine Befinden der Entbundenen
wie gestern; die Hautausdunstung noch in demselben Grade
wie zuvor; der Puls hatte seine Intermitteiß verloren und'
zählte in der Minute 86 Schläge.
Vom 15. März ab schritt die Genesung allmälig weiter,
die Wunde heilte und die Functionen des Körpers gingea
regelmässig von Statten.
Am 1. April hielt ich die Entbundene für kräftig, dass
sie eine V* Stunde ausserhalb des Bettes sich aufhalten könne.
Ich veranlasste dieselbe, mit meiner Unterstützung aus dem
Wochenbette zu steigen, nachdem ich zuvor den Unterleib
durch eine zweckmässige Bauchbinde gesichert hatte. Sie
empfand während des Gehens auch nicht den geringsten
Schmerz oder Spannung des Unterleibes und bald war voll-
kommene Genesung eingetreten.
Oft habe ich Gelegenheit gehabt, diese Person sowohl in
4er Stadt als auch in ihrem Orte während des Gebens zu
beobachten und gefunden, dass ein ungestörter Gang mit auf-
rechter Haltung ihres Körpers stattfindet Sie klagt über keine
Beschwerde, Schmerz oder Spannen des Unterleibes, und nach
ihrer Aussage gehen alle Verrichtungen, sowie das Eintreten
der Catamenien regelmässig von Statten, sie befände sich nebst'
ihrem kleinen Leopold in dem erwünschtesten Wohlsein.
318 XV. Notisen au* 4er Journal -LKeretnr.
XV.
Notisen ans der Journal-Literatur.
Conitantin Paul: Ueber den Einfluss der Bleiintoxioation
auf die Fracht.
Schon vor neun Monaten veröffentlichte Verf. in den Archive«
glnlrales 81 Beobachtungen aber den Einflass der Bleivergiftung
auf die Fracht, and seigte, das« im Allgemeinen schon intra-
uterin der Tod der Fracht erfolge, oder, wo dies nicht der Fall,
der Tod fast sicher innerhalb der ersten drei Jahre eintrete.
Seitdem traf Verf. swei mit Bleiintoxioation behaftete Frauen,
welche schwanger gewesen sind. Die erste, jetat 60 Jahre alt,
hatte, bevor sie mit Lettern au thun hatte, eine gegenwärtig
80 Jahre alte Toohter. Seitdem sie Lettern glättet, leidet die
Frau an einer Bleiintoxioation, ohne jedoch Koliken and
Lähmungen gehabt au haben. Sie wurde wahrend dieser Zeit
sieben Mal schwanger. Bei den seehs ersten Schwangerschaften
trat im vierten Monate Abortus ein. Sie verlies« nun anf ein
Jahr die 8chriftgiesserei and- gebar am Ende des Jahres einen
reifen Knaben, der 11 Monate alt starb.
Im aweiten Falle hatte die jetat 52jährige Frau fortwahrend
in einer Bleiatmosphäre gelebt und die heftigsten Bleivergiftung«-
Symptome gehabt, die in Koliken, Lähmungen und Arthralgien
bestanden. Ihre Periode war stets sehr un regelmässig; dem*
ohngeaehtet wurde sie swölf Mal schwanger and «wolf Mal trat
auch im awelten bis dritten Monate' Abortus ein.
Rechnen wir diese Fälle an den früheren Beobachtungen
des Verf. hinan, so aeigt sich, dass anf 83 in dieser Hinsicht
geprüften Individnen 31 kommen, welche, während sie sich
der Einwirkung von Blei anssetaten, schwanger wurden. Anf
141 Schwangerschaften kamen 82 Aborte, 4 Frühgeburten,
6 Todtgeborene; SO Kinder starben im ersten, 8 im aweiten,
f im dritten Jahre; ein anderes starb später; 14 Kinder leben,
10 davon haben daa dritte Jahr überschritten.
(Oaaette meo'ieale de Paris, 1861, Ho. 10.)
Fall von Plaoenta praevia centralis.
Frmn H., 31 Jahre alt, schwächlicher Constitution, iet seit
ftaf Jahren verheirathet und hat seitdem drei Mal regelmässig
XV. Notizen ans der Journal -Literatur. 318
geboren. Am Bade ihrer jetzigen vierten Schwangerschaft trat
plöUlieh eine heftige Blutung auf. Der zu Hülfe gerufene Verf.
fand die Seheide roll er Blutooagula, das Orifieinm uteri für zwei
Finger geöffnet nnd hinter demselben einen weichen schwammigen
Körper. Kindestheil ist nicht zu fühlen. Die Wehen sind schwach
and selten, der Blatflnss bedeutend, die Frau deutlich geschwächt.
Da man es hier mit einer Placenta praev. cent. su thun hatte,
so wurde ungesäumt die Placenta auf der linken Seite im Halb*-
kreise gelöst (ohne Eröffnung der Eihäute), Kaltwasserinjectionen
gemacht und ein Leinwandtampon angebracht , der späterhin
dureh Badeschwimme ersetst wurde; ausserdem wurde Seeale
gereicht.
Nach ungefähr sechs Stunden, während welcher Zeit nur
ein Mal eine heftige Blutung eingetreten war, zeigte sich der
Muttermund so we.it vorbereitet, dass mit der rechten Hand die
Wendung mit nachfolgender Extraction ausgeführt werden konnte.
Das Kind wurde todt geboren. Die Blutung war während der
Operation nur gering, steigerte sich jedoch nach Lösung des
noch adhärenten Placentatheiles in gefährlicher Weise, so dass
eine Solution von Eisenchlorid in die Gebärmutter injicirt, der
Sandsack applicirt und nachher die Scheide mit einem in Eisen-
chlorür getauchten Badeschwamm fest tamponirt werden mnsste,
worauf die Blutung stand. Patientin erhielt Analeptica, starb
jedoch nach vier Wochen an den Folgen einer Endometritis.
Verf. hält die gebartshülf liehe Encheirese, die Einfuhrung
des kalten Wasserstrahles und die Tamponade bei Metrorrhagien
für die Hauptmittel. Ferrum sesquichlorat. sei jedoch bei
Uterinalblutungen nach der Entbindung nicht anzuwenden, da
dieses Mittel auf die von der Decidua entblössten inneren Fläche
des Uterus, sowie auf die Vaginalschleimhaut ätzend wirkt und
somit Endometritis und Colpitis erzeugt. Bezüglich der Blut-
stillung bei Placenta praevia hält Verf. die Zeitfuchs -Cohen' sehe
Methode für die beste, räth jedoch su dem Sprengen der Eihäute
erst dann, wenn es behufs einer weiter vorzunehmenden Operation
geboten ist.
(Allgem. Wiener med. Zeitung, No. 18 u. 19, 1861.)
Gostilhes: Granulationen der Uterinschleimhaut, durch
Höllenstein gebeilt; erste Schwangerschaft im
48. Jahre. Verwachsung des äusseren Muttermundes.
Eine jetzt 43jährige Frau, zum zweiten Male verheirathet,
niemals schwanger, litt seit langen Jahren an schmerzhaften
-Menstruationen und Schleimflüssen. Anfing 1868 blieb das Blut
gänzlich aus, und es ergab sich als Ursache eine Verstopfung
314 XV. Notizen aus der Journal »Literatur*
des Uterinbalses durch Granulationen der Schleimhaut Di«
Utoiinsonde machte den Kanal wieder wegsam T brachte alte«
angesammeltes Blut aum Abfluas und eine fortgeeetnte Aetsung
mit Höllenstein bewirkte eine so gunstige Besserung, daes im
Mai 1860 Schwangerschaft eintrat nnd glücklich an Ende ging.
Nor war während der Schwangerschaft eine vollständige Ver>
wachsang des äusseren Mnttermnndes erfolgt, welche während
der Gebart am eine Ruptur des Uterus cu verhüten, mittele eine«
langen geknöpften Messers glücklich beseitigt wurde.
(Gas. hebdomad., No. Sl, 1861.)
Fruto: Dystocie in Folge von Obiiteration der Scheide.
Die 22jährige Kreissende hatte schon seit zwölf Stunden
heftige Wehen. Eine bedeutende Hämorrhagie, die häufige Ohn-
mächten zur Folge hatte, Hess anfangs eine Lösung des Frucht-
kuchens oder eine fehlerhafte Lage des Kindes verum then; doch
fand Verf. zu seinem Erstaunen den Scheideneingang durch eine
dicke Membran verschlossen, in deren Mitte eine kaum für den
Finger durchgängige Oeffnung bestand. Durch kreuzförmige
Einschnitte wurde letztere so erweitert, dass zwei Finger durch-
dringen konnten, doch entdeckte man alsbald ein neuos ähnliches
Hinderniss, welches auf gleiche Weise beseitigt wurde. So be-
standen zwischen Scheideneingang und Müttermund vier circuläre
Membranen, die alle im Centrum perforirt waren und dem Vor-
dringen des kindlichen Kopfes unbesiegbare Hindernisse entgegen-
setzten. Sämmtliche Membranen wurden mit dem Bistouri durch-
schnitten und die so gewonnene Oeffnung mit der Hand erweitert,
bis man endlich den sehr erweiterten Muttermund mit dahinter-
liegendem Kindeskopfe erreichen konnte. Um die durch den
Blutverlust schon sehr heruntergekommene Gebärende durch die
Geburtsanstrengungen nicht noch mehr zu schwachen, wurde die
Wendung auf die Füsse gemacht und ein todtes anämisches Kind
extrahirt. Die Wöchnerin erholte sich sehr bald vollständig.
Auf Befragen erzählte Patientin, dass zur Zeit des ersten
Eintrittes der Periode heftige Molimina angetreten seien und die
Menstruation erst dann regelmässig wurde, nachdem ein Chirurg
eine Membran, welche die Scheide verschloss, durchschnitten
habe. Es scheint also ein Hymen imperforatus bestanden zu
haben.
(Gazette des hdp., No. 96, 1861.)
XV. Notizen au der Journal -Literatur. $15
PauU: Ein seltenes Geburtshinderniss.
Die 25 Jahre alte blühende Frau hatte schon zwei Mal, und
■war sehr starke Kinder, geboren. Bei ihrer j etaigen Geburt
war der Kindeskopf bis in den Beckeneingang getreten und da
er trots kräftiger Wehen' nicht fortrückte, so wurde die Zange
ungelegt, die jedoch nach lVt stündigen Versuchen nicht aum Ziele
rührte. Wurde jedoch der Kopf angesogen, so seigte sich an
der hinteren Scheidenwand eine pralle kirn förmige Geschwulst,
Ton der Grösse einer starken Wallnuss, welche, wenn der Zug
mit der Zange aufhörte, sich wieder abplattete und kaum noch
bemerklich war. Auch Tom Mastdarme aus fühlte man deutlioh
die Geschwulst in dem Gewebe iwischan dem Mastdärme und
der Soheide sitaen. Durch leichtes Kratsen mit dem Nagel dea
Zeigefingers trennten sioh die Schleimhaut der Scheide und das
unterliegende Zellgewebe in einem Längenrlase, aus welchem
dann ein mannsfaustgrosser, kautschukbeutelartiger, schwarser
Körper heraustrat, der mit seinem donneren Theile noob fest
sass. Nachdem um den Stiel der Geschwulst swei Ligaturen
gelegt und derselbe durchgeschnitten worden war, konnte der
Kopf des Kindes, das allerdings abgestorben war, mit Leichtig-
keit entwickelt werden.
Das Afterproduct bestand aus einer »arten Hülle, deren
Inhalt eine sohwarse Flüssigkeit bildete, in welcher dicht au»
sammen fast erbsengrosse runde Körper schwammen, die wenig
schwärzlich, mehr hellgräulich und etwas durchsichtig waren.
Das Wochenbett verlief normal.
(Preuss. Medisinai- Zeitung, No. 28, 1861.)
Bern: Der Kautschukblasentampon, ein nothwendiger
Bestandtheil der Hebammengeräthschaften.
Der Kants chukblasentampon ist ein so einfacher und heil-
bringender Apparat, dessen Anwendungsweise so leicht erlernt
werden kann, dass nach Verfassers Ansicht derselbe in den Händen
aller Hebammen sich befinden sollte. Besonders bei den Blutungen
in der zweiten Geburtsperiode , wo zuweilen rasche Hülfe dringend
geboten ist, würde seine Anwendung für die Beseitigung der
gefahrvollen Lage der Kreissenden und des Kindes eine möglichst
sichere Gewähr leisten. Zur Darlegung der grossen Brauchbar-
keit des Apparates theilt Verfasser drei Fälle aus seiner eigenen
und einen Fall aus der Praxis des Kreiswundarstes Schmidt mit. —
Der erste, dritte und vierte Fall betrafen eine Plaoehta praevia,
der sweito einen Abortus.
(Preuss. Medisinalseitung, No. 51, 52, 1861.)
3t6 xv- Kotisen aas der Journal -Literatur*
Ferd. Weber: Meine Methode der Ansetzung von Blut*
egeln auf den Muttermund.
V*rf. hatte in awei Fällen das Unglück, dass einer von den
an den Soheidentheil gesetzten Blutegeln seinen Weg durch des
Muttermund in die Gebärmutterhöhle' nahm. Das eine Mal ver-
lies* der Blutegel die Höhle, ohne sich im Uterus angesetzt
so*, haben, das andere Mal stellten sich fürchterliche Schmersen
mit Schfittelf rösten und cyano tische r Färbung des Gesichtes ein
und die Kranke hatte das subjeetive Gefühl, als krieche etwas
in der Gebärmutter herum. Bald stellten flieh starke Metrorrhagien,
die sich wiederholten, ein und zur Tamponade zwangen. Am
5.-8. Tage wurden mit blutig -jauchigem Atisflusse Fetzen des
au rückgebliebenen Blutegels entfernt. Die. Kranke wurde nach
drei Wochen gesund entlassen.
Um nun eine Wiederholung ähnlicher Zufälle unmöglich an
machen, sucht Verf. die Blutegel zu fixiren und an einem Faden
festzuhalten. Er durchsticht zu diesem Zwecke mit 8 — 4 starken
Nadeln den Blutegel in seiner unteren Hälfte, zieht einen Faden
▼on Seide oder starkem Zwirn durch und knüpft dann die beiden
Enden des Fadens zusammen, damit das Leitseil desto stärker
werde. Jeder Blutegel muss nun in ein besonderes Gefäss gelegt
werden, damit sich durch die Bewegungen .derselben ihre Fäden
nicht verwickeln; denn, jeder Blutegel muss separat gesetat
werden, um ihn genau für den bestimmten Funkt zu verwenden.
Ein Hinderniss im Saugen soll durch das Durchziehen von Fäden
nicht bewirkt werden.
(Wien. med. Wochenschrift, No. 43, 1861.)
Noeggerath: Vier Fälle, von Injection einer ätzenden
Flüssigkeit in die Uterinhöhle. Nutzen und Ge-
fahren dieser Methode.
Im. ersten Falle wurde gegen heftige und häufige Blutungen,
welche nach einem Abortus auftraten und gegen die alle gewöhn-
lichen Mittel vergeblich angewendet waren, Jodtinctur in die Uterin-
höhle eingespritzt und zwar wiederholt. Die Schmerzen waren nur
gering, eine Reaction kaum bemerkbar. Heilung erfolgte schnell.
Der zweite Fall betrifft eine Frau, die seit 23 Jahren an
Uterusblutungen litt und sehr heruntergekommen war. Auf eine
einzige Einspritzung von Eisenchlorid trat eine heftige Peritonitis
auf. Nach einigen Recidiven trat allmälig Heilung ein.
Im dritten Falle litt die Frau seit zwei Jahnen an Hämprrhagie
und weissem Fluss. Auf eine Injection einer Höllensteinlösung
(ein Theil Höllenstein auf vier Theile Wasser) trat eine heftige
Peritonitis ein; die Kranke genas jedoch.
XV. NotUen ans der Jeumal- Literatur. S17
Im viertem Falle litt die Kranke an Leukorrhoe mit Krens-
eehmeraen; es seilte sich ein Infaret, Ulcerationen nnd Granu-
lationen am Mvtterhalse; die Geschwüre erstreckten sich bis auf
den unteren Theil der Scheide, waren anseheinend phagedänieeh
und syphilitischer Natur. Auf Anwendung des Ferrum candens
erfolgte eine unbedeutende Reactton und erst nach sehn Tagen
seigte sich in den Geschwüren eine Besserung. Um die Heilung
au beschleunigen, wurde ein mit Silbersolution getränkter Pinsel
auf die WundflKche gehalten und selbst ciroa l1/," hoch in die
Uterinhöhle geführt. Der Schmers war gering, schon am anderen
Tage aeigten sich Symptome einer Metroperitonitit, der die
Kranke auch am sechsten Tage erlag.
(Gazette medicale de Paris, No. 12, 1861.)
Chinin in der Geburtshülfe.
In einer Discussion über die wehenerregende Wirkung
des Chinin theilte Coehran einen Fall von vollständiger Wehen-
schwäche mit, gegen welche er eine Dosis von 10 Gr. Chinin
gab; die Wehen folgten bald und die Geburt verlief normal.
Oanada hält Chinin für das suverläasigste wehenerregende Mittel,
nur muss es in grossen Dosen gegeven werden. John LmoU
giebt in allen Fällen von rigidem Muttermunde, trockner Haut
nnd hartem Pulse Chinin in grossen Dosen, in Verbindung mit
trockenen Schröpf köpfen auf die Saeralgegend nnd heiseen Fuss*
bädern und erwartet das Nachgeben des Muttermundes und regel-
mässige Wehen ebenso au verlässig, wie StuhlÖfihung nach Jalappe.
Mich berichtet in dem Charleston med. Journ. and Rev. (Mars 1860)
mehrere Fälle von profusen Uterusblutungen, bei welchen nach
vergeblicher Anwendung aller bekannten Mittel Chinin mit dem
besten Erfolge gegeben wurde. Warren kennt kein auverlässigeres
Mittel, Abortus au bewirken, als Chinin in grossen Dosen.
(Sitzungsbericht der Med. soc. in Knightstown im British
med. Journ., No. 40, Oct. 1861, u. Med. cbir. Monatshefte,
Nov. 1861, S. 436.)
Lloyd: Vorfall der Gebärmutter in Folge mehrjährigen
Bestehens eines Dammrisses.
Die Kranke, 49 Jahre alt, seit dem 20. Jahre verheirathet,
wurde am 24. November 1860 im 3t. Mary 's Hospital aufgenommen;
sie hat acht lebende reife Kinder geboren. Ihre Periode stellte
sich mit dem 18. Jahre ein und war stets von heftigen Uterinal-
koliken begleitet. Seit ihrer Verbeirathung litt Pat. an weissem
Flusse. Bei der dritten Niederkunft serriss das Mittelfleisch,
318 XV. Notinen, ms der Journal-Literatur.
welebem Umstände sie den Gebärmuttervorfall smachreibt Der
Sut. prees. seigt den Uterus vollständig vorgefallen und «wischen
den Schenkeln hängend , die Bänder des Muttermundes sind nach
aussen gestülpt, die läppen stark hypertrophirt , sehr gefäss-
reich und mit Geschwüren bedeckt. Aehnliche Geschwüre finden
sich beiderseitig auf der vorderen Scheidenwand; die Schleimhaut
der Seheide selbst, trägt die Charaktere der Oberhaut. Der Uten»
kann »war mit Schwierigkeit reponirt werden, doch verursacht
jeder Repositionsversuoh heftige Schmeraen. Die Harnblase zeigt
sich naoh abwärts gedrängt und die Harnröhre nach aufwärts
gerichtet. Drang aur öfteren Entleerung des Harnes, der stark
gefärbt und ammoniakalisch riecht. Das Mittelfleisch ist aer-
rissen und es erstreckt sich der Riss durch den grösseren Theil
des Sphincter ani, so dass derselbe den andrängenden Fäces
keinen Widerstand su leisten vermag. Die Afteröffnung ist weit
und erschlafft, seine Schleimhaut nach aussen umgestülpt. Sitzen,
Liegen, Stehen und Gehen der Patientin schwer.
Nachdem durch eine geeignete Behandlung die Ulcera und
Entsandung des Uterus beseitigt, gleichseitig auch gegen die
allgemeine Schwäche ein roborirendes Verfahren eingeschlagen
worden war, wurde cur Reposition und Retention der Gebär»
mutter gesohriiten, und «war durch Bildung eines neuen Mittel-
fleisches und durch Venengerung des Scheidenkanals mittels
Wegnahme kleiner Schleimhautstreifen. Die betreffenden Nähte
bestanden aus Silberdraht und swei Hasensohartenn adeln. Der
Erfolg war ein ausgeseichneter. Am aobten Tage wurden die
Nadeln entfernt, und es seigte sich , mit Ausnahme einer kleinen
Stelle, eine vollkommene Vereinigung. Pat. musste noch einige
Zeit eine rabige Lage beobachten und war völlig hergestellt am
30. April 1861. Verf. glaubt folgenden Umstände« den günstigen
Erfolg anschreiben su müssen:
1) Der consequenten liegenden Stellung vor und nach der
Operation und ebenso dem therapeutischen Einflüsse des Hy-
drargjrum bichloridum besügiieh der Beseitigung der Hypertrophie
den Uterus.
2) Der Entfernung einer hinreichenden Partie der Scheiden -
Schleimhaut.
3) Der Anwendung der Hasenschartennadeln, anstatt der
gewöhnlichen Fadennaht; die Vortheile der ersteren bestehen in
grösserer Leichtigkeit der Anwendung und festerer und genauerer
Vereinigung.
(The Dublin quart. journ. of med. sc, No. 68, Aug. 1861.)
XV. Notizen mm der Journal- Literatur. 019
ArbeiUr: Behält der Fruehthalter noeh längere Zeit
nach dem Tode Schwangerer «eine selbst tändige
Thätigkcit?
Eine Gebärende starb an innerer Verblutung in Folge einer
Zerreissang des Seheidengrundes und Matterhalses. Verf. kam
% Standen nach erfolgtem Tode, fand alle Zeichen des Todes,
machte die Wendung und Extraction des auch schon abgestorbenen
Kindes und entfernte auch mit der Hand die Kachgeburt. Während
dieser Operationen war der Fruchthalter schlaff und nachgiebig,
nach seiner völligen Entleerung zog er sich jedoch zu der ge-
wöhnlichen festen Engel zusammen, wie nach regelmässigen
Geburten. Eine Section wurde leider nicht gestattet.
(Aerstliches Intelligensblatt Baierns, No. 42, 1861.)
Kulm: Aus der gynäkologischen Klinik des Prof.
C. Braun in Wien.
Krankenbestand im Jahre 1860: 109 Kranke.
Entlassen wurden: geheilt 51, gebessert 18, angeheilt 9;
durch Transferirung 20. Gestorben sind 6.
Krankheiten der Gebärmutter: Verengerang des Ute ras
1 Mal. Atrophie 1 Mal, Anteflexio 2 Mal, Re^roflexio 8 Mal.
Entaündnngen: a) Parenchymatöse, 18 Fälle (7 Mal
Metritis acuta, 6 Mal chronischer Infarct). In einem Falle, wo
neben starker Lockerung der Vaginalportion eine Cervical-
blennorrhoe bestand, wurden anter anderen die Tanninstifte
BecquereVa (1" lang, 1%"' dick, aus vier Tfaeile Tannin pur.,
ein Theil Tragantgummi mit einer hinlänglichen Menge Brot-
krume gefertigt) mit gutem Erfolge angewendet. Ausser dem
genannten Falle kamen noch 4 Fälle von b) katarrhalischen* Ent-
zündungen der Uterusichleimbaut in Form der chronischen
Blennorrhoe vor.
Fungöse Vegetationen des Cervii: 4 Fälle (2 Mal bei
Schwangeren, 2 Mal bei Nichtschwangeren). Alle litten an häufigen
profusen Metrorrhagien.
Fremdbildungen: o) Fibroide des Uterus 6 Mal (2 sub-
perltonaeal, 8 interstitielle, 1 fibröser Polyp); b) Sehleimpolypen
2 Mal, 1 Mal trennte sich der Polyp spontan von seinem Stiele,
im anderen Falle wurde er mittels der Pince ä cremalllere durch
Torsion entfernt, c) Carcinoma uteri 6 Fälle (4 Mal Medullar-
carcinom, 2 Mal Epidermidalkrebs). Bei einem der letzten Art
wurde die Vaginalportion ampntirt durch die galvanokaustiscbe
Schlinge. Die Amputationsstelle vernarbte gut, wurde jedoch
vier Monate später als Sita eines Mednllarcarciuoms gefunden.
Menstruationsanomalien: Amenorrhoe und Dysmenorrhoe
je 1 Fall; Menorrhagie 4 Fälle.
320 xy- *oti*«n Mi der Journal- Literatur.
Krankheiten der 8eheide und der äusseren öe-
sekleefatstheile: Chronische Catarrfae als selbststlndige Er-
krankung 5 Mal.
Blasen s eh eidenf Utein 2 Mal (1 Mal in Folge brandiger
Loestossung des durch den Kindesschädel serquetschten Gewebes;
das andere Mal durch Durchbrach eines Abscessus retroperitonaealis).
Abscess der Bartholinisehen Druse und Carunculae urethrae
je 1 Fall.
Krankheiten des Uterus-Bauchfells: 9 Fälle tob
Perimetritis (2 Mal entleerte sich der Eiter durch die vordere
Bauchwand in der Inguinalgegend), HKmatocele extraute rina 4 Mal.
Krankheiten der Eierstöcke: Eierstocksgeschwülste
7 Mal (4 Mal rechts, 2 Mal links, 1 Mal beiderseitig; 3 Mal
einlache Kysten, 4 Mal susammengesetste Kystoide), 1 Mal ver-
eiterte die Kyste und perforirte in die Vagina.
Ausserdem kamen noch sur Behandlung Mastitis 2 Fälle,
Cystosarcoma mammae in gravide 1 , Peritonitis 1 , Abscessus
retroperitonaealis 2, combinirte Puerperalprocesse 2; Tumor lienis
(bis auf die Beckengegend sieh ausbreitend) 8 Fälle. Neuralgia
1 Mal.
(Oesterr.Zeitssehr. f. prakt. Heilkunde, No. 81, 37,89, 40, 1861.)
8tatistische Tabelle 6ber die Vorkommnisse in der
Kreis- und Local-GebKranstalt su München im Etats-
jahre 1860—1861.
Es wurden 1137 Personen aufgenommen, 1022 wurden ent-
bunden. Unter den Geburten waren 12 Zwillings-, 7 umseitige,
36 frühzeitige Geburten. 622 Knaben, 612 Mädchen wurden ge-
boren. Folgende Fruchtlagcn kamen vor: 968 Scheitellagen,
6 Gesichtslagen, 36 Beckenendlagen, 8 Schulterlagen, 16 un-
bestimmte Lagen. — Placenta praevia 4, Blutflüsse 18, Eclampsie 1,
Vorfall der Nabelschnur 13.
Operationen wurden ausgeführt: 1 künstliche Frühgeburt,
2 Wendungen auf den Kopf, 10 Wendungen auf die Fasse, 19 ein-
fache Extraetionen, 8 Extractionen nach der Wendung; 20 Zangen
an den vorliegenden Kopf, 2 Perforationen, 2 Kephalothrypsien,
7 Repositionen der Nabelschnur, 6 Nachgeburtsoperationen.
Von den Entbundenen erkrankten 37 , es genasen 17» wurden
verlegt 12 und starben 8. — Von den Neugeborenen wurden
39 todtge boren, von denen 20 vor der Geburt, 19 während der
Gebart abgestorben waren. Von den Kindern starben 19 an
Lebensschwäehe und 19 an verschiedenen Krankheiten.
(Aeratliches Intelligenzblatt Baierns, No. 46, 1861.)
XVI.
Eduard Caspar Jacob von Siebold.
Nekrolog.
Quamquam festinas , non est mora louga , licebit
Injecto ter pulvere curraa!
Horat. carm. I. , 28, 86 u. 86.
Es sind mehr denn sechs Monate schon verflossen, seit
sich das Grab über Ed. von Siebold geschlossen und uns
eine der grössten Zierden der deutschen Geburtshülfe geraubt
hat. Wenn ihm erst jetzt an dieser Stelle einige Zeilen des
Andenkens gewidmet werden, so liegt der Grund in einem
Wunsche des Verstorbenen selbst. Er wollte keinen Nekrolog;
er wollte — um, wie er uns oft geäussert, einer schiefen
Beurtheilung zu entgehen — selbst erzählen, wer er gewesen,
wie er geworden, und was er gethan. Seit Jahren hatte er
diese Absicht; aber er verschob die Ausführung derselben,
bis das Gefühl baldiger Auflösung ihn mahnte, nicht länger
zu säumen. Unter den Qualen aufreibender Krankheit, in
dem Gefühl baldigen Endes r deshalb in rastloser Eile, ge-
drangt von dem Wunsche, sein Vorhaben noch zu vollenden,
schrieb von Siebold die „Geburtshülf liehen Briefe tt (vor einigen
Wochen erschienen), deren ersten sieben seine Selbstbiographie
enthalten.
Wir wussten, dass diese Briefe unter der Presse waren,
wir kannten des Todten Wunsch, es möchte einem jeden
Nekrolog über ihn die eigene Schilderung zu Grunde gelegt
werden — und wir fühlten die Pflicht der Pietät, diesem
Wunsche zu gehorchen und uns jeden Unheils zu enthalten,
bis die Autobiographie dem Publikum vorlag.
Monatesehr. f. OebnrUk. 186«. Bd. XIX, Hfl. 6. 21
322 XVI. Eduard Ca*par Jacob von Siebold. Nekrolog.
Wir glauben uns trotz des Verstorbenen ausdrücklicher
Bemerkung („ Geburtshülf liehe Briefe," p. 3): „so mag denn
demnächst die Redaction unserer Monatsschrift, wenn sie
mein Ableben anzeigt, dies in kurzen Worten thün und hinzu-
fügen: des Nekrologs überhebt uns die eigene Mittheilung
des Verfassers über sein Leben in dessen geburtshilflichen
Briefen," trotz dieses Wunsches einer Impietät nicht schuldig
zu machen, wenn wir sein Leben den Lesern der Monatsschrift
vorführen. Denn dies Leben war ein bedeutendes; es war
eine glänzende Erscheinung, wie sie — um mit den Worten,
welche ihm der treue Freund am Sclüusse der „Briefe"
nachruft, hier zu reden — „nur noch vereinzelt, ehrwürdige
Gestalten einer anderen Zeit, in die Zunflmässigkeit heutiger
Fachwissenschaft herüberragen, eine jener ursprünglichen
gefühlskräftigen antiquen Naturen, wie sie gegenwärtig nicht
mehr gedeihen wollen." Der Abschluss eines bedeutenden
Lebens weckt aber in Jedem das Interesse, die Geschichte
desselben zu erfahren, und wir glauben, dass die Leser der
Monatsschrift , in deren Hände wohl nicht überall die Selbst-
biographie gelangt, es dankbar aufnehmen werden, wenn wir
diese Geschichte hier einem grösseren Kreise vorführen. Wir
thun dies zufolge einer Aufforderung der Redaction, und weil
wir das Leben des Verstorbenen durch eine mehrjährige
Bekanntschaft und innige Freundschaft bezeugen können , weil
Alles, was den Geist des Freundes in Sachen unserer Wissen-
schaft und in den höchsten Angelegenheiten der Menschheit
bewegt hat, in häufiger gemeinschafüicher Besprechung in
den letzten Jahren seines Lebens auch durch unsere Seele
gegangen ist. Der Verfasser dieser Zeilen wird aber das
Leben des Freundes streng diesem selbst nacherzählen und
nur einiges Wenige über dessen letzte Tage und über seine
Leistungen hinzufügen.
Eduard Caspar Jacob von Siebold, entsprossen der
von Oken einst mit Recht als Asclepiaden- Familie bezeich-
neten Familie der Siebolde, wurde am 19. März 1801 zu
Würzburg geboren, wo sein Vater, Adam Elias von Siebold,
Professor der Geburtshülfe war. Den ersten Unterricht genoss
XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog. 323
der Knabe theils durch tüchtige Hauslehrer, theils in den
lateinischen Schulen der Vaterstadt. Sehr früh schon wurde
ihm' der Sinn für Musik beigebracht, den er durch sein ganzes
Leben bewahrte und immer mehr ausbildete. Schon als
neunjähriger Knabe Hess S. sich auf dem Flügel öffentlich
hören, wirkte in Privatconcerten als Violinist mit, und schon
zu dieser Zeit bearbeitete er ein Instrument, das immer sein
liebstes geblieben war — die Pauke. Die Umsicht des Vaters
Hess ihm Unterricht auf der Trommel geben, um die Hand-
gelenke des Knaben ausbilden zu lassen, ihn so schon für
den späteren Beruf körperlich vorbereitend. Hieraus, erklärt
sich die Vorliebe, welche S. immer für die Pauken hatte, und
die seinen Bekannten so oft auffiel; es war ihm das grösste
Vergnügen, bei öffentlichen Aufführungen die „Tympani" zu
schlagen, und Viele werden noch sehr wohl sich erinnern,
wie S. noch in den letzten Lebensjahren als Hitglied des in
Göttingen gebildeten akademischen Orchestervereines sowohl
bei den Proben als bei öffentlichen Productionen immer der
Pünktlichste und Erste an seinem Platze bei den Rassel-
instrumenten war, wie er, wirkte er nicht selbst mit, doch
wenigstens seinen Platz in der Nähe der Pauken suchte.
Gut vorbereitet bezog S. 1812 das Gymnasium seiner
Vaterstadt, auf welchem der Grund zu seiner classischen und
philologischen Ausbildung gelegt ward, im Herbste 1816
ward die Schule mit der zum grauen Kloster in Berlin ver-
tauscht, da zu jener Zeit der Vater dem Rufe als Lehrer der
Geburtshülfe an die Berliner Hochschule folgte. Obgleich die
hierdurch bedingte Veränderung im Leben eine bedeutende
sein musste, obgleich bald nach vollbrachter Uebersiedlung
die Mutter ihm starb — so fühlte sich doch der Jüngling in
dem neuen Aufenthalte sehr schnell heimisch. Die in der
umfangreichen Stadt viel grössere Ungebundenheit musste
seinem lebhaften Temperamente gefallen; die Schule war
vortrefflich, und gerade die Neigung zu den philologischen
Studien, die in & immer stärker hervortrat, konnte er auf
derselben immer besser befriedigen. Die Lust, sich diesen
Studien zu widmen, bildete sich unter ausgezeichneten Lehrern,
mit denen der Jüngling auch in privatem wissenschaftlichen
Verkehre stand, so allmälig aus; ja 8. sah sich in dieser
2t*
324 XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog«
Zeit, wie er nus erzählt, im Geiste oft schon auf einem
philologischen Lehrstuhl thätig. Charakteristisch ist, dass er
den mathematischen Studien nie eine gefällige Seite abfinden
konnte, so dass ihn seine Lehrer darin gänzlich aufgeben
mussten. Diese Abneigung hat sich durch sein ganzes Leben
erhalten; es war ihm nichts mehr lästig als die trockene,
exacte, Schritt für Schritt vorgehende mathematische Deduction,
als das Spiel mit Zahlen; seinem feinfühlenden ästhetischen
Sinne entsprachen die classischen Studien viel mehr, und die
Liebe für diese ist für seine ganze spätere Richtung und auf
seine Arbeiten in seinem Specialfache von dein grössten
Einflüsse geworden.
Im Frühjahre 1820 bezog &, dem Wunsche seines
Vaters folgend, als Student der Medicin die Berliner Universität.
Die medicinischeg Studien wurden anfangs nicht zu fieissig
getrieben, da sogleich der einjährigen Dienstpflicht im „herr-
lichen Kriegsheere" genügt werden musslc. An diese Zeit
erinnerte sich S. in späteren Jahren mit vielem Vergnügen,
und hat seine damalige Uniform — die ihm allerdings sehr
knapp geworden war _-*- bis zu seinem Ende wie eine
Reliquie gehütet und aufbewahrt. Aber auch den Nutzen
halte das Soldatenthum für ihn, dass es dem leichtbeweglichen
jungen Manne eine Pünktlichkeit beibrachte, die im Umgänge
mit ihm, in seinen Arbeiten, in der Verwaltung des ihm
Untergebenen, einem Jeden auffallen musste. In den kleinsten,
wie deu bedeutendsten Dingen war S. der pünktlichste,
prompteste Mensch, und halte er einmal etwas versprochen,
so konnte man auf dessen Ausführung zur bezeichneten Zeit
mit Sicherheit rechnen. Es braucht nicht erwähnt zu werden,
wie sehr dies einestheils die Annehmlichkeit des Umganges
mit S. für Jeden erhöhte, und wie es andererseits ihm seine
Studien und seine literarische Thätig keit erleichterte.
Nach Ablauf des kriegerischen Jahres kehrte S. mit allein
jugendlichen Eifer wieder zur Medicin zurück, trieb dre vor-
bereitenden und die praktischen Studien unter den berühmten
Lehrern Berlins aus damaliger Zeit (besonders zog ihn die
Anatomie an, so dass er bei seinem Lehrer Knape 1821/22
Amanuensis wurde, und selbst jeden Sonntag eine Vorlesung
über Osteologie in seines Vaters Hörsäle hielt), und bezog
_L
XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog. 325
dann im Herbste 1823 die Universität Göttingen, wohin ihn
der Vater theils aus alter Anhänglichkeit, theils aus dem
Wunsche, der Sohn sollte sich unter dem alten Universitäts-
freunde und der Familie verwandten, damals so hoch be-
rühmten Langenbeck in der Chirurgie ausbilden, theils wegen
der Absicht, eine zweite Heirath mit einer sehr jungen Frau
einzugehen, sandte.
In Göttingen Jag S. mit dem dort bei Allen eingebürgerten
Fleisse besonders den klinischen Studien ob, welche er unter
Langenbeck, Himly, Conradi und Mende nach Lust treiben
konnte. Denn waren die klinischen Anstalten auch klein, so
ward dies durch die Vorzüglichkeit und besonders den Eifer
der Lehrer (wie es auch jetzt noch in Göttingen der Fall ist)
vollkommen ersetzt Geburtshülfe trieb S. in Göttingen sehr
wenig, da er wusste, dass ihm die Gelegenheit dazu nach
seiner Rückkehr nach Berlin, wo er sich dem Wunsche des
Vaters zufolge zum Geburtshelfer ausbilden sollte, zu Gebote
stehen würde. Dagegen wurde der in dem jungen Manne
wohnenden Neigung zum classischen Alterthume und zu
philologischen und historischen Arbeiten, welche er auch als
Berliner Student nicht vernachlässigt hatte, durch die reich-
haltige, musterhaft geordnete und Jedem so bereitwillig geöffnete
Göttinger Bibliothek neue Nahrung gegeben. Hier legte S.
schon als Student zu seinen späteren historischen Arbeiten %
den Grund, wie er auch eine derartige Arbeit (s. unten das
Verzeichniss seiner Schriften, A. 1.) in Göttingen abfasste.
Im Herbste 1825 kehrte S. zur Vollendung seiner Studien
nach Berlin zurück, und ward hier sogleich als zweiter, resp.
dritter Assistent an der Entbindungsanstalt der Universität
angestellt. Während er so seine Zeit hauptsächlich der Geburts-
hülfe widmen musste, trieb er doch noch die übrigen praktischen
medicinischen Studien, da er sich zur ersten Prüfung vor-
bereitete, welche er im Januar 1826 bestand und dem zu
Folge am 29. März zum Doctor der Medicin promovirt wurde
(Dissertation, s. A. 2.). Bald darauf ward ihm die Ehre,
von der philosophischen Facultät seiner Vaterstadt Würzburg
mit dem Diplome eines Doctoris philosophiae überrascht zu
werden. Der Rest des Jahres 1826 und der Anfang 1827
ging dann mit den Vorbereitungen zu den Staatsprüfungen
326 XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog.
und der Ablegung derselben hin, bis 8. im April 1827, in
dem 14. Semester, nachdem er die Universität bezogen, Alles
absolvirt hatte.
Rasch ging es jetzt mit des jungen Mannes geburts-
hilflicher Laufbahn, auf welche ihn glückliche Umstände
stellten, vorwärts. Im Mai 1827 ward er als erster Assistent
bei der Gebäranstalt angestellt, habilitirte sich im Juni als
Prwatdocent und konnte schon in demselben Monate seine
Vorlesungen über theoretische Geburtshülfe mit 20 Zuhörern
eröffnen.
Dieser Erfolg erhöhte den Lehreifer und spornte den
Fleiss um so mehr an, als auch in den folgenden Semestern
die' Vorlesungen gleich stark besucht waren, S. den Unterricht
am Phantome den sich zum Staatsexamen vorbereitenden
Candidaten gab, und als er seine ganze Kraft auf die geburts-
hülf liehe Praxis in der Klinik und 'Poliklinik, die er als erster
Assistent hauptsächlich zu besorgen hatte, verwenden musste.
Daneben gab er Curse im Bandagiren, las merkwürdigerweise
im Winter 1828 auch ein Publikum über Knochenkrankheiten.
Der Wissenschaft suchte er in dieser Zeit dadurch einen
Tribut zu zollen, dass er* eine Anleitung zu geburtshülf liehen
Operationen (A. 3.) drucken liess.
In seinen geburtshülflichen Grundsätzen stand der junge
Docent natürlich ganz auf Seite seines Vaters, welcher zwischen
der Wiener und der Göttinger (Osiander'sdien) Schule die
Mitte hielt, gleichsam eine eklektische Schule bildete; um so
mehr, als jjer Vater der einzige Lehrer ihm gewesen und S.
vor dem Anfange seiner akademischen Thätigkeit nie Anderer
Grundsätze und Wirksamkeit durch eigene Anschauung hatte
prüfen können. Ein glücklicher Umstand war es für ihn,
dass er in seiner Eigenschaft als Lehrer theoretisch und in
der als Assistent und Leiter der Poliklinik sich praktisch
ausbilden konnte, und er so vor Einseitigkeiten bewahrt ward.
Der am 12. Juli 1828 erfolgte Tod des Vaters gab dem
Geschicke /SVs eine entschiedenere Wendung. Mit dem an-
gestrengtesten Eifer suchte er, da der Vater ihn nicht in
glänzender materieller Lage zurückgelassen, eine feste Stellung
zu gewinnen. Die nächste Gelegenheit gab ihm die pro-
visorische Uebertragung des Lehrstuhls und der Leitung der
XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog. 327
geburtshilflichen Klinik zu Berlin, in deren Genüsse er drei
Semester blieb. Diese Stellung, eine kleine Privatpraxis, sowie
literarische Unternehmungen (A. 4. u. 5.) nahmen ihn ganz
in Anspruch; das vom Vater seit 1813 redigirte „Journal für
Geburtshülfe" liess er unter seiner Redaction forterscheinen,
bis er 1837 mit dem 17. Bande dasselbe aufgab und ah»
Mitredacteur der gleichzeitig erscheinenden „Neuen Zeitschrift
für Geburtskunde ", welche sich 1853 in diese „Monatsschrift"
verwandelt hat, sich anschloss.
Am 9. April 1829 verheiratete sich 8. mit Fraulein
Marie Nöldechen, ältesten Tochter des Schifirahrtsdirector
Nöldechen zu Berlin. Sein günstiger Stern leuchtete ihm
weiter; denn .in demselben Jahre ward er (unter dem 14. Juli)
an die Stelle des zum definitiven. Nachfolger seines Vaters
ernannten Professors Busch zu Marburg als ordentlicher
Professor der Geburtshülfe, Director der Entbindungsanstalt
und Hebammenlehrer berufen. So schied er am 4. September
von Berlin und traf am 24. in seinem neuen Wirkungskreise ein.
War auch dieser in jeglicher Hinsicht weniger umfang-
reich als der frühere, so gefiel sich & in Marburg doch
vortrefflich, und er hat immer des Aufenthalts daselbst mit
dem grossten Vergnügen und in dankbarer Erinnerung gedacht
Das Gefühl der gesicherten Selbstständigkeit, die herrliehe
Umgebung, der Fleiss der Studirenden, die Eintracht unter
den Collegeu und das gesellige Leben sprachen ihn ausser*
ordentlich an. Seine Berufsgeschäfte nahmen ihn sehr in
Anspruch — da er auch die Vorlesungen über gerichtliche
Medicin halten nmsste; trotz dessen fehlte es nicht au häus-
lichem Fleisse, und gerade die in der kleinen Stadt gebotene
Müsse trieb ihn, die geburtshilflichen Lehren Anderer am
Kreisbette zu prüfen, und so erst recht selbstständig zu
werden. Von grossem Einflüsse auf die geburUhülfliche
Richtung &'s war die Bekanntschaft mit Nägele, welche er
im Sommer 1830 in Heidelberg machte, und dessen Arbeiten
über den Mechanismus der Geburt und das Becken ; er ver-
weilte bis an sein Ende immer mit dem grossten Vergnügen
beim Andenken jenes grossen Geburtshelfers, und seine Ver-
ehrung für letzteren war immer gleich gross. — Durch einen
längeren Aufenthalt in Paris im Herbste 1831 suchte er sich
328 XW- ^ttard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog.
mit der ausländischen Geburtsbülfe etwas naher bekannt zu
machen. Die Vorliebe für die literär- historische Seite seiner
Wissenschaft (auch die altclassiscben Studien vernachlässigte
er nicht, sondern beschäftigte sich immer mit dem Lesen
eines alten Autors und besuchte philologische Gollegien) ent-
wickelte sich bei vorhandener Neigung besonders durch das
Studium älterer geburtshülf lieber Schriften, und die erste
Frucht dieser Arbeiten war die Herausgabe von Solayres
de Benhac's Schrift (A. 6.); für sein Journal (B. a.) war
er sehr thätig. — Jm Jahre 1832 ward S. zum Prorector
erwählt, ein Amt, das ihn nicht sehr freute, da es ihm viel
zu thun machte und ihm Unangenehmes in Folge der da-
maligen Verfassungswirren in Kurhessen (an denen wir jetzt
noch leiden) zu bereiten drohte. Seine Thätigkeit in Marburg
sollte indessen nicht mehr lange in Anspruch genommen
werden; denn im Jahre 1832 ward er an Mende's Stelle als
ordentlicher Professor der Medicin und Geburtsbülfe, Director
der Entbindungsanstalt und Hebammenlehrer nach Göttingen
berufen, und dadurch der sehnlichst gehegte Wunsch — einst
in Göttingen, weiches S. schon als Student so lieb geworden,
und das er als das Ideal einer Universität („Geburtsh. Briefe",
p. 35) ansah, lehren zu können — erfüllt. Am 5. April 1833
verliess S. Marburg, wo er 3% Jabre, und wie er selbst oft
sagte („Geburtsh, Briefe,44 p. 68) die vergnügtesten und glück-
lichsten seines Lebens zugebracht hatte und traf am 12. April
an dem Orte seiner Bestimmung ein, um dort bis zu seinem
Ende zu wirken.
S. war noch relativ jung, erst 32 Jahre alt, als er
an einer der ausgezeichnetsten Universitäten auftrat. Seine
Liebenswürdigkeit, sein Geist, sein feiner Tact, seine Menschen-
kenntniss und besonders sein Fleiss erwarben ihm aber bald
nicht blos die grösste Hochachtung von Seite seiner GoUegen,
sondern vor Allem auch die Liebe der Studirenden. Und
diese hat er sich, wenn mit der Abnahme jener Eigenschaften
bei zunehmendem Alter und unter weniger günstigen äusseren
Verhältnissen auch die Theilnahme später etwas nachliess,
doch bis an sein Ende zu erhalten gewusst; Ehren und Aus-
zeichnungen sind ihm von den verschiedensten Seiten reichlich
dabei zugeflossen. — Seine akademische Thätigkeit war eine
XVI. Eduard Caspar- Jacob von Siebold. Nekrolog. 329
•
bedeutende, zumal er auch in Göttingen gerichtliche Medicin
vorzutragen hatte. Indess durch die wenigen Zerstreuungen,
welche eine kleine Stadt bietet, wenig .von seiner Haupt-
thätigkeit abgezogen; getrieben von dem in ihm wohnenden
Drange nach fortwährend weiterer eigener Belehrung und
Forschung; unterstützt darin durch den in Göttingen historisch
gewordenen Fleiss und begünstigt durch den Umstand, dass
8. seine Thätigkeit im eigenen Hause bei einem sehr kleinen
Material zu entfalten hatte — entwickelte er in Göttingen eine
ausserordentliche literarische Thätigkeit, wie sie wohl Keiner
seiner Collegen und kein Fachgenosse aufzuweisen hatte. Dass
es besonders die historische Seite der Geburtsbülfe war, welche
er cultivirte, lag in der in ihm wohnenden Neigung dazu, in
seiner classischen philologischen Bildung, und in den herr-
lichen Hülfsmitteln, welche ihm die Universitätsbibliothek bot.
Die Frucht hiervon war zunächst und hauptsächlich die Heraus-
gabe der berühmten Geschichte der Geburtsbülfe — deren
erster Band 1839, deren zweiter 1845 (A. 9.) erschien — ,
und die ewig ein Denkmal seines gründlichen Wissens, seiner
Einsicht, seines Verständnisses der Cultur aller Zeiten und ein
Denkmal deutscher Gründlichkeit und Unparteilichkeit bleiben
wird; eine weitere Folge jener Neigung war auch die grosse
Anzahl von Recensionen und Anzeigen, welche (237 an Zahl)
hauptsächlich theils in den von ihm mitredigirten Zeitschriften,
theils in den Göttinger Gelehrten Anzeigen erschienen. Da-
neben vernachlässigte S. aber auch nicht die eigene Detail-
forschung, die sich indess immer nur auf die praktische Seite
seines Faches richtete; die vielen von ihm in dem geburts-
bülflicben Journale und an anderen Orten veröffentlichten
kleinen Abhandlungen bezeugen dies. Ausserdem schrieb er
1841 ein Lehrbuch der GeburtshüHe, welches 1854 in zweiter
Auflage (A. 10.) erschien, ein für Anfänger sehr gutes Buch;
ein Lehrbuch der gerichtlichen Medicin (A. 11.) — allerdings
nur eine Compilation; ein Hebammenlelirbuch in Gemeinschaft
mit dem Geh. Obermedicinalrath Kaufmann zu Hannover
(A. 13.); er veröffentlichte mit der grössten Regelmässigkeit
die Berichte über die in. der ihm untergebenen Anstalt
vorfallenden Ereignisse ((?.). Durch anhaltende, nie auf-
gegebene Beschäftigung mit den alten Classikern, durch eigenes
330 XVI. Eduard Caspar Jacob von Biobold. Nekrolog.
Studium derselben, durch den Besuch philologischer Vorlesungen
und durch spätere Einrichtung eines philologischen Kränzchens
wusste er der in ihm liegenden Neigung immer frische Nahrung
zu geben, wie er denn auch literarisch durch die Herausgabe
und Uebersetzung der 6. Satire des Juvenal (A. 12.) und
später durch die Gesammtausgabe dieses seines Lieblings-
dichters (A. 14), auftrat und selbst als Lehrer in einer
philologischen Vorlesung („Geburten. Briefe" p. 72, 90) sich
producirte.
Diese Beschäftigung gab ihm fortwährend Zerstreuung
von den Geschäften und Studien in seinem Specialfache und
erhielt seinen Geist bis an sein Ende frisch und munter.
Sie konnte ihn — in Verbindung mit selbst bereiteten
musikalischen Genössen, mit einem sehr geselligen Leben, in
dem er meist die Hauptrolle spielte und einer höchst ge-
selligen und gastfreundlichen Häuslichkeit, worin ihn die vor*
treffliche Gattin und die liebenswürdigen Töchter (seine beiden
Söhne waren ihm in den frühesten Kinderjahren gestorben)
kräftig unterstutzten — für die vielen sonstigen Entbehrungen,
welche das Leben in einer kleinen Universitätsstadt mit sich
bringt, genügend entschädigen. Und diese friedliche und ihm
so lieb gewordene Beschäftigung mit der Wissenschaft' und
der Kunst war zum Theil auch die Ursache, dass S. den
ihm im Jahre 1845 nach d'Outreponfs Tode gewordenen
Antrag, dessen Lehrstuhl in Würzburg einzunehmen, ablehnte,
so sehr ihn auch die Liebe zur Vaterstadt und zum süd-
deutschen Leben damals sowohl wie auch später immer, anzog.
Die Reisen, welche S. regelmässig in den Ferien und
besonders im Herbste unternahm, gaben ihm weitere Zer-
streuung von der Arbeit und immer wieder frische Anregung
zu neuer Thätigkeit. Diese Reisen wurden aber nicht allein
zum Vergnügen, sondern auch zur Belehrung unternommen,
und die grossen Ferien der Jahre 1847, 1851 und 1852
sahen ihn in Wien an «der dortigen grossen Anstalt in voller
geburtshilflicher Beschäftigung, um an der Grossartigkeit des
dortigen Materials die alten Lehren von Neuem ' zu prüfen ;
ß. entwickelte hier einen Eifer, wie sehr wenige der immer
so zahlreich in Wien versammelten jungen Aerzte^ ich habe
mich von dioser Lust und Freude an seinem Fache, von
XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog. 331
r
seinem Wissensdrang« beim gemeinsamen Aufenthalte in Wien
im Jahre 1852, wo ich von dem Lehrer dort eingeführt
wurde , mit Bewunderung oft überzeugen können.
Aber nicht immer wurden die Reisen zur Zerstreuung
und zur Belehrung unternommen; es waren oll Badereisen,
welche durch Gichtanfalle und arthritische Ablagerung in den
Gelenken der unteren, später selbst in denen der oberen
Extremitäten nothwendig wurden. Diese Gichtanfälle kamen
schon in den ersten Jahren seines Göttinger Aufenthalts über &
und steigerten sich albnäiig immer mehr. Es verging in den
letzten 10 Jahren seines Lebens fast kein Jahr, in dem er
nicht seinen mehrwöchentlichen Anfall hatte; ja dieser über-
raschte ihn bisweilen auf seinen Ferienreisen. Das immer
starker werdende Podagra, verbunden mit einem immer zu-
nehmenden Embonpoint machte & allmälig alle körperlichen
Bewegungen sehr beschwerlich. Trotz dessen gab er in
keiner Hinsicht der immer starker werdenden Gebrechlichkeit .
nach, ja er suchte durch passende Leibesübungen (in den
letzten Jahren seines Lebens hatten wir mit mehreren Collegeu
'sogar einen Kegelclub auf &'s Veranlassung errichtet) das
Uebel nach Kräften zu verringern. Ernstlicher zeigte sich
aber seine Gesundheit afticirt, als er im Herbst 1860 von
Carlsbad, wohin ihn sein Arzt und Freund Hasse geschickt,
mit einem dort aufgetretenen und noch nicht völlig abgelaufeneu
Gichtanfall nach Göttingen zurückgekehrt. Zwar erholte er
sich bald wieder; dafür wurde er aber bei der Rückkehr
von einem Ausflug nach Hannover, den wir Weihnachten 1860
bei grosser Kälte gemeinsam machten, von einer Pericarditis
mit reichlichem Exsudat befallen; dazu gesellten sich die
Zeichen von Fettentartung des Herzens und der gleichen
Degeneration der grossen Ge fasse. Hedige asthmatische An-
falle, die Folge dieses Zustandes und der dadurch bedingten
Stase in den Lungen, quälten ihn ausserordentlich. Langsam
erholte sich der Kranke soweit wieder, dass er seinen Berufs-
geschäften nachgehen und sogar mich, als ich Ostern 1861
Göttingen verüess, noch auf einige Tage nach Braunschweig
zu meinen Angehörigen begleiten konnte. Es war seine
letzte Reise! Zurückgekehrt nach Göttingen stellten sich die
asthmatischen Anfälle von Neuem ein, das pericarditische
332 XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog.
Exsudat nahm zu. Trotz der grossen Beschwerden aber
hielt S. im Sommersemester 1861 noch seine Vorlesungen
und leitete seine Klinik; sein frischer -reger Geist blieb trotz
des körperlichen schweren Leidens derselbe, er konnte den
Gedanken, ernstlich und schwer krank zu sein, nicht fassen.
Die Briefe, die der Verfasser dieser Zeilen aus dieser Zeit
von ihm empfangen, sind der beste Beweis, wie geistig frisch
S. geblieben, und es ist erstaunenswerth, wie fleissig er in
'dieser Zeit des Leidens gearbeitet, die classischen Studien
fortgesetzt und den Fortschritten seines Faches gefolgt ist
Hasse wollte den Kranken gegen Schluss des Semesters
nach Carlsbad senden; dieser war wegen der asthmatischen
Beschwerden aber nicht im Stande, die Beise anzutreten.
Statt dessen nahm er gegen Ende des Semesters einen Garten-
aufenthalt dicht bei der Stadt, um in geistiger und körper-
licher Ruhe nur seiner Gesundheit leben zu können. „Seit
15 Jahren das erste Mal, dass ich hier bleibe," klagt er in
einem Briefe, und wer seine Reiselust kannte, weiss, wie
schwer es ihm geworden sein muss, die grossen Ferien da-
heim zuzubringen. Während des Gartenaufenthalts sind auch
die „ Geburtshülf liehen Briefe44 (A. 15.) entstanden; der Plan
zu denselben war allerdings längst fertig und die Ausfuhrung
verabredet. Die Selbstbiographie legte er in denselben wahr-
scheinlich in der Ahnung baldigen Endes nieder. Dieses
Gefühl trieb ihn auch bei der Abfassung der „Briefe44 zu
rastloser Eile an; „ich habe furchtbar gearbeitet; täglich gewiss
an 8 Stunden, es sind 22 Briefe geworden,44 schrieb er mir
unter dem 26. September (leider war dies sein letztes
Schreiben!). Man merkt es den „Briefen44 an, dass sie auf
dem Krankenlager geschrieben sind, es wäre sonst wohl
Manches in denselben besser geworden; denn S. war in der
Unterhaltung über viele in den „Briefen44 berührte Dinge viel
sprudelnder, anregender und erschöpfender, als er es in
letzteren ist.
Indess hatte sich &, obgleich ihn die Anlalle von ge-
waltiger Dyspnoe täglich quälten , doch so weit in den Ferien
erholt, dass er seine Vorlesungen für das Wintersemester
1861/62 halten zu können glaubte und auch Alles für den
Beginn derselben anordnete. Aber als er anzufangen gedachte,
XVI. Eduard Jacob Caspar ton Siebold. Nekrolog. 333
ward er von den unzweideutigen Zeichen einer Pneumonie
befallen, welche seinem Leben rasch ein Ende machte, bevor
die langsamen Qualen des Hydrops und der endlichen Er-
stickung, wie sein Freund Hasse schreibt, es haben thun
können. Ohne Ahnung von seinem Tode, nachdem er noch
16 Stunden vor dem Ende eine Correctur der „Geburts-
hülf liehen Briefe " gelesen, verschied S. sanft am Sonntage,
den 27. October 1861, Morgens 5% Uhr. Pneumonie, ein
.in allen Dimensionen sehr grosses Herz mit Residuen von
Peri- und Endecarditis , namentlich eine geringe Insufficienz
der Mitralis, Atherom des Arteriensystems, besonders enorme
Degeneration der Aorta (Verkalkung, Erweichung und De-
generation ihrer innersten Schichte) — das war das traurige
Ergebniss der Autopsie! Der Leichnam wurde am Mittwoch
den 30. October in aller Stille, nur geleitet von den Collegen
und Freunden, auf dem katholischen Kirchhofe zu Göttingen
zu Grabe gebracht; ein glänzendes Begräbniss, das Geleite
der Studenten , hatte sich der Verstorbene verbeten !
So ist den Lesern dieser Zeitschrift das Leben, Wirken,
Leiden und Sterben eines in vieler Hinsicht ausserordentlichen
und ausgezeichneten Mannes vorgeführt, ein Leben, welches uns
nicht blos, weil er ein Mann der Wissenschaft war, sondern
auch vom menschlichen Standpunkte aus in so vieler Hinsicht
von tiefem Interesse ist. Zwei Seelen gleichsam waren in
seiner Brust vereint, und oft fehlte die höhere Macht, den
Streit zwischen ihnen zu schlichten und sie miteinander zu
versöhnen. Siebold war ein Mensch mit grossen Tugenden,
aber auch mit vielen Schwächen — wo viel Licht, da ist ja
auch viel Schatten! Was ihm der Freund in dem Nachworte zu
den „Geburtsh ölf liehen Briefen" nachruft: „ein wärmeres Herz,
ein reicheres Gemüth, eine lebendigere Empfindung für alles
Grosse und Schöne ward nicht leicht in Menschenbrust gelegt,
menschliche Schwäche und Leidenschaft wucherte nicht leicht
in einem göttlicheren Boden!" — ich wiederhole es hier als
auch meine innerste Ueberzeugung. Ja, die innerste Grund-
lage seines Wesens war ein tiefes, inniges, reiches Gemüth;
einen Gefühlsmenschen muss man den Verstorbenen nennen.
Auf diesem Grunde beruhte sein Feinsinn, der ihm eigene
334 XVI. Eduard Caspar Jacob von Siehold. Nekrolog.
Tact, sein Humor, sein Sinn für Schönheit und Kunst; sein
feines Wahrnehmungsvermögen war ihm dabei ein Organ für
die Form der Schönheit. Auf dem Gefühlsgrunde beruhten
aber auch die mancherlei Extravaganzen!
Vor Allem ist von Siebold wegen der Fülle seiner
Ideen und seiner Vielseitigkeit zu bewundern. Alles Wissens-
würdige interessirte ihn lebhaft, vor Allem aber Arznei-
wissenschaft und Geburtshülfe. Fiel die Unterhaltung auf
sein Lieblingsfach, dann war er unerschöpflich. Allerdings
gehörte er in der Geburtshülfe nicht der neuesten Richtung
an; aber seine Bildung und Entwicklung fiel auch in eine
Zeit, in welcher die Geburtshülfe noch fast getrennt von der
übrigen Medicin bearbeitet wurde. Deshalb war ihm die
Gynäkologie im engeren Sinne des Wortes, die neuere Anatomie
und Physiologie ziemlich fremd. Aber 8. suchte sich fort-
zubilden, er suchte zu assimiliren, was Neues auftauchte,
was der rapide Fortschritt der Wissenschaft brachte. Offen
gestand er dabei in traulichem Gespräche oft ein , wie schwierig
ihm dies sei; niemals coquettirte er mit oberflächlichen und
leichthin erborgten Kenntnissen, welche ihm nicht in suecum
et sanguinem übergegangen waren. Seine Lieblingsbeschäftigung
war die mit der literär- historischen Seite des Faches; aber
er beobachtete auch mit grosser Aufmerksamkeit, Genauigkeit
und Ausdauer, und er hielt sich überzeugt, dass nur von
der Beobachtung und Erfahrung dauernder Gewinn für unser
Fach zu erwarten sei. Was er in beiden bezeichneten Richtungen
geleistet, ist oben schon angedeutet und wird aus folgender
Zusammenstellung seiner Arbeiten — in ihrer Fülle ein
grossartiges Zeichen seines Fleisses — ersichtlich.
A. Selbstständige Schriften.
1. Comnientatio exhib. disquis. „an ars obstetritia sit pars
chirurgiae". Gotting. 1824. 4.
2. Dissertalio de scirrho et carcinomate uteri, adjeetis tribus
totius uteri exstirpationis observationibus. Berol. 1826. 4.
3. Anleitung zum geburtshülflich- technischen Verfahren am
Phantom. Berlin 1828. 8.
" XVI. Eduard Carpar Jacob von Siebold. Nekrolog. 385
4. Die Einrichtung der Entbindungsanstalt an der iL Uni-
versität zu Berlin, nebst einem Rückblick der Leistungen
derselben seit dem Jahre 1817. Berlin 1829. 8.
5. Maygrier, J. P. Nouvelles deroonslrations d'accouche-
ments. Paris 1822. Deutsch und mit Anmerkungen ver-
sehen von E.-C. J. v. Siebold. Berlin 1829. 8. — Zweite
Auflage ebendas. 1835. gr. 8.
6. Solayres .de Renhac Commentatio de partu viribus
maternis absoluto. Dermo edidit nee non praefationc et
annotationibus instruxit Ed. C. J. v. Siebold. Berol. 1831.
gr. 8.
7. Progamma „nexum jurisprudentiam inier et medicinam
exhibens". Marburg 1831. 4.
8. De circumvolutione funiculi umbilicalis adjeetis dQobus
casibus rarioribus. Gotting. 1834. 4.
9. Versuch einer Geschichte der Geburtshülfe. I. Band.
Berlin 1839. — IL Band. Berlin 1845. 8.
10. Lehrbuch der Geburtshülfe. Berlin 1841. 8. — Zweite
Auflage mit Holzschnitten. Braunschweig 1854.
11. Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. Berlin 1847.
12. Juvenalis'a sechste Satire. Mit Einleitung und lieber-
setzung. Braunschweig 1854. 8.
13. Lehrbuch der Hebammenkunst, zunächst zum Unterricht
für die Hebammen des Königreichs Hannover. In Gemein-
schaft mit dem Geh. Obermedicinalrath Dr. Kaufmann
verfasst. Hannover 1856. 8.
14. JuvencUifs Satiren. Lateinischer Text mit metrischer
Uebersetzung und Erläuterungen. Leipzig 1858. 8.
15. Geburtshulfliche Briefe. Braunschweig 1862.
J5. Einzelne Abhandlungen.
a) In v. Siebold's Journal für Geburtshülfe etcT
1. Vorläufige Anzeige, die Totalexstirpation der krebshaften
Gebärmutter betreffend. Bd. IX.
2. Lieber Fissuren am Kopfe Neugeborener bei natürlicher
Geburt. Bd. XL
3. Pierre Franco. Ein Beitrag zur pragmatischen Ge-
schichte der Geburtshülfe. Bd. XU.
336 XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog.
4. Ueber den praktischen Unterricht in einer Gebäranstalt
Bd. XIV.
5. Gerichtliches Gutachten, eine Schwangere betreffend,
welche vor dem gesetzmässigen Ablauf ihrer Schwangerschaft
in Folge eines bedeutenden Blutverlustes starb. Bd. XIV.
6. Gutachten über einen nach geschehener Missbandlung
und dabei erfolgtem Bruche des Kehlkopfs entstandenen
Zwillingsabortus, welcher mit dem Tode der Mutter endete.
Bd. XV.
7. Zur Lehre von den Schwangerschaften ausserhalb der
Gebärmutter/ Bd. XVII.
b) In der „Neuen Zeitschrift für Geburtskunde".
8. Fall einer künstlich eingeleiteten Frühgeburt, nebst Be-
merkungen. Bd. XI.
9. Zur Lehre von der Verschliessung der Scheide. Bd. XI.
10. Zur Lehre von den Zeichen einer kürzlich erfolgten Ge-
burt. Bd. XIII.
11. Verheimlichte Geburt und Kindsmord. Ein Gutachten.
Bd. XVI.
12. Uebersicht der Leistungen der Gebäranstalt zu Wien im
Jahre 1843. Mit Bemerkungen. Bd. XVII.
13. Geschichte eines Kaiserschnitts bei Osteomalacie mit
unglücklichem Ausgange für Mutter und Kind. Bd. XVIII.
14. Verheimlichte Geburt mit bedeutenden Kopfverletzungen
des Kindes. Bd. XVIII.
15. Zweites Gutachten über eine verheimlichte Geburt mit
bedeutenden Kopfverletzungen des Kindes. Bd. XIX.
16. Ein Fall von Ruptur der Gebärmutter bei versuchter
Wendung. Bd. XXI.
17. Vorläufige Nachricht über die Anwendung der Einathmung
des Schwefeläthers in der geburtshülflichen Praxis. Mit
eigenen und fremden Erfahrungen. Bd. XXII.
18. Weitere Mittheilungen über die Anwendung des Schwefel-
äthers in der geburtshülflichen Praxis. Bd. XXIV.
19. Bemerkungen und Beobachtungen aus dem Gebiete der
Geburtshülfe. Bd. XXVI. (Besonders über den Mechanismus
der Steisslagen.)
20. Zur Lehre von den Gesichtsgeburten. Bd. XXVI.
- XVI. Eduard Oa»par Jacob von SMold. Nekrolog. 387
21. Eine Stimme über die Anwendung des Chloroforms in
der Geburtshülfe aus England. Bd. XXVIII.
c) In der „Monatsschrift für Geburtskunde und Frauen-
krankheiten".
22. Geburtshinderniss durch ausserordentliche Vergrösserung
der Nieren des Fötus. Bd. IV.
23. Zur gerichtlichen Geburtshülfe. Ein Obergutachten. Bd. VI.
24. Vorfall der Nachgeburt. Bd. VI.
25. Eine kleine historische Bemerkung zu Simpson9» Air-
tractor. Bd. VI.
26. Zur Lehre von den Gesichtsgeburten. Bd. XIII.
27. Zur Verklebung des Muttermundes als Geburtshinderniss.
Bd. XIV.
28. Beiträge zur Zwillingsgeburt Bd. XIV.
29. lieber die Gewichts- und Längenverhältnisse der neu-
geborenen Kinder, über die Verminderung ihres Gewichts
in den ersten Tagen, und die Zunahme desselben in den
ersten Wochen nach der Geburt. Bd. XV.
30. Fahrlässige Vergiftung eines neugeborenen Kindes durch
Morphium. Bd. XVI.
31. Fall von so gänzlicher Verbrennung eines Neugeborenen,
dass nur wenige Knochen übrig blieben. Bd. XVII.
32. Betrachtungen über das Kindbettfieber. Nach Lehmann9»
_ „Rapports de la commissi on d*obstetrique, communiquäs
au cercle medical d' Amsterdam ". Bd. XVII. u. XVIIL
33. Zum Saugapparat der Neugeborenen. Mittheilung. Bd. XVIIL
d) Ausserdem Aufsätze in Hecker' % Annalen, Pierer9»
Annalen, Jahn9» medic. Con versa tionsblatte, in der Salzburger
medic. Zeitung, in Schmidt9» Jahrbüchern, in der preussischen
medic. Vereinszeitung, im encyclopäd. Wörterbuch der media
Wissenschaften (herausgegeben von der Berliner medic.
Facultät), in der Zeitschrift der Gesellschaft der Aerzte zu
Wien, in den Schriften der König!. Societat der Wissenschaften
zu Göttingen, in Hermann Wagener9» neuem Staatslexicon,
in Henke9» Zeitschrift der gerichtlichen Medicin (da mir diese
Aufsätze . nicht alle zugängig sind, so gebe ich nur die Zeit-
schriften an, in denen sie zu finden).
MonaUtchr. f. Geburtak. 186». Bd. XIX., Hft. 6. 22
388 XVI. Eduard Caspar Jacob von Siebold. Nekrolog.
C. Bericht über die Leistungen der von v, Siebold
dirigirten Entbindungsanstalten.
1. Zehnter Bericht über die Gebäranstalt der K. Universität
zu Berlin vom Jahre 1827. Journal für Geburtshülfe, Bd. IX.
2. Eilfter Bericht etc. vom Jahre 1828, ibid. Bd. X.
3. Zwölfter Bericht etc. vom Jahre 1829, ibid. Bd. X.
4. Erster Bericht über die academische Entbindungsanstalt
zu Marburg 1829—30, ibid. Bd. XL
5. Zweiter etc. 1830 — 1831, ibid. XII.
6. Dritter und letzter Bericht etc. 1831 — 1833, ibid. Bd. XIIL
7. Erster Bericht über die in der K. Entbindungsanstalt zu
Göttingen vorgefallenen Ereignisse 1833 — 34, ibid. Bd. XV.
8. Zweiter Bericht etc. in den Jahren 1835 u. 1836.
9. Dritter Bericht etc. im Jahre 1837. Neue Zeitschrift für
Geburtskunde, Bd. VII.
10. Vierter Bericht etc. in den Jahren 1838 , 1839 u. 1840,
ibid. Bd. XIII.
11. Fünfter Bericht etc. in den Jahren 1841, 1842, 1843
u. 1844, ibid. Bd. XIX.
12. Sechster Bericht etc. in den Jahren 1845 u. 1846, ibid.
Bd. XXIII.
13. Siebenter Bericht etc. in den Jahren 1847 , 1848 u. 1849,
ibid. Bd. XXIX.
14. Achter Bericht etc. in den Jahren 1850, 1851 u. 1852.
Monatsschrift f. Geb. etc., Bd. II.
15. Neunter Bericht etc. in den Jahren 1853, 1854, i855
u. 1856, ibid. Bd. X.
16. Zehnter Bericht etc. in den Jahren 1857, 1858, 1859
u. 1860, ibid. Bd. XVIII.
D. Der Jahresbericht über die Leistungen in der
Geburtshülfe für C anstatt^ Jahresberichte
über die Fortschritte der gesainmten Medicin"
vom Jahre 1845 an bis incl. 1860.
E. Eine sehr grosse Anzahl (237) von Recensionen und
Anzeigen in den von v. Siebold mitredigirten Jour-
nalen, in den Göttinger gelehrten Anzeigen und einigen
anderen Zeitschriften.
XVII. Haake, Uebtr die Qewiohtsrer&ndeniiig etc.
Siebold?* Leistungen fanden auch überall die gebihrende
Anerkennung, nnd Ehrenbezeugungen strömten ihm von vielen
Seiten zu; fast alle bedeutenden medicinischen Vereine des
In- und Auslandes zählten ihn zu ihrem Mitgüede.
Sein Andenken wird nie verloren gehen; es wird bleiben
in dem Herzen der Freunde, in dem Herzen seiner Schaler,
denen er ein so tbeilnehmender Lehrer immer war, vor Allem
in den Annalen der Wissenschaft. Denn in diesen
Exegit monumentum aere perennius!
Möge dies Andenken uns Allen immer theuer sein!
Freiburg i. Br., im Mai 1862.
Spiegelberg.
XVII.
Ueber die Gewichts Veränderung der Neugeborenen.
Von
Dr. H. Haake,
Prifatdocent der Geburtuhttlfe In Leipzig.
Die interessanten Beitrage, . welche in neuester Zeit
Kussmaul durch Studien an Neugeborenen der empirischen
Psychologie und zwar im Besonderen der Entwicklungs-
geschichte der menschlichen Seele geliefert bat, bestimmten
mich, dem neugeborenen Kinde meine besondere Aufmerk-
samkeit zuzuwenden, namentlich waren es die physiologischen
und unter diesen wieder die vegetativen Processe, welche
einer genaueren Beobachtung werth schienen, um so mehr,
als sich in den Handbüchern der Physiologie, Geburtshülfe
und Kinderkrankheiten nicht einmal Andeutungen von Er-
scheinungen finden, die, wie ich nachweisen werde, als
constante Glieder in der Kette physiologischer Processe der
Neugeborenen betrachtet werden müssen.
Hier sei zunächst der Gewichtsveränderung neugeborener
Kinder gedacht.
340 XVII. ffaake, Ueber die Gewichtsve rinde rang
Die Literatur hierüber ist äusserst spärlich vertreten und
das in derselben Gegebene nur mit grosser Vorsicht zu ver-
werthen. Chaussier soll zuerst Andeutungen gegeben haben,
dass die Kinder in den ersten Tagen ihres extrauterinen
Lebens an Körpergewicht verlieren; wenigstens findet sich der
Name dieses Autors von Quetelet (siehe dessen : Sur Thomme
et le developpement de ses facultes etc., livre 2, pag. 38,
Paris 1835) allerdings mit der Parenthese „si je ne rae
trorape" genannt. Leider habe ich das Chaussier'sche Werk
nicht erlangen können und muss deshalb Quetelet als den-
jenigen bezeichnen, in dessen Schrift (1. c. pag. 38 ff.) ich
zuerst eine kurze Tabelle fiber die Gewichtsveränderung des
Kindes nach der Geburt fand. Quetelet kommt, allerdings
nur gestützt auf die geringe Zahl von sieben Beobachtungen,
zu dem Schlüsse: „que le poids de l'enfant diminue un peu,
imraediatement apres sa naissance et qu'il ne commence k
croftre d'une maniere sensible, qu'apres la premiere semaine.
EUä88er (Schmidts Jahrbdeher, Bd. 7, pag. 315) notirte
die Gewichte von 50 Knaben und 50 Mädchen unmittelbar
nach der Geburt, und unterwarf diese Momente einer neuen
Untersuchung beim Austritte der Kinder aus der Anstalt,
welcher im Durchschnitt am 16. Tage stattfand; er erhielt
als Resultat bald eine Ab- (Knaben), bald eine Zunahme
(Mädchen) des Gewichtes.
Im Sommer 1845 wog Hof mann alle in der Gebär-
nstalt zu Würzburg im Laufe der Monate Juni, .Juli und
August geborenen Kinder gleich nach der Geburt und fortan
jeden Tag bis zu ihrem Austritte aus der Anstalt. Das
Resultat dieser Wägungen war, dass alle Kinder in den ersten
48 Stunden nach ihrer Geburt an Gewicht abnehmen und
leichter werden; dass bei der Mehrzahl der Kinder (es wurden
im Ganzen 36 gewogen) die Gewichtsabnahme bis in den
dritten Tag hinein fortdauert, worauf das Kind wieder zu-
nimmt, so dass es bis zum fünften bis sechsten Tage nach
der Geburt meistens jene Schwere wieder erreicht hat, die
es nach der Geburt halte (siehe Neue Zeitschrift für Geburts-
kunde, Bd. 26, pag. 145 ff.)
Eine weitere Notiz über den in Rede stehenden Gegenstand
findet sich in der Dissertation von Bartsch (Beobachtungen
der Neugeborenen. 34J
über den Stoffwechsel Neugeborner, Marburg 1859) pag. 6
daselbst beisst es: „Ueberhaupt möchte ich hier gleich die
Anflicht aussprechen, dass die Milch, so lange sie noch Colostrum-
körperchen mehr als Milchkügelchen fuhrt, mehr die Rolle
eines Ausleerungsmittels des Meconiums übernimmt und ihr
weniger die Eigenschaften eines sehr guten Nahrungsmittels
zukommen. Was mich in dieser Ansicht ebea bestärkt, ist der
Umstand, dass die Kinder am ersten Tage ihrer Geburt eine
rückgängige Metamorphose ihres absoluten Gewichtes durch-
machen, wenigstens war dies der Fall bei den sämmtlichen
Kindern, mit denen ich in hiesiger geburtshülflicher Klinik
meine Versuche anstellte, und zwar kann dieser Verlust ihres
Gewichts fast eben so gross, ja noch grösser sein, als bei
einem Kinde, was aft- ersten Tage gar keine Milch ein-
genommen hat." — Die Zahl der vom Verfasser untersuchten
Kinder belauft sich leider nur auf fünf, nämlich vier Kinder
unter 24 Stunden alt und eiifem zweitägigen Kinde. Als
mittlerer Verlust der ersten vier Fälle ergab sich 35 pro raille.
Bei dem zwei Tage alten Kinde zeigte sich eine Abnahme
von nur 5 pro mille, so dass Verfasser hieraus schliefst, dass
der dritte Tag für ein normales Kind doch wohl der letzte
des Abnehmens sein möchte, denn bei drei anderen zwei-
tägigen Kindern, welche auf ihre Gewichtsabnahme resp.
Gewichtszunahme untersucht wurden, zeigte sich eine ganz
entschiedene Zunahme. Bemerken muss ich hier, dass Bartsch^
abgesehen von der für allgemeine Schlussfolgerungen viel zu
geringen Zahl von Beobachtungen, darin einen Fehler beging,
dass er das Gewicht, welches die Kinder unmittelbar nach
der Geburt zeigten, völlig unberücksichtigt liess; denn je
ein Kind war 6% und 7 Stunden, zwei Kinder je 12 Stunden
alt, als Bartsch seine Wägungen vornahm. Diese wenigen
Stunden . müssen wir jedoch mit in Anschlag bringen, da
während derselben recht wohl das ursprüngliche Gewicht der
Kinder eine Reduction erfahren kann. Doch muss ent-
schuldigend erwähnt werden, dass der gen. Verfasser sich
vorzüglich die Erforschung des Wie? und Warum? die Kinder
nach* der Geburt an Gewicht verlieren» zur Aufgabe gestellt hatte.
Eine bezüglich des untersuchten Materials viel umfang-
reichere Arbeit veröffentlichte vor circa l'/s Jahren Breslau
342> XVTI. Haake, Ueber die Gewiehtsveräaderuiig
in Zürich (Deber die Veränderung im Gewichte der Neu-
geborenen: in der Denkschrift der med. -Chirurg. Gesellschaft
des Kantons Zürich). 100 Kinder, von denen während ihres
Aufenthaltes in der Gebäranstalt 22 'künstlich, 2 gemischt,
die übrigen natürlich ernährt wurden, unterwarf Breslau bei
ihrem Abgange aus der Anstalt einer wiederholten Wägung,
wobei sich bei einem Vergleiche der jetzt gefundenen Gewichte
mit den unmittelbar nach der Geburt erhaltenen zeigte, dass
61 Procent der Kinder an Gewicht abgenommen hatten. Wh*
werden später nqcb genauer auf die von Breslau gewonnenen
Resultate Rücksicht nehmen, müssen jedoch hier schon be-
merken, dass die Breslau'sche Arbeit dadurch an Werth
verliert und die gefundenen Resultate deshalb auf allgemeine
Giltigkeit keinen Anspruch machen können, weil dei* Verfasser
zu wenig systematisch bei seinen Wägungen verfuhr und in
dem guten Glauben, die scheinbare (?) Disharmonie in der
Untersuchung gleiche sich bei einer grösseren Reihe aus, es
dem Zufall überliess, an welchem Tage post partum die
zweite Wägung vorgenommen wurde.
Die neuesten Untersuchungen über Gewichtsveränderung
der Neugeborenen stellte E. v. Siebold an (Monatsschrift für
Geburtskunde etc., Bd. 15, Hfl. 5). Von 49 einer täglichen
Wägung unterworfenen Kindern zeigte kein einziges eine
offenbare Zunahme in den ersten Tagen nach der Geburt;
35 Kinder zeigten eine Abnahme, 14 blieben im Status quo,
bis sich nach 6 — 8 Tagen eine Zunahme kund gab. Leider
lässt sich aus dem gedachten Aufsatze nicht ersehen, ob aUe
in Rede stehenden Kinder natürlich ernährt wurden! Ferner
ist es zu tadeln, dass auch kranke Kinder oder Kinder von
kranken Müttern zu denselben Beobachtungen verwendet
wurden, so dass die gefundenen Resultate nicht in voller
Ausdehnung als physiologische betrachtet werden dürfen.
Indem ich jetzt zur Darlegung der von mir bei den
Wägungen Neugeborener gefundenen Resultate übergehe , be-
merke ich, dass ich bei meinen Untersuchungen, gleich wie
Breslau , weniger das Wie? und Warum? als vielmehr das
„Um wie viel?44 ein neugeborenes Kind in gegebener Zeit
sein Gewicht ändert, zu erforschen bemüht war.
der Neugeborenen. 343
Als Material hierzu dienten 100 gesunde reife Kinder in
der Leipziger Gebäranstalt, nämlich 59 Knaben und 41 Mädchen,
erstere mit einem Durchscbnittsgewichte. von 6 Zollpfund
15,576 Loth, letztere von 6 Zollpfund 11 Loth. Nachdem das
Körpergewicht der Kinder unmittelbar nach der Geburt fest-
gestellt war, wurden dieselben völlig entkleidet auf einer
gewöhnlichen, doch genau regulirten Decimalwaage täglich
des Morgens gegen 9 Uhr gewogen. Um die Zeit zwischen
der Geburt des Kindes und der ersten wiederholten Wägung
in bestimmte Grenzen zu bringen, wurden alle Kinder, die
vor Mitternacht geboren wurden, zu der am darauf folgenden
Morgen stattfindenden Wägung zugezogen, während die nach
Mitternacht geborenen ausgeschlossen blieben; mit anderen
Worten: die erste wiederholte Wägung fand jedes Mal an
dem dem Geburtstage folgenden Datum statt, so dass nicht
weniger als 9 und nicht mehr als 33 Stunden seit der Geburt
verlaufen waren. Sämmüiche Kinder wurden von ihren im
Wochenbette vollkommen gesunden Müttern genährt
Bei einer Uebersicht der gefundenen Gewichte (siehe
die Tabelle) stellte sich folgendes Gesetz heraus:
Jedes Kind nimmt in den ersten Tagen seines
extrauterinen Lebens an Gewicht ab.
Kein einziges der Kinder zeigte bei der ersten wieder-
holten Wägung eine Körpergewichtszunahme, sondern alle
waren leichter als unmittelbar nach der Geburt und zwar
betrug die geringste Abnahme
für 1 Knaben = 1 Zollloth in den ersten 24 Stunden,
„ 2 Mädchen = je 3 „ „ „ „ 24
.die höchste Abnahme
für 1 Knaben und 1 Mädchen je 17 Loth
und es ergab sich als Durcbschnittsquantum des Verlustes für
die ersten 24 Stunden nach der Geburt
bei Knaben 8 Zollloth = V24 des ursprünglichen Körpergew.
„ Mädchen 81/* „ = yaa „ „ „
Gehen nun auch alle Kinder in den ersten Lebenstagen
eine reductive Metamorphose bezüglich des Körpergewichtes
ein, so ist doch die Summe der täglichen Verluste eine
individuell sehr verschiedene, wie aus folgender Zusammen-
stellung erhellt:
344 XVII. Hadke, Ueber die Gewichtrrerindenrog
bis zu. 6 Loth nahmen ab 6 Knaben, 2 Mädchen,
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59 Knaben, 41 Mädchen.
Angesichts dieser auffallenden Gewichtsabnahme, welche
die bei jedem Neugeborenen zu beobachtende Verminderung
in der Turgescenz, das gealterte Aussehen, das Welk werden etc.
zur Genüge erklärt, drängt sich uns die praktisch wichtige
Frage auf, ob wir im Stande sind, durch geeignetes diätetisches
Verfahren dieser Gewichtsreduction vorzubeugen, und ob die
von Laien, Hebammen und Aerzten vielfach adoptirte Sitte
(die wahrscheinlich der Beobachtung, dass Neugeborene ab-
nehmen, ihren Ursprung verdankt) dem neugeborenen Kinde
baldmöglichst etwas Milch, Thee, Zuckerwasser etc. ein-
zuflössen, zu billigen und von praktischem Wertbe ist Um
diese Frage richtig beantworten zu können, müssen wir einige
Augenblicke bei Betrachtung der Ursachen des Körpergewichts-
verlustes verweilen. Letzterer kann bedingt sein entweder
durch zu geringe Nahrungszufuhr Oberhaupt, oder durch ein
Missverhältniss zwischen der Verwerthung des zugeführten
Materials -und der Ausfuhr excrementieller Stoffe, oder durch
beide Momente gleichzeitig. Es ist allbekannt, dass in den
ersten Tagen des Wochenbettes die Milchsecretion nicht allein
sehr spärlich ist, sondern dass auch das Secret von der
später abgesonderten Milch qualitativ wesentlich diflerirt, sich
namentlich durch einen radieren Gehalt an festen Stoffen,
vorzüglich an Salzen, die eine abführende Wirkung besitzen,
auszeichnet Hierzu kommt noch die in der ersten Zeit
bestehende Unfähigkeit des Kindes richtige und andauernde
Saugbewegungen zu machen: alles Verhältnisse, welche die
Annahme einer zu geringen Nahrungszufuhr (Bartsch be-
rechnete die mittlere Nahrungsmenge für die ersten 24 Stunden
der Neugeborenen. 246
auf 18,1 Grmro. (= circa 262 Gran sächs. M.-G.) zur -Er-
klärung der Gewichtsabnahme vollkommen rechtfertigen. Das
Experiment zeigt jedoch, dass dem nicht so ist; denn in
denjenigen Fällen, wo die Kinder künstlich ernährt werden
mussten, sei es durch geeignete Mischung von Kuhmilch, sei
es durch abgezogene Muttermilch, wo also dem Kinde in
passenden Zeiträumen ein hinreichendes Quantum Nahrung
zugeführt wurde, ohne dass deshalb das Kind genöthigt war,
anstrengende Saugbewegungen zu machen; auch in diesen
Fällen beobachtete ich eine ganz ähnliche Gewichtsabnahme.
Es kann somit bei denjenigen Kindern, die von ihren Müttern
gesäugt werden, der Verlust ihres Körpergewichtes «während
der ersten Tage nicht ausschliesslich wenigstens aus einer
zu geringen Nahrangszufuhr erklärt werden, weil sonst bei
jenen Kindern, die in hinreichender Menge namentlich ab-
gezogene Muttermilch zugeführt erhalten, -statt des Minus ein
Plus im Körpergewichte auftreten müsste. Wir müssen des-
halb noch nach einer anderen Ursache suchen und ich glaube
als solche nennen zu müssen: die noch in den ersten
Lebenstagen bestehende mangelhafte Function des
Darmtractus, also eine mangelhafte Verwerthung des
zugeführten Materials bei gleichzeitig bestehendem gegen
früher erhöhtem Oxydationsprocesse, welchem die Gewebe bei
ihrer Durchfeuehtung mit arteriellem Blute unterliegen. Magen-
grund und Blinddarm sind bei den Neugeborenen nur massig
entwickelt; die Absonderung des Magensaftes, welche ja
keine stetige, sondern lediglich durch Reizung der Magen-
schleimhautoberfläche hervorgerufen ist, muss erst allmälig
eingeleitet, eben die peristaltischen Bewegungen der Därme
(die während des Fötallebens, wie aus der Abwesenheit von
Meconium im Fruchtwasser geschlossen werden muss, gewiss
sehr trfcge sind) gesteigert werden: alles Umstände, die
einestheils eine ungenügende Verdauung annehmen lassen,
anderenteils aber uns bestimmen müssen, einem .Organe
keine Leistungen aufzubürden > deren es vermöge seiner Ent-
wickelung noch nicht fähig ist Ich muss mich daher ganz
entschieden gegen die Sitte oder richtiger Unsitte, dem ge-
geborenen Kinde baldmöglichst Nahrung (das Colostrum der
mütterlichen Brust natürlich ausgenommen) zukommen zu
346 XVII. Haake, Ueber die Gewiobtsveränderung
lassen, aussprechen, indem einestheils indifferente Stoffe eine
Gewichtsabnahme des Kinde? nicht hindern werden, anderen-
teils kräftige nahrhafte Stoffe l) noch nicht assimilationsfahig
gemacht werden können, sondern, wie dies die Natur täglich
zeigt, entweder durch Erbrechen eliminirt werden, oder durch
Reizung des Intestinaltractus zu tief greifenden Störungen
Veranlassung geben, wie man dies bei den meisten künstlich
ernährten Kindern zu beobachten Gelegenheit findet
Während wir nun auf der eiuen Seite eine mangelhafte
Verwerthung der zugefährten Nahrung annehmen zu müssen
glauben, sehen wir auf der* anderen Seite eine gesteigerte
Abfuhr und Zerstörung vorhandenen Materials; erstere auf den
neuerschlossenen Wegen der Transpiration, Lungenperspiration,
Deföcation und Urinsecretion, letztere durch Oxydation der
Gewebe, namentlich des fötalen Fettpolsters. Ich erinnere
hier an die von Bitter und Schmidt angestellten Inanitions-
versuche. Es zeigte sich, dass das hungernde Thier nicht
allein fortfährt auszugeben, wobei es natürlich ebensoviel an
Körpergewicht verliert, als die Summe der Ausgaben beträgt,
sondern dass auch die Ausscheidungen qualitativ im Wesent-
lichen dieselben bleiben , wie bei normaler oder überschüssiger
Nahrungszufuhr. Das hungernde Thier scheidet bis zum Tode
Kohlensäure, Harnsäure, Harnstoff etc. aus und bildet daher
unzweifelhaft alle diese Ausscheidungsstoffe aus seinen eigenen
integprenden Körperbestandtheilen. Wie nun im hungernden
Thierkörper der aufgenommene Sauerstoff keine anderen
Angriffspunkte für seine Einwirkung findet, als oxydable
Körpers tofle, so auch beim neugeborenen Kinde, welches bei
bestehender mangelhafter Verwerthung des zugeführten Nahrungs-
materials dem hungernden Thierkörper zu vergleichen ist. Dass
aber die Gewichtsabnahme bei Neugeborenen durch Schwund
der Gewebe bedingt wird, wird augenscheinlich bewiesen
durch den in den ersten Lebenstagen eintretenden Schwund
des Fettpolsters, das Faltigwerden, kurz durch das gealterte
Aussehen des Kindes. Es ist jedoch diese Gewichtsabnahme,
1) Ich bedauere, dass mir keine Beobachtungen über Gewichts-
verminderungen von Kindern, die von Anfang an durch Ammen
gesängt wurden, zu Gebote stehen.
der NwgeborcaeiL 347
dieser Inanitionsprocess, wie ich nochmals betonet, nicht als
etwas Pathologisches oder gar ^llkürlich zu Umgehendes,
sondern nach dem Gesagten als eines der ersten Glieder in
der Kette der physiologischen Veränderungen bei Neugeborenen
aufzufassen.
Bei einer Berechnung des Durchschnittsverlustes über-
haupt zeigte sich mit der gewöhnlichen Meinung im Einklänge,
dem JBreslau'sdien Befunde jedoch entgegen, dass der Stoff-
wechsel bei neugeborenen Knaben ein energischerer ist als
bei Mädchen, denn für erstere betrug die totale Abnahme
durchschnittlich 12,2Zollloth = Vi« — Vi 7 des Körpergewichtes,
für letztere 12,44 Zollloth = V10— Vi« des Körpergewichtes.
Rücksichtlich der Zeit, bis zu welcher ein Kind abnimmt,
zeigte sich, dass die Zeit zwischen dem zweiten und dritten
Tage nach der Geburt als der Wendepunkt zu betrachten ist,
von wo an die dem Kinde zugeführten Nahrungsstoffe besser
verarbeitet und im Haushalte des Kindes verwerthet werden:
eine Zeit, die gemeiniglich mit einer gesteigerten Milcbsecretion
von Seiten der Mutter zusammenfallt. 58 Procent der Kinder
zeigten nämlich vom dritten Tage an eine stetige Gewichts-
zunahme, 22 Procent erst an den drei folgenden Tagen und
nur 20 Procent schon am zweiten Tage nach der Geburt.
Ist das Kind in diese neue Phase getreten, so folgt eine
allmälige, continuirliche und täglich nachweisbare Zunahme,
so dass der bei weitem grösste Theil der Kinder, die einen
früher, die anderen später, innerhalb der neun ersten Lebens-
tage das Gewicht Wieder erlangen, welches sie unmittelbar
nach der Geburt zeigten, und zwar
am zweiten Tage nach der Geburt 1 Knabe,
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„ vierten „ „ „
„ fünften „ „ „
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45 Knaben, 26 Mädchen.
14 Knaben = 23,7 Proc und 15 Mädchen = 36,6 Proc.
hatten ihr ursprüngliches Gewieht noch nicht wieder erlangt;
348 XVII. Haakey Ueber die Gewiohtsverändertmg *
ausserdem -hatten 2 Knaben und 2 Mädchen wieder von Neuem
an Gewicht verloren,
so
d|ps also von
allen
am neunten Tage
gewogenen Kindern
33
leichter waren
als
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der Geburt, und zwar
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16 Knaben, 17 Mädchen.
Ausserdem zeigten 9 Kinder (4 Knaben und 5 Mädchen)
dasselbe Gewicht, welches sich am Tage det Geburt fand,
während die Uebrigen (39 Knaben und 19 Mädchen) an
Schwere gewonnen hatten, und zwar
bis zu
3 Zolllotb
10 Knaben,
4 Mädchen,
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. 39 Knaben, 19 Mädchen.
-Auch vorstehende Tabelle spricht zu Gunsten der Knaben,
von denen 66 Procent ihr ursprüngliches Gewicht vermehrt
hatten, während dies nur bei 46 Procent der Mädchen der
Fall war. Nicht unwichtig schien es mir, bei meinen Wägungen
darauf zu achten, ob die Mütter Erst- oder Mehrgebärende
waren. Die in dieser Hinsicht erhaltenen Resultate stimmen
der Neugeborenen. 349
mit den von Breslau gefundenen dahin überein, dass die
naturliche Ernährung an Mehrge^renden für die Häufigkeit
der Gewichtszunahme der Kinder etwas günstiger ist, als die
Ernährung an Erstgebärenden, indem von ersteren 64,1 Procent
der Kinder, von letzteren nur 51,1 Procent der Kinder an
Gewicht zunahmen.
Ferner berücksichtigte ich den für das Kind so wichtigen
Process des Nabelabtrocknens:1) bei 6 Kindern. (5 Knaben
und 1 Mädchen) wurde der Tag, an welchem der Nabelschnur-
rest abfiel, nicht notirt; für die übrigen 94 Kinder finden
sich folgende Notizen: der Nabelschnurrest fiel ab
am zweiten Tage nach der Geburt bei 1 Knaben und 1 Mädchen,
dritten
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54 Knaben und 40 Mädchen.
Aus vorstehender Tabelle erhellt, dass der physiologische
Process des Nabelabtrocknens und Nabelabfalles für die Ge-
wichtszunahme des Kindes von gar keiner Bedeutung ist,
oder mit anderen Worten: ein Zusammenhang zwischen
Gewichtszunahme und Nabelabfall, namentlich in Bezug auf
Zeit, besteht nicht; denn der grösste Theil der Kinder,
nämlich 75 (48 Knaben und 27 Mädchen) beginnen mit dem
dritten Tage nach der Geburt an Körpergewicht zuzunehmen,
während erst 21 Kinder (15 Knaben und 6 Mädchen) den
Rest des Nabelstranges verloren hatten.
Fassen wir schliesslich die gewonnenen Resultate zu-
sammen, so ergiebt sich:
1) Jedes Kind nimmt in den ersten Tagen seines extra-
uterinen Lebens an Körpergewicht ab.
2) Die Zeit -zwischen zweitem und drittem Tage nach
der Geburt ist als der Wendepunkt zu betrachten, von wo
an eine Steigerung des Körpergewichtes eintritt, so dass der
1) Das' Gewicht des Nabelschnurrestes ist so gering, dass
sein Verlast in der Schwere des Kindeskörpers nar eine äusserst
geringe Aendernng hervorbringt.
350 XVU* Baoke, Ueber die Gewiohtsver&nderang
grössere Tbeil der Kinder mit dem neunten Tage ihr uraprüng-
liches Gewicht wiedererlangt hat
S) Der Stoffwechsel ist bei Knaben energischer als bei
Mädchen, was dadurch bewiesen wird, dass nicht allein eine
im Verhältnisse zu den Mädchen grössere Anzahl Knaben an
Körpergewicht gewinnt, sondern auch bei Knaben der Durch-
schnittsverlust geringer, der Durchschnittsgewinn höher ist,
als bei Mädchen.
4) Die Ernährung an Mehrgebärenden ist für die Häufig-
keit der Gewichtszunahme der Kinder günstiger, als die Er-
nährung an Erstgebärenden.
5) Zwischen dem Processe des Nabelabfallens und der
Gewichtszunahme des Kindes existirt ein Zusammenhang be-
züglich der Zeit nicht.
Die in der Tabelle aufgeführten Kinder wurden auch am
Tage ihres Abganges aus der Anstalt (durchschnittlich der
13. — 14. Tag nach der Geburt) einer Wägung unterworfen;
ferner wurden weitere 100 reife Kinder, nur am Tage ihres
Wegganges auf ihre Gewichtsveränderung geprüft, so dass
ich demnach im Stande bin, über 200 Kinder, d. i. 100 Knaben
und 100 Mädchen, bezüglich ihrer Gewicbtsveränderung nach
der Geburt Angaben zu machen.
Als Durchschnittsgewicht nach der Geburt zeigte sich
für Knaben 6,519 Pfund,
für Mädchen 6,366 Pfund.
Bei der am Tage des Wegganges stattfindenden Wägung
zeigten eine Zunahme 75 Procent Knaben und 71 Procent
Mädchen, und zwar betrug für erstere der durchschnittliche
Gewinn 15 Loth = Vis des Körpergewichtes, für letztere
13 Loth == y14 des Körpergewichtes.
Im Status quo befanden sich 6 Procent Knaben und
4 Procent Mädchen.
Abgenommen halten 19 Procent Knaben und 25 Procent
Mädchen und betrug für erstere der Durchschnittsverlust 13 Loth
= Via des Körpergewichtes, für letztere 13 Loth = Vi« des
Körpergewichtes.
Auch diese Resultate sprechen zu Gunsten der Knaben
und bestätigen im Allgemeinen das oben sub 3) Angeführte.
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352 XVII. Haake, Ueber die. Gewichteveränderung
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XVIII. Howitz, Ein Instrument inr Messung des Beckens. 355
XVIII.
Ein Instrument zur Messung des Beckens.
Von
\ Dr. Howitx zu Kopenhagen.
(Mit einem Holzschnitte.)
Am Dienstage den 22. October wurde von dem Dr. Howitz
in der Philiatrie zu Kopenhagen ein von ihm construirtes
Instrument zur inneren Messung des Beckens vorgezeigt Er
wies zuerst das sowohl in praktischer wie in wissenschaftlicher
Hinsicht Unzureichende der Fingerraessung nach. Obgleich
die Fingeruntersuchung immer nothwendig und allein im
Stande ist, uns Kenntniss über viele Verhältnisse im Becken
zu geben, so bleibt dieselbe doch immer im hohen Grade
unzuverlässig, wenn sie uns Nachricht geben soll von der
Grösse des Abstandes zwischen zwei Punkten im fnnem des
Beckens. Namentlich ist dies der Fall, sobald man mit dem
Fii^ger andere Entfernungen als gerade den Diaro." conjug.
im Beckeneingange messen will. Und selbst die Bestimmung
dieser einen Entfernung ist oft höchst ungenau, da man
Irrungen ausgesetzt ist, sowohl wenn man Diam. conjug.
diagonalis findet, als noch mehr, wenn man durch diesen die
Conjug. vera bestimmen will. Die Anzahl Linien, welche
man von der ersten abziehen soll, um den letzteren zu finden,
ist in jedem gegebenen Falle verschieden und die Differenz
kann sehr bedeutend sein. Dies sieht man, theils indem man
bei einer grösseren Anzahl Becken nachmisst, theils indem
man sieht, wie verschieden die Angaben bei den verschiedenen
Autoren sind. Die übrigen Entfernungen im Becken können
sogar nicht einmal annäherungsweise durch die Finger-
Untersuchung bestimmt werden, und wenn man sich nicht
mit einem unzuverlässigen Urtheil zufrieden geben will, so
muss man sich nach anderen Mitteln umsehen. Das Gefühl
der Notwendigkeit einer zuverlässigen Messung des Beckens
und der Unzulänglichkeit des Fingermaasses in dieser Hin-
sicht hat zahlreiche Versuche hervorgerufen, sowohl äussere
23»
356 XVllI. Howitx, Ein Instrument asur Messung des Becken».
wie innere Beckenmesser zu construiren. Das äussere Becken-
maass führt immer die Unannehmlichkeit mit sich, dass man,
um das innere Maass zu finden, die Dicke ,der Knochen
und Weichtheile abziehen soll, welche und zwar sehr bei
den verschiedenen Individuen variiren kann. So haben spätere
Beobachter, gefunden, dass Baudelocque, dessen äusserer
Beckenritesser wohl der vorzuglichste ist, welchen man bat,
seine Subtractionen in einer Weise vorgenommen hatte, welche
nicht ganz den wirklichen Verhältnissen entsprach, und der
Grund des Unterschiedes bei Baudelocque und Anderen liegt
wohl zunächst in der Verschiedenheit der Individuen, welche
gemessen worden waren, nicht in einem ungenauen Messen
seitens der Aerzte. Die inneren Beckenmesser haben auch
ihre Unannehmlichkeiten, sie sind schwer zu fixiren und zu
handhaben und die meisten derselben können nur die
Diam. conjug. im Beckeneingange messen.
Der von van Huevel construirte Beckenmesser ist gewiss
der beste, aber auch dieser hat seine Fehler. Das ewige
Hineinbringen und Herausziehen des Instrumentes bei jedem
Maasse, welches man nimmt, ist eine bedeutende Unannehm-
lichkeit, 'sowie man auch die Quermaasse mit demselben
nicht bestimmen kann.
Dr. Howitz glaubt durch seinen Pelvimeter so ziemlich
die Aufgabe gelöst zu haben, welche man an ein solches
Instrument zu stellen berechtigt ist Es soll nämlich mit
Genauigkeit, ohne Schaden für die Frau und ohne grosse
Schwierigkeit die Grösse des Abstandes zwischen zwei be-
liebigen Punkten im kleinen Becken bestimmen können.
Das • Instrument besteht aus zwei schwach gebogenen
Gylindern, welche gebogen sind, um die Messung der obersten
Beckenöffnung selbst dann vornehmen zu können, wenn der
Kopf des Kindes etwas nach unten gedrängt ist. Der eine
Cylinder ac ist hohl, in dessen untersten Wand von u bis c
sich eine Binne befindet, um das vollständige Hineinschieben
von u b zu ermöglichen. Der innere Cylinder ist solide und
gleitet leicht in den Cylinder ac aus und ein. ac ist ver-
mittels eines Gelenkes beweglich mit dem Arme k t verbunden,
ebenso wie der innere Cylinder u b mit dö. Beide Verbindungen
lassen jedoch eine Bewegung nur in einer Richtung zu, nämlich
XVTII. Eowüz, Ein Instrument snr Messung des Beckens. 357
in der Länge des
Cylinders. a et ist
durch eine kleine
innere Schraube an
den äusseren Cylinder
befestigt und kann
nach Belieben durch
grössere und stärker
gebogene Stücke er-
setzt werden , worüber
unten Weiteres. Bei a
ist die Fläche geriefelt,
um besser fixiren zu
können, ac bat eine
Länge von 2" 8'", von
c bis u sind es 10 "',
der innere Cylinder
ist 2" 6"' lang. Wenn
die Cylinder in einander
geschoben sind, ist ab
2" 10'" lang, wenn
der innere so weit wie
möglich ausgezogen
ist, hat ab eine Länge
von 4" 10'". Der Arm
kt ist solide, von
k bis z sind es 5",
von z bis t ungefähr
6", der obere Thei
ist schmal, der untere
breiter für die Hand.
Bei z ist dieser
Arm durch ein Glied
mit dem Arme eg ver-
bunden, so dass sie
gegen einander bewegt
werden können um
z als Hypomochlion.
d ö, worauf der innere
358 XVIII. Hotoito, Ein Instrument sur Messung des Becken*.
Cylinder sitzt, ist eine solide Stange von 6" 9m Länge,
welcher innerhalb des hohlen Theiles ez des Armes eg leicht
beweglich ist; nach oben hin kann dieselbe aus ez bis zu
einer Länge von 2" hinausgeschoben werden, der untere Theil
derselben ist in 15 gleich grosse Abtheilungen, jede mit sechs
Unterabtheilungen, eingetheilt ez ist beinahe l1// kürzer
als &£, wodurch es ermöglicht wird, selbst wenn man die
Arme nur ein wenig von einander entfernt, den inneren
Cylinder weit hinaus zu ziehen, also eine bedeutende Ent-
fernung zu messen bei sehr bedeutendem Unterschiede des
Winkels, welchen die Cylinder mit dem Arme Jet bilden.
Von dem Arme kt geht bei m eine flache, eingetheilte Metall-
Stange nach und durch den anderen Arm; durch eine
Schraube, A, durch den anderen Arm kann dessen Lage
fixirt werden , und an dem äusseren Ende der flachen Metall-
Stange befindet sich eine Erweiterung, welche dieselbe daran
verhindert, ganz aus der Oeffnung in eg hinaus zurück-
zugehen.
Dr. Howitz hat bei dieser Anordnung der einzelnen
Theile, woraus das Instrument besteht, es erreicht, auf einmal
bei einem fortlaufenden Messen den Abstand zwischen zwei
beliebigen Punkten im Becken bestimmen zu können, selbst
wenn diese verschiedenen Punkte in den verschiedensten
Verhältnissen zu einander liegen.
Durch ein einfaches Ablesen der beiden eingeteilten
Metallstangen wird man beständig wissen können, wie gross
in jedem gegebenen Augenblicke der Abstand zwischen a
und bt also zwischen den zwei Stellen im Becken, welche
diese berühren, ist.
Die Messung geht auf folgende Weise vor sich: der
Patient muss mit dem Sitze hoch und frei liegen, am liebsten
auf einem Gebärlager.
Man bringt nun den Zeige- und Mittelfinger der rechten
Hand in die Vagina hinein und setzt den Mittelfinger auf das
Promontorium. Die Schraube h bestimmt die Stellung der
Arme in der Weise, dass t und g so weit wie möglich von
einander entfernt sind; die eingetheilte Stange dö wird bis
No. 8 eingeschoben, wodurch der innere Cylinder vollständig
von dem äusseren aufgenommen wird, indem beide zugleich
XVIII. Hou>itet Bin Instrument aar Messung des Beckens. 359
in derselben Richtung und als eine Verlängerung der zusammen-
gelegten Arme ez und kz liegen. Dadurch nimmt das
Instrument den wenigsten Platz ein und vwird mit grosser
Leichtigkeit zwischen den Fingern in die Vagina hineingebracht;
während es aussen an den breiten Handgriffen von vier Fingern
der linken Hand gehalten wird; der Zeigefinger muss frei
sein, um die Stange dö nach Belieben länger hineinschieben
oder mehr herausziehen zu können. Nun wird a mit Hälfe
der beiden Finger in der Vagina auf das Promontorium fixirt
und schiebt man darauf dö behutsam noch weiter hinein,
wodurch die Cylinder nach und nach die Richtung des
Diam. conjug. vera bekommen. Wenn man annimmt, dass
ab ungefähr diese Richtung hat, löst ein Gehülfe -die
Schraube h. Indem man nun zu gleicher Zeit die aus-
wendigen Theile' der Arme einander nähert und mit dem
linken Zeigefinger dö etwas auszieht, verlängert man ab in
derselben Richtung, welche dieselben vorher halten, indem
man den inneren Cylinder aus dem äusseren herauszieht
Hiermit, fährt man fort, bis b gegen stösst und ab nicht
mehr verlängert werden kann. Man fixirt nun die Stellung
durch die. Schraube A, überzeugt sich mit einem Finger
davon (dem Zeigefinger der linken Hand, indem man unter-
dess das Instrument von dem Gehülfen halten lässt), dass b
einjgermaassen gegen den oberen Rand der hinteren Wand
der Symphysis stösst, und liest darauf die beiden eingeteilten
Maasse. War b nicht auf der gewünschten Stelle, so muss
das Maass von Neuem genommen werden. Nun hat man
den Diam. conjug. vera des Reckeneinganges ; denn man kann,
sei es nun, dass man sich eine Tabelle eingerichtet hat, sei
es, dass man, wenn die ganze Messung vorbei ist, dann
das Instrument wieder in dieselbe Stellung bringt, mit
Leichtigkeit die Länge bestimmen, welche ab in dem ge-
gebenen Augenblicke hatte.
Will man nun die übrigen Weiten oder sonstige beliebige
Entfernungen im Recken untersuchen und bestimmen, so thut
man dies auf dieselbe Weise, indem man mit den zwei
Fingern in der Vagina den einen Punkt aufsucht, a auf diesen
fixirt, dann ab in der gewünschten Richtung verlängert, bis
b gegenstösst, sich davon überzeugt, <d«$s b ziemlich genau
360 XyUI. ifaoä«, Ein Instrument snr Meacuag des Beckens.
da steht, wo man es zu haben wünscht, und dann wieder
abliest. Wegen der Beweglichkeit der Cylinder in einander
und gegen die Arme ist man im Stande, Entfernungen von
2" 10'" bis 4" 10" zu messen und ab die verschieden-
artigsten Richtungen zu geben, ohne das Instrument heraus
nehmen zu müssen.
Da es* mitunter wünschenswert sein könnte, die Massse
im Beckeneingange bei der Geburt zu kennen, nachdem der
Kopf mit einem Segmente so weit jiach unten getreten ist,
dass es unmöglich sein würde, mit der Krümmung, welche
die Cylinder haben, die Messung vorzunehmen, hat Dr. Eowitz
einige kleine Einsatzstücke machen lassen, um sie bei a an-
schrauben zu können, anstatt aa, weiches da heraus-
genommen wird, aß ist ein solches, welches stark gebogen
und bei ß an seinem breiten, gegen das Becken gewandten
Ende eine stark geriefelte Fläche hat. Vermittels derartiger
Einsatzstücke ist man im Stande, die Entfernungen im
Beckeneingange zu messen, selbst wenn der Kopf ziemlich
weit nach unten gedrängt ist, wenn der Kopf überhaupt nur
den Fingern erlaubt, das Ende des Instrumentes einiger-
maassen zu fixiren.
Um bei einer jeden Grösse des Beckens ein bestimmtes
zuverlässiges Maass nehmen zu können, müsste man natür-
licher Weise mehrere Instrumente haben, da die Grösse des
Abstandes zwischen a und b bei einem einzelnen Instrumente
immer durch gewisse Grenzen beschränkt werden muss;
Dr. Howitz glaubt indess, dass die Gröäsenverhältnisse,
welche er gewählt hat, in den meisten Fällen die passendsten
sein werden. Das Instrument ist von Neusilber und bei dem
Instrumentenmacher der Universität, Professor Nyrop, in
Kopenhagen zu bekommen.
XIX« Vogler, Nnteen und Nachtheile des Tampons etc. 361
XIX.
Nutzen und Nachtheile des Tampons in der
Geburtshülfe.
Von
Obermedicinalrath Dr. Yogier,
Brunnen - und Badearzt zu Wiesbaden.
Schon lange warnte Rügen vor der Anwendung des
Tampons in der fünften Geburtsperiode wegen der Gefahr,
dadurch Haemorrhagia interna uteri hervorzurufen. In Schmidts
Jahrbüchern, Band 29, machte Meissner gegen Verf. aus
Veranlassung einer Arbeit in Siebold?* Journal, Band 17,
dieselbe Besorgniss geltend, mit der auch KyU überein-
stimmte und Scanzoni macht im zweiten Bande seines Lehr-
buchs der Geburtshülfe, pag. 324, die Bemerkung, dass die
Tamponade der Uterushöhle, bereits durch Paul von Aegina
und in neuerer Zeit durch Leroux sehr warm empfohlen,
weit grössere Gefahren darbiete, als Vortheüe damit zu er-
zielen seien, indem der Tampon die nachgiebige Wandung
der Gebärmutter leicht noch mehr ausdehne und die Blutung
vermehre, gleichzeitig aber auch den Ausfluss des Blutes
nach aussen verhindere, so, dass durch die Tamponade eine
tödtliche innere Hämorrhagie bedingt werden könne. Scanzoni
furchtet sogar durch das wiederholte Eingehen und Mani-
puliren der Hand entzündliche Zustände der Gebärmutter
herbeizuführen.
Die Furcht, eine innere Verblutung durch den Tampon
zu erregen, wird sich um Vieles vermindern, wenn wir
erwäge», dass wir den Tampon als eins der wirksamsten
Mittel zur Herbeiführung der künstlichen Frühgeburt be-
nutzen und dass in den meisten Fällen uns nur gestattet
ist, durch Einbringen des Tampons in die Scheide wehen-
artige Contractionen des Uterus wachzurufen. Mit dieser
Wirkung des Tampons von der Scheide aus auf die Gebär-
mutter steht die Furcht vor innerer Blutung so ziemlich in
Widerspruch und in der Neuen Zeitschrift für Geburtskunde,
Band lt Heft 3, pag. 417, habe ich mehrere schlagende
gg2 XIX< ^°^r» Natsen and Naefathaile
Fälle angeführt, welche den Nutzen des Tampons gegen
Uterinblutung und seine Gefahrlosigkeit bei Anwendung der
nöthigen Cautelen deutlich zeigen. Im 17. Bande von SiebolcTs
Journal für Geburtshülfe, pag. 511 bis 514 ist die Grund-
losigkeit der Besorgnisse Meissners durch eine Entbindung
von Zwillingen dargethan, die nicht ohne Interesse ist, schon
deshalb, weil bei dieser 24jährigen Erstgebärenden die Natur
auch gar nichts leistete und es mir überlassen blieb, jeden
einzelnen Act dieser sonderbaren und ziemlich schwierigen
Entbindung durch ein operatives Verfahren zu beendigen.
Die Wasser waren seit drei Tagen schleichend abgegangen
und während dem hatten sich die sehr geringen Wehen ganz
verloren. Der Muttermund war gehörig geöffnet und die
kleine Fontanelle fand sich in der linken Seite. In meiner
Abwesenheit war eine Mixtur von Borax, Castoreum-Tinctur
und Opium verordnet worden, die ich fortnehmen liess. Der
Bauch war sehr hängend, aber die junge Frau gesund. Ich
hoffte, die Wehen abwarten zu können, da aber den anderen
Vormittag der Zustand noch genau derselbe war und auch
nicht die geringste Wehe sich gezeigt hatte, so legte ich die
Zange an und forderte einen gesunden, aber schwachen
Knaben zur Welt. Die Nachgeburt blieb zurück und es ergab
sich eine Zwillingsschwangerschaft. Die Frau war ganz wohl,
und ich wartete abermals bis Nachmittags 3 Uhr auf Wehen,
jedoch ganz vergeblich. Ich faßd die Füsse des Rindes in
einer $hr zähen und welken Blase, die sehr wenig Wasser
enthielt. Ich entwickelte das. Kind, das sich mit dem Ge-
sichte gegen das rechte Hüftbein drehte, stiess aber beim
Herabführen des rechten Armes auf solche Schwierigkeiten,
dass ich die Hoffnung fast aufgab, es lebend zu erhalten.
Der linke Arm ging am Hinterhaupte aufwärts, das Kind war
bereits ganz blau, und ich versuchte als einziges Rettungs-
mittel statt der Lösung des Armes die Entwicklung des
Kopfes mit dem Arme. Sie gelang, freilich nicht ohne einen
starken Riss in den Damm. Das Kind war völlig scheintodt,
doch gelang* dessen Belebung naeh einer halbstündigen un-
unterbrochenen Bemühung. Es war ebenfalls ein Knabe und
weit stärker als der Erstgeborene. Die Nachgeburt adhärirte,
was sich daraus ergab, dass, wenn man die eine oder auch
dei Tampons in der Gebnrtahfilfe. 363
beide Nabelschnüre etwas hervorzog, sie sofort wieder in
die Scheide schnellten. — Da kein Blutfluss vorhanden war
und die Entbundene sich wohl und selbst stark fühlte, so
verschob ich die Lösung der Nachgeburt, indem ich die Frau
an diesem Tage wo möglich keiner dritten Operation mehr
unterwerfen wollte. Allein ich' hatte das Haus noch nicht
verlassen, als man mir meldete, es zeige sich eine Blutung.
Die vor wenigen Minuten noch gesunde, blühende und sogar
muntere Frau fiel plötzlich in Ohnmacht Es fand sich zwar,
dass ziemlich viel Blut nach dem Kreuze und Rücken der
Frau geflossen war, indeni ich sie beim Transporte vom
Geburtslager in's Bett sehr horizontal hatte legen lassen, doch
waren im Verhältnisse zu dem Blutverluste die Ohnmächten
ziemlich räthselbaft. Als ich jedoch den Unterleib mit Liq. Hoffm«
besprengen wollte, fand ich ihn fast so ausgedehnt, wie vor
der Entbindung. Ich ging möglichst schnell, ohne die Lage
der Kranken im Bette zu verändern, mit dem rechten Arme
in die Gebärmutter ein und förderte unter starkem Blut-
verluste, die zum Glück nicht sehr fest verwachsene Nach-
geburt, welcher beide Nabelschnüre entsprangen, in kurzer
Zeit zu Tage. Hierauf brachte ich schnell zwei starke
Tampons von flachs bei und nun erst suchte ich durch
Reiben die Gebärmutter zum Zusammenziehen zu bringen,
was auch gelang. Die Entbundene erholte sich unter der
Anwendung analeptischer Mittel bald wieder. Das Wochenbett
verlief günstig und ehe ein Jahr verfloss, gebar sie jj/jp Kind
glücklich, ohne der Kunsthülfe zu bedürfen, obgleich die
starke Ausdehnung des 'Unterleibes in der ersten Schwanger-
schaft eine solche Verdünnung der Bauchdecken und geraden
Bauchmuskeln hinterliess, dass man sie bei aufrechter Stellung
einen vorhängenden länglichen Sack bilden sah, durch welchen
man deutlich die ihn ausfüllenden Eingeweide fühlen konnte.
Hier war also innere Verblutung bis zur Ohnmacht vorhanden
und der Leib durch die mit Blut überfüllte Gebärmutter aus-
gedehnt, wie vor der Entbindung. Es war also, obgleich
mit der Entfernung der Nachgeburt die fünfte Geburtsperiode
so ziemlich beendigt schien, einigermaassen zu besorgen, dass
ein Tampon eine ähnliche Rolle spielen könnte, wie kurz
vorher die zurückgebliebene Nachgeburt. Die Besorgnis*
364 XIX- VogUr, Nutzen «nd H* eh A eile
erwies sich ab unbegründet und der Tampon rechtfertigte
vollständig meine Erwartimg. Cnd noch tot Kurzem sah ich
einen schlagenden Beweis Tom Nutzen des Tampons in der
fünften Gehurtsperiode. — Am 20. Januar 1862 spät Abends
wurde ich zu einer Frau gerufen, welche 31 Jahre alt war,
schon drei Mal geboren hatte, ein Mal mit der Zange ent-
bunden worden war und zwei Mal abortirt hatte. Ihr jüngstes
Kind glich noch sehr einem Säuglinge. Sie hatte es auch,
unkundig ihrer Schwangerschaft, noch vor sechs Wochen gesäugt
und eben einen etwa viermonatfichen Abortus geboren, dem
ein starker Blutverlust und eine tiefe Ohnmacht folgte. Die
Nachgehurt war noch nicht abgegangen und ein kleines
Stöckeben Nabelschnur, welches aus der Schamspalte hervor-
hing, bewies, dass sie noch zurück war. Ich tamponirte
ziemlich fest mit Hanf, den mir ein Schuster, der im Hause
wohnte, schleunig besorgte. Die Blutung stand sofort, und
als die Hebamme am folgenden Abende auf mein Geheiss den
Tampon entfernte, hing die Nachgeburt daran. Die junge
Frau blieb zwar einige Wochen sehr bleich und klagte über
grosse Mattigkeit, doch bedurfte sie nur einige Tage eines
analeptischen Mittels, Essigäther, mit etwas Schwefelsäure,
Zimmt-Tinctur und Nitrum zu einer Mixtur vereinigt, um in
der Haushaltung wieder einige Thätigkeit entwickeln zu können.
Es ist keinem Zweifel unterworfen: so lange wir der
Scheidentamponade eine so mächtige Einwirkung auf die
Thätigklit der Gebärmutter beimessen, dass wir sie -als Mittel
zu Hervorrnfung der künstlichen Frühgeburt benutzen, ver-
fallen wir in einen Widerspruch, wenn wir gleichzeitig eine
innere Verblutung von ihr befürchten.
Mit welcher Gefahr müsste die Anwendung des Kolpeu-
rynters oder Scheidentampons bei heftigen Blutungen in Folge
von Placenta praevia verbunden sein, unter welchen Um-
ständen Martin (Monatsschrift für Geburtskunde, Bd. 19, 1862,
pag. 88) ihn so hülfreich gefunden hat! Ja! Einmal sah
Martin auf den Gebrauch der Uterusdouche eine, wenn
schon nicht bedenkliche Blutung folgen, so dass er zum
Kolpeurynter und schliesslich zum Pressschwamme griff.
Mit ähnlichem Rechte, wie man den Tampon in der
fünften Geburtsperiode verwarf, hätte Kiwiech vor dem
des Tampons in der GeburUhülfe. 365
Eihautstiche warnen können, als es ihm einmal begegnet
war, dass nach dieser Operation die Wehen immer stürmischer
wurden und endlich den Kopf mit der abgerissenen Vaginal-
portion der Gebärmutter zu Tage förderten. Welche geburts-
hülf liehe Operation von entschiedener Wirksamkeit ist nicht
auch mit Gefahren verbunden, die möglicherweise den Erfolg
zu trüben vermögen? Wenn Scanzoni den Satz aufstellt,
dass die mit der Tamponade der Uterushöhle verbundenen
Gefahren weit grösser sind, als die dadurch zu erzielenden
Vortheile, und wenn er die Compression des Uterus von
seiner Innenfläche aus nur für gerechtfertigt erachtet gegen
jene hartnäckigen, durch kein Mittel zu stillenden Blutungen,
welche in einer abnormen Erweiterung der Uterinalgefässe
begründet sind; so möge es uns gestattet sein, einzuwenden,
dass ein Kolpeurynter, der gleichzeitig auf die Innenfläche
des Uterus Kälte und Druck anwendet, in Beziehung auf
die damit verbundenen Gefabren sich nicht vergleichen lässt
mit einem Tampon aus Flachs, der die Gebärmutter nicht
feindlich berührt und nur sie zur Zusammenziehung und
Verkleinerung, auch Schliessung ihrer Gefässöffnungen anregt.
Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet lassen sich ohne
Zweifel die schroffen Gegensätze versöhnen, welche sich in
der Lehre vom Nutzen und den Gefahren des Tampons
geltend zu machen gesucht haben. Zu dieser Versöhnung
gieb't Scanzoni im zweiten Bande seines Lehrbuchs, p. 336,
einige sehr beherzigenswerte Andeutungen.
Es ist in Beziehung auf Gefahr, freilich auch, wiewohl
nicht immer, in Beziehung auf die Wirksamkeit ein grosser
Unterschied, ob die Tamponade in vielen oder wenigen kalten,
styptiseben oder nicht styptischen Einspritzungen, ob sie in
einer Händvoll zusammengedrehter Charpie, Werg, Flachs
oder Hanf, ob sie in einem Kolpeurynter von massiger oder
bedeutender Ausdehnung besteht; ob- sie die Gebärmutter
oder blos die Scheide von innen comprimiren muss; ob man
sie wechseln und nach einigen reinigenden Einspritzungen
wieder erneuern kann, oder ob der Tampon längere Zeit
dem Eindringen in Zersetzung begriffener Lochien ausgesetzt
bleiben muss, so dass er anätzend auf die Schleimhaut der
Scheide und Gebärmutter einwirkt. Ein die Geburtstheile
366 XIX. Vogler, Nutzen und Nachtheile
massig oder bedeutend ausdehnender Tampon kann natürlich
mit mehr oder weniger Gefahr verbunden sein; ein Tampon,
der zu lose auf der Vaginalportion aufsitzt, kann einfe innere
Blutung hervorrufen oder, um mit Meissner zu reden, eine
äussere Verblutung in eine innere verwandeln.
Wenn allen diesen Verhältnissen Rechnung getragen wird,
ist der Tampon in der Regel ein harmloses und sehr wirk-
sames Mittel, ganz geeignet, die Lobpreisungen PauT%
von Aegina und Lerouafs zu rechtfertigen und ganz be-
sonders auf dem platten tande unersetzbar und unentbehrlich.
Ich berufe mich in dieser Beziehung auf die 43. und
44. Nachgeburtslösung, die im 3. Hefte des 12. Bandes der
Neuen Zeitschrift für Geburtskunde, 1842, abgedruckt ist. Es
blieb nämlich bei einer Erstgebärenden, der sich der Steiss,
aber fast ohne alle Wehen zur Geburt stellte, während sich
die Gebärmutter ziemlich straff um das Kind zusammenzog,
so; dass ich dieses, statt an den Füssen, in der Schenkel-
beuge anziehen und zu Tage fördern musste, die Nachgeburt
zurück. — Das Kind war scheintodt, erholte sich aber endlich
und blieb gesund. Eine starke Blutergiessung erforderte die
Entfernung der Nachgeburt, obwohl sie weder angewachsen,
noch incarcerirt war. Die Mutter kam durch einen schleichenden
Entzündungszustand des Uterus dem Tode nahe, genas aber
und schon 14 Monate später musste ich sie wegen kraftloser
Wehen abermals von einem diesmal starken, kräftigen Mädchen
entbinden. Abermals blieb die Nachgeburt adhärirend zurück
und musste wegen starker Verblutung getrennt werden. Auch
nach der Trennung stand die Blutung erst nach Einschiebung
des dritten Tampons. Die durch den Blutverlust sehr er-
schöpfte Mutter erholte sich bald.
Folgendes schaudervolle Ereigniss mag, wenn es auch
tödtlich endete, den Nutzen des Tampons und dessen Gefahr-
losigkeit, wenn er nur einigermaassen behutsam und schonend
gehandhabt wird, in ein ziemlich klares Licht stellen.
Am 1. December 1826, bald nach Mitlernacht, verlangten
mich zwei Boten nach Düringen auf dem hohen Westerwalde
zu der Frau des Schultheissen, um sie zu entbinden. Die
Hebamme Hess mir sagen, eine Hand liege vor. Ich beeilte
mich, den dreistündigen Weg zurückzulegen und kam um
des Tampons in der Geburtshülfe. 367
3 Uhr Morgens bei der Kreissenden an. Ich fand sie in
einer elenden Hätte auf einem elenden Bette. Sie war etwa
40 Jahre alt, hässlich gewachsen, ohne Wehen, und ich
vernahm, dass sie zum dritten Male gebäre. Das erste Kind
sei zwar ohne Kunsthülfe, aber so schwer und langsam ge-
geboren worden, dass es nach geborenem Kopfe noch in der
Geburt verstorben sei. Das zweite sei unzeitig zur Welt
gekommen. Nunmehr beim dritten sei die Hebamme etwa
um 10 Uhr Abends bei der Gebärenden angekommen, habe
die Wasser abgeflossen gefunden, und nachdem sie sich
durch Hervorziehen überzeugt, dass die Hand vorliege, habe
sie sofort zu mir geschickt. Die Wehen seien ausnehmend
stark gewesen, hätten aber um 2 Uhr plötzlich aufgehört.
Ich fand den Leib ausserordentlich empfindlich, ungleich aus-
gedehnt und eine Stelle der rechten Seite sehr aufgetrieben,
hart und schmerzhaft.
Ich schöpfte zwar schon hieraus die Besorgniss, dass
eine Ruptur der Gebärmutter oder der Scheide erfolgt sei,
beruhigte mich aber bald wieder etwas. Denn als ich zur
Wendung am vorliegenden Arme hinaufging, erhob die
Krei&sende ein durchdringendes Geschrei, während dem meine
Hand einen Druck, wie von einer ziemlichen Wehe empfand.
Ich hielt sogleich inne und ermahnte die Kreissende wieder-
holt und ernstlich, nicht zu drängen, weil ich sie sonst
nicht entbinden könne. Endlich leistete sie Folge und mit .
dem Geschrei verschwand auch die scheinbare Wehe gänzlich.
Mein Arm war gleich beim Eingehen mit vielem schwarzem
Blute überströmt worden. Als ich am Körper des Kindes
weiter ging, fühlte ich, dass er wie von einem Breie halb
geronnenen Blutes umgeben war, worin sich eine Menge
nabelschnurähnlicher Körper befanden. Aber schnell genug
liess mich das Auffinden der wirklichen Nabelschnur ahnen,
womit ich es zu thun hatte. Ich schob jene Körper vor-
sichtig mit den Fingern aufwärts, hielt mich dicht an den
Körper des Kindes und ergriff einen Fuss desselben, den
ich glücklich aus den äusseren Theilen hervorzog. Auch den
anderen entwickelte ich aus jenen verdächtigen Umgebungen.
Als aber das Kind bis an den Nabel zu Tage gefördert war,
drängte sich ein Stück der dünnen Gedärme mit seinem
368 XIX. Vogler, Nutien und Nachtheile
Gekröse daneben hervor und wahrscheinlich verhinderte nur
die grosse Enge der unteren Beckenapertur das weitere Vor-
fallen der Eingeweide. Denn nun begann eine Arbeit für
mich, wie ich sie bei keiner Wendung gehabt hatte. — Ich
hatte, wie ich gestehen muss, die vorliegende blaue und
verschwollene rechte Hand vergessen, vor der Wendung in
eine Schlinge zu legen. Jetzt musste ich mich zuerst durch
ihre Lösung ermüden. Noch mehr Schwierigkeit hatte die
Herabführung des linken Armes, doch gelang es, ihn un-
zerbrochen zu Tage zu fördern. Die Entwicklung des Kopfes
hielt bei Weitem am schwersten. Sie war nicht durch
die Zange zu bewerkstelligen und die Finger, die ich auf
den unteren Orbitalrand gesetzt hatte, erlahmten nur wegen
der Enge des Beckens so sehr, dass ich während dieser
Arbeit mehrmals ausruhen musste. Endlich gelang sie, aber
kaum war der Kopf entwickelt, so drängten sich mehrere
Windungen der dünnen Gedärme aus der äusseren Scham
hervor. Ich beeilte mich, die Nachgeburt zu entfernen, fand
sie mitten in einem Convolut von Gedärmen, indem mir die
Nabelschnur zur Fahrerin diente und brachte sie zum Vor-
schein. Die mit vordringenden Gedärme schob ich zurück.
Die Züge waren schon zerstört, die Extremitäten kalt, der
Puls kaum fühlbar.
Während der Geistliche aus dem Kirchdorfe geholt wurde,
um ihr die Sterbesacramente zu ertheilen und ich mich iu
einer benachbarten Hütte mit einer Schale Milch erfrischte,
wurde mir gemeldet, dass die Entbundene häufig würge und
dass ihr ein ziemlicher Klumpen Gedärme aus den Geburts-
theilen wieder hervorgedrungen sei. Ich stellte sogleich alle
anwesenden Weiber an, einen Haufen Charpie zu verfertigen,
Hess aber einstweilen die Gedärme zwischen den Schenkeln
liegen, um sie durch öfteres vergebliches Reduciren nicht
noch mehr zu reizen. Als der Geistliche aus dem Kirchdorfe
erschienen war und sein Geschäft beendigt hatte, machte ich
aus der vorhandenen Charpie einen Tampon, reponirte das
heraushängende Convolut Gedärme, welches die Grösse eines
starken Kindeskopfes hatte, nicht ohne bedeutende Mühe,
weil das Würgen die Operation erschwerte und schob den
in kaltes Wasser getauchten Tampon in die Scheide. Hierauf
de« Tampon« in der Getmrtehülfe. 369
erwartete ich den Anbruch des Tages und begab mich
nach Hause.
Gegen Mittag erführ ich, die Frau lebe, scheine sich
etwas erholt zu haben und das Wärgen sei etwas vermindert,
ich verordnete eine Oeiemulsion mit etwas Nitrum, Weinstein»
säure und Opium.
Zu meiner Verwunderung erhielt ich den folgenden Tag
Nachrichten, die noch besser lauteten, und ich begab mich
au ihr. Sie hatte sich mehrmals erbrochen, der Puls hatte
sich erhoben und war ziemlich voll und härtlich, die Wangen
umschrieben geröthet, der Unterleib ziemlich aufgetrieben,
aber weich und mit einer harten Geschwulst in der rechten
Unter bauchgegend, welche die Gebärmutter zu sein schien,
nicht besonders schmerzhaft. Diese Stelle aber durfte kaum
berührt werden. Aus den Geburtstheilen verbreitete sieb
übrigens ein pestilenzialischer Gestank. Die vordere Scheiden*
wand hatte sich über den Tampon hinaus aus der Scham
herausgedrängt, was mir für eine Ruptur in dieser Wand zu
sprechen schien. Ein kleinerer Tampon, den ich zur Unter-
stützung des Haupttampons nachgeschoben hatte, war heraus-
gefallen oder — wahrscheinlicher — weggeuommen «worden.
Blut oder Lochien waren seil dem Einbringen des Tampons
uicht abgegangen. Als ich letzteren wegnehmen wollte, er-
klärte die Kranke, sie fühle in der Gegend des Nabels u dass
Alles wieder hervorstürzen wolle, wenn ich ihn herauszöge.
Ich beschloss deshalb, ihn erst den folgenden Morgen zu
wechseln, verordnete reinigende Einspritzungen, erweichende
Gataplasmen auf den Bauch und fuhr innerlich fort, wie "bisher.
Zu einer Blutentziehung konnte ich mich, nach reiflicher
Ueberlegung nicht entschliessen. Den folgenden Morgen ent-
fernte ich den Tampon glücklich, kein Darm liess sich sehen,
nur drang beim Würgen oder Brechen die vordere Scheiden-
wand hervor, weswegen ich abermals tamponiren musste.
Urin, Stuhlgang und mehrere Spulwürmer waren abgegangen,
ersterer sehr reichlich. Die Gataplasmen würden schlecht und
verdrossen angewendet und bald ausgesetzt Nach einigen
Tagen sah ich die Kranke wieder und fand noch denselben
Zustand. Das Würgen und Erbrechen kehrte zu Zeiten
MouaU«cbr.f. Gebariak. 1802. Bd. XIX., Hfl. 6. 24
370 XIX yogUrt Nutzen und Nachtheile
wieder; der Puls war noch entzündlich, der . Unterleib noch
schmerzhaft, rechts die harte empfindliche Stelle, übrigen»
weniger Auftreibung. Eine Geschwulst der Schamlippen war
ebenfalls im Abnehmen. Den achten Tag stellte sich einige
Male leichtes Irrereden ein, die Oelemulsion machte Sodbrennen,
weshalb ich einige Tropfen Opiumtinctur mit Liq. anod. und
Tinct. aromat. reichte. Aber ich fand den neunten Tag zu-
nehmendes Zusammensinken der Kräfte, den Tampon seit
mehreren Tagen entfernt, die Scheidenwand hervorgetrieben
und missfarbig und vor Anbruch des zehnten Tages erfolgte
der Tod.
Bei derSeclion, die ich, abermals durch eine Kreissende
abgehalten, nicht selbst vornehmen konnte, fand sich der
Unterleib sehr aufgetrieben, die Geburtstbeile angeschwollen,
.ein Theil der Scheidenwand zu Tage liegend. Nach der
Eröffnung des Unterleibes faud sich der ganze Darmkauai
dunkelblau gefärbt und mit vieler Luft gefüllt, jedoch keine
einzelne, besonders missfarbige Stellen. Die Leber von ge-
wöhnlicher Farbe, beim Einschneiden das Parenchym roth
und weich; die Nieren dunkelfarbig; der Magen aufgetrieben,
die innere Haut hellroth; die Mutterscheide nicht völlig con-
trahirt; der Muttermund noch grösstenteils verstrichen. Die
Gebärmutter sehr unvollkommen zusammengezogen, so, dass
eine Kugel von 3 Zoll Durchmesser darin Raum gehabt hätte ;
ihre innere Haut schwarz, nüssfarbig und sehr weich. Vom
Sitze des Mutterkuchens keine Spur mehr bemerk-
lich. (Ich referire diesen in der Thal etwas unwahrschein-
lichen-Befund nach dem Berichte meines längst verstorbenen
Collegen und Stellvertreters.) Sie enthielt kein Blut
mehr; ein Darmstück fand sich nicht darin, wohl
aber in der Wand der rechten Seite des Körpers der Gebär-
mutter eine Ruptur von oben nach unten, etwas schief nach
vorn laufend, 1% bis 2 Zoll lang; die Ränder dieser Ruptur
weder brandig noch besonders angeschwollen; die Wand an
der Stelle des Einrisses etwa 3 Linien dick. — Ich gestehe,
dass ich während der neun Tage, die die Entbundene noch
lebte, mehrmals der Hoffnung Raum gab, sie zu erhalten»
und dass ich noch jetzt zuweilen versucht bin, an die
Möglichkeil dieser Erhaltung zu glauben und den erfolgten
des Tampon» in der Geburtsbfllfe. 371
Tod zum Theil der Rohheit, Fühllosigkeit und Halsstarrigkeit
ihrer Umgebungen und Verwandten zuzuschreiben. — Dass
die Naiur dieser Kranken sich zu kräftigen Heilbestrebungen
ermannte, ging schon daraus klar hervor, dass zehn Tage nach
erlittener Ruptur sich bei der Section kein Darmstuck mehr in
der geborstenen Gebärmutter vorfand, während die ersten Tage
nach erfolgtem Einrisse Hassen von Darmschlingen sich durch
die beschädigte Gebärmutter und die Scheide hindurch drängten
und zur Schamspalte hervorhingen und das Würgen und
Erbrechen bis wenige Tage vor dem Tode noch zu Zeiten
wiederkehrte. Ich muss es mit hoher Wahrscheinlichkeit
für eine Wirkung der Tamponade der Gebärmutter erklären,
dass diese Gebärmutter trotz ihrer bedeutenden Verletzung und
anfänglichen gänzlichen Unthätigkeit x) wieder so viel Con-
tractionskraft erlangte, um sämmtliche in sie eingedrungenen
und durch die Scheide und die Schamspalte vorgefallenen
Darmschlingen wieder in die Bauchhöhle zurückzudrängen,
so dass beim ersten Wechsel des Tampons gar nichts mehr
vorfiel. Die scheinbare Wehe, welche ich beim Eingehen
mit der Hand zu fühlen glaubte, war ohne Zweifel der
Bauchpresse zuzuschreiben, die durch das Geschrei der
Kreissenden sich auch in der Gebärmutter fühlbar machte.
Zwar erklärt Scamoni (Lehrbuch, Band 1, pag. 230) nach
seinen Erfahrungen alle Berstungen des Bauchfelles und der
innig damit verbundenen Gebärmutter, die sich alle erst in den
letzten Schwangerschaftsmonaten ereignen, für tödtlich, allein
er führt in seiner ganzen Erörterung auch nicht einen Fall
von geheilter Ruptur des Uterus an, auch da, wo die dieses
Organ überziehende Baucbfeilplatte unverletzt blieb, und es
ist nicht zu verkennen, dass die wenigen aus Nordamerika
und England stammenden Beispiele solcher Heilungen dem
Leser sehr gewichtige Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit zurück-
lassen. Offenbar würden auch alle gebräuchlichen Surrogate
des von mir in Anwendung gebrachten Tampons vom Kol-
peurynter an bis zu den Kaltwasser- oder China -Injectionen
ihren Zweck nicht so vollständig erfüllt haben, wenn auch
der Hauptzweck — die Lebensrettung — unerreicht blieb,
1) Cf. Scanzoni, Lehrbuch, Band 1, pag. 230.
24*
372 XX. Notizen aus der Journal- Literatur.
da wir, wie bereits nachgewiesen ist, noch immer das Mittel
nicht gerunden haben, einen Riss der Gebärmutter zur
Heilung und Vernarbung .zu bringen. Als Hauptzweck musste
also hier betrachtet werden , den Wiedervorfall der Eingeweide
zu verhindern und die Zusammenziehung der Gebärmutter
möglichst zu befördern, ohne die Ränder des Einrisses durch
ausfüllende Tamponade von einander zu entfernen und so
dem Wiederzusammenkleben dieser Ränder, wenn die Mög-
lichkeit dazu gegeben war, ein Hinderniss entgegen zu setzen.
Dass dieser Zweck durch den Charpietampon ziemlich er*
reicht wurde, ergiebt sich daraus, dass der Tod erst mit
dem zehnten Tage eintrat, und dass die Section keine Darm-
schlinge mehr in der Gebärmutter vorfand.
XX. '
Notizen aus der Journal -Literatur.
Karl Martin (Wolfatem in der Pfalz): Ein Kaiserschnitt
wegen osteomalakischen Beckens.
Eine sehr abgemagerte Frau Ton 37 Jahren, die schon mehr-
mals normal, das letzte Kind vor vier Jahren geboren hatte, war
vor drei -Jahren wegen fieberhaften Znstandes und Hinfälligkeit
Monate lang an*s Rett gefesselt und im vorigen Jahre hatten
blutige Durchfälle und reichlicher Auswurf ihre KrSfte sehr er-
schöpft. Seit 'ihrer jetzigen Schwangerschaft hatte sie das Bett
nicht mehr verlassen, schien kleiner geworden zu sein und konnte
nur hinkend mit Mühe sich einige Schritte fortbewegen.
Am 24. October 1860 hatten die Weben rechtzeitig begonnen.
Als M. hinzukam, fand er sofort einen so hohen Grad von
Osteomalacie, dass nur durch den Kaiserschnitt die Geburt möglich
erschien. Die Ausführung desselben bot keine nennenswerthen
Schwierigkeiten und ein kräftiger Knabe wurde geboren; starb
leider nach vier Monaten. Die Entbundene befand sich in den
ersten Tagen verhältnissmässig wohl, dann fing aber ein bedenk-
licher Durchfall an, welcher die Kräfte erschöpfte und am
10. November zum Tode führte.
Bei der Section waren die Genitalien gut znrückgebildet, die
Oeb&riuutter h:it den Umfang eines starken Apfels, ist eirund;
XX. Notizen aus der Journal -Literatur. 373
die senkrechte Schnittfläche theilt sie in iwei gleiche Hälften;
da« Gewehe derselben ist schlaff, die Wände sind dünn und die
Schnittwunde in derselben klafft 2 Centimeter auseinander; die
Wundränder sind von graulicher, die Auskleidung von blutig
rothlieher Farbe. Das Kolon ist entzündet und die Schleimhaut
desselben Mass, mit sahireichen halblinsenförmigen, wie mit
dem Messer ausgeschnittenen geschwärigen Stellen besetzt. Das
Becken zeigte alle charakteristischen Merkmale der Osteomalacie.
(Aerstl. IntelligenzblaU Baierns, No. 43, 1861.)
Leven: Extrauterine Schwangerschaft.
Eine Frau, welche zwei MaI leicht geboren hatte, erkrankte
unter den Erscheinungen einer Peritonitis: heftige Leibschmerzen,
Meteorismus, Erbrechen grünlicher Massen; die Menstruation war
bisher regelmässig, nur seit fünf Wochen ist ein beständiger
Ausfluss einer blutigen Flüssigkeit ans der Scheide vorbanden.
Unterhalb des Nabels von links nach rechts fühlt man eine Ge-
schwulst; bei der Vaginaluntersucbung findet man den Uterushals
bis zur Schambeinverbindnng in die Höhe gestiegen; Muttermund
nicht geöffnet; im hinteren Scheidengewölbe bat der Finger das
Gefühl einer undeutlichen Fluctnation ; bei der Untersuchung
durch den Mastdarm findet man ebenfalls die durch die Bauch-
decken zu fühlende Geschwulst; es wurde eine Haematocele
retrouterina diagnosticirt; -die Frau starb nach sechs Wochen.
Bei der Autopsie fand man den vergrösserten Uterus sehr
nach vorn gedrängt, hinter ihm und von ihm bedeckt lag eine
12 Centimeter grosse Geschwulst. Am Muttermunde kein Schleim-
pfropf, Ovula Nabothii sehr entwickelt. Tuba und Ovarium der
linken Seite normal. Rechts ist das Ovarium an die Geschwulst
fixirt; letztere setzt sich in die rechte Tuba fort, diese ist in
einer Länge von 5 — 6 Centimeter normal, von da ab geht sie
in der Geschwulst auf. Diese Geschwulst von der Grösse eines
ausgetragenen Fötus ist vom Uterus unabhängig und liegt in den
Falten des breiten Mutterbandes, extraperitonäal und enthält
einen Fötus ungefähr aus dem vierten Monate; die 8puren zahl-
reicher Hämorrhagien im Innern dieser Kyste lassen sich nicht
verkennen; auf der Aussenseite liegen Pseudomembranen auf ihr.
Es war also ursprünglich eine TubarschwangerschAft vor-
handen, die in Folge der Ruptur der ausgedehnten Tuba in
eine seeundäre AbdominAl*chwangerschaft umgewandelt wurde.
Interessant ist der Fall noch weiter, wegen der Beziehungen,
welche man in den letzten Jahren zwischen Extrauterinschwanger-
schaft und -Haematocele retrouterina zu finden glaubte. Obwohl
in diesem Falle die Zeichen einer Extrauterinschwangerschaff
374 XX. Notizen ans der Journal -Literatur.
nicht fehlten, übersah man, wie in einem ähnlichen Falle, den
Hugtder jnittheilte, die Schwangerschaft und dlagnostieirte die
Haematocrle retronterina. Trotz der bedeutenden Unterschiede
in den Symptomen und der Prognose bei den AtTectionen, ist
doch eine wahre Analogie, die zwischen der Ursache nnd der
Natnr beider besteht, nicht zu verkennen. Die Haematocele
entsteht dadurch, dass ein Ei in die Tuba gelangte, hier eine
excessive Blutung und in Folge du von eine Ruptur dieses Kanales
bedingte. Die Tnbarschwangerschaft unterscheidet sich nur durch
die Befruchtung des Eies, das sich dann weiter entwickelt.
Auch die Ausgänge der Extrauterinschwangerschaft sind dann
der Haematocele analog, wenigstens in vielen Füllen, indem sich
die Producte der Schwangerschaft durch Anus und Vagina nach
aussen entleeren. Sicherlich wurden oft Verwechselungen zwischen
Haematocele und Extrauterinschwangerschaft begangen.
(Bull, de la Soc. anat. de Paris, 1860, p. 187, und Med.
chir. Monatshefte, Decbr. 1861, 8. 522.)
Habit: Ein Fall von Papillom des Gebärmutterhalses.
Eine 37jährige, sonst gesunde Frau, bemerkte plötzlich das
Hervortreten einer Geschwulst aus den Geschlechtstheilen. Die
Untersuchung ergab Folgendes: Die Geschwulst begann an der
vorderen Wand des Cervix, 3"' über dem Muttermunde, mit
einem !/4" dicken und l" langen Stiel und reichte bis dicht hinter
den Scheidenmund herab; sie hatte die Form einer zusammen-
gedrückten Quaste und bestand aus derben blätterigen Läppehen
und Lappen, die am unteren Ende des Stieles über und neben
einander lagen; sie war l1/*" lang, */»" dick und von einem eiweiss-
artigen Schleime bekleidet, der alle Furchen und Einschnitte
ausfällte und so fest haftete, dass er sich nur sehr schwer entfernen
Hess. Die Farbe war himbeerroth, die Consistenz fast köorpel-
artig. Die ganze Oberflache zeigte sehr kleine, dicht gedrängt
stehende Papillen, ähnlich sehr zarten spitzen Condylomen. Die
Berührung war ganz unschmerzhaft und veranlasste keine Blutung.
Es wurde die Exstirpation in einfacher Weise ausgeführt
nnd die vollständige Genesung erzielt. Prof. Wedl erklärte die
entfernte Geschwulst für eine Zellgewebsgeschwulst mit papillären,
blumenkohlartigen Wucherungen, die einen massenhaften Belag
von Epithel in Form von Pflasterepithel hatte, somit für ein
Papillom, welches sich des reichen Epithelbelags wegen schon
dem Epithelialkrebse näherte.
(Wochenblatt d. Zeitschr. d. Gesellschaft d. Aerzte zu Wien,
No. 52, 1861.)
XX. Notizen ans der Journal -Literatur. 375
Cruise: Fall Ton mangelhafter Entwickelong der weib-
lichen Geschlechtstheile.
Die betreffenden Geschlechtstbeile stammen von einem
16jährigen Mädchen, welches an Masern gestorben war. Ihre
Körperform war vollkommen weiblich, das Becken breit, die
Brüste ihrem Alter nach entwickelt, das Haar lang u. 6. w. ;
ebenso boten die äusseren Geschlechtstbeile nichts Besonderes,
die Clitoriß war gut entwickelt, desgl. Nymphen, Vestibulum
und Orificium urethrae normal. Die Scheide war geschlossen.
Um die Geschlechtstbeile unzerstört zu erbalten, wurde die
Bauchhöhle ge&Fnet. Es zeigte sich, dass das Bauchfell anstatt
einen doppelten Blindsack su bilden, eine einfache Tasche dar-
stellte, indem es von der vorderen Seite des Mastdarmes direct
auf die hintere Blasenwand übersprang; der Uterus fehlte, statt
dessen zeigte sich in der Peritonäalfulte eine dickere Stelle, ~
in welche zwei feste Stränge convergirten, die sich nach aussen
zu kolbig erweiterten und leicht als Rudimente der Fallopischen
Röhren erkannt wurden, zumal sie in ihrem Inneren einen
durchgängigen Kanal zeigten. Die runden Mutterbänder fehlten,
die Eierstöcke waren vollkommen entwickelt. Von der Scheide
zeigte sich keine Spur, doch zeigten sich zwei Gefässplexus,
einer auf jeder Seite des geschlossenen Vaginalostiums (Bulbi
vestibuli).
Verf. giebt nun eine Geschichte der Genese dieser Miss-
bildung, die insofern etwas Abweichendes enthält, als er des
Müller' sehen Organe« gar nicht gedenkt, sondern lediglich den
Wölfischen Körper sich bei Bildung der weiblichen Genitalien
betheiligen läset. Seine Schlüsse sind folgende:
Vorstehender Fall ist ein Beispiel von Hemmungsbildung,
die zu Stande kommt vor Ende des dritten Schwange rsebafts-
monates; der WolflT sehe Körper ist das missgebildete Organ,
namentlich sein Ausführungsgang. Dass dabei die Eierstöcke
vollkommen entwickelt sein können, erklart Verf. daraus, dass
sich dieselben aus einem vom Wolf sehen Körper ganz un-
abhängigen Theile des Blastema bilden.
(The Dublin quarterly Journal of med. sc, No. 63, Aug. 1861.)
Sailly: Die Albuminurie als Hülfs mittel zur Unter-
scheidung der Epilepsie und Eclampsie der
Schwangeren.
Das fast constante Vorhandensein von Eiweias im Harn bei
Kclampsie veranlasste 8aülyt zu erforschen, ob ein Gleiches
sich auch bei Epileptischen finde. Seine an 30 mit Epilepsie
376 XX. Notizen aus der Journal -Literatur.
behafteten Frauen bald vor, bald während und nach dem Anfalle
angestellten Untersuchungen , im Ganzen 126, ergaben Folgendes:
Der Harn reagirte stets sauer; stets fand sich während des
Anfalles eine betrachtliche Menge Urin in der Harnblase vor,
während bei E cl am p tischen dieselbe nur seljr gering ist. Weder
vor, während, noch nach dem Anfalle Hess sich Eiweiss nachweisen
and hatte der Harn immer die Charaktere normaler Beschaffenheit.
(Gazette des höpitaux, No. 50, 1861.)
Goldschmidt: Ueber die Fungositäten des Uterus.
Dieselben bestehen aus einer einfachen Hypertrophie der
Kiemente der Schleimhaut und bleiben entweder anf dem Stadium
der blossen Hyperämie oder meist gehen sie in weiche pulpöse
Auswüchse über, die eich leicht mit einer stumpfen Curette oder
dem Nagel entfernen lassen. Sitzen sie mehr in den Hörnern
der Gebärmutter, so haben sie oft einen dünnen und langen
Stiel und gleichen den Polypen, sitzen sie dagegen auf der
vorderen oder hinteren Wand der Uterinhöhle , so haben sie eine
breite Basis. Die Krankheit zeigt sich in allen Lebensaltern,
meist aber zwischen dem 20. — 30. Jahre, sie veranlasst schwere
Geburten und besonders Aborte, und erregt Blutungen und
Schmerzen. Die Untersuchung allein kann sicheren Aufschlüge
gewähren. Meist beschränkt sie sich auf die Schleimhaut, com-
plicirt sich aber auch mit Erweichung des eigentlichen Uterns-
gewebes und mit suppurativer Entzündung der Ovarien.
Die Fungositäten bilden eine ernste Krankheit durch die
Blutungen und Anämie, durch Erschwerung der Conception und
Veranlassung der Aborte.
Die Behandlung muss auf die Zerstörung der Fungositäten
gerichtet sein, indess erfüllen die Cauterisationen und Injectionen
nicht diesen Zweck, vielmehr ist das Abkratzen mit der Curette
von Reeamier oder mit dem Nagel das sicherste und wirksamste
Verfahren. Dasselbe führt, vorsichtig gemacht, selten Gefahren
herbei, das Instrument muss sehr langsam und sanft bis in den
Grund der Gebärmutter geschoben werden. Der Nagel des Fingers
würde noch milder und gefahrloser sein, wenn er nur immer bis
in die Uterinhöhle eingebracht werden könnte. Man mache aber
stets erst diesen Versuch. Die Aetzung mit Höllenstein ist ein
zweckmässiges Hülfsmittel , um die Fläche, auf welcher die
Fungositäten sassen, umzuändern.
Ueble Zufälle nach dem Verfahren bilden die Ausnahmen,
die Erfolge sind vielmehr fast immer befriedigend. Die Blutungen
und Schmerzen weichen sofort, wie lange sie auch bestanden
haben mögen; die Heilung ist dauernd, der Uterus nimmt seine
XX. Notizen aas der Journal -Literatur. 377
regelmässige Thätigkeit wieder an, die Menstruation wird ge-
regelt! die Conceptionen werden möglich.
(Gaz. mäd. de Paris, No. 18, 1861, aus der Gas. m£d. de
Strassbourg.)
Edward Jackton: Ein Fall von Blasenscbeidenfistel.
Pat. hatte Tier Mal geboren. Ihre ersten drei Niederkünfte
erfolgten leicht und regelmässig. Bei ihrer vierten mnssten
Instrumente in Anwendung kommen, ohne jedoch die Geburt zu
Ende zn führen, die im Verlaufe des dritten Tages spontan er-
folgte. Pat. lag sechs Wochen lang krank und litt seit dieser
Zeit an Harnträufeln. Die drei Monate spute r vorgenommene
Untersuchung zeigte eine längliche Fistel, deren längster Durch-
messer über V4 Zoll war und von einer Falte der Scheiden wand
verdeckt wnrde. Am 5. Juni wurde unter leichter Cbloroform-
narkose die Operation nach Brownes Methode ausgeführt. Die
wundgemachten Ränder wurden durch vier Eisendrälite geheftet,
welche durch kleinere Klammern befestigt wurden. Die Operation
dauerte etwas über eine Stunde und war nur von einer leichten
Blutung begleitet. Pat. wurde hierauf in 's Bett gebracht, auf
die Seite gelegt und ihr alle vier Stunden 1 Gran Opium,
ausserdem auch etwas Fleischbrühe, gelegentlich auch Wein
verabreicht. Einige Stunden später zeigte sich, dass aus dem
elastischen Katheter, welcher in die Blase eingelegt worden war,
eine beträchtliche Menge reines Blut abfloss. Dies währte zwei
Tage hindurch, und erst mit dem vierten Tage erschien klarer
Urin, gleichseitig auch aus der Scheide reichlicher Schleim, der
mit Urin vermengt war. Am zehnten Tage wurden die Klammern
entfernt; die Vereinigung war nicht gelungen. Am 30. August
wurde die Operation in derselben Weise wiederholt. Ks trat an
den folgenden Tagen Erbrechen ein, jedoch kein Blutfluss. Die
Klammern wurden am achten Tage entfernt, wobei sich die eine
verschoben zeigte, an welcher Stelle auch die Vereinigung, die
an den übrigen gelungen war, fehlte. Es wurde deshalb am
9. November von Neuem operirt, und die Ränder mittels zweier
Silberdrähte vereinigt, worauf mit dem zehnten Tage eine voll-
kommene Vereinigung eingetreten war.
(The Lancet, Vol. I., No. 24, 1861.)
Demarquai: Hypertrophische Verlängerung der Portio
vaginalis, mit gleichzeitigem Bestehen eines Fi-
broides.
Die 50jHhrige Kranke hatte vier Mal geboren. Schon nach
ihrer ersten Niederkunft, wie sie angiebt, in Folge eines falschen
378 XX. Notizen aus der Journal -Literatur.
Trittes, zeigte sich in der 8 ch um spalte eine Geschwulst, die
eine herbeigerufene Hebamme durch verschiedene Mutterkränze,
jedoch ohne Erfolg, zurückzuhalten ve rauchte. Vor nunmehr
zwei Jahren stellten sich Unregelmässigkeiten in der Menstruation
ein, die, anfangs als einfache Menorrhagie auftretend, bald in
continuirliche Hämorrhagie überging und Put. auf das Höchste
schwächte. Gleichzeitig traten Schmerzen in den Schenkeln und
Lenden auf; das Gehen wurde immer beschwerlicher. Ein hinzn-
ge rufen er Arzt suchte den vermeintlichen vorgefallenen Uterus
durch ein eiförmiges, dickes Pessarium zurückzuhalten. Es
gelang, die zwischen den äusseren Schamtheilen sichtbare Portio
vaginalis zurückzubringen; die Blutungen wurden geringer und
Hessen ganz nach. Am folgenden Tage jedoch zeigten sich
heftige Schmerzen in den beiden Hypogastrien, die fast un-
erträglich wurden. Gleichzeitig auftretende Störung in den
Verdauungsorganen schwächten die Kranke noch mehr. Das
Pessarium blieb sechs Wochen liegen, wurde dann wegen Zu*
nähme dej Schmerzen entfernt, worauf Pat. in die Maison de sante
eintrat. Hier zeigte der Status praesens Folgendes: Die Kranke
ist ausserordentlich erschöpft; in der Scheide zeigte sich ein
länglicher Tumor von konischer Gestalt t dessen Basis sich ohne
Grenze in die Scheiden wände fortsetzt. An seiner unteren Spitze
ist er gespalten und in eine vordere und hintere Lippe getheilt,
welche lebhaft geröthet, jedoch nicht ulcerirt sind. Beim Auf-
rechtstehen der Frau ragt dieser Theil 2 Centimeter weit zur
Scheide heraus. Die transversale Oefihung ist der äussere
Muttermund, dessen Ränder ausserordentlich dehnbar sind und
den Finger leicht bis zum inneren Muttermunde vordringen lassen,
hinter dem ein rundlicher, mit der hinteren Gebärmutterwand
verbundener Körper gefühlt wird, der die Grösse einer kleinen
Orange besitzt. Die Höhle des Uterus mit der Sonde gemessen
beträgt an Länge vorn inneren Muttermunde an 18 Centimeter;
der Scheidentheil ist an seiner hinteren Wand 9 Centimeter, an
seiner vorderen 7 Centimeter lang.
Demarguay stellte demgemäss die Diagnose auf Hypertrophie
der Portio vagin. mit Complication eines der hinteren Gebär-
mutter wand angehörigen Fibroides.
Da eine Operation wegen Schwäche der Kranken nicht zu«
lässig war, Pat. jedoch dringend von ihren Leiden befreit zu
sein wünschte, so wurde der unterste Theil der Portio vagin. in
einer Ausdehnung von l1/, Centimeter mit dem Glüheisen gebrannt.
Nach einem kurzdauernden Nachlasse der Schmerzen traten
dieselben von Neuem auf, hierzu gesellte sich heftiges Fieber
und Entzündung der Parotis, so dass die Kranke unter Zunahme
gedachter Symptome wenige Wochen nach ihrer Aufnahme erlag.
(Gazette des h6p., No. 94, 1861.)
XX. Notisen ans der Journal- Literatur. 379
G. Broun: Ueber Hydatiden-Degeneration der Chorion»
sotten als Ursache des Abortus.
Von der Entwickelung des Chorion ausgehend, hebt Verf.
Folgendes hervor. Die Epithelialschicht der Zotten eilt sehr
häufig der Bindegewebsschichte im Wachsthum voran. Besonders
in früheren Perioden zeigen alle Zotten sahireiche seitliche und
ondsUtndige , verschiedenartig geformte kleine Auswüchse und
Nebenanhänge, welche vom Epithel ausgehen und meist aus
einer feingranulirten Masse mit vielen Kernen bestehen. In die-
selben wuchst dann erst das Bindegewebe mit den Gefassen
herein.
Bei Ansammlung von seröser Flüssigkeit in ihrem Parenchym
schwellen die Zotten mit jenen Ausläufern derart an, dass sie
Aggregate von wasserhellen, durch Fäden lose zusammen-
gehaltenen Blasen bilden — Hydatidenmolen. Zu einer solchen
hydropischen Entartung kommt es schon im sweiten und dritten
Monate. Durch Hineinwachsen der Zotten in die Amnionhöhle
wird dann suweilen vollständige , meist wenigstens theilweise
Resorption des Embryo und selbst des Nabelstranges eingeleitet.
Die Hydatidenmole bietet die Möglichkeit einer Verwechselung
mit Placenta praevia, mit Carcinom und Cancroid der Vaginal-
portion, mit Polypen, mit Blutgerinnseln. Von den bekannten
diagnostischen Momenten betont Verf. namentlich den Nachweis
von Hydatidenbläschen im Cervix und die Besichtigung" der ge-
lösten.
Die Ausstossung erfolgt meist erst naeh dem vierten bis
fünften Monate. Bei geringer Blutung kann sie der Thätigkeft
des Uterus und der Bauchpresse überlassen werden. Bei heftigeren
Metrorrhagieen und geringer Erweiterung des Muttermundes räth
Verf. die 8cheidentamponade mittels einer mit kaltem Wasser
gefüllten Kautschukblase, — bei Fehlschlagen diesee Verfahrens
oder bei Zurückbleiben von Resten die manuelle Entfernung,
nötigenfalls unter Chloroformnarkose.
Im Weiteren ersählt Verf, einige Fälle von Hydatidenmolen-
schwangerschaft. Im ersten wurde nach angeblich dreimonatlicher
Hcnwangerschaft und fünftägigem profusem Blutabgange durch
mittels der Tamponade erregte Wehen ein 2 Pfund schweres,
traubenartiges Convo^ut gestielter Bläschen ausgestossen , in dem
sich etwas excentrisch eine mit 3 — 4 Drachmen serumähnlicher
Flüssigkeit erfüllte Höhle mit glatten Wänden, aber ohne Spur
eines Embryo, fand. Der sweite Fall betrifft den nach angeblich
fünfmonatlicher Schwangerschaftsdauer unter wenig Blutabgang
spontan erfolgten Abgang einer 3'/t" im Durchmesser haltenden
Placenta mit fettig entarteten Cotyledonen, deren Fötalseite im
Centram einen hydropischen , l1/," langen Strang seigte, an
dessen freiem Ende ein gelber, linsengrosser, durch eine Ein-
380 XX. Notizen aus der Journal -Literatur.
schntirang in einen kugeligen und einen mit kleinen Wüteten
besetzten Theil gesonderter Körper aufsass; die Chorionzotten
waren theils fettig , theils hydropisch degenerirt, — hier and da
war es schon zu kleinen Kystenbildungen gekommen. Im dritten
Falle Hessen die ans der Gebärmutter einer angeblich im sechsten
Monate schwangeren Fran nach mehrtägiger heftiger Blutung
manneil entfernten Eitheile ein balkenartiges Fachwerk mit
grosseren nnd kleineren Bläschen von Stecknadel- bis Haselnuss-
grösse erkennen, — von einem Embryo oder einer Amnionhöhle
war nichts zu entdecken. ♦
(Wiener Med. -Halle, III. Jahrg., No. 1 u. 3.)
MascKka: Mittheilnng, betreffend das Leben der Neu-
geborenen ohne Athmen.
Auf Grundlage der Beobachtung zweier Fälle, in denen an
neugeborenen Kindern,, ohne dass ein Athem holen stattgefunden
hätte, noch nach 7, resp. 23 8tnnden Lebenszeichen wahr-
genommen wurden, stellte M. in dem Aufsatze: „Das Leben der
Neugeborenen ohne Athmen" (Prager Vierteljahrschr. , 43. Bd.) die
Behauptung auf , dass Neugeborene ohne Respiration, selbst unter
ungünstigen Umständen, eine viel längere Zeit, als bis dahin
angenommen, fortleben können. Die gegenwärtige Mittheilung
betrifft einen ähnlichen Fall, der ein besonderes Interesse durch
den Umstand erregt, dass das reife, ausgetragene und lebens-
fähige Kind nach der bestimmten und wiederholten Angabe der
Mutter ein deutlich hörbares, mehrmaliges Wimmern vernehmen
Hess, ohne dass später die Obduction nur eine Spur von statt-
gehabtem Atomen hätte nachweisen können.
Die Möglichkeit des Lebens eines Neugeborenen ohne Athmen
für schon in dem obengenannten Aufsatze erwiesen erachtend,
erörtert M. die Frage, ob es überhaupt anzunehmen, dass ein
Kind nach der Geburt deutliche Geräusche und Töne vernehmen
lassen könne, ohne dass in den (selbstverständlich weder durch
Fäulniss, noch durch pathologische Processe veränderten) Lungen
auch nur der geringste Luftgehalt nachzuweisen sei. Zu einer
bejahenden Antwort hält er sich zunächst vom Standpunkte der
Erfahrung aus für berechtigt, indem er ähnliche, von glaub-
würdigen Beobachtern angeführte Fälle zusammenstellt. Sodann
unternimmt er es, diese Berechtigung durch das- Gewicht theo-
retischer Gründe zu verstärken.
Die Entstehung wahrnehmbarer Töne und Geräusche ohne
Eindringen von Luft in die Lungen erklärt er nach Czermak
durch Verdichtung nnd Verdünnung der in der Mund- und
Rachenhöhle enthaltenen Luft mit gleichzeitiger Bewegung der
Sprachorgane , wie Lippen, Zunge, Backen, — ja selbst durch
XX. Notizen aus der Journal* Literatur. 381
Theilnahme des Kehlkopfes; im leUten Falle nimmt er an, dass
die in der Mund- nnd Rechenhöhle durch Bewegungen der Lippen
und Backen comprimirte Luft in den Kehlkopf nnd die Luftröhre
binabgearesst wird, ohne jedoch in die Lungen einzudringen,
und, hei Nachläse des Druckes zurückströmend, die Stimmbänder,
in Schwingungen versetzt.
Die Ursache des Nichteindringens von Luft in die Lungen
trots des Lebens des Kindes findet M. in mechanischen Hinder-
nissen (Bildungsfehler, Verstopfung der Luftröhre durch relativ
oder absolut fremde Körper) oder in Functionsunfähigkeit der
Inspirationsmuskeln, welche ihrerseits wieder durch eine nicht
hinreichende Entwickelung der betreffenden Muskulatur oder
durch eine verminderte Empfindlichkeit der sensitiven Nerven
überhaupt nnd der respiratorischen insbesondere bedingt sei.
Die Ursache eines solchen Gesunkenseins der Nerventhätigkeit
ist oft nicht nachweisbar, nicht selten jedoch in Erkrankungen
des Gehirnes, besonders in Extravasaten an der Basis, aufsufinden.
(Prager Viertejjahrschr. , 1. Bd., 1862.)
Virchow: Ueber puerperale diffuse Metritis und Para-
metritis.
Als eine entschieden glückliche Bereicherung der medicinischen
Terminologie ist die von V. gewählte Bezeichnung „Parainetritis"
für gewisse, hier besprochene pathologische Processe au be-
zeichnen, welche in der die Scheide und den Gebärmutterhaltj
seitlich befestigenden und zugleich die Basis der breiten Mutter-
bänder bildenden lockeren Bindegewebs- nnd Fettmasse verlaufen.
Wie man sich gewöhnt hat, die Ausdrücke Perimetritis, Peri-
cystitis u. s. w. für Entzündungen des freien Uebersngs der
betreffenden Organe zu gebrauchen, so soll die analoge mit
Ktfocr (neben) zusammengesetzte Bezeichnung für denselben Pro-
cess in dem in der anatomischen Benennung nicht mit inbegriffenen
Zubehör gelten.
Der Uterus und jenes lockere, die Basis der breiten Mutter-
bänder bildende. Gewebe sind sehr häufig der Sitz puerperaler
Erkrankung, welche sich zunächst durch Schmersbaftigkeit bei
Druck von aussen wie von innen kundgiebt, oft auch mit Puls-
beschleunigung, Temperaturerhöhung, AufregUDg, Schlaflosigkeit
und anderen febrilen Erscheinungen verbunden ist. Das leidende
Gewebe ist das Bindegewebe, — zuweilen ist jedoch auch die
Muskulatur betheiligt. Der Process folgt den Zügen nnd Bündeln
des Bindegewebes in der Art, dass er sich hauptsächlich in den
äusseren Schichten, an 4er vorderen und hinteren Wand und an
den Seitentheilen des Uterus -ausbreitet, sodann das lockere
Bindegewebe um Mutterhals und Scheide bcfHllt und von da auf
382 XX. Notizen ans der Journal -Literatur.
die inneren Theiie der breiten Mutterbänder und die Gefäas-
scbeiden übergeht. Er beginnt mit „trüber Schwellung", die
sich dem geübten Auge durch das mehr undurchsichtige, trübe
Aussehen gewisser Züge und Flecke charakterisirt. Zuweilen
kann man auch die grössere Derbheit dieser Stellen fühlen. Bei
grösserer Heftigkeit des Processes nimmt das Gewebe einen
leicht gallertartigen Zustand an. Die mikroskopische Unter-
suchung zeigt die Bindegew ebskörper vergrössert, ihren Inhalt
dichter, reichlicher, zuweilen deutlich körnig, den Zellenkörper
als eine trübe Masse. Bald vergrössern und theilen« sich die
Kerne. Bei nur massiger Reizung theilen sich die Zellen selbst;
zuweilen findet man dann an Stelle der sonst einfachen Spindel-
■ oder Netzzellen ganze Reihen kleinerer, rundlicher , semmel-
förmig an einander gereihter Granulationszellen. Diese ver-
grösserten oder gewucherten Elemente unterliegen sehr früh einer
meist unvollständigen Fettmetamorphose.
Durch diese einfachste und im Wochenbette wohl sehr häufige
Form kann die Rückbildung des Uterus eine Zeit lang- aufgehalten,
zuweilen auch die Veranlassung zu ausgedehnterer Thrombose
gegeben werden, — eine vollständige Rückbildung wird immerhin
durch die Fettmetamorphose der Granulationszellen im Binde-
gewebe ermöglicht.
Die Erkrankung kann jedoch, namentlich unter epidemischen
Einflüssen, den Charakter einer diffusen Phlegmone annehmen,
und diese Form ist es, welche die gefährlichsten Puerperalfieber-
erkrankungen begleitet und bei welcher die Lympbgefässe so
häufig betheiligt sind, dass bis in die neueste Zeit deren Er-
krankung geradezu als das Wesentliche betrachtet worden ist.
Die hierbei beobachtete Erweiterung der Lymphgefdsse , ihre
Erfüllung mit festen oder flüssigen Massen von gelber, 'gelb-
weisser, selbst puriformer Beschaffenheit hat man auf eine
Lymphangioms bezogen. -Nach V. dagegen ist dieser Zustand
als Lymphthrombose aufzufassen. Diese wird nur durch die
schlimmsten Formen der Metritis und Parametritis hervorgerufen;
tritt sie aber ein, so ist dies relativ günstig, indem durch das
Aufhören der Strömung, also auch der Resorption, und durch
die Sequestration der schädlichen Stoffe der Verbreitung der
Infection vorgebeugt wird. Wo es zu keiner Bildung von Lymph-
thromben kommt, finden sich daher gewöhnlich, in Folge der
Zuführung eines reizenden Stoffes von dem phlegmonösen Heerde
aus, bedeutende Veränderungen , besonders der nächsten Lymph-
drüsen. Derselbe Stoff kann auch weiterhin in die Säfte masse
übergehen, fieberhafte Zustände, sowie parenchymatöse Ent-
zündung der Nieren und Leber und andere Erkrankungen ent-
fernter Organe bedingen. Bei entsprechender Heftigkeit des '
örtlichen phlegmonösen Processes kann es zu einer festen
XX. Notisen aus der Journal -Literatur. 38ö
diphtberitiseben Degeneration, an einer Art von brandiger Kr*
weichung, ja selbst zu einem wirklich fauligen Zerfall kommen.
Die besprochene Reihe von Processen bietet durch die Art
ihrer Ausbreitung, ihre frühzeitige Verbindung mit Erkrankung
der Lymphgefasse und Lymphdrüsen, ihre Neigung zu destrairenden
Ausgängen und zu Erzeugung deletärer Stoffe eine grosse Aehn-
lichkeit mit den erysipelatösen und psendoerysipelatösen Formen
der Haut und Unterhaut, eine Aehnlichkeit, die sich auch auf
die in den einzelnen Fällen bald supponirten, bald nachweisbaren
Ursachen erstreckt.
{Virchow't Archiv, Bd. XXIII., Heft 3 u. 4.)
Hummel: Vernachlässigte Querlage, Decapitation mit
Braun1» Schlüsselhaken.
Bei einer Sechstgebärenden stellten sich, angeblich vier
Wochen an früh, Wehen ein; das* Fruchtwasser ging alsbald ab.
Die Hebamme, eine Steisslage annehmend, zog erst nach zwei-
tägigem Kreissen einen Geburtshelfer hinzu, welcher das Kind
quergelagert und den rechten Arm vorgefallen fand. Nach
stundenlangen vergeblichen Versuchen desselben, die Wendung
auf die Fasse auszuführen, wurde 27. zugezogen — 60 Stunden
nach Abflus8 des Fruchtwassers. Dieser fand die Kreissende
sehr erschöpft, die rechte Schulter des längst todten Fötus tief
in das Becken herabgepresst, den rechten bereits schwarzblauen
und angeschwollenen Arm bis zum Ellenbogen aus dem Scheiden-
munde hervorhängend, den Muttermund verstrichen,' den Uterus
kraftig um die Frucht contrahirt. Nachdem die Kreissende auf
das Querbett gebracht, ging H. mit der linken Hand ein, fand
den Kopf nach links und rückwärts gekehrt, nmfasste den Hals
mit den Fingern nach vorn zu und setzte den Schlüsselhaken
unter Leitung jener Hand an. Nach einigen Drehungen war die
Decapitation vollständig gelungen, worauf der Rumpf am vor-
liegenden Arme ausgezogen wurde, — der Kopf Hess sich dann«
leicht an den Halswirbeln fassen und entfernen.
Die Operation soll kaum drei Minuten gedauert und der
nicht narkotisirten Frau kaum irgend erhebliche Beschwerden
verursacht haben. Das Wochenbett verlief günstig. Der Fötus
hatte 19" Zoll Länge und trug die Merkmale der frühzeitigen
Geburt und der Verwesung.
(Wiener Med. -Halle, III. Jahrgang, No. 7.)
384 XX. Notizen aas der Journal -Literatur.
Peschko: Kaiserschnitt wegen Anomalie des Beckens.
P. wurde wegen v hochgradiger Beckenverbildung zu einer
kreissenden 26 jährigen Nähterin berufen, welche bis zum siebenten
Jahre an Rachitis und im neunten Jahre an einem acuten Gelenk-
rheumatismus gelitten hatte, seither jedoch immer gesund gewesen
war. Er fand sie gut genährt und von gesundem Aussehen, ihre
Körperg rosse 44", den Stamm viel kleiner als gewöhnlich, jedoch
wohlgebildet, keine Verkrümmung der Wirbelsäule ausser Abplattung
der Kreuzbeingegend; — über die unteren Extremitäten wird nur
bemerkt, dass die Füsse kurz, dick, fleischig waren. Das Becken
war seicht, und statt der Aushöhlung des Kreuzbeins fand sich
eine halbkugelförmige, harte, unbewegliche und glatte Hervor-
ragung von der Grösse eines Kindeskopfes; der gerade Durchmesser
zwischen derselben und den Schambeinen betrug kaum l'/s". Die
äussere Untersuchung Hess ein reifes, lebendes Kind erkennen.
Drei Tage nach dem Beginne der Wehen wurde bei noch
stehenden Wässern und in der Narkose zum Kaiserschnitt ge-
schritten. Nachdem 1" unter dem Nabel und l1/," Zoll über der
Symphyse die Enden des Hautschnittes markirt waren, wurde die
Bauchhaut in eine Querfalte aufgehoben, so dass jene Punkte
einander gegenüber standen,. darauf ein spitziges Bistouri von dem
unteren zum oberen durchgestossen , und die Hautfalte nach vor-
wärts getrennt Die Bauchhöhle wurde in der Art eröffnet, dass am
oberen Wundwinkel vorsichtig bis auf das Bauchfell eingeschnitten
und dieser Schnitt auf der Hohlsonde erweitert wurde, worauf unter
Leitung des Zeige- und Mittelfingers die Trennung bis zum unteren
Wund winkel v vorgenommen ward. In paralleler Richtung wurde
sodann mit einem bauchigen Bistouri der Uterus eingeschnitten
und die Eihäute gesprengt. Das Kind wurde leicht entwickelt, die
massige Blutung durch in kaltes Wasser getauchte Schwämme ge-
stillt; die Gebärmutter zog sich nach Entfernung der Nachgeburt
kräftig zusammen. Eine darauf vorgefallene Darmpartie wurde
leicht zurückgebracht, die Bauchwunde mit drei Knopfnähten ge-
heftet und darüber zwei drei Finger breite, um den Körper gehende
Heftpflasterstreifen angelegt. Der untere, mit Charpie belegte
Wundwinkel blieb frei. Zu beiden Seiten der Wunde wurden Com-
pressen aufgelegt und mit einer Leibbinde befestigt.
Die Reaction war eine verhältnissmässig nicht bedeutende.
Am neunten Tage nach der Operation wurden die Nähte entfernt.
Binnen vier Wochen war die Wunde unter Zurücklassung einer
gegen 2'" breiten, etwas vertieften Narbe geheilt. Das Kind,
welches schon zwei Tage nach der Operation angelegt wurde, war
18" lang, gut genährt und durchaus wohlgebildet.
(Wiener med. Woohenschr., XII. Jahrg , No. 9 u. 10.)
XXI. Literatur. 385
XXL
Literatur.
Klinik der Gebart skunde. Beobachtungen und Unter-
suchungen aus der Gebäranstalt zu München von
Dr. C. Hecker, o. Ö. Professor der Geburtskunde, und
Dr. L. Buhlj o. ö. Professor der patholog. Anatomie
an dor Ludwig- Maximilians - Universität daselbst.
Leipzig, Verlag von Wilhelm Engelmann, 186]. 342 Pag. mit
9 lithographirten Tafeln.
Dieses gute Buch* sei hie/durch den Collegen auf das
Beste empfohlen. £s ist die dankenswerthe Arbeit zweier Männer,
die mit vortrefflicher Beobachtungsgabe ausgestattet, einen ganz
ausserordentlichen Fleiss darauf verwendet haben, das in der
Münchener Gebäranstalt in der Zeit vom 1. Juni 1859 bis ult.
September 1860 gebotene Material (1584 Geburten) sowohl in
physiologischer und klinischer, als auch in pathologisch anato-
mischer Besiehung auszunutzen. Das Zusammengehen eines
Klinikers mit einem Lehrer der pathologischen Anatomie für die
Bearbeitung eines so grossen Materials, ist an sich schon ein
Eraigniss, aus welchem sich der grösste Gewinn für die Wissen-
schaft erhoffen lässt. Als ein ganz besonders glücklicher Umstand
aber ist es an begrüesen, dass gerade Hecket und Buhl sich zu
gemeinschaftlicher Arbeit gefunden und verbunden haben, Männer,
von denen es bekannt ist, dass sie in seltenem Maasse Lust
und Sinn besitzen, sich den schwierigsten und mühevollsten
Detailforschungen hinzugeben. Die Forschungen haben sich
über das ganze Geschlechtsleben des Weibes und über das ge-
sunde und kranke Verhalten der Neugeborenen erstreckt. Keines
der wichtigeren Kapitel unserer . Fachwissenschaft ist in dem
Buche anbesprochen, mit besonderer Ausführlichkeit aber sind
Gegenstande, welche den herrschenden Tages fragen angehören,
behandelt. Das Buch bildet gleichsam eine Reihe guter Ab-
handlungen, deren jede einzelne interessant und belehrend ist.
Bald finden wir eine Fülle neuer Thatsachen, aus denen sich
ein bisher unbekanntes Gesetz ergiebt, — bald finden wir für
bekannte Thatsachen eine neue Erklärung, — bald wieder
Material, welches wir nach dem jetzigen Standpunkte der Wissen-
schaft noch nicht verwerthen können, welches aber die Verfasser
als Ausgangspunkt und Vorarbeit für künftige Forschungen nieder-
gelegt haben. Dabei ist die Sprache durchweg klar, nüchtern,
fern von jader Phrase und streng gestützt auf den Beweis der
Thatsache. Gehen wir an die Analyse des Buches.
MonatMchr. f. Geburtak. 1862. Bd. XIX., Hfl. 5. 25
3£6 XXI. Literatur.
Das Bach besteht aus einem geburtshülflich- klinischen Theil,
«bearbeitet von Hecker y and aas einem pathologisch -anatomischen
Theil, bearbeitet von Buhl.
Der klinische Theil
ist eingeleitet durch eine allgemeine Statistik und ein Kapitel
über den Eintritt der ersten Menstruation. Sodann folgt .der
erste Hauptabschnitt:
A. Physiologie der Schwangerschaft
Veränderungen im Körpergewichte Schwangerer.
Dieses Kapitel bringt nur die Resultate aus den sehr sorgfältigen
Untersuchungen, welche der Assistenzarzt der Münchener Gebär-
anstalt, Herr Dr. U. K. Gaasner, angestellt hat. Diese Unter-
suchungen, welche sich auch auf die Veränderungen bei Ge-
bärenden und Wöchnerinnen erstrecken, sind inzwischen von
Herrn Dr. Gassner in der Monatsschrift für Geburtskuade, Bd. XIX.,
Heftl, veröffentlicht worden, und wir machen wegen der hohen
Wichtigkeit des Gegenstandes und wegen des mühsamen Fleisses,
der darauf angewandt worden ist, auf diese Arbeit ganz besonders
aufmerksam. Aus den Wägungen Schwangerer ergiebt sieh für
die letzten drei Monate eine nicht unbedeutende Gewichts-
zunahme, welche natürlich in dem Wachsthume der Fracht allein
ihren Grund nicht linden kann. Die Durchschnittszahl für die
Gewichtszunahme betrug im achten Monate 4,8 Pfund, im neunten
Monate 3,38 Pfund und für den zehnten Monat 3,08 Pfund.
Veränderungen in dem Umfange des Leibes
Schwangerer. Hecker hat hierüber sehr sorgfältige Messungen
angestellt. Diese ergeben bei den verschiedenen Individuen
natürlich sehr grosse Schwankungen, z. B. im neunten Monate
zwischen 89 — 112 Centimeter, im zehnten Monate 88 — 116, während
der Geburt zwischen 90 — 116 Centimeter. Oeftere Messungen
bei einer und derselben Person ergaben, dass die Gircumferenz
des Leibes bis zur Geburt in der Regel gleichmässig zunimmt,
und dass die Zunahme für den letzten Monat ungefähr 3 — 4, für
die beiden letzten Monate 7 — 8 Centimeter beträgt. Seine
Messungen im zehnten Monate hält Verf. für zahlreich genug,
um die Aufstellung einer Durchschnittszahl, nämlich von 100 Centi-
meter zuzulassen. Der durchschnittliche Umfang bei Primiparis
im zehnten Monate beträgt nur 97 Centimeter.
Beschaffenheit der Bauch wand ung^n. Die Ansicht,
dass die Festigkeit, Straffheit, Dicke u. s. w. der Bauchwandungen
sich mit der Zahl der abgelaufenen Schwangerschaften verhältniss-
mässig vermindere, hat Verf. nur sehr im Allgemeinen richtig
gefunden, da ihm sehr viele Ausnahmen von dieser Regel vor-
gekommen sind. Die Striae gravidarum fehlten in 6,6 Procent
der Fälle (nach Crede in 10 Procent). Unter den Primiparis
fehlten sie in 11 Procent. Verf. macht auf eine Art eigenthüun-
XXI. Literatur. 387
.lieber Stria« aufmerksam, welche nicht in oder unter dem Niveau
der Haut, sondern über demselben liegen, und hervorragend
wie hydropiaeh angeschwollen erseheinen. Dies Phänomen nimmt
man nur in der Regio hypogastrica and zwar dann wahr, wenn
dnreh irgend einen Umstand, besonders durch Ueb erhängen des
Unterleibes ein ungewöhnlicher Druck auf die Vena epigastrica
ausgeübt wird.
Lage der Frucht im Uterus. Verf. hat die Erfahrung
gemacht, dass die Frucht längere Zeit vor dem Ende der
Schwangerschaft durchaus nicht so stetig mit dem Kopfe nach
unten gelagert ist, als angenommen wird, und dass ziemlich
häufig Wandlungen in der Fruchtlage und zwar ebensowohl
Drehungen um die Queraxe als um die Längsaxe vorkommen.
Die Längsaxe dee Kindes und des Uterus schnitten - sich unter
500 Fällen 31 Mal. Unter diesen 31 Fällen ist nur ia 2 Fällen
die ursprüngliche Lage bei der Geburt beibehalten worden und
in Form einer Schulterlage aufgetreten, in den 29 übrigen Fällen
bildete sich Kopflage. Neben diesen spontanen Wandlungen kin
der Fruchtlage hat sich dem Verf. sehr oft die Leichtigkeit der
künstlichen Wandlung durch äussere Handgriffe herausgestellt.
Er bat sich mehrfach überzeugt, dass es sehr leicht ist, den
Kopf sowohl nach dem Beckeneingange als auch weiter aufwärts
selbst über die Queraxe des Uterus hinaus zu verschieben, nach
welcher Manipulation der Kopf gewöhnlich ziemlich schnell auf
seine alte Stelle zurückgleitet. Ebenso gelingt es bei Becken-
endlagen oft überraschend leicht, den Kopf vom Fundus hinweg
nach unten und zwar wieder über die Queraxe des Uterus hinaus
zu dislociren, worauf man ihn langsam wieder aufsteigen fühlt,
oder selbst durch die Bauchwandungen hindurch an seinen
Ccntouren diese Bewegung mit dem Gesicht erkennt. Bei sorg-
fältiger Verfolgung derartiger Fälle beobachtete Verf., dass in
der grösseren Mehrzahl das Kind in einer Beckenendlage geboren
wurde r dass aber ausnahmsweise bei der Geburt der Kopf den
vorangehenden Theil bildete, ja znweilen einige Zeit vorher
schon als vorliegend erkannt werden konnte. Verf. verwahrt
sich ausdrücklich gegen den Einwand einer Fälschung in der
Beobachtung, da die Anwendung aller Untersuchungsmethoden,
die Häufigkeit der Thatsac'hen , endlich der genaueste Vergleich
der Ergebnisse während der Schwangerschaft mit den Er-
scheinungen während der Geburt ihn von der- Wahrheit überzeugt
haben. Um jedem Widerspruche vorzubeugen K giebtVerf. endlich
eine Tabelle von 15 sehr genau controlirten Fällen, in denen
eine Umdrehung der Frucht im Uterus um die Längsaxe oder
um die Queraxe stattgefunden hat.
•Ergebnisse der Auseultation. Die Untersuchungs-
methode mittels des Stethoskops ist dem Behorchen mit dem
26*
388 XXI Literatur.
blossen Obre vorsusiehen. Entgegen der Behauptung Franken-
häuser7» hält sieh Verf. auf das Bestimmteste für überzeugt, das«
mitunter bei lebenden Kindern die Herstöne desselben in den
letzten Monaten der Schwangerschaft nicht aufzufinden sind. —
Die Stelle, wo die Herztöne am Deutlichsten gehört werden,
zeigt uns nur an, wo der Rücken der Frucht sich befindet, ob
aber der Kopf oder das Beckenende vorliegt, kann man mit
Sicherheit aus der Stelle nicht entnehmen. — Aus der Zahl der
Herztöne kann man auf das Geschlecht des Kindes keinen Schluss
thun. — Das sogenannte Nabelschnurgerttusch wird am Besten
wahrgenommen in der Nähe der deutliehsten Kindesherstöne.
Dasselbe ist entschieden systolisch und ▼erhält sich au den
Herztönen der Frucht, wie die Aortenpulsation oder das Uterin-
geräusch zu den mütterlichen Herztönen; es ist sehr wandelbar,
verschwindet mitunter und kehrt nach einigen Tagen wieder. —
Die Angaben Frankenhäuser' e , dass es häufiger bei Becken-
endlagen vorkomme, und dass es nach dem Wasserabflüsse ver-
schwinde, kann Verf. nicht bestätigen.
Beschaffenheit der Brüste. Verf. ist der Ansicht, dass
man aus dem Vorhandensein der sogenannten Montgomery' sehen
Drüschen nicht mit zweifelloser Sicherheit anf Gravidität schliessen
kann, da sie zuweilen nach einer stattgehabten Geburt sehr lange
persistiren, und wir überhaupt über Art und Zeit ihrer Kuck-
bildung noch sehr im Unklaren sind, so dass sie sich eben nur
bei Erstgeschwängerten als Zeichen des Zustandes verwerthen
lassen. y
Dauer der Schwangerschaft. Verf. giebt eine Tabelle
von 109 Geburten, bei dene/i sich der Termin der Conception
und das Datum der letzten Menstruation soweit ermitteln Hessen,
dass die Fälle nach des Verf. sehr sorgfältiger Kritik für die
Berechnung der Schwangerschaftsdauer als brauchbar aufgestellt
werden können. Bei der grossen Excursion in den gefundenen
Zahlen und bei der Concurrenz der verschiedenen auf die Be-
endigung der Schwangerschaft influirenden Momente müssen wir
auf die Tabelle selbst verweisen.
Untersuchungen über die menschliche Frucht. Dies
Kapitel enthält die Resultate von sorgfältigen Wägungen und
Messungen von Neugeborenen, Bemerkungen über die Nabelschnur-
insertion, den Knochenkern in der Oberschenkelepiphyse und
über die Anhänge der reifen Frucht. Hiermit schliesst der Ab-
schnitt von der Physiologie der Schwangerschaft.
B. Physiologie der Geburt.
Verf. beginnt mit einer Klage über die mangelnde
Einigkeit in Deutschland betreffs der Eintheilung • der
Kindeslngen. Er lehrt zwei Knndamentallagen und zwar bei
XXI. Literatur. 389
Geradlagen, je nachdem der Rücken sich link* oder rechts befindet,
nnd bei Schieflagen, je nachdem der Kopf links oder rechts
abgewichen ist.
Die Vorderscheitellagen entstehen nach des Verfassers
Ansicht in den allermeisten Fällen durch ein Aasbleiben der
Rotation des Hinterhauptes nach vorn. Grund dafür ist: das
Fehlen des gewöhnlichen Hindernisses. Verf. beweist dies durch
33 genau beobachtete FKlle. Pas Durchschnittsgewicht bei
28 Kindern war 5,6 Pfund, also 1 Pfund unter Normalgewicht. —
Der durchschnittliche Kopfumfang betrug bei 26 Kindern 32,67 Conti-
meter, also 2 Centimeter unter Normalumfang. Die Schädel-
durchmesser waren in 25 Fallen durchschnittlich: der diagonale
nm 5, der gerade um 6, der quere um 3 Millimeter unter Norm.
Also, wie schon Andere beobachtet, nur nicht so klar bewiesen
haben: kleine runde SchHdel passiren hänfig das Becken in diesem
ungewöhnlichen Mechanismus.
Gesichtslagon. In vier Fällen ist kurze Zeit vor der
Geburt das Scheidengewölbe leer gefanden worden, welcher Um-
stand die Theorie ScanzonVs unterstützt, dass Gesicbtslagen aus
der unvollkommenen Umwandlung von Schieflagen in Schädellagen
hervorgehen. Die Messungen und Wägungen an zwanzig Kindern
haben ergeben, dass das Durchschnittsgewicht etwa 100 Grammen
über Norm, der Durchschnitts -Kopfurofang 1,07 Centimeter
über Norm und dio diagonalen, geraden und queren* Schädel-
dnrehmesser durchschnittlich nm resp. 1 , 6 und 5 Millimeter
über die Norm waren. Fs ist hierdurch wieder bestätigt, dass
Oesichtslagen meist bei reifen nnd grossen Kindern vorkommen.
Verf. macht auf eine Anschwellung der Glandula thyreoidea auf-
merksam, die ihm besonders bei Kindern, die in der Gesichtslage
geboren, wurden, aufgefallen ist, die er aber auch bei Scheitel-
lagen beobachtet hat.
Beckenendlagen. Verf. macht für die Diagnose auf ab-
wärts gerichtete stossende Bewegungen der unteren Extremitäten
des Kindes aufmerksam, welche der untersuchende Finger bei
durchgängigem innerem Muttermunde wahrnimmt.
Verf. schliesst den Abschnitt über Geburt mit seinen Er-
fahrungen über Zwillings geburten und weist hierbei auf
eine bei den verschiedenen Bruderstäramen des deutschen Vater-
landes obwaltende sehr auffallende Differenz hin. nämlich betreffs
der Häufigkeit der Zwillings- und Drillingsgeburten. Bayern
ragt hierin besonders hervor. In den Jahren 1925 — 1857 kamen
in Bayern auf 60 Geburten eine Zwillingsgeburt, während in
Prcussen auf 93-80 Geburten eine solche kommt. Bayern
zunächst steht Mecklenburg -Schwerin mit einein Verhältnisse
von 69 : 1.
390 XXI- Literatur.
C. Physiologie des Wochenbettes.
Hier sind zwei Untersuchungsniethoden hervorzuheben, mit
denen sich Verf. vorzüglich beschäftigt hat. Die erste bezieht sich
anf die Gewichtsveränderungen, welche bei Gesunden beobachtet
werden. In 288 Fällen ist der Unterschied festgestellt worden
zwischen dem Gewichte gleich nach der Gebnrt und am achten
Tage des Wochenbettes, und es hat sich als durchschnittliche
Gewichtsabnahme 9,143 Pfund oder 4571 Grammes ergeben. Nicht
minder war man bemüht, festzustellen, in welcher Weise sich
dieser Gesammtverlnst auf die einzelnen Tage des Wochenbettes
vertheilt.
Eine zweite Untersuchungsmethode hatte den Zweck, die
Involution des Uterus durch Maass und Gewicht zu controliren.
Obwohl nun diese Untersuchungen sich auf Sectionsobjecte und
daher nur in der Minderzahl der Fälle auf gesunde Organe er-
streckte, so ist die in einer Tabelle von 48 Beobachtungen dar-
gestellte Arbeit doch eine sehr dankenswerthe nnd bietet für
weitere Forschungen eine sehr schätzbare Grundlage. Heben
wir hier nur die eine Thataache hervor, dass die herkömmliche
Angabe über das Gewicht des Uterus gleich nach der Gebart
von 1— 1% Pfund wahrscheinlich zu niedrig gegriffen ist, und
dass eine Gewichtsannahme von mindestens 2 Pfund der Wahr-
heit gewiss viel näher kommt.
D. Pathologie der Schwangerschaft und Geburt.
Es ist sehr interessant zn erfahren, und es ist darin für
viele Beobachtungen und Behandlungsmethoden des Münchener
Hauses eine Erklärung zu finden, dass H. es meist mit der
kräftigen robusten Constitution des oberbayerischen Volkes zu
thun hat. Grosse Reizlosigkeit der Gebärorgane und überaus
seltenes Vorkommen von Wehenschwäche bedingen die Seltenheit,
in welcher Wehenanomalien zur Untersuchung kommen. • Mutter-
korn als Pollens kam fast gar nicht in Anwendung. Dagegen
ist die geringe Gelegenheit wenigstens zu Versuchen mit örtlichen,
mechanisch die Innenfläche des Uterus reizenden Mitteln benutzt
worden. Verf. fand, dass das Einlegen eines Katheters u. s. w.
in den Uterus nicht immer eine so sehr leichte Sache sei,
betrachtet das Mittel als sehr schätzbar zur Bekämpfung der
Wehenschwäehe , namentlich dann, wenn uns die phnrmaceutischen
Mittel in Stich fassen, lässt es aber dahingestellt, ob das Mittel
nicht auch seino Nachtheile haben kann. — Aus denselben
Ursachen, welche beweisen, dass man in Oberbayern seltener
als anderswo ausgesprochene Wehenanomalien zn sehen bekommt,
resnitirt nach i7.'s Meinung auch die Thatsche, dass hochgradige
Beckenverengerangen dort zu Lande zu den grossen Seltenheiten
gehören. Daher kommt es, dass H, nur über 20 Fälle von ver-
XXI. Literatur. 391
minderte r BeekencaptMttät au referiren hat, und dass unter diesen
eiea nur zwei befinden, bei denen der gerade Durchmesser des
Beokeneingangs kleiner als 8 Zoll war.
Was den Verlauf und die Behandlung dieser Fälle anbetrifft,
so giebt uns Verf. die Geschiehtseraählungen mit meisterhafter
Naturtreue und knüpft sehr lehrreiche Besprechungen von Tages-
fragen daran , z. B. über den Werth von Instrumenten au innerer
Beckenmessung (vergl. dagegen Qermann, über innere Becken-
messung durch zwei neue Instrumente, Monatsschrift f. Gebnrtsk.,
XVIII. Bd., Supplement -Heft, pag. 174), ferner über die Wendung
als Mittel zur Beendigung schwieriger Geburten u. s. w.
£s reiht sich hieran die Mittheiluog von einer eigentüm-
lichen Conglutination des Muttermundes durch Verwachsung
desselben mit den Eihäuten, und endlich der Bericht über
Geburtshindernisse, welche von dein kindlichen Kb'rper ausgehen,
betreffs anomaler Gestaltung und anomaler Lage desselben.
Sodann geht Verf. zu verschiedenen Complioationen der Schwanger-
schaft und Geburt über und bespricht hierbei folgende sehr
wichtige Themata.
Partus praecipitatus. H. hält sich nach seinen Er-
fahrungen für überzeugt, dass eine von der Geburt überraschte
Person wohl in aufrechter Stellung niederkommen kann. Das
Zerreissen der Nabelschnur bei Sturzgeburten ist seiner Meinung
nach bedingt durch die Wirkung der Schwere, durch die Propulsiv-
kraft des Uterus und endlich durch die Beschaffenheit der Nabel-
schnur. Für die Beurtheilung der Verletzungen, welche ein Rind
durch Sturzgeburt erlitten haben soll, empfiehlt H. äusserste
Vorsicht, da die für das Kind aus der Sturzgeburt entstehenden
Nachtheile in früheren Zeiten gewiss Behr überschätzt worden sind.
Eclampsie. H. hat in der Gebäranstalt gar keinen Fall
von Eclampsie und nur ausserhalb derselben zwei Fälle beobachtet.
In beiden hat zwischen der Krankheit und der Geburtsthätigkeit
gar kein Zusammenbang stattgefunden. In beiden Fällen wurde
Eiweissgehalt des Urins als Begleiterscheinung der Eklampsie
nachgewiesen, und in dem einen Falle war derselbe schon vor
dem Ausbruche der Convulsionen vorhanden. Verf. spricht sich
für die Hypothese der urämischen Intoxication aus.
Dam in ri 88. Bei der Entstehung des Dammrisses lässt H
den kindliehen Schädel nicht die wichtige Rolle spielen, die
Andere ihm zuertheilen. Denn eine sorgfältige Messung von
37 Köpfen, bei deren Durchtritt der Damm eingerissen, hat er-
geben, dass bei der Mehrzahl der Umfang unter dem Durchschnitts-
werthe blieb, ja dass er nicht selten ungewöhnlich klein war.
Und obwohl zuzugeben sei, dass ungewöhnliche Stellungen des
Schädels, wie Schräg • oder Querstand , unvollständiger Durchtritt:
des Hinterhauptes unter den Schambogon den Damm in eine
392 XXI. Literatur.
abnorme, su Ruptur disponirende Spannung versetzen könne,
so ist es doch nicht wahrscheinlich, dass Vorderscbeitellage oder
Gesichtslage wesentlich den Dammriss befördern sollte, da unter
42 Dammrissen kein einsiger bei Vorderscheitellage oder Gesichts-
lage vorgekommen ist. Von grösster Beachtung aber sei eine
pathologische Beschaffenheit der Dammgebilde , eine gewisse
Mürbheit der Faser in den betreffenden Theilen. Wo diese
obwalte, da sei eine Ruptur gar nicht su vermeiden , und dieses
Verhültniss beträfe etwa 2 Procent der Geburten. Zum Schlüsse
dieses Kapitels giebt ff. 'seine Ansichten und Erfahrungen über-
Leitung der Austreibungsperiode und Dammnath.
Placenta praevia. Verf. bespricht die Quelle der Blutung,
die Todesart. des Rindes und die Znlüssigkeit des Chloroforms
bei dieser Complication der Geburt.
Vorfall der Nabelschnur. Verf. hat ihn in 2* Füllen
beobachtet. In nur 3 Füllen betraf er Erstgebärende und in nur
16 Füllen waren Kopflagen. Als wesentlichsten Factor für das
Znstandekommen dieser Complication glaubt Verf. den tiefen
Sitz der Placenta nennen zu müssen. Der Sitz der Placenta
ergiebt sich aus der Stelle des Eihautrisses. Bei 23 genau unter-
suchten Nachgeburtstheilen fand sich 20 Mal der Riss stark
seitlich oder am Rande der Placenta. In diesen 20 Füllen war
die Nabelschnur nur 3 Mal central inserirt, 4 Mal naher dem
oberen Placentarrande , 13 Mal aber nüher dem unteren, worunter
2 Mal eine Insertio velamentosa. Was die Länge der Schnur
anbetrifft , so überschritt sie in 27 Füllen 23 Mal das Durchschnitts-
inaass von 50 Centimeter. Als bestes und eigentlich als einsiges
Reposition8in8trument empfiehlt ti. die Hand, wo dieser der
Versuch zu reponiren misslingt, da sei auch von Repositorien
kein Heil zu erwarten.
Wechsel ve rhKltniss zwischen Schwangerschaft
resp. Geburt und anderweitigen Krankheiten. Wir
empfehlen dieses Kapitel ganz besonders dem Studium unserer
Fachgenossen. Es enthalt die Bearbeitung eines ziemlich un-
bebauten Feldes, daraus gar noch das Unkraut herkömmlicher
falscher Ansichten auszurotten ist. Es wird dem Verf. stets als
ein hohes Verdienst nachzurühmen sein, dass er sich diesem
wichtigen Gegenstande mit gebührendem Eifer gewidmet und
dass er nicht blos interessantes Material gesammelt, sondern
auch höchst fruchtbare Anschauungsweisen für die weitere
Forschung auf diesem Felde eröffnet hat. Was die specielle
Behandlung dieses Themas anbetrifft, so glaubt Ref. nichts
Besseres thun zu können, als den freundlichen Leser zu bitten,
das Buch selbst zur Hand su nehmen.
Aus der operntiven Geburt «hülfe. Das Belehrende
in diesem Kapitel bilden die Unglücksfälle, die Verf. erlebt hat.
XXI. Literatur. 393
Er erzählt uns: «ine künstliche Frühgeburt mit Tod der Mutter,
Abtrennung einer Intervertebralscheibe beim Kinde durch nicht
besonders starke Anwendung des Präger Handgriffe«, Hnmerns-
fraetur des Kinde* bei Lösung des Armes u. s. w. Die Methede,
unglückliche Ausginge mitzutheilen nnd die Ursachen derselben
gründlich nnd offen au entwickeln, sollte zum Nutzen der Lehrer
und der Lernenden ffeissiger angewendet werden. Docendo
diseimus, aber auch nocendo diseimns.
E. Pathologie des Wochenbettes.
Verf. giebt hier einen Bericht über die im Jahre 1860 in
der Gebäranstalt Münchens beobachtete Pnerperalfieberepidemie.
Die Krankheit herrschte etwa sieben Monate. In dieser Zeit
fanden 663 Geburten statt, 80 Wöchnerinnen erkrankten und es
starben von ihnen 38. Die Formen der Erkrankung waren: die
sogenannte Febricnla, Metroperitonitis mittleren Grades (Peri-
tonitis ohne Pyaemie nach Buhl), Phlebitis (Pyaemie mit Phlebitis
nach Buhl), Peritonitis lymphatica oder Lymphangitis (Pyaemie
mit Peritonitis nach Buhl}. Die Epidemie erzeugte auch eine
der Affection der Wöchnerinnen völlig analoge Erkrankung der
Neugeborenen. Von den 33 Kindern, welche den 33 gestorbenen
Wöchnerinnen angehörten, starben unter epidemischen Einflüssen
nnd meist innerhalb der ersten Tage nach der Geburt 20. Von
den 47 Kindern, welche den 47 erkrankten aber genesenen
Wöchnerinnen angehörten, starben 12 unter denselben Einflüssen.
Die Kinder starben an acuter Blutdissolntion , entzündlich-
septischen Processen und an Atrophie. Was die ätiologischen
Verhältnisse anbetrifft, so prüft Verf. mit grosser Sorgfalt die
localen Einflüsse, die Möglichkeit der Infection durch Leichen-
gift (Semmeltoeiss) und die Disposition zur Erkrankung aus der
Dauer der Geburt. Diese Prüfung gründet sich auf eine sehr
genaue und in alle Details eingehende Statistik und ergiebt als
Resultat: Es hat ein grosser Unterschied in der Erkrankungssahl
zwischen den Zahlenden und Nichtzahlenden zu Ungunsten der
Letzteren stattgefunden. Da die Zahlenden meist erst kurz vor
der Niederkunft die Anstalt betreten, die Nichtzahlenden da-
gegen sieh kürzere oder längere Zeit als Schwangere in der
Anstalt aufhalten, so erhöht wahrscheinlich der Aufenthalt vor
der Niederkunft die Disposition . zur Puerperalerk rankung nicht
unbedeutend, und es ist besonders die erste Woche des Aufent-
haltes als gefährlich zu bezeichnen, da sich die Disposition zur
Erkrankung nicht mit der Daner des Aufenthaltes steigerte,
sondern später eine Abstumpfung bei den Schwangeren eintrat.
Von der Richtigkeit der Semmelweis*1 sehen Theorie hat sich
Verf. nicht überzeugen können, ebensowenig ist es ihm bewiesen,
dass die Dauer der Geburt auf Erhöhung der Krankheitsdisposition
einen grossen Einfluss hat.
394 XXI. Literatur.
Pathologisch-anatomischer Theil.
Das Puerperalfieber.
A. Puerperalfieber der Mütter.
Der Uterus Ist als das constant erkrankte Organ erkannt
worden. Die Affection der Innenwand des Uterus war das Constante
für alle Formen des Puerperalfiebers. Je nach der Ausbreitung
und Fortpflanzung, welche die Erkrankung von diesem Ausgangs-
punkte , sei es längs der Schleimhaut der Tuben, oder durch
die Blut- oder endlich durch die Lymphgefässe nimmt, ergeben
sich nach Buhl drei Formen des Fiebers.
Erste Form. Puerperale Peritonitis ohne Pyaemie.
Der Process steigt durch den Canal einer, seltener beider Tuben
in die Peritonäalhöhle ; es entsteht eipe auf die befallene Seite
beschränkte oder allgemeine Peritonitis, welche ohne die Spuren
einer allgemeinen Infection den Charakter eines reinen Local-
proces8es an sich trägt. Diese Form ist die häufigste unter
nicht -epidemischen Verhältnissen, kommt zur Zeit einer Epidemie
als reine und selbststandige Form sehr selten vor (ist auch in
der Münchener Epidemie nicht vorgekommen) und ist die am
Wenigsten gefährliche.
Zweite Form. Pyaemie ohne Peritonitis. Hier bat
man es einestheils mit den allgemeinen Erscheinungen in Folge
der Resorption jauchig- fauliger Stoffe von der Innenfläche den
Uterus durch die Venen zu thun, anderntheils sieht man nicht
blos die normalen Blutgerinnsel, sondern eiterhaltige und jauchig
zerfliessende , nicht seqnestrirte Pfropfe in den Venen der Uterus-
wand, besonders der Placentarstelle entstehen, und nicht nur
hier, sondern auch in den Venen des einen oder anderen Plexus
pampiniformis , der V. cava inf., selbst der einen oder anderen
Nieren- oder Schenkelvene, sogar in den Herzhöhlen. Die
Venenwand geräth dabei in Entzündung und ist es deshalb ver-
ständlich, diese Form auch „puerperale Pyaemie mit
Phlebitis a (Metrophlebitis u. s. w.) zu nennen. Von da aus
erzeugen sich häufig genug embolische Entzündungen, Ver-
eiterungen und Versehorfungen in den Lungen, in der constant
vergrößerten Milz, den Nieren, in den Augen, im Gehirne u. s. w.
Charakteristisch und für die klinische Diagnostik von Bedeutoag
ist, dass diese Form, wenn sie rein ist, ohne Peritonitis abläuft
und nur höchst selten eine Cotnbination mit einer oder der
anderen Form eingeht. Die Pyaemie ohne Peritonitis ist ge-
fahrlicher uztl tödtet häufiger als die einfache Peritonitis, kommt
sporadisch vor wie diese, häufiger aber unter dem Einflüsse von
Puerperalepidemieen. Bei der diesmaligen Epidemie kam sie
unter 39 Verstorbenen, deren Leichen untersucht wurden, nur
vier Mal vor.
XXI. Literatur. , 395
Dritte Form. Puerperale Pyaemie mit Peritonitis
oder Pyaemie mit Lymphangitis. Die Peritonitis ist hier constant,
die Venen führen dünnflüssiges, missfarbiges Blut, und statt der
Venen (wie oben) bilden hier die Lymphgefasse die Bahnen für
die Resorption, und sowohl die Lymphgefasse und das dieselben
und die Blutgefässe umhüllende Bindegewebe enthalten gelbe
Gerinnsel, Eiter und Jauche. Es ist aber nicht zu verkennen,
dass neben dieser Fortpflansung der Krankheit von Organ zu
Organ auch eine allgemeine Infection durch Aufnahme der
giftigen Stoffe in's Blut entweder unmittelbar vom Uterus aus,
oder mittelbar von der inficirten Lymphe her sich ausbildet.
Diese Form ist die bösartigste und die häufigste bei Epidemieen
von Puerperalfiebern und kam während der betreffenden Epidemie
unter 39 Fällen 35 Mal vor. Verf. giebt nun die Geschichte von
der Entwickelung der Krankheit, schildert zuerst die Veränderungen
am Uterus, sodann die Weiterwanderung der Krankheit in den
Lymphgefä8sen längs des subperitonäalen Bindegewebes, sodann
die Peritonitis als die nächste und bedeutungsreichste Folge der
subperitonäalen Lymphangitis, endlich die Veränderungen an
den einzelnen Organen in der Bauch- und Brusthöhle. Diese
Veränderungen sind erzeugt theils durch die Peritonitis, theils
durch die Austreibung der Infection in den Lymphgefässbahnen
des sub- oder retroperitonäalen Bindegewebes bis hinauf In das
die Brustaorta umgebende Bindegewebe und längs der Intercostal-
und Bronchialarterien zur Pleura gegen die Lungenwurzeln und
gegen das Herz.
B. Puerperale Infection der Neugeborenen.
Die Erkrankung der» Kindes zeigt» sich in einem Abhängigkeits-
verhältnisse nicht unmittelbar von der epidemischen Ursache,
sondern von der Erkrankung der Mütter. 38 der verstorbenen
Kinder stammten nämlich von entschieden kranken Müttern und
kamen schon krank oder todt zur Welt; bei 18 dieser 38 genasen
die Mütter, 20 starben. Hieraus resultirt, dass die Mütter schon
vor dieser Niederkunft inficirt waren, sonst hätte die Infection
uioht von der Schwangeren auf das Kind übertragen werden
können, und war zur Infection nicht gerade die wunde Ober-
fläche des Uterus nothwendig. Es stellte sich ferner heraus,
da** die Sterblichkeit der Kinder grösser war als die der Mütter,
dass je heftiger die Mutter erkrankte, um so grösser auch die
Lebensgefahr fiir das Kind war, dass aber bei leicht erkrankten
Müttern das Kind der Lebensgefahr keineswegs überhoben war,
ja man konnte sogar die Vermnthung nicht unterdrücken, dass
die Kinder inficirt werden könnten, ohne dass ihre Mütter aus-
gesprochene Erscheinung von Infection an sich trugen.
Je nach dem Zeiträume, in dem die Neugeborenen starben,
stellten sich so bedeutende Verschiedenheiten in dem Befunde
396 XXI- Literatur.
heran«, das* es Verf. am passendsten hielt, die Fälle in drei
Reihen sn sondern.
Erste Reihe. Die Kinder sind unter dem Einflüsse der
puerperalen Infection todt geboren oder haben höchstens einige
Athemzfige gemacht. Die Leichen tragen die Zeichen der
raschesten Fänlniss an sich. Ausgeprägte Localerscheinnngen
waren nicht vorhanden, nur folgende Verminderung war allen
gemeinsam: eine' sulzig-seröse Infiltration im Bindegewebe um
die in der Bauchhöhle verlaufenden , im TTebrigen aber unver-
änderten NabelgefBsse, welche von da aus sich mehr oder weniger
weit im snbperitonäalen Bindegewebe, weniger längs der Nabelvene
gegen die Leberpforte, als vielmehr'längs der Nabelarterien bis
auf die WirbelsSnle und von hier längs der Aorta bis in das
Bindegewebe des Mediastinum ausbreitete, ferner längs der von
der Aorta abgehenden Aeste, namentlich längs des die Leber-
arterien umhüllenden Glisson1 sehen Bindegewebes bis zu deren
dritten bis fünften Verästelung in's Leberparenchym vordrang,
anch wohl durch das Gekröse gegen die Darm Windungen.
Zweite Reibe. Die Charaktere dieser Reihe sind am
schärfsteh bei denjenigen Kindern ausgeprägt, welche am zweiten
Tage (am Tage der stärksten Mortalität) starben. Der Körper
war in der Regel mit sehr umfänglichen Todtenfl ecken versehen.
Blutergüsse am und im Kopfe nicht selten, das Gehirn seigte
in der Regel Blutreichthum und dadurch graurötbliche Färbung
des Markes. Die wichtigsten und die Krankbeitsform charakteri-
strenden Veränderungen sah man im Bereiche der Respirations-
organe, nämlich eine eigentümliche Infiltration in's Lungen-
parenchym. Die infiltrirten Theile waren vollkommen luftleer
nnd von sehr grossem Blutgehalte. Die kranken Theile fühlten
sich dicht, derb, compact an, waren sehr brüchig, su weilen
ausserordentlich weich. Von der Schnittfläche quoll eine schmierige
missfarbige bräunlich rothe Flüssigkeit herab; welche den vollen
Anschein blutiger Jauche hatte, Fäulnissgeruch darbot und
mikroskopisch neben wohl erhaltenen Blutkörpern dem grüssten
Theile nach aus Molecülen, Körnerxellen und Resten von ver-
störten Blntkörpern und Zellen ,- namentlich in Zerfall begriffenen
Primitive eilen (Eiterkörpern) bestand. Der Pleuraübersug fühlte
sich klebrig an und war dies durch ein aufliegendes, faden-
siehendes, blutigseröses Exsudat erzeugt Das Mikroskop er-
kannte darin ebenfalls Molecüle, Körnersellen, Blutkörper- und
Zellenreste. Die Pleuramembran war gequollen und sehr brüohig,
anweilen leicht von der Lunge ablösbar. Dabei war sie im
Allgemeinen trübe durch eine Beimischung von Grau und Gelb,
welche Farben in Streifen und Netaen aufgetragen der Lnngen-
oberfläche ein gitterartiges Ansehen gaben. Die Unterleibs-
organo zeigten keine besonderen Veränderungen , nur die Nieren
XXI. Literatur. 397
verdienen des fast cons tauten and beträchtlichen Harnsäure-
infarctes wegen hervorgehoben zu werden. Verf. vergleicht nun
die Infection der Neugeborenen mit der dritten Form puerperaler
Erkrankung 4er Mütter, sucht ihre Identität zu beweisen und
schlägt für die bisher beschriebenen Formen von puerperaler
Infection der Kinder den Namen „Pyämie mit L'ymphangitis *
vor, um auf diese Art schon durch die Benennung ihre wesentliche
Gleichheit mit der ebenso bezeichneten Form von Puerperal-
fieber kenntlich zu machen.
Dritte Reihe betrifft Kinder, welche den zweiten Tag
überlebten, und deren Körper je nachdem der Tod am i.9 12.,
14., 16. bis zum 26. Tage eingetreten war, einen Gewichtsverlust
von resp. circa a/4 Pfand, 1, l1/,, ls/4 bis 2r/e Pfund erlitten hat.
Insofern keine sonstigen den Tod zunächst erklärenden Ver-
änderungen vorliegen , fasst Buhl diese so bedeutende Abmagerung
als Todesursache auf und macht daraus eine besondere Forin
von puerperaler Infectionskrankheit: „die Atrophie". Die
jüngere Hälfte der Kinder zeigte ikterische Hautfarbe und
gelblich gefärbte Flüssigkeiten und Organe, die älteren Kinder
zeigten Runzelung, Blässe und unbestimmte lederähnliche Färbung.
Auch Jnduratio telac cellulosae, Eiterpusteln und leicht ödeina*
tische Schwellung am Gesicht kamen vor. Der wichtigste Befund
liegt im Nabel und dessen Gefttssen. Die Nabelschnur ist fast
ohne Ausnahme abgefallen, am Nabel und dessen Gefäseen waren
entschieden krankhafte Veränderungen zu sehen. Die Bauchwand
zeigte eine Oeffhung, welche in einen weiteren Raum fahrte,
dessen Wände geschwürsähnlich sich verhielten, und mit bräun-
lichen, leicht blutenden Granulationen oder längeren feinen
Zöttchen besetzt waren. In diesen Raum mündeten wie in eine
Cloake die Nabelgefässe vom Bauche her offen ein. Er enthielt
eiterähnliche oder jauchig -schmierige Masse von faulem Geruehe.
Es ist kein Zweifel, dass die Cloake durch brandige Zerstörung
des Bindegewebes entstanden ist, welches die Enden der Nabel-
gefässe am Nabelringe befestigt. Die Vena umbilicalis enthielt
mehrmals einen adhärenten Pfropf. Die Innenwand des Gefasses
war stets missfarbig, schmutzig, braunroth, zuweilen zu einem
morschen, gelben nekrotischen Schorfe umgeändert. Auch die
Arteriae umbilicales nahmen an den Veränderungen Theil. Das
Lumen derselben war sodann .mit einem adhärenten Pfropfe er-~
füllt und die Nekrose der Intima ein beinahe constanter Befund.
Es ist kein Zweifel , dass die giftige Entzündung vom Nabel aus
sich über Arterien- und Venenwand fortsetzte und eine Phlebitis
und Arteritis umbilicalis hervorbrachte. Im Gegensatze zur '
zweiten Reihe findet bei dieser Reihe von puerperalen Krankheits-
formen des Neugeborenen das Umgehen der Respirationsorgane,
vielmehr die Localisirung der krankhaften VorgKnge im Bereiche
398 XXI- Literatur.
de« Unterleibes statt. Der Bofuad ah den Respiratiomorganen
war ein unbedeutender, dagegen zeigte eich öfter Peritonitis,
oder eiteriges Infiltrat subperitonäal vom Nabel ausgehend, ohne
doss sich Peritonitis entwickelt hatte, ein anderes Mal mehr
seröses Infiltrat, zuweilen endlich Oedem des Glisson' sehen
Bindegewebes, des Mesenterium und der Darmwand. Alle Formen
von Peritonitis hatten das Gemeinschaftliche und Constante, dass
neben dem Exsudate auf die freie Peri ton aal fläche das subseröse
Bindegewebe und nicht nur im Umkreise des Nabels, sondern
von da auch nach den Seiten und zur Wirbelsäule, ferner im
ganzen Gekröse und in der Darm wand, mehr oder weniger auch
das Glisson' sehe Bindegewebe trübserös infiltrirt war, welche
Trübung durch die Beimengung von Eiterkörpern und Molecülen
erzeugt war. In diesem Bindegewebe sah man ferner, was man
in den Fällen der- früheren Reihen mit höchster Wahrscheinlich-
keit vermuthete, in unzweifelhafter Weise: isolirte oder dicht-
gedrängte eitergefüllte Lymphgefässnetze, ja in einigen Fällen
war es in Folge der ganz dichtgedrängten Lagerung desselben
gleichsam bis zur exquisiten Eiterinfiltration gediehen. Nachdem
nun Verf. noch den Befund im Darmkanal, der Leber, der Milz, dem
Circulationsapparate , den Nieren, der Schädel- und Rückgrats-
höhle n. s. w. beschrieben hat, rechtfertigt er die Bezeichnung
dieser Reihe als: Pyaemie mit Omphalitis oder mit
Phlebitis und Arteritis und stellt sie' mit 'der zweiten Form
des Puerperalfiebers der Mütter in Analogie. Schliesslich ver-
gleicht er noch einmal die einzelnen Formen der puerperalen
Erkrankungen der Mütter mit denen der Kinder und kommt zu
dem Resultat: Die puerperale Erkrankung der Mütter
und ihrer Kinder stellt sich in allen Formen als eine
wesentlich gleiche dar, sie sind säramtlich Blutvergiftungen,
Pyämieen, deren anatomische Kennzeichen in Lymphangitis
bestehen.
Diese Arbeit über die puerperalen Erkrankungen der Mütter
und Kinder bildet in ihrer monographischen Abrundung einen
überaus werthvollen Beitrag zur Geschichte dieser Krankheit.
Die Schilderung der Befunde ist mit seltener Anschaulichkeit
gegeben und die Aneinanderreihung der Thatsachen, sowie ihre
Beziehung zum Ausgangspunkte und zum Allgemeinbilde der
Krankheit eine ebenso consequente als ungezwungene. Ganz
vortrefflich aber ist die Vergleichnng der einzelnen Formen der
Erkrankungen bei Mutter und Kind und der Nachweis des Analogen
zwischen ihnen. Es sei daher die lehrreiche Abhandlung dem
Studium der Fachgenossen besonders empfohlen.
XXI. Literatur. ' 399
Zweite H&lfte dar pathologiaoh - anatomischen Beobaehtungen
an Neugeborenen.
Dieser Theil beginnt mit einer statistischen Zusammen-
Stellung des Gesammtmaterials (100 Fälle) und behandelt dasselbe
nach folgenden Gruppen:
Erste Gruppe. Mechanische Todesarten: 27 Procent
der Neugeborenen starben durch mechanische Qeburtshindernisse,
davon 11 in Folge der Verstopfung der Luftwege mittels fremd-
artiger Massen. Die Verstopfung ist meist durch Meconium
herbeigeführt worden, welches nur auf dem Wege der instinctiven
Hinathmung in Utero in die Luftwege gelangt sein kann.
Zweite Gruppe. Tod durch angeborene Schwäche:
21 Procent der Neugeborenen. Mittleres Gewicht 4,14 Pfund. Das
Gehirn zeigte unter allen Körperorganen die nicht vollendete
Entwickelung am Deutlichsten. Blutungen in Form von Flecken,
Punkten und Streifen in den verschiedensten Organen bewiesen,
dass Gefässzerreissungen auch bei Kleinheit des Körpers und
bei leichter Geburt theils aus Bluterkrankung oder Athmungs-
insufficieuz, theils auch ohne diese Vorgänge entstehen können.
Dritte Gruppe. Die acute Fettdegeneration der
Neugeborenen. Mit diesem Namen will Verf. einen Complex
von Erscheinungen und Veränderungen am Neugeborenen be-
zeichnen, welcher im höchsten Maasse unser Interesse in An-
spruch zu nehmen würdig ist. Die betreffenden gewöhnlich gut
genährten Kinder werden meistens asphyktisch geboren, entleeren
alsbald Blut durch Diarrhoe oder Erbrechen, werden nach
3 — 6 Tagen ikterisch. Durchschnittlich am fünften Tage tritt
eine nicht zu stillende Blutung aus dem Nabel ein, auch Extra-
vasate auf den Schleimhäuten, sowie Purpura in der Haut mit
und ohne Anasarca werden beobachtet. Viele sterben blausüchtig
schon in einigen Stunden, die Meisten überleben wenigstens
die zweite Woche. Je länger aber ihr Leben dauert, um so '
blutärmer werden sie und um so mehr ikterisch. Da Verf. viele
derartige Leichen von Neugeborenen untersucht hat (hier zählen
nur drei Fälle), so ist er im Stande, uns ein geschlossenes Bild
des consUnten Befundes zu geben und zieht aus demselben den
Schluss, das» man- es hier mit einer über den ganzen Körper
verbreiteten allgemeinen Ernährungsstörung zu thnn hat, welche
offenbar angeboren und in den letzten Tagen vor der Geburt
erworben ist. Diese Ernährungsstörung ist eine äusserst acute
und stellt sich in den einzelnen Organen — vor Allem in Herz,
Leber und Nieren, weniger in Lungen und Darm — als acute
Zerlegung der Zcllensäfte zu Fett und einem Albumen-Abkömmling,
oder in geläufigerer Ausdrucksweise als eine parenchymatöse
Entzündung und zwar als deren zweites Stadium , als acute
Fettdegeneration dar.
400 XXI Literatur.
Vierte Gruppe. Missbildungen, enthält Besehreibung
Ton: Foetus in foetu (2 Fälle), Doppelkopf (Disprosopus),
Uterus unicornis, Atresie aller Körperöffnungen,
Mangel des Manubrium sterui, Fissur der oberen Bauch-
haut, angeborener Hypertrophie der Zunge und der
Nieren.
Fünfte Gruppe. Todtfauie Früchte.
Ein Anhang bespricht: A. abnorme Verhältnisse in
einseinen Organen , ss. B. krankhafte Veränderungen in der Pia-
centa, Cephalaeinatombildung schon vor der Gebart, Extrasavate
in der Rückgratehöhle, einmal mit exquisit tetanischen Er-
scheinungen verbunden, Gummiknoten in der Leber, Kysten u. s. w.
B. bringt uns der Anhang eum Abschied die dankenswerthen
Resultate einer sehr mühsamen Arbeit, nämlicfe der Wägungen
von Gehirn, Leber, Milz, Hers, Lungen, Thyreoidea,, Thymus
und Nieren.
Kristeller.
XXII.
Verhandlungen der Gesellschaft für Oeburtshttlfe
in
Berlin.
Sitzung, vom 25. Februar 1802.
Vod Herrn Seebohm in Pyrmont (auswärtiges Mitglied)
ist der Gesellschaft eine Missgeburt eingeschickt worden, die
von einer rachitischen Person im siebenten Monate ihrer
Schwangerschaft ohne Kunstbulfe in Fusslage geboren worden
war. Kindesbewegungen sollten noch kurz vor der Geburt
stattgefunden haben; doch zeigte das geborene Kind keine
Spur des Lebens mehr.
Das Präparat war Herrn Virchow zur gefalligen Obductiou
übergeben worden und wurde von diesem demnächst als
Spina bifida occipitis, Hyperplasia cerebri mit
Encephalocele und Hernia diaphragmatica
vorgelegt.
pin in der unteren Hälfte ziemlich normal gebildetes
Kind von der Grösse eines Siebemnonatskindes zeigte die
auffallende Anomalie, dass der Kopf nach hinten übergebogen
in dieser Stellung dergestalt fixirt war, dass das Hinterhaupt
anscheinend mit den Lumbaiwirbeln verwachsen war und die
Kopfhaare bis ungefähr zwei Zoll vom After herabreichten.
Erst nach Ablösung der Hautdecke zeigte sich, dass die Ver-
schmelzung nicht so tief herabreichte, und dass, wenn man
den Kopf stark nach vorn bog, ein Theil der verkümmerten
Rückenfläche darunter erschien.
Der vordere Theil des Schädels war regelmässig gebildet,
zeigte zwei Stirn- und Scheitelbeine: an letztere grenzte auf
MonaUscbr. f. Oeburuk 1362 Bd. XIX.. Hfl. 6. 26
402 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
jeder Seite eilte schmale Knochenplatte, welche den auseinander-
gelegten Seitentheilen der Hinterhauptschuppe entsprach, indess
nach hinten in eine grosse Blase überging. Da das fiinter-
bauptsbein als Wirbel aufgefasst werden muss, so lag also
eine deutliche Spina bifida occipitis vor. Bei Eröffnung der
Blase zeigte sich eine auffallende Verschiedenheit in der Ent-
wickelung der Grosshirnhemisphären , fast die ganze Blase
war von der linken Hirnhälfte erfüllt und" hatle die rechte zu
einem dünnen Lappen nach rechts hin comprimirt. Unmittelbar
unter der Blase lag eine zweite kleinere von dieser getrennte,
welche eine zusammengedrückte festere Masse enthielt, die
sich als Cerebellum herausstellte und in der gewöhnlichen
Weise mit dem Cerebrum zusammenhing. Legte man auch
diese Blase zurück, so sah man in der Tiefe eine Spaltung
des Rückgrats, in welcher jedoch fast nur Cäuda equioa
enthalten war.
Die Wirbelkörper hatte Herr Virchow nicht weiter
untersucht, um das Präparat nicht zu zerstückeln.
Die vergrösserte linke Hemisphäre bestand aus compacter
Hirnsubstanz und die Ventrikel waren nicht erheblich er-
weitert, so dass also kein Hydrocephalus; sondern eine wirk-
liche Hyperplasia des Gehirns vorlag und die Anomalie als
Encephalocele aufgefasst' werden muss. Herr Virchow fand
diesen Befund deshalb interessant, da so gleichmässige Ent-
Wickelungen einer ganzen Hemisphäre sehr selten vorkommen
und Hirnbrüche gewöhnlich nur kleinere Partien des Gehirnes
betreffen. Uebrigens erkläre diese massenhafte Wucherung
einerseits die NichtSchliessung des Hinterhauptes, andererseits
die Compression der rechten Hemisphäre.
Eine zweite Anomalie fand sich im Innern des Kindes,
nämlich eine Hernia diaphragmatica. Bei Eröffnung der Brust
fand sich links vom Herzen das ganze Cavum thoracis mit
Intestinis erfüllt, welche die linke Lunge vollständig com-
primirt hatten. Die Intestina (Magen, Colon, Duodenum)
lagen indess nicht frei, sondern waren mit einer feinen aus
dem Diaphragma sich hervorstülpenden Membran als Bn/chsack
überzogen. Die Leber war etwas nach rechts dislocirt, unter
ihr lagen nur wenig Darmschlingen ; die übrigen Xheile waren
normal entwickelt.
fftr Gebnrtshülfe in Berlin. 408
Herr Martin legte hierauf der Gesellschaft das Präparat eines
neugeborenen Knaben mit Hernia diaphragtnatica
aus der geburtshülflichen Poliklinik vor und gab über dessen
Geburt folgende Notizen.
Julie Seh., eine 27 Jahre alte Mehrgebärende, welche
wiederholt leicht und glücklich geboren hatte, behauptet, die
Menstruation am 20. Juni 1861 zuletzt bemerkt zu haben.
Die Fruchtbewegungen sollen sehr schwach gewesen sein;
wann dieselben aufgetreten, weiss sie nicht genau anzugeben.
In den ersten Tagen des December 1861 soll ein ziemlich
heftiger, drei Tage langer Blutfluss aus den Genitalien statt-
gefunden, und in den letzten Wochen grosse Appetitlosigkeit
mit bitterem Geschmacke und Stuhlverstopfung zugegen gewesen
sein. Die Kreisseude erschien blass; die Wehen, welche am
15. Februar 1862 früh 1 Uhr eintraten, wurden, nachdem
der Muttermund rasch erweitert war, schwach und trieben
den in erster Schädelstellung hinter dem Beckenausgange
stehenden Kopf nicht hervor, sodass eine Dosis Seeale
cornutum gereicht wurde. Bald darauf (4y4 Uhr früh) kam
der scheintodte, mittelmässig genährte Knabe zu Tage. Die
Pulsation der Nabelschnur hörte sogleich auf und die anhaltend
fortgesetzten Belebungsversuche, wie Besprengen mit frischem
Wasser, Reibungen des Körpers, insbesondere der Hände und
Füsse, Einblasen von Luft in den Mund u. s. w. veranlassten
nur einige wenige Respirationen, denen unter Zuckungen der
unteren Extremitäten der Tod folgte. — Die Placenta war
klein, die Nabelschnur etwa 16" lang, der Eibautriss fand
sich nahe am Rande des Mutterkuchens.
Der vollständig ausgetragene, 19 l/a" lange Knabe ist
äusserlich vollkommen wohlgebildet. Bei der Section1)
wurde am Gehirn nichts Abnormes, eine geringe Hyperämie
der Hirnhäute ausgenommen, vorgefunden.
Bei der Eröffnung der Brusthöhle findet sich das Herz
im Herzbeutel beträchtlich nach rechts gedrängt mit der Spitze
etwa in der Höhe der vierten Rippe. Die rechte Lunge ist
1) Der Sectionsbefand ist von dem ersten Assistenzärzte des
könlgl. klinischen Instituts fttr Geburtsbfilfe , Dr. Gue$erotot auf-
gezeichnet.
26 •
404 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
woblgebildet, die linke dagegen nur als kleines Rudiment
vorhanden, unter dem Sterno-clavicular- Gelenk liegend. Der
übrige Raum der linken Thoraxhälfte wird von einem mächtigen
Convolute von Dünndarmschlingen ausgefüllt, die bis zur
ersten Rippe hinaufragen. Sie sind sämmtlich von einer dünnen
serösen Membran bedeckt, dem serösen Ueberzuge des linksseitig
ganz fehlenden Diaphragmas entsprechend. Während das
Zwerchfell rechterseits vollständig normal gebildet ist, verliert
es nach links hinübergehend immer mehr seine muskulöse
Beschaffenheit und besteht lüer nur noch aus zwei mit einander
verklebten serösen Platten/dem Pleura- und Peritonäalüberzuge.
In der linken Brusthöhle liegt nun der Magen und zwar
in der Weise, dass die grosse Curvatur nach oben gekehrt
ist, den Herzbeutel berührend , die kleine nach unten sieht.
Hinter dem Magen unmittelbar auf der Wirbelsäule, ungefähr
auf dem sechsten Brustwirbel, Hegt die Milz. Ausserdem
liegt das Duodenum mit den ganzen Dünndärmen in der linken
Thoraxhälfte und zwar so, dass das Coecum mit dem Pro-
cessus vermiformis an der Stelle sich findet, wo normal die
Milz ist. Von hier aus verläuft das gesaromte Colon in un-
regelniässigeu Windungen in der linken Bauchseite, bis es
in das Rectum übergeht. Die ganze rechte Hälfte ist frei
und wird zum grossen Theile von der bedeutend vergrösserten
Leber eingenommen, welche den Rippenrand rechts um 2"
überragt und auf dem Peritonäalüberzuge zahlreiche narbige
Einziehungen und Trübungen zeigt Der rechte Leberlappen
ist 3" breit, der linke iy4". Der seröse Ueberzug des
Zwerchfells geht vom Ligam. suspensor. hepatis über einen
tiefen Einschnitt der Leber, der den rechten Lappen vom
linken scheidet, als etwa y2" lange Brücke hinüber. Der
linke Leberlappen selbst ragt noch etwa 7*" hoch, eigen-
tümlich zapfenförmig gebildet, in die linke Brusthöhle hinein.
Die Vena umbilicalis verläuft, ehe sie sich in die Leber-
substanz einsenkt, einige Linien in einem Sulcus auf der
convexen Oberfläche der Leber. Die Nieren liegen mit ihren
unteren Rändern im grossen Becken. Sonst sind keine Ab-
weichungen vom Normalen wahrzunehmen.
Anmerkung. In der vom Geh. Bath Martin geleiteten geburta-
hiilflicheo Poliklinik zu Berlin wurde darauf ein Fall von Hernia
für foburtshfilfe in Berlin 405
diaphragmatis mit Hemicephalie beobachtet nnd von dem
Praktikanten Herrn Dr. Hausmann Folgendes darüber aufgezeichnet.
Eine bis dabin gesunde Primipara von 28 Jahren bemerkte
im achten Monate am 9. April d. J., W*hen und Abends 9 Uhr
einen plötzlichen Abfloss sehr vielen Fruchtwassers und einiger
Blutcoagula. In dem völlig erweiterten Muttermunde lng die
unebene Knochenflfiche der Basis cranii, an welche sich nach
hinten die Processus spinosi der Rückenwirbel anzureihen
schienen, während aussen am Unterleibe der Kreissenden links
.kleine Theile, rechts der Steiss gefühlt und die Herstöne gehört
wurden. Bei Lagerung der Kreissenden auf der rechten Seite
wurde 'durch die Wehen das Kind um 11% Ubr Nachts todt
ansgestossen. Die Kachgeburt trat bei Druck auf den Mutter-
körper su Tage , und zeigte ausser einigen Gerinnseln am Rande
keinerlei Abnormität. Das Wochenbett verlief ohne Störang.
Das todtgeborene Mädchen wog 2 Pfund 24 Loth, war 12"
lang, die Haut reichlich mit Käseschleim bedeckt; dasselbe zeigte
folgende Anomalien. Von den Knochen der Schädeldecke fehlt
der Stirntheil des Stirnbeines, von der Hinterhaup tusch uppe ist
nur eine dönne Leiste vorhanden. Auf dem ßchädelgrnnde sieht
man vorn den Augentheil des Stirnbeines, an welchen sich der
verkammerte kleine und dann der normale grosse KeilbcinflÜKel
und das Felsenbein anreihen. Der Keilbeinkörper ist von dem
Grundtheile des Hinterhauptbeines durch eine harte knorpelige
Masse getrennt, liegt aber, was bei einem Langendurchschnitte
der Basis cranii und der Wirbelsäule besonders deutlich hervor-
tritt, mit ihm in einer Ebene. Die hinteren Bo gen half teu des
ersten Halswirbels sind 1%" von einander entfernt, die des
«weiten traten einander schon um etwas nKher und die des letzten
Halswirbels sind nur um 2 — 3'" von einander getrennt; vom ersten
Rückenwirbel an weicht das Rückgrat von der Norm nicht ab.
Die Körper der oberen Halswirbel sind breiter und ziemlich stark
nach vorn gebogen, die unteren Hals* und die ersten Rücken-
wirbel haben eine etwas geringere Biegung nach hinten.
Die Augen sind grösser, ragen bedeutend hervor, der Sehnerv
ist innerhalb der Augenhöhle vollständig vorhanden. Die Stirn-
lappen des Hirns sind nur von der Gefässhaut bedeckt, in eine
schmutzig braunrothe Masse verwandelt, an der einzelne Theile
der convexen Fläche eben so wenig wie Windungen zu erkennen
sind. An der Basis sieht man den peripherischen Theil des
Riechstreifens und Sehnerven. Die Scheitel- und Hinterhanpts-
lappen de« Groeshirns sowie der Hirnstock fehlen ganz. Das
Rückenmark bildet am Halse einen dünnen, fadenförmigen Strang,
mit dem ein TJieil der hervortretenden Nervenfasern noch ver-
bunden ist; unterhalb desselben ist keine sichtbare Form-
Veränderung vorhanden, dagegen zeigt sich bei Eröffnung des
Rüekgratkanales der ganze Raum zwischen Dornfortsätzen und
406 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
dem hinteren Theile der harten Haut mit schwarzem, geronnenem
Blute gefüllt
In der rechten Pleurahöhle befinden sich etwa 20 Tropfen
einer klaren gelblichen Flüssigkeit, die rechte Lunge ist 1"
lang, an der Basis 7s" breit und liegt dicht neben der
Wirbelsäule. An ihrer Spitze wird sie zum Theil von der
Thymusdrüse verdeckt, nach links von dem Herzen, welches mit
dem vorderen Mittelfelle in die rechte Pleurahöhle so hinein*
gedrängt ist, dass es theils unter, tbeils rechts vom Brustbeine
gelegen ist. Im Uebrigen entspricht letzteres durchaus seinem
normalen Verhalten. Der linke Pleurasack zeigt einen totalen
Mangel des sehnigen Theiles des Zwerchfelles, während dessen
muskulöser Theil auch nur ans einzelnen Bündeln, welche die
linksseitigen Bippenknorpel mit der rechten Zwerchfellshälfte
verbinden, besteht. In derselben Ausdehnung fehlt Brust- und
Bauchfell. Die linke Lunge liegt in der linken Pleurahöhle
vor dem zweiten bis fünften Rückenwirbelkörper. Der gegen
das vordere Mittelfell gelegene Theil der linken Brusthöhle
ist von der Leber eingenommen, welche aus dem rechten
Hypochondrium schräg aufsteigend ihren linken Lappen durch
die Oeffhung im Zwerchfelle in dieselbe hinaufschickt. Unter
letzterem liegt der Magen, die grosse Curvatur nach oben und
links gewendet, rechtwinkelig zur Speiseröhre, mit der Milz
durch ein starkes Band verbunden. Das Pancreas , unter dem
Magen gelegen, ragt mit seinem Kopfe über die kleine Curvatur
hinweg. Unter und zum Theil neben dem unteren Rande des
linken Leberlappens liegt die Milz, aus fünf Lappen bestehend,
deren oberster von den übrigen fast ganz getrennt ist. Die
Länge der ganzen Leber beträgt 4Y4", die des linken Lappens
l*/4", die Furche, welche beide Lappen trennt, ist 6'" tief und
in ihr verläuft ein danner muskulöser Strang, der sich an die
vorhandenen Bündel der linken Zwerchfellshälfte ansetzt. Der
rechte Leberlappen liegt mit t einem stumpfen oberen Rande
unter der rechten Zwerchfellshälfte, reicht jedoch mit seinem
unteren scharfen Rande fast bis an den vorderen oberen Darm-
beinstachel. Die Nabelvene verläuft 2'" oberhalb des unteren
scharfen Randes des rechten Leberlappens in einer fast 1" langen
Furche zur Pfortader hin. Die Gallenblase ist stark gefüllt,
überragt den Leberrand uro 3 — 4'" und ist mit dem Mesenterium
der Dünndärme durch viele, schwer trennbare Bindegewebszüge
verwachsen. Die vom Magen abgehenden Dünndarmschlingen
liegen in der linken Brusthöhle, tneils unter, theils neben dem
unteren Rande des linken Leberlappens, sind intensiv geröthet
und enthalten eine gelbliche schmierige Masse; der grössere,
eben so' stark geröthete Theil des Dünndarmes liegt in der
Bauchhöhle. Der Blinddarm, der wurmformige Fortsatz und der
Anfang des Dickdarmes befindet sich ebenfalls noch in der linken
für Gftbnrtehiüfe in Berlin. 407
Brusthöhle, der übrige Theil desselben in der Regio iliaca sinietra;
er ist normal gefärbt,, enthält reichlich Meconium nnd bietet
endlich unter einander mehrere Adhäsionen dar. Nieren, Blase,
Gebärmutter zeigen nichts Abnormes. —
Anschliessend an die beiden vorgelegten Präparate be-
richtete Herr Wegscheider über einen vor längerer Zeit von
ihm beobachteten, nicht angeborenen, sondern erworbenen
Zwerchfellbruch. Ein dreijähriges Kind erkrankte nach
einem gereichten Brechmittel sehr bedenklich und starb. Bei der
Section fand sich, dass die Milz und der halbe Magen durch
eine Ruptur des Zwerchfells in die Brusthöhle getreten waren.
Herr Virchow zeigte
ein neugeborenes Kind mit einer mehr als faust-
grossen Sacralgeschwulst.
Der Tumor sass in der Gesässgegend , . begann hinter
dem Anus und dem Mastdarme und reichte nach hinten bis
vor das Kreuzbein, so dass das Os coccygis durch die starke
Entwicklung der Geschwulst nach hinten und oben gebogen
war. Das Kreuzbein lag vollständig frei hinter der Geschwulst
ohne eine directe Verbindung mit derselben, auch ging letztere
nur wenig in die Höhe, so dass der innere Beckenraum voll*
ständig frei blieb.
Was das Aussehen der Geschwulst betrilll, so zeigte sie
unter einer normalen, wenn auch verdünnten Hautbedeckung
ein höckeriges, aus Lappen gebildetes Gefüge, in welchem
sich einige markige Stellen auszeichneten. Nach der gewöhn-
lichen Terminologie würde es ein Hygroma cysticum sein,
denn die meisten Theile erschienen feinblasig, an mehreren
liegen grössere mit klarer Flüssigkeit gefüllte Höhlen.
Anschliessend an dieses Präparat nahm Herr Virchow
Gelegenheit, des Interesses zu erwähnen, welches die Sa er al-
geschwülste in letzterer Zeit namentlich durch Luschkas
Entdeckung der Steissdrüse erregt hätten. In einer früheren
Sitzung der Gesellschaft habe er eine ihm von Herrn Körte
übergebene Geschwulst gezeigt, die sich als Foetus in foetu
erwiesen habe;' später, vor etwa vier Jahren, habe er ein
Präparat vorgelegt, aus dem* ersichtlich war, dass die Sacral-
geschwulst mit dem Rückenmarke zusammenhing und als
406 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
hyperplastische Entwicklung desselben aufzufassen war (vergi.
Verbandlungen d. Ges. f. Geburtsh., X., S. 68). Die vorliegende
Geschwulst sei weder das eine noch das andere, sondern
eine colossale Wucherung der Steissdrüse. Nicht nur die
isolirte Lagerung, sondern die ganze Structur spräche dafür:
drüsiger, blasiger Bau, zellige Theile, wie sie sich in Steiss-
drüse, Hypophysis, Nebennieren u. s. w. finden. Auffallend
seien nur die Züge quergestreifter Muskelfasern, welche bis
jetzt in der Steissdrüse noch nicht nachgewiesen seien (glatte,
durch Krause jun. in Göttingen beschrieben) und einzelne
weiche zusammenhängende Massen, die er am ehesten der
Körnerschicht der Retina vergleichen möchte. An manchen
Stellen fänden sich festere Klumpen, fibröse Massen, die bis
zur Verknorpelung übergehen und mit Perichondrium über-
zogen seien. Abgesehen davon, deute aber Alles darauf,
dass die Geschwulst lediglich aus der Steissdrüse hervorgehe.
Man müsse also mindestens drei verschiedene Arten von
Sacralgeschwülsten unterscheiden und da, so viel ihm bekannt
sei, die Exstirpation mit Glück gemacht sei und dieser Erfolg
leicht zu ferneren operativen Eingriffen verlocken' könne, so
sei es durchaus 110 Inwendig, die dilferentielle Diagnostik dieser
verschiedenen Arten recht genau festzustellen.
Man werde z. B. bei ausgesprochener Hyperplasia des
Rückenmarkes als Hydrorrhachis eine Operation sehr über-
legen müssen, während in anderen Fällen, z. B. dem vor-
liegenden, ein operativer Eingriff möglicherweise den günstigsten
Erfolg haben könne, da die Geschwulst mit keinem wesent-
lichen Organe der Nachbarschaft in innigem Zusammenhange
gestanden habe.
Herr H. Strassmann hat drei Fälle von Sacral-
geschwülsten beobachtet, die er als Kystenhygrome bezeichnet.
In einem Falle habe sein Bruder die Punktion der Geschwulst
gemacht und durch Injectioneu von Jodlösung eine dauernde
Heilung herbeigeführt.
Herr Qurlt möchte die Classüicirung der SacralgeschwüJste
nicht auf drei Arten beschränken. So glaube er z. B. nicht,
da^ die aus Kysteu oder Sarcomen bestehenden Geschwülste,
die keinen Zusammenhang mit dem Kreuzbeine zeigen, immer
für Geburtahülfe in Berlin. 409
aus Wucherung der Steissdrüse entstanden seien, sondern
auch im Bindegewebe ihren Ausgangspunkt finden könnten.
Herr Virchow will dies durchaus nicht in Abrede stellen.
Seine Absicht sei nur gewesen, der drohenden einheitlichen
Auffassung aller Sacralgeschwülste entgegen zu treten; ein
positives Unheil darüber, ob eigentliche Cystosarcome in
dieser Gegend vorkämen, sei zur Zeit noch nicht zu fällen,
aber es sei ja möglich, dass sogar die von der Steissdrüse
ausgehenden Wucherungen den verschiedensten Charakter
haben könnten.
Von Herrn Dr. Wietfddt in Celle ist der Gesellschaft
eine Traubenmole
eingeschickt worden, welche vom Secretar vorgelegt wurde.
Aus dem begleitenden Briefe geht hervor, dass dieselbe
von einer 38jährigen Mehrgebäreuden herstammt, welche
wegen wiederholter Blutungen ärztliche Hülfe in Anspruch
nahm. Obgleich Patientin nicht schwanger zu sein behauptete,
ergab doch die Untersuchung eine Vergrösserung des Uterus
und Auflockerung der Vaginalportion, so dass ein drohender
Abortus (zweiter Monat) diagnosticirt wurde. Durch Ruhe
und Arzneien wurde die Blutung beseitigt, wiederholte sich
aber vier Wochen später und nach abermaliger Pause wieder
und zwar in solchem Grade, dass Herr Dr. Wietfddt wegen
der starken Anämie mit bedrohlichen Erscheinungen die Ein-
leitung des kunstlichen Abortus unternahm. Er wählte dazu
die Einspritzung von warmem und später kaltem Wasser in die
Gebärmutterhöhle vermittels einer Canüle und darauf folgender
Tamponade der Scheide. Innerlich Inf. secal. com. mit
Tr. aromatic. acid. Allmälig entwickelten sich kräftige Con-
tractionen des Uterus; der Tampon wurde nach 27 Stunden
entfernt, und es zeigte sich der Muttermund bereits so er-
weitert, dass ein Finger eindringen konnte. Wiederholte
warme Douchen forderten die Eröffnung und bei späterer
Untersuchung fühlte man eine weiche schwammige Masse
langsam hindurchtreten, die unter Erbrechen, Convulsionen
und sehr schmerzhaften Wehen allmälig vollständig in die
Scheide getrieben, aus dieser nach Lösung einiger strangartigffl
Adhäsionen leicht entfernt und als Traubenmole erkannt wurde.
410 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
Patientin erholte sich bald und konnte das Bett am
zehnten Tage verlassen ; zu bemerken ist noch , dass ungefähr
14 Tage lang beide Brüste mit Milch erfüllt waren.
Herr Kristeller macht auf die starken Blutungen auf-
merksam, welche die Entwickelung dieser Traubenmole be-
gleiteten. In den Fällen, die er selbst beobachtet habe, seien
ebenfalls immer starke Blutungen aufgetreten. Dies spreche
gegen die Behauptung Gierse's, dass die Traubenmole aus
Wucherung der Chorionzotten ohne gleichzeitige Gefass-
ent wick^lung hervorgehe, auch habe er selbst in einem Falle
eine deutliche Entwickelung einer Placenta neben der Mole
gefunden.
Herr Martin sagt, dass Gierte nicht die Entwickelung
der Gelasse überhaupt geleugnet, sondern nur behauptet habe,
dass die Chorionzotten die Fötalgefasse nicht aufnähmen.
Hierdurch sei die Entwickelung der Uterinalgefässe nicht aus-
geschlossen und spräche schon die jederzeit sehr starke Ent-
wickelung der Decidua so wie die Wucherung der Zotten von
vornherein für eine starke Blutzufuhr.
Was das öftere Vorhandensein einer Placenta betreife,
so mache er darauf aufmerksam, dass er einige Male in einer
normal entwickelten Placenta partielle Anhäufungen von Blasen
gefunden habe, so dass also erwiesen sei, wie die Entartung
auch erst nach Entwickelung der Placenta Platz greifen könne.
Herr Virchow bestätigt die Möglichkeit einer theilweisen
hydatidösen Entartung der Placenta durch eigene Beobachtungen.
Er habe ein Präparat in die Würzhurger Sammlung ein-
gereiht, an welchem der eine Theil der Placenta noch relativ
normal, der andere hydatidös entartet war. Im Allgemeinen
hänge die Ausdehnung der Entartung von dem Zeitpunkte ab,
wo sie eintrete. Anfangs sei das ganze Ei mit Zotten bedeckt
und von Placenta keine Spur; beginne die Entartung in
diesem Stadium, so werden mehr oder minder alle Zotten
daran Tbeii nehmen, trete sie erst nach dem ersten Monate
auf, wo bereits der grösste Theil der Zotten in der Ent-
wickelung zurückgeblieben sei, so werde die Hydatidenbildung
natürlich nur partiell sein. Dieselbe Differenz spräche sich
auch in der Gelassen! Wickelung aus. Bei Entartung in den
ftr Geburtshnlfe in Berlin. 411
ersten Wochen atrophire der Fötus, könne also keine Gelasse
in die Zotten senden, bei späterer Entartung dagegen seien
die Gefässe schon vorgebildet Einen solchen Fall habe
Gierse vor sich gehabt, da er gerade eine von einem dichten
Capillarnelze durchzogene Zotte abgebildet habe.
Was nun specicll die Blutungen betreffe, so seien diese
bei frühzeitiger Hydatidenentwickelung nicht beträchtlich, wohl
aber bei partieller. Ueber die Grösse der mütterlichen Gefasse
an der Placentarstelle existire keine Beobachtung und er selbst
könne nichts darüber sagen, wiewohl er einmal die Secliou
einer Person gemacht habe, welche kurz nach einem Abortus
mit Traubenmole gestorben war; theoretisch könne man wohl
eine stärkere Entwickelung der mütterlichen Gefasse annehmen
und ein Hineinwachsen der Zotten in die mütterlichen Gefasse
werde wohl auch hier stattfinden, gesehen habe indess weder
er, noch, so viel er wisse, ein Anderer jemals einen Uterus,
in welchem eine Traubenmole sich noch in situ befand.
Sitzung vom 11. März 1862.
Herr Langerhans hat kürzlich einen durch Ver-
eiterung und Durchbruch eines Nabelbruches bei
einem Kinde entstandenen Vorfall der Därme beob-
achtet. Er reponirte dieselben und schloss die Bauchwunde
durch die blutige Naht, doch starb das Kind bald darauf an
einer Peritonitis.
Derselbe erzählt die Geschichte der Schwangerschaft
einer Frau, welche in den ersten Monaten an wieder-
holten Gebärmutterblutungen litt, dann eine längere
Zeit davon verschont blieb und die letzten neun Wochen
vor ihrer Entbindung von einem lebenden Kinde, jedes Mal,
sobald sie sich hinlegte, also namentlich in der Nacht, eine
auffallende Menge Wasser verlor.
In der nächsten , zwei Jahre darauf folgenden Schwanger-
schaft zeigte sich derselbe Verlauf: Blutungen im dritten
Monate und zuletzt sieben Wochen lang Wasserabgang, bis
die Entbindung eintrat.
412 XXII. Verhandlangen der Gesellschaft
Achtzehn Monate darauf wurde die Frau abermals
Schwanger. Diesmal traten nur wiederholte Blutungen auf, der
Wasserabgang blieb aus und die Frau gebar ein lebendes Kind.
Herr Langerhans glaubt, dass das abgeflossene Wasser
wahres Fruchtwasser gewesen sei, denn die beträchtliche
Menge desselben, sowie der Umstand, dass es nur im Liegen
abgegangen sei, scheine für eine Ruptur der Eihäute zu
sprechen, welche bei aufrechter Stellung der Frau vielleicht
durch Compression von Seiten des Kindes geschlossen war.
Bei der Untersuchung habe er einen tiefen seitlichen Einriss
der Portio vaginalis gefunden, der möglicherweise den Grund
der frühzeitigen Sprengung der Eihäute gelegt habe.
Herr Martin hält das abgeflossene Wasser nicht für
wahres Fruchtwasser, sondern glaubt, dass. dieser Fall sich
den Beobachtungen der sogenannten Hydrorrhoea uteri gra-
vidarum anschliesse. Dort träten allerdings nicht immer
Blutungen auf, sondern der bisweilen mit Blut vermischte
Wasserabfluss beginne selten schon in der achten oder zehnten
Woche, häufiger im achten oder siebenten Monate und be-
trage oft einen Tassenkopf und mehr. In 13 Fällen, die
er selbst beobachtet, seien bis auf zwei Fälle die Schwanger-
schaften immer vor der Zeit zu Ende gegangen, und mehr-
mals habe er eine Krankheit des Uterus nachweisen können,
so in einem Falle eine feste Adhäsion der Placenla, in vier
anderen eine Metritis parenchymatöse, die auch im Woclien-
bette aufs Neue exacerbirt sei. Er glaube, dass das Wasser
von dem unteren Abschnitte der Gebärmutterhöhle abgesondert
werde, wenn die beiden Blätter der Decidua nicht wie ge-
wöhnlich innig mit einander verklebten, und lande diese
Ansicht auch durch Naegele den Aelteren bestätigt, der eine
Endometritis als Ursache der Hydrorrboe angesehen habe.
Herr Langerhans stutzt seine Ansicht auf den Umstand,
dass das Wasser nur im Liegen abging und weist den von
anderer Seite aufgeworfenen Zweifel, ob es nicht etwa Urin
gewesen sei, wie in dem Falle von Scanzoni (Würzburger
Zeitschrift, Bd. I., 1860, p. 95) durch die Genauigkeit und
lange Dauer seiner Beobachtungen zurück, zumal er nie einen
urinösen Geruch wahrgenommen habe.
für Gebnrtshülfe inr Berlin. 413
Herr L. Mayer hat ähnlichen Ausfluss auch bei nicht
schwangerem Uterus beobachtet Gewöhnlich sondere der
Cervicalkanal einen zähen Schleim ab, in einzelnen Fällen
jedoch ergiesse sich aus, ihm eine klare, dünne Flüssigkeit,
die oft einen Fingerhut voll in kurzer Zeit betrage. Jetzt
behandele er eine Frau, -die jedes Mal in der Mitte zwischen
ihren Regeln zwei bis drei Tage lang ein») copiösen Wasser-
abfluss habe.
Herr Martin hält eine Verwechselung mit Urin schon
deshalb nicht wahrscheinlich , weil das Secret bei Hydrorrhoe
eiweisshaltig sei und die Wäsche steife. Geil habe in seiner
unter F. C, Naegde's Präsidio geschriebenen Dissertation:
De Hydrorrhoea uteri gravidarum, Heidelbergae 1822, eine
Zusammenstellung einer grossen Zahl von Beobachtungen
gegeben. Seiue Ansicht, dass das Wasser vom Uterus ab*
gesondert werde, wurde durch die Fälle von Wasser-
ansammlungen im Uterus bei geschlossenem Muttermunde
(Hydrometra) unterstützt, aus denen die Fähigkeit der Gebär-
mutterhöhle in gewissen krankhaften Zuständen eine wässerige
Flüssigkeil abzusondern ersichtlich sei.
Herr Paasch hat drei Fälle von Hydrorrhoe beobachtet,
in allen drei Fällen sei aber die Schwangerschaft ohne Unter*
brechung bis zu ihrem normalen Ende gelangt.
Herr Kristeller will nicht entscheiden, ob in vor-
liegendem Falle die abgehende Flüssigkeit Liq. Amnii oder
Secret des Uterus gewesen; die Krankheit sei zwar bekannt,
aber selten; häufiger dagegen treten * Blutungen in der
Schwangerschaft auf, ohne nothwendig dieselbe zu unter-
brechen; ihm seien verschiedene Fälle bekannt, wo Frauen
trotz Blutungen ihre Kinder ausgetragen hätten; mitunter finde
man auch an der Placenta und den Eihäuten ausgetragener
Kinder Spuren früherer Blutungen. Eine Ursprungsstelle
des Wassers sei indess in der Debatte noch nicht berück-
sichtigt, dies sei zwischen Chorion und Amnion, wo siel)
z. B. öfters gallertartige Ausschwitzungen vorfanden, die eben
durch ihre Consistenz bis zur Geburl am Platze blieben,
während eine seröse Ausschwitzung, die an dieser Stelle
wohl auch möglich wäre, als Hydrorrhoe erscheinen würde.
414 XXII. Verbandinngen der Gesellschaft
Herr Martin findet einen Hauptgrund gegen die An-
nahme, dass die in Rede stehende Flüssigkeit wahres Frucht-
wasser gewesen sei, darin, dass der Abgang in einer
Schwangerschaft sieben, in der anderen neun Wochen ge-
dauert habe, ehe die Geburt eintrat. Wie stände es dann
um die Methode der kunstlichen Frühgeburt durch den Eihaut-
stich, wenn der Operateur nicht darauf rechnen könne, die
Geburt in einer verhällnissmässig kurzen Zeit eintreten zu
sehen, wie es auch, so viel er wisse, stets der Fall gewesen sei.
Herr Wegscheider bestreitet, dass der Entleerung des
Fruchtwassers die Geburt durchaus in so kurzer Zeit folgen
müsse. Er habe in einem Falle das Fruchtwasser plötzlich
abgehen seilen, auch Verkleinerung des Uterus dabei gefühlt
und doch sei die Geburt eines lebenden Kindes erst fünf
Wochen später erfolgt
Eine gleiche Beobachtung berichtet Herr G. Simon, der
nach dem filasensprunge zu einer Entbindung gerufen, bei
der Untersuchung deutlich den behaarten Schädel berührte
und trotzdem das lebende Kind erst fünf Wochen später
geboren werden sah.
Herr Körte erzählt die Geschichte der Schwangerschaft
einer Frau, die im vierten Monate plötzlich Wasser und ßlut
verlor. Durch Ruhe wurde der drohende Abortus hintan-
gehalten. Die Frau machte zwei Monate darauf eine Reise,
verlor während derselben ab und zu Blut und einmal ein
plattgedrücktes grösseres älteres Blutgerinnsel, kam aber zur
rechten Zeit zur Entbindung, wobei sich eine deutliche Blase
mit Blaseosprung einstellte und ein lebendes Kind geboren
wurde.
Herr Martin hält es für möglich, dass die erste Ent-
leerung ein Zwillingsei betroffen habe.
Herr Brandt unterstützt diese Ansicht durch folgende
Beobachtung: nach einem Abortus, bei dem nach Aussage
der Hebamme das Ovum abgegangen war, habe er den
Muttermund so weit . geöffnet gefunden, dass er 'durch diesen
vorsichtig eingehend ein zweites Ei im Uterus entdeckte.
Herr Kristeller wendet ein, dass diese Beobachtung
nicht ganz überzeugend sei, da der stattgefunden« Abortus
für Geburtehtiife in Berlin. ' 415
lediglich durch die Aussage der Hebamme constatirt sei. Er
habe oft erfahren müssen, dass von diesen ein grösseres
Blutcoagulum für ein Abortivei gehalten werde.
Auch Herr C. Mayer hält die Angaben der Hebammen
in solchen Fällen ni<Jit für zuverlässig. Was die Hyrirorrhoea
uteri gravidarum betreffe, so habe er diese in seiner Praxis
häufig beobachtet und sei der Ansicht, dass die Quelle der
Wasserabsonderung zwischen Chorion und Amnion liege;
auch in dem Lang er hansy sehen Falle sei wahrscheinlich kein
wahres Fruchtwasser abgeflossen, denn die Quantität der
falschen Fruchtwasser sei oft bedeutend. So entsinne er sich
z. B. eines Falles, wo eine Frau wiederholt bedeutend an-
schwoll und dann plötzlich, meistens in der Nacht, mehrere
Tassenköpfe voll Wasser verlor, ohne dabei eine Störung
ihrer Schwangerschaft oder Entbindung zu erleiden. Was
indess die erwähnten Blutungen betreffe, so habe er diese
nie beobachtet, könne sie indess aus dem unzweifelhaft statt-'
findenden Zustande der Congestion nach dem Uterus er-
klären. Diesen scheine übrigens auch Naegele vorauszusetzen,
denn seine Therapie sei wesentlich antiphlogistisch, und
diesem Beispiele folgend habe er (M.) ebenfalls kühlende
und eröffnende Mittel gegeben und dabei auch in der Regel
die Schwangerschaft zum normalen Ende geführt.
In Bezug auf den Eihautstich zur Erregung der künst-
lichen Frühgeburt glaube er indess, dass ein Unterschied sei,
ob' die Eihäute am untersten Punkte angestochen würden , wo
das Fruchtwasser unbedingt vollständig abfliessen müsse, oder
ob eine Ruptur derselben hoch oben im Fundus uteri statt-
finde, wo doch denkbar sei, dass der Abfluss des Wassers
durch Compression gehindert werde.
Die Beobachtungen seines Sohnes über Wasserergiessungen
des nichtschwangeren Uterus könne er durch viele Beobachtungen
bestätigen» Meist finde dieser Ausfluss in der Mitte zweier
Menstruationen statt, oft mit so heftigen Dysmenorrhoeen
gepaart, dass er von einer der damit behafteten Frauen den
Ausdruck hörte: „jetzt kommen meine Mitielschmerzen."
Dass das Secret aus dem Cervix stamme, glaube er indess
nicht, er suche den Ursprung desselben im Cavum uteri,
denn der Cervix könne nur zähes glasiges Secret liefern.
41tj ' XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
Herr Martin hält eine Zurückhaltung des Fruchtwassers
bei Ruptur des Amnion, auch bei sehr hohem Stande der
Rissstelle für nicht .wahrscheinlich.
Die Debatte % drehte sich nun um die Frage, ob nicht
eine Verklebung der Eihäute möglich sei, obgleich sie keine
Gelasse führten. Herr Körte wollte die gefasslose Cornea
Herr Hüter (aus Marburg) die Epidermis, welche beide die
Fähigkeit haben, Verletzungen durch einfache Verklebung zu
heilen, als Analoga heranziehen; doch liess Herr Martin
den Vergleich nicht gelten. , Da beide mit gefasshalügen
Geweben eng verbunden seien, während die Eihäute isoürt
dem Uterus anlägen und durch - die eingetretene Verfettung
der Decidua von allem unmittelbaren Contact mit zur Aus-
schwitzung geeigneten Geweben abgeschlossen seien. Auch die
zeitweise Verstopfung des Orificii uteri durch einen Schleim-
pfropf, welche Herr Wegscheider erwähnte, könne das Wasser
nicht zurückhallen, da dieser Schleimpfropf, wenn einmal
weggespült, im späteren Verlaufe der Schwangerschaft nicht
regenerirt werde, es müsste denn eine feste Verschliessung
durch Verwachsung eintreten, die indess dann auch gar keinen
Abfluss zu Stande kommen und deshalb eine Ruptur der
Eihäute nicht diagnosticiren Hesse.
Herr Winckel sprach über seine
Untersuchungen über die Gewichtsverhältnisse bei
hundert Neugeborenen in den ersten zehn Tagen
nach der Geburt.
Anfangs April vor. Jahres wurde ich durch Herrn Geh. Rath
Martin aufgefordert, die Resultate Eduard von Siebolcfs
über die Gewichts- und Längenverhältnisse der Neugeborenen
und deren Veränderungen in den ersten Wochen nach der
Geburt, welche in dem XV. Bande, Heft 5 der Monatsschrift
für Geburtskunde mitgetheilt sind, einer, genaueren Unter-
suchung zu unterwerfen. Es schien aber gerathen , alle Kinder
täglich und nicht, wie Siebold nur alle zwei Tage zu wiegen
und um kein Moment zu übersehen, welches von Einfluss
auf die etwaigen Gewichtsveränderungen derselben sein könnte,
entwarfen wir folgendes Schema:
für Gebortshulfe in Berlin.
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Fruchtbefande
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In dieses wurde der jedesmalige Befund täglich sofort
eingetragen.
Ausser der genannten Hauptfrage wurden dadurch auch
viele andere wichtige Punkte mit berücksichtigt , z. B. wann
der Nabelschnurrest abfalle, wie oft Neugeborene an Aphthen,
Ophthalmien etc. erkranken, ferner ob und welchen EinOuss
der Geburtsverlauf auf die spätere Ernährung des Kindes
ausübe. Ein Theil dieser Fragen bedarf zu seiner Erledigung
der täglichen genauen Besichtigung eines jeden Kindes; aber,
selbst wenn man diese versäumen sollte, würde das Auffinden
einer abnormen Gewichtsveränderung bald wieder daran er-
innern.
Abgesehen davon, dass ich jedes Kind täglich selbst
auf einer genauen Balkenwage wog und nicht etwa durch
Andere zeitweise diese Wägungen fortsetzen liess; dass ich
auch fast immer das Gewicht des Kindes gleich nach der
Geburt selbst bestimmt, nahm ich noch auf folgende Punkte
Rücksicht: Erstlich wurden alle Kinder täglich zu einer
bestimmten Zeit und zwar zwischen 8 und 9 Uhr Morgens
gewogen. Diese Stunde wurde gewählt, weil die Kinder dann
gewöhnlich Blase und Mastdarm in der vergangenen Nacht
MonaUachr. f. QeburUk. 1869. Bd. XIX., Hfl. 6.
27
41g XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
entleert haben und so das absolute Gewicht derselben am
genauesten bestimmt werden kann. Durch die Entblössung
und den Schreck entleerten Kinder sehr oft erst auf der
Wage den Urin und wurden dadurch manchmal 2 — 3 Loth
leichter. Aus starker Anfüllung der Blase und des Mast-
darmes lassen sich so die 'nicht selten beobachteten Gewichts-
Schwankungen resp. scheinbare Wiederabnahme an Gewicht
erklären, wie sie No. 63, 64, 56, 79 und 89 der Tabelle II. A
bei ganz gesunden Kindern gesunder Mütter zeigen.
Es wurde ferner jedes Kind ganz nackt, sogar mit
Entfernung des Nabelläppchens auf einer der Wage aufgelegten,
erwärmten leinenen Unterlage gewogen.
Diese dünnen Unterlagen, welche zur Verhütung von
Erkältungen immer über das Blech der Wage gelegt wurden,
wog ich jedes Mal aufs genaueste. Nicht selten wurden
sie während des Wiegens durchnässt und dadurch zuweilen
l1/« — 2 Loth schwerer; auch dieser Ueberschuss wurde
jedes Mal vom Gewichte des betreffenden Kindes abgezogen.
Alle diese Momente werden nicht kleinlich erscheinen,
wenn ich hier .schon vorausschicke, dass die meisten Kinder
von Tag zu Tag nur wenige Loth abnehmen und noch
weniger an einem Tage wieder zunehmen, dass die Abnahme
in den ersten Tagen nach der Geburt taglich ungefähr 3 — 6,
die spätere tägliche Zunahme hingegen nur 1 — 3 Loth durch-
schnittlich beträgt.
Wiewohl mehrfach in dieser Arbeit unterbrochen, bin
ich doch schon im Stande das Resultat der Wägungen von
100 Neugeborenen mitzutheilen und fühle mich dazu um so
mehr berechtigt, als sich schon aus dieser relativ kleinen
Zahl ein Gesetz nachweisen Hess, welches ebenso constant
als natürlich, doch bis jetzt noch nicht genau eruirt
worden war.
Dem Hauptthema muss ich hier zunächst noch die Unter-
suchungen über den Gewichtsunterschied beider Geschlechter
bei diesen 100 Kindern und die über die Zeit des Abfalls
der Nabelschnur vorausschicken.
Unter 100 ausgetragenen Kindern befanden sich 56 Knaben
und 44 Mädchen.
für Geburtihalfe in Berlin. 410
Erstere wogen zusammen 378,4 Pfund. Das Durchschnitts-
gewicht war also 6% Pfund (6,75) für jeden. Der schwerste
Knabe wog 81/, Pfund Zollgewicht.
Die 44 Mädchen wogen zusammen 285,9 Pfund, jedes
also durchschnittlich 6ya (6,49) Pfund. Das schwerste
Mädchen wog 8 Pfund 2% Loth ZoUgewicht.
Die Knaben waren also auch bei diesen hundert
Kindern durchschnittlich schwerer als die Mädchen
und zwar J/4 Pfund. Diese Durchschnittszahlen stimmen mit
den Angaben von Hecker ziemlich genau überein, welcher
als Durchschnittsgewicht * für Knaben 6,62, für Mädchen
6,46 Pfund berechnete.
Bei 100 Kindern löste sich ferner der Nabelschnurrest
(cf. Tab. I.):
17 Mal am zweiten Tage,
4Q „ „ dritten
24 „ „ vierten „
9 „ „ fünften
1 „ „ sechsten „
Bei der Hälfte derselben fiel er also schon am dritten,
bei y4 am vierten, gewöhnlich also am dritten oder
vierten Tage ab.
Kommen wir nunmehr zu unserer Hauptaufgabe, zu der
Erörterung nämlich, ob, wie lange un4 wie viel Neugeborene
in den ersten Tagen nach ihrer Geburt abnehmen und wann
und wie rasch sie wieder zunehmen, ,so muss ich zunächst,
den Angaben SiebolcFs entgegen, hervorheben, dass alle
Kinder schon innerhalb der ersten 24 Stunden nach der
Geburt Gewichtsveränderuugen erleiden. Um diese über-*
sichtlicher zu machen, verfertigte ich erstlich die Tabelle I.,
aus der sich Folgendes ergiebt:
Alle 100 Kinder, keines ausgenommen, verloren schon
in dei* ersten 24 Stunden nach der Geburt an Ge-
wicht Der höchste Gewichtsverlust innerhalb dieser Zeit
betrug:
Zwei Mal 16 Loth (ein Mal in Folge starker Nabelschnur-
blutung (cf. 1. c 10 u. 105), der geringste nur 8 Quentchen
(1. c. 67). Zusammen büssten 100 Kinder 695,2 Loth ein,
jedes also durchschnittlich 6,95 Loth; erster Tag.
27*
420 XXII. Verhandinngen der Gesellschaft
Von diesen 100 Kindern nahmen 90 auch noch am
zweiten Tage ab. Der geringste Verlast betrug 5 Quentchen
(61, 105), der höchste 14 Loth (112), die Gesammtabnahme
aller 546,8 Loth , die Abnahme eines jeden 6,07 Loth durch-
schnittlich; zweiter Tag.
41 dieser Kinder nahmen noch am dritten Tage ab,
zusammen 134,5 Loth, jedes also durchschnittlich
3,28 Loth; dritter Tag.
15 endlich zeigten auch am vierten Tage noch Abnahme,
zusammen 44,3, pro Kopf also 2,9 Loth; vierter Tag.
Alle 100 Kinder nahmen zusammen 1451,4 Loth bis
zum incL fünften Tage ab, — es beträgt mithin die
Durchschnittsabnahme im Ganzen 14,51 Loth und ver-
theilt sich diese so, dass % derselben auf die beiden
ersten Tage fällt.
Da von 100 Kindern alle am ersten, 90 auch am
zweiten, 41 noch am dritten Tage an Gewicht abnahmen,
so folgt daraus, dass die Dauer der Abnahme im Ge-
wicht gewöhnlich zwei bis drei Tage beträgt
38 gesunde Mädchen büssten zusammen 514,5 Loth ein,
jedes durchschnittlich 13,5 Loth.
45 gesunde Knaben verloren zusammen 558,1 Loth,
jeder im Durchschnitt 12,4 Loth.
Es scheinen also die gewöhnlich schwereren
Knaben weniger an Gericht zu verlieren als die Mädchen.
Von diesen 100 Kindern waren 93 ausgetragen, 7 zu
früh geboren.
Unter den ersteren wurden 78 durch Muttermilch,
15 durch Kuhmilch ernährt.
Die 78 durch Muttermilch ernährten ausgetragenen Kinder
büssten innerhalb der 2 — 3 ersten Tage zusammen 1071,5 Loth
an Gewicht ein, mithin pro Kopf 13,73 Loth. — Bei 18
derselben liess sich jedoch eine besonders hohe Gewichts-
abnahme durch Erkrankungen der Mutter oder des Kindes
selbst in dieser Zeil erklären (cf. Tab. L, 20, 21, 37, 52,
66, 67, 73, 82, 88, 89, 100; 104, 76, 96, 112, 61, 26, 27).
Lässt man diese unberücksichtigt, so blieben 60 gesunde
Kinder iforig, welche zusammen 736,6 Loth, durchschnittlich
jedes also 12,2 Loth in den ersten 2—3 Tagen verloren.
für GeburUhülfe in Berlin. 421
Die 15 durch Kuhmilch ernährten Kinder nahmen in den
drei ersten Tagen nach der Gehurt zusammen 183,2 Lotb,
Jedes durchschnittlich 12,2 Loth ab.
Die sieben nicht ganz ausgetragenen Kinder (von denen
nur eines durch Kuhmilch ernährt wurde) büssten zusammen
in dieser Zeit 92 Loth ein, jedes folglich circa 13,2 Loth.
Die Differenz im Gewichtsverlust zwischen den aus-
getragenen und nicht ausgetragenen Kindern ist also in den
ersten Tagen nach der Geburt gering, die letzteren nahmen
etwas mehr ab; zwischen den durch Muttermilch und durch
Kuhmilch ernährten Kindern zeigte sieb noch kein Unterschied
in dieser Zeit.
Ganz anders gestalten sich die Verhältnisse bei diesen
drei Klassen in den späteren Tagen nach der Geburt. Und
um die grossen Unterschiede derselben genügend hervor-
zuheben, habe ich sie in der Tabelle IL von einander getrennt
Ich fand - nämlich zunächst bei allen 78 ausgetragenen
und durch Muttermilch ernährten Kindern sofort nach dem
Aufhören der Abnahme eine Wiederzunahme an Gewicht
und nicht, wie Siebold erst einen Stillstand mehrere Tage
hindurch (cf. Tabelle I. und II. -4. dieselben Nummern).
Unter diesen 78 nahmen
6 schon am zweiten Tage
37 „ „ dritten „
20 „ » «?* " Vct Tabellen. A.
9 „ fünften n
4 „ „ sechsten „
• 2 „ „ siebenten „
an Gewicht wieder zu. In 57 von 78, also in % aller
Fälle, war mithin eine Zunahme schon am dritten
oder vierten Tage zu bemerken, d. h. natürlich im
Vergleich zum vorhergehenden Tage, nicht aber mit dem
ursprünglichen Gewichte.
Diese Zunahme schritt nun fort und verhielt sich in
nächsten Tagen wie folgt:
6 nahmen am zweiten Tage zusammen 8,4 Loth zu,
jedes durchschnittlich 1,4 Loth ; zweiter Tag.
42 „ „ dritten Tage zusammen 149,5 Loth zu,
jedes durchschnittlich 3,5 Loth; dritter Tag.
422 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
62 nahmen am vierten Tage zusammen 183,4 Loth zu,
jedes durchschnittlich 2,9 Loth ; vierler Tag.
70 „ „ fünften Tage zusammen 151,3 Loth zu,
jedes durchschnittlich 2,1 Loth; fünfter Tag.
71 „ „ sechsten Tage zusammen 137,6 Loth zu,
jedes also circa 1,8 Loth; sechster Tag.
74 „ „ siebenten Tage zusammen 117,2 Loth zu,
jedes durchschnittlich 1,5 Loth; siebenter Tag.
75 „ ,, achten Tage zusammen 93,1 Loth zu,
jedes durchschnittlich 1,2 Loth; achter Tag.
74 „ „ neunten Tage zusammen 64,4 Loth zu,
jedes durchschnittlich 0,8 Loth; neunter Tag.
73 „ „ zehnten Tage zusammen 74,4 Loth zu,
jedes durchschnittlich 1,0 Loth ; zehnter Tag.
Zusammen nahmen 78 Kinder 979,4 Loth bis zum incl.
zehnten Tage nach .der Geburt zu, durchschnittlich also jedes
12,5 Loth. Von diesen 78 Kindern waren jedoch 18 durch
eigene Erkrankungen oder Aifectionen ihrer Mütter an einer
regelmässigen Zunahme mehr oder weniger gehindert (cf.
Tabelle IL A.). Nach Abzug dieser bleibt für die 60 übrigen
eine Gesammtzunabme von 933,1 Loth, für jedes eine Durch-
schnittszunahme von 15,5 Loth bis zum zehnten Tage nach
der Geburt. Mit dieser Zahl stimmte auch die Thatsache
überein, das 36 von jenen 60 Kindern am zehnten Tage
schon um mehrere Loth schwerer waren als bei der
Geburt
Die höchste Zunahme innerhalb 24 Stunden betrug
9,8 Loth (cf. Tabelle II, A. 79), — die Durchschnittezunahme
täglich 4/s~3V« Loth.
28 von jenen 60 gesunden Kindern waren Mädchen und
nahmen 395,7 Lothin dieser Zeit zu, jedes 14,1 Loth ;
32 Knaben hingegen gewannen 537,4 „
ein jeder also durchschnittlich 16,7 „
Hiernach scheint das Verhältniss bei der Zunahme
an Gewicht wiederum günstiger für die Knaben als für
die Mädchen auszufallen. — Soviel aber erhellt aus
dieser und der obigen Berechnung über den Unterschied im
Gewichtsverluste beider Geschlechter, dass, wie auch Siebold
ffir Gebürtobülfe in Berlin. 42g
fand, das bei der Geburt gezeigte Gewicht ohne Einfluss
auf den Grad der Ab- und Zunahme war. Es müssten sonst
die leichteren Mädchen durchschnittlich weniger abgenommen
haben als die Knaben.
Das normale Verhalten in der Zunahme lässt sich am
besten aus den Nummern 8, 14, 15, 17, 22, 21, 25, 51, 54, 55,
70, 78, 76, 77, 82, 91, 93, 96, 108, 114 der Tabelle II. A.
übersehen. Diese Kinder nahmen coustant zu und eins der-
selben hatte nach überwundener Abnahme schon wieder
27,4 Loth bis zum zehnten Tage zugenommeu (54). Die
scheinbaren Gewichtsverluste in der Zeit der Zunahme bei
den Nummern der Tabelle IL A.: 4, 7, 9, 16, 18, 34, 35,
56, 59, 60, 63, 64, 75, 79, 80, 84, 85, 104, 107, 111
sind schon in der Einleitung berücksichtigt.
Weit ungünstigeres Verhalten zeigten die 15 durch Kuh-
milch ernährten Kinder (cf. Tabelle II. B.).
Nur ein einziges von diesen hatte am zehnten Tage ein
Mehr von 3 Quentchen, gegen das Gewicht am dritten Tage,
dabei aber noch ein Weniger von ö1/^ Loth gegen das Ge-
wicht bei der Geburt
Alle übrigen nahmen fast constant noch bis
zum zehnten Tage ab, und zwar bedeutend; so verlor
eins in dieser Zeit 33,5 Loth (52) und starb an Atrophie;
ein zweites sogar 52,3 Loth (81), blieb aber am Leben.
Wenn sich ferner bei einem schon Zunahme in den
ersten zehn Tagen zeigte, so war dieselbe sehr gering und
wurde durch darauf folgende Wiederabnahme rasch getilgt
(No. 33, 36, 52, 92).
Eine solche Tendenz zur Zunahme zeigte sich bei fünf
von diesen Kindern zugleich mit oder gleich nach dem
Abfalle des Nabelschnurrestes (No. 36, 52, 68, 69, 65).
Schliesslich waren alle fünfzehn durch Kuhmilch
ernährten Kinder am zehnten Tage noch bedeutend
leichter als gleich nach der Geburt und noch kein«
derselben zeigte eine beginnende Zunahme.3)
1) Kenn neue Fülle von Gewichtsbestimmungen bei Neu-
geborenen, welche durch Kuhmilch ernährt wurden, haben mir
bis jetst jede der oben ausgesprochenen Behauptungen wiederum
bestätigt.
424 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
In Betreff der Gewichtsverminderungen jener sieben nicht
ausgetragenen Kinder nach dem drittem, vierten Tage ist
endlich Folgendes zu bemerken (cf. Tabelle IL C):
Eins (No. 72) von ihnen zeigte eine ziemlich
constante Zunahme seit dem vierten Tage, so dass es
am zehnten Tage im Ganzen 10 Loth 4 Quentchen zu-
genommen hatte und 3 Loth schwerer als bei der Geburt war.
Bei der Hälfte der übrigen liess sich eine sehr
schwankende und geringe Zunahme wahrnehmen; daher
war am zehnten Tage das ursprüngliche Gewicht noch nicht
wieder erreicht (46, 37, 57).
Die drei letzten zeigten noch fortdauernde Abnahme
(58, 74, 117). ,
Nach Zusammepstellung aller dieser Facta gehen wir nun
zur Erklärung derselben über und wenden uns zunächst zu
den Momenten, welche jene Gewichtsabnahme in den drei
ersten Tagen nach der Geburt bedingen. Zu diesen gehören
1) die gewöhnlich bald nach der Geburt erfolgende
Entleerung von Urin und besonders von Meconium,
welches im ganzen Dickdarme aufgehäuft ist. Oefter habe ich
Windeln gewogen, die durch eine einmalige Entleerung von
Meconium 2 — 3 Loth schwerer als vorher geworden waren.
(NB. Ein Nabelschnurstück von der Länge des am Kinde
noch befestigten wog 3 — 6 — 8 Quentchen.)
Aber die Entleerung von Meconium und Urin bedingt
nicht allein die Gewichtsabnahme; denn zu häufig fand ich
Neugeborene einige Stunden nach der Geburt schon um
mehrere Loth leichter als vorher. Dies erklärt sich
2) durch die nach der Geburt sehr vermehrte
Hautthätigkeit. Durch Entfernung der die Haut schützenden
Fetthülle (Vernix caseosa)^, durch Muskelanstrengungen (Schreien,
Saugen), durch eine hohe Temperatur der Umgebung (Kleidung,
Aufhalten im Bette der Mutter) wird die bis dahin sehr be-
schränkte Schweissecretion sehr angeregt. Nicht selten habe
ich Neugeborene in den ersten Tagen, ja schon wenige
Stunden nach der Geburt mit hellen Schweisstropfen auf der
Stirn- und Kopfhaut unter der warmen Decke des mütter-
lichen Bettes gefunden; besonders recht kräftige Kinder.
Schon die hohe Röthe beweist ja die starke Blutfülle der
für GeburUbülfe in Berlin. 4g5
Haut, welche sich erst allmälig zurückbildeL Die Höhe dieses
Gewichtsverlustes betrug öfter lVa Loth in wenigen Stunden.
3) Auch nimmt offenbar der Fettgehalt der Haut
in den ersten Tagen nach der Geburt sichtlich ab, da die
Kinder bald nicht mehr so prall und rund in ihren Formen
sind, wie gleich nach der Geburt und die Haut leichter
Falten zeigt Der Druck der Kleidungsstücke — namentlich
der ungleichmässige — mag dazu wohl eben so viel beitragen
als die oft sehr starken Muskelanstrengungen beim Schreien
und Saugen.
4) Die veränderte Ernährungsweise. Während
im Utero der Fötus meist eine gleichmässige Zufuhr von schon
verdauten und resorbirten Nahrungsstoffen erhält, treten nach
Abschneidung dieser Zufuhr dem Neugeborenen bei dem
Sachen nach neuen Erwerbsquellen viele Hindernisse in den
Weg. So muss er zuerst saugen lernen und oft mit vieler
Mühe die flache mütterliche Warze hervorziehen; er muss
ferner verdauen lernen und findet dazu eine anfangs nur
geringe und wie man annimmt noch etwas abführende
Milch und endlich soll er sich noch des ihm bereits fremd
gewordenen Nabelschnurrestes entledigen! Das sind Gründe
genug, die eine Zunahme in den drei ersten Tagen nach der
Geburt verhindern und erklären, weshalb alle Neugeborenen
in ihnen abnehmen. — Sie verlieren, weil ihre Ausgaben
gross, ihre Einnahmen gering sind und verlieren Meconium,
Wasser und Fett.
Eben so natürlich ist es aber dann auch, dass nach
glücklicher Ueberwindung dieser Hemmnisse, bei gesunden
Kindern eine Wiederzunahme an Gewicht beginnt. Von dem
kräftiger saugenden Kinde wird jetzt eine grössere Quantität
Milch aufgenommen, die weniger Salze, aber mehr Fett und
Casein enthält und unter regelmässiger Betheiligung der Leber
wird diese vollständiger und rascher verdaut Der von
Meconium frei gemachte Darm giebt nun blos die Reste der
unverdauten Ingesta ab. Die vorher bestandene Hyperämie
der Haut ist allmälig geringer geworden. Sie ist nunmehr
schon an die Temperatur ihrer Umgebung gewöhnt und hat
ihre Secretion den übrigen Organen angepasst Die bis zum
Abfalle der .Nabelschnur abgemagerten Kinder fangen an
426 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
wieder runder und voller zu werden, so wird auch dem Ge»
sichte die Wiederzunahme merklich, welche wir oben auf der
Wage constatirten! —
Wir haben früher erwähnt, dass die Abnahme zwei bis
drei Tage nach der Geburt dauert, wir haben ferner erwähnt,
dass dann am dritten oder vierten Tage eine Wiederzunahme
an Gewicht beginnt, wir fanden ausserdem, dass bei % a^er
Kinder der .Nabelschnurrest am dritten oder vierten Tage
abfiel,, und fuhren endlich hier noch an, dass bei 71 durch
Muttermilch ernährten ausgetragenen Kindern der Beginn der
Wiederzunahme
8 Mal am Tage vor / dem Abfalle der Nabelschnur
24 „ „ „ nach j stattfand
und 39 Hai mit dAiselben zusammenfiel, 2) — was ist natür-
licher, als dass wir daher dem Abfalle des Nabelschnurrestes
eine hohe Bedeutung für die Begrenzung der Abnahme und
den Beginn der Wiederzunahme an Gewicht zuschreiben.
Dass Störungen in jenem Demarkationsprocess häufig Icterus
und damit aborme Ernährungsstörungen herbeifuhren, ist
längst bekannt und wird durch viele Beispiele der Tabellen 1.
und IL Ä.% No. 21, 20, 82, J00, 61, 42, 88, 109 be-
wiesen. Auch drei Fälle der Tabelle I., No. 37, 73 und 112
zeigen dies, in welchen bei einem jauchig faulenden Zustande
des Nabelschnurrestes, ohne sonstige nachweisbare Ursachen
eine abnorm hohe Gewichtsabnahme stattfand. Diese Er-
krankungen beeinflussen durch ihren Zusammenhang mit der
Leber auch die Verdauung und wir bewundern hierbei nur,
wie weise die Natur denselben im Allgemeinen vorgebeugt
1) Bei 60 später noch gewogenen Kindern fand leb inzwischen
den Beginn der Zunahme
2 Mal 2 Tage
9 „ 1 Tag
21 „ am selbigen Tage mit ) dem Abfalle der Nabelscbnnr.
14 „ Tagt nach und
4 „ 2 Tage „
Unter 115 Kindern begannen also:
17 am Tage vor
40 n selbigen Tage mit ' dem Abfalle der Nabelschnur
38 „ Tage nach
wiedereinnehmen.
für Geburtabülfe in BerUn. 427
hat, indem sie durch den anfangs noch geringen Inhalt der
mütterlichen Brüste eine /schädliche Ueberfältung des kindlichen
Magens verhinderte, ja sogar durch die Beschaffenheit jenes
Inhalts für eine (so beliebte!) massige Ableitung auf den
Darmkanal sorgte! — Aus Obigem erhellt aber ferner, dass
die Beseitigung jenes Processes überhaupt eine Conditio sine
qua non für die Wiederzunabme ist und dies liegt ohne
Zweifel daran, dass die Function der Leber als gallen-
absonderndes qnd blutbereitendes (?) Organ nicht eher eine
normale werden kann, als bis der nothwendige Obliterations-
process an ihr ganz vollendet und ihre neuen Druckverhältoissd
ganz geregelt sind. — Unter Berücksichtigung aller dieser
Thatsachen formuliren wir daher unsere obigen Angaben über
die Zeit der Ab- und Wiederzunahme an Gewicht dahin,
dass Neugeborene in der Regel bis zum Abfalle des
Nabelschnurrestes ab- und gleich nach demselben
wieder zunehmen.
Dies ist das physiologische Verhalten; es bleibt uns nur
noch übrig, die abnorm hohe und lange dauernde Abnahme
zu berücksichtigen, wie wir sie bei 18 durch Muttermilch
und allen 15 durch Kuhmilch ernährten Kindern fanden.
Als Grund derselben Hessen sich bei ersteren zunächst
einige Mate starke Blutungen aus der schlecht unter-
bundenen Nabelschnur bald nach der Geburt auffinden;
geringere Blutungen dieser Art wurden im Ganzen sieben Mal
notirt: No. 7, 8, 10, 17, 25, 29, 31, 90. — Zwei Mal
war ferner der zu geringe Inhalt der mütterlichen
Brüste Ursache der fortdauernden Gewichtsabnahme des
Kindes (13, 20). — Die häufigste Ursache aber bildeten
Erkrankungen des Kindes und der Mütter. Unter den
ersteren sind vor Allem die Aphthen zu nennen. Wir
fanden bei diesen 100 Kindern 81 Mal Aphthen:
8 Mal mit Schwankungen in der Gewichtszunahme,
14 Mal mit mehr weniger starker Abnahme verbunden,.
9 Mal ohne merklichen Einfluss.
Ganz besonders auffallend war es, dass von den 15 durch
Kuhmilch ernährten Kindern 12! an Aphthen litten, wie denn
diese überhaupt alle mehr oder minder erkrankten. Dieser
Umstand ist aber gewiss nur der Art ihrer Ernährung«-
428 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
weise zuzuschreiben. Schwieriger als die richtige Quantität
ist noch die rechte Qualität der Milch für jedes einzelne zu
treffen; offenbar sind aber die Temperatur, der Wasser-, Fett-
und Zuckergehalt der eingeflössten Milch, ferner die Gefasse,
in denen sie gereicht wird und die Art des Eingehens von
sehr hohem Einflüsse auf die Verdauung derselben. Schon
eine etwas zu niedrige Temperatur, ein etwas zu bober
Zuckergehalt, ein nicht ganz reinlicher Saugpfropfen sind
zumal in den ersten Tagen nach der Geburt hinreichend, Pilze
zu übertragen, abnorme Säurebildung, Magenkatarrh und Er-
brechen und nach diesen Diarrhoen, Icterus, Gastroenteritis etc.,
wie sie sich bei allen diesen Kindern fanden, zu bewirken.
Zwanzig Mal zeigte sich Ophthalmoblennorhoe bei
Neugeborenen, 1 Mal ganz isolirt und mit starker Gewichts-
abnahme verbunden, 3 Mal mit Störungen in der Zunahme,
6 Mal mit anderen Erkrankungen complicirt und von frag-
lichem Einflüsse, 10 Mal ganz ohne Einfluss auf die Er-
nährung des Kindes.
Icterus zeigte sich 16 Mal, 7 Mal (cf. Tab. I. u. IL)
in starkem Grade und dann jedes Mal mit bedeutender Gewichts-
abnahme oder Schwankungen in der Zunahme nach dem dritten
Tage verbunden. Neun leichtere Fälle von gelber Hautfarbung
verliefen ohne störenden Einfluss auf die Ernährung der be-
treffenden Kinder.
Zwei Mal entdeckten wir bald nach der Geburt ein
Cephalaematom ; zu einem derselben gesellte sich noch eine
doppelseitige Ophthalmie, dieses Kind (No. 67) nahm lange
ab; das andere wurde durch Kuhmilch ernährt, am zehnten
Tage durch Entleerung des Cephalaematom %\ß leichter und ging
einige Tage später an Gastroenteritis zu Grunde (Tab. 0. J5. 68).
Von dem Einflüsse des Befindens der Mütter auf die
Gewichtsveränderungen der Neugeborenen heben wir zunächst
hervor, dass sich öfter bei excoriirten Warzen Aphten
und damit auch Gewichtsabnahme zeigte' und dass bei einem
furunkulösen Abscess, der ebenfalls durch Rhagaden entstanden
war — auch ohne dass Aphthen sich fanden — ebenfalls
Gewichtsabnahme erfolgte.
In drei Fällen, bei welcher sich eine von excoriirten
Warzen ausgehende erysipelatöse Entzündung der Brusthaut
för Geburtahülfe in Berlin. 429
entwickelte, war offenbar eine Gewichtsabnahme der betreffenden
Säuglinge in der Zeit der Zunahme die Folge des selteneren
Anlegens, der geringeren Nahrung.
Gebärmutterentzündung, welche 9 Mal in ziemlich hohem
Grade ohne septische Infection mit lebhaftem Fieber vorkam
(No. 14 u. 21, Tab. II. A.) zeigte sich zwei Mal, bei un-
gestörter Milchsecretion ohne nachweisbaren Einfluss auf die
Ernährung der betreffenden Kinder; beide nahmen bis zum
dritten Tage ab und dann stetig zu. Sieben Mal aber zeigten
sich bei Fieberzuständen der Mutter starke Schwankungen in
der Zunahme nach dem dritten Tage (cf. 1. c. No. 11, 23, 24,
30, 31, 44, 104). — Freilich ist dabei zu bemerken, dase
öfter die Kinder dieser Mütter selbst krank waren, weshalb
sich der Einfluss der Mutter auf deren Ernährungsstörungen
nicht genau abgrenzen liess.
Die Zange musste sieben Mal zur Extraction der Kinder
benutzt werden (cf. Tab. I., 24, 70, 76, 93, 112 und
Tab! II. B., 61 und 98). Die zwei Kinder der Tab. II. B.
wurden durch Kubmilch ernährt; auf vier der übrigen hatte
die lange Geburtsdauer — obwohl die Indication zur Anlegung
des Forceps vom Kinde ausging — keinen störenden Einfluss;
nur eines der mit dem Forceps entwickelten Kinder nahm
sehr stark ab, litt aber auch an einer bedeutenden doppel-
seitigen Ophthalmie <cf. Tab. I., 76.)
•Werfen wir nun noch ratsch einen Blick auf die Ergebnisse
der Wägungen von Neugeborenen, welche Breslau, Siebold
und Bartsch angestellt haben, so müssen wir zunächst mit
Breslau (Denkschrift der med. -Chirurg. Gesellschaft des Kanton
Zürich, 1860) darin übereinstimmen, dass „die Art der Er-
nährung von unzweifelhaftem Einflüsse auf die Zu- oder
Abnahme des Gewichts der Kinder sei*4; wir fanden aber nicht,
wie er, eine Gewichtsabnahme bei 61 Procent am zehnten
Tage nach der Geburt, gegen das Gewicht bei derselben und
können am allerwenigsten den Satz Breslau's unterschreiben,
wonach bis zum elften Tage die grosse Mehrzahl der Neu-
geborenen an Gewicht abnehmen und nur ausnahmsweise eine
Zunahme oder ein Gleichbleiben des Gewichts stattfinden soll.
Hätte Breslau nur einige wenige Kinder täglich gewogen,
430 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
so würde er sieh vou der Unrichtigkeit seiner Behauptung
überzeugt haben.
Auch den Resultaten Siebold'* muss entgegengehalten
werden, dass die betreffenden Kinder nur alle zwei Tage
gewogen sind und die Abnahme nur nach V4 und V* Pfund
angegeben ist Soöst hätte Siebold unmöglich bei 14 von 49
in den ersten Tagen weder' Zu- noch Abnahme gefunden,
würde nicht als Termin der wiederbeginnentjen Zunahme
durchschnittlich den sechsten bis siebenten Tag nach der
Geburt angeben und am wenigsten behaupten können, dass
die Kinder am fünften bis siebeilten Tag das ursprüngliche
Gewicht wieder erreicht hätten.
Bartich, der nur fünf Kinder wog, bat trotzdem richtigere
Resultate erlangt, wie Siebold, und seine Behauptung, dass
der dritte Tag für ein normales Kind doch wohl der letzte
des Abnehmer sein, dann aber wieder Gewichtszunahme
stattfinden möge, kommt untreu Resultaten sehr nahe.
Fassen wir endlich die Ergebnisse der obigen Unter-
suchungen nochmals zusammen, so fanden wir
1) die Knaben durchschnittlich schwerer, als die Mädchen,
2) den Abfall der Nabelschnur in 3/4 der Fälle am dritten
oder ^vierten Tage.
Wir erwiesen ferner:
6) Alle Kinder nehmen bald nach der Geburt an Gewicht ab.
4) Die Höhe dieser Gewichtsabnahme beträgt bei gesunden
durchschnittlich 12,2 Loth;
5) die Dauer meist zwei bis drei Tage.
6) Bei ausgetragenen gesunden durch4 Muttermilch ernährten
Kindern beginnt sofort nach dem Aufhören der Ab-
nahme eine Wiederzunahme an Gewicht durch-*
«chnittlich am dritten oder vierten Tage nach der Geburt.
7) Dieser Zeitpunkt fällt in der Regel mit dem
Abfall des Nabelschnurrestes zusammen.
8) Die Höhe der Zunahme bis zum incl. zehnten Tage nach
der Geburt bei gesunden durchschnittlich 15,02 Loth.
9) Die meisten Kinder haben mithin am zehnten Tage
schon das ursprüngliche Gewicht wieder erreicht.
10) Hiervon sind nur die durch Kuhmilch ernährten und die
nicht ganz ausgetragenen Kinder ausgenommen.
fßr Gebartshnlfe In Berlin. 43 J
11) Erstere nehmen auch nach dem Abfalle des Nabelschnur-
restes meist noch eine Zeit lang sehr ab; letztere sind
schwankend in der Zunahme. Und endlich
12) Erkrankungen der Mutter und des Kindes machen sich
durch langer dauernde Abnahme und geringe und
schwankende Zunahme im Gewichte des Kindes be-
merklieb.
Da ich weit entfernt bin, zu glauben, dass die oben
angegebenen Durchschnittszahlen für die Ab- und Zunahme
auch für eine grössere Zahl von Kindern genau, passend sein
sollten, so verspreche ich meinerseits schliesslich diese
Wägungen wie bisher fortzusetzen, bitte aber zugleich die-
jenigen Fachgenossen, welche sich für diesen Gegenstand
interessiren und in geburtshülflichen Anstalten Gelegenheit
haben, viele Kinder zu wiegen, ebenfalls die Sache zu unter-
suchen , um dadurch die Berichtigung jener Durchschnittszahlen
zu fordern und sich von der Wahrheit des oben entwickelten
Naturgesetzes zu überzeugen. — Hauptsächlich aber werden
weitere Wägungen den Zweck haben, den Einfluss der
Erkrankungen der -Mütter und Kinder in Bezug auf das
Allgemeinbefinden der letzteren näher zu eruiren. Sie werden
unzweifelhaft viel zu einer genauen Bestimmung der Krankheits-
dauer, Intensität u. s. w. beitragen und dadurch vielen Ge-
bieten der Physiologie und Pathologie schätzbare Beiträge
liefern. Genau angestellt werden sie uns stets das beste
Barometer über das Befinden der Neugeborenen sein und uns
leicht in Zahlen zeigen, was der Säugling durch Worte nicht
kund geben kann.
432
XXII. Verhandlungen der Gesellschaft
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442 XXII. Verhandlungen der Gesellschaft etc.
Nachträglich ist noch zu bemerken, dass Hof mann
schon im Jahre 1845 in der Würzburger Gebäranstalt drei
Monate hindurch im Ganzen 36 Neugeborene alle Tage bis
zu ihrer Entlassung gewogen hat. Die Ergebnisse, welche
er in dem 27. Bande der Neuen Zeitschrift für Geburtskunde,
Heft IL, pag. 146 mit Anhang der betreffenden Tabelle ver-
öffentlicht hat, lauten: „Bei der Mehrzahl der Kinder dauert
die Gewichtsabnahme bis in den dritten Tag hinein fort.
Von jetzt an nimmt das Kind wieder zu , und bis zum fünften
bis sechsten Tage nach der Geburt hat es meistens jene
Schwere wieder erreicht, die es nach der Geburt hatte,"
Mit der ersten Hälfte dieses Satzes vollständig ein-
verstanden, müssen wir die Richtigkeit der zweiten Angabe
aus unseren zahlreichen Erfahrungen um so mehr bezweifeln,
als Hof mann erstlich nicht angegeben, ob er die Kinder
auch gleich nach der Geburt selbst gewogen habe und
ferner die zum Einwickeln der Kinder benutzten Windeln
stets mit in das Gewicht des Kindes eingerechnet hat —
Uebrigens ergiebt eine genauere Berechnung der Hofmanri&chen
Tabelle, dass bei den 24 Kindern, welche ihr ursprüngliches
Gewicht rasch wieder erreichten, dies durchschnittlich erst
am siebenten Tage nach der Geburt der Fall war.
Den Einfluss der Ernährungsweise des Kindes hebt
Hof mann nicht besonders hervor, — seine Tabelle enthält
aber mehrere schöne Beispiele (5 und 31) von Kindern, die
von der Mutterbrust nicht gestillt noch fortdauernd nach
dem dritten Tage abnahmen.
XXIII. Meissner, Mittheilnngen Aber die Thtttigkeit etc. 443
XXIIL
Mittheilungen Aber die Thätigkeit und die Ver-
handlungen der Gesellschaft für Geburtshttlfe
zu Leipzig
im siebenten Jahre ihres Bestehen».
I. Jahresbericht,
erstattet durch den d. Z. Secretär
Dr. med. Emil Apollo Meissner.
Vorgetragen am 15. AprU 1861.
Bevor der für das siebente Geschäftsjahr unserer Gesell-
schaft erwählte Vorstand seine Function niederlegt und zur
statutenmässigen Vornahme einer anderweitigen Wahl auf*
fordert, liegt demselben noch ob, Rechenschaft über die Zeit
seiner Amtsführung zugleich mit dem Berichte über die gleich-
zeitigen sonst unsere Gesellschaft betreffenden Ereignisse ab-
zulegen, was zugleich im Namen des Dr. Ploss als Director
und Dr. Sichel als Vicedirector, im Folgenden meinerseits
geschehen soll, während Dr. Hennig als Kassirer besondere
Mittheilung ober den Rechnungsabschluss und die Budget-
vorlagen machen wird.
Die Personalverhältnisse unserer Gesellschaft anlangend,
erlitten wir zwei Mal Verlust auswärtiger Mitglieder durch
den Tod. — Am 30. Mai v. J. verstarb nach längeren
Leiden Dr. Friedrich Eduard Riemschneider in Grimma,
über welchen Ref. in der nächst darauf folgenden fünfund-
siebenzigsten Sitzung den nachfolgenden Nekrolog gab : Unser
Riemschneider 9 der Sohn eines Kaufmanns zu Chemnitz,
war daselbst am 24. Juni 1814 geboren, besuchte das Gym-
nasium seiner Vaterstadt und bezog Ostern 1835 die hiesige
Universität, wo er sich mit Fleiss dem medicinischen Studium
widmete und vom April 1839 bis August 1840 als Assistent
an unserer Entbindungsschule fungirte. Am 21. August 1840
wurde er nach Verteidigung seiner Dissertation über die
therapeutische Anwendung des Tabaks promovirt, machte
444 XXIII. Meissner, Mittheilungen aber die Thätigkeit
dann zu seiner weiteren Ausbildung, namentlich in der
Chirurgie, eine wissenschaftliche Reise nach Hamburg, Berlin,
Breslau und Prag, und Hess sich darauf in Grimma nieder,
woselbst er des wohlbegründeten Rufes eines tüchtigen und
gesuchten Praktikers, besonders als Geburtshelfer und Operateur
sich erfreute. Bei Einführung des neuen Gerichtsverfahrens
im Jahre 1856 wurde ihm nach der zwei Jahre vorher über-
standenen Physikats- Prüfung die Stelle eines königlichen Ge-
richtsarztes übertragen. Im Jahre 1841 verheirathete er sich
mit Frau Amalie Therese verw. gew. Rittergutsbesitzer
Küstner, die ihm vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter
zubrachte, denen er gleich der hinterlassenen einzigen, jetzt
sechszehn Jahre alten, leiblichen Tochter, ein wahrhaft väter-
licher Freund und treulicher Versorger war; ja der Tod einer
.Stieftochter nagte sichtlich an seinem Herzen und untergrub
anscheinend auffallend seinen, als Student wahrhaft bewun-
dernswert kräftigen Körperbau und eine Gesundheit, die ihn,
einen in der Jugend eifrigen Turner, mit wahrhaft blühendem
Aussehen ausgestattet hatte, so dass Niemand hätte vermuthen
können, er werde so frühzeitig und zwar in Folge einer
verderblichen Dyskrasie dem Tode zum Opfer fallen. Ein
massenhaftes rechtsseitiges pleuritisches Exsudat warf ihn auf
ein längeres Krankenlager, auf welchem er auch noch die
Hilfe unseres Collegen Dr. Benno Schmidt hier begehrte,
der aber bei mangelnder Verdrängung der Leber die
Thoracocentese als wenig Erfolg versprechend, vorzunehmen
verweigerte. Die Section ergab dann auch neben dem
blutigen Exsudate Carcinom des Magens, ein bei dem Mangel
der betreffenden Erscheinungen im Leben um so mehr über-
raschender Befund, als der Verewigte ein carcinomatöses
Geschwür am Penis, das auf die Diagnose der Dyskrasie
hätte führen können, gegen. Jedermann verschwiegen hatte.
Die unausgesetzt sorgsame Pflichttreue als Arzt, seine auf*»
opfernde Wohlthätigkeit sichern ihm am Orte seiner Wirk-
samkeit das ehrenvollste Andenken. Unserer Gesellschaft
gehörte er als correspoudirendes Mitglied seit dem 20. No-
vember 1854 an.
Unerwartet schnell folgte ihm schon am 4. Decembe;* 1860
meiil unvergänglich theuref Vater, Dr. Friedrich Ludwig
u. d. Verband!, d. Gesellschaft f. Gebnrtshülfe «u Leipiig etc. 445
Meissner zu Dresden , welchem in der nächsten- (zweiund-
achtzigsten) Versammlung Director Dr. Ploss Worte ehren-
den Gedächtnisses nachrief, unter Verweisung auf die im
Leipziger Tageblqtte vom 7. December v. J. enthaltene, hier
nur in einigen wenigen Punkten authentisch berichtigte
Lebens -Skizze: Dr. Friedrich Ludwig Meissner, hierselbst
geboren am 25. August 1796, war der Sohn des hier im Jahre
1812 am Kriegstyphus verstorbenen Ober -Katecheten an der
St. Pelerakirche und durch seine tiefe Kenntniss der orienta-
lischen Sprachen seiner Zeit bekannten Professor extra-
ordinarius, Dr. theol. Meissner. Er bezog nach erhaltener
Vorbildung im Gymnasium zu St. Nicolai hier und der
Fürstenschule zu Grimma im Jahre 1815 die hiesige Uni-
versität, wo ^r seinen früheren Plan bald aufgehend, sich
den Studien der Hedicin widmete. Namentlich war es hier
die Geburtshilfe, der er seinen eisernen Fleiss zuwendete, und
darum übertrug ihm auch der damalige Professor und spätere
Hofrath Dr. Jörg die Stelle eines Hilfsarzies an dem seiner
Leitung übergebenen TWir'schen Institute, im Februar 1818,
welche er bis Ende April 1819 bekleidete. Von seiner Pro-
motion am 9. Juli 1819 an, entfaltete er hier eine überaus
fruchtbare Thätigkeit als Arzt und vielbeschäftiger Geburts-
helfer (bis Ende 1856 war er allein in über viertausend
Geburtsfällen hilfreicher Beistand) und als Schriftsteller auf
verschiedenen Gebieten der Heilkunde, namentlich aber der
Geburtshülfe , Frauen- und Kinderkrankheiten. Zu drei
verschiedenen Malen wurde ihm in Folge dessen theils vor-
läufiger Aritrag, theils wirkliche Berufung zum Lehramte dieser
Fächer nach Dresden, Greifswald und Freiburg im Breisgau,
er lehnte sie indessen ab, blieb hier in der bescheidenen
Stellung eines Privatdocenten, periodisch selbst unter Leitung
einer, auf eigene Kosten unterhaltenen geburtshilflich -gynä-
kologischen Poliklinik thälig, und übernahm im Februar 1830
auch die Stellung eines Arztes am hiesigen Taubstummen-
Institute. Seine wissenschaftlichen Bestrebungen wurden auch
von nicht weniger denn sechszebn wissenschaftlichen Corpora-
te onen, darunter den kaiserlichen Akademieen zu Paris und
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Moskau durch Ernennung zu deren Mitgliede anerkannt
Der hiesigen medicinischen Gesellschaft und der Gesellschaft
446 XXIIi. Mtitsnsr, Mittheil tragen über die Thätigkeit
für GeburtshüUe gehörte er als früherer Mitstifter, mehr-
jähriger Vicedirector, ordentliches, uod spater correspondiren-
des Mitglied an, bis ihm letztere am 5. Februar 1860 das
Diplom der Ehrenmitgliedschaft votirte. Daq Vertrauen seiner
Mitbürger berief ihn 1840 in das Stadtverordneten-Collegium,
in dem er von 1841 — 1845 unter schwierigen Verhältnissen,
die namentlich durch die öftere längere Abwesenheit des da-
maligen Vorstehers, Appellationsgerichts -Vicepräsidenten Dr.
Haase, zum Landtage bedingt waren, das Amt eines Vice-
Vorstehers verwaltete. Einen grossen Theil seiner ihm nur
sparsam vergönnten Musestunden verlebte der Verewigte in
den ihm überaus liebgewordenen Kreisen des Freimauerbundes,
in welchem er schon im Mai 1820 bei der Loge Apollo
hierselbst Aufnahme fand, auch verschiedene •Beamtenstellen
in derselben, wie namentlich die eines Meisters vom Stuhl
vom Juni 1835 — 1851 verwaltete. Im März 1841 berief ihn
der gesammte sachsische Logenbund zum zugeordneten, 1857
aber zum hammerfuhrenden Grossmeister der grossen Landes-
loge von Sachsen zu Dresden, wohin er sich im Mai des-
selben Jahres wendete. Noch vor zwei Jahren übernahm er
dort die Leitung der vereinigten Logen zu den drei Schwer-
tern und Astraea zur grünenden Raute, und in ihrem Kreise
ereilte ihn am 4. December 1860 Abend 6l/4 Uhr, mitten im
Gespräche ein Schlagfluss, der seinem thätigen Leben ein
jähes Ziel setzte. Die Herren Medicinal-Rath Dr. Wamate,
Dr. Hagspihl, Assistenzarzt der chirurgischen Abtheilung am
Dresdner Stadtkrankenhause und Hofwundarzt Zimmermann^
die sich zum Theil bereits in seiner unmittelbarsten Nähe be-
fanden, machten sofort Belebungsversuche, öffneten ihm die
Adern, aber schon floss kein Blut mehr aus denselben! —
Der Verklärte war zwei Mal verheirathet und hinterlässt in tief-
ster Trauer eine Wittwe Amidie, geb. Lehnhold, vier Söhne
und eine Tochter, welche Letztere erst vor Kurzem mit Herrn
Dr. phiL Richard Habenieht, Gymnasiallehrer in Zittau sich
vermählt halte. * Bei seiner unermüdlichen Thätigkeit früher
iron einem überaus kräftigen Körperbau unterstützt, erkrankte
der treue Freund seiner Kranken in den Jahren 1844 bis 1851
wiederholt sehr ernstlich, worauf dann die alte Kraft und
rüstige Blüthe seines gleichsam neuvorjüngten Lehens wieder-
n. d. Verband], il. Gesellschaft f. Gebnrtshfllfe «n Leipzig etc. 447
kehrend, einen noch langen heiteren Lebensabend zu ver-
heissen schien. Allein im Rathe des Höchsten war es
anders beschlossen, und zur innigsten tiefsten BetrQbniss der
liebenden Seinen, seiner zahlreichen Freunde und Verehrer
ging er schnell und unerwartet in die Wohnungen des ewigen
Lichts , der ewigen Liebe, in deren Abglanze sein edles Herz
hienieden, schon so vielfältig siclr bethätigte.' Friede seiner
Asche!"
Dagegen wurden neu aufgenommen, theils als correspon-
dirende, theils als ordentliche Mitglieder: Dr. Carl Friedrick
Becker -Laurich, herzog). Sachsen -Altenburg. Bnmnenarzt
in Ronneburg, Professor Dr. Bernhard Breslau , Director
der Gebäranstalt in Zürich, Dr. Carl Ferdinand Kottnuwn,
prakt. Arzt und Geburtshelfer, und Professor Dr. Hugo
Sonnenkalb , königl. und Stadt -Bezirksarzt allhier, sowie
Dr. Carl Ferdinand Kern, Director der Erziehuags-,
Unterrichts- und Pflege -Anstalt für geistesschwache und blöd-
sinnige Kinder in Möckern.
Als Geschenke für das Archiv der Gesellschaft gingen
ein: drei Schriften Dr. C. F. Becker -LauricK* über die
jodhaltige Eisenquelle zu Ronneburg, die Denkschrift der
medicinisch- chirurgischen Gesellschaft des Kantons Zürich zur
Feier des fünfzigsten Stiftungsfestes am 7. Mai 1860, Pro-
fessor Dr. Breslau9 8 Arbeit zur Frage über die Ursachen des
Geschlechtsverhältnisses der Kinder, nebst einigen andern* Bei-
trügen, zur vergleichenden Statistik mit besonderer Rücksicht
auf den Kanton Zürich (Separatabdruck aus Oesterlen'a Zeit-
schrift für Hygiene, medicinische Statistik und Sanitatspolizei,
I. Band) und dessen Jahresbericht über die Ereignisse in der
Gebäranstalt (aus dem Jahresberichte über die Verwaltung
des Medicinal- Wesens des Kantons Zürich im Jahre 1859),
Dr. Hennig's dritter Bericht der Poliklinik für Kinder zu
Leipzig, umfassend die Jahre 1857 — 1860, Dr. Ludwig Adolf
Neugebauer's Schrift über die Dammnaht (in polnischer
Sprache), letztere durch Director Dr. Ploss^ der auch seine
Arbeit zur Zwillings -Statistik (im Monatsblalte für medicinische
Statistik und öffentliche Gesundheitspflege Nr. 1, Beilage zur
deutschen Klinik vom 26. Januar 1861, erschienen) ein-
lieferte.
448 XXIII. M*i*$ner, Mittheil nngen über die Tätigkeit
Die Verhandlungen unserer Gesellschaft erfolgten in
diesem jetzt abgelaufenen siebenten Geschäftsjahre in drei-
zehn (der dreiundsiebenzigsten bis mit fönfundachtzigsten)
Sitzungen, welche am 16. April, 21. Mai, 18. Juni, 16. Juli,
13. August, 10. September, 8. und 29. October, 19. Novem-
ber, 17. December 1860, 21. Januar, 18. Februar und
18. März 1861 abgehalten wurden. Mit der Zahl der Versamm-
lungen selbst ist auch die rege Betheiligung der Mitglieder an
denselben nicht nur in steter erfreulicher Zunahme gewachsen,
sondern wir wurden auch dabei durch den zahlreichen Besuch
von Gästen, als den Herren Hofrath und Ritter Professor
Dr. C. G. Th. Butte y Professor Dr. C. E. Bock, Professor
Dr. E. L. Wagner, Stadtrath Dr. B. L. G. Lippert sen.,
und Dr. F. Dudensing (des letzteren wiederholt) sämmtlich
von hier, Medic. Practic. C. G. F. Schmidt aus Neu-
schönefeld und Kreisphysikus Ritter Dr. Bichter aus Weissen-
fels, erfreut.
Wesentlichen Einfluss auf die rege Förderung des inneren
Gesellschaftslebens übten augenscheinlich die mehrfachen Ver-
handlungen über Standesinteressen, zu denen wiederholt Ver-
anlassung gegeben wurde. — Bereits in der sechsundsieben-
zigsten Sitzung beantragte Hofrath Dr. Credo auf Grund eines
ihm neuerdings vorgekommenen Falles ein entscheidendes Vor-
gehen der Gesellschaft zur Erörterung der bereits im vorigen
Jahrfe ventilirten Frage über die Berechtigung der
Geburtshelfer, auch ohne Zuziehung einer ver-
pflichteten Hebamme, selbstständig Entbindungen
vorzunehmen; welcher Antrag die sofortige Niedersetzung
einer aus Hofrath Dr. Credit Vicedirector Dr. Sickd und
Dr. Hennig bestehenden Commission zur Folge hatte. In der
darauf folgenden Sitzung berichtete diese Commission über
ihre Verhandlungen in einem Majoritäts- Gutachten (vertreten
durch Credi und Hennig) über die gesetzlich unbeschränkte
Berechtigung der Geburtshelfer, und in "einem Minoritäts-
Gutachten (Sichel) über die in praxi nur vorteilhaftere Zu-
ziehung von Hebammen. Die Gesellschaft beschloss unter
meiststimmiger Annahme des Majoritäts-Gutachtens in einer
Eingabe an den Stadtbezirksarzt, zur eventuellen Mittheilung
an den Stadtrath: die Belehrung der Hebammen über ihre
u. d. Verhandl. d. UeaelUchaft f. Geburtsbiilfe xa Leipsig etc. 449
betreffenden Pflichten und Rechte zu beantragen. Die unterm
2. Januar d. J. darauf erfolgte Resolution gab zu erkennen,
dass der Stadtrath die nach § 72 der allgemeinen Hebammen-
Ordnung allenthalben Seitens der Hebammen anzuerkennende
Superiorität des anwesenden Geburtshelfers als Criterium be-
zeichnet, der Stadtbezirksarzt dieselben auch noch überdies
hinsichtlich der betreffenden Sachlage verständigt habe.
In der 78. Sitzung ferner wurde auf Antrag des
Dr. Zinssmann ein weiterer, auf Wahrung der Standesehre
den Hebammen gegenüber bezuglicher Beschluss gefast.
In der 83. Versammlung endlich richtete Director
Dr. Ploss die Aufmerksamkeit der Collegen auf eine von der
hiesigen Communalgarde an die jetzt tagende Stände-
Versammlung gerichtete Petition, welche die Hebung und
Förderung dieses Institutes bezweckt und unter Anderem auch
die im betreffenden Gesetze von 1851 angeordnete Dienst-
befreiung der Geburtshelfer aufzuheben beantragt
hat In der darauffolgenden Versammlung wurde demgemäss
nach Mittheilung des Wortlautes dieser Petition in den uns
betreffenden Stellens eine aus Director Dr. Ploss, Dr. Koll-
mann und dem Ref. bestehende Commission ernannt, welche
sich zwei Mal zu Conferenzen vereinigte, den von Dr. Kollmann
ausgearbeiteten Entwurf annahm, und nach öffentlichem Auslegen
der gleichfalls au die hohe Ständeversammlung gerichteten
Erklärung in hiesiger Salomonis-Apotheke, selbige schliesslich
dem Abgeordneten der Stadt Leipzig N Herrn Dr. Carl Heyner
zur Ueberreichung an die genannte hohe Kammer ausantwortete,
worüber die Berichterstattung in der letzten Zusammenkunft
des abgelaufenen Geschäftsjahres das Weitere mittheilte.
In der 77. Sitzung gab Director Dr. Ploss eine kurze
statistische Zusammenstellung über die Vertheilung der
praktischen Geburtshelfer auf die Bevölkerung
Sachsens nach den verschiedenen Bezirken.
Hinsichtlich der rein wissenschaftlichen Verhandlungen
über Gegenstände der Geburtskunde im engeren Sinne
beginnen wir mit Dr. Hennig s Vortrag in der 85. Sitzung
über das Erbrechen der Schwangern. Der Redner führte
an, dass das Erbrechen der Schwängern meist im zweiten,
Mo«»tii<rhr.f, G*Wt*k. 1803. Bd.XIX., Hft.6. " 29
450 XXIII. Meissner, Mittheilungen über die Th&tigkeit
bis vierten Monate stattfindet, oft schon früher beginnt, auch
manchmal schon kurz nach der Conception anhebt und in
der Regel bis gegen Ende des fünften Monats, seltner länger
andauert. Ueber die erst in der letzten Periode der Schwanger-
schaft vorkommenden Fälle von Erbrechen bei denen andere,
meist rein mechanische Ursachen obwalten, gedachte Hennig
sich dabei aber nicht weiter zu verbreiten. In den ersten
Monaten erfolgt das Erbrecheu meist früh beim Aufrichten,
Ankleiden, beim ersten Herumgehen oder nach dem Genüsse
des Frühstücks, weniger häufig erst nach dem Mittagsessen,
seltener nach jeder Mahlzeit Häufiger ist das Erbrechen
von Genossenem als bei leerem Magen, aus dem dann,
unter die Schwangern begreiflicher Weise mehr angreifendem
Würgen, nur Schleim, Blut, Galle, entleert wird. In der Regel
greift das Erbrechen die Schwangern aber nicht sehr an,
oft zeigt sich auch keine Appetitverminderung, Abmagerung
oder Mattigkeit, durchgängig auch kein Einfluss auf die Er-
nährung der Früchte. Im Ganzen häufiger erbrechen Erst-
schwangere, reizbare Subjecte und Anaemische. Zu Ende der
Schwangerschaft hält das Erbrechen dagegen keine bestimmte
Zeit, sondern tritt meist erst bei gefülltem Magen ein. Die
Ursache des Erbrechens Schwangerer ist in einem Consensus
des Uterus mit dem Magen zu suchen. Die wenigen hierher
gehörigen Sectionsbefunde zeigten meist nur Magenkatarrh,
selten dagegen nur Geschwüre und "Verdrängung des Magens
und der Leber. Auch wurde in einzelnen Fällen Umgebogen«
sein eines zungenförmig verlängerten Leberlappens und selbst
Compression einzelner Lungentheile beobachtet Dergleichen
anatomische Störungen sind indessen bei Erörterung. «ler
Ursachen des idiopathischen Erbrechens Schwangerer zu
trennen. Der häufig gezogene Vergleich mit der Seekrankheit
trifft nicht zu , da dort dem Erbrechen regelmässig Schwindel
vorausgeht, welcher aus der Störung des körperlichen
Gleichgewichts entspringt. Fast durchgängig wird als Ur-
sache des Erbrechens Schwangerer Anaemie des Gehirns an-
genommen, doch auch diese wird unwahrscheinlich durch die
fehlenden übrigen schweren Erscheinungen, die bei Gehirn-
anämie sonst dem Erbrechen vorauszugehen pflegen. Thera-
peutisch rühmt der Redner den Gebrauch der Tinctura nucis
u. d. Verbandt. d. Gesellschaft f.Geburtabülfo »u Leipslg etc. 451
vonricae zu zwei bis fünf Tropfen Mehrmals täglich (wodurch
in fünf sehr hartnäckigen Fällen allein Heilung von ihm er-
zielt wurde), ausserdem Eispillen, Eisenpräparate und Natrum
bicarbonicum. Nachweisliche örtliche Störungen sind gehörig
zu berüksichtigen. Der künstliche Abortus ist nicht zu
empfehlen, da seine bisherige Anwendung in verzweifelten
Fällen den Tod der Mutter nie zu verhindern vermochte. —
Bei der Besprechung dieses Gegenstandes rühmte Hofratb
Professor Dr. Crede den Vorlheil consequent angewendeter
JUystire, Dr. Kollmann den zeitigen Genuss des Frühstückes
im Bette und das Aufstehen erst nach darauf eingehaltener
1% stündiger horizontaler Lage; gedachten Dr. Germann
der häufig zu Grande liegenden Dislocationen des Uterus und
der Berichterstatter der wenigstens in einigen Fällen vorhan-
denen relativen Gehirnanäniie, als ursachliches Moment
Der in der 79. Sitzung abgehaltene Vortrag des Referenten
über Rheumatismus uteri gravidi ist bereits in der
Monatsschrift für Geburtskunde, Bd. 18, Heft 1, p. 39, ver-
öffentlicht worden.
s
lieber den Einfluss des Blitzschlages auf
Schwangere, theilte der Berichterstatter die einschlagende
Casuistik mit daran geknüpften Betrachtungen in der 83. Sitzung
mit. Die citirten Fälle waren dem Aufsalze Dr. W. Stricker'*
in Frankfurt am Main über die Wirkung des Blitzes auf deu
menschlichen Körper, c£r. Virchotv's Archiv für patholo-
gische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin,
Bd. XX, Heft 1 und 2,.pag 54, 60, 67, sowie Schmidts
Jahrbüchern, Bd. 100, S. 79, und den medicinischen Jahr-
büchern für das Herzogthum Nassau, Wiesbaden 1853,
11. Heft, p. 149, entlehnt, während ein sechster Fall aus
Dr. Zinssmann's Praxis neuerdings vom Schreiber dieses in
einer Nachschrift zu seinem erst jetzt veröffentlichten früheren
Vortrage über die Melancholie der Schwangeren, siebe all-
gemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch -gerichtliche
Medicin, redigirt von Damer ow, Flemming, Boller und
Heinrich Laehr 7 ausführlich gedruckt erschienen ist.
In der 80. Sitzung gelangte die folgende Correspondenz-
Mittheilting Dr. Becker-Laurich'» inRonneburg: „Tod einer
29*
452 -XXIII. Meissner, Mittheilungen über die ThBtigkeit
Hochschwangern durch Verunglücken" zum Vortrag.
„Die Ehefrau des Mühlenbesitzers L. , eine ausserordentlich
kräftige, wohlhäbige Frau, Mutter mehrerer Kinder, 37 Jahre
alt, im siebenten bis achten Monate schwanger, langte am
21. August (1860) ein Kleid aus einem hohen Kleiderschranke
heraus, trat beim Zurücktreten mit dem linken Fusse durch
die schmalen Dielbretter hindurch, rutschte gewaltsam mit
diesem Fusse bis an die SchamtheiJe durch das entstandene
Loch im Fussboden und presste mit grosser Gewalt den rech*
ten Unterschenkel in halbgebogener Lage an den Unterleib
an. Bei ihren kraftigen Bewegungen, sich aus dieser Lage zu
befreien, stellte sich sofort eine bedeutende Blutung ein, doch
gelang es ihr, den linken Fuss zu befreien und sie wankt
auch noch allein bis zu ihrem Schlafzimmer, eine breite
Strasse von Blut hinter sich lassend, legt sich zu Bette und
verlangt ärztliche Hülfe. Eine Kindfrau* und ein Chirurg
waren zuerst bei ihr und machten kalte Wasser um schlage mit
Essig auf den Unterleib; ich war nicht sogleich zu finden ge-
wesen und kam erst 3/4 Stunden nach geschehenem Unfälle
mit den gewöhnlichen Analepticis und meinem chirurgischen
Bestecke zur Kranken. Meine erste Frage war nach dem Zu-
stande der Mutter. Doch nur einige Athemzüge, und sie war
todt! Auf meine Frage bei der sehr geschickten und leidlich
zuverlässigen Kindfrau erführ ich, dass dieselbe bis vor zehn
Minuten noch Kindesbewegungen gespürt habe, doch ver-
mochte ich trotz der genauesten Untersuchung mit dem Süieto-
skope und mit blossem Ohre nirgends einen Herzschlag zu
hören oder Bewegungen zu fühlen. Die äussere Untersuchung
ergab : den Fundus uteri 1 J/a Zoll über dein Nabel, kleine Theile
nach rechts, Bücken und Steiss nach links und oben; die
innere Untersuchung: die Scheide ausgefüllt mit Blutcoagulis,
die Scheidenportion einen Zoll lang, den Muttermund für zwei
Finger durchgängig, Kopf ballotirend, die Eihäute intact —
Nach 24 Stunden machte ich in Begleitung meiner Collegen
die Section. Die Leiche hatte das eigentümliche, wachs-
ähnliche Aussehen der an Verblutung Gestorbenen, Todten-
starre sehr bedeutend, Todtenflecke fehlten, Temperatur der
Leiche nicht so kühl, wie zu erwarten gestanden, Gesichts-
züge eingefallen und alterirt Der Leib war breit gelaufen,
n. d. Verband], d. Ge*eܧchaft f. Geburtohülfe zu Leipzig etc. 453
der Fundus uteri lJ/4 Zoll über dem Nabel. Bei Eröffnung
der Bauchhöhle zeigte sich sofort der Uterus» aber nicht ge-
spannt, sondern wie eine zu dreiviertel gefüllte Kautschuk-
blase; er sah sehr blutleer aus, und seine Wände zeigten beim
Einschneiden eine Resistenz , welche ich im menschlichen Kör-
per bisher bloss an der Sclerotica in diesem Grade gefunden
habe, so dass ich das Hesser mit der Scheere vertauschte
und den Uterus mit einem grossen Langenschnitte Öffnete.
Aus den unverletzten Eihäuten ergoss sich eine grosse Quan-
tität chocoladefarbigen Fruchtwassers, gleichsam* als ob Blut
in dasselbe hinein gelaufen wäre, wozu sich aber keine Ur-
sache auffinden lies. Das Kind war ein sehr wohlgenährter
Knabe, mit noch nicht vollständig entwickelten Fingernägeln,
stand in der ersten Kopfstellung, wurde leicht entwickelt und
abgenabelt Der Nabelstraug enthielt viel Blut, die Haut des
Kindes sah bläulich und löste sich leicht ab. Nun suchten
wir die Nachgeburt und fanden dieselbe links und unten, in
ihrer oberen Hälfte gelöst, doch mit der unteren noch sehr;
fest ansitzend. Einen zweiten Grund für die Blutung ergab
ein Blutgefäss, dessen Natur ich' nicht zu bestimmen wage,
welches rechts und unten, vis ä vis von der Placentarstelle
geplatzt war, und dessen rabenfederkielweite Lumina m der
Atissenseite einer plötzlichen Biegung im stumpfen Winkel
klafften und noch mit Blutcoagulis besetzt waren. Höchst
wahrscheinlich war dieses Gefass in Folge des bedeutenden
Druckes vom Oberschenkel hier Ursache der tödtiichen
Blutung, denn in allen bisher von mir beobachteten Fällen
von Blutflüssen habe ich noch nie eine solche Menge von
abgegangenem Blute wie in diesem Falle zu sehen Gelegenheit
gehabt."
In der 75. Versammlung referirte Dr. Hennig über eine
künstliche Frühgeburt nach der Methode von Merrem-
Krau&e, die nebst dem späteren Sectionsberichte der Mutter
bereits in der Monatsschrift für Geburtskunde, Bd. XVI, Heft 3,
S. 177 veröffentlicht wurde.
Mehrfach verbreitet« sich Hofrath Professor Dr. Credo
über Simpson'* neueste Einwürfe gegen die Kepha-
lotrypsie und dessen Cranioklasma, welches durch
Dr. Amann im Intelligenzblatte bayrischer Aerzte, Nr. 34
454 XXIII. Meiisner, Mittfaeilongea über die ThKtigkelt
vom 25. August 1860, nachdrücklich empfohlen worden war.
Eine Mittheilung in der 79. Sitzung ruhmfce die Vorzüglich-
keit der Kephalotribe von Busch, die eich in der Nacht vom
6. zum 7. October v. J. bei der schweren Geburt eines
enorm grossen Kindes in Steisslage zur Extraction des nach-
kommenden Kopfes trefflich bewährt hatte. Nachdem durch
Dr. Haake in der 81. Versammlung der Cranioklast selbst
vorgelegt worden, diente ein in der 84. Sitzung gegebenes
Geburtsreferat, Hofrath Professor Dr. Credt zur abermaligen
Constatirung des Vorzugs der Kephalotrypsie vor dem
Cranioklasma. Nach vorausgeschickter Perforation war der
Cranioklast angelegt worden, es löste sich aber der vierte
Theil des einen Scheitelbeines einfach ab, und so musste
noch schliesslich zur Kephalotribe gegriffen werden, durch
welche die Extraction schnell und leicht vollendet wurde.
Gleichzeitig wurde eine neue Form der Kephalotribe, von
O. Hornn, hierselbst gearbeitet, vorgelegt.
Schon unterm 29. August v. J. übersendete Dr. Becker-
Lawrich in Ronneburg zwei deforme weibliche Becken
aus der Präparatensammlurig des Altenburger Krankenhauses,
«die beide Veranlassung zum Kaiserschnitte ge-
geben hatten, zugleich mit einigen Notizen, welche Hofratlf
Professor Dr. Crede in der 80. Sitzung, namentlich hinsichtlich
des zweiten spondylolislhetischen Beckens (wie inzwischen
schon bei der Versammlung deutscher Naturforscher und
Aerzte zu Königsberg am 19. September 1861). mit einigen
weiteren Bemerkungen vervollständigte. — Das erste herz-
förmig verengte Becken rührt von einer rhachitischen Frau
her, von der im Catalog nur gesagt ist, dass sie durch
Sect. Caesar, entbunden, und gleich dem Kinde gestorben sei.
Conjugata: 21/2//, schräge Durchmesser 4VÄ", Querdurchmesser
51/*". Linie, vom Promontorium nach dem horizontalen Scham*
beinaste gezogen, beiderseits 27t"- — Aus der Stellung der
Gelenkpfannen, der kräftigen Entwicklung des linken auf-
steigenden Schambeinastes, der leichten Neigung der Lenden-
wirbel und dem Ueberwiegen der Entwicklung des Os Sei dextri
über die des linken, welches erstere sich breiter und höher
zeigt, ergiebt sich, dass die Person auch mit bedeutender rechts*
seitiger Ausbiegung der Rückenwirbel und mehr oder weniger
u. <L Vtrhandl. d. Geselbcbftft f.Gebwtehülfe *u Leipzig ntc. 455
nach vom verkrümmten Oberschenkeln behaftet gewesen sei.
Diese Verkrümmungen mögen sich erst in den späteren Jahren,
vielleicht vom 10. an, entwickelt haben, da das Kreuzbein
sehr breit und von jeder seitlichen Neigung frei geblieben
ist. — Das zweite, an sich sehr weite, aber durch bedeu-
tende Vorwärtsbiegung der Lendenwirbel, verengte Becken,
leider nicht sorgfältig genug macerirt, schliesst sich an die
neuerdings mehrfach unter dem Namen der Spondylolisthesis
beschriebenen Becken an, und gehörte einem colossal ent-
wickelten achtundzwanzigjährigen Frauenzimmer an, die, wenn
sie gerade gewachsen gewesen wäre, zu den Riesen gezahlt
hätte, bei der jedoch in Folge der Verkrümmung der Kopf
nicht viel höher als das Becken gestanden, lieber die Ur-
sache der Verkrümmung, ob es eine angeborene, oder durch
Gewalt oder durch Lendenwirbel Vereiterung — wie es fast
den Anschein hat — erworbene gewesen, fehlen alle Nach-
richten. Am 7. Juni 1852 war die Trägerin zu Altenburg
durcli den Kaiserschnitt entbunden worden, aber ebenfalls mit
ungünstigem Ausgange für Mutter und Kind. Die äusseren
Messungen des Beckens ergaben den Abstand der Spinae
antL supp. oss. ilei 9" 5'" in liebten, der Cristae 9" 10"', die
Baudelocque'sche äussere Conjugata vom hervorragendsten
Punkte der Wirbelsäulenkrümmung aus 6" 10'". Die innere
Beckenmessung ergab einen Abstand vom Interstitium des
zweiten und dritten Lendenwirbels bis zum oberen Rande
der Schambeinfuge von 1" 11'", bis zum oberen Rande der
linken Pfanne 2", nach rechts 2" 4"'. — Die ideelle Con-
jugata des Einganges beträgt 4" 3'", der erste schräge Durch-
messer 4" 10'"; der zweite 4" 6'", der Querdurchmesser
5" 2";. In der Mitte des Beckenraumes betrug der gerade
Durchmesser 4" 8", der quere 4" 5"', und im Ausgange des
Beckens der gerade Durchmesser 3" 7"', der quere 3" 5'".
Die Spinae ischii standen 3" 1'" auseinander. Ausserdem
zeigt dieses Becken die Spuren einer vorhanden gewesenen
seitlichen Hydrorrhacbis. Das Kind war im letzteren % Falte
19" lang gewesen, hatte 3y4" im queren, 4% im geraden
und 5y4 im längsten Kopfdurchmesser dargeboten. — Eine
genauere Beschreibung des zweiten (spondylolisthetischen)
Beckens bat sich Herr Hofrath Professor Dr. Crede auf eine
456 XXIII. Meissner, Mittfceünngen über die TbHttgkeU
spätere Gelegenheit vorbehalten, weshalb wir hier eine solche,
ebenso wie die Beifügung einer Abbildung unterlassen woüeii.
Unter Benutzung der Beobachtungen mehrerer Gesell-
schaftsmitglieder, wie eigener Erfahrungen, hielt in der
76. Sitzung der Berichterstatter einen Vortrag über Leichen-
Entbindungen, der unter Einschaltung einiger erst später
dazu beigetragenen Fälle ausführlich sub Nr. 3, dem Be-
richte folgen soll.
In der 80. Sitzung sprach Hofrath Professor Dr. Crede
Aber die von ihm geübte Methode zur Entfernung der
Nachgeburt bei der natürlichen Geburt (siehe dessen klinische
Vorträge über Geburtshilfe 1853, p. 599, und Programm der
medicinischen Facultät zu Leipzig in memoriam Ernesti Qott-
lobi Bosii, 22. September 1860, auch die Verhandlungen
der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu
Königsberg im September 1860.) Nach Auseinandersetzung
der Vortheile, welche dieses Verfahren gewährt, bestätigten
Director Dr. Ploss und Vicedirector Dr. Sichel nach eigener
Erfahrung die Zweckmässigkeit der Methode.
In derselben Versammlung zeigte der Berichterstatter die
Nachgeburt eines ausgetragenen Zwillingsknaben
vor, welche zwischen den Eihäuten dieses und der gemein-
schaftlichen Placenta einen comprimirten im fünften
Monat abgestorbenen, auch von eigenen Eihäuten fest
umschlossenen eingebetteten Fötus enthielt. Die Mutler, eine
zweiundzwanzigjährige Erstgebärende, hatte als Wirthschafteriu
auf einem Landgute sich während der dort verheimlichten
Schwangerschaft stark eingeschnürt gehabt, sich subjectiv
immer wohl befunden und am 16. October Morgens V43 Uhr
eine reichliche Menge Fruchtwasser, V44 Uhr (vier Stunden
nach Beginn der Wehenthätigkeit) das reife Kind, V24 Uhr
die beregte Nachgeburt ausgestossen. Nachdem ähnliche Fälle
schon früher und neuerdings wiederholt durch Professor
Dr. Braun und Dr. Valenta (Spitalszeitung Nr. 5, Beilage
zur Wiener medicinischen Wochenschrift 1859, Zeitschrift der
k. k. Gesellschaft der Aerzte zu Wien, 16. Jahrgang 1860,
Nr. 6 und Nr. 21) gegen die Annahme einer etwa vorliegen-
den Superfoetation verwerlhet worden sind, erschien Referent
u. d. Verhaadl. d.G«s«llftahaft f.Geburtßbilf« an Leipaig etc. 457
••der vorliegende Fall besonders zur Erörterung der Frage ge-
eignet, ob hier vielleicht das übermässige Einschnüren der
Taille Seitens der die Gravidität zu verdecken beflissenen
Mütter, also ein peripherischer Druck, vorwiegend vor dem,
in andern Fällen allein als wirksam angenommenen centralen
(durch den reifen Zwilling ausgeübten) Druck die Compressioti
des kleineren Fötus bewirkt habe. Aber auch hier konnte nur
letztere einflussreich gewirkt haben, denn der kleine, nicht
ganz platt, sondern concav gedrückte Fötus, zeigte an dem
nach Innen gelagerten Seitenwandbeine eine Walluuss gross«
Impression mit Fractur, nach Aussen conveie Wölbung. Der
dem abgestorbenen Fötus zunächst liegende Piacentartheil
zeigte ausgebreitete Verödung der Gefasse. — Das Präparat
ist der Sammlung hiesiger königlicher Entbindungsschule ein-
verleibt worden.
Als willkommener Beitrag zur vergleichenden Geburts-
hülfe wurde in der 85. Sitzung das Referat des als Gast an-
wesenden Herrn Professors Dr. Bock über die Entbin-
dung eines Affenweibchens, die er am 16. Februar
d. J. in der Berliner Strasse allhier geleitet, entgegen-
genommen.
Im Besitze des Herrn ZobeHarhers Pansch, daselbst be-
finden sich seit dreiviertel Jahren ein Paar Affen (Meerkatzen-
Species) die, soviel sich beobachten Hess, nicht früher, als
bei der im September v. J. eingetretenen ersten Brunstzeit
des 'Weibchens einander, nach sofort eingetretener Cou-
ception aber nicht wieder begatteten. Nach fünfmonatlicher
Tüchtigkeit war der Geburt vierzehn Tage lang beim Weib-
chen Appetitmangel, trübe Stimmung und gegen früher auf-
fallend geringere Behendigkeit vorausgegangen. Herr Pro-
fessor Dr. Bock fand die Bauchmuskulatur schlaff, den
Uterus nicht sehr hart, nach unten zu in demselben den
Kopf des Jungen. Die aufrecht auf einem Breite sitzende
Aeffin liess sich anfänglich das Reiben des Bauches und von
oben nach abwärts gerichtete Streichungen desselben willig
gefallen, wendete sich aber ' sofort ab, als in Folge davon
baldigst eine schwarzblaue Geschwulst zwischen den Geni-
talien erschien, die sich später als Nase auswiess. Weiche
Unterlagen wurden vorgebalten und beim Vorrücken derGe-
458 XXIII.' Meissner, MUtheiluBgen über die TUitigktit
burt diese selbst durch Ziehen an den bereits ausgetreten««
Theilen befördert, worauf sich das Mutterthier alsbald um-
wendete und das Junge an sich drückte,, welches von männ-
lichem Geschlechte anfangs asphyctisch war und erst durch
das Belecken der Alten, sowie durch Waschungen und
Streichungen mit der Hand Herrn Professor Dr. Bocks be-
lebt wurde. Darauf klammerte es sich um die Mutter, die
es aufhob und herumschwang, auch später die Nabelschnur,
die sie vorher um ein Hinterbein gewickelt hatte, am Bauch-
ende des Jungen durchbiss. Das Junge war so gross wie
eine Ratte, hatte am Truncus schwarze Haare, die Extremi-
täten waren fleischfarbig. Der Lochienfluss aus den Genitalien
war unbedeutend und wurde von der Alten, ebenso wie früher
das Fruchtwasser von der Hand aufgefangen und abgeleckt
Die Placenla, nach einer Stunde . spontan abgegangen, wurde
vom Besitzer des Affen entfernt. Acht Tage lang genoss das
Mutterthier ausser dem aufgefangenen Lochientlusse nichts. —
Hinsichtlich des Geburtsvorganges ist noch zu erwähnen, dass
die Stirn nach dem Kreutzheine gerichtet war, während die
Vorderpfoten, aber nicht wie bei andern Säugethieren, unter
dem Kopfe lagen, sondern gleich den Hinterbeinen, der mensch-
lichen Geburt ähnlich, an den Truncus angedrückt, geboren
wurden. — Hofirath Professor Dr. Credo zeigte ini Anschlüsse
daran einige Affenbecken, resp. «in vollständiges Skelett aus
der Sammlung hiesiger königl. Entbindungsschule vor.
Unter den speciell gynäkologischeil Vorträgen ist mit den
zur physikalischen Untersuchung Bezug habenden Mitteilungen
des Directors Dr. Ploes zu beginnen, welche derselbe im An-
schJuss an seinen, dem fünften Jahresberichte folgenden Vortrag,
über einige Hülfsmittel bei der Vaginalinspection
in der 76. und 84. Sitzung gab und die mit Ausschluss
einiger nur im localen Interesse hinsichtlich der Untersuchung
der Prostituirten allhier gemachten Bemerkungen sub Nr. 2
diesem Berichte im Auszuge beigegeben sind.
Nächstdem empfiehlt Medicinalrath, Bitter Dr. Güntz ein
neues Hülfsmittel zur physikalischen Diagnose, das besonders
auch im gynäkologischen Interesse anwendbar, und von ihm
zunächst zur Erörterung des Causalnexus zwischen Melancholie
und periodischen Hirncongestionen in den klimakterischen
n. d. Verbandl. d. Gesellschaft f. Geburtshöl/o taLeiprig eic. 4£ß
Jahren der Frauen iß Gebrauch gezogen worden war. Der
im vertagten Modelle vorgezeigte Apparat besteht in einem
nach Art eines gleicharmigen Wagebrettes, zur Ermittelung
des Schwerpunktes im menschlieben Körper, construirten
Aequilibrium, dessen im Modelle 1° 2", in der Ausführung
3° 6" haltendes Planum vom Hypowocblion aus gegen die
Endpunkte hin in Centimeter eingeteilt ist, während die
Endpunkte selbst mit beweglichen, den Fussboden nicht
ganz erreichenden Stützen versehen sind. Da jeder thieriscbe
Körper aus festen, flüssigen und wandernden Bestandteilen
besteht, erstere sich physiologisch und pathologisch nach
Umfang und Inhalt verwandeln, letztere aher sich temporär in
den einzelnen Körpertheilen verschiedenartig vertheilen, so
wird auch der Schwerpunkt je nachdem in die eine oder die
andere Scheibe des durch den ganzen Organismus repräsen-
tirten Cylindroid's verlegt. Die Nutzanwendung des Apparates
Pur physiologische und pathologische Fragen zeigt sich bei
Ermittelung eines relativen Gewichtes der oberen und unleren
Körperhälfte; überwiegt z. B. die untere merklich gegenüber
der oberen leichteren, so taugt das benannte Individuum nicht
zum Reiter. Aber nicht nur zur Untersuchung des liegenden
Körpers eignet sich dies Aequilibrium, sondern audh zur Cenr
Xrole der Asymmetrie und Asympesie (ungleiches Gewicht der
Körperhalften) des aufrecht stehenden Körpers, in seiner
Breite» wie en face; so zeigt sich unter Hinzunahme eines
Senkbleies z. B. bei Asymmetrie des Schädels, Schiefheit def
Wirbelsäule, des Beckens u. s. f., begreiflicher Weise ein total
ungleichmässiges Gewicht der beiden Körperhälften. — Das
zumeist vom Redner ermittelte Gewicht der oberen und un-
teren Körperhälfte wird wesentlich verändert in den verschie-
denen Altersstufen, durch die alterirte Diffusion des Blutes
(besonders bei Hypostasen). In letztere» Beziehung interessirt
besonders die Controle über die Wirkung ableitender Mittel, als
derVenaeaection, der trockenen Schröpfköpfe, des «/tmod'schen
Stiefels; ausserdem die Controle über die Wirkung der im
Darmkanale wandernden Faeces, welche namentlich an den vier
vom Colon gebildeten Winkeln stocken, der Einfluss der Ge-
schwülste, Hypertrophieen, Wasseransammlungen an den ver-
schiedenen Körpertheilen, deren Consoüdiren und Seilwinden,
460 XXIII. Mrittntr, Mitthe Illingen über die Thtttigkeit
dann der Menstruation und der Schwangerschaft. Der Schwer-
punkt liegt im nicht schwangeren Zustande im Beckenein-
gange nahe dem Fundus des jungfräulichen Uterus, rückt
aber in der Schwangerschaft mehr und mehr in die Höhe,
wie, nachdem die Wage in's Gleichgewicht gelangt jedes Mal
durch das Anziehen eines mit Lösung salpetersauren Silber-
oxyds getränkten Fadens nachzuweisen war, der in einer
Querfurche im Centralpunkte des Wagebrettes gedeekt lag
und am Röcken eine Marke verursachte. Die Untersuchungen
geschehen durch horizontales Auflegen der nur mit einem
Hemde bekleideten Personen auf das Planum nach Entleerung
der Harnblase und bei Abwesenheit von Stuhldrang, während
zugleich der Kopf mit einein Gummiball unterstützt und ein
gleicher in ähnlicher Entfernung vom Mittelpunkte zwischen
den Füssen erhalten wurde. Die Schlusssätze, welche der
Redner aus seinen Untersuchungen zog, sind folgende: 1) der
Schwerpunkt des liegenden Menschen fällt im Allgemeinen in
die Gegend des Promontoriums; 2) beim Manne liegt er durch-
schnittlich höher als bei Frauen, wo die breiteren Hüften
nicht gleich wie beim Manne durch einen schwereren Kopf
und breiteren Thorax aufgewogen werden; 3) die Altersstufen
betreffend* liegt der Schwerpunkt am höchsten beim Fötus,
niedriger schon beim Neugebornen, am Normpunkte beim Er*
wachsenetf, höber wieder beim Greise, wo Becken und untere
Extremitäten wieder mehr schwinden und Gefass verknöcherungen
an den oberen Körperhälften eintreten ; 4) gewisse Hypostasen
und Congestionszustände kam] man entstehen sehen, indem
nach einige Zeit innegehaltener horizontaler Lage ein lang-
sames Sinken des Aequilibriums npch dem Kopfende zu, statt-
findet; 5) die Tageszeit anlangend, liegt der Schwerpunkt
des Menschen Morgens beim Erwachen höher als gegen Abend,
eine Folge der wesentlich anderen Vertheilung des Blutes bei
der horizontalen Lage im Bette entgegen der perpendiculären
Stellung; 6) wie schon obenerwähnt, rückt bei vorschreiten-
der Schwangerschaft der Schwerpunkt des Körpers nach Oben.
Auch zeigten sich unter ausbleibender Menstruation bei Frauen
aus den klimakterischen Jahren die Folgen vermehrten Blut-
andranges nach dem Centralnervensysteme. Noch erwähnte der
Redner hinsichtlich des möglichen Einwandes gegen seinen
ii d. VerhHDdL d. Gesellschaft f.GebarUhtilfe in Leiptlp eic. 461
zur weiteren Anwendung empfohlenen Apparat: „bei dem
auch hier zur Geltung gelangenden Principe des Hebels,
dürften die kleineren Gewichtsunterschiede bei grösserer Enfr*
fernung vom Hypomochlion aus unverhältnissmässig einfluss*
reich sein;4( — dass auch bei kleineren Gewichtsdifferenzen
nahe dem Mittelpunkte schon ein genügender Ausschlag der
Wage sich gezeigt habe. — Dr. Hennig halt* die möglichen
Fehlerquellen beim Taxiren der feineren Unterschiede hin-
sichtlich der angenommenen alterirten Blutvertheilung für zu
gross, deren Einfluss aber gegenüber den stetigen Verm-
inderungen im Inhalte des Darmkanals und dem veränderten
Luft* und Blutgehalte der Lungen bei horizontaler Lage für
zu gering, um sicher aus dieser Wage erkannt zu werden, glaubt
aber hinsichtlich der Schwangerschaft und der Anfüllung ein-
zelner Körpertheile durch Wasser, Pseudoplasmen, Hypertro-
phieen u. s. w. jnit dem Redner sich einverstanden erklären
zu können. Meck Rath Ritter Dr. Güntz hielt gegen diese
Bedenken ein, dass dieselben Personen zu verschiedenen
Zeiten und unter verschiedenen Verhältnissen wiederholt unter-
sucht worden seien.
Zu der 82. Versammlung hatte Herr Professor Dr. Wag-
ner als Gast einen Vortrag über Uterus-Fibroide zu-
gesagt — Bemerkungen über die Häufigkeit des Vorkom-
mens und die allgemeine histologische Gutartigkeit bildeten
die Einleitung. — Am häufigsten ist der Sitz der Fibroide im
Fundus, am seltensten am Cervix und zwar finden sie sich
in den verschiedenen Tiefen der verschiedensten Gewebe.
'Sitzen Sie im Muskelgewebe, so nennt man sie eigentliche
oder interstitielle Uterusfibroide; wachsen sie grösser, so stül-
pen sie das Gewebe vor sich her, welches theilweise atro-
phirt, so dass sie bei weiterer Entwicklung nach Aussen nur
vom JPeritonaeum, nach Innen nur von der Schleimhaut über-
zogen sind. Der Sitz kann für den Organismus von den
schwersten Folgen sein. Besonders in den Uterushörnern oder
in den Tuben oft kaum von der Grösse einer Kirsche be-
dingen sie schon Sterilität. Grössere Fibroide können selbst
den Anschein einer Schwangerschaft im letzten Monate ge-
währen. Weitere Folgen sind die nachtheilige Compresdion
auf die Blase, (Ion Mastdarm und übrigen Darmkanal, partielle
462 XXIII. Afewner, Mittheihmg-on über die ThKtigkeit
Peritonitiden, welche durch Pseudomembranen alle umkegen-
den Theile anlöthen und so nothwendig Sterilität bedingen
müssen, auch unheilbare Magen- und Verdauungsbeschwerden
herbeiführen. Durch die polypösen Hervorragungen nach
Innen erfolgen Blennorrhoe^, Blutungen, als von der constan-
ten Hyperaeraie der Schleimhaut dabei bedingt. Der Uterus
selbst erleidet ufannichfache Veränderungen nach Grösse, nament-
lich Hypertrophie sämmtlicher Gewebe, meist von mittlerer
Grösse, mit oder ohne Gefösshyperaemie, Infarcte; seltener
Atrophie bei sehr grossen oder zahllosen kleinen oder mittel«*
grossen Fibroiden , in Folge deren Uteras und Vagina in ein
Conglomerat von Fibroiden übergegangen zu sein scheint
Unter den durch die Fibroide bedingten Lageverändenragen
zeigt sich fast immer leichter Descensus, selten stärkerer
Proiapsos, dagegen häufiger bei sehr grossen Fibroiden Er-
hebungen mit Verlängerungen und Verdünnung des Uterus und
der Vagina. Ganz besonders interessiren aber die verschie-
densten Flexionen, welche durch die Fibroide selbst oder
Pseudomembranen derselben bedingt sind; häufiger vielleicht
als die Ante- und Retroflexionen kommen die lateralen
Flexionen vor. Versionen, besonders die so sehr geförchteten
Retroversionen kommen seltener in Folge von Fibroiden
vor. Die partielle wie die complete Inversion kann nur bis-
weilen durch polypöse Fibroide bedingt werden. — Nächst-
dem kommen auch Risse des Uterus vor, so dass salbst bis-
weilen das Fibroid aus seiner Lage herausgerissen aufgefunden
wurde. — Unter Vorzeigung betreffender Präparate demon-
strirte der Redner an gemachten Durchschnitten die unregel-
mässige Richtung der Fasern in den Fibroiden. Das Gewebe
selbst besteht meist aus organischen Muskelfasern und dicht
damit verflochtenem Bindegewebe; Gefasse finden sich, dem
blossen Auge sichtbar, seltener im Gewebe vor, grössere durch-
dringen nur die Kapsel und verlieren sich schnell im Innern,
Die aus Bindegewebe und Gefassen bestehenden Fibroide sind
am härtesten. Andere Fibroide bilden den Uebergäng zu Sar-
comen durch Züge. von spindelförmigen Zellen, welche dicht
nebeneinander gelagert sind. Die Metamorphosen der Fibroide
sind: 1) Verkalkung, die nie in der Peripherie, nur selten
im Centrum oder im ganzen Umfange eintritt. Ist da« übrig«
u. d. Verband!, d. Gesellschaft f. Geburtabülfe an Leipsig etc. 463
Ftbroid polypös, so wird der Stiel atrophisch, so dass eine
sogenannte Porzellankugel abgehen kann; 2) fettige De*
generation der organischen Muskelfasern ist am häufigsten,
bedingt gelbliche Färbung und Höhlenbüdung; 3) Cysten«
bildcmg ist nur partiell, Entzündung und Verjauchung deoa
Redner nie vorgekommen. Ob 4) die meist in der Schwanger-
schaft entstehende carcinomatöse Entartung eintrete, ist zweifei*
halt; Carcmoin neben Fibroiden ist nicht selten, wie auch
jede Erkrankung der Genitalien neben Uterus« Fibroiden yoi*»
kommen kann. — Zum Schlüsse zeigte der Redner einen Fall
ron Enchondrom in der Uterushöble vor.
Ein grösserer Vortrag ward vom Dr. Hennig Aber
Operationen an den Eierstöcken, in der 81. Sitmng
gehalten und im Manuscript ausführlich zur Veröffentlichung
in der Beilage, sub Nr. 4, zu gegenwärtigem Berichte ein-
gereicht.
In derselben Sitzung zeigte Dr. Haake eine Spritze
mit Ansatzrohr zu Injectionen in den Uterus, aus
hornisirtem Kautschuk (American hard rubber) gefertigt, vor.
Zu den Verhandlungen über Capitel der Embryologie
und Paediatrik übergehend, ist weiter der Prüfungen
zu gedenken, welche hinsichtlich der vom Privatdocenten
Dr. Frankenhäuser aus Jena, in der Berliner Gesellschaft für
Geburtshülfe zuerst vorgeschlagenen Methode zur intra-
uterinen Geschlechtsbestimmung der Kinder von
Dr. Haake durch Zählung der foetalen Herzschläge bei
Schwangeren unter Bemerkung des bei der Geburt sich aus-
weisenden Geschlechtes, und Dr. Hennig hauptsächlich bei
Neugebornen angestellt, uns in der 74. und 75. Sitzung mif-
getheilt und von beiden Autoren schon zum Abdrucke in
der Monatsschrift für Geburtskunde, Bd. 15, lieft 6, pag. 456
und 448, befördert wurden.
Zur 74. Sitzung war ausserdem von Dr. Becker- Laurieh
in Ronneburg der folgende Geburts- und Sectionsbericbt eines
Kindes mit Hernia cerebelli nebst dem herauspräparirten
Os oeeipitis eingegangen. — „Am 1. April (1860) Abends ver-
spürte die Schmiedemeisterin K. in K. die ersten Wehen
aiuPgebar na<tf> einer langen und anstrengenden Arbeit zuert^
464 XX 111. MeUtner, Mittheilnngen über die ThUügkeit
einen wohlgebüdeten Knaben, alsdann in Steisßlage ein Mfdchen.
(Die vier noch lebenden Kinder, welche früher geboren waren,
sind wohlgebildet, auch die Ellern gesund und rüstige Ar-
beiter.) Nach der Geburt wurde die Kindfrau erschreckt, denn
sie sah — nach ihrer Aussage — zwei Köpfe an dem Kinde
und auf ihre Veranlassung wurde alsbald mein College
Dr. Beyer von bier, zugezogen, um den Thatbestand zu er*
mittein. Er erkannte an dem kleinen völlig ausgetragenen und
wohlgebüdeten Kinde eine Geschwulst am Hinterkopfe von der
Grösse eine Kindeskopfes und aufgefordert dieselbe sofort zu
operiren, schlug er den Leuten vor, noch einen zweiten Arzt
zuzuziehen. Am anderen Tage besuchten wir das Kind zu-
sammen und untersuchten die bedeutende Geschwulst; es war
dieselbe mit normaler Haut überzogen, sogar theilweise mit
spärlichen Haaren besetzt, beim Anfühlen war sie prall, doch
vermochte man in der Tiefe hühnerdarmähnliche Windungen
zu fühlen; ob sie aber mit der Schädelhöhle in Verbindung
stand, konnte jetzt noch nicht ermittelt werden. Einige leichte
Punctionen entleerten ein anfangs helles, dann blutiges Serum,
vielleicht vier Unzen. Hierauf stellte sich der Zusammenhang
des Inhaltes mit der Schädelhöhle unzweifelhaft heraus, man
konnte deutlich nach links und unten den Knochenrand fühlen.
Von einer Behandlung sahen wir natürlich ab, liessen verdünn-
tes Bleiwasser aufschlagen und das Kind nach Bedürfniss
nähren. In seinem dreiwöchentlichen Leben nun hat das Kind
nicht einen Laut von sich gegeben, bloss etwas Zuckerwasser
getrunken und den Zulp genommen, doch'letzteres sehr sel-
ten, das linke Auge hat es nie geöffnet, das rechte selten;
auffallend waren die bedeutenden Mengen Meconium, welche
von ihm abgegangen sind. ^ Vorgestern (1. Mai) nun starb
das Kind und gestern (2. Mai) machten wir die Section:
das Kind war nicht gewachsen, hatte aber ein altes Gesicht
bekommen, der Leib war eingezogen, sonst normal. Am Kopfe
befand sich der grosse Beutel, immer noch ziemlich Mannes-
ftiust gross, aus dem selbst nach dem Tode noch Serum aus-
gesickert war; einige Schorfe und dunkelgeröthete. Stellen be-
zeichneten die früheren Einstichspunkte. In der Richtung
der Pfeilnaht nun wurde ein Einschnitt durch die äusseren
Bedeckungen gemacht und derselbe auf der Geschwulst rechts
n. d.Verhandl. d. Gesellschaft f.Gebnrtshiilf« zu Leipzig etc. 465
und links nach dem Halse zu fortgesetzt; dabei lief eine sehr
bedeutende Menge Wasser heraus und es zeigte sich nun
apfelgross eine gespannte Geschwulst von den Bedeckungen
des Gehirns überzogen < und zwischen welcher und dem Rande
im Hinterhauptsbeine man mit der Sonde in die Schädelhöhle
gelangte. Am merkwürdigsten war der Verlauf des grossen
Hirnsinus, den wir ganz deutlich sahen, und der in der
Richtung unserer Lappenschnitte sich theilte und in die ArtL
vertebrales sich fortsetzte. Bei EröfTnung des kleinen Sackes
zeigte sich wiederum viel Serum und das ganze kleine Gehirn
in demselben, doch war dasselbe in innigster Verbindung mit
dem grossen Gehirne in der Schädelhöhle, und zwar durch
eine brückenartige Verbindung. Die Medulla oblongata schien
sich getheilt zu -haben und sowohl dem grossen Gehirne als
dem kleinen anzugehören. Das Hinterhauptsbein liess ich
entfernen und stelle ich es hiermit zu." — Das mitgeschickte
und der Sammlung der geburtshilflichen Klinik hierselbst
überwiesene betr. Os occipitis zeigte eine so hochgradige Er-
weiterung des Foramen magnum, dass die ganze Mittelportion
der Pars basilaris (die Fossa pro medulla oblongata) fehlte und
vorn nur ein dünnes Band das Foramen magnum schliessend,
an . den Körper des Keilbeins stiess. — Hofrath Professor
Dr. Crede inachte die im Berichte geschilderte Anomalie durch
Vorzeigung von einigen in Spiritus aufbewahrten Monstris,
grösstenteils Mikro- und Hemicephalen mit bydropischen
Beuteln am Hinterkopfe anschaulich, wie solche die Sammlung
des ZViWschen Instituts in grosser Anzahl enthält.
In der 84. Versammlung zeigte Hofrath Professor
Dr. Ctedi mehrere Anomalien der Nabelschnur vor, als
Verengerungen und Umdrehungen, welche Deformitäten und
Tod in Folge der Ernährungs- und Rildungsbemmiingen der
Früchte veranlassten.
In der 81. Sitzung gab Director Dr. Plosa eine Stati-
stik der Kindersterblichkeit mit besonderer Berück-
sichtigung Sachsens und dessen verschiedener Bodenelevation,
sowie der Fruchtbarkeit und Beschäftigungsweise der Be-
völkerung,, welche im Archive des Vereins für gemeinschaftliche
Arbeiten zur Förderung der wissenschaftlichen Heilkunde,
"Bd. 6, Heft 1, pag. 117, erschienen ist.
Monfttffsr.hr. f Ocbnrt^k. 18<>2. IM. XIX., Uft. (3. 30
466 XXIll. Meissner, Mittheilungen über die Thatigkeit
Von neueren Schriften wurden vorgelegt: Die Unfrucht-
barkeit des Weibes von Dr. Ludwig Martini in Biberacb;
Erlangen 1860. 8., und Note sur le develloppement in-
complet d'une des moities de l'uterus et sur la d6pendance
du developpement de la matrice et de l'appareil urinahre,
presentee ä l'academie des sciences de Paris en 1856, par
*/. A. Stoltz, Professeur de Strassbourg 1860. Ueber letztere
wurde auch ein Referat von Dr. Hennig am 16. Juli v. J.
vorgetragen und seiner Zeit in der Monatsschrift für Geburts-
kunde abgedruckt.
IL Ueber einige Hülfsmittel bei der VaginalinapectioiL
Zweiter Artikel.
Von
Dr. Hermann Ploss.
Mittheilung aus den Vorträgen am 16. Juli 1860 und 18. Februar 1861.
Schon längst machte sich das Bedürfniss geltend, auch
die kleinsten krankhaften Veränderungen an der Vaginal-
portion und an den übrigen mit dem Scheidenspiegel zu
betrachtenden Theilen zu erkennen. Unter anderen Anomalien,
die der Arzt wo möglich schon als unbedeutende Erosion,
als kleines Bläschen und Geschwürchen wahrzunehmen wünschen
touss, nenne ich beispielsweise syphilitische Processe, wekhe
ja bekanntlich nicht selten ihren Sitz an jenen Theilen haben.
Es ist stets nöthig, den kleinsten Anfängen der syphilitischen
Infection an den inneren und hinteren Theilen zeitig auf die
Spur zu kommen. Aber auch bei unzähligen anderen patho-
logischen Veränderungen ist es ja für die Diagnose bisweilen
dringend wünschenswerth, kleine Anomalien vergrössert zu
betrachten. So bequem freilich, wie man bei Hautkrankheiten
eine Loupe anwendet, ist dieselbe im Scheidenrohre bei der
Vaginalinspection nicht zu verwenden. Denn gelingt es auch,
eine Vergrösserungsloupe in das Speculum einzubringen, so
fehlt das nöthige seitlich einfallende Licht und das Auge kaim
sich der eingeführten Loupe nicht genügend nähern.
n. d. Verband 1. d. Gesellschaft f. Geburtshülfe zu Leipzig etc. 467
*
Allein die von Brücke angegebene Perspectivloupe
kann man nicht blos bei dem wie gewöhnlich direct auffallendem
Lichte, sondern auch bei Anwendung des von mir früher zur
Scheidenuntersuchung empfohlenen Beleuchtungsspiegels be-
nutzen.
Zu Ende des vorigen Jahres gab für die Rachen- und
Kehlkopfuntersuchung Prof. Ludwig Tiirck in Wien ein von
Plö8sl gefertigtes ähnliches Perspectiv an, das drei Mal
vergrössert. Auch er benutzte dabei einen Hohlspiegel zur
Beleuchtung. Hat der Concavspiegel ein centrales, oder, wie
es jetzt vorgezogen wird, ein excfentrisches Loch, so bringt
man das durch Ein* und Ausziehen stellbare .Instrument
hinter diesem Loche an und schaut dann durch beide in das
Speculumrohr. Man kann auch die PerspectivloQpe und den
Beleucbtiingspiegel mit beweglichem Charniere an einer Stirn-
oder Augenbinde anbringen. Ich selbst habe vom Optiker
M. Taubert in Leipzig eine acht Mal vergrößernde Per*
specdvloupe (welche 4 Thlr. kostet) geprüft und für unsere
Zwecke recht passend gefunden, Hat man sie beweglich an
eine Stirnbinde angebracht, so kann man den Beleuchtungs-
sfiegel an einem Stiele im Munde halten, so dass derselbe
unter oder neben ihr steht , ohne dass sie das in den Spiegel
einfallende Licht wegnimmt.
Ebenso wie ich die künstliche Beleuchtung der hinteren
Scheidentheile durch einen Hohlspiegel bewerkstelligte, so hat
auch Fonssagrive, Oberarzt der Manne in Cherbourg, ein
neues Beleuchtungsmittel für diesen Zweck aufgesucht. Er
wandte sich an Th. du Morel, einen Physiker, welcher ihm
ein besonderes Mittel vorschlug, um die Theile aus un-
mittelbarster Nähe zu beleuchten, ohne sie gleichzeitig zu er-
wärmen. Dieser Apparat scheint bei deutschen Aerzten noch
wenig Beachtung gefunden zu haben, ist auch für die Privatpraxis
kaum zu benutzen , doch für die Hospitalpraxis wohl beachtens-
werth. Die G eis sler' sehen sogenannten leeren Röhren er-
zeugen mit Hülfe der Electricität ohne Wärmeentwickelung
ein Licht, das um so glänzender ist, je enger die vom Lichte
durchzogene Röhre isL Mit denselben wurde nun ein Apparat
hergestellt, in welchem die Communicalionsröhre zwischen
den beiden Endkugeln fast so dünn wie ein Haar und nach
ao*
468 XXI IL Meißner, Mittheilungen über die Th&tigkeit etc.
Art der elektromotorischen Multiplicatoren schraubenförmig
auf sich selbst zurückgebogen ist. Allein es handelte sich <
auch um die Farbe des Lichtes. Diese beruht bei dem
Apparate wesentlich auf der Beschaffenheit der Gase, aus
welchen der luftleere Raum gemacht worden ist; sie ist weiss
bei Kohlensäure, kohlensaurem Wasserstoff und Salzsäure;
eines dieser Gase nun brauchte man nur vor Herstellung des
luftleeren Raumes in den Apparat einzuleiten, um das Problem
vollständig zu lösen und ein weisses Licht zur Beleuchtung
der inneren Körpertheile zu erbalten. Derartige Apparate liefert
der Mechaniker Ruhmkorff in Paris, und sie wurden von
A. Becquerel in der Pitie mit befriedigendem Erfolge an-
gewendet. Eine weitere Benutzung für gynäkologische Zwecke
haben sie noch nicht erlaugt. *)
Nachträglich bemerke ich in Bezug auf den von mir
früher gehaltenen Vortrag über Beleuchtungsspiegel, dass es
jetzt dem Iustrumentenmacher Hornn hierselbst gelungen ist,
solche Spiegel herzustellen, welche nicht mit Quecksilber,
sondern mit Silber belegt sind, ein ausgezeichnet schönes
Licht geben, ganz nach Belieben und nach Zweck der Unter-
suchung in die Hand oder in den Mund genommen, höhtr
oder niedriger gestellt und nicht blos zur Untersuchung der
Scheide, sondern auch zur Speculation des Ohres und des
Kehlkopfes benutzt werden können. Ich lege einen solchen
Spiegel (ä 2% Tblr.) der Gesellschaft für Geburtshilfe zur
Ansicht vor.
1) Als ich diesen Apparat Fonssagrive's vor nunmehr fast
zwei Jahren erwähnte, hatten L. Maier und Tobold «och nicht
die Beleuchtungsmethode mit parabolischen Spiegeln angegeben.
Durch dieselbe ist Fonssagrive's originelles, allein noch wenig
verwendbares Beleuchtungsmittel als ein für die Praxis weit un-
geeigneteres zurückgedrängt worden.
Den 25. Juni 1862. Der Verf.
(Fortsetzung der übrigen Artikel in den nächsten Heften.)
XXIV. Notizen aus der Journal -Literatur. 469
XXIV.
Notizen aus der Journal -Literatur.
Demarquay: Ovariotomie.
In einem Schreiben an die Akademie der Medicin zeigt
Dr. Demarquay, Chirurg der Maiion munieipale de santl, an,
dass er kürzlich eine Ovariotomie ausgeführt habe: sicher die
erste in Frankreich behufs Heilung der Ovariengesehwulat.
Der Fall betrifft ein 19 — 20 jähriges Madeben. Die Geschwulst
war schon ein Mal punktirt worden, wobei sich eine beträcht-
liche Menge einer serösen, bräunlichen, klebrigen Flüssigkeit
entleerte. Ausserdem war constatirt, dass die Kyste au den
mehrfächrigen gehörte. Leider füllte sich die Kyste in kurser
Zeit von Neuem und in so betrachtlichem Maasse, dass das Leben
der Pat. gefährdet war. Auf Anrathen NSlaton's wurde die Ex-
Rtirpation beschlossen, und um alle ungünstigen Zuflille zu ver-
meiden, namentlich die Neigung Verwundeter zu erysipelatÖsen
Entzündungen im vorliegenden Falle su beschränken, wurde die
Kranke nach St. Geriqain an einen vollkommen gesunden und
luftigen Ort transferirt.
Die Operation selbst wurde am 2. Februar von Demarquay
im Beisein der chirurgischen Notabiiitäten von Paris ausgeführt.
Die Pat., deren Zustand die Symptome einer subacuten Phlegmasie
darbot, deren Sitz jedoch erst während der Operation gefunden
wurde, war in tiefer Chloroformnarkose. Unter grösster Vorsicht,
um nicht vorzeitig die Kyste zu öffnen, wurden die Bauchdeoken
in einer Ausdehnung vom Nabel bis su den Schambeinen durch-
schnitten. Kaum waren die Wände der Kyste sichtbar, als sieh
ans der Peritonealhöhle in .grosser Menge eine seröser Flüssig«
keit orgoss,' welche als Peritonäalflüssigkeit erkannt wurde: es
bestand demnach eine subacute Phlegmasie des Feritonäums.
Mit grosser Umsicht wurde der zweite Act der Operation,
die Punction, vorgenommen. Die Canüle des dicken, gekrümmten,
circa 8 — 10 Millim. starken Troikarts war mit einem Kautschuk-
rohr verbunden, um so die Flüssigkeit ohne Beschmutsung der
Pat. und des Bettes ableiten zu können. So wurden nach eiuander
drei bis vier Kyste n punktirt und endlich mit einiger Schwierig*
keit die Kyste aus der Bauchhöhle, mit deren Wunden sie
nirgends verwachsen war, gesogen; um den circa 6 Centim. langen
und 2 Centim. dicken Stiel wurde eine Klammer nach englischem
Muster gelegt und der Sack abgeschnitten. Bis dahin hatte die
Operation circa 20 — 26 Minuten gedauert. Die Wundränder, die
nur wenig geblutet hatten, wurden durch Metallfäden vereinigt
470 XXIV. Notiren ans dor Journal -Literatur.
und der Kystenstiel mit eingeheftet. Die Kranke wurde nun in's
Bett gebracht, erhielt einige Tassen warmen Thee und von
Stunde zu Stunde Opiumpillen.
Am «weiten Tage nach der Operation steigerte sich das
Fieber, es trat galliges Erbrechen ein, wodurch die Klammer,
welche den Stiel noch umschlossen hielt, etwas gelockert wurde,
ohne dass jedoch letzterer sich in die Bauchhohle zurückzog.
Die Kranke starb am 5. Februar Abends; in der Bauchhöhle
zeigten sich mehrere Litre blutig* seröser Flüssigkeit.
Bezüglich des Inhaltes der Kyste, so betrug seine Menge
circa 14 Kilos. Der solide Thcil der Geschwulst hatte ein Ge-
wicht von 4 Kilos. Die Flüssigkeit war serös, fadenziehend,
bräunlich gefärbt; doch fand sich auch in einigen Bohlen, die
nach der Eztraetion geöffnet wurden, ein eiweiss- und glycerirf-
ahnliches Fluidum.
(Gazette m£d. de Paris, 1862, No. 6.)
Spencer Wells: Ueber einige heilbare Ursachen der Un-
fruchtbarkeit.
Nach des Verfassers Statistik ist unter je acht verbeiratheten
Frauen, nach Simpson unter je zehn eine kinderlos; ei tritt unter
.sieben fruchtbaren Ehen nur vier Mal die erste Geburt innerhalb
der ersten 18 Monate nach der Verheirathung ein. Nur selten
ist die Quelle der Kinderlosigkeit im Manne zu suchen, da solche,
die sich impotent wissen, wohl nur selten heirathen. Im weib- '
liehen Organismus aber können die mannichfachsten Ursachen
Grund zur Unfruchtbarkeit sein: 1) Es werden keine befruchtungs-
fähigen Ovula bereitet 2) Die Ovarien lassen in Folge abnormer
Beschaffenheit den rechtzeitigen Austritt reifer Ovula nicht zu.
3) Die ausgetretenen Ovula verirren sich in der Bauchhöhle,
gehen daselbst zu Grunde, oder, im Falle sie mit Sperma in
Berührung kommen , es entsteht eine Extrauterin6chwangerschaft.
4) Die Tuben können verwachsen sein und so den Uebertritt in
den Uterus verhindern. 5) Verhinderung des Eintrittes des Sperma
in Folge von abnormer Bildung des Uterus, der Scheide oder
der äusseren Geschlechtstheile. 6) Zerstörung des gesunden
Samen durch krankhafte, 8ecretionen der Geschlechtstheile.
Namentlich die sub 5 und 6 angefahrten Ursachen sollen näher
betrachtet werden. Der Zutritt des Samen zu den Eiern wird
gehindert durch Verschluss der Scheide in Folge von Adhäsion
der Labien oder von Hymen iroperforatus , durch Folliculitis,
Herpes und Eczem der Scheide, durch Hyperästhesie und
Anästhesie derselben, durch Krankheiten des Rectum, der Urethra
und der Harnblase, durch die verschiedenen Krankheiten des
Uterus, durch Gontractioncn im Os und Cervix uteri, durch
XXI V* Notiien ans der Journal -Literatur. 371
s
fremde Körper im Uteras, durch Polypen, fibröse Tumoren and
Krebs. Bei Gegenwart der beiden letaleren kann zwar eine
Befruchtung stattfinden, doob wird die Schwangerschaft kaum
ibr normales Ende erreichen. Polypen müssen entfernt werden,
desgleichen muss man Versionen, Flexionen und Vorfalle der
Gebärmatter zu beseitigen suchen. Die Hyperästhesie der Seheide
und der Vulva sind durch Reinlichkeit, Waschungen mit Quecksilber-
Bichlorid, Adstringentia etc. zu behandeln; neuromatöse Punkte
durch Salpetersäure oder durch Galvanismus zu zerstören. Ver-
wachsungen, Hymen iraperforatUs sind zu trennen. Eine der
häufigsten und doch dabei am leichtesten zu beseitigende Ursache
der Sterilität findet sich in der Strtotur oder dem Verschlossen-
sein des Muttermundes und Cervicalkanales. Gelingt es nicht
hier, durch Bougies etc., Heilung zu bewirken, so muss man
mittels des Simpson' sehen Instrumentes den Muttermund nach
beiden Seiten einschneiden : eine ganz ungefährliche und sichere
Operation. Bei einer solchen Enge des Muttermundes, dass das
Hysterotom nicht durchdringen kann, wählt man das von CogMan
angegebene Instrument. Dysmenorrhoe, namentlich D.membranacea,
sowie Leukorrhoe sind nach den bekannten Regeln zu behandeln.
(Med. Times and Gaa., Dec. 14., 1861.)
Zepuder: Zur Frarikenhäueer' achen Hypo these über die
Geschlechtsbestimmung des Fötus.
Verfasser, Assistent bei Prof. Valenia fn Laibach, will in
56 unter 60 von ihm beobachteten Fällen das Geschlecht des
Kindes richtig voraus bestimmt haben. Bei Knaben fand er am
häufigsten 120 — 122, seltener 132 — 138 Herzschläge in der
Minute, bei Mädchen meist 144—150, seltener 166. Die Fehler-
quellen, auf die er wegen des Nichtzutreffens der Voraussage in
fünf Fällen verweist (Hydramnios, dicke Bauchdecken, Unruhe der
zu Untersuchenden, Ungeübtheit zu Anfang der Beobachtungen),
dürften vielleicht auch für einen Theil der übrigen Beobachtungen
zu berücksichtigen sein.
(Wien. Med.-Halle, 1862, No..l4.)
Fiedler: Ueber das Verhalten des Fötalpulses zur
Temperatur und zum Pulse der Mutter bei Typhus
abdominalis.
Verfasser stellte an zwei im siebenten Monate schwangeren
Typhuskranken Untersuchungen an über das Verhältniss der Puls-
frequenz des Fötus zur Temperatur und zur Pulsfrequenz der Mutter.
Der Fötalpuls verhielt sich hinsichtlich seiner Frequenz ähnlich
472 XXIV. Notizen au« der Journal -Literatur.
wie der Mutterpule, zeigt« ähnliche, nicht aber grössere Morgen*
remissionen and Abendexac erbationen wie dieser. Weit auffälliger
war aber die Uebereinstimmung zwischen der mütterlichen Tem-
peratur und dem Fötalpulse. Bei Abweichungen »wischen mütter-
licher Temperatur- und Pulscurve verhielt sich die Fö talpul« curre
der ersteren parallel.
(Arch. d. Heilk., 1862, S. Heft.)
Westphal: Entbindung auf und aus einem Water -Glos et.
Ein von einer Irren auf einem Water -closet der Charit**
geborenes Kind war mit dem vorangehenden Kopfe, dessen querer
Durchmesser 3*/*" dessen gerader 4*/4" und dessen Umfang IS*//'
betrug, durch die 4" im Durchmesser haltende Ausgangs Öffnung
des Closet geglitten, indem derselbe den beweglichen Metall-
deckel heruntergedrückt hatte, der sodann durch das ihn in die
Gleichgewichtslage zurücktreibende Gewicht schräg gegen jenen
angedrückt wurde. Die Arme, welche mit durch jene Oefftrang
vorgefallen waren , wurden gelöst und darauf Versuche gemacht,
das Kind an den Füssen zu extrahiren. Doch erst nach Aus-
einandernähme der betreffenden Closettheile gelang es — zwanzig
Minuten nach der Geburt — das Kind durch die untere Ausgangs-
öfihung des Closet zu entwickeln, wobei sich, bei nunmehr um-
gekehrter Richtung des Austrittes, eine nochmalige Losung der
Arme nothwendig machte. Das Kind, dem während des ganzen
Vorganges das zum Ausspülen des Closet bestimmte Wasser
ununterbrochen am Kopfe herabgeflossen war, lebte und war bis
auf einige unbedeutende Schrammen unversehrt.
(Cospsr's Vierteljahrsschr., 1862, & Heft.)
Panck: Die organische Verbindung der Tuba mif dem
Eierstocke.
Verf. hatte schon früher (Entdeckung der- org. Verbindungen
zwischen Tuba und Eierstock, Dorpat 1843) die Vermuthung aus-
gesprochen, dass 'gedachte Verbindung zur Zeit der Conceptiou
durch eine neugebildeffe, spftter wieder der Resorption anheim-
fallende Membran vermittelt werde, und dieselbe auf dem Wege
der Analogie (bei vielen Thieren werden jene Organe durch eine
vom Bauchfell gebildete, vollkommen geschlossene, aber persi-
stirende Kapsel vereinigt) und der Teleologie zu unterstützen
gesucht. Auch hatte er an der Leiche eines kurz nach der Con-
ception verunglückten Mädchens eine zarte, neugebildete Membran
gefunden, welche die Fransen des das Ovarium umgebenden
Trichters befestigte und dieses einkapselte.
XXIV.' Notizen ans der Journal -Literatur. 473
Bei seinen späteren Untersuchungen fand P. dergleichen Mem-
branen häufig (unter 58 Fallen 34 Mal), in jeder Altersstufe der
Erwachsenen (bei 20 — 106jährigen Frauen), jedoch nur bei Per-
sonen, die geboren hatten, and nur auf der hinteren Fläche der
Gebärmutter und der Fledermausflügel. Zuweilen waren nur
Rudimente au bemerken; in andern Fällen bedeckten zahlreiche
Fäden, Stränge und Blätter die ganze hintere Fläche des Uterus
und der Flügel — nie gingen sie auf die vordeae Fläche der-
selben, auf die Blase oder den Darm über. Es fanden sich die
verschiedensten Uebergangsstufen von theilweiser Anheftang der
Fransen des Txiohters auf dem Eierstocke bis zu völliger Ein-
kapselung des letzteren. Die Membranen waren dünn, Bart,
durchscheinend und Hessen sich sehr leicht von der Serosa ab-
ziehen, welche stets die normale Beschaffenheit darbot! Für einen
Fall wird erwähnt, dass ihre Substanz unter dem Mikroskope als
aus jungem, sehr kernreiche, zahlreiche freie Fettkörnchen ein-
schliessendem Bindegewebe bestehend erkannt wurde, während
der Ueberzug aus polygonalen, ebenfalls Fettkörner enthaltenden
Pflasterzellen gebildet war. '
Ganz ähnliche Membranen soll man unter den entsprechenden
Verhältnissen bei Thieren finden, deren Eierstöcke wie beim
Menschen freiliegen, — so fand sie P. an der hintern Fläche des
Uterus und der Ala einer zum ersten Mal trächtigen 8tute bei
normalem Verhalten der Serosa. Gegen die Auffassung der in
Rede stehenden Häutchen als Entsündungsproducte spricht nach
P. ihr häufiges Vorkommen gegenüber der relativen Seltenheit
der Gebärmutterentzündung, die Beschränkung ihres Sitzes auf
die öfter genannte Region, die Art und Weise ihrer Anheftung,
ihre leichte Abziehbarkeit, das normale Verhalten der betheiligten
Serosa. Aus einer schwächeren oder stärkeren Resorptions-
thätigkeit sucht P. zu erklären, warum sie in manchen Fällen
gar nicht,- in andern in den verschiedensten Entwicklungsgraden
aufgefunden wurden.
Schliesslich fordert P. zu Versuchen an Thieren mit frei-»
liegenden Ovarien (8tuten, Säuen) auf.
Die Richtigkeit aller jener Beobachtungen P.'s vorausgesetzt,
wäre von Wichtigkeit, die Gründe des ausschliesslichen Vor-
kommens jener Membranen bei Frauen, die geboren, und ihres
exklusiven Sitzes, so wie Näheres über die Art der durch sie
bewirkten Einkapselung der Ovarien kennen zu lernen.
(St. Petersb. med. Zeitscfar. 1862, 4. Heft.)
474 XXIV. Notizen aus der Journal -Literatur.
Behandlungsweise des Kindbettfiebers; Auszug einer
der medieinisoben Akademie in dejr Sjtiung des
18. Mär* 1862 vorgelesenen Abhandlung von Dr. Ca-
banellas.
Die Methode besteht in einer fortgesetzten Verabreichung
des schwefelsauren Chinin, im Gegensätze zu der Methode, in
welcher dasselbe in täglich 2 — 8 starken Dosen verabreicht wird.
Die 7 FßHe von Puerperalfieber, die Yerf. beobachtete, sind
kurz folgende.
Alle Kranke boten in verschiedenem Grade heftiges Fieber
mit oder ohne Anfangsfrost, eine Spannung mit Schmers im
Unterleibe, oder einfach eine grosse Empfindlichkeit gegen Druck
in einer oder der anderen Ovariengegend: Verschleimung und in
zwei Fällen Uebelkeit und Erbrechen.
In 6 Fällen wurde mit Gaben von Ipecac. begonnen und ge-
wöhnlich im nächsten oder übernächsten Tage nach erfolgtem
Erbrechen das Chinin zu 10 — 16 Centigramm stündlich Tag und
flacht gereicht und zwar mit einer so scrupulSsen Genauigkeit,
dass, um keine Gabe zu verlieren, während der ersten zwei
Mächte der Schlaf unterbrochen wird. Dabei wird mit erweichenden
Ueberschlägen auf den Unterleib fortgefahren, und, wenn nöthig,
täglich ein erweichendes Klystier gegeben.
Ist das Chinin rein und die Dose hinreichend, so empfindet
die Pat. nach 24 Stunden Ohrensausen, und der Puls schlägt
etwas langsamer. Täglich zeigt sich nun mit Abnahme der Local-
erscheinungen Besserung und es ist nicht selten, dass die Pat.
vom 3. Tage an Bouillon und sogar Suppe verlangen. Mit den
stündlichen Gaben von Chinin wird fortgefahren, mit Abnahme
der Erscheinungen jedoch der Schlaf nicht- mehr unterbrochen.
Zwischen dem 4. und 8. Tage geht der Puls auf das Normale zurück.
Hat die Fieberlosigkeit 4 — 6 Tage gedauert, sind die Local-
erscheinungen beinahe geschwunden, so wird allinähtig die Medi-
cation weggelasuen. 2 — 3 Mal war es nöthig zu den früheren
Dosen zurückzugehen, 1 Mal mussten stärkere Dosen verabreicht
werden. In allen vom Verf. beobachteten Fällen fand die rfei-
lnng innerhalb 5 — 14 Tagen statt.
Auch in je einem Falle von Typhus im Wochenbette und
Phlegmasia alba dolens wurde Sulfas Chin. mit Erfolg angewendet.
(Gazette häbdoinadaire 1862, Nr. 12.)
XXV. Literatur. 475
Literatur.
Ueber die Operation der Blase-nscbeidenfistel durch
die blutige Nabt mit Bemerkungen über die Heilung
der Fisteln, Spalten undDefecte, welche an anderen
Körpertheilen vorkommen. Von Dr. Gustav Simon,
Prof. der Chirurgie in Rostock. Rostock, Stiller1 sehe
Hofbnchhandlung, 1862. XII n. 134 8. in gr. 8. mit 26 Holz-
schnitten n. Lithographien.
Der Verfasser der vorliegenden Abhandlung, seit einer Reihe
von Jahren mit dem Studium der Harnfisteln des Weibes und
ihrer Behandlung theoretisch wie praktisch beschäftigt, hat in
dieser Arbeit uns eine Reihe neuer Fälle (10) roitgetheilt und
zugleich sein Operationsverfahren, sowie die Sätze, auf welche
er es basirt, in grösster Klarheit und Genauigkeit ausgeführt.
Die Operation der Blasenscheidenfisteln mit ihren jetzigen
Erfolgen ist, wie es auch Verf. bemerkt, eine der grössten Errungen-
schaften, welche unser Jahrhundert in der operativen Chirurgie
gemacht. Das Verdienst dieser Errungenschaft gebührt aber zu-
nächst — es kann dies nicht genug den betreffenden Anmaassungen
der Amerikaner, Engländer und Franzosen gegenüber hervorgehoben
werden — vor Allen den deutschen Chirurgen Dieffenbach und
Wnt%er, welche schon viel früher, als französische Aerzte eine
Reihe derartiger Operationen ausführten; ja Wutzer war in seinen
späteren Resultaten eben so glücklich wie JoberL Vollständig
wurde die gestellte Aufgabe aber erst durch die Methode des
letzteren (tiefe Anfrischung und Entspannung), durch die des
Amerikaners Hanion Sims (Metallnaht und passende Instrumente
zur Bloslegung der Fistel), vor Allem durch Simon' b Arbeiten
gelöst. Diete, von seiner ersten im Jahre 1854 erschienenen
Schrift an, sind den Lesern dieser Zeitschrift wohl bekannt. In
denselben giebt sich das Streben kund, die einzelnen Acte der
Operation auf rationelle Grundsätze zurückzuführen und zur
Vermeidung von Einseitigkeiten zu zeigen, dass der Erfolg
der Blasenscheidenfisteloperationen von denselben
Bedingungen abhängt, auf denen der ähnlicher Opera-
tionen an anderen Körperstellen beruht. So ist nach
und nach die Methode entstanden, welche der Verf. uns jetzt
darstellt und die in ihrer Vollendung Alles überbietet, was das
Ausland uns in dieser Beziehung gebracht hat,
J
476 xxv- Literatur.
Gewiss werden viele der Leser einen grossen Theil de!
Inhalts der Abhandlung ans Verf's früheren Aufsätzen kennen;
indess werden aach sie manches Nene in derselben
finden. Nicht unerwähnt dürfen wir es aber lassen, dass die
Darstellung sich dnrch eine außergewöhnliche Klarheit aus-
zeichnet— eine wahrlich sehr hoch zu schätzende und nicht genug zu
rühmende Eigenschaft, auf welche wir in Beurtheilung des Werkes
ein besonderes Gewicht legen zu müssen glauben, weil gerade
bei dem in Rede stehenden Gegenstande eine .klare, durch*
schauliehe Schilderung eine der schwierigsten Aufgaben ist. Eine
Reihe von Holzschnitten und 13 sehr gut ausgeführte Tafeln
tragen schliesslich zum Verständnis! des anatomischen Verhaltens
der Fisteln und der verschiedenen Operationsacte wesentlich bei.
Die ganze Schrift zerfallt in zwei Abtheilungen und einen Anhang.
In der ersten Abtheilnng sind 12 Krankheitsfalle mit epikritischen
Bemerkungen mitgetheilt, in der zweiten die Beschreibung des
Operationsverfahrens gegeben. Der Anhang bringt sieben neuere
Fälle, welche dem Verf. erst während der Ausarbeitung der
Abhandlung vorkamen; ferner eine Reihe von Experimenten,
welche über den Einfluss des Urins und des Materials zur Naht
auf die Heilung der Wunde von ihm angestellt wurden. Wir
müssen uns begnügen, hier das Hauptsachlichste hervorzuheben:
Die erzählten 19 Krankheitsfälle umfassen Fisteln von allen
Arten und Grössen; zur Heilung gebracht sind eine Anzahl
Blasen -Mutter -Scheidenfisteln, eine Blasen -Gebärmutterfistel;
• bei den grössten Blasendefecten, bei totalem Mangel des Blasen-
grundes und eines Theiles der Harnrohre sind vollständig
schliessende Urinbehälter durch die vom Verf. erfundene quere
Obliteration der Scheide geschaffen; je in einem Falle eines sehr
grossen Defectes ist sogar die Wiederherstellung der Urinblase
selbst durch Vereinigung der geringen Reste der Blasenscheiden-
wand mit der Vaginalportion und dem Ueberreste der Harnröhre
gelungen. Viele der Fisteln boten ausserdem ungewöhnliche
Complicationen dar, die Operation war oft sehr schwierig und
complicirt und doch das Resultat äusserst günstig. Von den
22 Fisteln, welche bei den 19 Kranken vorkamen, sind 21 völlig
und 1 fast völlig geheilt; darunter 18 durch Bereinigung
der Fistelränder mittels 23 Operationen. In den übrigen 4 Fällen
wurde 3 Mal die quere Obliteration der Scheide, ein Mal die
Vereinigung des kleinen Restes der Harnröhre mit der herab-
gesunkenen Vaginalportion ausgeführt; bei den ersten wurde
2 Mal völlige, 1 Mal fast vollständige Heilung erzielt; im vierten
Falle kam der völlige Verschluss zu Stande, aber die Continenz
des Urins wurde wegen Lähmung der Urethra nicht wieder
hergestellt. Im Uebrigen ist durch 5 der beschriebenen Fälle
-(2 in der ersten Abtheilung und 3 im Anhange) der Nachweis
geliefert, dass diese Continenz wieder hergestellt werden kann,
XXV. Literatur. 477
auch wenn ein verhältnissmässig grosser Theil der Heraröhren -
scheiden wand verloren gegangen ist.
- Die Gesammtresultate des Verf.'s stellen sich folgender-
maassen heraus: Von 43 Fisteln, welche an 40 Frauen
vorkamen, sind 36 volständig geheilt (1 mit zurück-
gebliebener Incontinens des Urins); in 5 Fällen wurde /est voll-
ständige Heilung erzielt; eine Fistel wurde nicht gebessert,
2 Frauen starben. Vier weitere theilweise geheilte Fälle sind in
Behandlung zurückgelassen. — Diese Resultate übertreffen die
aller übrigen Operateure; die in den letzten Jahren vom Verf.
erzielten übertreffen aber auch, besonders in Berücksichtigung
der Complicationen der Fälle und der Schwierigkeiten der
Operationen die früher von ihm errungenen — ein Ergebnis«,
das gewiss nur seiner immer mehr verbesserten Methode zu-
zuschreiben ist.
Die Hauptmomente in Simon'» Verfahren sind nun die Her-
stellung zur Heilung geschickter WundrKnder und eine genaue
Vereinigung.
Die Anfrischung muss glatte, breite, aus gesunder blutreicher
Substanz bestehende Wundflächen herstellen. Sie muss deshalb
bis an und meist durch die Blasenschleimhaut gehen; es ist hier, -
wie Verf. bemerkt, besser zu viel, als zu wenig fortzunehmen.
Darin nun stimmen wir ganz 'bei; denn nur diesem tiefen und
und breiten Anfrischen haben wir es zu danken, dass wir drei,
von Anderen früher ohne Erfolg operirte Fisteln sehr schnell
zur völligen Heilung gebracht und eine vierte sehr grosse und
complicirte nach einmaliger Operation ausserordentlich verkleinert
haben; inr zwei der Fälle wurde mehrfach von uns operirt, die
Fisteln waren nach der ersten Operation trotz sehr ergiebiger
breiter Ausschneidung aber nicht grösser geworden. — Bei diesem
trichterförmigen Anfrischen hat man darauf noeb besonders zu
sehen, dass sich die Wundränder später genau decken und linear
an einander legen werden; es ist deshalb nothwendig, die An-
frischung an der Basis winkelig, so wie eine ovale, mit zwei
Ecken versehene Wunde herzustellen.
Natürlich ist es zur Ausführung eines so genauen Wund-
"macbens und der späteren Vereinigung erforderlich, sich die
Fistel gehörig b-loszulegen. Wo es möglich ist, empfiehlt
Verf. das Herunterziehen des Uterus mittels einer durch den
Cervix geführten Schlinge, um so die vordere Vaginal wand durch
Umstülpung derselben zu Tage treten zu lassen; sollte die ge-
nügende Dislocation nicht oder nur mit grosser Mühe und vielen
Schmerzen zu effectuiren sein , so wird die Fistel durch . das
£tm'sehe, von Simon mit sehr langem Stiele versehene Specälum,
welches die hintere und seitliche Scheidenwand zurückhält, indirect
zu Tage gefördert, durch das plattenförmige Speculum des Verf.'s
wird für Zurückhaltung der vorderen Vaginalwand von der Fistel,
478 xxv- Literatur.
durch Hebel für die weitere der Seitenwanduogen gesorgt. Die
Kranke liegt dabei auf dem Rücken mit sehr erhöhtem Steisse
«ad stark angesogenen Knieen, wodurch die Fistel »ich stark vor-
drangt, der Uterus herunter tritt und daa Operationsfeld frei wird —
Steiss- Rückenlage. Dem Urtheüe, welches 8. über die Bauch-
lage fallt (er halt sie der Ton ihm empfohlenen Lage gegenüber
für überflüssig) können wir doch nicht gans beistimmen, denn wir
machten jüngst die Erfahrung, dass eine seitlich in 4er Scheide
nahe dem Grande liegende Fistel nur in der Bauchlage leicht
angängig wurde, während auch die stärkste Erweiterung der
Scheide in Steis» -Rückenlage die Fistel nicht recht vorwärts
brachte, noch viel weniger die bequeme und sichere Ausführung
der Operation , wie sie die Bauchlage zuliess, erlaubte. Aehnlich
ging es uns bei einer seitlich am Blasenhalse befindlichen Fistel.
Dass man in der Bauchlage die Kranken nicht chloröformiren
kann, möchte kein sehr grosser Kachtheil sein.
Das Wesentlichste in &'s Methode der Vereinigung der
Wunde besteht in der Anlegung einer sehr grossen Zahl von
Nähten durch die ganze Dicke des Randes hindurch, welche die
Wunde genau und dicht umgreifen. Die grosse Ansah! der Nähte
bewirkt eine innige genaue Adaptation der Ränder und bewirkt
in Verbindung mit dem tiefen Durchführen derselben einen starken
Halt. Nur bei sehr grosser Spannung legt Verf. seine Entspannungs-
n&hte an, fahrt unter Umständen auch Seitenschnitte aus.
Als Material cur Naht zieht 5. feine, gut gedrehte Seide von
möglichster Festigkeit den Metalldrähten vor. Wir müssen leider
bekennen, dass es uns nicht möglich war, Seidenfäden der Art,
wie sie Verf. rühmt, zu erlangen und dass wir deshalb die ihnen
von Anderen, den Mctalldrähten gegenüber zugeschriebenen Nach-
theile verschiedentlich zu beobachten Qelegenheit hatten. Doch
verwirft S. die Metall-, in specie Eisennähte durchaus nicht, er
will der Seide nur ihr Recht gewahrt wissen. Völlig stimmen
wir ihm aber in dem Urtheile zu, welches er über die vielen
complicirten Befestigungsweisen der Metallnähte abgiebt; das ein-
fache Knoten und Zusammendrehen derselben genügte, wie dem
Verf. auch ans, in den wenigen von uns operirten^Fällen immer.
Auf die von 8. empfohlene Art der Nachbehandlung wollen
wir noch besonders aufmerksam machen, da er letztere sehr ver-
einfacht hat zur grossen Erleichterung der Operirten und des
Arztes. Er hat nachgewiesen, dass der Urin gar keinen schäd-
lichen Einfluss auf die Wunde durch Benetsung derselben aus-
übt, dass deshalb der Katheter nicht permanent in der Blase zu
liegen brauche; er weist ferner nach, dass dies auch nioht noth-
weadig sei, weil etwa bei Füllung der, Blase die Wundxänder
geaerrt wurden, da eine solche Zerrung bei guter Vereinigung
die Heilung nicht beeinträchtigt. Den letzten Theil dieser Sätze
XXV. Literatur. 479
können wir nach dem, was wir bis jetzt gesehen, indes*, so all-
gemein nicht aeceptiren.
Es mag diese kurze Besprechung der Schrift genügen; ein
weiteres Eingehen würde ans za einer Reprodaction des Inhaltes
derselben führen, die ausgedehnter werden inüsste , als es dieser
Ort erlaubt. — Es ist zu wünschen, dass Verf. 's Operations-
verfahren durch diese seine Arbeit auch im Auslande bekannter
wird, damit auch dort endlich seinen Verdiensten die gehörige
Rechnung getragen werde; denn nach unserer Ueberzeugung ist
u\it Simon1 8 Methoden wohl der Culminationspunkt in der Behand-
lung der Urinfisteln des Weibes erreicht, wenn wir auch zugeben,
dass in Kleinigkeiten noch Manche» gelindert werden kann und
wahrscheinlich geändert, resp. verbessert werden wird.
Schliesslich müssen wir bei dem Eindrucke, welchen die Ab-
handlung, wie alle früheren des Verf.' 8 uns gemacht, es hier aus-
sprechen, wie sehr wir gewünscht, dass er die Lehre von den
Urinfisteln in ihrem ganzen Umfange abgehandelt hätte. Wir
hoffen, dass er bei mehr Musfre diesen gewiss von Vielen getheilten
Wunsch erfüllen werde.
Spiegelberg.
Die Wendung auf die Füsse bei engem Becken. Ein
hi storiach -kritischer Versuch von Dr. W. Franke,
Privatdocent an der Universität Halle. Halle, C. JE. M.
Pfeffer, 1862.
Die erste Hälfte des vorliegenden Werkchens, die geschicht-
liche Darstellung der Lehre von der Wendung auf die Füsse bei
engem Becken, wurde vom Vtrf. als Habilitationsschrift der
medicinischen Facultät zu Halle vorgelegt. Die Darstellung ist
klar und bündig und durch zahlreiche Belege aus, der reich-
haltigen Literatur ausgezeichnet. Im zweiten Theile der Schrift
unter der Ueberschrift: „Kritische Beiträge zur 'Lehre von der
Wendung auf die Fnsse bei engem Becken11 finden wir das vor-
handene Material nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet,
die verschiedenen Ansichten beurtheilt und des Verf. eigene
hinzugefügt. Ohne hier näher auf die daselbst ausgesprochenen
Ansichten, die übrigens im Wesentlichen Gemeingut der heutigen
Geburtshelfer sind, eingehen zu können, sei nur bemerkt,' dass
Verf. in vielen Stücken die Lehren seines verstorbenen Meisters
Hohl vertritt, jedoch nicht blindlings, sondern auch sie, ebenso
wie die der anderen Autoren, einer eingehenden und gesunden
Kritik unterwirft.
Wir empfehlen aus voller Ueberzeugung vorliegendes Werkchen
Allen, namentlich aber den praktischen Geburtshelfern.
ff...«.
480 XXV. Literatur.
C. Gerhardt, De situ et magnitudine cordis gravidarum.
Pregr. Jena 1862.
Verfasser sacht die Annahme einer normalen Hypertrophie
des linken Ventrikels während der Schwangerschaft, wie sie *
Larcher , Ducrest and anderen Franzosen beliebt, zu widerlegen.
Die von diesen an zahlreichen Leichen von Wöchnerinnen ge-
fundenen und als vergrössert angenommenen -Durchmesser der
linken Herzwand überschreiten die normalen Grenzen (5 — 8'")
nicht, wie sie von Peacock, Bizat, Banking, Reid durch genaue
und ebenfalls zahlreiche Messungen bestimmt wurden. Die Zu-
nahme der Herzdämpfung während der Schwangerschaft erklärt
Verf. dadurch, dass das Herz durch die stärke'r gewölbte Kuppel
des Zwerchfells nach vorn und links gedrängt werde, bei gleich-
zeitigem Zurückweichen der Lungenränder. Kurze Zeit nach der
Entbindung ist die Herzdämpfung kleiner als selbst ausserhalb
der Schwangerschaft und des Wochenbettes, in Folge des Herab-
sinkens der Zwerchfellskuppel nach Entleerung des Uterus.
Diese Ortsveränderung des Diaphragma betrifft nur den sehnigen
Theil, der muskulöse behält während der Schwangerschaft seinen
ursprünglichen Stand bei, was ihm durch Dilatation der Basis
des Thorax ermöglicht. Sphygmographische Messungen an
Schwangeren und Nichtschwangeren führten nicht zur Auffindung
irgend erheblicher Differenzpunkte. Verf. glaubt, dass das
Blasegeräusch am Herzen von Schwangeren theil 8 vom Drucke
des Zwerchfells auf dasselbe, theil 8 von durch die veränderten
Ernährungsverhältnisse bedingter unzureichender Füllung ver-
ursacht werde. Hypertrophie des linken Ventrikels kann nicht
abhängen von Zunahme der Blutbahn um die Ge fasse des Fötus
(dieser hat sein eigenes Herz; auch müssten dann Eierstocks-
und Uterusgeschwülste dasselbe bewirken), auch nicht von Er-
weiterung der arteriellen Blutbahn durch die stärkere Füllung
der Brustdrüsen- und GebHrmuttergefässe (nach grossen Ampu-
tationen ist ebenfalls die arterielle Blutbahn erweitert ohne
Nachtheil für das Herz; eine Bedingung zur Aneurysmabildung
fehlt gänzlich: die lnterposition eines unelastischen Sackes),
ebensowenig von Plethora der Schwangeren (denn bei wirklich
vorhandener zu grosser Blutfülle müssten beide Ventrikel atro-
4>biren).
Druck von A. Tfa. Engelhardt in Leipzig.
V
I .
I
i
■\
i
I
I
Monatsschri
Monatsschrift
ftir
GEBURTSKUNDE
und
Frauenkrankheiten»
Im Verein mit der
Gesellschaft für Geburtehtilfe in Berlin
herausgegeben von
Dr. 0. 8. F. Credt,
Hofratb , ord. Prof. and Director der Entbindung* -Anstalt in^Leipsig etc.
Dr. 0. Hecker,
ord. Prof. und Director der Entbindnngs- Anstalt in München, Bitter etc.
Dr. Bd. Kartiii,
Geh. Bath, ord. Prof. nnd Director der Entbindungs-Anstalt in Berlin, Bitter etc.
Dr. F. A. Ton 811(611,
Geh. Bath, ord. Prof. nnd Director der Entbindnngs- Anstalt in Glossen,
Gomthor etc.
Zwauigster BsmL
Mit drei Tafeln Abbildungen, zwei Holzschnitten nnd einer Tabelle.
Berlin, 1862*
▼erlag von August Hirschwald,
68 U. d. Linden, Sehe der Behadow-Strasse.
Inhalt.
Heft L
Seite
I. Verhandlungen der Gesellschaft fBr Geburtshfilfe in Berlin :
«. ReckUngkausen: Ein Her« von einem Neugeborenen,
weichet imehrere, theils nach aussen, theils nach
den Höhlen prominirende Tumoren (Myomen) trug 1
L. Mayer: Ueber die pflanzlichen Parasiten der weib-
lichen 8exualorgane in ihrer praktischen Bedeutung 2
Virchdß: Ueber eine Missgeburt, Exocardie, Hydro-
cephalie, Verwachsung der Eibftute mit dem Fötus 16
VSrchoio: Ueber ein Präparat, betreifend einen circa
sechsmonatlicben Acephalus 18
Oueeerow: Beitrag *ur Lehre tob der Osteomalacie . !•
Hegar: Fistula resicovaginalis. Weiter Abstand der
Fistelränder der Blase und Scheide. Grosser Defect
im Blasengrunde. Ganslicher Mangel des unteren
Harnleiterstfickes rechterseits. Einmündung des
rechten Harnleiters Innerhalb des Defectes. Ope-
ration. Tod durch Urininfiltration in Folg« der
Eröflnung freier Zellgewebariume. (Mit einer Tafel
Abbildungen.) 29
II. Mittheilungen aber die Thätigkeit und die Verhandlungen
der Gesellschaft für Geburtshfilfe an Leipsig im siebenten
Jahre ihres Bestehens. (Fortsetsung.)
III. Ueber Leichenentbindungen. Beobachtungen
mehrerer Gesellschaft« -Mitglieder, zusammengestellt
Ton Dr. med. Emü Apollo Meissner. Vorgetragen am
16. Juli 1861 40
Inhalt
Heft L
I
Verhandlungen der Gesellschaft fBrGeb
v. Becklinghauien: Ein Hers von einem
welches [mehrere, theils nach
den Höhlen prominlrende Tumoren
L. Mayer: Ueber die pflanzlichem
liehen 8exnalorgane in ihrer
Virchow: Ueber eine Miesgefcaol,
cephalie, Verwachsung der
Virchow: üeber ein Prlmvntt,
seehsmonatlichen
Qutserow: Beitrag aar
Hegar: Fistnla ti
Fistelränder der
im Blasengrade.
Hamleiterstiilae
rechten Ha-:
ratio». T«4 am«
EröFr- "~*
m*ifc
.0*
* *'
\\\
ils
den
hen
mng
ein
sich,
ic hen
Sie
i steil,
ieben
IV Inhal«.
III. Kaiserschnitt nach dem Tode. Lebendes Kind. Von
Prof. Dr. Breslau in Zürich 62
IV. Notisen aus der Journal -Literatur:
Btadfeldt: Beitrag sur Aetiologie der Hydronephroae 69
Faye: Uterus duplex bicornis cum vagina simpHci.
Zwei Geburten; bei beiden Wendung de» F6tus und
mehrere bemerkenswerthe Abnormitäten. (Anato-
mische Beschreibung von Winge.) 72
von Madurowict: Haematemesis in gravida 74
Saugstöpsel und Warsenhtitchen aus Kautschuk be-
treffend 76
Breslau: Bericht über die Ereignisse in der Züricher
Gebäranstalt im Jahre 1860 76
Heft II.
V. Verhandlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe in
Berlin 81
Qurtt: Üeber Ovariotomie 81
VI. Mitteilungen über die Thfttigkeit und die Verhand-
lungen der Gesellschaft für Geburtshülfe su Leipzig
im siebenten Jahre ihres Bestehens. (Schluss.)
IV. Ueber Operationen an den Eierstöcken. Fortrag,
gehalten am 19 November 1860 Ton Dr. Carl Hennig 182
VII. Notisen aus der Journal -Literatur:
Roter: Zur Behandlung der Perimetritis chen Abscesse 165
vanHaartmann: Stricturen des inneren Muttermundes 166
MoUi Fungus cütoridis 166
Schupp: Naturheiluug einer BlasenscheidesJstel ... 166
& Bräunt Neuer Beitrag sur Lehre der Deoapltation
ntt C. Braun'» Sdrivsselhaken 167
Heft ffl.
VIII. Verhandlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe in
Berlin 169
v. Becklinghoueen: Präparat eines Krebses des Uterus
ohne Betheiligung des Collum 169
Martin: Ueb+r ei» todftgeborenas ffeifee mMmV*%*hm
Kind mit mehrfachen Kystcn «m Halte, vnter
beiden Achteln und der Gegend der Brustdrüse,
nebet Verunstaltung der Fusseehen und Finger und
blaurother Färbung der Oberschenkel und Bauch-
deefcen 170
8ameUön: Fall ran bilateralem Cephalaematom ... 174
Riedel: Fall von Eclampeie 176
H. Strastman*: Fall von Buptura uteri 181
Birnbaum (in Köln): Seit zwei Jabren bestehende
Inversio uteri, deren Beposltion nach vierteljährigen
Bemühungen gelang • 194
Aföojrerata (in Hewyork): hrrersio uteri nach drtisehn-
janrigem Beatehen durch eine neue Methode geheilt
(Mit iwei Holasehnfete*.) 800
IX. lieber Verlängerung des Scheidentheils der Gebärmutter
bei Schwangeren und Nichtschwsngeren als Ursache
des Vorfalls, nebst drei Fallen ron Abtragung des
8cheidentheils. Von Eduard Martin 903
X. Bericht aber die Ereignisse in der unter der Leitung
des Herrn Prof. Dr. Hecker stehenden geburtshülfliehen
Poliklinik der könlgl. Ludwig -Maximilians -Universität
su München rom 1. Oot. 1859 bis sum 80. Sept. 1861.
Von Dr. M. Braun, praktischem Ant und Httlfsarst an
der Poliklinik 217
XI. Notixen aus der Journal -Literatur:
/. BUkard: Harnblasen- Scheiden -Fistel durch einen
Blaeeastein geschlossen; Obtiteratioa der 8cheide
oberhalb der Fistel 847
Blatehko: Eine Aehre an der Portio vaginalis und
ihre Folgen 848
HuHy: Totaler Vorfall einer eehwangeren Gebärmutter 248
Heft IV.
XII. Unter kernlose Missgeburten. Von Dr. J. Poppel in
Mönchen. (Hieran eine Tafel mit sechs Abbildungen.) 240
XlIJ. Ueber Durchreibungen und Rupturen des Uterus. Von
Dr. Ä QUkmmut Asaistenaarat da« Entbiadungs-
instituts in Halle a/S 271
VI fetal*
Betts
XIV. Waltere Beitrage cur Lehre ren der Ueberwanderung
des menschlichen Eies. Von Prof Dr. A. Bustmaul
in Erlangen 296
XV. Bericht über die Ereignisse in der unter der Leitung
des Herrn Prof. Dr. Becker stehenden geburtshülf-
lichen Poliklinik der königl. Ludwig -Maximüians-
UniversitSt zu München Tom 1. October 1859 bis «um
80. September 1861. Von Dr. M. Braun, praktischem
Arat und Hülfsarst an der Poliklinik. (Schluss.) . . 312
XVI. Notiaen aus der Journal -Literatur:
Simpson: Ueber Vaginodynie 322
Bern*: Ueber O rede0* 9 Methode der Entfernung der
Nachgeburt 823
vanRooyen: Ueber die Entfernung der Nachgeburt
durch auswendige Handgriffe .823
Muller: Grayiditas extrauterin*. Vollkommen reifes
lebendes Kind in einer rechtsseitigen Leisten-
hernie. Entbindung mitteis Operation 824
Clement OUivier: Fibröser Tumor im Scheiden-
gewölbe 324
Ooeeelin: Haematocele periuterina oberhalb des
Beckens gelegen 325
Pajot: Ueber Kephalothrypsie 326
Joulin: Kopf-Zertheiler 326
XVII. Literatur:
Der Catarrh der inneren weibliehen Qeechlechts-
theile von Dr. Carl Beinnig. Mit sechs Knpfer-
tafelnetc. Leipsig, Verlag Ton W. Engelmann y 1862. 327
Heft V.
XVIII. Der Steinschneider Jacob Ruf (oder Buoff, auch
Bueff und Büff) in Zürich geschildert Ton Dr. Meyer-
Ahrene, Arat in Zürich 329
XIX. Kaiserschnitt bei dehnbarem osteomalacischem Becken.
Rettung des Kindes. Tod der Mutter nach sehn
Tagen. Von Prof. Dr. Breslau in Zürich 366
XX. - Bemerkungen au dem Torhergehenden Aufsatae. Von
Prof. B. Frey . ... 877
Inhalt. ¥1»
Seite
XXI. Die Entstehung de* eohrftg verengten Beck«** inroll
eine durch Krankheit der Kreus darmbeinfuge erworbene
Ankylose, vertheidigt gegen die „Bemerkungen" des
Herrn Dr. OUhausen Ton A. E. Simon Thom<uy Professor
der Geburtshfilfe su Leyden. (Hierin eine Tafel
mit awei Abbildungen.) 884
XXII. Notisen aus der Journal -Literatur:
Woodmann: Eiternde Kyste im Unterleib« 408
Sampton Qamgee (Birmingham): Zwei Fülle ron
Ovariotomie 403
Spencer WeUe: Fall ron Ovariotomie 408
Henry Hanks: Geburt eines Doppelmonstrmm . . . 404
Ferber: Zur Pathogenie der sog. Haematocele retro-
nterina 404
Bameboikam: Klinische Vorträge über Geburtshülfe 406
Oneeerow: Bericht Aber die in der geburtahfilfliohen
und gynäkologischen Klinik des Herrn Geh.
Medioinalrath Prof. Dr. Martin au Berlin im
Wintersemester 1861 — 1862 sur Behandlung ge-
kommenen Geburten und Krankheitsfalle .... 406
Boeei: Bericht Über die Ereignisse in der Graser
Gebaranstalt in den Schuljahren 1869 — 1860
und 1860—1861 407
Heft VL
XXIII. Temperaturverhaltnisse bei der Geburt und im
Wochenbette. Von Dr. F. Winckel, Assistenaarat der
Königl. Entbindungs - Anstalt in Berlin. (Mit Tab. III.
als Beilage.) 473
XXIV. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerate
in Karlsbad im Jahre 1862. Verhandlungen der Seotion
für Gynäkologie. Berichtet von Prof. Dr. Qermann 461
XXV. Die operative Verlängerung ( Allonge ment operatoire)
fibröser Gebärmutterpolypen. Eine Methode der Ei-
stirpation sehr voluminöser Polypen. Von Prof.
Dr. G. Simon in Rostock 467
XXVI. Fall von Zwillingsschwangersehaft mit gleichseitigem
Eintritt beider Köpfe in das Becken. Von Dr. WaUker
Franke, Privatdooent an der Universität Halle ... 473
rm i**u.
XXVII. llotite« an* der J<Mrtt«t-LKeratu*;
Baut: Ein Fall von Heilung eines Gebärmutter-
nnd 8caeidenkrebsef , . 479
Ideener: Angeborener Mangel der Gebararatter . . 480
Beroniue: Uterus bioornis c« kaUcnlaris. Peritonitis 481
E. J. Tili: Ueber die Abstossung der SchleimhÄute
der Gebftrmutler and der 8eheide während der
Menstruation 482
Beer: Ruptura uteri spontaaea 484
Okavanne: Nene Art derExtrauterlnschwangerschaft
oder Schwangerschaft des Gebarmutternalses . . 486
M. Jobert de LambaUe: Beobachtungen ober Vesioo-
▼aginal-Fisftela 486
Tamtfer: Beeohreibnng einer neuen Helfeode rar
Erregnng der künstlichen Frühgeburt 487
Hemm**: Ein Fall Ton künetlieher Frühgeburt . . 488
Spencer Weilet Ueber «wel Ornriotomien 488
Berichtigung 488
L
Verhandlungen der Gesellschaft für Oeburtshttlfe
In
Berlin.
Sitzung vom 25. März 1862.
Herr v. Recklinghausen legt der Gesellschaft
ein Herz von einem Neugeborenen
vor, welches mehrere theils nach aussen, theils nach
den Höhlen prominirende Tumoren (Myomen) trug;
die grösseren befanden sich in der Wand der Ventrikel, einer
derselben, am linken Ventrikel befindlich, hatte die Dimensionen
eines Taubeneies. Sie waren von der Muskelsubstanz überall
ziemlich scharf abgesetzt, indem sie eine etwas grössere
Consistenz besassen, als das Herzfleisch, doch fehlte eine
besondere abkapselnde Schicht. Die Schnittflache zeigte ferner
an den Tumoren eine Nassere rothe Farbe, als an der
Muskelsubstanz.
Bei der mikroskopischen Untersuchung isolirten sich aus
den Geschwülsten sehr leicht platte, theils spindelförmige, theils
verästelte, mit einem grossen elliptischen Kerne und glänzenden
Kernkörperchen versehene Zellen. Sie lagen so dicht neben
einander, die Bindesubstanz war in der ganzen Ausdehnung
der Geschwülste so gering, dass auf den ersten Blick ein
großzelliges Sarkom vorzuliegen schien. Jedoch fand sich,
dass jene Zellen eine regelmässige Anordnung kleiner Körnchen
in parallelen Linien, eine deutliche Querstreifung, trugen. Sie
stimmten vollständig ubereiu mit den Formen der Sarkoplasteu,
welche Weissmann von* niederen Wirbelthieren beschrieben
hat und blieben auch hinsichtlich der Grösse und der Zahl
Monati<ebr. f. (IhIuii Nk. 186*. Bd. XX.. Hfl. 1. 1
2 I- Verhandlungen der Gesellschaft
der Ausläufer hinter den Bildungen, welche BiUroth in den
sogenannten Myomen isolirt hatte, nur wenig zurück. Es
konnte hiernach nicht mehr zweifelhaft sein, dass die vor-
liegenden Bildungen als partielle Hyperplasieen der Muskel-
substanz (Myom) aufzufassen waren.
Nach der Erhärtung des Präparates in Alkohol und in
Chromsäure fand sich noch eine besondere Eigenthümlichkeit.
Feine Durchschnitte zeigten nämlich, dass jene platten Zellen
sich fast überall so aneinander legten, dass sie die Wände
von Röhren bildeten, deren Querdurchmesser im Allgemeinen
dem einer quergestreiften Muskelfaser nahezu gleichkam. Eine
epithelartige Schicht auf der Innenfläche dieser Röhren war
nicht zu erkennen, eben so wenig, ob eine Verbindung der
Kanäle, etwa eine netzartige Anordnung vorhanden war; über
die Beschaffenheit des früheren Inhalts dieser Röhren liess
sich an den Erhärtungspräparaten ebenfalls keine Anschauung
gewinnen. Es musste somit dahin gestellt bleiben, ob diese
Röhren zu dem lymphatischen Apparate (ähnlich der Makro-
glossie Virchow) oder zu den Blutgefässen eine Beziehung
hatten, oder ob sie als pathologische Muskelröhren auf-
zufassen waren.
Das betreffende Individuum war kurz nach der Geburt
gestorben, nachdem es einige Athemzfige vollendet hatte; im
Gehirn war ferner noch eine grosse Zahlvon Sklerosen vorhanden.
Herr Louis Mayer sprach über
die pflanzlichen Parasiten der weiblichen Sexual-
organe in ihrer praktischen Bedeutung.
Die Mittheilungen, meine Herren, welche ich Ihnen vor-
zutragen wünsche, sind zunächst veranlasst durch mikro-
skopische Untersuchungen des Secrets weiblicher Genitalien,
bei welchen sich zahlreiche Pilzbildungen vorfanden.
Es ist nicht meine Absicht, Ihnen eine exaete botanische
Beschreibung der hier vorgefundenen Gattungen dieser kleinsten
Pflänzchen zu geben, sondern ich will versuchen, vorwiegend
vom praktischen Standpunkte aus, Ihnen in aller Kürze ein.
Bild zu entwerfen, von ihren Formenverhältnissen, dann von
der Weise ihres Auftretens, ferner von ihrem Einflüsse auf
die Gewebe, wie auf den Körper im Allgemeinen, von den
fflr Geburtshülfe iu Bertin. 3
Bedingungen ihres Entstehens und endlich von der ärztlichen
Behandlung der mit ihnen zusammenhängenden Krankbeitsform.
Es sind drei Formen Verhältnisse bei den hier in
Betracht kommenden Pilzgattungen zu unterscheiden.
Zuerst erwähne ich nur beiläufig der Vibrionen, welchen
eine geringere praktische Bedeutung zukommt. Man beobachtet
sie nicht selten in Secreten, die mehr oder weniger den
Stempel des Zerfalls tragen, öfters in Gesellschaft mit den
sogleich näher zu besprechenden Pilzen.
Auf weit höherer Entwickekingsstufe stehen zweitens
mehrere Gattungen, welche sich durch eine breite Form
der Thallusföden auszeichnen.
Eine dritte Form mit feinen Filamenten bildet den
Uebergang von den letzteren zu den Vibrionen.
Was. die breiten Formen anbetrifft, so bietet die vor-
handene Literatur keinesweges eine erschöpfende Aufklärung
über dieselben.
Robin beschreibt in seiner Histoire naturelle des vegetaux
Parasites, pag. 576 eine von Liberi im Uterusscbleime
beobachtete Alge, unter dem Namen Leptomitus de l'uterus,
welche aus blassen, verästelten Röhren ohne Scheidewände
und aus gegliederten breiteren mit Scheidewänden , durch Sporen
oder granulirter Masse begrenzt, bestehen. Die Sporen sind
ovoid oder länglich.
In demselben Werke ßnden wir pag. 576 eine von
Wilkenson mitgetheilte Form unter dem Namen Leptomitus
du Mucus uterin, von welcher weder durch Beschreibung
noch Zeichnung ein klares Bild gegeben wird.
Küchenmeister bietet uns in seinem Werke über pflanz-
liche Parasiten die „ Grenser'schen vegetabilischen Pilze der
Vagina u, welche letzterer in einer diphtheritischen Scheiden-
entzündung mit Pflaster -Epithel und Schleimkörper gefunden
hatte, in Zeichnung leider, ohne nähere Beschreibung. Das
Bild erinnert allerdings an die von mir beobachteten Pilzformen.
Virchow's Archiv, Bd. IX., S. 460 enthält unter dem
Titel: „Ueber Entstehung und Verpflanzung des Aphtophyton
vom Professor Martin die Beschreibung eines Pilzes der
Scheide, welcher gegliederte, verästelte, am Ende kolbig
4 I. Verhandlungen der GaselUchaft
angeschwollene Fäden und zahlreiche längliche und runde
Sporen hat
Nach meinen eigenen Beobachtungen finden sich von
den breiten Formen mehrere Gattungen in den weiblichen
Sexualorganen, deren Unterschiede jedoch für die Praxis von
geringer Bedeutung sind. Ich beschränke mich daher darauf,
ihre allgemeinen sofort in die Augen fallenden Charaktere
anzugeben.
Die Thallus faden sind farblos, glänzend, 0,0015 bis
0,0034 Millim. breit, vielfach verästelt und gegliedert, von
gleichmässiger Dicke oder mit end-wie mittelstandigen An-
schwellungen bis zu 0,006 Millim. Breite. Sie zeigen einfache
oder doppelte Contouren und Scheidewände, haben häufig
eine homogene Beschaffenheit oder einen feinkörnigen Inhalt
Auch bemerkt man in ihrem Innern, wie bei Pilzen anderer
Mycosen, wenn auch seltener als bei manchen dieser, kleine
lichtbrechende Tröpfchen. Die Fäden finden sich selten einzeln,
vielmehr in der Regel in grösserer oder geringerer Zahl
zwischen zusammenhängenden Epithelien, oder in makro-
skopische, pseudomembranöse Läger durcheinander gewachsen
und verfilzt Die Sporen haben verschiedene Formen und
Grössen. Es giebt runde und ovale. Die ersteren diflferiren
in ihrem Durchmesser von 0,0005 bis 0,0054 Millim. Die
ovalen können eine Länge von 0,008 Millim. und eine Breite
von 0,003 Millim. erreichen. Man sieht sie einzeln oder
bisquitförmig gepaart, auch in längeren Ketten zusammenhängend,
sowie in Klumpen an den Enden oder im Verlaufe der Frucht -
faden, oder endlich in massenhaften Haufen zusammenhängend.
Ich habe diese breiten Pilzformen kürzlich sechs Mal
im Secrete der weiblichen Genitalien beobachtet -Sie traten
sowohl auf den Innenflächen der Labien, auf den Nymphen,
der Clitoris, den Carunculis myrtiformibus als auch in der
Vagina und an der Vaginalportion auf. lieber diese Gebiete
hinaus habe ich sie sich nicht forterstrecken gesehen. Man
bemerkt stecknadelknopfgrosse und kleinere weissliche oder
hellgelbliche, der Schleimhaut in der Regel lose aufsitzende
Fleckchen, welche rundlich oder unregelmässig gestaltet,
eine Grösse von 2 bis 3 Linien Durchmesser erreichen
können, — den Soor Plaques durchaus ähnlich. 'Mitunter
für Geburtshülfe in Berlin. 5
überziehen sie grössere Flächen der bezeichneten Theile.
Seltener haften sie wie diphtherische Membranen der Schleim-
haut fester an und hinterlassen nach ihrer Entfernung seichte
Geschwürsflächen. Was den Boden anbetrifft, auf dem sie
wuchern, so zeigt derselbe stets BlutüberföUung und vermehrte
Secretion. Das Secret hat hier eine schleimig opalescirende,
milchige oder rahmige Beschaffenheit, ist auch wohl von
noch dickerer Gonsistens, Kartoffelkleister nicht unähnlich.
Stets finden sich darin viel Pflablerepithelien , (htils wohl er-
haltene, theils feinkörnige, theils zerfallende, häufig in grosser
Menge zusammenhängend, Eiter und Schleimkörper, Detritus
und freie Kerne, zuweilen auch Trichonionadeu, endlich sowohl
Vibrionen, als auch die, noch zu erwähnenden feineren Pilze.
Die Pilze, welche wir hier zunächst im Auge haben,
nämlich die breitgestalteten, wachsen auf und zwischen den
oberflächlichen Epithellagen oder dringen iu die tieferen
Schichten. Im letzteren Falle v in welchem sie die erwähnten
Pseudomembranen bilden, macht sich ein deutlicher Zerfall
der Grundlage bemerkbar. Wo die Pilze weniger dicht ge-
wachsen sind, sieht man sie häufig auf den Epithelschichten,
zwischen Falten einzelner Zellen und auf ihren Oberflächen
entlang laufen. Isolirt erscheinen sie mit den festsitzenden,
zusammengefallenen Epithelien wie Zweige mit aufsitzenden
Blättern. Ein Durchbohren der Epithelialzeilen habe ich trotz
grosser Aufmerksamkeil ~ nur selten deutlich gesehen. Man
kann hier leicht getäuscht werden, indem man Durchwachsungen
zu sehen glaubt, wenn der Pilz durch Falten einer Zelle
oder zwischen mehreren aufeinander gelagerten verläuft.
Die sechs Individuen mit Vaginal -Mycose, welche mir
in neuerer Zeit vorgekommen sind, standen in verschiedenem
Alter und Lebensverhältnissen, hatten verschiedenen Habitus
und zeigten abweichende Gesundheitsstörungen. Fünf von
ihnen waren verheirathete, an Krank hei teil des Sexualsystems
leidende Frauen, die sechste, ein blühendes gesundes Dienst-
mädchen von 27 Jahren, befand sich im dritten Monate ihrer
zweiten Gravidität, wie auch von den anderen zwei ebenfalls
Gravidae waren. Bei Allen, mit Ausnahme des letzterwähnten
Mädchens, zeigten sich die Pilze mit mehr oder weniger
heftiger Entzündung der Genitalschleimhaut und alle diese
•
g I. Verhandlungen der Gesellschaft
klagten, sobald die Verschimmdung Wurzel gefasst, überein-
stimmend über ausserordentlich heftiges Brennen, Jucken und
stechende Schmerzen in der Vulva und Vagina, welche sich
partfxysmenartig steigerten, die nächtliche Ruhe störten und
Zustünde von nervöser Reizbarkeit und Schwäche zur Folge
hatten. In dem sechsten Falle dagegen fand die Verschimmelung
ohne Entzündung statt und hier fehlte das eigentümliche
Jucken und Brennen. Ich bemerke jedoch, dass ich diese
Kranke nur ein Mal untersucht habe, mir der fernere Verlauf
daher unbekannt ist. Ich lasse vorläufig dahin gestellt sein,
inwiefern bei dem Zusammentreffen der Pilzbildung mit der
Entzündung das eine oder das andere dieser Momente als
vorwiegende Ursache jener belästigenden Erscheinungen auf-
zufassen ist. In welchem causalen Verhältnisse Entzündung
und Pilzbildung zu einander stehen, will ich bei den Ursachen
der Krankheit besprechen. Zunächst haben wir noch zur
Pathologie der Genital -Mycosen hinzuzufügen, dass sie kurze
Zeit bestehen, in fünf bis sechs bis zehn Tagen verlaufen
oder einen chronischen Charakter haben und die Kranken
wochenlang auf das Quälendste belästigen können. Ihr Auf-
treten bekundet sich ziemlich plötzlich. Dies liegt in der
ausserordentlich rapiden Ausbreitung der Pilze auf einem
ihrem Wachsthume günstigen Boden.
x Die Beschwerden sind aber nicht immer sofort mit dem
Verschwinden der Pilze abgeschnitten, sondern überdauern
diese, wenn auch in bedeutend gemässigterem Grade, noch
einen oder mehrere Tage, was in dem Fortbestehen der mit
"Mycose der Genitalien in der Regel einhergehenden Entzündung
der Schleimhaut seine Ursache hat Aehnliche Verhältnisse
finden wir in der Symptomatologie des Soor. Dieser stimmt
wie in manchem Anderen so auch hinsichtlich der differentiellen
Diagnose mit unserer Verschimmelung überein; darin nämlich,
dass eine sichere Diagnose nur mit Hülfe des
Mikroskops zu stellen ist. Denn es kommen aphthöse
und diphtherische Processe der weiblichen Sexualschleimhaut
vor, die in Erscheinung und örtlichem Auftreten, letzteres
namentlich beim Beginne der Krankheit, ein der Verschimmelung
' ähnliches Bild ohne jegliche Pilzbildung geben. Ganz besonders
ist noch hier auf jene, gewöhnlich sehr schmerzhafte Vaginitis-
für Geburtahülfe in Berlin. 7
Form aufmerksam zu machen, in welcher Abscbilferuugen der
Pflaster- Epithelien in grossen Mengen und in zusammen-
hängenden Schichten zu Stande kommen, da diese letzteren
sowohl auf der Schleimhaut, wie dem untersuchenden Finger
anhaftendem Secret viel Aehnlichkeit mit Pilzherden haben.
Lassen Sie uns nunmehr zur Entstehungsweise und zu
den Bedingungen, unter denen unsere breiten Pilze auf der
Vaginalschleimhaut wuchern, etwas näher eingehen.
Es treten uns da dieselben Schwierigkeiten entgegen,
welche diese Frage bei der Schimmelbildung im Allgemeinen
bietet Es felüen hier nicht nur klare Anschauungen über
Botanisches der minutiösen Pflänzchen, insbesondere über
ihre Fructification und Verbreitung, sondern auch über die
physikalischen und chemischen Bedingungen, die zu ihrer
Entwickeluug nothwendig sind, wenngleich es feststeht, dass
Schimmelpilze verschiedenster Art günstige Verhältnisse und
günstigen »Boden genug für ihr Gedeihen finden , um in aus-
gebreitetster Weise in allen Ecken und Enden des Erdballs
zu wuchern und beständig mit Milliarden von keimungsfahigen
Sporidien die Atmosphäre zu schwängern und die Körper
der Erde zu bestäuben. Dass solche Samen auch in der
Vulva und Vagina hangen bleiben, ja in der, der Anhaflung
günstigen Oberfläche zahlreich eine Aufenthallsstätte finden,
ist erklärlich. Ich habe constant einen oder mehrere Sporen
von verschiedenen Formen und Grössen in dem wenigen Schleime,
der unter einem Deckgläschen Platz hat, gesehen. Im Ver-
hältnisse zu diesem ungemein häufigen Vorkommen der Sporen
erscheint die Keimung und Anwurzelung in den weiblichen
Sexualorganen allerdings selten. Der Grund hiervon möchte
zunächst darin zu suchen sein, dass in der. Vagina überhaupt
nur Sporen weniger bestimmter Genera und Species von Pilzen
und Algen anwachsen; ferner, dass diese wenigen Species sich
nur unter bestimmten Bedingungen, die für alle Schimmel-
bildungen conditio sine qua non sind, entwickeln.
Erlauben Sie mir, meine Herren, zunächst diese all-
meineu Gesetze zusammenzufassen und danach eine Anwendung
auf unsere Mycose zu machen.
Schimmelbildungeii überhaupt gedeihen nur unter gewissen
physikalischen Bedingungen , insbesondere unter gewissen
g l. Verhandlungen der Gesellschaft
Feuchtigkeit - und Temperaturverhällnissen , auf faulenden
oder in Zersetzung begriffenen organischen Substanzen* wie
auf lebenden pflanzlichen und thierischen Organismen. Auf
letzteren sowohl an der Oberfläche, als im Innern, und zwar
an Stellen, wo physiologisch Gelegenheit zu chemischen Zer-
setzungen geboten ist, wie in allen, mit Schleimbaut über-
zogenen, auch nach aussen geöffneten Höhlen. In patho-
logischen Zuständen der lebenden Organismen sind gleichfalls
gewisse, noch nicht hinreichend erforschte Zersetzungsprocesse
nothwendige Bedingung, welcher die bereits angedeuteten
physikalischen Momente hinzutreten. Solche Zersetzungs-
processe mit Schimmelbildung können theils da stattfinden,
wo der ganze Organismus von pathologischen Veränderungen
der Gewebe und Säfte ergriffen ist, wie dies bei niederen
Organismen, zum Beispiel bei Fliegen und Seidenraupen
beobachtet worden; theils treten sie an einzelnen Körperlbeilen
in Folge partiell gestörter Lebensthätigkeit auf, "wie solche
bei chronischen Krankheiten der Hautdecke, so wie bei Ent-
zündungen stattfindet, durch deren Producte den Zersetzungs-
processen besonderer Vorschub geleistet wird.
Kommen wir jetzt, meine Herren, wieder auf die Mycose
der weiblichen Genitalien zurück, so finden wir die Pilz-
entwickelung auch hier unter den allgemein gültigen Voraus-
setzungen. Keimungsfähige Sporen haben bei dem anatomischen
Verhalten dieser Theile Zutritt und in den vielen Falten und
Fältchen der Schleimhaut feste Ruheplätze. In den Secreten
der Schleimhaut sind selbst bei gesundem Zustande Quellen
chemischer Zersetzung gegeben, welche genügen, den feinsten
Fadenpilzen ihre Existenz zu fristen. Das Anwachsen und
Gedeihen der breiteren Pilze setzt schon ein gesteigertes
Maass der erforderlichen Vorbedingungen voraus. Catarrhalisch
entzündliche Processe mit Auflockerung und Schwellung der
Schleimhaut, mit vermehrter Secretion und erhöhter Tem-
peratur liefern ihnen einen günstigen Boden. Dass wir Mycose
der Sexualorgane auch in der Gravidität finden , kann durchaus
nicht auffallen, da hier physiologisch örtliche, jenen patho-
logischen Zuständen nahe stehende Veränderungen Regel sind.
Nach dem bisher Gesagten wird das Auftreten unserer
Pilze als ein accidentelles. gewissen Zuständen der Schleimhaut
für Gebnrtshfilfe in Berlin. 9
hinzutretendes Moment aufzufassen sein. Es scheint aber, dass
die Verschimmelung, sobald sie Platz gegriffen bat, krankhafte
Erscheinungen vermehrt und selbstständig neue prodncirt
Demnach muss die Behandlung nach zwei Seiten hin
gerichtet sein. Die causale wird alle, die Püzbildung be-
günstigenden Krankheitszustände zu beseitigen haben, also
gegen Catarrh und Entzündung gerichtet sein. Lacale Blut-
entziehungen, kühlende Diät und Abfuhrmittel sind zu ver-
ordnen. Die Parasyticide wird durch fleissige Waschungen
und Injecüonen die Pilze zu entfernen suchen. Wir empfehlen
lauwarme Einspritzungen von Wasser oderechleimigen Decocten,
Bepinselungen und Abspülungen der ganzen Vaginalschleimhaut
durch ein eingeführtes Speculum, mit Lösungen von Quecksilber-
und Kupfersalzen. In der Gravidität wird man sich, wenn
möglich, auf Injectionen beschränken. Beseitigung der lästigen
Beschwerden durch diese allein ist möglich, erfolgt indessen
nicht immer.
Gestatten Sie mir nun, meine Herren, zur Veranschau-
lichung der Sache auf die von mir beobachteten Fälle etwas
näher einzugehen.
Erste Beobachtung. Mycosis vaginae et portionis vagi-
nalis von zehntägiger Dauer mit acuter Vaginitis bei
chronischem Gebärmutter- und Leberleiden.
Frau von W. eins corpulente, in besten Verhältnissen
lebende 50jährige Frau, litt au Intumescentia und Descensus
uteri, schmerzhafter Leberanschwellung und rheumatischen
Muskelaffectionen. Sie war noch in längeren Zwischenräumen
tnenstruirt und hatte eine ziemlich profuse Blennorrhoe. Sie
bewohnte während des Winters eine kalte Parterrewohnung
hierselbst, an deren Wänden sich an mehreren Stellen eine
Penicillium-Art fand. Sie befand sich bereits lange Zeit in
meiner Behandlung, als sie eines Tages über lästiges Brennen
in der Vulva klagte, welches sich, nach ihrer Aussage, in
den Leib hineinzöge und wahrscheinlich durch einen Fehltritt
entstanden sei. Bei der Untersuchung fand ich hinter den
Carunculis myrtiformibus ziemlich grosse weissliche Plaques
unter dem schleimig kleisterigen, sauer reagirenden Secret.
Diese Plaques sassen der Schleimhaut lose auf und erstreckten
10 J. Verhandlungen der Gesellschaft
sich bis zum Scheidengrund, wie auch über die Muttermunds-
tippen , die ganze Schleimhaut zeigte dabei Schwellung, Röthe,
Schmerzhaftigkeit und vermehrte Secretion — Erscheinungen,
die sich erst in den letzten Tagen etablirt hatten. In dem.
Secrete sah man viele einzelne, wie auch in grösseren Ab-
schnitten zusammenhängende, theils homogene, theils fein-
körnige, theils zerfallene Pflasterepithelien, Eiterkörper, fein-
körnigen Detritus, Trichomonaden und Pilzsporen verschiedener
Grösse und Gestalt, wie einzelne breite Pilzfäden. Die pseudo-
membranösen, weisslichen Plaques aber bestanden aus mehr
oder weniger dichten Lagern verülzter breiter Pilzfaden mit
eingelagerten Sporenhaufen. Den folgenden Tag hatten sich
diese Schimmelherde vermehrt und grössere Flächen belegt.
Ich verordnete Blutegel ad perinaeum, liess dreistündlich laue
Injectionen eines DecocL sem. lini mit Zusatz von aromatischem
Essig machen und bepinselte einige Male die ganze Schleim-
haut durch ein eingeführtes Speculum mit Liquor hydrargyri
nitricL Das Jucken und Brennen mässigte sich hierauf bald
und verschwand gleichzeitig mit Entzündung und Schimmel
in zehn Tagen und kehrte nicht wieder.
Zweite Beobachtung. Mycosis vaginae et portionis
vaginalis bei einer am chronischen Catarrh der Genitalien
und schmerzhafter Verdickung des Ligamentum uteri
latum sinistrum leidenden Frau mit unentwickeltem
Uterus. Dauer vier Tage. Die mit derselben ver-
bundene acute Vaginitis überdauert die Mycosis um
36 bis 48 Stunden.
Die Baumeister-Frau M. aus K., 28 Jahre alt, sieben
Jahre verheirathet, steril, litt an chronischer, catarrhalischer
Reizung der Genitalien, schmerzhafter Verdickung des Liga-
mentum uteri latum sinistrum. Sie hatte einen unentwickelten
Uterus, dessen Höhle kaum 2 Zoll lang, Portio vaginalis klein
aber gesund war. Die Frau lebte während ihres Aufenthalls
in Berlin in eruer trockenen, eine Treppe hoch gelegenen
Wohnung. Ich hatte sie bereits vier Wochen behandelt, ihr
innerlich eröffnende bittere Speries, äusserlich Vesicatore auf
die Regio iliaca sinistra und Injectionen in die Scheide mit
Infusum niillefolii verordnet, als die Frau den 20. Februar a. c.
Air Geburtabälfe in Berlia. 11
ober, ihr unbekanntes starkes Jucken und Brennen in den
Genitalien klagte. So plötzlich diese Erscheinungen aufgetreten,
so rapid steigerten sie sich, störten die nächtliche Ruhe und
hatten alsbald grosse Mattigkeit und fieberhafte Aufregung
des Gefässsystems zur Folge. — Während ich früher wieder-
holenden in dem reichlichen, rahmigen, sauer reagirenden
Secrete nur Epithelien, Eiterkörper, Detritus« Vibrionen und
einzelne Pilzsporen von 0,004 Miltim. Länge gesehen hatte,
so fanden sich jetzt umfangreiche Bildungen breiter Pilze
ganz wie in dem vorigen Falle. Es war eine merkliche
Steigerung der Entzündung mit Schwellung der Schleimhaut
der Vulva und Vagina vorhanden. Schimmelherde fanden sich
aber nur in der Vagina und an den Muttermundslippen. Hier
verschwanden die Pilze in vier Tagen, nach örtlichen Blut-
entziehungen, häufigen Injectionen und täglicher Application
einer Solutio lapidis divini auf die erkrankte Schleimhaut
mittels Speculum. Schmerzbaftigkeit und Entzündung über-
dauerten, wenn auch in bedeutend vermindertem Grade die
Schimmelbildung 36 bis 48 Stunden. Nach sechs Tagen
waren alle Erscheinungen gehoben. Die Kranke reiste den
17. März ohne Recidiv der Mycose' von hier ab.
Dritte Beobachtung. Mycosis partis inferioris vaginae
von fünftägiger, die begleitende acute Vaginitis von neun-
tägiger Dauer, bei einer an chronischer Cystiüs, Metritis,
Intumescentia und Retroflexio uteri leidenden Frau.
Frau von B. aus Mecklenburg, eine kleine, 28jährige
Frau, l1/* Jahre verheirathet, litt seit ihrer Entbindung vor
s/4 Jahren an Schmerzen im Leibe, Strangurie, Tenesmus,
starker Blennorrhoe, lähmungsartigen Zuständen der unteren
Extremitäten bei grosser körperlicher Schwäche. Der sehr
schmerzhafte, angeschwollene Uterus war im spitzen Winkel
retroflectirt, an den Muttermundslippen fanden sich grosse
granulirte, blutende Erosionen, ferner chronische Entzündung
der Blase, der Vagina und des Rectum. Die Kranke wohnte
hierselbst in einer trockenen Wohnung im ersten Stockwerke.
Ich hatte zu mehreren -Malen das milchige, die Schenkel
wund ätzende Secret der Genitalien untersucht, zerfallenes
Pflasterepithel, feinkörnigen Detritus, Eiterkörper, freie Kerne»
12 I- Verhandlungen der Gesellschaft
Trichomonaden, sowie auch Pilzsporen von verschiedener
Gestaltung gefunden. Nach mehrwöchentlicher Behandlung
war wesentliche Besserung des Befindens eingetreten. Die
Schmerzen hatten sich bedeutend vermindert, die Kranke
war im Stande, weite Spaziergänge zu machen. Da empfand
sie, ohne eine ihr bekannte Veranlassung, eines Tages ein
nie gefühltes Brennen in der Vulva und Vagina, welches sich
in den nächsten Tagen steigerte. Die Untersuchung ergab
vermehrte Hyperämie der Vulva, Vagina, Vaginalportion, pro-
fusere Blennorrhoe, kleine Scbimmelherde in dem unteren
Scheidentheile. In den eisten Tagen nahm das Brennen zu,
störte die nächtliche Ruhe und ermattete die Kranke. Darauf
gesellten sich heftigere Rückenschmerzen, Stiche in dem
Hypochondrium dextrum mit leichten Fieberbewegungen hinzu.
Ich verordnete vier Blutegel an die Vaginalportion, liess drei-
stündlich laue Injectionen mit einem Cicuta- Infus machen
und wusch die Vagina einige Male mit einer Solutip cupr.
aluminati aus. Am fünften Tage nach dem ersten Auftreten
fand ich keine Pilze mehr, wogegen die erhöhten Boschwerden
in Folge gesteigerter Entzündung noch vier Tage bestand.
In späterer Zeit sind keine Pilze wieder erschienen.
Vierte Beobachtung. Mycosis vulvae, vaginae et portionis
vaginalis in sechsmonatlicher Gravidität. Monatelanges
Bestehen mit chronischem Catarrh. Ent Wickelung von
Pityriasis versicolor während der Vaginal - Mycose.
Die Bauersfrau S. aus Lichtenberg, 26 Jahre alt, drei-
viertel Jahre verheirathet, im sechsten Monate der Gravidität,
eine kräftige, blühende Blondine, hatte seit fünf bis sechs
Wochen Schmerz und juckendes Brennen , anfänglich in den
äusseren Genitalien, bald auch in den tieferen Thetlen der Vagina
empfunden. Die Beschwerden steigerten sich paroxysmenartig
und raubten der Frau die Nachtruhe. Sie suchte deshalb
ärztliche * Hülfe. Bei den Untersuchungen zeigten sich die
äusseren Genitalien, stark geröthet und geschwollen, der In-
troitus und die Vagina dunkel livid, letztere granulirL Man
sah auf der Innenfläche der Labien, auf den Nymphen und
an der Clitoris Stecknadelkopf- bis linsengrosse weissliche
Plaques, in der Vagina erstreckten sich dieselben bis zum
für GeburUhülfe in Berlin. 13
Fornix und überzogen die Muttermundslippen, waren aber
im oberen Drittheile der Vagina weniger gross und zahlreich.
Das Mikroskop ergab neben einer Menge von geschrumpften
Epithelien, vielem Detritus, zahlreichen Trichomonaden, Eiter-
körpern, Vibrionen, Lager verfilzter breiter Thallusfaden mit
grossen Sporenhaufen. Es wurden Magnesia usta und laue
Vaginalinjectionen verordnet, wodurch Linderung auf einige
Zeit geschafft und die Pilzbildung gehemmt wurde. Vier
Wochen lang sah ich die Kranke nicht, als sie mich alsdann
wieder consultirte, fand ich die Pilzvegetation der Genitalien
in schönstem Flor, die Kranke litt aufs Empfindlichste au
den überaus peinigenden Beschwerden, die nunmehr noch
durch eine zweite Mycose erweitert waren. Ueber Brüste
iind einzelne Stellen des Leibes nämlich, hatte sich Pityriasis
versiöolor mit lästigem Jucken verbreitet. Die Frau gab an,
in einem neuen, feuchten Hause zu ebener Erde zu wohnen.
Sie war reinlich gekleidet, sowie an ihrem Körper sauber.
Fünfte Beobachtung. Mycosis vulvae, vaginae et portionis
vaginalis in gra vidi täte trium mensium von wochen-
langer Dauer mit heftigem Catarrh der Genitalien.
Die 25jährige Schuhmacherfrau M. aus Berlin, 7 Jahre
verheirathet, hatte vier Mal geboren, zuletzt vor 1% Jahren,
danach zwei Mal abortirt. Seit dem letzten Abortus litt sie
an einer schmerzhaften Anschwellung nebst Deviation des
Uterus nach rechts und blutenden, granulirten Geschwüren
der Muttermundslippen. Diese Leiden hatten Schmerzen im
Kreuze und Leibe, Urinbeschwerden, Leucorrhoe zur Folge
und waren von Verdauungsbeschwerden begleitet.
Ausleerende Mittel, Blutentziehungen und örtliche Be-
handlung der Geschwürsflächen hatten eine wesentliche Besserung
erzielt, als die Frau wieder schwanger wurde, und damit
sich ihre Beschwerden wieder steigerten. Im dritten Monate
der Schwangerschaft gesellte sich zu diesen ein unerträgliches
Jucken, Brennen und Siechen in den Genitalien. Bei der
Untersuchung, fanden sich auf der Innenfläche der Labien,
auf den Nymphen und Vaginal wänden, welche Theile säinmllich
stark geröthet und geschwellt erschienen, weissliche, hirsekorn-
bis linsengrosse , festhaftende Pseudomembranen, die nach
14 I- Verhandlungen der Gesellschaft - „
der Entfernung mit dem Scalpel kleine Geschwürsflächen
hinterliessen. In dem reichlichen, opalescirenden , sauren
VagiuaJsecrete erschienen unter dem Mikroskope Eiterkörper,
viel Pflasterepithelien , feine Pilzfaden und Vibrionen. Die
weisslichen Inseln bestanden aus einem dicht verfilzten Mycelium
breiter Pilze, welchem dichte Haufen, zum Theil zerfallener
Epitheiien zur Grundlage dienten. Einzelne Fäden, wenn sie
isolirt gesehen wurden, waren mit fielen zusammengefallenen,
anhaftenden Epithelialzellen besetzt. Sporen lagen in grossen
Haufen beieinander oder fanden sich in kleineren Klumpen
besonders an quirlförmig verästelten Stellen um die Thallus-
faden gelagert. — Auch hier besserten sich die Beschwerden
nach Injectionen und kühlenden Abführmitteln. Auf kurze
Zeit wurden die Plaques und breiten Pilzformen nicht beobachtet,
während die feinen nicht völlig verschwanden. In nicht gar
langer Zeit kehrte aber die Mycose der breiten Pilze mit
ihren peinigenden Beschwerden zurück und schwächten die
Frau so, dass sie ausser Stande war, mich weiter in meiner
Sprechstunde zu consultiren.
Sechste Beobachtung. Mycosis vaginae ohne auffallende
Entzündungserscheinungen bei einer Gravida im dritten
Monate.
A. (?. , 27 Jahre alt, ein derbes, blühendes Dienstmädchen
von hier, welches bereits ein Mal geboren hatte, suchte
meinen Rath, weil ihre Menses zwei Monate ausgeblieben
waren. Sie hatte Kopf- und Magenschmerzen, sonst keine
Beschwerden. Bei der Untersuchung fand sich eine Graviditas
im dritten Monate. Die Schamspalte war geschlossen, beide
Vaginalwandungen schlaff, mit weisslichem, zähem Secrete
bedeckt, livid, Labien und Nymphen wenig geröthet. In'der
Vagina bemerkte man beim Einfuhren des Speculum weiss-
liehe Fleckchen, die sich mit demselben abstreiften. Sie
beständen, wie die mikroskopische Untersuchung erwies, aus
breiten Pilzen in dichtem Mycelium, mit vielen eingelagerten
Sporidienhaufen. Weiteren Beobachtungen entzog sich die A. Q.
Wir kommen nunmehr zur dritten der am Anfang von
mir unterschiedenen Form pflanzlicher Parasiten der weiblichen
für Geburtsbälfe in Berlin. 15
Sexual organe. Die Abweichung derselben von der bisher
besprochenen besteht vor Allem in auffallend grösserer Fein-
heit der Filamente.
Ohne darauf Gewicht zu legen, ob wir es" hier mit
eigentlichen Pilzen (Champignons) oder mit Algen zu thun
haben, unterscheiden wir zwei Formen. Die eine entspricht
der in der Mundhöhle vorkommenden, von Robin als Lepto-
thrix buccalis bezeichneten Alge. Die leinen durchsichtigen
Fäden wachsen in langen Büscheln« unverästelt von einer
feinkörnigen Matrix aus, oder man findet sie isolirt, verworren
durcheinander bis zu einer Länge von 0,05 Miliin), und
0,0005 Millim. breit.
Sie ist seltener als die zweite Form. Diese ist etwa
noch einmal so breit 0,0008—0,001 Mülim. und bis 0,1 Millim.
lang, und bereits von Donnt (Cours de Microscopie, Paris 1847)
beschrieben, später von Scanzoni erwähnt. Die Fäden sind
steif, gebogen und gegliedert, zuweilen, wenn auch sehr
selten, verästelt, häufig in dichten Haufen beieinander, nie
von einer gemeinsamen Matrix ausgehend.
Wenn beide Formen auch vom botanischen Standpunkte
wesentliche Differenzen bieten, so haben sie, was ihre
praktische Bedeutung anbetrifft, einen gleichen Wertb. Sie
kommen in anscheinend normalem, wie krankhaft verändertem
Secrete vor, auf gesunder wie erkrankter Schleimhaut. Sie
verbreiten sich über Vulva wie Vagina, dagegen habe ich sie
nicht im Secrete des Gervicalkanals gesehen. Zwei Mal fand
ich die zweite Form in Gesellschaft, der breiten Pilze. In
einem dieser Fälle verschwanden die breiten, während die
feinen fortbestanden.
Pathogenetische Bedeutung haben diese feinen pflanzlichen
Parasiten nicht. Da wo sie in grösseren Mengen vorkommen,
ist immer vermehrtes Secret vorhanden, insbesondere mehr
klebriges, kleistriges in der Vagina zurückgehaltenes. Die
Kranken klagen wohl in solchen Fällen über leichtes Jucken
und Brennen, weiche Erscheinungen indessen eher dem
Secrete, als den pflanzlichen Parasiten in ihnen zuzuschreiben
ist, da andererseits beim Vorhandensein sehr vieler Pflänzchen,
aber anderer Beschaffenheit des Secrets, sich keine Be-
schwerden zeigen.
]{j I. Verhandlungen der Gesellschaft
Die Behandlung beschränkt sich einfach auf Entfernung
des Parasiten durch wiederholte Injectionen.
Herr Z. Mayer erläuterte darauf seinen Vortrag durch
Vorlegung verschiedener mikroskopischer Präparate, an denen
die von ihm hervorgehobenen Unterschiede der Pilzformationen
deutlich zu erkennen waren.
Herr Martin hat sowohl bei Schwangeren als Nicht-
schwangeren die Leptotrix unter den von Herrn Mayer an-
gegebenen Symptomen in Form weisser Plaques plötzlich
entstehen sehen und die Krankheit durch Injectionen einer
verdünnten Höllensteinlösung @j auf 3iv und davon 1 — 2 Ess-
löffel auf l1/« Tassen Wasser) schnell zur Heilung gebracht
Sitzung vom 8. April 1862.
Von Herrn Madelung in Gotha (Mitglied) ist der
Gesellschaft
eine Missgeburt
zugeschickt worden, welche von Herrn Virchoiv demnächst
vorgelegt und erläutert wurde.
Dieselbe war ein ausgetragenes Kind, von gesunder
Primipara geboren, auf dessen Brust sich eine wall-
nussgrosse Grube befand, in welcher das Herz,
unbedeckt . vom Herzbeutel, prolabirt war. Diese
Grube war durch eine rothe schleimhau tahnliche Membran
geschlossen, die sich scharf gegen die mit ihr verwachsene
äussere Haut absetzte und nach innen an die Wurzel der
grossen Gelasse anheftete. Das auf diese Weise vollständig
zu Tage liegende Herz war anscheinend um seine Achse
gedreht, zeigte sich indess bei genauerer Untersuchung in
normalem Situ nur in der gewöhnlichen Form etwas geändert.
Ausser einer vollständigen Atresia des Ostium pulmonale fand
sich, dass die Aorta vorn und rechts entsprang, sicli dann
aber in der gewöhnlichen Weise nach links wendete, während
die - Hohlader links gelegen war. Der Blutkreislauf in den
liir Geburtöhülfe in Berlin. • 17
Lungen war während des Fölallebens ganz durch den Ductus
Botalli vermiltelt worden.
Herr Virchow hatte die Eröffnung der Brusthöhle von
beiden Seiten her vorgenommen, so dass man den weiteren
Verlauf der Gefasse leicht übersehen konnte, ohne* die Eigen-
tümlichkeit der Missbildung zu stören. Die inneren Brust-
und Bauchorgane waren normal gebildet, so dass schon daraus
der Schluss gerechtfertigt erschien, dass die Verbildung sich
nicht in der frühesten Zeit gebildet habe.
Eine fernere Abweichung zeigte sich am Schädel: An
der hintgren Grenze der Stirnbeine erhoben sich
hinter einander zwei dünnhäutige Blasen, durch eine
tiefe Furche von einander getrennt, von denen die eine dem
grossen, die andere dein kleinen Hirne entsprachen. In dieser
Furche inserirte sich eine grosse Falte der Eihäute.
Die Piacent a war sehr verschieden entwickelt, einzelne Cotyledonen
ganz geschrumpft, andere normal gebildet. Ausserdem fand
sich noch eine durchgehende Gaumenspalte und eine leichte
Klumpfussbildung, welche die Hydrocephalia congenita nicht
selten begleitet.
Herr Virchow knüpfte an dieses Präparat folgende Be-
trachtungen. Interessant sei die Verwachsung der Eihäute
mit dem Fötus; jedes Mai, wo diese stattfinde, seien be-
deutende Störungen die Folge derselben (Uydrocephalie,
Auencephalie u. s. w.). Es sei nun die Vermuthung nahe
gelegt, dass die Exocardie möglicherweise aus derselben
Ursache hervorgegangen sei. Spontane Abschnürungen seien
häufig nur noch in den endlichen Resultaten vorhanden,
während die Ursachen, die einschnürenden Ligamente, nicht
mehr nachweisbar seien. So sei es auch möglich, wenn
auch nicht strict nachzuweisen, dass in diesem Falle durch
eine Aiiheftuug der Eihäute in der Herzgegeud ein Hydro-
pericardium entstanden sei, dieses die Schliessung der Brust-
höhle gehindert habe und endlich geborsten das Herz auf
diese Weise blos gelegt habe. Die Oberfläche des Herzeus
sei etwas rauh und deute wohl auf einen entzündlichen Process,
wiewohl diese Beschaffenheit auch Folge der schon ein-
getreteneu Maceratiou sein könne; die Verschliessung der
.UuuuUachr. f. l>«l>nrtsk. 18d'2. IUI. XX., Uff. t 2
18 'I. Verhandlungen der Gesellschaft
Lungenarterie indess könne jedenfalls nur durch einen ent-
zündlich adhäsiven Process zu Stande gekommen sein.
Ein zweites von Herrn Virchow vorgelegtes Präparat
betraf einen -circa
sechsmonatlichen vollständigen Acephalus,
der neben zwei wohlgebildeten Fruchten als Drilling geboren
war. Aus der von Herrn Brandt mitgetheilten Geburts-
geschichte entnehmen wir, dass das erstgeborene gesunde
Kind eine eigene Eihaut und Placenta, das zweite und der
Acephalus hingegen nur eine Placenta und gemeinsame Eihäute
hatten; die beiden Nabelstränge der letzteren verliefen fast
um das halbe Ei in den Eihäuten, ehe sie sich in der Nach-
geburt inserirten.
Das Präparat erschien durch einen narbenartigen Höcker
anf der höchsten Stelle wie ein Rumpf, von dem der Kopf
unter dem Halse abgeschnürt war. Der Mangel des Kopfes
war mdess nur scheinbar, denn auf der vorderen Fläche
dieses sogenannten Rumpfes zeigte sich etwas unter dem
oberen Ende eine kirschgrosse leicht behaarte Stelle mit
knochiger Unterlage und unter derselben eine haselnussgrosse
unregelmässig warzige Bildung, aus welcher man bei genauerer
Untersuchung die Augenwimpern, zwei rudimentäre Augen,
die Nase und den Mund erkennen konnte. Der übrige Theil
des Körpers war vollkommen normal gebildet, nur an den
Fingern und Zehen waren theil weise Defecle, welche durch
Furchen, Verdrehungen und vollständiges Fehlen einzelner
Theile auf einen analogen Process, wie im vorigen Falle,
deuteten.
Namentlich das Rudiment einer Zehe, welche nur durch
eine kleine Hautpapille vertreten war, gab Herrn Virchow
Veranlassung, seine Ansicht über die spontanen Amputationen
dahin zu erläutern, dass er diese nicht als wirkliche Ampu-
tationen fertiger Gebilde durch Strangulation ansehe, sondern
In den meisten Fällen als die Folge entzündlicher Processe,
welche an einzelnen Theilen durch narbige Zusammenziehungen
von vorn herein die Entwickelung derselben hemmten, während
andere benachbarte (in diesem Falle z. B. die übrigen Zehen)
für Geburtshülfe in Berlin. 19
von dieser Störung gar nicht oder in geringerem Maasse
betroffen, sieb mehr oder weniger frei weiter entwickeln
könnten.
Sitzung Tom 29. April 1862.
Herr Gusserow verlas folgenden
Beitrag zur Lehre von der Osteomalacie.
Unter 131 neuerdings von Litzmann gesammelten Fällen
von osteomalacischer Erkrankung geboren 35 solchen Frauen
an, bei denen die Krankheit nach wiederholten Wochenbetten
aufgetreten ist Ausgenommen hiervon sind nur vier, die
schon nach dem ersten Wochenbette erkrankten. Es bestätigt
diese Zusammenstellung von Neuem die bekannte Thatsache,
dass die in Rede stehende Krankheit wesentlich mit dem
Puerperium im Zusammenhange ist, wie auch nur wenig Fälle
bekannt sind, in denen Mädchen oder Männer erkrankt wären.
Was das Wesen der Krankheit anbelangt, so besteht
unsere Erkenntniss desselben eigentlich nur darin, dass die
Kalksalze des Knochens verschwinden, lieber den Einfiuss
des Wochenbettes auf Entstehung der Osteomalacie hat
man meines Wissens kaum Erklärungsversuche gemacht und
höchstens von schwächendem Einflüsse wiederholter Geburten
auf den Organismus gesprochen. Wenn chemische Unter-
suchungen ohne Zweifel über pathologische Zustände Aufschluss
zu geben vermögen, so muss man dies um so sicherer in
den Fällen hoffen, wo man es hauptsächlich mit der Auf-
suchung anorganischer Verbindungen zu thun hat. Nicht ohne
Grund hat man deshalb von jeher bei allen Untersuchungen
ober Osteomalacie sich bestrebt, den Verbleib des Kalkes zu
erforschen, da man ohne Zweifel dem Wesen des ganzen
Krankh eitsprocesses bedeutend näher gerückt ist, sobald man
den Weg kennt, auf welchem der Kalk vorzüglich ausgeschieden
wird. Zuvörderst liest man oft, dass seeundäre Kalk-
ablagerungen in anderen Organen des erkrankten Körpers,
z. B. in den Lungen, auf der Bronchial- und Dannschleim-
haut (Lambl, Pagenstecher) , auf der äusseren Haut u. s. w.
20 '• Verhandlungen der Gesellschaft
gefunden worden seien. Obwohl mir in diesem Punkte keine
eigenen Erfahrungen zu Gebote stehen, so möchte ich doch
behaupten, dass dieses Vorkommen äusserst selten sein müsse,
denn in keinem Sectionsberichte, soweit ich die Literatur
der Osteomalacie kenne, wird eines derartigen Befundes Er-
wähnung gethan (Kilian, Gerster, Lampe, Proesch u. s. w.).
Weil sicherer constatirt ist, dass in vielen Fällen der Urin
überreich an Kalksalzen gewesen ist. Proesch fand auch
das Blut reicher an Kalksalzen als normal.
Ueber den Gehalt der Milch an Kalk in diesen Fällen
habe ich keinerlei Notizen finden können. Bei der Seltenheit
der Krankheit an und für sich, bei der Schwierigkeit in
derartigen Fällen Milch zu erhalten, wird man es gerechtfertigt
finden, wenn ich Untersuchungen vortrage, deren Zahl äusserst
gering und deren Resultat auch nicht so evident ist, dass
man daraus Schlüsse von absoluter Richtigkeit für alle Fälle
machen könnte; die aber wohl einen Fingerzeig zu geben im
Stande sind, in welcher Weise gerade das Wochenbett die
Ausbildung und den rapiden Forlschritt der Krankheit be-
günstigt.
Auf die Untersuchung der Milch wurde ich zunächst
durch den Umstand aufmerksam gemacht, den der Herr
SanitäUrath Winckel zu Gummersbach hier in der Gesellschaft
erwähnte, dass nämlich in seiner Gegend die Sitte oder
besser gesagt Unsitte herrscht, die Kinder überaus lange zu
säugen. Dies geschieht aus Armulh und auch wohl in der
Hoffnung, eine neue Conception dadurch möglichst hinaus-
zuschieben. Mein Freund und College Dr. Winckel hat mir
erlaubt, aus seinen ausführlichen Notizen kurz die Dauer des
Säugegeschäfts bei verschiedenen Frauen seiner Heimath, die
alle mehr oder minder hochgradig an der Osteomalacie er-
krankt siud, mitzutheilen.
1* Eine Frau, bei welcher die dritte Geburt, nachdem
das Kind durch Uterusruptur in die Bauchhöhle getreten war,
durch den Bauchschnitt von Herrn Sanitätsrath Winckel
beendet werden musste, hatte ihr erstes Kind 1 Jahr 4 Wochen
gestillt, das zweite, trotzdem in dieser Schwangerschaft die
Erkrankung schon begann, wieder ein Jahr.
für Geburtehülfe in Berlin. 21
2. Fruu W. hat fünf Kinder, jedes 1 Jahr 8 Monate
ungefähr gestillt, das erste z. B., bis sie die Kindesbewegungen
des zweiten fühlte. Die Erkrankung, in der zweiten Säugungs-
periode begonnen, hat so zugenommen, dass die sechste
Entbindung mittels Kephalothrypsie gemacht werden musste.
3. Frau H. säugte ihr erstes Kind iy4 Jahr, das
zweite eben so lange; in dieser Periode begann die Krankheit.
Das dritte, sechste, siebente Kind wurde eben so lange gestillt.
Das achte, welches mit der Zange unter grosser Anstrengung
entwickelt wurde, musste sie nach 11 Monaten von der Brust
absetzen, weil die gichtischen Schmerzen zu heftig wurden;
seitdem spürt sie grosse Erleichterung.
4. Frau K. säugte % Jahre, in welcher Zeit die
Krankheit entstand. Nach dem Absetzen des Kindes verloren
sich die Schmerzen sehr. Als sie das zweite Kind 26 Wochen
genährt, war sie von Neuem gezwungen, das Säugegeschäft
aufzugeben.
5. Frau 8. säugte fünf Kinder iya— 2 Jahre, erkrankte
im sechsten Puerperium, nachdem sie Zwillinge !/4 Jahr
genährt.
6. Frau X. nährte das erste Kind, V/% Jahr, das
zweite 2 Jahre, das vierte 2 — 3 Jahre, in welcher Sitzungs-
periode die Krankheit begann. Im fünften Puerperium stillte
sie 1 Jahr 8 Monate und hatte auffallend viel Milch/ *
7. Frau B. Das dritte Kind hatte sie an der Brust
bis zur vierten Schwangerschaft. Dies Kind nährte sie eben
so lange ,' trotzdem hier die Krankheit begann. Auch das
fünfte Kind wurde ein Jahr lang gestillt.
8. Frau J. reichte ihrem ersten Kinde gar drei Jahre
lang die Brust und erst die erneute Schwangerschaft zwang
sie zum Absetzen. Das zweite Kind stillte sie 2V2 Jahre und
und in dieser Säugungsperiode begann die Erkrankung, aber
dies hielt sie nicht ab, auch das dritte Kind zwei Jahre zu
nähren.
Endlich 9. eine Frau, die drei Kinder jedes zwei Jahre
lang nährte und in der letzten Säugungsperiode erkrankte.
In der Literatur ist auf diesen gewiss beachtenswerthen
Umstand wenig Bücksicht genommen, doch finde, ich bei
Kutan einen Fall, wo eine Frau zwei Jahre .lang gestillt
22 I* Verhandlungen der Gesellschaft
gestillt hatte und dann erkrankte, bei Proesch, wo die
später Erkrankte ein Jahr lang genährt. Lampe in einer
Bonner Dissertation vom Jahre 1860 erwähnt dieses Unistandes
auch und weist ihm insofern einen Einfluss auf die Ent-
wickelung der OsteomaJacie zu, als die Gesamiütconslitution
der Frauen darunter leidet. In einem Falle schiebt er dem
Mangel der Milchsecretion ein langsames Fortschreiten der
Krankheit zu.
Mein College Winckel hatte die Gute, mir bei seiner
Anwesenheit in Gummersbach zwei Proben von TMfilch zu
schicken, die von Wöchnerinnen herstammten, die in exquisiter
Weise osteomalacisch waren. Um nun einen Vergleich zwischen
dem Kalkgehalte dieser Proben mit normaler Milch zu haben,
wurden von etwa sechs gesunden kräftigen Wöchnerinnen der
Entbindungsanstalt 41,20 Grmm. Milch gesammelt, um auf
diese Weise einigermaassen eine Durchschnittszahl für den
Kalkgehalt der menschlichen Milch zu finden. Sehr wohl
weiss ich, dass dies ein wenig wissenschaftlicher Weg ist,
allein mir blieb kein anderer übrig. Es ist ungemein zeit-
raubend, menschliche Milch in nur annähernd hinreichender
Quantität von einer Wöchnerin zu erhalten und dann wieder
jede einzelne Probe zu untersuchen, eben so mühselig wie
zeitkostend. In der Literatur sind die Angaben über diesen
Punkt so spärlich und so verschieden, dass sie kaum zu
verwerthen waren. Allein dass eine grosse individuelle Ver-
schiedenheit des Kalkgehaltes in der menschlichen Milch vor-
kommt, ist sicher, und ich verkenne keineswegs, dass dadurch
die Sicherheit meiner Schlussfolgerung einen Abbruch erleidet,
jedoch machen meine Untersuchungen auch keinen anderen
Anspruch, als den, zuerst concrete Fragen über den Einfluss
des Wochenbettes auf den Verlauf der Osteomalacie gestellt
zu haben.
Die gesammelten 41,20 Grmm. dampfte und äscherte
ich ein, nachdem die Asche dann mit Schwefelsäure und
destillirlem Wasser Übergossen, neutralisirte ich die Lösung
mit Ammoniak und filtrirte den erhaltenen Niederschlag von
Thonerde ab, fällte dann den Kalk durch Oxalsäure und
bestimmte ihn dann als schwefelsauren Kalk. In diesem
für Geburtshülfe in Berlin. 23
Falle fand ich neben 0,055 Graun. Thonerdc 0,011 Grmnj.
schwefelsauren Kalk = 0,0045 CaO oder gleich 0,0109 Procent.'
Diese wie die folgenden Untersuchungen machte ich im
Laboratorium des Geh. Rathes Mitsclerlich unter der gütigen
und bereitwilligsten Leitung meines Freundes des Dt. phil.
Alex.MiUcherlich. In einer ausführlichen Arbeit theilt Boecker
in Bonn (Beiträge zur Heilkunde, Grefeld 1849) eine Anzahl
von Milchanalysen mit, in denen er den Gehalt an phosphor-
saurem Kalk berechnet hat; nach diesen zahlreichen Daten
schwankt der Gehalt der Milch an phosphorsaurem Kalk
zwischen 0,0074 Procent, 0,032 Procent und 0,04 Procent,
die mittlere Zahl entspricht ungefähr für Kalk allein einem
Procentgehalte von 0,0099 Procent, einmal fand er auch
0,0067 Procent CaO, also meißt weniger, als ich gefunden.
Die erste Quantität Milch, die ich aus Gummersbach erhielt,
stammt von einer Frau «7., deren Krankengeschichte mir
Dr. Winckel nach seiner Aulzeichnung in Kürze mitzutheilen
erlaubt hat. Patientin ist 37 Jahre alt, stammt aus einer
gesunden Familie und ist seit ihrem 15. Jahre regelmässig alle
vier Wochen menstruirt. 1847 zuerst leicht entbunden säugte
sie das Kind 1V2 Jahr; 1849 und 1852 erfolgte die zweite und
dritte Entbindung ebenfalls leicht, sie stillte jedes Mal 1 V4 Jahr.
In der vierten und fünften Entbindung (1853 und 1855),
kamen todte Kinder zur Welt. Bei der sechsten Geburt war
eine Schief läge des Kindes vorhanden, nach der Wendung
war die Extraction des nachfolgenden Kopfes wegen be-
ginnender osteomalacischer Verbildung des Beckens schwer.
Aus gleichem Grunde dauerte die Geburt des siebenten
Kindes am 10. Mai 1860 elf Stunden. Dies Kind säugte sie
am 9. August 1861, wo der Dr. Winckel Milch von ihr
nahm, noch. (Auch noch im Decerober 1861 stillte sie
dasselbe.) Die Osteomalacie ist der Beschreibung nach bei
ihr deutlich ausgeprägt, besonders durch die Schnabelbildung
der Symphyse. Aus den 25,87 Grmm. Milch, die ich von
dieser Frau erhielt, bestimmte ich den Kalk als CaO C04 und
erhielt davon 0,015 Grmm. = 0,0084 CaO oder 0,0325 Procent.
Die zweite von mir untersuchte Portion stammt von der
hochgradig osteoinalaciscb erkrankten Frau Seh., deren
Krankengeschichte schon Breisky in der Prager Vierteljahrs-
24 I- Verhandlungen der Gesellschaft
schritt nach den Mittbeilungen des Sanitätsrathes Winckel
gebracht hat, weshalb ich sie hier nur kurz erwähnen will.
Sie hat fünf Mal geboren und zwar zwei todte und drei
lebende Kinder, von denen sie zwei jedes fast zwei Jahre
säugte. Die Krankheit datirt von der ersten Säugungsperiode
und ist so hochgradig, dass Herr Sanität srath Winckel am
1. August 1860 den Kaiserschnitt mit günstigem Erfolge für
Mutter und Kind machte« (S. Monatsschrift, Januar 1861).
Im August 1861 saugte sie dies Kind noch und zwar bestand
eine reichliche Milchsecretion. (Das Säugungsgeschäft setzte
sie bis zum Ende September 1861, wo das Kind starb, fort.)
Von der Milch erhielt ich 20,182 Grmm. # und diese enthielten
in 0,035 Grmm. feuerbeständigen Salzen 0,004 Grmm. Thon-
erde und -an CaO, der als schwefelsaurer Kalk bestimmt wurde,
0,011 Grmm. = 0,00452 Grmm. CaO = 0,0223 Procent.
Vergleichen wir diese Zahlen mit den oben beschriebenen
bei normaler Milch, so ist eine bedeutende Vermehrung des
Kalkgehaltes 'der Milch bei Osteomalacie nicht zu verkennen.
Während aus 41,20 Grmm. normaler Milch 0,00452 CaO
erhalten wurde, war die gleiche Quantität in 20,182 Grmm.
Milch einer osteomalacischen Frau, also das Doppelte;
und noch mehr im zweiten Falle, wo in 25,87 Grmm.
0,0084 Grmm. CaO enthalten waren. Mit den Zahlen von
Boecker verglichen, ist der Ueberschuss an Kalk in der
Milch von den erkrankten Frauen noch in die Augen fallender.
Mit Recht jedoch kann die Bedeutung so vereinzelter
Facta angezweifelt werden, allein sie geben immer einen zu
beachtenden Fingerzeig. Für spätere Untersuchungen und
auch in praktischer Beziehung dürfte es räthlich sein, bei
einmal eingetretener Osteomalacie in ferneren Wochenbetten
das Säugen gänzlich zu untersagen.
Erwägt man, dass dem Säugungsgeschäft an und für
sich schon immer seiner schwächenden Wirkung wegen ein
übler Ein flu ss auf den Verlauf der Halisteresis zugeschrieben
wurde, ferner, dass nach Kiliari's Beobachtungen die Milch-
absonderung in dieser Krankheit eine besonders reichliche
ist, und bedenkt man dann die überaus lange Zeit, die in
diesen Fällen die Kinder an der Brust gelassen worden sind,
s» bedarf es nur einer geringen Vermehrung des Kalkgehaltes
för Geburtshülfe in Berlin. 25
der Milch, um gerade in diesem Umstände eine Ursache ffir
die so verderbliche Einwirkung des Wochenbettes auf den
Verlauf der Osteomalacie zu erblicken. Hierzu kann man
sich immer noch der Beobachtung von Heynsius (Archiv ffir
hollandische Beiträge, I.) erinnern, nach welcher er gefunden
haben will, dass mit der Zeitdauer der Absonderung der
Gehalt der Milch an Salzen zunimmt. Dass gerade im Wochen-
bette die gross te Quantität des Kalkes mit der Milch den
Körper verlasse, dafür konnte eine Beobachtung von Kutan
sprechen, der bei einer osteomalacischen Wöchnerin den Urin
verhältnissmässig arm an CaO, aber sehr reich an POß fand.
Eine sehr geringe Quantität Urin von der eben erwähnten
Frau Seh. zeigte mir auch keine /Vermehrung der Kalksalze.
Dass übrigens nebenbei auch noch in anderer Weise der Kalk
ausgeschieden werden muss und auch die Resorption desselben
aus den Nahrungsmitteln darniederliegen, ist klar und ich
brauche wohl überhaupt kaum hinzuzufügen, dass für die
Aetiologie der Halisteresis mit dieser Untersuchung nicht das
geringste gewonnen ist, denn es sind ja genug Fälle von
hochgradiger Erkrankung dieser Art bekannt, wo nie ein
Wochenbett vorangegangen war.
Herr Virchow spricht seine Ueberraschung «us, in dem
eben gelesenen Aufsatze Beobachtungen über Verkalkung der
Bronchien und Lungen erwähnt zu hören. Als er im Jabre 1855
seine darauf bezöglieben Veröffentlichungen gemacht (vergl.
sein Archiv, Band VIII., Seite 103), die indess nicht Fälle
von Osteomalacie betreffen, sondern einen Zusammenhang
der Kalkablagerungen auf Lunge, Magen u. s. w. mit Knochen-
geschwülsten erwiesen hatten, habe er in der Literatur ver-
gebens nach einschläglichen Beobachtungen gesucht und könne
sich auch nicht entsinnen, seitdem etwas darüber gelesen
zu haben.
Herr Ghisseroto giebt zu, dass die Citate, die er er-
wähnt, aus anderen Schriften (Pagenstecher, Lambl etc.)
genommen und möglicherweise auf die Virchow'sche Arbeit
zurückzuführen seien.
Herrn Virchow's Beobachtungen über Osteomalacie sind
ineist an senilen Fällen angestellt. Nur zwei Mal habe er
26 1. Verhandlungen der Gesellschaft
die aus dem Puerperium entstehende Form gesehen. In allen
diesen Fällen von Osteomalacie habe er Kalkablagerung nur
in den Nieren gefunden, und zwar nicht blos an den Papillen,
wo sie so häufig sei, sondern in den, Kanälchen der Cortical-
substanz und zunächst in #den Epithelien. Sollte es sich
bestätigen, dass in der Milch osteomalacischer Frauen constant
mehr Kalk vorkomme, so müsse man doch in der Deutung
dieser Beobachtung sehr vorsichtig sein. Es sei nämlich
faeüsch, dass in dieser Krankheit die Knochen nicht einfach
Kalksalze verlieren, sondern dass an einzelnen Theilen derselben
Knochengewebe verschwinde und dort eine Umwandlung der
Markgewebe eintrete; damit würden dann freilich auch Kalk-
salze frei, welche aus dem Blute abgeschieden werden müssen
und dies geschehe in der Regel durch die Nieren. Erkranken
diese bei längerer Dauer des Processes, so können dann
metastatische Ablagerungen oder Abschefdungen eintreten.
Es sei möglieb, dass in solchen Fällen auch die Milchsecretion
purificirend auf das Blut wirke; dass aber durch die Milch-
absonderung rückwärts die Knochen angeregt würden, Kalk-
salze abzugeben, wie man aus dem Einflüsse des langen
Säugens folgere, dafür gebe es keine einfache Erklärung.
Vor allen Dingen sei es wesentlich festzustellen, in welcher
Verbindung der Kalk in der Milch vorhanden, namentlich ob
er an ein Albuminat gebunden sei, denn es wäre denkbar,
dass in dieser Krankheit beim längeren Säugen eine käsestoff-
reichere Milch abgesondert werde. In osteomalacischen
Knochen habe er dasselbe eigentümliche Albuminat gefunden
(Archiv f. pathol. Anat., IV., S. 308), welches Bence Jones
im Harne nachwies; wäre nun der Kalk in der Milch mit
einem lAlbuminate zu einer Verbindung zusammengetreten,
die in den Knochen nicht vorkomme, so wäre es eben nicht
wahrscheinlich, dass er aus den Knochen stamme.
Uebrigens mache er noch auf einen Umstand in Bezug
auf die Milchuntersuchungen aufmerksam: die Osteomalacie
trete in der Regel in gewissen Anfallen auf und das Fort-
schreiten der Krankheit scheine in der Zwischenzeit eine
Pause zu machen. Nach solchen" Anfällen erscheine haupt-
sächlich der Kalk im Harne. Wäre dagegen der vermehrte
Kalkgehalt der Milch andauernd, so würde dies eher dagegen
für Geburtshülfe in Berlin. $}7
sprechen, dass er auf die Knochen krank hei t zu beziehen sei.
Vielmehr Hesse sich denken, dass die prolongirte Milch-
absonderung allgemeine Ernährungsstörungen bedinge und die
Knochenkrankheit erst die Folge davon sei.
Herr Lücke ciürt eine Beobachtung von Grouven, die
er vor längerer Zeit in einem landwirtschaftlichen Journale
gelesen, nach welcher in der Gegend von Salzmünde bei einer
epidemischen Erkrankung des Rindviehes an Osteomalacie die
chemische Untersuchung der Knochen der betroffenen Thiere
durchaus keine Differenzen in der Zusammensetzung von
normalen ergeben hätten.
Herr Ourlt erklärt die beim Rindviehe vorkommende
Erkrankung der Knochenbrüchigkeit, die man wohl auch
Osteomalacie nenne, für einen von der Osteomalacie der
Menschen durchaus verschiedenen Process; bei jenen werde
der Knochen nicht biegsam wie bei diesen, sondern atrophisch
und dadurch zu Brüchen leichter geneigt.
Herr Winckel erwähnt, dass schon norwegische Beob-
achtungen über diese Rindviehkrankheit aus dem vorigen
Jahrhunderte existirten, behauptet übrigens, dass die bei puer-
peraler Osteomalacie angestellten chemischen Untersuchungen
der Knochen stets eine Verminderung- ihrer anorganischen
Bestandteile ergeben hätten.
Herr Virchow erklärt, dass er weder in der Praxis
noch in den anatomischen Sammlungen ein Beispiel von
Regsamkeit der Knochen gesehen habe. Verlegungen kämen
auch bei Rachitis vor und die Untersuchung rachitischer
Knochen lasse immer eine Zahl von Infractionen innerhalb
der Knochenhaut als Grund der Deformität nachweisen; den-
selben Vorgang nehme er auch bei der Osteomalacie an.
Das restirende Knochengewebe zeige in dieser Krankbeil
keinen Unterschied vom normalen, aber überall fanden sich
Spuren von Infractionen. Die wächserne Biegsamkeit könne
er durch kein Beispiel constatireh.
Die chemische Untersuchung von Knochen sei übrigens
vielen Ungenauigkeiten unterworfen. Jeder Knochen müsse
doch erst maceriren, um von den anhaftenden Auskel-
theilen u. s. w. gereinigt zu werden ; wie ungleich die Wirkung
28 I* Verhandlungen der Gesellschaft
der Maceraüoii nun sein könne, liege auf der Hand; jeder
Tag mehr nehme natürlich auch dem Knochen organische
Bestandteile und demgemäss müssten die Resultate der
Untersuchungen stets ungenau werden.
Kurz, er glaube nicht, dass zwischen Bruchigkeit und
Östeomalacie ein wesentlicher Unterschied bestehe (vergl.
Archiv f. pathol. Anatomie, V., S. 492.)
Herr Winckel hält die Beobachtung entgegen, dass
Malacie mit dem Puerperium zusammenhinge und ausschliesslich
bei Frauen beobachtet werde. Er gebe zu, dass ihr Wesen
in Infractionen bestehe. Die Brüchigkeit werde aber eben so
bei Männern beobachtet und zeige sich in deutlichen Fractureu
namentlich der Extremitäten, welche bei jenen nie specifisch
gefährdet seien.
Herr Virchow giebt zu, dass der Krankheitsprocess sich
nach Umständen auf bestimmte Stellen localisiren könne.
Dies bewiesen eben die localen Erkrankungen in der Rachitis
als Craniotabes, Hühnerbrust, welche in der Regel ganz isolirt
aufträten. Dass nun das Puerperium zu einer Erkrankung,
namentlich der Beckenknochen, disponire. sei nicht gerade
auffallend, wenn man auch den näheren Zusammenhang nicht
nachweisen könne.
Herr Winckel und Herr Gurlt machen geltend, dass
die Östeomalacie , vom Becken auf die Extremitäten übergehend,
dort ganz andere Erscheinungen hervorriefe, als die Kncfchen-
brüchigkeit. Es seien dann nicht Fracturen, sondern nur
Infractionen der Extremitäten.
Herr Virchow findet indess diese Unterscheidung nicht
wesentlich. Zerreisse das Periost mit, so sei es eine JVactur,
bleibe es unverletzt, so sei es eine Infraction. Er könne
den ganzen Unterschied daher nur als einen gradweise!]
ansehen.
Die Debatte wurde hier abgebrochen, da keine neuen
Gesichtspunkte mehr aufgestellt wurden.
für Geburtshülfe in Berlin. 29
Herr Martin referirte über folgenden von Dr. Hegar
in Darmstadt (Mitglied) eingeschickten Aufsatz:
Fistu]a vesicovaginalis. Weiter Abstand der Fistel-
ränder der Blase und Scheide. Grosser Defect im
Blasengrunde. Gänzlicher Mangel des unteren
Harnleiterstuckes rectiterseits. Einmündung des
rechten Harnleiters innerhalb des Defectes. Ope-
ration. Tod durch Urininfiltration in Folge der
Eröffnung freier ZelJgewebsräume.
(Mit einer Tafel Abbildungen.)
Elüabötha St..., 27 Jahre alt, gesund aussehendes,
kräftiges Bauermädcben, von mein* als mittlerer Grösse, kam
vor etwa drei Jahren zum ersten Mal nieder. Die Geburt dauerte
drei Tage und verlief ohne Kunsthülfe. Sehr bald nach der-
selben floss aller Urin unwillkürlich ab. Mehrere Wochen
hindurch litt die Entbundene, soviel man aus ihrer spätem
Angabe entnehmen konnte, an einer sehr heftigen Unter-
leibsentzündung. Die rechte untere Extremität blieb zwei
Monate lang fast vollständig gelähmt Es bildete sich in der
Folge eine fast totale Obliteration der Scheide aus, welche
bis in das Ostium vaginae reichte. Hier fanden sich drei
Fistelöffnungen , durch welche der Harn abfloss. Patientin
unterwarf sich auf der Giessener Universitätsklinik und hier (in
Darmstadt) mehreren Operationen, welche den Zweck hatten,
den Verschluss der Scheide zu vervollständigen. Dr. Simon,
jetzt Professor in Rostock, welcher die Kranke hier in Be-
handlung hatte, brachte es dahin, dass nur noch zwei kleine
Fistelöffnungeu zurückblieben , • welche jedoch der Heilung
hartnäckig widerstanden. Bewogen durch seine Neuesten
glücklichen Erfolge der eigentlichen Blasenscheidenfistel-
operalionen bei sehr grossen Defecten (über die Operation
der Blasen - Scheidenfisteln etc., Rostock 1862, pag. 50
und 112), entschloss sich Simon bei einer kurzen Anwesenheit
in Darmstadt, während des Herbstes 1861, die obliterirle
Scheide aufzutrennen, um so die Vesicovaginalfistel selbst der
Operation zugänglich zu machen. Die Trennung der Scheiden-
verwachsung gelang auch vollständig. Die Längenausdehnung
der fest verwachsenen Slelle betrug etwa 4 — 5 Ctm. Als
3() T. Verhandlungen der Gesellschaft
Leiter bei der Trennung dienten zwei Sonden, welche durch
die seitlich gelegenen, langen und gewundenen Fistelcanäle
eingeführt wurden, der Katheter in der Harnröhre und der in
dem Mastdarme betiudliche Zeigefinger. Nach Trennung der
verwachsenen Scheide, schien es jedoch nicht rathsam, die
Operation der Fistel, welche hoch oben im Vaginalgewölbe
ihren Sitz hatte, sogleich vorzunehmen, weil die Verwundung
schon sehr bedeutend, die Scheide auch nach Trennung der
Obliteration sehr eng war. Simon kam deshalb nicht mehr
dazu, die Operation der Fistel selbst auszuführen und liess
bei seiner Abreise die Patientin in meiner Behandlung zurück.
Sitzbäder, Einführung dünnerer und dickerer Specula,
mehrere Längeneinschnitte in stark gespannte Narbenstränge,
Abtragung einzelner Schleimhautwülste, führten, während der
folgenden acht Wochen, schliesslich zu einer bedeutenden
Erweiterung. Die Vornahme der Operation, welche von der
Kranken dringend gewünscht wurde, erschien daher möglich.
Der Zustand vor der Operation war folgender:
Die äussern Genitalien sind normal beschaffen. Die
Scheidenschleimhaut zeigt eine sehr ungleiche, narbige Ober-
fläche. Nach Einführung der schmälsten Rinne unci Platte
des Simon' sehen Instrumentariums erblickt man, hoch oben
im Scheidengewölbe, einen wallnussgrossen , blaurothen Vorfall
der Blasenschleimhaut, welcher in das Lumen der Scheide
/herabhängt und die Fistelränder vollkommen verdeckt. Diese
wer3en erst sichtbar, nachdem man ein kleines Stück Schwamm
in die Blase geschoben hat, welches den Vorfall zurückhielt.
Man sieht nun eine querlaufende Spalte von etwa 2V2 Ctm.
Länge. Der vordere Rand dieser Spalte stellt sich als ein
ziemlich festgespannter, härtlicher Strang dar, welcher schief
von rechts und hinten, nach links und etwas nach vorn läuft.
Diese schiefe Richtung entsteht dadurch, dass rechts die Scheide
einen kleineren' Defect erlitten hat, als links. Misst man
nämlich von der Harnröhrenmündung aus nach dem vorderen
Fislelrande, so erhält man rechts etwa ö1/^, links etwa 4^2 Ctm.
Der linke Winkel liegt dicht am absteigenden Schämbeinaste
an, ist stellenweise mit demselben verwachsen und gehl spitz
in den hinteren Fistelrand über. Dieser ragt, als ein dünner
Saum, 2m von der vopderen Wand des Ulerushalses ab. Nach
für Gebnrtshtilfe in Berlin. 31
rechts laufen die Fistelränder nicht in einem spitzen Winkel,
sondern in einer seitlich ausgebogenen, nach aussen con-
vexen Linie zusammen. Oberhalb des nur wenig vor*
springenden Randes der Scheidenwandung sieht man hier auf
eine nach rechts ausgebucbtete Fläche, welche von einer
glatten, glänzenden Membran ausgekleidet ist.
Etwa 1 V2 Ctm. unterhalb des hinteren Fistelrandes findet
>sich eine trichterförmige Einziehung, durch welche eine sehr
dünne Sonde mehrere Linien weit eingeschoben werden kann.
Bei der Untersuchung durch den Hastdarm stösst man
nach vorn und oben auf einen festen, harten Körper. Legt
man gleichzeitig einen Finger der andern Band auf und hinter
dem hinteren Fistelrande an, so kann man den dicken
Cervix uteri zwischen den Fingern fahlen.
Der in die Harnröhre eingeführte Katheter geht bis zum
Blasenhalse leicht ein. Hier stösst er ai) der hinteren Wand
auf ein Hinderniss, welches man leicht überwindet, sobald
man den Handgriff stark senkt
Die Anfrischung war besonders im linken Winkel sehr
schwierig. Der hintere, vorn Cervix uteri entspringende Saum
wurde, seiner dünnen Beschaffenheit wegen, vollständig ent-
fernt. Auch die Anlegung der Naht begegnete links grossen
Schwierigkeiten. Hier konnte ich nur ganz kleine und sehr
stark gekrümmte Nadeln benutzen. Dagegen war die Schliessung
der Nähte leichter, als ich erwartet hatte. Die Spannung
war rechts unbedeutend. Es wurden vier weitgreifende und
vier kurzgreifende Nähte angelegt. Eine kleine Arterie im
rechten Wundwinkel spritzte, zog sich nach längerem Auf-
spritzen von kaltem Wasser zurück. Die Operation dauerte
vier Stunden und wurden dabei 5 Unc. Chloroform verbraucht.
Am Abend desselben Tages klagte Patientin über heftige
Schmerzen in der rechten, unteren Bauchgegend, erbrach öfters,
hatte mehrmals Schüttelfröste, und einen Puls von 120 Schlägen.
Den Urin konnte sie willkürlich durch die Harnröhre entleeren.
Am folgenden Tage hatte sich der Schmerz über den
ganzen Leib verbreitet. Derselbe war aufgetrieben und bei
Berührung sehr empfindlich. ' Puls 130. Der Urin konnte
willkürlich entleert werden. Auffallend war nur die sehr
geringe Menge desselben, obgleich die Kranke ganz trocken lag.
32 I- Verhandlungen der- Gesellschaft
Am dritten Tage Collapsus, stetes Erbrechen, Delirien,
Coma, Tod etwa 65 Stunden nach der Operation.
Die Section zeigte in der Bauchhöhle einige Esslöflel
rothlichen Serums. Der ganze peritoneale Ueberzug der Blase,
das parietale Blatt des Bauchteils in der rechten, untern
Bauchgegend ungemein, stark injicirt, stellenweise mit Ecchy-
mosen bedeckt. Das subseröse Zellgewebe mit einer sulzigeu
Masse infillrirt. An andern Stellen zeigte das Bauchfell keine
wesentliche Veränderung. Das Becken wurde mit allen seinen
Weicntheilen, sowie mit beiden Nieren und Harnleitern heraus-
geschnitten, die Blase und der Mastdarm durch Ausspritzen
gereinigt, letzterer mit Watte etwas ausgestopft und dann das
Ganze in "coucentrirten Spiritus gelegt. Nach .vollständiger
Erhärtung wurde, nach den Vorschriften von Kohlrausch,
ein senkrechter Längendurchschnitt gemacht, wobei die rechte
Seite mehr geschont wurde.
Fig. 1 stellt diesen Durchschnitt dar. Auf Fig. 2 sind
die herausgenommenen und mehr auseinandergelegten Organe
abgebildet, um die auf beiden Seiten abweichenden Verhältnisse
anschaulich zu machen.
Zur näheren Erläuterung der Zeichuungen, sowie zur
Beschreibung anderer pathologischer Zustände, welche auf
jenen nicht wiedergegeben sind, diene Nachstellendes.
Die Ansicht des noch erhaltenen Beckens von oben zeigte
den Scheitel der Blase etwas über der Symphyse vorragend,
seitlich durch alte Adhäsionen mit den stark gespannten
runden Mutterbändern, den Tuben und dem Uterus verwachsen.
Die Excavalio vesicouterina durch die Relroüexion des Uterus
fast verstrichen und ausserdem mit festen, brückenartigen
Pseudomembranen bedeckt. Die mit zahlreichen grösseren
uud kleineren Kystchen versehenen Ovarien durch vielfache'
Adhäsionen mit der Tuber, dem Uterus und Mastdarm. vereinigt.
Der Douglas' sehe Raum besitzt, in Folge dieser Adhärenzen
und solcher zwischen Mastdarm und Ligg. lata , einen engen,
trichterförmigen Eingang. Alle diese Veränderungen sind von
altem Datum.
Die Conjutata vera besitzt 37a".
Auf dem Längendurchschnitte der rechten Seite (Fig. 1)
zeigt sich die Blase in ihrem oberen und mittleren Umfange
ffir Geburt« hülfe in Berlin. 83
von ganz normalen Formen. Sie besitzt sogar, in Betracht
des langjährigen Leidens eine grosse Räumlichkeit. Dagegen
findet sich in ihrem Grunde eiu sehr bedeutender Defect.
Ihre hintere Wand endet V/% Ctm. oberhalb des unteren Uterin- ,
endes in einer scharf begrenzten, verdickten Kante, wekhe
durch lockeres Zellgewebe an die vordere Gebärmulterwand
angeheftet ist. Die hintere, untere Wand der Blase oder viel-
mehr des Urinreservoirs ist daher ausschliesslich durch jene
gebildet Der Fistelrand der Blase geht nur in seitlicher
Richtung nach aussen und vorn , steigt alsdann uaoh unten und
innen herab , wo er zuletzt auf die wulstförmig angeschwollene,
hintere Wand der Harnröhre stösst und hier endet. Ueberall
ist der Rand der Blasenwandung scharf abgegrenzt und dabei
etwas verdickt. Der Defect selbst stellt eine seitliche Aus-
buchtung dar, 'welche bis auf die untere Partie mit einer
glatten, glänzenden, feinen Membran ausgekleidet ist. Etwas
in der mittleren ' Höhe derselben liegt die offene, rundliche
Mündung des Ureters, l1/« Ctm. nach aussen und hinten
von der Einmündung der rfarnröhre, 3 Ctm. nach oben und
vorn entfernt von der Uterusöflnung. Mit der Blasenwand
selbst steht der Harnleiter in gar keiner Verbindung.
Nach unten ist der Defect geschlossen durch die Nähte,
welche die Cervicalwand des Uterus mit einem Lappen der
Scheidenwand vereinigen, welcher fast rechtwinklig von der
hinteren Urethralwand nach hinten zu läuft. Ganz nach rechts
ist Scheidenwand mit Scheidenwand vereinigt Der Defect
ist in dem unteren Theile nicht mit einer glatten, glänzenden
Membran ausgekleidet. Diese fehlt in Folge der Anfrisch ung,
welche sich über den Fistelrand der Scheide nach oben er-
streckte.
Auf der Unken Seite (Fig. 3) sind die Verhältnisse
andere. Die obere Grenze des Defectes läuft hier zuerst
nach aussen und unten , dann nach innen und unten. Der
Defect, also der mit einer glatten Membran ausgekleidete
Zwischenraum zwischen dem Fistelrande der Blase und dem
der Scheide, ist in seinem Höhendurchmesser kürzer. Die
Mündung des Harnleiters fällt daher in die Blase selbst, wenn
auch dicht an der Grenze des Defectes, etwa 1 Ctm. hinter
der Einmündung der Harnröhre.
Monatsschr. f. GetmrUk. 1863. Bd. XX., Hft 1. #
34 '• Verhandlungen der Gesellschaft
Bemerkenswert!! sind noch folgende Ergebnisse der
Uolersuchung.
Die Harnröhre, 4 Ctm. lang, steigt in einer nach vorn
concaven Linie nach aufwärts. Ihre hintere Wand endet in
einem nach dem Blasenlumen vorspringenden Wulst, welcher
seitlich in den Fistelrand der Blase übergeht. Die Harn-
röhrenscheidenwand ist dick, beträgt stellenweise 1 Ctm.
Die Scheide ist vorn, von der Oeffnung der Harnröhre
bis zum Uterus 4y2 Ctm., hinten, vom Ostium vaginae bis
zum Scheidengewölbe, 6 Ctm. lang.
Der Uterus ist nach rückwärts gebogen. Seine obere
Grenze liegt kaum etwas oberhalb einer Linie, welche man
sich horizontal von dem Syinphysenrande nach rückwärts
denkt. Die schmale Höhle verläuft in einem nach hinten
concaven Bogen. Die Vaginalportion ist nicht mehr vor-
handen. Die grössle Lunge der Gebärmutter beträgt 4% Ctm.,
die Länge der Höhle 31/* Ctm. Die Wände sind dick und
derb. Dicke der vorderen Wand ll/2 Ctm., der hinteren
Wand 2 Ctm., des Fundus 2 Ctm.
Der Douglas'ache Raum erstreckt sich kaum bis zur
Hälfte des Uterus herab. Hier endet er 7V2 Ctm. entfernt
vom Promontorium. Trennt mau jedoch die Verwachsung,
so sieht man das Bauchfell bis zu seiner gewöhnlichen Tiefe
herabsteigen. Die unterste Grenze ist dann 9V* Ctm. vom
Vorberge entfernt. Im unteren Theile des Douglas'&chen
Raumes springt vom Uterus ein zapfenartiger, kleiner Wulst,
wie ein Sporn , nach hinten zu vor. l) Derselbe besteht
aus Gebärmuttersubstanz.
Eine sehr starke Zellgewebslage befindet sich zwischen
hinterem Scheidengewölbe, Uterus und Mastdarm, welche an
manchen Stellen 1V2 Ctm. Durchmesser von vorn nach hinten
hat. Diese starke Zellgewebsdchichte scheint mir in Bezug
auf perimetri tische Enlzüudungen und Abscesse hervorzuheben.
Bekanntlich haben einige französische Autoren, wie Bermtiz,
den Sitz dieser Processe fast ausschliesslich in die Bauch-
1) Auch Kohlrausch (Zur Anatomie u. Physiologie der Becken -
organe. Leipzig 1664) bildet diesen Zapfen ab. Er lägst ihn au*
blättrigem Zellgewebe bestehen.
lür Geburtxhhlfe io Berlin. - #5
höhle verlegt, weil ihnen die Zellgewebslageo in der Nähe
des Uterus von zu geringer Ausdehnung und Stärke schienen.
Auch Kohlrausch bildet nur sehr schwache Zellgewebslageo
ab. Die Verhältnisse sind gewiss nach der Individualität sehr
verschieden und werden sich nach dem Fettzellgewebsreichthume
des ganzen Körpers, der in unserem Falle sehr bedeutend
war, richten.
Die rechte Niere ist nicht halb so gross, als die Unke.
Das Becken und die Kelche sind sehr erweitert, mit gewulsteter,
schiefergrauer oder stark gerötheter Schleimhaut Der Harn-
leiter ist erweitert und besitzt sehr derbe, dicke Wände.
An vorstehende Krankengeschichte nebst Sectionsbericht
glaube ich folgende Bemerkungen anschließen zu dörfeu,
welche sich auf die eigentümliche Form des Leidens, seine
Entstehung, Diagnose und Therapie beziehen.
Zu den seltener vorkommenden Urinfisteln des Weibes
gehört die Blasenharnleiterscheidenfistel , bei welcher nicht
allein ein Defect in der Harnleiterscheiden wand, sondern auch
ein solcher in der Blasenharnleiterwand existirt. Simon hat
diese Form nach einem Sectionsbefunde beschriebea (Zur
Heilung der Blasenscbeidenßsteln u. s. w., Giessen 1854, pag.51.)
Man kann den vorliegenden Fall ebenfalls unter diese
Kategorie bringen. Ausgezeichnet ist er jedoch durch den
ausserordentlich grossen Defect, welcher rechts nicht blos das
untere Stück des Urethers, sondern die ganze nächste Umgebung
der Harnblase betraf. Ausgezeichnet ist er dadurch, dass der
Substanzverlust vorzugsweise und in grossem Umfange den
Blasengrund und verhältnissmassig viel weniger die Scheide
berührte. Hervorzuheben ist ferner noch ganz besonders der
weite Zwischenraum zwischen den Fistelrändern der Blase
und denen der Scheide. Während hei den meisten Vesico-
vaginaMisteln die Wandungen der Scheide und der Blase sich
berühren, so dass zwischen beiden kaum eiu Zwischenraum
existirt und das Ganze nur eine Oeffuung, ein Loch mit
2 — 3'" dicken Rändern darstellt, bestellt in unserem Falk
ein bis zu ll/t Ctm. grosser, intermediärer Raum. Es ist
ein Fistelgang vorhanden, welcher freilich, im Vergleich zu
seiner Höhe, unverhältnissmissig breit ist. Die obere Oeflhong
dieses Ganges ist durch die Ränder der Blasenwand, dte
3*
36 I. Verhandlungen der Geiellftohaft
untere, kleinere Oellhuug durch die Fistelränder der Scheide
gebildet. Die hintere Wand des Kanals bildet der Uterus.
Die Seitenwände bind durch eine Fistehnembran coustiluirt-
Auch nach vorn entsteht dadurch eiue, wenn auch weniger
hohe Wandung, dass die hintere Wand der Harnröhre be-
trächtlich verdickt ist und von ihr ein noch übrig gebliebener
Rest der Scheidenhaut abgeht, der (vor der Operation) narli
unten zu herabhing..
Die Entstehung des Hebels datirt von einer schweren
Geburt* welche zwar spontan beendigt wurde, jedoch eine
ausgedehnte Gangrän der Weichtheile zur Folge hatte. Die
Gangrän betraf vorzugsweise den Blasengrund und die
Mutlerniundslippen, verhältnissmässig in geringerem Grade da*
vordere Scheidengewölbe. — Die nach der Geburt eingetretene
Metroperitonitis hatte ausgedehnte Verwachsungen der Beckeu-
orgaue und Fixirung des retroflectirten Uterus zur Folge.
Ausserdem bildeten sich aber noch die beschriebenen Ver-
änderungen der rechten Niere und ihres Harnleiters aus,
welche sich nur aus einer, längere Zeit bestandenen Stauung
des Urins erklären lassen. Diese Stauung kam nicht dadurch
zu Stande, dass der Urin keinen Abfluss aus der Blase hatte.
Dagegen spricht die bald nach der Geburt vorhandene In-
conüuenz, ausserdem aber auch das normale Verhalten der
linken Niere und ihres Urethers. Die Stauung war also
bedingt durch ein Hinderniss, welches die Ausmünduug des
rechten Harnleiters verstopfte. Berücksichtigen wir, dass das
Endstück desselben gänzlich fehlte, so erscheint es als gewiss,
dass während des Krankheilsprocesses, welcher mit gaugranöser
Abstossung dieses Theiles und der umgebenden Blasenwand
endete, ein Verschluss des Harnleiters stattfand. Später bahnte
sich der Urin wieder einen Weg. Dass hierbei keine Urin-
Infiltration sich bildete, hat wohl darin seine Ursache, dass
während des phlegmonösen Entzündungsprocesses eine Ver-
schliessung der freien Zellgewebsräume , durch die sich bildende
Fistelmembran entstanden war.
Die Diagnose einer solchen Fistel mit weitem Abstände
der Blasen- und Scheidenränder unterliegt, wie ich glaube,
sobald man darauf aufmerksam ist, keinen besonderen
Schwierigkeiten. Nur hat man sich zu hülen, em< glatte
für Getmrtfthiilfe in Berlin. 37
überhäutete Fläche, welche man oberhalb der Fistelr&nder
bemerkt, ohne genaue Untersuchung, für die Bläsenschleinihaut
2u halten. Das Ausseben kann sehr täuschend sein. Mehrere
meiner CoDegen, welche schon viele Vesicovaginaltisteln unter?
sucht haben, wurden ebenfalls durch diese Beschaffenheit der
Fistelmembran irre geführt. Erleichtert wurde die Täuschung
noch durch den starken Vorfall der Blasenschleimhaut, welcher
von den oberen Partieen herrührte. Es gicbt übrigens ein
diagnostisches Hulfsmittel, welches wohl selten im Stieb lassen
wird. . Dies ist die Untersuchung mit dem Finger. In unserem
Falle war die Kante, iq welcher die Blasenwandung endigte,
so scharf begrenzt und dabei etwas verdickt, dass man
gewiss mit dem Finger dieselbe deutlich gefühlt hatte. Auch
bemerkte ich jenen Vorsprung des Blasenfistelrandes, als ich
mit dem einen Finger im Mastdarme, dem anderen in der
Fistel, die Lage des Cervix uteri zu bestimmen suchte; legte
aber, in vorgefasster Meinung und solche aussergewöhnliche
Verhältnisse nicht im Geringsten ahnend, keinen Werth darauf.
Bei geringerem Abstände der Fistelränder wird es übrigens
wohl auch möglich sein, durch das Speculum die Blasenwand
frei zu legen und so den ganzen intermediären Baum zu
übersehen.
Schwieriger ist die Bestimmung, ob in einem solchen
Falle die Harnleilerniündung innerhalb des Zwischenraumes
liegt Simon (Scanzoni's Beiträge, 4. Bd., pag. 21) spricht
von der Schwierigkeit einer Diagnose der Blasenharnleiter-
scheidenfisteln: „Man könne solche nur vermuthen, wenn der
die Fistel bildende Substanzverlust an den Seitentheilen des
Vaginalgewölbes liegt oder sieb bis dahin erstreckt." Den
Sitz der Harnleiterscheideuiisteln fand Simon auf der einen
oder anderen Seite des Vaginalgewölbes, wenigstens 1 — 2Ctm.
vom Muttermunde entfernt und zwar in oder hinter einer
geraden Linie, welche man sich durch die querlaufende Spalte
des Orif. ext. verlängert denkt. Mau muss also aus der Aus-
dehnung und Bichtung des Defectes auf die Betheiligung der
Uretheren schliessen. Es hat dies etwas sehr Missliches, iia
die anatomischen Verhältnisse bei Vesicovaginalfisteln oft so
verändert sind, dass alle richtigen Anhaltspunkte fehlen. So
war in unserem Falle keine Vaginalportion mehr vorhanden.
3g I. Verhandlungen der Gesellschaft
Der Uterus war ausserdem noch dislocirl. Der Abstand der
Harnleitermündung von dem Blasenende der Harnröhre, weicher
in der Norm 4 Ctm. beträgt, war auf 1—1 !/4 Ctm. verkürzt.
Diese Diagnose wird daher stets nur eine mehr oder weniger
wahrscheinliche sein. Vielleicht glückt es einmal, unier be-
sonders günstigen Umständen, die Hamleiteröflnung frei-
zulegen oder zwischen den abstehenden Rändern der Blase
und Scheide eine Sonde in dieselbe einzuführen.
Sowohl von diagnostischer, als besonders von grosser
prognostischer Bedeutung erscheint bei Blasenscheiden/isleln
der Zustand der Nieren. Erkrankungen derselben sind bei
diesen Beiden keine Seltenheit Man Gndet Concremenlbil-
dungen, Abscesse, Erweiterung und Catarrb des Nierenbeckens
und der Harnleiter, Nierenatrophie. Hierauf wurde bis jetzt,
wie mir scheint, zu wenig' geachtet. Auch ich versäumte lei-
der die Untersuchung des Urins. Freilich ist dieselbe, wegen
der steten Verunreinigung mit Scheidensecret, wohl schwierig.
Doch ist es nicht unwahrscheinlich, dass man trotzdem oft
ein richtiges Resultat erhallen kann, welches nicht allein den
Zustand der Niereri aufklärt, sondern dadurch selbst Schlüsse
auf die Entstehung und Form der Fistel, Beteiligung oder
Nichtbelheiligung der Harnleiter erlaubt. In unserem Falle
wäre die Diagnose der Nierenalrophie von grosser Bedeutung
gewesen.
Was die Therapie einer solchen Fistel mit weiter Ent-
fernung der Blasen- uud Scheidenfistelränder betrifft, 60 ist
das gewöhnliche Verfahren gewiss conlraindirirt: Wollte^ man
sich darauf bescliränken blos die Fistelränder der Scheide
anzu frischen, so erhielte man keinen, zur Vereinigung passenden
Wundrand. Sowie mau aber hoher geht und die Fistelmem-
bran verletzt, so öffnet mau freies Zellgewebe und giebt zu
Urininfiltration und phlegmonöser Entzündung Veranlassung.
Tod durch solche ist bei Fisteloperationen keine Seltenheit
und ich glaube, dass die erwähnte Ursache oft mitgewirkt
haben mag, obwohl man in der Literatur keine genauen
Secliousberichte findet. Das einzige Verfahren, welches bei
diesen Formen erlaubt erscheint, ist die gänzliche Verschliessung
der Scheide durch quere Obliteration,
ftir 0«b«r*liaif6 in Berlin. 3$
Bei nicht bedeutendem Abstände der beiden Fistelränder
Jedoch kann gewiss recht gnt die gewöhnliche Operation ge-
macht werden. Abgesehen davon, dass dann nur eine wenig
ausgedehnte Zellgewebslage eröffnet wird,, so wird auch durch
das Mitfassen der Blasenwand in die Naht die Wunde fest
vereinigt und eine Infiltration verhindert.
Sobald jedoch der Urether in den Defect mündet, kann
nur an die quere Obliteration der Scheide gedacht werden.
Erklärung der Abbildungen.
Figur 1. Senkrechter Längendurchschnitt der rechten
Beckenhälfte.
A. Symphysis oss. pub.
B. Letzte Lendenwirbel, Kreuz- und Steissbein.
C. Harnblase.
D. Mastdarm.
E. Scheide.
F. Gebärmutter.
G. Starke Lage von Fettzellgewebe zwischen Mastdarm,
Scheide und Uterus.
H. Die Doppellinie bezeichnet den Verlauf des Bauchfelles.
Die punktirte Linie bezeichnet die Ausdehnung der
Verwachsung beider Blätter desselben im Douglas' sahen
Räume.
J. Harnröhre.
a. Kleiner, spornartiger Wulst der Gebärmuttersubstanz,
nach dem Douglas'schen Räume zu vorspringend.
b. Grenzlinie des Blasendefectes.
c. Mündung des rechten Harnleiters.
d. Rest der Scheidenwand, welcher vor der Operation
mehr nach unten herabhing, jetzt durch Nähte an die
vordere Cervicalwand des Uterus befestigt ist.
e. Verdickte und wulstig vorspringende hintere Wand der
Harnröhre, welche nach der rechten Seite zu in die
Grenze des Blasendefectes übergeht.
Figur 2 stellt die bei der Fistel betheiligten Organe der
rechten,
4Q IT. Meiatner, Mitthei langen fkbtr die Th&tigkeit
Figur 3 die' der linken Seile dar. Es ist All» mehr
auseinandergelegt. Die Bucbstabenbezeichirnngeo sind, für
beide Seilen gleich.
A. Nieren.
B. UretereB.
C. Blase.
D. Gebärmutter.
E. Scheide.
F. Harnröhre.
b. Grenzlinien des Blasendefectes.
c. Mundungen der Harnleiter.
d. Rest der Scheiden wand, welcher an den Uterus ge-
näht ist
IL
Mittheilungen über die Thätigkeit und die Ver-
handlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe
zu Leipzig
im siebenten Jahre ihres Bestehens.
(Fortsetzung.)
III. lieber Leichenentbindungen.
Beobachtungen mehrerer Gesellschafts - Mitglied er ,
ziisHmmengefttellt
von
Dr. med. Emil Apollo Meissner.
Vorgetragen am 16. Juli 1861.
Die Entbindungen verstorbener Schwaugerer uud Gebärender
interessiren in vielfacher Hinsicht ; zunächst durch das hohe
Alter, welches in gleicher Weise keine andere Operation,
keine andere medicinalpolizeiliche, noch heule gültige, Vor-
schrift aufzuweisen hat : wie sich ausserdem auch nirgends
n. d. Yerhftnäl, d.GesellaoJiAft f. Geburtslftilfc EoLaipzig etrv 4J
der.ßmUnd von Männern bei der Geburl durch die ver-
schiedensten Zeitalter europäischen Culturlebens so constaitt
verfolgen lässt Die Anerkennung, welche die betreffende«
gesetzlichen Bestimmungen unausgesetzt, trotz der bisher nur
äusserst spärlichen gunstigen Erfolge, gefunden haben, welche
die Entbindungen Verstorbener gewährten (von 331 Operationen
nur sechs oder sieben Kinder am Leben erhalten, und drei-
zehn lebten nur einige Stunden; nach HoJd's Lehrbuch der
Geburtshülfe, Leipzig, 1855, p. 404) ist ein Zeugniss ihrer
moralischen Berechtigung, gegenüber welcher kleinliche An-
fechtungen nicht in Betracht kommen, zumal sie ja selbst
.den woblthätigsten medicinal -polizeilichen Zwangsverordnungen
nirgends erspart blieben.
Die weiteren Objecte des vielfachen Interesses, welche«
Leichenentbindungen darbieten, fallen mit den Indicationen
und sonstigen Aufforderungen zu denselben, sowie mit den
Erörterungen' über Zweckmässigkeit und Erfolg der einzelnen
Operationsmethoden zusammen, welche den Hauptstoß*
der heutigen Besprechung bilden und durcb die Erfahrungen
und Beobachtungen mehrerer GeseJlschaftsmitglieder noch mehr
veranschaulicht werden, die soweit sie mir zugänglich waren,
an betreffenden Stellen eingereiht sind.
tinter den Indicationen der Leicheuentbindungeii nimmt,
dem Alter und der Wichtigkeit nach, die erste Stelle die
Rettung des Kindes ein, von welcher naturlich genau
genommen nur von der Zeit an die Rede sein kann, in
welcher der Fötus sein Leben selhststandig fortzusetzen ver-
mag. Es fordern daher die meisten neueren Gesetze die
Operation nur in den letzten drei Monaten, während die älteren
Vorschriften noch viel weiter zurückgehen, ja nach Knebel'^
Grundriss der polizeilich-gerichtlichen Entbindungskunde (Bres-
lau, Hirschberg und Lissa, 8., 1861), I. Bandchen, p. 127.
ist schon da, wo nur Vermuthung der Schwangerschaft vor-
handen und die Schwangerschaft noch nicht bis zu dem an-
gegebenen Zeitpunkt vorgerückt ist. die Eröffnung der Leiche
anzurathen." Gleichzeitig mit der Rettung des Kindes con-
curriren vielfache rechtliche Fragen namentlich, hinsichtlich
der Erbfolge, die durch ein, selbst nur wenige Minuten an
der Aussenwelt bestandenes Fortleben (Ueberleben) des Kindes
48 U MeUaner, Mi tthei langen über die Thfttigkett
wesentlich anders zu entscheiden sind. Nach de» T«fe
des Vaters gilt zwar Lex VII. und XXVI. , PandecL de statu
hominis, „qui in ventre est pro iam nalo habetur, si de
illius commodo agitur", jedoch nur in soferne, als dfe Ent-
scheidung der Erbfolge ad interim in suspenso bleibt bis erst
mit der Geburt des lebenden Fötus (an vielen Orten dessen
erstem Anschreien der Wände) dieser seine natürliche Rechts-
fähigkeit, seine Menschheitsrechte erlangt, — und der natürlichen
Geburt ist die vollendete Trennung des lebenden Kindes von
der todten Mutter gleichgestellt worden; L. 12, pr. de liberis
sagt nämlich: quod dicitur, filium nalum rumpere teste-
mentum, natum accipe et si exsecto ventre editus est; nam
et hie rumpit testamentum, scilicet sie nascatur in potestate."
Die Pflicht des Staates, för die Erlangung der Rechtsfähigkeit
Unmündiger zu sorgen, muss neben der rein humanistischen
Tendenz die schleunige Rettung des Kindes nach dem
Tode der Schwangeren unahweislich fordern, auch wenn die
Erfolge noch weit ungünstigere Resultate ergeben sollten,
als ich sie im Obigen angab. Früher gab auch die nach dem
Dogma der römisch-katholischen Kirche zur Erlangung der
Seligkeit erforderliche vorgängige Taufe einen weiteren
Beweggrund zur schleunigen Anstellung des Kaiserschnittes
nach dem eingetretenen Tode Schwangerer ab !), ja es war
selbst ein vierzigtägiger Ablass dem ertheiil, wer dies an-
1) Dass auch in der Jetztzeit noch dieses Motiv wirksam
ist, bezeugt folgende tage s geschichtliche Notiz in Potfitr's
Allgem. medic. Centralzeitung, SO. Jahrg., p. 40 im 5. Stuck
vom 12. Janaar 1861: „Zu den interessanten Fortschritten der
französischen Medicin gehört ein neuerlichst von Kergäradec der
Acad. de Mld. vorgelegtes Raisonnement über die* Anwendung
de« Kaiserschnittes nach dem Tode einer Schwangeren. Der
gelehrte und rechtgläubige Herr nimmt an , dass die Seele im
Augenblick der Conception entstehe, dass es also Pflicht sei, jede
Schwangere, gleichviel,' in welchem Stadium der Schwangerschaft
sie sich befinde, alsbald zu öffnen, am den Embryo zu taufen
und „„seine Seele für den Himmel zu retten aa. Wenn sich
der Arzt zu dieser Obduetion nicht verstehen will, so soll dem
Priester das Recht zustehen, diese heilige Handlung zu voll-
ziehen. Wir müssen gestehen, dass wir Herrn Kergäradec für-
einen durchtriebenen Schelm halten, welcher die katholisirende
Richtung mit vielem Erfolge persifflirt."
n. d. Verhaadl. d. GmelJscfaaft f. GeburUbWf« %n L#lpiif eto. 4$
XBiben würde. — Soll aber, abgesehen von allen theologische!)
und juristischen Specialmotiven, die Leichenentbindung eine
wirklich lebensrettende für das Kind werden, so muss die-
selbe schleunigst nach Consta tirung des eben erfolgten Todes
der Schwangeren oder Gebärenden vollzogen werden, zumal
die Frage, wie lange eine, in ihre Hüllen und den FruchthäUer
eingeschlossene Frucht überleben könne, weder bisher beant-
wortet wurde, noch deren Antwort überhaupt im Allgemeinen
wird gesucht werden können. Dass das Alter und die Con-
stitution der Frucht, das Befinden der Mutter während der(
Schwangerschaft, ferner die Todesursache und die Schnellig-
keit mit welcher diese das mutterliche Leben endete und viele
andere Umstände hier mancherlei Abänderungen und Ver-
schiedenheiten erzeugen müssen, leuchtet von selbst ein«
Wenu einige Autoren, so z. B. Spaeth (Compendium der
Geburtskunde, Erlangen 1857, 8., p. 397) in dieser Beziehung
aber vorschrieben, es solle namentlich der Kaiserschnitt
noch innerhalb der ersten drei Stunden nach dem Tode der
Mutter vorgenommen werden; so möchte diese Frist schon
fast zu weit gegriffen sein, da selbst die sofort nach dem
Tode angestellten Operationen auch in Fällen, wo die Dauer
der vorausgegangenen Krankheit eine nur sehr kurze war,
oder deren periodisches Auftreten von längeren freien Inter-
vallen unterbrochen wurde, nach schnellem Verbluten u. s. f.
ein m für das Kindesleben keinesweges günstiges Resultat
lieferten. Folgende Fälle aus dem Wirkungskreise unserer
Mitglieder sind sprechende Beweise dafür:
Casus 1. Leipzig, 29. Juni 1830. — Stadtbezirksarzt
Dr. Grüntz und Dr. Fr.. Ludw. Meissner. — Eine Maurer- .
gesellen-Ehefrau vom Lande, welche Markttags in den
Häusern der Stadt grüne Gemüse feil trug, erlitt beim
Treppensteigen eine Ruptura varicis cruris sinistri, die sie
anfangs gar nicht bemerkt hatte. Später hatte sie die heftige
Blutung durch ein über den Strumpf gebundenes Tuch zu
stillen gesucht, war dann ganz erschöpft in ein Gewölbe
des Salzgässchens getreten und dort nach der kaum aus-
gesprochenen Bitte um Wasser, alsbald niedergesunken und
gleich darauf verschieden. Nach Abnahme des ganz von Blut
durchdrungenen Tuches und Entfernung des Strumpfes sah
44 II. Meissner, Mitthei langen über die thfitigkeit
M. ein grosses Varixpolster am inneren Knöchel und mitten
auf demselben eine Oeflnung von der Grösse, dass ein Gänse-
kiel es ungefähr füllte, aus welcher sich kein Blut mehr er-
goss. Da O., gleichfalls eiligst hinzugerufen, zustimmte, dass
hier, wo noch keine Geburtsarbeit begonnen hatte, sofort der
Kaiserschnitt gemacht werden mfisste, so wurde dieser von
M. sofort unternommen, und ein ausgetragenes Mädchen durch
denselben gewonnen, welches noch deutliche Herzschlage wahr-
nehmen Hess, aber trotz der emsigsten Bemühungen G.'s
, nicht zum Leben gebracht wurde.
Casus 2. — Leipzig, 1845. — Dr. Tlos$. —
Frau X. hatte schon mehrere Kinder geboren, und war
wieder im letzten Monate schwanger, als sie von Febris inter-
miltens perniciosa befallen wurde, welche im Tertiantypus
auftrat, aber dabei die Milz nicht aussergewöhnlicb gross er-
kennen Hess. P. vcrmulhete einen Zusammenhang zwischen
diesen Anfällen und einem Knochenleiden der pars petrosa,
denn schon seit langer Zeil halle Patientin Otorrhoe, sowie
die Oeflnung eines Fistelganges hinter der Ohrmuschel, die
unzweideutigsten Zeichen der Caries ausserdem darbot. Da
aber die Section nicht gestattet wurde , so konnte dieser
dringend vermuüiete Connex nicht nachgewiesen werden. Der
zweite Anfall war schon mit Krämpfen und Besinnungslosig-
keit, sowie heftigen Delirien verbunden; der dritte mit Be-
wusstlosigkeit und im vierten Anfalle starb die Frau. Etwa
zwei bis drei Stunden • nach dem angeblichen Tode unternahm
P. unter Verweisung des sich Anfangs widersetzenden Ehe-
mannes auf die bestehenden Gesetze die Sectio Caesarea in
der Linea alba. Das Kind war bereits todt, erschien auch
junger, als der Zeitrechnung, wie sie Patientin zu Lebzeiten
angab, gemäss zu erwarten war, doch entschieden in einem
lebensfähigem Aller. Auch war allen Erscheinungen nach der
Tod erst ganz kurzlich erfolgt, denn noch zwischen dem vor-
letzten und letzten tödtlichen Paroxysmus hatte die Unter-
suchung das Leben des Kindes nachgewiesen, auch die Mutter
selbst noch deutliche Kindesbewegungeu gefühlt. Unmittelbar
vor der Operation konnten aber keine Zeichen vom Leben
des Kindes wahrgenommen werden.
_ u. d: Verband!, d. Gesellschaft f. Gebortehtilfe so Leipzig etc. 45
Casus 3. — Berlin, 185*. — Dr. Credt der-
zeit Abtheilungs-Director der Charite. Ruptura varicis am
Knöchel des rechten Fusses bei einer Frau am Ende der
Schwangerschaft. Blutung heftig bis zum Verfallen in tiefe
Ohnmächten. Nach zweckmässigem Verbände Trausport in die
nicht entfernte Charite, wo die Frau aber schon todt ankam.
Noch keine Vorbereitungen zur Geburt, Fötalherztöne nicbi
mehr zu hören. Etwa fünfzehn Minuten nach dem Tode wurde
der Kaiserschnitt bereits gemacht und ein grosser, kräftiger -
ausgetragener Knabe hervorgezogen, welcher aber keinen
Herzschlag mehr zeigte. Die dennoch vorgenommenen Be-
lebungsversuche blieben ganz ohne Erfolg. (AnnaJen des
Charite- Krankenhauses in Berlin, Jahrg., VII. , Heft 3.)
Casus 4. — Leipzig, 4. August 1859. — Professor
Dr. Crede. — Die vierunddreissigjährige grosse, fette, in guten
Verhältnissen lebende Frau erkrankte am 3. August Nach-
mittags ohne bekannte Ursache an einer wenig schmerzhaften
Affection des Unterleibes, und unter geringer Steigerung
dieser trat am 4. Morgens nach kurzer Agonie der Toil
ein; wie später die Section ergab iu Folge vou Perforation
der rechten Tuba (Folge eines Verschwärungsproeesses) uud
innerer Blutung. Der alsbald nach dem Verscheiden gemachte
Kaiserschnitt forderte Zwillingskinder von ungefähr achtmonat-
lichem Alter und seit wenigen Tagen abgestorben zur Well.
(Professor Dr. Wagners Sectionsbericht in Monatsschrift für
Geburtskunde, Bd. 14, Hell 6, p. 436 — 439.)
Ist nun sonach anzunehmen, dass nieist zugleich mit der
Schwangeren oder Gebärenden auch deren Leibesfrucht ab-
stirbt oder mindestens in seiner Lebenskrall so geschwächt
ist, dass selbst der geriugste Zeilverlust die höchste Gefahr
bedingt, also nur höchst selten unser Bestreben, das Leben
des Kindes zu retten, von Erfolg gekrönt sein werde, —
so ist doch damit keineswegs eine Indication für ein weiteres
exspeetatives Verfahren gegeben, vielmehr erscheint es schon
vom moralischen Standpunkte aus 2) als heilige Pflicht,
den in der Lex Regia enthaltenen Vorschriften in
allen einschlagenden Fällen bald thiiulichs t Folge
zu leisten, demnach nicht nur selbst noch da, wo die
Hoffnung auf Erlangung eines lebenden Kindes bereits auf
46 U- <tf«»Wer, Mitthei hingen über die ThHtigkeit -
den Nullpunkt herabgesunken, sondern auch, wo nur die
begründete Vermuthung vorliegt, die Schwangerschaft könne
bis zum Ende des siebenten Monats vorgeschritten sein. Die
Gesetzgebung der meisten civilisirteu Staaten befiehlt sogar den
Aerzten da, wo z. B. der Kaiserschnitt post mortem von den
Angehörigen versagt würde, gerichtliche Hülfe in Anspruch
zu nehmen, vielfaoh sind sogar Strafen auf die Unterlassung
dieser Operation wegen unbezweifelter Herbeiführung des Todes
der Flucht gesetzt worden. Das neue Strafgesetzbuch Preussens
hat nun zwar die früheren gesetzlichen Bestimmungen des
allgemeinen Landrechts aufgehoben, so dass die Angehörigen
nicht mehr gezwungen werden können, die Leichenentbindungen
vornehmen zu lassen, und es wäre zu wünschen , dass der vom
Med.-Rath Dr. Niemann in Ca$per9& Vierteljahrsschrift ge-
lieferte Nachweis darüber, wie wünschenswert es erscheine
die früheren Vorschriften unter gewissen Modifkationen wieder
einzuführen, nicht erfolglos verhalle! Es mag aber hier auch
nicht verkannt werden, dass hier im Königreiche Sachsen,
wo das Gesetz des Numa Pompilius noch in ungeschwächter
Giftigkeit fortbesteht, und vom Geburtshelfer trotzdem nicht
selten noch der Widerstand der Angehörigen zu bekämpfen
ist, dadurch also entweder erst eine Belehrung über das Be-
stehen derartiger, durch die Wissenschaft begründeter und von
wahrer Humanität dringend gebotener Gesetzartikel nöihig
wird, oder gar die Autorität der Ortsbehörde noch requirirt
werden müsste ; — meist die somit verursachte Verzögerung in
der Ausführung, dem Gesetze gerade da, wo es sich in seiner
ganzen Kraft äussern kann und soll, die Spitze abbrechen
macht. Immerhin ist aber das Bestehen dieses Gesetzes von
unschätzbarem Werlhe und wird die gewissenhaften Intentionen
des Geburtsarztes wesentlich unterstützend, das Requiriren
gerichtlicher Hülfe meist entbehrlich machen, ist aber auch
ganz besonders da am Platze, wo vielleicht habsüchtige An-
verwandte der Denata, die durch ein lebendes Kind zu Gunsten
dieses, resp. auch dessen Vaters, sich umgestaltenden Erb-
folgerechte, ihres Vortheils wegen, nicht alterirt sehen wollen,
und nur deshalb ihr Veto einzulegen suchen.
Casus 5. — Leipzig, 184*. — Dr. Proack
und Dr. Ploss. — X, Schneiders Ehefrau, hatte schon mehr-
n. d Verband!. d."G«aeH*ch»ft f. Geburtshülfo an Leipzig etc. 47
mak geboren und war jeUt hochschwanger von Proech an
einer in Abscess übergegangenen Entzündung des den Pharynx
und Larynx umgebenden Zellgewebes behandelt worden. Der
Eiter hatte sich nach der Brusthöhle herabgesenkt und
durch Druck auf die Trachea den Tod durch Erstickung
herbeigeführt. Wegen des zu überwindenden Widerstandes
der Angehörigen wurde ungefähr erst vier Stunden nach Ein-
tritt desselben die Sectio Caesarea vorgenommen, aber schou
vorher hatte man bei der Untersuchung kein Zeichen erhalten,
dass das Kind noch lebe. Schnitt in der Linea alba. Mit
dein völlig ausgetragenen, grossen und starken Kinde wurden,
während es noch mit dem Nabelstrange und mit der Placeuta
in Verbindung blieb, Belebungsversuche vorgenommen und
etwa eine halbe Stunde fortgesetzt, doch kehrte dasselbe nicht
zum Leben zurück. Ploss nahm den Uterus im Zusammen*
hange mit Eitheilen und Kind aus der Leiche, und setzte das
Ganze zu Hause in Spiritus, musste es aber am Abende des-
selben Tages an' den Ehemann, der es zurückforderte, wieder
ausliefern.
Casus 6. — Leipzig, 3. November 1851. — Dr. H. L.
Göpel und Dr. Fr. Ldw. Meissner. — W., die junge Tochter
einer vormaligen Hebamme starb an Eclampsie, nachdem M.
vergeblich das Accouchemenl force versucht hatte. Nur das
Vorhalten der gesetzlichen Bestimmungen ermöglichte nach
zwölf Stunden die Laparohysterotomie, welche G. verrichtete.
Der Uterus zeigte das weisslich-gliezende Ausseben -wie im
nichtschwangeren Zustande, auch nach der Entleerung der
Höhle kein Contracting vermögen, Blut floas nicht aus den
Gefassen. Der in Beckeulage befindliche, todte, ausgewachsene
Knabe zeigte blasige Erhebung der Oberhaut. * Entwicklung
des Kindes und Entfernung der Nachgehurt bewirkte M. ohne
Anstand. (Vergl. Monatsschrift für Geburtskunde, Bd. 14,
Heft 4.)
3. Ein jedenfalls richtiges ästhetisches Gefühl der
Geburtsirzte hat weiter diese gesetzlichen Bestimmungen hin-
sichtlich der baldigen Entbindung verstorbener Schwangerer
und Gebärender noch mehr, und zwar auf die vollständige
Entfernung sämmtiicher Eitheile aus dem mütterlichen Körper
ausgedehnt. Dahin gehört namentlich das Zutagefördern der
48 H. MeUtner, Mitthfti langen über die «rhltigkeift
noch rückständigen Kiudestheüe bei vorausgegangener Zer-
slückung der Frucht, iu specie der Decapitalion , sowie die
Lößung der Placenta und die Entfernung der Nachgeburt.
Einen Fall von zurückgebliebenem Kopfe nach vorgenommener
Decapitation, hoffe ich durch die Gute mehrerer Collegeu später
einmal in den Stand gesetzt zu sein, Ihnen mittheilen zu
können, heute stehen mir nur zwei Fälle von Nachgeburts-
Operationen zu Gebote.
Casus 7. — Kömmlitz (Filialdorf von Oelzscbau, ohn~
weit Borna), 14. Januar 1848. — Dr. Fr. Ludw. Meissner
in Leipzig wurde am gedachten Tage zu einer Gebärenden,
Frau Ä., beschieden, welche nach der naturlichen Entbindung
von einem kräftigen und gesunden Knaben, bedeutende Blutungen
erleide. Während der Reise des Boten und der if.'s nach
dem zwei Meilen entfernten Dorfe, war die Mutter in Folge
von Verblutung bereits gestorben. Die Beseitigung der nur
theilweise getrennten Placenta, war wegen einiger ' sehniger
Fasern, welche mittels der Nägel aus dem weichen Placentae
gewebe herauspräparirt werden mussten, etwas mühsam.
Casus 8. — Leipzig, . . August 184*. — Dr. Uhlich.
W., Tischlergesellen -Ehefrau* zweiunddreissig Jahre, regel-
mässig menslruirt gewesen, und mit Ausnahme der in der
Kindheit überstandenen Rachitis, welche eine massige Becken*
Verengerung hinleriiess, früher stets gesund; war zwei Mal schon
mittels Zange von einem grosseu Knaben entbunden worden,
worauf beide Mal die fest angelegte Nachgeburt gelöst werden
musste. Am rechzeiligen Ende dieser ihrer dritten Schwanger*
schalt ohne künstliche Hülfe mit einem Knaben niedergekommen,
hatte sich abermals Retentio placentae gezeigt, und schon nach
einer Stunde, binnen weicher nur ein Arzt zu erlangen ge-
wesen, der nicht Geburtshelfer war, war der Tod durch Blutung
eingetreten, welchen Reibungen des Uterus und innerliches
Verabreichen von Elix. acid. Haller. nicht zu stillen vermochten.
Zwei Stunden" später ging U. mit der Hand ein, konnte den
slriclarartig contrahirteu Muttermund leicht wieder erweitern,
die Nachgeburtstrennung vervollständigen und unter deren
Wegnahme kräftige Zusammenziehungen der Uterusmuskulatur
ohne weitere Blutung, der rückgängigen Bewegung der Hand
genau folgend, wahrnehmen. Die Sertion wurde nicht gestaUrl.
. u. d. Verband!, d. GeaelUchaft f Gebartshülfe zu Leipzig etc. 49
Nächst der gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht des Arztes,
-der Hoffnung auf Rettung des kindlichen Lebens und den
sonstigen Humanitätsrücksichten , sollte aber 4) auch das
wissenschaftliche Interesse jeden Geburtshelfer veran-
lassen, keine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, den Kaiser-
schnitt post mortem, oder auf anderem Wege die Leichen*
Entbindung vorzunehmen, die uns unmittelbar nach dem Tode
in die bis dahin lebenskräftig thätige Werkstätte der Fort-
pflanzungsverrichtungen des menschlichen Weibes fuhrt, und
daselbst einen freieren Blick in die Verhältnisse gestattet, als
es beim Kaiserschnitt an der Lebenden durch die dort un-
gemein reichliche Blutung und die vielfachen Rücksichten
möglich ist, welche wir auf Verhütung des Darmvorfalls, auf
Verhütung sonstiger Unfälle zu nehmen haben, und die durch
die nölhige baldigste Anlegung des Verbandes bedingt sind. Es
dürften sich aber, wenn wir die Vivisectionen bei Thieren aus-
nehmen, anderswo schwerlich so passende Gelegenheiten uns
darbieten, das selbstständige Fruchtleben im Uterus, die bei
gehinderter Oxydation des fötalen Blutes auftretenden Athem-
bewegungen in der Eihöhle, den Vagitus uterinus direct
zu beobachten, wie hinsichtlich mehrerer Fragen über das
Functioniren der Placenta bei der alleinigen Herzaction
des Embryo u.~ s. w., namentlich aber auch über die Fortdauer
des uterinalen Contractionsvermögens nach dem Tode der
Mutter unbehinderter und klarer sehen zu lernen, als es hier
bei pflichtgetreuer Ausübung des Berufes uns begegnet. Die
mir heute vorliegenden Beobachtungen konnten, zumal sie
meist schon älteren- Datums sind , und grösstentheils nur auf
mangelhaften Aufzeichnungen in den Tagebüchern der Collegen
begründet sind, nur in letzterer Beziehung einige Auskunft
gewähren, auch ist ihre Zahl schon an sich, wie rücksichtlich
der Verschiedenheit in den Todesursachen und in der Operations-
zeit nach dem Erlöschen des mütterlichen Lebens aber noch
mehr hervortritt, viel zu gering, um aus ihnen das Naturgesetz
kennen zu lernen.
Casus 9. — Leipzig, 15. October 1830.— Dr. Fr. Ldw.
Meissner entband durch den Kaiserschnitt die ungefähr seit
zwei Stunden verschiedene Frau Kupferdrucker K. Der Tod
MonaUichr. f. Geburtsk. 186*2. Bd. XX.. Hft 1.4.
50 H. Mehsner, Mitteilungen aber die ThKtigkeft
war in Folg«1 von Eclampsie erfolgt. Da die Leiche, noch im
Bette liegend, nicht ganz erkaltet war, bemerkte M. nach Ent-
fernung des todten Knaben, und der Secundinae noch eine
sichtliche Verkleinerung der Gebärmutter.
Casus 10. — Leipzig, 6. Mai 1832. — Dr. Fr. Ldw.
Meissner vollführte die Sectio Caesarea an der Ehefrau des
Kürschners C. (findet z. Z. die Todesursache nicht angegeben,
weiss sich ihrer auch nicht mehr zu entsinnen). Das Kind,
weiblichen Geschlechts, war lodt. Auch in diesem Falle con-
trabirte sich der entleerte Uterus noch merklich.
Casus 11. — Leipzig, 6. December 1834. Dr. Fr: Ldw.
Meissner. — Dieser Fall betraf die im siebeuten Monate
der Schwangerschaft an Abzehrung verstorbene Ehefrau des
Tapezierers G. Das unreife Kind weiblichen Geschlechtes war
ualürJich nicht am Leben, doch verkleinerte sich der Uterus
nach seiner vollständigen Entleerung noch um die Hallte seines
früheren Umfanges.
Casus 12. — Kleinzschocher bei Leipzig, 12.. Novem-
ber 1838. — Dr. Fr. Ldw, Meissner traf die Gebärende,
Frau /£., zu der er gerufen worden, durch Verblutung in Folge
von Placenta praevia, bereits entseelt vor. Bei der grossen
Schlaffheit der weichen Geburtswege wurde die weit fort-
geschrittene Geburt mit Leichtigkeit durch Wendung und
Extraction des Kindes an den Füssen auf natürlichem Wege
beendigt. Das Kind, ein Mädchen, war gleichfalls bereits ab-
gestorben. Die Placenta wurde manuell gelrennt, nach der-
selben aber kaum einige Contractio uteri .wahrgenommen.
Casus 13. — Leipzig, 12. Januar 1842. — Dr. Fr. Ldw.
Meissner. — Die Gattin des Schuldirectors Dr. 27., welche
schon seit zwei Monaten beunruhigende Metrorrhagieen in
ihrer fünften Schwangerschaft erlitten hatte, war bei i/.'s
Ankunft durch deren erneuertes Auftreten verschieden. Ob-
gleich der Muttermund, in welchem lose die Nachgeburt lag,
noch nicht vollkommen erweitert war, gab dieser doch kein
Hindernis? der Entbindung auf natürlichem Wege ab, es wurde
in wenigen Minuten ein bereits abgestorbenes Mädchen zur
Welt gefördert, worauf sich auch alsbald der Fruehthält^r
contrahirte und verkleinert blieb.
u. d. Verhandl. d. Gesellschaft f. Gebnrtshiilfe sn Leipzig etc. 51
Casus 14. — Gobliß bei Leipzig, 15. Juni 1844. —
Dr. Fr. Ldw. Meissner zu Frau W., die uach Aussage des
Eilboten schon mehrfach aspbyctisch gewesen, schleunigst ent-
boten und sofort dem Rufe folgend, fand dieselbe dennoch
bereits mit eröffnetem Muttermunde in der dritten Geburts-
periode verstorben vor. Die künstliche Entbindung gelang bei
vorliegender Schulter bald durch Wendung und Extraction des
Kindes an den Füssen, lieferte aber einen todten Knaben
nach .dessen Ausschliessung sich der Uterus ansehnlich ver-
kleinerte.
Casus 15. — Leipzig, 19. Juli 1858. — Dr. E. A.
Meissner und Dr. Tutel. — Eine Viertelstunde nach dem
Tode der an Miliartuberkulose verstorbenen Frau G\ wurde
der Kaiserschnitt vorgenommen, durch den ein bereits ab-
gestorbener Knabe entwickelt ward. Reichliches Blutauslaufen
aus der Uteruswunde; erst nach Ablösung der mit der inneren
Wand verklebten Eihäute, gelang die Lösung der Placenta.
Darauf. Verkleinerung des Uterus bis auf die Hälfte des früheren
Umfange*. (Vergl. Monatsschrift für Geburtskunde, Bd. 14,
Heft 4.)
Casus 16. — Leipzig, 29. Mai 1860. — Dr. E. A.
Meissner und Dr. F. Dudensing. — Frau Buchbinder-
meister K., geb. F., 32 Jahre alt, tuberkulös, hatte im
vorigen Jahre geheiralhet, in der sechsten Woche ihrer ersten
Schwangerschaft abortirt. In dieser ihrer zweiten Schwanger-
schaft waren beide Füsse und Unterschenkel in Folge von
Morbus Brtghtii ödematös gewesen; und vier Tage nach Auf-
treten anämischer Eclampsie ein soporöser Zustand mit nach-
folgendem Tode eingetreten. Eine Viertelstunde später wurde
die Sectio Caesarea angestellt; nach dem Baucbscbnitt trat nur
wenig Blut aus, eine grössere Quantität desselben in seröser,
nicht coagulirender Beschaffenheit nach der Incision der Gebär-
mutter. Fruchtwasser in .sehr grosser Menge vorhanden, das
achtmonatliche Mädchen (in Schädellage) wurde leicht entwickelt,
konnte aber trotz deutlicher Pulsation der Nabelschnur nicht
belebt werden. Das Volumen der Gebärmutter verkleinerte
sich unter Verkürzung seiner Muskulatur nur wenig, und war
wegen Schlaffheit dieses Organes die Ablösung des Frucht-
kuchens wesentlich erschwert.
52 Jl- Meissner, Mittheilungen über die ThKtigkeit
Casus 17. - Taucha, 4. Juni 1860. — Dr. E. Th.
Kirsten aus Leipzig. — Frau A., circa 25 Jahre alt, kräftig
und proportionirt gebaut, laut Bericht der Angehörigen stets
gesund, war ailt normalen Ende ihrer ersten, durchaus regel-
mässig verlaufenen Schwangerschaft angelangt, und fühlte am
3. Juni früh die ersten Wehen, die in ihrem Auftreten nichts
Ungewöhnliches zeigten, doch floss das Fruchtwasser in reich-
licher Menge schon dabei ab. Heber die Lage des Kindes
scheint die Hebamme wegen hohen Standes des vorausgeben-
den Kindestheiles nicht klargeworden zu sein, und verlangte
einen Arzt. Dieser, in der Meinung, eine Sieisslage vor sich
zu haben, entschioss sich zum Zuwarten, indem er von Zeit
zu Zeit wiederkam. Wann der Muttermund vollständig er-
weitert gewesen, war nicht zu erfahren, nur soviel wurde be-
richtet, dass die Wehen immer heftiger und häufiger wurden,
und die Gebärende sehr klagte, doch ruckte der vorliegende
Theil nicht tiefer. Am 4. Juni waren die Wehen sehr stürmisch
und schmerzhaft, die Gebärende klagte über Kopfschmerz,
Benommenheit, das Gesicht war stark geröthet Nachmittag
gegen vier Uhr entstanden leichte Konvulsionen des Gesichtes,
so dass sich der behandelnde Arzt entschioss, das Kind zu
entfernen und den Haken dazu wählte. Hierbei mag er wohl
erkannt haben, dass er eine Gesichts vorläge vor sich hatte.
Der Haken war in ein Auge eingesetzt worden, ohne jedoch
den Kopf bewegen zu können. Es wurde ferner zugewartet,
ohne irgend etwas zu thun. Als endlich Abends y29 Uhr
die Convulsionen immer heftiger auftraten, wurde zu K. nach
Leipzig geschickt, während dem aber Chloroform inhalirt.
Bei K.'s Ankunft, V210 Uhr, war die Gebärende bereits todt,
der Körper starr, mit ausgebreiteten Todtenüecken besetzt.
K. fand das Gesicht vorliegend, die Stirn vorn links, das
Kinn nach hinten rechts gerichtet, Leben des Kindes nicht
wahrzunehmen. Weder mittels der Hand, noch der Zange
konnte der Kopf in seiner Stellung verändert, noch wehiger
derselbe extrabirt werden, weshalb die Umdrehung des Kindes
auf die Füsse abgestellt und so es ausgezogen wurde.
Während des Verweilens der Hand im Uterus, konnten deut-
lich noch schwache Contractionen wahrgenommen werden,
namentlich bei der darauffolgenden Wegnahme der Placenta,
n. d. Verband], d. Gesellschaft f. Gebartshülfe zu Leipzig1 etc. 53
worauf sich auch die Gebarmutter bedeutend verkleinerte.
Eine Ruptur der Gebärmutter oder Scheide, eine Becken-
verengerung nicht zu bemerken. Grösse des Kindes nicht
enorm.
Es zeigte sich sonach selbst zwei Stunden nach dem
Tode der Mutler in den meisten Fällen eine nicht unbeträcht-
liche Conlraction der Uterinmuskulatur, unabhängig von der
vorausgegangeneu Krankheit, und auch der Tod durch Ver-
blutung schloss wiederholt die Beobachtung dieser Erscheinung
nicht aus. *) — Lediglich dein wissenschaftlichen Interesse
1) Dagegen scheint nach vorausgegangenem Tode durch
nervöse' Paralyse das Verkleinerungsvermögen des Uterus su
fehlen, indem die Contractilität der Muskulatur dabei schon
vorher erloschen sein mag, wie der folgende erst spHter von mir
beobachtete Fall sti beweisen scheint, in dem eine partielle
Paralyse des Mastdarms und der Blase vorausging:
Casus 23. — Leipzig, 22. Deceraber 1860. — Dr. E. A. Meissner
und Bezirksgerichts -Wundarzt Dr. Berger. — Frau Zimmer-
meister K.y 26 Jahre alt, war am 19. October 1859 am Ende
ihrer ersten Schwangerschaft durch die Zange von M. entbunden
worden und hatte ihr dabei geborenes Mädchen, das ihr auch
spHter sehr viel schlaflose Nächte verursacht, an ein halbes Jahr
gestillt und Anfang April 1860 aufs Neue coneipirt. Während
der Schwangerschaft litt Frau K. Anfang August an etwas Durch-
fall, seit Anfang October wiederholt an heftigen Zahnneuralgieen,
ein Mal unter Ueb ergang in Parolis und an einer Lymphangioms
des Vorderarmes. Am 7. December, zur Zeit einer hier heftig
grassirenden Masernepidemie, wurde die Schwangere von Fieber
(96 Puls), Conjunctivitis beider Augen mit Lichtscheu und Ge-
schwulst der Lider und Bronchialcatarrh befallen, ohne dass das
Exanthem zum Durchbruch kam; dazu kam bald Stuhlverstopfung,
welche Clysmen und Suppositor. sapon. trotzte und innere Mittel
nothig macTite. Am 18. December stieg das Fieber auf 120 Puls,
es trat Schlafsucht und am 20. December Delirien ein, aber ohne
Milztumor oder typhösen Stnhl. Am 21. December musste der Urin
wiederholt durch den Katheter entfernt werden, in der Nacht trat
Sprachlosigkeit, dann Sopor und am 22. December Morgens 8 Uhr
der Tod durch Lungenparalyse ein. Da in der Nacht noch Kindes-
hewegungen'und Herztöne bemerkt worden waren, Eröffnung des
Muttermundes aber noch nicht eingetreten war, verrichtete M.
fünf Minuten nach dem Tode unter Assistenz von B. den Kaiser-
schnitt. Das Kind, ein grosser Knabe, war aber bereits todt.
Aus der Uteruswunde erfolgte nicht der mindeste Blutaustritt,
54 H. Meissner, Mittheil an gen über die ThÄtigkeit
diente endlich auch die nachstehende, mir speciell denk-
würdige Leichen- Entbindung:
Casus 18. — Theatrum anatomicuoi der Universität
Leipzig, 10. März 1854. — Dr. E. A. Meissner. Aus dem
Armenhause zu Hohenslein war der Leichnam der sechsund-
zwanzigjährigen hochschwangeren Christiane, vereh). A., an
das hiesige anatomische Theater abgeliefert worden, wo dessen
Director, Professor Ritler Dr. E. H> Weber die Bauchdeckeu,
den grössten Tlieil der Unterleihseingeweide, sowie die vor-
dere Beckenwand entfernt und von den breiten Mutterbändern
aus die Gelasse des Uterus injicirt hatte. Die äusseren Ge-
schlechtsteile und die .Scheide waren unversehrt, der Mutter-
mund ziemlich vollständig geöffnet, der Kopf des Kindes aber
hoch im unteren Gebärmuttersegment vorliegend. Es galt
hier mit der äussersten Schonung des Gefasspräparates das
Kind aus seiner Bildungsstätte zu entwickeln, um dann auch
von den Gefassen des Nabelstranges aus die Verzweigung des
mütterlichen und kindlichen Gelasssystems in der Placenta,
durch verschieden gefärbte Injectionsmasse sichtbar unter-
schieden, deutlich zu veranschaulichen; was — beiläufig ge-
sagt — auch vollständig gelungen ist, indem das getrock-
nete Präparat durch einen in der Längenaxe der Gebärmutter
geführten Schnitt in zwei 'gleiche Hälften gespalten wurde. —
Da die Anlegung der Zange aus mehreren Gründen hier un-
tunlich erschien, so ging M. vorsichtig mit der Hand in
den Uterus ein, drehte das Kind, ein kleines, iodtfaules
Mädchen, herum, beseitigte das dadurch entstandene Reiten
desselben auf der Nabelschnur , extrabirte den Rumpf an den
Füssen, löste die Arme und entwickelte den Kopf durch den
Smellie'schen Handgriff.
Giebt es nach dem eben Gesagten gar viele und ge-
wichtige Aufforderungen, zur Vornahme der überdies durch
die Gesetze des Staates und die Grundsätze der gerichtlich-
medicinjschen Wissenschaft gebotenen Leicheneutbindungen,
so vermag ich doch andererseits auch nicht ein Bedenken zu
auch fehlte jede Contraotion der Muskulatur, selbst bei der
Lösung der Placenta wn den schlaffen Gebarmutterwänden. Da»
Fruchtwasser war grünlich entfärbt.
u. d. Verhandl. d. Gesellscbuft f. Geburtahtilfe au Leipzig etc. 55
unterdrücken, das eine solche unbedingte Vorschrift nicht
ganzlich probabel erscheinen lässt, wenn sie mit anderen Priu-
cipien der Staatsarzneikunde überhaupt im Einklänge stehen
soll. — Es ist Thatsache , dass die meisten zur Untersuchung
gelangten Fälle angeschuldigter oder wirklicher Kunstfehler
der Aerzte die geburtshilfliche Praxis betreffen und leider
ist nicht zu bezweifeln, dass nicht minder zahlreiche Vor-
kommnisse der Art gar nicht zur medicinisch - polizeilichen
Cognition gelangen.
Lag nun der Kuustfehler in einem uuzeiligen Operations-
versuche oder in der Unterlassung eines solchen, da wo er
angezeigt gewesen wäre, und verstarb die Mutter unentbuuden,
so verleiht die Verpflichtung zum Kaiserschnitte posl mortem
gravidae dem Arzte die Gelegenheit den Thal bestand voll-
ständig zu verändern, ein etwa vorhandenes Corpus delicti zu
entfernen, mit einem Worje, vielleicht gar den Vorwand zur
partiellen Vornahme einer Privatsection; dadurch aber würde
uotb wendig der künftigen Legalobduction die Sicberstellung
eines bestimmten Resultates uumöglich gemacht und die
Verordnung des königl. hohen Ministerii des Innern vom
9. September 1848 vollständig paralysirt werden. — So wenig
aber der1 Privatarzt gehindert werden kann, den durch Rauf-
bolds oder Mörderhaud Verwundeten, oder den durch Fahr-
lässigkeit schwer Verletzten sofort zu verbinden und die nöthige
weitere Behandlung einzuleiten, und so wenig die vordem
hier und da gehörten Zweifel gerechtfertigt waren, hinsichtlich
der Pflicht» eines Jeden, der es sieht, die Schlinge zu trennen,
an der ein anscheinend schon todter Selbstmörder sich erhing,
und so die Möglichkeil zu gewähren, ihn in das Leben zurück-
zurufen, ohne Rücksicht auf die erst später zu erfolgend«*
obrigkeitliche Feststellung des effectiveu Sachverhaltes; —
eben so wenig kann auch hier die lediglich im Interesse der
gerichtlichen Beweisaufnahme liegende möglichste Erhaltung
des objectiven Thalbestandes die augenblickliche Anstellung
einer lebensreltendeu Operation hindern, die mit jedem Momente
weiteren Aufschubes ihren Zweck um so sicherer verfehlen
muss, und gewiss nur mit vollem Rechte kann dem Dafür-
halten des Einzelnen nicht der mindeste Spielraum hinsichtlich
des etwaigen Bestimmungsrechtes in der Frage eingeräumt
56 N. M*U*ner, Mitteilungen über die Tbütigkeft
werden, ob wegen mangelnder Aussiebt auf Erfolg der Kai-
serschnitt nach dem Tode der Mutter in diesem oder jenem
Falle zu unterbleiben . habe. Da Oberdem bei den meisten
Ktinstfeblern der Aerzte hinsichtlich unentbunden verstorbener
Gebärenden ein Miss verkennen des vorliegenden Zustandes selbst
oft bis zuletzt noch vorliegt, werden sich wohl auch die
wenigsten Aerzte von dem oben angedeuteten Motiv dabei
leiten lassen, wie sich mit einem Falle aus einer Provinzial-
stadl darthun Hesse, von dem ich durch einen befreundeten
Collegen daselbst erzählen hörte, deshalb aber nicht selbst
vertreten kann, überdies aber auch: „Exempla sunt odiosa!"
Wenden wir uns jetzt zur Erörterung über die Zweck-
mässigkeit und den Erfolg der einzelnen Operations-
methoden, so verdient vor Allem a) der Kaiserschnitt
zuerst genannt zu werden, nicht nur weil er die älteste Art
der Leichen-Entbindungen ist, sondern auch am zahlreichsten
in Ausführung gelangt, und weil er. im Allgemeinen sowohl,
wie insbesondere in den Fällen, wo die Geburtsarbeit noch
nicht begonnen hatte, oder doch nicht besonders weit vor-
geschritten war, am schnellsten zum Ziele, d. i zur Aus-
schliessung der Frucht führt und deshalb auch günstigste
Prognose für die Gewinnung eines lebenden Kindes gewährt.
Es würde daher auch diese Methode für alle Fälle unbedingt
vorzuziehen sein, wenn nicht überall da, wo der Eintritt des
Todes nur im Mindesten noch zweifelhaft ist, die eben so
ernste wie gerechte Besorgniss entstände, möglicherweise die
nur sebeintodte Mutter nunmehr sicher dem •unfehlbaren
Tode mit Vornahme des Kaiserschnittes zu überliefern. In
neuerer Zeil glaubt man zwar durch sorgsame Auscultation
der Herztöne ein .Mittel gefunden zu haben, den Scheintod
vom wirklich eingetretenen Tode sicher zu unterscheiden, doch
scheint mir selbst dieses Untersuchungsmittel noch keine ge-
nügende Garantie für die Sicherheit der Diagnose in so ex-
quisiten Fällen zu sein, wie sie von d'Outrepont (neue Zeit-
schrift für Geburtskunde, Bd. XIII., S.344) Haerlin (Schmidts
Jahrbücher, Bd. 52) beobachtet wurden, wo in «tiefer Asphyxie
von ein- bis siebenstündiger Dauer Respiration, Puls und Herz-
schlag vollständig sistirten, der Körper eiskalt, der Sphincter
gelähmt, das Auge gebrochen und starr, die Hornhaut trülw
n. d. Verband!, d. Gesellschaft f. GeburUhülfe tu Leipzig etc. 57
und eingesunken, and vollständige Unempfindlichkeit selbst gegen
die stärksten Reize gefunden wurde, so dass sich einst selbst ein
d'Outrepont entfernte, um die Instrumente zum Kaiserschnitte
herbeizuschaffen; — und doch ein Wiedererwachen und die
Geburt lebender Rinder erfolgte! Demgemäss wird bei aller
Begründung der Vorschrift, nicht zu lange nach dem Tode
der Mutter mit der Operation zu zögern, um den Zweck der-
selben, das Kind zu retten, nicht sicher zu verfehlen; doch
nach Ohnmacht, Eclampsie, Epilepsie, hysterischen Krämpfen,
und Schlagfluss, die grössle Vorsiebt obwalten müssen, auch
in allen solchen Fällen der Apparat sämmtlicher Belebungs-
versuche hinsichtlich der Mutter zuvörderst anzuwenden sein,
oind nur nach absolut tödtlichen Verletzungen davon abgesehen
werden können. Grosse Besorgnisse in dieser Hinsiebt er-
wecken einige Beobachtungen an Choleraleichen, welche während
der Leichenoperation nicht unbedeutende Bewegungen in den
oberen Extremitäten zeigten, obschon die sorgfaltigsten Unter-
suchungen den Eintritt des Todes als ausser allen Zweifel
erfolgt, dargestellt hatten. So berichtete Kreiswondarzt
Dr. Aberle in Roveredo (Oesterr. Zeitschrift für praktische Heil-
kunde, herausgegeben vom Doctoren-Collegium der medicinischen
Facultät in Wien, dritter Jahrgang, Nr. 26, vom 26. Mai 1857,
p. 460) von einem, in Gemeinschaft mit Dr. Parisi, eine
halbe- Stunde nach dem Ableben einer im achten Schwanger-
schaftsmonate verstorbenen Cholerakranken verrichteten Kaiser-
schnitte, während dessen bei einer Zerrung des Uterus,
wegen des etwas zu klein ausgefallenem Gebärmutterschnittes :
sich der rechte Vorderarm der Leiche in langsamer automa-
tisch zitternder Bewegung erhob und vollkommen beugte. Mit
Leichtigkeit konnte zwar der gebeugte Vorderarm wieder in
seine Lage zurückgebracht werden, aber alle weiter angestell-
ten Belebungsversuche blieben erfolglos und die sorgfältigste
Beobachtung der Leiche bis zum Eintritte alier untrüglichen
Zeichen des Todes ging natürlich der Beerdigung voraus. —
Aehnlicbes, wenn aifch in weniger eclatanter Weise, beobachtete
unser College Ploss.
Casus 19. — Leipzig, 10. August 1860. — Dr. Ploss.
In einem Hause' der Ulrichsgasse, in dem an den vorher-
gegangenen Tagen sieben Bewohner an Cholera verstorben waren,
£>8 li; Meifsner, Mitt he Hangen über die Tb&tigkeit
erkrankte am 9. August die Wittwe des zwei Tage zuvor
gleichfalls an derselben verschiedenen Cigarrenarbeiters W.
Patientin schrie unaufhörlich, indem, sie fürchterliche
Schmerzen im Leibe und Krämpfe in den Extremitäten hatte,
dabei zeigte sich Cyanose, sehr häufiges Erbrechen, Durchfall,
Heiserkeit, dann Collapsus, höchste Kälte der Haut, aus-
gesprochenes Stehenbleiben der Hautfaite. Die Angaben der
Patientin und die Untersuchung ergaben die Mille des achten
Schwangerschaftsmonates, den Kopf des Kindes vorliegend,
keine Wehen. Nachts trat Athemnoünind Morgens l/^4 Uhr
der Tod ein. Während der Krankheit war das Leben des
Kindes durch genaue Untersuchung nicht zu erforschen, die
unmittelbar vor der Morgens V28 Uhr angestellten Operation
angestellte Auscultation, hatte negative Resultate. Der Kaiser-
schnitt wurde nur im Beisein eines unbekannten Mannes in
der Linea alba gemacht, die Placenta sass gerade auf der
Schnittfläche, daher sich reichlich Blut aus der Uterusmunde
ergoss. Die Placenta wurde losgeschält, die Eihäute gesprengt,
und das Kind, ein achtmonatlicher todter Knabe, dessen Ober-
haut sieb an Fuss und Knie exfoliirte, und ausserdem schon
viele Todtenflecken zeigte, sowie die Eihullen herausgenommen;
auch, nachdem das bei der so unvollkommenen Assistenz
in die Bauchhöhle ausgeflossene Blut und Fruchtwasser mög-
lichst wieder entfernt worden war, die Bauchwunde durch
Nähte geschlossen. Während der Operation bemerkte P.
einige automatische Bewegungen mit den Fingern.
Rechnet man zu den Gefahren einer so anhakenden tiefen
Asphyxie, die durch den Kaiserschnitt fast immer herbei-
geführte sehr starke Blutung aus dem Uterus, welche sich
nicht wie bei der lebenskräftigen Gebärenden durch gesteigerte
Wehenthätigkeit und entschiedene anhaltende Contractionskraft
selbst beschränkt, sowie die Schädlichkeit des nicht immer
gänzlich zu verhindernden Luft-, Fruchtwasser- und Blüt-
zutrittes zum Peritonaeum, so rechfertigt sich von selbst die
gesetzliche Vorschrift, den Kaiserschnitt post iportem stets
x mit denselben Cautelen und mit nachfolgendem gleichem Ver-
bände vorzunehmen wie bei einer Lebenden, und die moralische
Forderung : das Urtheil eines unbefangenen Collegen ober den
Eintritt des Todes und dessen Assistenz bei Vornahme der
n. d. Verband], d. Gesellschaft U Geburtebülfe au Leipzig etc. ö\)
Operation selbst zu erbitten, der gleichzeitig mit den übrigen
Vorbereitungen dazu, wo nur immer möglich, sehon bei An-
näherung des Todes zu requirüren ist, damit kein unnöthiger
Zeitverlust entstehe. Auf entlegenen Ortschaften wird uns
freilich meist nur der fromme Wunsch verbleiben, wollen wir
nicht alle Aussicht auf Erfolg als Preis für den Beistand eines
entfernten Gollegen aussetzen. Sind, wie in dem nachfolgenden
Falle schon mehrere Stunden seit Eintritt des Todes verflossen,
oder • mit der Fäulniss das untrüglichste Todesanzeiclieu
schon vor Augen, so erledigt sich mit der Indication dazu
auch die geforderte Anwendung der Cautelen des Kaiser-
schnittes.
Casus 20. — Leipzig, 10. August 1842. — Dr. Fr.
Ldw. Meissner. — Die Ehefrau des Schuhmachers T. war
in Folge Verblutung schon seit vier Stunden verschieden,
ohne dass die Untersuchung schon Vorbereitungen zur Geburt
erkennen liess, weshalb das Kind, ein ebenfalls bereits ver-
storbenes, ziemlich ausgetragenes Mädchen, durch den Kaiser-
schnitt dem mütterlichen Schoosse* entnommen werden musste.
Sehr wenig Contraclilität der Uterin -Muskulatur folgte dem-,
selben.
Während der Kaiserschnitt sich an jeder Leiche aus-
führen lässt, oft sogar die einzig mögliche Methode der
Leichenentbindung ist, bleibt b) die Zange nur in einer sehr
beschränkten Zahl von Fällen anwendbar, denn die Geburt naihs
begonnen haben, der Muttermund wenigstens ziemlich voll-
ständig schon erweitert sein, und der Kopf eine sogenannte
zangengerechte Stellung im kleinen Becken bereits eingenom-
men haben, auch von Seiten des Beckens und der weichen
Geburtswege ein Hinderniss für die Ausziehung nicht zu er-
warten stehen. Aeusserst selten nur kann dafür die Zer*-
reissung der Gebärmutter im unteren Abschnitte wie in dem
hier beigefügten Falle dazu die Möglichkeit darbieten.
Casus 21. —, Connewitz bei Leipzig, 8. Mai 1838. —
Dr. Ft. Ldw. Meissner aus Leipzig. — Die Ehefrau des
Häuslers <?., welche sich am Ende ihrer Schwangerschaft
befand und den halben Tag Kartoffeln gelegt, auch dabei
begreiflicher Weise den sehr ausgedehnten Unterleib stark
zusammengedrückt hatte, war auf dem Felde plötzlich um«
(30 U. Meissner, Mitt Heilungen über die Th&tigkeit
gesunken, halte über heftige Schmerzen im Leibe geklagt und
war unter den Zeichen innerer Verblutung in Gegenwart des
schleunigst zu Hülfe gerufenen Wundarzt Schnappauf aus
dem nahe gelegenen Dorfe Dölitz, der aber nicht Geburts-
helfer war, gestorben. Als M. auf des Letzteren Antrieb hiii-
zugerufen, ankam, fand er bei der äusseren Untersuchung die
unteren Extremitäten des Kindes unmittelbar unter den Bauch-
decken, innerlich den Kopf mit seiner grösseren Peripherie
in den Eingang des kleinen Beckens hereingelreten. - Nach
Entwicklung desselben mit der Zange gelangte die am Nabel-
strange emporgeführte Hand durch einen, die ganze linke
Gebärmutterseite einnehmenden^ Biss in die Bauchhöhle, wo
zwischen den Därmen die vollständig abgelöste Nachgeburt mit
ungeheuren Blutmassen lag. — Die völlig erschlaffte Gebär-
mutter hatte sich nur wenig und wahrscheinlich schon im
Augenblicke, der Zerreissung verkleinert.
Die längere Dauer der Zangenoperation wird allerdings
die Hoffnung auf Erlangung eines lebenden Kindes um so
mehr schwächen, als die unterstützenden Kräfte der Wehen
.und der Bauchpresse dabei gänzlich fehlen, indessen immer
noch nicht in so hohem Grade, wie c) bei Wendung und
Extraction der Frucht an den Füssen, Operationen,
die ja ohnehin auch bei lebender Mutter bei Weitem un-
günstigere Erfolge bieten. Eine, wenn auch nur geringe
Oeffnung des Muttermundes oder kleine Buptur des unteren
Gebärmuttersegmentes, wird zwar die Vornahme der Operation
auf natürlichem Wege schon gestatten, und daher auch bei
hohem, noch nicht zangengerecbten Kopfstände, die schleunige
Entbindung zulassen, darum sich aber vor Allem da schon
empfehlen, wo die Zweifel über den wirklich eingetretenen Tod
der Mutter noch nicht vollständig gehoben sind, oder die nöthigen
Assistenten, Instrumente und Verbandstücke zur Vornahme des
Kaiserschnittes nicht sofort zu beschaffen sind. Bei noch
stehendem Fruchtwasser ist die Operation meist mit grösster
Leichtigkeit auszuführen, später aber durch die allzu grosse
Schlaffheit der sich an den Fötus anlegenden und ihm an-
klebenden, mit diesem sieb herum-, sowie in das Becken herab-
ziehenden Gebärtnutterwände, die Anstellung der Wendung und
Extraction oft wesentlich erschwert. Das Ankleben der nach
ii. d.Verhandl. d. Gesellschaft f. Geburtsbülfe zu Leipzig etc. ßl
längerem Wasserabgange trocken gewordenen Extremitäten an
die Uteruswandungen, erfordert eine grössere Vorsiebt bei der
Extraction, indem schon beim Austritt des Unterleibes zur
Vermeidung allziigrosser Entfernung des Kinnes von der
Brust und dadurch erfolgender Einkeilung des Kopfes neben
beiden Armen, die zeitige Lösung der letzteren schon vorzu-
bereiten, auch die Regulirung der Kopfstellung und die Ent-
wicklung des Kopfes vorzusehen sein wird. Bei vollständiger
Oeffnung des Muttermundes, wie im folgenden Falle, ist die
Operation meist mit keinerlei Schwierigkeiten verbunden.
Casus 22. — Klein -Liebenau (seitwärts jder Merse-
burger Strasse), 8. April 1826. — Dr. .Fr. Ldw. Meissner seil,
aus Leipzig. — Die Schmiedemeisterin war durch Verblutung
schon bald nach Absendung des Botens nach dem an drei
Wegstunden entfernten Leipzig, gestorben; M. fand die
vorliegende Placenta in der Vagina getrennt vor, und den
Muttermund soweit eröffnet, dass sofort durch Wendung und
Extraction ein todter Knabe zu Tage gefördert werden konnte.
Verkleinerung des Uterus nur in sehr geringem. Grade be-
merkbar.
Endlich haben wiederholte Beobachtungen,, zum Theil selbst
in gerichtlich constatirten Fällen, die früher mehrfach und
noch neuerdings selbst von Hohl in Abrede gestellte Mög-
lichkeit spontaner Ausstossung der Frucht aus der
Leiche unwiderleglich dargetban. *) Zur Erklärung dieser Er-
scheinung wurden früher die verschiedensten Hypothesen auf-
gestellt; — die meisten und gewichtigsten Stimmen der Neuzeit
neigen sich der Ansicht zu, dass die mit dem Verschwinden
der Lebenswärme auftretende Coagulation des Eiweisses in
den Muskeln, also die sogenannte Todtenstarre, den Inhalt
des Uterus ebenso auszustossen vermöge, wie sie auch das
scheinbare Wachsen des Barthaares durch Hervortreiben der
Haarzwiebeln in der Haut, zur Folge hat. Ansammlung von
1) Nach Friedreich*B BliUtera für gerichtliche Anthropologie,
12. Jahrg., 5. Heft, fand eine derartige Ausstosiung des Kindes
noch statt, wo nach 40 stündiger GebnrtBdauer bei eingekeilter
Schulterlage, da die Wendung nicht möglich war, der Tod
erfolgte.
ß2 1H- Breslau, Kaiser schnitt nach dem Tode.
Gasen im Darmkanale, mannichfache Erschütterungen bam
Transport der Leichen u. dgl., mögen allerdings hie und da
unterstützend mitwirken, schwerlich aber allein diese Er-
scheinung bedingen. — Noch aber sind die Acten über diese
Angelegenheit keineswegs als geschlossen zu betrachten, hoffen
wir von der Zukunft noch weitere sorgsame Beobachtungen
und Aufschlösse!
(Scblusi des vierten und letzten Artikels im nächsten Hefte.)
HI.
Kaiserschnitt nach dem Tode. Lebendes Kind.
»
Von
Prof. Dr. Breslau in Zürich.
- Am 2. October 186Q Abends erhielt ich von Herrn
Dr. Held in Ulnau, Ganton Zürich, einen Brief folgenden
fcihalts: „Ich habe hier seit einigen Wochen eina Frau in
Behandlung, die etwa in der 33. Woche schwanger ist. Nach
einer anfangs ziemlich gut verlautenden Pneumonie blieb bei
ihrer sonst sehr schlaffen, torpiden Constitution eine solche
Schwäche in den Respirationsorganen zurück, und die Enge
und Athemnoth stieg so sehr, dass jetzt eine allgemeine
(Schwäche dem Leben der Schwängern und des Kindes Gefahr
droht Ich dachte schon daran, um wenigstens den gefahr-
lichen Zustand der Mutter zu bessern, die Frühgeburt ein-
zuleiten. Bevor ich aber diesen Schritt unternehmen wollte,
wünschte ich Ihre Ansicht darüber einzuholen und bitte Sie
deshalb, wenn es Ihnen irgend möglich ist, morgen hierher
zu kommen/'
Dieser Einladung folgend fand ich mich am 3. October
Vormittags nach 9 Uhr bei der 39jährigen, zum dritten Male
schwangeren Bauersfrau V. in Illnau ein. Ich traf sie im
Bette sitzend, etwas vorgeneigt, mühsam, oberflächlich und
beschleunigt athmend, auf beide Arme sich stutzend. Die
Lebendes Kind. 63
Gesichtszuge waren entstellt, verriethen grosse Angst und
Beklemmung, die Lippen waren cyanotisoh, die Sprache
unterbrochen, die Extremitäten kahl, der Puls äusserst schwach,
ungefähr 120 in der Minute. An beiden unteren Extremitäten,
an den Genitalien, an den Bauchdecken ausgebreitetes Oedem,
starker Hängebauch, schwappend, undeutliche Fluctuation in der
Tiefe, Grund des schlaffen Uterus drei Finger aber dem Nabel.
Fötalherztöne nicht zu hören, aber Kindesbewegungen deutlich
zu fühlen. Vaginalportion etwa V/ lang, äusserer Muttermund
zerklüftet, aufgelockert, für einen Finger leicht durchgängig,
innerer Muttermund etwas geöffnet, durch denselben der
ballotirende Kopf zu fühlen. Physikalische Untersuchung der
Brust ergab keine ausgesprochene Dämpfung rückwärts, aber
rechts hinten, dem unteren rechten Lungenlappen entsprechend,
ausgedehntes feines Knistern. Vorn in der hegend der
Bifurcation. der Trachea grossblasige Rasselgeräusche, sehr
grosse Herzdämpfung, Herzstoss flatternd, schwach, rechts
von der linken Brustwarze, schwache Herztöne ohne Geräusche.
Aus diesem Befunde konnte mit Wahrscheinlichkeit die
Diagnose auf Hydropericardium und recrudescirende oder in
Auflösung begriffene rechtsseitige Pneumonie, Anasarca und
massigen Ascites gestellt werden. Entsprechend der Rechnung
~ der Schwangern konnte die Schwangerschaft etwa die 33. Woche
erreicht haben. Das Kind lebte. Noch am Abend zuvor
waren von Dr. Held die Herztöne desselben deutlich gehört
worden, die Mutler fühlte die Kindesbewegungen; ich selbst
konnte diese unzweifelhaft Consta tiren.
Eine Reihe von Mitteln von Dr. Held angewendet, den
qualvollen Zustand der in hohem Grade orthoptischen Kranken
zu erleichtern, waren erfolglos geblieben. Wir beschlossen:
sofort die künstliche Frühgeburt einzuleiten, in der Hoffnung,
dass es uns gelingen werde, durch Entleerung des Uterus
die Circulation freier zu machen, der Kranken wenigstens
momentan die so sehr ersehnte Erleichterung zu verschaffen.
Der hohe Eibautstich und darauffolgendes Liegenlassen eines
elastischen Katheters sollten die Geburt möglichst rasch in
Gang und zu Ende bringen. Alsbald wurde zur Ausfuhrung
geschritten. Ich schob einen* mit einem metallenen Führungs-
Stäbchen versehenen elastischen Katheter bis etwa 3" oder 4"
64 HI. Üreslau, K«i»«r8ohnitt nach dem Tode.
über den inneren Muttermund in die Uterushöhle und durch-
stach hier die sich entgegendrängenden Eihäute, worauf eine
ziemliche Menge grünlich - rotten Fruchtwassers' abßoss. Nur
wenige Minuten hatte dieses Manoeuvre gedauert, denn «hei
der grossen Laxität der Scheide und dem Offenstehen des
äusseren und inneren Muttermundes stiess ich mit dem
Katheter auf keine Schwierigkeiten, sondern konnte ihn schnell
in die Höhe schieben. Um bei dem stark geneigten Becken
den Genitalien besser beizukommen, hatte ich der Schwangern
ein Kissen unter die Kreuzgegend bringen, und den Ober-
körper zurückneigen lassen. So hatte sie ihre sitzende
Stellung verlassen und befand sich in einer fast horizontalen
mit erhöhtem Kreuze. Bis zum Abflüsse des Fruchtwassers
waren wir, wie schon erwähnt, gekommen,* als plötzlich der
den Kopf unterstützende Ehemann der Schwangern ausrief:
„Ich glaube, es ist vorbei mit meiner Frau, sie bewegt sich
nicht mehr, sie ist todt." So verhielt es sich auch in der
Thal. Nur wenige rasselnde Athemzüge noch nach schnellem
Aufheben, Bespritzen mit Wasser, Reiben der Haut und das
Leben war vollständig erloschen. 'Die Kranke starb unter
unseren Händen, vor unseren Augen. Wir konnten das ent-
flohene Leben nicht mehr zurückrufen. Was wir auch in
den nächsteu 12 — 15 Minuten diäten, eine tiefe Ohnmacht-
oder Scheintod zu beseitigen, blieb ohne jeglichen Erfolg.
Mit Reiben, Bürsten, Anspritzen und Waschen mit Wasser
und Essig, künstlichen Athembewegungen, Kitzein des Schlundes
und der Nase, mit diesen und anderen Wiederbelebungs-
versuchen aufzuhören, war die Zeit gekommen. Der Tod
der Mutler war gewiss.
Noch überzeugte ich mich durch ein sorgfaltiges AuscuJiiren,
dass auch nicht die leiseste Spur von Herztönen mehr
wahrgenommen werden konnte. Das Leben des Kindes vielleicht
noch zu retten, war nun unsere einzige Aufgabe. Ich ver-
suchte das Accouchement force zu machen, allein sehr bald
gewann ich die Einsiebt, dass es unmöglich sei, ohne grosse
Zerreissung und ohne grossen Zeitverlust, mich mit der Hand
durch den unvorbereiteten und nach Abfluss von Fruchtwasser
wieder mehr contrahirten CerVlcalcanal hindurchzuarbeiten
und stand schon nach dem ersten Versuche, die Entbindung
Lebendes Kind. 65
auf natürlichem Wege zu vollenden, ab. Nun ging e» mit
möglichster Beschleunigung an den Kaiserschnitt. Ich selbst
hatte keine chirurgischen Instrumente hei mir. In dem Bestecke
meines verehrten Collegen, Herrn Dr. Held, der sieh beim
Durchlesen dieser Zeilen gewiss recht lebhaft an unsere etwas
peinliche Situation erinnern wird, fand sich glücklicher Weise
ein altes Bistouri Dem bestürzten, wenn auch gerade nicht
trostlosen Wittwer und einigen anderen wehklagenden und
still raisonnirenden Weibern aus der Verwandtschaft und
Nachbarschaft mussten wir in der Eile noch begreiflich machen,
dass der Kaiserschnitt an einer Todten von dem Gesetze
vorgeschrieben sei, l) und erst nach einigem Hin- und Her-
1) Die im Canton Zürich bestehende Verordnung1 betreffend
das Verfahren der Aerzte nach dem Tode schwangerer Frauens-
personen vom Jahre 1842 lautet: v
§ 1. Von allen während der Schwangerschaft verstorbenen
Frauenspersonen soll, in der Regel mittels des Kaiserschnittes,
das Kind genommen werden, wenn nicht die Lebensunfähigkeit
oder der Tod desselben unzweifelhaft erwieseu ist.
§ 2. Zur Vornahme des Kaiserschnitts ist jeder nach dem
Tode der Schwangern zuerst gegenwärtige Arzt verpflichtet. Bei
Krankheiten Schwangerer, welche einen unglücklichen Ausgang
befürchten lassen, hat der behandelnde Arzt zu veranlassen, dass
er wo möglich von dem bevorstehenden, sieber von dem ein-
getretenen Tode schleimige Nachricht erhalte.
§ 3, Der Kaiserschnitt soll so frühzeitig gemacht werden,
als es die Bücksicht auf möglichen Scheintod der Mutter nur
immer erlaubt Der passende Zeitpunkt zur Vornahme desselben
mu88 zwar im Allgemeinen der umsichtigen Beurtheilung des
Arztes überlassen bleiben; doch sind folgende Normen zu berück-
sichtigen: Bei Schwangern, deren Todesart keinen* Verdacht des
Scheintodes sulässt, muss der Kaiserschnitt sogleich nach er-
loschenem Leben, bei solchen, wo die Wahrscheinlichkeit des
Scheintodes vorhanden ist, so bald gemacht werden, als der
Arzt sich von der Fruchtlosigkeit der Wiederbelebungsversuche
Überzeugt hat.
§ 4. Der Kaiserschnitt an Verstorbenen soll nach ähnlichen
Grundsätzen, wie an Lebenden gemacht, ein passender Verband
angelegt und für gehörige Bewachung der Leiche gesorgt werden.
§ 6. Wiederbelebungsversuche an dem durch den Kaiser-
schnitt geborenen Kinde können nur dann unterbleiben, wenn
sein Tod, z. B. durch die Art erlittener Verletzungen und durch
Monatssehr. f Gebnrt«* 1862. Bd. XX., Hfl. 1. &
Qß III. Breslau, KaiHeritchnitt nach dem Tode.
reden konnte ich das Bistouri ansetzen, um den Schnitt
durch <fie Lirfea alba zu fuhren. Aus dem eröffneten Bauchfell-
sacke floss gelblich flockiges Serum in reichlicher Menge aus.
Mit Muhe wurden von Dr. Held die sich vordrängenden
Darmschlingen zurückgehalten, während ich den blaurothen
Uterus schnell in einer Ausdehnung von ö — 6" durchschnitt.
Dunkles Blut quoll aus den stark erweiterten Gelassen, die
Uterushöhle enthielt nur noch wenig Fruchtwasser, umschloss
das mit der linken Seite des Steisses sich präsentirende Kind
ziemlich enge. Von dem letzten Athemzuge der Frau V. bis
zur Extraction des Rindes durch die Bauchwunde waren
unzweifelhaft wenigstens 15 Minuten vergangen. Die Uhr
hatte ich freilich nicht in der Hand, aber sicher bin ich,
dass weniger Zeit nicht verflossen war. Das Kind wurde im
höchsten Grade des Scheintodes entwickelt. Die Nabelschnur
pulsirte niclft mehr, die Glieder hingen schlaff und leblos
herunter u aber die Pulsation des Herzens war gegen die
Magengrube hin zu fühlen und bald , nach schleuniger Unter-
hindung und Durchschneidung der Nabelschnur, machte das
Kind die erste krampfhafte rasselnde Respiration. Der erste
Athemzug schien auch der letzte zu sein, denn es dauerte
lange bis dem ersten ein zweiter und diesem ein dritter folgte.
Das Kind hatte offenbar vorzeitige Athembewegungen gemacht,
denn Mund, Rachen und Nase waren voll zähen, mütterlichen
Schleimes der sich dem Eindringen der Luft hartnäckig wider-
setzte. Ihn zu entfernen gelang mir erst dann, als ich meinen
Mund auf den des Neugeborenen setzte und die in ihm enthaltene
zähe Flüssigkeit aspirirte. Dieses Geschäft war wohl etwas
Ekel erregend, aber es half. Nun hatte die Luft freien Zu-
tritt und es musste jetzt darauf hingewirkt werden, durch
kräftige Reizung der Hautnerven die Athembewegungen zu
unterhalten und den dem Erlöschen nahen Funken des Lebens
anzufachen. An Ausdauer und Energie Hessen wir es nicht
fehlen. Wir waren eine ganze Stunde lang ununterbrochen
mit« .Wiederbelebungsversuchen der mannichfaltigsten Art, die
Fttnlniss augenfällig ist. Die Beispiele von mehrstündigem
Scheintode der Kinder werden die Aerzte »u gewissenhaften,
lange fortgesetzten Bemühungen ermuntern.
Lebendes Kind. 67
aufzufahren kaum vom Interesse sein dürfte, beschäftigt, und
sahen unsere Bemühungen endlich vom besten Erfolge gekrönt.
Das Kind athmete schliesslich regelmässig, schrie laut, bewegte
sich lebhaft, seine Augen öffneten sich, seine Haut nahm die
gewöhnliche lebhaft rothe Farbe der Neugeborenen an. Leider
sollte das mit so -vieler Mühe und Sorge errungene Leben
des unreifen, schlecht ernährten, etwa 4 Pfund schweren, an
der Grenze der Lebensfähigkeit stehenden Kindes nicht von
langer Dauer sein. Es starb noch am gleichen Abend, all-
mälig collabirend, 6 — 7 Stunden, nachdem es aus dem Leibe
seiner todten Mutter genommen worden war.' Die Bauch-
wunde der Todten wurde von uns lege artis vereinigt. Section
wurde von den Angehörigen nicht gestattet
An die Geschichte dieses in mancher Hinsicht so lehr-
reichen Falles erlaube ich mir folgende Bemerkungen zu
knüpfen:
1) Es mag zweifelhaft bleiben ob bei der weit vor-
gerückten Erkrankung der Schwangern die Einleitung der künst-
lichen Frühgeburt vollständig indicirt war und zu rechtfertigen
ist Man hätte sie umgehen, und, ohne sich wegen eines
ganz exspectativen Verfahrens Vorwürfe zu machen, den nahe
bevorstehenden Tod ruhig abwarten können.
2) Die unerwartet schnell eingetretene Katastrophe ist
nicht durch das an und für sich für das Leben bedeutungslose
Einführen eines elastischen Katheters und Anstechen der Ei-
häute herbeigeführt worden, sondent ist wahrscheinlich der
veränderten Lage der Schwangern, dem Zurückbeugen ihres
Oberkörpers bei ängstlicher Aufregung zuzuschreiben. War
ein Hydropericardium vorhanden, woran nach der physica-
lischen Untersuchung und nach den Krankheits- Symptomen
kaum zu zweifeln ist, so konnte der durch die Lageveränderung
vermehrte Druck der Herzbeutelflüssigkeit auf die Basis des
schon sehr geschwächten Herzens, plötzlich eine Herzlähmung
zur Folge haben. Bekannt ist übrigens, dass Herzkranke
der verschiedensten Art nicht selten urplötzlich bei irgend
welchen Bewegungen sterben, ohne dass selbst die genaueste
Untersuchung an der Leiche die Ursache des so schnell ein-
6g III. Breslau, KaUerftchnitt nach dem Tode etc.
getretenen Todes nachzuweisen vermöchte. Möglich, das«
bei unserer Kranken auch eine Klappenreränderung vorhanden
war, dass eine Erobolie der Lungenarterie oder gar eine
Ruptur des Herzens entstand.
3) Der Kaiserschnitt wurde an einer wirklich Todten
und nicht an einer Scheintodten ausgeführt Diese Annahme
ist keine willkürliche, sondern gründet sich auf die genaueste
Betrachtung und Untersuchung der Todten, welche das Auf-
hören jeglicher Lebensthätigkeit, insbesondere auch der Herz*
action, nachwies und auf die Fruchtlosigkeit der Y* Stunde
hindurch anlraltend angewendeten Wiederbelungsversuche.
4) Obwohl das Kind wenigstens l/4 Stunde in dem
Uterus einer todten Nutter gelegen und sein Blut schon froher
durch das mangelhaft oxydirte Blut seiner Mutter nur un-
zureichend regenerirt worden sein mochte, so war sein Leben
bei der Herausnahme aus der Leiche doch noch nicht
vollständig erloschen und unseren fortgesesetzten Bemühungen
gelang es, das Kind zur vollständigen äusseren Lebensthätigkeit
zu bringen.
5) Das Kind hätte unzweifelhaft sein Leben fortsetzen
können, wenn es reif oder der Reife nahe gewesen, wenn
die Schwangerschaft der Mutter statt bis zur 32. oder 33. bis
zur 36. oder 40. Woche vorgerückt gewesen wäre.
6) Es beweist dieser Fall, dass die jüngst in der
Monatsschrift für Geburtsk. etc., Bd. XY1IL, Supplementheft,
vom Herrn Medicinalrath Dr. Schwarz in Fulda aufgestellte,
auf eine Statistik von 107 Fällen von Kaiserschnitt an todten
Schwangern sich gründende Behauptung: „Der Kaiserschnitt
an Todten sei unnöthig, weil nutzlos, und es sei nie ein
lebendes Kind zur Welt gebracht, wo der wirkliche Tod der
Mutter ausser allem Zweifel war" in ihrer Allgemeinheit -un-
richtig und für das geburtshülfliche Handeln oder Unterlassen
nicht verwerthbar ist Mag auch in hundert und hundert von
Fällen die Rettung des kindlichen Lebens nicht gelingen, und
ereignet es sich vielleicht nur jedes Jahrzehnt ein Mal, dass
ein Kind lebend aus dem Leibe seiner todten Mutter ge-
schnitten wird, so ist ein solcher vereinzelt dastehender
glücklicher Fall gegenüber der übergrossen Mehrzahl von un-
glücklichen Fällen doch beweiskräftig genug, um immer und
IV. Nötigen aas der Journal -Literatur. $y
immer wieder darauf hinzusteuern, das» eine Leiche
nicht zum Grabe für ein lebendes und zum Leben
berechtigtes Individuum werde.
Zürich, im Mai 1862.
IV.
Notizen aus der Journal-Literatur.
Stadfeldt: Beitrag iar Aetiologie der Hydronephrose.
Die Hydronephrose ist im Allgemeinen unschädlich, so lange
sie auf eine Niere, wie gewöhnlich, beschränkt bleibt. Als
Ursache derselben werden besonders Geschwülste angesehen,
welche einen Druck auf die Haruwege ausüben, z.B. Carcinoma
uteri, welches sich auf die Blase fortsetzt, Uterusfibroide, Ovarial-
kystom ferner Verengerung des Lumens der Ureteren durch
entzündliche Processe, Nierensteine oder Krebsbildung in den-
selben; endlich angeborener Verschluss der Harnwege.
Erster Fall. Ovarialtumor bei einem 22jährigen Mädchen,
welche wiederholten Anfällen von Peritonitis erlag. Der Tumor
hatte die Grösse eines Kopfes von einem 7 — 8 monatlichen Fötus
und lag, durch Adhäsionen fixirt, im kleinen Becken. Ziemlich
hochgradiger Hydrops der rechten Niere. Die linke war ver-
grössert. — Nicht immer lässt sich ein mechanisches Hinderniss
der Urinezcretion nachweisen, worauf schon Schönlein aufmerksam
machte (Vorlesungen, III., 294.) ^
Zweiter Fall. Erstgebärende. Normale Geburt. Am sehnten
Tage Fieber, Anschwellung und Schmers im Verlaufe der rechten
Vena cruralis und poplitea. Tod in der sechsten Woche. Uterus
and Peritonäum gesund. Keine Geschwulst im Becken. Die
Drüsen der Lumbargegend bis Wallnussgrösse angeschwollen.
Die rechte Niere 6" lang und 2 — 3" dick und breit. Nierenbecken
erheblich erweitert. Die Nierensubstanz bildet um dasselbe nur
noch eine dünne Schaale. Rechter Ureter dicht an der Blase
und am Beckeneingange äusserst verdünnt, aber noch permeabel;
oberhalb des Beckens erweitert. Keine Harnsteine oder Harn-
gries. Linke Niere und Ureter normal. Die ganze rechte Vena
cruralis mit Thromben und puriformen Massen gefüllt. — Hiel-
tst die Ursache dunkel. Die vergrösserten Lumbardrüsen lagen
weit oberhalb der verengten Stelle. Die Blase und die Wandung
70 IV. Notizen aus der Journal- Literatur.
des Ureter waren normal. Oppolzer (Spitalzeitnng, No. 17, 1860)
glaubt sich an der Annahme berechtigt, das« bei Pyelitis nnd
Catarrh der Ureteren Atrophie der Wandungen letzterer und
dadurch Erweiterung entstünde. Diese Annahme passt nicht für
den Torliegenden Fall.
Dritter Fall. Erstgebärende von 23 Jahren. Scheitelbeinlage.
Zange. Uterus vor und nach der Geburt nach rechts geneigt.
Peritonitis am vierten Tage post partum. Injection und Ver-
klebung der Darmschlingen. Kein flüssiges Exsudat. Endo-
metritis dipbtheritica. Bedeutende eiterige Infiltration des Becken-
zellgewebes linkerseits, ausgehend von einer perforirten Ulceration
der Vagina, in der Mitte ihrer Länge. Rechte Niere gross,
blutreich. Nierenbecken doppelt so gross als das linke. An der
Uebergangsstelle zum Ureter bandförmige Verengerung, B/4" lang:
sich erstreckend. Darunter ist der Ureter bedeutend erweitert.
Zwischen Uterus und Beckeneingang von Neuem verengt; unter-
halb dieser Stelle neue massige Erweiterung und zur Seite des
Uterus massige Verengerung in dem infiltrirten Bindegewebe.
Auch der linke Ureter war oberhalb der linken Arter. iliac. comm.
eine Strecke weit etwas erweitert. Linke Niere normal. — Die
Oompression der Ureteren in dem zur Seite des Uterus gelegenen,
infiltrirten Gewebe ist also bemerkenswerth. Dass zur Ent-
stehung einer Hydronephrose bisweilen nur einige Monate ge-
hören, hat man wiederholt bei Retrofiexio uteri gravidi erfahren.
Der Ureter scheint ferner am Becken eingange, zwischen' A. iliaca
und Uterus', zumal wenn letzterer seitwärts geneigt ist, einem
erheblichen Drucke ausgesetzt werden zu können.
Dies zeigt der vierte Fall deutlich: 3* jährige Multipara.
Langwierige, spontane Geburt. Langer Stand des Kopfes in der
oberen Apertur. Druckstelle vom Promontorium auf dem einen
Scheitelbeine des kindlichen Kopfes. Am neunten Tage Frost-
anfall. Bald erheblicher Collapsus. Tod am 17. Tage. Section:
Zerfallende graiirotfae Coagula in beiden Aesten der A. pulmonal!*
mit Fortsetzung wurmförmiger Coagula in die kleineren Aeste;
ein Embolus nirgends zu finden. Die Venen um den Uterus ent-
hielten flüssiges Blut. Ruptur der hinteren Muttermundslippe,
1" lang; die Rissstelle war an der vorderen Wand des Rectum
adhärent. Der Uterus nach dem rechten, hinteren Theil des
Beckens gedrängt. Lig. latum, Tuba und Ovarium der rechten
Seite bilden eine wurstförmige Geschwulst, welche sich bis in
die rechte Nierengegend erstreckt. Rechte Vena spermatica
verdickt, in der unteren Hälfte zerfallene Thrombusmassen. Der
rechte Ureter von der A. iliaca comm. d extra bis zum rechten
Winkel des Uterus stark erweitert; die Wandung verdickt; die
8ch1eimhaut ecehymosirt. Das Nierenbecken bis zur Grösse eines
Enteneies erweitert. Linke Niere und Ureter normal.
IV. Notizen aus der Journal -Literatur. 7]
Auch ohne eine 8eitwärtslagerung oder Fixirung de« Uterus
an die eine Beckenwand ist Erweiterung eines Ureters im Becken-
eingange bei Wöchnerinnen sehr hantig. In 16 Fällen fand
Stadfeldt sie nenn Mal. Die Erweiterung beginnt fast immer da,
wo der Uterus an die A. iliaca comm. 'stösst. Ein Fall dieser
Art wird noch angeführt.
Rokitansky, Pathol. Anat., 2. Ausgabe, 8. Bd., IL, p. 437,
erw«hnt bereits Druck des schwangeren Uteras als Ursache von '
Erweiterung der Ureteren. Vielleicht ist der puerperale Uterus
noch häufiger die Veranlassung; die Zeit, innerhalb welcher er
einen Druck ausüben kann, reicht jedenfalls zur Entstehung
einer Hydronephrose hin. Zum Beweise fuhrt 8. die Section eines,
an typhöser Darmperforation schnell gestorbenen Mannes an,
bei welchem die aufgetriebenen Gedärme bereits in wenigen Tagen
eine Erweiterung und Verdickung der Ureteren bewirkt hatten.
In dem aweiten der oben angeführten Fälle glaubt S. jedoch
an die Entstehung in der Schwangerschaft. Oefter ist wohl die
Infiltration des Bindegewebes die Ursache des Uebels. Geht
nun diese und die Vergrösserung des Uterus zurück, so ist die
Entstehung der Hydronephrose in späterer Zeit ganz unklar. Ist
Schwangerschaft oder gar eine Erkrankung im Puerperium voraus-
gegangen, ist die Stelle der Verengerung dicht unterhalb der
Kreuzungastelle mit der A. iliaca comm. oder am Collum uteri,
so ist die Schwangerschaft oder das Puerperium immer die
wahrscheinliche Ursache der gefundenen Hydronephrose.
Nach König ist die Hydronephrose bei Weibern häufiger als
bei Männern. 8. fand sie häufiger rechts als links; nämlich in
12 Fällen nur einmal allein links; drei Mal allein rechts; acht
Mal beiderseits , aber jedes Mal rechts stärker. Theils mag die
häufigere Lage d«B schwangeren und puerperalen Uterus nach
rechts hieran Schuld sein; ausserdem aber die Lage der rechten
A. iliaca, welche wegen der linksseitigen Lage der Aorta einen
weit schrägeren Verlauf hat und mit dem Beckeneingange länger
und mehr in Berührung kommt, als die linke. Entzündliche
Affeetionen des Peritonäum und der Ureteren sind jedenfalls
Nebensache; letztere wohl öfter Folge der Urinstauung.
Nach Bayer und Anderen kommt Pyelitis und Nierenstein-
kolik nicht ganz selten in der Schwangerschaft vor. Vielleicht
begünstigt die Erweiterung der Ureteren das Herabsteigen der
Nierensteine.
Häufig ist die Eintrittsstelle des Ureters .in das Nierenbecken
verengt, bei Erweiterung des übrigen Ureter. Die verengte Stelle
unterhalb der Nierenbecken ist oft deutlich quergestreift und gleicht
einer Muskelhaut. Dies fand in zwei der erwähnten Fälle statt.
(Hospitals -Tidende, Kjöbenhavn, 26. Juni 1861.) O.
72 IV. Notizen a*s der Jewuri* Literatur.
P.C.Faye: Uterus duplex bieornis com vagina simplici.
Zwei Geburten; bei beiden Wendung des Ffftus und
mehrere bemerkenswerte Abnormitäten. (Anato-
mie cbe Besehreibung von Winge.)
Marie P... wurde als Mädchen mehrfach in Hospitälern be-
handelt wegen einer Geschwulst in der linken Regio iliaea. Sie
' wurde ungeheilt entlassen, aber später spontan gesund. Mit
36 Jahren heirathete sie und gebar ihr erstes Kind mit Hälfe
der Wendung. Wochenbett gesund. In der «weiten Geburt eben-
falls Wendung. Die Flacenta folgt nicht. Sechs vergebliche
Versuche, sie zu entfernen, misslingen. Nach 23 Stunden fand
ein anderer Arzt die' Kranke mit 130 Pnlsschlägen , häufigem
Erbrechen, schmerzhaftem Unterleibe; der Muttermund ist faat
geschlossen. Viersehn Tage stand der Fundus uteri am Nabel;
links sass auf ihm eine ganseigrosse Geschwulst; die Nabelschnur
war drei Tage nach .der Geburt abgefallen. Massiges Fieber
ist noch vorbanden. Im Becken ist eine Geschwulst fühlbar;
an ihr fühlt man eine rauhe 8 teile, einen Zoll im Durchmesser
haltend, welche von einem scharfen Bande begrenzt ist, den
man für den Muttermund hält Drang der Finger durch diesen
Muttermund ein, so kam er bald auf einen zweiten scharfen
Band, der höher oben mit dem ersten zusammeniloM. Bei der
später erfolgenden Aufnahme der Kranken in ein Hospital fand
man äusserlicb eine elastische Geschwulst bis zum Nabel reichend ;
rechts daneben eine zweite mit ihr nicht in Zusammenhang
stehende. Innerlich war der Befund der eben geschilderte. Man
hielt die äussere Oeffnung für den Muttermund, den höher oben
liegenden Körper für ein Ei mit sehr verdickten Eihäuten. Die
Sonde drang einige Zoll hoch in den Uterus ein. Man erweiterte
nun den Muttermund durch Incisionen, punktirte den dahinter
liegenden Sack mit einem Trokart und entleerte eine übel-
riechende Flüssigkeit. In die Höhlung drang die Sonde nun
7" — 8" weit vorwärts. Man versuchte dann vergeblich den ver-
meintlichen Fruchtsack auszuziehen. Die bisher zum Nabel
reichende Geschwulst stand anderen Tags dicht über der Scham-
fuge. Am vierten Tage nach jenem Operationsversuche trat
Frost, heftiges Fieber, Erbrechen, Meteorismns ein; Tod vier
Tage später.
Section: Fibrinös -eiterige Massen verkleben Bauchwand
und Netz: geringe Menge sero-purulenter Flüssigkeit .zwischen
den Gedärmen. Das Netz dicht über dem Beckeneingange links
mit einer kystenartigen Geschwulst verwachsen; nach rechts mit
einer zweiten kleineren Geschwulst verwachsen, die mit der
linken Seite des Uterus zusammenhängt; an dieser letzteren Ge-
schwulst eine bohnengrosse Oeffnung, aus welcher eine bräunliche,
nicht stinkende Flüssigkeit sich entleert. Dieselbe Flüssigkeit
IV. Kotisen aw der Journal - Literatur. 73
fand «leb im Douglas' sch&n Räume. Die Oeffsmng fand sieh
durch frische* Exsudat an das 8 römanum gelöthei. Im Recken-
eingange zeigen sieb swei Uterinkörper; an der äusseren Seite
eines jeden ein Ovarium, eine Tuba und «in Lsg. rotondnnt«
Am Ende der Unken Tuba sass die snletst erwähnte der oben
genannten Geschwülste, während die zuerst erwähnte eine im
Netze befindliche Kyste von 2%" Durchmesser ist, mit einer
salbenartigen Masse als Inhalt. Zwischen dem linken Uteruahalse
und der Blase sass eine bohnengrosse Kyste mit demselben
facalähnlichen Inhalte. Eine Conrmunication swisehen Darm und
Peritonäalhöhle wurde nicht gefunden. Es existirte nur eine (die
rechte) Niere and ein Ureter. Die beiden Uteruskörper ver-
einigten sich nach unten; doch blieben die Höhlen völlig getrennt;
jeder Uterus mündete mit eigenem Muttermunde in die Tagina
aus. Die Scheidewand swisehen den Cervicaltheilen beider
Uteri bestand aus Bindegewebe, während die Muskulatur jedes
Uterus gesondert blieb.
Der rechte Uterus ist 41/," lang; keine Portio vaginalis,
keine Einrisse am Muttermunde-. Nahe der Tubenmiindung bildet
die Schleimhaut eisen Wulst als wäre sie mit Decidua betetst.
Der linke Uterus ist reichlich 7" lang; die Höhle Stundenglas-
förmig, durch den inneren Muttermund in swei gleiche Hilfren
getheilt; die Schleimhaut mit Resten deciduaähnlicher Membranen
bedeckt, im Cervicalcanal sum Theil sottig und injieirt. Der
linke Muttermund ragt Vi"—!" tiefer herab als der rechte. Die
hintere Lippe ist gleichsam doppelt vorhanden. Im Scheiden*
gewölbe rechts und hinten eine Ruptur, dnreh welche der Finger
2" hoch swisehen Rectum und Uterus in die Höhe dringt*
Das rechte Ovarium, grösstenteils von einer wallnussgrossen
Kyste eingenommen, enthält ein grosses Corpus luteum; rechte
Tuba gans durchgängig. Linkes Ovarium in alte Pseudo-
membranen eingehüllt; die linke Tuba enthält jene oben erwähnte
Kyste (welche dem UteruB zunächst lag).
Die Prominensen im linken Collum uteri sind Papillen mit
capillären Gefasssohlingen und Epithel. Die faecalartigen Massen
der Kysten bestanden in Detritus, mit einseinen Zellen und
Cholestearinkrystallen (Atherome). Die Kyste der linken Tube
war wohl in ihrer Wandung gebildet, ist nachher nach der Tube
hin geöffnet und so auch mit der Uterushöhle in Verbindung
getreten; die früher vorhandene Atreeie des linken Muttermundes,
welche ja durch die Punotion behoben wurde, kann die Folge
des chronischen Gebärmuttercatarrbs gewesen sein oder schon
früher bestanden haben. Der linke Uterus hat wohl jedenfalls
vor der Punction einen mit jener bräunlichen Flüssigkeit gefüllten
Sack dargestellt. Wahrscheinlich existirte diese Ansammlung
schon vor der zweiten Geburt und veranlasste bei ihr das sofortige,
74 IV- Koliken hu» der Journal -Literatur.
heftige Pressen gleich der Ausstossung des Kindes. Die An-
sammlung ist vielleicht aus einer Haematometra hervorgegangen.
Die Schwangerschaft hat wohl im rechten Uterus stattgefunden ;
dafür spricht das Corpus luteum im rechten Ovarium ; der Verschluss
der linken Tobe an ihrem äusseren Ende, das Verhalten des
linken Uterus. Dass weder eine Placenta noch eine Placentar-
stelle aufgefunden wurde, ist merkwürdig. Die Placenta mnss
innerhalb 27 Tagen völlig resorbirt worden Rein. Bei der sweiten
Geburt ist nach der Ausstossung des Kindes der linke Uten»
gleich nach abwärts getreten und hat den rechten Muttermund
ganz nach rechts gedrängt, wo man ihn beim Versuche der Ent-
fernung der Placenta fand.
Jener merkwürdige doppelte Ring am linken Uterus, welcher
Veranlassung gab au einer vermeintlichen Lostrennung der Eihäute
von der Innenfläche des Uterus war bis auf die doppelte hintere
Mnttermundslippe völlig verschwunden.
Die zweimalige Querlage des Kindes bei awei Geburten ist
auffallend. Der Mangel einer Niere bei Uterus bicornis ist nicht
au erklären, hat aber auch in einem Falle von Hasse in Göttingen
existirt, wie Sprengeil mittheilt in der Deutschen Klinik, 1860, No.24.
Eine Abbildung macht die anatomischen Verhältnisse so klar
wie möglich, an dem ganzen Falle ist freilich Manches dunkel,
wie dies Levy selbst zugesteht.
' (Norsk. Magazin f. Laegevdsk, Bd. XV., Heft 7.) O.
von Madurowicz: Haematemesis in gravida.
Eine 30jährige Frau hatte seit längerer Zeit an zeitweiligem
Unwohlsein gelitten, das sich durch Appetitlosigkeit, Ohnmächten,
selbst durch Krämpfe manifestirte. Gegen Ende ihrer zweiten
Schwangerschaft stellte sich mit dem Beginn schwacher Wehen
wiederholtes Blutbrechen ein, wodurch im Ganzen circa 3 Seitel ')
entleert wurden. Tags darauf wurde sie nach C. Braun*» Klinik
gebracht, wo die Bewußtlose die Zeichen hochgradiger Anämie
wahrnehmen liess. Die Brustorgane verhielten sich normal, Leber
und Milz entzogen sich bei Vorlagerung der durch den Uterus
hinanfgedrängten Därme der Untersuchung. Man nahm ein chro-
nisches Magenleiden als wahrscheinliche Ursache der Anämie an,
welche ihrerseits, gesteigert durch das Blntbrechen, seröse Durch-
feuehtung des Gehirns und dadurch Bewnsstlosigkeit bedingte.
Eispillen, Essigwaschungen. Abermaliges Erbrechen von circa
1 8eitel Blut. Allmälige Eröffnung des Muttermunds durch
schwache Wehen bis auf 1", Sprengen der Blase, 3 Stunden
darauf bei vollständig erweitertem Muttermunde Entwicklung des
lebensschwachen Kindes mittels der Zange, 33 Stunden darnach
1) 3 Seitel = 1,042 Berl Qnart. <
IV. Notizen ans der Journal -Literatur. 75
Tod der Mutter anter den Zeichen des Lungenödeme. Bei der
Section wurde 'Hirn - and Lungenödem , sowie f rieche Peritonitis
gefanden. Die Magenschleimhaut war gewulstet und neigte zahl-
reiche hämorrhagische Erosionen; die Venen dee Oesophagus
waren namentlich gegen die Cardia hin stark erweitert. «Die
Leber war verkleinert, platt, im Höhendurchmesser verkürzt, im
Breitendnrchmesser verlängert, namentlich am hintern Rande und
an der unteren Fl Rehe durch zahlreiche narbige Einziehungen
vielfach gelappt nnd im ganzen Umfange pseudomembranös ange-
heftet; die 6ubstnnz derselben derb, schmutzig -bräunlich, am
Durchschnitte bin nnd wieder deutlich granulirt, und namentlich
im linken Lappen einzelne Antheile blassgelblich gefärbt, und
dieselben über die Schnittfläche deutlich prominirend; der linke
Leberlappen bis in das Hypochondrium hinüberreichend, mit der
Milz verwachsen; die Gallenblase mangelnd, der Ductus hepatieus
und choledochns durchgängig; die Milz bedeutend vergrSssert,
mit ihrer Umgebung innig verwachsen, gleichfalls hin and wieder
mit narbigen Einziehungen versehen, die Milssubstanz derb, theils
blassroth, theils schwarzroth gefärbt, an letzterer Stelle derber.
Es war sonach das Grundleiden in einer chronischen Leber-
entztindung zu suchen, die durch Störung des Pfortade rblntlanfs
die an Magen und Milz gefundenen Veränderungen veranlasste,
sowie Anämie verursachte, welche ihrerseits, durch die HKroa-
temesis gesteigert, zur Ausbildung des Hirnödems führte:
(Wien. Med. -Halle 1862, No. 18.)
Saugstöpsel und Warzenhütchen aus Kautschuk be-
treffend.
Die gesundheitsschädliche Präparirung des Kautschuk mit
Zinkoxyd, Bleioxyd, Schwefelarsenik lässt sich an daraus be-
reiteten Gerätschaften daran erkennen, dass dieselben schwerer,
härter, un durchscheinend sind nnd auf der Durohschnittsflftcbe
keinen Glanz, sondern dieselbe graue Farbe wie auf der Oberfläche
zeigen, während die unschädlichen weniger schwer, dehnbarer, etwas
durchscheinend, auf der Schnittfläche glänzend und bräunlich sind.
(Bekanntmachung der königl Regierung zu Magdeburg vom
24. Nov. 1861. — Catper9* Viertelfahrscbr. 1862, 2. Heft.)
Breslau: Bericht über die Ereignisse in der Züricher
Gebäranstalt im Jahre 1860.
t
Aus einem kurzen statistischen Ueberblioke entnehmen wir:
Es erfolgten 200 Geburten, worunter eine Zwillingsgeburt.
201 Kinder: 26 unreif, 176 reif, 12 todt geboren, 20 nach der
76 IV. Notizen aus der Journal- Literatur.
Geburt in der Anstalt gestorben. Die erste Schädellage wurde
HO Mal, die, «weite 68 Mal, unbestimmte Sehttdellage 3 Mal,
dte erste Gesieh tslage 2 Mal, die erste Steisslage 2 Mal, die
zweite Steisslage 8 Mal, die erste Fnsslage S Mal, die »weite
Fnsslage 2 Mal beobachtet. Die Zange wurde 16 Mal bei Schadel-
lagen, 1 Mal bei Gesichtslage in Anwendung gesogen. — Verfasser
salf sieh dasn 7 Mal dnreh Wehenschw&che oder Erschöpfung-,
9 Mal durch Gefährdung des Kindes, 5 Mal dnreh ßeckenenpe,
1 Mal durch Vorliegen der Hand neben dem Kopfe, 1 Mal dureh
Vorliegen der Nabelschnur und des Armes neben dem Kopfe
bestimmt, in einzelnen dieser Fälle ausserdem durch Rücksicht
auf die praktische Ausbildung seiner Schüler. Von den mittels
der Zange Entbundenen starben 2 (s. unten), Ton den auf dieselbe
Weise entwickelten Kindern erlagen 2 in den nächsten Tagen
den Folgen der* Operation, bei 2 anderen stand der Tod in
keinem nachweisbaren Zusammenhange mit derselben, 1 starb
während der Geburt, 2 waren fanltodt. Die künstliche Früh-
geburt wurde 3 Mal eingeleitet. Die manuelle Extraction bei
Beckenendlflgen geschah 5 Mal. In einem Falle wurde die
Decapitatioii Torgenommen. Die Plaeenta wurde 2 Mal wegen
Incarceration, 2 Mal wegen theilweiser Verwachsung aus dem
Uterus fortgenommen, — im Allgemeinen wurde die Nachgeburt
durch Herausdrücken aus der durch Massiren sur Zusammensiehung
gebrachten Gebärmutter entfernt, Über welche Methode sich
Verf. sehr anerkennend ausspricht Ausserdem wurden noch
zahlreiche kleinere Operationen ausgeführt.
Indem dann Verf. zur Schilderung der Puerperalerkrankungen
im genannten Jahre übergeht, beklagt er die ElasticitKt des Be-
griffes „Puerperalfieber" und versucht eine Ehrenrettung des
Ausdruckes „Milchfieber", welch letzteren er für in den ersten
acht Tagen des Wochenbettes auftretendes Fieber ohne hervor-
stechende looale Symptome braucht, während er den ersteren
den fieberhaften Puerperalerkrankungen mit auf tiefer Ernährungs-
störung und Blutintoxication beruhenden örtlichen Affectioncn
vindtcirt. Dem entsprechend theilt Verf. von 78 Puerperal*
erkrankungen 32 der Kategorie des Müchfieberd zu.
In der Mehrzahl der schweren Erkrankungsfälle ging Fieber
den Localaffectionen voraus, — bei keinem wurde das Um-
gekehrte beobachtet. Der Beginn der Erkrankung war charakteri-
sirt durch allgemeines Unbehagen, Frösteln, selbst (atypischen)
Schüttelfrost, — in einigen Fällen war schon während des Kreissens
Fieber und Störung der Weheathätigkeit vorhanden. Das Fieber
war stets durch grosse Pulsfrequenz und sehr hohe (bis 42,6. C.)
Temperatur ausgezeichnet. In den meisten Fällen war Peritonitis
vorhanden, partiell/ circumscript in den Eferstocksgegendeh,
oder allgemein. Die umschriebene Bauchfellentzündung hatte
öfter einen sehr schleppenden Verlauf und dann erfolgte stet»,
IV. Notizen aus der Journal -Literatur. 77
wenn anch langsam, Genesang. Bei allgemeiner, raten nach der
Geburt auftretenden Peritonitis wurde kein Cbronlsebwerden •
beobachtet, — entweder es steigerten sieb alle Symptome schnell
bis zum baldigen Tod, oder sie nahmen, rasch ab. Dagegen sah
Verf. den Ueb ergang der allgemeinen Peritonitis in ein chronisches
Stadium bei xwei Wöchnerinnen, welche, 12 Tage naob der Ent-
bindung als gesund entlassen, am 18. resp. 20. Tage nach ihrem
Austritte mit intensiver Bauchfellentzündung surückkehrten , —
in beiden Fallen trat der Tod im dritten Monate nach der Ent-
bindung ein.
Von den sonst der Peritonitis zugeschriebenen Symptomen
war nur die ineteoristische Auftreibung des Unterleibes CQnstant
vorhanden; Erbrechen, Stuhlverstopfung fehlten öfter; bisweilen
war selbst keine oder nur geringe Sohmershaftigkeit nach-
zuweisen. Bei Endometritis septica wurden mangelhafte In-
volution des Uterus, Nachblutungen, übelriechende Lochien,
Milzanschwellung, grosse Prostration, weitverbreitete Muskel-
und Gelenkschmerzen , Eingenommenheit des Kopfes, selbst
Delirien beobachtet, ohne dass jedoeh, bei meist gleichseitige»
Bestände bei anderen erheblichen örtlichen Störungen, dieser
Symptomencomplex für jene Affeetion der Gebärmutter aus-
schliesslich in Anspruch au nehmen war« Snbepidermidale
Abscesse wurden in zwei später in Genesung übergegangenen
Fällen bemerkt Sudamina waren gemein» Erytheme und Erysipele
worden mehrfach wahrgenommen. Von sehr übler prognostischer
Bedeutung fand Verf. eine aber 38 — 48 Stunden anhaltende Puls-
frequens von über 186, sowie eine trockene, im Anfange manch-
mal geschwollene, dann collabirende, lederartig werdende, braune
Zunge. Von den verschiedensten Mitteln, welche Verf. in An-
wendung zog, hat sich keines das Vertrauen desselben erringen
können, und giebt er einem rein symptomatischen Verfahren den
Vorzug. Von 20 Todesfällen von Wöchnerinnen setzt er nur 14
auf Rechnung des Puerperalfiebers. Bei 11 davon wurde die
Leichenöffnung gemacht, — es wurde „in 6 Fällen eiterig- fibrinöse
Peritonitis mit Salpingitis und Endometiitis, 2 Mal mit Phlebitis
uterina, in 2 Fallen Endometritis septica allein, in einem Falle
Endometritis mit Lymphangioitis, in einem eine abgelaufene
Perimetritis mit frischer Entzündung der Beckenvenen und frischer
eiteriger Pleuritis, mit Bindegew ebsabsessen von einem Decubitus
ausgehend, in einem Falle Perithyreoiditis und Abscesse in der
Muskularis des Uterus, in einem Falle grosse, eiterige linksseitige
Pleuritis, wahrscheinlich anämischer Natur, nach abgelaufener
Endometritis * gefunden. Hinsichtlich der Aetiologie ist Verf.
geneigt, den ungünstigen atmosphärischen Verhältnissen des
betreffenden Jahres, aowie der unzweckmässigen Lage und Aus-
stattung der von ihm geleiteten Anstalt einen wesentlichen Ein-
78 IV» Notizen aus der Journal- Literatur.
flass auf die Entstehung der besprochenen Puerperalerkrankungeii
anzuschreiben.
An diesen allgemein gehaltenen Bericht reiht sich sodann
die gesonderte Besprechung e inselner wichtigeren Geburts- and
Krankheitsfälle, von denen swei bereits in diesen Blättern eine
genauere Beschreibung gefanden haben (Künstl. Frühgeburt nach
Krause bei psteomalaciscbeoi Becken mit glück 1. Aasgang für die
Mutter, Bd. XV., Eclampsie im Wochenbette mit Genesung, Bd. XVI.)
Im Nachfolgenden besprechen wir daher nur einige der
übrigen.
Bei einer 26jährigen, zum dritten Male und «war in der
,34. oder 86. Woche Schwangern, deren beide frühere Schwanger-
schaften gegen Ende des sechsten Monats durch spontan ein-
getretene Fehlgeburten unterbrochen worden, wurde wegen all-
gemein verengten Beckens (über den Grad der Verjüngung wird
nichts angegeben) die Frühgeburt nach . Krause eingeleitet.
Wehenbeginn 10 Stunden, Geburt eines 41/, Pfand schweren
Mädchens in «weiter Schädellage 36 Stunden nach Einlegen des
Katheters. Für die Mutter verlief das Wochenbett normal, das
Kind starb am vierten Tage.
Auf gleiche Weise wurde die Frühgeburt bei einer wahr-
scheinlich in der 36. Woche stehenden, sum fünften Mal Schwangern
eingeleitet, bei welcher die enorme Menge des Fruchtwassers
bedeutende Beschwerden von Seiten der Brust- und Unterieibe-
organe hervorrief unddieConjugata desBeokeneingangs8'4'"(P.M.)
betrag. Wehenbeginn 4 Stunden, Venäsection wegen Cyanoee
und Gef&asanfregung 16 Stunden, Anlegen der Zange an den ia
sweiter Lage im Beckeneiugange feststehenden Kopf wegen Er-
schöpfung der Gebärenden 20 Stunden nach Einlegung des
Katheters, mühsame Entwickelung des Kopfes des faultodten
Kindes, schwierige Extraction des Rumpfes wegen hydropischer
Ansammlungen in Brust- und Bauchhöhle (Decapitation, Ent-
leerang der Pleurahöhlen). Das Kind war reif, 6 Pfund 18 Loth
schwer. Die Matter starb 21 Standen nach der Geburt. Die
Lungen wurden ödematös, die Mils am das Doppelte vergrössert
und breiig erweicht gefunden. Der Uterus war mehr ald mannskopf-
gross, von dunkellivider Farbe, sehr schlaff und schwer; seine
Höhle war sehr gross und enthielt eine mftssige Quantität flüssigen
und halbgeronnenen Blutes. Die Muskelschicht war circa 1"
dick, glänsend, serös infiltrirt, die Schleimhaut dunkellivid von
Blutfarbstoff imbibirt, mit Ausnahme des Cervicaltheiles mit einer
colossalen Menge mehr wie 1" langer haarfeiner, weisser,
flottirender, sottenartiger Hervorragungen bedeckt.
Eine Person, welche 4 Jahre vorher zum ersten Male geboren
und* ein normales Wochenbett gehabt, hatte sich immer wohl
gefühlt, bis sie, bald nach Beginn ihrer leisten Schwangerschaft,
IV. Notizen mm der. Journal- Literatur. 79
Schmers, Hitze and Geschwulst an den Geeohlechtttheilen und
starkes Brennen beim Urinlassen bemerkte. Verf. besteht dies
anf eine ulceratire Elytritis, als deren Product er eine Atresie
des Scheidengewölbes vorfand. Nach 12 ständiger Wehendauer
wurde, da der Kopf tief herabgetrieben war und die vordere,
sehr verdünnte Scheidenwand vor steh hergestülpt hatte, an der
verwachsenen Stelle, die sich im Spiegel als eine rinnenförmig
vertiefte, röthliche, querverlaufende Narbe darbot, in querer
Richtung eine 4« Ctm. lange Incision gemacht, worauf sofort eine
fast runde, circa swei Franken grosse Oeffnung hergestellt war,
durch welche die Eihäute gefühlt und gesehen wurden. Die
vollständige Eröffnung des künstlioh angelegten Muttermundes
ging schnell vor sich.
Bei der Section einer Wöchnerin, welche drei Tage nach
der Geburt eines unreifen, 3*/4 Pfund schweren Knaben, über
welche jedoch nur angegeben wird, dass sie ohne jede Störung
in Gegenwart zweier Hebamme verlaufen sei, unter den Er-
scheinungen des Collapsus verstorben war, .wurde eine Ruptur
der Scheide gefunden, welche sich nach oben bis in den Cervtx
erstreckte, 9 Ctm. lang, 3 Ctm. breit war, auf der rechten Seite
der Excavatio rectouterina ein ki rochen grosses, mit einem kleinen
Blutgerinnsel verlegtes Loch im Bauchfelle, welches sich schief
nach abwärts bis in die Scheide verfolgen liess; der Riss war
in der Scheide bedeutend grösser als im Bauchfelle. Das sub-
mucöse und subseröse Bindegewebe in der Umgegend des Risses
war mit Blut infiltrirt, nirgends ein grösseres freies Coagulum.
Die Ränder des Scheidenrisses waren nicht sphacelös, glatt, die
Scheide im Ganzen sehr dünn, sonst ohne Erkrankung der Textur.
Der. Uterus gut contrahirt, Schleimhaut gesund. In der Becken-
höhle fand sich eine ziemliche Menge blutigen Serums , nirgends
eiterig- fibrinöses, nur an einigen Stellen der hinteren Döuglat'tchen
Tasche ein durchscheinend gelatinöses Exsudat, keine Verblebung
- der Eingeweide. Das Becken zeigte ausser einer allgemeinen
Verjüngung seiner Durchmesser (Conj. vera 3" 6'") keine
wesentliche Abnormität.
An einer Person, welche in der ersten Hälfte ihrer Schwanger-
schaft wegen syphilitischer Geschwüre an den Genitalien, Angina
und eines maculösen Exanthems mit Quecksilber behandelt worden
war, wurde keine syphilitische Erscheinung aufgefunden, als sie
ein circa 33 Wochen alteB, 3l/a Pfund schweres, schwaches Kind
gebar, welches 18 Stunden nach der Geburt, vermuthlich an
Atelectase der,Lnngen, starb. Am dritten Tage nach der leichten
Entbindung entwickelte sich unter FiebererBcbeinungen , vom
Gesässe ausgehend, ein Erythem mit quaddelartigen undpapulösen
Erhabenheiten , welches sich in 10 Tagen bis zu den Fuss rücken
herab, nach oben bis zum Brustbeine Ausbreitete. Im Verlaufe
SO IV- Notizen aas der Journal- Literatur.
dieses Exanthems batheiligte sich die reohte Mamma durch Schmers,
Schwellung, Rötbung, sowie durch Bildung von blutunterlaufenen,
schlaffen, mit trüber Flüssigkeit erfüllten Blasen an ihrer untersten
Partie. An dieser Stelle, sowie am Kreuzbeine trat sehr bald
trockene Gangrän auf. Der Tod erfolgte am 12. Tage nach der
Entbindung. Die Section ergab Lungenödem, frische Peritonitis,
sphacelösen Zerfall der GebKrmutterschleimhaut, grosse, breiig
erweichte Milz, beginnende Thrombose der rechten Vena eruralis.
An der Leiche eines schlecht genährten, .lebensschwachen,
6 7a Pfund schweren, am 12. Tage gestorbenen Knaben, dessen
Mutter im achten Monate ihrer Schwangerschaft wegen breiter
Condylome und Drüsenanschwellungen mit Merkur behandelt
worden war und zur Zeit keine Zeichen von Syphilis an sich
trug, wurden an der Oberfläche der von Luft gut ausgedehnten
Lungen zahlreiche, den kleinen Lungenläppchen entsprechende,
theils rundliche, theils poly edrisohe , gelbe, trockene Herde ge-
funden, welche unter der Pleura sassen, dmroh dieselbe hindurch-
schimmerten, nicht hervorragten , Stecknadelknopf- bis Hanf körn-
grosse besessen und sich unter dem Mikroskope als aus Fett,
Cylinderepithel und moleculären Körnchen bestehend erwiesen.
Mit Herden von gleicher Beschaffenheit seigte sich auf Durch-
schnitten die Snbstans beider Lungen durchsetzt. Hinsichtlieh
der pathologischen Bedeutung dieses Befundes ist Verf. geneigt,
denselben mit angeborener Syphilis in Verbindung zu bringen,
von weloher übrigens keine sonstigen Spuren Aufzufinden waren.
Von Interesse ist auch die Beschreibung der Heilung einer
Blasenscheidenfistei, welche nach einer schweren Entbindung
durch die Zange entstanden war. Die Fistel war hoch, oben links
im Grunde der Scheide 2 — 8 Ctm. neben dem Muttermunde gelegen
und für einen dicken Katheter passirbar. Cauterisationen mit
Glüheisen und Höllenstein, im Laufe eineB halben Jahres bald
in grösseren, bald in kleineren Zwischenräumen wiederholt, ver-
kleinerten die Fistel bis zum Umfange eines grossen Stecknadel*
kopfes; ein zweites Halbjahr fortgesetzt, hatten sie gar keinen
Einfluss mehr auf die Grössenverhältnisse der von weissem,
callösen Narbengewebe umgebenen Oeffnung, — dagegen bewirkte
die blutige Anfrischung und Naht, unter Zuhülfensbme des
£y*ie'schen einblättrigen Speculum vorgenommen, in kürzester
Frist eine vollständige Heilung. • W.
V.
Verhandlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe
in
Berlin.
Sitzung vom 13. Mai 1862.
Herr' ChirÜ hält folgenden Vortrag:
Ueber Ovariotomie.
Vor sechs Jahren ist zum letzten Male in ausführlicher
Weise über die operative Behandlung der Eierstocksgeschwülste
in dieser Gesellschaft die Bede gewesen; die damals von
Fock l) hier vorgetragene gediegene Abhandlung ist im In-
und Auslande vielen anderen ähnlichen Arbeiten zu Grunde
gelegt worden; allein trotz der nicht ungünstigen Resultate,
welche jene in Betreff der Ovariotomie durch Zusammen-
stellung einer grossen Zahl von Fällen nachweist, ist diese
Operation doch seit jener Zeit in Deutschland nur überaus
selten ausgeführt worden, während sie in demselben Zeiträume
in England und Amerika einen höchst bedeutsamen Auf-
schwung genommen, und, trotz zahlreicher Anfechtungen, voll-
kommen das erlangte Bürgerrecht in der Chirurgie zu behaupten
gewusst hat Sehen wir, weshalb gerade in Deutschland, das
doch sonst keinem anderen Lande auf irgend einem Gebiete
der operativen Chirurgie nachsteht, diese Operation in den
1) Carl Fock, Ueber die operative Behandlung der Ovarien-
Kysten u. s. w., in Verhandlungen der Gesellschaft rar Gebnrtshtilfe
in Berlin, Heft 9, 1857, 8. 109 (Abdruck aus der Monatsschrift
ffir Geburtak. u. Frauenkrankb. , 1856).
Uouatsxcbr. f. Geburtik. 1862. Bd. XX .. Hft. *2. 6
82 V- Verhandlungen der Gesellschaft
letzten Jahren so gut wie gar nicht unternommen worden ist
(wenigstens finden sich nirgends darüber Veröffentlichungen), *)
so ist der Grund dafür wohl darin zu suchen, dass die
Chirurgen durch einzelne unausbleiblich vorkommende un-
glücklich verlaufene Fälle sich von consequenier Weiter-
verfolgung der einmal eingeschlagenen Bahn haben abhalten
lassen, während anderseits durch Stellung beschränkterer
Indicationen , als sie anderswo üblich sind, die Zahl der
hiernach für die Operation sich eignenden. Fälle sehr ver-
mindere worden ist. Wenn nämlich B. Langenbeck, der
in Deutschland die grösste Zahl von Ovariotomieen (8) aus-
geführt hat, in seinen Indicationen für die Operation, welche
von den meisten deutschen gynäkologischen Schriftstellern
angenommen worden sind, verlangt, dass in dem zu operirenden
Falle nur eine einzige grosse Kyste, oder höchstens noch mit
dieser einige kleine, jedenfalls aber durch einen kleinen Schnitt
mit zu extrahirende Kysten mit festem oder flüssigem Inhalte
vorhanden sein dürfen , wenn . er ferner diejenigen Fälle
ausschliesst, in welchen irgend welche Adhäsionen mit der
Bauchwand oder den Baucheingeweiden zugegen sind, so ist
dadurch der Bereich der Operation ausserordentlich beschränkt,
indem Fälle, welche diese Bedingungen erfüllen, sehr viel
seltener, als gegenteilige vorkommen. Ich werde später auch
zu zeigen haben, dass gerade diese Fälle von den neueren
englischen Chirurgen als die Exstirpation nicht erfordernd,
vielmehr auf eine weniger gefahrliche Weise heilbar, angesehen
werden. Es hat ferner zur Discreditirung der Operation in
Deutschland vielleicht auch die von Simon (1858) 3) ge-
machte Zusammenstellung der sämmtlichen in Deutschland
vorgekommenen Ovariotomieen, so weit von denselben nähere
1) Aus einer Notiz in einem Aufsätze von Wornu (Gas.
bebdomafcire de M<§4. et de Chir., 1860, p. 804, Note) entnehme
ich, dass Thierse]* (zu Erlangen) drei Ovariotomieen nach Langen-
oec&'s Verfahren gemacht haben soll, darunter mit Bestimmtheit
eine mit glücklichem Ausgange , während das Resultat in den zwei
anderen Fällen dem Berichterstatter anbekannt war.
2) G. Simon, Zusammenstellung von 61 [eigentlich 64] in
Deutschland ausgeführten, theils versuchten Ovariotomieen in
v. Scanzom'a Beiträgen zur Geburtskunde und Gynäkologie, Bd. 3,
1858, S. 99.
rar GeburtthMfe in Berlin.
83
Kenntnis« zo erlangen war, beigetragen, indem derselbe es
sich zur Aufgabe gemacht hatte, die nicht publicirten, fast
sämmüich unglücklich verlaufenen Fälle (deren Zahl sich
übrigens noch vermehren lassen würde) aufzusuchen. Es ist
Sun denn .auch gelungen, die bis dahin bekannte, tabellarisch
und statistisch verwerthete Zahl der deutschen Fälle um mehr
als ein Drittheil, welche der grössten Mehrzahl nach tödtlich
verlaufen waren, zu vermehren. Betrachten wir die von
demselben zusammengebrachten 64 näher specificirten Fälle,
bei welchen wegen eines wirklich vorhandenen oder supponirten
Eierstocks -Tumors eine auf die Exstirpation desselben gerichtete
Operation unternommen wurde, so' finden wir, wenn wir drei
Kategorieen unterscheiden, nämlich: 1) vollendete Operationen,
2) unvollendet gelassene oder ganz aufgegebene (grösstenteils
wegen starker Adhäsionen) und 3) Operationen, die bei
falscher Diagnose (Krebsgeschwulst des Uterus oder gar keine
Geschwulst (DoJdkoff) unternommen wurden, das folgende
Endresultat:
Ausführung der Operation.
Summa
Davon
geheilt
gestorben
nnbek.
1) Vollendete Operationen
2) Unvollendete
3) Falsche Diagnose ....
48
14
2
14
2
1
34
11
1
1
»Summa
64
17
46
1
Simon will allerdings nur 12 radicale Heilungen gelten
lassen, indem er einige andere Fälle, in welchen die Patientinnen
zwar von den Folgen der Operation selbst genasen, aber
längere Zeit (6 —8 Monate) nach derselben an Erkrankungen
zu Grunde gingen, welche mit dem ursprünglichen Leiden in
näherem oder entfernterem Zusammenhange standen, nicht zu
den geheilten rechnet. Allem wenn man eine Statistik über
die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der Ovariotomie geben
will, müssen unzweifelhaft auch, wie dies von mir geschehen
ist, diese Fälle zo den geheilten gerechnet werden. Sehen
wir uns das Resultat der Heilungen bei wirklich vollendeter
Operation näher an, nämlich bloss 14 unter 34 Fällen, also
noch nicht die Hälfte, so erscheint dies allerdings nicht sehr
ermuthigend. Betrachten wir aber die sämmtlichen 64 Fälle,
6*
84 V. Verhandlungen der Gesellschaft
welche Simori& casuistisches Material darstellen, so finden
wir, dass bei ihnen 36 Operateure (darunter drei anonyme)
thätig waren, so dass auf die grössere Mehrzahl unter ihnen
nur ein einziger Fall kommt und nur JB. Langenbeck sieben,
Kiwisch fünf, Bühring und Knorre je vier aufzuweisen
haben. Die 64 Operationen sind ferner innerhalb eines sehr
langen Zeitraumes (von 1819 — 1856), also jedenfalls nach den
allerverschiedensten Principien in Bezug auf die Technik der
Operation und die Nachbehandlung ausgeführt worden. Dass
unter diesen Umständen der Werth einer statistischen Zusammen-
stellung in Betreff des günstigen und tödtlichen Verlaufes
einer chirurgischen Operation kein sehr grosser ist, wird
ein Jeder zugeben müssen, welcher nicht in Abrede stellt,
dass auch bei einer solchen die Erfahrung bezüglich der
Ausführung und Nachbehandlung nicht ohne Einfluss auf den
endlichen Ausgang bleibt.
Nachdem ich im Vorstehenden die Gründe näher aus-
einandergesetzt habe, aus welchen, meiner Ansicht nach, in
den letzten Jahren die Cultivirung der Ovariotoniie in Deutsch-
land vernachlässigt worden ist, und ehe ich mich zu meiner
eigentlichen Aufgabe wende, welche darin besteht, (furch
Hinweisung auf die in England neuerdings erzielten sehr viel
günstigeren Resultate , meine Landsleute zur Wiederaufnahme
jener Operation anzuregen, kann ich nicht unterlassen, zu
bemerken, dass das Gleiche bereits von Otto von Franque l)
und Althaua*) geschehen ist, von denen der Erstere 26, der
Letztere 36 in den letzten Jahren in London operirte Fälle
tabellarisch zusammenstellten und daran gleichfalls Betrachtungen
über die Vornahme der Operation anknüpften. Zuvor aber will
ich noch kurz andeuten , was in Betreff der uns beschäftigenden
Operation in anderen Ländern ausser Deutschland und England
geschehen ist Was zunächst Prankreich betrifft, so hat
die Operation, obgleich sich ihr Ursprung von dort herschreibt,
absolut daselbst keinen Boden gewinnen können, und abgesehen
von einigen in älterer Zeit ausgeführten Operationen, ist sie
1) v. Franque in v. ScanzonVs Beiträgen zur Geburtekunde
und Gynäkologie, Bd. 4, 1860, S. 211.
2) AUhau« in der Wiener Medizin. Wochenschrift, 1861,
S. 292, 309.
für Geburtehülfe in Berlin. 85
in neuerer Zeit, wie es scheint, daselbst, wenigstens in Paris,1)
kein einziges Mal gemacht worden, nachdem bei wiederholten
Gelegenheiten die ersten und berühmtesten Chirurgen des
Landes, wie Velpeau, Malgaigne, Jobert, Huguier u. A.
sich sehr entschieden gegen dieselbe ausgesprochen hatten.
Erst als in der allerneuesten Zeit N4laton, welcher sich auf
einer Reise nach London (November 1861) von den daselbst
erzielten gunstigen Resultaten durch den Augenschein über-
zeugt hatte, seine gewichtige Stimme zu Gunsten der Operation
erhob, begann man, obgleich Worms*) schon früher auf die
guten Erfolge der englischen Operateure hingewiesen hatte,
der Operation seine Aufmerksamkeit zu schenken, und es
sind seitdem , auch in Paris bereits einige Ovariotomieen (eine
davon mit Glück) gemacht worden. Es ist übrigens nicht
weiter zu verwundern, dass unsere Nachbarn jenseits des
Rheines erst so spät sich über das, was in Betreff der
Ovariotomie anderswo erreicht worden ist, Kenntniss zu ver-
schaffen anfangen, da wir uns auch bezüglich anderer, ebenfalls
bisweilen zur Lebensrettung dienender Operationen, welche in
der neueren Zeit in England und Deutschland wieder aufgenommen
und bereits in sehr grossem Umfange ausgeübt worden sind,
nämlich der Resectionen des Knie- und Hüftgelenkes, ganz
in derselben Lage x befinden.
Ganz anders verhält sich die Sache mit Nord-Amerika,
wo , wie die später noch anzuführende Statistik von John Clay
nachweist, die Ovariotomie nächst Grossbritannien am olles Jen
gemacht worden ist So ist nach einer Zusammenstellung
von J. W. Hamilton 8) allein im Staate Ohio die Ovariotomie
51 Mal versucht oder ausgeführt worden; in 13 Fällen wurde
sie unausführbar gefunden (grösstentheils bei falscher Diagnose)
und wurde sie darunter 7 Mal die Ursache des Todes; in
37 Fällen wurde die Operation vollendet, und war unter diesen
in 16 augenscheinlich die Todesursache, während 20 Ge-
1) Mit Ausnahme einer Ovariotomie von Maisonneuve (1849)
bei einer Nonne des Höp. Cocain, mit tödtlichem Ausgange.
2) Worm§ in Gaz. hebdomadaire de Me"d. et de Chir. , 1860,
p. 642, 668, 690, 741, 804.
3) Ohio Medic. and Surgio. Journal, 1869, Nov., and Medic.
.Times and Gaz., 1860, Vol. 1., p. 299.
86
V. Verhandlungen der Gesellschaft
nesungen stattfanden. Unter den amerikanischen Chirurgen
scheint Washington L. Aüee (in Philadelphia) die meisten
Operationen gemacht zu haben, nämlich bis zum Jahre 1860:
19 (darunter 10 mit Genesung). Ausserdem finden wir
Operationen von Mu$$ey, Peaslee, J. W. Hamilton, Howard,
Ch. A. Pope, Henry Mitter, MfRuerf Crosby, Boemer,
Regln. Hentvood u. A. verzeichnet.
Wenn ich im Nachstehenden einen Ueberblick über die
bis jetzt vorhandene vollständigste Statistik der bei Ovarium-
Tumoren versuchten und ausgeführten Operationen, nämlich
die von John Clay (zu Birmingham),1) welche bis zum
Februar 1860 reicht, gebe, so verhehle ich mir keinesweges,
dass Statistiken einer capitalen Operation, wie die vorliegende
es ist, ohne grossen Werth sind, indem die gelungenen Fälle
so ziemlich alle gewissenhall registrirt und veröffentlicht
werden, während die misslungenen, deren jedenfalls eine
recht erbebliche Anzahl unbekannt gebliebener vorhanden ist,
die Erde zudeckt Nach John Clay nun sind wegen wirklicher
Eierstocks-Tumoren unternommene Bauchschnitte 501
bekannt; unter diesen befanden sich:
Ausführung der Operation.
1) Vollendete totalo Exstirpationen
2) Partielle Exstirpationen
3) Wegen Adhäsionen unauafiihr-
* bare Exstirpationen
Total
Dazu kommen noch:
4) Bei falscher Diagnose unter-
nommene Operationen
Daron
untna
genesen
gestorben
396
24
212
10
183
14
82
68
24
601
280
221
13
3
10
1) John Clay, Chapters on Diseases of the Ovaries, Translated
from KküUck's Clinical Lectnres, with Notes and an Appendix
on the Operation of Ovariotomy, London 1860, 8. Leider lag
mir das Original nicht vor, sondern bloss Ansauge (Med. Times
and Gas., 1860, Vol. iL, p. 36, und British and Foreign Medioo-
Chirorg. Keriew , Vol. 27, 1861, p. 179), und ich bin daher nicht
im Stande, über die bei den deutschen Fällen in Betreff der
Zahlen mit den Angaben von Simon vorhandene Differenz Auf-
schluss su geben.
für Geburtshülfe in Berlin.
87
Die Vertheüung der vollständig ausgeführten Ex-
stirpationen nach den einzelnen Ländern ist die folgende:
Länder:
Snrama
Davon
genesen in Proc.
gestorben
Grossbritannien . .
222
127 = 57,20 Proc.
95
Amerika
113
64 « 56,63 „
49
Deutschland . . . .
51
13 » 25,41) „
88
Unbekannt
9
8 —
i
Total
395
212
183
Wenn nun, wie schon oben erwähnt, Zahlen wie die
vorliegenden, sehr wenig dazu beitragen, um ein richtiges
Bild von der Wirklichkeit zu geben, wie denn Operations-
Statistiken, wenn sie über einen sehr langen Zeitraum sich
erstrecken und die verschiedensten Operateure umfassen, welche
nur selten nach gleichen Principien und nicht immer nach
den besten Inspirationen handelten, stets den Einwand zu-
lassen, dass in diesem oder jenem Falle von einem erfahreneren
Operateur dieser oder jener Fehler bei der Operation oder
Nachbehandlung nicht würde begangen und dadurch vielleicht
ein günstigeres Resultat würde erzielt worden sein, so lässt
sich ein Gleiches nicht gegen diejenigen Statistiken sagen,
welche die Gesammtresultate eines und desselben Operateurs
betreffen und Operationen registriren, die in einem verhältniss-
mässig kurzen Zeiträume nach ziemlich gleichen, durch die
weitere Erfahrung allerdings gelegentlich etwas modificirteu
Principien in der Technik der Operation selbst und der
Nachbehandlung ausgeführt worden sind. In diese Klasse
von Statistiken sind diejenigen einzelner englischer Operateure
zu rechnen, welche zusammen bereits eine sehr erhebliche
Zahl von Ovariotomieen, fast sammtlich unter der Controle
ihrer Gollegen, ausgefühlt haben; dieses letztere gilt namentlich
von den Londoner Chirurgen, bei denen eine Art von Wett-
streit bezüglich der Erzielung immer glücklicherer Resultate
vorhanden ist und bei denen nicht leicht ein ungünstig ab-
gelaufener Fall verborgen bleiben kann. Ich will hier vor-
läufig nur die Resultate von vier Operateuren angeben, nämlich
1) von Charles Clay (zu Manchester) — nicht zu ver-
88
V. Verhandlungen der Gesellschaft
wechseln mit seinem schon erwähnten Namensvetter John Clay
zu Birmingham — , welcher die meisten derartigen Operationen
in der Welt aufzuweisen und seit dem Jahre 1842 bis zur
Mitte September 1860 *) die untenstehende Zahl von Operationen
mit höchst glücklichem Ausgange ausgeführt hatte ; 2) Is. Baker
Browri& (zu London) Operationen bis zum 5. März 1862 ; *)
3) T. Spencer Weih' (zu London) Resultate seiner sänimt-
lichen (von ihm überhaupt unternommenen) vom 19. Februar
1858 bis zum 5. Mänz 1862 ausgeführten totalen Ex-
stirpationen2); endlich 4) Tyler SmitKs (zu London), der erst
seit sehr kurzer Zeit, nämlich seit dem 15. October 1860
Ovariotomieen gemacht und dabei überaus glückliche Resultate
erzielt bat.
Operateur:
Summa
98
Da
geheilt
68
13
6
von
gestorben
30
Charlto Clay
1 im London Surgical
Baker Brown} Home
1 St. Mary's Hospital
f und Privatpraxis
19
19
6
13
38
19 | 19
«^ ., ( *m Samaritan Hosp.
SpencerWell*) fa der Privatpraxi8
19
15
34
11
8
19
8
7
15
Tyler Smith
10
7
3
Wenn die vorstehenden Resultate, namentlich was die
Statistiken von Clay und Tyler Smith anbelangt, als sehr
gunstig bezeichnet weiden müssen, kann man ein Gleiches
nicht von der nachfolgenden Statistik behaupten, welche alle
diejenigen in den Jahren 1858 — 1861 in dem eigentlichen
England, ausser von den oben genannten Chirurgen, aus-
geführten und veröffentlichten Ovariotomieen enthält, von denen
wir später auf einer besonderen, 76 Fälle umfassenden Tabelle
noch etwas nähere Auskunft geben werden. Es bestätigt die
nachstehende, 30 Fälle enthaltende Zusammenstellung, die
1) Nach mündlicher Mittheilung an den Verf. zu Manchester
am 13. September 1860.
2) Lance t, 1862, Vol. I., p. 303.
für Gebuxtahülfe in Berlin. 89
auch anderweitig, ,z. B. in unterer deutschen Statistik ge-
machte Beobachtung, dass die ersten Operationen eines
Operaleurs selten -glückliche sind, und da sich nun auf jener
viele erste und zum Theil einzige finden, so ist die Zahl der
Todesfalle überwiegend; es ist sogar anzunehmen, dass die
letztere in der Wirklichkeit noch grösser war, indem manche
lethal verlaufene Fälle unbekannt geblieben sein mögen. Es
ist ausserdem bei dieser nicht günstigen Statistik der Umstand
in Betracht zu ziehen, dass die meisten der anzuführenden
Operationen in grossen oder allgemeinen Hospitalern unter-
nommen worden sind, deren Resultate, wie bei allen übrigen
chirurgischen Operationen, so auch bei den Ovariotnmieen,
selbst bei Ausführung durch die gewandtesten Operateure,
bedeutend ungünstiger sind, als die der kleinen oder Special-
Hospitäler oder der Privatpraxis, wie dies die günstigen
Erfolge der oben erwähnten vier Operateure nachweisen,
welche nur unter diesen Umständen operirten.
Zunächst die vollständig ausgeführten Ovariotomieen von:
.Operateur:
Summa
Hutchinson (Metropolitan Free Hosp.) . . . .
Borlase Childs (Ebendas.)
Curling (London Hosp.)
Maunder (Ebendas.)
JSrichsen (University College Hosp.) . . . .
Cooper Forster (öuy'a Hosp.)
Bryant (Ebendas.)
Holt (Westroinster Hosp.)
Nunn (Middlesex Hosp.)
A. B. Bornes
Tanner
Humphry {Addenbrooke^'e Hosp., Cambridge)
Terry (Bradford Infirmary) A . .
W.B.Page (Cumberland Infirm., Carlisle) .
Ellis Jones (Liverpool Northern. Hosp.) . .
Orimsdale (Lying-in Hosp., Liverpool). . .
D. Lloyd Roberts (Manchester)
Sampson Oamgee (Birmingham)
P. Teale (Leeds General Infirmary)
Snmma
29
Davon
«ehÄÜti.logrben
Dazu kommt noch ein Fall, in welchem
die Operation unvollendet bleiben musste:
Hutchinson (Metropolitan Free Hosp.) .... I 1 I —
1 ' —
— 2
— 2
— 1
— 1
— 1
1 —
1 —
1
1
1
1
J i -
1-1 1
1.1 —
12 I 17
90 Y. Verhandlungen der Getellfehaft
Was die eben erwähnten, gelegentlich vorkommenden,
bloss versuchten Ovariotomieen betrifft, welche, in der Regel
wegen zu ausgedehnter Adhäsionen, unvollendet gelassen
werden mussten, so bin ich nicht im Stande, anzuführen, wie
oft dieses Verhalten der Eierstockstumoren neben den oben
erwähnten vollständigen Ovariotomieen beobachtet wurde; nur
Spencer WdU hat. darüber eine nähere Angabe gemacht A)
Es waren ihm nämlich ausser den von ihm bis zum Ende
des Jahres 1861 ausgeführten 30 Ovariotomieen, zwei Fälle
vorgekommen, in denen nach gemachtem Bauchschnitte die
Exstirpalion unmöglich befunden wurde; in dem einen Falle
lagen die Eingeweide vor und um den Tumor herum, im
zweiten fanden sich überaus feste und ausgedehnte Adhäsionen;
beide Patientinnen genasen von dem Operationsversuche.
Um nun einen Beschluss mit der Statistik zu machen,
will ich, zur Bestätigung der schon gemachten Bemerkungen,
dass bei weiter fortschreitender Erfahrung die Resultate der
Operation immer günstiger werden, Clajfs*) Bericht über seine
69 ersten Fälle (von 1842 — 1856) anführen, aus dem sich
Folgendes ergiebt:
Unter den e r g t e n 20 Fällen war d. Mortalität 8, od. 1 : 2%.
„ „zweiten 20 „ „ „ „ 6, „ 1:8%.
„ „dritten 29 „ „„ 7, „ 1:4% (2%: 10).
Wenn wir nun aber fragen, wann und unter welchen
Umständen wir berechtigt sind, eine so eingreifende Operatioo,
wie die Ovariolomie es ist, vorzunehmen, müssen wir zu-
nächst kurz diejenigen Hülfsmittel und Verfahren näher be-
trachten, welche uns bei umfangreichen Eierstocks -Tumoren
(von kleinen sehen wir hier ab), al^ weniger gefahrlich zu
Gebote stehen, und was durch sie geleistet werden kann und
geleistet wird. Was zunächst eine medicinische (diätetisch-
phargiaceutische) Behandlung derselben betrifft, so ist eine
solche ausschliesslich und allein in denjenigen Fällen an-
gezeigt, in welchen das Wohlbe6nden der Patientinnen
wenig oder gar nicht durch die Geschwulst beeinträchtigt
wird, also kein nachtheiliger Druck durch sie auf die Ein-
1) Spencer Wells in British Modical Journal, 1861, Vol. IL, p.656.
2) Edinburgh Medical Journal , 1856 , Maren , p. 863.
fflr Gebwtshtilfe in Berlin. 91
ge weide der Bauch- und Brusthöhle ausgeübt wird, so lange
also eine Störung in den Functionen aller genannten Organe
in erheblicher Weise nicht zu bemerken ist, so lange keine
bedeutende Abmagerung, keine aufreibenden Schmerzen vor-
handen sind und die Fortbewegung nicht zu sehr erschwert
ist. Wenn unter diesen Umständen von jeder chirurgischen
Behandlung, selbst der blossen Function Abstand zu nehmen
ist, müssen wir uns aber auch gleichzeitig gestehen, dass es
eine specifische, umfangreiche EierstocksgeschwAlste zer-
theilende oder beseitigende medicinische Behandlung nicht
giebt, dass weder Jod und Brom, noch Alkalten, eben so
wenig wie die jene Bestandteile enthaltenden Mineralwässer,
noch auch Mercurialien oder Diuretica etwas Nennenswertes
leisten, im Gegentbeil eher, wenn sie energisch angewendet
werden, dadurch schaden, dass sie den allgemeinen Gesundheits-
zustand der Patientin untergraben und dieselbe in einen für
eine spätere chirurgische Behandlung weniger geeigneten Zu-
stand versetzen. Es muss sich die diätetisch -pharmaceutische
Behandlung daher bloss auf Paltiativmittel, zur Beseitigung
der vorhandenen leichteren Beschwerden, der Stuhlverstopfung
iL s. w. beschränken, aber jeden Gedanken an Radicalbeüung
aufgeben.
Eine chirurgische Behandlung muss dann eintreten,
wenn die oben genannten Bedingungen vorliegen, wenn in
Folge des Druckes auf die Unterleibsvenen Oedeme oder
Ascites auftreten, wenn dauernde erhebliche Schmerzen mit
Schlaflosigkeit, Abmagerung, Störung der Digestion vorhanden
sind. Unter den bei der chirurgischen Behandlung zunächst
in Frage kommenden Operationen steht die Punction obenan,
die naturlich nur da überhaupt anwendbar ist, wo eine grössere
Kyste mit dünnflüssigem, leicht durch eine Cagüle zu ent-
leerendem Inhalte vorliegt, während sie bei multiloculären
Geschwülsten, deren verhälnissmässig kleine Hohlräume einen
colloiden Inhalt besitzen, gana ausser Betracht bleibt Wenn
nun auch zugegeben werden muss, dass bei dünnwandigen,
leicht zusammenfallenden Kysten mit dünnflüssigem Inhalte
gelegentlich durch eine einzige oder mehrfache Pqnction eine
Radicalbeüung dadurch erzielt wird, dass die Kyste sich nicht
wieder füllt, oder, in weniger günstiger Weise, dadurch,
92 V. Verhandlungen der Gesellschaft
dass eine adhäsive Entzündung auf der Innenwand, gewöhnlich
mit gleichzeitiger allgemeiner Peritonitis auftritt, so ist dieser
sehr seltene günstige Ausgang doch nur in wenigen Fällen
möglich und auch da, wo die Möglichkeit desselben vorhanden
ist, niemals auf ihn zu rechnen. Ausserdem ist aber auch
der Act der einfachen Function keinesweges ungefährlich,
mag dieselbe, wie gewöhnlich, durch die Bauchwand oder
durch die Scheide oder den Mastdarm vorgenommen werden;
tödtliche Blutungen aus einer verletzten Vene der Bauch-
wand (selbst bei Punclion in der Linea alba), oder einem
Gefasse der Kystenwand, so wie schleichende suppurative Ent-
zündungen der Innenwand der Kyste, mit lethalem Ausgange
sind beobachtet worden. Der Lufteintritt in die Kyste, welcher
zu letzteren gewöhnlich Veranlassung giebt, kann allerdings
vermieden werden, namentlich durch Benutzung der jetzt fast
allgemein in England gebräuchlichen Thompson'schen Trokar-
spritze, bei deren Anwendung die Patientin die Seitenlage
im Bette einnimmt, und ohne dass jene weiter entblösst wird,
vermittels des langen Gummischlauches die Flüssigkeit in ein
unter dem Bette stehendes Gefäss sich leiten lässt. Aber
auch die Resultate der oft wiederholten palliativen Punction,
bei der, wie bekannt, bisweilen ganz enorme Quantitäten
Flüssigkeit nach und nach entzogen werden müssen, sind
sehr ungünstige, wie dies eine Zusammenstellung von Fock1)
(nach den von Southam, Th. 8. Lee, Kiwisch und ihm
selbst gesammelten Resultaten) lehrt. Danach waren von 132
mit einfacher Punction behandelten Kranken 103 mit Beendigung
des dritten Jahres nach der ersten Operation gestorben; von
diesen 103 starben 25 schon in wenigen Stunden oder Tagen
nach der Punction, 24 im Verlaufe des ersten halben Jahres,
22 im weiteren Verlaufe des ersten Jahres, 21 im zweiten
und 11 im dritten Jahre nach der ersten Punction. Von den
übrig bleibenden Kranken lebten 13 noch 4 — 7 und mehr
Jahre; 3 starben an intercurrenten, mit dem Ovariumleiden
in keinem offenbaren Zusammenhange stehenden Erkrankungen;
von 7 ist das weitere Verhalten ungewiss, 3 wurden gebessert
und 3 anscheinend geheilt.
1) Foek 1. c. S. US.
für Qebortehülfe ia Berlin. 93
Durch die Function mit nachfolgender metho-
discher Compression sind ohne Zweifel Radicalheilungen
ersielt worden; es bleibt dabei aber fraglich, wie viel auf
Rechnung des Druckes zu setzen ist, da auch die vorliegende
Methode nuc bei einfachen, nicht adharenten serösen Kysten
anwendbar ist, bei denen unter Umständen auch durch die
blosse Function eine Radicalheilung erreicht wird. Namentlich
Baker Brown ist für dieses Verfahren sehr eingenommen
und will mittels desselben viele Heilungen nach mehrjährige»
Bestehen der Eierstockstumoren bewirkt haben.1)
Die Punction mit nachfolgender Einlegung eines
metallenen oder elastischen Rohres, so wie die
Bildung einer permanenten Eierstocksfistel, die durch
ersteres Verfahren befördert wird, sei es, dass man die
Bauchwand, die Scheide oder den Mastdarm zur Punction
wählte, sind entschieden sehr gefährlich, indem die Patientinnen
durch die nachfolgende Verjauchung des Sackes, trotz aller
etwa angewendeten antiseptischen Einspritzungen (z. B. von
Jodlösungen) in die äusserste Lebensgefahr versetzt werden,
wie dies die von Fock 2) angeführten Fälle zur Genüge darttyjn.
Durchaus anders dagegen verhält es sich mit der
Punction und nachfolgenden Jod-lnjection, welche
in den dafür geeigneten Fällen eine wenig gefährliche, oft
Radicalheilung erzielende Methode ist Während sie nämlich
bei zusammengesetzten und halb soliden Kystengeachwülsten,
eben so wie bei starrwandigen Kysten, die selbst nach der
Entleerung nicht vollständig zusammenzusinken im Stande sind,
unnütz und sogar entschieden gefährlich ist, findet sie ihre
Indication in vollem Umfange bei einfachen, dünnwandigen,
nicht adharenten Kysten mit flüssigem Inhalte, bei denen sich
die einfache Punction als nutzlos erwiesen hat. Es ist durch
dieses Verfahren bisher eine beträchtliche Reihe von Heilungen
erreicht worden; es ist dasselbe auch, wenn man es in den
geeigneten Fällen anwendet und bei der Ausführung desselben
vorsichtig zu Werke geht, so dass namentlich ein Abgleiten
1) Lancet, 1860, Vol. II., p. 435; Medic. Times and Gaz.,
1861, Vol. I., p. 184 sqq.
2) Fock 1. c. S. 116.
94 V. Verhandlmngen der Gesellschaft
des Sackes von der Canüle und eine Injection der Flüssigkeit
in die Bauchhöhle vermieden wird, ohue grosse Gefahren;
allein es schliesst Kecidive, selbst nach einer anscheinend
längere Zeit bestehenden Heilung nicht aus, indem entweder
dieselbe Kyste, in welche die Injection gemacht worden war, sich
wieder ausdehnt, da wahrscheinlich, wie bei der Hydrocele, in den
meisten Fällen nur die secretorische Thätigkeit der Innenfläche
aufgehoben, nicht die ganze Höhle durch Verwachsung obiiterirt
wird, oder anderseits indem ein dem letzteren benachbarter
anderer Hohlraum des entarteten Eierstockes zu grösserer Aus-
dehnung und Entwicklung gelangt Immerhin bleibt die Jod-
Injection ein für einzelne Fälle sehr werthvolles Verfahren,
welches einer mehrmaligen Anwendung iahig, auch bisweilen
die späteren Recidive wieder beseitigt. Man bedient sich
am besten woM wässeriger Jodlösungen (mit Hinzunahme von
Jodkalium), am eine gelegentlich, ausser einer Jod-Intoxicaüoa,
beobachtete Alkohol -Intoxicatio« auszuschliessen. Von Spencer
WeU* ist neuerdings ein eigener Punctum* - und Injections-
Apparat angegeben worden, mit einer Vorrichtung, mittels
welcher die elastische Injections- Canüle, nach Zurückziehung
der Trokarstilets, bis auf den Grund der Kyste geschoben
und so sicher ein Ausgleiten derselben verhütet wird, während
mittels einer Spritze mit einem Hahn und graduirten Glas-
gefässe für die Jodlösung, sowohl der Kysteniahalt bis auf
den letzten Tropfen entfernt, als auch die Injection der Jod-
lösung derart bewirkt werden kann, dass bei keinem dieser
Acte der Eintritt von Luft in die Kystenhöhle möglich ist
indem wir jetzt zu den blutigen Operationen bei Eierstocks-
geschwülsten übergehen, treffen wir zunächst auf ein Verfahren,
welches die mehrmals nach spontaner Ruptur der Kyste
erfolgte Heilung sich zum Muster nehmend, durch einen
kleinen Bauchschnitt die Ausschneidung eines Stückes der
KysLenwand bewirkt und den Inhalt in die Bauchhöhle treten
läset, ein Verfahren, das, trotzdem es einige Male Heilung
herbeigeführt hat, doch als höchst gefährlich bezeichnet werden
muss, da sich das Bauchfell keinesweges immer gegen den
ausgetretenen Kysteninhalt so indifferent verhält, wie dies
in den geheilten Fällen stattgehabt haben muss, vielmehr
ffir Geburtßbtilfe in Berlin. 95
oft genug nach zuf affiger Entleerung von.Kysteninhalt in die
Bauchhöhle eine tödtliche Peritonitis folgt Einige andere
Verfahren, die meistens zur Anwendung kamen, wenn die
totale Exsürpation der Eierstocksgeschwülste sich wegen zu
ausgedehnter Adhäsionen als unausführbar erwies und auch
der Inhalt derselben wegen zu grosser Zähigkeit nicht durch
die stärkste Trokar- Canüle entleert werden konnte, trotzdem
aber eine Entleerung der Geschwulst wegen des durch sie
ausgeübten lebensgefährlichen Druckes unumgänglich war,
sind die unter diesen Umständen vorgenommene Incision
oder tbeilweise Exstirpation der Geschwulst, deren
Gefahren sehr grosse sind, indem die Kranke sowohl in
Folge des theilweisen Austrittes des Geschwuistinhalles in die
Bauchhohle, als auch, wenn sie dies überlebt, durch die nach
dem Einschnitte eintretende Verjauchung der Geschwulst und
die davon abhängige Erschöpfung fast unfehlbar zu Grunde
geht. Es kann daher niemals davon die Rede sein, diese
Verfahren zu einer Heilungsmethode zu erheben, vielmehr
wird man sich derselben, selbst nach gemachtem Bauchschnitte,
wo möglich zu enthalten haben. Wenn wir mm noch auf
einige abenteuerliche Vorschläge hindeuten, wie das Durch-
ziehen eines Setaceum durch Bauchdecken und Geschwulst,
so wie die Eröffnung derselben durch die Cauteri-
sation, so ist damit die Reihe der Verfahren erschöpft, welche
zur Heilung von Eierstocks- Tumoren ausser der Ovariotomie
uns übrig bleiben, und diese ist dann unter Umständen das
einzige noch vorhandene Mittel, um eine radicale und dauernde
Heilung herbeizuführen, wenn andere Verfahren keine Aussicht
auf Erfolg gewähren oder vergeblich angewendet worden sind.
Allerdings ist die Operation eine gefährliche, allein sie theilt
dieses Schicksal mit einer Anzahl von anderen chirurgischen
Operationen, welche, sobald sie indicirt sind, unbedenklich
unternommen werden und unternommen werden müssen. Der
Procentsatz des lethalen Verlaufes wird bei ihr kaum höher
sein, als z. B. bei der Exarticulation im Hüftgelenk oder
der Unterbindung einiger grossen Arterienstämme, wie der
Art. subclavia, iliaca externa, ganz von der Anonyma und
Iliaca communis zu geschweige^, aber wich selbst so ge~
96 V. Verhandlungen der Gesellschaft
wohnliche Operationen, wie die Amputation des Oberschenkels,
namentlich wegen Verletzung, sowie der Steinschnitt bei Er-
wachsenen, liefern häufig Resultate, die nicht viel besser als
die der Ovariotomie sind; endlich dürften die Erfolge der
Ovariotomie und des Kaiserschnittes, der am ehesten eine
Vergleichung mit ihr zulässt, im Grossen und Ganzen so
ziemlich dieselben sein. Allerdings ist zuzugeben, dass der
lethale Ausgang bisweilen ziemlich bald nach der Ovariotomie
eintreten kann; allein wenn man erwägt, welch' ein elendes
Leben die Patientin führt und welch' ein noch elenderer Tod
in gar nicht zu langer Zeit ihr bevorsteht, den der Arzt
grossentheils als unthätiger Zuschauer herannahen sehen muss,
während anderseits durch eine kühne, allerdings gefährliche
Operation eine durchaus radicale Heilung erzielt, die frühere
Gesundheit wieder hergestellt und die Patientin sogar Mutter
einer Reihe von Kindern später werden kann (wofür wir eine
Anzahl von Fällen anführen werden), so erscheint, glaube ich,
die Wahl nicht sehr schwer; wenigstens lehrt die Erfahrung,
dass sehr viele Patientinnen, denen die Gefahren der Operation
auf das lebhafteste vorgestellt wurden, sich an den ihnen
gleichzeitig gegebenen Hoffnungsschimmer sofort anklammerten
und lieber allen unglücklichen Chancen Trotz bieten oder
untergehen wollten, als ein so jämmerliches Dasein noch länger
ertragen.
Was nun die Zulässigkeit der Ovariotomie anlangt,
so muss bei ihr, wie bei jäder anderen grösseren Operation,
vorausgesetzt werden, dass die für das Leben notwendigsten
Organe sich in relativ gesundem Zustande befinden, dass also
z. B. in Lungen und Nieren keine an sich bedenkliche Er-
krankung vorhanden ist. Das örtliche Uebel selbst anlangend,
muss die Gegenwart eines Ovaria! -Tumors unzweifelhaft con-
statirt sein, entweder bloss durch die Untersuchung mittels der
Palpation, oder, gleichzeitig auch, was in den meisten Fällen
zu empfehlen ist, durch eine in explorativer Absicht unter-
nommene Function,' bei welcher nach Entleerung einer oder
mehrerer grösserer Kysten man eine viel richtigere Vorstellung
über das uniloculäre oder multiloculäre Verhalten des Tumor,
seinen Inhalt, das Vorhandensein gleichzeitiger fester Massen
für Geburtshülfe in Berlin. 97
erhält. In sehr dunkelen Fällen ist sogar unter seltenen
Umständen ein exploraliver Einschnitt durch die Bauchwand
zulässig, der, wo irgend möglich, wenn der Fall für die
Exstirpation geeignet gefunden wird, in diese übergehen
muss. Während, wie wir bereit» früher gesehen haben, die
totale Exstirpation bei einfachen Kysten nicht ohne Weiteres
indicirt ist, sondern bei ihnen jedenfalls zuerst die Jod-
Injection ein- oder mehrmals versucht werden muss, kann
sie auch bei ihnen erforderlich werden, wenn das genannte
Verfahren vollkommen fehlschlägt, oder wenn neben der
obliterjrten Kyste feste Geschwülste von grösserem Umfange
sich in dem erkrankten Ovarium entwickeln. Ueberhaupt
bleibt bei halb oder ganz soliden Eierstocksgeschwülsten die
Ovariotomie die einzige mögliche Behandlungs- und Heilungsart.
Eine andere Frage, welche bei der Stellung der Indicationen
in Betracht kommt, ob das Vorhandensein einer Anzahl von
Adhäsionen zwischen der Geschwulst und den Wandungen
und dem Inhalte der Bauchhöhle eine entschiedene Contra-
indication gegen die Vornahme der Operation abgiebt, muss
mit Bestimmtheit verneint werden, indem die Erfahrungen,
welche von allen englischen Chirurgen in dieser Beziehung
gemacht sind, dafür sprechen, dass selbst nach Trennung
bedeutender Adhäsionen der glückliche Ausgang keinesweges
als seltene Ausnahme anzusehen ist, sondern fast eben so
oft erfolgt, als da, wo diese Complication nicht vorhanden ist
Ich werde dies sogleich durch einige auf Thatsachen sich
stützende Zahlen nachzuweisen versuchen; zuvor aber will ich
nur bemerken, dass es überaus schwierig, wenn nicht ganz
unmöglich ist, bei der Untersuchung des Leibes von aussen
her, mag dieselbe bei ausgedehntem oder zusammengefallenem
Zustande der Kyste vorgenommen werden,' die An- oder Ab-
wesenheit von Adhäsionen bestimmt zu ermitteln. Wenn es
auch in einzelnen Fällen möglich sein mag, eine Adhäsion an
der vorderen Bauchwand, sobald sie in erheblichem Umfange
und straffem Zustande vorhanden ist, daraus zu diagnosticiren,
dass, bei Anfüllung des Tumor und Bewegungen der liegenden
Patientin von einer Seite zur anderen, derselbe nicht unter
den Bauchdecken fortgleitet , sondern dieselben und namentlich
Monataschr. f. Geburtak. 1862. Bd. XX., Hfl. 2. 7
93 V. Verhandlungen der Gesellschaft
den Nabe) mit nach derjenigen Seite hin zieht, wo die Ge-
schwulst das Uebergewicht bekommen hat, so sind doch die
so häufig vorkommenden Adhäsionen mit dem Netze und die
weit schlimmeren mit den Eingeweiden (Leber, Därmen)
absolut nicht vor gemachtem Bauchschnitte mit aueh nur einiger
Bestimmtheit zu. diagnosticiren. Wer daher die Ovariotomie
unternimmt, muss stets auf das Vorhandensein derselben,
wenn auch nur einiger, gefasst sein. — Ich habe in dem
Nachstehenden eine tabellarische Zusammenstellung aller in
den englischen Journalen veröffentlichten (76) Ovariotomieen,
welche in den vier Jahren 1858 — 1861 unternommen wurden,
gemacht; dabei fehlen mir aber die jedenfalls ein ansehnliches
Contingent ausmachenden Fälle von Charles Clay, da, so viel
ich weiss, dieselben in den letzten Jahren nicht veröffentlicht
worden sind, mit Ausnahme der von John Clay1) gemachten
und bis zum Februar 1860 reichenden Zusammenstellung,
die mir jedoch nicht zugänglich war. Ich habe die gesammelten
Fälle ganz besonders mit der Rücksicht zusammengestellt,
nachzuweisen, dass weder die Anwesenheit von zum Theil sehr
zahlreichen Adhäsionen, noch die Gegenwart von ganz oder
halb soliden oder mehrkammerigen Eierstocksgeschwülsten,
einen glücklichen Verlauf der Operation ausschliesst. Es sind
deshalb die Vermerke in den betreffenden Rubriken etwas
ausführlicher, während über "die Ausführung der Operation
selbst, die übrigens meistens nach ziemlich ähnlichen, zum
Theil ganz gleichen Grundsätzen stattfand, so wie über Verlauf
und Nachbehandlung nichts in die Tabellen, um diese nicht zu
voluminös zu machen, aufgenommen worden ist.*) Ebensowenig
beabsichtige ich, in Betreff des Vorkommens von Eierstocks-
geschwülsten und deren Zusammensetzung bei Patientinnen von
verschiedenem Alter, verschiedenen sexuellen Functionen u. s. w.,
1) 1. c.
2) Etwas ausgedehntere Notizen über die einzelnen PHlle
finden sieh in meinen Jahresberichten über die Leistungen nnd
Fortschritte auf dam Gebiet« der Chirurgie, von denen der für
das Jahr 1869 bereits erschienen ist (Langenbeck>& Archiv für
Chirurgie, Bd. 1, Heft 3, S. 311 ff.) und der für 1860 und 1861
in seinem Erscheinen (Ebenda*. Bd. 3) bevorsteht.
flr Gebnrtohfflf« in Berlin. 99
ferner der unter diesen Umständen durch die Operation 'er-
zielten Resultate, die Forliegenden Zusammenstellungen zu
Grunde zu legen, da diese Verhältnisse thefls anderweitig
berücksichtigt und bekannt sind, theils in der That sich nicht
sehr abweichend verhalten, so dass ganz junge Mädchen und'
ältere Frauen, die eine Reihe von Kindern geboren hatten,
in Betreff ihrer Eierstockserkrankung sich unter ziemlich
ähnlichen Bedingungen befanden.
In den nachstehend angeführten 76 Fällen wurde 75 Mal
eine totale Exstirpation, und zwar zwei Mal eine solche
beider Ovarien (No. 31, 60) vorgenommen, während ein Mal
(No. 49) die Operation wegen zu ausgedehnter Adhäsionen
unvollendet gelassen werden musste.
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V. Verhandlungen der Gesellschaft
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V. Verhandinngen der Gesellschaft
Ausgang.
Heilung in acht
Wochen.
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Heilung nach hef-
tiger Peritonitis.
Heilung in sechs
Wochen.
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für GebortshOlfe in Berlin.
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Passen wir in einigen Zahlen die Ergebnisse der obigen
Casuistik zusammen, so findet sieb Folgendes:
Resultat der totalen Exstirpationen .
Beide Ovarien wurde« exetirpirt . .
Ascites war vorhanden
Der Tumor war einfach (nnilocnlär)
p „ „ zusammengesetzt
(meistens multiloculär,
theilweise fibrös) . . .
„ „ „ nicht naher bestimmt
Adhäsionen waren nicht vorbanden
„ „ vorhanden . • .
Keine Angaben über Adhäsionen . . .
Summa
76
2
13
10
57
8
17
49
9
Davon
Heilung
45
1
9
6
34
5
14
29
2
Tod
30
1
4
4
23
3
3
20
7
Man ersiebt aus den vorstehenden Zahlen, dass m der
überwiegenden Majorität der Fälle es sich um zusammen-
gesetzte Kystengeschwülste bandelte, welche meistentheils aus
einer oder zwei Kystenräumen , nebst einer Anzahl kleiner
Hohlräume, häufig mit colloidem Inhalte bestanden, in einigen
Fällen (No. 20, 35, 47) aber auch ganz und gar aus kleinen
Kysten zusammengesetzt waren; einige Male (No. 6, 31) war
auch gleichzeitig ein fibröser Tumor vorhanden. Die Erfolge
der Exstirpation einfacher Kysten (No. 36, 39, 41, 44, 52,
54, 55, 57, 69, 76), die in der Mehrzahl der Fälle auch
keine Adhäsionen hatten, waren so ziemlich dieselben wie
die bei den mehrfachen. — Was das Vorhandensein von
Adhäsionen anlangt, so fanden sich diese in äusserst zahl-
reichen Fällen vor, und zwar am häufigsten mit einzelnen
Eingeweiden allein, namentlich dem Netze, sehr viel seltener
mit dem Darme und der Leber, am seltensten mit dem Uterus,
Tuba und Blase; demnächst an Häufigkeit kamen die Adhäsionen,
die sowohl an der vorderen Bauchwand, als auch der hinteren
oder dem Beckenrande trnd gleichzeitig mit einem Eingeweide,
namentlich dem Netze, seltener Darm und Leber stattfanden,
112 V. Verhandlungen der Gesellschaft
endlich diejenigen Adhäsionen, welche an der Bauchwand
allein vorhanden waren. Es ist nun nicht zu verwundern,
dass die Resultate der Operation bei fehlenden Adhäsionen
günstiger waren, als bei vorhandenen, wenn man bedenkt,
dass die letzteren fast immer mit der Hand losgelöst werden
mussten, in vielen Fällen auch, namentlich am Netze, vor der
Trennung mit einem schneidenden Instrumente eine Unter-
bindung zur Vermeidung einer Blutung aus stärkeren Gefassen
nöthig machten, einige Male auch, zur Erreichung dieses Zweckes,
ohne eine Ligatur zurückzulassen, mit dem Ecraseur getrennt
wurden. Zu den schlimmsten Blutungen gab die Trennung der
Adhäsionen mit der Tuba und dem Uterus Veranlassung (No. 14,
28, 38) und erforderte mehrmals die Anlegung einer Reihe von
Ligaturen oder Suturen, zum Theil aus Draht. — Es geht aber
auch bei näherer Betrachtung der einzelnen Fälle unzweideutig
hervor, dass die Reaktion bei einer Operation mit Ablösung
selbst fester und umfangreicher Adhäsionen keinesweges mit
Nothwendigkeit bedeutender ist, als in denjenigen Fällen, in
welchen die Extraction einer einfachen Kyste durch eine
kleine Wunde gelingt; vielmehr lehren zahlreiche Beobachtungen,
dass die Reaction selbst nach sehr eingreifenden Operationen
eine höchst geringe war, dass die Operirten kaum einen
beschleunigten Puls hatten und kaum bei ihnen die Anwendung
irgend eines Hedicaments erforderlich war. Es lehrt ferner
ein Blick auf die Tabelle, dass die Genesenden meistens in
wenigen Wochen, durchschnittlich in einem Monat hergestellt
waren und daher unmöglich in dieser Zeit eine schwere
Peritonitis, wie man solche wohl nach einer so eingreifenden
Operation für unumgänglich halten könnte, durchgemacht
haben konnten. Es scheint hiernach fast, als ob die sonst
*bei allen Eröffnungen der Bauchhöhle so sehr drohende Gefahr
der Peritonitis, zumal beim Vorhandensein massiger Adhäsionen,
den Residuen früher dagewesener schleichender Entzündungen,
bei den hierdurch, so wie die starke Ausdehnung des Bauch-
felles bewirkten Veränderungen, eine geringere sei, als man
unter anderen Umständen beobachtet Schon J. Clay hat
durch Zusammenstellung von 385 Fällen, in welchen über
die An- und Abwesenheit von Adhäsionen nähere Auskunft
für Geburtshülfe in Berlin.
113
gegeben ist, die nachfolgenden nicht ungünstigen Resultate
ermittelt
Summa
Adhäsionen
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aus-
gedehnte
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Ligatur
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fordernd
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Es ist endlich noch darauf hinzudeuten, dass selbst das
Vorhandensein von Ascites (No. 3, 5, 6, 22, 25, 31, 42,
46, 48, 67, 71, 73, 75) oft erheblichen Grades das Operations-
Resultat durchaus nicht sehr verschlechterte, indem auch hier
anscheinend das Peritoneum zu starken Entzündungei/ weniger
prädisponirt war.
Ehe wir uns zu einer kurzen Auseinandersetzung der-
jenigen Principien, nach welchen bei der Operation und Nach-
behandlung verfahren werden muss, wenden, haben wir noch
Einiges über den Zeitpunkt anzuführen, welcher für die
Vornahme der Ovariotomie zu wählen ist Abgesehen von
der Witterung, welche möglichst günstig sein muss und bei
der das trockene, warme, gleidunässige , jedoch nicht zu
heisse Wetter den Vorzug verdient, abgesehen ferner davon,
dass die Vornahme der Operation etwa in die Mitte zwischen
zwei Menstruationsperioden verlegt werden muss, ist die Be-
stimmung desjenigen Zeitpunktes und desjenigen Kräfte-
zustandes der Patientin, welche die Operation dringend
gebieten oder noch zulassen, ziemlich schwierig. Wenn auch
zur Erzielung eines günstigen Ausganges verlangt werden
inuss,, dass die Kräfte der Patientin noch möglichst wenig
gebrochen seien, so sind doch zahlreiche Fälle bekannt, in
denen unter anscheinend sehr verzweifelten Umständen noch
mit Glück operirt wurde. Man darf, sich daher nicht scheuen,
auch selbst noch unter solchen Verhältnissen die Operation
«vorzuschlagen und auszuführen, vorausgesetzt, dass die
Mouats«ohr. f. Qeburtok. 1862. Bd. XX., Hft. 2. 8
1X4 V. Verhandinngen der Gesellschaft
Leidende von anderweitigen organischen Erkrankungen voll-
kommen frei ist. Hat man Gelegenheit, eine Patientin längere
Zeit xu beobachten, so wurde in Fällen, in welchen die
Punction und Jod-Injection ohne Erfolg angewendet wurde,
oder überhaupt nicht zulässig war, der Termin zur ungesäumten
Vornahme der Operation dann gekommen sein, wenn die
Kräfte derselben abzunehmen, die Abmagerung zuzunehmen
beginnen.
In Betreff der Resultate der Operation selbst, lehrt, wie
schon oben erwähnt, die Erfahrung, dass dieselben in kleinen
Hospitälern oder der Privatpraxis günstiger ausfallen, als in
den grossen Hospitälern , mit ihren mancherlei , die Erfolge der
gelungensten chirurgischen Operationen gefährdenden Infections-
quellen. — Zu den erforderlichen Vorbereitungen gehört die
Auswahl eines ruhigen, gut ventilirten Zimmers, welches für dif»
In Gegenwart von möglichst wenig Zuschauen! auszuführende
Operation eine höhere Temperatur als gewöhnlich erhalten
muss und in welchem die Patientin nach jener sofort in ein
gehörig erwärmtes Bett gebracht werden kann. Es muss
ferner jede Möglichkeit zu Erkältungen dadurch abgehalten
werdep, dass die Patientin, so weit sich dies thun lässt,
bekleidet ist, jedenfalls aber warme Beinkleider und Strümpfe
während der Operation anbehält Zu den Vorbereitungen
gehört ferner die einige Tagen vorher bereits eingeleitete
möglichste Entleerung des Darmes, um nach der Operation
längere Zeit Ruhe in dieser Beziehung zu haben, ebenso wie
zur Vermeidung von Erbrechen nach der bei dieser Operation
unschätzbaren Chloroform -Narkose, die Patientin nicht kurze
Zeit zuvor etwas genossen haben darf. Der genau in der
Linea alba, nach Entleerung der Blase, zu führende, in der
Nähe der Schambeinfuge beginnende Bauchschnitt muss stets
von Anfang an so gross gemacht werden, dass man durch
ihn die Hand in die Bauchhöhle einführen und mittels der-
selben sich wenigstens 'in der nächsten Umgebung durch
Umgehen des Tumor von der An- oder Abwesenheit von
Adhäsionen überzeugen kann. Sind dergleichen nicht vor-
handen oder vorläufig nicht zu bemerken, so wird zunächst,
nachdem man durch eingeschlagene scharfe Haken den sich .
vordrängenden Tumor in der Wunde fixirt hat, ein starker
für Geburtehülfe in Berlin. H5
Thompsori&chm Trokar in don vorliegenden grössten Kysteu-
rawn eingestossen und dieser entleert, ohne dass die Patientin
oder ihr Lager durchnässt wird. Folgt jetzt der zusammen*
gefaMene Tumor einem massigen Zuge, so wird er mit Vor*
sieht entwickelt; ioigt er nicht, hindern dies fielleicht noch
nicht entleerte grössere Kysteo, so muss man auch diese
punetiren, wenn man sie erreichen kann, oder zuvor die
Wunde nach oben hin, mit Umgehung des Nabels, erweitern.
Verhindern jedoch Adhäsionen die Herausbeförderung, so sind
diese zunächst vorsichtig mit der Hand zu trennen, namentlich
diejenigen an der Bauchwand; sind dieselben aber fest und
gefä ssreich , so muss, nach vorheriger Unterbindung, die
Trennung derselben mit dem Messer bewirkt, die Unter-
hinduogsftden aus der Wunde herausgeführt werden; auch
kann bei festen und zähen Adhäsionen unter Umständen der
Ecraseur von Nutzen sein. Baker Brown wendet, wenn
er bei der Trennung von Adhäsionen eine Ligatur für nötnig
findet, dazu dünnen Silberdraht an, der kurz abgeschnitten
und in der Bauchhohle zurückgelassen wird. Bisweilen ist
es bei festen Adhäsionen der Kysje an Eingeweiden, deren
Abtrennung schwierig ist, nothwendig, dieselben ungetrennt
und dafür ein Stuck der Kystenwand an dem Eingeweide
zurückzulassen. Handelt es sieb um einen fast ganz soliden
muttiloculären Tumor, so ist allerdings zu seiner Entfernung
eine sehr grosse Incision erforderlich, wie man sie früher,
vor dem Jahre 1840 ungefähr, allgemein machte, um d^n
Tumor in seiner ganzen Ausdehnung herauszubefördern, ohne
ihn zuvor durch Entleerung des Inhaltes möglichst zu ver-
kleinern; bei einem solchen grossen Bauchschnitte missen
dann auch Vorkehrungen gegen den Vorfall der Eingeweide
getroffen werden. Lässt sich der zähe gallertartige Inhalt
einer grösseren ttyste nicht mit dem Tipkar entleeren, und
ist die Entleerung für die Herausbeförderung des Tumor
nothwendig, so kann auch ein grösserer Einschnitt in den-
selben gemacht werden; es muss dann aber auch sorgfältig
darauf geachtet werden, dass nichts von dem sich entleerenden
Inhalte in- die Bauchhöhle gelangt Ist man nun bei der
vorsichtigen Entwicklung des ganzen Tumor bis zu dem
sogenannten Stiele gekommen, d. h. denjenigen Theilen des
] jg V. Verhandlungen der Gesellschaft
breiten und runden Mutterbandes, sowie der Tuba, welche
sieb noch zwischen dem entarteten Eierstocke und dem
Körper der Gebärmutter in grösserer oder geringerer Aus-
dehnung befinden, so legen die englischen Operateure , deren
Grundsätze ich hier fast durchweg, namentlich nach Spencer
Wells'1) Mittheilungen schildere, gewöhnlich eine Klemme
um denselben, d. h. zwei durch Schraubenkraft an einander
zu bringende Branchen eines tasterzirkelähnlichen Instrumentes,
und comprimiren damit vollständig die Gefasse des Stieles;
entweder wird nun noch eine Unterbindung desselben vor-
genommen, und zwar in wenigstens zwei, nach Umständen
und bei grösserer Dicke des Stieles auch in mehr Portionen
und mittels der kräftigsten Ligaturfaden (Peitschenschnur),
und darauf der Stiel zwischen der Ligatur und der Geschwulst-
masse durchschnitten, oder man begnügt sich auch, wenn
die Klemme den Stiel gehörig zusammenpresst , mit dieser
und resecirt jenen ohne nochmalige Unterbindung, wobei
man den Vortheil hat, die Klemme schon am folgenden
oder dritten Tage abnehmen zu können. Neuerdings bat
Spencer Wells statt der Klemme auch ein durch Schrauben-
kraft zusammenzuziehendes Drahtseil in Anwendung gebracht.
Es ist selbstverständlich, dass die letztgenannten Verfahren
nur bei einem langen Stiele, den man leicht ausserhalb der
Bauchwunde erhalten kann, anwendbar sind. Ehe man nun
aber zur Fixirung des Stieles und zur Vereinigung der Wunde
schreitet, ist in allen denjenigen Fällen, in welchen die Ab-
trennung von Adhäsionen erforderlich war, die Blutung auf
das sorgfaltigste zu stillen, sowie alle in der Bauchhöhle
noch befindlichen Blutcoagula oder der etwa in die Bauch-
höhle, z. B. beim zufalligen Zerdrücken einiger sehr dünn-
wandiger Kysten ausgetretene Kysteninhalt, mit Hülfe von
weichen und reinen Schwämmen, bei gleichzeitiger Zurück-
haltung der Därme, aus der Unterleibshöhle, namentlich dein
kleinen Becken auf das sorgfaltigste zu entfernen, weil,
wenn dergleichen Massen zurückbleiben, sie leicht eine tödt-
liche Peritonitis herbeiführen. Obgleich nun die Ansichten
über die Sicherung und Fixirung des Stieles noch keine
1) Dublin quart.Journ.ofmed.se, Vol. 28, 1859, p. 267 sqq.
für Geburtehfilfe in Berlin. H7
allgemein feststehenden sind und z. B. einige englische
Operateure, welche mit grossem Glücke operiren, wie Clay
und Tyhr Smith, ihn öfter nach vorheriger Unterbindung
in die Bauchhhöhle zurückgleiten lassen, in der Erwartung,
dass sich die kurz abgeschnittenen Ligaturen bald mit Faser-
stoff umgeben werden, so scheint dieses Verfahren doch
nicht empfefalenswerth, da von dem strangulirten Stumpfe
die gangränescirenden Massen unzweifelhaft in die Bauchhöhle
gelangen und leicht Peritonitis, sowie putride Infection ver-
anlassen können. Es entspricht daher gewiss mehr einer
vorsichtigen Praxis den Stiel, sobald dies ohne zu grosse
Zerrung für den Uterus möglich ist, so in der Bauch wunde
zu fixiren, dass der stranguhrte Theil desselben nach aussen
hin abgestossen werden muss. Es wird daher bei der Ver-
einigung der Bauchwunde, die gewöhnlich theilweise durch
lange Stahl- (oder Insecten-) Nadeln und die umschlungene
Naht bewirkt wird, eine Nadel zunächst durch die Bauchwand
und den Stiel zugleich jenseits der Ligatur oder Klemme
hindurchgeführt und er so in der Bauchwunde befestigt und
eingeklemmt. Das Durchführen der Nadeln -geschieht am
besten gleichzeitig durch das Peritoneum , indem mittels eines
solchen Verfahrens, wie /Spencer Weih vielfach bei Ex-
perimenten an Threren und bei Sectionen von Patientinnen,
die einige Zeit nach der Operation verstorben waren, die
allergenaueste Vereinigung erzielt wird ; zwischen die einzelnen
Nadeln können dann noch eine Anzahl oberflächlicher Metall-
suturen zu genauerer Vereinigung der Haut gelegt werden.
Als Verband dient eine über die mit Watte bedeckte Wunde
angelegte flanellene Bauchbinde.
Aeusserst wichtig ist die Leitung der Nachbehandlung.
Dieselbe darf kemesweges sehr geschäftig noch eingreifend,
vielmehr fast nur diätetisch und expeetativ sein. Vollständigste
Buhe in einem gut ventilirten, massig warmen und feuchten
Zimmer, in einem bequemen warmen Bette, Erhaltung der
grössten Reinlichkeit, Katheterismus alle sechs Stunden sind
Hauptbedingungen, während Speisen und Getränke stets in
kleinen Quantitäten, nach den Wünschen der Patientin mit
der Rücksicht gereicht werden, dass auf keinen Fall da*
durch ein Erbrechen veranlasst wird. Wo eine Neigung
118 V. Verhandlungen der GeielUchaft
dazu vorbanden ist, z. B. in Folge der Chloroform -Narkose,
darf absolut nichts zum Verschlucken gegeben werden, als
kleine Eisstücken zur Stillung des Durstes und müssen dann
nicht nur alle Nahrungsmittel (wie dies in einer Reihe von
Fällen mit gunstigem Erfolge geschehen ist) durch Clyswata
eingebracht werden, sondern auch die für nöthig erachteten
Medicamente, unter denen das Opium eine hervorragende
Rolle spielt, obgleich es nach der Ovariotoroie nicty, wie
sonst auch die englischen Aerzte bei allen die Bauchhöhle
betreffenden und eröffnenden Operationen oder Verwundungen,
zur Verlangsamung der peristaltischen Bewegung anzuwenden
ist, sondern nur zur Besänftigung der Schmerzen; daher in
einzelnen Fällen, in denen eine Reaction von Bedeutung nicht
auftritt, fast gar keine Medication erforderlich ist Und in
der That befindet sich unter den oben angeführten Fallen
eine Anzahl, bei denen entweder gar nichts von Medicamenten
oder höchstens ein oder zwei Mal eine geringe Dosis Opium
auf dem einen oder anderen Wege beigebracht wurde. Bei
der Application des Opiums durch Clysmata, zur möglichsten
Vermeidung von Erbrechen , ist ausserdem noch eine günstige
locale Wirkung auf die bisweilen zu beobachtende lästige
Reizbarkeit der Blase zu bemerken. Es ist aber eine künst-
liche Constipation einer- und noch mehr Purgantien anderer-
seits zu vermeiden, weil im ersten Falle durch Tympanitis,
im letzteren Falle durch Reizung des Darmes Peritonitis erregt
werden kann. In Betreff der äusseren Applicationen auf den
Unterleib Schemen die englischen Operateure, wenn sie deren
überhaupt anwenden, mehr für die warmen als die kalten
eingenommen zu setq. Nach 3 — 4 Tagen werden die Nadeln
und später die übrigen Suiuren ausgezogen, und die Patientin
kann bei der einfachsten diätetischen, jetloch die grösste
Reinlichkeit berücksichtigenden Pflege, innerhalb sehr kurzer
Zeit hergestellt sein.
Dass nach glücklich gelungener Ovariotomie die Wieder-
herstellung der Gesundheit eine vollständige sein kann und
ohne wesentliche Verstümmelung, wie eine solche nach so
vielen anderen bedeutenden chirurgischen Operationen zurück-
bleibt, lehren die zahlreichsten Beobachtungen. Ich will zum
Schlüsse nur noch das näher ausführeu, was ich früher
für Gafcujrtihülfe in Berlin. HP
bereits angedeutet habe, das* uäfnlich eine ganze Anzahl
von Fällen bekannt ist, in welchen nach gemachter Ovariotomie
die betreffenden Frauen eine Reihe von Kindern zu erzeugen
im Stande waren« m Es ist von Crouch l) eine Zusammen-
stellung solcher Fälle gemacht worden; er bat deren neun
aufgefunden (darunter von Clay fünf, von Jeafferson,
Baker Brown, Cornüh (zu Taunton) uud von ihm selbst
je einpr), und zu einer factischen Widerlegung der Fabel,
dass von einem und demselben Ovarium stets nur Kinder
eines Geschlechtes producirt wurden in ihnen ein Material
gefunden, aus dem sich ergiebt, dass von vier Patientinnen,
denen das linke Ovarium exstirpirt war, später drei Knaben
und fünf Mädchen geboren wurden, während in fünf Fällen,
in denen das rechte Ovarium entfernt war, später sieben
männliche und eben so viel weibliche, im Ganzen also von
den neun Frauen 22 Kinder geboren wurden. Ich kann dieses
Verzeichniss noch durch einige andere bekannt gewordene
Beobachtungen vermehren, nämlich durch zwei Fälle von
Atlee,2) in denen die Patientinnen nach der Operation je
zwei Kinder gebaren, von F. C. Quittenbaum ,z) dessen
Operirte ein Kind gebar, und Spencer Weih,*) dessen eine
Patientin 13 Monate nach der Operation von einem gesunden
Kinde entbunden wurde.
Herr Martin fragt, ob nicht die Abtragung des Stieles
zweckmässig mit dem Ecraseur bewerkstelligt werden könne,
da in diesem Falle Unterbindungsfaden so viel als möglich
zu vermeiden seien.
, Herr Chirlt giebt die Zweckmässigkeit dieses Verfahrens
vom theoretischen Standpunkte aus zu, kann aber aus der
ihm bekannten Literatur keinen Fall, wo dieses Verfahren
angewendet wäre, beibringen.
1) Lancet, 1859, Vol. I., p. 142.
2) Foek 1. c S. 146, 147. No. 1, 2.
3) A. F. Quittenbaum, Eieretockskrankheiten u. 8. w. , Dispert.,
Rostock 1860, und Simon 1. c. 8. 139.
4) Lancet 1860, Vol. II., p. 586, and Med. Times and Gasette,
1860, Vol. II., p. 593.
120 V- Verhandlungen der Gesellschaft
Herr Martin wirft ferner die Frage auf, ob die günstigen
Resultate der Operation auch von Dauer gewesen seien« In
dem einen Falle, den er im Jahre 1852 durch die Operation
in fünf Wochen geheilt habe, fand sich ein Jahr später, wo
die Kranke einer heftigen Pneumonie erlag, bei der Section
der Stiel unverändert in der Bauch wunde eingeheilt, aber in
den benachbarten Lymphdrüsen und den Lungen Krebs-
ablagerungen.
Auf den Einwand des Herrn Gurlt, dass die krebsige
Natur der Ovarienkysten doch sehr selten sei und Recidive
dieser Art mithin nur Ausnahmen sein könnten, erwidert
Herr Martin, dass Virchow die multiloculären Ovarien«-
kysten stets für verdächtig erklärt habe, die Ausdauer des
Erfolges daher in diesen Fällen doch zweifelhaft sei.
Herr Wegscheider fragt an, ob andere Collegen gleich
ihm die Beobachtung gemacht hätten, dass die Erkrankungen
an Eierstockswassersucht in Berlin im Ganzen sehr selten
vorkämen.
Herr C. Mayer kann dies nicht in Abrede stellen. Er
habe zwar sehr häufig Gelegenheit, Ovarienkysten zu beobachten,
da seine Praxis aber meist Fremde betreffe und er von Ein-
beimischen sehr selten wegen dieses Leidens befragt werde,
so glaube er wohl, dass in Berlin die Krankheit im Ganzen
selten vorkomme. Auch blieben wohl (wie Herr Riedel bemerkt
hatte), viele Falle in der Entwicklung stehen, so dass sie,
bei den im Ganzen unbedeutenden Beschwerden, leicht der
Kenntniss des Arztes entgingen. Er kenne z. B. eine junge
Dame, die seit zehn Jahren an einer einfachen Ovarialkyste
mit flüssigem Inhalte leide, bei der das Uebel in der ganzen
Zeit keine Fortschritte gemacht habe.
Herr Paasch behandelt seit fünf Jahren eine Dame mit
einer Ovarialkyste, ohne eine Zunahme der Geschwulst in
dieser Zeit beobachtet zu haben.
Auf die Frage, ob Niemand von Jodpräparaten einen
günstigen Einfluss und Verkleinerung der Geschwulst gesehen
habe, erklärt sich '
för GeVortahttHe in Berlin. 121
Herr C. Mayer als entschiedenen Anhänger dieser Be-
handlungsweise. Nicht bei grossen Tumoren, wo er nie
einen günstigen Einffuss davon gesehen, aber bei kleineren
Kysten müsse er die Wirksamkeit des Jods unzweifelhaft
anerkennen. Er entsinne sich z. B., die Frau eines Kauf-
manns behandelt zu haben, die nach der Geburt des vierten
Kindes von einer Peritonitis (Oophoritis) befallen mit einer
kindskopfgrossen Ovariumkyste in seine Behandlung gekommen
war. Durch Anliphlogose, Einreibungen und innerlichen Ge-
brauch von Jod sei die Geschwulst allmälig kleiner geworden, .
so dass er Patientin vor zwei Jahren nach Hall in Ober-
österreich geschickt habe. Von dort kam sie vollständig
gesund zurück und die nun aufs Neue angestellte Unter-
suchung ergab kein^ Spur des früheren Leidens.
Herr Gurlt giebt die Wirksamkeit einer antiphlogistischen
und Jod -Behandlung für solche Fälle zu, die entschieden
entzündlichen Ursprunges seien. Für schleichend entstehende
hydropische Anschwellungen sei indess die Unwirksamkeit
medicamentöser Behandlung durch zu vielfältige Beobachtungen
erwiesen.
Herr C. Mayer räth in allen Fällen massigen Grades
einen Versuch in der angegebenen Richtung zu machen, da
auch bei Mangel jeder Schmerzempfindung doch möglicher-
weise das Leiden entzündlichen Ursprunges sein könne, wenn
dieser auch nicht mehr nachzuweisen sei.
122 VI. JfMMitff», Jfittkeilucen über die Tätigkeit
VI.
Mittheilungen über die Thätigkeit und die Ver-
handlungen der Gesellschaft tüx Geburtshülfe
zu Leipzig
im siebenten Jahre ihres Bestehens.
(Schlußfl.)
IV. lieber Operationen an den Eierstöcken.
Vortrag, gehalten am 19. November 1860
▼OB
Dr. Carl Hennlg.
Meine Herren! Die nachfolgend«« Mittheüungen sind ein
Auszug meiner ausführlicheren Arbeit über Oophorotomit.
welche sich in G. JB. Günther'* „Lehre von den blutigen
Operationen41, Leipzig und Heidelberg, 38. und 39. Lieferung,
S. 165 — 202 vorfindet; dazu gehören die Abbildungen, Taf. 84.
Ich flechte hier noch einige Bemerkungen pathologisch-
anatomischer Art und in die Statistik die veröffentlichten
Falle ein, welche seit dem Erscheinen obiger Abhandlung zur
Operation gekommen sind.
Die Veranlassung zu gegenwärtigem Vortrage haben mir
zwei Operationen gegeben, zu denen ich von den Collegen
Th. Kirsten und B. Schmidt gezogen wurde. In einem
dritten, zur Ausrottung geeigneten Falle, ebenfalls aus der
Praxis des Herrn Dr. Kirsten, wurde die Operation von der
Kranken verweigert.
In beiden operirten Fällen wurde die Exstirpation ver-
sucht, in dem einen auch, trotz umfänglicher Verwachsungen,
zu Ende geführt; beide Kranke starben, und es dürfte das
Ergebniss der Obduction lehrreich sein.
Erlauben Sie mir, einige allgemeine Bemerkungen voraus
zuschicken !
n. d. Yerhaadl. d. GestUt ohaft f. GebnrtahüH« su Leipzig etc. J28
L Pathologische Anatomie der chirurgischen Eierstocks-
kraakheiten.
Die krankhaften Veränderungen der Eierstöcke gehören
bekanntermaassen zu den mannichfachsten ; kein Organ kann
gleichzeitig so verschiedenartige Gewebsveränderungen auf-
weisen, als eine gemischte Eierstocksgeschwulst. Sehen wir,
wie sich ihnen gegenüber der Wundarzt verhält!
Die Hypertrophie, der Bluterguss in den Eierstock, die
Entzündung mit ihren Ausgängen: Verhärtung als chronische
— Erweichung oder Eiterung als acute Oophoritis — bilden
wegen des geringen Umfanges, den das Organ durch sie zu
erreichen pflegt, selten den Angriffspunkt wundärztlichen
Vorgehens.
Wichtige Veränderungen geschehen durch secundäre Ent-
zündung oder Apoplexie an mehreren der folgenden Krankheits-
formen, zumal nach chirurgischen Eingriffen.
Eine sehr wichtige Rolle spielt die begleitende und auf
gewisse Operationen folgende umschriebene oder ausgebreitete
Bauchfellentzündung, namentlich die, welche zu Verwachsung
des Ovarium mit seinen Umgebungen fuhrt.
Die Geschwülste im engeren Sinne lassen sich
vom praktischen Standpunkte am füglichsten in starre und
schwappende scheiden, wobei gleich erinnert sei, dass feste
durch gallertige oder schleimige Entartung, Verfettung ihrer
Zellen oder durch Aufnahme von Serum , durch Einnisten von
Hohlräumen mit flüssigem oder weichem Inhalte (Markschwamm)
weich werden und schwappen können — dass dagegen
fluctuirende, besonders kleinere im Anfange des Uebels, wenn
der flüssige Inhalt von dicken oder von scharfgespannten
Wänden eingeschlossen, der Sack im unteren Beckenraume
eingepfercht ist, feste Geschwülste vortäuschen. Ein gemischtes
oder an verschiedenen Stellen verschiedenes Gefühl geben
die mehrzelligen und zusammengesetzten Bälge, in denen die
Verflüssigung nicht durchgegriffen hat, auch die Krebse.
1. Vorzugsweise fest erscheinen
a) der primäre apoplektische Herd, welcher jedodh
selten den Umfang einer Faust t>der gar eines Kindkopfes
erreicht;
124 * VI. Meuantr, Mittkeilnngen über die Thfttigkeit
b) die einfache Hypertrophie mit Verdichtung des
Gewebes (Kiwisch), höchstens gaoseigross und der Rück-
bildung fähig, daher fast nur von diagnostischem Belange;
c) die .Fettbälge, welche durch Anbildung von Leder-
haut an ihrer Innenwandung fähig werden, Schweiss, Haare,
Zähne und Knochenstückeben ohne Zuhülfeqahme der An-
regung durch männlichen Samen zu erzeugen. Die einfachen
Talgsäcke werden nur selten so gross wie der Kopf eines
Erwachsenen; die de r in oiden Neugebilde aber erreichen bis-
weilen einen ungeheuren Umfang. Im Ganzen jedoch bleibt
ihr Durchmesser hinter dem der noch aufzuzählenden Ge-
schwülste zurück. Sie können sich von selbst entzünden, nach
aussen oder innen durchbohren und durch Entleerung festen
Inhaltes in die Harnblase Steinbildung daselbst veranlassen.
d) Die fibrösen Geschwülste erreichen nur aus-
nahmsweise eine solche Grösse, dass sie im Leben gefühlt
werden können. Das seltene rundliche, gewöhnlich von vorn
nach hinten plattgedrückte Fibrold gedeiht mitunter zu Malines-
in opfgrösse. Oefter kommt sehnige Zwischenmasse in den
verschiedenartigen Cystoiden vor.
e) Der Krebs ist weniger oft Fasergeschwulst (hühnerei-
bis kindskopfgross), als Markschwamm und Gallertkrebs.
Der gallertig entartete gemeine Krebs und der Mark-
schwamm stellen sich auch als Knollen und Wucherungen
nach aussen oder innen dar. Sie bilden sehr ansehnliche Ge-
schwülste. Die Melanose (der pigmenürte Krebs) und der
von Nachbarorganen erst übergepflanzte Krebs sind kaum von
chirurgischer Bedeutung, da sie die letzten Glieder der Kachexie .
sind. Bündeiförmig sah Rokitansky einmal hier den Krebs
als voluminöses Aftergebild.
/) Ziemlich einzeln tritt Knorpelneubildung, Enchoudroin
auf, wofern man von den Knorpelplatten absieht, welche in
verschiedenen Kysten und in der Fasergeschwulst des Eier-
stockes die Verknöcherung einleiten. Diese Gebilde sind ziem-
lich derb, manchmal knollig, überhaupt durch ihr ungleiches
Gefäge bei massiger Ausdehnung ausgezeichnet.
* 2. Mehrentheils flüssigen Inhalt bekunden
a) die grösseren Abscesse der Eierstöcke, deren einer
bis zur kindskopfgrossen, aus dem Hypogastrium empor-»
n. d. VerhandL d. GeBelUrohaft f. Geburtshtilfe tu Leipzig etc. 125
ragepden, etwas beweglichen und unter den Bauebdecken ver-
schiebbaren Geschwulst heranwachsen kann. Die parenchy-
malischen Eiteransammlungen sind in der Regel weniger
ansehnlich als die follikulären. '
b) Die Kysten, welche durch die Cystosarkome und
Cystocarcinome, (endogenen Zottenkrebse) in die starren Ge-
schwülste übergehen.
Zur Kystenbildung ist der zur Entwicklung getrennter
Hohlgebilde, der Graafschen Follikel, bestimmte Eierstock
vorzüglich und bereits von den ersten Lebenstägen an geneigt
Wir kennen
<*) einfache Sackwassersucht — liier entartet ein Follikel;
ß) mehrfache Sackwassersucht — mehrere Balge entarten
zugleich (wenn einer Vorzugs weis wassersüchtig wird, so
nennen es die Praktiker Cystoid), oder eine Echinokokken-
Kolonie ist eingewandert (Hydrops hydatidosus) ;
y) zusammengesetzte Kysten — das eigentliche Cystoid:
bald nämlich entstehen in der Wand eines Sackes neue Blasen,
bald wuchern solche oder auch solide Neugebilde, an der
Wand des Balges wurzelnd, als Verlangerungen und Theilungen
seiner Bindgewebselemente nach innen oder .aussen, bald endlich
ist das Fachwerk eines alveolaren Gewächses vorwiegend von
Flüssigkeit auseinandergedrängt (Hydrops cellulosus). Bis-
weilen wächst hier ein Fach oder wachsen mehrere enorm
aus.- Ein sehr häufiger Gehalt der Zellen ist dann das Colloid,
welches sich allmälig verflüssigt; doch kommen auch fast
weich bleibende, meist nach innen sprossende Bildungen,
z. B. Krebs und Sarkom vor.
Ueberdem kommen dem Eierstocke combinirte Ge-
schwülste zu — man hat sogar Muskeln und Nervenmasse
darin neuerzeugt gefunden.
IL Entstehung.
Die genannten Geschwülste sind höchst selten angeboren
(dermoide Kysten/, meistenteils stehen sie ohne äussere Ver-
anlassung, indem ein innerer Reiz auf dieses bildungsthätige, man
möchte fast sagen erfindungsreiche Organ wirkt «Nur die ent>
zündlichen Tumoren schliessen sich gern an die menstruale Con?
gestion und den physiologischen Bluterguss in den öroo/^schen
)26 VI. MeUner, Mittheihmgeo Aber die Tbfttigkeft
Balg, an Diätfehler wfihrend derselben und an das pathologische
Wochenbette an. Vereinzelt liegt ihnen eine Verletzung von
aussen, der Mißsbrauch erhitzender, auf das Beckenner vensy stein
wirkender Mittel und Genüsse, sinnliche oder geistige Auf-
regung und Ueberreizung zn Grunde. Sicher wird ihr Wachs-
thurn durch die letztgenannten Einflüsse begünstigt.
III. Verlauf.
Die Eierstocksgesehwülste wachsen am schnellsten und
machen die meisten Zufälle, so lange die Frauen conceptions*
fähig sind. Die Monatsblutung wird gewöhnlich gestört;
später fast hmner, bei doppelseitiger Erkrankung nebst dem
Vermögen zu empfangen, aufgehoben. In einzelnen Fällen
kommt es zu erschöpfender Gebärmutterblutung. Schleimige
Ausflüsse aus der Scheide sind unbeständig; bisweilen
schwellen die Brüste an, und Milchabsonderung tritt ein.
Viele, auch nicht entzündliche Anschwellungen des Or-
gane* entstehen «nter Schmerzen. Die einseitige Geschwulst
senkt sich, wenn sie Platz findet und nicht mit der Um*
gebung verwachsen ist, in den Raum zwischen Mastdarm und
Gebärmutter, drückt hier bald auf beide Organe, auf die vor-
beigehenden Gefässe und Nervenstämme und bringt Oedem
der Fasse, Neuralgie oder Taubsein der Schenkel zu
Wege; ja sie kann sich im Douglas'&chen Räume festklemmen.
Sonst steigt sie während ihres Wachsthumes in das grosse
Becken hinauf und legt sich bald in eine Seite mit ent-
sprechender Verschiebung der Gebärmutter, bald vorn an
die weisse Linie, deren Spaltung sie m der Folge veran-
lassen kann, treibt den Leib bisweilen weit über den einer
Hochschwangeren auf, drückt und zerrt (durch Ver-
wachsungen) die Bauch- und Brusteingeweide — daher At he m-
noth, Verschränkung und Knickung des Darmrohres,
Harnverhaltung oder Euuresis entsteht — und erschöpft
durcfi sympathische Nervenerschemungen namentlich von Seiten
des Magens, durch Säfteverlust, Entzündung im Innern oder
am Bauchfelle und durch Schlaflosigkeit.
Manche «Frauen bleiben allerdings trotz hochentwickelter
Geschwülste, selbst bösartiger, auffallend lange bei Kräften
und gutem Aussehen.
n. d. Verhandl. d. Gesellschaft f, Gebnrtsfciüfe sn Leipzig eto. 12?
Schwangere und Gebärende erleiden durch Ovarial-
tumoren ganz besondere Störungen» als da sind : sympathisches
Erbrechen, Versftopfang, vorzeitige Unterbrechung der Schwanger-
schaft, Schiefläge des Frucirthalters. In einem Beispiele barst
der Sack während der Schwangerschaft; die Geburt ging gut
von Statten. Während der Ausschliessung der Frucht schaden
vorwiegend die kleinen, im kleinen Becken gelagerten» Ge-
schwülste, welche van der Fracht noch tiefer herabgedrängt
werden und 8iren Austritt erschweren, ja ohne KunethüJfe
ganz vereiteln.
Nach der Entbindung bemerkt man hflufig auffallende
Zunahme oder entzündliche Rettung der Geschwulst.
IV. Ausgänge.
Schnell wachsende, besonders doppelseitige Geschwülste
ffthreo durch die oben geschilderten Leiden unfehlbar zum
Tode; sie werden jedoch ebenso wie die weniger g«tthrlichen
chronischen und umfangreichen Anschwellungen selten bis
zum natflrliohen Ende verfolgt werden können, da sie mehren-
tbeils operative oder auch nur arzneiliche Eingriffe veran-
lassen. Geringe oder massige Tumoren schaden höchstens
durch ihr Gewicht, durch Hmaufzemmg der Gebärmutter oder
Störung der weiblichen Geschlechtsverricbtungen, werden daher
lange, selbst bis ins hohe Alter getragen.
Sehr spärlich sind die Beispiele, wo ohne Weiteres oder,
wie ich beobachtete, durch Vermittlung einer Schwangerschaft,
einfache Vergrösserung des Organes schwand, der Inhalt einer
Kyste aufgesogen wurde; auch freiwillige Entzündung vermag
eine solche Geschwulst zur Heilung zu bringen, indem ihre
Producte den Säftestrom von der kranken Stelle abwenden,
die Wände einer Höhle veröden, einander nähern und selbst
zur gegenseitigen Verwachsung bringen.
Etwas öfter erfolgte Genesung, nachdem ein ein-
facher oder seifest ein mehrkämmeriger Balg bar&t Unter
37 sicher nachgewiesenen Fällen fand ich Heilung oder
wenigstens wesentliche Besserung
13 Mal nach Durchbruch in den Mastdarm,
. 8 ,, „ „ „ den Eileiter und die Gebärmutter,
5 „ „ „ „ den Nabel oder dicht darüber,
128 VI. Meu&ntr, MUtbeilongen über die Tätigkeit
2 Mal nach Durchbrach iu die Harnblase,
2 „ „ „ „die Leistengegend,
1 „ „ „ „ den Krummdarm,
1 „ „ „ „ Nabel und Scheide zugleich.
Die Berstung erfolgt nach Erschütterung beim Springen
oder Fallen, während der Geburt oder nach verlöthender Ent-
zündung.
Hier erlauben Sie mir, Ihnen ein Präparat vorzulegen,
an welchem sich die Möglichkeit theilweiser Entleerung des
Kysteninhaltes durch die angewachsene Tuba beweisen lässt
Schon Kiwisch gab zu, dass Hydrops tubarum profluens,
also ohne Betheiligung der Eierstöcke, bestehen könne. In
vorliegendem Falle sind beide Eileiter mit ihren Fransen-
enden, deren zwei am linken gemeinschaftlichen Sacke frei in
dessen Höhle ragen, dergestalt in je eine Ovarienkyste ein-
geschmolzen, dass die Grenze nur durch einen einspringenden
Ring angedeutet blieb. l) Der enge in die Höhle des Uterus
führende Gang ist an beiden Eiröhren gut erhalten, daher
der theilweisen Entleerung des Sackwassers durch die Scheide
kein Hinderniss entgegenstand, sobald nur der Druck des
angesammelten Kysteninhaltes den Widerstand der Tubenisthmen
und der sie umgebenden Kreisfasern der Tuba und der Gebärmutter
überwand. Und in der That habe ich noch nie eine Eierstocks-
kyste in der Leiche so schlaff gefunden, als diese beiden.
Fransen.
Höhle der Tuba. Höhle des Ovariom.
Nach Maiaanneuve ist der Eiter eines Ovarabscesses in
mehreren Fällen durch den Schenkelring gegangen.
Bricht die Gesehwulst in die Bauchhöhle auf, so ist Auf-
saugung der Flüssigkeit um so schwieriger und Bauchfell-
1) Ebenso beschrieb die Sachlage A. Richard: Mäio. de la Soo.
de Oliir;, 1868, Vol. HI., p. 121.
n. d. Verhandl. 4. Getelfochaft f. GeburtohiilfA so Leipzig etc. 129
Entzündung um so sicherer zu befürchten, je zäher oder
mit festen Theilen geschwängerter das Ergossene ist Andere
Male erfolgt zwar Aufsaugung, aber die Ryste fUk sieh tod
neuem oder hatte sich nur tbeäweise, vielleicht nur eine
Kammer entleert.
V. Diagnose.
1. Anamnese. Bei einseitiger Entartung kann die
M onateblutung vollständig fortbestehen oder sich später wieder
regeln. Zusammengesetzte Gesch Wülste mindern und unter*
drücken sie bei raschem Wachsthiflse viel häufiger, als erntete
Kysten. Erloschene ConceptioDsftfaigkeft ist für die Erkrankung
beider Ovarien ein sichererer Anhalt, ab Amenorrhoe, da
auch bei solchem Bestände die Periode fortdauern kann.
2. Pathogenie. Ich habe mich überzeugt, daas die
emkammerigen Kysten gewöhnlich aus Graafschen Follikeln
hervorgehen, da sie von der Membrana granulöse ausgekleidet
werden. Diese wandelt sich in der Folge zu einer serösen
Haut um« Dann mag es kommen, dass der Ursprung nicht
mehr nachweisbar ist; es steht aber fest, dass eine grosse
Anzahl von Bälgen aus erkrankten Bindegewebskörpereben
hervorgehen, welche sich blasig aufblähen und Serum ein-
sohliessen — dies kann man am besten in der Wand einer
Mutterkyste beobachten, welche dann Tochterkysten bekommt —
oder wekhe fettig, in anderen Fällen oolloid entarten.
Auf die seröse Innenwand folgt eine gefössreiche fibröse
Schicht, dann der Bauchfellüberzug. Von der Beschaffenheit
dieser drei Häute, von der Mischung des zwischen ihnen
kreisenden Blutes, von der Schnelligkeit seines Laufes und
dem Drucke, unter welchem es steht, und von der Er*
nährang des ganzen Körpers hängt die Menge und Zusammen-
setzung des Inhaltes ab. Dabei sind die obenerwähnten
Nerveneinflüsse nicht ausgeschlossen.
3. Inhalt Der gewöhnliche Inhalt einer Eierstocks*
geschwolst ist Transsudat. Es. ist anfangs meist wasserhell,
dünnflüssig, enthält wenig Eiweiss, eine Spur von Faserstoff
und entsprechende Mengen Salze. Das specifische Gewicht
schwankt zwischen 1004 und 1007. Eiwossracbe Bälge
geben ein Serum von 1035. Es wird nämlich der Inhalt
MonaUacbr. f. Geburt-*. 18.52. Bd. XX., Hfl. 2 9
130 VI. Meissner, Mittheilungen über die Tblttgkeit
später, zumal nach der Punction, zäher, trüber, rosen- bis
braunroth durch Blutgehalt, oder gallertig. Nicht nur das
Ei weiss, auch der Faserstoff nimmt zu, und an der Luft
gerinnt bisweilen das Abgezapfte.
Bei zweifelhafter Diagnose ist, sobald nur Schwanger-
schaft ausgeschlossen ist, die Geschwulst mit einem -
dünnen langen Tröikar explorativ anzustechen.
Unter dem Mikroskope findet man in der abgenommenen
Flüssigkeit bald weniger, bald mehr Cholesterin, Blutfarbstoff
und seine Abkömmlinge, Blutkörperchen, Epithelien, Eiter-
körperchen oder Colloidkugeln. Auch Schleimstofl und „Hyalin "
habe ich in Ovarienkysten nachgewiesen.
- Luft findet sich seltener in Folge jauchiger Zersetzung
des Inhalts vor, als nach Einbruch vom Darmkanale aus.
In den mehrkammerigen Kysteo, deren Innenwand öfter
von Wärzchen und feinem Haschen- oder Balkenwerke besetzt
ist, treffen wir auch öfter leimigen, fadenziehenden Inhalt als
serösen.
4. Untersuchung der Kranken. West ist im Rechte,
wenn er die Explorandin einen Tag vor dem Examen im Bett
liegen und für Entleerung von Blase und Hastdarm sorgen
lässt, da nach solcher Vorbereitung die Bauchdecken gehörig
erschlaffen und die innere Untersuchung wesentlich er-
leichtert wird.
Gewöhnlich lässt sich eine Eierstocksgeschwulst eher
fühlen und zumal von Scheide oder Hastdarm aus erreichen,
ehe sie eine sichtbare Anschwellung in der Mitte oder an
einer Seite des Leibes macht
Nicht selten dehnt eine Ovariengeschwulst in Folge vor-
züglicher Ausbildung eines Balges diejenige Hälfte des Leibes
mehr aus, welche der Wurzel des vergrösserten Eierstockes
entgegengesetzt ist Also es kann das rechte Hypo- oder
Hesogastrium gewölbter sein, und doch der Stiel der Geschwulst
steh links befinden.
Bei doppelseitiger Geschwulst sieht oder fühlt man zu-
weilen am Unterleibe eine zwischen beiden Tumoren ver-
laufende Furche.
Beim Athmen tritt die Eierstocksgeschwulst wenig nach
untea
q. d. Verkandl. d. Gesellschaft f. Geburt« hülfe zu Leipzig etc. 131
Im Anfange ist sie von der Scheide aus dem Betasten
zugänglicher als später, wo sie nur noch vom Mastdarme
aus erreicht werden kann. Die Scheide ist oft, auch noch
im Liegen der Frau, so gespannt oder bereits von der Ge-
schwulst soweit hinaufgezogen, dass der untersuchende Finger
selbst nach Zuhülfenahme eines zweiten das Kranke entweder
nicht erreicht, oder dass er des feinen Tastsinnes beraubt
wird. In solchen Fällen pflege ich mit reichlich beschmiertem
Finger ganz allmählich in den After einzudringen und habe
verschiedene Aerzte von der Zweckmässigkeit und Unschäd-
lichkeit dieses Verfahrens überführt.
Wassersüchtige Anschwellung einer andern Körpergegend
lässt auf serösen Inhalt des Ovartumors schliessen. Wird
die Fluctuation nicht im Unterleibe oder von der Scheide
her oder im Mastdarme gefühlt, so lässt sie sich bei wagrechter
-Lage der Kranken bisweilen noch erzeugen, wenn man com-
binirt untersucht, also von oben und unten zugleich oder
zwischen Scheide und Mastdarm. In solchem Falle kommt
der Zeigfinger in den Darm, der Daumen in die Scheide; gut
ist es, wenn die Kranke dabei stark presst, wobei der Eier-
stock tiefer herabtritt.
Wellenschlag kommt nur bei sehr umfänglichen,
schlaffen Kysten zum Vorschein. Die einfache Kyste fluctuirt
und undulirt gleichmässiger als die mehrkammrige und die
zusammengesetzte, wo der Wellenschlag oft an einer Stelle
unterbrochen wird und darüber hinaus wenig oder nicht er-
scheint Gystoide und Cystosarkome schwappen gewöhnlich
nur an einzelnen Stellen oder bei ganz erschlafften Bauch-
decken; zu diesem Ende lässt man die Kranke die Knie beugen,
die Füsse senkrecht aufsetzen und den Mund öffnen. Bei
solchen Geschwülsten sitzen die grösstcn Kysten immer an
der Peripherie; daher fühlen sie sich knollig oder doch un-
gleich an, hart mehr nach ihrer Wurzel hin. Sie geben dem
Bauche eine von der Rundung abweichende Gestalt
So lange der Tumor oberhalb des kleinen Beckens weilt
und nicht allzugross ist, lässt er sich unter den Bauchdecken
verschieben; man vermag letztere in eine Falte zu fassen
und von ihm abzuheben. Die aufwärtsgezogene, mit dem
Scheidentheile meist nach der kranken Seite gerichtete
9*
182 VI. Meissner , Mittheilnngen über die ThStigkeit
Gebärmutter nimmt an der Orls Veränderung, die man der
Geschwulst durch veränderte Lage der Kranken oder durcn
Verschieben- mit den Händen ertheilt, kaum Thefl — erheblich
bewegt sie sich ihit, wenn sie mit der Geschwulst verwachsen
ist. Ihre Höhle ist verlängert, manchmal geknickt. Verweilt
die Geschwulst noch im kleinen Becken, so drückt sie den
Uterus nach abwärts.
Auch die schwangere Gebärmutter wird durch Auf-
steigen, der wachsenden Kyste nachgezogen, der Scheidentbeil
in der ersten Hälfte der Schwangerschaft kürzer, undeutlich;
höher und schief gestellt; Schuh fand ihn sogar sahitnt der
Scheide4 um die Längenachse gedreht. Fühlt man unter diesen
Umständen noch eine Masse im Becken, welche Scheide und
Gebärmutter nach vorn, den Mastdarm nach hinten drückt,
so entsteht die Vermuthung, dass auch der Eierstock der
andern Seite ergriffen sei, aber das Becken nicht hat Ter*
lassen können.
Verwachsungen der Geschwulst mit der Umgebung
machen sich auch an ihrem oberen Umfange manchmal selbst
nach der Punction nicht bemerklich, besonders wenn es lange
Fäden und Bänder sind. Sonst verrathen sie sich durch Un-
beweglichkeit der Geschwulst bei jedweder Athembewegung,
bei rechter, wie bei linker Seitenlage, in welcher dann bis-
weilen der Nabel oder eine bestimmte Stelle am Unterleibe
eingezogen wird. Vorausgegangene Peritonitis berechtigt zur
Annahme von Adhäsionen oft ebensowenig als das Hören
von Reibung, da es ebensogut von Rauhigkeiten als von
gezerrten Anheftungen erregt werden kann. Eine sehr grosse
Kyste wird endlich unverschiebbar, ohne angewachsen zu sein;
doch macht grosser Umfang der Geschwulst zu Adhäsionen
geneigt.
Blasende Geräusche hört man hier und da an festeren,
gefässrefchen Kysten, mehr an zusammengesetzten Geschwülsten ;
bei ersteren entsteht das Geräusch muthmassiich nur in der
Arteria epigastrica.
Schwappen und Plätschern kann man, an einem Balge
während der Percussion auskoltirend , dann hören, wenn
aber dem tropfbarflüssigen Inhalte sich Gase aufhalten, oder
Darmgeräusche fortgeleitet werden.
q. d.Verhandi. d. Gesellschaft f. Geburtßhülfe zu Leipzig etc. 133
Die Eierstocksgeschwulst gjebt, ausgenommen wenn m
Luft einschliefst, im Entstehen der entsprechenden Stelle stets
einen gedämpften, bei tiefem Eindrücken und später deutlich
den matten, leeren Schall, dessen convexe Grenze nach oben
fortschreitet. Dieser Stand der obern Begrenzungslinie kommt
bei Ascites nur vor, wenn er Folge von Bauchfelltuberkulose
ist Tuberkelsucht aber trifft mit Hydroophoron nur selten
zusammen.
Gelegentlich kann man an einer Colloidkyste Gallert-
zittern beobachten. Wir deuteten schon an, wie oft starre
und schwappende Geschwülste einander ähneln und in einander
übergehn. Es kann neben der Eierstöcksgeschwulst
Bauchwassersucht bestehen. Dann ist im Ovarium um so
sicherer Krebs, je vielgestaltiger, complicirter und je rascher
sie entstanden ist (Mikschik). Ferner Schwangerschaft, die
ja im Eierstocke selbst unbestritten vorkommt. Endlich ein
Gewächs der Nachbarorgane, zumal der Gebärmutter.
5) Differentielle Diagnose. Kysten der Gebär-
mutter lassen ach höchstens durch ihre Seltenheit aussehlieösen;
doch ist bemerkenswert!], dass sie die Grösse einer Orange
nicht leicht überschreiten. Huguier1) stach einmal aolch
eine Kyste von der Scheide her an und entleerte zwei Ujpzefi
klares Serum.
Auch die Kysten in den breiten Bändern und an
den Eileitern sind nicht häufig. Sie entstehen entweder
aus zerstreuten colloTden, auch einfach alveolaren Herden im
Bindegewebe, oder aus erweiterten Rückständen früherer
physiologischer Gebilde.
a) J)ie Kysten des Nebeneierstockes gehen aus
dem Bo8enmüller'schen Organe, dem Ueberbleibsel der
Wolff'when Körper hervor. Es erweitert sich, wie schon
Verneuü*) vermuthele, £ber noch nicht anschaulich gemacht
hat, eine abgeschlossene Stelle eines oder einiger Blindröbrchen.
In umstehendem Präparate sieht man über dem Eierstocke
die erbsengrosse Kyste, welche auf dem letzten oder äussersteii
1) Mäm. de la Socilte' de Chirurgie, Vol. I., 1847, p. 295.
2) Reoherches sur leg Kystes de 1' Organe de Wolff, Main, de
la Beeilte* de Chirurgie, Vol. IV., 1854, p. 58.
134 VI. Meissner, Mittheilungen über die ThUtigkeit
Blindröhrchen sitzt. Der obere, oben blind endigende Theü
dieses Kanales Hess sich von der Kyste her aufblasen. Diese
Cystis paroophorl,
früher K Blochen des
Aniffihrangsgangei.
Ovariam.
— Arteria paroopb orf.
- Vena „
Kysteit finden sich gewöhnlich einzeln, drängen die beiden
Platten der Bauchfellfalte, in welche sie eingeschaltet sind,
immer weiter auseinander und verkurzen endlich auf diesem
Wege den Eileiter so, dass seine Fransen auf den Balg zu
Fig. I.
Ovar.
. Cyatli
paroophorl.
Ovarltun.
- CyatU.
a. d. Verhandl. d. Gesellschaft f. Gebnrtshülfe in Leipzig etc. 136
liegen kommen und gelegentlich, wie in Fig. III., mit ihm ver-
schmelzen. Sie bleiben dünnwandig, enthalten wasserhelle,
selten röthliche oder gallertige Flüssigkeit und erreichen
höchstens den Umfang zweier aneinander gehaltener Fauste.
In den Museen von Frankreich und den britischen Inseln
habe ich nur drei derartige Bälge angetroffen. Fig. I. ist ein
Spiritus -Präparat von
Thomas -Hospital in
London ; Fig. II. und III.
sind die im Kataloge
mit No. 2651 und 2652
bezeichneten Kysten
in der Hunter'schen
Sammlung des College
of Surgeons in London.
Man sieht die stufen-
weise Zunahme der
Kyste und ihr Verhalten
zu Eierstock und Ei-
leiter; ersterer wird
dem Fransentheile
des letzteren immer
näher gerückt.
Eine solche
Wasserblase im
Fledermausflügel
wurde von Ki-
wisch l) an einem
19jährigen Mäd-
chen wegen der
davon abhängen-
den langwierigen
Bauchfellentzün-
dung der Radicaloperation durch den Scheidenstich unter-
worfen. Nach 10 Wochen führte die Peritonitis dennoch
zum Tode.
Flg. III.
Ovarium.
Tuba.
ysti.v
1) Kiwisch, Klin. Vortrage über spec. Pathologie u. Therapie
der Krankheiten des weibl. Geschlechtes. Prag 1849, S. 222.
136 VI. Meissner, Mitteilungen über die Thätigkeit
b) Die Hydatide des Eileiters geht aus dem Kölbcfaen
des Miltter'&cheD Ganges hervor.1) In Fig. IL bei * ist sie
neben der Kyste des Nebeneierstockes vorhanden« Sie ist
stets gestielt und wird nicht grösser als eine Kirsche getroffen,
weil sie, des Bauchfellüberzuges baar, platt t, sobald ihre
dünne Hülle stärker ausgedehnt wird*
Sie ist demnach nicht von praktischer Wichtigkeit; auch
würde ich sie nicht erwähnt haben, wenn nicht Verneuü,
der sie sonst gut beschrieben hat, und mit ihm West*),
dieselbe unrichtiger Weise ebenfalls vom Woljpschen Körper
ableiteten.
c) Auch die neugebildeten Tubenkysten sind nach
M. Hu88 nie mehrkammerig und steigen, obscbon eines be-
deutenderen Wachsthumes fähig, nie über den Nabel.
Kysten im grossen Netze bringen, sobald sie sich
tiefer herabsenken, Magenkrampf, Erbrechen, tieferen Stand
des Magens und Zerrung des Netzes mit sich. Oppobser
macht darauf aufmerksam, dass sie bisweilen mit der Gebär-
mutter verwachsen.
Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter
lässt den Uterus sich wahrnehmbar vergrössern; bisweilen
werden von ihm Petzen der hinfälligen Haut mit blutigem
Wasser ausgestossen.- Lumpe entdeckte den Piüs der Eihaut-
Schlagadern im Scheidengrunde der Mutter.
Bauchwassersucht ertheilt der meist herabgesunkenen
Gebärmutter eine ungewöhnliche Beweglichkeit, welche schon
zu Tage kommt; wenn die Flüssigkeit durch stärkeres Schlagen
an die Bauchwand in Wellenschlag versetzt wird. Bei Eier-
stockstumor weicht der Uterus von seiner normalen Richtung
ab, je nachdem die Geschwulst mehr auf seinen unteren
oder oberen Theil drückt oder sich vor das breite Band ge-
lagert hat (Scanzeni).
In der Rückenlage bleibt der Darm sowohl bei Eierstocks-
kyste als auch bei einfacher Schwangerschaft, die durch
die fühlbaren Theile und Bewegungen der Frucht und durch
1) Q. L, Kobelt, Der Nebeneierstock des Weibes. Heidel-
berg 1847.
2) Ch. West, Lectures on th© diseases ef women. London 1868,
part II., p..64.
u. d. Verband), d. GesaUtehaft f. Geburtthülfe su Leipzig etc. 137
deren Herztöpe kenntlich ist, an den tieferen Stellen, während
er bei Ascites nach oben steigt, wofern ihn nicht Verwachsungen
zurückhalten (Braun). Der leere Perkussionsschall ist daher
nur bei letzterem veränderlich und bildet eine nach oben
coneave Grenze, wenn die Frau steht. Einmal erkannte ich
die normale Schwangerschaft, welche lange für Hydroopboron
gehalten worden war, zuerst durch das Ballottement.
Retroversjo uteri gravidi suche man zu reponiren;
dabei wird der Zusammenhang des Mutterhalses mit der frag-
lichen Geschwulst klar werden.
Grosse Becken-Aneurysmen werden an ihren Ge-
rättschen, an der gleichzeitigen Herzhypertrophie und den
Veränderungen der 'übrigen Arterien, vorzüglich der Schenkel-
schlagadern erkannt.
Hydro- und Haematometra werden, wenn nicht von
der Scheide, so doeb sicher vom Mastdarm aus als zur
Gebärmutter gehfrig und mit dem Scbeidentheile zugleich
beweglich gefübk, besonders wenn man die Geschwulst vom
Bauche her verschiebt.
Haematocele retro-uterina ist von der Gebärmutter
nicht in dem Masse abzugrenzen, wie selbst ein mit ihr ver-
wachsener Tumor ovarii; sie entsteht, wie die Extravasate
der Bauchhoble, selten und plötzlich. Abgesackte Ex-
sudate kommen kaum ausserhalb des Wochenbettes vor.
Perime tri tische und Beckenabscesse sind weniger
umschrieben, im Allgemeinen schmerzhafter und nehmen
anderen Verlauf als Ovargeschwülste. *
Die ausgedehnte Harnblase, vielleicht die noch einzig
erübrigende von den fluetuirenden Tumoren, wird durch den
Katheter ermittelt, was leider oft unterlassen worden ist.
Mit festen Eierstecksgewächsen wurde verwechselt:
Knickung und Infarkt der Gebärmutter; Vaginal- oder
Analexploration, meist auch die Uterussonde sind anzuwenden.
Fibroide der Gebärmutter bewegen sich in der Regel
mit ihr gemeinschaftlich, wachsen langsamer, verursachen
wehenartige Schmerze» und grössere Blutverluste; mitunter
ziehen sie sich bei Palpation zusammen.
Fibroide der Beckenhöhle stören nicht' leicht die
GeschleohUverrichtungen , ausser durch Druck. Seilen wird
138 VI. Meissner, Mittheilangen über die Th&tigkeit
aber ein Ovaräbroid kinderfaustgross , wie das No. 2635 der
Hunter' sehen Sammlung.
Eine Nierengeschwulst ist, ausgenommen die „wan-
dernde Niere14, schwerer beweglich, höber angeheftet and
besteht häufiger mit Abweichungen der Harnabsonderung.
Geschwülste des Netzes, des Magens oder der Därme
haben höheren Ursprung und nehmen deutlicher an den Athem-
bewegungen Theil; sie lassen sich entweder nicht ins Hypo-
gastrium verfolgen oder leicht aus demselben emporheben.
Kothballen haben schon gefährliche Irrthümer gebracht
Knollige Infiltrationen des subperitonäalen Zellge-
webes und einzelne Markschwämme lassen den Uterus durch
die Sonde beweglich, vom Mastdarme her keine Geschwulst
erkennen und werden nach Abzapfung etwaigen Ascites* deut-
lich greif- und verschiebbar (Martin).
Leberanschwellung folgt genau den Bewegungen des
Zwerchfelles, lässt sich unter den rechten Rippenbogen ver-
folgen und hat unter ihrem unteren Rande, wenigstens im
Liegen, Därme. Nur eine ansehnliche Echinokokkenblase,
welche auch hinter dem rückwärtigen Bauchfelle nisten kann,
würde durch Probestich ins Klare zu bringen sein ; man per-
kutire danach wieder und suche Haken des Thieres auf.
Die Milz, welche mehrmals mit Tumor ovarii verwechselt
worden ist, reicht immer etwas unter den linken Rippenbogen
hinauf, hat zwei deutliche Kerben am Hilus und schwillt be-
trächtlich nur nach Rachitis, Sumpfsiechtbum und Leuchämie
an. Sie ist dann schwerer beweglich.
VI.. Prognose.
Die Geschwülste des Eierstocks, welche den einfachen
zugezählt werden dürfen, gefährden nicht nothwendig das
Leben. Nach der Menopause trüben sie nicht einmal immer
die relative Gesundheit. Minder gilt diese Beruhigung von
den mehrfachen Kysten und den zusammengesetzten Ge-
schwülsten. Sehr hartnäckige Neuralgie sah ich durch Ver-
irdung eines Eierstocks entstehen; auch die palliative Hülfe
war von kurzem Bestände.
Am öftesten muss sich die Kunst in den Blüthenjahren
und sonst bei rasch zunehmenden Tumoren einmischen. Bei
n. d. Verhandl. d. Gesellschaft f. Geburtshülfe au Leipiig etc. 139
Cystoiden und Cystosarkomen darf man schon froh sein, wenn
sie zu wachsen aufhören.
Ruptur der Kyste und spontane Entzündung haben etwa
eben so oft zum Tode als zur Heilung geführt, während
operatives Vorgehen mehr als die Hälfte fettet
Leidlicher steht es um die Berstung in die Bauchhöhle:
von 34 solchen Beispielen endeten 10 tödtlich, 20 verliefen
glücklich, 4 wurden rückfällig (Tut).
Hülfe durch Arzneien ist so unzuverlässig, dass sie jetzt
wenig befürwortet wird. Man kann nur 10 beglaubigte Fälle
aufbringen, welche innerlich behandelt heilten, wobei noch
dazu vier mal äusserlich nachgeholfen wurde: ein Mal durch
warme Umschläge und Bäder, drei Mal durch Jod in ver-
schiedenen Formen. So beseitigte Mikschik acute Wassersucht
binnen 5 Wochen durch tägliches Bepinseln des Scheiden-
theils mit Jodtinctur.
Durch Druck allein beseitigte Berthold das Uebel;
Hamilton^ Verfahren ist complicirter, doch rühmt er sich
sieben günstiger Kuren.
Von einigen dreissig fällen, wo die durch Eierstocks-
geschwulst gestörte Geburt theils von der Natur, theils von
der Kunst beendet wurde, kamen nur fünfzehn Mütter, von
den Kindern gar nur sieben mit dem Leben davon. Unter
fünf Beispielen, wo die Geburt durch die Naturkräfte vollfuhrt
wurde, war der Ausgang nur für eine Mutter und für zwei
Kinder günstig.
Schwangere bezahlen den operativen Eingriff gewöhn-
lich mit der Frühgeburt, nicht absolut mit dem Leben;
Wöchnerin nen droht schon auf die blosse Punction Peritonitis.
VII. Behandlung.
Die nicht zu grossen festen Geschwülste und die Krebse,
wenn sie einmal erkannt sind, bleiben besser unangetastet.
In den übrigen Fällen werden uns nur rasches, unheildrohendes
Wachsthum und unmittelbar von der Geschwulst ausgehende
Beschwerden, welche auf mildere Weise, z. B. durch Anwendung
des Katheters, nicht beseitigt werden können, aber dringend
Abhülfe verlangen, zu operativem Einschreiten bewegen-
140 VI. **•#•«*», lUttheUnngeti üb»r dU Thätigkeit
Wenn man, wie die meisten neueren angeseheneu Frauen-
ärzte, die Ausrottung des kranken Eierstockes als zu unsicheres
Wagniss verwirft, so gelten die grösseren festen Geschwülste,
die Cystosarkome mit festem (C. pbyllodes) oder wenig flüssigem
Balggehalte, die alveolären und die vielkammerigen Kysten mit
sehr zahlreichen, nicht unter einander zusammenhangenden
Abtheilungen für unheilbar.
Doch ist der Erfahrung gemäss, dass die sogenannten
milderen Weisen, namentlich die palliative Function, in ihrer
Gefahrlosigkeit und im Vergleiche der Lebensdauer nach der
Parakentese mit den nicht operirten Fällen unterschätzt worden
sind; und wir werden später an der Hand sorgfältig gewonnener
Summen entwickeln, dass, wenn man sich einmal zur Radi-
kalkur entschliesst, diese alsbald zu unternehmen rätblich ist
die Function aber mag man so lange hinausschieben als mög-
lich, denn sie ist, wie auch Ch. West ausspricht, der Anfang
vom Ende.1)
Cystosarkome durch die Scheide anzuzapfen, verbietet
gewöhnlich die Vorsicht, weil ihr festerer Theil im Becken zu
liegen pflegt
Der Einschnitt wird nur empfohlen, wenn die Ausrottung
nicht fortgesetzt werden kann.
Cystolde lassen sich um so eher palliativ und radicßl
behandeln, je mehr sich ihr Bau den) der einfachen Kyste
nähert.
Von absichtlicher Zerreissung des hydropischen Sackes
und von der Zertheilung durch Electricität. als theilszu ge-
wagten, theils unausgeführten Vorschlägen, nehmen wir nicht Act.
In die Noth wendigkeit, ein Kind zu operiren, wird man
nur durch äusserst seltene, bestimmte Anzeigen versetzt werden.
Nach dem 50. Lebensjahre ist der chirurgische Eingriff be-
denklicher, als im Blüthenalter.
Vor jedweder Operation ist ein Probesjticjj ui die Ge-
schwulst erlaubt, meist sogar geboten upxl — wie Crerf* und
Middddorpff durch seine Akidopeiroük nachgewiesen, un-
gefährlich*
i) L. c. p. 138.
u. d. Terhandl. d. Gesellschaft f. Gebnrts hülfe zn Leipsig etc. 141
A. Allgemeine Anzeigen.
I. Einkammerige Bälge und vie)kammerige mit communi-
cirenden Äbtheilungen lassen v
. 1) radicale Behandlung zu:
a) durch Scheiden- oder Bauchstich, wenn sie dünn-
wandig und höchstens mannskopfgross sind. Die Punction
von der Scheide aus entleert den Sack vollständiger, trifft aber
leichter ein grösseres Gefass;
b) durch Punction, dann methodischen Druckverband,
wenn die Wassersucht ungewöhnliche Portschritte macht und
sich mit Entzündung paart;
c) bei Umfänglich verwachsenen Kysten durch Anstechen,
wo möglich von der Scheide aus, worauf eine in den Sack
eingeschobene Röhre so befestigt wird, dass sie nicht abgleiten
und in die Bauchhöhle rutschen kann;
d) durch Parakentese (von der Scheide nur dann, wenn
dör Sack daselbst deutlich durchfühlbar ist), worauf eine reizende
Flüssigkeit eingespritzt oder Luft eingeblasen wird. Das Luft*
einblasen ist ein bis jetzt seltenes, doch fast immer mit
Erfolg gekröntes Verjähren. Man schreitet zar Einspritzung
von Jodmischung oder von verdünntem Liquor ferri sesqui-
chlorati, wenn auf die Punction keine Abnähme oder gar
dauernde Zunahme der Flüssigkeit im Balge folgt;
e) der subcutane Einschnitt Maüonneuve's passt nur
bei seröser Kyrte und nicht reizbarem Bauchfelle.
2) Die palliative Kur durch einfache Punction wird
dtorefc Eiftkletmmmg der Kyste im kleinen Becken oder durch
unerträgliche Ausdehnung des Bauches geboten. An der
Stellt des Einstichs, oft auch noch darüber hinaus, pflegt
der Sack mit der Bauchwand zu verwachsen.
* D. Mehrmals rückfällige adhärente Kysten
gestatten nach Fock das Liegenlassen eines Katheters oder
der Kanüle nach der reizenden Einspritzung. #
III. Colloldkysten
verbieten den Jodgebrauch, da die bis dahin noch derben
'Gallertmassen danach schmelzen sollen, worauf sie schneller
wachsen. N4laton stach eine ertploratt? an und sah sie ganz
heilen. Fock lässt nur nach ihrer Verjauchung die Puuctiou
142 VI. M*s$ner, Mittheilunge* aber die Tätigkeit
oder eine Incision gelten, worauf die Kanüle eingelegt
Sind sie in grösserer Ausdehnung verwachsen, so wird Jod-
lösung nachgespritzt. Nicht erweichte, angewachsene werden,
wenn ohne Operation sicher der Tod eintritt, eingeschnitten,
dann eine Wieke oder eine Röhre eingelegt, mit lauem Regen-
wasser der zähe Inhalt ausgespült, wonach Jodinjeclion in
geeigneten Fällen folgt Bei
IV. Cystoiden
schneide man unter ähnlichen Umständen alle von der
Bauchwunde erreichbaren Kysten ein und halte die Wunde
völlig offen.
V. Vieljährige und feste Geschwülste
werden palliativ durch warme Bäder und genau anschliessende
Druckbinden, gründlich durch die Ausrottung behandelt.
VI. Abscesse des Eierstocks
erheischen einen massig grossen Einschnitt an der Stelle des
grössten Schmerzes und der am frühesten entdeckten Schwappung:
bald in der Leisten-, bald in der vorderen Bauchgegend, bald
vom Mastdarme, selten von der Scheide her.
B. Während der Entbindung.
1) Wird der Arzt früh genug gerufen und findet er die
Geschwulst beweglich, so versuche er sie nach dem Blasen-
sprunge über den Beckeneingang hinauf und zur Seite zu
schieben, hier aber so lange zu erhalteu, bis der vorliegende
Kindestheil tief genug herabgetreten ist, um deren Wieder-
vorfallen zu verhüten {Hohl).
2) Gelingt die Reposition nicht, so geschehe ein Probe-
stich. Reicht er zur Beseitigung des Hindernisses nicht hin,
so werde von der Scheide her ein grösserer Einschnitt gemacht.
3) Ist die Geschwulst fest, 'unverschiebbar und so gross,
dass sie das Ausziehen der Frucht durch die gewöhnlichen
Mittel ausschliesst, so bleibt nur die Wahl zwischen der Aus-
rottung der Geschwulst und dem Kaiserschnitte (Grenser,
Merriman). Scanzom zieht den Baucbgebärmutterschnitt,
als schneller ausführbar, füglich vor.
u. d. Verbandl. d. Gesellschaft f. Gebortobülfe sn Leipzig etc. 143
C Specielle Operationen.
I. Punotio.
1. Von den Bauchdecken her
a) explorativ.
Man bereite die Kranke auf vielleicht nur geringen Ab-
fluss vor, lagere sie an den Bettrand und drucke etwaige
Hautwassersucht von der Punctionsstelle weg. Es wird die
hervorragendste Stelle der Geschwulst gewählt, am liebsten
im untern Drittel der weissen Linie vom Nabel an gezählt —
oder in der Seite, nicht gern der Nabel. Sonst wählt man
den Ort, wo die Fluctuation am deutlichsten, Härten am fernsten.
Grösseren Gefassen hat man thunlichst auszuweichen. Wenn
im Bauche freies Wasser nicht vermuthet wird, so stosse man
den Troikar kräftig und tief ein.
Man suche durch geänderte Lage den Ausfluss des ganzen
Inhaltes 2u erwirken, dessen Rest sich sonst in die Bauch-
höhle ergiessen kann, enthalte sich aber des zu starken Druckes,
da bei dessen Nachlasse leicht Luft eindringt. Nun lege man
einen guten Druckverband, nach Befinden Eisblasen an und
lasse die Operirte 3 — 4 Tage lang ruhig im Bette.
5) palliativ.
Sie werde so lange als möglich hinausgeschoben. Die
erste Punction ist gefahrlicher als die folgenden. Ch. West
zeigt, dass von 130 Operirten 25 innerhalb des ersten Halb-
jahres danach, und dass ausser diesen noch 22 in wenig
Stunden bis Tagen nach der Operation gestorben sind.
Man nehme einen dicken Troikar. Simpson erinnert,
dass die Gebärmutter manchmal hoch hinaufgezogen (man
sondire sie vorher!) oder der Sack um seine Achse gedreht
ist, so dass eine Tuba nach vorn zu liegen kommt. Mit der
Fischbeindocke entferne man die vor die innere, Oeühung sich
legenden Flocken. Man halte den Ausfluss zeitweise zurück,
da durch zu schnelle Entleerung und durch gezerrte An-
heftungen Würgei), Ohnmacht und schneller Tod eintreten
Jtann. Treten Krämpfe oder Zeichen innerer Blutung ein, so
beende man sofort die Operation wie sub a, gebe belebende
Mittel und Ergoün.
144 VI. Meiitner, Mittheilangen über die TbXtigkelt
Zeigt es sich bei der Parakentese, dass das vergrösserte
Organ aus mehreren einzelnen Zellen hestehl, von denen nur
eine entleert worden ist, so räth Hedenus, die Kanüle in
der Bauchwand stecken zu lassen und das Andrängen der
übrigen Zellen an die Mündung abzuwarten, um wo möglich
alle der Reihe nach zu entleeren.
Hat man, ohne zu wollen, einen Sack mit dickflüssigem
Inhalte angestochen, so erweitere man die Wunde mit dem
Messer.
Die Wiederansainmlung geschieht im Verlaufe von 10 Tagen
bis einem Jahre. Die Flüssigkeit wird immer gehallreicher,
die Erschöpfung grösser, und die Function muss in immer
kürzeren Terminen wiederholt werden,
c) radical.
Wir operiren so früh als thunlich mit einem dünnen
Troikar. AeusserUch erkennbar multiloculäre Kysten contra-
indiciren; doch wandte Bennett vor der Puuction viei-
kammeriger Bälge Druck an, um durch Aufsaugung der
Zwischenwände sie den eiuiacherigen ähnlich zu machen.
Wann die Entleerung dünnwandiger Bälge anhaltende
Schrumpfung und bedeutende Verkleinerung derselben zur
Folge hatte, so geschah dies durch Entzündung der Kysten-
wand, wonach plastisches Exsudat in die Höhle abgesetzt
wüd, welches sich mit ihr verringert — oder Gelasse der
ßalgwand verstopft werden — oder durch Umwandlung, Ver-
kalkung oder Schrumpfung der absondernden Flache — oder
durch längeres Klaffen der Stichwunde, wonach der Inhalt
fortwährend in die Bauchhöhle aussickert und aufgesogen oder
durch den ßauchstich entleert wird.
Damit das Abgleiten der Kystenwand von der Kanüle
während des Ausflusses verhütet werde, haben Mehrere eine
sperrende Vorrichtung angebracht.
Andere suchten vor der Operation Verwachsung der Kyste
mit der Bauchwand an der für den Einstich auserseheneu
Stelle hervorzurufen.
2. Von der Scheide aus.
Man wählt diesen Ort der Punction bei ganz deutlicher
Fluctuation im hinteren Scheidengrunde und lässl einen Ge-
u. d. Verhandl. d. Gesellschaft f. Geburtsliülfc zu Leipzig- etc. J45
hülfen den Tumor vom Bauche her entgegendrücken und
festhalten.
3. Vom Mastdarme aus.
Diese Methode ist für Kysten oder Abscesse berechnet,
welche sich zwischen Scheide und Mastdarm herabgesenkt
haben und für Weiber mit unzugänglicher Scheide.
4. Der radicale Bauchstich
wurde auch, bisweilen mit Glück, nach spontaner Ruptur
einer Kyste versucht.
IL Punctio complicata und künstliche Fistel.
1. Von der Höhle des Uterus aus durch den Eileiter.
CartwrigMs Verfahren fand, als zu unsicher, keine
Nachahmer.
2. Vom Bauche aus.
d) Das Haarseil ward selten gezogen.
b) Man sucht vorher Verwachsungen mit den Bauchdecken
einzuleiten
a) durch Aetzmittel (Celsus),
ß) durch Acupunctur (Trousseau),
y) durch die Naht (Maisonneuve).
Letztere beide Methoden gestatten leider den Erguss in
die Bauchhöhle!
c) Eine Kanüle wird lange Zeit liegengelassen und zeit-
weise geöffnet.
d) Einblasen von Luft (Krüger -Hansen) sollte mehr
geübt werden. Man bläst den entleerten Sack bis zur Grösse
eines Mannskopfes auf.
e) Reizende Einspritzungen, vornehmlich Jodmischung;
Trae iod., Aq. dest. aa 5üj — y Kali iod. *)ii — 5i alle 14 Tage
und, bei Jauchung, öfter wiederholt, zu welchem Zwecke
nach Fock
f) die Kanüle liegen gelassen wird und
g) ein elektrischer Strom durch den Sack geleitet werden
soll (Bühring).
3. Von der Scheide her.
Monataachr.f C^Uurtsk. l&tt. Bd. XX., Hfl. «. 10
146 VI. Meissner, Mittheilangen über die ThKtigkeit
III. Einschnitt.
1. Bauchschnitt
a) subcutan nach Maisonneuve. Hier bringe ich auch
den Vorschlag HartwicKs an, die Geschwulst am Grande zu
unterbinden, um sie zu veröden.
b) Freier Einschnitt in der weissen Linie
c) nach Versuchen, Anwaohsung des Balges zu erwirken
a) durch Wiener Aetzpaste,
ß) durch Einschneiden bis auf das wandständige Bauch-
fell oder
y) bis auf die Balgwand. Bigin empfahl, die Bauch-
wunde, nachdem sich ein Stück der Kyste in den Spalt
eingelagert hat, einige Tage flach zu verbinden und nach
gelungener Anlöthung die Geschwulst zu offnen
d) mit Fistelbildung
a) durch Annähen des Sackes vor oder nach dem
Einschnitte an die Bauchwunde,
ß) durch Einlagen einer Wieke oder einer Röhre,
mittels welcher reinigende und Jodeinspritzungen geschehen
können (Fock). Bei Cysloiden müssen erst alle von der
Bauchwunde aus erreichbaren Kammern eingeschnitten werden. —
Die Kranke erhalte eine Lage, welche den Äusfluss der Jauche
möglichst begünstigt Der Beischlaf unterbleibe bis zur Heilung.
2. Scheidenscbnitt.
Hier ist die Gefahr der inneren Blutung grösser. Sowohl
a) der einfache, als auch
b) der ^Einschnitt, in welchen ein weiblicher Katheter
eingelegt Avorden, gelangen.
IV. Ausschneiden eines Stückes aus der Balgwand.
Dieses wenig angewandte Verfahren von zweifelhaftem
Erfolge bildet den Uebergang zur partiellen Exstirpation,
welche häufig unfreiwillig, statt der totalen, vorgenommen
werden musste.
V. Ausrottung.
Wenn die Kranke während des Anwachsens der Geschwulst
heftige Zufalle nicht erlitten hat, ihre stete Zunahme aber den
Tod befürchten lässt, so schlage man ihr die Operation vor,
wobei auf die Gefahren während und nach der Exstirpation,
o. d. Verhandl. d. Gesellschaft f. Gebnrtshfilfe zu Leipzig etc. 147
besonders aber auf die Möglichkeit hinzuweisen ist, dass man
die Geschwulst nicht herausbekommen werde.
Wenn der Stiel einer festen Eierstocksentartung durch
Drehung sich selbst zuschnürt, wie van Buren an einem
Fibroid sah, so kann die alsbaldige Ausrottung bei sicherer
Diagnose vom Tode retten, da sonst Bauchfellentzündung und
hämorrhagische Enteritis um sich greifen. Anheftungen des
Sackes an die Umgebung fand R- Lee in 60 von 162 Fällen.
1. Mit dem kleinen Bauchschnitte.
Zwischen Schaotfuge .und Na,bel wird in der weissen
Linie ein 2—3" langer JüioscJmitt bis .qufs Bauchfell gemacht,
der Tumor möglichst der Wunde genähert, das Bauchfell mit
einer Pincette emporgehohen, quer eingeschnitten und dieses
Loch auf der Hohlsonde bis zur Länge der Baychwunde auf-
geschlitzt. Jetzt {hrängt sjch der bläulichwejsse, starkglänzende
vordere Abschnitt der Geschwylst in ,die Wunde. Er wird
am obern und am untern Wundwinkel durch je ein festes
Heft angezogen und zwischen beiden ein Trojkar eingestossen,
um vorhandene Flüssigkeit ?u (e#tleexen. Während der Ent-
leerung müssen zwei Gehülfen (dje Wupdränder ip inniger
Berührung mit der .Geschwulst erhaltet], (Jaroit nicht Ein-
geweide hervprschKjpfen. Ißt aUe? flüssiger Inhalt entleert,' so
wird der Sacjt mögliqbat wejt, .aber schonend hervorgezogen,
der ijntere WundwinM pnd, wenp man der Harnblase zu nahe
kommen würde, auch «der obere Jim je 1 Zoll verlängert,
damit fqr den unteren, härteren Tbeil dv Geschwulst Platz
werde, und um den Stiel, wepn er dünn ist, eine einfache
Scbljnge von Fadenbändchen Test .angelegt; ist der Stiel breit,
so muss er in der Mitte durchstochen und nach beiden Seiten
unterbunden werden, worauf ,jnan dqp Turpor reichlich 1"
darüber .abschneidet
Hinderten Verwachsungen, von der Hand nicht erreichbar
oder zu ausgebreitet, das gänzliche Herausziehen des Sackes,
so muss von ihm abgetragen werden, soviel in die Ebene
der Wunde ohne starke Zereung gebracht werden konnte.
Dazu bedient man sich entweder des Ecraseurs, oder des
Messens in .kleinen Zügen, wobei jedes erkennbare Gefitas auf
der Stelle einzeln unterbunden wird. Den sitzengebliebenen
10 *
148 VI. Meissner, Mittheiltrogen über die Thfttigkeit
Theil der. Geschwulst, der noch in eine Gesammtligatur gc-
fasst wird, oder den Stiel in die Bauchwunde einzunähen, ist
nicht rathsam, weil man nicht vorausbestimmen kann, wie
weit sich nach der Operation die vordere Bauchwand von
der Wurzel des entarteten Eierstockes entfernen werde. Zu
den Ligaturen kann man Pferdehaare oder weichen Eiseodraiit
nehmen, sobald man Eiterung von dieser Stelle aus möglichst
vermeiden will. Zwischen die Bauchnähte kommen den Bauch*
halbumfassende Heftpflasterstreifen; der untere Wundwinke]
bleibe offen.
2. Mit dem grossen Schnitte.
Ist die Geschwulst'inuthmasslich zu umfänglich, um selbst
nach Entleerung ihrer Hauptfacher durch obige Wunde bequem
gezogen werden zu können, oder ist sie durchaus fest: so ist
der Schnitt in die Bauchdecken gleich anfangs wenigstens
5" lang anzubringen. Das Bauchfell öffnet man zunächst soweit,
um mit einer Hand ruhig eingehn zu können, welche nun
etwaige Anheftungen und Verklebungen ermittelt und gelegentlich
trennt. Ehe der Schnitt nach oben, wenn nöthig mit link*
gelassenem Nabel, hinreichend verlängert wird, haben die zur
Seite stehenden Assistenten ihre Hände genau dem Wundrande
anzupassen und besonders auf die Eingeweide zu achten, wenn
eine grössere Kyste entleert oder die ganze Masse heraus-
gehoben wird. Ein dritter Gehülfe bat das Anästhesiren zu
leiten, der vierte der Kranken mit Analeptica beizustehen, der
fünfte die Instrumente zu reichen und die Blutung zu über-
wachen. Eine Wärterin muss mit warmem und kaltem Wasser,
Schwämmen und Wärmflaschen zur Hand sein. Die Zimmer-
wärme sei 17 — 18° R., es werden flache Becken mit kochendem
Wasser zum Verdampfen hingestellt.
Ist die Geschwulst oder ein grosser Theil derselben mit
Gallert gefüllt, so werde sie möglichst hervorgezogen, damit
aus dem nun anzustellenden Einschnitte in den Sack nicht
Massen in die Bauchhöhle fliessen, und mit der Hand der
Inhalt ausgeschöpft
Liegen zwei entartete Ovarien vor, so werde erst -das
eine nach den Regeln der Chirurgie entfernt und vollständig
vor Nachblutung aus dem Stiele gesichert, ehe man zur Ent-
fernung des andern schreitet. Sehen die Geschwülste krebsig
n. d. Verband!, d. Geaeilscbaft f. Geburtshölfe bu Leipzig etc. 149
-aus, so scbliesse man die Bauchhöhle, ohne sie von jenen
befreit zu haben.
Bisweilen wird man den Tumor aus dem kleinen Becken,
ja noch aus dem Boden des grossen, mit deren Wänden er
gern verwächst, herauszuschälen haben, ehe man zum Stiele
gelangt. Hatte man mit der Hand einzelne Fäden und Stränge,
z. B. Brücken zu -den Dänpen, zum Netze, nicht abtrennen
können oder mögen: su werden sie mit der Scheere durch-
schnitten und die blutenden torquirt; in England trennt man
sie lieber mit dem Ecraseur.
Ist der Stiel des Ovarientumors dünn, so drehe
man ihn ab. Ist er dick, so löse 'man auf seinen beiden
Seiten unmittelbar unter der Geschwulst die Bauchfellplatten
mit seichten Messerzügen, ziehe durch die übrigen Gewebe
des Stieles 2 — 3 mit runden, nicht schneidenden Nadeln ver-
sehene, aus 3 — 4 Pferdehaaren bestehende Hefte und unter-
binde nach Abtrennung des Sackes die einzelnen Arterien und
grösseren Venen; bei parenehyma tischer Blutung kommt die
Collectivligatur daran. Die Ligaturfaden lässt man zum unteren
Wundwinkel heraushangen. Die Bauchwunde wird durch je
1 Gentim. von einander abstehende Drahtnähte geschlossen.
Zufalle bei der Operation.
Ist die Narkose durch Chloroform-Aether nicht anwend-
bar, so muss gegen heftige Schmerzen Opium gereicht werden ;
war sie unzureichend, so werde sie während der Operation
wiederholt und bis zu Ende derselben fortgesetzt. Bei nahender
Ohnmacht lagere man den Oberkörper tiefer, besprenge das
Gesicht mit kaltem Wasser, reiche Wein oder einen Aether,
halte an die Nase Riechsalz, reibe die Stirn und Schläfen
mit Kölnischem Wasser und beschleunige die Operation. Tritt
Erbrechen ein, so müssen die Gehülfen vorzüglich darauf
achten, dass nicht Eingeweide vorfallen. Treten Därme
oder Netz in die Wunde, so müssen sie von den Assi-
stenten sofort auf nächstem Wege zurückgebracht und nach -
drücklich zurückgehallen werden.
Zu feste und flächenartigen Verwachsungen
lassen nur theilweise Ausrottung oder den Einschnitt zu, wo-
nach man die Ränder des Sackes ^n die Bauchwunde heftet;
150 VI. Meissner t Mittheilungeo aber die Thfttigkeit
ist die Geschwulst aber fest oder eine Kyste allseitig ver-
wachsen, so stehe man von der Herausnahme ab.
Nachbehandlung.
Der Leib wird von vornher in feuehtwarme Laken ge-
schlagen; sie werden in den ersten Tagen kuhler genommen
und alle 4, später alle 6 Stunden gewechselt und mit Watte
und Flanellbinde überkleidet
Innere Blutung wird durch Schnee- und Eisblasen be-
kämpft, welche auf doppelte leinene Unterlage gelegt werden.
Hilft das nicht, so muss die Bauchhöhle wieder geöffnet und
nachgesehen werden.
Bauchfellentzündung erheischt örtliche, selten allgemeine
Blutentziehung. Es sind lange die festen Speisen zu meiden.
Der Harn werde künstlich abgenommen, der Darminhalt gegen
den 5. Tag hin durch Kaltwasserklysliere entfernt. Gegen
Erbrechen reichen wir Eispillen, zugleich empfehle ich die
Brechnusstinctur alle 2 — 4 Stunden zu 5 Tropfen, das einzige
Mittel, welches ich dem Erbrechen Schwangerer mit stetem
Erfolge entgegensetze.
Die starken Hefte, welche den Stiel anzogen, werden
den 2. Tag, die Bauchnähte am 9. Tage, die Gefassligaturen
in der 2. und 3. Woche entfernt.
Statistik.
Bis heute habe ich ermittelt, dass an 1140 Frauenzimmern
Operationen wegen Eierstocksleiden unternommen worden sind.
384 Aerzte haben sie ausgeführt. Von den Fällen, deren
Wohnplatz bekannt ist, kommen 144 auf England, 134 auf
Deutschland und die Schweiz, 93 auf Frankreich, 23 auf
Amerika, 11 auf die Niederlande, 7 auf Italien, 3 auf Russ-
land und 2 auf Schweden.
Im 18. Jahrhunderte haben nur 18 operirt. Alter der Weiber,
als sie operirt wurden:
im 14. Jahre stand 1,
„ 16. — 20. stahdeö 28,
„ 21.-30. „ 147,
„ 31.-40. „ 94,
„ 41.— 50. „ 57,
, 51.— 60. „ 34,
„ 61. — 75. „ 7.
u. d. Vorhandl. d. Geaelkohaft f. Geburteliülfe au Leipzig etc. 151
Verbeirathet warea 193, Wiltwen 6, nicht verheiratet 101,
nie geboren hatten 39, 18 wurden während der Schwanger-
schaft, 5 während der Geburt, 3 im Wochenbette operirt.
79 hatten vor der Operation geboren, darunter kam 1 mit
Zwillingen nieder, eine andere hatte 11 Kinder. 7 abortirten,
davon 1 mehrere Male; 9 gebaren noch 1 mal und 2 kamen
noch 3 bis mehre Male nieder, während die Eierstocksgeschwulst
wuchs. Das (Jebel bestand bei einigen seit wenigen Monaten,
bei anderen seit vielen, bis 36 Jahren. Am meisten wird der
Bestand seit zwei Jahren angegeben, nämlich bei 48.
Aetiologie.
13 gaben körperliche Erschütterung als Ursache des
Leidens an; 4 hatten sich während der Regeln erkältet.
11 Geschwülste waren aus Entzündung des Eierstockes,
25 von einer Entbindung und zwar 4 von schwerer, 6 von
vor- oder Frühzeitiger Niederkunft abzuleiten; eine hatte sich
im Wochenbette erkältet.
Befund.
95 linksseitigen Tumoren stehen 94 rechtsseitige gegen-
über; 33 Mal waren beide Ovarien erkrankt:
Mal beide kystos,
„ 1 Cystoid und 1 Kyste.
„ beide Cystosarkome,
„ „ Speckgeschwülste,
„ „ Eitersäcke.
665 Kysten waren einkammerig oder einfache Säcke mit
wenigen kleinen theils angehängten, theils in jenen einge-
schlossenen Bälgen.
Von 105 Cystoiden waren 26 colloid.
65 Kysten waren mehrkammerig,
33 Geschwülste nur gallerthaltig, 83 lest, fibrös,
18 Dermoidgeschwülste, 18 gemischte, darunter 7 Cysto-
sarkome,
17 Krebse, darunter 10 mit Hohlräumen,
4 wahrscheinlich auch Carcinome.
Erscheinungen im Leben.
Die dem kranken Eierstocke entgegengesetzte Seite
war in 7 Fällen die ausgedehntere. Einmal ragte der Nabel
152 VI. Meissner, Mittheitaflgen über die Tbfttigkeit
vor, eine bei Kystoophoron ohne Bauchwassersucht höchst
seltene Erscheinung.
Scheidenvorfall bestand bei 2, Muttervorfall bei 2, Erhebung
der Gebärmutter bei 17, Verlängerung derselben bei 4. Ge-
dreht war der Uterus bei 1, geknickt bei 2, umgestülpt bei 1.
Nach der kranken Seite hin war der Muttermund 6 Mal,
nach der gesunden 2 Mal, nach hinten 2 Mal, nach vorn
1 Mal gerichtet, Oedem der Fasse bestand bei 24, Oedem
der Scham bei 1 , der Brüste bei 1 , Bauchwassersucht bei 33,
2 Mal mit Hautwassersucht.
Leibschmerzen klagten 43; die Schmerzen waren 1 Mal
auf der rechten Seite, obgleich die Geschwulst vom linken
Ovarium ausging. Kreuzschmerzen wurden von 5 angegeben,
Hüftweh allein von 2, Schmerz in der Leisten- oder Lenden-
gegend von 4, Schmerz beim Stuhlgange von 3, Verstopfung
von 30: bei einer von diesen war die Geschwulst mit der
Flexura iliaca verwachsen. Erbrechen hatten 19, Dysurie 16,
Ischurie 4, Strangurie 2, Harndrang 2 ; wenig Harn Hessen 8.
Zustand der Geschlechts Verrichtungen:
Bei 10 fehlten die Regeln ganz, bei 24 waren sie unter-
drückt, bei 5 kehrten sie im späteren Verlaufe der Krankheit
wieder (1 Mal mit Schmerzen, 1 Mal nur vorübergehend).
Bei 20 dauerte der Monatsfluss fort — nur 1 Mal schwächer
als vorher — ; bei 8 war er unregelmässig, bei 6 schmerzhaft,
bei 7 übermässig; 6 hatten Mutterblutung (2 wegen gleich-
zeitiger Uterin fibrofde), 8 Leukorrhoe.
Bei 16 war der Bauch gegen Berührung empfindlich.
Der Schenkel der leidenden Seite war bei 4 steif (1 Mal
geschwollen), bei 3 gelähmt (2 Mal zugleich fühllos, 1 Mal
steif); 1 hatte Ischias der anderen Seite. Paraplegie der
Arme bestand mit Epilepsie 1 Mal, Starrkrampf 1 Mal.
Verlauf.
Periodisch trat die Eierstockswassersucht 2 Mal auf: 1 Mal
in Folge bessernder innerer Mittel; 1 verschlimmerte sich
jährlich 2 — 3 Mal und platzte binnen 4 Jahren 4 Mal.
3 waren vor der Operation ins Scheidengewölbe, 3 am Nabel,
ausserdem 2 geborsten: 1 nach einem Falle, 1 nach einem
Stosse, worauf. Rückfall eintrat. 1 barst von selbst in die
n. d. Verhandl. d. Gesellschaft f. Geburtehtilfe in Leipzig etc. 153
Bauchhöhle unter Ohnmacht und Krämpfen; 1 andere ebenso,
wonach ein halb Jahr später Bauchwassersucht bestätigt wurde.
Eine Geschwulst war verjaucht, zwei waren an mehreren
Stellen von selbst am Bauche abscedirt, die von Larrey
Operirte aber bekam einen Bauchabscess, aus welchem steinige
Massen und Haare von der Harnblase her abgingen.
Complicationen.
6 Mal bestand neben dem Tumor ovarii sicher, 2 Mal
wahrscheinlich Fihrois uteri, — 1 Mal ein Beckenfibrold , 1 Mal
Entzündung der Harnblase.
Diagnose.
Bei 10 fand man die Geschwulst in der hypogastrischen
Gegend, worauf sie bei 4 nach der Mitte ruckte. An 14
fühlte Irtan ungleiche Resistenz: 1 Mal lag ein Cystofd,
1 Mal eine Kyste mit 3 Knollen , 1 Mal eine Gallertgeschwulst,
1 Mal eine Kyste und ein Krebsknoten des Eierstocks vor
und 1 Mal der kleinere kranke Eierstock neben dem grossen
Sacke des andern.
14 Mal ward Undulation bemerkt; bei 5 war der
Wellenschlag in der Scheide fortgepflanzt, 1 Mal Gallertzittern
wahrzunehmen. Bei 1 wurde der Wellenschlag noch vom
Mastdarme, nicht von der Scheide aus gefühlt.
55 boten Fluctuationdar, 1 nur stellen weis. Bei 5
war die Fluctuation undeutlich, bei 5 fehlte sie ganz. 7 hatten
deutliche, 1 undeutliche, 2 keine Fluctuation im Scheiden-
gewölbe; 8 Hessen daselbst nur eine Härte fühlen. Bei 8
gewahrte man Geschwulst vom Mastdarme her, welche
1 Mal daselbst schwappte. .
Eine hatte beim Aufheben des Gewächses Schmerz. Bei
7 war es frei beweglich , 1 Mal mit Geräusch und Gefühl von
Reibung. — Bei einer hörte man blasendes Gefassgeräusch
auf der Geschwulst
Urtbeil über etwaige Verwachsungen:
56 hatten keine Verwachsungen; bei 21 anderen hatte
man vor der Operation festgestellt, dass Verwachsungen nicht
vorhanden seien, was sich auch bestätigte. Bei 2, wo man
ihre Abwesenheit vermuthete, wurden nur geringe gefunden.
154 VI. Meis*n*r, MiUheilungen über die ThätigkeU
Bei 13 hat man die Verwachsungen . vor der Öperaüoa
erkannt. Bei 3 waren. die Geschwülste beweglich , dennoch
verwachsen. Bei 28 waren sie erst frei, dann verwuchsen
sie mit der Umgebung — dies geschah bei 12 durch veraus-
gegangne Panctionen, bei 4 durch Entzündung von den Bauch-
decken aus.
Ausserdem traf man:
bei 37 Adhäsionen im Allgemeinen,
„ 29 mit dem Netze,
„ 4 „ „ „ und der Bauchwand,
„ 2 „ „ „ „ den Eingeweiden,
„. 2 f, „ „ „ Becken oder sonst,
„ 1 „ der Leber, „
„ 2 „ „ „ und Gallenblase oder sonst,
„ 3 „ dem Dünndarme.
Dazu kommen 1 Adhäsion rechts, 13 leichte, 6 faden-
förmige Brücken, 14 feste, 24 umfängliche, 37 ausgebreitete
bis allseitige Verklebungen.
Bei 5 Kranken hielt man die Eierstocks Wassersucht für
Ascites; 1 glaubte man schwanger, 1 davon extrauterin.
Operationen.
A. Punctio ovarii simplex; a. ohne Arzneien,
I. Explorativa. Von sieben Operirten starb eine {Clay).
II. Badicalis.
1) Genesung folgte. 28 Beispiele.
b. Punction und Jod innerlich 1
(Thompson).
2) Es folgte wahrscheinlich Genesung.
a. Punctio simplexi 1
( Wans broug).
b. und Aetzung 2
(Ashtveü, Cartwright).
3) Nur Besserung 2.
III. Palliative 4) a. Paracentesis abdominalis
«. ausserhalb des Wochenbettes .... 13.
ß. in der Schwangerschaft 7.
y. während der Geburt 3.
u. d. Verh*u)l. cl. Getellsobaft f. Geboxtehttlfe in Leipzig etc. 155
b. Durch Nabel und Seheide 1
(Sachse).
5) Schicksal unbekannt 127.
6) EleGtropunctur erfolglos . . 4 2
(Buhring, PhiUpart).
7) Auf Functionen folgte mittelbar oder unmittel-
bar Tod 83.
Neun Mal hat man nach der Punction nichts
ausfliessen sehen.
Todesursachen: 9 Mal Blutung, 7 Mal Peri-
tonitis, 4 Mal Erschöpfung, 3 Mal Pyämie,
2 Mal Verletzung der Milz, 1 Mal Entzündung
der Geschwulst
8) Paracentese wegen Ascites, Tod 6.
Genesung . . 2.
B. Punctio complicata.
I. Künstliche Fistel.
1) Genesung folgte 8.
2) „ „ oderjtesserung wahrscheinlich 3.
3) Tod : . . . 11.
II. Reizende Flüssigkeiten werden in die Höhle gebracht:
1) Luft eingeblasen, Erfolg 3.
2) Honig mit Gerstengrützwasser eingespritzt, Tod 1
(Marjoliri).
3) a. Jodkalium-, auch Jodlösung. Genesung
folgte 84,
darunter 1 von Uyttenhoeven, der vorher
Verwachsung der Kystenwand mit der Bauch-
wand mittels seines Troicart articule ä curseur
zu erzielen sucht, s. Monatsschrift, XV., 4.
b. Portwein 1
(Holscher).
c. Tinct Digitalis zu einigen Tropfen . . 1
(Chatelain).
d. JodttocUir rein, oder mit geringem Zusätze 9.
4) Jodtinctur. Nur Besserung erfolgte, oft
Rückfall 86-
5) Aetzpaste, dann künstliche Fistel, o. Genesung 6.
b. Nur Besserung 3.
156 VI. Meissner, Mitteilungen über die Thätigkeit
c. Es folgt reizende Einspritzung;
a) 1 ward in 5 Jahren hergestellt ( Wilson),
ß) 2 wurden nur erleichtert.
6) Reizende Einspritzung; Tod folgte, a. Wein 6.
b. Jodlösung t 53.
5 starben an Entzündung der Kyste, worauf
1 Mal Pyämie folgte; 1 an Peritonitis,
nachdem unvorsichtig Wasser eingespritzt .
war; 1 an der nachher unternommenen
Scheidenoperation ; 1 mit Krebs der Kyste
am sechsten Tage.
III. Haarseil.
1) Heilung 3.
2) Tod 3.
IY. Punction, dann Compiession und innere Mittel.
a. Heilung 13.
b. Besserung.
1 Kranke von J. B. Brown behielt einen
runden Körper in der Tiefe.
c. Fruchtlos.
1 Kranke von J. B. Brown.
V. Subcutanes Oeffhen der Kyste.
1 Kranke von Maüonneuve bekam ihre
Geschwulst wieder.
C. Operationen von der Scheide aus.
I. Punctio simplex
1) radicalis.
17 mit Erfolg, 1 nur gebessert:' Mikschik
entleerte eine bluthaltige Höhle.
2) Palliativ bei Schwangeren und Kreissenden.
a. Genesung folgte 2.
b. Ausgang nicht bekannt 7.
In 3 Fällen machte Park einen Schnitt.
c. Unglücklich 4.
3) Ausser dem Wochenbette; Erfolg nicht bekannt 4.
4) Tod folgte 5.
IL Jod ward nachgespritzt.
1 genas,
1 starb.
n. d. Verhandl. d. Ge*elUobaft f. Gebnrtahfllfe au Leipzig etc. 157
III. Künstliche Fistel.
1) Genesung 10.
2) Rückfall _. . 3.
3) Ausgang nicht gemeldet 3.
4) Tod x 8.
IV. Scheidenstich, dann Einschnitt durch die Bauchdeckeu.
1 Kranke von Petschler behielt eine Fistel.
V. a. Einschnitt durch die Scheide.
1) Genesung ' 1
(Bourdon).
2) Rückfall , 1
(Levert).
b. Weiblicher Katheter eingelegt, Genesung . . 2
(Nöihig, WaUon).
c. Theilweise Ausrottung, Heilung 1
(Roux).
3) Tod 2.
D. Punction vom Mastdarme aus.
5 Schwangere palliativ, 1 während der Geburt.
E. Einschnitt am Unterleibe.
I. Incisio simplex.
1) Genesung folgte ~ 15.
2) Besserung. 4 behielten Fisteln.
3) Tod 13.
IL Charpiemeisel, 1) Genesung 5.
2) Tod 1
(Crede).
III. Künstliche Fistel.
1) Heilung .7.
2) Tod • 2
(Bainbrigge, Dohlhoff).
F. Ausrottung.
I. Exstirpatio ovarii partialis.
1) Genesung 6.
2) Tod 8.
II. totalis. 1) Ausgeführt
a. mit dem kleinen Schnitte:
156 VI. Meissner , MHtheilnngen aber die Tätigkeit
a) glücklich. ß) unglücklich.
46undl?(IFü«m)42
b. mit dem grossen Schnitte:
79 63; darunter wurden
bei 4 und 4 bei de Eierstöcke
entfernt. 1 Mal ist der Erfolg nicht angegeben.
c. ohne Angabe der Ausdehnung des Schnittes:
46 25
In 12 Fällen ist der Ausgang verschwiegen.
d. die Geschwulst konnte nicht ausgerottet werden,
weil sie zu gross oder zu fest verwachsen war:
14 ' 18
e. man fand .keine oder nicht die gesuchte
Ovargeschwulst:
9 14;
das Schicksal einer ist nicht bekannt
Todesursachen nach theil weise oder ganz vollzogener
Ausrottung :
I. Mit dem kleinen Schnitte
Blutung Peritonitis, Ent-
und oft mit sfindtmg»
Vr Ci-ri,
Blutung. Bauchfell- Enteritis der Brand. l '"
ent- oder Kjete»- achSpfe. kr.«npf.
zündung. Darmbrand, warsei.
7 3 23, 1 mit 4 13 1
Pyämie.
II. mit dem grossen Schnitte •
11 1 31 116
Dazu 1 an Phlebitis, später Pleuropneumonie,
1 an Durchfall, fünf Tage nach der Operation.
1 an Beckenabscess und Niereninfarcten.
HI. Lange des Schnittes unbekannt.
1 5; und 1 wahrscheinlich an Lungen-
entzündung.
Wollen wir die Ergebnisse obiger Zusammenstellung für
die Praxis im rechten Lichte getan, -so müssen wir wobl ein-
gedenk bleiben, dass sich die Verhältnisse einer Eierstocks-
kyste zu der Zeil, wo sie entdeckt wird, selten so günstig
n. d. Verfaandl. d. Geeellschaft f. G«bartohülfe in Leipsig etc. 159
finden, das» wir auf den Erfolg einer ersten Punctum reebnen
können. Denn ist die dünnwandige Kyste, welche eben «He
geeignetste fär ein solches Unternehmen ist, noch nicht von
der Grösse einer gewöhnlichen Melone, so ist noch zu hoffen,
dass sie der Tuba oder dem Nebeneierstocke angehöre und
von selbst berste; ist sie aber grösser, so gehört sie sicher
nicht den eben genannten Organe«, sondern dem Eierstocke
an, und nun lässt sieb die Zeit, bis zu welcher die Sack-
wände noch des Zusammenfallen* fähig sind, in den wenigsten
Fällen zur Operation aussuchen, weil die Beschwerden nicht
drängen. Ist aber die Geschwulst einmal aber diese günstige
Beschaffenheit hinaus öder nie von solcher gewesen, so werden
wir mit jedem Eingriffe anstehen, biß nicht die Kräfte der
Kranken erheblich sinken oder augenscheinliche Gefahr droht.
Daher darf es uns nicht Wunder nehmen, dass von 270 vom
Bauche her angestellten Punctionen nur 32, und von39.Scbeidpn-
punotionen 17 gleich das GrundobeJ beseitigten, und dass auf
der andern Seite 34 Proc. der ersteren und 23 iProc. der
letzteren eher oder später tödtlkh abliefen, wenigstens dass
von dem Datud) der Operation an der Verfall raschere Fort-
schritte machte — die Operation dient eben in den meisten
Beispielen nur als augenblickliche Erleichterung, ja als
Euthanaticum.
Die günstigeren Resultate stehen .gleichwohl
bedeutend auf Seite der Punction von der Scheide
aus, wegen früher erörterter Gründe.
Sonaoh bleibt die grosse Hehrzahl der Fälle dem Felde
der sogenannten Radicalverfabren offen, d. h. der conplieirten
Function, namentlich den Jodeinspritzungen und der Aus-
rottung; die übrigen Heilformen, von denen das Lufteinblasen,
die künstliche Fistel, besonders die in der Scheide angelegte
und der modificirte Einschnitt für ihre Anzeigen Aufmerk-
samkeit verdienen, sind bis jetzt nicht oft genug angewandt
worden, um mit den üblicheren Methoden verglichen werden
zu können.
Die iodeinspritzung erscheint zwar weniger gefährlich,
als die mit Umsicht angestellte Ausrottung, hat aber doch
als gründliches Verfahren weniger Verlockendes als die .für
grausamer geltende Exkulpation, sobald wir zu den Todes-
160 VI- Meimner, MittheiluDgen aber die Th&tigkeit
fällen auch die Beispiele unvollkommener Heilung und die trotz
wiederholter Insertionen zahlreichen Rückfälle rechnen.
237 wurden mit Jodeinspritzungen behandelt;
95 davon hergestellt = 40 Proc.
88 nicht geheut j = ^ ^
54 starben j
Dagegen: 357 wurden der Exstirpation unterworfen;
194 kamen mit dem Leben davon;
171 wurden ihre Geschwülste los = fast 48 Proc
163 starben m = 52 „
Dabei ist der grosse Schnitt, oder der kleine, welche zu
rechter Zeit und hinreichend vergrössert wurde, im Vorthdle,
doch wohl da er die Operation abkürzt und Zerrungen weniger
mit sich bringt:
mit dem grossen Schnitte wurden fast 56 Proc.
mit dem kleinen „ „ nur 50 „ gerettet
Ich lasse nun die Erzählung der beiden in Leipzig unter-
nommenen Exstirpationen folgen.
I. Am 4. März 1859 wurde ich von Herrn Dr. Kirsten
veranlasst, Frau C. zu untersuchen. Sie war 53 Jahre alt,
Mutter von 2 Kindern, zart gebaut, von grauer Iris und hatte
seit iy4 Jahren eine Geschwulst im Leibe bemerkt, welche
Herr Dr. Heil für eine Kyste des rechten Eierstockes erklärte.
Kirsten war hinzugezogen worden, um wegen der
steigenden Athemnoth eine Punction zu machen. Sie wurde
in der Mittellinie angestellt, dann noch zweimal auf der rechten
Seite wiederholt. Beide Male ward starke Jodtinctur einge-
spritzt und je 10 Minuten lang geknetet, um sie allseitig mit
der Wand des Sackes in Berührung zu bringen. Es folgte
niemals Reaction. Eben war der Bauch wieder unerträglich
augeschwollen. Ich fand das Aussehn der Kranken blass, die
Haut etwas düster gelblich, die Kräfte noch gut, in der Minute
90 Pulsschläge, den Atbem ruhig. Die Frau konnte auf der
rechten Seite nicht gut liegen, auf der linken zu hegen war
ihr fast unmöglich. Harn wurde oft und wenig auf einmal
gelassen, nur nach jeder Punction floss mehr und in längeren
Pausen. Er war eiweissfrei. Die Darmausleerung stockte.
Der Schlaf war leidlich. Der Leib war sehr ausgedehnt, am
gleichtnässigslen rechts; links unten fühlte man eine besondere.
ii. d. V efhftndl. d. Gesellschaft f. Geburteblilfe *u Leipzig etc. 161
kindskopfgrosse Geschwulst Der grosse Sack giebt Wellen-
schlag, der sich auch in den Scheidengrund fortpflanzt
Die Kranke glaubt einmal beim Tragen einer Last sich
rückwärts gebogen und sofort einen Knax gefühlt zu haben,
worauf Schmerz in der rechten hypogastrischen Gegend ent-
stand. Seit November 1858 ist der Sack rasch gewachsen,
doch bis zur 3. Function frei beweglich geblieben. Das Ab-
gezapfte bestand aus je 5 — 6 Pfd. zähflüssigem, gelblichem
Serum mit schlaffen Faserstoffgerinnseln von der Form ge-
quollener Fadennudeln, aus Eiwetssuolekeln, Eiter- und Blut-
körperchen, worunter wenige Körnchenzellen,
Wegen der nutzlos gewesenen früheren Operationen war
der Kranken der Radicalschnitt bereits vorgeschlagen. Sie
war darauf eingegangen und hatte guten Math.
Operation am 9. Mar* 1859 früh 10 Uhr.
Puls 102, Athmen 18. Von der Hersgrube bis zum
Schamberge maass der Leib 30 Ctm., vom Schwerdtfortsatae
bis ebendahin 36, von einem vordem obern Darmbeinstachel
qperhinüber zum andern 47, von dem ersteren über den Nabel
weg bis zum linken, harten Rand des Tumors 82 Ctm.
Zimmerwärme 20° R.
Um 10 Uhr 10 Min. wurden 1 Tfceil Chloroform und
3 Tbeile Aether zum Athmen gereicht, 10 Uhr 30 Min. in
der Narkose der Harn mit dem Katheter abgenommen, 10 Uhr
40 Min. der Schnitt in der weissen Linie 3" lang gemacht.
Der Sack war überall, links untrennbar verwachsen. Rechts
liess sieh die äussere Wand mit den Fingern swei Hände breit
abtrennen, Daher war der Einschnitt, während er vorsichtig
in die Tiefe verfolgt wurde, in die Höhle des Sackes ge-
drungen und Hess einen Thail des Inhaltes ausfliegen. Seine
innere Auskleidung war noch inniger mit der äusseren Wand
als diese mit dem vorderen Hatte des Bauchfelles verwachsen.
Ich veranlasste Kirsten, einen handbreiten Streifen aus
der 2'" dicJben Kystenwand auszuschneiden, und Heä
legte 11 Uhr im obern Wundwinkel ein Heft an. Kurz da-
rauf erfolgte Erbrechen.
Aus der Wunde hatten sich 6 Pfd. Inhalt entleert; sie
wurde mitteis HeftpAaster^mäesig zusammengezogen. Das oben
IfoaAStMfcr. f. Ortm**. 18SI. Bd. XX., HU. *. M
162 VI. Meütntr, Ißttheihutgen über die Thfttagkeit
bezeichnete Längenmass des Bauches von 36 Ctm. betrog nur
noch 31, das Quermaass 47 nur noch 30.
Abends trat wieder Erbrechen ein, es währte trotz zwei-
stündlicher viertelgräniger Morphiumgaben bis zum anderen
Mittage fort, wo ein Spulwurm erbrochen wurde. Dann
hörte es auf.
11. März früh Puls 102. Die Kystenwunde hat sich
geschlossen.
13. März platzt die Wunde und entleert beim Husten blutige,
15. März gelbliche Jauche. Die grosse Häufigkeit des
Pulses lässt nun nach.
Ein Frostanfall. Der Schmerz in der Umgegend der
Wunde, mehr rechts, nimmt zu. Stuhlenüeerung nur durch
Clysma, Harn gut. Schlaf durch Chinin mit Morphium.
17. März. Die häufigen Darmentleerungen lassen J)urcb-
bruch des Sackes nach einem Darme ahnen. Abends
Erbrechen.
21. März. Soor der Zunge und der Wangen. Mangel
an Esslust Die Darmfistel entleert viel, die Bauch wunde *
wenig trübgelbliches Serum.
25. März. Kirsten hat einmal Wasser in den Sack
gespritzt; es war starke Reaction erfolgt Heute injiciren wir
eine Unze Chinaabkochung.
28. und 29. März. Jodeinspritzung.
2. April. Die Jodtinctur hat Mund- und Zungengeschwüre,
Nachts faulen Geschmack erzeugt Die Absonderung aus der
Kyste lässt auch vorn nach; aus dem Darme fliegst seit
3 Tagen nichts mehr aus. Wir spritzen nur alle 3 Tage
1 Tct. iod. : 2 Aq. ein.
10. April hat sich ein 6" langes, 1" breites Stück Kysten-
wand abgestossen und wird durch die Bauchfistel entfernt
Es war dies wahrscheinlich der künstlich abgetrennte aber
nicht herausgeschnittene Streifen.
Viel flüssiger Inhalt dringt nach. Von nun an wird die
Höhle täglich mit Chinabrühe ausgewaschen, dann Jodtinctur
2 : 3 eingespritzt, geknetet und wieder abgelassen.
16. April P. 120, T. 30°, 2 R. Es entleeren sich mit
dem wenigen Eiweisse Eiterflocken. Prof. Schnitze aus Jena
ist gegenwärtig. Im Mastdarme, aus welchem bis gestern
a. d. Verband!, d. Gesellschaft f. Geburtshülfe su Leipzig etc. 163
einige Tage lang wieder Kysteninhalt, einmal blutig, entleert
worden, fühlt man hinter dem Körper der Gebärmutter einen
nach hinten spitzen, kegelförmigen Strang, der yon der Wurzel
der Geschwulst ausgeht
21. Aprü. P. 100, T. 31°,6 R. Vorgestern langer
Schüttelfrost. Die Absonderung ist halbeitrig, riecht übel.
Schlaf gut, Stuhl regelmässig. Oedem beider Beine, mehr des
rechten. Einspritzung von Liq. fern sesqui-chlorati 1 :8 Aq.
3. Mai. P. 120, T. 29°, 8 R. Die Kyste fühlt sich viel
härter an, sondert schwarze Jauche aus (chinagerbsaures
Eisenoxyd färbte), pilzfreier Soor auf Zungen- und Wangen*
Schleimhaut, ward gelbbraun, diphtherisch (chlorsaures Kali).
9. Mai. Ausfluss schwarz, halb gallertig, von brandigem
Gerüche. Abends nach Einspritzen von lauem Wasser Collap-
sus (Chinin).
10. Mai, früh Tod* Section durch Prof. E. Wagner.
Die Wände der noch faustgrossen Höhle waren innen schwarz-
blau gefärbt, sehr zerreisslich und rochen brandig; eine Tasche
ging nach links unten ab und mündete mit 1,5 Centim. breiter
Oeffnung, 1" über der Bauhin'schen Klappe, in den Blinddarm.
Mit der geschrumpften Kyste hing gestielt, doch nicht
nachweisbar hohl, ein faustgrosser Krebsknollen zusammen,
der gleich einem kleineren Knoten am rechten breiten Bande,
innen käsig -eitrig erweicht war. An die rechts liegende Ge-
schwulst, deren Wurzel die Stelle des Eierstockes einnahm,
trat die rechte Trompete, deren Fransen mit dem Grunde
des Cystocarcinoms verschmolzen waren.
Gebärmutter lang gezogen; ihre linken Anhänge gesund,
nur mit der Beckenwand verwachsen. Frische Peritonitis.
Wurmfortsatz nur in seinem Anhange durchgängig. Leber
atrophisch, Nieren fettig.
11. Fräulein W., 24 Jahre alt, blond, von blauer Iris,
war von mir in ihrem 13. Lebensjahre an schwerer Pleuro-
pneumonie des linken unteren Lappens behandelt worden.
Vor 6 Monaten war sie durch den Tod ihrer Mutter heftig
erschreckt und zum Heben einer zu schweren Last genöthigt
worden. Seitdem flössen ihre Regeln häufiger als normal.
Vor 3 Monaten war Herr Dr. Benno Schmidt zugerufen und
hatte eine Geschwulst im Leibe vorgefunden, welche vorn dhd
11*
164 VI. Mei$8n*ry Mittbtilwigen «bar die Thättgkeit etc.
oben fluctuirte, nach links unten aber in eine Hörte Aberging,
die ins Becken hinabreichte. Er hatte eine Function angestellt,
welche 8 Unzen blutige, gallertige Flüssigkeit Ausbeute gab,
worauf viel reines Blut ausfioss. Am 21. November 1859
fand ich sie von blassem Aussehen, etwas herabgekommen,
an ihrem Unterleibe Undnlation, die sich nicht nach dem
Scheidengrunde, deutlich aber nach dem Mastdarme fortpflanzte.
Die vordere Wand der Scheide war herabgetrieben, etwa«
ödematisch. Es bestand massiger Scheidenkatarrh. Der Urin
war frei von Eiweiss, der Schlaf durch Morphium zu bewerk-
stelligen, die Stimmung gefasst.
Die Parakentese ergab vier Pfund bräunlicher, eiweiss-
haltiger Flüssigkeit 4. Januar 1860 früh 9 Uhr betrug der
Puls 108, das Athmen 34, die Hautwärme war massig. Der
Umfang des Bauches in der Höhe des Nabels 112 Ctm., vom
Schwerdtfortsatze bis zur Scbamfuge 46, vom Nabel bis
ebendahin 24.
10 Uhr 90 Min. begann die Narkose, welche nur unvoll-
ständig gelang. Ich brachte den Katheter ein und entleerte
wenig Harn. Die Kranke ward unruhig und sträubte sich
gegen das Chloroform.
10 Uhr 40 Min. schnitt Schmidt nach gebildeter Haut-
falte 6" lang ein und erweiterte die Bauchfellwunde oben und
unten um je 1".
10 Uhr 45 Min. stiess er den Troikar in die erste vor-
liegende Kyste, deren noch 11 andere bald angestochen, bald
eingeschnitten wurden. Ein walfaiussgrosser, blassgelber Gallert-
klumpen schlupfte dabei heraus. Ein federspuldickes Geßss,
welches zwischen drei kleineren Bälgen verlief, war verletzt
worden und musste unterbunden werden.
Das Cystoid war mit seinem Scheitel an die vordere
Bauchwand und an das grosse Netz in bedeutender Strecke
angewachsen und wurde mit der Hand vorsichtig davon befreit
Ein kleines Stock Netz Wieb an der Geschwulst sitzen. Der
links befestigte, 2" breite Stiel der Gallertgeschwulst wurde
durchstochen, nach beiden Seiten und* dann noch gemein-
schaftlich unterbunden, darüber abgeschnitten; er enthielt
8 Schlagadern, jede %"'— %'" breit 6 Knopfhäfate ausser-
halb des Bauchfelles schlössen die Wunde 11 Uhr 30 Msn.
VII. Notureii »äs der Jawati- Literat«?. 166
Die sehr standhafte Kranke hatte beim Trennen der
breiten Verwachsungen und beim Zuziehen der ersten Stiel-
schlinge laut aufgeschrieen.
Es wurden Eisblasen auf den Bauch gelegt und V4 Gran
Morphium gereicht, worauf die Leibschmerzen nachliesaeu.
Im Bette hatte die Operirte 120 Pulsschläge, 30 Athem-
züge. Abends war sie ruhig, schlief aber nicht die Nacht
hindurch.
5. Januar früh 5 Uhr erfolgte Gähnen und Verfall.
8y2 Uhr entschlief sie sanft.
Obduction durch Dr. Schmidt: organisirte, mit dem Sacke
verwachsen gewesene Exsudate fanden sich an der 1. Puncfions-
stelle links, dann von der 2. rechts angestellten bis weit hinauf;
sie zogen sich an der vordem Bauchwand nach links hinüber.
Mehrere Darmschlingen waren frisch und meist fein in«
jicirt; keine hatte Adhäsionen. Uterus etwa 1" länger, schlaff.
Reste linksseitiger Lungenfellentzfindung.
VII.
Notizen aus der Journal -Literatur«
Roter: Zur Behandlung der perimetritischen Absoesse.
M. rftth, bei Abscessen im Zellgewehe der breiten Mutter-
bänder das Lig. Poupartii neben der Schenkelarterie blossulegen
und durch Einbohren einer Hohlsonde oder Kornzange auf der
äussern Seite des Schenkelringes dem Eiter einen Atisweg au
▼erschaffen. Die Cur pflege ausser zeitweisem Einführen eines
elastischen Katheters nichts weiter su erfordern.
(Arch. d. Heilk. 1862, 3. Heft.)
van Eaartman: Stricturen des inneren Muttermundes.
Verf. heilte in 6 Füllen die Striktur des innern Mattermundes
durch den Sohnitt nach der Methode von ßtmpton. Es wurde
mittels des von diesem angegebenen Instrumentes die Strikter
naeh beiden Seiten hin eingeschnitten, in 4 Füllen ausserdem noch
168 VII. Notitttt ans der Journal -Literatur.
Vorfall der Nabelschnur. Wegen nicht su bewerkstelligender
Wendung- decapitirte F. Die Mutter blieb gesund.
Zwei weitere neue Falle sind von Dr. Qvtmann in Komon
nnd Prof. Simon Thoma» (le toterer ans der Nederi. Tydschr. v.
Geneesk. Leyden 1862) nämlich:
6) Bei einer 31jährigen Mehrgebärenden traten in der Er-
Öffnungszeit starke, von Placenta praevia bedingte Blutungen sin.
Die behandelnden Wundärzte gaben Matterkorn and rissen die
Placenta, deren Cotyledonen sie für Blutgerinnsel hielten, stück-
weise heraus, woravf das Frachtwasser abfloss, der Uterus sich
kräftig zusammenzog, nnd die Blutung stand. Es wurde nunmehr
eine Querlage erkannt, und nach misslungenen Wendungsversuchen
Matter and Kind aufgegeben. Zwölf Standen nach Wehenbeginn
wurde G. gerufen, welcher die Fracht in «weiter Querlage mit
Vorfall des rechten Armes, die Gebärmutter stark um dieselbe
zusammengezogen, die Kreissende sehr erschöpft fand. Wendung*
versuch ohne Erfolg, Decapitation nach Braun,
Normales Wochenbett.
7) Th. fand bei einer 32 jährigen Mehrgebarenden, 77 Stunden
nach Abfluss des Frachtwassers, nach frachtlosen Wendungsver-
suchen dreier Aerzte, die todte Frucht in erster Querlage mit dem
Bücken nach vorn und mit Vorfall des rechten Armes und der
pulslosen Nabelschnur, die Gebärmatter gleichm&ssig fest um jene
zusammengezogen, den inneren Muttermund am Schulter und Thorax
ringförmig zusammengeschnürt. Darreichung von Laudannm,
vergebliche Wendungsversuche, sodann Decapitation nach Braun.
Beim ersten Versuch wurde der Hals nicht ganz nmfasst, und
nur Weichtheile durchtrennt, beim zweiten gelang die Absetzung
der Halswirbel. Die Entwickelang des Rumpfes wurde unter Ein-
setzung des Smellie' sehen Hakens zwischen die Rippen unter grosser
Kraftanstrengung bewirkt, darauf der Kopf mittels der Zange
extrahirt. Die Nachgebart zu entfernen gelang der Strictur dei
inneren Muttermundes wegen erst nach erneuter Darreichung von
Laudannm. Das Wochenbett wurde durch eine Endometritis sub-
acuta getrübt; nach drei Wochen jedoch war die Frau als gesund
anzusehen.
(Wiener med. Wochenschr., 1862, Nr. 6 u. 11.)
VIII.
Verhandlungen der Gesellschaft für Geburtshülfe
in
Berlin.
Sitzung vom 27. Mai 1862.
Herr v. Recklinghausen legte das Präparat
eines Krebses des Uterus ohne Betheiligung
des Collum
vor. Aus der Anamnese des Falles ergab sich, dass während
des Lebens der betreffenden Kranken wegen der beträchtlichen
Vergrösserung des Uterus bei gleichzeitiger gesunder Vaginal-
portion die Diagnose auf Fibroid gestellt worden war. Bei
der Section zeigte sich indess das Cavura uteri als eine grosse
Höhle, die eine nicht stinkende puriforme Flüssigkeit enthielt
und -deren Wände mit fetzigen Massen bedeckt waren. Die
derbe Substanz des kindskopfgrossen Uterus selbst war in
ihrer ganzen Dicke von käsig grünlich- weisser Farbe. Fast
alle angrenzenden Organe waren mit der Aussenfläche des
Tumor durch frischere krebsige Eruptionen verwachsen: so
die Flexura sigmoidea, die Blase und die rechte Tuba; links
lagen Tuba und Eierstock zwischen Adhäsionen; das rechte
Ovarium war ganz in dem grossen Tumor -aufgegangen.
Beide Ureteren verliefen an dieser Geschwulst • vorbei und
waren beträchtlich comprimirt, ohne indess krebsig infiltrirt
zu sein. In der Blase zeigte sich eine ganz kleine Perforation,
entsprechend der Stelle, wo die Verwachsung am festesten
war. Auch im Rectum war eine ähnliche Perforation nach
dem Douglas'achen Baume, der indess durch Adhäsionen
in eine geschlossene Eiterhöhle verwandelt war. Metastasen
in anderen Organen waren nirgend vorhanden, auch die
Lymphdrüsen frei von Krebs.
UonatBachr. f. GeburUk. 1862. Bd. XX., Hft. 3. 12
170 VI11 Verhandlungen der Gesellschaft
Die Beurtheilung, ob dieser Fall Krebs oder Tuberkulose
sei, war auf den ersten Blick schwer, die mikroskopische
Untersuchung ergab indess unzweifelhaft die. krebsige Natur
dieser Affection, und zwar, namentlich an den frischeren
röthlich grauen Stellen, ein alveoläres Gerüst mit Krebs-
zellen; dasselbe liess sich auch in den zerfallenden käsigen
Hassen noch nachweisen, indess waren in diesen sowohl
Süonia wie Zellen in einer fettigen Umwandlung begriffen.
Herr v. Kecklinghausen verwies hierbei auf die von
Virchow ausgesprochene Ansicht, dass Krebs des Uterus,
vom Collum ausgehend, immer cancroider Natur sei; in diesem
Falle, wo das Collum gesund war, sei auch von Cancroid
keine Rede.
Bei der Herausnahme der rechten Lunge schien eine
Metastase in den Lymphgeiassen derselben vorhanden. Sie
erschienen als zierliche weissliche Netze und entleerten an-
geschnitten eine milchige Flüssigkeit. Die mikroskopische
Untersuchung ergab indess keine Spur von Krebszellen, nur
Lymphkörperchen, so dass die Anfüllung der Gefasse nur
auf die hinzugetretene Pleuritis bezogen werden konnte, der
die Kranke schliesslich erlegen war.
Herr Martin zeigte ein todtgebornes reifes männliches
Kind vor mit mehrfachen Kyslen am Halse, unter
beiden Achseln und in der Gegend der Brustdrüse,
nebst Verunstaltung der Fusszehen und Finger
und blaurother Färbung der Oberschenkel
und Bauchdecken.
Die Getturtsgeschichte ist folgende:
Frau W , eine kräftige Frau in den dreissiger
Jahren, früher nie krank, stets regelmässig tnenstruirt, gebar
in acht Jahren fünf gesunde Kinder ohne irgend welche
Kunsthülfe. Drei derselben starben im ersten und zweiten
Lebensjahre an „ Zahnkrankheiten ". Zwei leben noch und
sind kräftig und gesund. Seit Ende August 1861 zum
sechsten Male schwanger befand sie sich bis zum Beginne
ihrer Niederkunft ganz wohl. Die Wehenthätigkeit fing am
27. Mai 1862 Morgens' 8 Uhr an; Gravida wollte noch
für Geburtshälfe In Berlin. - 171
an diesem Morgen Kindesbewegung gespürt haben. Unter
regelmässigen, kräftigen, wirksamen Wehen verlief die Geburt
sehr glücklich; um 2 Uhr Mittags hatte der Kopf bereits die
äusseren Genitalien passirt, und da nun die Schultern zögerten,
mussten sie von der anwesenden Hebamme mit einiger Mühe
extrahirt werden. Der geborene Knabe gab durchaus kein
Lebenszeichen von sich. Beim Versuche, die Nachgeburt auf
die gewöhnliche Weise zu entfernen, riss die sehr dicke,
ödematös sulzige Nabelschnur nahe an ihrer, (lVa" von der)
Insertionsstelle ab. Die Placenta folgte jedoch leicht; die-*
selbe war gross, dünn, sehr blass; die Insertion der Nabel-
schnur fast central'; die Eihäute ganz unter einander verklebt;
der Riss 3 — 4" vom Rande des Mutterkuchens. An der
Uterinfläche eine grössere fibröse Schwarte, die auf dem
Durchschnitte eine mit geronnenem Blute gefüllte Höhle zeigte.
Die männliche Frucht zeigt folgende Beschaffenheit:
Ueber die ganze Oberfläche des Körpers verbreitet er-
hoben sich an verschiedenen Stellen taubeneigrosse fluetuirewte
Geschwülste, die von normaler Haut bedeckt, sich beim
Einschneiden als Kysten darstellten , die ein gelbliches durch-
sichtiges Serum entleerten und ein eigentümliches gross-
maschiges Gewebe zurückliessen. Solcher Tumoren fanden
sich zwei kleinere und am Halse je ein grosserer auf beiden
Thoraxseiten von der Brustwarze bis in die Achsei reichend.
Der rechte Ann war ziemlich voluminös und die Finger der Hand
sehr ungleich entwickelt, so dass die beiden grössten (dritte
und vierte) bedeutend die normale Grösse überschritten, während
die drei anderen die proportionale Grösse besassen. Der linke
Arm hingegen war etwas kleiner und ebenso die entsprechende
Hand , an der nur der Zeigefinger beträchtlich vergrössert war.
Die Haut der unteren Körperhälfte zeigte fast in der
ganzen Ausdehnung eine dunkel blaurothe Färbung, offenbar
beruhend auf ektatischen Zuständen der Hautgefasse; ein-
geschnitten entleerte hier die Haut wie das Unterhantzellgewebe
sehr viel zum TheiJ geronnenes Blut. An einzelnen Stellen,
namentlich an den Waden, waren grössere Kysten theils mit
klarem, bräunlichem, theils mit hämorrhagischem Inhalte
vorhanden; andere Theile zeigten, nachdem das Blut aus-
gedrückt war, ein grob cavernöses Ansehen. Namentlich war
12*
172 VIII. Verhandlungen der Gesellschaft
letzteres an den fast schwarzroth gefärbten Füssen der Fall;
jederseits. waren nur ein grösserer Zehen (dem ersten ent-
sprechend) und ein kleinerer vorhanden.
Heber die Natur dieser Affection waren die Ansichten
getheilt. Herr Martin hielt sie für Cystosarconi, Herr GurU
für Cystohygrom und glaubte, dass namentlich die beiden
grossen Geschwülste auf dem Thorax von den betreffenden
Achselgegenden ausgingen. Herr ' v. Recklinghausen hielt
sie für eine Entartung des Bindegewebes mit Kystenbildung
(vielleicht Cystomyxom)!
Das Präparat wurde Herrn v. Recklinghausen zur
genaueren Untersuchung übergeben. Wir geben hier das
Resultat seiner Untersuchung, welches er in der Sitzung am
17. Juui der Gesellschaft vorlegte.
An den inneren Organen fanden sich wesentliche Ver-
änderungen am Circulationsapparate. Das Herz selbst war
zwar normal gebaut, ebenso die grösseren Arterienstämme,
sammt dem Ductus arteriosus, dagegen zeichneten sich beide
Art. iliacae extern., namentlich aber die Femorales durch eine
exquisite Kleinheit aus (ihr Durchmesser betrug kaum die
Hälfte der Art. brachial.). Beide Venae iliacae waren sehr
weit, von der linken ging ein weiter Stamm aus, welcher
nach Aufnahme der linken Nierenvene entsprechend der
Hemiazygos in die Brusthöhle emporstieg, sich hier aber über
die hinteren Theile der linken oberen Rippen nach aussen
wandte, um dann in die Subclavia sin. zu münden. Rechter-
seits stieg die durch die Vereinigung der beiden Iliacae ge-
bildete weite Yen. cava neben der Wirbelsäule empor, nahm
die rechte Nierenveue auf und gelangte dann durch das
Zwerchfell in die Brusthöhle, um entsprechend der Vena azygos
als ein sehr weiter Stamm bis zu den oberen Brustwirbeln
zu verlaufen und alsdann gleichzeitig mit der Subclavia und
Jugularis dexlr. die Cava superior zu bilden. (Ob gar keine
Verbindung dieses Stammes mit der aus den Lebervenen
zusammengesetzten eigentlichen Cava inferior innerhalb der
Bauchhöhle vorhanden war, lässt sich durch einen Zufall
nicht mehr angeben.) In jene Cava superior trat noch ein
von links kommender kleiner Stamm, die Ven. jugular. sioistr.
ein. Dagegen verlief der aus der Subclavia sinistr. und der
für Gebartabülf© in Berlin. 173
Hemiazygos gebadete Venenstamm aussen am linken Vorhof
unmittelbar über den Eintrittstellen det Längenvenen um'
das Herz herum zum rechten Vorhofe, um gleichzeitig mit
der Ven. cava infer. einzutreten.
Die Nervenstämme Hessen durchaus keine Abnormitäten
erkennen, auch nicht diejenigen, welche zu den hypertrophischen
Fingern gelangten. Das Gehirn sammt dem Schädel bot nichts
Abnorme«. An den Lungen kleine lufthaltige Stellen.
Auffallend waren die Abnormitäten im Bindegewebe und
in den Lymphdrüsen. Letztere waren in entschieden spär-
licher Zahl im Mesenterium vorhanden, an der Lendenwirbel-
säule, am Ellenbogen, in der Unterkiefergegend Hessen sich
ebenfalls einzelne erkennen. Sie fehlten aber vollständig in
den Leistengegenden, den Achselhöhlen und an den unteren
Theilen des Halses. Dafür waren gerade die beiden zuletzt
erwähnten Theile eingenommen von zahlreichen Kysten, welche,
dicht nebeneinander gelagert, meist eine klare Flüssigkeit
enthielten. Die Wandungen derselben waren innen glatt,
meist sehr dünn, mit kleinen Leisten, oft mit kleinen, Gefass-
öflhungen ähnlichen Grübchen und Aussackungen versehen.
In ihren Wänden verliefen oft die grösseren Gefäss- und
Nervenstämme der betreffenden Gegenden sehr oberflächlich
gelagert. An einzelnen dieser Wandungen erkannte man
.Plaques aus ektatischen Venen bestehend.
Die Innenfläche aller Kysten war continuirlich mit einem
Epithel, ähnlich dem der Blut- und Lymphgefasse, versehen.
Die Substanz der Wand, eben so das ödematös erscheinende
Gewebe der grösseren Tumoren beider Axillargegenden bestajjd
aus gewöhnlichem jungen Bindegewebe, in welchem hier und
da Häutchen von gewöhnlichen Fettzellen, zahlreiche Blut-
gefässe, zum Theil mit fettiger Infiltration der Wand ein-
gesprengt Jagen. Entschiedene Schleimreaction war nirgends
deutlich. In der Leistengegend waren zwar grössere kystische
Bildungen nicht anwesend, dagegen fanden sich einzelne
Klürnpchen oder vielmehr Knäuel von erweiterten Venen. —
Lymphgefasse waren auch innerhalb des ödematösen Gewebes
nirgends zu erkennen, selbst der Duct. thoracic, war wegen
der gallertigen Beschaffenheit des Gewebes vor der Brust-
wirbelsäule nicht darzustellen.
174 vin Verhandlung*!! d*r Gesellschaft
Die Verdickungen des Nabelstranges zeigten sich mikro-
skopisch als Hyperplasieen des Schleimgewebes mit deutlicher
Schleimreaclion.
Die Untersuchung ergab also eine multiple Kysten-
bildung im Bindegewebe und zwar am reichlichsten in
den Achsel- und Jugulargegenden, in welchen gleichzeitig die
Lymphdrüsen fehlten. Letzterer Umstand dürfte dafür sprechen,
dass die Entstehung der Kysten zu dem lymphatischen Apparate
in enger Beziehung steht. Weiterhin waren ekta tische
Zustände der venösen und capillaren Blutgefässe,
namentlich an der Haut und dem Unterhauthindegewebe der
unteren Körperhälfte vorhanden, welche sich oft mit der
Kystenbildung complicirten. Endlich fanden sich Abnormitäten
in dem Verhalten der grösseren Venenstämme, so wie einzelner
Arterien.
Herr Riedel verlas eine von Dr. Samehon eingeschickte
Abhandlung über einen
Fall von bilateralem Cephalaemajom.
Der Fall bot ausser dem Vorhandensein zweier Cephalae-
matome, deren eines bei der Geburt, deren anderes erst am
sechsten bis siebenten Tage bemerkt wurde, nichts von be-
sonderem Interesse dar. Die. das Kind zuerst behandelnden
Aerzte hatten an eine mögliche Communication mit der
Schädelhöhle gedacht, und da das Allgemeinbeliuden des Kindes
eine übele Prognose bedingte einen Probeeinstich vorgenommen,
der sich aber, nachdem wenige Tropfen Blutes entleert waren,
wieder geschlossen hatte. Herr Samehon hinzugerufen,
diagnosticirte doppeltes Cephalaematoni und begründete seine
Ansicht durch die zwischen beiden Anschwellungen verlaufende
Rinne und die beiden' an dieser Stelle deutlich fühlbaren
Knochenringe. Er empfahl Schmucker' sehe Umschläge nebst
einer passenden gegen die inneren Störungen gerichteten
Behandlung. Später wurden die kalten Umschläge mit lau-
warmen Fomenten von Chamilleninfusum mit Spiritus cam-
phoratus vertauscht und das Kind genas innerhalb sechs Wochen
vollständig.
Herr Samehon vermuthet einen Zusammenhang zwischen
der Entstehung des Cephalaematoms mit einer Neigung zu
für Geburtehülfe in Berlin. 175
Blutung, die sich bei beiden Eltern des Kindes durch häufiges
Nasenbluten und schwer zu stillende traumatische Blutungen
ausgesprochen hatte.
Herr H. Strassmann erwähnt, dass bilaterale Cephalae-
matome nach den Beobachtungen im Hauner' schon Kinder-
. spitale zu den grössten Seltenheiten gehörten. Er habe aus
dem Berichte ersehen, dass unter 29,000 kranken Kindern,
die dort behandelt wurden, nur drei mit bilateralem Cephalae-
matom gewesen seien. Interessant sei, dass in einem Falle
der Einfluss verschiedenartiger Behandlung nebeneinander
beobachtet wurde. Bei einem Kinde wurde nämlich die eine
Seite durch Incision entleert und heilte in 3 — 5 Tagen, die
andere wurde mit Umschlägen von Salmiak und Tincturen etc.
behandelt und zertheilte sich erst in 5 — 8 Wochen.
Herr Martin hält sich in Folge seiner Beobachtungen
über Cephalaetoma neonatorum zu der Annahme berechtigt,
dass die Entstehung dieser Blutansammlung zwischen Schädel-
knochen und Beinhaut in der grossen Mehrzahl der Fälle
auf einer Gefässzerreissung in Folge von Verschiebung oder
Druck der genannten Gebilde bei dem Durchgange des Kopfes
durch den Beckenkanal beruhe; in einem vor der Eröffnung
durch anderweite Erkrankung lötitlich endenden Falle von
Sturzgeburt fand sich sogar ein Knochenbruch mit innerem
und äusserem Gephalaemalom. Da man aber bei Seelionen
von Leichen Neugeborener sehr häufig kleine flache Blutergüsse
zwischen Granium und Pericranium findet, welche im Leben
wegen der Geringfügigkeit des ergossenen Blutes nicht zu
entdecken gewesen wären, so hat man ein zweites Moment
aufzusuchen, welches jene kleinen Blutaustretungen zu einer
deutlich fühl- und sichtbaren Geschwulst bringt. Herr Martin
sieht dies in den bei Neugeborenen so häufig eintretenden
Blutstauungen in Folge von behinderter Respiration. Mit dieser
Anschauung stimme unter Anderem auch das in den ersten
Lebenstagen bemerkte allmäligeWachsthum des Cephalaematoms.
Was die Therapie betrifft, so hat Herr Martin zwar auch
in einzelnen Fällen exspeclativ verfahren oder ausschliesslich
arzneüiche Verordnungen, z. B. Umschläge, in Anwendung
gezogen und dabei bisweilen eine raschere oder langsamere
Resorption des ergossenen Blutes beobachtet, allein gewöhnlich
176 VIII. Vorhandlongen der Gesellschaft
zog sich die Rückbildung so lange hin und verunstaltete den
Kopf für Jahre lang der Art, dass er diese Methode aufgab
und wie bereits in einzelnen früher zur Behandlung gekommenen,
so in allen Fällen während der letzten zwölf Jahre zur Punction
und Entleerung des Inhaltes schritt Diese nehme er jedoch
nie vor dem neunten oder zehnten Tage vor, da
man erst um diese Zeit ein weiteres Wachsthum der in Rede
stehenden Geschwülste nicht mehr bemerke. Die Punction
geschah stets mit einer gewöhnlichen Abscesslaucette und die
Oeffnung wurde nur 3 — 5'" gross gemacht. Nach Ab*
fluss des in allen Fällen schwärzlich rothen, nicht geronnenen
Blutes, welches auch wohl durch sanftes Streichen heraus-
gedrückt wurde, habe er die kleine Wunde mit einem kleinen
Heftpflaster geschlossen und bei diesem Verfahren stets Heilung
ohne übele Zufalle und ohne weitere Nachbehandlung beobachtet.
Die Debatte drehte sich nun um die Vorzüge des activen
und passiven Verfahrens. Beide fanden ihre Verfechter wie
in früheren Sitzungen (52, 61) ohne dass indes« wesentlich
neue Ansichten aufgestellt wurden.
Herr Riedel erzählt folgenden
Fall von Eclampsia
Eine 22jährige Erstgebärende, die als Mädchen häufig
an Kopfschmerz und Obstipation gelitten hatte, sonst stets
gesund war, hatte während ihrer Schwangerschaft viel an
Erbrechen, Schwindel und Kopfschmerzen, die sich einmal
bis zum bewusstlosen Hinfallen steigerten, zu leiden. Mit
dem Ende des dritten Monats legten sich diese Beschwerden
mehr und mehr uud erst gegen Ende der Schwangerschaft
trat wieder lebhafterer Kopfschmerz und Oedem der Füsse
ein; Urinabsonderung dabei spärlich. Die Geburt selbst war
in zwei Stunden beendet; die Kreissende hatte bei jeder Wehe
heftige Kopfschmerzen und grosse Empfindlichkeit der Genitalien,
doch verlief die Geburt ohne bedrohliche Erscheinungen, so
dass die Hebamme die Wöchnerin nach einer Stunde verliess.
Bald darauf trat ein kurzer eclamp tisch er Anfall ein, das
Bewusslsein kehrte zurück, doch eine halbe Stunde später
trat ein zweiter heftigerer Anfall ein, so dass Herr Riedel
für Geburtflhülfe in Berlin. 177
zur Wöchnerin gerufen wurde. Er fand sie mit ruhigem
Pulse, rothem Gesichte, ohne Sopor, sie gab richtige Antwort
auf seine Fragen und wies auf ihren Kopf als Sitz eines
Schmerzes. Die Untersuchung der Genitalien war sehr empfind-
lich, sonst aber ohne Resultat, rief auch keinen neuen Anfall
hervor, so dass Herr Riedel die Kran kr nach einer Stunde
verliess. Zwei Stunden später wurde er wieder gerufen, fand
die Kranke nach einem dritten Anfalle soporös, tief schnarchend,
mit vollem beschleunigtem Pulse - und blaurothem Gesichte,
so dass er einen Aderlass von drei Tassen Blut anstellte.
Schon während dieser Operation kam Patientin zu sich und
äusserte ihr Wohlbehagen; es wurden noch 15 Blutegel an
den Kopf gesetzt, worauf das Bewusstsein mehr und mehr
klarer wurde. Sie erhielt darauf sechs Mal 1 Gran Opium
stündlich, eine Eisblase auf den Kopf und verfiel, ohne einen
weiteren Anfall zu erleiden, nach dem sechsten Pulver in
einen tiefen Schlaf, aus dem sie als Reconvalescentin erwachte.
Herr Riedel hatte die Kranke leider erst nach der
Entbindung zum ersten Male gesehen, stellte indess am
zweiten Tage nach derselben eine Untersuchung des Urins
an und fand ihn frei von Eiweiss; auch das Oedem der Fusse
war vollständig geschwunden. Er glaubt deshalb auch, dass
vorher keine Brighf&che Entartung der Nieren bestanden
haben könne, da diese jedenfalls sich nicht so schnell zurück-
gebildet haben würde. In der Sitzung am 23. März 1858
habe Litzmann zwei Fälle von Eclampsie mitgetheilt und
darunter einen, bei dem sich nur Spuren von' Eiweiss im
Harne vorfanden. Litzmann scheine auch dort eine Harnstoff-
intoxication als Grund der Eclampsie anzusehen; den oben
mitgetheilten Fall deute er (Riedel) indess durch reine Con-
geslion nach dein Gehirne, und hierfür spreche der Erfolg der
eingeschlagenen Behandlung, die einerseits directe Depletion,
andererseits Beruhigung der nervösen Exaltation bezweckt
und so auch die Heilung herbeigeführt habe.
Herr L. Mayer, der die Albuminurie zum Gegenstaude
seiner Dissertation (1853) gewählt und eine längere Zeit im
Wiener Gebärhause Studien an Eclamptischen 'angestellt hatte,
gicbt an, dass er nie einen Fall von Eclampsie gesehen habe,
wo nicht Eiweiss im Urine nachzuweisen war. "Eines Falles
178 VIII. Verhandlungen der Gesellschaft'
erinnere er sich allerdings, wo die Untersuchung kein Eiweiss
ergab; da sich indess später herausstellte, dass Patientin
schon froher wiederholt an epileptischen Anlallen gelitten
hatte, so sei es zweifelhaft, ob er als Eclarapsie aufgefasst
werden dürfe.
Herr Martin J6t mit Herrn Riedel der Ansicht, dass
nicht alle Convulsionen Gebärender unter dem Namen Eclampsie
zusammenzufassen seien. Eiweiss im Urine allein entscheide
gar nicht, denn dies lande sich bei vielen Schwangeren, die
normale Entbindungen überständen, erst Faserstoffcylinder
berechtigten eine tiefere Nierenaflection anzunehmen. Wo
diese aber fehlten, müsse man auch andere als urämische
Ursachen suchen, und so glaube er, dass in solchen Fällen
die Bezeichnung als Meningitis oder sonstiger Krampfformen
mehr am Platze sei, z. B. in dem vorher mitget heilten Falle.
Herr H. Strassmann hat im Ganzen sieben Fälle von
Eclampsie beobachtet; in allen war Brighf sehe Nieren-
erkrankung vorhanden. In den ersten drei Fällen wendete er
den Aderlass an, sämmtliche drei aber starben und zwar
zwei am dritten Tage unter den Erscheinungen gestörter
Herzthätigkeit Die Section habe compensatorische Hyper-
trophie des linken Ventrikels und seröse Ergüsse im Abdomen
erwiesen. Er glaube also, da Hypertrophie des Herzens bei
Morbus Brightii oft gefunden werde und Eclampsie in der
Regel auf einen Morbus Brightii zurückzuführen sei, dass der
Aderlass nur schädlich wirken könne. Opium hingegen habe
er mehrfach mit sehr günstigem Erfolge angewendet, und wo
er es nicht durch den Mund habe beibringen können, es
per anum applicirt; vom Chloroform indess habe er keine
günstigen Resultate gesehen.
Herr Martin findet die Zahl von sieben Beobachtungen
zu gering, um daraus allgemeine Schlüsse über die Zweck-
mässigkeit einer bestimmten Behandlungsweise zu ziehen.
Blutentziehungen bei apopleklischem Habitus, strotzenden
Carotiden und blaurothem Gesichte seien nicht zu umgehen
und namentlich örtlichen Blutentziehungen könne er die
günstige Wirkung nicht absprechen. Wenn Herr Strassmann
seröse Ergüsse in die Bauchhöhle als Folge der von ihm
gemachten Aderlässe ansehe, so entgegne er, dass diese auch
für Geburtebülfe in Berlin. 170
ohne Blutentziehungen vorkämen ; übrigens komme er auf die
vorhin geäusserte Ansicht zurück und empfehle eine Indivi-
dualisirung der Kranken.
Herr L. Mayer hat sowohl das Chloroform als auch
Blutentziehungen in Wien sehr häufig gegen Eclampsia an-
wenden sehen und zwar bei der Geburt wie im Wochenbette.
Bei beiden seien sowohl günstige als ungünstige Erfolge
eingetreten.* Was das Vorkommen von Eiweiss bei nicht
iSdamptischen betreffe, so wolle er noch einer Beobachtung
Erwähnung thun. Er habe nämlich öfter den während einer
Entbindung gelassenen Harn Gesunder untersucht und ver-
häJtniss massig oft bei diesen ein ganz vorübergehendes Auf-
treten von Eiweiss beobachtet.
Sitzung vom 17. Juni 1862.
Herr C. Mayer bemerkt zum Protocolle der letzten
Sitzung, dass er in früheren Jahren oft Gelegenheit gehabt
habe, die Eclampsia, part. zu beobachten. Er habe damals
in der Rusf sehen Zeitung einen grosseren Aufsatz darüber
und eine Reihe von Fällen veröffentlicht und entsinne sich,
wiewohl er die einzelnen Fälle nicht mehr im Gedächtnisse
habe, doch sehr deutlich, dass in den meisten Fällen sehr
energische Aderlässe angewendet seien. Dass nicht alle
Kranken dadurch gerettet seien, könne die Nützlichkeit der
damals gebräuchlichen Behandlungsweise nicht in Frage stellen.
In einem Falle in des alten Hörn Praxis habe er, er könne
nicht angeben, ob drei oder vier Venäsectionen gemacht,
dann Blutegel applicirt, so dass Hom, der durchaus kein
Gegner der Blutentziehungen gewesen, doch den Tod der
Kranken prophezeit habe. Nichtsdestoweniger sei sie voll-
kommen genesen. Harnuntersuchungen babe man freilich
damals noch nicht angestellt, und so könne er allerdings
nicht behaupten, dass auch jedes Mal Eiweiss im Urine vor-
handen gewesen sei.
Herr Wegscheider verweist auf die in früheren Sitzungen
stattgehabten Debatten über diesen Gegenstand. Er glaube,
180 VIII. Verhandlungen der Gesellschaft
dass die Scheu vor Blutentziehungen mehr aus theoretischen
Gründen herrühre. Seit die Bright'sche Krankheit als Causa
proxima beansprucht werde, scheue man den Aderlass und
bedenke nicht, dass eine directe Depletion des Gehirns, auch
wenn sie nur durch einen in anderer Beziehung contraindicirten
Aderlass erzielt werde, doch als nächste fndication gerecht-
fertigt sein könne. Ihm habe die Natur die Richtigkeit in
einem Falle sehr deutlich erwiesen. Eine Eclantptische , bei
der er sich eben zum Aderlasse rüstete, wurde von einem
heftigen Blutsturze belallen und genas.
Herr Strassmann verwahrt sich, dass er nur über die
von ihm beobachteten Fälle sein Urtheil abgegeben habe. In
diesen Fällen sei Morbus Brightii vorhanden gewesen und
eine compensatorische Hypertrophie des linken Ventrikels
durch die Seclion nachgewiesen, dass der Aderlass hier die
hydropischen Ansammlungen begünstigt habe, sei ihm nicht
zweifelhaft, und er würde ihn, sobald die gleiche Diagnose
festgestellt sei, ebenso vermeiden, wie man bei Männern oder
nichtschwangeren Frauen, die an Morbus Brightii litten, eben-
falls keinen Aderlass anwenden werde.
Herr L. Mayer findet letzteren Ausspruch zu schroff
hingestellt, da es immerhin fraglich sei, ,ob Morbus Brightii
oder Eclampsie das Primäre sei. In Fällen, wo das letztere,
stattfinde, würde oft der Aderlass trotz Morbus Brightii
gerechtfertigt sein.
i
Herr Körte giebt zu, dass in einzelnen Fällen durch
Morbus Brightii eine Hypertrophia conlis bedingt werde; so
allgemein könne man aber diese Folge nicht hinstellen. Es
gehöre jedenfalls eine lange Zeit des Bestehens des Nieren-
leidens dazu, einen Einfluss auf die Herzmuskulatur auszuüben;
wie viele Fälle treten aber in verhältnissmassig' so kurzer Zeit
auf, dass an diese Folgekrankheit nicht gedacht werden könne.
Ferner glücke es doch, viele Eclamptische zu retten und zur
vollkommenen Gesundheit zurückzuführen; sollte nun bei allen
diesen eine Hypertrophie des Herzens bestehen, so möchten
die günstigen Erfolge sehr fraglich sein.
üebrigens sei er kein entschiedener Verfechter des Ader-
lasses, habe ihn allerdings bei robusten vollblütigen Frauen
für GeburUhülfe in Berlin. 181
angewendet, in anderen Fällen indess käme er mehr auf
roborirende Behandlungsweise und Eigenmittel.
Herr H. Strassmann berichtet über folgenden
Fall von Ruptura uteri.
In der Sitzung vom 9. Juli 1861 hat Herr Dr. L. Mayer
einen Fall von künstlicher Frühgeburt mitgetheilt, deren Ein-
leitung durch eine von der inneren Fläche des Kreuzbeins
ausgehende fibröse Geschwulst bedingt war, welche Geschwulst
stetig wuchs und schliesslich die Conjugata vera bis auf 3" 4'"
verkürzt hatte.
Die genauere Beschreibung des gedachten Falles findet
sich im Protocoll der Sitzung im Novemberheft der Zeitschrift
für Geburtskunde, 1861, S. 354.
Von der a. a. 0. niedergelegten sehr sorgfältigen Kranken-
geschichte erlaube ich mir, die nachfolgenden Data hier zu
recapituliren.
Frau S. ist 33 Jahre alt, will in der Jugend stets gesund
gewesen sein und ihre Menses mit dem 18. Jahre bekommen
haben. Im 26. Lebensjahre gebar dieselbe schwer, aber ohne
Kunsthülfe einen lebenden Knaben, während die zweite Ent-
bindung nur „nach voraufgegangener Perforation des Schädels
des ungewöhnlich starken Knaben durch zwölfstündige Zangen-
tractionen" beendet werden konnte. Höchst wahrscheinlich
in Folge dieser schweren Entbindung acquirirte Frau S. eine
profus eiternde Vaginalfistel, zu decen Beseitigung sie die
Hülfe des Dr. L. Mayer in Anspruch nahm. M. fand, dass
diese Fistel zu einer am letzten Lenden- und ersten falschen
Kreuzbeinwirbel sitzenden Geschwulst führte, die* von „Knorpel-
consistenz war, einen Querdurchmesser hatte, der etwa dem
Abstände beider Kreuzdarmbein -Verbindungen entsprach, eine
rundliche Gestaltung besass, mit unregelmässigen Hervor-
ragungen und weicheren, wie sehnige Gebilde erscheinenden
Fortsätzen in die Umgebungen. Der obere Theil des hinteren
Scheidengewölbes war an diesen Tumor angelötbet, ebenso
das untere hintere Uterinsegment. Die Vaginalportion stand
unbeweglich nach hinten und links". Die Beckenmessung ergab
damals folgende Maasse: „Aeussere Conjugata = 8" 2
m
182 VIII. Verhandlangen der Gesellschaft
der Abstand der Spin. il. super. = 11" 6W, der Trochanteren
= 12" 9'", die Conjugata des Beckeneinganges = 3" 8 — 9*',
die schrägen Durchmesser jederseits beiläufig 4 — ^/z", der
quere Durchmesser etwa 4 — 5". Mithin lag ein geringer
Grad von allgemein zu engem Becken vor, hei dem die
Conjugata um 9 — 10'" verkürzt war."
In der Mitte der dritten, sieben Monate nach der zweiten
Entbindung beginnenden Schwangerschaft entstand links vom
Anus eine zweite Fistel, die in etwas schräger Richtung 6*
bis gegen das Promontorium drang, — die Conjugata soll sich
in dieser Zeit (durch Wachsthum des oben beschriebenen
Tumors) bis auf 3" 6'" verkürzt haben.
Da Frau S. in die von M. vorgeschlagene künstliche
Einleitung der Frühgeburt nicht willigte, so musste bei der
am rechtmässigen Ende, Januar 1860, erfolgten Entbindung
der Kopf des wiederum sehr starken Knaben, nach fruchtlosen
Zangenversuchen, mittels Kephalothrypsie entwickelt werden.
Zwanzig Tage nach dieser Entbindung konnte Frau 8. das
Bett wieder verlassen.
Die oben erwähnte Vaginalfistel verheilte später aümälig,
während die am Anus persistirte.
Mitte April 1860 wurde Frau 8. zum vierten Male
schwanger. Die Conjugata maass zu dieser Zeit, wie M.
angiebt, 3" 4W. Da Frau 8. ncmmehr zur Einleitung der
künstlichen Frühgeburt ihre Erlaubniss gab, so wurde am
16. December desselben Jahres mittels Injectionen von warmem
Wasser in den Uterus* die Geburtsthätigkeit angeregt. Wegen
Querlage der Frucht machte M. später die innere Wendung
auf den Kopf, um die Austreibung des Kindes wo möglich
der Natur zu überlassen. Da indessen die Geburt wegen
Webenstörung sehr langsam verlief und die Herzthätigkeit am
folgenden Tage bis auf 80 Schläge in der Minute gesunken
war, wurde die Zange angelegt, ohne dass es aber gelang,
sie zum Schluss zu bringen. Die Ausstossung des todten
Kindes erfolgte am Tage darauf durch die mittlerweile regulirte
Wehenthätigkeit. — Das Puerperium verlief normal. Frau 8.
befand sich bis zum April 1861 völlig wohl. Die Geschwulst
nahm nicht mehr zu.
für Geburtshfilfe in Berlin. 188
Soweit M.'s Referat. Ich gebe nun die weitere Lebens-
geschichte der Frau S., soweit sie uns in Röcksicht auf den
lethalen Ausgang interessirt
Am 2. April 1861 trat die Regel zum letzten Haie ein.
Die darauf folgende (fünfte) Schwangerschaft verlief ohne alle
Störungen. Trotz der dringendsten Torstellungen Seitens
ihres Mannes konnte sich Frau S. zur vorzeitigen künstlichen
Unterbrechung der Schwangerschaft nicht entscMiessen. Die
Fistel am Anus* war, wie schon erwähnt, noch vorhanden und
entleerte eine massige Menge Eiters.
In der Nacht vom 10. zum 11. December, also circa
vier Wochen vor dem normalen Schwangerschaftsende, traten
. ohne Veranlassung Wehen auf, die indessen, wie begreiflich,
die Geburt nicht herbeiführten, so dass am Morgen des 11.
Herr Dr. K. zur Beendigung derselben gerufen wurde.
College 2T. fand die Kreissende ohne Wehen, den Muttermund
hinlänglich erweitert, die Frucht in Querlage mit vorgefallenem
Arme, neben welchem ein Gonvolut Nabelschnurschlingen zu
fühlen war. Die behufs der Wendung eingeführte Hand drang
leicht ein und die Umlagerung der Frucht sowohl wie die
Extraction des Rumpfes und die Lösung der Anne gelang
ganz mühelos, nur der nachfolgende Kopf war durch die
gewöhnlichen Handgriffe nicht herauszubringen. Dr. K. ver-
ordnete nach mehreren erfolglosen Versuchen der Frau etwas
Seeale cornut., gönnte ihr einige Zeit Ruhe und schickte
mittlerweile zu mir. Als ich ankam, war bereits mehr als
eine Stunde verflossen, seitdem der Kopf stecken geblieben
war. Ich erfuhr nun von dem Gollegen, dass während dieser
ganzen Zeit keine Spur von Wehen sieb gezeigt, dass dagegen
die Halbentbundene eben einen sehr heftigen Schüttelfrost
von viertelstündiger Dauer gehabt, während dessen der Pols
zeitweilig ganz verschwunden sein sollte.
Ich selbst fand die Frau mit kühler Haut, sehr apathisch
daliegend, den Puls frequent, kleiu, „vix tangendus," wie der
College sich ausdrückte. Der Kopf des Kindes steckte fest
im kleinen Becken, mit dem Hinterhaupte in der rechten
Hälfte desselben. Das Promontorium wegen des fest ein-
gekeilten Kopfes nicht zu erreichen, mithin die Diagonal-
conjugata nicht zu messen. Der Beckenausgang erschien bei
184 VIII. VerbftndlungeD der Gesellschaft
. der Untersuchung mit dem Finger erheblich verengt durch
zahlreiche knotige Verdickungen, die an der concaven Fläche
dem Kreuzbeine fest aufsassen und stellenweise als circum-
scripta kleinere Tumoren sich abhoben.
Die bedrohlichen Zeichen der Anämie glaubte ich auf
Rechnung einer intrauterinen Hämorrhagie setzen zu müssen,
veranlasst durch Ablösung der Placenta.
Nachdem ich in der Narkose noch einmal versucht hatte,
den Kopf mit den Händen zu extrahiren, und dieser Versuch
misslungen war, entschloss ich mich, da das Kind längst
todt war und 'die Anwendung der Zange bei den vorliegenden
Beckenverhältnissen, die ich aus der Beschreibung des Dr. M.
genügend zu kennen glaubte, nicht ratbsam erschien, zur
sofortigen Anwendung des Kephalothryptors. Nachdem ich
die . Branchen im ersten Schrägdurchmesser eingeführt und
langsam comprimirt hatte, entwickelte ich ohne alle Mühe
den Kopf. Die Löffel des Kephalothryptors hatten den Kopf
zu beiden Seiten gefasst und die Schädelknochen lagen zer-
trümmert in der allseitig unverletzten Kopfhaut.
Das Kind wog 5 Pfund 28 Loth, war vom Scheitel
zu den Zehen 17" lang, mithin seiner Grösse und seinem
Gewichte nach von einer völlig ausgetragenen Frucht wenig
verschieden. Die Placenta kam mit dem Kinde heraus, ohne
dass bis zu diesem Moment ein Tropfen Blutes nach aussen
geflossen wäre.
Die Entbundene erwachte sehr bald , nachdem sie in die
horizontale Rückenlage gebracht war, aus der Narkose und
äusserte anfangs ihre Freude, dass nun Alles vorüber. Sehr
bald indess fing sie an, über ein brennendes Gefühl im Larynx
und über Luftmangel zu klagen. Der Uterus war etwas weich
und stand höher als gewöhnlich nach der Entbindung, nach
aussen entleerte sich aber nur eine höchst unbedeutende Menge
Blutes. Cuter steter Coinpression und Einspritzung von kaltem
Wasser neben der inneren Darreichung von Seeale cornuL
verkleinerte sich derselbe und wurde fest Gleichwohl nahmen
die Erscheinungen der acuten Anämie in rapidester Weise zu:
die Oppression wuchs, das Sehvermögen erlosch, die Haut
wurde marmorkalt, Puls verschwand, wilde Jactation trat ein.
für Gebnrtahülfe in Berlin. 185
Da von einer intrauterinen Blutung bei der Härte und
dem Stande des Uterus nicht mehr die Rode sein konnte,
nach aussen aber sich nur bei starkem Reiben des Uterus
sich einige Tropfen Blutes ergossen, so mussteo wir auf eine
Blutung in die Bauchhöhle, veranlasst durch Ruptura uteri
schliessen. In der. Thal konnte man jetzt beim tiefen Ein-
gehen mit der Hand eine Continuitätstrennung an der linken
Seite des Ccrvicalkanales finden, die indess den Finger nicht
in die Bauchhöhle gelangen liess.
Wir gaben innerlich Wein und andere Restaura ntien,
allein das fliehende Leben liess sich dadurch nicht aufhalten.
Nach kurzer Agone starb Patientin, eine halbe Stunde nach
beendigter Entbindung.
Nach aussen hatte sich in der ganzen Zeit kaum so viel
Blut ergossen, als bei normaler Entbindung die Aussonderung
der Placenta mit sich bringt.
Bei der 24 Stunden nach dem Tode vorgenommenen
Seclion zeigten die Lungen nichts Abnormes.
Das Herz war schlaff, seihe Muskulatur Mass, sonst nicht
verändert.
Die parenchymatösen Organe des Abdomen und der Darm
anämisch, aber normal.
Uterus gross* ohne Blutcoagula, an der linken Seite des
Cervicalkanales eine thalergrosse durchriebene Stelle, die sich
nach oben bis gegen den inneren Muttermund erstreckte,
den unteren Rand aber des äusseren Muttermundes unversehrt
liess. An der Rissstelle ist das Parenchym des Uterus in
grösserer Ausdehnung beträchtlich verdünnt; diese Verdünnung
nimmt, je näher der Ruptur, immer mehr zu und erstreckt
sich sowohl auf die vordere, als auf- die hintere Lippe. Eine
ähnlich verdünnte, aber kleinere Stelle zeigt sich auch an
dein rechten Seitenrande des Cervix, in Form einer gruben-
artigen Vertiefung, ohne Trennung der Substanz. Diese
veränderte Beschaffenheit des unteren Uterinsegmentes war
augenscheinlich herbeigeführt durch die an diesen Stellen
sehr innige Verwachsung des Uterus mit der inneren Fläche
des Kreuzbeins. Der Peritonäalüberzug war au der Rissstelle
völlig intact, ebenso das Scheidengewölbe ohne Läsionen.
Das linke Lig. latum zu einer bläulichen kugeligen Geschwulst
MonnUschr. f. Öeburttk. l&tt. Bd. XX., Hfl. 3. 13
Igt» VIII. Verhandlungen der Gesellschaft
ausgedehnt durch ßlutextravasat, welches sich von hier aus,
das unverletzte Peritonäum von den Bauchwandungen ab-
präparirend, durch die linke Weichengegend bis hoch hinauf
in das linke Hypochondrium erstreckte. Die Blutung war
also eine extraperitonäale. Auch die linke Douglas'whe Fall**
der sehr verflachten Excavatio recto- uterina zeigte Extravasal
zwischen ihren beiden Blättern. Die Menge des ergossenen
Blutes war indessen im Ganzen nicht beträchtlich.
Sonstige Veränderungen waren am Uterus nicht zu con-
statiren, nur dass die hintere Partie des unteren Segmentes
und das hintere Scheidengewölbe durch sehr zahlreiche feste
Narbenstränge mit dem Kreuzbeine innig verlöthet waren.
Das Periost des Kreuzbeins und das die Beckenhöhle aus-
kleidende Zellgewebe war sehr stark verdickt, zumal vom
zweiten falschen Kreuzbeinwirbel abwärts, wo es an einzelnen
Stellen eine Dicke von 4'" und darüber erreichte.
Von dem Tumor, den wir hauptsächlich suchten, fand
sich nichts; dagegen fiel sofort die beträchtliche Verengung
des Beckens im geraden Durchmesser des Einganges auf.
Die Conjugata vera, an dem noch mit Weicht heilen bekleideten
Becken gemessen, betrug 2" 10'".
An dem .skelettirten ßecken, wie es jetzt vorliegt, ge-
stalten die Verhältnisse sich folgendermaassen : Die Knochen
sind im Ganzen ziemlich derb, nur an der rechten Darmbein*
schaufel macht sich eine stark durchscheinende Stelle be-
merklich. Die beiden Darmbeinscbaufeln sind ungleichmässig,
insofern als das rechte steiler auf die Ebene des fiecken-
eingauges aufgesetzt ist als das linke, welches flacher liegt
und auch etwas stärker gewölbt erscheint. Die Linea in-
nominata zeigte sich erheblich verkürzt. — Die vorhandenen
letzten beiden Lendenwirbel zeigen eine leichte Strophose nach
rechts, wodurch das Promontorium der rechten Synchondros.
sacro-iliac. etwas genähert wird. Das Promontorium selbst
ragt stark in den Beckeneingang hinein und zeigt an der
rechten Seite eine stumpfkantige Hervorragung des ersten
falschen Kreuzbeinwirbels. — Die beiden Flügel des Kreuz-
beins zeigen eine Verschiedenheit in ihren Dimensionen, indem
der linke um 3 — 4'" breiter ist, als der rechte. Das Kreuz-
bein ist etwas über 4" breit und 41/*" hoch. Sein erster
für Geburtahftlfe in Berlin. 187
und zweiter Wirbel ist glatt, die Knochenmasse durchaus
unverändert, die drei letale» falschen Wirbel zeigen Residuen
einer peripherischen Caries, die an drei Punkte«, am Körper
des dritten und beiden Seitentheilan des vierten m der Aus*
dehnung eines Sälbersechsers die peripherische Rindenschicht
zerstört hat» so dass die etwas nüssJbrhige compacte Substanz
sichtbar wird. Die cariösen Wirbel sind stark porotisob und
durch grosse Geiässlöcher wie wurmstichig. An diesen Stellen,
oberhalb der erwähnten cariösen Heerde, war ganz besondere
die Verdickung des Pariostes und des umliegenden Bindet»
gewebes bemerkbar, die, wie sehe« erwähnt, als kleio*
Tumoren imponiren konnten und auch als solche früher an-
gesehen worden sind. Von diesen eartosea, Heerde» aus
wurde auch die Eiterung unterhalten, die ihren Ausweg durch
die Fisteln in der Scheide und am Damme gefunden halte.
Der Scbambogen ist stark gewölbt, die absteigenden
Aeste desselben und die aufsteigenden des SiUbens beträcht-
lich nach aussen eingeworfen.
Das Steissbein ist vollkommen normal ond mit dem
Kreuzbeine beweglich nach aussen umgeworfen.
Sonst zeigt sich am Becken nichts Bemefken&werthes.
Die Durchmesser des skelettirten ßeokens zeigen folgende
Grösse:
Spin, il = 9" 8'". '
Crist. il == 9%".
•Conjugata ?era#de& Beckeneinganges . . = 3" — 3" 1'".
Querdurchmesser „ „ . . = 4" 11 "'— 5".
Rechter Schrägdurchmesser des Becken-
einganges = 4Ya"*
Linker Schrägdurchmesser des Becken-
einganges . . . „ = 4" r.
Entfernung zwischen beiden Tub. oss. igchii = 3" 10'".
„ „ „ Spinae oss. ischii = 3"7W.
Gerader Durchmesset* des Beckenausganges = 3" 4W.
Höhe der Symphyse =r 1" 8».
Dicke ,. , =r 5".
Höhe des ganzen Beckens = 7".
Senkrechter Abstand der Tub. oss. ischii von
der Linea innominata derselben Seite = S1/*".
18*
188 WH- Verhandlungen der Gesellschaft
Wir haben mithin ein in allen Aperturen beschränktes
Becken; im Eingange ist ganz besonders der gerade Durch-
messer verkürzt, in den tieferen Beckenräumen neben diesem
auch die queren. Wollen wir es deswegen ein „allgemein
zu enges Becken" nennen, so steht dem füglich nichts im
Wege, obschon die schrägen Durchmesser, abgesehen von
der unbedeutenden Asymmetrie beider Beckenhälflen , überall
von normaler Grösse sind. — Meiner Ueberzeugung nach ist
das Becken ein rhachitisches, obschon die Anamnese nichts
von diesem Leiden ergiebt; es spricht für Rhachiüs die Ver-
kürzung der Linea innominata und das dadurch bedingte
Verhältniss zwischen Spin, und Crist. iL, die vorwiegende
Verkürzung des geraden Durchmessers (Hereiuragen des Pro-
montoriums), die Beschaffenheit des Schambogens u. A.
Es erklärt sich aus diesem Verhalten des Beckens die
Schwierigkeit der vorangehenden Geburten, indem der Kinds-
kopf in allen Beckenräumen Hindernisse Onden musste
und nicht durch passende Einstellung die fehlerhafte Be-
schaffenheit der einen Apertur oder eines Durchmessers
compensiren konnte. Gesteigert, und zwar sehr erheblich,
wurde der Beckenfehler nach der zweiten Entbindung noch
durch jene beträchtlichen Schwellungen und Verdickungen des
Periostes des Kreuzbeins und des anliegenden Bindegewebes
überhaupt, sowie namentlich an denjenigen Stelleo, die ober-
halb der erwähnten cariösen Heerde lagen.
Der vorstehenden Beschreibung erlaube ich mir noch
einige epikritische Bemerkungen hinzuzufügen.
Was zunächst die Aetiologie der Ruptur des Uterus
anlangt, so concurriren in unserem Falle eine Reihe von
disponirenden Momenten. Abgesehen von der beträchtlichen
Verengerung des Beckens, sind es namentlich zwei Dinge,
die hervorzuheben, nämlich die Verwachsung des unteren
Uterinsegmentes mit dem Kreuzbeine und die namentlich an
den Verwachsungsstellen stattgefundene Veränderung des
Uterusparenchyms. Was die Verwachsung betrifft, so ist es
sehr einleuchtend, dass ein solches Verhalten des Uterus die
Ausdehnungsfähigkeit des Muttermundes 9 ausserordentlich be-
hindern muss. Um so auffälliger ist es mir gewesen, in. den
för GebnrUhülfe in Berlin. 189
Lehrbüchern der Geburtshülfe, wenigstens soweit ich sie ein-
sehen konnte, diesen Umstand unter den Ursachen der Zer-
reissung des Uterus nicht erwähnt zu sehen. Meines Erachtens
muss in einem solchen Falle bei irgend festerer Verleihung
des Uterus dessen unteres Segment nicht aHein, da es sich
nicht zurückziehen kann, beim Durchtritt des Kindskopfes
gegen das Kreuzbein gequetscht werden, sondern auch, da
die angelöthete Stelle nicht nachzugeben vermag, aus rein
mechanischen Gründen einreissen. Dazu kommt, dass der
zur Verwachsung führende entzündliche Process nothwendiger-
weise Parenchyms- Veränderungen des Uterus herbeiführen
und damit eine weitere Disposition zu Zerreissungen setzen
muss, ein Uebelstand, der in unserem Falle durch den von
den cariösen Heerden aus unterhaltenen chronisch -entzündlichen
Process in der unmittelbaren Umgebung des Uterus nur noch
gesteigert werden konnte. In der That fanden wir auch bei
der Obduction das untere Uterinsegment stark verdünnt,
stellenweise bis zur Bildung grubenartiger Vertiefungen.
Betreffend den Zeitpunkt, in welchem die Ruptur statt-
fand, so glaube ich, dass sie zu Stande kam, als bei den
manuellen Extractionsversuchen des nachfolgenden Kopfes das
untere Uterinsegment stark gezerrt und gegen das herein-
ragende Promontorium gequetscht wurde, oder dass sie sich
ereignete, während der Kopf im Becken steckte. Dass die
Ruptur bereits vorhanden war, ehe der Kephalothryptör an-
gelegt wurde, beweisen die Erscheinungen der Anämie: der
bis zum Verschwinden kleine Puls, die blasse, kühle Haut
und dergl. — Wenn ich sie gleichwohl nicht diagnosticirte,
sondern die Anämie auf Rechnung einer intrauterinen Blutung
in Folge von Lösung der Placenta schob, so lag dies eben
daran, dass man, wegen des eingekeilten Kopfes, den Mutter-
mund, resp. die Rissstelle nicht touchiren konnte.
Flervorzuhcben ist noch jene peripherische Garies an der
coneaven Fläche des Kreuzbeins, die ihrerseits zur Bildung
der obengedachten Fisteln in der Scheide und am Damme
geführt hatte. Es ist wohl ganz unzweifelhaft, dass diese
Caries die Folge war jener „zwölfslündigen Zangentractionen",
die bei der zweiten Entbindung ausgeführt wurden. Es ist
dies einer von den möglichen Nachtheilen der forcirten
190 VIII. Verhandlung«!! de* Gesellschaft
Zangenanwendung, der sich in den geburtahfilf lieben Lehr-
büchern nicht aufgeführt findet.
BeuerkenswerÜi endlich ist noch die immerhin seltenere
Hämorrhagie ewischen Peritonaum und Bauch wandungen, ohne
Blutung nach aussen, die im vorliegenden Falle den tödtlicbeu
Ausgang herbeiführte.
Herr L. Mayer erklärt, er habe Anamnestisches Nichts
zu diesem Falle hinzuzufügen. Er weise auf seine Mit-
theilungeh in der Sitzung vom 9. Juli vorigen Jahres zurück,
aus welchen überdies Herr Strassmann soeben der Gesell-
schaft einen delaillirten Auszug gegeben habe. Von wissen-
schaftlichem wie von, praktischem Interesse erscheine es ihm
aber, näher auf die Entslehungsweise und die weiteren Eni-
wickelungsstadien der besprocheneneu Geschwulst kn kleinen
' Becken einzugehen. Er schicke voraus, dass er ausserhalb
des Puerperiums nicht selten Entzündungsheerde mit schnell
wachsenden Exsudaten im Zellgewehe innerhalb der Becken-
höhle als Folge von Erkältungen oder anderweitigen schädlichen
Einflüssen , in Sonderheit bei schon vorhandenen entzündlichen
Zuständen des Uterus und seiner Adnexe beobachtete. Resorption
der Exsudate erfolge oft auffallend schnell und völlige Heilung
träte alsdann ein. Fände aber Organisation des Exsudats zu
Bindegewebe statt, so entständen in verbältnissmässig kurzer
Zeit mehr oder weniger feste, oit härtlich anzufühlende Stränge,
Verdickungen, Auflagerungen, Verwachsungen, wie grössere
Tumoren von verschiedener Gestaltung. Diese Entzündungs-
producle vergrösserten sich, so lange ein entzündlicher Reiz
vorhanden, könnten aber auch wieder resorbirt werden.
In dem hier vorliegenden Falle seien die soeben erwähnten
Entwickelungsstadien sämmtlich zur Erscheinung gekommen.
Ausserdem sei dieser Fall mit mehrfachen Beckenanomalien
complicirt, wie solche auch von Herrn S. am skelettirten
Becken vorgefunden. Aus denselben seien diagnostische Irr-
thümer des Verhältnisses der Geschwulst zu der hinteren
Beckenwandung hervorgegangen. Er hebe aber hervor, dass
diese praktisch ganz ohne Bedeutung geblieben. Namentlich
seien unter seiner Behandlung für die Mutter keine nach-
teiligen Folgen aus den vorhandenen Hindernissen entstanden.
fttr Gebnrtßhälfe in Berlin. 191
Er habe, wie bereits mitgelheilt, in Gemeinschaft mit seinem
Bruder im Anfange des Jahres 1860 ein ausgetragenes starkes
Kind freilich unter grossen Schwierigkeiten entwickelt, und Ende
desselben Jahres sei, nach Einleitung der Frühgeburt, eine acht-
monatliche Frucht schliesslich durch fünfstündige Wehen zur Welt
gebracht, nachdem er, um das Leben des Kindes zu erhalten,
sich vergeblich bemüht habe, die Geburt durch die Zange zu
beenden. Letzteres habe deshalb nicht geschehen können,
weil die Löffel bei nicht hinreichend eröffnetem Muttermunde
und bei der Verleihung des hinteren unleren Uterinsegments
nicht ohne Gewalt zum Schlüsse zu bringen waren. Er
habe damals von der Operation abgestanden, weil er eine
Ruptur des Uterus bei den vorliegenden Umstanden durch
gewaltsames Vorgehen gefürchtet Die KiAder seien freilich
nicht lebend zur Welt gekommen, die Mutter indessen aus
dem ersten Wochenbette den zwanzigsten, aus dem zweiten
den achten Tag gesund und munter hervorgegangen. Es
scheine ihm dadurch der Beweis geführt, dass in den ob-
waltenden allerdings schwierigen Verhältnissen nicht die
Notwendigkeit einer Ruptur begründet sei.
Er komme nach diesen Bemerkungen nunmehr zu der
Entstehung der von ihm im 18. Bande der iMonatsschrift,
S. 534 u. f. beschriebenen Geschwulst. Es erscheine ihm
sicher, dass das Geburtshinderniss bei der, vor seiner Be-
kanntschaft mit der Frau stattgehabten zweiten Entbindung
wesentlich in dem Missverhältnisse zwischen dem auffallend
starken Kinde und einer Conjugata von 2" 10"' bestanden.
Durch zwölfstündige, gewaltsame Zangenoperationen seien
Quetschungen und Verletzungen der Weichtheile iu der hinteren
Beckenhöhle, Quetschungen des Periostes und tiefere Ver-
letzungen der unteren Kreuzbeinwirbel hervorgebracht. In dem
hierdurch gebildeten Entzündungsheerde, dessen chronischer
Charakter durch nekrotische Processe an dem dritten bis fünften
Sacralwirbel unterhalten worden, seien durch Organisation der
Exsudate zu Bindegewebe beträchtliche knotige Verdickungen
und Geschwulstbildung in der Excavatio ossis sacri erfolgt.
Als er und sein Bruder die Frau einige Monate nach dieser
Entbindung zuerst gesehen und untersucht, habe sich eine 6"'
lange Scheidenwunde im hinteren linken Theile des Scheiden-
192 VIII. Verhandlungen der Gesellschaft
grumles gefunden, also in der Lage den cariöseo Stellen am
dritten und vierten Kreuzbeinwirbel entsprechend. Oberhalb
derselben sei der untersuchende Finger auf die beschriebene
Geschwulst getroffen, die sich von dem oberen Theile der
Excavatio ossis sacri nach oben über den ersten Sacral- und
von dort über den letzten Lumbal wirbel zu erstrecken ge-
schienen. Wäre ihm damals eine gleich deutliche Anschauung
der ßeckenenge zu Hülfe gekommen , wie sie jetzt durch das
skeletti[te Becken zu Gebote stehe, so würde ihm ohne
Zweifel ebenfalls nicht entgangen sein, dass jener Tumor
nicht ein einziger grosser, runder gewesen sei, sondern
vielmehr aus dem prominirenden Promontorium und
einer unterhalb desselben gelegenen fibrösen Ge-
schwulst bestanden habe. Ein Moment, was die richtige
Erkenntniss dieses Verhältnisses um so schwieriger gemacht,
sei die Anlölhung der hinteren Muttermundslippe und des
ganzen unteren Uterinsegments an diese Geschwulst gewesen.
Hauptsächlich aus diesem letzteren Verhallen sei auch der
Irrthum zu erklären, der bei der Beckenmessung stattgefunden
habe. Der messende Finger sei nämlich an den vorspringendsten
Punkt der unter dem Promontorium befindlichen Geschwulst,
also zu tief, angesetzt. Davon sei die Folge gewesen, dass
v die Länge der Conjugata bei Messung im Jahre 1859 3" 8M,
bei der Messung Anfang 1860 aber 3" 6"' und einige Monate
später 3" 4'" betragen habe, indem die fibröse Geschwulst
unterhalb des Promontorium sich durch Wachslhum vor*
geschoben habe. Wenn nun aber Herr S. das Vorhandensein
der Geschwulst an der von ihm (Mayer) behaupteten Stelle -
überhaupt in Abrede stellt, so müsse er (Mayer) dem
gegenüber die Zuverlässigkeit der von ihm in Gemeinschaft
mit mehreren Collegen angestellten Untersuchungen aufrecht
erhalten. In der That aber werde das damalige Ergebniss
durch den Sectionsbefund des Herrn S. nicht sowohl widerlegt,
als vielmehr gerade bestätigt. Herr S. habe nämlich an der
Stelle, wo früher die Geschwulst ihren Sitz gehabt, feste
Narbenstränge und Verdickungen des die Beckenhöhle aus-
kleidenden^ Zellgewebes^ gefunden. Dies sei augenscheinlich
nichts Anderes, als die Residuen der durch Resorption während
der letzten Schwangerschaft zurückgebildeten fibrösen Geschwulst
ftr GebnrUbülfo in Berit«. J9ft
in der oberen 'Beckenhöhle. Während hier eine retrograde
Bildnng eingetreten, sei in der Höhe der froheren Vaginal-
fistel, welche sich bereits seit längerer Zeit geschlossen gehabt
habe, um die nekrotischen Heerde, sowie von diesen nach
unten ausgedehntere Organisation, zahlreichere knotige Ver-
dickungen des Zellgewebes gebildet, welche den Beckenausgang
verengten. Von dieser Geschwulst sei früher Nichts vorhanden
gewesen.
Herr C. Mayer hat in seiner Praxis ziemlich häufig
Verlöthung der Vaginalportion mit der hinteren Beckenwand
gefunden. Grund derselben seien natürlich Exsudate in Folge
entzündlicher Reizungen, und man könne danu deutlich die
auf dem Os sacrum abgelagerten Exsudalmassen durch die
gynäkologische Untersuchung constatiren. Eine ganz genaue
Diagnose des Sitzes und der Natur derselben sei indess
während des Lebens absolut nicht möglich, und es genüge
für die Prognose und Therapie eines Geburtshelfers auch
vollständig zu wissen, dass Exsudate vorhanden und ihre
Bedeutung für die Beckendurchmesser festzustellen seien. Es
sei allerdings interessant, in einem während des Lebens genau
beobachteten Falle, die damals gehegte Ansicht durch eine
Obduction zu kritisiren, die hier gefundenen Abweichungen
seien indess zu unbedeutend, um den praktischen Werth der
früheren Untersuchungen irgendwie in Frage zu stellen.
Herr Körte bezweifelt, dass die am vorgelegten Becken
vorgefundene Caries durch die früher stattgehabte forcirte
Zangenentbindung herbeigeführt sei. Dies scheine auf eine
zu grosse Gewalt zu deuten; er frage an, ob man öfter Caries
als Folgekrankheit forcirter Zangenentbindung beobachtet habe.
Herr Martin giebt die Möglichkeit dieses Ausganges zu.
Er sei doch öfters zu Entbindungen gerufen worden, bei
denen in Folge forcirter Zangenoperationen die Muttermunds-
lippen zerschnitten seien; in einem anderen Falle sei eine
Verwachsung der hinteren Uteruswand mit den Wfrbeln erfolgt;
alle diese Ausgänge deuteten doch auf eine heilig einwirkende
Gewalt und ebenso gut könne diese auch durch Quetschung
der Bedeckungen des Kreuzbeines Caries desselben zur Folge
haben. *
194 VIII. V~irh«ndlu*gen der Gesellschaft
Herr v. EeckUnghauten glaubt, dass jedenfalls zuerst
eine Eiterung in den Weicbtheileit stattgefunden und diese
allmfilig auf das Periost übergehend zur Zerstörung des
Knochens geführt habe.
Sitzung vom 8. Juli 1862.
Von Herrn Birnbaum in Köln ist folgender Aufsatz der
Gesellschaft eingeschickt worden:
Seit zwei Jahren bestehende Inversio uteri,
deren Reposition nach vierteljährigen
Bemühungen gelang.
Die Patientin war 22 Jahre alt, sehr robuster Constitution,
kräftigen Gliederbaues, von Jugend au£ stets völlig gesund
und hatte vor zwei Jahren am Ende ihrer ersten, ohne alle
Störungen verlaufenen Schwangerschaft sehr leicht und rasch
mit anhaltendem sturmischem Mitpressen bis zuletzt geboren.
Die Nachgeburt folgte leicht, ohne grossen Blutverlust. Am
vierten Tage des Wochenbettes trat plötzlich, da die Frau sich
aufrichtete , eine runde rothe Geschwulst vor die Geschlechts-
teile, welche als invertirter Uterus erkannt und in die
Scheide zurückgeschoben, aber nicht reponirt wurde. Ob
sich diese Inversion jetzt erst ausgebildet habe, oder gleich
nach der Geburt entstanden und übersehen worden, steht
dahin. Das Wochenbett verlief im Uebrigen ganz günstig
und die Frau nährte das Kind ein Jahr lang, bis es an
Krämpfen starb.
Cs entwickelte sich nun eine heftige, -sich immer mehr
steigernde Menorrhagie, indem die Menses immer langer an*
dauernd und heftiger, die Zwischenräume immer kürzer wurden.
Der behandelnde Arzt constatirte Fortdauer der Inversion,
hoffte aber, da im ersten Jahre während des Stilleus die
Blutung nicht vorhanden gewesen und er sie der heftigen
Gemüthsaufregung durch den Tod des Kind zuschrieb, allmiiigf
Milderung durch die Zeit. Ein auswärtiger Arzt glaubte bei
einem Landaufenthalte der Patientin den Zustand 11s abhängig
for QeburUliiUfe in Berlin. 105
▼ou einem ulcerirten Zustande des Muttermund*» betreöhten
m müssen und cauterisirte mittels les Specolum, ohne dit
Inversion zu berücksichtigen.
Anfang December vorigen Jahres consultirte mich die Frau»
Sie bot alle Merkmale ausgeprägter Anämie bei der Anlage
nach höchst robustem Körperbaue und Spuren ursprünglich
sehr florider Constitution. Sie klagte über ein Gefühl eines
Hindernisses bei den Stublentleerungen. Ich fand hoch oben
in der weilen schlaffen Scheide hinaufgehend eine frei .ein*
ragende, glatte, 'runde, pralle Geschwulst, welche nach oben
in Gestalt eines Stieles von ziemlicher Breite schmaler beilief,
von einem muttermundartigen Saume um diese engere Stelle
herum rings umgeben. Die Sonde liess sich wegen ringsum
breiteren Vorstehens der Geschwulst nicht so in den Saum
einführen, dass ein entscheidendes Urtbeil möglich gewesen
wäre, ob Polyp oder Inversion zugegen sei. Der Widerspruch
in den Ansichten und der Behandlung der Aerzte machte mich
zweifelhaft, ob' ich unbedingt Inversion annehmen müs*e.>
Da der Mutlermund zu hoch stand, um ihn mit dem Finger
bequem erreichen zu können, entschloss ich mich zu Niecler-
ziehung mit der Hakenzange.
Die Einsetzung war schon sehr schmerzhaft, und bei
Zudrücken des Instrumentes plattete- sich die Geschwulst auf-
fallend ab und änderte ihre Form, und bei leichtem Anzüge
konnte man schon den wie eine Krempe rings umgeschlagenen«
undurchgängig in das Scheidengewölbe angedrängten Mutter-
mundsaum mit voller Bestimmtheit constatiren. Auch fühlte
ich jetzt in dem vermeintlichen Polypenstiele eine bedeutende
Arterie pulsiren. Die Diagnose war jetzt über alle Zweifel
hinaus klar. Die Hakenpincette wurde entfernt, Alles voll«
kommen auf den früheren Stand reponirt. Innerlich wurden
Mineralsäuren angeordnet und in die Scheide ein Schwamm
mit Ung. Belladonnae eingelegt
In den nächsten Tagen versuchte ich sodann zu wieder-
holten Malen mit Einführung der halben Hand die Eindrückung
und das Hinaufschieben des Muttergrundes. Bei vorsichtig
energischem Eingreifen dieser Art gelang durch Massiren
die Erzielung einer grösseren Weichheit und leichteren Ein-
druckbarkeit des Uterus, aber wenn er an einer Stelle nachgab,
196 VHJ. Verhandlungen der Gesellschaft
quoll er nach der anderen Seite immer um so entschiedener
vor. Und diese stete Formveränderung der Geschwulst er-
schien wohl als ein wesentliches neues Moment zur Bestätigung
meiner Diagnose, führte aber sonst zu nichts.
Nach 14 Tagen ging ich in vollkommener Chloroform-
narkose der Frau nicht ohne Muhe mit der ganzen Hand in
die Scheide ein und erneuerte mit seitlicher Compression
der Geschwulst die Versuche, den Grund ein- und hinauf-
zudrücken, mit einer trotz aller vorsichtigen Energie nicht
minder vollständigen Erfolglosigkeit
Die stark wiedereintretende Menstruation Hess bis zum
6. Januar, 14 Tage hindurch, weitere Versuche unstatthaft
erscheinen. Dann legte ich einen bis zu schmerzhafter
Spannung im Unterleibe auseinandergetriebenen GarieF&chen
Tampon ein. Derselbe hob die Geschwulst empor, plattete
sie aber mehr ab und trieb sie breiter auseinander. Ich
veYsah nun die Uterinsonde mit einem länglich runden, fest
gepolsterten, ledernen Knopfe von dem Umfange einer Eichel,
und setzte sie unter Leitung zweier Finger an verschiedenen
Stellen des invertirten Uterus an, bald an den urogesclüagenen
Saum, um diesen breiter und tiefer zu machen, bald an den
Grund selbst in der Mitte und von den verschiedenen Seiten
her, und machte diese Versuche mit wechselnder Kraft-
anwendung je nach der Empfindlichkeit des Organes jedes Mal
durch 7* Stunde hindurch, mit einzelnen Unterbrechungen
täglich bis zum 18. Januar. Jedes Mal wurde gleich danach der
Gummitampon angelegt und blieb bis zum anderen Tage liegen.
Die Geschwulst nahm so eine veränderte Form an. Sie
ward niedriger, nach oben breiter, der Stiel immer umfang-
reicher und der Muttermundssaum trat immer deutlicher markirt
immer tiefer herab, sich allmälig mehr austiefend. Die Schleim-
absonderung steigerte sich ungemein, die Menstruation aber
wurde spärlicher und gestattete am 20., 24., 27., 28., 30. Januar,
1., 3., 4., 8.. 10. Februar stetige Erneuerung der Versuche.
Nun musste jedoch bei der äusserst gesteigerten Empfindlichkeit
des Organes eine grössere Pause eintreten, während welcher
bloss mit dem Gebrauche des Gummitampons in steigender
Auftreibung durch den InsufQateur fortgefahren wurde, io
Verbindung mit so leicht ermöglichter starker Bewegung in
fiir GebnrUhttlfe in Berlin. 197
freier Luft und dem Gebrauche der Tra. ferr. acet aeth. mit
Acet. digit bei roborirender Diät.
Am 6. März wieder gerufen fand ich die Erscheinungen
der Anämie bedeutend "gemindert das Aussehen der Frau viel
gesunder, blühender, die Kräfte sehr gehoben, den Zustand
des Uterus aber trotz des anhaltenden, immer gesteigerten
Gebrauches des Tampon vessie ganz unverändert so, wie ich
ihn im Februar gelassep. Es schien mir jetzt klar erwiesen,
dass von der blossen Anwendung des Tampons nichts zu
erwarten stehe, sondern die Erhebung mit der Sonde die
Hauptsache sei, und der Vortheil des Tampons sich lediglich
auf Erhaltung des mit der Sonde erzielten Standpunktes be-
schränke. Ich erneuerte daher am 6., 8., 10. und 12. März
diese Versuche wieder mit allmälig, dem zunehmenden Erfolge
gemäss, steigernder Energie. Es gelang auch so, den Grund
des Uterus bis zur Saumhöhe des Muttermundes empor-
zuheben, aber der völligen Reposition widerstrebte er immer
uoch auf das Hartnäckigste, und die sehr 'gesteigerte Empfind-
lichkeit zwang wiederum, eine längere Pause eintreten zu
lassen. Vom 18..' bis 27. März dauerten die Menses, aber
schwächer, wie vorher, und ohne den geringsten nachtbeiligen
Einfluss auf Kräftezustand und Wohlbefinden. Der Blasentampon
blieb die ganze Zeit ober, auch während der Menstruation
mit dem erforderlichen Wechsel und steigernder Ausdehnung
unausgesetzt liegen. Am 27. März fandv ich Alles so, wie
ich es am 12. gelassen, und erneuerte an diesem Tage und
am 30. März die Versuche mit der Sonde von den ver-
schiedensten Seiten her durch eine lange Zeit hindurch mit
grosser Kraftanwendung. Der Grund hob sich dabei ganz
leicht über das Niveau des Muttermundssauines, wich aber
der leUten Durchdruckung, so nahe sie auch öfter schien,
immer noch hartnäckig aus, da eine Steigerung der Kraft
ohne Bedenken nicht möglich erschien. Die Tamponbiase
wurde unmittelbar danach wieder eingelegt und auf das Höchste
ausgedehnt
Am 31. März Abends wurde die Frau plötzlich von einem
furchtbaren Schmerze tief unten im Leibe, als starkes Zu*
sammenschnüren, befallen, der mit bedeutendem Blutabgange
durch l'/i Stunden hindurch tobte, dann aber auf einmal
108 VIII. Verhandlungen der GeaeHschaft
einem eigenthütnlichen Wohlbefinden mit NachJass aller bis-
herigen Druckerscheinungen auf Blase und Mastdarm und
auffallender Verminderung des weissen Flusses wich.
Am 2. April fand ich hei ganz geringem Schleiraabgange
die wulstigen, weichen, dicken Muttermundslippen frei in der
Scheide, den Muttermund geöffnet, wie etwa am siebenten bis
achten Tage des Wochenbettes, aber ganz frei und konnte
mit der Uterinsonde ohne den geringsten Widerstand frei
2Y2" hoch in die UterinhöMe ei ngoheu. So vorbereitet und
eingeleitet hatte sich die Reposition in ihrem letzten Reste
spontan vollendet. Injectionen mit Acet. pyrolign. und A<j.
laurocer. beseitigten die letzten Reste des Schleimflusses und
vollendeten die Röckbildung der Vaginalportion.
Am 5. April vertauschte ich den Blasentampon mit einem
mit Tannin, Opium und Glyceiin bestrichenen Schwämme.
Die Frau fühlte sich äusserst wohl, völlig leicht und frei, ihre
Kräfte hoben sich sichtlich, die blühende Farbe von ehemals
kehrte wieder, die Muskulatur nahm an Kraft und Masse zu.
Neben dem Schwämme ordnete ich bloss noch Injectionen
von Natr. carb., Aq. laurocer., Liq. myrrb* und Opium an.
Am 20. April theilte mir die Patientin mit, dass die
Menstruation zum ersten Male wieder ihren vierwöchenüichen
Typus eingehalten habe und nur durch 4 — 5 Tage lang sehr
massig angedauert. Die Kräfte waren völlig wiedergekehrt,
das Aussehen blühend und kräftig, der Zustand der Gebär*
»ütter bei scharfer Abgrenzung des Mutterhalses über Er-
warten befriedigend. Ein längerer Aufenthalt auf dem Lande
sollte die Genesung befestigen, und hatte ich ihr dort nur
Rheinbäder und kalte Douchen anzurauhen, welche auch die
Herstellung dauernd befestigten.
Ich glaube, der Combinaiion der von mehreren Seiten
her empfohlenen Mittel einzig und allein die Reposition zu*
schreiben zu müssen, indem jedes einzelne für sich an ihn
besonders eigenen Hindernissen scheiterte.
Die Versuche mit der ganzen Hand zu erneuern, erschien
mir zu gewaltsam , da das Manoeuvre nicht weniger ermüdend
für mich als angreifend für die Frau selbst- war.
Einmal den Versuch zu machen, hielt ich durch die
Aussicht,, so arn raschesten zum Ziele zu kommen, hinreichend
für Geburtahtüfe in Berlin. 199
gerechtfertigt, die Erneuerung desselben aber nicht. Die iu
angegebeuer Weise vorgerichtete Sonde leistete zur Erhebung
des Grundes das Meiste, schloss aber jede Gewalt zu rascher
Beseitigung des Leidens wegen Gefahr des Zerrejssens oder
Durchbohrens der Theile aus, und ohne Tampon sank der
Grund immer eben so weit herab, wie er mit der Sonde ge-
hoben worden. Der Tampon aber für sich reichte nicht aus,
da er nicht in der richtigen und immer gleichen Richtung
wirkte, sondern, wenn der Grund nicht vorher mit der Sonde
gehoben war, beim Aufblasen mittels des Insufflateurs bald
vor, bald hinter die Geschwulst ruckte, wie man sich durch
Untersuchung unmittelbar nach seiner Entfernung aus Form
und Richtung derselben fiberzeugte.
Da eben derartige veraltete Inversionen nicht zu den
häufigeren Leiden gehören und das Gelingen der Reposition
dabei noch seltener ist, so erscheint mir der Fall nicht ohne
Interesse und unterbreite ich ihn dem Urtheile der geehrten
Gesellschaft, ohne mich auf die diagnostischen Schwierigkeiten
und die Weise, wie ich mich irf's Klare darüber zu bringen
suchte, eines Weiteren verbreiten zu wollen.
Die Mittheilung dieses Falles erregte viel Interesse und
führte zu einer. Debatte, in welcher namentlich das an-
gewendete Verfahren, die Combination der geknöpften Soride
mit dem Blasentampon, einer Besprechung unterworfen wurde.
Herr Martin erwähnte, dass er in den von ihm be-
handelten Fällen mehrmals von dem blossen Tragen des
Colpeurynters günstigen Erfolg gesehen habe.
Herr Winckel führte ebenfalls aus der betreffenden
Literatur verschiedene Fälle an, wo das blosse Tragen des
Colpeurynters die Reposition bewirkt halt«. Er hielt die An-
wendung der Sonde für gefährlich und sprach seine lieber^
Zeugung aus, dass ii* diesem Falle ebenfalls durch die lange
Anwendung des Tampons und nicht durch die Sonde der
Erfolg erzielt sei,
Referent verlas darauf noch einmal mehrere Salze 4*r
Operationsbeschreibung und verwies darauf, dass ausdrücJUkft
darin gesagt sei, dass das blosse Tragen des Tampons zu
keinem Resultate geführt h^be. Erst das wiederholte Hinauf-
200 VW« Verhandlungen der Gesellschaft
drücken des Fundus und das durch das Kneten herbeigeführt*
Erweichen des starren Uteringewebes habe die Repostkw
ermöglicht
Herr Brandt meint, dass das Tragen des Colpeurynlen»
die Reposition durch Erweichen des Gewehes nur vorbereitet
habe. Der Enderfolg sei aber durch die Sonde herbeigeführt
mit welcher der Fundns allniälig in den Muttermund gezwängt
sei und so dessen Erweiterung herbeigeführt habe.
Herr Winckel ersieht indess aus dem Wortlaute des
Aufsalzes, dass die Reposition nicht während, der Application
der Sonde, die den Fundus uteri nie über die Incarceratiou
hinaufzuheben vermochte, sondern gerade längere Zeit
nach derselben während des ruhigen Liegens des CoJpeu-
rynters spontan erfolgt sei. Dies beweise ihm, dass die
Sonde nicht nöthig gewesen sei.
Die Debatte wurde hier abgebrochen und vom Secretär
ein Auszug des kurzlich eingegangenen Aufsatzes von
Dr. Köggerath in Newyork über denselben Gegenstand gegeben.
Inversio uteri nach dreizehnjährigem Bestehen
durch eine neue Methode der Reposition
geheilt
Zu Madame Victorine ReautJ, 38 Jahre alt, von ziemlich
kräftigem Körper, obgleich durch langes Leiden geschwächt,
wurde N. am 22. Februar 1860 wegen eines inlercurrenteo
Leidens gerufen. Er erfuhr zufällig, dass Patientin vor
13 Jahren nach einer Entbindung eine Inversio uteri erworben
hatte, welche, von den behandelnden Aerzten erkannt, wieder-
holt Gegenstand fruchtloser Repositionsversuche gewesen war
und . schliesslich , da die Blutungen und ersten sturmischen
Erscheinungen mit der Zeit geschwunden waren, sich seihst
überlassen wurde. Nur auf vieles Zureden unterwarf sich
Patientin einer neuen Untersuchung und willigte erst dann
in den ihr darauf vorgeschlagenen abermaligen Operations-
versuch, als ihr ein durch Hälfe des Chloroforms gunstigerer
Erfolg in Aussicht gestellt wurde.
Die Operation selbst wurde am 4. März vollzogen.
N. brachte die Krauke in die Lage zur Lilhotomie, ging mit
fflr Geburtahülfe in Berlin.
201
der rechten Hand in die Vagina und umfasste den ganzen
invertirten Uterus mit voller Hand ; dann suchte er mit einem
breiten Hastdarmbougie in der Achse des Beckens den
Fundus uteri in die Höhe zu drangen; aber alle Anstrengungen
waren vergeblich, die Anwendung des Bougies schien ihm
gefährlich, da das Uteringewebe unter seinem Drucke sehr
weich und zerreisslich zu werden schien. Er änderte deshalb
seinen Operationsplan, liess das Bougie fort und erfasste den
Uterus mit dem Zeige- und Mittelfinger auf der rechten
Seite, während er den Daumen links auf einen Punkt fixirte,
der ungefähr ein Drittel der ganzen Länge vom tiefsten
Punkte entfernt lag. In dieser Lage übte er mit dem Daumen
einen stetigen Druck nach innen und oben und erlangte da-
durch, dass sich an dieser Stelle eine längliche Grube bildete,
welche sich bis in die umgeschlagene Stelle hinein erstreckte.
Unter fortgesetztem Drucke nach oben in dieser Richtung
wicb die Uterinwand immer höher hinauf, der untere Theil
faltete sich ganz zusammen, folgte, und plötzlich entschlüpfte
die ganze Geschwulst der operirenden Hand und der wulstige
weite Muttermund, welcher jetzt das obere Ende der Scheide
abschloss, gab Zeugniss von der gelungenen Reposition.
Monttaschr. f. Geburtsk. 1862. Bd. XX., Hfl. 3.
14
2Q2 yHl. Verhandlungen der Gesellschaft etc.
Patientin fühlte, sich ungefähr eine Woche lang sehr
schwach, indess die Hämorrhagien standen von Stunde an;
ein leichter Fluor albus trat an ihre Stelle. Drei Woche*
später erschien die Regel, dauerte nur sieben Tage und mit
der Zeit trat vollkommene Gesundheit ein.
Verfasser findet in dem von ihm befolgten Verfahren eine
neue Methode, die er jener anderen häufig in Anwendung
gezogenen, nämlich von der Mitte des Fundus aus die Rcpesitiou
zu beginnen, als ganz neu entgegenstellt. Hauptsächliches
Gewicht legt er dabei auf die Anschauung, dass nicht sowohl
die Erweiterung des invertirten oberen Ringes, sondern die
Faltung des umgestülpten Uterus das wesentliche Moment
gewesen sei, die Reposition so leicht zu machen. Wenn m
auch dieser Anschauung nicht in dem Maasse folgen können,
um darauf hin ein neues Gesetz zu normiren , da wohl nicht
alle Fälle eine gleiche Faltbarkeit des Uterus haben werden
und ohnehin bei uns schon seit längerer Zeit die Angriffsstelle
nicht immer im Fundus, sondern an verschiedenen Stellen
gesucht wird, wie sie eben dem concreten Falle am zweck-
entsprechendsten erscheint; so müssen wir doch dem Ge-
danken des Verfassers unsere Aufmerksamkeit zuwenden und
% bei sich darbietenden späteren Beobachtungen den günstigen
Erfolg, den er nach 13j ährigem Bestehen des Leidens durch
diese Manipulation so überraschend schnell erzielt bat, vor
Augen behalten.
Von Herrn Kv gelmann in Hannover (Mitglied) ist eine
Krankengeschichte eingeschickt worden, welche eine Frau in
den Zwanzigern mit granulöser Verschwörung des Muttermundes
und Cervkalkanales betrifft. Nach längerer Behandhing s*A
Herr K. eines Tages bei der Untersuchung mit dem Speculum,
wie synchronisch mit dem Pulsschlage die Mutter-
mundslippen sich bewegten, und zwar so, dass sie
bei jeder Systole sich einander näherten und bei
jeder Diastole sich von einander entfernten« Bemerkt
st dabei, dass der Eintritt der Menstruation bevorstand.
Dieselbe Erscheinung wurde noch einmal 14 Tage später,
indess in geringerem Grade beobachtet.
IX. Martin, Ueber Vertage rang* des Scheidentheüa >etc. 203
Von den Anwesenden konnte sich Keiner entsinnen»
diese Pulsatton so ausgesprochen beobachtet zu haben, dass
sie seine Aufmerksamkeit erregt hätte. Pulsationen der
Geschwörsflächen hatten Mehrere allerdings öfter gesehen, aber
ein förmliches OeflTneu und Schliessen dos Mutlermundes nicht
Die Debatte drehte sich deshalb mehr um theoretische
Erklärung des Facturus, und fand die Hypothese Herrn
Winckel's, dass wohl der Druck des Speculums die Er-
scheinung zu Wege gebracht habe, ähnlich wie beim ruhigen
Sitzen mit öbereinandergeschlagencn Beinen, der frei hängende
Fuss ebenfalls* mit dem Pulsschlage sich hebt und senkt, die
meiste Billigung.
Bei darauf folgender Neuwahl wurden die Herren
Dr. Eggt},
Dr. Flume,
Dr. Münnich,
Dr. Tuchen,
Dr. Schuh] Med.-Assessor und Phystkus,
zu ordentlichen Mitgliedern erwählt.
IX.
Ueber Verlängerung des Scheidentheils der Gebär-
mutter bei Schwangeren und Nichtschwangereü
als Ursache des Vorfalls, nebst drei Fällen
von Abtragung des Scheidentheils.
Von
Eduard Martin.
Als Huguder (Gaz. hetd., V., 20, 1858) mit der Be^
haflptwng hervortrat, dass der Gebärmultervorfall auf einer
totalen oder partiellen Hypertrophie des Organts beruhe, und
demgemäss die Abtragung des vorgefallenen Scneidentheils als
Heilmittel empfahl, adoplirten einige, zumal französische Aerzte
£04 IX. Martin, Ueber Verlängerung des Scheidentheilfl
diese Anschauung und veröffentlichten mehr oder weniger
folgreiche Operationen dieser Art, während von anderer Seite
Zweifel und Bedenken gegen diese Pathogeuie und das ihr
entsprechende Verfahren laut geworden sind. Unter diesen
Umstanden werden neue Beobachtungen zur Entscheidung er-
fordert.
Ohne Zweifel geht Huguier zu weit, wenn er die
häufigste, fast ausschliessliche Ursache des Gebärmuttervorfalls
in der Verlängerung des Uterus erblickt, denn es giebt viele
Verlängerungen des Uterus, ohne dass derselbe herabgesunken
ist und andererseits viele Vorfälle, bei welchen die Gebärmutter
mit ihrem Grunde in der That mehr oder weniger tief, wenn
auch nur selten bis zum Scheidenausgang herabgetreten und
dabei entweder gar nicht oder nur wenig verlängert ipt,
wie schon die nach Präparaten gefertigten Abbildungen von
Dr. Froriep (Chirurg. Kupfertafeln, 388 und 416) 2) beweisen
und in mehreren klinischen Fällen von mir constatirt wurde.
Aber richtig ist es, dass in sehr vielen, wo nicht <in der Mehr-
zahl von Vorfallen eine Verlängerung der Gebärmutter mittels
der Sonde nachgewiesen werden kann. Gewöhnlich verbindet
sich diese Verlängerung mit einem Vorfall der vorderen
Scheidenwand und Cystocele, seltener mit einer Enter o- oder
Rectocele, und es entsteht dann die Frage: ist der Gebär-
muttervorfall Folge des Scheidenvorfalls, oder umgekehrt. Ge-
wöhnlich dürfte dieselbe Ursache: mangelhafte Ruckbildung
der inneren Genitalien und ihrer Adnexa nach Geburten, so-
wohl das eine wie das andere vorgefallene Organ und dessen
Anheftungen und Bänder getroffen und zum Herab- und
Heraustreten bei ungünstigem Verhalten z. B. bei stärkeren
Zusammenziehungen der Bauchpresse geneigt gemacht haben.
In einzelnen Fällen besteht hingegen unzweifelhaft eine
Verlängerung des Mutterhalses und insbesondere des,
Scheidentheils als die wesentliche Ursache des Herab- und
und Hervortretens der Gebärmutter, wie unter Umständen
nicht allein die Palpation, sondern auch die Messung mit der
Uterussonde zugleich mit Rücksicht auf das Herabtreten der
1) Vergl. Martin, Handatlas der Gynäkologie und Geburt**
hülfe. Berlin 1662. Taf. 39.
der Gebärmutter bei Schwangeren etc. 205
Harnblase und des hinteren Theils vom Scheidengewölbe er-
giebt. Der Scheidentheil tritt dabei entweder, wie ich bei
zwei Bauermädchen, welche noch nicht geboren hatten, und
nicht schwanger waren, gesehen habe, als zierlicher Zapfen
bis vor den Scheideneingang sogar mehr als 1" lang
heraus. Die eine dieser beiden Patienten behauptete, dass
der Fehler in Folge von schwerer Arbeit, insbesondere von
Schiebkarrenfahren entstanden sei; jedoch waren in diesem
wie in dem anderen Falle höchst wahrscheinlich abnorme
geschlechtliche Reizungen vorhergegangen. In beiden Fällen
ergab die Messung mittels der Uterussonde eine Verlängerung
des Uterinkanals auf 4V2 — 5", der Muttermund zeigte eine
zierliche Querspalte und der Muttermund erschien nicht oder
nicht viel unter seinen Normalstand herabgesunken. Nach
mehrwöchentlichem Tragen eines Zwank'schen Hysterophor
war in dem einen dieser Fälle die Verlängerung auffallend
zurückgebildet und der Scheidentheil blieb auch nach Ent-
fernung des Trägers an der gewöhnlichen Stelle. Inwiefern
hierbei vielleicht der Wegfall der geschlechtlichen Reizungen
günstig mitgewirkt haben dürfte, muss ich unentschieden lassen.
Oder der verlängerte Scheidentheil erscheint total
oder auch wohl nur partiell, z. R. dessen vordere Lippe
verdickt von verschiedener Festigkeit und tritt dann als un-
förmlicher Wulst in oder vof die äussere Scham. Diesen
Zustand habe ich als acute oder chronische ödematöse
Schwellung sowohl bei Schwangeren als auch bei Nicht-
schwangeren beobachtet
So zeigte die im vierten Monate ihrer zweiten Schwanger-
schaft stehende Bertha Br., 24 Jahre alt, welche seit dem
siehenzehnten Lebensjahre menstruirt, angeblich stets gesund
und vor 2% Jahren von einem lebenden Kinde ohne Kunst-
hülfe leicht entbunden war, als sie Anfangs März 1862 in
die gynäkologische Klinik des königlichen Charitekrankenhauses
aufgenommen wurde, folgenden Refund. Nachdem im Sommer
1861 die Menstruation ausgehlieben, um die Mitte December
aber eine geringe Genitalblutung und im Januar 1862 unter
dem Gefühle von Senkung eine starke Rlutung stattgefunden
hatte, soll Ende Februar in Folge eines Falles auf den Rücken
unter heftigen Schmerzen im Unterleibe, „etwas aus den
206 IX. Martin, üeber Verlängerung de« ßcbeidentfaeUs
Schamtbeilen herausgetreten sein.44 Man fühlte unmittelbar
unter der Schamfuge vor dem Scheidcneingaitge die sehr
verlängerte ödemalös geschwollene Scheidenportion, deren
vorzüglich verlängerte vordere Lippe blaulich roth und aa
der Innenfläche mit einem Eiler absondernden Geschwür be-
deckt erschien; die Kreuzbeinaushöhlung war von einer elastisch»
lluctuirenden Geschwulst, dem sehr erweiterten Mulferkirper,
in welchem man kleine bewegliche Theile wahrnahm, aus-
gefüllt. Es bestand somit neben dem Prolapsus eine Retro-
flexio uteri gravidi ohne sehr erhebliche Harn- und Slukl-
beschwerden. Unter reichlichem Biutabgange erfolgte in der
Nacht vom 9. — 10. März die Ausslossung eines vier Monate
alten Eies ohne beträchtliche Schmerzen. Die am 10. März
vor den Schamtbeilen noch sichtbare sehr verlängerte Scheiden-
porlion zog sich bei Aufschlägen von Bleiwasser bis zun»
17. Harz in die Scheide zurück, so dass marv, später nur
mittels des Speculum die Geschwürfläche mit Liquor bydrargrri
nitrici oxydulali touchiren konnte. Zugleich zeigte sich die
Retroflexion bei Vermeidung der Rückenlage gehoben. Nach
einigen Wiederholungen der Aetzung und Einspritzungen mit
Bleiwasser in Leinsamenschleim konnte die B. bereits am
7. April geheilt entlassen werden.
Eine ganz ähnliche Beobachtung bot Frau W.% 41 Jahre
alt, welche vor neun Jahren ihr einziges Kind geboren und
mehrere syphilitische AiTectionen durchgemacht, deshalb auch
vor längerer Zeit das Zittmanri sehe Decoct gebraucht hatte.
Der letzte Coilus sollte im Februar stattgefunden, die früher
regelmässige Menstruation noch im März als heftige Blutung
zugegen gewesen sein, dann aber bis Mitte Juni ausgesetzt haben.
Das sehr unbequeme, den Hausarzt, welcher einige Tage
zuvor einen bohnengrossen dünngesliellen Polypen aus dem
erweiterten Mutlerhalskanal entfernt halte, frappirende Herab-
treten einer Geschwulst in den Scheidenausgang veranlasste
Patientin von auswärts hierher zu reisen und am 14 Juni
meinen Ralh zu suchen. Zwischen den Scharolefzen sah ich
den Scheideneingang ausfüllend einen bläulich -rothen weichen,
mehr als dauraenstarken Zapfen mit einer schräg verlaufenden
offenen dunkelrolhen Spalte: den Scbeidentheil mit dem
Muttermunde; der hinter diesen Zapfen eingeführte Zeigefinger
der Geb&ntoatter bei Schwangeren «te* 207
erreichte Über dem herabgeclrdngten Scheidengewölbe die
hintere Wand des vergrösser ten undeutlich flucluirenden
Mutter körpers, welcher in der Kreuzbeinaushöhlung lag und
mit dem verlängerten Multerhalse einen Winkel bildete. Harn-
und Stuhlbeschwerden waren nicht bedeutend und nach Ein-
führung eines männlichen Katheters in die [Tarnblase gelang
in der. Knie- und EHenbogenlage durch einen steten mit zwei
in die Scheide eingeführten Fingern geübten Druck auf den
Mutterkörper die Reposition des retrofleclirten Uterus. Die
Herstellung der regelmässigen Gestalt und Lage der Gebär-
mutter, welche bei Vermeidung der Ruckenlage in der dem
vierten Monate entsprechenden Stellung l) verharrte, halte die
Ruckbildung des Mutterhalses und Scheidentheils zur Folge;
vor demselben fühlte man jetzt den ausgedehnten Gebärmutter-
kürper über dem Scheidengewölbe und dem Multergrunde
oberhalb der Schamfuge. Eine noch fortbestehende katarrhalische
Entzündung der Scheide und des Scheidentheils wurde durch
Einspritzungen mit Leinsamenlhee und Bleiwasser bekämpft. —
Dass auch in der späteren Zeil der Schwanger«
schaft beträchtliche Verlängerungen des Mütterhalses bis
zum Heraustreten des Scheidentheils vor den Scheideneingang
stattfinden, beweisen folgende Fälle.
Eine im neunten Mondsmonat ihrer achten Schwangerschaft
stehende, vor Jahren syphilitisch gewesene Arbeiterfrau, welche
tih am 11. August 1835 mittels der Wendung auf den Fuss
wegen fehlerhafter Kindeslage von einem lebenden Mädchen
entbunden hatte und welche nichts von einem früher be-
standenen Vorfalle der Gebärmutter wissen wollte, bemerkte,
nachdem die Schwangerschaft bis dahin ohne besondere Zufälle
verlaufen war, am 8. Juni 1837, dass ohne bekannte Ver-
anlassung etwas aus ihren Genitalien hervortrete; ich fand
die beiden dunkelblau gefärbten geschwollenen Multerlippen
zwischen den grossen Scbamlefzen und den Mutterhals so
verlängert, dass es nicht gelang, den vorliegenden Kindes*
theil (wie sich später ergab, das Beckenende der Frucht) zu
1) Vergl. Martin, Ueber einige physiologische Gestalt- und
Lage Veränderungen der schwangeren Gebärmutter als Zeichen
der Schwangerschaft in den ersten Monaten dieses Zustanden.
Jeaaleohe Annalen für Physiologie und Medicin, I. Bd., S. 28, 1340.
208 *x- Martin, Ueber Verlängerung des Scheidentiieil* "
erreichen, während der Muttergrund mehrere Finger breit
oberhalb des Nabels zu fühlen war. Bei vorsichtiger Ab-
Wartung der horizontalen Lage und Sorge für regelmässige
Ausleerung verschlimmerte sich der Zustand nicht, obwohl
die Schwangerschaft noch acht Wochen dauerte; die Geburt
eines lebenden Mädchens erfolgte am 6. August unter sehr
langsamer Verkürzung des aufgelockerten und verlängerten
Mutterhalses (binnea 14 Stunden) glücklich, indem es mar
der Regulirung der mangelhaften Wehen und der Lösung der
Arme und des nachfolgenden Kopfes bedurfte. Die Rück-
bildung der Gebärmutter ging unter fleissigen Einspritzungen
mit Leinsamenscbleim, später mit Eichenrindenabkocbung so
rasch von Statten, dass die Patientin nach sechs Wochen
ganz genesen erschien und später nicht wieder an Vorfall
des Uterus litt
Eine andere Beobachtung von Vorfall des hoch-
schwangeren Uterus wurde in der von mir geleiteten
geburtshölflichen Poliklinik vor einigen Wochen gesammelt
Die 34 Jahre alte, zum elften Male schwangere Arbeitersfrau -P.,
welche bereits im Laufe der vorletzten Schwangerschaft einen
nach der Geburt wieder verschwundenen Vorfall bemerkt
hatte, meldete sich den 3. Mai 1862 bei dem Secundärarzt
der Klinik, Herrn Dr. Chisserow, indem sie angab, dass
ungefähr seit der Mitte der Schwangerschaft wieder etwas
aus den Geschlechtstheilen herausgetreten sei. Der vorn-
überhängende Muttergrund stand beinahe handbreit über dem
Nabel; kleine Theile fühlte man in der linken Seite. Zwischen
den Schamlefzen ragte der Scheidentheil als eine dicke auf-
gewulstete, Nteigig anzufühlende Masse über handbreit heraus,
so dass der Patientin das Gehen .ungemein schwer wurde.
Der Muttermund bildete eine Querspalte mit vielen seitlichen
Einrissen und Erosionen, welche bei Berührung stark bluteten;
aus dem geöffneten Muttermunde drang eine grosse Menge
eiterigen Schleimes hervor. Die Harnblase erschien nicht
dislocirt, das Urinlassen nicht erschwert Man konnte den
herausgetretenen Scheidentheil, freilich nicht ohne Schmerz '
zu erregen, empordrängen, jedoch trat derselbe sofort nach
Entfernung der Finger wieder hervor. Der vorliegende Kindes-
theil war nicht zu erreichen. Am 6. Mai, einige Tage vor
der Gebärmutter bei Schwaderen *4«. . 209
dem regelmässigen Ende der Schwangerschaft floss das Frucht-
wasser ab, am Abend des 7. stellten sich Weben ein, und
am 8. früh iy2 Uhr erfolgte ohne Konsthülfe die Geburt eines
in Folge von Umschlingung um den einen Fuss scheintodten,
doch zu vollem Athmen gelangenden Knaben. Der Abends
\0 Uhr hinzugekommene Praktikant (Dr. Sander) fand den
Scheidentheil nach dem Wasserabflüsse bereits in die Scheide
emporgezogen und sah sich nur veranlasst, wegen anfanglicher
Schmerzhaftigkeit der Wehen einige Dosen Rad. Ipecacuanhae(grj)
später wegen Wehenschwäche Seeale cornutum @ij) zu ver-
abreichen. Das Wochenbett verlief ohne Störung; der Vorfall
zeigte sich nicht wieder.
Bei Nichtschwangeren, welche vor kürzerer oder
längerer Zeit geboren haben, beobachtet man die Ver-
längerung des Scheidentheils weit häufiger. In der
Regel finden zugleich Dislocationen der Gebärmutter und der
Nacbbarorgane, insbesondere der Harnblase, statt, jedoch
nicht immer. Quetschungen der vorderen oder der hinteren
Wand des Mutterhalskanals bis zu einer oberflächlichen Con-
tinuitätstrennung scheinen diesen Hypertrophien der betreffenden
Mutterlippe häufig vorauszugehen. In zwei der von mir
beobachteten hierher gehörigen Fälle war schon, obschon die
Geburt mehrere Jahre früher stattgefunden, die vordere Lippe
dick unförmlich, beträchtlich länger als die hintere, und man
konnte oberhalb dieses Wulstes in dem geöffneten Mntterhals-
kanale eine tiefe, fast querlaufende Einkerbung mit dem ein-
geführten Zeigefinger constatiren. In dem einen dieser Fälle
sollte eine schwere Entbindung in Gesichtslage vorausgegangen
sein. In anderen Fällen von Verlängerung des Scheidentheils
bei Nichtschwangeren lässt sich der Grund in einer Metritis colli
nachweisen, und hier erfolgt dann und wann unter passender
arzneilicher und diätetischer Behandlung eine Rückbildung.
So zeigte sich bei der unverheirateten 34 Jahre alten 4f.,
welche einmal und zwar im Deceinber 1858 geboren hatte
und am 20. Februar 1862 in der gynäkologischen Klinik des
königlichen Charite- Krankenhauses aufgenommen wurde, neben
einer mit der Sonde constatirten Retroflexio uteri nongravidi
eine solche Verlängerung der vorderen Multermundslippe, dass
dieselbe lfa" aus dem Scheideneingange hervorragte und die
210 IX. Martin, Uttwr Verfing eräug dai Sebeidentheilt
Lflnge des Gebärmutterkanals 41/*" maaas. Die vordere
Mutterlippe und der Mutterhalskanal, soweit mm hineinsehen
konnte, erschienen erodirt entzündet, bei Berührung leicht
Mutend; aus dem Muttermunde floss ein blutiger Schleim
hervor. Mit der Heilung der Entzündung und. Erosion durch
Umschlage von Bleiwasser und später von schwefelsaurer
Kupferlosung verminderte sich die Veiiängerung, so da»
Patientin, als sie auf ihren Wunsch am 16. Mai aus der
Klinik entlassen wurde, eine Länge des ganzen Gebärmutter-
kanales von nur 3" zeigte und die Scheidenportion nicht
mehr im Scbeidenausgange zu sehen war.
Auf eine derartige Zurückbildung der hypertrophirffea
Scbeidenportion bat man dagegen bei jahrelangem Bestände
der Anschwellung nicht immer zu rechnen, sie widersteht
alsdann auch den kräftigsten Mitteln, wie Jodaufpinselungen,
Kreuznacher oder Krankenheiler Bädern u. s. w„ und ver-
ursacht den Kranken nicht allein inannichfaltige peinliche
Beschwerden, sondern wird zumal da, wo die Verlängerung
vorzugsweise die eine Lippe betrifft, Ursache von Sterilität
In solchen Fällen, in welchen eine Heilung des Fehlers auf
andere Weise nicht gelingt, erscheint die Abtragung der
krankhaft verlängerten Scbeidenportion angezeigt. Damit ver-
schwindet der scheinbare Vorfall, ja es übt in Fällen, in
welchen die Erschlaffung der den Uterus tixirenden Fascien
nicht allzu gross ist, der angeregte Entzumlungsprocess bis-
weilen eine so gunstige Wirkung auf die contractilen Elemente
der Umgebung des Mutterhalses, das» wirkliche Senkungen
der Gebärmutter und der Nachbarorgane dadurch beseitigt
und die letzteren an ihre normale Stelle zurückgeführt werden.
Welches Verfahrens man 6ich zur Abtragung des
verlängerten Scbeidentheils mit dem sichersten Erfolge
zu bedienen habe, ist noch nicht allgemein gültig entschieden.
Die Abtragung mit dem Messer lässt die Gefahr heftiger
Nachblutung aus den vier, oft beträchtlich erweiterten Arterien
des Mutterhalses fast mit Sicherheit erwarten, wie ich mjch
denn eines dadurch unter den genannten Umständen herbei-
geführten töd Hieben Ausganges aus einem Pariser Hospital .
entsinne. Neuere Aerzte ralhen daher nach der Abtragung
der Geb&rmatte* bei Schwangere* ata, g J 1
sofort das Glüheisen zu apphciren. — Den Gebrauch der
Galvanokaustik rühmen Andere zur Verkürzung des
Scheidenlheils; ich habe mich derselben bis jetzt nur zur
Abtragung cancroider Wucherungen bedient; in einigen dieser
Fälle schien ebenso wie nach dem Gebrauche des Glüheisens
ein rascheres Wiederwachsen der cancroiden Wucherungen
eingetreten zu sein. Ob die einfache Hypertrophie des Scheiden-
theils mit Sicherheit gegen Nachblutungen durch die Galvano*
kaustik entfernt werden könne, muss ich unentschieden
lassen. — Den Ecraseur habe ich nicht aHein in sechs
Fallen von Fibroiden, welche als Polyp aus dem Muttermunde
hervorgetreten waren und mit mehr oder weniger breitem
Stiele aufsassen, sowie bei wohl zum Theil sehr beträchtlichen
cancroiden Wucherungen des Mutterhalses, sondern auch in
drei Fällen zur Abtragung des hypertrophsten Scheidentheil*
angewendet und muss mich mit der Wirkung des Instruments
durchaus zufrieden erklären. ,
In den hier zu besprechenden Füllen, wo die Umlegung
der Kette um den zu entfernenden Theil keinen Schwierigkeiten
unterliegt, wo die Gefahr benaclibarter Tbeile z. B. die
Harnblase mitzufassen durch vorher eingestochene Nadeln
sicher vermieden werden, kann, feiert der Ecraseur seinen
Triumph, indem durch die hinlänglich langsame .Abscbnurung
des kranken Theiles auch die Gelasse derartig compriroirt
und zerrissen werden, dass eine bedenkliche Nachblutung nicht
erfolgt oder doch durch kalte Umsehläge, Bestreichen mit
Liquor ferri sesquichlorati u. s. w. alsbald beseitigt werden
kann. In allen drei Fällen schritt die Heilung der Wunde in
so kurzer Zeit vorwärts, dass die Patienten nach 4 — 6 Wochen
entlassen werden konnten, indem hei zwei zugleich eine ge-
hörige Zurückziehung des Uterus und seiner Adnexa bis zu
ihrem gewöhnlichen Stande erfolgt war, bei der dritten, bei
welcher der Vorfall viele (12) Jahre bestanden hatte, jedoch
ein so vollkommenes Resultat nicht erzielt wurde. Diese drei
Beobachtungen mögen hier folgen. ')
1) Die beiden in der gynäkologischen Klinik behandelten
Fälle hat Herr Dr, Sander in »einer Inangaral» Dissertation bereite
beschrieben.
212 IX* Afrrifo» Ueber Verlängerung des Seheitfentheila
I. Seit vier Jahren Vorlall der Gebärmutter, welche
6" lang erscheint und in geringem Grade
retroflectirt ist Daneben Cystocele. Abtragung
des um %" zu langen Scheidentheils. Heilung.
Frau Qrtinthal) 25 Jahre alt, von Mittelgrosse, seit
dem fünfzehnten Lebensjahre regelmässig menstruirt, gebar im
zwanzigsten Jahre (1856) nach normal verrufener Schwanger-
schaft leicht ein Kind, welches nach drei Wochen wieder
starb. Der Blutverlust während der ^Entbindung war gering.
Den vierten Tag nach der Entbindung stand Patientin auf;
sie fühlte sich ziemlich kräftig und arbeitete ohne Beschwerden.
Ein Jahr später bildete sich während schwerer Erntearbeit
allmälig und ohne Schmerzen ein Vorfall des Uterus aus.
Derselbe ging in der Ruckenlage immer zurück und trat nur
bei schwerer Arbeit hervor. Seit 14 Tagen sind Ulcerationen
am Vorfalle bemerkt
Status praesens am 13. August 1861. Aus der Scheide
ragt ein cylindrischer Körper 3 — 4" lang hervor; die untere
Fläche desselben mit dem Orificium externum ist thalergross
ulcerirt. Die Scheide ist mit ihrer vorderen und hinteren
Wand umgestülpt, aber keine Rectocele vorhanden. Patientin
hat keine Schmerzen im Abdomen; Urjn und Koth werden
ohne Schmerz entleert. Bei der Untersuchung durch das
Rectum fühlt man nicht weit über dem Anus vorn einen
Körper, dessen Erfde mit dem Finger nicht zu erreichen ist,
der dem im Vorfall durchfühlenden harten Körper (dem Mutter-
halse) an Breite gleich ist. Die in den Muttermund im Liegen
eingeführte Sonde geht anfangs nach oben, dann links hin
and etwas nach hinten. Die Länge des eingeführten Theils
der Sonde beträgt 6". Die Sonde, in die Harnröhre eingeführt
und nach unten gerichtet, dringt etwa 2" abwärts, während
sie umgekehrt auch 3" weit hinter der Schamfuge aufwärts
vordringt.
14. August. Mittags wurde durch den Ecraseur in der
Chloroform -Narcose ein mehr als s/4* langes Stück des Vor-
falls abgetragen. Die darauf folgende Blutung, welche aus
vier Gelassen zu stammen schien, war massig und stand auf
Bestreichen mit Liquor ferri seequichlorati. Am Abend Puls 84.
Temperatur kaum erhöht. Kalte Umschläge. Patientin klagt
der Geb&rraiUUr bei Schwangeren etc. 213
•ober Schmerzen im unteren Theile des Abdomen und in der
Wundfläche.
18. August Abends Temperatur = 40,4; Puls 96. Gestern
und vorgestern geringer Blutabgang aup dem Uterus. Angeblich
ist die Zeit der Regel vorhanden. Patientin hat keinen Appetit,
viel Durst. Geringe Sehmerzen im Uterus, welche zeitweise
auftreten. Der bisher noch vorgelagerte Uterus hat. sich heute
Nachmittag vollständig in die Scheide zurückgezogen.
19. August Mittags ein Schüttelfrost, danach Hitze und
Schweiss. Das Abdomen ist weder spontan noch auf Druck
schmerzhaft. Appetit schlecht; kein Husten. — 5 Uhr Abends
Temperatur = 40-, Puls 108. — Ord. Chinin, sulphur. gr. ijS.
Opii puri gr. V4, drei Mal täglich. Einspritzungen mit
Decoct. sem. lini.
20. August. Morgens 9 Uhr Temperatur == 38,7°.
Abends 5 Uhr Temperatur = 41°.
21. August. Abends Temperatur = 39,7°.
23. August Morgens 9 Uhr Temperatur = 38,1°,
Puls = 84 Abends 5 Uhr Temperatur = 40,3°, Puls = 92.
24 August. Morgens 9 Uhr Temperatur = 38,5 °,
Puls = 84 Abends 5 Uhr Temperatur = 38,6°, Puls =-94.
Gut geschlafen. -Morgens von 5 — 7 Uhr Schweiss, grosse
Mattigkeit. Appetit ziemlich gut; Durst stark; Stuhlgang in
der Nacht. Milz vergrössert; Ausfluss aus der Vagina weisslich,
massig.
27. August Der in die Scheide retrahirte Uterus ist
seit dem 18. August nicht wieder hervorgetreten. Patientin
hatte in den letzten Tagen keinen Schmerz, keine subjective
Hitze. Der Appetit war gut, der Stuhlgang regelmässig,
Defaecation schmerzlos. Die Schnittfläche des Uterus hat sich
sehr verkleinert und ist mit schönen Granulationen bedeckt
Leicht gelblicher Ausfluss aus der Vagina. Einspritzungen.
17. September. In der Vagina fühlt man hinter der
Portio vaginalis eine rundliche, ziemlich resistente Geschwulst,
so dass zwischen Portio vaginalis und letzterer der Finger
eindringen kann. Die Sonde wendet sich bei der Einführung
mit der Concavitat nach hinten; wird die eingeführte Sonde
mit der Concavitat nach oben gekehrt, so verschwindet die
Geschwulst hinter der Portio. Die Sonde dringt ungefähr X"
214 IX. Martin, Ueber Verfolge rimg des ftchetdentheiU
Aber die Norm in den Uterus ein. Die Wufldfliche an der
Portio vaginalis ist auf ein Minimum reducirt. Keine Be-
schwerden beim Stuhlgange; keine Beschwerden Seitens der
Retroflexkm.
Da die Operirte auch bei längerem Anfrechtstehen und
Herumgehen Ober keinerlei Beschwerden klagte, auch keinen
Vorfall zeigte, wurde sie Ende September aus dem Kranken-
hause entlassen.
IL Seit zwölf Jahren Gebärmuttervorfall mit Cysto-
cele. Uterus 5" lang. Abtragung des verlängerten
Scheidentheils. Unvollständige Heilung.
Frau /?., geb. A.s Wiltwe, 43 Jahre alt, mager, gross,
kam am 16. October 1861 in die gynäkologische Klinik.
Patientin ist seit ihrem sechszehnten Jahre regelmässig
alle vier Wochen menstruirt, mit durchschnittlich eintägiger
Dauer. • Im Jahre 1848 verhcirathet, im October 1849" mittels
Zange entbunden, bemerkte sie plötzlich drei Wochen nach
der Entbindung, als sie sich bockte, dass aus der Scheide
eine hfthnereigrosse Geschwulst hervortrat. Ein GefiftM von
Schwere und von Hinabgleiten eines Körpers m der Scheide
war sogleich nach der Entbindung vorhanden und veranlasste
Patientin immer etwas gebückt zu geben. Die Geschwulst
wurde durch eine Hebamme reponirt und ein Schwamm ein-
gelegt, der jedoch alsbald herausglitt, wenn Patientin einige
Schritte zu gehen versuchte. Im Jahre 1851 wurde Patientin
abermals schwanger, war während der Schwangerschaft frei
von ihren froheren Leiden bis zum November 1861, wo sie
von Zwillingen entbunden gleich nach der Geburt den froheren
Tumor wieder bemerkte. Patientin hat seitdem mehrere Jahre
hindurch verschiedene Matterkränze getragen, jedoch woflte
keiner vollständig passen.
States praesens am 2. November 1861. Vollständiger
Ptolapsus uteri, Cystooele, jedoch so, dass der Scheidentheil,
zumal an- der vorderen Lippe, 3" die Verbindungsstelle mit
der Harnblase überragte, und dass ein grösserer Tbeil der
Harnblase hinter der Scbamfuge mittels der Sowie nach-
zuweisen iet, keine Rectocele; inversio vaginäe. Am Orificii»!»
enternum uteri eine erodirte Fläche. Am Introitus vagmwe
4*r Gebärmutter bei Sdrwaagertn et«. 216
an der hinteren Commissnr ein rundes Geschwür. Uterus
4" 10" lang. Umschläge mit Sol. Cupri sulphur., Bäder nät
Decoct. cort. quercus. Heilung des Geschwürs.
25. November. Nach Anästheairung der Kranken durch
Chloroform- Dämpfe wurden zwei starke Nadeln unterhalb der
Verbindungsstelle mit der Blase durch den Mutterhals gestochen
und der Ltier'sche Ecraseur unmittelbar darunter angelegt
und langsam zugeschraubt. Nach Abtragung des Scheidentheils
wurde die Nachblutung durch Aufstreichen von Liquor fcrri
sesquichlorati gestillt. Kalte Umschläge.
26. November. Befinden gut, keine Nachblutung, etwas
Frost am Vormittage.
27. November. Uterus in die Vagina zurückgezogen ; keine
Störung des Allgemeinbefindens. Eiterig- blutiger Ausßuss.
9. December. In Folge der anhaltenden Ruckenlage
Retroversio uteri. Die Operirte verlässt das Bett.
1862. 10. Januar. Uterus iys" zu lang, keine deut-
liche Retroversio mehr.
7. Februar. Der Prolapsus vaginae anterior mit Cystocele
hat sich wieder eingestellt Die Blase geht bis an den Mutter-
mund. Uterus %" zu lang. Die Wunde am Mutterhalse
vollständig vernarbt.
Am 16. Juni 1862 wurde die partielle VerscUieseuog des
Scheidenausganges durch Elylrorapbie vorgenommen, nachdem
verschiedene Retentionsapparate vergeblich angewendet . waren.
III. Seit zwei Jahren Hervorragen des Scheiden-
theils aus der Scheidenöffnung. Uterus fast 5"
lang. Abtragung des Scheidentheils. Vollständige
Heilung.
Frau K. aus T.t 37 Jahre alt, kleiner Statur, wohlgenährt,
regelmässig menstruirt, gebpr vor drei Jahren ohne besondere
Zufalle, blieb aber seit dem Wochenbette leidend und concipirte
nicht wieder. Einige Monate nach ihrer Entbindung bemerkte
sie , dass unter dem Gefühle von Herahdräftgen etwas in den
Scheidenausgang trat, das sie bei dem Stehen und Gehen
belästigte. Ein vor Jahresfrist auswärts consultirter angesehener
Arzt verwies die Patientin an mich; dennoch stellte sie sich
erst am 6. April 1862 mir vor. Ich fand den verdickten und
216 IX- Martin, Utbftr Verl&ngeniBg cUs SdieKUntheils etc.
verlängerten Scheidentheil als eine hellrothe unebene massig feste
Geschwulst, an welchem die vordere Lippe betrachtlich ober die
hintere hervorragte, etwa 2" lang aus dem Scheideneingange
hervorsehend; der Muttermund, eine verhällnissmässig kleine
verzogene Querspalte erschien versteckt Die Länge des ganzen
Gebärmutterkanales betrug 5", derselbe war nicht geknickt; die
Harnblase zeigte sich nicht merklich herabgesunken, ebenso
wenig die hintere Hälfte des Scheidengewölbes. Nachdem
die Menstruation abgewartet war, wurde die auf dem Rande
eines Operationstisches liegende Patientin chlor oformirt, der
bypertrophirte Scheidentbeil mit der Mus etiaf sehen Zange am
unteren Ende gefasst, am oberen Ende unterhalb der Verbindung
mit der Harnblase mit zwei 4 Zoll langen derben Stahlnadeln
durchstochen, mit der Kette des Luer'schen Ecraseurs un-
mittelbar darunter umgeben und allmälig zugeschraubt In
fünf Minuten war der Scheidentheil abgetrennt Die durch die
Nadeln fixirte Wundfläche blutete fast gar nicht, so dass nach
V4 Stunde die Nadeln entfernt und der Scheidentheil in die
Scheide, welche zu mehrerer Sicherheit mit in verdünntem
Liquor ferri sesquichlorati getränkten Wolltampons ausgefüllt
wurde, zurückgebracht werden konnte. Bei kühlen Wasser*
Umschlägen auf den Unterleib verliefen die ersten Tage ohne
erhebliche Reaction. Unter Einspritzungen mit lauem Lein-
samenschleim verschwand alle Empfindlichkeit, weshalb bereits
am 20. April eine Auflösung von Cuprum sulphuricum zu
den Injectionen verwendet und am 23. die rothe unebene
Wundfläche mit einer Lösung des Argentum nitricum in
Wasser Qj in $v) begossen wurde. Am 5. Mai stellte sich
die Menstruation in gewöhnlicher Weise ein. Nach Ablauf
derselben wurden Einspritzungen mit einer Lösung von
Zincum sulphuricum verordnet, und am 23. Mai erschien der
Muttermund gehörig formirt, die vordere Lippe mit der
hinteren gleich lang und an der gehörigen Stelle im Becken
alle Functionen in bester Ordnung, so dass Patientin geheilt
in ihre Heimath abreisen konnte.
X. Braun, Bericht über die Ereignisse etc. 217
X.
Bericht über die Ereignisse in der unter der
Leitung des Herrn Prof. Dr. Hecker stehenden
geburtshülf liehen Poliklinik der königL Ludwig-
Maximilians -Universität zu München
vom 1. October 1859 bis zum 30. September 1861.
Von
Dr. M. Braun,
praktischem Arzt and Hülfsarzt an der Poliklinik.
Innerhalb der genannten zwei Jahre kamen in der geburts-
hilflichen Poliklinik, welche in derselben Weise, wie sie ihr
Gründer, Herr Professor Hof mann, wiederholt beschrieben,
fortgeführt wurde, im Ganzen 613 Geburten, 1859—1860 485,
1860 — 1861 428, zur Beobachtung. Im Gegensatze zur
Klinik fanden sich unter den 913 Gebärendeu 391 verheirathele
und 522 ledige, während in erslerer nur ausnahmsweise ver-
heiratete Frauen Aufnahme suchen und finden.
Dem Älter nach standen zwischen
15 und 20 Jahren 51,
21 „30 „ 451,
31 „ 40 „ 353,
41 „ 50 „ 58.
Die jüngste Gebärende befand sich im 16. Jahre, die
Älteste zählte 49 Jahre 6 Monate.
Unter den 913 Gebärenden fanden sich 301 Primi- und
612 Multiparae. Das Verhällniss zwischen beiden ist demnach
etwa das von 1:2, weicht also gar nicht von demjenigen,
wie es in der Klinik beobachtet wurde (1 : 1,9) ab.
Unter den 612 Mehrgebärenden wurden beobachtet:
214 Zweitgebärende, 21 Siebentgebäreuile, 3 Zwölftgebärende,
127 Dritt- „
26Acht-
w
, 5 Dreizehn t-
114 Viert -
| lONeunt-
n
1 Fünfzehnt-
49 Fünft- „
, 7 Zehnt-
»
2 Siebenzehnt-
27 Sechst- „
! 3 EM-
»»
,
Monatiiobr. f. GeburUk. 1868. Bd. XX., Hfl. 8. 16
218 *• Braun, Bericht übt* die ErejgaUse
Unter den 913 Geburten kamen 24 Mal Zwillinge vor,
also in .einem Verhältnisse, wie 1 : 38, was aus naheliegenden
Gründen nicht zu statistischen Betrachtungen verwerthet
werden kann; abnorme Fälle sind in einer geburtshülflichen
Poliklinik im Verhältnisse zu den normalen ungewöhnlich
zahlreich, so auch Zwillingsgeburten.
Von den Geburten waren 826 zeitige, 49 unzeitige und
38 frühzeitige; die Gesammtzahl der geborenen Kinder be-
trug 937, von denen 495 männlichen und 418 weiblichen
Geschlechts waren; bei 24 Abortivfrüchten konnte das Ge-
schlecht nicht bestimmt werden.
I. Ans der Physiologie der Geburt.
Es wurden im Ganzen 880 Geradlagen und 23 Quer-
lagen beobachtet; bei 34 Embryonen war die Lage unbestimmt.
Bei den 880 Geradlagen zeigte sich 807 Mal der Scheitel
vorliegend und zwar' 628 Mal in erster, 175 Mal in zweiter
Position; dazu kamen nach dir Angabe der Praktikanten
4 Vorderscheitellagen, eine Anzahl, die verhäftnissmässig zu
gering ist, um nicht auf Beobachtungsfehler schliessen zu lassen.
Gesichtslagen kamen 10 Mal, Beckenendlagen 63 Mal vor.
A. Gesichtslagen.
Die 10 beobachteten Fälle ereigneten sich sämmtlicb am
normalen Ende der Schwangerschaft und zwar bei 3 Erst-,
2 Zweit-, 1 Dritt -> 2 Fünft- und 2 Siebentgebärenden.
Als ursächliche Momente für das Zustandekommen der-
selben Hess sich mehrfach eine eigentümliche Configuration
des kindlichen Kopfes , nämlich bei nicht unbedeutender Grösse
desselben eine geringe Differenz zwischen geradem und
diagonalem Durchmesser erkennen. In wie weit die Gesichts-
lagen aus Schieflagen entstanden waren, darüber lässt sich .
nichts angeben, weil die betreffenden Personen nicht vor der
Geburt untersucht worden waren. Einige frappante Fälle,
welche zufällig in letzter Zeit sich zusammengedrängt haben,
wird Herr Prof. Hecker bei einet anderen Gelegenheil
publiciren, doch kann hier nicht unerwähnt bleiben, das* ü
vier Fällen eine gewisse Rigidität der vorderen Muttermünds-
lippe für das Zustandekommen der ungewöhnlichen Haltung
in der geburtahtilflichen Poliklinik zu München etc. 219
des Kopfes nicht unwichtig erschienen war. Die Geburtsdauer
schwankte in der ersten Periode zwischen 5 und 36 Stunden,
in der zweiten zwischen 4 und 14 Stunden. Die Kinder
wurden bis auf eines lebend geboren; bei zweien wurde die
massige Asphyxie schnell beseitigt; der Tod des einen Kindes
schien seine Ursache in frühem Abflüsse des Fruchtwassers
und zu langer, nämlich vierzehnstündiger Dauer fder zweiten
Geburtsperiode zu haben. Indication zur Kunsthülfe war
nicht vorhanden, da vor dem Durchtritte des Kopfes der
kindliche Herzschlag noch deutlich gehört worden war. Ueber-
haupt wurde ein operativer Eingriff nur in einem Falle vor-
genommen; bei einer Erstgebarenden nämlich musste nach
normal geborenem Kopfe der Rumpf manuell entwickelt werden.
Das Wochenbett verlief in allen Fällen günstig ; eine 32jährige
Fünftgebärende, welche an weit vorgeschrittener Laryngo-
phthisis litt, wurde nach acht Tagen eines relativ normalen
Puerperiums, wie gewöhnlich, anderweitiger Behandlung
B. Becke-nendlagen.
Die 63 Fälle von Beckenendlagen, zu denen 15 bei
24 Zwillingsgeburten gehören, kamen bei 23 Primiparis und
40 Multiparis vor. Man beobachtete 36 erste, 14 zweite
Steisslagen, 9 erste und 4 zweite Fusslagen.
Die Einteilung nach der Frage, ob sich der Rücken des
Kindes in der linken oder rechten Mutterseite befindet, zeigte
sich in allen Fällen ausreichend und durchführbar; im Verlaufe
der Geburt wurde allerdings nicht ganz selten ein Wechsel
in der Position, also z. B. der Uebergang einer ersten in
eine zweite Steisslage bemerkt
Dass Beckenendlagen relativ häufiger bei lrühreifen Kindern
beobachtet werden, fand man bestätigt, denn unter den
63 Fällen waren nur 45 Kinder ausgetragen, 18 dagegen
unreif, und zwar waren die Früchte 1 Mal aus dem fünften,
4 Mal aus dein sechsten, 7 Mal aus dem siebenten, 6 Mal
aus dem achten Monate der Schwangerschaft.
Von den 63 Kindern waren vier vor der Geburt ab-
gestorben, 15 gingen während der Geburt zu Grunde, es
wurden mitbin 44 lebend geboren und von diesen befanden
sich 13 in einem Zustande geringerer oder höherer Asphyxie.
220 X Braun, Bericht über die Ereignisse
Das angegebene Mortalitätsverhältniss erscheint nicht
ungünstig, wenn man die Schwierigkeiten der poliklinischen
Praxis berücksichtigt und ferner bedenkt, dass die Zwillings-
geburten mit eingerechnet sind, dass überhaupt 18 unreife
Früchte dabei figuriren.
Eine operative Nachhülfe zeigte sich bei den Beckenend-
lagen nicht, selten nothwendig und wurde in den meisten
Fällen ohne besondere Schwierigkeit ausgeführt Einzelne,
die zum Theil freilich in das Gebiet der Pathologie der Geburt
gehören, mögen hier schon Erwähnung finden.
1. Bei einer SOjfihrigen Sechstgebärenden, welche früher
mit der Zange entbunden worden, machte die Entwickelang des
durch seine Grösse im Missverhältnisse mit den mütterlichen
Theilen stehenden Kopfes viel Mühe, konnte jedoch ohne An-
wendung der Zange bewerkstelligt werden, das Kind blieb eine
halbe Stunde aspbyktisch, wurde aber wieder belebt.
2. Bei einer 43jKhrigen Viertgebärenden mnsste wegen
Pulslosigkeit der zwischen den Schenkeln hin durchlaufenden
Nabelschnur die Geburt beschleunigt werden; auch hier wurde das
Kind zum Leben gebracht.
3. Eine 20 jährige Erstgebärende kam am 2. April 1860
nieder, und präsentirte sich das nicht ausgetragene Kind in zweiter
Fusslage; drei Wochen vorher waren bei ihr heftige eqlamptische
Anfälle beobachtet worden, die, ohne dass Wehen zu Stand©
kamen, aufhörten; diesen Fall hat Prof. Hecker in seiner „Klinik ■,
8eite 137, beschrieben.
C. Zwillingsgeburten.,
Wie schon erwähnt, kamen 24 Fälle von Zwillingsgeburten
zur Beobachtung, und zwar bei 8 Erst-, 3 Zweit-, 3 Dritt-,
6 Viert-, 3 Fünft. -, 1 Achtgebärenden. Die Diagnostik der
Zwillingsgeburt muss begreiflicher Weise in der Poliklinik
auf viel grössere Schwierigkeiten stossen, als in der Klinik;
es ist daher auch nur in wenigen Fällen vor Ausstossung des
Kindes möglich gewesen, mit Präcision das Vorhandensein
von Zwillingen nachzuweisen.
Die 48 Kinder stellten sich in folgenden Lagen zur Geburt.
Beide Kinder in Kopflagen 6 Mal.
Erstes Kind in Kopf-, zweites in Schief läge . . 5 „
„ „ » » „ ,, Beckenendlage 4 „
„ „ „ Beckenend-, zweites in Kopflage 4 „
Beide Kinder in Beckenendlagen . 3 „
in der geburtsbütflichen Poliklinik au München etc. 221
Beide Kinder in Schieflagen 1 Mal.
Erstes Kind in Schief-, zweites in Beckenendlage 1 „
Die Zeit zwischen der Geburt des ersten und des zweiten
Kindes betrug 4 Mal % Stunde, 5 Mal ya Stunde, 4 Mal
1 Stunde, 2 Mal l'/2 Stunde, 4 Mal 2!/2 Stunde, 1 Mal
3 Stunden, 1 Mal 8 Stunden, 2 Mal 10 Stunden.
Der Geburtsverlaul' war in 12 Fällen ein ganz regel-
mässiger, in 2 Fällen trat nach der Geburt des ersten Kindes
länger dauernde Wehenschwäche ein, welche schliesslich durch
Sprengen der sehr dicken Eihäute gehoben wurde. In einem
Falle von Querlage beim zweiten Kinde musste wegen profuser
Blutung der Wendung auf einen Fuss sogleich die Extraction
des Rumpfes und manuelle Entwickelung des Kopfes folgen;
das grosse reife Kind war in Folge frühzeitiger Lösung der
Placenta an Anämie zu Grunde gegangen.
Erwähnenswerth erscheinen an dieser Stelle schon zwei
Fälle, wo nach normaler Geburt des ersten. Kindes je in
erster Scheitellage das Leben des zweiten Kindes durch
mangelhaft ausgeübte Kunsthülfe von Seite unwissender Bader
gefährdet wurde.
Der erste betraf eine achtgebärende 39 jährige Feldwebelsfrau,
welche schon einmal Zwillinge zur Welt gebracht hatte; nachdem
am 11. Februar 1860 Morgens 2 Uhr das erste Kind in erster
Scheitellage geboren war, stellte sich bald darauf eine «weite
Frnchtblase; die anwesende Hebamme sprengte dieselbe, da sie
keinen Kindestheil vorliegend fand, und zog das linke Aermchen
herab, welches sie für eine untere Extremität hielt; zugleich
fiel eine grosse Schlinge der Nabelschnur vor. Der nunmehr
hinzugezogene Landarzt versuchte bald mit dem rechten, bald
mit dem linken Arme die Wendung ohne Erfolg, und so wurde
nach drei Stunden poliklinische Hülfe in Anspruch genommen.
Man fand die Frau in hohem Grade erschöpft, dabei aber be-
ständig pressend, das Kind in zweiter Schulterlage, erster Unterart,
vorliegend, die linke Schulter fest im kleinen Becken eingekeilt.
In einer tiefen Chloroformnarkose gelang die Wendung auf den
linken Fuss nicht ohne Schwierigkeit. Das Kind, ein kräftiger
Knabe, war todt. Die Wöchnerin genas.
Im zweiten Falle, bei einer 32jährigen viertgebärenden
Zugführersfrau, war die Complication eine noch grössere. Die
Geburt des ersten Kindes hatte Morgens 7 Uhr am 6. April 1860
stattgefunden; bis Abends ö'/4 Uhr, wo die Poliklinik intervenirte,
waren nicht nur drei vergebliche Wendungsversuche gemacht
X. Braun, Bericht über die Ereignisse
worden, sondern man hatte auch Wehenpnlver ans Seeale und Borax
bestehend, verabreicht; das abgestorbene Kind konnte nur mit
der grössten Mühe gewendet und extrahirt werden. Die Mutter
wurde von einer heftigen Endo- und Perimetritis befallen, von
der sie erst nach Ablauf von vier Wochen genas.
Im Gegensätze zq diesen beiden Fällen steht ein anderer,
wo die rechtzeitige und zweckmässige Intervention der Kunst
gluckliche Resultate hatte.
Bei einer 34jährigen Zweitgebärenden stellte sich das erste
Kind in erster Schulterlage erster Unterart, das «weite in zweiter
Schulterlage zweiter Unterart zur Geburt; durch Wendung und
Extraction wurden beide Kinder, ein Knabe und ein Mädchen,
lebend zu Tage gefordert; das Wochenbett verlief normal.
Bei zwei Erstgebärenden musste die Zange applicirt werden
und zwar ein Mal an den Kopf des zweiten Kindes, weil sich
nach normalem Durchtritte des ersten in zweiter Steisslage
der des letzteren schon um 10 Stunden verzögert und sich
eine bedenkliche Erschöpfung der Kreissenden, sowie Gefahr
für das Leben des Kindes deutlich herausgestellt hatte. Nach
rascher Entwickelung desselben konnte es trotz hochgradiger
Asphyiie zum Leben gebracht werden. Die Mutter erholte
sich schnell. Im zweiten Falle fand die Anlegung an den
Kopf des ersten Kindes statt und zwar wegen totaler Wehen-
schwäche, die durch andere Mittel erfolglos bekämpft worden war.
Der gleichzeitige Durchtritt des nachkommenden Kopfes
des ersten Zwillings mit dem vorangehenden des zweiten,
durch Naturkräfte bewirkt, wurde, ebenso wie der Vorfall
der Pläcenta des zweiten Kindes nach der Geburt des ersten,
in der „Klinik", Seite 80 ff., von Prof. Hecker oiftgetheilt.
In zwei Fallen war neben dem Kopfe der rechte Arm
vorgefallen, nach dessen Reposition jedoch die Geburt durch
die Naturkräfte jedes Mal beendet wurde.
Vier Mal wurde nach Ausstossung beider Früchte Atonie
des Uterus beobachtet, in Folge dessen heftige Blutungen
auftraten, welche in einem Falle durch Reibungen und Ver-
abreichen von Seeale cornutum, in zwei Fällen durch manuelle
Entfernung der Blutcoagula aus dem Uterus und Injectionen
von kaltem Wasser, bei einem weiteren, nachdem dieselben
Manipulationen erfolglos geblieben, durch Injectionen von
Liquor ferr. sesquichlorati (3j auf % ß Wasser) gehoben wurden.
in der gaburtehtilffichen Poliklinik mn München etc. 228
V«n den Zwtföngskindern waren 20 ausgetragen, 28 nicht
reif; von diesen 6 aus dem sechsten, 6 aus dem siebenten,
4 aus dem achten, 12 aus dem neunte« Monate der Schwanger-
schaft Dem Geschlechte nach waren es 6 Mal je zwei Knaben,
1 Mal je zwei Mädchen, 17 Mal ein Knabe und ein Mädchen.
Es wurden 36 Kinder lebend und 12 todt geboren, von
denen 4 vor der Geburt abgestorben waren. Von den 36
lebend geborenen blieben 29 innerhalb der ersten acht Tage
am Leben, 7 starben an Atrophie nnd Lebensschwäche.
Die Placenten waren 15 Mal nit einander verwachsen,
0 Mal von einander getrennt; die Eihäute zeigten sich immer
doppelt
Marginal- Insertion der Nabelschnur war 13 Mal bemerkt
worden.
In einem Falle zeigte sich eine i Placenta im Zustande
körniger Zotteninfiltration in Folge von Verödung der befasse.
Der derselben angehörige Fötus war in seiner Entwickelung
hb Vergleich zu dem anderen, dessen Ausbildung dem siebenten
Monate der Schwangerschaft entsprach, um zwei Monate
zurückgeblieben und in lipoider Umwandlung. Sein frühzeitiges
Absterben erklärte sich aas einer Torsion der Nabelschnur,
weshalb die Veränderung in der Placenta als *ecundär be-
trachtet werden musste.
II. Aus der Pathologie der Schwangerschaft und Geburt.
Unter den Goraplicationen der Schwangerschaft resp.
Geburt dürften folgende Erwähnung verdienen. Störungen
kn venösen Kreisläufe traten in höherem Grade nur bei zwei
Schwangeren auf; beide waren Erstgebärende, die eine 17,
die andere 37 Jahre alt, beide hatten viel Eiweiss im Urin,
Oedem der unteren Extremitäten und des Gesichtes, beide
•kamen im siebenten Monate ihrer Schwangerschaft ohne
eclamptische Zufälle nieder, worauf der Hydrops and die
Albuminurie rasch abnahmen. Eine andere eigentümliche
Circulationsstörung zeigte eine 30jährige Frau, indem Er-
scheinungen der Anämie sich combinirt zeigten mit deutlich
nachweisbarer sehr beträchtlicher Vergrösserung der Milz, die
w#W das Dreifache ihres gewöhnlichen Volumens angenommen
hatte. Inwiefern bei dieser ein in den ersten Monaten der
224 X. Brown, Bericht tttar die Ereignis««
Schwangerschaft auftretendes and allen Mitteln Trotz bietendes
Erbrechen mit diesem Milztumor in Zusammenhang stand,
liess sich nicht nachweisen; später wurde das Vorhandensein
von Zwillingen ohne Muhe diagnosticirt. Der Geburt und
dar sie complicirenden und nur durch Einspritzungen vom
Liquor ferri sesquichlorati zu stillenden Blutungen ist weiter
oben Erwähnung geschehen. Was später aus der Patientin
geworden, kann nicht angegeben werden.
Complication der Schwangerschaft mit Syphilis kam nur
zwei Mal zur Beobachtung. Bei einer * auf der Durchreise
befindlichen Erstgeschwängerten fand man Plaques muqueuses
und spitze Condylome an den äusseren Genitalien, dabei
syphilitische Rachengeschwüre; sie entzog sich einer weiteren
Beobachtung durch Abreise. Bei der zweiten, einer zum
fünften Male Schwangeren , waren im dritten Monate von
einem anderen Arzte Condylome weggeätzt und Sublimatpillen
verabreicht worden; sie kam unter Fortbestand der speeifischen
Symptome im sechsten Monate mit einer todtfaulen männlichen
Frucht nieder.
Unter den Krankheiten der Brustorgane mögen angeführt
werden eine rechtsseitige Pneumonie bei einer 27jährigen erst-
gebärenden Wäscherin, die sich am Ende ihrer Gravidität einer
heftigen Erkältung ausgesetzt hatte; nach regelmässiger Geburt
musste sie wegen Mangel an Pflege in das Krankenhaus
transferirts werden. Ferner fünf Fälle von Bronchitis ohne
nachteilige Ruck Wirkung auf Schwangerschaft und Geburt;
zwei Fälle von Insufficienz der Valvula raitralis ohne wesentliche
Verschlimmerung der massigen Symptome durch die Geburt
Bei einer 24jährigen Erstgeschwängerten wurde im vierten
Monate eine linksseitige eingeklemmte Schenkelhernie von der
Grösse einer Wallnuss beobachtet, welche reponirt werden
konnte; die übrige Zeit der Schwangerschaft verlief normal.
Bei einer 22jährigen Frau wurde im vierten Schwanger-
sebaftsmonate ein apfelgrosser Abscess der linken Bartbolinischen
Drüse eröffnet; nach Abfluss von ungefähr 3 Unzen mit Blut
gemischten Eiters wurde sehr bald ein Verschluss des Abscesses
beobachtet
Ein 16jähriges erstgeschwängertes Mädchen erkrankte
im siebenten Monate an einem hochgradigen Typbus.
in der geburtthülfttebea Poliklinik so München etc. 226
Dieser Fall wird unter den Frühgeburten naher mitgetheilt
werden.
Frühgeburten.
An die erwähnten Erkrankungen schliessen sich die
Frühgeburten an, von denen die Poliklinik ein reichliches
Material aufzuweisen bat Im Ganzen wurden 87 Frühgeburten
beobachtet und zwar
1) als Abortus bis zum vierten Monate der Schwangerschaft
in 24 Fällen;
2) vom vierten Monate bis zur beginnenden Lebensfähigkeit
des Fötus in 24 Fällen;
3) jenseits des letzteren Termins in 39 Fällen.
Die Aetiologie der Frühgeburt war in vielen Fällen völlig
dunkel; 41 Mal Hess sich gar kein Anhaltspunkt für dieselbe
gewinnen, wogegen 46 Mal ursächliche Momente aufgefunden
werden konnten. In 26 Fällen schien die Ursache auf Seiten
des Eies zu liegen und zwar war die Frühgeburt 9 Mal ab«
hängig von Erkrankung der Placenta , resp. der Chorionzotten,
wobei umfängliche Blutextravasate in erster Linie zu nennen
sind; die Fälle betreffen besonders Eier aus dem zweiten und
dritten Monate der Schwangerschaft In 6 Fällen hatte die
Placenta einer abnorm tiefen Sitz : Placenta praevia. In einem
weiter unten näher zu beschreibendem Falle war die Ent-
wicklung der Placenta nicht zu Stande gekommen und in
Folge dessen das Ei zu einer Mola hydatidosa degenerirt.
In 10 Fällen lag die Ursache im Abgestorbensein der Frucht,
und für diesen frühzeitigen Tod Hessen sieb wiederum folgende
erklärende Anhaltepunkte auffinden:
Zwei Mal zeigten .sich Bildungsfehler der Frucht; ein Mal
war der Fötus ein sogenannter Agnatbus, der bei einer anderen
Gelegenheit von Herrn Prof. Hecker näher beschrieben und
abgebildet werden wird; der zweite betraf eine Spina bifida;
die dem achten Schwangerschaftsmonate angehörige Frucht
rührte von einer 21jährrgen Erstgebärenden her und zeigte
eine apfelgrosse mit einer gelblichgrünen Flüssigkeit gefüllte
Geschwulst am Kreuzbeine, die sich zwei Stunden nach der
Geburt spontan entleerte. Dabei waren beide unteren Ex-
tremitäten im Hüftgelenke contrahirt und im Kniegelenke in
vollständiger fester Streckung befindlich, so dass die FüaM,
226 X. fron», Bericht über A« Breignitpe
die beide hochgradige Klumpfüsse darstellten, bei natürlicher
Lage der Frucht das Kinn beröhrten. Das Kind manntichftn
Geschlechts starb erst 16 Tage nach der Geburt an Gangrän
des oben angegebenen Sackes und Atrophie. Bei der Obduction
Hand man besonders die Musculi psoas, üiaci intern, addoctores,
vasä o. 8. w. fibrös entartet.
In zwei Fällen rührte der Tod der Frucht von dem
Einflüsse eines überlebenden Zwillingskindes her.
In einem Falle war der Tod abhängig von Torsion der
Nabelschnur, in einem anderen von zweimaliger ungewöhnlich
fester Umschlingung der platten Nabelschnur um den kind-
lichen Hals.
In den vier übrigen Fällen konnte der Tod der Frucht
nicht erklärt werden.
In 20 Fällen lag die Ursache der Frühgeburt auf Seite
der Mutter, und zwar fanden sich: Drei Mal Morbus ßrightii,
davon ein Mal mit eclamptischen Anfallen; ein Mal ßla$en-
katarrh mit Urethritis; ein Mal Cholera nosiras; ein Mal Typhus,
ein Mal Syphilis; drei Mal ausgeprägte Körperschwäche; drei
Mal körperliche Anstrengung, und zwar ein Mal nach einer
weiten Reise, ein Mal nach heftigem Tanzen, einmal nach
starkem Drängen bei schwerer Defacation; drei Mal musste
die Frühgeburt als die Wirkung eines äusseren Insultes auf-
gefasst werden, nämlich zwei Mal trat sie ein nach heftigem
Falle auf den Körper und ein Mal nach schwerer Miss-
handlung. Der Einfluss von Gemüthsaffecten konnte in vier
Fällen nicht weggeläugnet werden.
Hiernach mag noch eine Zusammenstellung der Früh-
geburten nach den Monaten, in denen sie sich ereigneten,
folgen:
Im Januar kamen
vor
16
Im April kamen vor
5
„ Februar „
r>
13
„ November ,, „
4
„ September „
n
12
„ December „ „
4
„ October „
n
8
»Juli »
4
„ März „
»»
7
„ August „
4
n Mai
W
7
n Juni * »
3
In Besag auf die Lagen der Fracht muse bemerkt wenden,
in 31 Fälen eine solche nicht angegeben werden konnte,
in der geburUhülffichen Poliklinik zu München etc. 227
dass man sie dagegen in 56 Fällen zu diagnoßticiren im
Stande war. Im Allgemeinen wurden nämlich beobachtet
34 Kopf-, 17 Beckeuend- und 5 Querlagen. Der Geburten
verlauf wich in 54 Fällen nicht von der Norm, ab; in den
übrigen zeigten sich verschiedene Abweichungen, 6 Mal Pia-
centa praevia, 1 Mal Vorfall der Nabelschnur, 1 Mal Vor-
lagerung des Armes neben dem Kopfe, 3 Mal war der
Geburtsverlauf präcipitirt, 4 Mal dagegen so verlangsamt und
mit so starken Blutungen complicirt, dass das Ei künstlich
manuell entfernt werden musste. In 5 Fällen musste wegen
Querlage die Wendung gemacht werden. Die meisten Störungen
kamen aber in der Nachgeburtsperiode vor; in 14 Fällen
nämlich beobachtete man Zögerung in der Ausstossung der
Nachgeburt, die fast immer mit mehr oder wenigen Blutungen
verbunden war. Eine künstliche Lösung der Placenta wurde
jedoch nur in fünf Fällen nothwendig und wurde hierbei
immer an dem Grundsatze festgehalten, möglichst bald nach
Ausstossung der Frucht zu operiren und dabei durch Druck
von aussen her mit der nicht operirenden Hand sich die
Manipulationen innerhalb der Genitalien zu erleichtern. Wie
wichtig dieser Grandsatz ist, hatte man in folgendem Falle
Gelegenheit, zu erfahren.
Bei einer 21jährigen Erstgebärenden, bei welcher fünf
Stunden nach Ausstossung der fünfmonatlichen Frucht die zur
Entfernung der Placenta angestellten Operationsversuche an der
schon wieder eingetretenen Enge des inneren Muttermundes
gänzlich scheiterten, da die Blutung eine massige war und man
sich von der Unmöglichkeit zu operiren überzeugt hatte, über-
liess man die Sache der Natur, durch welche dann auch nach
Ablauf von 48 Stunden die Ausschliessung der Placenta erfolgte.
Die Wöchnerin erkrankte an Mania puerperalis, welche später
noch Erwähnung findet.
Auch noch in einem zweiten Falle, bei einer 36 jährigen
Achtgebärenden, welche in Folge von Schrecken im vierten
Schwangerschaftsmonate unter heftigen Blutungen aborthrt hatte,
konnte die Placenta auf keine Weise entfernt werden; erst am
siebenten Tage, nachdem wiederholte Schüttelfröste, Schmerz-
haftigkeit des Uterus, übelriechender Lochialfluss und andauernde,
Temperaturerhöhung das Vorhandensein einer Endometritis resp.
Metro phlebitis wahrscheinlich gemacht hatten , wurde die Placenta
in kaum zersetztem Zustande ausgestossen, worauf die stürmischen
Symptome rasch schwanden und die Wöchnerin genas.
228 x- Jfr<nm, Bericht über die Ereignisse
An diesen Fall wollen wir einen anderen anreiben, bei
dem . intrauterine durch Placenta praevia bedingte Blutungen
im vierten Monate der Schwangerschaft das Leben der
Patientin gefährdeten.
Eine 29 jährige Fr an, welche Bieben Kinder gehabt hatte,
concipirte Anfangs Januar 1860 von Neuem. Nachdem Anfangs
März and Anfangs April mehrere Tage hindurch Blutungen be-
standen hatten, folgte in der zweiten Hälfte des letzteren Monates
ein continuirlicher Abgang einer fleisch wasserähnlichen Flüssig-
keit in Verbindung mit Kreuzschmerzen und grosser Mattigkeit.
Am 2. Mai, wo sie in poliklinische Behandlung kam, fand man
deutliche Zeichen von Blutleere, nämlich Blässe der Schleimhäute,
frequenten Puls und häufig wiederkehrende Obnmachtsan Wandlungen.
Der Uterus hatte eine dem sechsten Monate der Schwangerschaft
entsprechende Ausdehnung, reichte bis zur Nabelhohe und fühlte
sich elastisch gespannt an. Da man keine Kindestheile durch-
fühlen konnte, war schon durch die äussere Untersuchung die
Vermuthung einer internen Blutung sehr nahe gelegt; durch die
innere Exploration fand man die Scheide heiss , das vordere
Scheidengewölbe herabgedrängt, gespannt und empfindlich, die
Vaginalportion nach hinten und links stehepd, etwa 4 Linien
lang, mit einem durchgängigen äusseren, aber geschlossenen
inneren Muttermunde. Bei massigem Blutabgange und nach dar
Darreichung eines Infusi Seealis cornuti stellten sich Abends
Wehen ein, die sich unter höchst bedrohlicher Zunahme der
Allgemeinerscheinungen allmälig verstärkten. Den 3. Mai Morgens
2 Uhr war der Puls ganz fadenförmig, die Extremitäten kalt, die
Respiration kurz und beschleunigt und fast völlige Bewusstlosig-
keit zugegen. Durch den jetzt thalergrossen Muttermund fühlte
man deutlich Placentargewebe, und dabei war von einer stärkeren
externen Blutung nicht die Rede; zwei Stunden darauf wurde
ein viermonatlicher Fötus nebst einer blassen zerklüfteten Placenta
spontan ausgestossen , und beiden folgte eine grosse Quantität,
vielleicht 2 Pfund, coagulirten Blutes nach; die Wöchnerin er-
holte sich langsam, war aber doch nach drei Wochen völlig
hergestellt
Die übrigen Fälle von Placenta praevia werden an einer
anderen Stelle Erwähnung finden.^
Zu den durch Abnormitäten der Eihäute bedingten Früh-
geburten gehört auch noch der weiter oben schon erwähnte
Fall von Mola hydalidosa.
Eine 86 jähr ige Frau kam am 19. Februar 1861 wegen Früh-
geburt in poliklinische Behandlung; die Anamnese ergab Folgendes:
Bei der im Allgemeinen gesunden Person war die erste Menstruation
in der geburtshtilflichen Poliklinik au München etc. 229
Im 14. Lebensjahre ohne besondere Beschwerden eingetreten,
hatte sieh aber nnr sehr spärlich entwickelt and ceesirte bald
wieder and »war bis zu ihrem 24. Leben« jähre vollkommen, in
welcher Zeit sie an den Erscheinungen der Chlorose gelitten
haben wollte. Nach ihrem Wiedereintritte sn genannter Zeit war
sie stets unregelmässig, so dass sie bald in 8, bald in 14 Tagen
wiederkehrte, mitunter ein halbes Jahr vollständig aasblieb. Mit
32 Jahren wurde sie zum ersten Male schwanger and gebar an
rechter Zeit einen gut entwickelten Knaben, der am Leben blieb.
Am 24. August 1860 war sie zum letzten Male menstruirt, und
bezeichnete mit grosser Bestimmtheit den 8. September als den
Tag der Conception, eine Angabe, die glaubwürdig erschien.
Im Deeember 1860, also im vierten Monate ihrer jetzigen
Schwangerschaft stellten sich Uterinblutungen ein, welche an
nnd für sicjfr ziemlich unbedeutend, bei jeder Anstrengung heftiger
worden, anfänglich ein mehr wässeriges, später, aber immer
dunkler werdendes Secret lieferten und niemals vollständig
sistirten. Im Febrnar wurde die Quantität des abfliessenden
Blutes eine reichlichere nnd gesellten sich vorübergehende Con-
tractionen des Uterus hinan, die am 19. Februar in wirklich
rytb mische Wehen übergehen. Durch die Untersuchung konnte
ohne Mühe das Vorhandensein einer Hydatidenmole constatirt
werden, denn einmal war der Umfang des Leibes im Verhältniss
sur angeblichen Daner der Schwangerschaft (sechster Monat) so
beträchtlich, man hatte auch nicht das Gefühl resistenter Kindes*
theile, und dann kam bei der inneren Exploration, nachdem
man eine Masse Blutcoagula ans der Vagina entfernt hatte, das
Corpus delicti in Form von grösseren and kleineren Stücken des
hydatidös degenerirten Eies zu Tage; dass eine Ueberkleidung
des letzteren mit einer Decidua vorhanden gewesen sein musste,
war leicht daraus erweislich , dass man an den genannten Stücken
an ihrem sieb förmigem Aussehen erkennbare Reste derselben
neben frischen und älteren Blutgerinnungen anhaftend fand. Die
Ausstossang der ganzen Mole, welche durch Darreichung von
Seeale cornutum und manuelle Kachhülfe befördert wurde, nahm
einen Zeitraum von 14 Stunden in Anspruch, das Gewicht der
ganzen herausbeförderten Masse konnte nicht genau eruirt werden,
mochte aber mehrere Pfände betragen; die Patientin, welche in
dieser Zeit in einen hohen Grad von Collapsus nnd Anämie
verfallen war, erholte sich verhältnissmässig schnell. Hervor-
gehoben darf noch werden, dass am dritten Tage des Wochen-
bettes eine starke Tnrgescenz der Brüste sieh einfand.
Eine zum fünften Male schwangere 35jährige Näherin wurde
in der Nacht des 5. October 1860 auf dem Wege zur Entbindungs-
anstalt in der 35. Schwangerschaftswoche von so heftigen Wehen
befallen, dass sie auf der Strasse niederkam. Nach Aufnahme
280 *• Braun, Bericht aber die Ereignisse
der Wöchnerin in die genannte Anstalt verlief des Wochenbett
gans normal; auch dai Kind hatte keinen Schaden genommen.
Interessant ist die Frühgeburt bei dem schon angegebenen
Falle von Typhus abdominalis.
Ein 16 jähriges Mädchen erkrankte im siebenten Monate ihrer
ersten Schwangerschaft im April 1860 anter heftigen typhösen
Erscheinungen, die insofern von den gewöhnlichen abwichen,
als sich deutlich Roseola entwickelte und ein Knsserst hartnäckiges
Xrnginöses Erbrechen mit hochgradigem Meteorfsmas and grosser
Empfindlichkeit des Abdomen das Vorhandensein tob Peritonitis
wahrscheinlich machten. Da das Kind die Zeit seiner Lebens-
fähigkeit schon um einige Wochen tiberschritten hatte nnd sicher
lebte, so wurde im Laufe des April vielfach die Frage gestellt,
ob nicht sn Gunsten des Kindes die künstliche Frühgeburt ein-
snleiten sei, doch nahm man immer wieder von der Ausführung
Abstand, weil man bei der grossen Erregbarkeit des jugendlichen
Individuums von der Operation einen naohtheiligen Einfluss auf
den Verlauf des Typhus erwarten inusste. Die Natur machte
den Verlegenheiten durch spontanen Eintritt von Wehen am
27. April ein Ende; die Kranke war indessen so erschöpft, dass
man die Geburt mit der Zange beenden musste. Das Kind, ein
Mädchen, dessen Entwickelnng etwa dem achten Schwange rschafts«-
monate entsprach, lebte bei der Geburt, ging aber am sechsten
Tage an Atrophie su Grunde. Die Befürchtungen, die man fßr
die Mutter an den Eintritt der Geburt geknüpft hatte, bestätigten
sich nicht; wenn auch die ersten Tage des Wochenbettes noch
sehr gefahrdrohende Erscheinungen darboten, indem sich häufiger
Collapsus einstellte, der Puls fortdauernd sehr frequent blieb
und sowohl Meteorismus als Erbrechen in gleicher Weise, wie
früher, fortbestanden, so trat doch Patientin etwa vom 3. Mai
an in das Stadium der Reeonvalescene, welche auch nicht weiter
gestört wurde.
Von den 87 Früchten wurden 37 lebend geboren und
von diesen blieben 20 am Leben, 17 starben innerhalb der
ersten acht Tage; unter den ersteren befand sich eines mit
hochgradiger Hypospadie, unter den letzteren eines mit links-
seitigem Labium fissum, das wegen Frühreife des Kindes nicht
operirt werden konnte; 26 wurden todt, 17 faultodt geboren,
bei 7 Aborten wurde keine Spur von Embryo gefunden.
Von den Wöchnerinnen, die zu früh entbanden, erkrankten 17,
und zwar 6 an Endometritis, 6 an den Erscheinungen der
Anämie, die übrigen an unbedeutenderen Störungen. Ein
tödtlicher Ausgang ereignete sich nicht
in der gt»vrtibüu1ftch«n Poliklinik in Mönchen etc. 231
Geburtshindernisse.
a) Wehenanomalien.
Anomalien Ar Wehen thäügkeit in Form der sogenannten
Wehenschwäche wurden bei 57 Geburten beobachtet; in
29 Fällen war das Einschreiten der Kunst nothwendig und
zwar bei 15 auf pbarmaceutiscbftm, bei 14 auf instrumentellem
Wege. In Bezug auf die Aetiologie wurde nichts Neues
beobachtet; in einem Falle hatte die Wehenschwäche ihren
Grund in einer durch den vorliegenden Kopf zurückgehaltenen
beträchtlichen Menge Fruchtwassers; nach Emporbeben des-
v selben mit den Fingern und dadurch ermöglichtem Abfliessen
des Liquor atnnii beendeten kräftige Wehen sehr bald die
Geburt Als wehenbeförderndes Mittel wurde in den meisten
Fällen Seeale cornutum in Anwendung gezogen; eine schädliche
Einwirkung des Mittels auf den kindlichen Organismus wurde
niemals beobachtet. Zur Anlegung der Zange musste in
14 Fällen geschritten werden, in welchen Verlangsamung und
Unregelmässigkeit des kindlichen Herzschlages, sowie Abgang
von meconiumhaltigem Fruchtwasser ein Absterben der Frucht
befürchten Hessen, die Gebärende durch die lange Geburts-
dauer erschöpft oder aufgeregt und wehenbefördernde Mittel
erfolglos geblieben waren. Der Operationen wird später gedacht
Krampfwehen kamen 23 Mal vor, 15 Mal waren es
partielle spastische Contractionen, 8 Mal Tetanus uteri. Das
Heilverfahren wurde je nach den Ursachen und der Heftigkeit
eingerichtet; zu einer Blutentziehung sah man sich in keinem
Falle genöthigt, dagegen machte man einen ziemlich freigebigen
Gebrauch von narkotischen Mitteln, besonders vom Opium
und zwar in der' Form der subcutanen Injeetionen mit der
bekannten Word'scheu Spritze. Prof. Hecker wird an einer
anderen Stelle über die Erfolge dieser Injeetionen im Zusammen*
bange referiren, daher sei hier nur so viel bemerkt, dass
man l/8 — % Gr. Morphium aceticum in Anwendung zog und
dass die Wirkung in einzelnen Fällen eine ganz eclatante war.
Bei zwei Gebärenden konnte ein warmes Vollbad angewendet
werden und war die Wirkung eine günstige. Die im Nach*
geburtsstadiura vorgekommenen Fälle von Krainpfwehen waren
meist mit Blutungen complicirt und erforderten operative Hülfe,
232 x- Braun, Bericht über die Ereignisse
b) Beckenfehler.
Unter den 913 Geburten kamen 12 Fälle von nennens-
werterer Verengerung der Beckenräumlichkeiten vor. Es
ergiebt sich hier ein ziemlich ähnliches Procent Verhältnis*,
wie das für dieselbe Anomalie in der Gebäranstalt ermittelte,
nämlich dort 1,3 Procent, hier 1,1.
In 10 Fällen beruhte die Beckendeformität entschieden
auf Rhachitismus, ein Mal war sie in hochgradiger Osteomalacie
begründet und ein Mal hatte man es mit einer wahrscheinlich
angeborenen Verengerung des Beckenausgangs zu thun. Vdh
den Müttern befanden sich 4 zwischen dem 20. und 29.,
6 zwischen dem 30. und 39. Jahre, eine war 43, eine andere
45 Jahre alt. Sechs kamen' zum ersten Male, 2 zum zweiten,
4 zum dritten Male nieder.
Bei den zwei Zweitgebärendeu wurde die erste Geburt
mit Verlust des kindlichen Lebens durch die Zange beendet.
Von den Drittgebärenden hatten zwei bei den früheren Geburten
schwierige Operationen überstanden, die Dritte hatte die
vorausgegangenen Kinder langsam, doch ohne Kunsthülfe
geboren, die Vierte war nach zwei normalen Geburten in
ihrer dritten Schwangerschaft an Osteomalacie erkrankt.
Es braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden,
dass eine exacte Beckenmessung in der geburtshülflichen Poliklinik
auf grosse Schwierigkeiten stösst. Man begnügte sich daher
in der Regel bei der Gehurt mit der manuellen Ausmessung
der Conjugata diagonalis und suchte später das Versäumte in
der, Weise nachzuholen, dass man die Personen nach ihrer
Genesung zur Untersuchung in die Klinik bestellte. Auf diese
Weise konnte man wenigstens in fünf Fällen sich genauer
über die Beckencapacität Rechenschaft geben.
Es wurde gemessen ein Mal 3 Zoll, drei Mal 3 Zoll 2 Linien,
ein Mal 3 Zoll ö Linien Conjugata vera.
Die Kindeslagen betreffend wurde acht Mal die erste,
vier Mal die zweite Scheitellage beobachtet; unter den letzteren
Fällen war einer, wo der Kopf auf dem oberen Rande der
Symphysis ossium pubis seitlich aufstand, so dass man das
rechte Ohr deutlich fühlen konnte. Der Geburtsverlauf war
in den meisten Fällen bedeutend verlangsamt, die erste
Geburtsperiode dauerte drei Mal gegen 36 Stunden, vier Mal
in der geburtshilflichen Poliklinik zu München etc. 233
fast 48 Stunden; die zweite Geburtsperiode umfasste iu sechs
Fällen einen Zeilraum von über 12 Stunden. Nur in einem
Falle wurde die Geburt durch die Naturkräfte beendet, das
Kind war der schon oben erwähnte Agnathus aus dem achten
Monate der Schwangerschaft Neun Mal wurde die Zange
angelegt und in mehreren Fällen 16 — 20 Tractionen aus-
geführt
' Ein Mal musste bei dem erwähnten Schiefstande des
Kopfes die Geburt durch die Wendung auf die Füsse beendet
werden; ein Mal wurde die künstliche Frühgeburt mit günstigem
Erfolge für Mutter und Kind eingeleitet.
Von den Kindern wurden 5 lebend und 7 todt geboren.
Von den Müttern starb eine (Osteomalacie), die übrigen
genasen, nachdem sie, mit Ausnahme von einer, relativ
massige Störungen des Wochenbettes durchgemacht; dieser
eine Fall, wo Atresie der Vagina eintrat, wird noch mjt-
getheilt werden.
Wir heben nun speciell einzelne interessantere Fälle von
Beckenenge hervor.
Osteomalacie. Dieser Fall ist von Prof. Hecker in
der „Klinik", Seite lll tf., ausführlich beschrieben worden.
Rhachitisches Becken; künstliche Frühgeburt.
Eine 32jährige .Näherin, von gesundem Ausgehen, aber
kleiner Statar, war schon zwei Mal unter Assistenz der geburts-
hülflichen Poliklinik entbunden worden. Die erste Geburt am
9. März 1864 wurde durch eine schwere Zangenoperation beendet;
das Kind, ein mittolmässig entwickeltes Mädchen, war hochgradig
asphyktisch, wurde aber wieder belebt, bei der zweiten Geburt
am 28. December 1859 begegnete man denselben Schwierigkeiten.
Die Conjugata vera wurde auf etwas über, 3 Zoll geschätzt und der
Geburtsmechanismus wurde noch besonders durch einen starken
von abnormer Beckenneigung resultirenden Hängebauch erschwert;
auf diese Weise dauerte die erste Geburtsperiode 15 Stunden,
die zweite 6. Die Anlegung der Zange an den in erster Quer-
Stellung fest am Beckeneingange stehenden Kopf gelang erst
nach Ueberwindung grosser Schwierigkeiten, ebenso wie der
Schluss deB Instrumentes noch grossen Kraftaufwandes bedurfte;
nach 14 schweren Tractionen wurde der Kopf durch die Scham-
spalte entwickelt, das Kind, ein Knabe von mittlerer Grösse,
wurde nach l/4 Stunde aus hochgradiger Asphyxie erweckt. Es
zeigte an der rechten Schläfengegend ein Blutextravaaat, auf dem
Uoatutehr. f. Oeburtak. ISttt. Bd. IX., Hft, d. 16
234 *• Braun, Bericht tiher die Ereignisse
rechten Scheitelbein ein Cephalaematom and starke Hauterösion
in* der Gegend des linken Ob zygomaticum , dabei worde noch
Lähmung des rechten Nervus facialis und nystagmns bemerkt.
Sämmtliche Erscheinungen gingen verhältnissmässig schnell und
ohne besondere Behandlung zurück und das Kind blieb am Leben.
Bei der Mutter dagegen verlief das Wochenbett nicht ohne be-
denkliche Abweichungen von der Norm, denn neben den ge wohn-
lichen Symptomen einer Endometritis und Encolpitis . klagte
Patientin von vornherein über heftige Schmerzen in den Becken-
knochen, die sich bei Versuchen, die Schenkel au bewegen,
beträchtlich steigerten und' so den Verdacht einer durch die
Operation bewirkten Coritinuitätstrennung, etwa des Symphysen-
knorpels, rege machten. Dieser wurde zwar durch die innere
Untersuchung nicht bestätigt; aber die gante innere Wand der
Symphyse und der absteigenden Aeste des Schambeins .aeigten
sich bei Berührung äusserst empfindlich (Periostitis traumaticaj,
und wenn auch verhältnissmässig bald hierin eine Besserung
eintrat, so war doch das Geh vermögen der Patientin noch lange
Zeit gehindert, waa zum Theil auf Rechnung lebhafter beider-
seitiger Schmerzen des Nervus ischiadicus, die wohl derselben
traumatischen Ursache ihre Entstehung verdankten zu setzen war;
erst sechs' Wochen nach der Geburt war Patientin wieder im
Gebrauche ihrer unteren Extremitäten.
Anfangs Juni 1861 nun wurde der Patientin in (Ter 32. Woche
ihrer dritten Schwangerschaft die Einleitung der künstlichen
Frühgeburt proponirt, und dieselbe am 11. desselben Monats in
der Weise ausgeführt, dass man Morgens 8 Uhr' eine Wachsbougie
durch den kaum groschengrosBen, schwer erreichbaren und ebenso
schwer au durchdringenden Muttermund hindurch etwa 4 Zoll
hoch in den Uterus einführte und dort bei horizontaler Lage
der Frau durch 2l/9 Stunden liegen Hess. Nach Ablauf dieser Zeit
wurde Bewegung im Zimmer gestattet, wobei- Patientin mitunter
wehenartige vom Kreuz ausgehende Schmerzen zu" verspüren
angab; Nachmittags von 2 — 5 und Abends von 8 — 11 Uhr wurde
die Einlegung- der Bougie wiederholt, ebenso am anderen Morgen
noch einmal. Gegen Mittag des 12. hatten sich regelmässige, in
etwa halbstündigen Pausen wiederkehrende Wehen eingestellt
und man konnte durch den guldengross erweiterten Muttermund
den Kopf als vorliegenden Theil erkennen; man glaubte ntfn, da
sieh bei der Untersuchung die Fruchtblase prall anspannte, den
weiteren Vorgang der Natur überlassen zu dürfen, musste aber,
da Nachmittags eine Retrocesslon der Wehenthätigkeit eintrat,
gegen Abend noch einmal zur Bougie greifen. Nun entwickelte
sich eine energischere Wehenthätigkeit, und nachdem Nachts
12 Uhr das Fruchtwasser abgeflossen war, wurde l'/4 Uhr Morgen1*,
also 41% Stunden nach der Einlegung der ersten Bougie das Kind
in der geburtshülflichen Poliklinik zu München etc. 235
ohne weitere Kunsthülfe geboren. Dasselbe war weiblichen
Geschlechts, wog 4,9 Pfd. Zollgewicht, war 46 Ctm. läng und
hatte einen Kopfumfang von 33 Ctm., seine Entwickeluhg ent-
sprach also wohl der eines' Kindes aus dfein neunten Schwfchger-
schaftsmonate.
Bemerkenswerth als ein die Richtigkeit der Indication
beweisendes Symptom war eine vom' Promontorialdruck her-
rührende Impression auf dem linken I*arieta)bein von l1/, Zoll
Länge und 3 — 4 Linien Tiefe, welche gleich nach' der Geburt
bemerkt wurde, aber schon nach 10 Stunden sich völlig aüs:
geglichen hatte. Es ist zu verinuthen, dass auch bei der ersten
und zweiten Entbindung am Schädel ein solcher Promontorial-
druck existirte, dass die durch die Zange gesetzten Verletzungen
indessen ihn haben übersehen lassen.
Das Wochenbett verlief, nachdem heftige Nach wehen durch
Opium beseitigt worden waren, ganz normal; das' Kind, an der"
Brust genährt, gedieh sehr gut und lebt noch.
Rhachitisches Becken, Schiefstellung des Kopfes,
Abgleiten der Zange, schwierige Wendung, Kind
todtgeboren, Genesung der Mutter.
Am 17. December 1860' kam eine 37 jährige Näherin bei
ihrer dritten Geburt in poliklinische Behandlung. Die resp. -vor
fönf und drei Jahren erfolgten früheren Entbindungen waren
langsam, aber ohne Kunsthülfe verlaufen. In der letzte* Schwanger-
schaft hatte die Patientin durch zwei Mbriate hindurch wegen4
beständiger Schmerzen im Unterleibe sich ärztlich behandeln
lassen. Am Morgen des 17. December fand man bei der äusseren
Untersuchung nichts Ungewöhnliches; bei der inneren reigte sich
ein alter Dammriss, die Scheide weit, Muttermund zu Gulden-
grosse erweitert, nnansgefüllt, schlaff herabhängend. Der Kopf
befand sich über dem Beckenreingange, devSeu gerader Durch-
messer nicht unerheblich verkürzt seih müssttf, da man: mit dem
Mittelfinger das Promontorium ohne Mühe erreichen konnte. Es
mag hier gleich bemerkt werden, dass eine später angestellte
genauere Beckenmessung'
für die Conjugata externa . . 61//',
„ „ 9 diagonalis 3" 9'",
; , ■ vera . . . 3" 2-3'"
ergfeb: Unrsivh getfalief von dehf Stande ties Ktfpfeszu überzeugen,
wurde eine Untersuchung- mit' der ganzern Hand vorgenommen;
hierbei überzeugte man eich', dass derselbe stark auf der Symphyse
aufstand , indem man das linke -Ohr nach unten erreichte , dabei
befand sich' die Gesichtsfläche nach vorn und rechts, so dass
man' es" mit einem Abweichen des Kopfes nach vorn in erster
Vorderscheitellage zu thun hatte. An und für sich musste ein,
so ungewöhnlicher Kopfstand schon sehr nachtheilig auf den
16*
236 x- Braun, Bericht über die Ereignisse?
weiteren Geburtsmechanismus einwirken; data kam aber noch
eine sehr beträchtliche Anomalie der Wehenthätigkeit. Die
Kreissende gerieth im Laufe des Vormittags in grosse Auf-
regung, hatte einen Puls von 108 — 112 Schlägen, heisse Haut,
und klagte über beständige Schmerzen in der Nabel- und Blase n-
• gegend, mit welchen Symptomen eine beständig andauernde
tetanische Spannung des Uterus zusammentraf. Es lag wohl in
diesem Symtomencomplexe eine dringende Aufforderung zur
Beendigung der Geburt, um so mehr als auch das Leben des
Kindes gegen Mittag bedroht erschien. Man hatte zu wählen
zwischen der Application der Zange und der Wendung auf die
Füsse; für beide Operationen erschien die Aussicht auf Erfolg
keine günstige, für die erstere war der hohe und ungewöhnliche
Kopfstand schwierig, bei letzterer die tetanische ^usammen-
ziehung dea Uterus äusserst störend. Die Anlegung der Zange,
für die man sich entschied, gelang endlich nach wiederholten
Versuchen, wobei auch noch die Umgehung des im Gegensatze
zum krampfhaft contrahirten Uteruskörper schlaff in die Scheide
herabhängenden Muttermundes Schwierigkeiten machte. Nach
drei erfolglosen Tractionen glitt das Instrument ab, und bei der
eigentümlichen Sachlage sah man sich nicht' veranlasst, den
Versuch der Anlegung zu wiederholen. Man versetzte vielmehr
die »Kreissende in eine tiefe Chloroformnarkose, führte den
rechten Fuss herunter, wobei man sich von der noch fortwährenden
Spannung des Uterus deutlich genug überzeugte, und wobei die
Vollendung der Umdrehung zunächst daran scheiterte, dass der
Kopf nicht aufsteigen wollte. Auch nachdem man noch den zweiten
Fuss herabgeholt hatte , war die Sache nicht anders geworden und
erst nachdem man eine halbstündige Pause hat(e eintreten lassen
gelang es einer kräftigen Einwirkung auf den Kopf, ihn und
zwar mit einem auffallenden Ruck in die Höhe zu bringen,
worauf das. Kind schnell bis zu den Schultern durchtrat; Arm-
lösung und Extraction des Kopfes waren noch sehr mühsam; das
Kind, ein Knabe von 63/4 Pfd., war vollständig todt; die Mutter
machte bis auf geringfügige Störungen ein sehr gutes Wochenbett
durch und konnte schon am 24. December aus der Beobachtung
entlassen werden.
Verengerung des ßeckenausgaugs, sehr schwere
Zangenoperation,. Kind todt, hochgradige Ver-
wachsung der Scheidenwände miteinander im
Wochenbette.
Am 23. Januar 1861 kam eine 21jährige Erstgebärende, von
sehr kleiner Statur, zu poliklinischer Beobachtung, welche ihre
erste Menstruation erst im 19. Lebensjahre bekommen und sie
Mitte April 1860 zum letzten Male gehabt hatte Der Geburts-
in der geburtshülflichen Poliklinik zu München etc. 237
verlauf war ein verhältnissmSssig träger, die Eröffnungsperiode
dauerte 19 Stunden nnd die Austreibungspenode bis zur künst-
lichen Beendigung der Geburt 12 Stunden. Der in zweiter
Scheitejlage vorliegende, dem Gefühle hart, gross nnd unnach-
giebig erscheinende Kopf wurde schon im Anfange der zweiten
Geburtszeit nach Verabreichung mehrerer Dosen Seeale cornutum
durch kräftige Wehen in den Beckenausgang getrieben; dort
blieb er aber unverrückt stehen nnd man erkannte als Ursache
dieser Zögerung eine abnorme geringe Entfernung der Tubera
ischii voneinander. Das Missverbältniss «wischen Becken nnd
Kopf konnte nur durch Aufwand einer grossen Kraft bei etwa
14 Tractionen mit der Zange überwunden werden und kostete
auch die Operation dem Kinde das Leben. Es zeigte sich un-
gewöhnlich entwickelt, es wog nämlich über 8 Pfd., war 54 Ctm.
lang nnd hatte einen Kopfumfang von 37 — 38 Ctm. Im Wochen-
bette Hessen sich sehr bald die Erscheinungen einer nicht
unbedeutenden Verletzung der weichen Geburtatheile erkennen :
starke ödematöse Anschwellung der äusseren Genitalien, Störungen
in der Secretion des Harnes, die durch längere Zeit hindurch
die tägliche Anlegung des Katheters unmöglich machten und in
den ersten Tagen lebhafte Febricitation war dxs, was zunächst
auffiel. Vor allem aber war bei einer inneren Untersuchung,
die bald nach der Geburt angestellt wurde, ein tiefer Einriss in
die vordere Scheidenwand und, wie es schien, Continuitäts-
trennungen auch noch an anderen Stellen leicht aufzufinden,
obwohl die grosse Empfindlichkeit bei der Einführung des Fingers
eine genauere Orientirang unmöglich machte. Dass eine künst-
liche Verbindung zwischen Scheide und Harnblase nicht vorhanden
war, konnte man als sicher annehmen. In Folge dessen wurden
aueh die Beschwerden beim Harnlassen in der zweiten Woche
nach der Geburt sehr viel gelinder und hörten bald ganz auf.
Ueberhaupt genas die Wöchnerin sehr schnell, und es war des-
halb um so 'auffallender, dass man bei einer Untersuchung1 am
20. Februar, also vier Wochen nach der Geburt, eine hoch-
gradige Verengerung der Vagina durch Narbengewebe und Ver-
wachsung der Scheidenwände vorfand , man konnte nun mit Mühe
einen Finger neben den constringirten Partieen in die Höhe
bringen und mit diesem den Muttermund nur eben berühren; leider
entzog sich die Patientin einer weiteren Beobachtung und Be-
handlung gänzlich , so dass nicht angegeben werden kann , ob
bei dem Wiedereintritte der Menstruation mechanische Störungen
in der Ausscheidung des Secretes stattgefunden haben oder nicht.
e) Geburtshinderaiase von Seiten des kindlichen Körpers.
Abnorme Stellung des Kopfes. Neben der weiter
oben bei der Beckenenge erwähnten und von dieser abhängigen
$38 £' Braun> Beriebt Ob.*r die Ere^gniese
Schiefstellung des Kopfes wurden noch zwei ähnliche F-äHe
aber mit zweifelhafter Aetiologie beobachtet.
Am 15. Mai 1860 wurde poliklinische Hülfe bei einer
'32jBhrigen Erstgebärenden verlangt, welche seit 29 «Standen
kreiste. Man fand den Kopf in erster Scheitellage hoch vorliegend,
nnd zwar so, dass er an der vorderen Beckenwand aufgestemmt
war und sein der hinteren Beckenwand zugekehrter Theil nach
abwärts gerichtet erschien; dem entsprechend verlief die Pfeil-
naht fast parallel dem queren Durchmesser dicht hinter der
Symphyse und das linke Ohr war leicht zu erreichen; die vordere
Muttermnndslippe erschien beträchtlich angeschwollen. Die An«
legung der Zange, welche in der beschriebenen Schiefstellung
des Kopfes daneben in beim Kinde auftretenden Kreislaufs-
Störungen ihre Indication fand, war schwierig, besonders machte
die Application des weiblichen Blattes grosse Mühe, 16 sehr
kräftige Tractionen brachten den Kopf zum Ein- und Durch-
schneiden; das Kind, ein Knabe von 7 Pfd. Zoflgewicht, 50 Ctm.
.Länge und 35 Ctm. Kopfumfang zeigte einen sehr schwachen
langsamen Herzschlag, der nach einigen Minuten völlig aufborte.
Die Wöchnerin genas.
Der zweite Fall betraf eine Erstgebärende von 89 Jahren,
hei der der kindliche Kopf in erster Vorderscheitellage in die
unteren Beckenaperturen getreten war; nachdem die Wehen-
thätigkeit durch 38 Stunden hindurch gedauert hatte, fand man
das Hinterhaupt des im Beckenansgange befindlichen Kopfes
hinten und' links, die kleine Fontanelle nur sehr schwer erreichbar,
die grosse in der Mitte des Beckens. Fast gänzliches Ausbleiben
der Wehen forderte zum Operiren auf; mit. sechs kräftigen
Tractionen wurde ein scheinrodtes aber bald wieder belebtes
Kind weiblichen Geschlechts geboren; hierbei erfolgte eine ziem-
lich beträchtliche Rnptura perinei, welche durch Vereinigung mit
drei Eisendrahtligaturen zur Heilung gebracht wurde.
Vorlagerung eines Armes neben dem Kopfe
wurde in vier Fällen .beobachtet, die Complication wurde
jedes Mal durch Reposition beseitigt.
Schieflagen. Es wurden beobachtet
9 Mal erste Schulterlage, erste Unterart,
6 „ zweite „ zweite „
5 „ zweite „ erste „ und
2 „ erste „ zweite *,
Von tfen Muttern waren
1 Erstgebärende,
6 Zweitgebäreode,
2 Drittgebärende,
7 Viertgebärende,
2 Fünftgebärende,
3 Achtgebärende,
1 Fünfzehntgebärende.
in der geburtshülflicben Poliklinik sn München etc.. 239
Die Ätiologie dieser Schieflagen war nur jtf wenigen
Fällen einigermaassen zufriedenstellend zu eruiren: eine
Viertgebärende hatte früher zwei Mal Abortus erlitten, eine
Dritt-, zwei Fünft- und eine Achtgebärende früher schon
Schulterlagen gehabt, von den anderen zwei Acbtgebärenden
musste bei einher vor sechs Jahren die Placenta wegen Ver-
wachsung .künstlich gelöst, bei der anderen, welche ein Mal
abortirte, die dritte Geburt wegen Schulterlage durch die
Wendung geendet werden. Die Dauer der ersten Geburtsperiode
bei den Schieflagen schwankte zwischen 6 und 36 Stunden,
die der zweiten zwischen ya und 2 Stunden, bei zwei ver-
nachlässigten Fällen von Zwillingsgeburt 3 und 10 Stunden.
Die Kunsthülfe bestand in 10 Fällen in der Wendung auf
den rechten, in 11 auf den linken Fuss, ein Mal jn der
Wendung auf den Kopf. In 18 Fällen liess man der Wendung
die Extraction des kindlichen Körpers folgen; der nach-
kommende Kopf wurde mit Ausnahme eines Falles immer
durch manuelle Nachhülfe entwickelt; hier wurde bei einer
39jährigen Achtgebärenden, nachdem man sich vergeblich
bemüht hatte, den Kopf durch Manualhülfe zu extrahiren,
die Zange angelegt, ohne dass man auch mit dieser den
Kopf herausbefördem konnte. lVa Stunden später, als man
sich zur Perforation anschickte, wurde die Geburt unter
kräftigen Wehen und manueller Beihülfe beendet; das Kind
war ein 11 Pfd. Zollgewicht schwerer todter Knabe.
Von Complicationen sind noch zu erwähnen: Fünf Mal
Vorfall der Nabelschnur, fünf Mal Vorfall des Armes, ein Mal
feste Einkeilung der rechten Schulter bei zu spät verlangter
Hülfe und tetanischer Zusammenziehung des Uterus; die
Chloroformnarkose ermöglichte in diesem Falle, wie in den
beiden bei den zwei Zwillingsgeburten erwähnten, die Beendigung
der Geburt. Die Complicationen von Schieflagen mit Placedla
praevia, Vorfall und vorzeitiger Lösung werdeil später Er-
wähnung finden.
Von den 22 Kinderu waren 2 vor der Geburt abgestorben,
11 wurden todt, 9 lebend geboren, von den letzteren waren 5
hochgradig asphyk tisch.
Von den Wöchnerinnen blieben 13 im Wochenbette ganz
gesund, während 9 erkrankten und diese genasen säramtlich.
240 X- Braun, Beriebt über die Ereignisse
Von den Erkrankungen sind bemerkenswerth: Eine leichtere
Endometritis bei der erwähnten Achtgebärenden mit dem ausser«
gewöhnlich grossen Rinde, dessen Kopf anderthalb Stunden im
Becken zunickgehalten worden war; es trat nämlich 11 Tage
nach der Geburt wahrscheinlich unter dem Einflüsse einer
sehr feuchten Wohnung zu der Affection des Uterus eine
Endocarditis mit Entzündung und Anschwellung der Lymph-
drüsen des linken Armes und Betheiligung verschiedener
Gelenke hinzu ; die Genesung erfolgte erst nach sechs Wochen.
Der zweite Erkrankungsfall betrifft die Frau, bei welcher
die Wendung in Folge von Einkeilung der Schulter besonders
schwierig gewesen war; es trat bald nach der Geburt eine
intrauterine Blutung ein, welche durch Entfernung der Coagula
und Anwendung von Kälte gehoben wurde; die Genesung
erfolgte, nachdem durch drei Tage hindurch lebhafte Febri-
citation ohne nachweisbare örtliche Erkrankung zugegen ge-
wesen war. Erscheinungen von Anämie nach Complicalion
mit fracentaranomalien werden gleichfalls noch später be-
schrieben werden.
Anderweitige Geburtscomplicationen.
1. Eclampsie.
Von dieser Complication wurden nur zwei Fälle beobachtet.
Der erste kam vor bei einer Erstgebärenden von 30 Jahren,
von anämischem schwächlichem Aussehen; sie litt in den letzten
Wochen vor dem normalen Ende der Schwangerschaft häufig an
Kopfschmerzen, Schwindel und bemerkte anch ein leichtes
ödematöses Anschwellen der unteren Extremitäten. Nachdem die
Wehen 18 Stunden gedauert hatten, wurde sie den 11. October 1860
Morgens 10 Uhr plötzlich von einem sehr heftigen eclamptischen
Anfalle heimgesucht, welcher sich bis Nachmittag 2 Uhr trotz
Darreichung grosser Posen Opium drei Mal in immer heftigerem
Maas s e wiederholte; der mit dem Katheter um diese Zeit ent-
leerte Urin enthielt grosse Quantitäten Eiweiss. Da der Mutter-
mund vollkommen verstrichen war und. der Kopf sich in erster
Position am Beckenausgange befand , wurde die Zange angelegt
und die Geburt mit 6—8 mittelstarken Tractionen beendet; das
Kind, männlichen Geschlechts und ausgetragen, war todt. Nach
der Geburt stellten sich noch zwei Anfalle leichteren Grades ein,
doch kehrte schon am folgenden Tage das Bewusstsein, das während
der Geburt vollkommen erloschen war, seitweise wieder, und
nach einem schluaimersüchtigen Zustande von etwa 48 Stunden
in der geburtshälflichen Poliklinik zu München ete. 241
trat die Wöchnerin schnell in Reconvalescenz, womit das Ver-
senwinden des Eiweisaes ans dem Urin Hand in Hand ging.
Der zweite Fall bei einer 20j übrigen Wäscherin, bei welcher
drei Wochen nach dem letzten Anfalle die Gebart eines lebenden
Kindes erfolgte, wurde vom Prof. Hecker in der „Klinik", S. 137,
beschrieben.
2. Blutungen während und nach der Gebort.
Blutungen während <Jer Geburt in Folge von vorzeitiger
Lösung der normal inserirten Placenla sahen wir in fünf Fallen;
in allen war der Blutverlust ein unbedeutender, ohne Nach-
theil für Mutter und Kind, ohne daher eine Aufforderung zur
Intervention der Kunst zu geben.
Durch Placenta praevia bedingte Blutungen kamen bei
10 Fällen vor. Die Patienten waren 2 Mal Erstgebärende,
2 Mal Zweit-, 2 Mal Drittgebärende, 1 gebar zum sechsten,
3 zum achten Male; der Sitz der Placenta war 5 Mal auf
der rechten Seite, 3 Mal auf der linken, 1 Mal fast central;
bei einem Abortus konnte derselbe nicht genau erkannt werden.
Ueber das Zustandekommen der Anomalie wurde wenig
herausgebracht, -in fünf Fällen, und zwar bei den- beiden
Primiparis, einer Zweit- und zwei Drittgebärenden war gar
kein ätiologisches Moment zu eruiren; eine Zweitgebärende
hatte vorher ein Jahr lang an UterinkMarrh gelitten; bei einer
Sechst- und einer Achtgebärenden waren wiederholt Aborten
dagewesen; bei einer Achtgebärenden endlich war ein Mal
die Placenla künstlich gelöst worden. Kurze Detailangaben
über den .Verlauf einzelner unter den 10 Fällen mögen nicht
überflüssig erscheinen.
a) Reifgeburt bei einer Drittgeh&renden. Unvollkommene
erste Fusslage. Rechts ein kleiner 2 Zoll breiter Rand der
Placenta zu fühlen. Blntnng kurz nach dem ßlasensprunge und
in massigem Grade auftretend. Extraction wegen Unmöglichkeit,
den kindlichen Herzschlag an hören. Das Kind, weiblichen Ge-
schlechts, asphyktisch, wiederbelebt. Die Mntter erholte sich bald.
6) Frühgeburt von sechs Monaten bei einer ZweitgebKrenden,
nachdem vier Wochen vorher Abtrftufeln von Blut unbeachtet
geblieben. Erste Schulterlage, erste Unterart. Ein Dritttheil
der kleinen Placenta ragte von links her über den kronthaler-
grossen nnd nachgiebigen Muttermnnd. Durch Wendung und
Extraction wird eine todte weibliche Frucht zu Tage gefördert^
Rasche Genesung der Mutter.
242 &• Braun* Bericht über die EreignUse
o) Plötzliches Eintreten einer profusen Blutung bei einer
Achtgebärenden. nahe am Ende der Schwangerschaft. Linksseitiges
Aufsitzen der .Placenta. Die. Lage des Kindes war zwei Stunden
vor dem Blasensprunge deutlich als zweite Schulterlage be-
stimmbar; nach Abfluss des Fruchtwassers stellte sich der Kopf
ein, und die Geburt verlief in zweiter Scheitellage ohne Kunst-
hirlfe; das Kind, männlichen Geschlechts, wurde todt geboren.
Die Mutter genas.
d) Eine Sechstgebärende hatte während ihrer Scjwanger- ,
schaft zwei Mal heftige Blutungen gehabt, die sich im achten
Monate wiederholten und von Wehen gefolgt waren. Der thal er-
grosse Muttermund war gänzlich von Placentargewebe bedeckt.
Kein vorliegender Kindestheil. Nachdem tamponirt worden war,
ergab sich aus neuem Blutverluste und fortwährenden OhnnuacbtB-
anwandlnngen die dringende Tndication zur Beendigung1 de,r,(?ebnrt.
Manuelle Erweiterung des elastischen Muttermundes, Herabholen
der Füsse, nachdem erste Steisslage erkannt war, und Extraction.
Das Kind, ein Knabe, 31/« Pfd. Civilgewicht schwer, 40 Ctm.
lang, lebte, starb aber nach drei Tagen. Die Mutter litt noch
mehrere Wochen an den Folgen der Anämie.
s) Mas 8 ige Blutung beim Hereinragen eines handtellergroßen
Stückes der Placenta in den tbalergrossen ^Muttermund. Kopf
in zweiter Scheitellage vorliegend. Herzschlag des ansgetragenen
Kindes konnte 12 Stunden vor natürlicher Beendigung der Ge-
burt nicht mehr gehört werden. Dem entsprechende Fäuloiss-
erscheinungen am geborenen Kinde, einem Mädchen. Die Mutter
blieb gesund.
/) Eine achtgebärende 38jährige Tagelöhnerin hatte in den
letzten beiden Monaten ihrer sonst normalen Schwangerschaft
häufig Blutungen gehabt. Der Eintritt von Wehen war von einem
so heftigen Blutsturze begleitet, dass die Patientin schnell in
die äusserste Lebensgefahr versetzt wurde. Puls fadenförmig,
Gesicht collabirt, kalte Extremitäten, Schwarzsehen, Erb re oben
bildeten den Symptomencomplex. Bei goldengrossem, jedoch nach-*
giebigem Muttermunde, welcher zum grossen Theile von Placentar-
gewebe bedeckt war, und bei in erster Vordere che jtelUge
vorliegendem Kopfe wurde die Geburt rasch durch Wendung auf
den rechten Fuss und Extraction beendet. Das scheintodte Kind,
ein Knabe, wurde nach V4 Stunde zum Leben gebracht. Die
incarcerirte Placenta musste wegen fortdauernder, Blutung manuell
entfernt werden. Die Mutter genas langsam.
g) Eine 25jährige viertgebärende Frau, welche in ihrer
ersten und zweiten Schwangerschaft im dritten Monate abortirt
hatte, erlitt am 15. Mai 1861 einen starken Blutverlust, nachdem
Abends vorher die ersten Wehen eingetreten waren. Die Schwanger-
schaft datirte von Mitte August 1800. Während man sich zur
in der gebnrtabälfUchen Poliklinik tu München etc. .348
Untersuchung anschickte, wurde die Placenta unjftr W.ejpn *u*-
gestossen (Prolapsus placentae). Man fand das Rind in erster
Sehalterlage, e weiter Unterart, vorliegen iJnd konnte die Geburt
leicht durch Wendung und Extraction beenden. Das Kind, ein
6 Pfd. schwerer Knabe, wurde ohne Herzschlag geboren und
konnte nicht belebt werden. Es folgte noch eine starke Blutung
aus dem atonisoben Uterus nach. Aus hochgradiger Anäm\e
erholte sich die Wöchnerin schnell.
a) Ein kräftiges wohlgebildetes 26 jähriges Mädchen, welches
eine normale. Geburt überstanden hatte, kam am 10. Decerober 1860
wegen profuser Blutung cur Behandlung. Durch den inneren
Muttermund fühlte man deutlich Placentargewebe, womit überein-
stimmte , dass Patientin , welche Ende Mai ihre lettte Menstruation
gehabt hatte, schon seit Juli von 14 au 14 Tagen Blutverlust
erlitten hatte. Kein vorliegender Kindestheil. Nach der äusseren
Untersuchung zweite Schulterlage , Herztöne hörbar. Nach
symptomatischer Behandlung fand man Abends 7 Uhr die ganse
Placenta im Scheidenausgange (Prolapsus placentae); es wurde
rasch die Wendung \usgefuhrt und ein Mädchen extrahirt, dessen
Entwickelnng dem siebenten Schwangerschaftsmonate entsprach;
es war 35 Ctm. lang und der Kopf chatte einen Umfang von
27 Ctm. Es war todt. Das Wochenbett verlief ohne Störung.
Zu diesen beiden Fällen von Prolapsus placentae ver-
gleiche man den von Prof. Hecker in seiner „Klipik", S. 153,
auch den S. 81 mitgetheilten Fall.
Das Ergebnis* für die Mutter in den 10 Fällen von
Placenta. praevia fjiuss wohl als ein selten günstiges bezeichnet
werden, denn sie genasen säramtlich; dabei piuss man be-
sonders berücksichtigen, dass nur bei vier Fällen die Aus-
stossung des Kindes der Natur überlassen werden konnte , dass
in den sechs übrigen Fällen mehr oder weniger schwere
Operationen ausgeführt werden musslen.
Von den Kindern wurden 5 lebend und 5 todt geboren;
unter den letzleren befanden sich 2 reife, 1 aus dem sechsten,
2 aus dem siebenten Schwangerschaflsmonate.
Gebärmutterblutungen während oder kurz nach der Aus-
stossung der Placenta wurden in 35 Fällen bemerkt, und
zwar 22 Hai vor und 13 Mal nach Beendigung der dritten
Geburtsperiode.
In 12 Fällen lag die Ursache der Blutung in theilweiser
oder gänzlicher Verwachsung der Placenta mit der Uteruswand,
und man musste hier die manuelle künstliche Lostrennung
244 X- Braun, Bericht aber die Ereignisse
derselben üben und konnte sich seit Bekanntwerden <Jer so-
genannten Cred<?y&hen Methode zur Herausbeförderung der
Nachgeburt, welche darin besteht, dass man von aussen her
durch Druck auf den Uterus seinen Inhalt in die Scheide
und vor die GeschJechtstheiJe presst, mehrmals überzeugen,
dass man mit derselben nicht im Stande ist, derartige
Adhäsionen, deren Vorkommen nun einmal nicht geläugnet
werden kann, zu beseitigen. In sieben Fällen war die Blutung
durch Contraction des inneren Muttermundes und dadurch
erfolgter Incarceration der Placenta, drei Mal durch Strictur
an einem Tubarostium bedingt und nöthigte zu manueller
Hülfeleistung. Vier Mal hatte die Blutung ihre Ursache in
Atonie des Uterus; diese war zwei Mal ziemlich beträchtlich,
ein Mal bei einer 30jährigen Erstgebärenden, welche in der
Hälfte ihrer Schwangerschaft aborlirte, ein Mal bei einer
26jährigen Fünftgebärenden nach einer Wendung.
Nach Entfernung der Placenta kamen Blutungen in 13 Fällen
vor, und hier war als Ursache immer eine Erschlaffung des
Uterus leicht nachweisbar. Der Blutverlust erreichte in keinem
Falle eine sehr bedenkliche Höhe, so dass die gewöhnlichen
Mittel zur Sistirung hinreichten; ein Mal wurde, wie weiter
oben schon erwähnt, eine Injection mit verdönnter Eisenchlorid-
lösung angewandt.
An diese Blutungen mag noch ein Fall von Thrombus
vaginae et labiorum angereiht werden.
Eine 29 jährige Tagelöhnerin kam am 11. Mai 1860 in poli-
klinische Behandlung. Sie hatte vor acht Jahren in Folge einer
überstürzten Geburt einen sehr bedeutenden Dammriss erlitten,
der in Verbindung mit schwerer Arbeit ein all mal ige 8 Hervor-
treten des Uterus ans den Süsseren Geschlechtstheilen zur Folge
gehabt hatte. Der Prolapsus uteri war endlich etwa vor drei Jahren
ein totaler geworden, so dass die Patientin vor 1% Jahren der
Operation der Episiorraphie sich unterziehen mueste; durch diese
war der Vorfall des Uterus gänzlich beseitigt worden. Nach
22 ständiger Wehenthätigkeit gebar sie am 12. Mai 1860 ohne
Kunsthiilfe ein gut genährtes grosses Mädchen; hierbei hatte man
die allmaiige Ausdehnung des sehr langen durch die angegebene
Operation gebildeten Dammes beobachten können. Ein kleiner
etwa 4 Linien langer Einriss derselben konnte nicht vermieden
werden. In den ersten* Tagen des Wochenbettes entwickelte sich
an der linken grossen Schamlippe in der Nähe der Commissnr
in der geburtshülflichen Poliklinik in München etc. 245
ein wallnussgrosses B lut extra vnsat, welches deutlich flnctairte
und über dem die Haut gespannt nnd bläulich gefärbt erschien.
Bei einer zuwartenden Behandlung erfolgte ziemlich schnell eine
Resorption des ergossenen Blutes. Der Fall war übrigens insofern
noch interessant, als die Patientin vier Jahre vor dieser letzten
Geburt ausgeprägte Erscheinungen der seeundären Syphilis gehabt
hatte und durch drei Monate hindurch speeifisch behandelt worden
war. Das Kind bekam wohl Intertrigo und Soor, aber zeigte
sechs Wochen nach der Geburt noch keine Spur heriditärer
Syphilis.
3. Continuitätstrennungen der mütterlichen Weichtheile.
Hierher gehören wohl ausschliesslich die Rupturen des
Dammes. Es ist sehr schwer oder fast unmöglich, irgend
eine genaue Angabe über das Vorkommen der Dammrupturen
in der Poliklinik, zu machen. Es können daher auch hier nur
die Fälle erwähnt werden, bei denen eine genauere Beobachtung
und Behandlung zufällig möglich war, und diese Gelegenheit
ergab sich fast nur bei operativen Fällen, da nach natürlichen
Geburten die Laesio continui nicht zur Cognition kam.
In die genannte Kategorie gehören sieben Fälle von Ruptura
perinei. Die Länge derselben betrug 3/4 — l1/* Zoll; ein Mal
war der Damm seiner ganzen Länge nach bis in den Mast*
darm hinein zerrissen. Die Behandlung der Dammrisse wurde
nach den von Prof. Hecker in der „Klinik", S. 146 — 149,
angegebenen Grundsätzen geleitet. Nach gehöriger Blutstillung
und Reinigung der Wunde und Glättung der Wundränder,
wenn etwa ihre zackige Beschaffenheit dazu aufforderte , wurde
eine möglichst tiefe und lineare Vereinigung der Wunde mit
Metalldraht vorgenommen. Die Ligaturen wurden meist nach
72 Stunden entfernt; Seitenlage, grosse Reinlichkeit, Ent-
leerung des Urins durch den Katheter und Beförderung des
Stuhlgangs am vierten bi§ fünften Tage waren die Punkte, auf
die man besonderen Werth legte. ' Eine Prima reunio erzielte
man auf diese Weise in drei Fällen, und unter diese gehörte
der oben erwähnte von Ruptur bis in den Sphincter ani, bei
welchem fünf Ligaturen, die eine durch die Mastdarmschleimhaut
gelegt, in Anwendung kommen mussten. In einem Falle rirzielte
man eine theilweise Vereinigung der Wundränder, und in den
drei übrigen Fällen war der Erfolg ein negativer, was seinen
Grund hatte in einem gänzlichen Mangel von Wartung und
246 X. Braun, Bericht aber die Ereignisse etc.
Pflege, so dass nicht einmal die noth wendigste Reinhaltung
der Wunde erzielt werden konute.
4. Vorfall der Nabelschnur.
Diese Geburtscomplication kam in neun Fällen zur
Beobachtung und zwar bei drei Zweit-, zwei Dritt-, einer
Viert-, zwei Fünft- und einer Siebentgebärenden. Die Lage
des Kindes war vier Mal erste Scheitellage, zwei Mal zweite
Scheitellage, zwei Mal erste Steiss- und ein Mal zweite Fusslage.
Die Dauer der zweiten Geburtsperiode schwankte zwischen
V4 und 2 Stunden. Im ersten Falle war die vorgefallene
Schlinge nur klein, die Pulsation derselben deutlich, die
manuelle Reposition gleich nach dem Blasensprunge bei guten
BeckenrfiumKchkeiten und hochstehendem Kopfe leicht aus-
führbar. Im zweiten Falle bei einer Frühgeburt von sechs
Monaten war die vorgefallene Schlinge der sehr dünnen Nabel-
schnur ebenfalls nur sehr klein, aber ohne Palsation; die
Geburt wurde der Natur überlassen, das Kind war todt Im
dritten Falle war' neben dein in zweiter Scheitellage vor-
liegenden Kopfe der linke Arm und die prüsirende Nabel-
schnur vorgefallen; nach der gelungenen Reposition des ersteren
wurde die Zurückbringung der letzteren erfolglos versucht;
das Leben des Kindes konnte durch Anlegung der Zange und
Extraction mit dieser nicht erhalten werden, obwohl die
Nabelschnur kurz vorher noch pulsirt hatte. In emetti vierten
Falle wurde bei einer 34jährigen Fünftgebärenden nach er-
folgloser Reposition der Nabelschnur der Kopf rasch (alt der
Zange entwickelt und das asphyktische Kind wieder belebt.
Bei drei Mebrgebärenden verlief die Geburt so schnell, dass*
keine Kunsthülfe in Anwendung kam. Wegen Schwächer- und
Langsamerwerden der Pulsationen wurde in einem Falle bei
erster Steisslage und in einem anderen bei zweiter Fasslage
die Extraction mit Erhaltung des kindlichen Lebens vorgenommen.
Aetiologische Momente für das Zustandekommen des
Nabelschmirvorfalls konnten nicht mit der Exactheit, wie in
einer Klinik ermittelt werden; nur in wenigen Fällen war eine
Messung des Nabelschnurstranges vorgenommen worden, in
diesem betrug' die Länge 75, 68 und 42 Ctm.. üeber die
Stritte de* Eibauftrisses finden* sieb fünf Angaben, dasti nätötfch
XI. Notizen aus der Journal- Literatur. 24$
derselbe zwei Mal nur einen Zoll vom Placentarrande entfernt
war, drei Hai dicht an demselben sich befand; die Insertion
d$s Nabelstranges in die Placenta wurde drei Mal als lateral,
ein Mal als marginal angegeben. Der Erfolg für das Leben
(Jes Kindes war in den neun erwähnten Fällen ein sehr
gunstiger, denn es wurden sieben Kinder lebend und zwei
todt geboren. Voq den Müttern erkrankte keine.
(Schluss folgt.) '
XL
Notizen aus der Journal-Literatur.
J. Richard: Harnblasen-Scheiden - Fistel durch einen
Blasenstein geschlossen; Obliteration der Scheide
oberhalb der Fistel.
Die jetzt 67jährige Wittwe F. wurde im 30. Jahre mit Hülfe
der Zange schwär entbunden. Einige Tage nach der Niederkunft
stellte sich Harnträufeln ein, welches bis vor ungefähr 6 — 7 Monaten
anhielt, worauf die Incontinenz nachliess und der Urin seinen
normalen Weg nahm. Bald stellten sich Schmerzen in der Scheide
und den Nieren ein. Die Untersuchung zeigte einen in der
vorderen Scheidenwand Ritzenden, vorspringenden, eckigen und
festen Körper, der auch «durch einen in die Blase eingeführten
Katheter deutlich gefühlt werden konnte. Wiederholte Versuche,
den in der alten Fistel eingeklemmten Stein zu entfernen, gelangen
erst, nachdem mit 'langen Scheeren die Fistel erweitert worden
war. Doch brach der Stein in mehrere Stücke.
Die Fistel besteht jetzt noch und hat ihre frühere Ausdehnung
wieder erlangt. Mit Wiedereintritt der Incontinenz sind auch
die oben angeführten Schmerzen geschwunden. Besonders zu
erwähnen ist noch die ausserordentliche Kürze der Scheide, ah
deren Ende weder Uterusmund oder Hals zu entdecken war, noch
ein Kanal, welcher zu ihm hinführte. Sollte wirklich eine solche
Oeffnnng nicht existirt haben, so müsste man annehmen, dass die
Regeln vermittels einer zweiten oberhalb derObliteration gelegenen"
Fistel ihren Ausweg durch die Harnblase genommen hätten.
(Gazette des hdpitauz, 1862 1 No. 61.)
248 XI. Notizen aus der Journal -Literatur.
Blaaehko: Eine Aehre an der Portio vaginalis und ihre
Folgen. i
Bei einer 63 jährigen Frau, welche über Fluor albus, Hitze
in der Vagina, Beschwerden beim Harnlassen, sowie über zeit-
weise auftretende Krämpfe klagte, fand B. eine l1/«" lange spitze
Aehre an der Portio vaginalis, welche als Ursache jener Leiden
um so gewisser anzusehen ist, als nach ihrer Entfernung eine
vollständige Genesung in Kürze erzielt wurde. Die Aehre soll
der Frau, während sie, theils sitzend, theils knieend, Garten-
arbeiten verrichtete, in die Geschlechtstheile eingedrungen sein.
(Deutsche Klinik 1862, Nr. 11.)
Hustyi Totaler Vorfall einer schwangeren Gebärmutter.
Eine 34jährige, kräftig gebaute Frau litt seit ihrer zweiten
Entbindung an einem Gebärmuttervorfall. In ihrer vierten
Schwangerschaft konnte die Gebärmutter nie ganz im Leibe
erhalten werden, und wurde daher durch Binden unterstützt,
ein Theil derselben ausser dem Leibe getragen. Von den
localen Beschwerden abgesehen, war die Frau gesund. H. wurde
zu ihr gerufen, nachdem schon seit drei Tagen heftige und
anhaltende Wehen sich eingestellt hatten, und das Fruchtwasser
seit zwei Tagen abgeflossen war. Er fand die Gebärende
sehr erschöpft, die Schamlippen auswärtsgekehrt und stark aus-
gedehnt, den Uterus aus der enorm ausgedehnten Scheide zwischen
die Oberschenkel herunterragend, den guldengrossen , wulstigen,
stark gespannten Muttermund in der Gegend der Kniee , den Kopf
des bald nach dem Eintritte der Geburtsthätigkeit abgestorbenen
Kindes vorliegend. Die Gebärmutter war stark um die Frucht
zusammengezogen, die Wehen häufig, heftig und anhaltend. Die
Reposition der mit Fett bestrichenen vorgefallenen Theile gelang
bei dem sehr geräumigen Becken leicht, — doch mussten dieselben
fortwährend zurückgehalten werden. Da H. ein Fortscbreiten der
Geburt auf keine andere Weise erzielen konnte, verschritt er
zur Perforation und theilweisen Auslösung der Kopfknochen.
Mit vieler Mühe gelang es ihm, den so verkleinerten Kopf, und
sodann den Rumpf zu entwickeln. Das vollkommen reife, neun
Pfund schwere Kind zeigte deutliche Spuren von Fäulniss. Die
Mutter erholte sich bald, — nach zwei Jahren gebar sie ohne
ärztlichen Beistand einen gesunden Knaben, nachdem sie diesmal
durch eine Bandage die schwangere Gebärmutter im Leibe er-
halten hatte.
(Wien. allg. med. Zeitschr. 1862, Nr. 5.)
XII.
Ueber herslose Miasgeburten.
Von
Dr. J. Poppet in München.
(Hierzu eine Tafel mit sechs Abbildungen.)
Die Acardiaci, deren Beschreibung Herr Prof. Hecker
so gütig war, mir zu übertragen, gehören einer Gruppe von
Missbildungen an, die dadurch von besonderem Interesse ist,
weil sie wohl einzig in ihrer Aetiologie anatomisch demonstrirt
werden kann. Dieselben sind immer Zwillingsfrüchte, von
denen ' die andere ein normal gebildetes Kind und gleichet
Geschlechts mit ersterer ist. Ausnahmslos ist für beide
Kinder ein Chorion, fast immer zwei Amnien vorhanden.
Auch bei Drillings- und Vierlingsschwangerschaften sind sie
einige Male beobachtet worden, und dann war der Aoardiacus
immer mit einem der anderen Kinder in einem gemeinschaftlichen
Chorion eingeschlossen. Bei Tiedemann l) sind zwar drei
Beobachtungen von älteren Autoren erwähnt, bei denen ein
Acardiacus allein geboren worden sein soll, doch hat Hempel2)
die Unzuverlässigkeit dieser Fälle nachgewiesen.
In der Placenta, die stets gemeinschaftlich ist, findet
man die Erklärung für die Entstehung der Missgeburt Obwohl
von 112 überhaupt bekannten Acardiacis bis jetzt nur einige
Placenten untersucht und beschrieben worden sind, so ist
doch das .gleich näher zu besprechende Verhalten derselben
in Bezug auf den Zusammenhang mit der Entstehung der
Missbilduug so einleuchtend, dass ein allgemeiner Schluss
1) Anatomie der kopflosen Miasgeburten. Laudahut 1813.
2) Pe monstris acephalis. Diss. Hafniae 1860.
Mouatxftobr. f. tteburtik. 1862. Bd. XX.,Hft 4. 17
250 XII. Poppet, Ueber herzlose Missgebnrten.
nicht angefochten werden kann. Bei diesen Placenten, die
ich später N noch in historischer Beziehung zu erwähnen Ge-
legenheit finden werde, geht nämlich constant ein Hauptast
der Nabelarterie und Vene des gesunden Kindes unmittelbar
in die Nabelarterie und Vene des Acardiacus über. Diese
Geßsscommunication verdankt ihre Entstehung der allerersten
Zeit des Embryonallebens, wenn die Allan tois als Vermittlerin
der Blutcirculation zwischen Frucht und Mutter gegen das
Chorion zunächst und zur Bildung der Placenta Veranlassung
giebl, beim Menschen also etwa in der fünften Woche.
Bei Zwillingen sind mehrere Möglichkeiten des gegen-
seitigen Verhaltens der Aflantoisblaschen und ihrer Gelasse
gegeben. Wenn die Zwillingsschwangerschaft durch Befruchtung
zweier Eier entsteht, in welchem Falle immer zwei Chorien
und Amnien vorhanden sind, können sich die Allantoiden jede
für sich an das betreffende Chorion ansetzen und die Ent-
wicklung zweier getrennter .Placenten bewirken, oder sie
lagern sich nebeneinander und bilden die conglutinirte Doppel-
placenta, die miteinander nicht oder bloss durch Capillaren
anastomosiren. Geht aber die Zwillingsschwangerschaft aus
Einem befruchteten Ei mit doppelter Keimanlage hervor, wobei
stets bloss ein Chorion und meist zwei Amnien vorkommen,
so ist die Placenta in der Regel scheinbar einfach, es be-
stehen aber doch zwei Capilfarsysteme in ihr, die allerdings
durch grössere und kleinere Anastomosen miteinander coramu-
niciren. Wenn hierbei nun zufällig Hauptäste beider AJlantois-
gefässe an der Placentarstelle von entgegengesetzter Richtung
her zusammentreffen und miteinander unmittelbar anastomo-
siren, so kommt es unter Umständen zur Bildung eines
Acardiacus.
Eine noth wendige Folge des erwähnten Verhallens ist
zunächst eine Stauung beider senkrecht gegeneinander stossenden
Blutströme; es ist denkbar, dass die Kraft derselben sich das
Gleichgewicht hält und es in kurzer Zeit zur Stagnation und.
Gerinnung des Blutes mit nachfolgender Oblileration des Ge-
fässes kommt und dann nimmt die Entwicklung beider
Früchte ihren ungestörten Fortgang. Auch scheint eine
solche Anastomose ohjie Beeinträchtigung der Entwicklung
beider Kinder persistiren zu können, wenigstens finde ich bei
XII. Poppel, Uener heftilöse Mißgeburten. 251
Ff. Meekd l) zwei ZwIlHhgsplacenten Mfer Rinder abgebildet,
von denen die feirie Weidfc Ntbeiarterien durch ein 8/<i Litiien
starkes Gefass vMWädetf steigt, di£ artofefe elrld 1 Lmfe stärke
Anastomose der Nrfbelarttirie Und eine gleiche Vfo Linien
starke der Nabelvene blitzt. Hitir katart ich mir den Blutlairf
nicht aflders 2tt Stande kommend dcfnken, ate das« er im
Sthnte deä jeweilig stärker arbeitenden Helens in diesem
VertwÄdungszweige strömt. Gewiss itt dett meisten Fällen
aber gtebt diese Anastomose dadurch zur Entstehung eifies
Acafdiacus Veranlassung, dass bei constant etwaö überwiegender
Pfcpalsftkraft des Herzens der einen1 Frucht der Blatätrörtf
dieser die Oberhand gewinnt and den der anderen brä ttttück
zum Herzen staut und endlich in umgekfeWrter Richtung iü
fliessen Zwingt; dies mtws nothwendrg anfänglich Untegel-
mÖssrgk^W und baM Llhtnttag der Herzcontractioneri der
überwundWteir Frucht zur Folge hafben. Date Herz gelrf Atii
atrophisch zu Grunde und die ganze* Frucht ist fortan1 als* ein'
Appetadix der gesunden 2v betrachten,' deren Herz tti derselben
Weise wie den eigenen Körper auch den herztosen mit Blut
Versorgt), indem nun das Blut durch die Nftbelarterft Hrtn
zufliesst und durch die NabeKene zu* Hacfcnta zurückkehrt.
Am Capillapsysteme der Pkeenta hat der Acafdiacus nach
diesen Erörterungen keinen Antheil, sondern es gehört nur
dem gesunden Kinde an. Ein einfache* CapHfersystem kann,
nebenbei bemerkt, auch m ganz seltenen Fällen ohne Störung
des Kreislaufes beider Kinder dann vorhanden sei», wenn die
Stammgefässe beider Allantoiden schon! in ibreAi Verlaufe
zum Chorion» sich in einen* spitzen Winkel zu einem gemein-
schaftliche» Gefasse verbinden, das sich auf der Placenta
einfach verzweigt. Hierher gehört ein von ReynolM2) in
einer amerikanischen Zeitschrift veröffentlichter Fall von ge-
sunden Zwillingen, die ein langes Stück der Nabelschnur mit
Einer Arterie und Vene 'gemeinschaftlich besassen.
Bezüglich des constant gleichen Geschlechts der Acardiaci
mit ihren Zwillingsfrüchten könnte wohl der Schluss der
1) Archiv für Anatomie, Physiologie etc. von «/. jtf tiller.
Jahrg. 18&Ö.
2) Julius u". QMon\ Äägätfin1 fäf ausländische Literatur. 1836.
17*
A
252 XII. Goppel, Ueber herzlos© Mißsgeburten.
zunächstliegende scheinen, dass gleiches Blut gleiches Geschlecht
erzeuge, denn die Differenzirung des Geschlechtes tritt erst
nach Bildung der Allan(,ois auf; eine scheinbare Bestätigung
erhält dieser Schluss dadurch, dass auch normal gebildete
Zwillinge dann immer gleichen Geschlechtes sind, wenn sie
bloss ein Chorion besitzen, die Placentargefasse also in ge-
ringerem oder höherem Grade anastomosiren, Jedoch ist zu
bedenken, da^s in beiden Fällen die Zwillingsschwangerschaft
aus der Befruchtung Eines Eies mit doppelter Keimanlage
hervorgeht und dass schon von der Befruchtung an, sei es
vom Vater oder der Mutter oder von beiden, das Ei in seinen
beiden Keimen zu gleicher Geschlechtsentwickeluug bestimmt
werden kann; und die erste Annahme würde ja auch bloss
erklären, warum beide Kinder gleichen Geschlechts sind,
müsste aber doch noch auf einen weiteren unbekannten Grund
recurriren, warum das eine Mal zwei Knaben, das andere
Mal zwei Mädchen entstehen.
• Hier mögen noch einige historische Bemerkungen Platz
linden. Die Ansichten der älteren Schriftsteller über die
Entstehung und Circulationsverhältnisse der Acardiaci sind
theils ganz unklar r theils abenteuerlich.
Poujol1) glaubte, weil er in einem von ihm beschriebenen
Acephalus keine Arterie, auch nicht, die Nabelarterie gefunden
haben will, sondern bloss eine Nabelvene, die sich durch
eine Hohlvene im ganzen Körper verzweigte, darstellen konnte,
dass die Missgeburt nach Art der Pflanzen ernährt -worden
sei, und dass gar kein Kreislauf des Blutes stattgefunden
habe; .die Quelle der Nahrung sei' der Mutterkuchen, wo die
feinsten Zweige der Nabelvene das Blut aufnähmen und zu
allen Theilen des Körpers führten.
Mery a) und Le Cat 8) nahmen an , dass bei dem Mangel
des Herzens der Kreislauf durch die Thatigkeit des Heizens
der Mutter l>ewirkl worden sei und ersterer betrachtet diesen
Mangel des Herzens als eine Bestätigung seiner Meinung,
1) M^moires ponr l'Hist. des Sciences et des beanx arts.
Trevoux 1706. Jouillet.
2) Mlmoires de l'Acad. des Sciences de Paris. Ann. 1720.
3J Philo«. Transact, for the Year 1767. Vol. 67,
Xft. Poppet t Ueber herzlose Missgeburten. 253
dass eine Gefassverbindung zwischen dem Fölus und der
Mutter stattfinde.
Winslow,*) der ausser der NabHvene, die in die Aoria
gemundet haben soll, keine weitere Vene gefunden haben
will, und zwar auch zwei Nabelarterien angieht, ihren weiteren
Verlauf aber nicht beschreibt, sah in den Arterien kein
eigentliches rolhes Blut, sondern eine lymphartige Flüssigkeit,
und glaubt, dass der Lauf der Ernclhrungsflüssigkeit' in dem
Mutterkuchen sehr langsam gewesen und bloss durch die
Elasticität der Gefasse bewirkt worden sei; das Blut sei durch
die Nabelvene in den Stamm der Aorta gelangt und von da
in alle Aeste bis zu dem Capillarsysteme ; hier sei das lymph-
artige Blut, weil keine Venen vorhanden gewesen, in die
zellige Textur der Organe ergossen worden, und habe dadurch
eine Anfüllung des Zellgewebes mit einer serösen Flüssigkeit
hervorgebracht; vielleicht sei auch ein Theil der Flüssigkeit
durch die Poren der Haut ausgeschwitzt.
Monro2) nahm an, dass das Blut aus der Placenta
durch die Nabelvene in den Körper der Missgeburt geflossen
sei, und dass deren Zweige die Stelle der Arterien zu vertreten
hätten, währeud die Arterien das Blut durch die Nabelarterie
zurück zur Placenta geführt hatten, um sich wieder mit den
Nabelvenen zu verbinden.
Bei J. F. Meckel3) finde ich die Vermuthung, dass
entweder die Nabelarterien und alle ihre Zweige die Stelle
der Körpervenen, die Nabel vene dagegen die Stelle der Aorta
und ihrer Zweige vertreten, oder dass das Blut durch die
Nabelarterien zum Fötus fliessen und durch die Nahelveue
zurückkehren müsste , wovon aber das erstere wahrscheinlicher
sei, indem die Venen eher als die Arterien gebildet würden;
wo das Cent nun movens für die Bewegung zu suchen sei,
wird nicht erörtert.
Tiedemann4) hat folgende Ansicht Das im Mutter-
kuchen oxydirte Blut wurde den Mittsgeburten durch die
1) M^moires de l'Aead. des Sciences de Paris. Ann. 1740.
2) Transactionsofthe royalSooiety of Edinburgh. Vol. 3. 1794.
3) Handbuch der pathol. Anatomie. Leipsig 1812.
4) L. c. .
254 *H- POPP** Utber kersUte Uist&hurUm.
Nabelarterien zugeführt, verzweigte sich im
tob wo es durch die Venen sich in die untere HohlreM
sammelte, um durch die Nabelvene zur Placenta zurück-
zukehren, die wieder mit den Anfangen der Nabelarterien
zusammenhing. Die Stelle, wo die Nabelarterien in die Staune
der Körperarterien einmündeten, verhielten sich gleichsam
wie Herzen und zwar wie das linke oder Aertaherz. Der
Uebergang des Venenstammes in die Nabelvene bezeichnete
gleichsam das rechte oder Lungenaortaherz, indem von ihm
aus das Blut zur Placenta, dem Respirationsorgane, strömte.
Einen Beweis für diese Ansicht findet er in den* analogst!
Verhalten des Gefisssystemes bei Mollusken, Fischen und im
Pfortaderkreisbufe bei Säugethieren und Vögeln. Den Grund
der gehemmten Bildung sucht er in piner Anomalie und
Trägheit des Vegetationsprocesses, die nach seiner Vennutbtmg
auf einer Trägheit des Zeugungsprocesses beruht; map könne
sich vorstellen, dass, da die herzlosen Jtyissgeburteu immer
als Zwillingsfrüchte geboren werden, bei der Zeugung bloss
ein Ei gehörig befruchtet wurde, das andere nicht Von dem
Grade der Befruchtung des letzteren hinge dann der Grad
der Ausbildung der kopflosen Missgeburten ab; und so bildeten .
die Geburten eines wohlgestalteten und eines kopflosen
Kindes eine Stufenfolge zwischen den einfachen und Zwillings-
geburten, indem zuerst ein ganzes und ein vierteis bind,
dann ein ganzes und ein halbes, ferner ein ganzes und zwei-
dritteis Kind und endlich zwei Kinder gezeugt wurden.
Qurlt1) glaubt, dass die Kabelvene des Acardiacus das
zuführende, die Nabelarterie das zurückführende Gefass sei,
hauptsächlich wegen des angeblich constanten Mangels der
Klappen in den Venen des Acardiacus; die bewegende Kraft
vindicirt er allerdings dem Herzen des gesunden Kindes, stellt
sich den Kreislauf aber so vor, dass die Nabelarterie des
gesunden Kindes in der Placenta durch Capillaren sowohl in
die eigene Nabelvene, als auch in die des Acardiacus übergeht
Das Blut müsste dann in dem letzteren durch ein zweites
Capillarsystem, analog dem Pfortaderkreislaufe, circiiliren und
sich durch die Nabelarterie zur Placenta zurückbegeben;
1) Magasin für die gesammte Thierheilkunde. VI. Jahrg. 1840.
XII. Poppelt Ueber herzlose Misegeburfcen. 266
wie < jedoch diese sich weiter verhalten soll, ist nicht
recht klar.
Eine, ähnliche Ansicht spricht Marshall Hall1) aus,
dass nämlich das Herz des gesunden Zwillings das Blut durch
die Nabelarterie nicht nur in seine eigene Nabelvene und in
die des herzlosen Kindes treibe, sondern dass es auch „actione
quadam laterali" das Blut das in der Nabelarterie des Acardiacus
enthalten ist, in die PJacenta und ihr Capillarsystem sauge.
Bei W. Vrolik*) wird bei der Beschreibung des Gefäss-
systeras eines Acephalus gelegentlich die Heinang geäussert:
„vasorum actione fit raeatus sanguinis ".
Asüey Cooper und Hodgkin3) machten wohl zuerst
auf die Anastomosenbildung, wie sie im Anfange beschrieben
wurde, mehr aufmerksam, und gaben auch die Abbildung
einer solchen Placenta, wobei sie auseinandersetzen, dass das
Blut durch die Anastomose in die Missbildung strömend da-
selbst auf dieselbe Weise, wie in einem Glied des gesunden
Kindes den Umlauf vollende.
H. Mechd*) bildet ebenfalls eine Placenta von ungefähr
in der achten Woche abortirten Zwillingen ab,, von denen
der eine normal, der 'andere verschieden missbildet und
„vermuthlich" herzlos war; es geben auch die Nabelarterie
und Vene der missbildeten Frucht unmittelbar in Hauptäste
der. entsprechenden Gefässe der gesunden über. Meckel
glaubt nun, dass eine Anzahl herzloser Missgeburten dieser
Geiässanomalie ihre Entstehung verdanke, ohne dass er sich
jedoch näher über die Art ausspricht, wie sie zu Stande
komme; aber für alle Acardiaci lässt er diese Entstqfrungs-
weise nicht gelten, indem andere sicher aus einer aümäligen
Selbstlösung von Parasitenbildungen hervorgingen oder dadurch
zu Stande kämen, dass bei Vorhandensein eines doppelten
Fruchthofes unter unbekannten Bedingungen eine Area in der
1) Edinburgh and London monthly Journal, N. XXX.
2) Tabulae ad illustrand. Embryogenesin tarn natural, quam
abnorm. Amstelodami 1849.
3)' Tbe biatory of an unusually formed placenta and imperfect
foetua by Dr. Hodgkin y with an aocount of tbe atruotare of the
ptaaenta and foetua by Sir A. Cooper.
4) L. c.
256 XII. Poppelf Ueber herslose Missgebnrten.
Entwickelung stehen bleibe und der ihr entsprechende Fötus
schliesslich als blosser Anhaug des anderen erscheine, dem
ein besonderes Herz fehlt
Hempel1) hat zuerst nachzuweisen gesucht, dass auf
die im Anfange erörterte Weise der Kreislauf bei allen herz-
losen Missgeburten vor sich gehen müsse. Er konnte sich
zwar nur auf wenige genau beschriebene Fälle stützen, denn
ausser der schon erwähnten von AsÜey Cooper und Hodgkin
beschriebenen und abgebildeten und einer von ihm selbst
untersuchten Placenta waren nur noch bei Tiedemann*) drei
bestimmte Angaben über Anastomosen der Nabeigefasse bei
Acardiacis zu finden, doch sind andere Beobachtungen, die
dagegen zu sprechen scheinen, bei denen thefls von vollkommen
getrennten Placenten berichtet wird, tbeils von Anwesenheit
des Herzens und mangelndem Kopfe, theils von herzlosen Miss-
geburten, die aber allein ohne einen Zwilling geboren wurden,
entweder als unzuverlässig oder als nicht hierher gehörig zu
bezeichnen, und es ist somit die Aufstellung einer bestimmt
abgegrenzten Gruppe von Missbildungen unter dem- Namen
der Acardiaci gerechtfertigt. Bisher hatte man sie immer als
Acephali aufgeführt, weil man darin das Charakteristische fand.
Diese Arbeit Hempets scheint noch längere Zeit un-
beachtet geblieben zu sein, denn bei Förster9) wird noch
die Nabelvene als zu- und die Nabelarterie als ableitendes
Gefass bei den Acephalis ausgegeben; auch die Gruppe der
Acardiaci ist noch nicht zusammengestellt, ebens<j wenig wie
bei Rokitansky,*) der in Bezug auf Aetiologie bloss vou
einer frühzeitigen Beeinträchtigung des Keimes durch den
andern Zwilling spricht. Erst Claudius5) hat in neuester
Zeit die allgemeinere Aufmerksamkeit auf die Acardiaci gelenkt,
und auch neue Gesichtspunkte über die Art der Entstehung
aufzustellen gewusst, die ich theils schon anfangs berührte,
theils noch in Kürze mitzutheilen mir erlaube.
1) L. c.
2) L. c.
8) Handbnch der pathol. Anntomie. Leipsig 1855.
4) Letirboch der pathol. Anatomie. Wien 1855.
5) Die Entwickelang der herslosen Missgebarten. Kiel 1859.
XH. Poppet, Uebcr herslose Missgebarten. 257
Ausser dem Herzen fehlt den Acaräiacis regelmässig
das Stermim and nie kommen alle Tbeile des Körpers zur
Entwickehmg , am seltensten die oberen Extremitäten und
der Kopf. Für den Mangel des Brustbeines beansprucht
Claudius eine in den letzten Stadien der Herzthätigkeit auf-
tretende Congestion in den Brustorganen mit begleitendem
Oedem als Ursache, wodurch eine Vegetationsstörung der
eben erst sich bildenden Knorpelsubstanz bedingt werde. Die
vorzugsweise Entwickelung dieser oder jener Theile des
Acardiacus hängt, wie gleichfalls Claudius sehr plausibel
macht, theilweise gewiss von physikalischen Gründen ab.
Wie wir oben sahen , kehrt sich der Blutstrom in dem
Zwillinge, aus dem der Acardiacus entsteht, um, und er wird
durch die beiden Art umbilicales, von denen auch eine öfters
obliterirt, demselben zugeführt. An der Einmündungsstelle
der Art. umbilicalis in die Art. hypogastrica wird der rück-
läufige Blutström am leichtesten in die Aeste der letzteren
einfliessen, da er in ihnen die ursprüngliche Richtung inne-
behalten kann — welchem Umstände gewiss die fast constante
Ausbildung des Beckens und seiner Weichtheile zuzuschreiben
ist -r-, während er nach aufwärts bis zur Art. iliaca communis
die Strpmrichtung erst umkehren muss. Hier an der Ein-
mündungssteile der Art. hypogastrica in die Art iliaca communis
theilt er sich wieder in zwei Ströme, deren einer in der Art
iliaca externa seine Richtung nicht zu ändern braucht, woraus
sich das häufige Vorkommen der unteren Extremitäten erklärt ;
der andere hingegen muss in der Art. iliaca communis und
weiter hinauf in der Aorta erst den entgegenfliessenden Blut-
strom überwinden.
Ferner ist auch die Entfernung eines Gelasses von der
Eintrittsstelle der Art. umbilicalis in die Art. hypogastrica von
Einfluss, da je näher, desto grösser der Hauptstrom ist, der
den Seitenstrom liefert. So werden z. B., abgesehen von
den Arterien des Beckens und den unteren Extremitäten in
der grössten Mehrzahl der Fälle die Art. meseraicae, sgermaticae,
renales mit Blut versorgt, und es bilden sich dem ent-
sprechend sehr häufig die unteren Abschnitte des Darmes,
die Geschlechtsdrüsen und die Nieren aus, während der
Magen, die Leber, Milz, dann der Brustkorb, oder gar die
25£ XJI. Pofiptl, Ueber herzlos« Misigthurtea.
oberen Extremitäten und der Kopf viel häufiger fehlen oder
mangelhaft entwickelt find. Die Menge des Blutes Überhaupi,
die dem Acardiacus zuströmt» scheint mir ebenso- von grosser
Wichtigkeit zu sein; unter den mir zu Gebote stehenden
Fällen fand ich nämlich 27 mit genauer Angabe der Nabel-
geßsse, und da ist es gewiss nicht zufällig, dass neun,
die bloss eine Bauchhöhle mit Rudimenten von Darm oder
höchstens noch verkümmerte untere Extremitäten besassen,
durch nur eine Nabelarterie Blut erhielten, hingegen von den
übrigen 18, die ausser der unteren Körperhälfte auch noch
einen Thorax und mehr oder weniger ausgebildete obere
Extremitäten, selbst Kopfrudimente hatten, 17 durch zwei
Nabelarterien ernährt wurden, also offenbar mehr Blut be-
kamen, als die ersten. Endlich ist auch die Weite der Seilen-
äste ein begünstigendes oder ungünstiges Moment, weil je
enger dieselben sind, desto mehr die Reibung an den Wänden
und die Stauung an der Eintrittsöffnung den Blutstrom hemmt.
Noch seien einige Worte über das eigentümliche Ver-
halten des Venensystems bei Acardiacis erlaubt Zur Zeit
der Bildung, der Mantois steigen im Embryo zu jeder. Seite
der Wirbelsaule je eine Vene vom Kopfe gegen das Herz,
die Jugularvenen, und je eine vom Schwanzende, aufwärts,
die Carduialvenea, die sich mit den Jugularvenen ihrer Seite
zu den beiden Ductus Cuvieri vereinigen, wekhe gemein-
schaftlich in den Vorhof münden. Die Cardinalvenen nehmen
die Leber- und Darmvenen und die Nierenvenen auf und
geben, in die Veuae ilweae über, die sich grösstenteils in
den Allan toisvenen fortsetzen, welche letztere also die früheste
Form der Nabelvenen bilden. Später entsteht die Cava in-
ferior als Zweig der vom ersten Kreisläufe her bestehenden
Vena oraphalomesenterica, nimmt einen anastomotiaehen Zweig,
der von einer der Nabelvenen im Nabel entspringt, auf, uod
setzt sich durch andere Zweige mit den Venae crurales und
hypogastricae in Verbindung, die bald ganz in sie übergehen,
so das» dann die Cardinal- und die mit ihnen verbundenem
hinteren Vertebralvenen* als Venae azygos und hemiazygos enden;
hiermit gehen zugleich die. inneren Stücke der AJlantoisvenen,
die in die Venae iliacae einmündeten, zu Grunde« Wenn nun
XII. Poppsl, Ueber herslofe Miaageburtejt. 250
bei Acardiacis das Her? untergeht« schwinden die Ductus
Cuvieri und ^die Cardin^venen geben unmittelbar in die
Jugjularvenen über, und dieses Venensystem bleibt dann auch
in der weiteren Eotwickelung besteben.
Die bei unseren Missbildungen also doppelt oder auch
einfach vorkommenden zu beiden oder einer Seite der Aorta
aufsteigenden Venenstämme sind demnach nicht als Hohlvene*,
sondern als die Stamme zu deuten, aus deöen sich im
normalen Fötus die Vena azygos und hemiazygos bildet Sie
treten dann am Becken in einen venösen Bogen ein, der die
beiden Venae iliacae verbindet; die*e trennen sich in die
Venae murales und hypogastricae, in welche letztere die Nabel-
venen, eine oder zwei, einmünden, die in ihrer frühesten
Form, in der der Allantoisvenen persistiren. Dies ist im
Allgemeinen das Verhalten des Venensystems bei Acardiacis;
natürlich kommen Varietäten bei der zahlreichen Entwicklung
venöser Anastomosen nicht selten vor.
Nach der Ausbildung der einen oder andern Körper-
region können die Acardiaci in drei Hauptformen eingetheiJt
werden und zwar: 1) In Amorphi und Mylecephali, die eine
kugelige mit Haut überzogene Hasse ohne Kopf und Ex-
tremitäten, oder die letzteren nur durch kleine Höcker an-
gedeutet» darstellen; im Inneren sind meist Knoehenkerne
von öfters wirbeläknlfcher Form und cystöse Hohlräume ent-
halten, hier und da findet mau noch Nerven- und Muskel-
fasern und auob eine . blind endigende Darmschiinge ; daß
übrige besteht aus Bindegewebe. Davon sind 18 Exemplare
bekannt. 2) In Acormi, die bloss aus einem verschieden
nrissbildeten Kopfe mit ganz rudimentärem Rumpfskelete ge-
bildet sind, bloss in 5 Exemplaren bekannt. 3) In Acephali,
die die höchste Entwickelung erreicht haben und je nach
dem Vorkommen von Extremitäten oder Kopfrudimeoten
Acephalus sympus, monopus, dipus, monobrachius, dibrachms,
paraeephalus heissen; sie sind die häufigsten und bei Claudius
in 89 Exemplaren aufgeführt. ')
1) Die Eintheilnng nach JftfrsJar; Die MisshiMungen de«
Mensaben. Jena 18*1.
260 XII. Poj)pelt Ueber herzlose Missgeburten.
Zur Beschreibung der einzelnen Fälle übergehend, muss
ich bedauern, dass auch bei ihnen, wie bei fast allen, die
Placenta fehlt Im Ganzen kann ich höchstens neun Fälle
finden, in denen des Verhaltens der Placentargefässe Erwähnung
gethan wird; die drei Fälle bei Tiedemann, dann die von
Ä8tley Cooper und Hodgkin, von H Meckel und von
Hempel sind schon früher angeführt, eine siebente Placenta
besitzt die Kieler anatomische Sammlung, und die anderen
zwei in der Literatur sich findenden, auf die mich Herr
Prof. Hecker aufmerksam machte, werden noch später kurz
besprochen werden. Trotzdem dürfte die Seltenheit der
Missbildung eine kurze Beschreibung mit Abbildung, welche
letztere mir mein Vater den Gefallen erwies, in Stahl aus-
zuführen, rechtfertigen.
Der erste Acardiacus, Fig. I. in natürlicher Grösse dar-
gestellt, wurde vor einiger Zeit von einem praktischen Arzte
auf dem Lande in's hiesige Gebärhaus übersendet. Er stammt
nach den beigegebenen Notizen von einer gesunden 27 Jahre
alten Frau, die schon zwei Mal gesunde Kinder normal geboren
hatte. In ihrer dritten Schwangerschaft litt sie in der letzten
Zeit an brennenden Schmerzen in der Nabelgegend und an
Gefühl von Pelzigsein der unteren Extremitäten. Vor der
Geburt des ersten Kindes, eines wohlgebildeten im achten
Monate befindlichen bereits todtfaulen Knaben, entleerte sich
viel stinkendes Fruchtwasser; die Geburt erfolgte in Kopflage.
Nach */4 Stunden stellte sich ebenfalls nach Abfluss stinkenden
Fruchtwassers das zweite Kind mit den Füssen voraus und
erschien als Missgeburt. Zugleich mit derselben kam die
Nachgeburt, da hier die Nabelschnur sehr kurz war, während
sie bei dem ersten Kinde eine mittlere Länge halte; die
Placenta war klein, beide Nabelstränge inserirten sich fast
in ihrer Mitte. Mehr konnte über die Nachgeburt nicht er-
mittelt werden. Das Gewichtetes Acardiacus beträgt 103 Gnn.;
die Länge ohne die unteren Extremitäten 9 Ctm., die rechte
untere Extremität misst 9 Ctm., die dicke äusserlich bloss
4V2 Ctm. Der Nabelstrang, ,an dem Amnionfalten anhängen,
ist 31/« Ctm. lang und scheint auch im Ganzen nicht länger
gewesen zu sein. Die obere Körperhälfte ist eine kugelig
XII. Poppet, Ueber herzlose Missgeburten. 261
plattgedrückte Masse, die überall mit normaler Haut über-
zogen und an einigen Stellen mit feinen Haaren bedeckt ist
Mehrere spaltförmige Vertiefungen mit warzenähnlichen Er-
habenheiten sind die Andeutung einer Gesichtsbildung, denn
sie entsprechen dem Schädelrudiment am Skelet. Neben dem
Nabelstrange ist ein grosses freiliegendes Paquet Darmscblingen ;
unterhalb derselben sind Spuren äusserer Geschlechtsteile
in Form eines plattgedrückten imperforirten Penis; Alter-
Öffnung ist keine da. Die rechte untere Extremität ist fast
ganz normal, im Hüftgelenke flectirt, adducirt und nach
aussen rotirt; die kleine Zehe ist nur durch einen kleineu
Höcker ohne Nagel angedeutet. Die linke ist mehr deform,
ein Oberschenkel ist äusserlich nicht sichtbar, und es sind
bloss drei theils missgebildete Zehen und ein hochgradiger
Klumpfuss vorhanden.
Die Hautdecken sind normal, nur das Unterhautbindegewebe
ist wie bei allen Acardiacis in dicken Lagen gewuchert und
innig mit dem Skelet und den Muskeln verbunden; Hohl-
räume mit serös- gallertige irf Inhalte, wie sie sonst meist
beschrieben werden und die ebenso wie die Bindegewebs-
wucherung durch die venöse Stauung bedingt zu sein scheinen,
wofür auch die öfters beobachteten cavernösen Venen-
erweiterungen der Haut sprechen, sind nicht zugegen; auch
das Unterhautfettgewebe ist nicht entwickelt.
Das Skelet ist in ziemlicher Ausbildung vorhanden und
nach ihm gehört vorliegender Acardiacus, wenn man ihn
gemäss obiger Eintheilung rubriciren will, zu den Acephalis
paracephalis; von solchen Acephalis mit Schädelrudimenten
sind 13 bekannt.
In unserem Falle ist eine Knochenkapsel, aus mehreren
fest verbundenen Stücken bestehend, an der Stelle des Schädels
vorhanden; eine grosse Lücke in derselben war innig mit
den oben beschriebenen für Gesichtsbildung angesprochenen
Erhabenheiten der Haut verwachsen. Unten besitzt das
Schädelrudiment eine zweite grosse OefTnung, die in den
Rückenmarkskanal führt. Die Wirbelsäule ist im Ganzen
stark lordotisch nach links gebeugt, besteht aus 7 undeutlich
ausgeprägten Halswirbeln, 12 Brustwirbeln und 5 ganz regel-
mässig gebildeten Lendenwirbeln. Rippen sind links 12
262 XII. Poppel, Heb er herzlose Missgeburten.
vorhanden, durch die Lordose unregelmässig übereinander-
geschoben, verkrümmt und theil weise mit einander verwachsen;
vorn sind die 10 obersten durch Knorpelmasse vereinigt.
Der rechte Theil des Brustkorbes hat 11 Rippen, von denen
die oberste ganz rudimentär ist, die acht folgenden durch
Knorpel vorn vereinigt sind; zwischen den beiderseitigen
Knorpellamellen ist eine weite Lücke, durch den Mangel des
Brustbeins bedingt. An der Stelle des Schulterblattes ist auf
jeder Seite ein unförmlicher platter Knochen, der sich mit
einem dem Schlüsselbeine entsprechenden Portsatz mit den
Rippenknorpeln verbindet. Das Becken ist ziemlich normal
gebildet, nur fehlt links die Gelenkpfanne; dem entsprechend
der Gelenkkopf mit dem oberen Theile des linken Ober-
schenkels, dessen unteres Ende ganz in der Haut verborgen
und äusserlich nicht sichtbar ist. N
Das Muskelsystem ist analog der Entwickelung des
Skelets ausgebildet; am Kopfe, Halse und oberen Extremitäten
waren nur zerstreute mit dem Zellgewebe der Haut verfilzte
Muskelbündel; am Brustkorbe sind die Zwischenrippenmuskeln,
namentlich rechts, gut entwickelt, von den grossen Brust-
muskeln konnte keiner dargestellt werden, dagegen waren die
langen Rückenmuskeln zu beiden Seiten der Domfortsätze
in zwei dicken Bäuschen vorhanden; die Beckenmuskeln waren
normal, die Bauchmuskeln in ihren einzelnen Lagen nicht
darstellbar, Von Zwerchfell keine Spur zu finden.
Was das Nervensystem betrifft, so war in der Schädel-
kapsel eine pufpöse Masse, die mikroskopisch bloss Binde-
gewebe, zahlreiche Gefasse, amyloide Körperchen, Ölutfarbstoff
und Gholestearinkrystalle zeigte; dies ist der constante ßefund
bei allen Acardiacis mit Schädelrudimenten, nie ist bei ihnen
ein Gehirn beobachtet worden, ausser bei den Acormis, die
iitimef Gehirntlieile oder ein hydrocephalisches Gehirn besitzen.
Das Rückenmark mit seinen peripherischen Nerven, so weit
sie verfolgt wurden, ist' vorhanden.
Organe der Brusthöhle sind keine da, ihr Untergang ist,
wie wir sahen, bedingt durch die Entstehungsweise der
ganzen Missbildung, durch die beim Untergänge des Herzens
stattfindende Circulationsstörung; mit dem Herzen gehen auch
iftimer die Lungen zu Grunde. An der Stelle derselben ist
XII. Poppet, lieber heralosö Mfssgeburtdn. 283
die Brusthöhle, wenn überhaupt eine ausgebildet ist, in allen
Fällen mit Zellgewebe ausgefällt; in unserem Falle sind ober-
flächlich auf dasselbe zwei durch einen Hohlgang verbundene
Säcke aufgelagert, deren Wandungen aus Bindegewebs- und
elastischen Fasern gebildet sind und die etwas dortkeiröthe
schmierige Hasse, aus Blutfarbstoff und Detritus bestehend,
enthalten. Solche Hohlräume sind schon an anderen Steifen,
namentlich aber in der Brusthöhle, nicht selten gefunden
worden und verdanken ihre Entstehung vielleicht zu Grunde
gegangenen Organen.
In der Bauchhöhle sind zwei Nieren mit blind endigenden
Ureteren, zwei Nebennieren und auf dem Annulus inguinal»
aufliegend zwei Hoden ; ausserdem ist noch eine verkümmerte
mit einem kleinen Hohlräume versehene Harnblase da. Der
Darmkanal- hegt ganz ausserhalb der Bauchhöhle, endigt
beiderseits blind und ist durch ein langes Mesenterium afl
die Wirbelsäule gehellet. Es fehlt demnach, wie bei den*
meisten Acardiacis, vollständig Magen, Leber, Müfc, Pankreas.
Die Geßssvertheilung endlich ist kurz folgende. In den
Nabelstrang treten zwei Venen und eine Arterie. Die eine Vene
entsteht aus der Vereinigung zweier Venae jugalares, nimmt
im Herabsteigen die in zwei Stämmen sich sammelnder*
Venae intercostales, die rechte Nierenvene, die Nebennieren-
venen, eine einer Lebervene entsprechende aus ttem Zell-
gewebe des Thorax stammende Vene und eine Darmtene auf,
und geht direct in den Nabelstrang über, ohne mit den Venen
der unteren Körperhälfte Verbindungen einzugehen. Die andere
Vene setzt sich aus den im Bogen vereinigten Venae iltacae
externae und hypogastricae beider Seiten zusammen und nimmt
auch noch die linke Nierenvene auf. Die Arterie spaltet sich
noch im Nabelstrange in zwei Aeste, deren linker nach ab-
wärts steigend in die Art hypogastrica und' ilraca externa
dieser Seite sich theilt, während der rechte direct in die
Aorta mündet, die die Art. hypogarstrica und iliaca externa
der rechten Seite und nach aufwärts steigend' zu den vor-
handenen Organen die normalen Zweige abgiebt.
Der zweite Acardiacus, Figur V. in % der natürlichen
Grösse dargestellt, befindet sich schon seit längerer Zeit in
der Sammlung des hiesigen Gebärhauses, es sind aber keine
264 XH* Poppelf Ueber herzlose Miesgebnrten.
weiteren Notizen, als dass er ein Zwillingskind war, vor-
handen. Darum möge eitle ganz kurze Angabe der Organe,
die er besitzt, genügen.- Er wiegt 337 Grm. und ist 18 Gtm.
lang. Die Hautdecken sind bei ihm durch Wucherung des
Unterhautbindegewebes, das auch viele cystöse Hohlräume
enthält, enorm verdickt; die obere Hälfte stellt eine kugelige
Masse dar ohne jede Hervorragung; die unteren Extremitäten
sind auch sehr verdickt, der linke Puss hat zwei Zehen, am
rechten sind gar keine Pussknochen vorhanden, sondern er
endet mit einer stumpfen Spitze, die durch das Ende der
Tibia bedingt ist. Vom Skelet fehlt Schädel, Halswirbeisäule,
obere Extremitäten vollständig, die Brustwirbelsäule hat neun
Wirbel, an denen rechts acht, links neun theils rudimentäre
Rippen sich anheilten, die vorn wieder einen weilen freien
Raum zwischen sich lassen; das Becken ist normal. Die
Wirbelsäule, die stark kyphotisch gekrümmt ist, enthält ein
Rückenmark, das auch peripherische Nerven aussendet. Der
Brustkorb ist oben mit Zellgewebe ausgefüllt, auf welchem
zwei grosse Nieren mit Nebeunieren liegen. Die Ureteren
münden in eine Harnblase, die auch eine nach aussen mündende
Urethra besitzt. Weiter sind einige Dünndarmschlingen, die
nach oben blind endigen, nach unten in einen, normalen
Mastdarm mit Afteröffnung übergehen, vorhanden. Zwei Hoden
liegen auf dem Anntilus inguinalis internus, die äusseren
Genitalien gleichen mehr weiblichen, doch ist nur eine
Oeffnung, die Mündung der Harnröhre vorhanden. Nabel-
strang war keiner da, in der Bauch wandung verHefen eine
Nabelarterie und eine Nabelvene. Erstere mündet in die
Art. iliaca communis der linken Seite; eine Aorta gieht zu
den Organen die gewöhnlichen Zweige und theilt sich ganz .
regelmässig in die beiden Art. iliacae communes. Die Nabel-
vene mündet in die Vena iliaca communis der rechten Seite,
die mit der der linken Seite im Bogen zusammenhängt, und
auch einen von oben herabkommenden, das Blut laus dem
Thorax , den Nieren und Nebennieren sammelnden Venenstamm
aufnimmt.
Noch mag ein dritter Acardiacus kurze Erwähnung
finden, der in der pathologisch - anatomischen Sammlung
der Anatomie aufgehoben isl. Herr Prof. Buhl hatte die
XII. Poppet, Ueber herzlos« Missgebarten. 266
Gate, ihn mir zur Verfügung zu stellen und untersuchen zu
helfen. Leider war er durch unbekannte Hand in früherer
Zeit schon in einer Art präparirt, dass man sich mit Mühe
ober die inneren Organe orientiren konnte und dass eine
Abbildung unmöglich gewesen wäre. Dessenungeachtet Ver-
dient er eine kurze Beschreibung, weil seine Entwickelung
in seltenerem Grade vorgeschritten ist Anamnestisch ist
ebenfalls nichts von ihm bekannt, nicht einmal, ob er ein
Zwilling gewesen sei. Er ist 18 Ctm. lang, hat einen normal
gebildeten Rumpf mit zwei oberen und zwei unteren Ex-
tremitäten, dagegen keine Andeutung eines Kopfes. Die
Arme, die unter allen Acardiacis 22 Mal in geringerer oder
grösserer Ausbildung, aber nur einige Male so vollständig
wie in unserem Falle" beobachtet worden sind, haben weiter
keinen Defect als beiderseits den des fünften Fingers; an
den Füssen sind auf beiden Seiten bloss drei Zehen; Hals-
wirbelsäule ist vollständig da, der Thorax ist nicht geschlossen
und hat bloss 7 — 8 Rippen auf jeder Seite. In der oberen
Brustapertur liegen noch einzelne miteinander verbundene
Knochenkerne, die gewiss als Rudimente eines Sternums zu
deuten sind ; äusserlich entspricht denselben eine erbsengrosse
Hautausstülpung, die zwei Hohlräume besitzt und vielleicht
dem Untergänge des Herzens ihre Entstehung .verdankt. An
den Innenwänden des Thorax sind Reste eines verstümmelten
Zwerchfells mit entschiedenen Muskelfasern, was bei den
Acardiacis zu den seltensten Vorkommnissen gehört, denn
nur bei zwei bis drei Beschreibungen wird eines Diaphragmas
Erwähnung gethan. Der Darmkanal ist ganz entfernt worden,
und man findet nur noch einen Mastdarm mit Afteröflhung
und im Brustkorbe ein arg zerschnittenes häutiges Hohl-
gebilde mit Schleimhaut ausgekleidet, nach oben blind endigend,
das ohne Zweifel Magen war; mit ihm verbunden ist ein
kleines linsengrosses Gebilde, ein Rudiment der Milz, und
ausserdem ist noch eine bohnengrosse, links von der Mittellinie
gelegene, mit einem Zweige der Nabelvene versehene Leber
vorhanden. Auch diese Organe sujd erst einige Male beobachtet
wordea Nieren mit Nebennieren, Ureteren, "Harnblase sind
normal gebildet, ebenso ein Uterus mit zwei Eileitern und
Eierstöcken, nur ist die linke Tube, die abgeschnitten ist,
MonaUsehr. f. (Mortale. 1889. Bd. XX., HfL 4. 18
266 'XII. Poppet, Ueber herzlose Mfssgeburten.
bedeutend länger, so dass der linke Eierstock höher liegt,
als der rechte. Die Süsseren Geschlechtsteile entsprechen
auch weiblichen. In den Nabelstrang tritt eine Vene und
eine Arterie und sie verhalten sich ganz ähnlich, wie bei
Figur VI., nur mit dem Unterschiede, dass der aufsteigend«
Venenstamm links von der Aorta liegt.
Zum Schlüsse möchte ich noch die zwei Falle aus der
Literatur besprechen, die durch Beschreibung der Placenta
Interesse bieten. Der erste ist -in den „Verhandinngen der
Gesellschaft für Geburtshülfe in Berlin, Jahrgang 1846«, von
Sanitälsrath Dr. C. Mayer mitgetheilt und mit genauen Ab-
bildungen versehen. Er betrifft, um kurz die ebenfalls
interessante Geburtsgeschichte anzuführen, eine 28jährige
Erstgebärende, die im siebenten Schwangerschaftsmonate nach
längerer Kränklichkeit frühzeitige Wehen bekam. Das erste
Kind, ein wohlgebildeter Knabe, musste wegen Erfolglosigkeit
der Wehen mit der Zange entwickelt werden und starb zwei
Stunden nach der Geburt. Das zweite Kind stellte sich mit
den Füssen voraus und man konnte schon an ihrem ungewöhn-
lichen Umfange und ihrer ödematösen Beschaffenheit auf
allgemeinen Hydrops des Kindes schliessen. Die Eitraction
bot ganz beträchtliche Schwierigkeiten, denn man musste
Bauch- und Brusthöhle perforiren, um das Volumen zu ver-
kleinern. Die Mutter starb am sechsten Tage an Metro*
Phlebitis. Die Beschreibung der Missbildung Selbst, die ebenfalls
männlichen Geschlechts war, kann hier übergangen werden.
Die Placenta war beiden Kiudern gemeinschaftlich, ebenso
die Eihöhle. Die Nabelschnüre beider Früchte schienen mit-
einander in Verbindung gestanden zu haben, der Zusammen-
hang war jedoch nicht vollständig mehr nachzuweisen, weä
die Placenta an einer Seite etwas zerrissen war, und gerade
nach dieser Seite verliefen die GefSsse , welche wahrscheinlich
dem Acepbalus das Blut zuführten; man erkannte aber doch,
dass von der Stelle, wo die etwa 12 Zoll lange Nabelschnur
des ausgebildeten Knaben central eingeffigt war, zwei grössere
Gefässe gegen den Rand der Placenta liefen und hier ab-
gerissen waren; es hatten sich also wahrscheinlich die Geffcsse
für den Acepbalus erst in den Eihäuten zu einem Nabelstrange
vpreinifirt. welcher höchstens 6 — 7 Zoll lang gewesen sein
XII. Poppdy Ueber h einlöse Mistgeburten. 267
konnte. Verfasser zog damals schon aus diesem Verhalten
der Gefässe den richtigen Schluss, dass die Nabel&rterien
des anderen Kindes es sein müssten, welche auch dem
Acephalu* das Btat zuführten, und untersuchte deswegen auch
das Herz des gesunden Kindes, weil er wegen der grösseren
Leistung desselben eine Hypertrophie vermuthete, die sich aber
nicht fand.
Der zweite Fall ist aus der aUerneuesten Zeit und von
Prof. Betschier in Breslau in seinen „Klinischen Beiträgen
zur Gynäkologie. Breslau 1862" beschrieben. Die betreffende
Missgehnrt wird zwar nicht als Acardiacus, sondern als Hydrops
anasarca gelatinosus des Fötus bezeichnet, aber schon der
erste Blick auf die Abbildung und noch mehr verschiedene
gleich zu erwähnende Angaben geben der Vermuthung Raum,
oh sie nicht möglicherweise ein Acardiacus sei. Eine
26 Jahre alte Frau, die schon zwei Mal normal geboren und
ein Mal aboctirt hatte, bekam im siebenten Monate ihrer
vierten Schwangerschaft frühzeitige Wehen. Das erste Kind
hatte eine Schulterlage und wurde ohne Kunsthölfe durch
Selbstentwickelung geboren; es war ein todtes erst während
der Geburt abgestorbenes Mädchen. Das zweite Kind wurde
in Fusslage durch Naturkräfte geboren und war die Miss-
geburt, die kurz beschrieben werden muss. Sie war 18 Zoll
lang und wog über 8 Pfund. Die Abgrenzungen von Kopf,
Hals und Rumpf waren ganz unkenntlich durch die reichliche
Entwickelung des Unterhautzellgewebes, das überall mit
einer gelben gelatinösen Flüssigkeit mßltrirt war. Nase,
Mund, Augen und Ohren waren nur durch kleine Hervor-
ragungen und Grubchen angedeutet, doch waren die Augen
und eine normal gebildete Mundhöhle mit Zunge vorhanden.
Der unke Arm war rudimentär mit nur zwei Fingern, der
rechte fehlte ganz, die unteren Extremitäten waren klein,
mitisgestaltet und hatten, die linke zwei, die rechte nur eine
Zehe. Es bestand ein Hirnbruch an der Nasenwurzel, ein
Hydrocephalus internus und exlernus; in der Brusthöhle war
ein geringer Wassererguss , stark comprimirte Lungen, von
denen die rechte fast ganz fehlte, Trachea und Oesophagus
endigten am zweiten Brustwirbel Mind, in der Peritonealhöhle
war eine beträchtliche Wasseransammlung, sortät aber keine
18*
£68 XII. Poppet, Ueber herzlose Missgeburten.
Abnormität der Unterleibsorgane vorhanden. Das Kind hatte
weibliche Geschlechtsteile. In die gemeinschaftliche Placenta
inserirten sich beide Nabelstränge, welche 24 Zoll lang waren,
fast central, einen Zwischenraum von iy9 Zoll zeigend, der
durch eine an der fötalen Oberfläche des Mutterkuchens
deutlich erkennbare Vene eingenommen war; diese verlief iu
gerader Richtung, von einer Vena umbilicalis nach der des
anderen Nabelstranges und vermittelte eine vollständige Coramu-
nication beider Nabelvenen, die übrigens als einzelne Stämme
weiter in's Parenchym verliefen und sich in gewöhnlicher Art
verteilten. Die Vene der Nabelschnur der raissbildeten Frucht
hatte ausserdem in der Entfernung von 3 Zoll vom Annulus
umbilicalis die Eigentümlichkeit, dass sie in drei Windungen
ihre beiden Arterien umlief und an dieser Stelle mehrere
Blutcoagula enthielt, welche, ihrer Wandung fest anhängend,
ihr Lumen verengten, auch bot die Innenwand dieses Ge-
lasses die Zeichen einer Phlebitis dar. Wer denkt bei dieser
Beschreibung nicht an die Acardiaci? Und iu der Thal
stimmen alle Angaben so genau mit den bei Acardiacis vor-
kommenden Anomalien überein, dass man nur bedauert, über
das Verhalten zweier Gebilde, des Herzens und der Nabel»
arterie, nichts zu erfahren. Denn fürs erste war es eine
Zwillingsgeburt mit einer gesunden Frucht und beide Kinder
waren gleichen Geschlechts; zweitens ist der sogenannte
Hydrops gelatinosus gerade bei Acardiacis ein so häutiges
Vorkommen; dann wird bei den Organen der Brusthöhle er«
wähnt, dass eine Lunge ganz fehlte, die andere sehr comprimirt
gewesen sei; auch die Verbildung der Extremitäten erinnert
{jjanz an die bei den herzlosen Missgeburten gewöhnlich defecte
Ausbildung derselben; und endlich war eine deutliche Anastomose
beider Nabelvenen vorhanden. Dürfte man nun aus der
mangelnden Angabe über das Herz auf dessen Abwesenheit
schliessen und vielleicht ein Uebersehen einer Anastomose der
Nabelarterien annehmen , so könnte kein weiterer Zweifel sein,
dass es sich um einen Acardiacus handle, der freilich durch
die weit gediehene, Ausbildung der Unterleibsorgane und
namentlich des Schädels einzig dastehen würde. Jedenfalls
vermisst man aber die ausdrückliche Versicherung, dass es
kein Acardiacus .ist. Wenn es keiner ist, so ist die Eptr
XII. Poppelf Ueber herzlose Misffgeb orten. 269
stehungsweise allerdings, wie es auch Prof. Betschier thut,
in der Circulationsstorung, bedingt durch die Communication
der beiden Nabelvenen und die Phlebitis in der Nabelvene
der missbildeten Frucht, zu suchen. Die Missbildung wäre
dann eigentlich von noch höherem Interesse, indem sie ein
Zwischenglied darstellte zwischen den zwei im Anfange er-
wähnten Fällen1) von gesunden Zwillingen, bei denen ein Mal
eine Anastomose beider Nabelarterien, das andere Mal auch
beider Nabelvenen stattfand, und dennoch keine Circulations-
storung, die die normale Entwickelung beider Früchte gehemmt
hätte, zu Stande kam, und zwischen den Acardiacis, bei
denen jene Anastomose so verderblich auf das Leben der
einen Zwillingsfrucht einwirkt.
Erklärung der Abbildungen.
Fig. I. Acardiacus (Acephalus paracephalus)!.
a. Mit Haaren besetzte HautstelJen.
b. Hervorragung, durch das Rudiment der rechten oberen
Extremität bedingt,
e. Andeutung der Gesichtsbildung.
d. Aeussere Geschlechtstheile.
e. Linkes Knie.
Fig. II. Derselbe.
a. Schädelrudiment.
b. Lücke in der Schädelkapsel, die mit den warzenförmigen
Bildungen der Haut (Fig. I. c.) verwachsen war.
c. Rudiment der Scapula und Glavicula.
d. Plexus bracbialis.
e. Nervus cutan. femor. ant. ext.
/. Nervus cmralis.
g. Zwei durch einen Hohlgang verbundene Säcke.
Ä. Nieren. .
u Blindendigende Ureteren.
k. Hoden.
L Harnblase.
lj Bei E. Meckel. L. c.
270 XH. Poppet, Ueber herslos« Missgebnrte».
Fig. UI. Derselbe.
a. &. c. wie a. i. c Fig. II.
d. Linker Oberschenkel
6. Plexus ischiadicus.
Fig. IV. Derselbe.
a. Vena umbilicalis.
4. Desgleichen,
c Vena iliaca externa.
d. Vena renalis sinistra.
e. Vena renalis dextra.
/. Der Lebervene entsprechende in's Zellgewebe des Thorax
gehende Vene.
g. Vereinigte Venae intercostales.
A. Venae jugulares.
t. Arteria umbilicalis.
k. Art. iliaca externa.
I. Art hypogastrica.
m. Aorta.
n. Art. carotis und subclavia,
o. Nebenniere.
2>. Vena mesenterica.
q. Art. mesenterica.
Fig. V. Acardiacus (Acephalus dipus).
a. Nebennieren.
A. Nieren.
c. Hoden.
d. Harnblase.
e. After.
/. Harnröhrenmündung.
0. Auseinandergescbnittener Symphysenknorpel.
A. Vena umbilicalis.
t. Art umbilicalis.
k. Unteres Ende der Tibia.
Fig. VI. Derselbe,
a. Art. umbilicalis.
A. ArL iliaca externa.
XIII. 0Uhau*4n, Utber Durchreibuugen u. Rupturen etc. 271
e.
Art hypogastrica.
d.
Aorta. #
6.
Art. renalis.
/•
Vena umbilicalis.
9>
Ven. iliaca externa.
k
Aufsteigender Venenstamm
i.
Ven. renalis.
k.
Ven. suprarenalis.
L
Harnleiter.
m.
Harnblase.
XIII.
Ueber Dnrchreibungen und Buptnreü des Uterus.
Von
Dr. R. ^Olshausen,
Assistenzarzt des Bntbfndungslnstltutr In Halle ft/S.
Die LachapeUe unterscheidet in ihrer vortrefflichen
„Praüque des accouchemens" die Ulcerationen (ulceralious)
der Gebärmutter von den Zerreissungen (decbirures) dieses
Organs. Erstere sollen nach entzündlichen Processen mit
nachfolgender Eiterung oder Gangrän ganz ailmälig zu Stande
kommen, übrigens selten sein. Zu ihrer Entstehung ist der
Geburtsacl nicht notlüg ; sie entstehen auch in der Schwanger*
schaft. Die Zerreissungen (decbirures) trennt die LachapeUe
nach ihrer Entstehungsweise wiederum in zwei wesentlich
verschiedene Klassen, indem sie sich ungefähr so ausdrückt: !)
Bald verdünnt sich die Gebärmutter mehr und mehr und ihr
ausgedehntes Gewebe erleidet eine Trennnng oder, wenn es
am ßeckeneingange gedrückt ist, wird es zerquetscht und
weicht auseinander ; bald scheint es dagegen ganz plötzlich zu
reissen. Die erste Art könnte man Durchlöcherung (eraillement)
oder Usur (usure), die zweite Art Ruptur nennen.
1) LachapeUe, Pnrtique de» accouohetnen», Tome HI., huiti&ifce
memoire, p. 109.
272 XIII. 0Ukau$9ny Ucber Durch reibnngen
Dieser schon von der Lachapetle gemachte Unterschuß,
welcher in dem anatomischen Verhalten der Continuitate-
trennungen des Uterus sehr wohl begründet erscheint, ist
durchaus nicht allgemein in der neueren Literatur üblich ; die
Handbücher sprechen grösstentheils . nur von Rupturen und
auch in Zeitschriften werden Fälle von Durchreibungen der
Gebärmutter gewöhnlich unter dem Namen von Rupturen be-
schrieben. Da die Durchreibungen im Ganzen nicht häufig
sind, so sei es mir erlaubt, einige Fälle, welche ich erlebt
habe, in Folgendem -mitzutheilen:
I.
Geradverengtes Becken van 3" 2'" Conjugata vera.
Wehenmangel während dreier Tage. Perforation
und Kephalothrypsie. Tod am siebenten Tage des
Wochenbetts. Durchreibmng des Uterus.
Allgemeine Peritonitis.
Therese B — , 30 Jahre alt, will im Ganzen gesund
gewesen sein; sie lernte in ihrem zweiten Jahre laufen; über
etwaige Rachitis in der Kindheit ergiebt die Anamnese nichts.
Ihre Mutter hatte nur zwei Mal geboren, das eine Mal ein
lebendes Kind, die Therese B — , mit Hülfe der Zange;
das andere Mal musste der Kopf des Kindes verkleinert
werden. Nach einem regelmässigen Verlaufe ihrer ersten
Schwangerschaft begehrte die Th. B.... die Hülfe der geburts-
hülllichen Poliklinik in Berlin, an welcher ich damals als
Secundärarzt fungirte. Ich sah die Kreissende am 7. Juni 1860.
Sie befand sich, der Schwangerschaftsrechnung nach, am
normalen Ende der Schwangerschaft. Seit zwei Tagen hatte
sie viele Schmerzen im Kreuze und Leibe auszuhalten gehabt.
Seit einigen Stunden fehlten alle Schmerzen und die B
war mit häuslicher Arbeit beschäftigt. Bei der jetzt an-
gestellten Untersuchung fand ich Folgendes:
Der nur kleine Körper ist übrigens regelmässig gestaltet;
keine Verkrümmung der Wirbelsäule oder der Schenkel. Starke
Beckenneigung. Der beträchtlich ausgedehnte Uterus liegt in
einem erheblichen Hängebauche. Im Fundus uteri sind rechts
die Füsse wahrzunehmen; auf der linken Seite die fötalen
Herztöne. Die schlaffe, mit vielem Fruchtwasser getollte
and Rupturen des Uterus. 273
Blase ist bis zum Introitus vaginae herabgetreten; der hoch-
stehende Muttermund feinrandjg und völlig geöflhet. Der Kopf
steht in erster Scheitellage hoch über dem Eingänge; die
Pfeilnaht quer. Das Becken erscheint in seinen unteren Räumen -
nicht verengt. Die (erst am Abende angestellte) Becken-
messung ergab für die Conj. ext = 6" ll1"; Spin. iL = 9";
Crist. iL = 10"; Conj. diagon. (mit zwei Fingern gemessen)
= 4" lw. Die Beckenknochen schienen ziemlich gracil zu
sein; das Fettpolster ziemlich stark entwickelt; das in ^ier
Medianlinie befindliche Promontorium . stand hoch. Demnach
schätzte ich die Conj. vera auf 3" 6'".
Nach fünf Stunden (5 Uhr Nachmittags) war der Zustand
ganz derselbe. Keine Wehe war in der ganzen Zeit von der
Kreissenden oder dem sie beobachtenden Praktikanten wahr*
genommen worden; die anhaltend schlaffe Blase wurde nun
gesprengt, in der Hoffnung, dass dem Blasensprunge bald
Wehen folgen würden: es flössen circa 10 Unzen Fruchtwasser
ab. Der Muttermund fiel wieder auf etwa l'/2" Durchmesser
zusammen. Der Kopf rückte allmälig tiefer und lag bald
dem Muttermunde auf.
In der nun folgenden Nacht schlief die Kreissende bei
absolutem Wehenmangel ziemlich gut. Erst am folgenden
Mitlage (8. Juni) traten einige leise Wehen ein; in Folge dessen
wurde durch den andrängenden Kopf der Muttermund bis
zum Abend dieses zweiten Tages wieder vollständig erweitert.
Abends 10 Uhr stand der Köpf nur wenig beweglich auf dem
Beckeneingange in querer Stellung; eine massige Geschwulst
hatte sich über den grössten Theil des vorliegenden Schädel-»
Segments verbreitet, ein Beweis, dass eine Wehenthätigkeit
nicht ganz fehlte, wenn auch deutlich unterschiedene Con-
tractionen weder subjectiv noch objectiv bemerkt wurden;
auch war der Uterus festwandiger geworden und schien bereits
wenig oder gar kein Fruchtwasser zu enthalten. Die fötalen
Herztöne zeigten, wie früher, eine Frequenz von 140 per Minute.
Am 9. Juni Morgens war der Stand des Kopfes derselbe;
die Kopfgeschwulst war beträchtlicher; der untersuchende
Finger mit reichlichem Meconium bedeckt. Die Frequenz der
fötalen Herztöne war 164 per Minute. Der bisher normale
mütterliche Puls zählte 108 Schläge; das subjective Befinden
274 xni- OMmaen^Veher Durchreibungen
der Kreissendet) war gut. Wehen wurdai nicht empfunden
und auch objectiv nicht wahrgenommen.
Noch am Morgen des 1(X Juni soll nach dem Berichte
des stets am Bette der Kreissenden weilenden Praktikanten
der Zustand ganz derselbe, das Befinden der Kreissendou nicht
verschlechtert gewesen sein. Im Laufe des Vormittags stellte
sieh jedoch wiederholtes Erbrechen ein, die Kreissende klagte
über heftige Schmerzen in der Magengegend, welche auch bei
Druck empfindlich war. Der Puls der Kreissen^en war bis
Mittags 1 Uhr auf 144 Schläge in der Frequenz gestiegen.
Zugleich verloren die fötalen Herztone ihre bisherige anomale
Frequenz von 164 — 170 Schlaget], waren um 12 Uhr Mittags
auf 144, um 12 V« Uhr auf 120 und um 1 Uhr auf 100 Schläge
gesunken.
Jetzt war das bisherige abwartende Verfahren nicht
mehr am Platze, die Kreissende rausste vielmehr schleunigst
entbunden werden. Von der Wendung konnte bei der Un-
beweglichkeit des Kopfes nicht mehr die Rede sein; auch die
Zange anzuwenden erschien sehr missüch, weil der Kopf mit
seiner grössten Peripherie durchaus den Beekeneingang noch
nicht erreicht hatte, und, da das erlöschende Kindesleben
der Perforation nicht entgegen war, so wurde zu möglichster
Schonung der Kreissenden ohne vorherigen Zangenversuch
zur Perforation geschritten. Unterdess waren die fötalen
Herztöne auf 20—30 Schläge per Minute herabgesunken.
Nach der mit dem Trepan vollzogenen Perforation entleerte
ich mit dem Finger mir wenig Gehirn und legte dann den von
E. Martin angegebenen Kephalothryptor (Kopfkrümmung =2";
Beckenkrümmung 3V2") an. Dieser legte sich schräg, fast dem
zweiten schrägen Durchmesser entsprechend und drehte sich
dann, während der Extraction, in den queren. Als das
Instrument zu gleiten schien, wurde es entfernt und nochmals,
dem ersten schrägen Durchmesser mehr entsprechend eingeführt.
Die Extraction des Kopfes gelang jetzt ohne grosse Mühe.
Die Operation wurde in Chloroformnarkose unternommen.
Nach vollständiger Entwicklung des Kindes fand, hei gut
eootrahirtem Uterus, eine Blutung statt, welche aus dem
oberen Tbeile der Scheide zu kommen schien, jedoch hak)
von selbst aufhörte. Die Knochen der Perforationsstelle hatten
und Rupturen des Ute ms. 276
»ich bei der zweiten Anlegung des KepheJothryptor dem sie
überwachenden Finger entzogen «od nun wohl die hintere
Scheidenwand verletzt.
Zehn Minuten nach Beendigung der Geburt trat bei der
Kreissenden massenhaftes, wässeriges, grünes Erbrechen ein.
Der Puls machte 148 Schläge; manche Schläge waren un-
fühlbar. Sichtbarer Collapsus. Die Narkose war vollständig
vorüber; 6 Stunden später war der Zustand etwas besser;
die Pulsschläge sämmtlich fühlbar; der gut contrahirte Uterus
kaum empfindlich, dagegen die Seiten des Leibes, besonders
die rechte, bei Druck schmerzhaft.
11. Juni. In vergangener Nacht vorzüglicher Schlaf.
Puls 120 Schläge; Durst massig; Zunge und Haut feucht;
kein Frost; kein Erbrechen; keine spontanen Schmerzen im
Leibe; die Seitengegenden des Leibes empfindlich, der gut
contrahirte Uterus kaum; Leib etwas aufgetrieben, aber
noch weich.
12. Juni. Ein Mal ist Erbrechen grüner Flüssigkeit auf-
getreten; sonst ist der Zustand unverändert.
13. Juni. In der letzten Nacht wenig Schlaf. Pub 120;
Haut immer gelinde transpirirend. Stuhlgang ist durch Glysmata
und Oleum Ricini erzielt. Kein Erbrechen; keine Schmerzen;
Sensorium frei; Uterus involvirt sich. Leib aufgetrieben,
wenig schmerzhaft. Lochien sparsam.
14. Juni. Der Meteorisinus scheint etwas vermindert;
ein reichlicher, föculenter Stuhl; kein Schlaf; im Uebrigen
unveränderter Zustand.
16. Juni. Puls 120; Aussehen befriedigend; Zunge feucht;
Sensorium frei; Euphorie. Nachmitfags neues, heftiges Er-
brechen und Durchfall; heftige Schmerzen in der Magen«
gegend. Schneller Collapsus; Tod unter Delirien 6 Uhr Abends,
am Beginn des siebenten Tages des Wochenbetts.
Section, 14 Stunden post mortem. Nur die Unterleibs-
höhle wird geöffnet. Todtenstarre; stark aufgetriebener Leib.
Die nach oben liegenden Darmschlingen sind durch geringe
Mengen plastischen Exsudats verklebt Eiteriges Exsudat ist
im Peritonäaback, besonders im kleinen Becken und dem linke«
Hypochondrium zu 1—2 Pfund angesammelt. Die Leber-
oberfläche frei von Exsudat Die Nieren stark byperämiscfa,
276 XIII. OUHausen, Uebcr DurchreHmngen
besonders die ('orticalsubstnnz. Der Magen, stark durch Gase
ausgedehnt, zeigt auf der Innenfläche einige Ecchymosen; die
dicken Därme zeigen auf ihrer Innenflache keine Abnormität.
Die Harnblase ist leer, zeigt keine Lasion, obgleich die
Wöchnerin in den letzten Tagen nicht die geringste Quantität
Urin "zu halten vermochte. Der Uterus war mit Blase und
Rectum durch frische Adhäsionen leicht verklebt und ragte
handbreit über der Schamfuge hervor. Er zeigte am vorderen
Umfange seines Cervicaltheiles auf der Innenfläche einen
Substanzverlust von ganz runder Form, 4'" — Qm im Durch-
messer; das Centrum dieses Substanz Verlustes drang tief in
die Muskulatur ein; die Ränder waren weit flacher; der ganze
Substanzverlusl erinnerte durch seinen terrassenförmigen Bau
an ein Ulcus ventriculi simplex. Das Peritonäum und die
äussersten Schichten der Muskulatur waren nicht perforirf.
Die Stelle entsprach der Symphys. o. pub. — An der hin leren
Muttermundslippe, 3'" "vom Rande des Muttermundes entfernf,
war ein ganz ähnlich geformter, runder, terrassenförmiger
Snbstanzverlust , welcher jedoch in seiner Mitte die ganze
Muskulatur und das Peritonäum durchbohrte. Die Perforation
hatte mehrere Linien im Durchmesser ; ihre Ränder, waren so
dünn, dass sie bei der Berührung mit dem Finger alsbald
zerrissen. Die in den üouglas'schen Raum fuhrende Oeflhung
war durch das mit dem Uterus verklebte Rectum verlegt
Die Wandung des Rectum war an der, dem Substanzverluste
des Uterus entsprechenden, angelötheten Stelle, V »n Durch-
messer erheblich verdünnt, jedoch nicht lädirt. Die lädirte
Stelle des Uterus entsprach dem Promontorium.
Die Ausmessung des Beckens an der Leiche ergab:
Conj. diag. = 4" 3'"; Conj. vera = 3" 2"'; querer Durch-
messer der oberen Apertur = 4*/4"; Höhe der Symph. 0.
pub. = IV P. M.
Epikrise. Auf einige Punkte der vorstehenden Geburls-
geschichte möchte ich die Aufmerksamkeit lenken ; zuerst auf
den fast völligen Wehenmangel. Von der vollständigen Er-
öffnung des Muttermundes an wurden deutlich unterschiedene
Wehen kaum noch von der Kreissenden wahrgenommen,
ebenso wenig von uns. Dass nicht jede Contra ction des
Uterus fehlte, zeigte freilich der aüiiiälig härter werdende
und Rupturen des Uterus. 277
Uterus, das Tiefer treten des Kopfes und besonders die sich
entwickelnde Kopfgeschwulst; und wenn nun auch, um einen
Kopf durch einen engen Beckeneingang hindurch zu fähren,
sehr kräftige oder gar stürmische Wehen weder nothwendig
noch wünschenswert sind, vielmehr die Natur ein solches
Hinderniss gewöhnlich durch leise Stellwehen überwindet, so
schien doch eine abnorme und ungünstige Wehenschwäcbe
hier nicht abzuleugnen. Vielleicht war dieselbe, da eine
somatische Ursache sich weder in der Beschaffenheit des
Uterus noch in einem von vornherein durch den Kindskopf,
ausgeübten Druck auffinden liess, in dem phlegmatischen
Temperamente der Kreissenden begründet, wie dies nicht
ganz selten beobachtet werden kann.
Betreffs des Beckens will ich nicht entscheiden, ob die
Form desselben eine eigentlich rachitische war oder nicht,
da ich leider bei der Section hierauf mein Augenmerk nicht
genug gerichtet habe. Wenn ich die Gonj. vera um 3'" zu
gross taxirte, obgleich ich die Conj. diagon. um 2'" zu klein
gemessen halle, so lag dies daran, dass ich den üblichen
Abzug von 8'" gemacht hatte, während die Conj. vera und
diagonalis hier um 13'" difTerirten. An einer Anzahl Leicheu,
die ich zum Theil schon während des Lebens gemessen hatte,
betrug die Differenz dieser beiden Maasse nie unter 9'";
durchschnittlich 1". Ich bin deshalb jetzt überzeugt, dass
tnan durchschnittlich nahezu 1" als die wahre Differenz be-
trachten kann, gebe aber zu, dass kleine Differenzen sich
durch geringe Modificationen in der Ausführung der Messung
ergeben mögen.
lieber das therapeutische Verfahren in obigem Falle kann
ich nicht stillschweigend hinweggehen und muss, ohne der
Kritik Anderer das Wort abschneiden zu wollen, erklären,
dass ich dasselbe jetzt nicht mehr billige. Dass die Mutter
auf die erwähnte Art, durch Usur des Uterus gefährdet war,
konnte man allerdings bei der ganz schwachen Wehenthätigkeit
nicht vermuthen, aber das Leben des Kindes war schon am
/.weiten Tage gefährdet, wie die Beschleunigung der Herztöne
auf 160 — 170 Schläge dies bekundete. Die bei Zeiten aus-
geführte Wendung wäre. .hier vielleicht das Beste gewesen;
denn obgleich ich bei Beckenenge mittleren Grades Kopflagen
2T8 XHI- OUhaustn, Üeber Durch rei hangen
für das Kind im Allgemeinen für weit gunstiger halte als
Beckenendelagen (was freilich nicht Jeder zugiebt), so war
die Combination der Beckenenge mit Wehenschwäche hier
wohl Grund genug zur Wendung. Niemand spricht «fiese
Indication bestimmter aus als Kutan, welcher in setner
„operativen Geburtshülfe", Bd. L, p. 369 unter den Indieationen
zur Wendung auch folgende aufführt: „4) in denjenigen Fällen
von massiger Beckenenge, wo die schwachen und durch Nichts
zu kräftigenden Wehen innerhalb einer vernünftig abzumessenden
Zeit den Kopf gehörig in den Beckeneingang zu treiben nicht
im Stande sind. Auch diese Indication suchen wir vergebens
in unseren Lehr- und Handbüchern und wer möchte ihre
Gültigkeit in Abrede stellen? Es bietet also die Wendung,
unter diesen Verbältnissen geübt, das vorzüglichste Mittel dar,
um, wenn auch gleich unter Bekämpfung grosser Schwierig-
keiten, die Perforation zu verhüten."
Soweit Kutan. Unser Fall war solch* einer wie ihn
Kiliom für die Wendung geeignet hält. War« nun aber einmal
die JüVendung rechtzeitig zu machen versäumt, so fragte es
sich, ob man nicht auf andere Art helfen konnte: Konnte
man nicht künstlich Wehen hervorrufen? Von Secalc eornutum
verspreche ich mir bei so hohem Kopfstande wenig Erfolg,
würde es aber in einem ähnlichen solchen Falle, wo die
Therapie in Verlegenheit gerathen kann, wohl ausnahmsweise
einmal versuchen. Die Gefahr, welche man von einem vor-
zeitigen Gebrauche des Seeale eornutum für das Leben des
Kindes befürchtet, ist wohl vielfach übertrieben worden und
an Stricturen des Uterus als nachtheilige Folge des unzeitigen
Secale- Gebrauches, wie dies Einige wollen, glaube ich nicht,
weil ich zu viele Beweise vom Gegentheil gesehen habe; auch
dürften Stricturen des Uterus vor der Geburt des Kindes
eine grosse Seltenheit sein. — Aber man hätte vielleicht
durch Einlegen eines elastischen Katheters c|ie Wehenthätigkeit
anzuregen versuchen können, wie dies neuerdings Htcker, J)
Hennig9) und Vcdenta*) empfohlen haben. Auch dies geschah
1) Hecker u- Buhl, Klinik der Geburtskunde, 1861, p. 91.
2) Hennig, Monatsschrift f. GebuMsk., 1860, XVI., p. 177. %
3) Vtüenta, Wiener Med.-Hntle, 1860, Ho. 10, 11, 14.
und Bnptaren des Uterus. 2T9
nicht. — Konnte man nicht aueh eine vorsichtige Zangen*
anlegfing zeitig bei noch kräftigem Leben des Kindes er-
suchen? Der Kopf war noch nicht mit »einer grössten
Peripherie in die obere Apertur getreten und unter solchen
Umständen ist, zumal bei constatirter Beokenengc, Abwarte«
im Allgemeinen das Beste, ja meistens das einzig Richtig«»,
weil die Wehen den Kopf allmälig in der günstigsten Stellung
auf den Beckeneingang fixiren, ihn zu conibrmiren und so
weit sicherer durch die Enge hindurchzuföhren pflegen als
der geschickteste Operateur es mit seiner Zange vermag.
Hier fehlten aber die Wehen fast ganz und vielleicht bestand
eben in der Wehenschwäche das hauptsächlichste Geburts-
hhiderniss. Ein nur im geraden Durchmesser verengtes
Becken von 3" 2m Conj. vera (und die Conj. war sogar noch
grösser taxirt worden) pflegt, bei gewöhnlicher Grösse des
Kindes, der Geburt doch kein unüberwindliches Hinderniss
entgegenzusetzen, wenn nur einigermaassen gute Wehen
wirken. Mit Rücksicht auf die erhebliche Wehenschwäche
hätte man, etwa am zweiten Tage, als die Herztöne des
Kindes sich beschleunigten, die Zange wohl vorsichtig ver-
suchen sollen , um das Kind zu retten. War freilich das Kind
doch einmal verloren, dann möchte ich die sofortige Per-
foration auch jedem Versuche mit der Zange vorziehen. Kurz
gesagt, so sehr ich, zumal bei engem Becken, ein Freund
des passiven Verhaltens bin, glaube ich, dass in diesem Falls
die Inactivität zu weit getrieben wurde.
Was nun die Läsion ides Uterus an seiner vorderen und
hinteren Wand betrifft, so kann wohl über die Art ihrer
Entstehung kein Zweifel sein und brauche ich wohl nicht zu
fürchten, dass mir Jemand den Einwand mache, die Durch-
bohrung der hinteren Muttermundslippe sei durch den Trepan
oder durch Knochensplitter hervorgebracht worden. Schon
die grosse Kopfgesebwukt machte ein Ausgleiten des Trepans
unmöglich; die Knochensplitter der Trepaastelle können wohl
die Scheide, aber nicht die ganz unerreichbare hintere Mutter-
iuundslippe lädirt haben. Uebrigeus sprach auch die eigen-
thiuqliche, charakteristische Gestalt der usurirten Stelle, ferner
der Umstand, dass sie dem Promontorium entsprach und dass
an der vorderen Muttermundsüppe derselbe Process begonnen
XIII. OUkemmt lieber Durcbreibungen
balle f zu deutlich für ihre Entstehungsart. Wahrscheinlich
fand der Durchbruch in das Peritonäum am letzten Morgen
der Geburt statt und nicht erst im Wochenbette. Merkwürdig
kann es erscheinen, dass die sich entwickelnde Peritonitis
nicht als eine acutissima verlief; doch war hieran wolü die
eingetretene Verlöthung zwischen Rectum und Uterus Schuld.
Ich muss noch erwähnen, dass das Promontorium zwar in
den Beckeneingang ziemlich stark vorragte, aber weder irgend
einen Stachel noch sonstige Abnormität zeigte: ebenso wenig
die Symphys. o. pub.
II.
Schrägverengtes Becken mit Ancylosis sacro-iliaca
sinistra. Zweite Scheitelbeinslage. Dreimalige ver-
gebliche Zangenanlegung. Perforation und Kephalo-
thrypsie. Tod nach 3/4 Stunden. Durchreibung
des Uterus am Promontorium^1)
Frau Stein, einige 30 Jahre alt, befand sich im Juli 1860
am Ende ihrer normal verlaufenen ersten Schwangerschaft.
Den 23. Juli traten schwache Wehen auf und zugleich Er-
brechen grünen Schleimes. Ohne wesentliche Steigerung der
Wehenthätigkeit erfolgte den 24. Juli 7 Uhr Morgens der
Abfluss der Wässer. Das Erbrechen dauerte um diese Zeit
noch fort. Nachmittags 37* Uhr wurde Herr Dr. Böiticher
gerufen, fand den Kopf in zweiter Scheitelbeinlage auf dem
Beckeneingange feststehend, den Muttermund fast vollständig
erweitert. Die Wehen waren spärlich und schwach; die
Kreissende bei guten Kräften; der Puls ruhig; ab und zu
fand noch Erbrechen grünlicher Massen statt, namentlich so-
bald die Kreissende trank. Die nun vorgenommene Applicatiop
der Zange gelang ziemlich leicht; der Kopf folgte bei den
ersten Tractionen merklich; fernere Tractionen, welche ab-
wechselnd mit einem Collegeu ausgeführt wurden, hatten
jedoch keinen Erfolg, Um 5y2 Uhr wurde die Zange entfernt
l) Die Beobachtung dieses Falles, sowie den Bericht über
den Hergang der Gebart bis zu meiner Ankunft verdanke ich
der Güte des Herrn Dr. Bötticher in Berlin. Die genaue anatomische
Beschreibung des Beckens mit Abbildung habe ich in diesem
Journal, Bd. XIX., H. 3, p. 168 gegeben.
and Rupturen des Uterus. 2g 1
Sitzbad. Injectionen in die Scheide. Um 7y2 Uhr Abends
wurde % die Zange zum zweiten Male angelegt, da aber der
Kopf den Tractionen nicht folgte, bald wieder entfernt. Die
Wehen waren in der ganzen Zeit selten und schwach. Gegen
das fortdauernde Erbrechen wurde Eis gegeben. 11 Uhr
Abends war der Puls noch ruhig, voll und jgleichmässig; alle
halbe Stunde Erbrechen.
In der nun folgenden Macht wurde Herr Dr. Bötticker
zwischen. 1 und 2 Uhr gerufen-, er fand die Kreissende in
starker Dyspnoe, mit kleinem, sehr frequentem Pulse, kühlen
Extremitäten; das Erbrechen war häufiger geworden. Der
Stand des Kopfes hatte sich nicht geändert. Die Zange wurde
nochmals ohne Erfolg angewandt und bald wieder entfernt.
Kleine Dose Morphium. Eis.
Am 25. Juli 12 Uhr Mittags, 20 Stunden nach der ersten
Zangenapplication, sah ich zuerst die Kreissende, auf den
Wunsch der behandelnden Aerzte. Sie war äusserst collabirt;
der Radialpuls fadenförmig und nicht zählbar; Hände und
Gesicht kühl ; die Stimme war noch kräftig und das subjective
Befinden relativ gut; der Leib war bei Berührung etwas schmerz-
haft; spontane Schmerzen in der Magengegend; das Erbrechen
dauerte fort und trat nach jedem Schlucke Getränks augenblicklich
ein; der Uterus zeigte sich bei der äusseren Untersuchung
ziemlich fest contrahirt; Weben schienen fast vollständig zu
fehlen. Bei der inneren Exploration fiel augenblicklich eine
bedeutende Schiefheit des Beckens auf; man fühlte ohne Mühe,
dass das linke Tuber ischii weiter jn das Becken hineinragte,
als das rechte und dass die linke Linea arcuata flacher waiv,
der Schambogen erschien eng; das Promontorium konnte ich
mit zwei Fingern nicht erreichen. Der Kopf stand, bei völlig
erweitertem Muttermunde, dessen vordere; nicht angeschwollene
Lippe allein noch fühlbar war, in zweiter Scheitelbeinlage mit
seiner grössten Peripherie noch oberhalb des Beckeneinganges;
die Pfeilnaht verlief nahezu quer, dem zweiten schrägen
Durchmesser etwas genähert. Das in der weiteren, rechten
Beckenhälfte stehende Hinterhaupt stand ziemlich tief im
Becken, während die nach links gelegene Stirn noch über die
linke Linea arcuata interna hinauf auf die linke Darmbein-
schaufel sich erstreckte. Diese abnorme Stellung des Kopfes
MoiUktaaohr. f Geburttk. 1862. Bd.XX., Hft.4. 19
£gg XIII. OUhausen, Ueber Durch reib an gen
mit stark gesenktem Hinterhaupte war wohl die Folge der
Zapgenversuche, bei denen die über der engen Beckenseite
befindliche Stirn, nicht so, wie das Hinterhaupt Mte folgen
können. Der Kopf war mit einer ziemlich grossen, weichen
Kopfgepch wulst bedeckt; das hintere Scheitelbein war unter
das vordere geschoben. Kindliche Herztöne konnten bei
sorgfältiger Auscultation nicht vernommen werden.
Der Zustand der Kreissenden war gewiss hoffnungslos;
eine Continuitälslrennung des Uterus schien, nach dem plötzlich
eingetretenen Collapsus der Kreissenden in der vergangenen
Nacht, gewiss zu sein. Ich schlug den Herren Collegen die
sofortige. Perforation und Extraction des Kindes mit dem
Kephalolhryptor vor, wenn auch nur zu dem Zwecke, die
Kreissende nicht unentbunden sterben zu lassen. Nach ge-
schehener Perforation wurde Martin' s Kephalothryptor ein-
gebracht; die Anlegung des linken Blattes machte (bei der
Verengerung der linken Beckenhälfte) kurze Zeit einige Schwierig-
keit. Das Instrument legte sich ganz schräg in den zweiten
schrägen Durchmesser (dem langen des schrägverengten Beckeus).
Die Extraction des Kopfes gelang leicht, mit einer einzigen
Hand; die nach vorn stehende Schulter stellte sich auf den
gestreckten linken Raums horizont. o. p. fest; nachdem diesem
Hindernisse abgeholfen war, machte auch der Rumpf keine
Schwierigkeiten mehr. Die Placeqta wurde aus dem Mutter-
munde entfernt. Die Kreissende hatte, weil sie ganz apathisch
war, von der Operation Nichts zu leiden gehabt und sich
ganz ruhig dabei verhalten. Eine halbe Stunde nach Beendigung
der Geburt traten heftige Uebelkeiten auf und V4 Stunde
später folgte der Tod.
Die Section, 18 Stunden post mortem, ergab Folgendes,
was von Interesse ist. Gelbe Flocken peritonitischen Exsudats
liegep dem Uterus und den Gedärmen im unteren Theile der
Bauchhöhle auf; der obere Theil ist völlig frei; in beideu
Weichen ist 1 Pfund serös -blutiger Flüssigkeit angesammelt.
Der Uterus ist gut coutrabirt. Beim Abheben desselben von
der hinteren Beckenwand zeigte sich uhten in seinem Cervical-
theile, etwas nach links hin, eine. stecknadelkopfgroß Oeflhung,
aus welcher die blutige Flüssigkeit der Uterushöhle in den
Douglas sehen Raum sich ergoss. Die durchbohrte Stelle des
und Rnptnrtn de« Uterus. 9gg
Uteras lag dem Promontorium an, an welchem sich übrigens
.keinerlei Stacheln fanden. Der Peritonäaläberzug bildete am
die Perforationsatelle einen schmalen, 1"' breiten, milchweissen
Saum. An der Inneniäcbe des Uteras war die Perforation^-
stelle nicht grösser als an der Au6senfiäche und kaum mit
dem Pinger fahlbar. Der Uterus war im Ganzen dünnwandig«
An der PlacentarsteUe war es nicht zur Bildung ordentlicher
Thromben gekommen. Das Becken erwies sich nach der
Herausnahme und Präparation als ein exquisit schrägverengtes
mit Ancylosis sacro-iliaca der unken Seite, dessen genauere
Beschreibung ich a. a. 0. gegeben habe. Hier will ich nur
erwähnen, dass die Verengerung des Beckens im Ganzen nur
massig war; die Conj. vera maass 3" 10'" P. Die Schiefheit
war dagegen sehr beträchtlich; denn -wahrend der linke
schräge Durchmesser des Einganges 4" 11'* maass, betrug
der rechte nur 3" 3'".
Ich bedauere eben so sehr, dass in diesem Falte ober
die Entstehung des schrägverengten Beckens sich Nichts er*
mittein ,liees, als es mir leid thut, dass der Zustand der
schon dem Tode nahen Kreissenden mir eine genauere Aus-
messung und Untersuchung an der Lebenden nicht gestattete.
Epikrise. Das anhaltende Erbrechen in dem erzählten
Falle kann die Folge des Reizes gewesen sein, welchen die
zwischen dem Kindsköpfe and dem Promontorium befindliche
Stelle des Uterus vielleicht von Beginn der Geburt an auf-
zuhalten hatte. Es ist zwar das Erbrechen auch schon vor
dem Blasensprunge vorhanden gewesen; doch ist es sehr
wohl möglich, dass die betreffende Stelle wegen der hoch-
gradigen Asymmetrie des Beckens auch durch die Eihäute
hindurch schon einer bedeutenden Reizung ausgesetzt war.
Was die Entbindung einer schon in Agone liegenden
Kreissenden durch eine Verkleinerungsoperation betritt, so
leitete mich hierbei die von Michaelis und auch von Anderen
ausgesprochene Meinung, -man solle nie eine Kreissende an*
entbunden sterben lassen. Wo diesem immer unangenehmen
Ereignisse mit Leichtigkeit, z. & durch eine leichte Zangen»
Operation abgeholfen werden kannT da glaube ich, tbut matt
recht, obigem Grundsatze zu huldigen. Eine Perforation und
nachfolgende Exlraction, deren Schwierigkeiten sich nicht im
19*
g#4 XIII. OUhau*eny Ueber Durchreibungeo
voraus berechnen lassen, werde ich aber an einer Agonisireoden
gewiss nicht wieder unternehmen; der Eindruck dieser Operation
kurz vor dem Tode ist für die Umstehenden sicherlich un-
angenehmer, als der Tod einer nicht Entbundenen. Dass
hier, in unserem Falle, von einer anderen Operation nicht
die Rede sein konnte, als von der Perforation, weder von
nochmaliger Zangenanlegung, noch von der Wendung, brauche
ich nicht zu erörtern.
Was die Durchreibung des Uterus betrifft, so ist es
bemerkenswert^, dass auch hier wiederum schwache Weben
genügten, um dieselbe zu Stande zu bringen; dass die wieder-
holten Zangenversuche der Läsion des Uterus förderlich waren,
ist wohl anzunehmen. Befremden muss es, dass bei nur
stecknadelkopfgrosser Oeflhung der usurirten Stellen die
Erscheinungen denen bei einer eigentlichen Ruptura uteri
ähnlich waren.
: IIL
Ueber einen dritten Fall, in welchem es zu vollständiger
Durchreibung kam, besitze ich leider nur wenige Notizen.
Der Fall ereignete sich auf der Berliner geburtshilflichen
Klinik. Frau L...., 32 Jahre alt, hatte schon fünf Kinder
geboren, darunter vier lebende. Das erste soll gewendet
worden sein; die anderen kamen ohne Kunsthälfe lebend zur
Welt Am 15. Februar. 1859 begannen die Weben zur sechsten
Geburt Den 16« Februar Morgens 8 Uhr Wasserabflüsse
Ausserhalb des Entbindung«- Instituts wurde die Zange an«
gelegt Bei ihrem Eintritte in das Institut, den 17. Februar,
fand man eine Stirnlage" vor. Es wurde durch Herableiten
des Kinnes mit der Hand eine Gesichtslage hergestellt und
am 18. Februar das Kind mit der' Zange entwickelt. Der
Tod der Wöchnerin erfolgte hoch an demselben Tage. Man
fand eine Durchreibung der vorderen Wand des Uterus in
seinem Gervicaltheiie. Hier war die Schamfuge der ladirende
Knochen gewesen, ohne dass spitze Exostosen an derselben
vorbanden waren. Ueber die sonstige Beschaffenheit des
Beckens kann ich nichts angeben.
und Rupturen des Utero». 286
Aehnliehe Fälle wie die beschriebenen sind schon mehrfach
bekannt gemacht worden , wenn auch ihre Anzahl, im Vergleich
zu der Häufigkeit der Uterusrupturen , gering ist.
Nevermann l) sagt: „In 230 verificirten Fällen von
Rupturen der Gebärmutter, die in diesem Werke mitgetheBt
sind, fanden 62 in der Schwangerschaft und 168 während
der Geburt statt; von den letzten hatten 80 ihren Sitz im
Uteruskörper und in 20 Fällen war der Körper oder
der Hals bloss durchlöchert." — Unter diesen Fällen sind
jedoch auch solche mitverstanden, wo durch äussere Ver-
anlassung und Traumen statt eigentlicher Rupturen nur Durch*
löcherungen des Uterus entstanden.
Ich fand unter circa 100 Fällen, die ich in der Literatur
(ausser dem Buche von Nevermann) durchmusterte, nur
zwei Fälle von Durchlöcherungen. Diese sind von Kutan9)
mitgetheilt und war in beiden eine Exostose an der obereB
Beckenapertur Ursache der Uterusläsion. Ich kenne die Fälle
leider nur nach dem in der „Monatsschrift för Geburtskunde,
1855, S. 477 w mitgeteilten Auszuge. In dem einen Falle
verlief die Geburt zwar langsam aber spontan. Metroperitonitis
am ersten Tage des Wochenbettes. Tod nach acht Tagen.
Die Section ergab „am Uterus eine etwa thalergrosse , einem
brandigen Geschwüre gleichende Stelle, entsprechend dem
rechten Rande des Beckeneinganges. In der Mitte dieser
brandigen Stelle findet sich ein tiefer, fast bis in die Gebär-
mutterhöhle reichender Eindruck. Das Becken ist im Ganzen
normal, nur findet sich an der Synostosis puho-iliaca d extra
ein ansehnlicher Stachel von etwa ober 4'" Höhe auf einer
Basis von 1 " Breite." Hier war es also zu einer vollständigen
Durchreibung noch nicht gekommen/ wohl aber in der nächst-
folgenden Beobachtung: Die Wöchnerin starb neun Stunden
nach der durch Zerstückelung des Fötus beendigten Geburt.
„Das Becken ist stark rachitisch, alle Knochen in der rechten
Beckenseite sind kleiner als in der linken, die Gonjugata misst
1) Duparcque'B vollständige Geschichte der Durchlöcherungen,
Einrisse nnd Zerreissungen des Uterus, der Vagina etc., bearbeitet
von Nevermann. 183*. S. 233.
2) H. F. Kilian, Schilderung neuer Beckenformen und ihres
Verhaltens im Leben. Mannheim 1854.
Jgg XIII. OUhou*ent Ueber Dnrcfereibnngen
8" 9"', an der rechten Synostosis pubo-pectinea sitzt ein
nadelspitzer Stachel, einem grossen Dorne vergleichbar von
4M Höhe und 10" Breite. Genau seiner Stelle entsprechend
fand sich am Uterus eine. Durchbohrung, so dass die feine
Spitze des Stachels in, die Uterinhöhle hineinragte, übrigens
aber das gemachte Loch vollkommen verschloss."
Wichtig und interessant ist folgender Fall m&Nevermann'&
oben ciürtem Buche. Seite 234 heisst es: „so starb z. B.
CoUins eine Frau fünf Tage nach der Geburt am Blutflusse
binnen einer Stunde; man fand bei der Section ein Schilling-
grosses Stück des Uterus, dem Promontorium gegenüber
fehlend. Einen ähnlichen Fall scheinen nach Nevermanri*
Angabe beobachtet zu haben: #. d. Wid und SoUngen (Obs.
rarior., Vol. I., p. 284); ferner verweist Nevermann auf die
von Blundell (The Lancet, 1828), Powd, Marino, Chevreul
gesammelten Fälle. Doch ist es nicht ganz klar, ob unter
diesen Fällen eigentliche Durchlöcherungen verstanden sein
sollen.
Etwas häufiger als die erwähnten seltenen Fälle, in denen
es bei einer eigentlichen Durchlöcherung blieb, sind andere,
ka^ denen ebenfalls ein solcher am Beckeneingange ausgeübter,
beschränkter Druck die Veranlassung zu einer solchen Continuitäts»
trennung gab, diese letztere selbst aber die Form einer gewöhn-
lichen Ruptur annahm. Hierher gehören drei Fälle aus Küiari*
oitirter Schrift: Bei einer Frau, die unentbunden gestorben
war, fand man ein rachitisches Becken von 3" Conj. vera.
Am linken Tubercul. ileo-pectin. war ein 3"' hoher Stachel,
von welchem aus sich ein Gebärmutterriss bis zum Fundus uteri
erstreckte. — Gaiu ähnlich war ein zweiter Fall. Die Frau
starb ebenfalls unentbunden. Grosser linksseitiger Riss; an
der linken Crista pubis ein schneidender Kamm. In dem
dritten Falle war wiederum ein Stachel Schuld. Der Tod
erfolgte erst am vierten Tage nach der durch die Zange
beendigten Geburt.
Andere Fälle, in denen spitze Exostosen oder scharfe
Kanten der Crista pubis nicht beschuldigt werden können,
aber wohl das Promontorium, sind z. B. folgende:
Bei einer Frau mit engem Becken, welche schon ein
Mal durch Perforation, ein Mal durch künstliche Frühgeburt
und Rupturen de« Uterda. 287
entbunden • war , machte Ram$botham l) bei vorliegendem
Kopfe, nach Eintritt einer Ruptur» uteri, die Wendung und
Exlraction. Tod nach einer Stunde. Man fand einen queren
Riss an der hinteren Seite des Cervix uteri, gegenüber dem
prominirenden Rande des Promontorium. Ramsbotham sagt
selbst, dass das Os sacruiit wohl durch den Druck eine
Verdünnung und schliesslich die Ruptur des Cerra herbei*
gefuhrt habe.
Lehmann2) machte bei einer Fünftgebärenden, deren
anfangs schon schwache Weben schließlich ganz ausblieben,
nach eingetretenem erheblichem Collapsus, bei vorliegendem
Kopfe die Wendung und Extraction. Tod nach 10 Standen.
Die Section ergab eine Ruptur an der hinteren Wand des
Uterus, vom Collum bis fast zur linken Tube reichend.
Lehmann äussert sieb selbst folgendermaassen über diesen
Fall. „VermuthHch wurde schon in den letzten Monaten der
Schwangerschaft durch einen fortwährenden Druck gegen diese
Stelle, an welcher der Kopf gegen das Promontorium gedrückt
hatte, eine entzündliche Erweichung vorbereitet, welche
während der Geburt allmftlig einen wahren Detritus ver-
ursachte und auf diese Weise eine Ruptur zu Stande kommen
liess." Uebrigens trug auch das nach hinten gelegene Scheitel-
bein eine kleine Stelle, an welcher die Haut gangräneseirte,
eiu Beweis des stattgehabten, energischen Druckes, welchen
Kopf und mütterliche Weichtheile gegen einander ausgeübt
hatten.
Unter Lehmann'* Fällen ist noch ein zweiter, welcher
hierher gehört: Bei einer Zweitgebärenden wurde nach ver-
geblicher Anwendung des Lowder'schen Hebels, das Kind
nur schwierig durch energische Zangentractionen zur Welt
gefördert. Am zehnten Tage plötzlicher Tod der Wöchnerin
durch Verblutung. Die Verblutung war aus einem kleinen
die Scheide perforirenden Geschwüre erfolgt. „An der hinteren
Seite des Corpus uteri, welche gegen das Promontorium an-
gelegen, war ausserdem noch eine incoraplete Ruptur von
1) Ramsbotham, Practical Observation« in midwifery. London
1842, p. 423 sqq.
2) Lehmann, Ueber Rupturen des Uterus und der Vagina.
Monatsschr., XII., 1868, p. 408 sqq.
Jgg XIII. OUhauten, Ueber Durch reibnn gen
l1/*" Lange in einer schrägen Richtung sichtbar, wodurch
aHein die Peritonäalbekleidung und ein Theil der Muskel*
schichte betroffen war.
Nur noch eiue Beobachtung will ich anführen; ich finde
dieselbe in Nevermann's Buch S. 182, Beobachtung 144»
ohne Angabe der Quelle, welcher sie entlehnt ist: „Eine
Frau fühlte seit 12 Stunden Geburtsschmerzen. Das Kind
lag mit den Hinterbacken vor. Der Muttermund war noch
nicht vollkommen erweitert, als der ganze vordere Theil des
Gebärmutterbalses sich von einer Seite bis zur anderen ablöste,
worauf der Fötus sogleich in die Abdominalcavität fiel. «Die
Extraction desselben wurde mit vieler Schwierigkeit in noch
nicht vollen zwei Stunden ausgeführt; es war todL Die Mutter
selbst starb fünf Stunden nach der Entbindung. Man fand»
dass das Becken ein wenig enge war; die Spitze des Heiligen-
beins ging durch den hinteren Theil der Gebärmutter (soll
der Kreuzbeinwirbel winkel damit gemeint sein?); der innere
, und hervorragende Rand des Scham- und Darmbeins glich der
Schneide eines Elfenbeinmessers und hatte die Gebärmutter
ganz durchgeschnitten, als wenn sie mit einer Ligatur wäre
abgebunden worden."
Ich könnte noch manche diesen ähnliche Beobachtungen
anführen, in denen aller Wahrscheinlichkeit nach die Ein-
klemmung des Gebärmutterbalses zwischen Kindskopf und
Beckeneingang die Ursache der Ruptur war; doch die an-
geführten Beispiele mögen genügen. Einige Stimmen aus der
Literatur, welche das genannte ätiologische Moment der
Rupturen berücksichtigen und anerkennen, hier zu citiren,
sei mir jedoch noch erlaubt.
Die Laehapette sagt Tome III., p. 105, wo sie über
das häufigere Vorkommen der Rupturen an der Hinterwand
des Uterus spricht, Folgendes: remarquez que cette partie
posterieure correspond dune part ä l'extremite inferieure de
Faxe de l'uterus et du detroit superieur, dans le sens duquel
agissent les puissances expulürices remarquez encore,
que dans un bassin difforme, le meme point appuie sur
)a saillie sacro-vertebrale qui est toujours la partie la plus
anguleuse, la plus eminente, en un mot la plus capable
und Rupturen des Uterus. g§0
d'entamer Icterus appuye ou tendu sur eile: aussi Ja protection
de rette eminence est -eile, au yeux de certains accoucheurs,
une cause reelle de rupture. *)
Lehmann!* Ansicht ist bei dem oben angeführten Falle
schon zur Sprache gekommen.
Uhamer,*) welcher glaubte, dass die Rupturen meistens
an der vorderen oder den seitlichen Wänden stattfänden,
drückt sich folgendermaassen aus: „Gegen das Ende der
Schwangerschaft wird nun bekanntlich das untere Segment
des Uterus immer dünner, was noch sehr begünstigt werden
kann , wenn der vorliegende Kopf nicht zeitig genug in den
Eingang des Beckens tritt,* sondern längere Zeit hindurch auf
dem Rande des Beckeneingangs steht und zwischen diesem
und seiner selbst beständig die vordere und untere Wand des
Uterus reibt und presst, wodurch unabwendbar die dem vorderen.
Abschnitte der ungenannten Linie entsprechende Partie immer
dünner, morscher und «wahrhaft zermalmt werden muss. —
Kommt hierzu noch ein ungewöhnlich scharfer Rand der
Linea ileo-pectinea, wie man dies häufig bei rhachitischen
Becken findet und werden die Wehen mit Ungestüm und gar
noch in sitzender Stellung verarbeitet, so sind alle Be-
dingungen vereinigt t unter «denen ein Gebärmutterriss erfolgen
kann und hier wird er auch selten ausbleiben/1
Kutan3) sagt bei den Gefahren der Zangenoperation:
„Diese Durchreibungen kommen hauptsächlich an zwei Regionen
des Beckens, nämlich an der Hinter- oder an der Vorderwand
des Beckens vor. Man kennt dieselben entweder a) als Durch-
reibung der Hinterwand des untersten Segments des Uterus
und diese ereignet sich namentlich da, wo zwischen Kopt
und Promontorium ein Stück Uterus festgeklemmt ist, welches
Ereigniss aber nur bei rhachitischen oder ganz insbesondere
bei Pelvis aequabiliter justo minor sich zutragen kann.
1) AU Autoren , welche dieser Meinung sind , fuhrt die
LaehapeUe an: Ramsbotham, Bibl. med., tome XLV1II. , p. 260;
Blegborought ibid., p. 397; Mm. Boivin, Memorial; Denman, Acc,
tome II. Diese Quellen stehen mir sämmtlich nicht zu Gebote.
2) Ulsamtr, Erfahrungen in der Qeburtshiilfe; Neue Zeitschr.
f. Geburtsh., XVII., 1846, p. 37.
3) Kutan, Die operative Geburtsbülfe, Bd. II., p. 591.
290 XUl. Olgkauten, Ueber Durch reib tragen
Nevermann sagt 1. c. p. 183 über die prädisponirenden
Ursachen der Uterusrnpturen: ,,c) Quetschung, Attrition and
entzündliche oder sphacelöse Erweichung des Gebärmutterhalses,
ron schwerer und langwieriger Geburtsarbeit herrührend,
während welcher diese Region zwischen dem Kindskopfe und
dem Rande der oberen Apertur gewaltig compritnirt war,
sind jedoch die gewöhnlichsten, prädisponirenden Umstände.
Auch E. Martin l) hat bei Gelegenheit eines Falles von
erheblicher Quetschung der mütterlichen Weichtheile in der
Gebart sich über die Durchreibungen der Geburtswege weiter
ausgelassen und erwähnt mehrerer von ihm beobachteter, aber
nicht näher beschriebener Fälle von Durchreibungen. Das
eine Mal entstand die Durchreibung bei einer Querlage; ein
zweites Mal bei einer Gesichtslage, von welcher Lage Martin
überhaupt glaubt, dass sie, in Folge des prominirenden
Kinnes, zumal wenn dasselbe hinter einer stark prominirenden
Spina o. ischii hängen bleibt, zu Quetschungen und Durch-
reibungen disponire. Ein Fall, bei welchem der Tod am
fünften Tage des Wochenbettes erfolgte und der rechte untere
Sekentheil des Uterus durchlöchert war, wird kurz erwähnt
„Ganz insbesondere,14 sagt Martin ferner, habe ich die
Folgen (leichtere und bedenklichere Quetschungen) beim Zu-
sammentreffen eines Hängebauches mit einem vorragenden
Promontorium gesehen.*4 Dies glaube ich bestätigen zu können,
da ich schon wiederholt bei starkem Hängebauche und selbst
weitem Becken beobachtete, dass das Kind mit erheblichen
Druckstellen am Kopfe geboren wurde, nur deshalb, weil
der Uterus in einer falschen Richtung, nämlich gegen das
Promontorium, den Kopf vorwärts trieb. In solchen Fällen
muss also auch das mütterliche Gewebe nothwendig starke
Quetschungen erleiden.
Noch andere Autoren Hessen sich anfahren, welche
gelegentlich mitgeteilter Fälle von Ruptura uteri die Ursache
der Ruptur m einer Quetschung des unteren Gebärmutter-
abschnittes durch den Geburtshergang suchen, so z. B.
Pagenstecher*) und Klaproth.*)
1) Deutsche Klinik, Bd. II., 1860, p. 78.
2) Monatsacbr. f. GeburUk., 1858, XII., p. 146.
8) Monatoschr. f. Gtbartak., 1869; XIII., pt 4.
und Roptnren des Uterai. 991
Schliesslich möchte ich mir Aber die Durchreibungen
des Uterus und die Entstehung von Uterusrupturen überhaupt
folgende Bemerkungen erlauben:
Die Entstehung der Durchreibungen bedarf keiner näheren
Erklärung. Die am häufigsten an dem hinteren Theile des
Cervix entstehenden Läsionen, welche eine Communication der
Cervicalhöhle mit dem Douglas' sehen Räume herstellen, können
mit den in der Geburt entstehenden Blasenscheidenfistehl
vollständig zusammengestellt werden. Das relativ zum Becken*»
eingange höhere Hinaufreichen der vorderen Wand der Vagina
als der hinteren Wand bedingt, dass vorn gewöhnlich nicht
der Uterus, sondern der obere Theil der Vagina die am
meisten gedruckte Partie ist; zu bedenken ist dabei, dass
wohl selten der allerhöchst gelegene Punkt der Symph. o. pub.
den hauptsächlichsten Druck ausübt, dass vielmehr die
engste Conjugata gewöhnlich 3'" — 6W unterhalb des oberen
Endes der Symphyse fällt. Und wird auch wirklich einmal
die vordere Wand des Cervix uteri durch Quetschung durch-
löchert, so braucht diese Perforation nicht in das Peritoneal-
cavum zu fähren, wird vielmehr, weil das Peritonäum den
unteren Theil der Vorderwand des Uterus freilässt, in der
Regel nur in die Blase odtr einen Ureter münden, wodurch
dann eine iMasengebärmutter- oder HarnleitergebSrmutterfistel
hergestellt ist. Der hinteren Begrenzung des knöchernen
Beckeneingangs, dem Promontorium, stehfdagegen in normalen
Fällen bei Gebärenden selten ein Theil des Scheidengewölbes
gegenüber, sondern in der Regel der Cervix uteri selbst.
Dies ergiebt sich schon aus dem Umstände, dass man bei
der inneren, mit den Fingern ausgeführten Beckenmessung
gewöhnlich, um das Promontorium zu erreichen, das äusserste
Spheidengewölbe noch etwas in die Höhe drängen muss.
Uebrigens versteht es sich von selbst, dass es nach der Form
des Beckens, der Stellung des Kindskopfes, der AnfÜlhing
der Harnblase und besonders der Form und Lagerung des
Uterus variiren muss, welche Theile vom Promontorium oder
der Schamfuge gedrückt werden. Orenser1) erzählt von
einer Geburt, bei welcher die vordere Muttermundslippe durch
1) Monatsflchr. f. Geburtsk. , 1660, XV., 1, p. 42.
292 XITI- OUkmuen, Ueber Du rch reih oiigen .
den Druek des Kindskopfes derartig durchlöchert wurde, dass
man einen Finger durch die Oeffnung bringen konnte; der*
artige Fälle sind, soviel ich weiss, nicht ganz selten.
Was die Verhütung der Durchreibungen betrifft, so lägst
sich darüber nur ungefähr dasselbe sagen, was über Ver-
hütung der Blasenscheidenfisteln gelehrt wird. Bei Geburten,
welche nach dem Blasensprunge sich lange hinziehen; kommt
je nach der Häufigkeit und Energie der Wehen früher oder
später ein Zeitpunkt, an welchem der Druck des Kindskopfes
den mütterlichen Weichtheilen in der besprochenen Art ge-
fahrlich wird. Aber abgesehen davon, dass die Energie der
Wehen nur annähernd taxirt werden kann, hängt die Gefahr
einer gefährlichen Quetschung der mütterlichen Werchtheile
auch von anderen Verhältnissen ab; besonders von der Form
des Beckeneingangs und etwaigen schärferen Partieen desselben,
von der Härte der Kopfknochen etc. Daher kommt es denn,
dass wir die Gefahr nicht immer in ihrer ganzen Grösse er-
kennen können. Es sind deshalb diese Durchreibungen des
Uterus ebenso wenig vollständig zu verhüten als die Blasen-
scheidenfisteln. Auch die Kopfgeschwulst ist natürlich nur
ein unsicherer Führer in der Prognose, da ihre Grösse weniger
durch die Stärke des Druckes akt durch seine Ausbreitung
an der ganzen Peripherie des Schädels bedingt wird. Nach
der Geburt des Kindes kann, wie auch Martin andeutet,
eine Druckstelle am Kindsschädel einen Fingerzeig für die
Diagnose geben. In den meisten Fällen Haben aber dergleichen
Druckstellen eine gefährliche Quetschung der mütterlichen
Weichtheile doch nicht zu bedeuten. Beim Auftreten einer
ganz acuten Peritonitis, wie in unserem zweiten Falle, kann
die Diagnose einer eigentlichen Durchreibung sicher werden.
Doch braucht eine so acute Peritonitis nicht jedes Mal %n
entstehen, wie dies unser erster Fall zeigt, bei dem uns denn
freilich auch die Durchreibung ein unerwarteter Sections-
befund war. Möglich wäre aber auch in solchen Fällen, dass
die im Mutterhalskanale gelegene Perforationsstelle nach der
Geburt durch den untersuchenden Finger constatirt würde.
Manche solche Durchreibung ist gewiss als Ursache einer
Wochenbetts -Peritonitis verkannt, vielleicht auch bei Sectionen
übersehen worden.
and Rupturen de« Uteras. 293
Wenn nun die Quetschungen des unteren Uterinsegments
eine Usur und blosse Durchlöcherung dieses Theils zur Folge
haben können, so glaube ich, dass weit häufiger eigentliche
Uterusrupturen die Folge dieser Quetschungen sind. Ich bin
der Ueberzeugung, dass die grosse Mehrzahl aller Rupturen
des Gervicaltbeils solchen Quetschungen ihre Entstehung ver-
dankt. Dadurch wird die Thatsache begreiflich, dass bei
weitem die meisten Rupturen im Cervicaltheile entstehen und
nicht im Corpus oder Fundus uteri; damit stimmt es auch
überein, dass die hintere Wand des Cervicaltheils am «häufigsten
die zerrissene ist. Ffir die erstgenannte und ganz constatirte
Thatsache, den häufigeren Sitz der Rupturen im unteren
Uterinsegmente, führen fast alle Autoren als Grund die grössere
Dünnheit dieser Partie im Vergleich zum Corpus uteri an.
Diese Erklärung halte ich für unzulässig und geradezu falsch.
Wahr ist es freilich, dass in nicht ganz seltenen Fällen der
vor dem Mutlermunde gelegene Theü des unteren Utefin-
abschnittes schon am Ende der Schwangerschaft und mehr
noch in der Geburt eine ungewöhnliche Ausdehnung und
Verdünnung erleidet, wenn besonders der Kopf mit diesem
Theile des Uterus in den Beckenkanal herabtritL In diesen
Fällen mögen die Verdünnung und Quetschung des Uterus
gleichmässig zur Entstehung der Ruptur beitragen, wie dies
Scanzoni1) und andere Autoren auseinandersetzen. Aber
das erwähnte Verhältniss betrifft fast ausnahmelos Erstgebärende
und regelmässig' den vorderen Abschnitt des unteren Uterin-
segments, während die meisten Rupturen sich bei Mehr-
gebärenden und an der hinteren Wand des Cervix ereignen.
Hier findet eine solche Verdünnung durch den sich herab-
senkenden Kindsschädel nicht statt und scheint mir die
Annahme, dass uuter den gewöhnlichen, normalen Ver-
hältnissen das untere Uterinsegment dünnere Wandungen hat
als das Corpus und der Fundus uteri ganz willkürlich. Ich
glaube vielmehr, dass die Sache sich umgekehrt verhält und
dass schon die Untersuchung von einigen Dutzenden Schwangerer,
zumal Mehrgebärender, die Ueberzeugung verschaffen muss,
dass äui Grunde der Gebärmutter ihre Wandungen viel häufiger
1) Scanzoni, Lehrburch der Geburtsh., 1856, p. 450.
394 XIII. OUhau*e*} Ueber Durch rei bangen a. Rupturen etc.
eine grosse Dänowandigkeit erreichen als am Cervix. Wie
oft sind, nicht die Bauchdecken und die Wandung des
Fundus uteri beide so unglaublich verdünnt, dass die kleinen
Kindstheile unmittelbar unter der Bauchhaut zu liegen scheinen.
Nur wegen dieser excessiven Verdünnung ist es bei
Kaiserschnitten schon wiederholt vorgekommen, dass das im
Uterus befindliche Rind mit dem Messer unversehens verletzt
wurde, ja dass der Operateur mit dem ersten Schnitte nicht
nur die Haut, die Bauchdecken, die Uteruswandung und die
Eihäute durchschnitt, sondern dem Kinde noch in den Arm
schnitt Und wie selten kommt trotz dieser so häufigen,
ausserordentlichen Dünnbeit des Fundus und Corpus uteri
eine Ruptura uteri an diesen Stellen zu Stande. Auch bei
der inneren Wendung hat der Operirende sehr oft durch die
aussen den Bauchdecken aufgelegte und die eingeführte Hand
Gelegenheit, die ausserordentliche Düimwandigkeit der oberen
Parüeen des Uterus. zu constatiren.
Auf anatomischem Wege diese Frage zu entscheiden, ist
deshalb schwierig, weil sich nur selten die Gelegenheit bietet,
an einem in der Geburt befindlichen Uterus die Dicke der
Wandung zu messen. Ein Uterus, welcher das Kind aus-
gestossen bat, ist aber natürlich nicht geeignet, diese Frage
zu entscheiden. Auch in den Buchern von W. Hunter, *)
Noortwyck>2) ächurigius 8) u, A., welche über Anatomie des
schwangeren Uterus handeln, fand ich keine sicheren Angaben
über diesen Punkt Nur Hunter sagt 1. c. p. 21 : „. . . . weM
die Zahl und Grosse der/ Gelasse bei weitem beträchtlicher
ist Höchst wahrscheinlich ist dies auch der Hauptgrund,
warum Oberhaupt die Gegend des GebärmuUergrundes ge-
wöhnlich dicker ist., als die des Gebärmutterhalsea.? Doch
weiss man nach dem Vorhergehenden nicht, ob er nicht von
injicirten Uteri oder von solchen spricht, welche keine Frucht
mehr enthalten.
1). W. Hunt er' b anatomische Beschreibung dea schwangeren
menschlichen Uteras; aas dem Engl, von Froriep, Weimar 1802.
2) Noortioyck, Uteri humani gravidi anatome et historia.
L. B. 1743. Pars IL, § 88.
3) Martin. Schurigius } Muliebria historico-medica. Dresd.
et Lipsiae 1729. Sectio III., Cap. II.
XIV. Kutmaul, Weitere Beitrüge snr Lehre etc. 295
Ich halle demnach die Frage, ob der Fundus des in der
Geburt befindlichen Uterus wirklich eine dickere Wandung
habe, als der Cervu uteri, noch für unentschieden und
glaube, dass die Häufigkeit der Rupturen des Cervix, lediglich
oder doch hauptsächlich die Folge des Druckes ist, welchen
derselbe gewöhnlich in der Geburt zu erdulden hat*
XIV.
Weitere Beiträge zur Lehre von der Ueber»
wanderang des menschlichen Eies.
Von'
Prof. Dr. A. Kussmaul in Erlangen.
Herr Dr. August Maurer, Assistenzarzt der mediciniscben
Klinik in Erlangen, hat in seiner Inaugural- Dissertation (Von
der Ueberwanderung des menschlichen Eies, Erlangen 1862)
ein Präparat von Graviditas tubaria beschrieben, bei
welchem das Ei höchst wahrscheinlich aus dem
liqken Eierstocke in das Fransenende des rechten
Eileiters herüber gewandert ist. Dieses Präparat wurde
nebst einigen anderen von Herrn Dr. FronmüUer sen.,
Hospitalarzt in Fürth, dem hiesigen pathologisch -anatomischen
Museum zum Geschenke gemacht, von mir im Winter 1860/61
der Erlanger physikalisch -niedicinischen Gesellschaft vorgezeigt
und dabei die Vermuthung ausgesprochen,, das Ei habe in
diesem Falle seinen Weg vom Eierstocke zum Eileiter der
anderen Seite nicht durch den Uterus, sondern durch die
Bauchhöhle oder unmittelbar vom linken Eierstocke zum rechten
Eileiter genommen.
Ueber die Krankengeschichte und den Sectionsbefund im
vorliegenden Falle verdanken wir Herrn FronmüUer folgende
kurze Notizen:
„Das Präparat stammt von einer Frau, Namens Engeihardtt
die am 10. December 1851 nach vierzehntägiger Krankheit im
296 XIV- Kussmaul, Weite re Beiträge cur Lehre
Hospitale zu Fürth gestorben ist, nachdem sie an heftigen
Schmerzen im Unterleibe, später auf der Brust, Blutabgang
aus den Genitalien, Kälte der Extremitäten gelitten hatte,
Milch aus den Brüsten ausgelaufen war. Der Unterleib war
Yon den aufgetriebenen Gedärmen stark ausgedehnt In der
Unterleibshöhle fand sich viel ergossenes Blut."
Die Beschreibung, welche Herr Maurer von dem Präparate
giebt, lautet wie folgt:
„Die birnförmige Gebärmutter misst im senkrechten Durch-
messer vom Grund zur vorderen Muttermundslippe 10 Ctm.,
im Querdurchmesser zwischen den Einmündungsstellen der
Tuben 7y2 Ctm. Ihr Umfang hat also zugenommen. Der
Cervicalkanal ist 4 Ctm. lang. Die Höhle des Uterus ist mit
einer 3 — 5 Millim. dicken, zottigen Decidua ausgekleidet,
die am inneren Muttermunde und an den Tuben endigt Die
Dicke der Uteruswand beträgt an der dicksten Stelle des
Grundes 15 Millim. und behält diese Dicke so ziemlich an
allen Seiten. Der Muttermund stellt eine geschlossene Quer-
spalte mit bedeutend hervorragender, vorderer Lippe und
einer Narbe am rechten Winkel dar. Die vordere Fläche des
Uterusgrundes und Körpers, sowie die beiden Seitenflächen,
sind mit zahlreichen, theils mit breiterer Basis aufsitzenden,
grösstentheils aber fadenartigen, bindegewebigen Wucherungen
bedeckt, während die hintere Fläche des Uterus von einer
ganz normalen, glatten Serosa überzogen ist.
„Der linke Eierstock ist sehr gross, 5'/a Ctm. lang,
beginnt schon in ganz geringer Entfernung vom Uterus, und
nimmt gegen sein äusseres Ende an Dicke, Breite und Cou-
sistenz zu. Seine Flächen zeigen wenig Narben, aber beide
sind mit fadenförmigen, bindegewebigen Wucherungen besetzt.
Zwei Centimeter lange, dünne, aber starke Fäden ziehen sich
vom äusseren Ende dieses Eierstocks zum Fransenende der
Tube. Ein senkrechter Längendurchschnitt halbirt den Eier-
stock und lässl in seiner äusseren Hälfte einen 15 Millim. im
Durchmesser haltenden, nach oben und aussen bis zur Serosa
vordringenden, gelben Körper erkennen. Derselbe besteht
aus einem helleren, mehr als erb sengrosse n , weicheren Kerne
und aus einer peripherischen, concentrisch geschichteten,
consistenteren und dunkleren Rinde, die wiederum durch eine
von der Ueberwindercmg dos menschlichen Eies. 297
bindegewebige Kapsel theils mit dem Slroma des Eierstocks,
theils mit der anliegenden Serosa adhärirL
„Die linke etwa 8 Ctni. lange Tube zeigt sammt dem
Ligamentum latum an Ihrer Serosa- kurze und lange, frei
herabhängende Bindegewebsfaden.
„Der rechte Eierstock ist 4 Ctm. lang, derber als der
linke und auf seinen beiden Flächen mit zahlreichen Narben
bedeckt und stark gekerbt. Auch dessen beide Flächen sind
mit bindegewebigen Excrescenzen bedeckt. Sein äusserer
freier Rand stösst an eine Geschwulst, den Fruchtsack. Ein
Längendurchschnitt lässt ausser einigen slecknadelknopfgrossen
Höhlen (Graafschen Follikeln) bloss ein hanfkorngrosses,
blau -schwarz pigmentirtes Corpusculum nigruni erkennen.
„Die rechte Tube ist bis zu ihrem Fransen trichter ge-
messen, der zum Fruchtsack umgewandelt erscheint, 7 Ctm.
lang und beginnt von ihrer Mitte an nach aussen sich in
einen derben, fleischigen, von stellenweise rauher Serosa
überzogenen Strang zu verdicken.
„Zwischen rechtem Eierstock und rechter Tube schräg
Vom Ligamentum ovarii nach aussen und oben zur Tube
herüberlaulend befindet sich eine melir als haselnussgrosse
Kjste mit sehr dunner Wand.
„Der etwa gänseeigrosse Fruchtsack lag länglich rund
hinter der rechten Tube und dem rechten Eierstocke hin-
gestreckt, mit der ersten und wahrscheinlich auch diesem
▼erwachsen. ' Nach aussen erscheint die Oberfläche glatt, durch1
das yerdickle Peritonäura gebildet, nach innen aber rauh,
lilzig, aus bindegewebigen Häuten und Fibrinmassen bestehend.
Ob und wie hier Verwachsungen mit anderen Beckeneingeweiden
stattgefunden haben, lässt sich nicht mehr ermitteln, sicherlich
bestand keine Verwachsung mit dem Uterus, dessen hintere
Wand, wie schon bemerkt, ganz glatt ist Die Wände des
Fruchtsackes besteben nach aussen aus dein Peritoneum, einer
starken Muskelschichte, Chorion und Amnion und sind etwa
2 Linien dick. Nach innen besieht die Wand hauptsächlich
aus der durch parenchymatöse Blutung bis auf 2 Zoll ver-
dickten Placenta, welche die Eihäute bucklig gegen die
Fruchthöhle hineintreibt Serosa und Muskelschichte sind
hier nicht mein* erkeunbar.
Mon*U«chr. f. <4el»nrt>«k. 186-2 Bd. XX., Hft.4. 20
298 XIV. Kussmaul, Weitere Beiträge anr Lehre
„Die Frucht ist Aber zwei Monate alt, 41/* Ctm. lang,
Finger und Zehen schon deutlich getrennt, die NabeJöflhung
enthält die Darm schlinge nicht mehr, der Nabelstmng ist
noch nicht gewunden, eine Glitoris oder Penis ragt weit hervor,
der Sinus urogenitalis ist noch offen."
Da das Corpus luteum links, die Eileiterschwangerschaft
im Fransenende rechts ist, so muss das Ei aus dem linken
Eierstocke In den rechten Eileiter herüber gelangt sein. Ich
halte es für unwahrscheinlich, dass das Ei den weiten Umweg
durch den linken Eileiter, die Gebärmutter und die ganze
Länge des rechten Eileiters genommen habe, zumal die auf
den mittleren Theil des rechten Eileiters drückende, mehr
als haseiiiussgrosse Kyste ihm auf dieser Wanderung hinderlich
gewesen sein würde.
Somit verdient die Annahme den Vorzug, dasselbe sei
aus dem linken Eierstocke auf kürzerem Wege entweder
unmittelbar, oder, nachdem es eine Strecke durch die Bauch-
höhle zurückgelegt, in den rechten Eileiter gelangt, kurzum
es habe eine Transmigratio extrauterina stattgefunden.
Das Vorkommen einer extrauterinen Ueberwanderung beim
Menschen ist durch zwei Beobachtungen, wie mir scheint,
hinreichend gesichert
1) OMham und Wharton Jones fanden bei einer
Graviditas interstitialis der linken Seite den gelben Körper in
rechten Eierstocke. Das Fransenende des rechten Eileiters
war verschlossen und die Verscbliessung schien den beiden
Beobachtern von so altem Datum, dass sie behaupten, das
Ei habe unmöglich auf dieser Seite eindringen können. Die
Portio uterina des linken Eileiters war durch falsche Bander
zur hinteren Wand der Gebärmutter gezogen, auch am offenen
Fransenende dieses Eileiters fanden sich falsche Bänder, und
Wharton Jones nahm deshalb an, dasselbe sei durch diese
Bänder in Berührung mit dem rechten Eierstocke gestanden,
und habe das aus dem letzteren abgelöste Ei unmittelbar
aufgenommen. (Vergl. Kussmaul^ Von dem Mangel, der
Verkümmerung und Verdoppelung der Gebärmutter u. s. w,
Würzburg 1859. S. 339.)
von der Ueberwaadernng de* menschlichen Eies. 299
2) Rokitansky iand bei einer verstorben«* Pawpera
nach einer Graviditas uterina den gelben Körper links» den
gezerrten Bauchtheil des linken Eileiters in der Lange von
fast 2 Zoll verödet, verdünnt, undurchgingig, sein Fransen*
ende oberhalb der oberen Bechenanerüir mit dem Gekröse
des Signa romanom verwachsen, den rechten Eileiter wegsein.
Rokitansky glaubt ans der Innigkeit und Art der Verwachsung
des linken Fransenendes und dem hohen Orte derselben
scWiessen zu dürfen, dass sie schon vor der letzten Con-
ceplan und zwar zur Zeit einer der vorausgegangenen puer-
peralen Vergrößerungen des Uterus zu Stande gekommen sei.
Demnach wäre das Ei aus dem linken Eierstocke durch den
rechten Eileiter iu die Gebärmutter eingewandert (Aügem.
Wiener media Zeitung, 1860, Na 20). '
Die extrauterine Ueberwanderung des Eies hat in dem
Falle von Rokitansky zur Graviditas uterina, in den) von
Oldham zur Graviditas interstitialis, in unserem zur Graviditas
tubaria, und zwar innerhalb des Fransen trichtere, gefäbrL
Man kann darnach eben so viele Stationen derselben aufstellen.
Wäre in diesen drei Fällen durch Adhäsionen der noch
offene Fransentrichter des einen Eileiters mit dem Eierstocke
der anderen Seite in wimitteatare Berührung gebracht gewesen,
so läge der Vorgang, welcher der Traasmigratio extrauterine
an Grunde liegt, sehr klar und . einfach vor unseren Augen.
Das abgelöste Ei könnte unmittelbar aus dem Eierstocke in
den Eileiter der anderen Seite gelangt sein. Nun sind
aber solche Adhäsionen nur in dem Falle von
Oldham wahrscheinlich vorhanden gewesen, und
Klob (Wochenblatt der Zeitschr. der k, k. Gesellschaft der
Aerzte in Wien, 1861, No. 40) versuchte deshalb neulich,
die hieraus erwachsenden Schwierigkeiten durch den Hinweis
auf die Leichtigkeit zu beseitigen, womit man in
vielen Fällen an der Leiche das Fransenende des
Eileiters der einen Seite und den Eierstock der
anderen gegeneinander bewegen und miteinander in
Berührung bringen kann. Eine solche Lageveränderung
müsse auch zu Lebzeiten mitunter durch Druckkräfte, die in
der Beckenhöhle wirksam würden, zu Stande kommen und
30*
300 XIV. Kussmaul, Weitere Beiträge sttr Lehre
die Umfassung des Eierstocks durch die raenstruale Schwellung
und Verlängerung des Eileiters erleichtert werden.
Unzweifelhaft ist das von Klob hervorgehobene Verhalten,
auf welches auch ich schon früher bei Sectionen aufmerksam
gewesen bin, von Bedeutung, aber ich halte eine Be-
rührung von Eierstock und Fransentrichter nicht
für unumgänglich nothwendig zur Einleitung des
abgelösten Eies in den Trichter.
Bei vielen Amphibien und Fischen ist es eine aus-
gemachte Sache, dass die Berührung nicht nothwendig ist.
J. Müller (Handbuch der Physiologie, Bd. IL, 2, S. 645) sagt:
„Weniger noch ist der Uebergang der Eier in die Tuba
bei denjenigen Thieren begreiflich, deren Tubenmündung weit
vom Eierstocke entfernt liegt, wie bei den nackten Amphibien,
wo das Ende der Tuba bis in den obersten Theil der Bauch-
höhle und weit über den Eierstock hinaufreicht ,- und bei den
Haien und Rochen, wo die Verhältnisse die&er Aufnahme noch
ungünstiger sind. Denn hier befindet sich die gemeinschaft-
liche Mündung beider Tuben in der Mitte über der lieber,
unter dem Zwerchfelle, welches die Fovea cardiaca von der
Bauchhöhle absondert. Die Eierstöcke dagegen befinden sich
nach aussen von der Leber, oder auch bei einigen, den
Scyllium, Mustelus und Carcharias, in der Mitte unter der
Leber vor der Wirbelsäule. Es ist sehr wahrscheinlich, dass
hier die Wimperbewegung der Oberfläche zwischen Eierstock
uud Tuba vermittelnd eintritt. Dafür spricht die von Mayer
am Peritonäum der Frösche entdeckte Wimperbewegung.
Diese Bewegung, welche sich in den Tuben der Säugethiere
bis auf die innere Fläche der Fimbrien erstreckt, muss auch
bei den Säugethieren vielen An theil an der Aufnahme des
Eies iu die Tuben haben. Heule hat beim Menschen auch
an der äusseren Oberfläche der Fimbrien noch Fluniner-
epithelium beobachtet."
Die Gegenwart des Flimmerepithels auf der Bauchfell-
flache der Fransen wurde von 0. Becker (MoleschoWs
1) Valentin sah auch bei Rochen das Bauchfell zwischen
Leber und Eierstock, vor den Nieren und den Ovarien nnd das
Bauchfell der geschwänzten Batrachier flimmern. (Wagner, Hand-
wörterbuch, Bd. I, Art: Flimmerbewegung.)
von der Ueberwunderang des menachlichen Elea. 301
Unters., Bd. IL, H. 1, S. 71 — 99, 1857) bestätigt, ebenso
die Angaben von Purkinje, Valentin, Bischoff u. A., dass
die Richtung der Wimperschwingungen des Flimmerepithels
der Eileiter von der Bauchhöhle gegen die Gebärmutterhöhle
gerichtet ist. Mit Recht hat Becker deshalb angenommen,
dass in der serösen Feuchtigkeit an der Oberfläche
des Bauchfells ein constanter Strom in der Richtung
gegen die Tnbenmündungen stattfinde. — Ich füge
nur hinzu, dass während der Menstruation durch die Congestion
zu den Genitalien und das Bersten des Follikels die Wasser-
schicht im Bauchfellsacke zwischen den Eingeweiden der Becken-
höhle und die Triebkraft des Stromes vermehrt werden muss.
Platzt irgendwo am Ovarium ein Follikel und schwimmt
das Ei in seiner Follicular-Flüssigkeit in den Bauchfellraum,
so wird es mit derselben jenem Ostium fimbriatum zugetrieben
werden , dessen Strömung sich am bemerklichsten für dasselbe
macht, d. i. in den meisten Fällen dem Ostium der gleich-
seitigen Tube. Ist das Ei auf der vorderen Fläche des
Eierstocks ausgetreten, so ist es in der zwischen Eierstock
und Tube liegenden Bauchfelltasche sicher aufgehoben und
wird nicht leicht verfehlen, mit der auf dem Lig. tubo-ovariale
befindlichen Flüssigkeit in die Bauchpforte einzuströmen. v Ver~
lässt das Ei die hintere Fläche, so kann es leicht zu Grunde
gehen, wenn der betreifende Strom zu schwach ist, doch ist
die Gefahr, dass die von. der hinteren Wand herabfliessenden
Eier zwecklos in der Bauchhöhle zu Grunde gehen (v. Finck),
gewiss lange nicht so gross, als es den Anschein hat, denn
es wird keines sehr starken Stromes bedürfen, um das leichte
menschliche Ei auch vom hinteren Uterinaltheil des Eierstocks
her gegen die Tube zu leiten. Da es sich hier um eine
Art von capillärer Strömung handelt, wird das
Ei auch- der Schwere entgegen in verschiedener
Richtung durch den Rauchfellraum sich bewegen
können, was von der grössten Wichtigkeit ist.
Unter einen neuen Gesichtspunkt wurde die Lehre von
der Einleitung des Eies in den Fransentrichter neuerdings
von Rouget (Journal de la Physiologie, T, L, 1858, p. 320,
479 und 735) in einer grossen, scharfsinnigen und sehr
302 X1V« Kuawnaul, Weitete Beitrage mr Lehre
lesen&werthen Abhandlung gebracht — Er läast früher tbatk
unbeachtete, theila unbekannte Muskelkräfte in's Spiel treten.
Für die Fisehe und Amphibien, bei welchen Tuben-
möndung und Eierstöcke weit von einander liegen, hebt
Beuget die Bedeutung der Bauchpresse hervor, wodurch
die Eier in die offene Mundung des Eileiters getrieben werden.
Bei Squatus Acanthias ist der Trichter der oben verschmolzenen
Eileiter auch einer Erweiterung durch Muskelkraft fähig.
Unzweifelhaft kann bei diesem Thiere, dessen Eier die Grösse
von Hühnereiern erreichen, nur eine sehr wirksame Kraft,
wie die Bauchpresse sie ausübt, nicht aber die Wimper-
bewegung in s Mittel treten. Bei Thieren mit kleinen Eiern
aber mag diese letztere, deren Sauget keine Erwähnung
thiit, neben der Bauchpresse von Bedeutung werden und die
Hypothese von J. Müller richtig sein.
Für die Vögel, Saugethiere und den Menschen glaubt Rouget
besondere Muskelapparate in den Gekrösen der
Eierstöcke und Eileiter, beim Menschen also namentlich
im Mesovarium und Ligamentum lalum, in Gestalt von
Faserzügen glatter Muskeln1) nachweisen zu können,
welche, durch Reflex angeregt, während der Ovula-
lation den Tubentrichter gegen den Eierstuck be-
wegten und ihm gestatteten, über die entferntesten
Gegenden des letzteren hinwegzugleiten und die
ausgetretenen Eier aufzunehmen.
Der Wimperbewegung als möglicher Ursache der Einleitung
des Eies in den Trichter, wenigstens der kleinen Säugetliier-
Eier gedenkt Rouget merkwürdiger Weise auch hier mit
keinem Worte, er sucht nur zu zeigen, dass die gegenseitige
Anlagerung von Tube und Eierstock weder durch Wurm*
bewegungen des Eileiters noch durch eine erectüe Turgescenz
desselben bewirkt werden könne. Erectiles Gewebe komme
wohl dem Uterus und Ovariuin, aber nicht der Tube zu»
1) Das Vorkommen glatter Muskeln in diesen Bändern war
schon deutschen Histologen bekannt, Rouget aber hat sieb ein-
gehender mit ihnen beschäftigt, als irgend Jemand vor ihm. — ~
Qlatte Muskelfasern im Ovarium des Menschen beschrieb Bonget
floeret, Ch. Aeby (Archiv f. Anat., 1861, No. ö, 8. 635) bestätigt
die Angabe, deren Richtigkeit andere Forscher widersprechen.
▼ob der Ueberwandernog de« mcnsohliohen Eies. 808
Jene Theile aeieq einer wahren Steüiing fähig, indem die
Venenausgange ihrer erectilen Massen verengt würden, was
durch die gleiohfidls reflectorisch erregten glatten Muskeln
des Mesovarium und Mesometrium geschehe. Auch das
Platzen der Follikel soll durch glatte Muskeln in den Ovarien
vermittelt werden und die Menstruation Folge der erectilen
Schwellung des Uterus sein, dessen Schleimhaut gelockert werde.
Rouget huldigt noch der alten, von Kiwiach so erfolg*
reich angegriffenen Anschauung, das befranste Ende des
Eileiteis umfasse den Eierstock nur während der Ovulations-
periode und verlasse ihn wieder naoh derselben. Er kennt
offenbar die Einwürfe nicht, welche von dem oben genannten
unvergessiichen Forscher, von Hyrtl, v. Finck, Sommer u. A.
erhoben wurden und die durch seine Theorie keineswegs be-
seitigt werden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die dürftigen
Muskelfaserzüge im Ligam. latum und Mesovarium eine Kraft
entfalten sollen, gross genug, um dem über alle Unterleibs-
organe gleichmässig verbreiteten Drucke der Bauchpresse und
dem Widerstände der von Gas ausgedehnten oder- mit Roth
gefüllten Därme entgegen ein so wenig resistentes Gebilde
wie den Eileiter gegen den Eierstock zu bewegen und' seine
zarten Fransen diesem anzupressen. Sind die Fransen noch
dazu, wie Rouget behauptet, der Erectionsföhigkeit baar, so
würde dadurch die Theorie von der Aufrichtung der Fransen
2ur Menstruattonszeit schon allein widerlegt. Zahlreiche
Leichenuntersuchungen nicht menstrnirter Frauen (Kiwisch,
Sommer) haben aber auch gezeigt, dass die Fransen
nicht bloss während der Menstruation, sondern
auch vor und nachher mit ihrer Schleimhautfläche
dem Eierstocke, zumal an seiner vorderen Wand,
anliegen. Damit fallt die grosse Bedeutung, welche Rouget
seinem tubo-ovarialen Muskelapparate beilegt, sofort weg,
in den meisten Fällen bedürfte es desselben gar nicht, da
Eierstock und Fransentrichtcr sich schon berühren. Kapselte
würde dann nur dazu dienen können, den Trichter über die
Oberfläche des Eierstocks zu verschieben, wogegen sich aber
die oben geäusserten Bedenken erheben dürften. —+ Ich wiH
nach diesen Betrachtungen dennoch nicht in Abrede stellen,
dass mitunter der Rougetxhe Muskelapparat günstige Be*
304 XIV. Kussmaul, Weitere Beitrüge cur Lehre
dingungen finde, die ihm einen freieren Spielraum und eine
gewisse Wirksamkeit gestatten, aber dagegen glaube ich
streiten zu dürfen, dass er das ausschliessliche oder
auch nur das wesentliche Mittel zur Einleitung des
Eies in die Tube sei. Vergleicht man seine Leistungs-
fähigkeit und die der tubären Flimmerströme, so versprechen
diese ungleich sicherere* Erfolge. Auch die trotz reichlich
vorhandener falscher Bänder und abnormer Befestigungen der
Eileiter so häutig zu Stande kommenden Eileiter- und
Gebärmutter- Schwangerschaften sprechen nicht zu Gunsten
der Ansicht Rouge? &, doch ist erst eine sorgfaltige Revision
einschlagender Präparate nöthig, um auf diesem Wege ihre
Unnahbarkeit nachzuweisen.
Kehren wir nach dieser Abschweifung zu der von J. Mntter
angebahnten und von O. Becker weiter geführten Theorie
der Flimmerströmung als Ursache der Einleitung des Eies in
die Tube zurück, und suchen wir uns an ihrer Hand den
Vorgang der extrauterinen Ueberwanderung zu erklären, so
ergiebt sich Folgendes.
Das Ei kann aus dem Eierstocke der einen
Seite in die Tube der anderen gelangen, wenn der
Flimmerstrom der letzteren seine Triebkraft allein
oder vorwiegend auf dasselbe geltend macht; eine
Berührung beider Organe ist zur Ueberwanderung
nicht erforderlich, da der Flimmerstrom auch auf
Distanz wirkt; wie nahe sie sich kommen müssen, ist zur
Zeit nicht zu sagen.
In den Fällen von Oldham und Rokitansky kann nur
Ein Strom zur anderen Seite hin existirt haben, da die
Tube der gleichen Seite verschlossen war. In dem von
Maurer beschriebenen Falle war diese nicht verschlossen;
ob ein Strom aus anderen Gründen nicht bestand, oder nur
zu schwach gegenüber dem der entgegengesetzten Tube war,
lässt sich nicht entscheiden. Beide Eileiter waren an ihrer
Oberfläche mit falschen Bändern besetzt, vielleicht war durch
sie die Tube der gleichen Seite in eine ungünstigere Stellung
zu dem das Ei liefernden Eierstock gebracht, als die der
anderen Seite; freilich lässt sich bestimmt behaupten, dass
tob dar Ueberwanderong des mensch liehen Ries. 306
die leUtere (rechte) nicht mit der ganz glatten Hinterfläch*
de* Uterus verwachsen war, aber dessenungeachtet kann und
wird sie dem linken Eierstocke nahe gelegen sein.
Während bei der eitraiterlnen Ueberwanderung
das Ei, das seinen Eierstock verlassen hat, durch
die Tube der anderen Seite seinen Weg zum Uterus
ganz oder theilweise zurückgelegt, gelangt es bei
der intrauterinen Ueberwanderung zwar auf dem
gewöhnlichen Wege in den Uterus, setzt aber
seinen Weg zur anderen Hälfte des Uterus oder in
die Tube der anderen Seite fort. — Diesen beiden
Anomalien der Eibewegung würde sich als eine dritte jene
anschliessen, wo das Ei zu weit abwärts wandert, wie
bei Placenta praevia oder de» seltenen Graviditas cervicalis
Dass aus dem Eierstocke der einen Seite das Ei in die
entgegengesetzte "Hälfte einer einfachen Gebär-
mutter gelangen kann, wird schon dadurch bewiesen, dass
man die Placentarwunde nicht selten auf der dem Eierstocke
mit dem Corpus luteum entgegengesetzten Seite findet, sogar
nahe an der Einmündung des entgegengesetzten Eileiters.
Ganz schlagend aber ist die Beobachtung FtrcAotc's, der ein
kaum wallnussgrosses Ei in der Decidua reflexa auf der
rechten Seite des Uterus nahe an der Einmündung der Tube
fand, während der linke Eierstock das Corpus luteum ent-
hielt (Virchow, Gesammelte Abhandl., S. 776).
Da diese Tbatsachen feststehen, das Ei sonach bis an
die Einmündungsstelle der andersseitigen Tuba herüberbewegt
werden kann, so ist es gewiss nicht unwahrscheinlich, dass
es auch ausnahmsweise in diese Tube gelangen
könne, was Klob (a. a. 0.) bezweifelt. Ich habe in meinem
oben citirten Werke (S. 358) die Gründe zusammengestellt,
welche dafür sprechen, dass der anscheinend so starre Uterus
des menschlichen Weibes während der Menstruation, zumal
nach erfolgter Conception kräftiger musculärer Bewegungen
fähig ist, wodurch sein Inhalt nicht bloss nach abwärts,
andern auch nach aufwärts bewegt, werden kann. Es steht
also der Annahme, dass ein Ei, was von .der linken Tube
306 XIV. Kussmaul, Weitere Beitrüge tut Lehre
hereinkommt, in die rechte binetngepresst werden kann,
theoretisch nichts im Wege, zumal bei Thieren mit Uten»
bicornis die Wanderung ans einem Hörn in's andere hin-
reichend erwiesen ist. In der That halte ich es, noch heule
für wahrscheinlich, dass der Fall von Tubarschwangerschaft,
den ich im Jahre 1857 beobachtete und aus einer intrauterinen
üeberwanderung des Eies herleitete (a. a. 0. S. 324), wirklich
auf diese Weise zu Stande kam. Doch gebe ich Rlob bereit-
willig zu, dass ein Präparat die intrauterine üeberwanderung
bei Graviditas tubaria nur dann zweifellos darthun würde,
wenn das Fransenende der schwangeren Tube in solcher
Weise verschlossen wäre, dass man daraus sicher entnehmen
könnte, der Verschluss habe schon vor der letzten Conception
stattgefunden. Ich habe auch in meinem Buche nicht gewagt,
meine Ansicht von der Sache als ganz ausgemacht richtig
hinzustellen. *
Die Gründe, welche mir für Transmigratio intrauterina
zu sprechen schienen, waren: 1) Die Wegsamkeit beider
Eileiter; 2) der Mangel jeder Spur einer Verziehung des
schwangeren linken Eileiters gegen den rechten Eierstock hin,
der das Corpus luteum trug und die nichts Besonderes
bietenden Lageverhältnisse der inneren Genitalien überhaupt;
3) der Sitz des Fruchtsackes so nahe der Uterushöhle; die
Schwangerschaft war fast interstitiell zu nennen; 4) die
Partie des schwangeren Eileiters vom Uterin -Ende bis zum
Fruchtsack war weiter, als die entsprechende des Eileiters
der anderen Seite, was das Eintreten eines Eies vom Uterus
her begünstigen musste; endlich 5) die grosse Geneigtheit
der Person zu hysterischen Krämpfen und Menstrualkoiiken.
Es ist in hohem Grade merkwürdig, dass trotz der sehr
geringen Zahl von Beobachtungen ,' welche über Schwanger-
schaft in rudimentären Uterushörnern neben aus-
gebildeten einhörnigen Uteris bekannt sind, die Üeber-
wanderung gerade hier schon zwei Mal constatirt worden
ist. Ja es ist ein solcher Fall, bei welchem überhaupt
zuerst die Üeberwanderung erkannt wurde, ich meine die
Beobachtung von Dtejer und Eschricht m Kopenhagen aus
dem Jahre 1884 (8eite 145 meines Boches)«
von fUr Ueberwandemng des menschlichen Eies. 807
Vor wenigen Tagen erfreute midi Herr Prof. Eschriekt
durch einen Brief, worin nur dieser so verdiente Forsdber
die Ergebnisse einer küretitcb erneuerten Untersuchung des
Drejer'&ehen Präparates mittbeilt. Er bestätigt die Deutung,
welche ich von jenem Präparate angeblicher Eileiterschwanger-
schaft 1858 gegeben habe. Es handelt sich in der Thal
nur um einen Uterus unicornis sinister mit verkümmertem,
aber geschwängertem rechten Nebenborne. Das letztere hängt
(nach einer beigefugten schematischen Zeichnung) durch einen
Jangen schmalen Stiel in der Gegend des inneren Mutter-
mundes mit dem linken, mit einer, wie bemerkt wird, dicken
Decidua versehenen Uterus zusammen; dieser Stiel enthält
einen früher unentdeckt gebliebenen, eine sehr starke Sonde
bequem durchlassenden, an beiden Enden aber anscheinend
blinden Gang; der äussere zum Fruchtsack umgewandelte
Tbeil des Nebenhorns giebt das Ligamentum teres dextrum ab;
seine Wand besitzt die fleischige Structur eines schwangeren
Uterus mit reichlich eingeflochtenen Gefässen und erreicht die
Dicke von 1% Zoll; der Fruchtsäck ist nach aussen um-
gestülpt, seine Convexität von der Placenta besetzt, seine
Goncavität vom Peritonäum bekleidet; rings um die Oeffhung
der Rissstelle erscheint er sphineterartig fest eingeschnürt.
Die genauere Untersuchung der Art und Weise, wie diese
Umstülpung zu Stande kam, behält sich Herr Eschricht vor.
Dass in diesem merkwürdigen Falle ein Uebergang des Eies
vom linken Eierstocke zum rechten Nebenhorne stattfand,
daran ist nicht zu zweifeln. Herr Eschricht bemerkt, dass
er es' für wahrscheinlicher gehalten habe, dass die Ueber-
Wanderung auf extrauterinem, als auf intrauterinem Wege zu
Stande gekommen sei, wobei er jedoch fär seine Person
keineswegs an ein Ergreifen des Eierstocks durch die Tube
der anderen Seite „wie mit Fingerspitzen " gedacht habe,
sondern nur an ein Anschmiegen der Scjjleimhäutflächen der
Fimbrien an das Ovarium. Diese Bemerkung hat wohl darin
ihren Grund, dass Direjer in seiner Mittheilung die Vermuthung
aussprach, es möchten die Fransen des rechten Eileiters das
abgelöste Ei des linken Eierstocks ergriffen haben, welcher
Ausdrucksweise die damals noch sehr verbreitete teleologische
208 XIV* Kv***a*l, Weitere Beitrüge zur Lehre
Anschauung des Vorganges von der Einleitung des Eies in
den Fransentrichter durch ein instinetives Ergreifen des Eies
mit den Fransen zu Grunde gelegen hat1)
Offenbar gebührt Eschrichi das Verdienst, zuerst den
Vorgang der Ueberwanderung erkannt an haben. —
Die andere Beobachtung verdanken wir Scanzoni; er
betrachtet die Ueberwanderung als intrauterin erfolgt und
durch das Flimmerepithel vermittelt.
Es entsteht nun zunächst die Frage, kommt in solchen
Fällen die Ueberwanderung auf extrauterinem oder intra-
uterinem Wege zu Stande?
Klob entscheidet sich für den extrauterinen Weg. Die
intrauterine Ueberwanderung scheint ihm nicht hinreichend
bewiesen zu sein, während das Vorkommen der extrauterinen
durch die Beobachtungen von Oldham und Rokitansky
gesichert sei. Dagegen ist nun zu bemerken, dass die
intrauterine Ueberwanderung nur als Ursache der
Eileiterschwangerschaft nicht vollkommen sicher
gestellt ist, wohl aber die intrauterine zur anderen
Seite der Uterushöhle, und beim Hund, Reh und
Meerschweinchen mit Uterus bicornis infra simpler
auch die von einem Hörn in 's andere. Es handelt
sich aber bei der in Frage kommenden Uterusform um die
Wiederholung ähnlicher Verhältnisse, wie bei den Thieren mit
Uterus bicornis infra simplex, und die Häufigkeit der Ueber-
wanderung gerade bei ihr ist auffallend. Wie vorsichtig man
hier mit einer bestimmten Entscheidung für den extraiflerinen
Weg sein muss, lehrt die Versicherung des vielerfahrenen
Bischoff, dass er bei den Kaninchen, die einen bis
zum Muttermunde herab gedoppelten Uterus haben,
niemals eine Ueberwanderung überhaupt con-
1) Deshalb nannte ich in meinem Buche die Auffassung
Drejer's eine kindliche. Klob hat mich missverstand cd, wenn er
meint, ich betrachte die Lehre von der extrauterinen Ueber-
wanderung überhaupt als eine kindliche Anschauung. Ich führe
ja in meinem Buche (S. 341) den Fall Ton Oldham als ein Bei-
spiel von extrauteriner Ueberwanderung ausdrücklich an.
von der Ueberwandenmg des menschlichen Eies. 309
statiren konnte. Die extrauterine Ueberwanderung muss
demnach bei den Tfaieren mit Uterus bicornis sehr schwierig
zu Stande kommen, während die intrauterine, sobald eben
nur die Hörner überhaupt mit einander communiciren, ein
gewöhnliches Vorkomipen ist Ich niuss nun aber auch noch
darauf aufmerksam machen, dass die Lageverhältnis6e der
inneren Genitalien bei der uns beschäftigenden Uterusfora)
des menschlichen Weibes die extrauterine Ueberwanderung
sehr zu behindern scheinen. In zwei von mir genauer darauf
untersuchten Fällen (a. a. 0. S. 112, Fig. 35, und Bosenburger,
Sechs Fälle von Uterus bicornis, Diss., Erlangen 1801, Fall V.)
lagen die Tuben der unentwickelten Nebenhörner
sehr weit entfernt von den Eierstöcken der
anderen Seile und gut befestigt hoch oben am
Beckeneingange. Doch sind in dieser Beziehung weitere
anatomische Untersuchungen anzustellen. — Einstweilen scheint
mir die intrauterine Ueberwanderung aus dem entwickelten
Hörn in das verkümmerte Nebenhorn der wahrscheinlichere
Vorgang.
Erfolgt die Ueberwanderung wirklich von Hom zu Hörn,
so könnte an das Flimmerepithel als das Beförderungsmittel
des Eies gedacht werden, wie Scanzoni that. Doch ist
dies unwahrscheinlich, weil das Flimmerepithel der Uterus«
Schleimhaut während der Menstruation abgestossen zu werden
pflegt, und so bliebe denn nichts übrig, als an die contractilen
Elemente in den Wänden der Uterushörner selbst zu appelüren,
durch deren Thätigkeit das im Secrete der Schleimhaut
schwimmende Ei die Ortsveränderung einginge.
Schliesslich theile ich folgende genauere Angaben ober
ejnen Fall von Eileiterschwangerschaft, in welchem wahr*
scheinlich das Ei übergewandert ist, so wie ich sie der Gute
des Herrn Dr. Antonio Agostini in Verona verdanke, mit
Ich habe den Fall S. 339 meines Buches nach einer dürftigen
Notiz \n Meissners Forschungen des 19. Jahrhunderts,
Bd. IV., S. 77, erwähnt, ausführlich ist er in den mir nicht
zugänglich gewesenen Annali universali de Medicina, compilati
310 XIV, Kunmaul, Weitere Beitrage wr Lehre
da Annibale Qmodei, 1685, eingetragen, unter den Titel:
Storia di una gravidanza della feiba faüopiana sinistra etc.
dei Prof. G. JB.
„Es ist etwas zweifelhaft, wer dieser Professor O. B.
gewesen sei," sagt mein Gewährsmann, wdnt. Agostim, „und
wo der Fall stattgefunden habe; denn im Aufsätze ist jedes
Wort, jeder Wink sorgfältig vermieden, wodurch das Publik««
aber das Individuum einen näheren Ausschluss hatte gewinnen
können. Wir meinen aber, dass unter diesen Buchstaben
Professor Oictcomo BarzeUötti zu lesen sei und wir haben
allen GrutM, diese Meinung aufrecht zu erbalten. Batrzettotti
war Professor der gerichtlichen Medicin in Pisa und wird
noch heut zu Tage als tüchtiger Beobachter und aus-
gezeichneter Schriftsteller sehr hoch geschätzt. — Der Fall
wird von ihm bundig beschrieben und zwar nach dem Berichte
sweier ganz verlässiger Aerzte, welche das visum et repertum
der gerichtlichen Section verfassten und dasselbe sammt dem
Präparate als pathologisches Curiosum dem Professor zu«
schickten. Barzellotti sagt in seinem Aufsatze, dass das
Präparat im Museo niedergelegt worden ist; wenn also
Barzellotti der Verfasser ist, so sollte das Präparat im
Pisanischen Museum noch immer aufbewahrt werden. — Es
handelte sich um ein. 18j9fcriges Mädchen» welches plötzlich
von heftigen, wehenartig intermitürenden Schmerzen im
Unterleibe befallen worden war; es folgte bald darauf Er-
brechen, eine tiefe Ohnmacht und der Tod. Das Mädchen,
einer guten Familie angehörend, genoss einen unbefleckten
Ruf, erfreute sich immer der besten Gesundheit, und nur
einige Tage vor seinem Tode war eine gewisse Wehmuth in
seinen Zügen zu merken. " — Des plötzlichen Todes halber
wurde die gerichtliche Obduction angeordnet, welche im
Beisein eines Richters, eines Arztes und eines Wundantes
staltfand. Der Familie sowohl als der weiteren Umgebung
war die wahre Ursache des plötzlichen Ablebens des Mädchens
ganz unbekannt, und da die Gommission darüber ans den
ebenso geschickt als schonend erhobenen Erkundigungen
Gewissfaeit erhielt, beobachtete sie das tiefste Geheimnis«
über den gerichtlichen Befund. Derselbe war folgender:
von dfcr tUberWanderong de* meneeMlchta Eies. 311
.„Keine Spur von Verfettungen oder sonstigen, finsserlich
wahrnehmbaren Veränderungen de* Körpers. Nur der Um-
kreis des Nabels und die ganze linke untere Seite des
Unterleibs stark ecchymotisch. Bei Eröflbung des Cavum
abdominale fand nta« eine ungeheure Menge ergossenes und
theilweise geronnenes Blut, und wahrend der Beseitigung
desselben stiess man auf einen rundlichen Körper von der
doppelten Grosse eines Gänseeies, welcher, von durch-
scheinenden Membranen überwogen, einen kleinen Fötus deut-
lich durch dieselben erkennen liess. Der Fötus schwamm in
seinen Wassern, zeigte Tiermonatliche Grosse und männliches
Geschlecht.
„Der linke Eileiter war an der Stelle, wo er die Frucht
beherbergte, zerrissen. Der Riss war im Mittelpunkte der
Placentarintfertion. Der ÄerreisÄung der Eileiterwinde gesellte
sich auch die des Nabelilrangs hinsu, wofcef die starke
Blutung, der Fall des Eies in die Bauchhöhle, der Tod der
Mutter und der Frucht
„Bei der genaueren Präparirung der Gebärmutter -und
ihrer Adnex* fand ttiatt:
1) Die Gebärmutter um etfeas grösser als gewöhnlich, ihre
Farbe lebhafter, ihre Substanz weicher und an der
inneren Seite mit tfnewi schwammigen, weissgelblichen,
membranöseö Ueberzug — einer Decidua — überkleidet
2) Der rechte -Eileiter war in seinem Lumen etwas er-
weitert, mit stark ausgebildeten Gelassen versehen und
ziemlich gewunden.
3) Beide Eierstöcke waren verfritesert, der rechte Enthielt
einen entschieden gelben Korper.
4) Keine pathologische Veränderung an den ftowwren
Genitalien, keine an den traten und runden Mutter-
bänden.
(>) Die Arteria et vena spermatica der linken Seite er-
weitert
6) Der lmke Eileiter eu einein Sacke ausgedehnt , darb
und mit starken GeAssen versehen; sein freies finde
umfassie noch immer den Eierstock; das andere Ende
war verschlossen und der Durchgang in die UtarMiöhle
unmöglich.
312 xv- Brau», Bericht ober die Erefgutoe
„Die nähere Untersuchung des Eies ergab:
1) Dass die Placenta nicht einmal die Hälfte der Ent-
wicklung hatte, wie man sie sonst bei viermonatUchem
Fötus findet
2) Fötus und Eihäute waren nornial, auch zeigte die
Insertion des Nabelstraugs keine Abnormität."
Welcher Art die Ueber Wanderung war, die hier wahr-
scheinlich stattgefunden hat, ist nicht zu entscheiden.
XV.
Bericht über die Ereignisse in der unter der
Leitung des Herrn Prof. Dr. Hecker stehenden
geburtshttlf liehen Poliklinik der königl. Ludwig-
Maximilians -Universität zu München
vom 1. October 1869 bis zum 30. September 1861.
Von
Dr. M. Braun,
praktischem Arzt und HUlfsarxt an der Poliklinik.
(Schluaa.)
III. Operatives.
An dieser Stelle erübrigt nur, über die Zangenoperationen
etwas Zusammenhängendes beizubringen, da von den übrigen
Operationen schon im Verlaufe des Berichts gehandelt worden
ist Die Zahl der Zangenoperationen betrug 38 , d. h. es
wurde in 4,10 Procent der Fälle von dem Instrumente Ge-
brauch gemacht Dies Verhältnis» ist ein ziemlich bedeutendes,
aber nicht zu hoch, wenn man die Aufgabe einer geburts-
httlf liehen Poliklinik, jüngeren Aerzten Gelegenheit zu ver-
schaffen, an Lebenden zu operiren, im Auge behält Daneben
nsoss auch für die Fälle, wo vielleicht ein längeres Zuwarten
erlaubt gewesen wäre, zur Geltung kommen, dass die meist
sehr weite Entfernung der Wohnung der Gebärenden viel
in der geburtetiülflichen Poliklinik sn München etc. 813
eher zur Operation auffordert, als dies in einer Klinik der
Fall ist.
Die Operationen wurden bei 27 Erstgebarenden, 4 Zweit-,
3 Dritt-, 2 Viert-, 1 Fünft- und 1 Achtgebärenden aus-
geführt. Die Lage des Kindes war bei den Operationen
folgende:
Bei 26 Geburten erste Scheitellage,
„ 8 „ zweite* „
„ 2 „ erste Vorderscheitellage,
„ 1 Geburt Schiefstellung des Kopfes,
„ 1 „ war der Kopf nachkommend.
Die Indicationen lassen sich auf folgende Weise gruppiren :
1) In 10 Fällen Beckenenge.
2) Vier Mal Missverhältniss der Grösse des kindlichen
Kopfes zu den Beckenräumlichkeilen.
3) Ein Mal Schiefstellung des Kopfes.
4) Zwei Mal Vorfall der Nabelschnur.
5) Vier Mal Gefahr für das kindliche Leben, an den Ver-
änderungen des fötalen Herzschlages erkennbar, aber
ohne bestimmt nachweisbare Aetiologie.
6) Zehn Mal Webenschwäche, welche man erfolglos mit
wehenbefördernden Mitteln behandelt hatte.
7) Ein Mal Eclampsie.
8) Ein Mai Schwäche und Dyspnoe der Mutter während:
eines typhösen Fiebers.
9) Fünf Mal Rigidität der mütterlichen Weich theile, wo-
durch entweder eine mechanische Verzögerung in der
Ausstossung des kindlichen Körpers bedingt war, oder
durch Anlegung der Zange das Einreissen des Dammes
verhindert werden sollte. Hierher gehören einige Fälle
von geringer Neigung des Beckens, wo der Kopf sich in
dem Perinäum wie in einer Kappe fing und dasselbe,
wenn man die Geburt der Natur überliess, zu durch-
brechen . drohte.
Die Operation wurde immer mit einem Instrumente aus-
geführt, welches völlig der sog. Busch'schen Zange nach-
gebildet ist und sich von dieser nur dadurch unterscheidet,
dass die Fenster gesclüossen, ihre Ränder aber ausgestemmt
sind. Was den Stand des Kopfes betrifft ; so befand er sich
MonaUaoUr.f.Qeburtflk. 18*52 Bd. XX., Hft.4. . 21
814 XV. Braun, Beriaht iUxur dl« Emigftfes«
7 Mal im Beckeaaingaoge,
12 Mal in der Beckenenge, '
19 Mal im Beckenausgange.
Die Anlegung der Zange wurde in allen Fälle» ent-
sprechend dem Querdurchmesser des Beckens bewirkt, fwe
Gelegenheit, mit Vortheil von der schrägen Anlegung Gebrauch
zu machen, hat sich nicht geboten. In den Fällen, wo der
im Beckeneingange befindliche und querstehende Kopf ober
Stirn und Hinterhaupt gefasst wurde, sah man constant, dass
er mit dem Gesichte nach unten über das Perinäum- glitt,
sich also innerhalb der Zange gedreht haben musste.
Die Dammgebilde blieben in 11 Fällen ohne Hinzuthun
der Kunst vollkommen intact; in. 20 Fällen dagegen konnte
ihre Erhaltung nur durch die Anwendung seitlicher Incisiooen
bewerkstelligt werden; in awei weiteren Fällen ereignete sich
trotz derselben eine Ruptur. Fünf Mal endlich riss der D«um
ein, ohne dass man von seitlichen Incisionen Gebrauch ge-
maoht hatte.
Von den 38 Kindern wurden 26 lebend, 12 todt geboren,
unter den ersten waren 15 mehr oder weniger aaphyktisch,
unter den letzteren fand sich ein faultodtes.
Von den Müttern machten 31 ein völlig normales Wochen-
bett durch, während 7 erkrankten. Von diesen genasen 5,
starben 2, nämlich eine mit dem oatoomalaciaohen Becken
und dann eine 26jährige Erstgebärende; diese bekam Peri-
tonitis und doppelseitiges pleuritisches Exsudat, woran sie
34 Tage post partum zu Grunde ging.
IV. Woohenbett.
Von den 913 Entbundenen blieben im Wochenbette
vitlig gesund 844, wogegen 69 erkrankten. Die* giebt ein
MorM*tÄtsverhalfc)is6 von 7,5 Procent Von den genannten 69
wurden 4 in das Krankenhaus tranaferirt, und ist wen diesen
unseres Wissens eine (Osteomalacie) gestorben. .
In poliklinischer Pflege gingen 6 zu Grunde, so dass
im Ganzen sich 7 Todesfälle ereigneten, und sieh demnach
das MortaKtilsverhähniss auf 0,76 Procent herausstellt
Ueber die Erkranktntgsformen mag iflitgetheilt werden,
desa man Endometritis und Metreperitonitis bei 16 WöohnerinMB
in der frebmrtshttlflichen Pelfltltoik zu München etc. 315
beobachtete. Diese Falle, die sich drei Mai mit heftigen
Diarrhöen complicirten, drei Mal mit diphtherischen Ge-
schwüren auf der Scheidenschleimhaut, gingen sämmtlicb in
Genesung über. Von therapeutischen Mitteln kamen dabei in
Anwendung Opium, Ricinusöl, viel seltener Caiomel, dagegen
häufig Chinin. Die Anwendung der Kälte auf den Unterleib
schien oft erfolgreich zu sein.
Phlebitis sahen wir in drei Fällen, ein Mal nach normaler
Geburt, zwei Mal nach sehr schwerer Placentarlösung. Alle
drei Fälle nahmen lethalen Ausgang. Das Charakteristische
dieser drei Erkrankungen war kürzlich folgendes.
1) Eine 36jKbrige Zimmermannsfrau, welche zwei Mal juiit
Zwillingen niedergekommen war und bei der drei Mal die Placenta
künstlich gelöst werden musste, litt in den letzten 14 Tagen
ihrer nennten Schwangerschaft an stechenden Schmerzen in der
rechten Seite des Uteras. Nachdem die Geburt eines grossen
Knaben am 30. Dece,mber 1860 erfolgt war, trat eine sehr heftige
Metrorrhagie auf, welche wiederum in Verwachsung der Placenta
mit der Ute ras wand ihren Grund hatte. Nach schwieriger stück-
weiser Entfernung derselben Hess die Blutung nach und die Frau
schien sich von ihrer Anämie erholen zu wollen, aber schon am
31. December erfolgte ein heftiger Schüttelfrost, und bei in den
nächsten Tagen continnirlich auf bedeutender Höhe bleibenden
Fiebererscbeinungen war die Diagnose einer Phlebitis wohl
ziemlich sicher. Am 14. Januar kamen Symptome einer Pleuro-
pneumonie hinzu und der lethale Ausgang erfolgte am 20. Januar,
22 Tage nach de.r Geburt. Aus dem Sectionsbefunde heben wir
hervor, dass an dem Grunde des noch grossen, weiten und
schlaffen Uterus nach rechts sich ein haselnussgrosser Piacentar-
rest vorfand, der, mit der Schleimhaut in innigem Zusammen*
hange stehend, nach aussen hin uneben und sottig erschien, auf
dem Durchschnitte stellenweise eiterigen Zerfall wahrnehmen
liess. Im rechten Plexus pampiniformis fanden sich zerfallene
Pfropfe. Ferner in beiden Pleurasäcken blutig -seröses Exsudat,
auf dem unteren Lappen der linken Lunge zerstreute Faserstoff-
ablagerungen, in dem Lappen selbst, und zwar an seiner Basis,
ein siemlich ausgedehnter hämorrhagischer Infarkt und swei
kleine pyämische Keile. Die rechte Lunge war nur ödematös
und blutleer, sonst gesund. Der Herzbeutel enthielt etwa 6 Unzen
flockigen Serums und auf dem Visceralblatte desselben zeigten
sich an verschiedenen Stellen frische Faserstoffablagerungen.
2) Di« aweite hierher gehörige Erkrankung ereignete sieh
bei einer 26 jährigen Frau, weiche am 27. Juni 1860 regelmässig
niedergekommen war, und kündigte sich durch einen am vierten
21*
316 XV- Br***f Berieht über 4ie Ereignisse
Tage nach der Gebart auftretenden heftigen Schiittelfrost an.
Wie in dem ersten Falle war der Verlauf ein im Vergleich mit
den heftigen Formen der Peritonitis lymphatica langsamer; erst
am 18. Juli konnte man eine pyämische Pneumonie diagnosticiren,
welcher die Patientin fünf Tage darauf erlag. Der Krankheits-
process hatte also 23 Tage in seinem Ablaufe gebraucht. Die
Seotion wurde nicht gestattet.
3) In dem dritten Falle war die Aetiologie der Phlebitis
eine ähnliche, wie im ersten. Eine 23jährige Fr«u gebar am
28. October 1860 zum achten Male. Während ihre früheren Ent-
bindungen, mit Ausnahme der vierten, die mit Nabelschnur-
vorfall complicirt war, einen normalen Verlauf genommen hatten,
-trat diesmal nach Ausschliessung des Kindes eine heftige Blutung
ein; dio Hebamme riss bei einem Versuche, die Placenta «u
entfernen, die Nabelschnur ab und brachte ein nur etwa thaler-
grosses Stück der ersteren zu Tage. Bei unserer Ankunft zeigten
sich gefahrdrohende Erscheinungen von Anämie; die an der
vorderen Uterinfläche sehr fest adhärirende Placenta konnte,
da mittlerweile der innere Muttermund sich bedeutend zusammen-
gezogen hatte, nur mit grosser Mühe und auf den ersten Angriff
nicht einmal vollständig entfernt werden. Ein thafergrosses
Stück derselben wurde erst nach wiederholtem Eingehen mit
der Hand he raus befördert und mit ihm schien allerdings die
ganze Nachgeburt entfernt zu sein. Sie zeigte bei näherer
Betrachtung mehrere hepatisirte Stellen, die zum Theil von
knorpelharter Consistenz waren, ausserdem filamentÖse , rund-
liche, gelbe Stränge; die Nabelschnur war central inserirt, sehr
dünn und einen halben Zoll von der Placenta abgerissen. Schon
in der folgenden Nacht stellte sich ein Schüttelfrost ein, der
sich am 2., 5. und 6. November wiederholte; gegen den 12. No-
vember kündigten blutige Sputa den Eintritt einer seeundären
Pneumonie an und der Tod erfolgte am 16., d. h. am 18. Tage
nach der Geburt. Bei der Section zeigte sich deutlich, dass die
Phlebitis von der Placentarstelle ausgegangen war, denn an
dieser ragte noch eine haselnussgrosse gelblichbraune Masse
knotig hervor und stach ab gegen die sonst glatte Innenfläche
des sehr welken, schlaffen und dünnwandigen Uterus; von hier
ans konnte man direct den krankhaften Process in den rechten
Plexus pampiniformis verfolgen, dessen Ge Tasse in grossem Um-
fange verpfropft erschienen , dann weiter in die rechte Vena
spermatica; diese war von einem fest adhärirenden Thrombus
ausgefüllt, ihre Wandung verdickt, die Tunica intima morsch
und ablösbar. Die linke Vena spermatica war frei. In der
rechten Pleura blutig -seröses mit Faserstoffflocken untermischtes
Exsudat, im Parenchym des unteren Lappens der rechten Lunge
eine keilförmige scharf abgegrenzte im purulentem Zerfalle be-
in der gebnrtsbülflichen Poliklinik an München etc. 317
griffen« Partie Ton 4—5 Ctm. Durehmesser; der ganze Längen-
lappen comprimirt, luftleer. In den zu ihm gehörigen Zweigen
der Art. pnimonalis ein wandständiges blassgelbes fest adhärirenden
Gerinnsel.
Peritonitis lymphatica wurde vier Mal beobachtet; auch
hier mag eine cursorische Detailanführung der Fälle ge-
stattet sein.
1) Eine 26jährige Zweitgebärende erkrankte am dritten
Tage nach der ganz normalen Geburt unter den Erscheinungen
einer hochgradigen Peritonitis, die schon am dritten Tage zum
Tode führte; 8ection nicht gestattet.
2) Am 16. September 1860 erkrankte eine 23jährige Tage-
löhnerstochter drei Tage nach der normalen zweiten Geburt.
Hier hatten die ungünstigsten äusseren Verhältnisse in Verbindung
mit den gröbsten Diätfehlern eingewirkt. Die Wöchnerin war
nämltch an dem Tage der Erkrankung Morgens" aufgestanden,
hatte sich rücksichtslos einer heftigen Erkältung ausgesetzt und
eine grosse Quantität Kartoffeln zu sich genommen; auch hier
war der Verlauf der 'Peritonitis ein sehr acuter, denn schon am
20. September, also am vierten Tage nach der Erkrankung, trat
lethaler Ausgang ein; eine Obduction war wegen sehr schneller
Fäulniss der Leiche unausführbar. Nicht unwichtig erscheint
vielleicht zu erwähnen, dass das Kind schon zwei Tage darauf
an Entzündung der Nabelgefässe und Erysipel der Bauchdecken
zu Grunde ging.
3) Bei einer 38jährigen Erstgebärenden lehnte sich der
Beginn der Erkrankung ziemlich nahe an die Gebort an, und
in dieser waren allerdings veranlassende Momente zu Tage ge-
kommen. Es hatte nämlich in Folge von sehr schmerzhaften
und spastischen Wehen die Eröffnungsperiode einen Zeitraum von
60 Stunden in Anspruch genommen, auch war das Kind, ein
Knabe, schon längere Zeit vor der Geburt abgestorben; Kunst-
hülfe wurde indessen nicht ausgeübt. Der Ausgang in Tod trat
schon nach 72 Stunden ein. Trotz der ziemlich vorgeschrittenen
Fäulniss konnte man doch noch erkennen, dass der Process der
Lymphgefässentzündung sowohl die hintere Fläche des Uterus
und hier in ganz besonderer Extensität, als auch beide Eier-
stöcke und die Stränge im* retroperitonäalen Bindegewebe befallen
hatte ; in beiden Tuben fand sich Eiter und im Cavnm peritonaei
jauchiges Exsudat.
4) In diesem Falle war es nicht sowohl die Peritonitis,
als eine Pleuritis, welche zum Tode führte; der Fall gehört aber
in die genannte Kategorie, weil das pleuritische Exsudat nicht
als ein secundäres von Phlebitis abhängiges, sondern als eine
directe Fortsetzung der Peritonitis betrachtet werden mttsste.
318 XV. Braun, Bericht übe* 4fo Breigrtsse
Eine 26 jährige F*au, bei der die Gebort am 10. Oetober 1M0
wegen Mifsveraältnisa de* kindlichen Kopfes an den Beekeav
räujnlicbkeiten mit der Zange beendet werden muate, erkrankte
Tags darauf unter den Erscheinungen der Peritonitis, welebe an
einzelnen Tagen deutliche Remissionen machte, während an
anderen meist unter Frostanfällen acute Nachschübe des peri-
tdnitischen Exsudats zu disgnosticiren waren. Am 17. October
stellte sich ein rasch zunehmendes linksseitiges ptenritisthe«
Exsudat ein, welches schon am 20. das Herz um einen ZoU nach
rechts verdrängt hatte. Am 28. October wurde naeh einem neuen
Frostanfalle auoh die rechte Pleurahöhle Sitz eines Exsudata,
und unter Entwickelung hochgradiger Dyspnoe und Cyanroae er-
folgte der Tod am 4. November am 24. Tage nach dem Beginne
der Krankheit. Aus dem Öbductionsprotokoll heben wir Folgendes
hervor: In der rechten Brusthöhle befand sieb -ein abgesacktes
faserstoffiges flockiges Exsudat, dessen obere Grenze zwischen
zweiter und dritter Rippe lag, während es nach unten den sechsten
Intercostalraum erreichte. In der linken war gleichfalls Exsudat,
aber in geringerer Quantität vorhanden y im Peritonäum waren
diefintzündnngserscheinungen schon sehr zurückgegangen, flüssiges
Exsudat war vielleicht nur noch in der Quantität von 3 Unzen
vorhanden, das Volumen der Nieren vergrössert, aus den Wärzchen
Epithelbrei ausdruckbar. Der Uterus wog 220 Grra., war also
schon beträchtlich zurückgebildet, seine Länge betrug 4s/4 Zoll,
seine Breite l1/* Zoll, die Placentarstelle war aber noch erkennbar
und zwar nach rückwärts und rechts, nahe an der Mündung
der Tuba.
Krankheiten der Harnorgane im Wochenbette beobachteten
wk einige Male als catarrhaliscbe Entzündung der Schleimhaut
mit seröser Infiltration der -Mündung der Urethra; ferner
nach zwei schweren Zangenoperationen einen tonischen Krampf
des Constrictor isthuii urethrae, welcher mehrere Tage die
Anwendung des Katheters sehr erschwerte; hei einer Erst-
gebärenden saheil wir eine durch mehrere Wochen andauernde
Cystoblennorrhoe.
Unter den Krankheiten der Brüste heben wir eine con-
geetive sehr schmerzhafte Anschwellung bei einer 23jäbrigen
Erstgebärenden hervor, welche nach Anlegung eines Compressfv-
verbandes rasch beseitigt wurde ; ferner eine Entzündung des
ganzen Drusenparenchyms bei einer 32jährigen Primipara,
welche zu multipler Abscessbildung führte. Der häufig vor-
gekommenen Excoriaüonen der Brustwarze braucht nicht be-
sonders Erwähnung gethan zu werden.
in der g*4mrtshfilft<ofcen PeKkknik an München etc. $^
Am Schlüsse des Bäriehted Aber die Wochenbetts-
erkrankungen mag noch ein Fall von Mania puerperal!* mit-
gelheilt werden.
Er betrifft das 21jährige Mädchen, deren Niederkunft schön
in dem Kapitel über Frühgeburten beschrieben worden ist; es
wurde dort erwähnt, dass die Placenta, welche künstlich aus
der Uterushöhle nicht entfernt werden konnte, später spontan
abging. Am vierten Tage nach der Gebart stellten sich grosse
Unruhe, heftige Kopfschmerzen, Ohrensausen und eine Trübung
des 8ensorium ein, die sich durch stieren Blick und zusammenhang-
lose Heden manifestirte. Diese Trübung ging noch an demselben
Tage in ein furibnndes Delirium über; die Patientin schrfe,
schlug mit Händen und Füssen um sich, machte Versuche in
entfliehen und war gänzlich bewustlos. Inwieweit diese Atfectiön
mit dem Rückbildungsprocesse in den Oenitalien im Zusammen-
hange stand, darüber konnte man keine bestimmte Anschauung
gewinnen. Ganz normal war der letztere jedenfalls nicht, denn
das Lochialsecret blieb wahrend dieser Zeit beständig sehr übel-
riechend, die Patientin reagirte beständig lebhaft gegen ftruck
auf das übrigens nicht aufgetriebene Abdomen, und der Puls
machte bis zu 120 Schlägen.
Am 14. und 15. Januar blieb der Zustand derselbe, am
16. und 17. jedoch erschien sie ruhiger und kam bei rascheln
und lautem Anreden auf korst Zeit «um Bewußtsein, apräoh
auch einige ansaminemhltageftde Worte und erkannte ihre Um-
gebung. Am 19. folgte ein neuer drei Stunden dauernder heftiger
Tobsuchtsanfall, nach welchem sehr bald ein normaler physischer
Zustand zurückkehrte; eine Erinnerung an das Vorgefallene
fehlte gänzlich. Am 80. Januar konnte sie als rollkömmen
genasen betrachtet werden. Im folgenden Jahr« hat sie in der
Geb&ranstalt zum zweiten Male normal geboren , und das Wochen-
bett verlief ohne die geringste Störung.
V. Beobachtungen an neugeborenen Kindern.
fön den 937 Früchten haben wir einen Gesammtverlust
von 104 oder 11 Procent zu fegistrireti. Von diesen 104
waren Vor Aet Geburt abgestorben 57 oder 6 Procent, eine
verhältntesmässig hohe Anzahl, diel aber to Akut Umstände
ihre völlige Erklärung findet, dass sämmtliche Aborten hier
mit eingerechnet sind. Während der Geburt starben 19 oder
2 Procent, nach derselben und zwar innerhalb der ersten
adit Tage 18 oder 3 ProcetiU
320 xv- ^rfl*n » Bericht über die Ereignisse ,
Bildungsfehler.
1) Agnathia, Mangel des Unterkiefers, an einem acht-
monatlichen todtgeborenen 2% Pfd. Civilgewicht schwerem und
42 Ctm. langem Fötus weiblichen Geschlechts ist bei den Früh-
gebarten nnd den Beckenfehlern schon erwähnt worden. 1)
2) Encephalocele anterior, labium et palatnm fissum,
exophtbalmus sinister mit Verschiebung der Nasalknochen , band-
artiger mit der Nabelschnur verwachsener narbenähnlicher, von
der Nasenwurzel nach rechts und oben aur Stirn verlaufender
Strang bei einem reifen in erster Scheitellage todtgeborenein
Eiude weiblichen Geschlechts von einer 27jährigen Zweit-
gebärenden.*)
3) Ectopia der Blase bei einem 8 Pfd. schweren von einer
42jährigen' Achtgebärenden herstammenden lebenden Knaben.
Unter dem Nabel, der tiefer lag als gewöhnlich, befand sich
eine apfelgrosse rothe sammtartige leicht als nach aussen ge-
drängte hintere Blasenwand zu diagnosticirende Hervorragung.
Der Fall bedarf keiner eingehenden Beschreibung, weil er von
der gewöhnlichen Form der Blasenectopie nicht abwich. Das
Kind starb nach 16 Tagen an Atrophie
4) Spina bifida wurde bei den Öeckenendlagen erwähnt.
Ausser diesen Fällen sahen wir noch Defect des vierten
and fünften Fingers der rechten Hand hei einem kräftigen
lebenden Mädchen einer 40jährigen Drittgebärenden; ein mit
der Zange entwickeltes sehr starkes Mädchen einer 30jährigen
Primipara zeigte an der linken Hand einen sechsten Finger
und am rechten Fusse eine sechste Zehe; einfache Hasen-
scharte kam ein Mal, Hypospadie ersten Grades ein Mal,
Hernia umbilicalis zwei Mal, Ankyloglosson mehrmals vor.
Erkrankungen.
Unter den Krankheiten des Nervensystems finden wir
mehrmals Convulsionen , ein Mal Trismus mit lethalem Aus-
gange, ein Mal Paralyse des Nervus facialis nach schwerer
Zangenoperation aufgezeichnet
Die Respirationsorgane erkrankten ein Mal unter der
Form einer rasch tödtlichen lobulären Pneumonie, zwei Mal
1) Vergleiche übrigens die Abbildung eines ähnlichen Falles
bei Förster: Die Missbildungen des Menschen, Taf. XIII.,
Fig. 19 u. 20.
2) Ganz ähnlich wie die Abbildung bei Förster I. c, Taf. XV.,
Fig. 8.
in der gefeurtohtUflioton Poliklinik sn München etc. 3gJ
unier der Form der Laryngisrous stridulus mit krähender
sehr mühsamer Athmung und hochgradiger Cyanose; beide
Fälle gingen in Genesung über. Ausser den gewöhnlichen
Erkrankungen des Digestions tractus, wie Soor und Diarrhöen,
welche letztere sehr häufig durch frühzeitige Darreichung
consistenter Nahrungsmittel hervorgerufen wurden, sind zwei
Fälle yon Darmblutungen zu erwähnen; der erste ereignete
sich bei einem wohlgenährten kräftigen Knaben, der 24 Stunden
nach der- normalen Geburt Blut erbrach und später solches
auch durch den Dann entleerte, und dadurch in eine hoch-
gradige Anämie versetzt wurde; unter der Anwendung von
Klystieren mit Eiswasser und mit einer Auflösung von Liquor
ferri sesquichloraü hörte die Blutung auf und das Kind genas.
Im zweiten Falle, ebeufalls bei einem gut entwickelten
Knaben, dessen Geburt keine Schwierigkeit gehabt hatte,
war die Hämorrhagie eine geringere und hörte auf Anwendung
von Kälte und Tannin auf, ohne nachtheilige Folgen zu
hinterlassen.
Cephalaematom kam zwei Mal vor, und zwar bei männ-
lichen Fruchten, ein Mal an der rechten Seite nach einer
schweren Za.ngenoperation , das zweite Mal nach normaler
Geburt doppelseitig. Das Blutextravasat wurde einige Tage
nach der Geburt durch einen Einstich mit dem Bistouri, den
man möglichst klein machte, entfernt, und dadurch eine
schnelle Heilung erzielt.
Blepharoblennorrhoe kam in sieben Füllen zur Behandlung
und wurde durch Aetzungen mit einer Lösung von Argent. nkr.,
deren Concentration mit der Intensität der Entzündung Schritt
hielt, meist schnell und ohne Nachtheil^beseitigt. Von den
zu häufigen Cauterisationen ist man indessen sehr zurück-
gekommen.
8&2 XVI. Kotlzett aua der Journal < Literatur.
XVI
Notizen aus der Journal -Literatur.
Simpson: Üeber Vagiflddynfe.
Verf. beobachtete wiederholt Falle, wo äusserst schmerz-
hafte Contractionen in den Muskeln and sehnigen* Gebildet* längs
der Vagina stattfanden. Die Schmerlen waren bisweilen varmg»-
weise sympathische oder refleoUrto nad worden oft dureh Be-
wegungen der Beekenmuskeln vermehrt; bald fanden sie sich im
Kreuze, bald in den Reg. iliacae, bald konnte die Pat. nicht
gehen, weil sie bei dieser Bewegung die heftigsten Schmerzen
im Becken empfand. Weder am Uterus noch den Ovarien lies«
sich etwas Krankhaftes nachweisen, dagegen war ein straffei
querlaufendes Band an irgend einem Theile der Scheide* wand,
in der Regel an; eiser Seite, wahrzunehmen, und zwar mehr oder
weniger tief anter der Schleimhaut, gewöhnlich etwa einen Zoll
oberhalb des Scheideneinganges. Hinsichtlich Stärke and Spannung
war das Band verschieden; bei Berührung desselben worden die
Schmerzen gesteigert. In einigen Fällen fühlten die Patient!»»**
■vr dann Schmer», weea die Vagina berührt wurde, und suchte«
ärztlichen Rath, weil die Ausübung des Coitms ihnen nicht
möglich war»
Die Heilung gelang in der Regel leicht und vollständig,
und durch Durchrchneidung oder Zerrefssung des erwähnte*
Bandes oder in milderen Fällen durch Anwendung Jetitfttver Mittel
In de» ickwenste» FUN»» wurde nach Cnktrofotmirung der Put
das Band subcutan durchschnitten, in leichteren Fällen reichte
täglich wiederholte« Einbringen von Belladonnasalbe oder Chloro-
form in die Vagina zur Heilung aus.
Die Ursache des Schmerzes ist entweder Krampf einzelner
Musfrelbündel, Äe ihre» Sita im vorderen Rand» des Levtrtor ani
haben, oder in Contractionen, die von einzelnen Portiono» der*
Beckenfascie ausgehen und vielleicht auf einer subacuten Ent-
zündung beruhen. Diese Contractionen erschienen bisweilen bei
Frauen, bei denen früher niemals eine Störung im Bereiche der
Beckenorgane wahrzunehmen war.
(Edinb. med. Journ., VII., p. 693, Dec. 1861. Schmidts
Jahrb., Bd. 114, No. 4, 1862.)
\
• XVI. Notisen aus der Journal -Litetattfr. gjß
Bosti: Ueber Oredd's Methode der Entfernung der
Nachgeburt
Verf. bat die von Credd angegebene Methode der Entfernung
der Nachgeburt geprüft, gleichzeitig auch auf die Prüfung des
von John Clay angegebenen Zeichens der vollendetes Lostrenaung
der Placenta Rücksicht genommen. Ueber letzteres einen Aus-
spruch jetzt schon zu fällen, reichen seine Erfahrungen noch
nicht hin. Zum Schlüsse stellte er folgende Sätze auf:
1) Die Cr edfachQ Methode ist ein grosser Fortschritt in der
Behandlung der physiologischen und pathologischen Zustände
der Nachgeburtszeit.
2} Dieselbe verdient eine allgemeine und ernste Prüfung. ,
3) Sie soll auch schon jetzt den Hebammenechülerinnen ge-
lehrt werden.
Bezüglich desWerthes der CVftfc' sehen Methode bei Anomalien
der Nachgeburtszeit bemerkt Verf., dass in den verflossenen zwei
Schuljahren unter 3476 Geburten, bei 31 Wöchnerinnen die
Lösung der Placenta ausgeführt wurde, und dass er in diesem
Zeiträume 75 Fälle von Metrorrhagie verzeichnete. Die letzte
Lösung der Placenta nahm er im October 1861 , als er erst seine
Beobachtungen anzustellen begann, vor und würde sie nach
seinen jetzigen Ansichten auch nicht gemacht haben. Seit jener
Zeit ereigneten sich 762 Geburten, bei denen 10 Blutungen (der
Uterus war » hier in 9 Fällen nicht massirt worden) , in der
Nachgeburtszeit vor Ausstossung der Placenta auftraten. Ebenso
kam er seit jenem Monat nur ein Mal in die Lage, Piacentar-
reste, bei einer als Gassengeburt in die Anstalt Aufgenommenen,
zu entfernen.
(Wien. med. Wochenschrift, No. 25 u. 26, 1862.)
wm Boopsn: Ueber die Entfernung der Nachgeburt
durch auswendige Handgriffe.
Verf. hat in 36 Fallen die Ostfl'sche Methode der Entfernung
der Nachgeburt mit vollkommenem Erfolge angewendet, und hofft,
da»« sie eine allgemeine Einführung finden möge, indem sie
weniger Mis*b rauch zulässt and die Frauen nicht st> grosser
Gefahr aussetzt, als da» bisher übliche Verfahren. Credit
Methode ist jedoch nicht anzuwenden, bei Betentio placentae
durch Inearce ratio*» , da sich der Zustand dadurch verffcblhnmem
könnte, abgesehen von der SchtnerzhafKgkelt derselben; ferner:
bei heher Empfindlichkeit der Bauchdeehen oder der GebHr-
nirtter, bei hohen Graden der Atonie, wo sie leicht Umstftlptrag
oder Knickung der Gebärmutter erzeugt. Wenn man zwei Mal
durch Druck eine kraftige Wehe hervorgerufen hat, ohne dass
3ß4 XVI. Notlmen ans der Journal -Literatur. •
dadurch die Nachgeburt beim Einführen von zwei Fingern tu
erreichen ist, so darf man annehmen, class entweder Verwachsung
oder anormale Lage der Placenta oder vielleicht In carce ratio
placentae vorhanden ist. Wenn keine Strictur gefunden, wird,
so mus8 die Nachgeburt bei abnormaler Insertion mit der Hand
entfernt werden.
Verf. hofft, dass die Methode der auswendigen Manipulation
mehr allgemein angenommen werde, denn sie verdient es naeh
seiner Ueberzeugung. Bei normaler Geburt ist die Methode
reiner und sicherer, als die sonst übliche. Bei Neigung zu
Blutungen oder Befürchtung derselben durch mehr oder weniger
bedeutende Atonia uteri und bei Blutung selbst wird die Credfache
Methode sehr gut zu Statten kommen.
(Archiv mr holländische Beiträge, Bd. III., Heft 2.)
Müller: Graviditas extranterina. Vollkommen reifes
lebendes Kind in einer rechtsseitigen Leistenhernie.
Entbindung mittels Operation.
Verf. theilt uns in sehr unvollkommener Weise eine im
Jahre 1859 von ihm beobachtete Schwangerschaft mit, wo das
Ei in einer rechtsseitigen Leistenhernie sich entwickelt hatte,
und auf diese Weise die Fruchthülle eine auf der Leistengegend
entspringende, runde, bis an das Knie reichende , ungefähr 8 Pfd.
schwere Geschwulst darstellte. Durch Operation wurde ein reifes
lebendes Kind zu Tage gefördert. Eine Stunde später erlag die
Mutter einer inneren Blutung. Section wurde nicht gestattet
(Allgem. Wien. med. Zeitung, No. 29, 1862.)
Clement OÜivier: Fibröser Tumor im Scheidengewölbe.
Mme. D., 37 Jahre alt, hat 10 Mal, zuletzt vor vier Jahren,
geboren. Niederkunft« und Wochenbetten sollen regelmässig
gewesen sein. Seit drei Jahren bemerkte sie eine Geschwulst
zwischen den Schamlippen und gleichzeitig einen bedeutenden
weissen Ausfluss. Schmerzen in der Nierengegend, leichte
gastrische Beschwerden waren die einzigen begleitenden Symptome.
Die Untersuchung zeigte eine eigrosse fleischige Geschwulst inner-
halb der Vulva, ähnlieh einer geschwollenen Port, vagin., weich
und von normaler Färbung. Sie füllte die ganze Beckenhöhle
aus, sasa mit breiter, nicht gestielter Basis in der rechten Seite
des Scheidengewölbes auf und erstreckte sich bis in den rechten
Theil der hinteren Muttermundslippe. Der Uterus war durch die
Geschwulst in die linke Foesa iliaea gedrängt. Einem leiebtea
XVI. Nötigen ans der Journal -Literatur. 326
Zuge folgte die fibröse Masse bis yor die Genitalien. Da der
Haupttheil der Geschwulst sich in der Scheiden wand ineerirte
nnd »war ohne Stiel, so legte Verf. anstatt durch lineares
Ecrasement die unmittelbare Entfernung au bewirken, eine
Ligatur um die Basis, um auf diese Weise künstlich einen Stiel
su bilden. Nach awei Tagen wurde, da durch die Ligatur eine
Art Stiel sich gebildet hatte, mittels einer krummen Scheere
der jetst vollständig runde, 1200 — 1300 Gramm es schwere Tumor
entfernt. Eine kleine durchschnittene Arterie machte das Ein-
legen eines mit Eisenchlorid getränkten Tampons nöthig. Die
Kranke wurde von einem ziemlich heftigen Fieber, welches
36 Stunden andauerte, befallen. Nach 24 Stunden wurde der
Tampon entfernt.
Acht Tage nach der Operation war die Vernarbung in voll-
ständigem Gange. Die Wunde hatte ungefähr die Grösse eines
Fünffrankstücks und zeigte vollkommen gesundes Gewebe. Die
hintere Muttermundslippe zeigte starke Schwellung und blutete
leicht, ohne jedoch degenerirtes Gewebe su enthalten. Eine
geeignete Behandlung beseitigte auch diese Anomalie.
(Gazette des höpitaux, No. 95, 1862.)
Öosselin: Haematocele periuterina oberhalb des Beckens
gelegen.
Es giebt Fälle von Haematocele periuterina, wo das Blut
durch Adhäsionen oder sonstige Hindernisse nicht in den
Douglas1 sehen Baum gelangen kann, sondern einen mehr oder
weniger grossen, nur durch die Bauchdecken palpablen Unterleibs-
tumor darstellt. Der Fall, den Verf. beobachtete, ist folgender.
Die Kranke, 25—26 Jahre alt, war vor circa einem Jahre
im Hospitale Beaujon an einem linksseitigen Tumor des Unter-
leibes behandelt worden, welcher wegen seiner schnellen Resorption,
ohne dass Eiter aus Scheide, Blase oder Rectum sich entleert
hätte, nachträglich als Haematocele betrachtet wurde. Bfach
einem halbjährigen Wohlbefinden stellte sich vor drei Wochen
zur Zeit der Periode eine heftige Metrorrhagie ein, die nach
Verabreichung von Ergotin sich zwar minderte, jedoch erst nach
drei Tage langem fiettliegen und Kühe vollständig verschwand.
Alsbald zeigten sich heftige Kolikschmerzen, Erbrechen und
Fieber; die linke hypogas tri sehe Gegend wurde, wie früher,
schmerzhaft und Hess einen faustgrossen runden Tumor erkennen,
der jedoch su tief lag nnd sich zu schwer fixiren Hess , als dass
man an (ihm Fluctuation nachweisen konnte. Die Untersuchung
durch Scheide und Mastdarm liess keine Geschwulst erkennen.
Auf roborirende Behandlung erholte sich die anämische Patientin.
XVI. Notiz«* aus der Journal -Literatur.
DU Geschwulst verkleinert« sich, ohne «lata irgend ein Eitar»
abgang nachgewiesen ward«, and die Pariade flow regelmässig.
Das sohnel le Auftreten, ebenso wie das prompte Verseh winden
der Geschwulst läset nicht mit Bestimmtheit ein« Haematocele
annehmen, Ar weiche Verf., da wedar durch Scheide noch durch
Rectum eine Geschwulst entdeckt werden konnte, den Namen
Hematocele sus-pelvienne vorschlägt.
(Gazette des hftnitaux, No. 46, 1862.)
Pqjots Ueber Kephalolhry psie.
Der „jeuue et savant professeur" rühmt eine Methode der
Kephalothrypsie, welche er ab die seiuige ausgiebt, die jedoch
in Deutschland zu den längst bekannten gehören dürfte. Pajot
verwirft die Kephalotribe als Extractionsinstrument und will sie
nur zur Zerquetschung angewendet haben. Nach vorausgeschickter
Perforation wird mittels der Kephalotribe der betreffende Kindes-
theil comprimirt und vor Abnahme des Instrumentes eine kleine
Rotation ausgeführt, um bei wiederholten Anlagen desselben
immer neue Durchmesser zu fassen. So wird das Instrument in
Pausen von mehreren Stunden eingeführt, der Kindestheil von
neuem zerquetscht (gleichsam in einen häutigen Sack verwandelt,
wie durch Simpson' s Craniothlast; Ref.) und die Geburt der Natur
überlassen.
(Gazette des höpiteux, No. 8, 1862.)
Jouün: Kopf-Zertbeiler.
Unter dem Namen Diviseur cephalique macht der schon
durch seinen Aide -Forceps bekannte Verf. ein Instrument be-
kannt, welches durch Zertheilung des Kopfes in zwei Hälften
die Geburt des Kindes ermöglichen soll. Das gewiss ganz un-
brauchbare Instrument gleicht im Wesentlichen einem Ecrasenr,
wo die blosse Kette durch eine Kettensäge ersetzt wird.
An Lebenden scheint Verf. seinen Apparat glücklicherweise
noch nicht angewendet au haben.
(Gazette des höpitaux, No. 54, 1802.)
XVII. Literatur. £07
, XVIL
Literatur.
Der Catarrh der inneren weibliche» Geschlechts«
theile von Dr. Carl Hennig. Mit sechs Kupferfcafeln etc.
Leipzig, Verlag yon W. Engel/mann, 1862.
»Ich schrieb zunächst für den praktischen Arzt, desaen
kostbare Zeit ich zu schätzen im Falle bin," sagt Verf. im Vor-
worte. Von diesem Gesichtspunkte aus mag vorliegende reich-
haltige Monographie betrachtet werden. Dieselbe zerfällt in
«cht Theile, von denen die beiden letzten Krankengeschichten
sowohl als auch dasjenige übersichtlich zusammengestellt ent-
halten, was die pathologische Anatomie an den durchgesehenen
Präparaten Bemerkenswertes ohne Bezug auf das eigentliche
Thema gegeben hat
Im ersten, 38 Seiten umfassenden Theile bespricht Verf.
die Anatomie und Physiologie der Eileiter, Gebärmutter und
Scheide. Wir heben besonders hervor, dass es Verf. gelungen
ist» die Existenz des von Aran geahnten Sphincter tubae zu
beweisen, indem er die Kreiafaa erschient des Eileiters an seiner
Einmündungsstelle in den Uterus drei- bis vierfach mächtiger
fand, als an anderen Stellen. Die Drüsen des Eileiters, welche
namentlich schön s« sehen sind, wenn man die Tuba einige
Tage lang in massig verdünntem Liquor fern sesa^uichloratt kalt
stehen laset und dann an der Luft trocknet, sind meist einfach,
oft gabelig getheilt und bestehen aus einer feinen, glashellen
Haut, welche mit flimmerlosem Cy linde repithel ausgekleidet ist.
Dar Schleim in der Tuba reagirt alkalisch und enthalt ausser
Drüf anepithel etwas Schleimstoff und einen, vielleicht im völlig
normalen Zustande fehlenden, eiweissartigeu Schleim, sogenanntes
Hyalin. Ausserdem giebt uns Verf. wie auch in den folgenden
Abschnitten sehr genaue, das Lesen jedoch sehr hindernde Maass-
bestimmungen der betreffenden Organe, wodurch allerdings der
ausserordentliche Fleiss des Verf. bekupdet wird, deren Nutzen
jedoch bei der Bestimmung des Buches für 'den Praktiker gewiss
nur ein untergeordneter genannt werden kann. Dasselbe gilt
von der Angabe der Reaction der Uterusschleimhäute, wo Verf.
viel darauf zu geben scheint, ob die Inhaberin des betreffenden
Uterus Jungfrau, Dirne, Gattin, unfruchtbar etc. ist. Die Scheide
erklärt Verf. dem praktischen Arzte als „das nächste Aufnahms-
organ für den männlichen GeschleohtstheiL und das Endglied der
anfangs sweitheiligen Röhre, welche das Ei als Fallopischer
338 XVII. Literatur.
Kanal »um Orte seines zebnmonatüchen Aufenthalt», zum Fracht-
träger, geleitet und danach an die Aussen weit entlässt.* Auch
spricht Verf. nicht von einem Embryo oder Fötus, sondern
beliebt den Namen „Eibe wohner "; kommt hierin noch im zweiten
Theile , wo von Catarrh des Eileiters die Bede ist, als Epitheton
des Eileiterexcretes der Name „morgenroth" vor, so müssen wir
dem Verf. eine Originalität zusprechen, die bisweilen dem Leser
ein Lächeln abnöthigt.
Nach einer genauen Besprechung der Aetiologie, Ausgänge
und Folgen des Eileitercatarrhs kommt Verf. zur Betrachtung
des Ergusses von Eiter ans der Tube in die Bauchhöhle, und
hält denselben ohne Verletzung der Tubawändc nur dann möglich,
wenn die Menge des Eiters so bedeutend ist, dass die dem Ein-
wandern des Ovulum durch die Tuba in den Uterus vorstehenden
Verrichtungen seiner Last nicht gewachsen sind. Der Catarrh
des Gebärmutterkörpers ist übersichtlich in drei verschiedenen
Formen abgehandelt, je nachdem er den Uterus ausser, in oder
nach der Schwangerschaft befallt. Während der Schwangerschaft
ist der Catarrh sehr selten und tritt als sogenannte Hydro rrhoea
gravidae auf. Verf. fuhrt hiervon ' drei Fälle an. Wir tragen
Bedenken, das Beispiel U. ohne Weiteres als Hydro rrhoea gelten
zu lassen, indem in dem auch uns bekannten Falle der directe
Nachweis nicht geliefert worden ist.
Der dritte und vierte Theil enthält die Besprechung des
Catarrhs des Mutterhalses und der Scheide, woran sich, nachdem
kurz im fünften Theile der Prognose gedacht ist, im sechsten
Theile die Prophylaxe und Therapie anschliesst. Aus letzterer
erwähnen wir, dass bei Phlegmorrhoe des Halskanals die Entleerung
des stockenden zähen Schleimes oft viel Mühe macht. Verf.
schlägt hierzu die Anwendung einer Saugpumpe aus Federhars
und Schläuchen aus vnlkanisirtem Kautschuk vor, welche dem
Scheidentheile angepasst werden.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass zur Erläuterung des
Textes sechs nach Originalen des Verf. ausgeführte treffliche
Kupfertafeln beigefügt sind. H.
XVHL
Der Steinschneider Jacob Ruff (oder Ruoff,
auch Bueff und Etiff) in Zürich
geschildert
von
Dr. Meyer -Ahrens,
Arzt In Zürich.
Wenn wir das ganze Gebiet der heutigen Heilwissenschaft
überblicken, so müssen wir gestehen, dass diese Wissenschaft
eine so gewaltige Umgestaltung erfahren hat, dass, wer der
Entwickelung derselben nicht gefolgt wäre, sich kaum mehr
auf dem neuen Boden erkennen dürfte; und es möchte daher
wohl manchen Collegen kaum der Mühe werth erscheinen,
die Arbeiten der Urvorfahren aus dem Staube der Bibliotheken
hervorzuziehen, die durch die Forschungen und Leistungen
der Jetztzeit längst überflügelt sind. — Allein die Entwickelung
der Wissenschaften ist, einzelne Entdeckungen vielleicht ab-
gerechnet, keine stossweise, sondern eine allmälig fort-
schreitende, eine Kette, in der ein Glied gleichsam aus dem
anderen hervorsprosst, und wie der Enkel wohlthut, dankbar
zu forschen, wie der Grossvater und Urgrossvater ihm sein
festes Haus gegründet, so darf sich auch der hochgebildetste
Arzt der Jetztzeit nicht schämen, in jene frühen Zeiten
zurückzublicken, in denen Männer, die an Treue und Eifer
für ihre Wissenschaft den strebsamsten Forschern und Arbeitern
der Gegenwart nichts nachgaben, das Feld urbar gemacht
haben, auf dem die Neuzeit mit so grossem Eifer weiter baut.
Und dann ist ja der Arzt nicht Arzt allein, er ist ja auch
Mensch und wird als solcher mit Interesse das ganze Leben,
Weben und Wirken von Männern verfolgen, die nach keinem
Uonatoschr. f. Cteburtak. 1862. Bd. XX., Hit. 6. 22
330 XVIII. Meyer- Akren*, Der Steinschneider
anderen Ziele rangen, als zur höchst möglichen Stufe wissen-
schaftlicher Erkenntniss zu gelangen. Diese Gedanken haben
mich zu dem Entschlüsse geführt, das Leben einer Reihe
schweizerischer Aerzte zu schildern; und indem ich mir
erlaube, den Lesern dieser Zeitschrift hiermit eine dieser
Schilderungen vorzulegen, bemerke ich nur noch, dass einige
andere ähnliche Arbeiten in verschiedenen Zeitschriften er-
schienen sind: — eine Geschichte der schweizerischen Aerzte
und des schweizerischen Medicinalwesens im Mittelalter in
Virchow's Archiv, eine Biographie der beiden Freitage von
Zürich in BiUrotV* Archiv für Chirurgie, eine Biographie
der Arztfamilie von Murali in der neuen schweizerischen
Zeitschrift für Heilkunde.
Die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts sah in unserem
Zürich eine schöne Zahl von Aerzten in freundlichster Harmonie
vereinigt. Da war noch der alte Stadtarzt Christoph Clauser
(gast. 1552), ein für seine Zeit sehr gebildeter Arzt und
daneben ein wohlwollender Mann, der C. Gessner aus seiner
wohlversehenen Bibliothek gefallig unterstützte, als letzterer
seine classische Bibliotheca universalis herausgab, die noch für
den heutigen Bibliographen eine reiche Fundgrube ist Da
lebten G. Keller und Casp. Wolf, C. Gessner's Schüler
und später seine genauesten Freunde, dann der gelehrte
Dr. Taddeo Duno, der im Mai des Jahres 1555 mit mehr
als hundert Glaubensgenossen, welche der Fanatismus der
katholischen Orte aus ihrem Vaterlande Locarno vertrieben
hatte, in Zürich ein bleibendes Asyl fand, Giovanni Muralto,
ein Leidens- und Schicksalsgefährte Duno'a, tüchtiger Chirurg,
und wie ersterer mit C. Gessner sehr befreundet, dann der
Augenarzt Peter Hafner , gewöhnlich Meister Peter genannt,
ein Freund der Botanik, der C. Gessner öfter auf seinen
botaqischen Wanderungen begleitete, ferner J. Ruf, der
Steinschneider und Vjolksdichter, auch ein Freund Ge$sner%
und endlich der herrliche Conrad Geesner selbst, der liebe,
fromme gute Mann, der glanzende Mittelpunkt dieses schönen
Freundeskreises. — Von allen diesen wackeren Männern er-
laube ich mir dieses Mal den J. Ruf zu schildern.
Jacob Buff etc. in Zürich. 331
Jacob Buff war aus dem Rheinthal gebürtig, doch lässt
sieb das Jahr seiner Geburt schwerlich ermitteln. Kottmger
meint, man könne dasselbe um das Jahr 1500 ansetzen.
Wann er nach Zürich kam, wissen wir ebenfalls nicht, jeden*
falls vor dem Jahre 1529, insofern wenigstens seine Comödie
vom reichen Mann und armen Lazarus, welche im Jahre 1529
von der Bürgerschaft in Zürich aufgeführt wurde, mit dem
„tröstlich Spiel von Lazaro", das im Jahre 1552 zu Zürich
erschienen sein soll, ein und dasselbe Stück ist Sei dem
wie da wolle, so war er jedenfalls im Jahre 1525 bereits in
Zürich, da in diesem Jahre sein „Hiob" auf dem Münsterhofe
aufgeführt wurde. Der Beweggrund zu seiner Uebersiedlung
nach Zürich kann allerdings, wie Kottinger sich möglich
denkt, in dem Wunsche nach religiöser Freiheit gelegen haben,
die den Rheinthalern unter der Herrschaft des Abtes von
St. Gallen nicht gegönnt ward, doch kann ihn auch einfach
der Wunsch, einen grösseren Ort als Centralpunkt für seine
chirurgische Praxis zu gewinnen, zur Uebersiedelung bewogen
haben. Allerdings war er selbst ein eifriger Verfechter der
religiösen Freiheit, was seine Schriften und seine Theilnahme
an dem Kampfe beweisen, welcher die reformhrten und
katholischen Kantone entzweite, indem er mit Zürichs Kriegs-
schaaren zwei Male gegen die katholischen Kantone auszog,
das erste Mal im Jahre 1529, um die Grenzen des Kantons
gegen den den möglichen Einfall Zugs zu decken, das zweite
Mal mit Zwingli, mit welchem er am 12. October 1531 bei
Kappel gegen die Katholiken stritt
Buffs Beruf war die Chirurgie, und er nennt sich auf
dem Titelblatt seiner Comödie von der Erschaffung Adam's
und Heva selbst „Stein sc hnyder". Daneben war Buff aber
auch geburtshülflicher Schriftsteller. Allein Buff war nicht
nur Arzt und ärztlicher Schriftsteller, sondern auch Dichter,
und als geistlicher und weltlicher Volksspieldichter hat er
sich einen Namen gemacht, der seinen Namen als ärztlicher
Schriftsteller fast überdauert hat. Seine Volkscomödien,
geistliche und weltliche, geben ihm auch als Menschen und
Christen ein rühmliches Zeugniss. „In Adam und Eva,u sagt
Kottinger, der, wie wir sehen werden, dieses Schauspiel
und ein weltliches Schauspiel von Buff, den „Eiter Heini "
22*
332 XVIII. Meyer- Akren*, Der Steinschneider
neu herausgegeben hat, „herrscht derselbe religiöse Sinn,
dieselbe Fruchtbarkeit und Lebendigkeit frommer geläuterter
Gefühle eines von den Grundsätzen der Reformation ergriffenen
Gemüthes, wie im Etter Heini." Kottinger zweifelt nicht,
dass Ruff durch seine poetischen Arbeiten auf die Bildung
seiner Mitbürger, besonders der jüngeren, bedeutend ein-
gewirkt habe. Man kann sich wohl denken, dass der fromme
C. Ge88ner sich zu einem solchen an Geist und Herz
trefflichen Collegen sehr hingezogen fühlen musste, und in
der That nennt er ihn auch in seiner berühmten Bibliothek
seinen „Freund".
In seinen ärztlichen Fächern war Ruff sehr geschickt,
wie ihn dann wiederum C. Oessner „vir in arte sua
peritissimus<( nennt.
Im Jahre 1532 scheint er förmlich als eine Art Stadt-
wundarzt in Zürich angenommen worden zu sein und zugleich
wurde er mit dem Stadtbürgerrechte beschenkt.
Wegen seiner Erfahrung und Geschicklichkeit in der
Chirurgie übertrug man ihm auch den Unterricht und die
Prüfung der Hebammen, dem später sein geburtshülf liehe»
Werk und zwar schon zu seiner Zeit und dann noch bis
gegen das Ende des siebenzehnten Jahrhunderts zu Grunde
gelegt wurde, doch wurde im Jahre 1554 die Oberleitung
dieser vierteljährlichen Uebungen C. Oessner als Stadtarzt
übertragen.
Ruff soll mit einer Cleophea Schenkel verheirathet
gewesen sein. Er starb im Jahre 1558 und ein Jahr später
folgte ihm seine Gattin nach. Ob er Kinder zurückgelassen
hat, weiss man nicht.
Es ist auffallend, dass ausser unserem Jacob Ruff
nach dem Zürcherischen Geschlechterbuch noch zwei Chirurgen
ähnlichen Namens existirt haben sollen; nämlich ein: Joachim
Ryeff und ein Virich Ruff; der erstere, Bruchschneider,
soll von Konstanz gebürtig gewesen und im Jahre 1532 eben-
falls Bürger von Zürich geworden sein, der zweite aus dem
Rheinthal gebürtig, soll Bader gewesen, und es soll ihm im
Jahre 1564 gestattet worden sein, das Bürgerrecht der Stadt
Zürich zu erneuern. Das merkwürdige Zusammentreffen, dass
Jacob und Joachim im Jahre 1532 Bürger wurden und
Jacob Ruff etc. in Zürich. 333
Ulrich und Jacob aus dem Rheinthal gebärtig waren, dass
endlich Ulrich im Jahre 1564 das Bürgerrecht nur zu er-
neuern hatte, lässt mit um so grösserer Sicherheit annehmen*
dass aüc drei Personen Ein und derselbe Ruff waren, als
auch Leu in seinem helvetischen Lexicon nur des Jacob Ruff
erwähnt. Die Titel thun nichts zur Sache, denn die Stein-
schneider waren auch Bruchschneider und wenn Ruff eine
Badestube hielt, so war er auch Bader.
Ruffs wissenschaftliche Arbeiten, zu denen wir nun
übergehen wollen, theilen sich in poetische, astrologisch-
astronomische und chirurgisch -geburtshülf liehe Arbeiten, und
ich hoffe nicht zweifeln zu dürfen, dass mir die Leser dieser
Zeitschrift gern auch einige Augenblicke auf das erstere Gebiet
folgen werden, da wir den inneren, geistigen Werth eines
Menschen nur vollständig und richtig zu erfassen vermögen,
wenn wir alle Richtungen seines Wirkens studiren.
Die grosse Liebe für Drama und dramatische Dar-
stellungen, welche in der zweiten Hälfte des fünfzehnten
Jahrhunderts das Volk erfasst hatte, nahm auch im sechszehnten
Jahrhundert nicht ab; vielmehr wuchs sie in solchem Haasse,
dass die Menge der dramatischen Stücke kaum mehr zu
überschauen ist, und während im fünfzehnten Jahrhundert,
wenn sich auch die Lust an dramatischen Darstellungen über
ganz Deutschland verbreitet hatte, solche sich doch nur in
wenigen Städten oder Gegenden, vor Allem in Nürnberg, dann
in Augsburg und etwa auch in der Schweiz in reicherer Fülle
finden, in den übrigen Provinzen dagegen nur vereinzelt vor-
kommen, so tauchen im sechszehnten Jahrhundert die Spiele
überall auf; von der See bis zu den Alpen giebt es kaum
nur einen einigermaassen bedeutenden Ort, an welchem nicht
theatralische . Aufführungen stattgefunden hätten. Aber mit
Ausnahme der Spiele, welche Hans Sachs dichtete, sind
nur wenige über die Grenzen ihrer nächsten Heimath ge-
drungen; selbst durch den Druck erhielten sie nur nothdürflige
Verbreitung. Gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts
hatten sich die geistlichen Spiele allmälig verloren, ohne
jedoch ganz aus dem Bewusstsein des Volkes verschwunden
zu sein; dagegen war das weltliche Drama in merkwürdiger
Fülle aufgetaucht, hatte sich jedoch nicht über die ersten
334 XVIII. Meyer- Akren* , Der Steinschneider
Anfange gehoben. Gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts
hatten ferner die Gelehrten angefangen, die Dramen der Römer
in's Deutsche zu übersetzen, und es war Sitte geworden, auf
den Schulen lateinische Comödien durch die Zöglinge aufführen
zu lassen. Beides blieb in der Folge nicht ohne Einfluss auf
das deutsche Drama, indem einestbeils selbst die Volksdichter
auf eine gewisse Regelmässigkeit geführt wurden , anderatheils
auch Gelehrte begannen, Dramen in deutscher Sprache zu
schreiben, wozu sie wohl durch den Beifall augeregt worden
sein mochten, den die lateinischen Schulcomödien selbst bei
dem grösseren schaulustigen Publikum gefunden hatten/ Diese
letzteren hörten zwar keineswegs auf; vielmehr wurden sie
gerade ungefähr zu der Zeit, da sie im protestantischen
Deutschland immer mehr durch die deutschen Spiele verdrängt
wurden, im katholischen Deutschland von den Jesuiten mit
so grossem Eifer wieder aufgenommen, dass sich ihre Zahl
ausserordentlich vermehrte, während das deutsche Drama nur
an einzelnen Orten Theilnahme und Bearbeiter fand ; und wie
die lyrische, didactische und epische Poesie beinahe ohne
Ausnahme nur von den Protestanten bearbeitet wurde, so
trägt auch das Drama des sechszehnten Jahrhunderts und der
nachfolgenden Jahrhunderte einen überwiegend protestantischen
Charakter. Sobald man anfing, die Schulcomödie in deutscher
Sprache zu bearbeiten und sie so für eiu grösseres Publikum
zu bestimmen, musste sie nothwendig die engen Grenzen
überschreiten, in welche sie bis dahin gebannt gewesen war.
Hatte sie früher zunächst den Hauptzweck gehabt, den
Schülern Gelegenheit zu geben, sich in der lateinischen
Sprache zu üben, und waren daher die einzelnen Stücke
theils der Schule augepasste Umarbeitungen lateinischer Dramen,
theils Bearbeitungen antiker Stoffe, so wandte man sich jetzt
zu solchen Stoffen, welche dem grossen Publikum verständlich
sein konnten. Aber da man doch die Schule nicht aus den
Augen verlieren durfte, so wählte man nur solche Gegen-
stände, mit welchen sich pädagogische Zwecke vereinigen
Messen, und da die Reformation auf die Bibel, als das Buch
aller Bücher hingewiesen hatte, so ist es begreiflieh, dass
man vorzugsweise, ja beinahe ausschliesslich nur biblische
Stoffe wählte. Man benutzte jedoch insbesondere das alte
Jacob Ruff etc. in Zürich. 335
Testament, nicht nur, weil es dem Gefühl des Protestanten
widerstrebte, Christus zum Gegenstande theatralischer Dar-
stellung zu machen, sondern auch, weil das alte Testament
weit mehr acht dramatische Stoffe darbietet, als das neue
Testament
In der Schweiz war es nun unser Buff, der nebst den
Zürichern Christoph Murer und Jonas Mwrer, dem Solo-
thurner Probst Joh. Aal von Bremgarten, dem Solothurner
Stadtschreiber Joh. Wagner, dem Solothurnischen Eisenkrämer
Georg Ootthart und Jacob Scherttceg aus Ölten das geist-
liche Spiel bearbeitete.
Zu den biblischen historischen Spielen, die Ruff ver-
fasste, gehören: Die Historie Jobs, die im Jahre 1535 auf
dem Münsterhofe in Zürich öffentlich aufgeführt wurde;1)
dann: Ein schön spiel von dem gläubigen Vatter Abraham,
Zürich A. ? in 8., dann: Ein tröstlich Spiel von Lazaro,
Zürich, A. 1552, das schon im Jahre 1529 von der Bürger-
schaft Zürichs aufgeführt worden sein soll.
Aber auch das geistliche Mysterium und das weltliche Spiel
wurden im sechszehnten Jahrhundert vielfaltig bearbeitet, und
obschon das letztere, das schon im fünfzehnten Jahrhundert
gewonnene Uebergewicht behielt, so scheint jenes beinahe sich
wieder zu grösserem Aufschwünge erheben zu wollen ; dies ist
namentlich in der Schweiz der Fall, wo uns das Mysterium
in bemerkenswerther Fülle entgegentritt, und da steht wieder
unser Jacob Ruff obenan. In seinem: Ein nüw vn lustig
Spyl von der erschaffung Adams und Heva, auch jrer beider
faai im Paradyss. Gespilt von einer loblichen burgerschaffl
Zürych uff den 9 vnd 10 Tag Junii, im 50 Jahr; fast textlich,
onet was die action zuogetragen; sammt den Concordantzen.
Durch Jaeobum Rueff, Steinschnyder Zürych. (1550) umfasst
er die ganze biblische Geschichte von der Erschaflung des
Menschen bis zur Sündfluth in einer Reihe von unzusammen-
hängenden Bildern. Dieses Spiel, indem nicht weniger als
106 Personen auftreten, ist in der naiven und kernbaften Weise
der alten Stücke gebalten, wo der Dialog in der epischen
Entwickelung beinahe verloren geht. — Nun einige Mutffer:
1) Man weiss nicht, ob diese Arbeit gedruckt worden ist.
336 XVIII. Meyer- Akren* , Der Steinschneider
Der Teufe], entsetzt von dein Gedanken, dass die neu-
erschaffenen Menschen Gottes Verbot ehren und unschuldig
bleiben und so seiner Gewalt entgehen möchten, schickt eineu
Boten nach der Hölle, um die Teufel zur ßerathung zu-
sammenzurufen, wie wohl Gottes Plan, die neuen Menschen
an Leib und Seele zu heiligen und unsterblich zu machen,
zu vereiteln wäre. Der Bote klopft nun mit grossem Un-
gestüm an der Höllenpforte und ruft:
Mordjo! mordjo! jr Tüfel all!
Thnond uf d'Hellthür mit grossem Schall
Und lonffend drnss mit grossem G'schrey,
So wil ich üch sagen mengerley.
Nun antwortet Lucifer:
Bot« Lungken, Lahor und botz Darm!
Post! fast bist g'louffen, dir ist warm,
Dann du fast schwitz'st, das kan ich meoken.
Was machet Gott? thuo uns entdecken,
Es sey, was's well, grad's oder krumb's,
Das sag uns all's in Einer summ.
Dann antwortet der Bote:
Herr Lucifer! was sol ich sagen?
Ich han nun gar ein lären Magen
Und bin mer g'louffen in der Tl
Ungessen dann vierhundert Myl;
Darzuo ich hab ouch wenig truncken:
Mir ist schier's Herz im Lyb versuncken : etc. etc.
Hierauf beginnt der Rath der Teufel, welche ihr Votum
immer mit einer Art Schwur beginnen, z. B.
Botz Hüener8ädel und bots Mist!
Bote Knobloch, Bollen und bots Reben!1)
Botz Hosenlatz und nestelglimpff!
Botz Ofengabel und bots Magen,
Botz Fuchse und Hass, ouch Bären Drack!
Bots Rinderzan und Ochsenhorn!
Die Teufel rathen dann alle, die Schlange zur Verführung
der ersten Menschen anzuhetzen, und zuletzt lässt der Teufel
durch offenes Mehr abstimmen:
Uss uiinem schiächten) Unverstand
Wäm das wol g'fall, heb uf sin Hand,
Der juchtzg und schry mit lutem G'schrey
•. Hoch und nider, mengerley,
worauf sammtliche Teufel (unter Musik) in die Hölle zurücklaufen.
1) Bollen = Zwiebeln; Beben = weisse Rüben.
Jacob Ruf etc. in Zürich. 357
Freundlicher und wirklich lieblich ist die Scene, wo Gott
in der Abendkühle im Selbstgespräche im Paradiese spazieren
geht, neugierig, ob wohl seine Neugeschaffenen, die er ver-
geblich sucht, sein Verbot geachtet haben, dann aber, da er
sie nirgends sieht, ahnet, dass sie von der verbotenen Frucht
gegessen haben und nun dem Adam ruft, dass er sich zeigen
solle. Nun Adam:
O Herr! dich g'sach ich umbhär gan,
Die Stimm ich hört, nnd forcbt mir seer;
Ich meint, ich wette niemermer
Für dich mee kommen und dich flühen,
Din göttlich Wasen allwäg schuhen;
Dann ich hin nackend, schamhafft worden:
Drumb ich mich han vor dir verborgen.
Gott:
War hat dir's g'aagt, dasst' nackend bist?
Adam :
Ich weiss nit, wie's zu o gangen ist u. s. f.
Sehr lieblich ist dann das Zwiegespräch, in welchem sich
Adam und Eva nach ihrer Vertreibung aus dem Paradiese,
ihre Sunde herzlich bereuend, alle Liebe und Treue geloben,
worauf (unter Musik) Adam sich zu Eva legt und letztere
endlich einen Sohn und eine Tochter gebiert. Man kann aus
diesen wenigen Beispielen sehen, dass das Ganze recht viel
dramatische Wirkung hat. Seminarlehrer H. M. Kottinger
hat diese Comödie als 26. Band der Bibliothek der deutschen
Nationalliteralur (Quedlinburg und Leipzig, 1848) mit Er-
läuterungen neu herausgegeben.
Andere Arbeiten Ruff's in der bezeichneten Richtung
sind: Ein geistlich Spiel von der Geburt und Empfangnuss
Christi. Zürich 1552. 8« , ferner vom Leiden des Herrn nach
den vier Evangelien mit geringen Veränderungen bearbeitet.
Ob dieses letztere Spiel gedruckt wurde, weiss man nicht;
es soll im Jahre 1544 von den Schalern der lateinischen
Schule in Zürich aufgeführt worden sein. — Hieran schliesst
sieb ein anderes neutestamentliches Stüek vom Weingarten
des Herrn, das im Jahre 1539 am Tage nach Pfingsten in
Zürich aufgeführt wurde; aber auch von diesem weiss man
nicht, ob es gedruckt worden ist. — Aber auch im weltlichen
Spiele hat sich Ruff versucht. So haben wir von ihm: Eyn
338 XVIII. Meyer -Ähren*, Der Steinschneider
nüwes spil vom wol- und Uebelstannd eyner löblichen
Eydgenoschaft. Der schon erwähnte Kottinger gab in der
ebenfalls bereits erwähnten Bibliothek der gesaramten deutschen
Nationalliteratur (Bd. 14, Quedlinburg u. Leipzig 1847) auch
von diesem Spiele eine neue Auflage mit Erläuterungen heraus,
und zwar nach einer Handschrift, welche Professor EUmtiUer
in Zürich auf einer Auction erstand. In dieser Handschrift fand
sich vor dem fraglichen Stucke Ruff's noch ein anderes Stück,
das nicht von Ruff herrührt und seinen Namen nicht von Ruff
erhielt, auch mit Ruff's Stöcke in keinem inneren Zusammen-
hange steht. Da das eigentliche Titelblatt in der Handschrift fehlte
und das Hauptstück unter dem Titel: „Etter Heini/' welche die
Hauptperson in demselben bildet, im Autionscataloge stand,
so wählte Kottinger um so eher den Titel, unter dem das
Stück im Auctionscataloge gestanden hatte: „Jacob Ruff's
Etter Heini uss dem Schwizerland ," als er damals den
ursprünglichen Titel des Stückes nicht kannte. Das Stück,
welches dem Etter Heini in der Handschrift voranging; setzte
Kottinger in seiner Ausgabe dem Etter Heini als „Vorspiel4'
voran. Wer das Vorspiel gedichtet hat, ist nicht bestimmt
nachzuweisen; vermuthlich wurde es um das Jahr 1513 oder
1514 geschrieben, der Etter Heini hingegen wahrscheinlich
im Jahre 1538 oder 1539. *)
Der Etter Heini ist ein politisches Schauspiel, das vom
glücklichen und unglücklichen Zustande des Eidgenössischen
Bundes während der Epoche der Reformation handelt. In
schlichter, einfacher Weise werden in demselben die wichtigsten
Regierungsmaximen vorgetragen, die Mittel angegeben, welche
einem Staate Ehre, Glück und Wohlstand verschaffen und die
Gebrechen aufgedeckt, durch die endlich jedes Reich zerfallen
muss. „Die moralischen Grundsätze, die in beiden Stücken
vorgetragen werden, und der Hauch frommer Gefühle, der
sie durchweht ," sagt Kottinger , „machen sie ohne Unterschied
des Bekenntnisses jedem Freunde der Sittlichkeit und un-
gekünstelter Religiosität ehrwürdig. Für die Bekenner der
1) Was die speciellere Geschichte der beiden Schauspiele
betrifft, so müssen wir in dieser Beziehung auf die weitläufige
Untersuchung Kottinger* s verweisen.
Jacob Ruf etc. in Zürich. 339
protestantischen Religion sind sie noch besonders darum
wichtig, weil sie noch warme Anhänglichkeit an die Grund-
sätze jener denkwürdigen Kirchenreform athmen, während in
unseren Tagen bei Vielen ein kalter Indifferentismus ein-
getreten ist. Den schweizerischen Behörden und Völkerschaften
geben sie manche gute politische Lehre; besonders warnen
sie vor der alten Neigung, in eidgenössischen Dingen fremdem,
auswärtigem Einflüsse Raum zu geben und sich dadurch zum
Partheiwesen verleiten zu lassen. Dem Freunde der eid-
genössischen Geschichte gewähren sie manchen Blick in die
damaligen öffentlichen Zustände der Schweiz."
Ein weiteres weltliches Schauspiel Ruff'& war: Ein
hüpsch und lustig spyl, vorzyten gehalten zu Ury in dem
lob], ort der Eydgnoscbaft, von dem frommen und ersten
Eydgenossen Wilhelm Thellen, irem landtmann: jetz nüwlich
gebessert, corrigirt, gemacht und gespilt am nüwen jarstag
von einer lobl. und jungen burgerschafft zu Zürich, im jar,
als man zalt 1545. Per Joe. Ruef, urbis Tig. chirurgum.
Zürich bei Aug. Fries 1548. Von diesem Schauspiele, von
dem sich das Original (Unikum) auf der Hof- und Staats-
bibliothek zu Mündjen befindet, besorgte Mayer zu Pforzheim
im Jahre 1843 eine neue Ausgabe. Dieses Schauspiel scheint
Ruff also schon früher geschrieben und im Jahre 1545 nur
durchgesehen und verbessert zu haben. l)
Zu den weltlichen Spielen Ruff'a gehört endlich noch:
Von der edlen und keuschen römischen Matrone Paulina,
welche im Tempel der Isis durch Betrug der Priester ge-
schändet worden, eine Begebenheit, welcher Josephus im
18. Buche der jüdischen Alterthümer und Hegesippus im
2. Buche von der Zerstörung Jerusalems erwähnen. Ob dieses
Spiel gedruckt wurde, weiss man nicht
Damit haben wir sämmtlicher poetischer Arbeiten Ruff9»
gedacht, so weit sie uns bekannt sind.9)
1) G. Qestner sagt in seiner Bibl. nniv. (1546) ... et bis diebus
comoediam de WilMmo Thello foederis Helvetici authore auct&m
per se et recognitam magno cum applansn publice speetandam
exhibuit, quae jam excasa est.
2) Specielle und sehr ausführliche Untersuchungen über die
verschiedenen Spiele Ruf'* findet man bei KoUinger a. n. a. o.
340 XVIII. Meyer- Akren*, Der Steinschneider
Eine zweite Reihe von Arbeiten RujjFs sind astrologisch-
atronomischer Natur.
Zu diesen gehören: Catalogus quo continentur medkorum
fere omnium et astrologoruui nomina cum ßguris (Verzeichnis*
der Namen beinahe aller Aerzte und Astrologen), der um
das Jahr 1645 in drei Wandtabellen erscheinen sollte.1)
Dann: Interpretationes ostentorum aliquot: De duplici infante,
utroque foeminei sexus, Scaphusiae cedito anno 1543 sexto
die februarii capitibus duobus, brachiis quatuor totidemque
pedibus disjunctis: uno vero solido corpore a collo ad umbilicnm
usque, umbilici subtus vinculo propendente; — de circaJo
quodam, cujus pars una medium solem distinguere visa est:
per centrum vero et medium circüli transire ins. Apparuit
Glaronae in Helvetia 1544 die 19 Aprilis; — de cruce alba,
quae plenam lunam obtegere visa est, Villae (Wyl) (quod
oppidum est Helvetiorum) 1544 die 7 Aprilis. (Auslegungen
einiger Wunderzeichen von einem doppelten Kinde weiblichen
Geschlechtes, das im Jahre 1543 zu Schaffhausen geboren wurde
mit zwei Köpfen, vier Armen und vier getrennten Füssen, Einern
Leibe vom Halse bis zum Nabel; — von einem Kreise, dessen
einer Theil die Sonne in der Mitte zu theilen schien u. s. *.,
und den man im Jahre 1544 zu Glarus sah; von einem
weissen Kreuze, welches den Vollmond zu bedecken schien,
und das man im Jahre 1544 zu Wyl sah.) Beide Schriften
wurden vor dem Jahre 1545 abgefasst; ob sie gedruckt
wurden, wissen wir nicht. Endlich gehören hierher einige
Kalender, von denen der erste wahrscheinlich im Jahre 1543
erschien.
Zu diesen Kalendern kann man wohl auch rechnen und
wahrscheinlich war es eben ein solcher Kalender: Ein nüwe
und Tütsche Pronosücation uff das M.D.XL1U. Jar mit an-
zeigung etlicher endrungen weltlicher löuffen, sampt besunderen
tagen des wätters. Per Jacobum JRueff, urbis Tigurinae
Cbirurgum. Dieses Schriftchen, das mit der Titelseite aus
15 kleinen Quartseiten besteht, enthält zuerst astrologische
Prophezeiungen, dann das Verzeichniss von drei Mood-
Onsternissen und einer Sonnenfinsterniss des Jahres 1544,
1) Ob er wirklieh erschienen ist, wissen wir nicht.
Jacob Ruff etc. in Zürich. 341
endlich Witterungsprophezeiungen auf astrologischer Grundlage.
Endlich zierte Ruff den Abschnitt über die Fische des Bodensees
aus O. Mangold?* Chronik der Stett und Landschaften am
Bodensee, den sein Freund C Oessner im Jahre 1557 unter
dem Titel: „Fiscbbuch etc. durch den Wolgelarten G. Mangold
beschrieben a herausgab, mit Sprüchen. l) — A. v. Haller
führt in der Bibl. anatomica noch ein Opus chyromanticura
auf, das im Jahre 1560 in 4. erschienen sein soll und das
er nach Uffenbach Ruff zuschreibt, ohne jedoch selbst
sicher zu sein, dass es von Ruff herrühre.
Die heilwissenschaftlichen Arbeiten Ruff 's, zu denen wir
uns nun wenden, beschränken sich im Wesentlichen eigentlich
nur auf zwei, auf eine chirurgische Schrift: Libellus de
tumoribus quibusdam phlegmalicis non naturalibus Hb. ex
veteribus et recentioribus collectus Tig. 1556. 4. (Buch von
einigen widernatürlichen phlegmatischen Geschwülsten, aus
älteren und neueren Schriftstellern gesammelt) und eine
Geburtshülfe oder ein Hebammenlehrbuch.
Was die erstere Schrift betrifft, welche von Heinrich
von Roonhuysen in's Belgische übersetzt wurde (Amster-
dam 1662. 8.), so kennen wir dieselbe nicht aus eigener
Anschauung. Nach Hauer handelt sie von den Balggeschwülsten,
mit denen Ruff jedoch auch andere Geschwülste zusammen-
geworfen zu haben scheint, dem Brande, dem Nagelgeschwür
(Paronychia) und der Exostose und ist eine Sammlung von
Formeln mit einer theoretischen Auseinandersetzung. Man
findet darin auch Einiges über die Exstirpation der Balg*
gesch wülste, die er ganz zu exstirpiren ermahnt. Er sah,
dass wenn man Balggeschwülste, die aus einem Naevus ent-
standen waren, abschnitt, die Operirten verbluteten. Er lobt
auch die Zerstörung der Balggeschwülste mittels des Arseniks.
Wenn sie an der Basis schmaler sind, können sie mit einem
1) Ausser Leu' 8 helv. Lexicon und O esaner' b bibl. oniv. sind
die Hauptquellen : Die Dedicarion, Vorrede and Einleitung au
Jacob BujjTs Etter Heini vss dem Schwizerland summt einem Vor-
spiel erläutert und herausgegeben von Hermann Marcus Kottinger,
Secundarlehrer. Quedlinburg und Leipzig 1847. (Bd. XIV. der
Bibliothek der geaammten deutschen Nationallitte ratur. Quedlin-
burg und Leipzig, 1847.)
342 XVIII. Meyer -Ahrena, Der Steinschneider
Faden unterbunden werden. Er erzählt ferner einen Fall,
wo bei Spina bifida die Geschwulst mit tödtlichem Erfolge
eingeschnitten wurde.
Die zweite Schrift muss nach von Siebold als eine neue
Ausgabe des Hebammenlehrbuches von Euchariu* RössUn
angesehen werden. — Der Zustand der Geburtshülfe war im
Anfange des sechszehnten Jahrhunderts ein sehr trauriger,
die Hebammen hatten sich die Ausübang derselben zum
grössten Theile angeeignet, und wenn auch in einzelnen Fällen
männliche Hülfe in Anspruch genommen wurde, so geschah
dieses nur bei den verwickeisten, ja bei den durch voraus-
gegangene schlechte Hülfsversuche ganz verdorbenen Fällen,
aus deren Behandlung die Wissenschaft keinen Nutzen ziehen
konnte. Operationen, welche nur die äusserste Verzweiflung
eingeben konnte, wurden gemacht, die grausamsten Perforationen
und Zerstückelungen des Kindes wurden vorgenommen, denen
oft genug auch die Mutter unterliegen musste. Dabei fehlte
es an jeder belehrenden Zusammenstellung in eigenen Schriften,
weshalb auch der Unterricht sehr mangelhaft sein musste,
und so vererbten sich denn von den älteren Hebammen anf
die jüngeren Yorurthefle jeder Art, welche oft genug selbst
von Aerzten begünstigt oder wenigstens nicht bekämpft wurden.
Darum sagt Röeelin:
loh meyn die Hebammen alle sampt
Die also gar keyn wyssen handt,
Dana durch yr hynlessigkeit
Kynd verderben weit und breit.
Und handt so schlechten Fleiss gethon
Das sie mit Ampt eyn Mort begon n. s. w.
Und weiter unten:
Hab ich myr das zu Hertsen genommen
Gott za lob and ans sa frommen
Den armen seien aach za trost
Die damit werden hie erlöset
Und nit so vil Mort ward geschehen
Als oft and dick ichs hab gesehen a. s. w.
Diese traurige Unwissenheit der Hebammen, veranlassten
Catharina, geb. Prinzessin von Sachsen und Herzogs Sigmund
von Oestreich nachgelassene Wittwe (später [seit 1496] Ge-
mahlin Erich'* I., Herzogs von Braunschweig und Lüneburg,
gest. 1524 zu Göttingen), EuchaviuB Böeslin, erst Arzt zu
Jacob Muff etc. in Zürich. 343
Worms, dann zu Frankfurt a. ü, aufzufordern, ein Hebammen-
lehrbuch herauszugeben, von dem die erste Ausgabe in
deutscher Sprache im Jahre 1513 unter dem freundlichen
Titel; „Der s wangern Frawen und Hebammen Rosegarten u
zu Worms erschien. Rösslin widmete das Buch der Prinzessin
Caihorina und bat sie, dasselbe unter die ehrsamen zuchtigen
schwangern Frauen und die Hebammen auszutheilen. Wie
gross das Bedürfniss nach einem solchen Buche war, das
beweisen die vielen Ausgaben, die das Buch erlebte und seine
Uebersetzungen ins Lateinische, Französische, Holländische
und Englische. Es bildet eine Zusammenstellung der geburls-
hülf liehen Lehren des Hippocra&es, GcUenus, der arabischen
Aerzte, besonders des Avieenna und des Albertus Magnus.
Ausserdem benutzte RössKn die geburtshälflichen Kapitel
bei Aetiu8, sowie späterer Schriftsteller, besonders des
Oordon und Savonwrola vielfach, so dass das Ganze fast
nur einen Ueberblick über die Gestaltung der Geburtshölfe
bis zur Zeit des Verfassers darbietet. Man muss aber nicht
glauben, dass RössKn selbst bedeutende, durch eigene Er-
fahrimg erworbene geburtshülfliche Kenntnisse besessen habe,
im Gegentheil kannte er selbst den Hergang einer natürlichen
Geburt sehr wenig, und erfand Kindeslagen und liess solche
abbilden, die gar nicht vorkommen. Allein da die damalige
Sitte nur Hebammen den Zutritt zur naturgemässen Geburt
gestattete, so blieb ihm nichts übrig, als sich theils an die
Aussagen der Hebammen und die Darstellung seiner Vorgänger
zu halten, welche aus derselben Quelle geschöpft hatten,
theils sein Buch nach eigener Erfindung auszuschmücken.
Nichtsdestoweniger aber war Rössliris Buch nach dem UrtheUe
von Siebold s, dem wir hier folgen, ein verdienstliches Unter-
nehmen, da er durch dasselbe den Hebammen seiner Zeit
eine geregelte Anleitung gab, wie sie ihre Kunst ausüben
sollten, den Aerzten und Wundärzten aber einen Ueberblick
über den Zustand der Geburtshölfe selbst.
Als eine neue Ausgabe nun dieses Buches von Rösslin
ist, wie schon bemerkt wurde, das Hebammenlehrbuch
Jacob Ruff's zu betrachten, wobei sich jedoch Letzterer
bemüht hat, Rössliris Werk nach besten Kräften zu ver-
bessern. Auch die Veranlassung zur Herausgabe dieses
344 XVIII. Meyer-Akrent, Der Steinschneider
Hebammenlehrbuches war eine .ganz ähnliche wie bei Rösstin.
Aehnliche traurige Beobachtungen, wie sie Rösslin gemacht
hatte, hatte auch Ruff machen müssen, und wie dort die
Prinzessin von Sachsen Rösslin zur Herausgabe seines Buches
aufgefordert hatte, waren es hier zwei Vorsteher der Chirurgeo-
geseilschaft, die obersten Heister Jörg Müller und Rudolf
Cloter, welche nebst Ruff mit dem Unterrichte und der
Prüfung der Hebammen beauftragt waren, und die in Ruff
drangen, einen solchen Leitfaden herauszugeben, der nicht
bloss für die Hebammen, sondern für alle Frauen bestimmt
sein sollte, welche in den Fall kommen konnten, die Hebammen
bei den Geburten zu unterstützen oder die Wöchnerinnen zu
pflegen; und wie Rösslin die Prinzessin Catharina bat, sein
Buch in ihrem Fürstenthume und anderen deutschen Ländern
zu verbreiten, so bittet auch Ruff in der Vorrede, die er an
den damaligen Bürgermeister der Stadt Zürich, Joh. Hab,
richtet, dass es Sr. Weisheit gefallen möchte, das Buch
sämmtlichen Hebammen und pflegenden Frauen in der Stadt
und auf der Landschaft zu schicken, damit dieselben das
Buch entweder selbst studiren oder sich (besonders das dritte
und vierte Buch, welche die Praxis der Geburtshülfe behandeln,
wie sie von den Hebammen ausgeübt werden soll) vorlesen lassen.
In Ruff's Buch ist Manches für die damalige Zeit klarer
und deutlicher dargestellt, als in Rösslin' % Buch, und auf
manches wahrhaft Nützliche ist ein grösseres Gewicht gelegt
Auf der anderen Seite aber ist auch kein Mangel an absurden
und abergläubischen Lebren. Das Buch erschien zuerst unter
dem Titel: Ein schön lustig Trostbüchle von den empfengk-
nussen und geburten der menschen, vnnd jren vilföltigen zufalen
und verhindernussen, mit vi) vnnd mancherley be warten stucken
und artznyen, ouch schönen iiguren darzu dienstlich, zu trost
allen gebärenden frouwen und eigentlichem beriebt der
Hebammen, erst nüwlich zusammengeläsen durch Jacob Ruff
burger und Steinschnyder der loblichen Statt Zürycb. Getruckt
Zürych by Christoflei Froschouer im M. D. LIM. jar. Mit
Vorrede des Verfassers vom heil. Dreikönigstag 1554. Zu
gleicher Zeit erschien eine lateinische Ausgabe unter dem
Titel: De coneeptu et generätione hominis, et iis quae circa
haec potissimum consyderantur, libri sex, congesti opera
Jacob Uuff etc. in Zürich. 345
Jac. Rueff, chirurgi Tigurini. 1554. 4. (Mit lateinischer Vor-
rede des Verfassers.) Von dem deutschen Original erschien
im Jahre 1559 in 4. zu Zürich eine neue Aufjage. Weitere
neue deutsche Ausgaben erschienen zu Frankfurt a. M. in den
Jahren 1580, 1588 und 1600, sämmtlich in 4., die erste
derselben aber schon mit verändertem Titel: Hebammenbuch,
daraus man alle Heimlichkeit dess weiblichen Geschlechts
erlehrnen, welcherlei' gestalt der mensch im Mutter Leib
empfangen, zunimpt und geboren wirdt u. s. w. Alles auss
eigentlicher Erfahrung des weltberühmten Jacob Ruffen,
Stattarzts zu Zürich, vor dieser Zeit an Tag geben. Jetzund
aber von neuwem gebessert, mit schönen Figuren gezieret:
Sampt einem nützlichen Anhang von Cur und Pflegung der
uewgebornen Kindtlein. (Mit Vorrede des Buchhändlers Sigmund
Feyerabendt.) im gleichen Jahre, in welchem die erste neue
Ausgabe mit dem veränderten Titel erschien (1580), erschien
auch eine neue lateinische unveränderte Ausgabe (ebenfalls
zu Frankfurt a. AI.), jedoch mit etwas verändertem, sehr
langem Titel, welcher den Hauptinhalt des Buches giebt.
Eine dritte lateinische Ausgabe erschien ebendaselbst im
Jahre 1587 in 4. Endlich erschien das Werk auch noch in
holländischer Sprache unter dem Titel: T'Boeck Vande Vroet-
Wyfs Int welcke ruen mach leeren alle heyinelichedeu van:
de vrouwen, ende in wat ghestalte de Mensche in zyn moeders
lichaera ontfanghen , groeyet ende gheboren wort Alle
samen wt eygen ervarentheyl van den seer venu a erden
Jacob Ruffen Stadt Medicyn tot Zürich eertyts in druck
wtgegheveu, ende nu ter tyt op een nieu verbetert, ende met
schoone Figueren verciert. T'Amstelredam M. D.'XCI. Dieser
Uebersetzung , welche von Martyn Everaert besorgt wurde,
ist auch ' die Abhandlung von der Pflege* der Neugeborenen
beigefügt. Nach Hattet soll jedoch schon im Jahre 1670
oder 1672 eine holländische Ausgabe erschienen sein. Endlich
findet sich das Buch auch in den gynäkologischen Sammlungen
Bauhins und Spack* $.
Was nun den Inhalt von Ruff's Buch im Speciellen
betrifft, so wissen wir hier qjchts Besseres zu thun, als dass
wir der Darstellung v. SieboloVs folgen.
Mo&atixicbr. f. Geburtsk. 1862. Bd. XX., Hft.6. 23
346 XVIII. Mayer ■ Akrens , Der Steinschneider
Das Werk ist in sechs Bücher ahgetheilt, wovon das
erste physiologischen Inhalts ist und sich mit der Erklärung
beschäftigt, wie aus beiden Samen, dem weiblichen und dem
männlichen, die Frucht gebildet werde; dabei werden das
menschliche Ei, der Höllen der Frucht, ihre Ernährung, die
Bildung der edlen Eingeweide besprochen; überall ist zwar
nur Aelteres wiederholt, dieses selbst aber in fassl; eher Sprache
vorgetragen. Die beigefugten Abbildungen menschlicher Eier
sind von gar keinem Werthe und nur Phantasiestücke. — Das
zweite Buch giebt die Anatomie der Gebärmutter und erläutert
diese sogar durch Abbildungen, welche indessen sehr fehlerhaft
sind und dem Unkundigen nur einen sehr entfernten Begriff
des Baues dieser Theile beizubringen vermögen. Die Lage des
Kindes in der Gebärmutter schildert Rueff ganz so wie seine
Vorgänger; nicht das mindeste mit der Natur Uebere in stimmende
lässt sich in seiner Darstellung finden. Auch die alle Lehre
der Tödtlichkeit achtmonatlicher Geburten ist beibehalten, als
deren Ursache die im siebenten Monate erfolgte Umstürzung
und dadurch entstandene Schwäche , von welcher das Kind sich
erst wieder erholen muss, angeführt wird. Künstlich erregter
Abortus, wozu sich Hebammen, Bader und ungclehrte Aerzte
hergaben, muss damals sehr gebräuchlich gewesen sein; der
Verfasser findet es nämlich für angemessen, dringend vor
solchem Verbrechen zu warnen. Eine ziemlich gute Lebens-
ordnung, für Schwangere aufgestellt, scbliesst dieses Buch.
Das dritte und vierte Buch lehrt die Praxis der Geburtsbülfe,
wie solche von Hebammen geübt werden soll. Im fünften
Buche wird die Molenschwangerschaft berücksichtigt, zugleich
werden aber auch die seltsamsten Berichte über Missgeburten,
hier Wundergeburten genannt, mitgetheilt. Die beigegebenen
Abbildungen stellen allerdings die wunderbarsten Monstrositäten
dar, Kinder mit Elephantenrüsseln, mit Pferdeffisscn , Vogel-
klauen u. s. w. Dabei untersucht der Verfasser ganz ernstlich,
ob der Teufel mit Frauen solche Früchte erzeugen könne.
Das sechste Buch handelt sehr weitläufig von der Unfruchtbar-
keit des Mannes und der Frau, ist aber selbst sehr steril.
Die eigentlichen Lehren der Geburtshülfc , welche Rueff in
seiner Schrift vorträgt, befinden sich im dritten und vierten
Buche, daher auclj der Verfasser in der Vorrede zur ersten
Jacob Ruf etc. in Zürich. 347
Ausgabe gerade diese beiden Bücher den Hebammen an-
gelegentlichst empfiehlt Im ersten Kapitel des dritten Buches
trägt der Verfasser die alte Lehre wieder vor, als ginge die
Geburt von dem Kinde aus. Geburtswehen sind ihm daher
nichts anderes, „denn die Ungestüme und Stärke des Kindes,
das sich um wirfit, und mit Wehetagen und Schmerzen gegen
den untersten Leib licht, unter sich und über sich dringet u. s. w."
Als rechte, natürliche und geschickte Geburt gilt ihm nur
die Kopfgeburt, wobei er indessen die Lage sehr fehlerhaft
abgebildet hat, zum besten Beweise, dass ihm die Gelegenheit,
Geburten zu beobachten, gänzlich gemangelt habe. Die
Leistungen der Hebammen bei diesen Geburten beziehen sich
zuvorderst auf Trost und Gebet; dann soll die Gebärende auf
den Stuhl gebracht werden, welcher mit einer starken Rück-
lehne, mit einem halbmondförmigen Ausschnitte und mit
Handhaben versehen abgebildet ist; eine Gehülfin umfasst die
Gebärende von hinten, und streicht und drückt, während das
Kind durchtritt, sanft den Leib nach unten. Einreibungen
des Bauches mit weissem Lilienöl, süssem Mandelöl, Hühner-
schmalz u. s. w. werden überall empfohlen. Sobald das Kind
dem Ausgange nahe ist, soll die Hebamme mit den wohl-
besalbten Fingern dem Kinde bei seinem Durchgange helfen,
der Gebärenden Leib von einander theilen und streifen, ohne
Schaden des Kindes und der Mutter, auch an welchen Orten
und Enden es sei, unten und oben, beseits oder neben zu, das
Kind sich ansetzen oder stellen wollte, dass sie schnell da
sei und mit ihren Fingern das Kind „im durchschneiden und
oeflhen der Gerade nach, den graden Weg weise und fördere."
Dann wird der Nabelstrang unterbunden, und ohne Säumen
die Nachgeburt entfernt; wird die Geburt bei übrigens vor-
liegendem Kopfe erschwert, so müssen wehenbefördernde
Mittel gereicht werden. Die Ursachen der Nachgeburts-
zögerungen sind ziemlich gut vorgetragen; die Behandlung
beschränkt sich in den meisten Fällen auf austreibende Mittel,
nur bei zu fester Verbindung der Placenta mit der Gebär-
mutter ist das künstliche Lösen derselben gelehrt. Endlich
ist noch angegeben, wie die Hebamme bei bedeutender Enge
der Gebärmutter sich verhalten soll. Die Hebamme soll in
Fällen dieser Art die Theile mit ihren Fingern sanft aus-
23*
348 XVIII. Meyer - Ähren* , Der Steinschneider
zudehnen suchen. Gelingt das nicht, so werden wehen-
befördernde Mittel gegeben, Räucherungen vorgenommen,
Pflaster auf den Bauch gelegt, Mutlerzapfen eingebracht, und
wenn dieses Alles nicht hilft, so mag die Hebamme zu den
Instrumenten greifen, als Schrauben, Aufspanner, Auftrieb und
Zangen. !) Wenn aber das todte Kind wegen seiner Grösse
nicht geboren werden kann, so soll die Hebamme mit einer
Zange, dem sogenannten Entenschnabel , das Kind anfassen und
hervorziehen.2) Am Ende des Buches wird noch die Blut-
geschwulst der Schamlippen mit ihrer Behandlung besprochen.
Wenn Ruft im dritten Buche hauptsächlich von den-
jenigen Geburten handelt, bei welchen das Kind mit dem
Kopfe vorliegt, so ist das vierte den fehlerhaften Kindeslagen,
von Ruft „Missgeburten" genannt, gewidmet. Im Ganzen
folgt der Verfasser hier ganz den Regeln Rössliris, und wir
Gnden auch beinahe ganz dieselben Abbildungen. Ruft beginnt
mit den Fussgeburten, von denen er zwei Arten unterscheidet,
die vollkommene und unvollkommene. Bei jener empfiehlt
er die Extraction an den Füssen, sobald die Arme nach unten
gestreckt liegen; im entgegengesetzten Falle aber soll der
Kopf hereingeleitet werden. Nur bei kleinen Kindern und
Mehrgebärenden kann man auch in dieser Lage das Kind an
den Füssen hervorziehen. Liegt- nur Ein Fuss vor, so ver-
sucht man die Wendung auf den Kopf. Gelingt diese nicht,
so wird der zweite Fuss gelöst und das Kind so zu Tage
gefördert. Der neben dem Kopfe vorgefallene Arm wird
reponirt. Bei Steiss-, Rücken-, Schulter- und Bauchlagen
wendet man auf den Kopf. Naturgemässe Zwillingslagen sind
diejenigen, bei welchen beide Kinder sich mit dein Kopfe zur
Geburt stellen. Liegen beide mil den Füssen vor, so wird
eines nach dem andern zu Tage gefördert. Liegt das eine
Kind mit dem Kopfe, das andere mit den Füssen vor, so
1) Ruff hat diese Instrumente abgebildet; zwei davon dienen
zur Eröffnung der Geschlechtstheile , sind aber aebr plamp
und roh.
2) Der Entenschnabel ist vorn mit Zähnen versehen und
Muff vergleicht ihn mit der Zange, mit welcher die Schärer die
Zähne auszubrechen pflegten. Auch ist noch eine „glatte und
lange" Zange zu gleichem Zwecke abgebildet.
Jacob Ruf etc. in Zürich. 349
wird bei dem letzteren die künstliche Frühgeburt empfohlen,
wenn es sich nicht von selbst auf den Kopf schiebt.
Für die Sittengeschichte interessant sind die Abbildungen
von zwei Gebärzimmern. In der einen Abbildung sieht man
die Wöchnerin in einem schwerfälligen Himmelbette liegen.
Neben dem Bette steht ein schwerer Tisch, auf. dem man
einen Teller, ein Messer und Brot erblickt. Auf niedrigem
Stuhle sitzt die Hebamme und trocknet den Säugling, den
sie soeben aus der vor ihr stehenden hölzernen Wanne ge-
nommen, ab. Neben der kleinen Wiege sitzt ein älteres Kind
mit der Puppe spielend auf dem Stubenboden. Zwei Klatsch-
schwestern erzählen sich Neuigkeiten. Eine alte Frau reicht
der Wöchnerin einen Teller Suppe. Durch die offene Stuben-
thüre erblickt man die Köchin , wie sie auf dem Küchenheerde
mittels des Blasebalges das Feuer anbläst. In der anderen
Abbildung sieht man die Kreissende auf dem Geburtsstuhle.
Vor ihr auf niedrigem Schemel sitzt die Hebamme und
empfängt unter einem Tuche das Kind, während zwei andere
Frauen neben und hinter der Kreissenden stehen. Auf einem
Tische erblickt man einen Knäuel Faden mit Nähnadel, eine
Scheere und eiu 'Schreibezeug.
Das sind die wesentlichen Leistungen Ruff's auf dem
Gebiete der Heilwissenschaft. Zum Theil gehört aber auch
die von C. Gesßner aufgeführte Schrift: de duplici infante
utroque foeminei sexus anno 1543 nato capitibus duobus etc.,
deren schon bei den astrologisch -astronomischen Schriften
gedacht wurde, hierher.1)
Interessant ist es auch in Ruff's Schauspielen Andeutungen
auf seinen ärztlichen Beruf zu finden, und namentlich durfte
folgende Stelle Erwähnung verdienen: Etter Heini klagt über
den Verfall der Sitten und bittet nun den ersten von den
sieben Weisen, welche im Spiele auftreten, um Rath, wie die
verschwundene Arbeitsamkeit wieder in's Land zu bringen sei.
1) In Bezug auf Ruff*e heilwissenschaftliche Leistungen vergl.
Versuch einer Geschichte der Geburtshülfe von Ed. Ccup. Jac.
von Siebold, Bd. II., Berlin 1846, 8. 1 — 6 u. S. 24 — 31; ferner
Leu, helv. Lezicon und A. de Haller, bibl. med. pract., ehir.
et anat.
350 XVIII. Meyer - Ähren* t Der Steinschneider
Der erste Weise zeigt nun namentlich die Ursachen und
Folgen der Faulheit und zeigt:
Zum anderen bringt ouch Prassen, Spilen
Huory und allen Muottwillen.
Dann so der Seckel ist vol Gellt .
Vom Kriegen kan, wie ich hab g'mcllt;
So ist's am Prassen, Spilen g'legen.
Das er mit Huren wird verwegen,
Vermocht so gar und unverschampt.
Damitt er sich macht so vernampt,
Das im all böss, vermochte Wybvr
Sin Glimpf nnd Eer, im's Glück vertriben,
Das er allein nit mangelhafft
Im Seckel wirt nnd prästhafft:
Vol Lemi machendes inn und Bülen,
Das Herz im Lib im möcht ussfulen,
Vol Blater, Löcher, Krebs und Gallon,
Das er nit brünzlen kan, noch stallen,
Mit Züchten so ichs reden muoss.
So ist das z'letst ir Göllt und Buoss,
Das 87 rurschland mit der Fulckeit,
Mit Müessig gon und Trägheit.
Eine andere Stelle zeugt von der rationellen ärztlichen
Anschauung Euff's.
Ein Weiser sagt nämlich:
Das man erdur die Sach mit Flyss,
So volg man hie der Arzet Wyss:
Die Ursach thuo man vor ermessen.
Schliesslich wollen wir noch erwähnen, dass der Spital-
arzt Hans Heimich Euff, der im Anfange des achtzehnten
Jahrhunderts im Spital in Zürich angestellt war und im
Jahre 1732 starb, und dessen wir in der Biographie Joh.
von Muralfs, sowie auch in der Biographie der beiden
Freitage erwähnen, der letzte Bürger der Stadt Zürich aus
dem Geschlechte Euff war.
Wir haben schon im Eingange bemerkt, dass Euff wegen
seiner Geschicklichkeit in der Chirurgie die Prüfung und der
Unterricht der Hebammen übertragen wurde, und die Leser
dieser Zeitschrift werden es mir verzeihen, wenn ich ihre
Aufmerksamkeit noch einige Augenblicke in Anspruch nehme,
um sie mit den ersten Anfangen eines geordneten Hebammen-
wesens und eines Hebammenunterrichtes im Kanton Zürich
Jacob Ruff etc. in Zürich. 351
bekannt zu machen, welche ein ebenso grosses cultur-
historiscbes als specialhistorisches Interesse bieten.
Es gab zwar in Zürich schon vor dem Jahre 1536 von
der Regierung besoldete Hebammen, allein eine förmliche
Uebammenordnung scheint im genannten Jahre zum ersten
Male aufgestellt worden zu sein, und es ist nicht unwahr-
scheinlich, dass sowohl die Aufstellung dieser Hebammen-
ordnung als die Anordnung einer Prüfung der Hebammen
von unserem Ruff angeregt wurde. Was die Hebammen-
Ordnung betrifft, so wurde nämlich am Mittwoch nach
Palmtag des Jahres 1536 von Burgermeister R'öust und
beiden Käthen ein eigenes Gesetz für die Ausübung des
Hebammenberufes aufgestellt, welches halten zu wollen, die
Hebammen alle Jahre schwören mussten. Durch dieses Gesetz
wurden vor allem aus die Hebammen verpflichtet, jedem Rufe
einer in der Stadt oder ausserhalb derselben nahe hei den
Thoren wohnenden Kreissenden zu folgen, ob sie reich oder
arm sein möge. Eine solche Kreissende durfte dann die
Hebamme vor beendigter Geburt nur verlassen, wenn es die
Kreissendc selbst gestattete, und die Hebamme selbst fand,
dass es ohne Gefahr geschehen könne. Bei jeder Geburt
mussten ausser der Hebamme mindestens noch zwei Frauen
anwesend sein, und wenn sie nicht vorhanden waren, so war
die Hebamme verpflichtet, sie kommen zu lassen; wir finden
daher auch in Ruff's Hebammenbuch diese beiden Frauen
abgebildet. Zunächst war dann ferner den Hebammen ver-
boten, die Kreissende zur unrechten Zeit zur Arbeit zu nöthigen,
damit sie schneller fertig werden. Eine weitere Bestimmung
betraf die Behandlung der Nabelschnur („Gertennäbeli"), die
sie nicht abschneiden durften, ohne sie unterbunden zu haben
(„gehefft und versehen zu haben, dass es ihnen nit entrünnen
vermöge"). Die Nachgeburt („das Büschelein") hatten sie
zu vergraben oder zu verbrennen, „damit desshalb kein
Schad beschäche.u Dann wurde den Hebammen eingeschärft,
beim Empfange des Kindes und der Nachgeburt sorgfaltig zu
manipuliren, damit sie weder Mutter noch Kind Schaden
zufügen. Für den Fall, dass die Angehörigen der Kreissenden
eine zweite Hebamnbe zu consultiren wünschten, durften die
beiden Hebammen keinen Unwillen gegen einander zeigen,
352 XVII I. Meyer -Ahrens, Der Steinachneider
sondern hatten sich freundlich zu vertragen, einander zu
helfen und zu rathen. War der Geburtsfall complicirt, traten
schwere Zufalle ein, schwebte Mutter oder Kind in Gefahr,
so waren din Hebammen verpflichtet, den Stadtarzt zu rufen,
bis zu dessen Ankunft eine der beiden Hebammen bei der
Kreissenden bleiben musste. Sehr interessant ist aber die
letzte Bestimmung, dass wenn die Hebammen an einer Geburt
etwas Verdächtiges zu bemerken glaubten, sie hiervon dem
„obristen Knecht" (dem ersten Ralhsdiener) Anzeige zu
machen, verpflichtet waren, eine Bestimmung, die wohl dem
Aberglauben, dass Missgeburten eine Folge strafbarer Ver-
wünschung mit dem Teufel seien, ihre Aufnahme verdankt
haben mag, indem dann wahrscheinlich ein Criminalproces*
eingeleitet wurde. — Endlich durften die Hebammen ohne
Erlaubniss des Bürgermeisters die Stadt und ihre nächste
Umgebung nicht verlassen. Der Haupt Ordnung sind dann
noch einige Bestimmungen angehängt, welche äussere Ver-
hältnisse betreffen. Vor Allem wurde den Hebammen die
Nothtaufe untersagt, „da die Kinder auch ohne die Sacrament
in der Gnad vnd verheissung Gottes seigen" u. s. w. Dabei
wurde ihnen jedoch zur Pflicht gemacht, besorgt zu sein, dass
die Kinder förderlich zur Kirchentaufe gebracht werden. Die
Hebammen der Stadt hatten, wie früher angedeutet wurde,
schon vor dem Jahre 1536 eine fixe Besoldung von der
Stadt bezogen, allein diese Besoldung war so schlecht gewesen,
dass nur arme unwissende Weiber sich zu diesem Dienste
gemeldet hatten. Die Besoldung wurde daher für die Zukunft
auf 8 Pfund (4 Gulden) Geld, 4 Mütt Kernen, ein halbes
Hundert Holz und 4 Eimer Wein gestellt. Daneben hatten
die Hebammen von einer reichen Frau 10 Schillinge (V4 Gulden
= 47 Cts.), von einer Frau aus dem Mittelstande 5 Schillinge
und von ärmeren Frauen beim ersten Kinde 5 Schillinge, bei
folgenden Kindern 3 Schillinge 4 Heller, von unehelichen
Kindern 5 Schillinge zu beziehen.
Wann der Hebammenunterricht eingeführt wurde, ist
zwar nicht mit Sicherheit nachzuweisen, jedenfalls aber ge-
schah es vor dem Jahre 1554, indem Ruff in der -Vorrede
zu seinem Lebrbuche, das im Jahre 1554 erschien, mittheilt,
dass er die Aufgabe gehabt habe, jährlich etliche Male mit
Jacob Ruf etc. in Zürich. 353
noch einigen anderen Herren (die früher erwähnten obersten
Meister „Jörg Müller und Rudolf Cloter") die Hebammen
zu „verhören", und es ist nicht unwahrscheinlich, dass schon
gleich bei Einführung der Hebammenordnung im Jahre 1536
eine Art von Prüfung oder Unterricht eingefühlt wurde, da
es am Schlüsse der ersteren beisst: es sollen sofort und
auch in Zukunft mehrmals im Jahre die Hebammen ernst-
lich* ermahnt werden, „gut sorg zu haben vnd biderben
Leutlien in allen Treuwen zu thun, dass sie ihnen schuldig
sind," da man ihnen sonst wieder den alten Lohn geben
würde. Einen Leitfaden hatten die Hebammen also noch
nicht, es müsste denn sein, dass Rössltris Buch gebraucht
worden wäre, wovon aber nirgends Erwähnung geschieht.
Wir besitzen zwar allerdings einen Hebammencatechismus,
der in den Acten der Wundschau l) unmittelbar auf die
Hebammenordnung folgt; da sich jedoch derselbe häufig aut
Ruff's Hebammenlehrbuch bezieht, so muss er spateren Datums
sein und wurde wahrscheinlich im Jahre 1554 entworfen, in
welchem Jahre Ruff 's Buch erschien und C. Oessner Stadt-
arzt und mit dem Hebammenunterrichte (oder mindestens der
Oberleitung desselben) beauftragt wurde. — Ruff richtete
daher wahrscheinlich an die Hebammen beliebige Fragen und
gab ihnen dann die nöthigen Erläuterungen. Im Jahre 1554
wurde, wie soeben bemerkt wurde, C. Oessner erster Stadtarzt
und zugleich verpflichtet, wenn es nölhig sein sollte, den
Hebammen und Kreissenden zu rathen und zu helfen und
die Hebammen alle Fronfasten auf die Einladung der dazu
verordneten Commission zu prüfen und zu unterrichten
nach seinem besten Vermögen. Es ist sehr auffallend, dass
dieser Auftrag im selben Jahre an Gessner erging, in welchem
Ruff sein Lehrbuch herausgab, er, der praktische Chirurg,
während Oessner nicht einmal die Chirurgie praktisch studirl
hatte, geschweige, dass er praktische Kenntnisse, d. h. Er-
fahrung in der Geburtshülfe besessen hätte, die, wie wir
gesehen haben, damals zum Theil noch den praktischen
Chirurgen abging. Wir müssen daher annehmen, dass nur
1) Die damalige oberste Medicinalbehörde and zugleich die
ärztliche Behörde des Spitales.
354 XVIII. Meyer- Akren* , Dar Steinschneider Jacob Ruff etc.
die Oberleitung jener Prüfungen an Gessner übergegangen
sei. Vielleicht, dass Ruff durch diese Berufung Gessner's
zum Hebammenexaininator veranlasst wurde, den oben er*
wähnten Catechismus auszuarbeiten.
Dieser Catechismus, der die Hebammenordnung gewisser-
maassen ergänzt, führt den Titel: Frag vnd Antworten So
ein Doctor oder Stattartzet zu Zürich an die Hebammen alle
Fronfasten zu thun, und Sie zu antworten, auch darnach* die
Newangenommenen zu examiuiren schuldig ist. Zuerst examinirt
der Stadiarzt die Hebamme über die Eigenschaften, welche
eine gute Hebamme haben soll. Man forderte von einer
Hebamme, die sich in Zürich anstellen lassen wollte, dass
sie nicht zu alt und nicht zu jung sei, selber Kinder geboren,
wenigstens zwei Jahre sich in ihrer Kunst geübt und von
dem Orte, an dem sie früher ihre Kunst ausgeübt hatte, mit
guten Zeugnissen entlassen worden sei, ferner rousste sie
„woll und geschiklich proportionirt, nicht zu feist, ringfehrüg
und geschickter geberden sein,41 und reine und glatte Hände
haben, „damit Kindenden Frauen noch den Kinden, die sie
empfahen sollend, durch ohn geschickte, ruche, rüdige und
knorrachtige Hand nüt widerfahren möge, noch geletzt werde."
Dann prüft der Catechismus die Hebamme über ihr Benehmen
beim Eintritt in's Zimmer der Kreissenden, die Begrüssung
derselben und der anderen anwesenden Frauen, die erste
Conversation mit der Kreissenden betreffend die Zeitrechnung,
dann die erste Manualuntersuchung und behandelt den ganzen
natürlichen Geburtsvorgang, sowie die möglichen anomalen
Fälle und die dabei zu leistende Hülfe, und endlich die Be-
handlung des Nabelschnurrestes, doch Alles nur im Umrisse,
indem er in Bezug auf die Details beständig auf die be-
treffenden Kapitel des Ruff'schen Lehrbuches verweist. Für
schwierige Fälle wird die Hebamme gemäss der Hebammen-
ordnung angewiesen, beim Stadtarzt Bath zu suchen. Was
aber der Stadtarzt, der nicht einmal praktischer Chirurg,
geschweige Geburtshelfer war, da leisten konnte, ist schwer
einzusehen, konnte doch nicht einmal der Stadtchirurg, der
Verfasser des Hebammenlehrbuches, instrumentale Hülfe leisten,
hatte doch selbst er nur den Hebammen die nöthigen
Instrumente zu leihen und ihnen die Anwendung desselben
XIX. Breslau, Kaiserschnitt bei dehnbarem etc. 355
zu zeigen; wo es sich nämlich um die Beantwortung der
Frage handelt, wie die Hebamme zu verfahren habe, um ein
wegen zu grosser Enge des Beckens während des Geburts-
actes gestorbenes Kind mit Erhaltung des Lebens der Mutter
zu Tage zu fördern, antwortet die Hebamme, nachdem sie zuerst
die medicinische Behandlung des Falles beschrieben hat: „und
ob Ich strauben, Zangen und andere werekzeug bedörffte, es
die noth erforderte, vnd haben müsste, so reich ich solchen
Werekzeug by dem Steinschneider der Statt; der mich solcher
arbeit und würkung berichten sol und handle in all weis
und weg der nothdurfft nach wie ich gelehrt wird, und wie
sich gebührt."
Die weiteren Schicksale des Hebammenwesens und
Hcbammenunterrichtes haben wir in der Biographie Joh.
von Muralts dargestellt.
XIX.
Kaiserschnitt bei dehnbarem osteomalacischem
Becken. Rettung des Kindes. Tod der Mutter
nach zehn Tagen.
Von
Prof. Dr. Breslau in Zürich.
E. Schaufelberger , Frau eines Fabrikarbeiters, wurde
am 14. Januar 1862 Nachmittag gebärend in die hiesige
Entbindungsanstalt gebracht. Was ich von ihrem voraus-
gegangenen Leben, ihren früheren Geburten etc. theils von
ihr selbst, theils von den sie behandelnden Aerzten, den
Herren Leiner und Hürlimcmn erfahren habe, theile ich in
Folgendem mit. Frau S. ist 1829 in Hessen, einem kleinen
Weiler auf dem südöstlichen gegen die Töss sich neigenden
Abhänge des Scheideggberges im Kanton Zürich, zwei Stunden
von ihrem späteren Wohnsitze entfernt, geboren. Hier brachte
sie ihre Jugend zu, in grösster Armuth, wenig- mit anderen
356 XIX. Brealauy Kaiserschnitt bei dehnbarem
Menschen verkehrend und besuchte eine % Stunden von
ihrem Wohnorte entfernte Schule, wohin grundlose Wege
führen, im Winter oft durch mannshohen Schnee bedeckt,
im Sommer durch viele Quellen feucht und sumpfig. Geistig
und körperlich kümmerlich sich entwickelnd, die einfachsten
Nahrungsmittel wie Milch, Kartoffeln, Rüben u. s. w. geniessend
wurde das Mädchen doch gestählt und abgehärtet und fähig,
die späteren Leiden ihres unglücklichen Lebens so geduldig
und so lange Zeit zu ertragen. Sie verheirathete sich an
einen Weber im October 1848, dessen Behandlung nicht die
zarteste und schonendste gewesen zu sein scheint. Das erste
Kind, ein Mädchen, gebar sie im Januar 1849, das zweite,
einen Knaben, im April 1851, das dritte, einen Knaben,
im August 1855, das vierte, gleichfalls einen Knaben, im
März 1859. Diese vier Geburten gingen leicht und regel-
mässig von Statten. Die ersten drei Kinder leben noch, da*
vierte starb an Eclampsie. Im Frühjahre 1859, zu welcher
Zeit Herr Dr. Leiner die ärztliche Behandlung der Familie Seh.
übernahm, wohnte sie in Boden, einem Dorfe auf einer
schmalen Ebene auf der nordwestlichen Seite des Scheidegg-
berges in einer armselig ausgestatteten Hütte, wo kaum den
bescheidensten Ansprüchen des Lebens Genüge geleistet werden
konnte. Vor der zu allen Fugen eindringenden Kälte kaum
geschützt, von Rauch aus einem vielleicht aus keltischer
Vorzeit noch stammenden Kachelofen umgeben, von Ungeziefer
gequält, ihr erbärmliches Lager mit Mann und Kindern
theilend, von Lumpen eingehüllt, in diesem Zustande gebar
Seh. ihr letztes Kind, verbrachte ihr Wochenbett und vegetirte
fast drei Jahre hindurch als Kranke von peinlichen Schmerzen
gequält und doch ihrem Mantie die ehelichen Umarmungen
nicht versagend. Von der letzten Geburt und dem folgenden
Wochenbette datirt die nun ununterbrochen andauernde Er-
krankung. Ziehende Schmerzen im Rücken, in der Becken-
gegend, in den Schenkeln, in den Knieen, Druck in der
Magengegend und massige Respirationsbeschwerden waren die
vor wiegendsten Symptome, wegen welcher erst ein Jahr nach
dem Beginne der Krankheit ärztliche Hülfe nachgesucht wurde.
Die Behandlung gegen einen Symptomen - Complex , der mit
einem chronischen Rheumatismus manche Aehnlichkeit hatte.
osteomalaciflcbem Becken etc. 357
blieb ohne Erfolg. Im Juli 1861 wurde die Kranke in das
Röslibad nahe bei Zürich gebracht., von wo* sie aber schon
nach wenigen Tagen verschlimmert zurückkehrte. Von Anfang
au zog sie die Kniee an den Leib, die Fersen au die Hinter-
backen, bald auf dem Rücken, bald auf einer Seite liegend,
und scheint bei dieser allmälig permanent werdenden starkeu
Adduction beider Oberschenkel die meiste Erleichterung ge-
funden zu haben. Später wurde eine spontane Streckung der
unteren Extremitäten unmöglich, die Muskeln wurden atrophisch,
verkürzten sich, es trat eine Pseudoankylose in beiden Hüft-
und Kniegelenken ein, die selbst einer passiven Streckung
widerstand und das Bild der hohen Verkrüppelung vergrößerte.
Etwa 14 Tage vor Neujahr 1862 verbreitete sich das Gerücht,
Frau Seh. sei neuerdings schwanger. Diese Sage war nur
allzu begründet. Zu allem Elend sollte auch noch dieses
kommen. In 4 — 5 Wochen war die Geburt zu erwarten.
Die Armenbehörde beschloss, die Schwangere in die Gebär-
anstalt zu schicken, was am 14. Januar geschehen sollte.
In den frühen Morgenstunden des 14. Januar zeigten sich
die ersten Wehen, wahrscheinlich angeregt durch einen Tags
zuvor stattgehabten ehelichen Streit, bei welchem noch zum
Abschied Worte mit Händen kräftigst unterstützt worden zu
sein scheinen. Dr. Leiner, zu der Gebärenden gerufen, er-
kannte bald die Unmöglichkeit der Entbindung auf natürlichem
Wege, berieth sich mit den Herren Dr. Hürlimann, Vater
und Sohn, und beeilte sich, nachdem er zuvor noch durch
Narcotica die Thätigkeit des Uterus herabzustimmen gesucht
hatte, die Gebärende auf die nächste Eisenbahnstation auf
einem Wagen bringen zu lassen. Nachmittags gegen 4 Uhr
langte sie in der Gebäraqstalt in Zürich an.
Der Anblick der Unglücklichen war ein höchst bedauer-
licher. Eine durch ein fast dreijähriges Siechthum herunter-
gekommene Person, erschöpft durch Leiden und Entbehrungen
aller Art, angegriJFen durch den Transport und schmerzhafte
Weherrthätigkeit, entkräftet und halb verhungert, zum Skelette
beinahe abgemagert, mit zerzausten Haaren, gelblicher Haut-
farbe, kummervollem, ängstlichem Gesichtsausdruck, stöhnend
und ächzend , unbeweglich und wegen grosser Empfindlichkeit
fast der ganzen Körperobertläche uubeweghar — lag vor
358 XIX. Breslau , Kaiserschnitt bei dehnbarem
unseren Augen, Hülfe und Rettung suchend in einem Augen-
blicke, wo die'Noth am höchsten war. Die Knice waren
dem Unterleibe bis auf wenige Linien genähert, die Fersen
berührten fast die Hinterbacken, die Rippen waren etwas
deform, an einzelnen Stellen wie geknickt, der Thorax kurz,
zusammengedrängt, die Wirbelsaule gerade. Der Unterleib,
87 Centimetres im Umfange, war nur massig ausgedehnt, der
Uterus schien wenig Fruchtwasser zu enthalten, contrahirte
sich häufig, Hess die Lage des Kindes von aussen nicht
bestimmt erkennen. Auf der rechten Seite waren die Fötal-
töne deutlich vernehmbar. Beim Eingehen des Zeigefingers
in die vorgewölbten etwas angeschwollenen Genitalien erkannte
ich sofort die eigenthümliche schlussellochformige Beschaffenheit
des Schambogens gegen seinen Scheitel nach oben zu sich
erweiternd, nach abwärts gegen die einander genäherten
Sitzbeinhöcker so sich verengend, dass ich kaum einen Finger
in die engste Passage einbringen konnte. Weiter nach hinten
gegen die Steissbeinspitze zu war wieder mehr Raum, und
hier konnte ich selbst mehrere Finger so weit in der
Scheide fortbewegen, dass ich den beinahe völlig erweiterten
Muttermund, die während der Wehen sich spannende Frucht-
blase und den hochstehenden ballotirenden Kopf fühlen
konnte. Schon nach den ersten Untersuchungen und nach
einigen an die Gebarende und den sie begleitenden Mann
gerichteten Fragen war kein Zweifel darüber, dass wir es
mit einer Osteomalacie des Beckens zu thun hatten. 1) Bevor
1) Die Osteomalacie gehört im Kanton Zürich durchaus nicht
zu den grossen Seltenheiten. Ich selbst habe unter etwa OOO Ge-
burten seit 37s Jahren zwei exquisite Fälle von .Osteomalacie,
den jetzigen mitgerechnet, beobachtet. (8. die Beschreibung des
ersten Falles in No. 36 der deutschen Klinik, 1869.) Bei einem
dritten Falle von Osteomalacie, den ich im Maiheft der Monats-
schrift für Gebnrtshülfe etc., 1860, veröffentlichte, anerkenne ich
die von Herrn Dr. Winckel in der preussischen Medicimil- Zeitung,
No. 40, 1861, geäusserten Zweifel über die Richtigkeit meiner
Diagnose, und glaube in der That jetzt selbst, dass ich damals
ein rhachitisches, pseudoosteomalacisches- Becken vor mir hatte.
Fällt auch dieser eine Fall von Osteomalacie weg, so bleiben
doch andere genug, welche die relative Häufigkeit dieser Krank-
heit in hiesiger Gegend beweisen. In der anatomischen wie in
osteomalacischem Becken etc. 359
aber eine genauere Bestimmung der Räumlichkeit und des
verengten Beckens vorgenommen wurde, musste vor Allem
die Gebärende etwas restaurirt, erwärmt und beruhigt werden.
Sie erhielt etwas Suppe, Kaffee, Wein.
Diese Zeit benutzte ich, um die studirende mediciniscbe
Jugend zusammenzurufen, einige meiner Collegen, die Herren
BiUroth, Spöndli, Ernst, zu der wahrscheinlich bevor-
stehenden Operation einzuladen und alle nöthi gen Vorbereitungen
für alle Eventualitäten zu treffen. Nach 5 Uhr wurde Frau /Seh.
auf das Gebärbett gebracht. Sie hatte sich ein wenig erholt,
der Puls von ungefähr 100 Schlägen in der Minute war etwas
gehoben, kräftiger, die grosse Aufregung war gemildert. Um
mit Ruhe untersuchen zu können und um nicht von Neuem
beim Eindringen der Finger zwischen die sehr empfindlichen
Schenkel, des Schambogens Schmerzen hervorzurufen, wandte
ich die Chloroformnarkose an. Mein Augenmerk war nun
hauptsächlich auf zwei Punkte gerichtet, auf die Beschaffenheit
des Beckeneingangs und auf die Dehnbarkeit des Becken-
ausgangs. Das Promontorium, stark hervorspringend, war
ohne alle Schwierigkeit mit Einem Finger zu erreichen, während
die Kreuzbeinaushöhlung vertieft der Fingerspitze einen grossen
Spielraum erlaubte. Entsprechend der von aussen fühlbaren,
ja in geringem Grade sogar sichtbaren schnabelförmigen Vor-
treibung der vorderen Beckenwand, konnte ich, wenn ich
den Finger hinter der Urethra gerade in die Höhe brachte,
mich überzeugen, dass die horizontalen Aeste der Schambeine
einander bedeutend genähert waren. Aus allem dem ging hervor,
auch ohne dass ein Beckenmesser mit Zollen und Linien zur
Hand genommen wurde, dass das vorliegende osteomalacische
der geburtshül fliehen Sammlung finden sich ausgezeichnete osteo-
malacische Becken, deren Geschichte aber leider zum Theil
unbekannt ist. Mehrere meiner hiesigen Collegen haben mir
Beobachtungen von Osteomalacie mitgetheilt und auch die auf
meine Veranlassung von Herrn Dr. Diener der Monatsschrift für
Geburtshülfe etc. eingesendete und nächstens erscheinende, liefert
einen Beitrag zur Kenntniss der Osteomalacie im Allgemeinen und
zum Verfolgen ihrer eigenthümlichen geographischen Verbreitung,
die sich, wie es scheint, hauptsächlich in der Richtung von Süden
nach Norden dem Rheine, seinen Seitenthälern und Seitenflü\sM?n
entlang erstreckt.
360 XIX. Breslau, Kaiserschnitt bei dehnbarem
Becken in seiner Grösse und Form die grössten Veränderungen
erlitten habe, und es hätte unter den gegebenen Verhältnissen
kaum ein anderer Gedanke als der an den vorzunehmenden
Kaiserschnitt Platz greifen können, wenn nicht die cautschouc-
artige Dehnbarkeit des Beckenausgangs von mir sowohl
wie von den anwesenden Collegen bei dem hakenförmigen
Einsetzen zweier Finger der rechten und linken Hand an die
Schenkel des Schambogens auf das Unzweifelhafteste gefunden
und wiederholt constatirt worden wäre. Die einander sich
fast berührenden Sitzbeinhöcker konnten bei diesem Manoeuvre
so weit von einander gezogen werden, dass zwei Finger bequem
neben einander Platz fanden. Da drängte sich mir mit aller
Macht die Erinnerung an jene Fälle von Osteomalacie auf,1)
bei welchen die scheinbar grössten mechanischen Hindernisse
durch die Kräfte der Natur allein überwunden wurden, oder
nicht mehr als eine der gewöhnlichen geburtshülflicheu
Operationen, wie Zange, Wendung u. s. w. erforderten. Die
Knochen des Beckenausgangs waren weich, dehubar, wie
verhielten sich die des Beckeneingangs? War es wahrscheinlich,
dass die schon vorhandene Weichheit während der Geburt
noch zunehme, dass der Schädel des Kindes sich wie ein
Keil in die obere Beckenapertur nach Abgang des Frucht-
wassers und bei kräftiger Contraction des Uterus eindränge,
um später allenfalls mit der Zange gefasst zu werden? Konnte
man darauf rechnen, etwa mit der Hand in den Uterus ein-
gehen, die Wendung oder Extraction machen zu können?
Das waren Fragen an das Wissen und Gewissen gestellt und
Augenblicke, in welchen es mir unendlich schwer tiel, eine
Entscheidung in Betreff des geburtshülflicheu Handelns zu
fassen. Man konnte die Hände iij den Schooss legen, nichts
thun, zusehen, wie sich die Umstände im weiteren Verlaufe
der Geburt gestalten werden, man konnte etwas thun, den
Versuch machen, die linke kleinere Hand nach gewaltsamem
Auseinanderspreizen des Beckenausgangs in den Uterus hinein-
zuzwängen, um das Kind auf die Füsse zu wenden und zu
extrahiren, man konnte endlich viel thun, den Kaiserschnitt
in dein günstigsten Stadium der Geburt, am Ende der Er-
1) Cfr. Kilian, Das halisteretiscbe Becken, Bonn 1867.
osteomalaci »ehern BeckoD etc. 36 1
öflhungsperiode bei stehender Blase ausführen. Noch lebte
das Kind, noch konnte mit Wahrscheinlichkeit darauf gerechnet
werden, ein lebendes und lebensfähiges Kind, wenn auch auf
ungewöhnlichem Wege zu extrahiren. Für Erhaltung des
Lebens der elenden Mutter war, wie man sich auch verhalten
mochte, wenig Aussicht. Ging die Geburt auf naturlichem
Wege, sei es mit, sei es ohne Hülfe der Kunst nicht rasch,
nicht sehr glücklich von Statten, wozu gar keine Hoffnung
vorbanden war, so konnte sich der Fall ereignen, dass die
Mutter während der Geburt unentbunden starb oder dass man
später, wenn auch das Leben des Kindes verloren war,
dennoch zum Kaiserschnitt seine Zuflucht hätte nehmen
müssen, unter Verhältnissen,, welche die Chance des Gelingens
bis auf ein Minimum herabgedrückt hätten. Lange Zeit zur
Ueherlegung blieb uns nicht. In jeder Minute konnte die Blase
springen, der wasserarme Uterus sich um das Kind zusammen-
ziehen, Blutung entstehen u. s. w. Ein Eutschluss musste
gefasst werden, und er ging dahin, den Kaiserschnitt un-
verweilt auszuführen, obwohl, ich gestehe es offen, alle
Zweifel über absolute Indication der gefährlichsten aller
Operationen bei mir nicht völlig geschwunden waren.
Bei fortgesetzter Chloroformnarkose, bei welcher un-
angenehmer Weise einige Male Erbrechen auftrat, machte ich,
2" über der Schambeinvereinigung beginnend, von unten nach
aufwärts, links am Nabel vorbei, einen über 6" langen Schnitt
durch die Bauchdecken in der Richtung der Linea alba. Der
Schnitt musste in der Gegend des Nabels etwas vorsichtig
geführt werden, weil sich durch den geöffneten Nabelring eine
kleine pralle Geschwulst 'drängte, welche vielleicht dem Darme
oder dem Netze angehörte. Es zeigte sich aber, dass es
eine mit seröser Flüssigkeit angefüllte Ausstülpung des Peri-
tonäums (vielleicht ein alter Brucbsack) war, ohne jeglichen
weiteren Inhalt, und nun konnte dreist der Schnitt nach oben
verlängert und der blaurothe Uterus blossgelegt werden. Die
Eröffnung desselben geschab durch einen etwa 5" langen
Schnitt genau in der Längsachse und parallel mit der äusseren
Bauchwunde. Die Wand des Uterus war nicht mehr wie
fingerdick, Blutung war sehr massig, keine Arterie spritzte.
Monatuehr. f. OaburUk. ldtt. Bd. XX., Hfl. . 6 24
362 XIX. Breslau, Kaiserschnitt bei dehnbarem
Der Schnitt traf die Placentarstelle nicht Nur wenig Frucht-
wasser floss aus der eröffneten Eihöhle. Das Kind, stark
zusammengekrümmt, präsentirte sich mit der linken Seite.
Linker Arm und linker Fuss drängten sich in die Uterus-
wunde. Zwei Assistenten setzten ihre Zeigefinger in den
oberen und unteren Winkel derselben, um den Zwischenraum
zwischen Uterus und Bauchdecken aufzuheben, beide an-
einander zu halten und das Vordrängen der Eingeweide zu
verhüten.
Das Kind, ein 4% Pfd. schweres, 46 Ctm. langes, der
Reife nahes, kleines, aber wohlgebildetes Mädchen, wurde
an dem linken Fusse schnell und ohne Schwierigkeit aus dem
Uterus entfernt, lebte und schrje augenblicklich. Fast un-
mittelbar, noch vor der Abnabelung, folgte die Nachgeburt
von selbst
Mehrere Darmschlingen und ein Stock des grossen Netzes
drängten sich von den Seiten her trotz angewandter oben
bezeichneter Vorsichtsmaassregel wahrscheinlich in Folge wieder-
holten Brechens und Wilrgens bei der Chloroformnarkose vor
die äussere Bauchwunde, während der Uterus nach Entfernung
des Kindes und der Placenta schnell sich verkleinerte. Es
kostete einige Mühe, die Darmschlingen sammt Netz zu reponiren.
Nach geschehener Reinigung und Entfernung des Blutes durch
Schwämme wurde die Bauchwunde durch die Kuopfnaht ge-
schlossen. Ich bediente mich eines englischen Eisendrahtes und
suchte, mit Ausnahme des Nabels, wo es nicht möglich war,
das Peritonäum zu schonen, dasselbe in die Naht nicht
mitzufassen. Vierzehn Nähte vereinigten die Wundränder. Der
untere Wundwinkel wurde nicht offen gelassen und kein Sindon
eingelegt Streifen von Heftpflaster, obwohl in Bereitschaft
gehalten, konnten entbehrt werden, da die Wunde genau
vereinigt und. keine Spannung bemerkbar war.
Gegen 6 Uhr Abends waren alle Acte der Operation
vollendet. Gleich nachdem die Wöchnerin in ein erwärmtes
Bett gebracht worden, wurde ein kleines Klysma mit 30 Tropfen
Laudanum gegeben, Eiswasser mit Brausepulver, hin und
wieder etwas Wein verordnet Die Wunde wurde anfänglich
nur mit einem m Oel getränkten Lemwandstretfen bedeckt
und vor äusserlichen Insulten durch einen unter der Bettdecke
osteoinalnciftchem Becken etc. 363
befindlichen Holzbogen geschützt. Erst gegen 8 Uhr, nachdem
die Wöchnerin etwas innerlich und äusserlich erwärmt worden,
lim ich die Wunde und deren Umgebung mit in Eiswasser
getauchten Compresscn bedecken, die alle fünf Minuten er-
neuert wurden. Einmal erfolgte noch Erbrechen bald nach-
dem dir Operirte in ihr Bett gebracht worden war. Blut
und blutgemisebte Flüssigkeit floss in massiger Menge beim
Erbrechen und später bei Husten und Würgen zwischen den
Eisendrahtnähten hervor. Aus der Chloroformnarkose, die
fast eine Stunde gedauert hatte, vollständig erwacht, war sich
die Seh. dessen, was mit ihr vorgegangen, nicht bewusst.
Sie fühlte sich schwach, klagte über Frost und heftigen
kaum zu löschenden Durst, über etwas Brennen und Stechen
in der Wunde, besonders beim Athemholcn. Der -Puls, 112 Mal
in der Minute, war klein, leicht zu comprimiren, die Gesichts-
züge waren entstellt wie vor der Operation, verriethen grosse
Aengstlicbkeit und Aufregung. Von 8 Uhr Abends an wurde
halbstündlich ya gr. Opium gegeben, im Ganzen 3l/2 gr. Gegeu
Mitternacht stellte sich etwas Ruhe und Schlaf ein.
15. Januar. Mehrmals war in der vorangegangenen Nacht
Neigung zum Erbrechen, gegen Morgen ein Mal Erbrechen
üüssigen Schleimes eingetreten. Um 8J/2 Uhr nach einem
Versuche etwas Kaffee zu nehmen, neuerdings Erbrechen.
Extremitäten waren kühl, Puls 108. Urin wurde mit dem
Katheter entleert. Als Unterlage wurde ein mit warmem
Wasser gefülltes Cautchouckissen gegeben«
Nach 12 Uhr neuerdings Brechneigung und mehrmals
Erbrechen schwach grünlich gefärbter Flüssigkeit. Therapie:
Eiswasser, Eispillen. Brausepulver, Malagaweiu, Liq. auodyn.
Hoffm. mit Laudan. liq. stündlich 10 Tropfen; eis -kalte Um*
schlage auf den Unterleib.
Abends 6 Uhr Erbrechen und Uebelkeit haben auf-
gehört. Die Kranke ist ruhiger, ja mitunter selbst heiter.
Rührend war ihre Dankbarkeit für die Pflege und Aufmerk-
samkeit, die man ihr schenkte. Sie war daran nicht gewöhnt
und äusserte sich öfters, dass sie nicht wisse, wie sie so
viel Gutes verdiene und wie sie es vergelten solle. Wunde sieht
gut aus; zwischen den Wund rändern fast kein Ausfluss.
Schmerzen gering. Beginnender Meteorismus. Zunge rein,
24*
364 XIX. Breslau , Kaiserschnitt bei dehnbarem
nicht trocken. Puls 120, etwas gehoben. Therapie: drei
balbgränige Opiumpulver.
16. Januar. Morgens. Die Nacht verlief ziemlich gut;
zwar wenig Schlaf, doch hin und wieder Schlummer, Ruhe
und mehr Behaglichkeit. Kein Erbrechen. Wenig Schmerzen.
Wunde ohne Secretion, kantenförmig zugespitzt. Unterleib
etwas mehr tympanitisch , aber ohne besondere Spannung.
Lochien normal, Brüste wenig geschwellt, enthalten nur Spuren
von Milch. Zunge rein. Starker Durst Puls 108, massig
kräftig. Aussehen und Gemu thsstimmung befriedigend. Hier
und da nimmt die Kranke etwas Suppe, Wein, und scheint
dies gut zu vertragen.
Therapie: Einfaches Klysma, Laudan. liq. mit Liq. anodyn.
Hoffm. stündlich 10 Tropfen, Eiswasser, Eispillen etc.
Abends. Extremitäten warm. Kein Erbrechen. Kein
Stuhlgang, kein Abgang von Flatus. Meteorismus vermehrt.
Gegen , 11 Uhr Nachts. Bei grösserer Spannung und
Empfindlichkeit ' des Unterleibs mehrmals Erbrechen grünlich
gefärbter Flüssigkeit. Von 12 — 3 Uhr Morgens leichter Schlaf.
Von 4 Uhr an wiederum nauseose Bewegungen und öfteres
Erbrechen.
17. Januar. Morgens. Decomposition der Gesichtszüge.
Unruhe, fortwährende Ueblichkeit, anhaltendes Erbrechen;
grosser, unstillbarer Durst. Der ausserordentlich reizbare
Magen gab alles Genossene, selbst das Eiswasser wieder von
sich. In dem Erbrochenen fanden sich ganze Knäuel von
Spulwürmern. Unterleib ziemlich stark aufgetrieben, obere
Wund winkel sehr schmerzhaft; zwischen den Nähten geringe
eiterige Secretion. Keine Stuhlentleerung, kein Gasabgang.
Kräilezustand verhältnissmässig gut, Puls 108, Extremitäten
bisweilen kühl, Lochien normal.
Therapie: Das erschöpfende Erbrechen zu stillen, den
Darm nach unten frei zu machen, wurde nun durch eine
Reihe von Mitteln angestrebt, und dabei li«ss man nicht ausser
Auge, die Kräfte aufrecht zu erhalten, zu beruhigen und örtlich
antiphlogistisch zu wirken. Schwarzer Kaffee, feiner alter
Rheinwein (Geschenk aus dem Hotel Baur). Tr. moschata,
Tr. nuc. vomic. versuchten wir nach einander. Durch ein
langes elastisches Rohr ward ein Klysma von kaltem Wasser
osteomalftcischem Becken etc. 365
applicirt. Alles umsonst. Mit mehr oder weniger Intensität
dauerte das Erbrechen fort und kein Stuhlgang erfolgte. Gegen
Abend wurde ein Klysma mit 40 gtt. Laudanum zurückbehalten
und es trat etwas Schlaf ein.
18. Januar. Gegen Morgen wieder häufigeres Erbrechen.
Die erbrochenen bis jetzt grünlichen Massen werden heller,
sind hin und wieder mit geronnener Milch gemengt, die gestern
Abend von der Kranken genossen wurde. Puls 120, von
massiger Stärke, Wangen eingefallen, Zunge in der Mitte
etwas trocken, schwach gelblich belegt. Schmerzen selbst
bei sanfter Berührung der Beckenknochen, Schmerzen bei der *
geringsten Bewegung und beim Umbetten. Die Kranke liegt
immer auf einer Seite, nie auf dem Rücken. Schenkef sind
stets an den Leib gezogen. Der übrige Zustand wie gestern.
Therapie: Klysma mit 30 Tropfen Laudan.-, im Laufe des
Vormittags elastisches Rohr so hoch wie möglich bis über das
Promontorium eingeführt und mit einer kräftigen Spritze kaltes
Wasser in den Mastdarm injicirt. Kalte Umschläge auf den
Unterleib werden weniger häufig als bis jetzt gemacht und
Abends mit warmen Kataplasmen vertauscht. Auf die Magen-
gegend, die am meisten . empfindlich ist, wird ein kleines
Vesicans gelegt, um Morphium einstreuen zu können.
Abends. Erbrechen fast ununterbrochen. Die Kranke
hat beständig neben sich eine Schüssel stehen, um das Er-
brochene aufzufangen. Grosse Müdigkeit und doch keine Ruhe
zu finden. Puls 140, klein. Auftreibung, Empfindlichkeit,
spontane Schmerzen im Abdomen sind massig. Lochien ziem-
lich reichlich. Urin muss mit dem Katheter entleert werden.
Therapie: Emulsio oleosa föj. mit 3/3 Tr. op. simpl.
und gr. iv. Mosch, wird auf drei Mal in den Mastdarm injicirt.
Innerlich wird fast gar nichts ertragen. Hier und da nahm
die Kranke einen Schluck Wasser mit Wein, Kaffee, Milch
oder Limonade.
19. Januar. Allgemeiner Zustand etwas besser. Nacht
war ruhiger, Erbrechen seltener, wenn gleich immer wieder-
kehrend. Puls 128, kräftiger. Bewundernswerthe Zähigkeit
und Widerstandsfähigkeit der Kranken, die schon gestern dem
Tode nahe war und momentan sich wieder erholte. Noch
immer kein Stuhlgang. Die Unthätigkeit des Darmes musste
366 XIX. Breslau, Kaiserschnitt bei dehnbarem
einen mechanischen Grund haben. Das Hinderniss konnte in
einer Einklemmung in die Uteruswunde, in die Bauchwunde
bestehen , es konnte durch die Reposition eine Achsendrehung,
ein$ Verschlingung entstanden sein. Wie aber den Darm
wegsam machen? Etwa durch eine Laparotomie oder durch
eine Enterotomie? Durch AufLrennung der Bauch wunde, durch
Aufsuchen der eingeklemmten Darmschlinge oder durch An-
legung eines künstlichen Afters? Gewagte Unternehmen, die
weder ich noch Prof. Bülroth, den ich zu Rathe gezogen
hatte, verantworten zu können glaubten, oder man durch
eintüchtiges Laxans, etwa gar durch den Mercuritis virus,
suchen sollen, den Darm in energische Thätigkeil zu versetzen
und ihn aus seiner Klemme zu befreien? Unmöglich,
denn alle, auch die beruhigendsten, mildesten Medicamente
wurden sofort wieder erbrochen. Eines war noch zu ver-
suchen. Ein Infus. Senn, conipos. von 5 Unzen wurde in
Forin eines Klysma gegeben. Nach drei Stunden ging es
ohne den gewünschten Erfolg wieder ab. Erbrechen den
ganzen Tag hindurch. Auch Champagner mit Eis wird nicht
vertragen. Ebenso ging es mit einer Medicin, bestehend aus
Liq. Ammon. anisal. mit Aq. Cinnam. In die Vesica torwunde
in der Magengegend wurde Vagr Morph, muriat. eingestreut.
Die Kräfte sinken zusehends. Gegen Abend wurde ein Klysma
von Bouillon mit zwei Eidodern gegeben. Die Kranke
schlummert hier und da. Mund und Augen sind halb geöffnet.
Respiration fast aussetzend, manchmal nur vier bis fünf Atem-
züge in der Minute.
In der Nacht vom 19. bis zum 20. Januar ging das Klysma
von gestern Abend wieder ab; mit demselben eine Spur von
Fäcalmasseu und einige Flatus, worauf eine Spur von Er-
' leichterung.
20. Januar. Beiiiiden relativ gut. Haut warm. Puls 120.
Zunge reinigt sich wieder. Durst geringer, Erbrechen weniger
häufig und weniger heftig. Obere Wundwinkel etwas geöffnet ;
Wunde sieht gut aus, eitert wenig. Um die Stichkanäle
leichte, circuuiscripte Röthe. Gegen Abend Verschlimmerung.
21. Januar. Heisse, trockene Haut. Puls 120, schwach.
Zunge trocken. Erbrechen häufig. Mehr Schmerzeu im
Epigastrium. Meteorismns verdeckt die gewöhnliche Dämpfung
osteomalncischem Becken, etc. '367
.der Leber, geht unmittelbar in den Lungenton über. Einige
Nähte dem Durchschneiden nahe; der obere Wund winkel klafft
etwas. Was auch immer versucht wird, um das Erbrechen
zu stillen und Stuhlgang hervorzurufen, ist ganz erfolglos.
Klysmata mit Bouillon, Eidottern und Opium scheinen allein
das Leben zu unterhalten; die Schmerzen werden durch
endermatische Anwendung von Morphium gelindert
22., 23., 24. Januar. In den letzten Tagen blieb der
bedauernswerthe Zustand so ziemlich der gleiche. Bald mehr
Collapsus, bald wieder etwas Reaction. In den letzten
36 Stunden war die Kranke bewusstlos, soporös. Stinkender
Ausfluss zeigte sich aus deu Genitalien. Jumentöser, alkalischer
Urin floss unwillkürlich ab. Erbrechen wurde gegen das
Ende zu seltener. Extremitäten erkalteten vom 24. Januar
Mittags an. Puls wurde unfühlbar. Abends 7 Uhr, gerade
10 Mal 24 Stunden nach der Operation, trat endlich der
Tod ein. Einige Nähte waren in den letzten Tagen aus der
Wunde entfernt worden, und der obere klaffende Theil, unter
welchem sich eine seröse verdickte, getrübte Haut zeigte,
wa*r durch Heftpflaster zusammengezogen.
Section 17 Stunden nach dem Tode.
Das Gewicht der Leiche beträgt nur 51 eidgenossische
Pfunde = 25500 Grammes. Sie ist zusammengekrümmt, die
Stellung der unteren Extremitäten fast wie bei der Lebenden.
Unterschenkel sind gegen die Oberschenkel fast spitzwinkelig
im Kniegelenk gebeugt; Oberschenkel sind dem Unterleibe
bis auf einige Zolle genähert. Streckung gelingt auch bei
starker Anwendung von Kraft nur wenig. Die Länge der
Leiche beträgt 126 Centimetres. Die unteren Rippen sind in
der Gegend ihrer grössten Wölbung etwas eingesunken.
Röhrenknochen sind gerade. Die letzten Lendenwirbel sind
lordotisch, an dem übrigen Theile der Wirbelsäule ist keine
Verkrümmung wahrnehmbar. In grellem Contrast zu dem
abgemagerten Körper mit fettloser welker gelblicher Haut
stehen jüe üppigen, dunkeln schwarzen Haare. Die Muskeln
der unteren Extremitäten, vorzüglich vom Knie abwärts, sind
in hohem Grade atrophisch.
Schädelhöhle. Das Schädeldach ist von abnormer
Dicke und Consislenz, an einzelnen Stellen 1 Centiiuetre dick
368 XIX. Breslau, Kaiserschnitt bei dehnbarem
und die Diploö sklerosirt, tbeilweise so hart wie Elfenbeto.
Auf der Innenwand ist die bekannte puerperale Osteophyt-
bildung nicht bemerkbar. Es findet sich reichliche Menge
von Cerebrospinalflüssigkeit, schwaches Oedem der. Pia Mater.
Die Gehirnsubstanz ist zäh, glänzend, anämisch. Auf dem
Boden des rechten Seitenventrikels, dem rechten Thalamus
nerv, optic. angehörend, ist eine circa Fünf- Centimes -Stück
grosse, etwas in die Tiefe dringende, graulich weisse, gelatinös
erweichte Stelle. Der übrige Befund im Gehirne bot nichts
Bemerkenswertlies.
Brusthöhle. Linke Lunge zurückgesunken, gut luft-
haltig, der untere Lappen reich an Blut. Au diesem finden
sich einige oberflächliche subpleurale Ecchyuiosen. Sein Pleura-
überzug ist trüb und von einigen frischen Faserstoffitacken
belegt Kein flüssiges Exsudat in der Pleura. Rechte Lunge
in ganzer Ausdehnung durch alte Adhäsionen mit der Coslal-
pleura verwachsen. Der untere Lappen wölbt sich ganz über
das bis fast zur dritten Rippe heraufgedrängte stark convexe
Zwerchfell herüber, unter welchem die nach hinten geschohene
und um ihre Querachse gedrehte Leber vollständig verborgen
ist. Der nach vorn vorgezogene vordere freie Rand des
rechten unteren Lungenlappens ist nur durch das dünne
Zwerchfell von dem darunter liegendem Colou Iransversutn
getrennt, und es erklärt sich aus diesem fast unmittelbarem
Angrenzen der lufthaltigen Lunge an einen ausgedehnten gas-
haltigen Darm, dass mehrere Tage vor dem Tode (s. oben
21. *Januar) keine Leberdämpfung gefunden werden konnte,
sondern der sonore Lungenton unmittelbar in den tympaniüschen
Darmton überging. In dem unteren Lappen der rechten Lunge
finden sich einige erbsengrosse Höhlen mit kreideartigem
Inhalte. Die ganze Lunge ist blutarm, trocken, lufthaltig.
Im Herzbeutel eine kleine Menge seröser Flüssigkeit; das
Herz klein, schlaff, zeigt an der Spitze einige alte Sehnen-
flecke. JMuskelfleisclt dünn, von normaler Farbe und Consislenz.
Klappen normal.
Bauchhöhle. Länge der Bauchwunde beträgt 6" 2".
Die meisten Eisendrahtnähte liegen noch. Eine Heilung ist
nur an dem unteren Wundwmkel in einer Länge von 1" 3'"
und in der Gegend des Nabels in einer Ausdehnung von 6 — 8"
osteomaUcischtm Becken eto.
erfolgt Die übrigen Stellen zeigen nach Herausnahme der
Nahte durchaus keine Vereinigung, sondern klaffen auseinander.
Die Wunde, von innen betrachtet, bildet einen nach vorn
ausgebuchteten Sack, an welchen sich das grosse gerunzelte,
verdickte Netz von oben bis gegen das untere Drittheil anlegt.
Das untere Drittheil wird von einer Dünndarmschlinge bedeckt.
Netz und Darmschlinge sind mit der parietalen Oberfläche
der vorderen Wand des Peritonäums verklebt, können aber
ohne Schwierigkeit abgelöst werden, ohne dass eine Zerreissung
stattfindet und sind nirgends in die Wunde incarcerirt oder
eingenäht Da wo die Wundränder aneinanderstossen, bestehen
die Weichtheile aus fettarmer Haut und der nicht mehr deutlich
erkennbaren, sehr verdünnten aponeurotiscben Linea alba. Das
durchschnittene Peritoneum ist mit Ausnahme des unteren
Wundwinkels und des verheilten Nabels an der Wunde gar nicht
betheiligt, sondern mit den geraden Bauchmuskeln, an diese
anliegend, seitwärts so weit zurückgezogen, dass der Zwischen-
raum zwischen den Rändern der peritonealen Schnittwunde
wenigstens 2" beträgt
Sämmtliche Darmschlingen sind in massigem Grade
tympanitisch aufgetrieben und unter einander sowohl wie mit
der Bauchwand vorn und seitlich verklebt. Es finden sich
zwischen den verklebten Darmschlingen zahlreiche, grössten-
teils nur nussT- bis eigrosse abgeschlossene Heerde, deren
Inhalt an den wenigsten Stellen ein dicker, rahmartiger Eiter,
an den meisten Stellen ein grünlich- gelbes, flockiges Serum
ist Nirgends, auch nicht in der Tiefe des Beckens, ist
freies flüssiges oder fibrinöses Exsudat, und von frischem
oder verändertem, frei ausgetretenem Blute ist nichts wahr-
zunehmen. Das parietale Blatt des Peritonäums und das
viscerale der Leber und der Milz ist trüb, stellenweise ver-
dickt und von Fibrinaullagerungen überzogen. Die Leber ist
stark fetthaltig, brüchig, morsch. Die Milz klein, atrophisch;
der Magen, stark contrahirl, enthält nur wenige grünlich-
schleimige Flüssigkeit; die Magenschleimhaut gefaltet, hier und
da mit hämorrhagischen Erosionen bedeckt Nieren sind klein,
blutarm, von normalem Gefüge.
Gegen die linke Darmbeingrube gewahrt man nach Zurück-
legung" einiger bedeckender Darmschlingen den nach links
370 XTX. Breslau, Kaiaer*chnitt bei dfebnbarem
geneigten fauslgrossen Uterus. In seiner Schnittwunde, deren
Ränder in der Mitte 1V2" von einander entfernt sind» liegt
eine der untersten Dünndarmschlingen. Sie ist ringsum mit
, den Schnitträndern verklebt und ragt in die Höhle des Uterus
hinein. Ihr seröser Ueberzug ist missfarbig, aber nicht in
dem Grade, wie dies bei stark incarcerirten Hernien vor-
zukommen pflfegt. Muscularis und Schleimhaut sind nicht
erweicht, nicht durchbrochen. Der Uterus selbst ist mit der
linken Beckengegend und auf der linken Seite mit der vorderen
Bauchwand verklebt Ovarien und Tuben, in fibrinöse Exsudat-
masse eingehüllt, sind mit Uterus und Umgebung verfilzt.
Die Scbnittränder des Uterus sind von einem röthlich- gelatinösen
Exsudat bedeckt; der Schnitt ist vollständig in der Mittel-
linie 3" 9'" (Par. Maass) lang, erstreckt sich von der Gegend
des inneren Muttermundes nach aufwärts, wo er 5'" vom
Grunde des Uterus entfernt endigt Legt man die klaffenden
Wundränder des aus der Leiche genommenen Uterus an-
einander, so beträgt seine grösste Höhe vom äusseren Mutter-
munde bis zum Grunde 6" 3'", seine grösste Breite in der
Gegend der Ansatzpunkte beider runder Mutterbänder 3" 6W.
Die Muscularis ist 3 — 5'" dick. Dem Schnitte gegenüber,
somit an der hinteren Wand des Uterus, ist die Placentar-
stelle, in grosser Ausdehnung durch etwas vorragende
thrombosirte Gefassstümpfe sich auszeichnend. Nach unten
gegen die Cervicalhöhle zu ist etwas rölblicbbruune zer-
setzte Lochialflüssigkeit angesammelt und einzelne kleinere
Stellen der unteren Parthie der Uterusschleimhaut zeigen
eine diphtherische Infiltration. Weder in der Muscularis des
Uterus noch gegen das Peritonäum findet sich eiterige oder
eiterartige Flüssigkeit Keine Phlebitis, keine Lymphangoitis.
Scheide und Blase sind inlacl. k» rechten Ovariuin ist ein
mehr als erbsengrosses Corpus luteum. Das linke Ovarium
ist geschrumpft, hart, von zahlreichen tief eingezogenen
Narben durchsetzt
Das Becken, mit fünf Lendenwirbeln und dem obersten
Drittheil der Oberschenkel aus der Leiche genommen, habe
ich nicht in der gewöhnlichen Weise uiacerireu uud trocknen
lassen, sondern frisch seiner Weicbtheile entkleidet und in
verdünntem Weingeiste aufbewahrt, in welchem seine ph>saka-
esteomalacischera Becken «te. 371
liscben Eigenschaften fast unverändert fortbestehen. Was diese
betrifft, so ist die Leichtigkeit, Weichheit und Dehnbarkeit
seiner Knochen hervorzuheben. Das präparirte Becken, an
welchem sich noch alfe Bänder, aber keine Muskeln befinden,
wiegt 1500 Grammes. Seine sämmllichen Knochen, auch die
letzten Lendenwirbel, aber nicht die Oberschenkelknochen,
sind so weich, dass man sie mit einer starken Nadel oder
einem spitzen Bistouri ohne Schwierigkeit durchstechen
kann und lassen sich mit einem scharfen Bistouri nach allen
Richtungen schneiden. !) Am weichsten sind die Schaufeln
der Darmbeine, der letzte und vorletzte Lendenwirbel, die
absteigenden Aeste der Schambeine und die aufsteigenden
Aesle der Sitzbeine. Die Dehnbarkeit, deren ich schon oben
bei der Geburtsgeschichte Erwähnung gethan, zeigt sich auch
jetzt in ausgezeichneter Weise, wenn man zwei Finger an
die einander genäherten Sitzbeinhöcker einsetzt und den Recken-
eingang aiiseinamWziehl. Wendet man eine bedeutende
Kraft an, so kann man die nur 8'" von einander entfernten
' Sitzbeinhöcker bis auf nahezu 3" vou einander bringen.
Sobald man mit dem Zuge nach auswärts aufhört, so nähern
sich die Sitzbeinhöcker einander wieder. Diese Theile des.
Beckenausgangs lassen sich bis zur gegenseitigen Berührung
durch einen massigen Druck von beiden Seiten einander
nähern. Lässt der Druck nach, so entfernen sich die Theile
wieder und kehren zur früheren Distanz zurück. Man kann
diese Eigenschaft des Reckens nicht mit Dehnbarkeit oder
Weichheit oder Biegsamkeit genügend bezeichnen, sondern
man niuss sagen: „das Recken federt, das Recken ist
plastisch." Im frischen Zustande war diese Elasticitat am
ausgesprochensten, jetzt nachdem das Becken schon mehrere
Monate in Spiritus gelegen ist, tritt diese Eigenschaft weniger
deutlich und weniger rasch hervor. So oft ich auch diese
Elasticitat geprüft habe, schien es mir immer, als ob sie
nicht allein den Knochen des Beckenausgangs, sondern auch
1) Was die histologische and chemische Beschaffenheit der
Knochen unseres Beckens betrifft, so verweise ich auf die nach-
folgenden Bemerkungen von Prof. Frey t de*, meiner Aufforderung
Folge leistend, sehr schwierige, aber auch desto lohnendere
Untersuchungen unternahm.
372 XIX. Breslau, Kaiserschnitt bei dehnbarem u
der Schambeinsymphyse und ihren Bändern zu verdanken sei.
Eine Dehnbarkeit und Elasticität des Beckeneingangs ist nur
in ganz geringem Grade wahrzunehmen. Ich bin nicht im
Stande, den Beckeneingang, von welcher Seite und in welcher
Richtung ich es auch versuchen mag, viel zu verändern und
die einander an einer Stelle bis auf 4'" genäherten dicken,
horizontalen Aeste der Schambeine um mehr als einige Linien
von einander zu trennen. *) Die Gestalt des Beckens ist die
allgemein charakteristische aller hochgradiger osteomalacischer
Becken, und es wurde nichts als eine Wiederholung zahl-
reicher da und dort niedergelegter Beschreibungen sein,
wollte ich es unternehmen, auch für diesen Fall ein Bild
der Form zu entwerfen. Von grösserem Interesse dürften die
wichtigsten Maasse des Beckens sein.
A. Beckeneingang.
1) Conjugata vera 2" 6W (Pariser Maasse
2) Conjugata falsa. Linie vom Promontorium in gerader
Richtung nach vorn bis zu einer die bis auf 4'" ge-
näherten Punkte der horizontalen Schambeinäste quer
verbindenden Linie, d. i. derjenige Raum, welcher allen-
falls zur Einstellung des kindlichen Schädels in gerader
Richtung hätte verwerthet werden können: 1" 3'".
3) Querer Durchmesser 3'' 6'".
4) Rechter schräger Durchmesser 3 "-5'".
5) Linker schräger Durchmesser 3" 6'".
6) Linke und rechte Distancia sacrocotyloidea 1" 6"'.
1) Diese directe Wahrnehmung, über das ungleiche Verhalten
des Becken ein gang« nnd Beckenausgangs in Bezug auf Dehnbarkeit
bestätigt, dass die Zweifel, die ich bei meinem ersten Falle von
08teomalacia cerea (s. Deutsche Klinik, 1869, No. 36) aas-
gesprochen habe, vollkommen in der Natur der Sache begründet
sind. Meine Worte daselbst heissen: „. . . . Aus der gefundenen
Dehnbarkeit des Scbambogens konnte ich nur mit einiger Wahr-
scheinlichkeit, aber keineswegs mit Gewissheit eine gleiche
Beschaffenheit der Knochen des Beckeneingangs annehmen.
Diese Ungewissheit wird bei allen Füllen gleicher Art gleich
gross sein und ist um so störender für die Beurtheilnng des
Falles, als es doch zunächst darauf ankommen muss, die Möglich-
keit des Eintritts des Kindes in das Becken tn's Auge eu fassen.
osteoraalacischera Recken etc. 373
B. Beckenmitte.
1) Gerader Durchmesser 4" 9'" (grösste Tiefe der Kreuzbein-
aushöhlung).
2) Querer Durchmesser 2" 10'".
C. Beckenausgang.
1) Gerader Durchmesser 3". .
2) Querer Durchmesser 8'".
Die Höhe der Schambeinsymphyse beträgt: 1" 10 m. ,
Die Entfernung des Promontoriums von der Steissbein-
spitze beträgt: 2" 3".
Misst man die Peripherie des Beckeneingangs mit einem
Schneid ermaasse, so erhält man 13" 2'" oder 35l/a Ctm.,
somit 5 — 7 Ctm. weniger, als sie bei einem normalen weib-
lichen Becken zu betragen pflegt. Dies, ist ein Punkt, auf
welchen ich die Aufmerksamkeit meiner Fachgenossen hin-
zuleiten, nicht umhin kann. Die beträchtliche Verminderung
der Peripherie des Beckeneingangs beweist nämlich am
augenscheinlichsten , dass das Becken nicht einfach zusammen-
gedrückt, oder wie man es sich auch vorstellen kann, in
Falten gelegt ist, sondern es hat gleichzeitig mit der Ver-
legung der Beckenknochen eine Schrumpfung, eine Ver-
kleinerung und Atrophie stattgefunden. Würde man dem
Beckeheingauge seine frühere Gestalt durch Ausbiegen seiner
winkeligen Buchten wiedergeben können, so hätte man doch
nicht das frühere geräumige Becken, sondern ein allgemein
zu kleines Becken, ein Becken in verjüngtem Maassstabe, durch
welches, wenn es noch mit Weichtheilen bekleidet ist, ein
kindlicher Schädel, dessen mittlerer Umfang etwa 35 Ctm. beträgt,
natürlich nur mit der grössten Schwierigkeit oder nur verkleinert
durchzutreten vermöchte. Nicht bei allen osteomalacischen
Becken findet sich eine so ausgesprochene Schrumpfung des
Knochengewebes. In der hiesigen geburtshülflichen Sammlung
ist ein hochgradig osteomalacisches Becken mit sehr gracilen,
dünnen Knochen, bei welchem die Peripherie des Eingangs
44 Ctm. misst. Die Entbindung konnte, bei diesem Becken
durch die Wendung von Herrn Dr. Spöndli Sohn vollendet
werden. Bei einem anderen osteomalacischen 'Becken, an
welchem von meinem Vorgänger, Herrn Prof. Spöndli Vater,
374 XIX. Breslau , Kaiserschnitt bei dehnbarem
im Jahre 1844 der Kaiserschnitt gemacht wurde, misst freilich
die Peripherie des Eingangs auch nur 36 Ceutimetres.
Dass Becken mit so bedeutender allgemeiner Schrumpfung,
selbst wenn sie in höchstem Grade weich und dehnbar sein
sollten , immerhin noch ein bedeutendes mechanisches Hinder-
niss abgeben müssen, bedarf keiner weiteren Erörterung.
Die Dehnbarkeit kann nur dann von entschiedenem Vortheile
sein , wenn durch sie die gewöhnliche Geräumigkeit des Beckens
ganz oder nahezu wiederhergestellt werden kann.
Mögen mir schliesslich noch ein paar epikritische Be-
merkungen erlaubt sein, die sich mir bei einer Rückschau
auf die Operation und deren unglücklichen Ausgang ergeben.
1) Der Kaiserschnitt war *-- es kann jetzt kein Zweifel
. mehr darüber sein — absolut indicirt. Wenn es überhaupt
möglich war, das Leben der Mutter zu retten, so konnte es
am Ende der Schwangerschaft nur durch diese Operation und
durch keine andere gescheiten. Nur durch einen künstlichen
Abortus oder eine künstliche Frühgeburl in einer sehr frühen
Zeit, etwa um die 28. Woche, hätte der Kaiserschnitt um-
gangen werden können.
2) Die Operirte erlag einer subacut verlaufenden Peritonitis,
deren Ursache wahrscheinlich in der massigen Incarceration
einer Dünndarmschlinge in die Uteruswunde zu suchen ist
3) Es ist nicht zu entscheiden, ob bei der Reposition
der vorgefallenen Darmschlingen eine derselben in die nicht
geschlossene Uterus wunde gedrängt wurde, oder ob sie von
selbst während einer Wiederausdehnung des sich involvirenden
puerperalen Uterus in dessen Wunde eingesunken ist. Würde
nur einige Sicherheit für die erste der beiden Möglichkeiten
vorhanden sein, so würde ich in einem künftigen Falle darauf
bedacht sein müssen, die Reposition vorgefallener Darm-
schlingen, die man sich natürlicher Weise zu machen beeilt, —
langsam, vorsichtig und erst nach vollständiger Contraction
des durch den Schnitt eröffneten Uterus zu machen oder ich
würde selbst an die Vereinigung der Schnittwunde des Uterus,
wozu schon öfters gerathen wurde (z. B. von Lebas), etwa
durch einige Silberdrähte denken.
4) Die 'in den ersten Tagen des Wochenbetts durch-
geführte Behandlung mit grossen Gaben von Opium ist fflr
oiteomalacischem Becken etc. „ 375
den weiteren Verlauf der Krankheit wahrscheinlich nachtheilig
gewesen, indem sie die peristaldschen Bewegungen der Darm-
schlingen sistirte und die Verwachsung einer Dünndarmschling«
in die Wunde des von Tag zu Tag sich immer mehr und mehr
verkleinernden und verengenden Uterus begünstigte. Vielleicht
wäre der Verlauf ein günstiger gewesen, wenn gleich im
Anfange ein drastisches Abführmittel gereicht worden wäre,
welches eine kräftige Bewegung des Darmes und eine Selbst-
befreiung aus seiner Klemme hätte zur Folge haben können.
5) Das absichtliche Nichtmitfassen des Peritoneums in
die Naht, welches in neuester Zeit von Dr. Gliszinsky l) als
sehr empfehlenswert hervorgehoben wurde, schein! für den
späteren Erfolg nicht vorteilhaft, weil sich die geraden
Bauchmuskeln, zwischen welche sich Darmschliugen und Netz
vordrängen, von einander weit entfernen, wodurch der Schutz
für die Eingeweide, wenn es wirklich zur Heilung der nur
aus Haut bestehenden Bauchwunde kommt, ein zu geringer
wird und unfehlbar zu grossen Hernien der Linea alba führt.
Ich. werde* wenn ich wieder (Gelegenheit finde, einen Kaiser-
schnitt zu machen, tief durchstechen, die geraden Bauch-
muskeln aneinanderziehen, das Bauchfell mitfassen und es
darauf ankommen lassen, durch diesen allerdings grösseren
Eingriff das Bauchfell in einen stärkeren Zustand von Reizung
und Entzündung zu versetzen.
6) Das Vereinigen der äusseren Wunde durch Eisendrähte,
meines Wissens in unserem Falle zum ersten Male angewendet,
hat einige Vortheile gegenüber der gewöhnlichen Methode zu
nähen, aber auch einige Nachtheile. Zu den Vortheilen rechne
ich die geringe Reaction in den Stichkanälen, die geringe
Neigung zu Eiterung, und daher die Thunlichkeit, die Metall-
drähte länger unberührt liegen zu lassen, als Fäden oder
Bändchen ' aus Seide. Zu den Nachtheilen rechne ich das
missliche Auflegen und Abnehmen von Corapressen und
Verbandstücken auf die durch Metalldrähte geschlossene Wunde,
indem man beim Wechseln des Verbandes an den immer
etwas vorragenden spitzen Enden der abgeschnittenen Drähte
leicht hängen bleibt, Schmerzen verursacht und die Wunde
1) Monatsschr. f. Geburtöh., HJ. XVII.
276 XIX- Breslau, Kaiserschnitt bei dehnbarem etc.
und deren Umgebung zerrt. Ein weiterer Nachtheil ist noch
dann gegeben, wenn die Drähte entfernt werden. Dieser Act
geschieht stets, so biegsam auch die Drähte sein mögen, mit
einiger Schwierigkeit, ist schmerzhaft und kann, wenn die
Wundränder noch nicht innig mit einander verwachsen sind,
ein Wiederaufgehen zur Folge haben. Weitere Erfahrungen
müssen, erst vollgiltig über den Werth der Metalldrähte bei
Kaiserschnitt entscheiden. Vielleicht ist es zweckmässig,
Metalldrahtnäbte mit Seidenfadennähten zu combiniren, und
wenn es richtig ist, was Prof. Simon in seiner kürzlich er-
schienenen Schrift: ,,Ueber die Operation der Blasenscheiden-
fisteln u. s. w.", S. 100 behauptet, dass feine Seide gut gedreht
und von möglichster Festigkeit keinem der übrigen Näh*
materialien nachsteht, so dürfte man schon der Bequemlichkeit
des Anlegens und Entfernens der Seidendrähte wegen diese
allein heim Kaiserschnitt in Anwendung bringen. Mag man
aber auf die eine oder die andere Weise nähen, so wird es
immer die Hauptaufgabe bleiben, genau die Wundränder an*
einanderzubringen, durch tiefes Durchstechen möglichst breite
Wundflächen zu erhalten, und die Wunde von oben bis unten
in ihrer ganzen Länge zu vereinigen, ohne den unteren
Wund wink M offen zu lassen oder einen Sindon in denselben
einzulegen, pjii zwar vielfach geübtes und ziemlich herkömm-
liches Verfahren, dessen Nutzen mir nicht ^einleuchtet, dessen
Schädlichkeit aber vom allgemein chirurgischen und rationellen
Standpunkt aus klar zu Tage liegt
Zürich, im Juni 1862.
XX. Frey, Bemerkungen sn dem vorhergehenden Anfaatae. 377
XX.
Bemerkungen zu dem vorhergehenden Aufsatze.
Von
Prof. H. Frey.
Der erzählte Fall gab mir Veranlassung, einige Unter-
suchungen des pathologisch veränderten Knochengewebes vor-
zunehmen. Sind dieselben auch nur fragmentarischer Natur
gewesen, immerhin gewähren sie einen nicht uninteressanten
Einblick in die Natur des betreffenden Prozesses, so dass
sie hier ihre Veröffßntlichung finden mögen. Sie ergeben
manches Aehnüche, wie eine Arbeit von Lambl (s. Kutan,
das halisteretische Becken etc., Bonn 1857, S. 72), manches
aber auch, was mit den von jenem Beobachter mitgetheilten
Resultaten nicht stimmt.
Ich untersuchte zuerst ein Stuck der oberen Diaphysen-
hälfte des linken Femur. Der Knochen bot der Säge die
gewöhnliche Härte dar; an dem Querschnitte zeigte sich das
normale Knochenmark des betreffenden Skeletstückes. Die
grosse Markhöhle war aber nahezu um das Doppelte ver-
grössert und die sie umscbliessende Knochenmasse in ent-
sprechender Weise verdünnt, Eine Prüfung des Knochenmarkes
lehrte in seinen inneren centralen Theilen nichts Besonderes.
Die bekannten Markzellen erschienen nach Grösse und Inhalt
denjenigen des normalen Gewebes gleich. Höchstens könnte
eine an manchen derselben sichtbare geringere Fetteinfüllung
als eine unbedeutende Abweichung hervorgehoben werden.
Demgemäss ergab sich auch das Colorit der Markmasse dem
normalen gleich. In den peripherischen Theilen des Markes
zeigte dagegen die mikroskopische Untersuchung die bekannten
kleineren, 0,004 — 0,005'" messenden, rundlichen Zellen mit
deutlichen Kernen und granulirtem Inhalte, wie man sie als
Ausfällungsmasse der Hohlräume in den Epiphysen der langen
Knochen, sowie in platten und auch kurzen Knochen antrifft.
Das Knochengewebe selbst bot, an dünnen Plättchen
geprüft, keine nennenswerthe Abweichung dar. Markkanälchen,
Knochenlamellen — und zwar die Ravers' sehen wie die
Monatitchr. f Geburt« k. 1882. Bd. XX., Hfl. 5. 26
378 XX* Frey, Bemerkungen sn dem vorhergehenden Aafs&Ue.
allgemeinen Lamellensysteme — erschienen in der gewöhnlichen
Beschaffenheit; ebenso die sogenannten Knochenkörperchen
und Kalkkanälchen.
Hiermit war denn auch die chemische Constitution in
Einklang, welche ich wenigstens auf das Verhältniss von
organischer, leimgebender Substanz zur Knochenerde geprüft
habe. Hundert Theile der compacten Knochensubstanz, nach
vorheriger Behandlung mit destillirtein Wasser, Alkohol und
Aether im. Wasserbade getrocknet, boten einen Gehalt an
Aschenbestandtheilen von 57,88°.
Nur die äussers te, die vergrösserte Markhöhle eingrenzende
Randschicht des compacten Diaphysengewebes war in wechselnder
(0,1"'— 0,2'" im Mittel betragender) Breite heller, durch-
sichtiger, die Knocbenzellen weniger zackig und ihre Ausläufer-
systeme, die Kalkkanälchen mühsam und unvollkommen sichtbar.
Die Consistenz dieser hellereu Randpartie war diejenige de?
Knorpels. Die entkalkte Knochenpartie erschien unter dem
Bilde des sogenannten osteogenen Gewebes (vergl. meine
Histologie und Histochemie, S. 320). Wie bei dem Ver-
knöcherungsprocesse zur Erkennung des noch nicht diffus
verkalkten osteogenen Gewebes von dem bereits mit Kalksalzen
imprägnirten fertigen Knochens die GerZacfc'sche Carminfarbung
ein treffliches Hülfsmittel abgiebt, so bewährte sich das
Reagens alsbald zur Nachweisung des der ruckschreitenden
Metamorphose anheimgefallenen und seiner Kalksalze beraubten
Theiles. Gleich embryonaler osteogener Substanz trat sehr
bald die bekannte Röthung ein, während die verkalkte Masse
der Carminimbibition hartnäckigeren Widerstand entgegensetzte.
Um diese für Untersuchung pathologischer wie fötaler
Knochen so wichtige Unterscheidung zu gewinnen, bedient
man sich am besten einer ziemlich schwachen wässerigen
Carminsolution, gemischt mit ungefähr dem gleichen Volumen
reinen Glycerins, in welcher Flüssigkeit die Knocbenstückchen
eine Reihe von Stunden verweilen müssen.
Es bedarf für den mit den Umänderungen des Knochen-
gewebes vertrauten Arzt wohl kaum der Bemerkung, dass
diese entkalkten Knocbenränder der Einschmelzung anheim-
zufallen bestimmt waren und dass sich in dieser Weise die
bedeutende Erweiterung der grossen Markhöhle erklärt.
XX. Frey, Bemerkungen su dem vorhergehenden AnfsaUe. 379
Indessen noch in einer anderen höchst interessanten
Weise fanden sich Trümmer abgeschmolzener Knochensubstanz
als Zeugnisse früherer Vorgänge.
Bei der Untersuchung des Knochenmarkes, deren oben
gedacht wurde, stiess man auf mitten in dem Fettzellengewebe
steckende harte Massen. Isolirt ergaben sich unregelmässig
geformte, papierdünne Pläticben Knochensubstanz unter höchst
zierlichem Bilde. Das Ganze, von zahlreichen grossen Löchern
durchbohrt, einem Spitzenwerte gleichend, bestand aus zarten
feinen Bälkchen netzartig zusammentreffender Knochensubstanz.
Ich gewann aus einer etwa 2 Zoll hohen Marksäule gegen
zwanzig dieser zierlichen Knochennetze, von 2'" bis zu 6 und 8'",
ja mehr, Länge. Man erkannte leicht, wie die grossen glatt-
randigen, rundlichen oder länglichen Löcher (von % — 1"
im Durchmesser) die Querschnitte erweiterter Havers'scher
Gänge darstellten. Hier und da waren sie so dicht stehend,
dass die sie trennenden Knochenbälkchen nur V8 — V«'" Dicke
besassen. An anderen Stellen, bei grösserer Entfernung der
Löcher, waren bis zu % und */8'" breite platte Partieen
Knochengewebe zwischen jenen sichtbar. Mitunter an dem
Rande einer solchen Netzplatte erstreckte sich ein unregelmässig
verlaufender, mit ein paar kurzen Astbildungen versehener,
wie ein Faden erscheinender Ausläufer der Knochensubstanz
weit in die angrenzende Fettmasse des Knochenmarkes herein.
Gewöhnlich war das ganze Netzwerk ein flächenhaft aus-
gebreitetes, selten mit reichlicheren aufsteigenden Bälkchen
versehen.
Die mikroskopische Untersuchung der Knochenbälkchen
ergab Folgendes:
Die Ränder zeigten sich ganz glatt Bei hinreichender
Breite des Balkens erschien die Acbseupartie noch unter dem
Bilde normaler Knochens truetur, mit Andeutungen lamellöser
Schichtung, mit deutlichen Knochenkörpereben und Kalk-
kanälchen. Die Randpartie war dagegen entkalkt, Mass, mit
undeutlichen Kanälen und weniger zackigen Knochenkörperchen
versehen. Kurz, es wiederholte sich genau das Bild, welches
vorher für die Innenschicht der Diaphyse gegeben wurde. An
schmäleren Bälkchen war dagegen das Ganze entkalkt und
weich, von unverändertem Knochengewebe nichts mehr zeigend.
26*
XX. Frey, Bemerkungen zu dem vorhergehenden Anfoatse.
Ich wandle meine Aufmerksamkeit auf die die Peripherie
der Netzplatten bildenden Knochenbälkchen. Ihre Enden waren
sammtlich glatt, abgerundet; nirgends erschien etwas, was
auf eine gewaltsame Trennung von der Rindenschicht des
Knochens deutete.
Es waren somit in einer früheren Zeit von den Havers'&chen
Kanalchen aus bedeutende Enlkalkungen und Einschmelzungen
der jene Gänge begrenzenden Knochensubstanz geschehen.
Die stehen gebliebenen Reste der Knochenmasse, zu dünnen
Bälkchen reducirt, waren schliesslich in ihrer Continuität von
der Erweichung durchbrochen worden ; die Netzplatten hatten
sich von der Knochenwand des Femur ganz gelöst und waren
in das Hark gelangt. Auffallend erschien allerdings die
Conservirung der abgelösten Netzplatte innerhalb der Markhöhle.
Ich opferte eine Anzahl der zierlichen Bildungen zur
quantitativen Bestimmung der Aschenbestandtheile. 100 Theile
getrockneter Substanz ergaben 39,69 Mineralstoffe.
Die Frage, welche Säure diesen Auflösungsprocess des
Knochens herbeifuhrt, ist bekanntlich in mancher Hinsicht
eine noch offene. Ich konnte in dem Knochenmarke trotz
aller Sorgfalt keine Spur von Milchsäure darthun.
An weit entlegener Stelle , an einem Stucke des rechten
Scheitelbeines vermochte ich keine Spur des Erweichungs-
processes zu erkennen.
Der Körper des vorletzten Lendenwirbels erschien dagegen
so weich, dass er sich bequem mit einem scharfen Messer
in dünne Scheiben zerschneiden liess und die Klinge nur auf
einzelne knirschende härtere Stellen traf.
Die zelligen Hohlräume, die Markzellen ergaben sich hier
unverkennbar beträchtlich erweitert und mit roth- oder gelb-
brauner Masse erfüllt. Dieselbe bestand aus den kleinen
granulirten Markzellen und war, so weit ich an diesem Knochen,
der längere Zeit in Weingeist gelegen hatte, zu erkennen
vermochte, bei röthlichbraunem Ansehen durch diffusen Blut-
farbestoff gefärbt
In dem stehen gebliebenen Knochengewebe sah es dagegen
eigenthümlich aus. Die Ränder der Markräume umziehend
erschienen in ganz wechselnder, nicht selten bedeutender
Breite Zuge entkalkter Knochenmasse. Die Havers'tchen
XX. Frsy, Bemerkungen su dem vorhergehenden Aufsätze. 381
Lamellen waren öfters von einander abgespalten, so dass an
Schnitträndern Balken des osteogenen Gewebes hervorstanden,
in ihrer biegsamen und weichen Beschaffenheit jedem Drucke
des Deckglaschens nachgebend und folgend. Ihre Knocben-
körpercben traten als längliche, kurzzackige Lücken hervor
und ihre Kalkkanälchen liessen sich nur noch spurweise mühsam
erkennen. Im Innern der stehengebliebenen Knochenmassen,
umzogen von der erweichten Substanz, traten höchst ungleich
geformte und mit sehr wechselnder Grösse Reste noch nicht
entkalkter Knochenmasse auf mit der gewöhnlichen Textur.
Die Ränder der noch nicht entkalkten Knochensubstanz waren
aber meistens nicht glatt, sondern zackig und rissig. An
manchen Stellen grenzten sie übrigens unmittelbar an einen
Markhohlraume an. Zwischen beiden Extremen stehend und
einem mit Salzsäure in üblicher Weise entkalkten normalen
Knochengewebe gleichend, erschienen andere Stellen von bald
grösserer, bald geringerer Ausdehnung mit gewöhnlicher
Lamellenbildung, sowie derartigen Knochenkörperchen und
Kalkkanälchen. Als besonders instructiv ergaben sich namentlich
Localitaten , wo im Centrum kalkhaltiger gewöhnlicher Knochen,
ihn zunächst umziehend entkalkter und als peripherische Schicht
balkig zerklüftete unmittelbarer Einschmelzung anheimgefallene
veränderte osteogene Substanz lag.
Ich bemerke hier noch, dass an einzelnen Stellen die
unveränderten Knbchengewebereste sich durch eine ungewöhn-
lich feinkörnige Grundsubstanz und eine dadurch gesetzte
beträchtliche Trübung auszeichneten, wie ich sie von normalen
Knochen nicht kenne.
Die Entkalkung und Abschmelzung hielt in den meisten
Fällen mehr oder weniger genau die Züge der Lamellensysteme
ein. In anderen Fällen aber gerade entgegengesetzt hatte sie
von den Seiten und nicht vom Centrum her die Lamellen
ergriffen.
Eine andere Frage nämlich, ob diese entkalkte, balkig
zerklüftete osteogene Substanz in eine Art von Bindegewebe
schliesslich sich umwandele, muss ich für den betreffenden
Wirbelkörper nur negativ beantworten. Nirgends erschien
etwas der Art, was einem solchen Gewebe auch nur annähernd
hätte verglichen werden können. Heiner Ansicht nach ist
382 XX. Frey, Bemerkungen sn dem vorhergehenden Aufsatse.
ein so weit verändertes Knochengewebe keiner bindegewebigen
Zukunft — man verzeihe den Ausdruck — mehr fähig,
sondern der Auflösung und dem Untergange geweiht. Auch
in den so vergrösserten Markräumen unseres Wirbeikörpers
sah ich von Bindegewebebündeln nicht viel.
Wir haben aJso in dem Femur und im betreffenden
Lendenwirbel den gleichen Process, aber auf ungleicher Stufe.
Entkalkter Knochen lallt der Einschmelzung anheim und an
seine Stelle setzt sich die feinkörnige, kleine, rundliche
Markzelle.
Vom Becken selbst wurde linkerseits ein Stuck aus der
Verbindungsstelle des absteigenden Schambeinastes mit dem
aufsteigenden Sitzbeinaste, sowie aus dem Ramus horizont.
oss. pub. herausgenommen. An beiden Stellen genügte hierzu
die Messerklinge; Alles liess sich wie fester Knorpel zer-
schneiden, nur kamen einzelne härtere knirschende Stellen
vor. Der Process zeigte sich im Uebrigen an beiden Knochen-
stücken sehr ähnlich.
Zunächst fiel eine bedeutende Verdickung der Beinhaut
auf, welche sich ziemlich gut in Schichten abtragen liess.
Die obersten Lagen waren gewöhnliches periosteales Gewebe,
die tieferen ein balkig zerklüftetes, unentwickelteres Binde-
gewebe mit länglichen Biudegewebskörperchen und nur hier
und da einmal eine feine elastische Faser zeigend. Ging
man mit Flachenschnitten unter der Beinhbul tiefer in den
Knochen, so zeigte sich dessen Rinde weicher als es mir
anderwärts vorgekommen war. Die mikroskopische Unter-
suchung ergab nur ganz entkalktes Gewebe mit deutlichen
Lamellen und wie längliche Lücken erscheinenden Knochen-
körperchen. Von Kalkkanälchen sah ich nichts mehr.
Mannichfacbe in grösserer Länge getroffene Markkanalchen und
Markräume boten dagegen einen anderen Inhalt. Viel weniger
zahlreich, häufig fast ganz verschwunden waren nämlich die
kleinen granulirten Markzellen, und an ihrer Stelle erschienen
massenhaft länglich runde oder spindelförmige Zellen, Binde-
gewebskörperchen , wie ich annehmen muss. Die letztere Zellen-
formation zeigte vielfach die spindelförmigen Enden benachbarter
Zellen einander zustrebend, so dass derartige Zellenzüge
longitudinal , der Längsrichtung des Markkanals folgend, hervor-
XX. Frey, Bemerkungen zu dem Torhergebenden Aufsatse. 388
traten. Andere Kanäle waren überhaupt arm an Zellen zu
nennen, dagegen erfüllt mit einem deutlich fibrillaren Binde-
gewebe und einem Faserwerk longitudinal verlaufender feiner
elastischer Fäden. Hier hatte sich also ein Bindegewebe
erzeugt, aber von Nachkömmlingen der granulirten Mark-
zellen aus und nicht durch Umwandlung osteogener Substanz,
welche ganz unbetheiligt daneben lag.
Waren die Schnitte aus tieferen Stellen der betreffenden
Knochen gewonnen worden, so wiederholten sich im Allgemeinen
die Bilder, welche ich für den Wirbelkörper beschrieben habe.
Nur waren die Reste unenlkalkten Knochengewebes weit spär-
licher und weiter von einander entfernt Ich maass einzelne
derselben von V30» Vto» V12'" m*1 8anz unregelmässiger Form
und zackig, wie ausgefressen erscheinenden Contouren.
Knochenkörperchen und Kalkkanälchen befanden sich im
normalen Zustande, die Grundmasse zwischen ihnen trat
dagegen im höchsten Grade feinkörnig und recht stark ver-
dunkelt hervor. Weiter nach innen nahmen jene Knochen-
reste an Ausdehnung zu und rückten näher zusammen.
Stellenweise zeigten sich sogar noch ausgedehntere zusammen-
hängendere Strecken des Knochengewebes, Markräume kleinen
Calibers umschreibend. Zwischen ihnen und dem Querschnitte
des Markraumes kam dagegen in wechselnder Breite, den
letzteren unmittelbar begrenzend, das entkalkte osteogene
Gewebe zum Vorschein.
Ich bemerke, dass die Ausfüllungsmasse der durch Ab-
Schmelzung der Wand erweiterten Markräume nach einwärts
mehr und mehr den bindegewebigen Charakter verlor, bis
endlich nur noch die rundlichen granulirten Markzellen den
einzigen Inhalt bildeten.
Schliesslich wurde noch eine Bestimmung der Mineral-
bestandtheile in dem Verbindungsstücke des absteigenden
Schambeinastes mit dem aufsteigenden Sitzbeinaste vor-
genommen. Sie ergab auf 100 Theile getrockneter Substanz
22,07 Mineralstoffe.
384 XXI- Thomat, Die Entstehung
XXL
Die Entstehung des schräg verengten Beckens
durch eine durch Krankheit der Ereuzdarmbein-
fuge erworbene Ankylose,
verth eidigt *
gegen die „Bemerkungen" des Herrn Dr. Ohhausen
A.. E. Simon Thomas,
Professor der Geburtshfllfe zu Leyden.
(Hieran eine Tafel mit zwei Abbildungen.)
Im 3. Heft des XIX. Bandes der Monatsschrift für
Geburtskunde u. s. w. findet sich ein von Herrn Dr. R. Ols-
hausen, Assistenzarzt am Entbindungsinstitute zu Halle, ver-
fasster Artikel über ein noch unbekanntes schräg verengtes
Becken, worin zugleich die von mir. vertheidigte Ansicht,
dass jedes schräg verengte Becken durch eine, meist in der
Jugend, erworbene Ankylose der Kreuzdarmbeinfuge entstehe,
widerlegt werden soll. Ich achte mich durch diese ausfuhr*
liehe Kritik eines Theils meiner Monographie: „Das schräg
verengte Becken u. s. w., Leyden und Leipzig, 186 lu sehr
geehrt Sie hat mich überzeugt, dass mein Werk einiger
Aufmerksamkeit gewürdigt worden, und dass man die Argu-
mente, worauf sich meine Meinung stützt, doch nicht für
ganz unbedeutend gebalten. Noch mehr freute ich mich über
diese Kritik, trotz des spärlichen Lobes, das mir darin ge-
spendet wird, weil sie es mir zur Pflicht macht, den be-
strittenen Punkt noch einmal zu besprechen und meine Ueber-
zeugung näher zu beleuchten.
Bevor ich jedoch zur Sache selbst schreite, muss
ich eine Bemerkung vorangehen lassen. Bereits in dem
Referate, womit Herr Dr. Olshausen meine Monographie
im Januar -Heft der obengenannten Monatsschrift ankündigte,
hat er mir den Vorwurf gemacht, dass ich die sämiut-
lichen Fälle von schräg verengten Becken, die nach 1839
des schräg verengten Beckens etc. 385
bekannt gemacht worden und wovon die meisten schon weit
genauer beschrieben seien, zusammengestellt habe, während
manche der von Naegele erwähnten, aber nicht von ihm
selbst untersuchten, Becken einer genaueren Beschreibung
eher werth gewesen wären. Dieser Vorwurf wird in einer
seinen „Bemerkungen" .(S. 11) angehängten Note noch einmal
ausgesprochen, und dabei zugleich die Vermuthung geäussert,
ich hätte gewissermaassen durch meine Schrift alle anderen
Monographien mit Ausnahme der Naegele'schen überflüssig
machen wollen. Ich muss auf diese Bemerkung antworten,
dass ich, als praktischer Geburtshelfer und Lehrer der Klinik,
vorzüglich für die klinisch-therapeutische Seite des Gegen-
standes, worüber ich schrieb, Interesse hegte, und zwar um
so mehr, da ich selbst Geburtsfalle bei zwei Weibern, von
denen ich wusste, dass sie mit schräg verengten Becken be-
haftet waren, geleitet hatte, und deshalb auch darüber etwas
Erspriessliches mittheilen zu können glaubte. Um aber meine
Mittheilungen auf möglichst gute Gründe zu stützen, und auch
meine Leser in Stand zu setzen, meine Ansichten über die
Diagnose, Prognose und Therapie bei schräg verengten Becken
zu beurtheilen, sah ich mich genöthigt, sämrotliche Fälle, in
welchen man bei der Geburt ein schräg verengtes Becken
wahrgenommen, oder seine Existenz vermuthet hatte, zu-
sammenzustellen. Dass ich überdiess noch diejenigen sechs
Becken aufhahm, Von welchen man nicht weiss, ob sie Gegen-
stände geburtshülflicher Praxis gewesen sind oder nicht (§. 1.
Nr. 2, 5. §. 2. Nr. 4, 12. §. 4. Nr. 1), geschah nur der
Vollständigkeit wegen, was doch wohl niemand tadeln wird.
Im Gegentheil glaube ich, durch diese Zusammenstellung
sämmtlicher nach 1839 bekannt gemachten Fälle, jeden, den
unser Gegenstand interessirt, zu Dank verpflichtet zu haben,
wäre es auch nur darum, weil etliche dieser Fälle, theils in
nicht allgemein bekannten Sprachen, beschrieben, theils in
nicht leicht zu bekommenden Journalen, Monographien oder
Probeschriften niedergelegt sind. Gern gestehe ich, dass einige
der von mir besprochenen Becken, z. B. diejenigen der Herren
Martin, Hayn, Danyau, von Holst und Eosshirt bereits
ausführlicher beschrieben sind, dass ich sie aber nicht mit
der zur Beurtheilung der speciellen Beschaffenheit eines jeden
386 XXI. Thomas, Die Entstehung
Beckens und seines Einflusses auf die Geburt erforderlichen
Genauigkeit besprochen habe, muss ich entschieden verneinen.
Wer sich die Mähe nehmen will, meine Referate mit den ur-
sprünglichen Mittheilungen zu vergleichen, der wird sich gewiss
überzeugen, dass ich nichts Wesentliches weggelassen habe.
Was aber den zweiten Punkt betrifft, so habe ich zu
hemerken, dass Naegele eilf der von ihm besprochenen schräg
verengten Becken (Nr. 3, 4, 5, 6, 7, 10, 11, 13, 14, 16, 24)
selbst untersucht ha), eines (Nr. 12) ist später ausführlich
von Litzmann beschrieben worden; zwei (Nr. 23, 25)
namentlich die Becken von Broers und Salomon habe ich
selbst näher untersucht, wobei sich freilich herausgestellt hat,
dass das erste ein männliches ist; eines (Nr. 22.) ist verloren
gegangen; fünf (Nr. 26 — 30) haben, wie ich in einer Note
(S. 11) nachgewiesen, wahrscheinlich niemals existirt, und
von sieben (Nr. 1, 2, 31 — 35) weiss niemand, wo sie zu
finden sind. Es bleiben also nur noch acht Becken der
Naegele'scheu Sammlung übrig , von welchen es vielleicht
möglich gewesen wäre eine genauere Beschreibung zu liefern.
Von diesen acht Exemplaren müssen sich zwei (Nr. 8, 9) zu
Mailand, eines (Nr. 15) zu Dublin, und zwei (Nr. 17, 18)
zu Löwen befinden. Naegele besass deren „genaue Be-
schreibungen4', „einen musterhaft gefertigten Gipsabgüss" oder
„in natürlicher Grösse gefertigte Abbildungen4'. Von den drei
übrigen befinden sich zwei (Nr. 19, 20) zu Paris, und unter
diesen das Mumien-Becken, von welchem Dr. Nebel eine
sehr genaue Beschreibung lieferte; das letzte endlich (Nr. 21)
ist in Montpellier zu Hause. Keineswegs will ich in Abrede
stellen, dass nicht vielleicht das eine, oder das andere dieser
Becken einer näheren Beschreibung werth gewesen wäre, doch
niemals hätte ich gedacht, dass man mir darüber einen Vor-
wurf machen würde, dass ich über diese acht Becken, welche
fast über halb Europa zerstreut sind, nicht etwas mehr oder
etwas anderes mitzutheilen hatte, als was bereits in Naegele
vorlag. Hat doch auch Dr. Lambl, dem bei seiner wissen-
schaftlichen Reise im Jahre 1856 das Thema auf osteo-patho-
logische Studien gestellt wurde, über keines der bereits von
Naegele besprochenen schräg verengten Becken etwas Neues
milgetheilt. Nach diesen vorläufigen Bemerkungen gehe ich
des schräg verengten Beckens etc. 387
zur Sache selbst über. Bereits im Anfange seiner Bemerkungen
spricht Dr. Olshausen sich dahin aus, dass ich einen
entschiedenen Fehler begebe, wenn ich die Synostose beim
Naegele'scben Becken für etwas ganz Wesentliches halte.
Den zweiten Theil dieses Satzes will ich nicht verneinen,
dass ich jedoch damit einen Fehler begehe, ist noch keines-
wegs erwiesen.. Herr OUhausen sagt selbst (S. 170), „dass
in der that eine mangelhafte Eit Wickelung des Kreuzbeins
schräg verengte Becken mit Synostose bedingen könne, ist
noch nicht positiv erwiesen. " Ich weiss wohl, dass Hohl
und besonders auch Litzmann, um mit Spaeth zu sprechen,
unter dem Namen „schräg ovale Becken" alle diejenigen con-
fundirt und identificirt haben, an welchen der Eingang die
Gestalt eines schräg liegenden Ovals hat, J) kann jedoch nicht
umhin, noch immer Naegele beizustimmen, wenn er das
Becken mit einseitiger Ankylose, als zu einer besonderen
Gattung difformer Betken gehörig betrachtet. Dass es Becken
giebt, welche zu Folge eines Formfehlers des Kreuzbeins eine
asymmetrische Gestalt bekommen haben, dass solche Becken
auch zu den verengten gehören und am Geburtsbette nur
schwer von einem Naegele sehen mit geringerer Verschiebung,
wie z. B. das Hecker1 sehe, zu unterscheiden sein möchten,
gebe ich gern zu, aber darin liegt noch keineswegs der Be-
weis, dass die Becken mit und ohne Ankylose zu der näm-
lichen Gattung gehören. Man braucht nur etliche Exemplare
beider Beckengattungen, so wie ich es thun konnte, neben
einander zu stellen, und die ganze Gestalt des Beckens zu
betrachten, um sich zu überzeugen, dass die Sache sich ganz
anders verhält.
Bereits die Form und nicht weniger die Räumlichkeit
der Beckeneingänge, welche ich auf Taf. V., Fig. 1 u. 2 und
auf Taf. VII., Fig. 3, 4 u. 5 abbildete, spricht dafür. So misst
z. B. die Peripherie des Eingangs am Becken der Groninger
Sammlung 14 Zoll und an demjenigen der Sammlung des
hiesigen Nosocomium Acaderaicum 14 Zoll 3 Linien, während
sie an meinem ersten schräg verengten Becken und an dem
1) Klinik der Geburteh. and Gynftkol. von Chiari, Braun und
8paetk. Erlangen 1856. 8. 662.
388
XXI. Thomas, Die Entstehung
Becken Nichet's nur 13 Zoll, an dem Becken des Herrn
Vrolik nur 12 Zoll 5 Linien und an meinem zweiten Exemplar
nicht mehr als 11 Zoll 11 Linien misst Vergleicht man
weiter die Länge des Abstandes von der Schambeinfuge bis
zur normalen und bis zur abnormen Kreuzdarmbeinfuge, oder
zur Ankylose, so bekommt man die folgenden Maasse.
Bezeichnung der Becken.
An der Seite
des
abnormen
Kren&bein-
flügels.
5"
5" 4"'
An der Seite
des
normalen
Kreusbein-
BSgels.
5"
5" 1"'
Differenz.
Asymmetrisches Becken zu
Groningen
0
Asymmetrisches Becken des
Nosocominm Academicum
+ 3'"
Schräg verengtes Becken:
Simon Thomas, No. 1 . . .
4" 8'"
5" 2'"
- 6*"
Schräg verengtes Becken:
Simon Thomas, No. 2 . . .
4" 4'"
4" 8'"
- 4"'
Schräg verengtes Becken des
Herrn Nicket
4" 9"'
5" 3'"
— 6'"
Schräg verengtes Becken des
Herrn Vrolik
4" 7'"
4" 11'"
— 4'"
Aus diesen Maassen geht hervor, dass die Linea ilio-
ßectinea bei den Becken ohne Ankylose an der missgestalteten
Seite nicht kürzer, bisweilen selbst länger ist, als an der
andern S^ite, während sich bei den Becken mit Ankylose
eine Verkürzung von nicht weniger als 4 — 6 Linien zeigt.
Diese mag nun, wie Litzmann behauptet, von einer Ver-
schiebung des Hüftbeins nach hinten, oder, wie ich meine,
von Schrumpfung der Knochensubstanz herzuleiten sein, so
viel ist gewiss, dass sie in der Regel an der einen Becken-
gattung gefunden, an der anderen in der Regel vielleicht auch
immer, vermissl wird.
Ein zweiter Unterschied findet sich im Beckenausgang.
Der Schambogen ist bei den Naegele'scheti Becken fast durch-
gängig mehr oder weniger verengt; er misst an meinen beiden
schräg verengten Becken, resp. nur 62° und 71°, am Becken
des Herrn Nichei 66°, und am Becken des Herrn Vrolik
73°, dagegen an dem asymmetrischen Beeken der Sammlung
des schräg verengten Beokens etc. 389
zu Groningen 105° und an dem der hiesigen Sammlung 90°.
Deshalb ist auch der Beckenausgang an den beiden letzt-
erwähnten Exemplaren nicht verengt, während bei den
Naegele' scheu die Entfernung der Spinae ischii und der
Querdurchmesser des Ausganges erheblich verkürzt sind.1)
Endlich möchten auch in klinischer Hinsicht die Nae-
gele'schen Becken von den asymmetrischen ohne Ankylose
zu unterscheiden sein; denn während, nach 1839, mit Ein-
schluss des von Herrn Ohhausen besprochenen, nicht weniger
als elf schräg verengte Becken, bekannt geworden sind,
welche die Geburt in der Art störten, dass die sämmtlichen
Mütter daran starben und nur zwei Kinder gerettet werden
konnten, so ist, so viel ich weiss, noch kein einziges Becken
mit angebomem Kreuzbeindefect und ohne Ankylose als Ur-
sache eines mechanischen Geburtshindernisses beschrieben
worden.
Ein zweiter Einwurf, welcher mir von Herrn Ohhausen
gemacht wird, ist der: dass ich „nur die von Naegele ur-
sprünglich aufgestellten fünf Gründe14 widerlegt habe, „noch
in mancher Beziehung überflüssig oder wenigstens unzu-
reichend " sei. Dass es überflüssig genannt werden könne, noch
heutzutage den Beweis zu liefern, dass man bei den schräg
verengten Becken nicht an eine angeborne Synostose zu denken
habe, kann ich unmöglich zugeben, denn obschon „viele
Andere, besonders Hohl2) und Litzmann" und auch Herr
1) Nur an Einem Becken, dessen Abmessungen ich kenne,
nämlich am Becken der Sammlung zu Dresden {Naegele, No. 12)
ist der Beckenausgang erweitert; dieses Exemplar ist jedoch,
nicht nur durch Ankylose der Kreuzdarmbeinfuge, sondern auch
durch Cozalgie verunstaltet und letzterem Umstände möchte es
zuzuschreiben sein, dass die 8itzbeinhÖcker weiter von einander
abstehen.
2) Gern will ich sugeben, dass ich Hohl nicht recht verstanden
habe, wenn ich meinte, er habe (Das schräg -ovale Becken, S. 4),
von einer hinzugekommenen Verwachsung sprechend, geglaubt,
diese Verwachsung könne eine Folge der gehemmten Bildung der
Knochenkerne Bein. Darum äusserte ich (8. 44) den Wunsch, Herr
Hohl möchte an dem von ihm besprochenen Becken eines zwanzig-
wöchentlichen Kindes den Mangel des Gelenks sichergestellt haben.
Ich kann mich jedoch wegen dieses Irrthums einigermaassen damit
390 XXI* Tkomm, Die Entstehung
Olshausen selbst, „für die Mehrzahl der Falle an eine im
Leben entstandene Ankylose glauben", so ist ja die Theorie,
dass die Ankylose in den meisten Fällen eine, angeborne sei,
selbst in Deutschland, noch nicht so gänzlich verhallt
Rokitansky z. B., der doch auch die Schrift Lüzmann's und
HoJiTs kannte und citirte, sagt noch im Jahre 1856: „Die
Synostose ist wohl gemeinhin angeboren1) und Scanzoni,
dessen Lehrbuch der Geburtshülfe ohne Zweifel noch vielfach
benutzt wird, beschreibt noch im Jahre 1856 das schräg
verengte Becken unter dem Titel: „Die angeborne Synostose"*)
und ffibrt die fünf Naegele'schen Gründe, die er fast wörtlich
abschreibt, noch immer an als Beweise für seine Meinung,
dass die Synostose, nicht durch Entzündung entstehe.
Hätte ich mich jedoch mit der Bekämpfung der Naegele' sehen
Gründe begnügt, so hätte vielleicht Herr Olshausen Recht
gehabt, als er meine Beweisführung eine unzureichende nannte,
ich glaube jedoch mehr gethan zu haben, indem ich nicht
blos die Gründe angab, wodurch bewiesen wird, dass die
Ankylose ein erworbenes Uebel sei, sondern auch die Weise
besprach, auf welche die Synostose, wenn sie zu Stande
gekommen, den Defect des Kreuzbeinflügels und die Schief-
heit und Verengung des Beckens bedingte.
Herr Olshausen sagt (S. 175): „Die Cardinalfrage bleibt
also, ob die Synostose oder der Defect das Primäre sei."
Dieser Auffassung unseres Gegenstandes kann ich recht wohl
beipflichten, wetin aber Herr Olshausen zunächst fragt:
„Kann der Kreuzbeindefect die Folge der Synostose sein?"
und in seinen weiteren Behandlungen auf diese Frage eine
verneinende Antwort giebt, so kann ich ihm ganz und gar
entschuldigen, dass eben die Worte Hohles: „Die Knochenkerne
für die Flügel des zweiten und dritten Kreuzwirbels sind »war
vorhanden, aber jeder um das Doppelte kleiner, als die ent-
sprechenden der linken Seite, und Btehen nur mit dem Hüftbeine
in Verbindung u. s. w." (a. a. O. S. 29) den Gedanken bei mir
aufkommen lassen mnssten. dass Hohl hier allerdings an eine
Bildungshemmung der Krenzdarmbeinfuge geglaubt habe.'
1) C. Rokitansky , Lehrb. d. pathol. Anatomie. 3. Aufl. 2. Bd.
Wien 1856. 8. 188.
2) F. W. Scantoni, Lehrb. d. Geburtshilfe. 3. Aufl. Wien 1865.
3. 561.
des schräg verengten Beckens etc. 391
nicht beistimmen, sondern ich muss auf diese Frage dahin
antworten: dass der Kreuzbeindefect, der zum Theil
nur ein scheinbarer ist, nicht allein die Folge
der Synostose sein kann, sondern notwendiger-
weise dadurch bedingt werden muss, sobald sie
im Kindesalter entsteht, und dass der Defect selbst,
obgleich in einem geringeren Grade, auch noch durch
die Synostose bedingt werden kann, wenn diese in
den ersten Jahren der Pubertät zu Stande kommt.
Obschon ich mich in meiner Monographie (S. 45, 46)
bereits ziemlich bestimmt über diesen Punkt ausgesprochen
habe, so möchte es doch der Muhe werth sein noch einmal
darauf zurückzukommen.
Herr Ohhausen scheint, wenn ich von Schwund oder
Schrumpfung der oberen vereinigten Knochen sprach, blos
au ein Zurückbleiben im Wachsthume oder an eine mangel-
hafte Ernährung gedacht zu haben, wie sie in einer ankylo-
tischen Extremität durch verminderte oder aufgehobene Be-
wegung stattfindet. Ich habe die Sache jedoch auf eine ganz
andere Weise aufgefasst und mich ganz an die Ideen des um
die Osteopathologie so sehr verdienten Lambl angeschlossen,
dessen Worte, wenn er jede Synostose oder Ankylose mit
einer Narbe vergleicht, „deren schrumpfendes Gewebe ihre
nächste Umgebung nach ihrem Centrum zieht/4 ich (S. 46)
citirte. Es ist dies ein allgemeines Gesetz, welches fast durch
jedes Präparat von Ankylose bestätigt wird, und wohl niemals
eine Ausnahme erleidet, sobald die Ankylose in einer Zeit
auftritt, in welcher das Skelett noch nicht völlig ausgebildet
ist. Lambl, der diesen Satz zuerst deutlich aussprach, weist
auf den gänzlichen Schwund des Schenkelkopfes und die Ver-
kürzung des Schenkelhalses bei Verwachsungen (Ankylosen)
des Hüftgelenkes; ich fand ganz dasselbe an mehreren Prä-
paraten der hiesigen anatomischen Sammlung, von denen ich
eines in einer Note (S. 46) kurz beschrieben habe. Da diese
Beschreibung jedoch der Aufmerksamkeit des Herrn Ols-
hau8en entgangen ist, und weil die Sache selbst möglicher-
weise durch eine blosse Beschreibung nicht hinlänglich de-
monstrirt werden kann, so gehe ich jetzt (Fig. 1) eine
Abbildung eines andern derartigen Präparates, das sich im
392 XXI. Thoma*, Die Entstehung
hiesigen Museum Anatomicum befindet und das bereits von
Sandifort abgebildet worden ist. Zur Vergleicbung sägte ich
ein normales Hüftgelenk durch, nachdem ich den Schenkel-
knochen ganz in dieselbe Stellung zum Hüftbein gebracht
hatte, welche er am ankylotischen Gelenke eingenommen hat,
und zeichne (Fig. 2) auch diese Durchschnittsfläche ab. Ver-
gleicht man beide Abbildungen miteinander, so kann es wohl
nicht zweifelhaft sein, dass im ankylotischen Hüftgelenk ein
normaler Knochenschwund stattgefunden hat, wodurch nicht
allein das Caput femoris spurlos verschwunden, l) sondern
auch der Schenkelhals verkürzt worden ist, und dass auch
der bei der Ankylose beiheiligte Theil des Hüftbeins, ja selbst
der grosse Trochanter, bedeutend an Volumen abgenommen hat
Dieselbe Erscheinung, welche hier als eine Folge der
Ankylose wahrgenommen wird, findet man mehr oder weniger
bei jeder abnormen Verwachsung benachbarter Knochen
wieder. Lambl constatirte sie an verschiedenen Präparaten
von Ankylosen des Hüft-, Knie- und Kiefergelenkes3) und
auch bei der Verwachsung der Rückenwirbel, ja selbst bei
vorzeitiger Verknöcherung der Nähte am Schädel wird sie
1) Im Vorbeigehen ihuss ick noch zu dieser Abbildung be-
merken, dass, obgleich die Verschmelzung der Knochen an diesem
Präparate nur für eine durch Krankheit hervorgebrachte Ankylose
angesehen werden kann, dennoch nirgends eine Verknöcherungs-
linie von compacter Substanz bemerkbar ist. Diese kann denn
auch bei notorisch erworbenen Ankylosen, wie Lambl bereits
bemerkte, vollständig fehlen, aber wenn sie vorhanden ist und
der Stelle der Ankylose entsprechen kann, dann glaube ich das
Recht zu haben, eben diese. Vorkndcherungslinie für einen
Ueberrest der ehemaligen Trennung der Knochen anzusehen.
Uebrigens will .ich mit Herrn OUhausen über den Werth meiner
Abbildungen (Das schräg verengte Becken u. s. w.-,Taf. VII.) nicht
streiten; Herr OUhausen scheint es ja nicht- einmal für der Mühe
werth gehalten zu haben, die drei Abbildungen, die ihn durchaus
nicht überzeugt haben, „dass an den Becken die Stelle der
Synostose sicher erkannt werden könnte," namhaft zu machen.
Auch habe ich bereits (S. 45) eingestanden, dass die erwähnte
Verknocherungslinie in den Figg. 3 und 4, welche demselben
Becken entnommen sind, weniger deutlich hervortrete.
2) W. Lambl, Reisebericht. 1856. Vierteljahrsschr. f. d. prakt
Heilkunde. 15. Jahrg. Bd. III. Prag 1658. S. 107. 135, 136, 171.
des schräg verengten Beckens etc. 393
nicht vermisst; wesshalb Virchow bereits vor 10 Jahren
„den schräg verengten (schiefen) Schädel als analog dem
schräg verengten Becken, welches aus frühzeitiger Synostose
der Synchondrosis sacro-iliaca hervorgeht" betrachtet hat.1)
Diese Erscheinung, welche Rokitansky nach LambVs
Darstellung der Synostosis sacro-iliaca bei querverengten Becken
in sein Lehrbuch aufgenommen, habe ich zur Erklärung der
Deformität des schräg verengten Beckens angewendet Wenn
aber Herr Olshausen mich auffordert, meine Theorie auf
bessere positive Gründe zu stützen, so sei es mir erlaubt,
die folgenden anzuführen.
Der Knochenschwund, die Atrophie, ocfer die Behinderung
der Ernährung, welche zufolge der Ankylose eintritt, trifft
sowohl den Flügel des Kreuzbeins als denjenigen Theil
des Hüftbeins, an welchem die Gelenkfläche ursprünglich
existirte, und ist nicht nur in frontaler, sondern auch in
verticaler und sagiltaler Richtung bemerkbar.
, In frontaler Richtung hat er am Kreuzbein die Ver-
schmälerung des Flügels zur Folge, und diese kann so weit
gehen, dass dieser Theil ganz udd gar zu fehlen scheint,
während er am Hüftbeine zur Verminderung der Dicke des
Knochens führt, wodurch der Ueberrest des Kreuzbeinflügels
sich in die Substanz des Hüftbeins hineindrängt.
Dass auch dieser Knochenschwund in vertikaler Richtung
bemerkbar ist, lässt sich auf folgende Weise sicherstellen.
Naegele und alle Autoren nach ihm geben an, dass die
Synostose eine geringere Höhe habe, als die Synchondrosis
sacro-iliaca der gesunden Seite. Herr Ohhausen will diesen
Beweis nicht gelten lassen, weil der höchste Punkt der Inci-
sura iscb. maj. nicht der VerschmelzungssteUe entspricht.
Wenn man jedoch an einem schräg verengten Becken an
der Seite der Synchondrose von dem höchsten Punkt der
Incisura isch. inaj. bis zum höchsten Punkt des Kreuzbein-
flügels, und an der Seite der Ankylose ebenso von dem
1) R. Virchow, Ueber den Cretinismus u. s. w. Verhandlangen
d. Physik. -Medic. Gesellschaft in Wünsburg. Bd. 11. Erlangen 1863.
S. 289.
Moaatisthr. f. Gebor Uk. 186«. Bd. XX.. Hfl. 5. 26
394 XXI- Thoma$, Die Entstehung
höchsten Punkt der Incisura isch. maj. bis zum höchsten
Punkt des Knochens auf der Stolle, wo etwa die Synostose
angenommen werden muss, misst, und wenn man diesen Ab-
stand, wie ich dies an meinen beiden schräg verengten Becken
und an den Becken der Herren Nicket und Vroltk dar-
gethan, an der Seite der Ankylose 7 — 9 Linien kürzer findet,
dann wird, glaube ich, dadurch ganz bestimmt erwiesen, dass
eine Verkleinerung der betheiligten Knochen stattgefunden
haben muss. Denn, was an beiden Seiten zwischen den
angegebenen Messpunkten liegt, gehört notwendigerweise,
theiis zum Kreuzbein, theils zum Hüftbein, und, wo immer
die Stelle der Ankylose gesucht werden muss, so viel ist
gewiss, dass, wenn dieser Abstand an beiden Seiten nicht
unerheblich differirt, sowohl der Flügel des Kreuzbeins als
der Theil des Hüftbeins, womit er verwachsen ist, entweder
durch Behinderung der Ernährung kleiner geblieben, oder
durch Knochenschwund kleiner geworden ist.
Dass endlich auch in sagittaler Richtung eine Verklei-
nerung des bei der Ankylose betroffenen Theils des Hüftbeins
bemerkbar ist, das beweisen nicht allein die vier schräg ver-
engten Becken, welche ich darauf untersuchen konnte, sondern
das lässt sich auch an dem Becken, welches Herr Olshausen
besitzt und abgebildet hat, darthun und zwar auf folgende
Weise. Wenn ich die Entfernung des vordem untern
Hüftbeinstachels zum hintern obern messe, so finde ich
diesen Abstand an der Seite der Ankylose an meinem ersten
schräg verengten Becken 4 Zoll 4Va Linie, an meinem zweiten
Exemplar 4 Zoll 8 Linien, an dem Becken Nicket* 4 Zoll
9 Linien und an dem Becken Vrolik's 4 Zoll 7 Linien,
während dieselben Entfernungen an der Seite der normalen
Kreuzdarmbeinfuge resp. 5 Zoll 1% Linie, 5 Zoll 4 Linien,
5 Zoll 5 Linien und 5 Zoll 2 Linien lang sind. Der untere
Theil des ankylosirten Darmbeins ist desshalb an jedem dieser
Becken von vorn nach hinten 7 — 9 Linien kleiner geblieben
oder geworden, und, wo immer die Stelle der Ankylose zu
suchen sei, und ob bei der Verwachsung der Knochen, eine
Verschiebung des Hüftbeins nach hinten (Litzmann), oder
mehr nach oben (Olskauseri) stattgefunden hat, oder nicht,
so viel ist gewiss, dass die Kleinheit des Knochens in dieser
des sehr&g verengten Beckens etc. 395
Richtung nicht durch Verschiebung erklärt werden kann,
sondern bestimmt für Behinderung der Ernährung oder für
Schrumpfung der Knocbensubstanz spricht
Auch an den Becken, welches Herr Olshausen beschrieben
und abgebildet hat, wird ganz die nämliche Erscheinung ge-
funden. In Fig. 2 hat er die äussere Fläche des rechten
(nicht ankylosirten) und in Fig.* 3 die des linken (ankylosirten)
Hüftbeins vorgestellt. Wenn ich nun an diesen beiden Ab-
bildungen vom hintern obern Hüftbeinstachel (g) zum vordem
untern messe, so finde ich diesen Abstand auf Fig. 2 2 Zoll
8 Linien und auf Fig. 3 nur 2 Zoll 3V8 Linien lang, und
weil die Abbildungen in halber Grösse verfertigt sind, so muss
der Unterschied ain Becken selbst mindestens 9 Linien be-
tragen und an der innern Seite des Knochens liegt hinter
dieser, um 9 Linien verkürzte Linie, die ankylosirte Gelenk-
verbindung, welche ich für die Ursache der Missgestaltung
des Knochens halte. Ich gehe aber noch einen Schritt weiter
und behaupte, dass die ganz ungleiche Form der Darmbein-
schaufeln und selbst die geringe Verlängerung des ankylosirten
Darmbeins von oben nach unten, welche Herr Olshausen an
seinem Becken nachgewiesen, und welche ich auch an meinen
beiden Becken und an den Becken der Herren Nicket und
Vrolik constatiren konnte, als eine nothwendige Folge der
Schrumpfung oder der Behinderung der Ernährung des
Knochens, welche vorzüglich die Stelle der Ankylose und
die ihr am nächsten gelegenen Theile des Knochens ge-
troffen hat, erklärt werden kann und muss.
Sobald die Ankylose des Hüftbeins mit dem Kreuzbein
eingetreten ist, wird die dabei betheiligte Knochensubstanz
im Wachsthum behindert; an diesem gehemmten Wachsthum
nimmt auch der. peripherische Theil des Darmbeins, jedoch
im geringeren Grade Theil; die Crista ilii wächst, während
das ganze Skelett sich vergrössert, noch ziemlich regelmässig
heran und muss sich, weil der untere Theil des Darmbeins
im Wachsthum behindert ist, stärker krümmen, als sie gethan
haben würde, wenn keine Ankylose eingetreten wäre. Mit
dieser stärkern Krümmung hängt die Verlängerung der Darm-
beinschaufel von unten nach oben zusammen. Man denke
sich einen Bogen und daran eine Sehne; wird die Sehne
26*
396 XXI. Thoma$f Die Entstehung
verkürzt, so muss der Bogen sich stärker krummen* und in
der Mitte des Bogens entfernt sich das Holz von der Sehne;
wird jedoch die Sehne viel verkürzt und zu gleicher Zeit
auch der Bogen selbst ein wenig kurzer gemacht, dann
wird der Bogen doch noch etwas starker gekrümmt werden;
seine beiden Endpunkte werden sich einander beträchtlich
nähern, aber der Abstand der Sehne von der Mitte des Bo-
gens wird sich nur wenig vergrössern, und das ist es eben
was an der zufolge der Ankylose verunstalteten Darmbein*
schaufel wahrgenommen wird und auch von Herrn Ohhausen
an seinem Becken besprochen worden ist.
Naegele, der die ganz ungleiche Form der beiden Darm-
beinschaufeln bereits beobachtete und beschrieb, fand darin
einen Beweis für seine Theorie, dass die Verunstaltung des
Beckens von einer Bildungsabweichung herrühren muss, kannte
jedoch den LambV sehen Satz nicht, sonst würde er sich
wahrscheinlich auf eine andere Weise darüber ausgesprochen
haben. Wollte aber auch noch jetzt jemand behaupten, dass
diese Form Veränderung von einer angebornen Verschiedenheit
der Gestalt der beiden Darmbeinschaufeln herrühre, welche
sich zu dem angebornen Defect des Kreuzbeins gesellt habe,
während die Ankylose, bloss als etwas Accidentelles und Un-
wesentliches zu betrachten sei, so kann ich auch dafür den
Gegenbeweis hefern. An den beiden asymmetrischen Becken
ohne Ankylose, die ich kenne, wird nämlich dieser Unter-
schied der Gestalt der beiden Darmbeinschaufeln nicht be-
merkt, sondern die Entfernung des vordem untern Hüftbein-
stachels vom hinteren oberen missl am Becken der Sammlung
des Nosocomium Academicum sowohl rechts wie links 4 Zoll
il Linien, und an dem Becken der Sammlung zu Groningen
rechts 5 Zoll 1 Linie und links 5 Zoll, und die geringste
Entfernung zwischen der Insisura ischiadica major und dem
Ansätze des Muse, glutaeus max. hat auch an diesen beiden
Becken an jeder Seite ganz dieselbe Länge, nämlich 8 Zoll
4 Linien am Becken zu Leyden und 3 Zoll 3 Linien am
Becken zu Groningen.
Ich komme jetzt zu einer anderen Besonderheit, welche
von Herrn Olshausen als triftiger Grund gegen meine Theorie
des schräg verengten Beckens etc. 397
hervorgehoben wird (S. 177), ich meine die von Litzmann
entdeckte und als Grund gegen die Annahme einer Atrophie
des Hüftbeins gedeutete Verschiebung dieses Knochens am
Kreuzbeine. Dass ich darüber in meiner Monographie nicht
gesprochen, rührt nicht etwa daher, dass ich diese Be-
hauptung nicht gekannt habe oder nicht habe kennen wollen, '
sondern weil ich meinte, jedermann würde leicht begreifen,
dass diese an etlichen Becken wahrgenommene Verschiebung
zu den „übrigen Deformitäten u (S. 49, Coroll. 11) gehöre,
welche zum Theü aus Knochenschwund u. s. w. erklärt werden
müssen. Weil nun aber Herr Ohkausen diese Verschiebung
so sehr hervorhebt, will ich auch gern auf diesen Einwurf
antworten. Zuerst muss ich dagegen einwenden, dass die
Verschiebung eben nicht constanl und bisweilen ganz un-
erheblich ist. An meinem ersten schräg verengten Becken
misst die Entfernung der mutbmaasslichen Stelle der Ankylose
von der Spina post. sup. sinistra 2 Zoll 2 — 3 Linien und
die Entfernung des vordem Theils der Hüflkreuzfuge von
der Spina post. sup. dextra 2 Zoll 4 Linien ; an meinem
zweiten Exemplare finde ich den erstgenannten Abstand 2 Zoll
8 Linien und den zweiten 2 Zoll 7 Linien, während an diesen
beiden Becken die Linea arcuata interna an der Seite der
Ankylose 6 — 8 Linien kürzer ist l) als an der anderen. An dem
1) Um jeder Anmerkung vorzubeugen, muss ich zu diesen
Maassen noch bemerken, dass wenn ich oben sagte, an meinen
schräg verengten Becken sei die Linea ileo-pectinea an der
missgestalteten Seite 4'" — 6'" kürzer, als an der anderen, und
wenn ich jetzt von einem Läugenunterschiede der Lineae arcuatae
von 6'" — 8'" spreche, diese scheinbare Inconsequenz davon
herrührt, dass die Verkürzung der Linea arcuata des Darmbeins
zum Theil durch eine Verlängerung des horizontalen Schambein-
astes compensirt wird. Diese Eigentümlichkeit, welche Herr
OUhausen, auch an diesem Becken constatiren konnte, findet
sich an den beiden mir bekannten asymmetrischen Becken, ohne
Ankylose nicht; an diesen haben die beiden horizontalen Scham-
beinüste dieselbe Länge. Fragt man nun, warum eine solche
Verlängerung des horizontalen Schambeinastes an dieser Becken-
gattung vermiest werde, dagegen an den ankylotischen Becken
sich vielleicht immer zeige , so kann ich darauf folgende Antwort
geben. An den ankylotischen Becken hat die Schrumpfung des
Darmbeins in sagittaler Sichtung eine Zerrung des horizontalen
398 XXI- Thoma*, Die Entstehung
Becken des Herrn Ofohausen ist die Verschiebung nach hinten
auch gering; sie beträgt höchstens 4 Zoll und vielleicht nur
2 Linien, während die Lineae arcuatae (von der Synchondros. ,
sacro-il. zum Tuberc. iliorpectin.) 1 Zoll 1 Linie differiren,
überdiess findet man an diesem Becken eine Verschiebung
des Hüftbeins nach oben, welche, nach Herrn Olshausen^
6 — 7 Linien betragen soll. Nun frage ich aber: Wann und
wie kommt diese Verschiebung an den Becken, an welchen
sie in Wahrheit existirt, zu Stande? Hält man mit Herrn
Ohhausen die Ankylose für etwas Accidentelles oder Un-
wesentliches, wovon weder der Schwund des Kreuzbeinflugeis
noch die Formveränderung des Darmbeins abhängt, so kann
man schwerlich auf diese Frage eine genügende Antwort
geben. Ich finde diese Antwort daher auch nicht in den
„Bemerkungen" des Herrn Ohhausen. Hält man aber mit
mir die Ankylose für das Primäre und Wesentliche und alles
Andere für secundär, so lässt sich jede Verschiebung und
der Zeitpunkt ihres Entstehens ganz leicht erklären. Sobald
die Ankylose zu Stande gekommen ist, fangt die Schrumpfung
der dabei betheiligten Knochen an. Trifft sie ganz gleich-
massig alle Punkte der ehemaligen Superficies auricularis des
Darmbeins, so findet keine Verschiebung statt, sondern der
Ueberrest des grösstenteils geschwundenen Kreuzbeinflügels
dringt in frontaler Richtung in die Substanz des Hüftbeins
hinein, oder, wenn man lieber will, das Hüftbein nähert sich
der Mittellinie des Kreuzbeins und nimmt den im Wachsthum
behinderten Kreuzbeinflügel in sich auf; kommt aber die
Ankylose an dem vorderen Theile der Superficies auricularis
früher zu Stande, als an dem hinteren, oder ist die Ver-
wachsung an der vorderen Seite eine festere und innigere
und deshalb auch die Schrumpfung des Knochens oder die
Behinderung der Ernährung am Hüftbeine vor der Stelle der
Schambeinastes zur Folge nnd weil dieser in der Schambeinfuge»
mit dem der anderen Seite verbanden ist, so kann er sich nur
durch Streckung und Verlängerung der geänderten Form der
übrigen Theile des Beckens accommodiren ; während bei den
Asymmetrischen Becken ohne Ankylose, an welchem kein Knochen-
schwund beobachtet wird, eine solche Zerrung nicht eintritt, und
deshalb auch der Schambeinast die gewöhnliche Länge behält.
des s ehr Kg verengten Beckens etc. 399
Ankylose beträchtlicher als hinter derselben, so muss eben
dadurch eine Verschiebung des Hüftbeins nach hinten hervor-
gebracht werden, welche Verschiebung sich demzufolge nach
der Ankylose und während des Heranwachsens der Knochen
allmälig ausbildet und wahrscheinlich erst, nachdem das ganze
Skelett seinen volligen Wachsthum erreicht hat, unveränderlich
geworden ist
Noch ein Einwurf, welchen Herr Olahausen gegen meine
Theorie gemacht bat, bleibt mir zu widerlegen übrig. Herr
Olskausen meint, die vielen Präparate von Synostosis sacro-
iliaca ohne Kreuzbeindefect, welche sich in anatomischen
Sammlungen befinden — Creve sah deren nicht weniger
als 250 und Herr Ofohausen selbst beschreibt noch über-
diess 5 an drei Becken — sprechen laut dafür, dass eine
Ankylose nicht nothwendig eine Schiefheit des Beckens be-
dingt, und wenn daran in der Regel Osteophytbildung vor-
handen, sei, warum fehlt sie dann in der grossen Mehrzahl
aller Fälle von schräg verengten Becken, wo doch die An-
kylose immer eine ganz vollständige sei und wo ich die Ver-
wachsung als die Folge einer Gelenksentzündung betrachte?
Was die Osteophyten oder Exostosen betrifft, so habe ich
darauf niemals ein grosses Gewicht gelegt; ich habe sie bloss
angeführt zum Beweise, dass Nasgele Unrecht habe, wenn
er sage; „In keinem Falle sind krankhafte Zustände u. s. w.
nachweisbar, die Anlass zur Deformität hätten geben können."
Wo Krankbeitsresiduen vorhanden sind, sprechen sie freilich
für einen krankhaften Zustand des Knochens oder des Peri-
osteum, sie können jedoch ebenso gut fehlen und die Anky-
lose kann doch durch eine Gelenksentzündung ia gewöhn-
lichem Sinne hervorgebracht sein, wie dies bei meinem ersten
schräg verengten Becken durch die Anamnese bewiesen wird,
und deshalb kann ich auch nicht zugeben, dass die Ab-
wesenheit von Spuren einer Knochenkrankheit, welche ich
für 31 Exemplare annahm und welche Herr Ohhausen für
c. 34 vindicirt, Etwas gegen den entzündlichen Ursprung der
Ankylose beweise.
Und die Präparate von Ankylose der Hüftkreuzfuge ohne
Kreuzbeindefect?
400 XXI- Thomas, Die Entstehung
leb gestehe, dass sie ungemein häufig sind, so häufig,
dass man sie, wie Creve sagt,1) „beim Durchsuchen der
Beinhäuser auf Kirchhöfen der zu grossen Menge wegen
nicht mehr aufbewahren will/4 aber Creve sagte auch bereits,
dass eine unvollständige, oberflächliche Verbindung, welche er
nur als eine „Verknöcherung des Knorpelbandes44 betrachtet,
die gewöhnlichste sei, und dass ein Verschmelzen der Knochen
selbst sehener angetroffen werde. Deshalb wird auch von
Rokitansky behauptet: „Die Synostose der Kreuzdarmbein-
fuge ist nicht gar selten; im Fötus oder in frühzeitiger
Extrauterinperiode entstanden, bedingt sie als einseitige die
häufigere schräge, als symmetrische die quere Verengerung.
Im spätem Alter acquirirt, besteht sie öfter in einer knöcher-
nen Ueberbrückung der Synchondrose."2) Ich selbst kenne
etwa 25 solcher Präparate; an den meisten findet sich nur
eine knöcherne Ueberbrückung oder Verknöcherung der Bän-
der, an einigen ist die Verwachsung mehr oder weniger voll-
ständig, an Einem, welches zur Sammlung des Nosocomium
Academicum gehört, selbst vollständiger als an dem dritten
Präparat, welches Herr Olshausen beschreibt, und an welchem
„der spitz zulaufende untere Theil beider Gelenke c. 4 Linien
hoch eine Trennung des Kreuzbeins und der Darmbeine zeigt14;
aber dieses Präparat, dessen Herkommen mir freilich unbe-
kannt ist, hat ohne Zweifel einein alten Individuum gehört,
wie aus der Verknöcherung des Limbus cartilagineus acetabuli
hervorgeht, und niemals habe ich behauptet, dass eine Anky-
lose der Kreuzdarmheinfuge, wenn sie z. B. im klimacterischen
oder im Greisen-Alter auftritt, auch dann noch zu Knochen-
schwuud. oder Schrumpfung leiten müsse; im Gegentheil in
meinem Referat das Becken von Holst9» betreffend, sagte
ich ausdrücklich: (S. 18) „da diese Krankheit jedoch erst
im neunzehnten Lebensjahre eintrat, d. h. in einem Alter,
in welchem das ungenannte Bein fast vollständig entwickelt
ist, so erlitt diess blos eine Formveränderung, aber keinen
eigentlichen Schwund ;u und bei der Beschreibung des
1) C. C. Creve t Von den Krankheiten des weibl. Beckens.
Berlin 1795. S. 163.
. 2) C. Rokitansky, Lehrb. d. pathol. Anatomie. 3. Aufl. Bd. II.
1856. 8. 187.
dee schrig verengten Beckens etc. 401
Heckeryschen Beckens fügte ich die Bemerkung hinzu, dass
die geringe Schiefheit desselben darin seine Erklärung finde,
dass die Ankylose erst nach der Pubertät eingetreten sei.
Zum Schluss noch eine Bemerkung. Herr Ohhausen
gesteht (S. 181) dass bei der von ihm explicirten Entstehungs-
weise der schräg verengten Becken mit Synostose ein Punkt
noch nicht erklärt ist, nämlich die Häufigkeit, ja das fast
constante Vorkommen der Synostose bei den von ihm als
wahrscheinlich angenommenen angebornen Kreuzbeindefecten.
Das ist vollkommen wahr; dieser Punkt ist noch nicht er-
klärt, und wird, nach meinem Dafürhalten auch wohl niemals
erklärt werden, gerade weil man das, was nicht wahr ist,
vergebens zu erklären sucht. Es bleiben jedoch, wenn man
die Theorie des Herrn Ohhausen annimmt, auch noch mehre
Punkte ganz unerklärt:
1. Warum, wenn die Ankylose nur etwas Accidentelles
oder Unwesentliches ist, an den Becken mit Ankylose eine
bedeutende Formveränderung der Darmbeinschaufel mit Ver-
schmälening ihres untern Theils beobachtet wird, und warum
diese Formveränderung nicht wahrgenommen wird an Becken
mit notorisch angebornen Kreuzbeindefecten und ohne An-
kylose.
2. Warum an den ankylotischen Becken der Ausgang
verengt und der Schambogen zu scharf ist, und warum man
diese Erscheinung an den asymmetrischen Becken ohne An-
kylose vermisst.
3. Warum eine Verschiebung des Höftbeins nach hinten
oder nach oben, an etlichen Becken mit Ankylose gefunden,
an andern derselben Gattung nicht gefunden wird.
4. Warum bereits eine ziemlich grosse Anzahl Becken
mit Ankylose bekannt geworden ist, welche den Tod der
Mutter und des Kindes veranlasst haben, und warum dies
bis jetzt von keinem einzigen Becken mit angebornem Kreuz-
beindefect, aber ohne Ankylose, behauptet worden ist.
Meine Theorie dagegen erklärt alle diese Umstände ganz
leicht Sie hat überdies noch den Vortheil, dass sie die
einfachere ist, denn während Herr Ohhausen an einen
Bildungsfehler glaubt, zu welchem er später noch eine er-
worbene Krankheit, wahrscheinlich eine adhäsive Entzündung
4Q2 XXII. Notisen aus der Journal -Literatur.
hinzukommen lägst (S. 101), erkläre ich die ganze Miss-
gestaltung des schräg verengten Beckens, ja selbst die
Varietäten, die dabei wahrgenommen worden sind, aus einer
und derselben Ursache und bringe die Lehre seiner Entstehung
mit andern in der Osteopatbologie als wahr anerkannten That-
sachen in Einklang.
XXII.
Notizen aus der Journal -Literatur.
Woodmann: Eiternde Kyste im Unterleibe.
Bei einer 38jährigen Frau zeigte sich eine mannskopfgrosse
rundliche Geschwulst links vom Nabel, etwas nach rechts hinüber-
ragend. - Der PercusBionston war matt; die Geschwulst selbst
etwas beweglich. Rechts vom Nabel waren zwei Fistelöffhungen
vorhanden, die von einem entzündeten Rande umgeben waren.
Dabei zeigte die Frau einen Ballen Haare, die aus den Fisteln
herausgekommen waren. Der Uterus war gesund. Die Anamnese
ergab Folgendes: Zwei oder drei rheumatische Fieber aus-
genommen will sie immer gesund gewesen sein. Mit 13 Jahren
ist sie menstruirt. Seit ihrem 18. Jahre verheirathet gebar sie
in erster Ehe zwei Rinder und abortirte ein Mal, in zweiter Ehe
gebar sie drei Rinder, von denen das jüngste im Juli 1861 elf
Monate alt war. Vor dem letzten Wochenbette hatte sie Schmerzen
in der linken Weiche und der linken Leistengegend. Gleich
nach der Entbindung bemerkie Patientin, dass ihr Leib starker
als gewöhnlich sei, und dies nahm immer mehr zu, so dass sie
bald nach beendetem Wochenbette die Gesehwulst entdeckte.
Im November 1860 brach die Geschwulst neben dem Nabel anf
und es soll eine grosse Menge klarer gelber Flüssigkeit heraus*
geflossen sein, etwas später das oben erwähnte Bündel Haare.
Am 31. Juli 1861 wurde Patientin im London Hospital auf-
genommen und man entsohloss sich, die bestehende Fistel zu
spalten, die Höhle zu untersuchen und womöglich zu entfernen.
Aus der gespaltenen . Fistel stürzte eine Masse fötiden Eiters
heraus, mit Haaren wie aus einer Ovaria! kyste untermischt.
Die Kyste war mit den Bauchwandungen adhärent. Dieselbe:
verkleinerte sich übrigens ohne weitere Medication derartig,
XXII. Notizen ans der Journal -Literatur. 403
dass die Kranke am 20. September ohne fühlbare Geschwulst als
geheilt entlassen wurde.
(Medical Times, Deeember 1861.) G.
Sampton Oamgee (Birmingham): Zwei Fälle von Ovariotomie.
Im ersten Falle bestand eine multiloculäre Kytta seit drei
Jahren. Bei der Operation fanden sieh ausgedehnte Adhäsionen.
Der Tod trat nach 16 Stunden ein, bei der Section seigte sich,
dass der Tumor vom linken Ovarium mit einem langen Stiele
ausgegangen war. Es zeigte sich keine Verletzung der Ein-
geweide trotz der Trennung vieler Adhäsionen.
Der zweite Fall betraf einen ebenfalls vom linken Ovarium
ausgehenden mannskopfgrossen Tumor der mit Ascites complicirt
war. Bei der Operation mussten zwei starke Adhäsionen mit
dem Omentum nach vorangegangener Unterbindung getrennt
werden. Es folgte eine heftige Peritonitis mit Abscessbildung,
wobei sich der Eiter aus der Wunde entleerte; später folgte eine
Bronchopneumonie, von der Patientin genesen ist.
(Medical Times, Deeember 1861.) G.
Spencer Wells: Fall von Ovariotomie.
Eine 50jährige Frau bemerkte seit sieben Jahren eine
Zunahme ihres Leibes mit geringen Schmerzen ohne Störung
des Allgemeinbefindens. Nach 31/, Jahren wurde die diagnosticirte
Ovarialkyste punetirt und 13 Pinten einer dünnen Flüssigkeit
entleert Sieben Monate darauf wurde eine zweite Punction
nöthig-, 13 Wochen später die dritte. Im Ganzen ist die Punction
12 Mal gemacht worden, wobei die Flüssigkeit immer dicker
wurde und die Quantität immer grösser. Bei der letzten Punction
im October 1861 wurden 40 Pinten entleert. Im Deeember 1861
war Patientin sehr, abgemagert, sonst aber leidlich gesund. Der
Umfang des Leibes, um den Nabel gemessen, betrug 44", die
Entfernung vom Processus ensiformis bis znr Symphyse 22".
Wells diagnosticirte eine vielfächerige Kyste mit seitlichen
Adhäsionen. Am 17. Deeember machte er unter Chloroform-
narkose eine 6" lange Incision in der Linea alba, in der Mitte
zwischen Nabel und Symphyse. Die Hauptkyste, vom rechten
Ovarium ausgehend, war mit dem Peritonäum verwachsen und
mnsste durch sorgfältige Schnitte davon getrennt werden; sie
wurde geöffnet nnd entleert. Ausgedehnte seitliehe Adhäsionen
wurden mit der Hand getrennt. Gruppen kleinerer Kysten wurden
ebenfalls entleert. Der Stiel war kurz aber leicht mit einer
Klammer, etwa 1" von der rechten Seite des Uterus entfernt,
404 XXII. Notizen ans der Journal -Literatur.
gefasst und dann durchschnitten. Das linke Ovariuro fand sich
atrophisch, aber eine dünnwandige Kyste*, von der Grösse einer
Orange, wurde in einer Falte des breiten Mntterbandes dicht am
Uterus bemerkt und durch eine Incision entleert* Die Bauch-
wunde wurde durch Silbersuturen , die durch die ganze Dicke
der Bauchwandungen mit Einschluss des Peritonäums geführt
wurden, geschlossen. Der Rumpf wurde mit der Klammer im
unteren Wund wiukel befestigt. Die leeren Kysten wogen 9 — 10 Pfd.,
der Inhalt 30 Pfd. Nach der Operation war Patientin so wohl und
schmersensfrei, dass nicht einmal Opium gegeben wurde. Der
Puls blieb meist 80. Die Klammer wurde am fünften Tage,
nachdem der Stumpf vertrocknet war, entfernt, die Nähte vom
siebenten Tage an, wo die Wunde fast gans geschlossen war.
Am 81. December wnrde die Patientin geheilt entlassen.
(Medical Times, Januar 1862.) O.
Henry Hank»: Geburt eines Doppelmonstrum.
Die betreffende Missgeburt bestand aus zwei vom Manubrium
sterni bis sum Nabel zusammengewachsenen ausgetragenen Kindern,
die susammen das Gewicht von 16% Pfd. hatten. Die Geburt
war schwer und die Kinder waren todt. Der Mechanismus der
Geburt war interessant, indem zuerst der Kopf des einen Kindes
geboren wurde, dann der Kopf des zweiten, indem er mit seinem
Vorderhaupte auf den Nacken dos erste ren gepresst wurde. Dann
folgte der gemeinsame Körper. Die Mutter blieb gesund.
(Medical Times, December 1861. &
Ferber: Zur Pathogenie der sogenannten Haematocele
retro-uterina.
Verf. giebt uns, auf Sectionsbefunde fassend, die Be-
schreibung verschiedener Grade von Blutungen in das Becken-
peritonäum. Er fand in der Beckenserose folgende Vorgänge:
Hyperämie und Nenbildung von Capillaren , anfänglich nicht über
das Niveau des Mutterbodens hinausreichend, sodann umkleidet
von Bindegewebe in Zottenform in das Cavum peritonaeale hinein-
ragend, als weitere Entwickelung von Capillarnetzen strotzende
Pseudomembranen, welche nur lose mit der Serosa zusammenhingen,
und endlich in dem letzten Falle zwischen Lamellen, den Pseudo-
membranen gleich, zahlreiche Residnen feiner Blut extravasale.
Diese Vorginge entsprechen nach gewiesene rmaassen einem zu-
sammenhSngenden Pro c esse aller serösen Häute. Man nennt die
in Rede stehende Ernährungsstörung daselbst meist eine Ent-
XXII. Notizen aus der Journal -Literatur. 405
stindung mit hämorrhagischem Exsudate. Es wird daher in
manchen Fällen, and vielleicht in der Mehrzahl, die sogenannte
Haematocele retro -uterina nichts anderes als eine Pelviperitonitis
haemorrhagica sein.
In der That bieten die übrigen klinischen Erscheinungen
der Haematocele nach dem Ausspruche der meisten Autoren das
Bild einer Peritonitis mit hämorrhagischem Exsudate.
(Archiv der Heilkunde, 1862, 3. Jahrg., 6. Heft.)
Ranubotham: Klinische Vorträge über Geburtshülf e.
In mehreren Aufsätzen unter diesem Titel skizzirt der Verf.
zunächst kurz alle Fälle von Blutungen in den ersten Geburts-
perioden, die ihm während der Jahre 1840 — 1843 zur Beobachtung
gekommen sind. Es sind deren 46. Davon waren 33 Fälle von
Placenta praevia und 13 von vorzeitiger Lösung der Placenta
oder Zerrung derselben durch tiefen Sitz bedingt. In allen Fällen
sprengte Bamtbotham die Eihäute , sobald er nur irgend dieselben
fühlen konnte, ohne alle Kücksicht auf die Grösse und Be-
schaffenheit des Muttermundes, gab dann ebenfalls sogleich
Ergotin und reichliche Quantitäten Brandy. Die Tamponade der
Vagina wurde nur in zwei Fällen angewandt. Die angeführte
Behandlung genügte in den Fällen von Placenta praevia 9 Mal
allein zur Beendigung der Geburt und zwar betraf es jedes Mal
ttchädellagen. Von den Müttern wurden acht am Leben erbalten,
die ueunte starb den Tag nach der Entbindung in Folge der
Anämie. Sechs Kinder wurden todt, zwei lebend geboren. Vom
neunten Kinde fehlt eine Angabe darüber, es ist aber wohl als
todtgeboren anzunehmen. Da die Placenta zuerst ausgestossea
wurde. Die übrigen 24 Fälle von Placenta praevia erforderten
die Wendung auf einen Fuss bei vorliegendem Schädel 17 Mal,
zwei Mal war nach erfolgter Wendung noch die Perforation des
Kopfes nöthig wegen Beckenenge. Die Mütter wurden allein in
12 Fällen am Leben erhalten. Von den 17 Kindern kamen nur
fünf lebend zur Welt. Ein Mal wurde die Wendung bei Querlage
ausgeführt mit günstigem Erfolge für Mutter und Kind. Drei
Fälle von Placenta praevia waren mit Fuss lagen verbunden; in
allen drei Fällen wurde die Extraction mit günstigem Erfolge für
die Mutter gemacht. Von den Kindern kam eines lebend zur
Welt. Die Zange wurde ebenfalls drei Mal angelegt, jedoch nur
ein lebendes Kind damit zu Tage gefördert. Von den Müttern
starb eine gleich nach der Entbindung, die zweite am neunten
Tage des Wochenbettes an Peritonitis.
In den 13 Fällen von Blutungen, bedingt durch Zerrung
oder vorzeitige Lösung der Placenta, genügte acht Mal die Zer-
406 XXII. Notisen aas der Journal -Literatur.
re issung der Eihäute (womit immer die Darreichung von Ergotin
und Brandy yerbunden war), um die Geburt auf natürlichem
Wege in beenden. 8ieben Mal betraf dies Schädellagen, ein Mal
eine Steisslage. Die Mütter wurden in diesen Fällen immer er-
halten; von den acht Kindern wurden drei todt geboren. In fünf
Fällen wurden Operationen nöthig, und iwar «in Mal bei Steiss-
lage die Extraction mit glücklichem Ausgange für Mutter und
Kind; drei Mal die Wendung bei vorliegendem Kopfe, wodurch
ein Kind (bei gleichseitigem Nabelschnurvorfalle) gerettet wurde,
während von den Müttern swei durch Nachblutung ex atonia uteri
starben; endlich wurde ein Mal der vorangehende Kopf perforirt.
Die Mutter blieb gesund.
(Medical Times, Januar 1862.) G.
Ousterow: Bericht über die in der geburtshülflichen und
gynäkologischen Klinik des Herrn Geh. Medicinal-
rath Prof. Dr. Martin zu Berlin im Wintersemester
1861 — 1862 sur Behandlung gekommenen Geburten
und Krankheitsfälle.
1. Geburtshilfliche Klinik und Poliklinik.
Es kamen vor: Geburten 552 <173 in der Konigl. Ent-
bindungsanstalt, 874 in der Poliklinik).
Zwillingsgeburten 9 (2 Kinder todt).
Geboren wurden 810 Knaben (30 todte) and 261 Mädchen
(16 todte).
Lagen: Gesichtslage 4 Mal; Steisslage 21 Mal; Fusslage
19 Mal; Schädellagen (9 Mal dritte und 7 Mal vierte) 601 Mal;
Quer- und Schieflagen 10 Mal.
Fehl- und unzeitige Geburten 18 Mal.
Frühgeburten 16 Mal.
Krampfwehen 16 Mal. Wehenschwäche 18 Mal. Becken-
enge 11 Mal (stete durch Rhachitis bedingt; 2 Mal verlief die
Geburt ohne operative Hülfe, darunter ein Nabelschnurvorfsll,
der mit Glück reponirt wurde; 3 Mal wurde die Zange angelegt;
die Wendung auf die Füsse wurde 2 Mal ausgeführt; Kephalo-
thrypeie nach vorangegangener Perforation wurde 2 Mal aus-
geführt: 1) bei 3 Vt" Conj. und sehr grossem Kopfe, 2) bei einem
rachitischen Becken von 3" 4"' Conj. ; 1 Mal wurde die Decapitation
nöthig bei einer vernachlässigten Querlage bei einer Beckenenge
von 8" 1'" Conj.; 1 Mal (31/," Conj.) wurde die künstliche
Frühgeburt eingeleitet).
Umschlingung der Nabelschnur 66 Mal.
Vorfall der Nabelschnur (9 todte Knaben) 19 Mal.
Eclampsie 1 Mal. '
XXII. Notizen aus der Journ»]- Literatur. 407
Blutungen durch vorzeitige Lösungen der Pla-
centa 4 Mal; Placenta praevia 6 Mal; Blutungen in der
Nachgeburtsperiode 16 Mal.
Operationen: Reposition der Nabelschnur 2 Mal ; Wendung
auf einen Fuss 10 Mal; Extraction an den Füssen 18 Mal;
Zange an den vorliegenden Kopf 24 Mal. Incisionen in den
Scheidenmund 8 Mal; Lösung der Placenta 2 Mal, Kephalothrypsie
2 Mal: Decapitation 1 Mal; Sectio caesarea post mortem 1 Mal;
kunstliche Frühgeburt 1 Mal.
2. Frauenkrankheiten..
Erkrankungen 417. Die wichtigsten Fälle sind:
Fistula recto - vaginal. 2 Mal; Fistula vesico- vaginal. 3 Mal;
Ulc syphilit. 6 Mal; Ulc. puerper. 12 Mal; Cysto cele 6 Mal;
Atresia orific. uter. 2 Mal; Prolapsus uteri 8 Mal; Hypertrophia
portion. vag. 2 Mal; ftetroversio uteri 7 Mal; Retroflexio uteri
13 Mal; Endometritis colli uteri 36 Mal; Endometritis universalis
bei Wöchnerinnen 15 Mal; Perimetritis 17 Mal. Polypen:
1) Follicularpolyp 4 Mal (2 Mal mittels des Ecraseurs entfernt,
2 Mal abgedreht, jedes Mal mit vollständigem Erfolge; darunter
1 Mal während der Gravidität ohne Störung des Verlaufes;
2) fibröser Polyp 1 Mal (abgeschnitten) ; Carcinoma uteri 16 Mal ;
Dysmennorrboea mexnbranacea 1 Mal; Haomatocele periuterina
2 Mal; Mastitis 8 Mal.
3. Krankheiten der Neugeborenen.
Zu erwähnen sind:
Hemieephalia 1 Mal; Spina bifida 2 Mal; Blutbrechen aus
einem Ulcus duodeni 1 Mal; Meningitis 2 Mal; Cephalaematom
1 Mal; Pemphigus neonator. 1 Mal; Ophthalmie 29 Mal; Trismus
3 Mal; Hydrocele 2 Mal.
Boafti: Bericht. über die Ereignisse in der Graser Gebär-
anstalt in den Schuljahren 1869 — 1860 und 1860—1861.
Von 3496 in der Anstalt verpflegten Schwangern haben 3467
geboren und zwar 3089 in der Anstalt, 368 ausserhalb derselben
(als sogenannte Gassengeburten). 3406 Geburten waren einfache,
60 Zwillings- und 1 Drillingsgeburt. Fehlgeburten 41, Früh-
geburten 344 (unter letzteren 21 Zwillingsgeburten und 1 Drillings-
geburt).
Unter den in der Anstalt beobachteten 3146 Kindeslagen
befanden sich 2979 Scheitelbeiulagen, 84 Gesichtslagen, 104 Rumpf-
endlagen und 18 Schief- und Querlagen. Vier Mal zeigte sich
der rechte Arm neben dem Kopfe und ein Mal der rechte Fuss
neben dem Kopfe eines zweiten Zwillingskindes vorgefallen.
Nabelschnur: Umscblingungen bei mehr als 300 Kind ein,
Stenose 6 Mal, Knoten 6, Vorfalle 18 (6 todte Kinder).
408 XXII. Notisen ans der Journal-Literatur.
Hydra mnios 9 Mal. Placenta praevia 3 Mal. Vorzeitige
Loslösung des normal angehefteten Mutterkuchens 6 Mal, Me-
trorrhagieen in der Nachgeburtsperiode 75 Mal.
Dammrisse 92, davon 3 bis in den Spbincter ani.
Convulsionen; epileptische 3, eclamptische 8.
Beckenverengerangen 19 (keine nnter 3" Conj. vera).
Geburtshülfliche Operationen: Einleitung der künst-
lichen Frühgebart 6. Fälle, 5 Mal wurde die Colpeuryse, 1 Mal
die blutige Erweiterung des Muttermuudes , 18 Mal der künstliche
Blasensprang, 4 Mal die Kauterisation des Uteras als die Gebart
vorbereitende Operation angewendet; der Schamschnitt wurde
40 Mal gemacht. Wendungen 20 (2 Mal auf beide Fasse, 3 Mal
der doppelte Handgriff). Manuelle Extractionen am Kämpfende 7,
Lösung der Arme and des Kopfes 64. Zangenextraction 83 (2 Mal
am nachfolgenden Kopfe). Perforation and Kephalothrypsie 3,
Decapitation 1.
Von den Wöchnerinnen erkrankten 247, davon starben theils
in der Anstalt, theils im Krankenhause 97.
Kinder. Todtgeboren 138, scheintodt 70, innerhalb der
ersten acht Lebenstage gestorben 140 (and «war an: Debilitas
congenita 74, Hydroceph. cong. 2, 9 Atelectasie, 6 Infiltration
der Lange, 20 Apoplexia meningum et cerebri, 1 Abscess der
Thymusdrüse; 2 an Peritonitis', 2 Trismus; je 1 mit Exanthem*
papnlosum, Pemphigus, Erysipels* genital., Vomitns cruentas
and Melaena). Von wichtigen" Missbildungen erwähnen wir:
Hydrocephalus 2, Anencepbalus 3, Mangel des rechten Anges 1,
Syndactylus 1 , Atresia ani 1 Mal.
(Oesterreichische Zeitschrift für prakt. Heilkunde, 1862,
$o. 28—36.)
XXIIL
Temperaturstadien bei der Geburt und im
Wochenbette.
Von
Dr. F. Wlnckel,
erstem Assistenzarzt der König!. UniToraitKta • Entbindungsanstalt In Berlin.
Bei Erforschung der Eigenwärme des menschlichen Körpers
in seinen einzelnen Organen und Höhlen hat mau auch die
weiblichen Genitalien in den Kreis der Beobachtung gezogen.
Berger und Maunoir bestimmten die normale Temperatur
der Scheide bei zwei Mädchen; Fricke verglich diese mit der
Wärmeentwickelung zur Zeit der Menstruation und in der
Schwangerschaft und Hecker suchte die Tcmperaturcurve des
normalen Wochenbetts festzustellen. Ebenso sind die patho-
logischen Processe beim geschlechtsreifen Weibe in dieser
Beziehung untersucht worden: Qierse, v. Baerensprung,
Traube und Hecker haben Wärmemessungen an kranken
Wöchnerinnen vorgenommen, die seitdem besonders in
Puerperalheberepidemieen vielfach fortgesetzt wurden. — Bei
alledem bleibt es auflallend, dass Untersuchungen über das
Verhalten der Körperwärme bei der Geburt selbst bis
jetzt ganz und gar fehlen, um so auftauender, als die
richtige Würdigung der Teraperaturcurve des Wochenbetts,
wie mit dem ganzen Geburtshergange, so mit der dabei
stattgefundenen Wärmeproduction aufs engste zusammenhängen
nauss. Wenn man liest, „dass nach Hecker'z Ansicht namentlich
die Intensität und Aufeinanderfolge der Wehen auf die Er-
höhung der Temperatur bald nach der Geburt von wesentlichsten
Einfluss sei," musste da nicht der Gedanke nahe liegen,
die Wehen selbst mit dem Thermometer zu messen? Konnte
i man nicht hoffen, gewisse Unterschiede zwischen normalen
MonatMohr. f. Oeburuk. 1862. Bd. XX., Hft.6. 27
410 XXIII. Winckel, Temperaturverhältnisee
und abnormen Wehen zu finden, zumal da nach dem be-
kannten Versuche von Hdmholtz ein in Tetatus versetzter
Muskel seine Temperatur merklich erhöht und nach «7. BeclarcTs
Behauptung der blos in Spannung versetzte Muskel mehr
Wärme entwickelt, als wenn derselbe zugleich eine äussere
mechanische Arbeit verrichtet?
Sehen wir aber auch von diesen vielleicht allzu sanguinisch
erscheinenden Hoffnungen ab, so liess sich von dem Gebrauche
des Thermometers hei der Geburt doch manches Resultat
erwarten. Giebt es ja immer noch Indicationen zu operativer
Hülfe bei der Geburt, die an sich höchst elastischer Natur
und nur von subjectiver Anschauung abhängig, einer positiven
Abgrenzung dringend bedürfen. Ich erinnere blos an die
Termini -Erschöpfung und Gefährdung der Kreissenden durch
Blutung, Quetschung u. s. w. Nach den Erfahrungen bei
chirurgischen und inneren Krankheiten konnte die Verwerthuug
des Thermometers auch hier wohl von Erfolg sein.
In dieser Erwartung und mit dem Bewusstsein eine wenn
auch schwierige, an Zeit sehr kostspielige aber auch höchst
interessante und wichtige Arbeit zu unternehmen, suchte ich
das reichliche Material, welches mir die hiesige Universitäts-
Entbindungsanstalt gewährt, zur Ausfüllung dieser Lücke zu
benutzen.
Die zwei Thermometer der Anstalt, welche mir zur
Disposition standen, sind Normalthermometer nach CeUius
bei 28" 2m Barometerstand verfertigt, deren 148/4" lange
Glasröhre einen Endkolben mit Quecksilber von 13'" Länge
und 18'" Umfang hat. Diese stimmen nach wiederholten
Proben genau miteinander überein und stellte ich mit ihnen
alle Messungen selbst an.
Aus verschiedenen Gründen wählte ich zur Bestimmung
der jedesmaligen Temperatur vor, bei und nach der Geburt —
die Scheide und muss daher zunächst durch Anführung einer
Reihe von correspondirenden Messungen in Scheide und
Achselhöhle die Einwände von der Hand weisen, welche dieser
Untersuchungsmethode gemacht werden. könnten.
Bei der Geburt werde der eine Thermometer immer
mindestens 2 — 4" weit in die Vagina eingelegt und durch
die aneinandergedrückten Oberschenkel in seiner Lage ganz
bei der Geburt und im Wochenbette. 411
genau fiiirt, während ich den in der Achselhöhle augebrachten
namentlich bei unruhigen Kreissenden in der Wehenzeit immer
selbst hielt. Die Messungen in der Achselhöhle während der
Geburl sind nicht blos sehr mühselig und zeitraubend, sondern
den meisten Gebärenden wegen der gebundenen Haltung des
Armes geradezu unerträglich. In der Achselhöhle muss das
Thermometer mindestens 25 Minuten sicher hegen, während
es in der Scheide schon nach 6 — 12 Minuten (in 20 Fällen
durchschnittlich nach 9 Minuten) seinen höchsten Stand er-
reicht Die letztere ist also der Achselhöhle um so mehr
vorzuziehen, als in der oben angegebenen Weise bei Böcken-
und Seitenlage das in die Vagina eingeführten Thermometer
der Kreisscuden durchaus keine Unbequemlichkeit verursacht
Es fragt sich nur: erstlich, ist nicht inter partum der
Scheidenkanal zu weit, um genaue Wärmemessungen in ihm
anzustellen oder falls dies nicht der Fall, lässt dann die
bestehende locale Hyperämie der Scheide überhaupt einen
richtigen Schluss auf die allgemeine Körpertemperatur zu?
Zunächst ist es noth wendig, die Thermometerkugel stets so
lief als möglich einzuführen, um den untersten besonders
gefässreichen Theil der Scheide zu passiren und dann muss
durch Aneinanderlegen der Kniee immer ein enges Umschliessen
der Glasröhre durch die äusseren Genitalien erzielt werden. —
Dann ergeben die correspondirenden Messungen ganz genaue
Resultate, die wir mit Hinweis auf die angefügte Tabelle No. 1.
hier kurz hervorheben:
1. Unter sonst gleichen Verhältnissen (Kleidung,
Luft, Nahrung u. s. w.) ist bei gebunden Genitalien die
Differenz zwischen Temperatur der Achselhöhle
und Scheide fast ganz constant. Natürlich bleibt die
erstere immer um 0,1° — 0,4° C. hinter der letzteren zurück.
Cf. Tab. I. aus der Schwangerschaft (bei warmer Bekleidung)
No. 1 und 2, bei der Geburt No. 1 und 6 und im Wochen-
bette No. 1.
2. Treten Schwankungen in jener Differenz ein,
so werden dieselben fast immer durch die grösseren
Hauttemperatur seh wankungen bedingt. Beweis:
No. 2, 3, 4, 5 bei der Geburt und No. 1 und 2 im Wochen-
bette (Rubrik a. <?.).
27*
412 XXIII. Winde tl, Temperatnrverbältnisse
3. Auch bei stärkerer Erkrankung der Scheide und des
Uterus — die fast nur im Wochenbette, bei der Geburt aber
höchst selten in Frage kommen — hält die Temperatur der
Achselhöhle fast genau gleichen Schritt mit derjenigen der
Scheide. Die Differenz ist fast nie abnorm erhöht und schwankt
zwischen engen Grenzen 0,005—0,24 (III. b. 1), 0,06— 0r31
(Hl. b. 2), 0,075—0,54. In der Regel sind auch hier die
Schwankungen in der Hauttemperatur grösser, als die der
Scheidentemperatur: IDL 6. 1, 2, 3.
Ja dasselbe gilt auch ftkr die stärksten und ausgedehntesten
Grade der Colpitis und Endometritis im Wochenbette; zum
Beweis Fall d, in welchem die höchste Differenz nur 0,4
betrug, also nicht mehr wie bei vielen normalen Geburten
(1, 2, 3, L) und im Wochenbette (1, 2, II.)
Dies hat darin seinen Grund, dass die Entzündungen
und Ulcerationen der Scheide nach der Geburt in der Regel
hauptsächlich am Scheideneingange ihren Sitz haben und
nach dem Scbeidengewölbe hin, bis zu welchem das Thermo-
meter hinaufgeführt wird, an Intensität schrittweise abnehmen.
Kann man nun schon diesen beschränkten Entzündungen
keine zu grosse Wärmeproduction zuschreiben, so wird die-
selbe natürlich um so geringer sein, je weiter entfernt von
dem Entzüngsheerde die Kugel gebettet wird.
Freilich liesse sich erwarten, dass bei abnormer Wärme-
entwickelung durch den Uterus während der Geburt das in
die Scheide eingeführte Thermometer, durcb die grosse Nähe
des wärmestrahlenden Körpers etwas höher steigen werde,
namentlich wenn bei rasch aufeinanderfolgenden Wehen die
Ausgleichung der localen Wärmeentwickelung nicht so rasch
wie gewöhnlich erfolgen könnte; mit anderen Worten, dass
in solchen Fällen die Differenz zwischen Scheide und Achsel-
höhle constant, wenn auch nur wenig, steige; dies zeigte
sich allerdings in einem Falle (IV. Tab. I.) von krampfhafter
Wehenthätigkeit bei Endometritis, bei welchem jene Differenz
aUmälig von 0,2 auf 0,201; 0,25; 0,27 bis 0,3° (?., also
um 0,1° C. wuchs. Zugleich erhellt aber aus diesem, wie
vollständig dennoch die locale Wärmeentwickelung immer aus-
geglichen wird.
bei der Geburt un«l im Wochenbette.
413
Aus alle diesem folgt endlich, dass sowohl bei der Geburt
als im Wochenbette von der Temperatur der Scheide ein
mindestens ebenso sicherer Schluss auf die Blut-
temperatur gezogen werden kann, als aus der Tem-
peratur der Achselhöhle.
Tabelle Ho. 1
CorTespondirende Messungen in Achselhöhle
und Scheide.
I. In der Schwangerschaft
Zeit.
Achsel-
hohe.
-i
Scheide.
Differenz.
Differenz zwischen
zwei Messungen
der ^er
Ahthee!" ■*•«•■
Uhr
1 ) Morgen 8 10
38,076
37,9
38,2
38,06
.0,126
0,16
] 0,126
0,15
Nachm. 4
38,0
38,125
0,125
]o,i
0,076
2) Morgens 10
„10
» io
38,06
38,16
38,275
II.
38,16
38,225
38,35
Bei der
0,1
0,076
0,075
Geburt.
]o,i
1 0,126
0,076
0,126
1) Abends 6
* 9%
38,35
38,31
38,09
38,75
88,71
38,5
0,4
0,4
0,41
1 °»04
]0,22
0,04
0,21
2) Morgens 9
Nachm. 2
Abends 6
■ . »V.
37,7
37,326
37,7
37,46
38,02
37,79
37,975
87,8
0,32
0,47
0,275
0,36
] 0,376
] 0,375
10,26
0,24
0,185
0,176
3) Morgens 9
Nachm. 2
Abends 6
- «V.
37,7
37,325
37,7
37,46
88,02
37,79
37,975
37,8
0,32
0,47
0,275
0,35
1 0,376
] 0,375
]0,25
0,23
0,185
0,176
4) Abend« 7%
. 9'A
38,19
37,76
38,31
38,19
0,12
0,44
]0,44
0,12
6) Morgens 9
. 10%
38,45
38,1
38,625
88,325
0,176
0,226
1 0, )5
0,3
6) Morgens 10
Mittags 12 '/t
37,-76
37,826
38,025
38,09
0,265
0,265
] 0,016
cc
0,016
414
XXIII. Winckel, TeinperaturverhHltnisse
III. a) Im normalem Wochenbette.
Zeit.
Achsel-
hohe.
Scheide.
Differenz.
Differene «wischen
iwei Messungen
der ,
MhS" S<heide'
Uhr
1) Morgens 8
Abends 6
38,39
37,91
38,69
38,3
0,3
0,39
0,48
0,01 5
0,39
0,025
Morgens 8
Abends 6
37,926
38,56
38,325
38,95
0,4
0,4
0,625
0,625
2) Mittags 12
Abends 6
Morgens 7*/4
Abends 5s/4
38,2
37,72
38,36
38,325
38,62
39,1
38,72
38,8
0,42
0,38
0,37
0,475
0,52
0,37
0,025
0,4S
0,38
0,08
b) Bei starkem acutem Oedem der äusseren Genitalien
im Wochenbette (Colpitis).
I) Abends 6 %
Morgens 91/,
Abends 7
Morgens 9l/2
Abends 6
Morgens 91/»
Abends 6
Morgens 9
Abends 61/,
Morgens 9
40,3
39,6
39,776
38,81
39,45
38,66
38,81
38,6
38,925
38,5
40,62
39,95
40,0
39,19
39,81
38,91
39,1
38,975
39,3i»
38,775
0,22
0,35
0,225
0,38
0,36
0,26
0,29
0,375
0,465
0,275
0,7
0,175
0,965
0,64
0,2
0,16
0,21
0,325
0,425
0,67
0,05
0,81
0,62
0,1
0,19
0,126
0,426
0,615
2) Bei Uicns puerperale des Scheideneingangs
mit Oedem.
Abends 5
Morgens 8
Abends 6
Morgens 9
Abends 6
Morgens 9
Abends 6
Morgens 9
Abends 6
40,76
39,49
40,675
39,1
40,41
38,475
38,825
38,025
38,85
41,12
39,825
40,925
39,6
40,6
38,825
39,226
38,375
39,2
0,37.
0,335
0,25
0,5
0,19
0,36
0,4
0,35
0,35
1,26
1,296
1,186
1,1
1,675
1,325
1,31
1,0
1,93
1,77
0,36
0,4
0,8
0,85
0,826
0,826
a
ff
bei der Geburt und im Wochenbette.
415
c) Ulcera puerperialia
im Scheideneingange mit Oedero.
Achsel- '
Differenz zwischen
zwei Messungen
Zeit.
höhe. 1
Scheide.
Differenz.
der ,
Aohsel- c *e.r,
höhe. iScheide-
i
übt
3) Morgens 8
39,025
39,5
0,476
] 1,55
] 2,086
] 0,86
] 0,775
] 0,875
] M
] 0,56
1,2
Abends 6
40,576 '
40,7
0,125
1,675
Morgens 8
38,49 |
39,125
0,666
0,775
Abends 6
39,35 !
39,9
0,56
0,9
Morgens 8
38,576 j
39,0
0,425
0,65
Abends 6
39,45
39,65
0,2
1,05
Morgens 8
Abends 6
38,36 '
38,91* !
38,6
39,4
0,25
0,49
0,8
d) Bei enorm grossen Geschwuren im Scheideneingange
mit speckigem grauen Belag und gleichzeitigem
Thrombus pariet. vagin. poster.
1) Morgens 10
39,2
39,6
0,3
Abends 61/*
39,69
39,75
0,16
2) Morgens 8 Va
39,39
39,69
0,8
Abends 6V9
39,6
39,9
0,3
3) Morgens 8Va
40,09
40,4
0,31
Abends 6%
39,75
40,05
0,3
4) Morgens 8
39,6
39,8
0,3
Abends 6%
39,5
40,4
0,4
5) Morgens 8
39,375
39,66
0,276
Abends 6%
40,126
40,4
0,275
6) Morgens 81/»
39,06
39,29
0,24
7) Morgens
38,325
38,575
0,26
IV. I
Sei Wehei
lanomalier
Abends' 9*/4
37,6
37,8
0,2
Morg. 107,
37,99
38,2
0,201
Nachm*. 1%
37,85
38,1
0,25
Abends 51/,
38,18
38,45
0,'27
Abends 7l/4
38,25
38,66
0,8
] 0,39
]0,2
]0,21
]0,49
] 0,34
]0,25
]0,5
] 0,626
] 0,76
] 1,075
] 0,625
] 0,39
]0,14
] 0,33
]0,07
0,25
0,06
0,21
0,5
0,85
0,25
0,6
0,75
0,75
1,11
0,4
0,1
0,36
0,1
In der Rubrik et ist die Differenz zweier aufeinanderfolgender
Messungen der Achselhöhle berechnet.
In der Rubrik a ist die Differenz zweier aufeinanderfolgender
Messungen der Scheide berechnet.
416 XXIII. Winckel, TemperaturverhÄltnitse
Wenn nun aber das Thermometer in der Scheide doppelt
so rasch sehten höchsten Stand erreicht, als in der Achsel-
höhle, wenn ferner diese Art der Messung, welche den be-
treffenden Personen viel bequemer als in der Axilla ist,
mindestens ebenso sichere Resultate giebt, als in der Achsel-
höhle, so wird man bei ausgedehnteren Studien der Art sich
nicht durch falsche Gründe der Decenz von denselben ab-
halten lassen, zumal da man bei einiger Uebung wie den
Katheter so auch das Thermometer in Seiten- und Röckenlage
sieber und schmerzlos einfuhren und mit vollem Rechte den
Frauen sagen kann, dass man dadurch iiher den Verlauf der
Geburt, die Beschaffenheit des Ausflusses u. s. w. sich am
besten unterrichte.
Nach dieser Rechtfertigung der Methode, welche den
folgenden Daten zu Grunde liegt, wenden wir uns nun zu den
Messungen bei Schwangeren in deu letzten zwei
Monaten der Gravidität. Berger und Maunoir fanden
als mittlere Temperatur der Scheide bei zwei Mädchen von
19 und 25 Jahren in einer Tiefe von 1%— 4 Zoll = 38,3° C.
Man will ferner während der Menstruation eine Steigerung
derselben von 38,44—38,75° C. bemerkt haben (cf. Valentin,
Lehrbuch der Physiologie, L, S. 143). Allein alle diese
Werthe sind offenbar zu hoch angegeben, da die Zahl der
Beobachtungen sehr gering ist.
Bei 100 Messungen, die ich anstellte, um nach ihnen
den Grad der Steigerung bei der Geburt ziemlich genau be-
stimmen zu können, schwankte die Temperatur der Scheide
Morgens 9—10 Uhr zwischen 37,9 und 38,35 und betrug
im Mittel = 38,15° C. Abends von 5 — 7 Uhr aber zwischen
37,95 und 38,55 und zeigte durchschnittlich == 38,22° C.
Das Thermometer lag jedes Mal mindestens eine Viertelstunde.
Tabelle No. II. Diese Temperatur der Scheide .blieb sich in
den letzten Monaten stets vollkommen gleich und auch wenige
Stunden vor Beginn der Geburt war sie keineswegs merklich
gestiegen. Nur in einem einzigen Falle stieg Abends in den
vier letzten Tagen vor der Geburt die Temperatur von 38,3
auf 38,32; 38,4; 38,42. — Sonst aber ging die Hoflhung, mit
dem Thermometer vielleicht den bald erfolgenden Eintritt der
Wehen prognosticiren zu können, nicht in Erfüllung.
bei der Gebart und im Wochenbette.
417
Tabelle Ho. IL
Temperatur der Scheide in den letzten zwei
Monaten der Schwangerschaft
Morgens 9—10 Uhr.
Abends 6 — 7 Uhr.
1)
3) J4)
6)
1)
8)
4)
6)
38,08
38,1 < 38,22
38,1
38,2
38,19
38,3
38,175
38,36
38,19
38,276
88,2
38,3
38,21
38,1
38,1
38,2
38,12
38,3
38,06
38,3
38,10
38,16
38,125
38,2
38,12
38,12
38,126
38,6
38,15
38,16
38,65
38,06
38,1
ß)
38,225
38,36
38,1
6)
38,2
38,0
38,22
38,12 . 38,15
38,475
38,05
38,19
37,96
2) 38,2
38,12 ! 38,225
2)
38,1
88,56
38,3
38,3
38,16
38,22 ! 38,36
38,3
38,2
38,06
38,12
38,276
38,1 , 38,15 1 38,06
38,32
38,32
38,1
38,1
38,2
37,9 38,0 ! 38,26
38,4
88,2
38,26
88,076
38,4
4) ' 38,0 38,05
38,425
4)
38,2
38,026
3)
38,12
37,99
3)
38,3
38,225
v
38,1
37,96
38,12 !
38,1
38,12
38,226
38,2
38,2
37,925 i
38,2
38,15
38,376
38,2 |
38,3
!
496,756 j 495,47 |495,56 | 419,726
498,170
496,19 496,865
419,820
50 : 1907,610 = 38,15
50 : 1911,045 — 38,**
Morj
:ens.
Abel
tdfl.
Hieran reiben wir nun:
1. Die Temperaturverhältnisse während der Geburt
Bei den oben angegebenen Vorsichtsmaassregeln kann
man sowohl in der ersten als auch in der zweiten Geburts-
periode sichere Messungen in der Scheide anstellen. Am
häufigsten freilich in der ersten Periode, da in der zweiten,
wenn der Kopf zu rasch vorrückt, das Thermometer zuweilen
ausgetrieben wird. Wo jedoch der vorliegende Theil nur
langsam herabtritt oder längere Zeit feststeht, da sind auch
in der zweiten Periode genaue Temperaturmessungen möglich.
Ein vorzeitiges Sprengen der Blase durch den Thermometer
vermeidet man, wenn die Kugel in schräger Richtung nach
der einen oder anderen Synchondrose hin unter die hintere
Muttermundslippe geführt wird. Dies gelingt in der Regel
ziemlich leicht — Die Genauigkeit der so erhaltenen Zahlen-
werthe baben wir wiederholt durch correspondirende Messungen
in der Achselhöhle constatirt-, ja jede auffallende Veränderung
regelmässig zu unserer eigenen Ueberzeugung durch die
418 XXIII. Winckel, Temperaturverhältnisse
Untersuchung der Achselhöhlen temperatur controlirt (cf. No. 24
in Tab. III. und Tab. I.).
Führen wir uns nun kurz die Momente vor Augen, welche
zur rechten Beurtheilung der gefundenen Resultate nothwendig
sind, so haben wir erstlich die täglichen Normalschwankungen
der Körpertemperatur zu berücksichtigen. Bekannt ist, dass
die Körperwärme von Morgens 2 — 10 und Nachmittags
2 — 6 Uhr steigt, dass sie dagegen fallt von Mittags 10 — 2 Uhr
und Abends 6 bis Nachts 2 Uhr (Davy und v. Baerensprung).
Es ist ferner erwiesen, dass bei hungernden und ruhenden
Menschen dennoch eine Zu- und Ahnahme um einige Zehntel-
grade erfolgt (Lichten/eis und Fröhlich). Es ist ausserdem
durch die genauen Untersuchungen von Davy, Becquerd,
Breschet und Helmholtz dargethan, dass Muskelanstrengung,
Bewegung u. s. w. die Temperatur merklich erhöht (nach
Davy um 0,3—0,7° C). Da die Muskelthätigkeit bei
Kreissenden schon in der ersten Periode ziemlich erheblich,
mit dem regelmässigen Fortgange der Geburt fortwährend
wächst, so sollte man eine nicht unbeträchtliche Erhöhung
der Körpertemperatur, namentlich bei Erstgebärenden, voraus-
setzen. Allein es concurriren viele Momente, welche die
Körpertemperatur während der Geburt selbst herabsetzen und
reguliren. Einmal empfinden die Wenigsten der Kreissenden
bei ihren Schmerzen das ßedürfniss, Nahrung zu sich zu
nehmen; entsprechend der stark vermehrten Hautsecretion
verlangen die Meisten nur nach kühlenden Getränken, an
welche natürlich immer ein Theil Wärme abgegeben wird.
Sodann bringen die Wehenschmerzen die Gebärenden fast
ohne Ausnahme zum Stöhnen, Klagen und Schreien, also zu
einer verlängerten und verstärkten Exspiration, während die
Inspiration in der Regel kurz , rasch und oberflächlich geschieht.
Wird nun durch diese Art der Inspiration nicht viel mehr als
gewöhnlich Sauerstoff den Lungen zugeführt, und ist die bei
der Respiration direct entwickelte Wärmequantität schon
keineswegs bedeutend, so wird durch die bei der starken
Exspiration wesentlich gesteigerte Lungenverdunstung eine mehr
als gewöhnliche Wärmemenge abgegeben. Mit der Muskel-
anstrengung geht aber auch die Secretion der Haut Hand in
Hand und der Wärmeverlust durch Hautverdunstung und Haut*
bei der Gebart and im Wochenbette. 419
abkählung ist bei Kreissenden um so grösser, als sie gewöhnlich
leicht gekleidet, sich gern blossdecken und besonders in
Gebärhäusern oft mehr als nöthig entblösst werden. Erwähnen
wir endlich noch, dass zur Erwärmung der Inspirationsluft,
wie zu der des üblichen Klystiers ebenfalls geringe Wärme-
mengen verbraucht werden; so wären also die Haupt-
inomente, welche inter partum die Temperatur reguliren, vor
Allem die vermehrte Lungen- und Hautverdunstung; sodann
die stärkere Hautabkühlung, ferner die aussergewöhnliche
Nahrungsabstinenz und schliesslich die Einführnng bestimmter
Körper (Luft, Getränke, Clysma u. s. w.)
Diese Gesichtspunkte müssen uns leiten bei der Beurtheilung
und Erörterung der nun folgenden:
a) Temperaturcurren bei normalen Geborten.
Die Zahl der im Verlaufe gesundsheitsgemässer Geburten
angestellten Messungen beläuft sich auf 90, welche sich
unter 40 Geburten so theilen, dass
bei 12 Geburten nur 1,
» 15 »> «>
6 „ 3,
». O >» 4,
1 Geburt 5 und
„ 1 „ sogar 6 Messungen
angestellt wurden. 78 derselben wurden in der ersten, 12 in
zweiten Geburtsperiode vorgenommen. Unter den Kreissenden
waren 28 Erst- und 12 Mehrgebärende. — Alle Messungen
wurden von mir selbst, gewöhnlich im Beisein eines Praktikanten
ausgeführt und das Thermometer erst dann entfernt, wenn
es schon 5 Minuten lang seinen höchsten Stand erreicht hatte.
Indem ich gewöhnlich von zwei zu zwei Minuten, zuweilen
auch nach jeder folgenden Minute den Stand des Thermometers
notirte, fand ich zunächst, dass die Quecksilbersäule während
der Wehe immer viel rascher stieg als in der wehen-
frejen Zeit; den Unterschied konnte man sehr deutlich sehen,
schwieriger war es, ihn genau aufzuzeichnen. Ein Fall diene
als Beispiel: Nachmittags 3l/2 Uhr zeigte das Thermometer
in der Scheide
nach 2 Minuten eine Temperatur von 37,9° C.
3 RA 1 o
420 XXIII. Winektl, TeinperatunrerhäUniMe
nach 4 Minuten eine Temperatur von 38,21° C. )
„ 5 „ „ „ „ 38,31 ° „ > erste Wehe,
» ^ *» w »i »i 00)00 „ /
„ 7 n * » » 38,4° „ | Wehen-
«i 8 „ „ „ „ 38,41° « ) pause,
y ,, „ „ „ öö,4o
10 „ „ „ 38,49
15 „ „ „ 38,49°
o " i Wehe,
n 1
Bei der Wehe betrug die Steigerung = 0,008, in der
Wehenpause aber nur 0,001 ° C.
Interessanter noch war die Beobachtung, dass auch, wenn
das Thermometer schon einige Minuten lang seinen Gipfel
erreicht hatte, die Säule während der Höbe der Wehe
und gleich nach derselben doch immer noch etwas
stieg und erst in der wehenfreien Zeit wieder auf
den früheren Punkt zurücksank. Die Höhe dieser
Steigerung war verschieden und hing unzweifelhaft mit der
Dauer und Stärke der Wehe zusammen ; ich habe sie oft von
dem anwesenden Praktikanten abschätzen lassen und einige Male
mit Sicherheit ein Steigen um 0,05° C. wahrgenommen; in
der Regel betrug diese Erhöhung jedoch nur 0,0125— 0,025° C.
So entspricht also der im Verlaufe der Wehe zunehmenden
und bald nachher wieder sinkenden Pulsfrequenz auch ein
deutlich wahrnehmbares Steigen und Sinken der Wärme-
production.
Aus der tabellarischen Zusammenstellung aller Messungen
bei jenen 40 Geburten ergiebt sich demnächst Folgendes:
I. Bei jeder gesundheitsgemässen Geburt ist
die Körpertemperatur etwas erhöht; allein diese
Erhöhung ist nur gering. Mit der Temperatur in den
zwei letzten Monaten der Schwangerschaft verglichen war die
Wärme inter partum durchschnittlich nur um 0,18 — 0,25° C.
gestiegen. Hieraus erhellt, wie schön die vermehrte Wärme-
erzeugung bei der Geburt durch die gleichzeitig gesteigerte
Wärmeabgabe in der Regel compensirl wird. Viel wichtiger
aber ist die Thatsache, dass
H. die Temperatur keineswegs entsprechend der Dauer
der Geburt fortwährend, wenn auch nur unerheblich steigt,
sondern dass sich auch bei voranschreitender Geburt
die täglichen Normalschwankungen der Eigenwärme
bei der Geburt und im Wochenbette. 421
deutlich erkennen lassen, d.h. dass sie mit diesen steigt
und fällt. Zum Beweise hierfür müssen einige Fälle, in denen
alle 2 — 3 Stunden die Temperatur notirt wurde, eingehender
mitgetheilt werden.
*
1. P. W., 22 Jahre, Erstgebärende, klein, blond, kräftig.
Wehenanfang Morgens 10 Uhr; Schädellage.
1) Abends 6 Uhr Temperatur der Scheide 38,75; reich-
liche Schleimabsonderung; Muttermund sechsergross; Wehen
noch selten.
2) Abends 71/« Uhr, Temperatur der Scheide 38,71;
Muttermund fünfgroschengross , alle V/% — 2 Minuten eine
gute Wehe.
3) Abends 9% Uhr Temperatur der Scheide 38,5;
die Wehen kräftiger; der Muttermund zehngroschengross, die
Eihäute unverletzt.
4) Nacht» 2y4 Uhr Temperatur der Scheide 38,2;
gleich nach der Geburt, deren erste Periode 13 3/4 Stunden,
deren zweite Periode l1/* Stunde und deren dritte Periode
15 Minuten dauerte.
2. P. ö., 34 Jahre, Erstgebärende, mittelgross, blond,
hager, kräftig.
1) Morgens 9lU Uhr Puls 72, Temp. der Scheide 38,35;
häufige kräftige Wehen, Mutlermund zweigroschengross; das
untere Uterinsegment sehr fein verstrichen. Schädellage.
2) Morgens 93/4 Uhr Puls 72, Temp. der Scheide 38,39;
regelmässige, kräftige Wehen. Muttermund thalergross; Blase
stellt sich.
3) Morgens 11 Uhr Puls 72, Temp. der Scheide 38,075;
häufige, kräftige Wehen; seit V* Stunde ist das Fruchtwasser
abgeflossen; der Muttermund vollständig erweitert.
4) Mittags 12 Uhr 5 Min. Puls 76, Temp. der Scheide 38,2 ;
gleich nach der Geburt: Dauer der ersten Periode 7Y4 Stunden,
der zweiten Periode 1 Stunde und der dritten Periode 4 Minuten.
3. E. B.y geb. N., 22 Jahre, Erstgebärende, gross,
blond, kräftig.
1) Abends 7 Uhr 40 Min. Puls 82, Temp. der Scheide 38,31 ;
Muttermund sechsergross; Wehen regelmässig; Schädellage.
422 XXIII. Winckelf Temperatarverhältnisse
2) Abends 9V4 Uhr Temperatur der Scheide 38,19;
Muttermund über thalergross; Blase stellt sich, sehr kräftige
Wehen.
3) Abends 9% Uhr Temperatur der Scheide 38,125;
Muttermund vollständig erweitert, sehr kräftige Wehen mit
kurzen Pausen.
4) Abends 101/« Uhr Puls 56, Temp. der Scheide 38,075;
gleich nach der Gehurt: Dauer der ersten Periode 6 Stunden,
der zweiten Periode 12 Minuten, der dritten Periode 3 Minuten.
Von diesen drei Beispielen, deren die Tabelle noch viele
andere aufweist, zeigt No. 1 die Remission der Temperatur
von Abends 6 bis Nachts 2 Uhr, No. 3 von Abends 73/4 bis
10 V2 Uhr, trotz kräftiger Wehen und rasch voranschreitender
Geburt. — In No. 2 ist die morgendliche Steigerung von
9 — 10 Uhr, dann die Remission von 10 — 11 Uhr deutlich
ausgedruckt, schon um 12 Uhr Mittags begann aber die zweite
Steigerung.
Zuweilen erschienen die Schwankungen allerdings nicht
so vollständig harmonisch mit der täglichen Teraperalurcurve.
So ergeben z. B. bei einer 22jährigen Secundipara (Tab. III.,
No. 28) die Messungen:
Morgens 10 Uhr 38,25 — 11 V» Uhr 38,45,
Nachmittags 3 „ 38,42, Abends 6 „ 38,1 und
Abends 8Va„ 38,05 gleich nach der Geburl, —
wesentlich ist also die stets um einige Zehntel wechselnde
Zu- und Abnahme, aber nie zeigte sich eine länger dauernde
constante Zunahme der Temperatur.
Ja so genau stimmen im Allgemeinen die ermittelten
Temperaturcurven bei der Geburt mit der täglichen Normal-
schwankung überein, dass sich diese in den gefundenen
Durchschnittszahlen aller ganz genau wiederspiegelt. Vergleiche
hierzu Tabelle No. IV.
III. Auch daran ist der physiologische Verlauf einer
Geburt zu erkennen, dass die gewöhnliche (kaum = 0,5° C.)
„Beweglichkeit der Eigenwärme4* auch inter partum,
bei der geringen Temperaturerhöhung, nicht ab-
norm gesteigert ist. Bei 24 von jenen 40 Fällen, in
denen unter durchaus regelrechtem Verlaufe mehrere Messungen
r
bei de
r Gebort und
im Wochenbette
>.
423
angestellt wurden, schwankte die Differenz zwischen den
einzelnen von 0,03—0,66 und betrug durchschnittlich nur
0,286° C. Nur bei stärkerem Erbrechen (z. B. No. 24) wurde
die Schwankung zuweilen etwas grösser (0,81 ° C.)
IV. Sieht man von diesen normalen Schwankungen der
Temperatur im Verlaufe der Geburt ab und vergleicht die
mittlere Wärmeproduction in. der ersten und
zweiten Geburtsperiode, so findet man mit Hülfe der
Tabelle Nachstehendes:
(Tabelle No. III. s. die Beilage.)
Tabelle No. IV.
Mittlere Temperatur bei normalen Geburten
nach der Tageszeil.
Zeit.
Xo.
Morgens
NachaiittagB
Abends
Nacbts
7 — 9 |9 — 11
11 — 2
2—4 4—6
6__g ' 8 — 10
10—12
1
38,225) 38,35
37,91
38,15
38,75
38,5 38,5
38,125
2
38,525; 38,39
38,19
37,825
38,35
38,1 38,19
37,626'
3
38,4
38,075
38,45
38,42 | 38,6
38,8 . 38,126
38,26
4
38,626
38,35
37,975
38,49 ! 38,7
38,4 38,82
38,4
5
38,5
38,38
38,41
37,89 1 38,525
38,15 38,26
38,41
6
38,0
38,2
38,2
38,12 , 38,45
38,71 | 37,95
38,1
7
38,1
38,6
38,38
| 38,576
38,46 ! 38,15
38,26
8
38,026
37,82
38,3
i 38,45
38,46 38,16
9
38,66
38,52
37,59
j 38,726
38,71 ! 38,1
10
38,49
38,4
| '
38,31 38,45
11
38,6
38,19
38,95
12
38,1
38,3
38,2
13
38,2
38,025
38,22
14
38,275
%
38,66 i
15
37,99
38,39 l
16
38,25
38,41 |
17
| 38,25
|
38,65
18
■ 37,85 "
38,59
19
20
1
| |
i
38,69
Summe
498,34 688,186 342,406
228,895j347,126
730,63 [382,686
267,360
Mittel
38,383
1 38,232 38,045
i
38,149
| 38,569
38,46 38,268
38,194
Zahl der
feobtch.
tonnen
13 ' t8 y
6 9
19 10
7
Zeit
7—9
! 9—11
j 11— 2
2^-4~
I 4^-6
1
6—8"
8— 10
10—12
424
XXIII. Winckely TemperaturverhSlhrisse
Bei gesundheitsgemässen Geburten ist also':
1) die Temperatur am höchsten Morgens 7—9; Abends
4—6 Uhr;
2) Abends immer etwas höher als Morgens;
3) am niedrigsten Mittags von 11 — 2 Uhr und Nachts von
10 Uhr an;
4) die Erhöhung der Temperatur inter partum, im Vergleich
zu der ante partum beträgt Morgens 0,183° C, Abends
0,249° C. durchschnittlich;
5) die Differenz zwischen höchsten und niedrigsten Mittel-
werlh beträgt nur 0,524° C.\
6) die Differenz je zweier aufeinanderfolgenden Stunden
war am höchsten: Nachmittags zwischen 2—4 und
4—6 Uhr, sie betrug = 0,42° C.
Bei 12 Messungen in der zweiten Periode schwankte
die Temperatur zwischen 38,075 und 38,6 und betrug durch-
schnittlich 38,342° C. Zwölf genau zu derselben Zeit in
der ersten Periode angestellte Messungen ergaben für diese
einen Mittelwerth von 38,271° C. Das Nähere zeigt die
folgende Tabelle:
Tabelle Ho. Y.
Zeit der Messung.
No.
der
Tab. IV.
Erste
Periode.
No.
der
Tab. IV.
Zweite
Periode.
Morgens 108/4 Uhr
4.
_
38,35
2
38,075
Abends 9% „
10
37,96
3
38,126
Morgens 10 „
23
38,3
• 13
38,52
8% .
22
38,525
15
38,6
10
28
# 38,25
22
88,19
9fr »
Abends 6y4 „
Naohmittags 4% „
3y9 „
8
38,2
23
38,4
16
38,39
28
38,1
36
38,726
31
38,45
9
38,12
33
38,49
Abends 10% „
Morgens 7y9 „
30
38,1
34
38,26
22
38,226
35
38,5
Abends 1074 »
28
1
38,125
38
I
38,41
•
12
469,260
ii |
460,110
Hiernach ist al
zweiten Periode um
Erste Zweite
Periode: 38,271. Periode: 38,34t.
so die Wärraeproduction in der
0,071° höher als in der ersten.
No.
Alter.
Erst-
oder
Mehr-
ge-
bärende.
Mess
in
I.
Pe-
riode.
ungen
der
II.
Pe-
riode.
Morgens
2 — 9 Uhr. 9— 10 Uhr.
Vormi
10— l
- 1
1
22 Jahre.
Lp.
3
•
2
34 „
I.
2
1
—
9Y. 9%
38,35 . . 38,39
10!
. . 38,'
3
22 n
I.
2
1
_
—
-
4
28 „
I.
4
—
8%
38,55 . .
' ; io%
- !38,86 .
5
26 „
I.
2
—
—
1 i
— - -i
B
24 „
23 ,
I.
I.
4
1
1-
9"/4
:*8,38 . .
.. .38
7
~~
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I.
1
9%
38,2 ..
9
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I.
3
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—
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I.
2
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11
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I.
1
—
1
12
30 „
I.
2
—
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—
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1.
1
1
—
38,49 . .
10
• -38,
14
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I.
■
~~
—
9'A
37,82 . .
•
i
15
27 „
25 „
I.
I.
2
1
8V«
38,6 . . .
....»
16
_
17
18
25 „
23 „
I.
I.
2
1
77* 9
38,1 . . 38,2
9%
38,4 . . .
. . . .i
19
29 „
I.
4
—
■i
20
23 „
I.
2
-
*
Tabelle Ho. in.
3mperaturmessangen bei normalen Geburten.
achraittags
Uhr. 6 — 7 Uhr.
Nachts
7 — 2 Uhr.
,89
5
,12
*Y4
*,6.
2
8,3
e
38,75
, 38,71 . . 3ö,5 .
5%
. 38,525
I 7"A 9% *V« r
— ^38,31. 38,19 *3H,125
i1/- »
38,35 . 3H,82 . .
7
38,8
7
38,22
37,95
io'A
38,65 . . 38,1
38,61
38,39 .
6V4
. 38,41 .
6%
38,59 .
7Y*
38,65
7
38,59
Gleich
nach der
Geburt.
10%
38,20
38,2
38,2
38,075
38,15
38,52
38,7
38,7
38,22
37,95
38,2
38,09
38,25
38,59
38,4
38,59
38,5
38,62
:)8,6
38,45
Stande
der
Gebart.
Uhr
Morgen «2 l/4
Mittags 12
Abends 10%
Nachm. 4}/%t
Morgens 2a/4
Morgens 6
Morgens 8%.
Abends S\/4'
Abends 10'/4
Abends 10»/4
Abends 7V4
Morgens 38/4
Mittags 12 %
Mittags 1 ■
Morgens 10%
Nachts 1
Mittags 12
Morgens 11 (
Abends 9s/i
Abends 81/
bei der Geburt und im Wochenbette. 425
Man könnte dasselbe auch noch auf einem zweiten Wege
annähernd zu ermitteln suchen, indem man nämlich jene
12 Messungen, welehe meist im Anfange der zweiten Periode
vorgenommen wurden, mit der Temperatur gleich nach der
Geburt zusammenhielte. Diese betrug bei denselben durch-
schnittlich 38,348° C. Die Differenz von 0,008° käme dann
auf die zweite Periode allein. Freilich kann man hieraus
keineswegs einen nur einigermaassen richtigen Schluss auf
den Grad der Erhöhung ziehen, sondern auch hieraus wurden
wir nur das Resultat gewinnen, dass die Temperatur in
der zweiten Periode überhaupt etwas höher als in
der, ersten Periode ist, dass die Differenz aber nur
unbedeutend sein kann. —
Y. Frühzeitiger Wasserabfluss, wenn derselbe
nicht durch Erkrankung der Genitalien (Colpitis und Endo-
metritis) bedingt war, blieb gewöhnlich ohne Einfluss
auf die bei der Geburt entwickelte Wärme; Tab. 111.
Beispiele: No. 14. Erstgebärende. Wasserabfluss bei kaum
geöffnetem Muttermunde. Geburtsdauer 15% Stunden. Tem-
peratur Morgens 9% Uhr 37,8° C; Mittags 1 Uhr 38,4° C.\
ebenso No. 39.
No. 27: Wasserabfluss mit Beginn der Wehen. Primipara.
Geburtsdauer 10% Stunden. Temperatur Morgens 11 Uhr
38,25, Mittags 12% Uhr 87,75° C.
No. 37. Wasserabfluss 64 Stunden vor Beginn der Geburt,
aus unbekannter Ursache; Partus praematurus hei einer Mehr-
gebärenden im Anlange des neunten Monats. Geburtsdauer
12 Stunden; Temperatur Abends 6% Uhr 38,71; Abends
11% Uhr 38,4; folgenden Morgens 7% Uhr 38,6° C.
Aus diesem letzten Falle, sowie aus zwei anderen Bei-
spielen von vorzeitigen Geburten erhellt ferner, dass
die Temperatur hei denselben, falls die Kreissende
sonst nicht erkrankt war, nicht höher wie bei recht-
zeitigen Geburten stieg und denselben Gesetzen folgt.
Dass Erst- und Mehrgebärende keinen Unterschied in der
Temperaturhöhe inter partum boten, geht ebenfalls aus
Tabelle No. III. hervor.
MoimtüRchr. f ttplmrtsk. 18R Bd. XX . TTft.6. 2*
426 XXIII. ' Winckel, Temp«raturverb»ltni8S6
VI. Die Temperatur gleich nach der Geburt
betrug in 50 Fällen durchschnittlich 38,362° C. — Im Ver-
gleich zu der Temperatur der zweiten Periode war sie iu der
Regel erhöht, wenn die Geburt in der Zeit von Morgens
2 — 10 Uhr und Nachmittags 2 — 7 Uhr, erniedrigt aber,
falls diese in der Zeit von 10—1 und Abends 7 bis Nachts
2 (Ihr stattfand. Ausnahmen kamen jedoch öfter vor.
Inwiefern durch die Stärke der Wehen und die Dauer
der zweiten Periode der Temperaturgrad gleich nach der
Geburt beeinflussl wurde, soll später bei Betrachtung der
ersten Temperalurveränderung im Wochenbette genauer aus-
einandergesetzt werden. Hier nur so viel, dass bei kurzer
Dauer der zweiten Periode mit kräftigen Wehen im Durch-
schnitt von 32 Fällen die Temperatur =s 38,288° C. betrug,
bei sehr kräftigen (10 Fälle) Wehen durchscbnitllich =
38,335 ° C. und endlich bei längerer Dauer und grösserer
Anstrengung in der zweiten Periode sich im Mittel (12 Fälle)
eine Temperatur von 38,558° C. zeigte.
Ebenso führen wir schliesslich, nur mit Hinweis auf später
folgende ausführlichere Data, kurz an: dass nach alleri
normalen Geburten die Temperatur im Wochen-
bette innerhalb der nächsten zwölf Stunden etwas
steigt (in 25 Fällen durchschnittlich = 0,45° C.) und erst
in den zweiten zwölf Stunden post partum in der
Regel fällt — Resumiren wir nun in wenigen Worten die
Ergebnisse der Temperaturbestimmung bei normalen Geburten,
so zeigte sich die aligemeine Wärme immer etwas erhöht, in
der Wehe selbst eine kleine Steigerung derselben, Zurück-
sinken in der Wehenpause. Der Grad der Erhöhung über-
haupt unterliegt den täglichen Normalschwankungen, — scheint
aber in der zweiten Periode etwas stärker zu sein, als in
der ersten. Die Differenz ist jedoch nicht erheblich, wenn
die Wärmemoderatoren normal funetioniren.
Die Temperatur gleich nach der Geburt, wenig höher
als die inter partum, richtet sich im Vergleich zu dieser im
Allgemeinen auch nach der Tageszeit und endlich ist die nächste
Folge einer jeden normalen Geburt eine massige Steigerung
der Temperatur in den ersten zwölf Stunden des Wochenbetts. —
bei der Gebort and im Wochentette. 427
Bier mag nun zuerst dt*
*) Temperaturcurve einer durch teberhafte Brkranko&g
der Matter complicJrten Gebart
folgen, da die* bis jetzt der einzige Fall ist, den wir beobachten
konnten und zur. ßeurtheitung des Temperalurverhaltens bei
Wehenanomaiien durchaus nothwendig ist.
L. F., Secundipara, 29 Jahre, Partus praematura» initio
mens. X. nach vorzeitigem Wasserabflüsse. Leichter Bronchial-
und Darmkatarrh.
1. Vor der Geburt: Abgang des Fruchtwassers am
24. Juli Morgens 8 Uhr — bei schwerer Arbeit; bald hernach
leises Ziehen im Kreuze; ging Nachmittags 2 Uhr der Anstalt zu.
24. Juli Nachmittags 23/4 Uhr (gleich nach der Ankunft)
Temperatur der Scheide 38,225.
Abends 6 Uhr Temperatur der Scheide 38,15.
Abends 73/4 Uhr Temperatur der Scheide 38,15; seltenes
Ziehen im Kreuze; die Eihäute scheinen sich dabei vom Kopfe
abzuheben,- der Scheidentheil ist noch V« Zoll lang.
Abends 10% Uhr Temperatur der Scheide 38,0; Wehen
sind noch nicht vorhanden; etwas Wasserabgang.
Erst am 27. Juli Nachmittags 43/4 Uhr, also 80—81 Stunden
nach dem Wasserabflüsse, begann die WehenthätigkeiL In-
zwischen hatte sich Gravida durch Erkältung etwas Husten
ohne Auswurf und Diarrhoe zugezogen.
27. Juli. Abends 6 Uhr Puls 120, Temperatur der Scheide
39,5; Muttermund geöflnet, Scheidentbeil fast ganz ver-
strichen, Fruchtwasser geht noch ab. Die Haut ist trocken
und etwas heiss. Die Zunge rein und feucht. Die Scheide
mit reichlicher Schleimabsonderung zeigt dicht an der hinteren
Commissur ein sechsergrosses Ulcus mit graugelbem Belag, —
sonst keine Erkrankung.
Abends 6% Uhr Puls 128, Temperatur der Scheide 39,45,
Temperatur der Achselhöhle 39,19, Differenz 0,26. Alle
1V2 — 2 Minuten eine massig schmerzhafte Webe; der Mutter-
mund zwei- bis viergroschengross, seine Lippen noch dick;
etwas Kopfgeschwulst.
Abends 7l/2 Uhr Puls 124, Temperatur der Scheide 39,3;
Muttermund thalergross, seine Lippe* dünner; Wehen massig
stark; Haut noch trocken; Ipecacuanha ad nauseam.
28*
428 XXIII.' Winckely TeinperaturverbUltniflse
Abends 8V2 Uhr Puls 124, Temperatur der Scheide
39,125; Muttermund über zweithalergross ; die Wehen kräftig;
Muttmnundslippen fein verstrichen; massige Kopfgeschwulst.
Abends 9% Uhr Puls 124, Temperatur der Scheide 38,9
gleich nach der Geburt Die erste Periode dauerte nur
4 Stunden, die zweite V4 Stunde, die dritte 5 Minuten. Der
Blutverlust war massig. — Die Temperatur am folgenden
Morgen betrug 38,35, Abends 38,5 und wieder 12 Stunden
weiter 38,60(7.
Wie schön ist auch in diesem Falle das Sinken der
Temperatur von Abends 6 Uhr bis 9'/4 Uhr von Stunde zu
Stunde zu verolgen! Bedarf es ausser dem ganzen Verlaufe
in der Dauer der Geburt noch eines Beweises, dass hier das
Fieber nicht durch eine Erkrankung der Genitalien, namentlich
aber nicht durch Webenanomalie, sondern einfach durch den
bestehenden Bronchial- und Darmkatarrh bedingt wurde?
Evident beweist dieser Fall, dass also auch bei Geherhaften
Erkrankungen der Kreissenden, die mit der Schwangerschaft
und Geburt in keinem directen Zusammenhange stehen, sich
die gewöhnlichen Temperaturschwankungen geltend machen.
Und wenn hier der nächste Effect der Geburt auch durch
den notwendigen Blutverlust, die vermehrte Hautthätigkeit etc.
ein fiebervermindernder war, so zeigte sich doch bald die
allen normalen Geburten folgende Temperaturzunahme von
38,35—38,6° C. etc. Das Wochenbett verlief sehr gut.
Leider kann ich diesem interessanten Falle keine analogen
mehr hinzufügen. Es sei mir jedoch gestattet, kurz auf
die Bedeutung hinzuweisen, welche die Tocothermometrie für
ähnliche Fälle erlangen kann. Bekannt ist, dass bei vor-
handener Tuberculose der Lungen namentlich der Geburtsact
und das Wochenbett (Blutverlust etc.) gewöhnlich den un-
günstigsten Einfiuss auf den Fortschritt des Leidens ausüben.
Es wäre zunächst also von Interesse, zu untersuchen, ob
hier etwa mit der Dauer der Geburt, der steigenden Thätigkeit
der Respirationsorgane auch eine constante Steigerung der
Temperatur Hand in Hand ginge; ja man würde hier durch
den Thermometerstand eine directe Indication zur raschen
künstlichen Beendigung der Geburt finden können, wenn bei
normal voranschreitender Geburt etwa eine beträchtliche
bei der Gebart und im Wochenbette. 429
Temperaturerhöhung sich zeigte. — Wichtig für Prognose,
Prophylaxis und Therapie werden ferner thermometrische
Untersuchungen bei Kreissenden mit Herz-, Magen- und
Nierenleiden, mit Epilepsie und Eclampsie etc. sein, — kurz,
es bleibt hier dem Thermometer noch ein grosses Feld zur
Untersuchung. Hoffen wir, dass dasselbe bald und gründlich
bebaut wird! —
e) Temperatnnnewungen bei WehenanomaUea.
Wigand, der eigentliche Begründer der Wehenlehre,
beginnt das Kapitel „von den Krämpfen in der Gebärmutter
oder den Krampfwellen " § 87 mit den Worten: „Wir kommen
jetzt an einen der interessantesten aber auch schwierig-
sten und dunkelsten Gegenstände der praktischen
Geburtshülfe und zwar an die unregelmässigen, falschen
oder unrechten Bewegungen im Uterus, die wir mit dem
Namen eines Krampfes, einer Krampfwehe belegen/4 Wohl
gilt dieser Ausspruch auch heute noch, denn wenn schon ein
grosser Theil der Geburtshelfer der Wigand'schexi Eintheilung
getreu clonische und tonische, allgemeine oder partielle
Contractionen des Uterus unterscheidet, so giebt es auch
heutzutage noch namhafte Autoritäten, welche die Möglichkeil
einer Krampfwehe überhaupt leugnen und das für abnorm
gesteigerte Sensibilität ansehen, was Andere für anomale
Muskelcontraction halten. Der Begriff einer Krampfwehe muss
also noch gar nicht so sicher festgestellt sein, wenn man
über ihre Existenz überhaupt noch streiten kann. — Hohl
sagt (§ 226 seines Lehrbuchs) „die Erkenntniss der Wehen-
schwäche ist nicht immer leicht" und später: pag. 488 „die
Diagnose der Krampfwehen ist nicht besonders schwierig/* —
Das Letztere trifft nicht immer zu. Bisweilen ist die Diagnose
einer Strictur, namentlich in der Austreibungsperiode sehr
schwierig; denn keins der bis jetzt gekannten Symptome
derselben ist wirklich pathognomisch. Eine ungleiche Con-
traction des Uterus ist durchaus nicht immer durch die Bauch-
decken hindurch zu erkennen; bei Schmerzhafügkeit des Uterus
selbst ist manchmal kaum zu unterscheiden, ob Wehenpausen
eingetreten sind oder nicht; giebt es doch Fälle, in denen, bei
430 XXIII. Winekelf TeinpcratnryerhäHniflfle
Mehrgebärenden sogar, durch die starke Spannung der Baueh-
decken Kindestbeile kaum mit Sicherheit durchgefühlt werden
können. — Andrerseits ist oft bei notorisch vorhandener
Strictur, der als „ganz eigentümlich" beschriebene Wehen-
schmerz kaum der Art, dass er die Kreissende zu einer
Scbmerzensäusserung überhaupt brächte — von einem evi-
dentem Fall der Art weiter unten — und endlich kann dir
wachsende Kopf- resp. Kindesgeschwulst ein Vorrücken des
Kindestheiles simuliren, welches erst recht jeden Anhaltspunkt
zur Diagnose einer krampfhaften Uterusconlraction abschneidet.
Mit diesen Wigan ef sehen Hauptkennzeichen einer Krampfwehe
sind wir also nicht immer im Stande eine solche wirklich
zu erkennen. Wie mancher Geburshelfer hat nicht schon bei
normalem Verhältnis* von Kopf lind Becken in der zweiten
Periode nach fruchtlosen Anstrengungen erschöpft die Zange
abgenommen und endlich durch die Naturkräfte ein lebendes
Kind gebären sehen ? — Alte, erfahrene Geburtshelfer werden
freilich, indem sie die ganze Summe der Symptome richtig
auffassen, selten solche diagnostische Fehler begehen — allein
von Studirenden habe ich gar oft die Frage gehört: wober
hier „Krampfwehe und nicht Wehenschwäche?" — ihnen
erschienen nicht selten die genannten Symptome zu subjeetiv
ausgebeutet, da gerade die Uebergangsformen, die am häufigsten,
auch am schwersten zu unterscheiden sind. Sehen wir, ob hier
das Thermometer uns helfen kann. — Wir beginnen, behufs
der differentiellen Diagnose mit einem Falle von
1. Wehenschwäche bei fehlerhafter Gestalt des Uterus
(Graviditas duplex in utero duplici [?]).
L. K., 28 Jahre, Erstgebärende.
Morgens 9 Uhr Temperatur der Scheide 38,02, der
Achselhöhle 37,7; seit 6 Uhr Wehen; Muttermund geöffnet;
Lippen dick; Wehen selten und schwach. Schädellage.
Nachmittags 2 Ubr Temperatur der Scheide 37,79, Achsel-
höhle 37,325; Wehen selten, wenig wirkend nach Clysma-
Stuhigang; hat nichts zu Mittag genossen.
Abends 6 Uhr Puls 68, Temperatur der Scheide 37,975,
Achselhöhle 37,70; die Weben etwas kräftiger, der Muttermund
viergroschengross; Blase stellt sich; — grosse Pausen.
bei der Geburt und im Wochenbette. 431
Abends 7 Uhr Temperatur der Schrieb 37,975, Achsel-
höhle 37,7; Muttergrund zweithalergross; Blase sprungfertig;
bat am ganzen Tag Nichts genossen.
Abends 9V2 Uhr in der zweiten Periode: Temperatur der
Scheide 37,8, Achselhöhle 37,45; seit 3/4 Stunden der Mutter-
mund vollständig [erweitert, — alle V/% — 2 Miuulen eine
Presswehe. —
Abends 103/4 Uhr Wasserahfluss. In der zweiten Periode:
Seeale. Endlich Nachts 12 Uhr nach 15slfindiger Dauer
der ersten, fast dreistündiger Dauer der zweiten Periode
wurde ein reifer lebender, kräftiger Knabe geboren; — die
Placenta, nach -5 Minuten mit massigem Blutverluste heraus-
gedrückt, bot nichts Abnormes; der Uterus war gut zu-
sammengezogen.
Nachts 127a Uhr gleich nach der Geburt Temperatur
der Scheide 38,25. —
Genau 36 Stunden nach Vollendung der ersten Geburt
ging, ohne alle Wehen beim Versuch Urin zu lassen ein
zweiter sogenannter Foetus papyraceus ab, der die Ausbildung
einer fünfmonatlichen Fruchtzeigle, und durch die lange, stark
gedrehte Nahelschnur mit seiner ganz platten, fettig de-
generirten Placenta zusammenhing. Die Untersuchung der
zum Theil zurückgebildeten portio vaginalis am 14. Tage des
Wochenbettes Hess einen von der vordem Lippe ausgehenden
Vorsprung, der den Muttermund in zwei Hälften trennte er-
kennen.
Die fünf ersten Messungen fanden hei diesem Falle in der
ersten Periode statt und bei keiner einzigen erhob sich die
Temperatur der Scheide auch nur bis zu dem oben für die
Schwangerschaft angegebenen Mittel wert h (Morgens 38,15,
Abend» 38,22). Natürlich! denn Kreissende mit seltenen und
schwachen Wehen gleichen vollkommen hungernden und ruhen-
den Menschen. Die sparsam auftretenden Wehen produciren
nicht soviel Wärme um die durch die verminderte Nahrungs-
zufuhr, und die stärkere Hautabkühlung und die lange Ruhe
bedingte Temperaturabnahme zu compensiren. Daher sind auch
jene fünf Messungen alle unter dem Durchschnittswert ; ja nach
3 stündiger Dauer der zweiten Periode zeigte unmittelbar post
partum die Scheide eine Temperatur, die sich nur um 0,03° C.
432 XXIII. Winckel, Temperaturverhältnisse
über die mittlere Abendtemperatur erhob. Die grösste Differenz
bei der Geburtbetrug 0,22° C. und Steigen und Fallen des
Thermometers folgte genau der gewöhnlichen Zeit —
2. Unregelmässige Uteruscontractionen;
a) durch vorwiegende Zusammenziehung ein-
zelner Fasern — strictura uteri bedingt durch fehler-
hafte Lage der Frucht (Schieflage) Partus praematura
mens. VII.
J. S., 23 Jahre, Zweitgebärende.
Die erste Entbindung war leicht — Frühgeburt im achten
Monate angeblich nach einem Falle. — Bis voi: ffirof Wochen
gesund will Gravida dann in Folge einer schweren Anstrengung
heftigen Frost bekommen und seitdem keine Kindsbewegung
mehr verspürt haben. In den letzten Wochen stellte sich
öfter Frost ein, dabei klagte sie über Mattigkeit, Uehelkeit
und unangenehme Schweisse. Seit dem 24. Juli Abends
11 7s Uhr hatten sich Wehen eingestellt
Am 25. ging sie der Anstalt zu.
Morgens 11 Uhr Puls 96, Temperatur der Scheide 38,7 ;
der Fundus uteri steht in der Höbe des Nabels ; Herztöne sind
nicht zu hören — ebensowenig mit Sicherheit bestimmte
Kindestheile durchzufühlen; die Scheide glatt, schlüpfrig, nor-
mal; der Muttermund vollständig erweitert; die Blase tief im
Becken; die Wehen regelmässig und kräftig; vorliegend ist
sehr hoch nur ein kleiner Theil zu fühlen. — Digestions- und
Respirationstractus gesund. — Hat einen längern Weg zu
Fuss gemacht. -
Mittags 12 Uhr Puls 92, Temperatur der Scheide 38,59;
trotz regelmässiger, starker Wehen sind die Eihäute noch
nicht geplatzt, der vorliegende Theil nicht tiefer herabgfedrückL
Zwischen 12 und 1 Uhr erfolgte dann der Blasensprung.
iNachmittags 2 Uhr Puls 88, Temperatur der Scheide
38,9; Parturiens hat Nichts zu Mittag genossen. Nach dem
Wasserabfluss glitt der rechte Arm in die Scheide herab, die
rechte Schulter trat in den Muttermund; — es zeigte sich
mithin eine deutliche Schieflage der Frucht; Kopf rechts,
Bauch nach vorn. Zugleich liess sich aus der Beschaffenheit
bei der Gebart and im Wochenbette. 433
des Armes schliessen , das» das Kind nicht gross und längere
Zeit abgestorben sei.
Bei dem Versuche die Selbstentwickelung durch Ziehen an
dem vorgefallenen Arme zu befördern, äussert Parturiens leb-
hafte Bauchschmerzen und man fühlt dann den innern Mutter-
mund stärkern Widerstand leisten. — Alle 2 — 3 Minuten
tritt eine sehr schmerzhafte, ganz wirkungslose Wehe ein.
Nachmittags 2s/4 Uhr Puls 88, Temperatur der Scheide
39,1 ; die Wehen sind sehr schmerzhaft, es sind keine Press-
wehen, sie repeliren alle 2 — 3 Minuten und klagt dabei die
Kreissende über Uebelkeit; der innere Muttermund hat sich
fest um die rechte Schulter contrahirt. —
Es wurde nun um 3 Uhr Nachmittags, da die Geburt
nicht voranschritt, und die Wendung entschieden contraindicirt
war, durch Einhaken zweier Finger oberhalb der kurzen Rippen
das Steissende der Frucht mit einiger Mähe eingeleitet und
der marcerirte FWus in der Narcose extrahirt; derselbe wog
2 Pfd. 1 Lth.; der Kopf war ziemlich gross. Der Blutverlust
war gering, die Placenta wurde nach 10 Minuten heraus-
gedrückt. Gleich nach der Geburt: Nachmittags 3% Uhr
betrug die Temperatur der Scheide 38,9; Abends 8 Uhr Puls
92, Temperatur der Scheide 38,69 und am folgenden Morgen
7 Uhr Temperatur der Scheide 38,45°; das Wochenbett ver-
lief ohne jede Störung. —
Hier verlief also bei regelmässigen, kräftigen und wirk-
samen Wehen die erste Periode durchaus normal. Die keines-
wegs abnorm erhöhte Temperatur, welche nach einem längern
Gang nur 38,7° betrug, nahm bis gegen Mittag noch um
0,11 °tC. ab; nach dem Biasensprunge aber trat sofort mit
Beginn der Wehenanomalie eine ungewöhnlich hohe (— 39, PC)
Temperatursteigerung ein, die einzig und allein von der fühl-
baren festen Strictur des inneren Muttermundes abhängig,
genau so lange anhielt wie diese, mit der Dauer derselben
noch stieg (38,9 — 39,1° C.) und direct mit Beseitigung der-
selben durch die künstliche Beendigung der Geburt, trotzdem
dass diese in die Zeit der Temperaturzunahme fiel einem
ungewöhnlichen Sinken der Temperatur von 38,9 auf 38,69,
auf 38,45° C. Platz machte. —
434 XXIII. Winkel, TeroporAtnrverltHltnisse
Wichtiger ist noch der folgende Fall:
b) Abnorm starke Spannung des ganzen Uterns
(Tetanus uteri) in der ersten Periode durch Sccale
veranlasst
J. F., 31 Jahre, Zweitgehärende ; war in der Schwanger-
schaft ganz gesund, 5 '4 Standen vor Beginn der Wehen-
thätigkeit floss das Fruchtwasser ah. Kurz nachher betrug,
nach einem weiten Gange, den Gravida bis zur Anstalt machte,
Abends 103/4 Uhr die Temperatur der Scheide 38,62. Erst
in der Nacht um lJ/2 Uhr zeigten sich die ersten Wehen,
anfangs noch selten und schwach. Zwischen ö und 6 Uhr
Morgens erhielt Parturiens von dem durch Warten ermüdeten
Praktikanten einige Dosen Seeale. als der Muttermund kaum
zehngroschengross war. Bald nachher wurden die] Wehen häufiger
und schmerzhafter — allein die Erweiterung des Muttermunds
schritt nicht mehr voran. Um 9 Uhr Vormittags betrug die
Temperatur der Scheide 38,79; es zeigte sich etwas Kopf-
geschwulst, der Uterus hart und empfindlich. Die krampfhafte
Contractiou der Circularfasern des untern Gebärmutterabschnitts
wurde immer starker; Parturiens erhielt daher Tart. slib. mit
Ipecacuanha bis reichliches Erbrechen erfolgte, dennoch stieg
bis um 11 Uhr Vormittags die Temperatur der Scheide auf
39,15° C; die Kreissende klagte fortwährend über sehr leb-
haften Schmerz in der rechten Inguinal gegen d und der tief
im Becken stehende Kopf hat trotz allmälig zunehmender
Kopfgeschwulst den Muttermund kaum auf Zweitlialergrösse
gebracht. Die Scheide ist glatt, schlüpfrig, keineswegs heiss,
der Puls hat 88 Schläge. — Es wurde ihr nun ein Sinapis-
mus aufs Kreuz und bald darauf auch auf das Abdomen
gelegt. Kaum hatten diese beiden Senfteige die Haut lebhaft
geröthet, so schritt die Erweiterung des Muttermunds rasch
voran und zwei bis drei kräftige Weben genügten das ganze
Kind lebend hervorzutreiben. Direct nach dem Durchschneiden
des Kopfes folgten mehrere BJutcoagula — ein Beweis der
vorzeitigen Lösung der Nachgeburt. Die Nabelschnur war
nicht um den Hals geschlungen. — Die erste Periode dauerte
im Ganzen 9 Stunden, die zweite y4 Stunde, die dritte nur
3 Minuten. Der Blutverlust war gering. Gleich nach der
Geburt Vormittags 11% betrug die Temperatur der Scheid«1
bei der Geburt und im Wochenbette. 435
39,5° C, Nachmittags 5 Uhr betrug die Temperatur der
Scheide 38,65 und am folgenden Morgen 7y4 Uhr die Tem-
peratur 37,6° C. Das Wochenbett verlief sehr gut.
Da Parturiens Abends vor der Geburt durchaus wohl, kein
Fieber, keine Beckenanomalie, überhaupt nichts Abnormes
zeigte, als den vorzeitigen Wasserabfluss, und di'pscr, wie wir
gesehen, keineswegs einen Eiufluss auf die Temporal url.Clic
iuter partum hat, wenn er nicht durch bestimmte Erkrankungen
der Genitalien bedingt ist, so sind wir hier um so mehr ge-
zwungen die abnorme Temperatursteigerung der anomalen
Muskelcontraction zuzuschreiben als sie erst mit dieser begann,
mit ihrer Dauer consequent stieg und direct nach ihrer Be-
seitigung in eine ebenso hohe, als ungewöhnliche Tempe-
ra turabnabme von 39,5 auf 37,6° C. überging. Die höchste
Differenz zwischen 91/« und ll3/4 Uhr betrug 0,71° CA —
Die vorzeitige Lösung der Placenta kommt hier wohl
ebenfalls auf die Wehenanomalie in der ersten Periode und
hieraus sowie ans der besonders starken Temperaturznnabme
schliessen wir, dass die abnorme Mnskelspannung nicht blos
auf das untere Uterinsegment beschränkt war, sondern sich
mehr weniger auf den ganzen Uterus verbreitete — dass mit-
hin der beschriebene Zustand einem Tetanus uteri ähnlich
war. Dass Seeale diese Folgen haben kann, wenn es kräftig
ist, ist bekannt, da sich unter seinem Einflüsse die Gebär-
mutterfaseru stark und anhaltend zusammenziehen, die Gefasse
comprimiren und den Kreislauf in der Placenta mehr oder
weniger aufheben. —
In diese Kategorie gebort nun noch ein Beispiel von
enormer Strictur des innern Muttermunds, welches im Januar
d. J. in der hiesigen Entbindungsanstalt vorkam. Leider stellte
ich damals noch nicht fortdauernd Temperaturmessungen
inter partum an; aber durch die fühlbar erhöhte Temperatur
der Scheide aufmerksam gemacht, führte icb das Thermometer
Abends 6% Uhr in dieselbe ein und fand: 39,75° CA —
Parturiens war ganz gesund gewesen in der Schwanger-
* schaft und im Anfange der Geburt — das Wochenbett verlief
später ohne jede Störung; wir können also auch diese
Temperaturerhöhung nur der exquisiten Strictur des inneren
Muttermundes zuschreiben, welche an dem mit dem Forceps
436 XXIII. Winckel, Temperatarverhältnisse
entwickelten todten Kinde eine evidente Strangulationsmarke
zurückliess; — alle Theile, welche ausserhalb des Uterus
gewesen, Kopf, Gesicht, Hals und linke Schulter waren tief-
blauroth; alle anderen während der Dauer der Strictur noch
im Uterus befindlichen Theile : Rumpf und untere Extremitäten
waren Mass und in Todtenstarre ! — Die Dauer dieser krampf-
haften Contraction betrug ungefähr 6 Stunden, — die Messung
wurde angestellt zwei Stunden vor Beendigung der Geburt
Nach Anführung dieser Beispiele von unregelmässiger,
an einzelnen Stellen besonders überwiegender Contraction der
Ulerusfasern, ohne gleichzeitige Erkrankung der Genitalien,
wird Jeder zugeben, dass für sie der Name „Kramp fwehen"
um so mehr passt, als nun auch ein wesentliches Merkmal
der krampfhaften Zusammenziehung — die steigende Temperatur-
erhöhung bei derselben — unzweifelhaft nachgewiesen ist
3. Fehlerhafte Wehenthätigkeit bedingt durch Ver-
wachsung des äussern Muttermunds.
Bei einer 31jährigen Erstgebärenden, die Nachmittags
4 Uhr der Anstalt zuging, gab sich der Muttermund nur als
erbsengrosse Vertiefung zu erkennen , welche keine Blase ein-
treten liess und über dem tiefstehenden Kopf ziemlich dick
anzufühlen war. Abends 6% Uhr betrug die Temperatur der
Scheide 38,6° 6\; häufige, abnorm schmerzhafte, wirkungs-
lose Wehen quälten die Kreissende. Abends 8 Uhr war, ohne
dass sich irgend eine Veränderung an dem conglutinirten Mutter-
munde gezeigt hätte, die Temperatur der Scheide bis auf 38,9° C.
noch gestiegen. Bald nachher wurde die Exsudationsmembran
im Muttermund mit dem Finger zerrissen, sofort stellte sich
eine Blase in den Muttermund, die Temperatur sank bis
auf 8% Uhr Abends auf 38,8, bis 10y4 Uhr auf 38,49 und
betrug gleich nach der sehr rasch verlaufene^ Geburt Nachts
12V4 Uhr — 38,32° C. Die erste Periode dauerte nach dem
Zerreissen jener Membran nur 2% Stunden, während Partu-
riens vor ihrem Zugange schon 8 — 10 Stunden wehenartige
Schmerzen verspürt haben wollte.
Dieser Fall erinnert uns lebhaft an die oben erwähnte
Behauptung von J. Btclard. Denn so lange ab die Ex-
sudationsmembran ein Eintreten der Blase in den Mutlermund
bei der Geburt und im Wochenbette. 437
hinderte, so lange also durch die Wehen nur eine gleich-
massige Spannung des ganzen Uterus, die ohne jeden Effect
blieb, verursacht wurde, so lange stieg die Temperatur selbst
in einer Zeit, in der die Remission in der Regel beginnt.
Sofort nach Beseitigung des Hindernisses sank sie und zwar
in einer um diese Zeit ungewöhnlich starken Weise, um
0,41° C. ; daraus erbellt, dass die Höhe von 38,9° C. jedenfalls
abnorm sein musste. Ausser der erwähnten Conglutination
liess sich aber kein Grund zu dieser ausnahmsweisen Stei-
gerung finden. —
4. Wehenanomalie bei Colpitis und Endometritis.
Für diese Formen fehlerhafter Wehen sind die Temperatur-
bestimmungen während der Geburt ganz besonders wichtig.
Sowohl der Diagnose wegen , als auch in Betreif der Therapie.
Was die Diagnose anlangt, so haben wir oben an einem
exquisiten Fall dargethan, dass die eigentliche reine Wehen-
schwäche, abgesehen von dem mangelnden Vor anrucken der
Geburt — wesentlich mit einer verhältnissmässig geringen
Temperatur einhergehen muss. Ist nun bei einer deutlich
ausgesprochenen Endometritis und Colpitis ante partum die
Temperatur der Scheide nicht abnorm erhöht, und es treten
seltene und kurze d. h. eigentlich schwache Wehen ein, so
wird durch diese aller Wahrscheinlichkeit nach die Temperatur
nicht wesentlich erhöht werden und den gewöhnlichen Tages-
schwankungen folgen müsse. Finden wir dagegen bei diesen
Erkrankungen mit der Dauer der Wehen eine consequent
steigende Wärmeproduction , auch ohne dass manchmal
stundenlang irgend ein Fortschritt im Verlauf der Geburt
zu erkennen ist, so sind wir keineswegs berechtigt, die vor-
handenen Wehen als „schwache" zu bezeichnen, denn bei
schwachen Contractionen kann nicht ein abnorm vermehrter
Stoflumsatz, wie ihn die Temperaturerhöhung anzeigt, statt-
finden. Und wenn auch diese beiden Arten von Webenano-
malien sich darin gleichen, dass bei beiden die Geburt nur
höchst langsam voranrückt, so sind sie in ihrem Wesen doch
ganz verschieden. Die Wehenschwäche charakterisirt sich
durch zu kurze Dauer der Contractionen, durch zu lange
Pansen und durch zu geringes Erhärten des Uterus, neben
438 XXIII. Winckel, TomperaturrerhältniBse
dem geringen Erfolge. Die Zusammenziehungen des Uterus
bei Entzündung seiner Innenfläche sind nicht blos in der
Regel abnorm schmerzhaft, häufiger wie gewöhnlich, mit un-
gleichen Pausen, werden durch die empßndlicben Kinds-
bewegungen öfler ruckweise hervorgerufen (cf. Fall 2) sondern
namentlich: ungleich massig, länger oder kürzer dauernd,
an verschiedenen Slellen verschieden schmerzhaft und haben
deshalb, obwohl die Conlraclioiien gewöhnlich grösser und der
Stoffttmsntz merklich durch sie gesteigert wird, doch ebenfalls
nur geringen Erfolg für den Verlauf der Gehurt. Das Thermo-
meter giebt uns hier den sichersten Anhaltspunkt zur Diagnose
und kann uns dadurch allein zu einer consequenten Therapie
helfen. —
Fall 1. A. S., 24 Jahre, Erstgebarende, Partus prae-
maturus inilio mensis X., litt in der letzten Zeit der Gravidität
an starkem Fluor: die Scheide ist stark granulirt, besonders
im Laquear vaginae. Das Fruchtwasser ging am 4. Juni
Nachmittags ab.
Am 5. Juni Morgens 8 Uhr betrug die Temperatur der
Scheide 38,4. Erst 10 Uhr Morgens begann die Wehen-
thätigkeil.
Mittags 12 Uhr Temperatur der Scheide 39,4 Häufige,
kurze, sehr schmerzhafte und fast wirkungslose Wehen; massige
Kopfgeschwulst. Der Muttermund thalergross, hat sich seit
beinahe einer Stunde nicht mehr erweitert; Sinapismus auf's
Kreuz und innerlich lpecacuanha.
Nachmittags 1% Ehr Temperatur der Scheide 40,03,
Temperatur der Achselhöhle 39,65; der Muttermund etwas
weiter; die Wehen noch sehr schmerzhaft, fast ohne Pausen.
Gleich nach der Geburt: Nachmittags 3y2 Uhr Temperatur
der Scheide 39,65, Temperatur der Achselhöhle 39,2. Die
erste Periode dauerte 4 Stunden, die zweite V2 Stunde, die
dritte 5 Minuten.
Vier Stunden nach der Geburt: Abends 7y2 Uhr betrug
die Temperatur der Scheide 39,2, am folgenden Morgen 8 Uhr
38,1 und am folgenden Abend 53/4 Uhr 38,05.
Vorangestellt ist dieser Fall, weniger zur Bestätigung
des direct vorher Gesagten, als zum Beweise, wie hoch durch
eine ohne jeden Effect begleitete Muskel Listigkeit bei vor-
bei der Gebart und im Wochenbette. 439
handener Entzündung in wenigen Stunden die Temperatur
gesteigert werden kann (von 8 Uhr Morgens bis V/2 Uhr
Nachmittags um 1,65° CA). Die Steigerung ist um so auf-
fallender, als sie zum Theil in die Zeit der Remission von
11 — 1 Uhr fällt. Der Beweis, dass sie allein von der anomalen
Muskelaction mit Steigerung der localen Entzündung bedingt
war, wird durch die Temperatur . ante partum, durch die
Beschränkung der Exacerbation auf die Dauer der Wehen und
durch den unmittelbar nachfolgenden Temperaturabfall (von
40,05— 38,05 °C. innerhalb 28 Stunden) geliefert.
Das Wochenbett verlief sehr gut.
Ungleich wichtiger ist der folgende Fall:
2. Amcdie B.< 29 Jahre, Erstgebärende, litt in den
letzten vier Wochen ihrer Schwangerschaft an einer intensiven
Colpitis granulosa mit zeitweiser ödematöser Anschwellung
der äusseren Genitalien und gebrauchte mit ziemlich gutem
Erfolge Injectionen von Sublimat ©j zu einem Sitzbad und
Einspritzungen täglich). — Die Webenthätigkeit begann am
23. August Nachmittags.
23. August. Abends %7 Uhr Puls 60, Temperatur der
Scheide 37,8. Alle viertel Stunde eine Wehe. Der Mutlermund
ist sehr hoch und kaum durchgängig. Die schleimig-eiterige
Absonderung der stark körnigen Scheide ist nur massig.
Schädellage.
Abends 3/49 Uhr Pute 68, Temperatur der Scheide 37,775.
Zwei Wehen, während der Thermometer lag; der Muttermund
ist noch nicht weiter.
Abends %11 Uhr Puls 72, Temperatur der Scheide 37,95.
Die Wehen etwas häufiger, aber ganz wirkungslos.
24. August Morgens 8'/4 Uhr Puls 68, Temperatur der
Scheide 38,4.x Der Muttermund sechsergross, etwas tiefer
stehend; die Wehen häufig und schmerzhaft; fünf Wehen in
J/4 Stunde; seit 5 Uhr Morgens Wasserabfluß.
Morgens 9% Uhr Puls 68, Temperatur der Scheide 38,675.
Reine wesentliche Veränderung ; der schleimig eiterige Ausfluss
ist stärker geworden, der Müttermund noch sechsergross.
Morgens liy4Uhr Puls 60 (Wehe —84), Temperatur
der Scheide 38,825. Trotzdem, dass alle Vfo— 2 Minuten
eine höchst schmerzhafte Wehe eintritt, ist der Muttermund
440 XXIII. Winckely Temperatarverhültnisse
noch gar nicht weiter geöffnet Zuweilen fehlen die Wehen-
pausen ganz; Parturiens klagt über besonders lebhaften Schmerz
in der Regio mesogastrica dextra. Seit gestern Mittag hat
sie Nichts gegessen, nur kühles Wasser getrunken. — Die
Haut ist trocken, aber nicht heiss.
Um 11 y2 Uhr: Sinapismus aufs Kreuz und viertelstündlich
gr.j. Ipecacuanha bis zum Erbrechen.
Mittags 12% Uhr Puls 64, Temperatur der Scheide 38,75.
Der Muttermund hat sich noch nicht mehr erweitert; nach
eigener Angabe der Kreissenden sind jedoch die Wehenpausen
etwas grösser geworden. Nach griij fpecac. hat sie bis jetzt
nicht gebrochen. — Tb er; Sinapismus auf den Leib.
Nachmittags \% Uhr Puls 64, Temp. der Scheide 38,775.
Parturiens hat ohne weitere Dosen Ipecac. mehrmals stark
gebrochen.
Nachmittags 2% Uhr Puls 64, Temp. der Scheide 38,65.
Der Muttermund ist zweigroschengross, seine Lippen noch
dick; die Wehen häufig.
Nachmittags 4'/4 Uhr Puls 64, Temp. der Scheide 38,69.
Abends b\ Uhr Puls 64, Temp. der Scheide 38,7.
Abends 6% Uhr Puls 64, Temp. der Scheide 38,75.
Der Muttermund ist zebngroschengross, der schleimig eiterige
Ausfluss aus den Genitalien viel starker. Die Wehen noch
schmerzhaft, die Pausen weniger. Seit mehr. als 24 Stunden
hat Parturiens Nichts genossen.
Abends 10V* Uhr Piüs 64, Temp. der Scheide 38,7.
Der Muttermund thalergross; öfterer Krampf im linken Beine.
Wegen der noch vorhandenen Schnierzhaftigkeit der häufigen
Wehen erhielt Parturiens Pulv. Doveri gr. x.
25. August. Morgens 81/* Uhr Puls 64, Temp. der
Scheide 38,575. Nach Pulvis Doveri sind die Wehen seltener
geworden; gegen Morgen hat die Kreissende nochmals ge-
brochen, der Muttermund ist immer noch thalergross, seine
Lippen gleich dick; daher um 9 Uhr Vormittags: Uterus-
douche.
Nachmittags 1% Uhr Puls 72, Temp. der Scheide 39,05.
Trotz der Uterusdouche sind die Muttermuhdslippen noch dick,
gespannt, unnachgiebig; massige Kopfgeschwulst, fortwährende
Kreuzschmerzen, starkes Pressen bei den häufigen, schmerz-
bei der Geburt und im Wochenbette. 441
haften Wehen. Muttermund dennoch blos thalergross. Ther.:
Cucurbit. XII. auf's Kreuz.
Nachmittags 4 Uhr Puls 72, Temp. der Scheide 39,2.
Nach Angabe der Kreissenden sind durch die Schröpfköpfe
die Kreuzschmerzen viel geringer geworden und seitdem die
kräftigsten Wehen eingetreten. Diese haben die vorher dicken
Muttermundslippen sehr rasch zum Theil mit starker blutenden
Einrissen erweitert und den Kopf bis an den Damm getrieben.
Der Muttermund erweiterte sich bis 5 Uhr 25 Minuten Abends
vollständig und um 7 Uhr Abends wurde unter sehr kräftigen
Wehen ein 7% Pfund schwerer lebender Knabe geboren. —
Gleich nach der Geburt, deren erste Periode 47 V2 Stunden,
deren zweite Periode 1% Stunde und deren dritte Periode
nur 5 Minuten dauerte, betrug bei 96 Pulsen Abends 7% Uhr
die Temperatur der Scheide 38,775, Abends 9 Uhr 38,6 und
am folgenden Morgen %8 Uhr 38,175.
Dieser Fall, den wir durch 16 inter partum angestellte
Messungen von Stunde zu Stunde genau verfolgt haben, giebt
uns zu folgenden Bemerkungen Veranlassung.
Ohne den Gebrauch des Thermometers muss man hierbei
in den ersten 30 Stunden, während welcher der Muttermund
kaum bis auf Thalergrösse gebracht wurde, da der Puls sich
stets auf gleicher Höhe hielt zunächst an „Wehenscbwäche"
denken und als deren Ursache die Colpitis und Endometritis
ansehen, die ja von Vielen, (HoU, Spiegelberg) auch als
Ursache von Wehenschwäche angeführt wird. Die Temperatur-
schwankungen innerhalb dieser Zeit waren nicht der Art, dass
sie durch das Gefühl auch nur annähernd hätten bestimmt
werden können.
Mit Hülfe des Thermometers aber erkannten wir erstlich
eine constant steigende Temperaturerhöhung von
Abends 3/49 Uhr bis andern Morgens 1174 Uhr von 37,775
auf 37,95, 38,45, 38,675, 38,825; — also um mehr als
einen Grad Celsius ganz genau folgend der Häufigkeit der
schmerzhaften, doch unwirksamen Wehen. Eine Verminderung
der Schmerzhaftigkeit mittels mehrerer Sinapismen und eine
Ableitung durch Ipecacuanha hatte nur vorübergehend geringen
Erfolg , denn von 2% Uhr Nachmittags begann schon wieder
bis Abends 10l/2 Uhr eine constante, freilich etwas
MonaUsohr. f. Geburtak. 1808. Bd. XX., Hft. 6. 29
442 XXIII. Winckel, TemperatarverbRltnUae
geringere Steigerung der Temperatur: Ebenso hatte
Pulvis Doveri, gereicht zur Verminderung der Schmerzhaflig-
keit und Regulirung der zu häufigen Wehen, mit neuerdings
eingetretenem Erbrechen, kaum einen wesentlich wehenver-
bessernden Einfluss. Und als nun nach Anwendung der Uterus-
douche zur Erweichung der unnachgiebigen Muttennundslippen
die Temperatur sogar mit den wieder häufiger eintretenden
Wellen stieg — musste uns die Höhe derselben zu einer
energischen Antiphlogose drängen, die denn bald vom schönsten
Erfolg gekrönt war. — Natürlich folgte denn auch diesem
protrahirten Geburtsverlauf eine beträchtliche Temperatur-
abnahme in den ersten 12 Stunden. — Weit entfernt mit einem
post hoc ergo propter hoc den Schröpfköpfen allein den
raschen Erfolg zuzuschreiben, heben wir nur nochmals hervor,
dass uns das Thermometer allein die rechte Indication zu
ihrer Anwendung bei einer Kreissenden gab, welche durch
lange Geburtsdauer erschöpft schien und nicht bloss gar Nichts
zu sich genommen, sondern auch oft und reichlich ge-
brochen hatte.
Diese beiden Fälle von anomaler Wehenthätigkeit bedingt
durch Endometritis und Colpitis haben also gemeinsam, 1) d a s
während der Dauer der Wehen constante und be-
trächtliche Steigen der Temperatur selbst in der
Remissionszeit und 2) die gleich nach Beendigung
der Geburt beginnende ebenso beträchtliche Tem-
peraturabnahme. Da sie in diesen beiden Punkten, ferner
in der Schmerzbaftigkeit und dem Mangel an Erfolg mit den
oben beschriebenen eigentlichen Krampfwehen vollständig über-
einstimmen, so ist auch für sie mit besonderer Berücksich-
tigung ihrer Ursache, der Name „Krampfwehen44 wohl gerecht-
fertigt
Hier folge nun noch ein Fall von Wehenanomalie, der
von mehreren Ursachen abhängig zwischen diese beiden Arten
von Krampfwehen gehört, indem er theils von einer bestimmten
Muskelausbildung, theils von einer wahrscheinlichen Muskel-
erkraukung herzurühren schien. -
5. Rheumatismus uteri (?) bei einer alten Erstgebärenden.
M. 8.9 37 Jahre, gross brünett, hager, kam Morgens
61/* Uhr in der Ansialt an.
bei der Gebort und im Wochenbette. 445
1) Morgens 7 Uhr Puls # 104 , Temperatur der Seheide
38,55; der Muttermund ist zebngroschengross, die Blase steht,
der Kopf liegt vor; — die Scheide ist ganz gesund — nur
geringer Schleimausfluss aus den Genitalien; — der Uterus
gegen Druck äusserlich überall schmerzhaft; — Parturiens
klagt über kalte Füsse.
2) Morgens 9 Uhr Puls 120, Temperatur der Sclieide
39,0; fast stetig anhaltendes Pressen und lebhafte Kreuz-
schmerzen, bei sehr empfindlichen, wirkungslosen Wehen; —
V4 ständlich gr.j. Ipecacuanha.
3) Morgens 10 Uhr 20 Minuten Puls 80, Temperatur
der Scheide 39,0; nach Ipecacuanha sehr reichliches Er-
brechen; — die Wehen noch nicht viel besser.
4) Nachmittags 12 Uhr Puls 92, Temperatur der Scheide
39,0; während der Wehe der Scheide zeigte der Puls 100
Schläge; — der Muttermund ist etwas über thalergross; —
die Haut noch nicht feucht Um 12 Uhr Sinapismus aufs Kreuz.
5) Nachmittags ll/2 Uhr Puls 96, Temperatur der Scheide
39,25; während das Thermometer lag ist die Blase gesprungen,
die Wehen sind häufiger und kräftiger, aber höchst schmerzhaft.
Der Muttermund ist fast vollständig erweitert.
6) Nachmittags 5 Uhr Puls 76, Temperatur der Scheide
39,15; gleich nach der Geburt:
die erste Periode derselben dauerte 17 Va Stunden,
„ zweite „ „ M 37a „
„ dritte „ „ „ 5 Minuten.
In der zweiten Periode musste bei Nachlass der Weben
Seeale verabreicht werden. — Am folgenden Morgen 8V4 Uhr
hatte der Puls 84 Schläge ; die Temperatur der Scheide 38,0° C.
Bei dieser 37 jährigen Primipara trat also die anomale
Wehenthätigkeit nicht bloss in der ungewöhnlichen Schmerz-
haftigkeit, in der sehr zögernden Erweiterung des Muttermunds
(die woM auch auf ihr Alter geschoben werden muss) trotz
der vorhandenen Fruchtblase, sondern namentlich durch er-
hebliche Steigerung der Temperatur, die sich dann
während der Remissionszeit in Folge der angewandten Mittel
eine Zeitlang auf derselben Höhe hielt, schliesslich am Ende
der ersten Periode doch noch stieg und durch den direct nach
Aufhören der Wehen beginnenden Fall der Temperatur
29*
444 XXIII. Winckel, TemperatunrerhältoUie
zu Tage. Die Empfindlichkeit des ganzen Uterus, die Klage
über das fortwährende Kältegefühl in den Füssen; die
Beschaffenheit des Pulses, welcher Anfangs erheblich be-
schleunigt und gespannt nach dem Erbrechen bedeutend an
Frequenz abnahm, bald jedoch wieder stieg und direct nach
der Geburt beträchtlich sank, — lassen uns bei dem voll*
ständigen Mangel einer Colpitis und Endometritis hier einen
geringen Grad des sogenannten Rheumatismus uteri, als die
Quelle der Wehenanomalie annehmen.
Bekannt ist, dass bei sehr protrahirtem Verlauf der
ersten Geburtsperiode auch ohne vorzeitigen Wasserahfluss,
nicht selten erst, inter partum sich eine Endometritis aus-
bildet, die die Geburt wesentlich verzögern und complicireii
kann. Zwei Fälle der Art können zeigen, dass man mit
Hülfe des Thermometers auch diese Uebergangsforraen
von Wehenschwäche in Krampfwehen genau er-
kennen kann.
1. B. H., 20 Jahre, Erstgebärende, gross, blass, feil,
mit schwacher Muskulatur, klagte in der letzten Zeit der
Schwangerschalt über fortwährende Kreuzschmerzen, die offen-
bar durch den sehr tiefen Stand des Kopfs im kleinen Becken
bedingt waren. Das Uterinsegment war bis auf Kartenblatt-
dicke verstrichen, der Muttermund sehr 'hoch, kaum zu er-
reichen, — die Scheide sehr eng, ganz glatt, kaum die Spur
einer Absonderung vorhanden. Die Scheidentemperatur
schwankte in den letzten 14 Tagen Morgens zwischen 37,95
und 38,12; Abends zwischen 38,2 und 38,8.
In den ersten 20 Stunden der Geburt, welche am 28. Juli
Nachmittags 4 Uhr begann , bot sich das deutlichste Bild der
Wehenschwäche dar.
Bei 76 Pulsen schwankte die Temperatur
nach der Tageszeit zwischen Abends 7 Uhr: 38,2,
»» •» »• 99 9* 9 /4 ,, «>7,0,
am folgenden Morgen 9 „ 38,1,
99 99 99 10 /4 99 38,2,
Nachmittags l9/4 „ 38,1.
Die sehr seltnen, kurzen Wehen hatten inzwischen den
Muttermund kaum auf Thalergrösse gebracht, die Blase hob
sich gar nicht vom Kopf ab. Von Nachmittags V/% Uhr an
bei der Geburt und im Wochenbette. 445
wurden die Wehen häufiger, — Parturiens begann namentlich
bei der Untersuchung über Schmerzen zu klagen und wurde
sehr unruhig, — dabei stieg die Temperatur trotzdem, dass
die Kreissende seit mehr als 24 Stunden gar nichts genossen,
?on 38,1 auf 38,45 (Abends 5%), 38,55 (Abends 7V4), ohne
dass jedoch der Muttermund wesentlich erweitert worden wäre.
Erst Abends 10y2 Uhr war die Erweiterung des Muttermunds
vollständig , die zweite Periode dauerte dann noch 43/4 Stunden
und als sie mit der Geburt eines 72/3 Pfund schweren lebenden
Mädchens geendet, musste endlich noch die Nachgeburt nach
längeren vergeblichen Druckversuchen manuell entfernt werden ;
dabei zeigte sich der innere Muttermund sehr fest zusammen-
gezogen und die Placenta nur theilweise gelöst. Die Temperatur
gleich nach der Geburt betrug 39,15; am folgenden Abend
6V4 Uhr 40,5° C. etc.-
Hier folgte also der deutlich ausgesprochenen Wehen-
schwache, — eine mit conslanter Temperatursteigerung ver-
bundene fehlerhafte, ungleich massige UterinthätigkeiL Die
Erhöhung inter partum konnte hier nicht sehr evident sein,
da sich bei der ohnehin schwächlichen Kreissenden die Charaktere
des vermehrten Stoffumsatzes mit denen des Hungerns und
der Inanition vermischten, sie hatte schon in der ganzen
letzten Zeit sehr wenig und während der ganzen Gehurt gar
Nichts genossen. Die inter partum entstandene Endometritis
setzte sich auch im Wochenbette noch fort. —
2. L. TT., 21 Jahre, Erstgebärende, gross, blond, gut
genährt mit schwacher Muskulatur.
Parturiens ging von ausserhalb Morgens 7y2 Uhr der
Anstalt zu , nachdem sie Abends vorher gegen 8 Uhr Wehen
bekommen hatte. In Folge einer starken Erkältung waren
in der vergangenen Nacht mehrere dünne Stuhlausleerungen
eingetreten.
Bei sehr seltenen, kurzen und wirkungslosen Wehen sank
von Morgens 8y4 bis 9% Uhr die Temperatur von 38,2
auf 38,125° C. Auffallend war aber schon um liy4 Uhr
Vormittags bei 64 Pulsen die Temperatur der Scheide aui
38,35 gestiegen und die Wehen etwas schmerzhafter ge-
worden. Um liy2 Uhr trat sodann mehrmals spontanes
446 XXIII. Winckely TemperatarverMUtoiiae
Erbrechen ein, in Folge dessen die Temperatur etwas sank:
11% Uhr: 38,2.
Von nun an jedoch trat mit zunehmender Schmerzhaftig-
keit der Wehen eine constante Temperatursteigerung ein:
Nachmittags 2 Uhr: 38,35,
5% „ 38,45,
Abends 1% „ 38,55,
10V2 n 38,675;
trotzdem dass Sinapismen, Ipecac, Pulv. Doveri nacheinander
angewandt wurden. — Der Muttermund war in dieser Zeit
allmälig nur bis zu Thalergrösse gediehen, seine Erweiterung
dauerte noch bis Nachts 4 Uhr; die zweite Periode endigte
dann Morgens 6 Uhr, die dritte dauerte nur 7 Minuten.
Gleich nach der Geburl betrug die Temperatur der Scheide
39,2, Morgens 9 Uhr nur 39,09.
Die schon vorhandene Endometritis, die erst inter partum
sich ausbildete, machte im Wochenbette, namentlich da Eihaut-
reste in utero zurückblieben, noch weitere Fortschritte.
Auffallend war der während der ganzen Geburtsdauer
abnorm langsame und sehr gespannte Puls, dessen Frequenz
nur von 48—52 Schläge stieg.
Auch in diesem Falle konnten wir den Beginn der eigent-
lichen unregelmässigen Contractionen genau feststellen, — er
fällt in die Zeit von Vormittags 11 — 12 Uhr. Bis dahin war
bei wirklich schwachen Wehen die Temperaturhöhe ganz
normal, dann aber blieb trotzdem, dass die Geburt fast gar.
nicht voranschritt und ganz unbeeinflusst durch die Tages-
zeit, die Temperatur innerhalb der nächsten 12! Stunden
fortwährend am Steigen, wie wir durch fünf Messungen genau
constatirten.
Wenn uns also das Thermometer so deutlich den Zeit-
punkt der beginnenden Erkrankung erkennen lässt, so haben
wir, namentlich für epidemische Erkrankungen ein höchst
werthvolles propbylactisches Mittel in ihm gewonnen. —
Zur besseren Uebersicht ordnen wir zum Schlüsse
die Temperaturmessungen bei Wehenanomalien nochmals
tabellarisch.
bei der Geburt and im Wochenbette.
447
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448 XXIII. Winckel, TemperatarrerhSltiiisae
1) Bei Wehenschwäche ist [die Temperatur also in der
Rege) etwas niedriger als gewöhnlich (cf. 1 und von 5 a die
vier ersten von 5 b die zwei ersten Messungen) und folgt
den gewöhnlichen Tagesschwankungen.
2) Bei allen „Krampf wehen", seien es nun allgemeine
oder partielle, klonische oder tonische, zeigt sich eine der
Dauer der Wehenanomalie entsprechend stefgeade
Temperatur (cf. namentlich 3 und 4 a; aus 2, 4 6, 5 a und b
die fetten Zahlen).
3) Dabei erhellt die Abnormität der Steigerung aus den
meist hohen Differenzen der einzelnen Messungen
inier partum (durchschnittlich = 0,735° (7.) und aus der
ungewöhnlichen Zeit der Steigerung, nicht immer durch
besonders starke Erhöhung der Temperatur selbst (cf. 5a und b).
4) Die gleich nach der Geburt in der Regel noch
abnorm erhöhte Temperatur fällt, wenn nicht Ent-
zündungen der Genitalien inter partum entstanden, sich iu's
Wochenbett hinein fortpflanzen (5 a und b) in den nächsten
12 Stunden meist sehr beträchtlich (cf. 2, 3, 4a u. b).
Durch alle diese Punkte unterscheiden sich nun die
fehlerhaften Gebärmultercontractionen ebenso klar von den
schwachen wie von allen normalen Wehen.
Endlich mögen hier noch zwei Beobachtungen von dem
Verhalten der Temperatur bei Verzögerung der Geburt durch
abnormen Widerstand der harten Geburtswege Platz finden.
1. Eine 25jährige Secundipara, deren Temperatur bei
der Gebtfrt anfangs ganz normal von 38,575 auf 38,3.. 38,15 ..
38,125 von Abends 6 — 10 % Uhr unter regelmässigen Wehen
und voranschreitender Erweiterung des Muttermundes sank,
verlor Nachts 2% Uhr das Fruchtwasser. Der bis dahin
hochstehende Kopf trat nun fest in den Eingang des etwas
verengten Beckens (Diagonalconjugata = 4" 2 — 4'"). Die gut
verstrichenen Muttermundslippen fingen durch den Druck an
zu schwellen und der Muttermund, vorher ganz erweitert,
schien dadurch wieder enger zu werden. Nachts 3V3 Uhr
betrug die Temperatur der Scheide 38,59° C. , und als alimälig
unter kräftigen Weben mit Bildung einer beträchtlichen Kopf-
bei der Geburt und im Wochenbette. 449
geschwulst nach 3y2 Stunden das starke Kind geboren war,
zeigte sich anf dem vorderen Tbeile des linken Scheitelbeins
eine 2 — 3 Linien breite stark gerottete Hautstelle (Druck
vom Promontorium bei erster. Schädellage) und gleich nach
der Geburt Morgens 7% Uhr betrug die Temperatur der
Scheide 39,0, Abends 5% Uhr 38.3, am folgenden Morgen
7Va Uhr 37,55° C.
2. BerihaBl., 31 Jahre, Erstgebärende. Wehenanfang
Nachts 3 Uhr.
Morgens 73/4 Uhr Puls 88, Temperatur der Scheide 38,21.
» 974 „ „ 88, „ „ „ 38,525.
„ 10y* „ „ 84, w „ „ 38,675.
„ IP/4 „ „ 84, „ „ „ 38,59.
Bis hierher verlief die Geburt ganz regelmässig, nun aber
begannen bei noch stehender Blase die Muttermundslippen
durch Druck stark ödematös zu schwellen. Der Kopf stand
fest im Beckeneingange, der Leib war sehr stark ausgedehnt,
das Becken nicht nachweislich verengt. Nachmittags IV2 Uhr
Temperatur der Scheide 38,89. Nachdem dann um 2 Uhr
die Blase endlich gesprungen, gelang es den kräftigen Wehen
erst in drei Stunden den Kopf durch das Becken zu pressen
Die Temperatur der Scheide betrug gleich nach der Geburt 39,0
am folgenden Morgen 38,425° C.
Bei beiden Fällen zeigte sich also mit dem Beginne der
Schwellung der Muttermundslippen eine nicht unbeträchtliche
Temperaturerhöhung, die, namentlich bei No.2 in der Remissions-
zeit auftretend, schon durch die Höhe der Differenz von den
vorhergehenden Messungen sich auszeichnete. Bei beiden war
die Temperatur gleich nach der Geburt entschieden abnorm
erhöht und sank zunächst bald nach der§elben. — Mag nun
diese Temperaturerhöhung bedingt sein durch die mit der
Quetschung eintretende locale Entzündung, oder durch eine
bei derselben auftretende Wehenanomalie oder auch bloss Folge
der aussergewöhnhch starken Muskelanstrengung zur Ueber-
windung des abnormen Widerstandes; jedenfalls giebt uns
der Thermometer hier die Steigerung und den Grad des Stoff-
Umsatzes deutlich zu erkennen und damit auch die Höbe einer
450 XXIII. Wiiuküt TemperatarrerhUtatae etc.
etwa vorhandenen Gefahr. Unter diesen Umständen kann er
also z. B. bei stärkerer Beckenenge, Kopflage, abgestorbenem
Kinde (durch Nabelschnarvorfall) und sehr zögernder Erweiterung
des Muttermundes ganz entschieden uns einerseits rechtfertigen,
die Perforation noch eine Zeit lang aufzuschieben, andererseits
aber ebenso nothwendig zur Ausfuhrung derselben drängen,
selbst ehe noch der Muttermund vollständig erweitert ist
Wenn man weiss, wie weit in dieser Beziehung noch die
Ansichten der Geburtshelfer auseinandergehen, so lässt sich
hoffen, (Jass der Gebrauch des Thermometers hierbei eine
Einigung bewirken kann, indem er uns die Naturkräfte genau
beurtheilen lehrt. Ist es denn nicht viel rationeller, eine be-
stimmte Indication in der Beschaffenheit der Temperatur zu
finden, als in dem Pulse und dem sonstigen ganzen Befinden
der Kreissenden?
Im Verlaufe unserer Untersuchungen lernten wir also
erstlich in dem Thermometer ein sicheres Mittel kennen,
normale von schwachen und krampfhaften Wehen zu unter-
scheiden, wir deuteten an, wie es mit seiner Hülfe gelingen
werde, die Begriffe: Erschöpfung, Gefahrdung etc. bei Er-
krankung der Kreissenden genauer zu präcisiren; wie wir
dadurch an ihm zugleich ein Mittel zur Feststellung der Art
und Zeit operativer Indicationen gewinnen könnten und dass
er demnach auch eine Bedeutung für die Prophylaxe erlangen
werde. Durch fortgesetztes genaues Studium aller Processe
bei Gebarenden wird also Physiologie und Pathologie der
Geburtshülfe durch den Thermometer wesentlich ergänzt und
allmälig auch bereichert werden. Es eröffnen sich diesen
Studien noch so viele Felder bei jeder einzelnen Geburt, dass
sie schwerlich binnen Kurzem erschöpft sein werden.
Dieser kurze Hinweis auf den Werth der Tocothermometrie
mag genügen, um zu weiteren Forschungen anzuregen« So
leicht diese auszuführen sind, so sicher werden sie zu er-
freuliehen Resultaten führen. Und wenn ihr Nutzen zunächst
auch nur in klinischen Instituten erprobt wird, so lässt sich
doch hoffen, dass allmälig der Thermometer in dieser Be-
ziehung sogar in der Privatpraxis in Gebrauch kommen wird.
XXIV. Chrmm**, Versammlung deutseker Nftturforscher etc. 461
Zur Entscheidung wichtiger Fragen braucht man mit dem
Thermometer nur wenig Zeit, und ohnehin sitzt der Arzt ja
fo6t bei keinem Leidenden so lange, wie bei einer Kreissenden.
Mit der Pelvimetrie verglichen hat die Tocothermometrie un-
zweifelhaft eine weit grössere Zukunft und wünschen wir ihr
zum Heile der Geburtsbfttfe eine möglichst rasche und allseitige
Ausdehnung!
XXIV,
Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte
in Karlsbad im Jahre 1862.
Verhandlungen der Section für Gynäkologie.
Berichtet
von
Prof. Dr. Germann.
Erste Sitzung. Am 18. September.
■
Vorsitzender: Geh. Rath Prof. Dr. Betschier (Breslau).
Schriftführer: Dr. Brechler.
Nachdem Geh. Rath Betschier zum Tagespräsidenten
erwählt worden wat*, sprach Dr. Freund jun. (Breslau)
über erworbene primäre Rückwärtsknickung
der Gebärmutter.
Der Vortragende steht nicht auf Seiten Derjenigen, welche
die Knickung der Gebärmutter an sich für etwas Unbedeutendes
hatten, weil die Knickung nur durch ihre Folgekrankheiten und
Compücationen (Gebärmutterinfarct, Peritonitiden, Störungen
und Krankheiten im Gebiete der Hernblase, des Mastdarms
und der Verdauung) schliesslich gefährlich werde. Denn dieser
Ansicht hege die Behauptung zu Grunde, dass die pathologisch-
anatomischen Veränderungen der geknickten Gebärmutter
unmöglich zu beheben seien und dass somit nur eine
symptomatische Behandlung der etwaigen Beschwerden ihrig
462 XXIV. (tormann, Vereammlnng deutscher Naturforscher
bleibe. Nach Dr. F. Ansieht sind es nur die selteneren
Fälle, in welchen die anatomischen Veränderungen als unheilbar
erscheinen, während viele durch die Folgezustände verursachte
Leiden nur allein durch Hebung der Knickung dauernd heilbar
sind, so insbesondere die chronische Entzündung und der Catarrh
der Gebärmutter, die Sterilität, die Störung der Functionen
des Mastdarms und der Harnwege, und hier insbesondere die
Hydronephrose. Dr. F. weiss aus eigener Beobachtung, dass
trotz bedeutender anatomischer Veränderungen die Knickung
sammt den Folgezuständen durch Fleiss und Ausdauer sich
beheben Hessen. Drei Indicationen sind hierbei in's Auge zu
fassen, hergeleitet: 1) aus der Krankheit in ihrem pathologisch-
anatomischen Substrat, 2) aus den Folgezuständen und Com-
plicationen, 3) aus der Individualität der Kranken.
Die von Rokitansky, Virchow u. A. nachgewiesenen
Bindegewebsveränderungen an den KnickUngsstetten, ebenso
die Adhäsionen der Gebärmutter sind häufig, aber nicht überall
vorhanden. Dr. F. beobachtete die Adhäsionen am häufigsten
vom Grunde oder der vorderen Wand der Gebärmutter rückwärts
nach dem Mastdarme und dem Douglasischen Räume. Zuweilen
fand sich als Ueberrest der Anheftungen nur ein Strang.
Diese Fälle betrautet er als unheibar. Dagegen lassen nach
seiner Meinung diejenigen Anheftungen Veränderung und Heilung
zu, welche man als ligamentöse Massen im Knickungswinkel
fühlen kann. Was vorzugsweise die Hydronephrose anlangt,
so findet man sie überhaupt oft bei Frauen in Folge von
Verzerrung des Blasenhalses, Vergrößerung der Gebärmutter,
Eierstocksgeschwülsten, fibrösen Entartungen und Knickungen
der Gebärmutter. Die Hydronephrose führt nieist nicht bis
zur Atrophie, doch sind die begleitenden Symptome sehr
auffällige und lästige. Zwei Fälle bedeutender Entwickelung
der Hydronephrose kennt der Redner. Die Ursachen sind
doppelter Art. Die Stenosirung eines oder beider Harnleiter
tritt nämlich entweder ein durch Druck, nach Bindegewebs*
entzAndung, oder durch Knickung bei Senkung oder Knickung
der Gebärmutter. In diesem Falle ist nur durch Reposition
der Gebärmutter Hälfe möglich. Dr. F. spraoh hierüber
schon gelegentlich der Veröffentlichung eines Falles von
Hanüetter-Gebirmutterfistel. Der anatomische Verlauf des
v»d Aeräte in Karlsbad im Jahre 186«. 4M
Harnleiters, der neben dem Cervix uteri angebetet ist, die
durch Perimetritis hinzukommende, öfter stattfindende An*
löthung als Loszerrung des Harnleiters von der Gebärmutter
erklärt den Vorgang. Als Symptome der Hydronephrose be*
zeichnet der Vortragende zunächst einen bohrenden Sehmerz
in der Lumbaigegend, der in der Lendengegend und selbst in
den Schenkeln empfunden werde und die Beweglichkeit hinderet
Ferner Cardialgie, Harndrang, Neuralgien ausgehend vom
Sympathicus, als Kopfweh, Zahnweh. Das Leiden wurde häufig
für Blasencatarrh gehalten oder mit dem Namen der Hysterie
belegt. Als eigentümlich wird die zeitweilige Remission der
Erscheinungen hervorgehoben. Der Urin verhalt sich hierbei
wie bei chronischem Blasencatarrh, er ist trübe, enthält zu
einem Dritttheil trüben, schleimigen Bodensatz und bildet bald
nach der Entleerung ein Häutchen. Der dicke Satz besteht
aas Blasenschleim mit Epithelien der Harnwege, die fettig
entartet sind, das Häutchen aus einer structurlosen Masse,
aus Fetttropfen und vereinzelten Margarincrystallen. Der Harn
reagirt meist neutral, selten alkalisch, zeigt das kohlensaure
Ammoniak und den Harnstoff, letzteren bis zu 4 und 4% Proo.
vermehrt und ebenso Vermehrung des Chlornatriums, somit den
Zustand eines concentrirten, im ersten Stadium der Zersetzung
begriffenen Harnes. In dem bereits angeführten Falle konnte
man die Niere durch gleichzeitigen Druck von der Lumbal*
gegend und von vorn her fühlen, und die Geschwulst, welche
klopfend auf der Iliaca communis lag, reponiren. Dr. F. sah
das Leiden meist rechtsseitig, aber auch beiderseits. Der
gesammte Beckeninhalt betheiligte sich dabei bald durch
Atrophie, bald durch Hypertrophie. Im ersteren Falle waren
die Scheidenwände atrophisch, das Laquear weit, der gesammte
Beckeninhalt leicht durchzufühlen, selbst die Knochen waren
dünner und durchscheinend, die Temperatur vermindert, die
Gebärmutter schlaff und beweglich. Zugleich allgemeine Anämie
und Magerkeit und zwar vorzugsweise im Becken und un-
abhängig von einer Consumtionskrankbeit Bei Hypertrophie
fand man die Gebärmutter vorn fixirt und schmerzhaft gegen
Druck. In wie weit hierbei ein vorangegangenes Wochenbett
oder Ernährungsstörung die veranlassende Ursache war, liess
sich nicht sagen.
464 XXIV. Germern* , Verftannstaog deutscher Ntfarforscher
Die Therapie hat zunächst die pathologisch -2
Veränderung der geknickten Gebärmutter zu beröcksichtigen
und durch mechanische Aufrichtung und Erhaltung darin
möglichst den normalen Zustand herzustellen.
Geheimrath Betschier bestätigt, aufgefordert von Dr. Fn
dass diesem die Herstellung der Kranken im betreffenden
Falle vollständig gelungen und dass vermöge der Reproductivität
der Gebärmutter selbst eine neue Verdickung des Knickungs-
wiukels eingetreten sei. Die Heilung erfordert oll eine
Vorciir und eine gewissenhalte Ausdauer von ein* bis ein-
undhalbjähriger Behandlung. So lasse sich Alles oder doch
sehr viel erreichen. Die kurzer abgeknickte Sonde von VaUeiw
verdient den Vorzug vor der von Kiloisch, oder man bediene
Bich einer Sonde aus englischem Zinn. Die Adhäsionen werden
im Verlaufe der Behandlung länger und resorbirt, ebenso wie
die Athembewegungen diesen Einfluss auf die plenritischen
Anheftungen der Lunge üben. Bleibt, was die Folgezustände
und die Complicationen anlangt, in einer geknickten Gebär-
mutter nach der Menstruation durch zwei bis drei Tage Blut
zurück und zersetzt es sich, veranlasst die gehemmte Blut-
circulation, blennorrhoisches Secret, bildet sich Hydronephrose,
so sind alle diese Zustände nur durch Beseitigung der Knickung
dauernd zu heben. Zu Hebung der locakn Hypertrophie
wurden Antiphlogose, Resorbentien, Kräuterschwämme, Uterus-
douche, medicamentöse Klystiere empfohlen. Letztere theils
um den Magen zu schonen, theils um als Cataplasmen zu
wirken, theils um den Stuhl zu fördern. Die Individualität
endlich erfordere vor Allem Berücksichtigung des synochalen,
erethischen oder torpiden Zustande« der leidenden Organe,
je nach der Constitution der Kranken.
Geheimrath Behm (Stettin) hebt noch hervor T dass
Rtickwärtaknickung der Gebärmutter auch ohne irgend welche
auffälligen Symptome und gefahrlos verlaufen könne, und
theilt zwei Krankengeschichten mit Im ersteren dieser Fälle
bestand Sterilität, Atrophie der Gebärmutter, keine Adhäsionen,
im zweiten wurde die Knickung durch hinzukommende
Schwangerschaft gehoben.
Zinn Schlüsse gelangte eine Abhandlung von Dr. C. JL
Schreiber (Königsberg): „Ueber die wahre und alleinige
und Aente in Ktrlsbftd im Jahre 18S2. 466
Ursache des Eintritts der Geburtswehen im schwängern Uterus,
Nürnberg 1861" zur VertheSung an die Versammlung. Die
Diseassion Aber eine von demselben angeregte Frage: „Wie
und wann bilden sich sowohl die Umschlingungen der Nabel-
schnur, um verschiedene Theüe des Fötus als auch die wahren
Knoten in derselben ?" wurde wegen vorgerückter Zeit vertagt.
Zweite Sitzung. Am 19. September.
Vorsitzender: Prof. Dr. Hecker (München).
Schriftführer: Dr. Brechler.
Die Versammlung wird zunächst benachrichtigt, dass
Medicinalrath Günther (Zwickau) zum Zwecke einer Discussion
über einzelne Fragen der Geburtshülfe aus dem Entwürfe einer
Medicinalordnung für das Herzogthum Gotha für Sonnabend
den 20. eine gemeinschaftliche Sitzung mehrerer Sectionen
beantragt habe. Prof. Hecker und Geheimrath Betschler
sprechen gegen diesen Antrag, der auch, nachdem Prof. Jaksch
noch erwähnte, dass vorerst eine Specialisirung der hierbei
vorzukommenden Fragen stattzufinden hätte, per majora ab-
gelehnt wird. Hierauf beginnt Prof. C. Braun (Wien) seinen
Vortrag :
lieber die Statistik der Puerperalkrankheiten
im Wiener Gebärbause.
Prof. Braun bemerkt zunächst, dass er den Gegenstand
seiner Besprechung durchaus nicht fl&r abgeschlossen erachte
und dass er genaue statistische Zahlen der Versammlung im
nächsten Jahre vorlegen werde. Bei Entwickelung seiner
Ansichten komme es ihm gegenwärtig bloss darauf an, eine
lehrreiche Discussion anzuregen. Aus der hier folgenden
Statistik des Wiener Gebärhauses gebt hervor, dass dieses fast
ausschliesslich für die Schule, ein kleiner Theil für die geheime
Abtheilung bestimmt ist; vom Jahre 1850—1860 waren auf
letzterer nie über 3—400, auf der Schule über 7—8000
Geburten. Beide Schulen, sowohl für die Aerzte als Hebammen,
sind im allgemeinen Krankenhause und von einander getrennt
Die Hälfte aller in letzterem verpflegten Weiber sind Wöchnerinnen.
Die erste Gebärklinik hat 18 Säte, die hoch, geräumig und
466 XXIX. G&rmmin, Versammlung dentaotor Naturforscher
niebt fiberfüllt sind. Die Räume für die kranken Wöchnerinnen
und Schwangeren sind etwas mangelhaft; es sind 479 Betten
für die kranken Wöchnerinnen und in jedem Saale im Durch-
schnitte 26 Bitten, welche Räumlichketten jedoch erst seit
fünf Jahren bestehen. Der Unterricht dauert das ganze Jahr.
In der ersten Klinik werden jährlich 250—300 Studirende
unterrichtet Für je eine Woche wird eine bestimmte Zahl
von Praktikanten festgesetzt, meist 12, selten mehr. Unter
diesen befinden sich keine Wundärzte. Ein Dritttheil derselben
sind Ausländer. In der zweiten Klinik werden durchschnittlich
200 Hebammen zum Unterrichte zugelassen.
Die Jahre 1850 — 1855 bieten bei Anwendung aller
Vorsieh tsmaassregeln und der Chlorwaschungen folgende
statistische Verbältnisse dar:
Jsbr.
Zabl
der
Gebnrten.
SterbefSllo.
Mortalitits-
verhMtni*«.
1850
7204
122
1,7 Procent.
1851
7614
201
2,6 „
1852
8006
376
4,6 „
1853
7765
160
2
1854
7968
614
8,5 „
1855
6823
370
ö,o „
Von 1849—1853 war Prof. Braun Assistent, während
welcher Zeit bei sorgfältigen Chlorwasserwaschungen (denn
Chlorkalk in gewöhnliches Wasser gebracht, bleibt wirkungslos)
die Mortalität im Jahre 1852 doch 4,6 Procent erreichte, fan
Jahre 1854 und 1855, wo Braun nicht in Wien war, wurde
dieselbe Vorsicht beobachtet und die Zahl der Verstorbenen
betrug über 8 Procent und 5 Procent. Es sind aber hier nur
die niederen Ziffern als richtig anzusehen, die höheren Züfern
müssen höher genommen werden durch Hinzufügung der*
jenigen, welche während dieser zwei Jahre als Kranke nach
der Geburt in's Krankenhaus abgegeben wurden. Denn nur
für Gesunde haben die beiden Gebärschulen gute Räumlichkeiten,
nicht für Kranke. Nur 17 — 20 Kranke kann ein Zimmer
aufnehmen. Bei zahlreichen Erkrankungen müssen daher die
Wöchnerinnen übertragen werden.
«ad Aaste in Kulebtd im Jean IMS.
457
Weitere Daten zeigen:
Jahr.
Z*M
der
Geburten.
Sterbefiille.
MortMit&ta-
Verhältnisse.
1856
7446
289
3 Proceut.
1857
8524
205
2,4 „
1858
8925
147
1,6 „
1859
8879
128
1,5 „
1860
8058
164
2 „
Im Jahre 1866, zu welcher Zeit Prof. Braun jun. die
erste Klinik supplirte und Prof. Bartsch die zweite Klinik
innehatte, wurden bloss Waschungen mit Seife vorgenommen,
und die Mortalität blieb doch gering, wenigstens eben so
günstig, wie in den früheren besseren Jahren. Von 1867 — 1860
war die grösste Mortalität 2,4 Procent, die kleinste 1,5 Procent.
Damals wurden unter Prof. C. Braun gegen 200 Aerzte im
Operiren an Leichen eingeübt, weil nur diejenigen , welche
am Cadaver fertig operiren, zu den Operationen an der Klinik
zugelassen werden. Zur Reinigung der Hände wurde bloss
Nagelbürste und Seife, aber kein Chlor genommen. Braun
hält die Seife für vorteilhafter als Chlorkalk, der nur den
Geruch für einige Zeit verdeckt. Kranke wurden nicht touchirt
Man liess die Kranken nicht unter den Gesunden sterben,
sondern überwachte sie in getrennten Kammern.
Bezüglich der Differenzen zwischen beiden Kliniken
wechseln von 1850 — 1853 selbe häufig; die Jahre 1854 und
1855 sind ominös für beide Kliniken; die Jahre 1857 — 1860
bieten kleine Unterschiede an den zwei Schulen und sind für
beide sehr günstig, wie dies aus Folgendem ersichtlich:
Qesammt-
Jahr.
mortalittU
Ente
Zweite
an beiden
Klinik.
Klinik.
Kliniken.
1857
2,4 Procent.
2 Proceut.
2,1 Procent.
1858
1,6 „
1.9 „
1,4 „
1859
1,5 „
1,9 „
1
1860
2
2,2 „
2
Hier fragt sich's, yie viel diese oder jene Klinik Kranke
in's Spital abschickte. In Wien werden nach 10 Tagen die
MoaaUtehr. f. Geburuk. 1869. Bd. XX., Hft. 6. 30
458 XXIV. 6«rffl«ftny Vorsatttnl^ii^ dentteheTNatttrforicher
gesunden Wöchnerinnen der Findetanstalt und die kranken
dem Spitale zugewiesen, ausser, wenn sie in Hinsicht des
Unterrichtes ein Interesse darbieten. Denn im Spital tragen
die gesammten Länder die Kosten. Ebenso werden vice versa
kranke Kreissende aus dem Spitale in's Gebärhaus transferirt
mit Ausnahme der Blatternkranken.
Braun citirt bloss die in's Spital transferirten Wöch-
nerinnen und zwar:
t t«i>.ä Von der Von der
Im Jaore
ersten Klinik. «weiten Klinik.
1857 3 Procent 2 Procent
1858 4 „ 2 „
1859 5 „ 3 „
1860 5 w 2 ,,
Somit wenigstens 2 Procent mehr von der ersten Klinik;
am meisten syphilitische Kranke (2 Procent), ausserdem meist
chronische Kranke, die früher vom und dann in das Spital
zurücktransferirt wurden. Die grössere Zahl der Transferirten
an der ersten Klinik erklärt sich aber daraus, dass die erste
Klinik im Ganzen 50 Tage länger, daher mehr aufnimmt als
die zweite Klinik. Die Sterblichkeit war in den vier Jahren
1857 — 1860 gewiss eine geringe, obgleich an 1000 Studflfend*
unterrichtet worden.
Das Jahr 1861 war anfangs günstig, es kamen im Sommer
bloss wandernde Erysipele vor; vom 22. October an zeigten
sieh jedoch zahlreiche Puerperalerkrankungen. In der feftrten
Octoberwoche erkrankten auf der ersten Klinik 50, von denen
btB 1. November 22 starben.
Es fand zu dieser Zeit keine Ueberföllung statt TägHeh
standen über 50 — 60 Betten leer. Die Reinlichkeit ward
sehr gepflegt. Wäsche, Kotzen, Stroh wurden gut geliefert,
jede Bettfourniture der Kranken wurde ersetzt. Die Wäscherei
der Gebäranstalt genügte den Anforderungen. Die Ventilation
geschah durch Oeflhen der Fenster hinreichend. Es wurde
noch nicht geheizt wegen Wärme. Der Heizutigsapparat wurde
von 1857 — 1861 ebenso wie die Ventilation sehr überwacht
Die Ventilationsvorrichtungen sind die Meissner'&chen. Es
wird von aussen und zwar mit Eichenholz geheim, so dass
allerdings nicht stets Feuer vorbanden ist uöd die Zug-
«nd Amte in Karlsbad Im Jahr« 1862.
öttnngen betragen leider nur 8 — 10 Zoll. Jede Kranke
wurde scbnell übertragen and separirt, was Brown aus
Humanttätsrücksichten stets anempfiehlt. Das Krankenzimmer
ist 150 Schritt entlernt. Besonders das Schwefelammoniam
der Lochien wirkt auf Gesunde und Kranke, und zwar auf
alle Kranke, nicht bloss auf Wöchnerinnen, sehr übel. Die
Abzugskanäle waren nicht überfallt, die Aborte reinlich, ohne
Gestank und mit Wasserciosets versehen. Von den Praktikanten
wurden nur zwölf täglich beschäftigt und jedem nur eine
Gebärende zugewiesen. Das Touohiren, die praktischen
Uebungen überhaupt wurden damals, wegen der erst vor
sich gehenden Inscription, noch wenig betrieben und der
Unterricht konnte qicht angeklagt werden. Die acht Warte-
hebammen kamen mit den kranken Wöchnerinnen gar nicht
zusammen, nur der Praktikant stützte den Damm. Die Ober-
hebamme machte keine Injectionen. Jedes Wocbenzimmer
ward nach zehn Tagen durch zwei Tage geleert und gelüftet,
vor dem Belegen jedes Mal gescheuert und stark geheizt.
Die Bettstatt wurde in siedendes Wasser getaucht, alle Betten
abgeräumt und dem Luftzuge ausgesetzt. Die Wöchnerinnen
gingen nicht, sie wurden übertragen. Vor jeder Exploration
roussten die Hände mit Seife und Bürste (nicht mit Chlorkalk)
gereinigt werden.
Besonders zu erwähnen ist, dass in der letzten
Octoberwoche ein Fünftheil der in das Gebärhaus
Aufgenommenen schon krank dahin kam laut der
Protokolle. Im October erkrankten von 65 Wöchnerinnen
an der ersten Klinik 50, wovon 25 starben, während ausser-
dem mehrere transferirt wurden. 22 starben allein in der
letzten Woche des October. In Folge dessen wurden von
Braun ganz ausserordentliche Maassregeln getroffen. Vom
1. November an durfte kein Student exploriren, den acht
besoldeten Wartehebammen der Schule wurden Geburten
atiein übertragen; es wurde kein Operationscurs gegeben, kein
praktischer Unterricht ertheilt; massenhafte Transferirungen
fanden statt, so dass alle entschieden Puerperatkranken ab-
gegeben wurden.
Die chemische Desinfection wurde vielfach geübt und
zwar, da sich verdünnte Lösungen von Chlorkalk 1854 und
so*
462 XXIV. (forma**, Versammlung doutaeher Naturforscher
jede vierte der Erkrankten vorher fieberte. Während dieser
vier Monade trugen 13 Procent der Entbundenen, 13 Procent
der Erkrankten und 13 Procent der Verstorbenen nicht aus.
Das Verhältniss der Erkrankungen im Gebärhause und Spital
überhaupt (eingerechnet alle anderen acuten Processe) war
in den letzten 12 Jahren parallel. Die Mortalität im Gebär-
hause war von 1851 — 1862 am höchsten im März 379, dann
im December 350, im Januar 336, im November 315, im
April 290, im Februar 283, im October 260, im Mai 255,
im September 180, im Juli 179, im Juni 158, im August 152;
die Sommerhälfte somit im gleichen Verhältnisse zur Kranken-
bewegung im Spital fast um's Doppelte geringer, als die
Winterhälfte. _
Dritte Sitzung. Am 20. September.
Vorsitzender: Prof. Dr. Hecker. Schriftführer: Dr. Brechler.
Prof. H. hält einen Vortrag
über Rhachitis congenita.
Eine Schwangere, die im Februar dieses Jahres in die
Münchener Gebäranstalt aufgenommen und daselbst entbunden
wurde, gab H. und Prof. Buhl Veranlassung zu einer Reihe
von Untersuchungen, die sich auf jene bisher nur beiläufig
oder gar nicht genauer erörterte Krankheitsform bezogen.
Abgesehen von den pathologisch -anatomischen Verhältnissen
aber war jener Fall auch in geburtshülflioher Beziehung
mannichtacb complicirt Der Geburtsverlauf nämlich war
folgender: Eine 23 Jahre alte, kleine Person wurde von
Eciampsie befallen und kam deshalb am 19. Februar d. J.
in die dortige Entbindungsanstalt Die eclamptischen Anfälle
wiederholten sich rasch, so dass fünf innerhalb der nächsten
zwei Stunden, im Ganzen 16 bis 17 heftige Anfälle beobachtet
wurden. Die Untersuchung des Unterleibs ergab, dass das
Kind ausgetragen sein musste und üT. vennuthete, dass
möglicherweise selbst Zwillinge vorhanden seien, weil die
Ausdehnung des Unterleibs bei dem nur 180 Centimeter langen
Individuum eine ungewöhnlich grosse war. Die Unteruchung
blieb jedoch auch ausserhalb der eclamptischen Anfälle so
erschwert, dass das Vorhandensein von Zwillingen nicht mit
\
und Aerqte in Karlsbad im Jahre 1868. 463
Sicherheit erwiesen werden koante. Innerlich fand sich der
Muttermund für zwei Finger zugänglich, die Blase stehend,
der Kopf vorliegend. Der Vorberg wurde ungewöhnlich leicht
erreicht. Wiederholte Messung ergab eine Diagonalconjugata
von 3 Zoll, so dass man glaubte, höchstens auf eine Con-
jugata vera von 2 Zoll 5 Linien bis 2 Zoll 6 Linien rechnen
zu können. Eine Entscheidung musste wegen des Lebens des
Kindes bald getroffen werden und da die Prognose auch für
die Mutter übel war, so entschloss man sich, wenn auch nicht
ohne Bedenken, zum Kaiserschnitt Die Operation wurde in
der Chloroformnarkose ausgeführt Von einer Blutung keine
Spur, weder hei Durchschneidung der Haut, noch bei Durch-
schneidung der Gebärmutter. Das erste Kind, dessen Ellen-
bogen sogleich hervortrat, wurde an dem Kopfe entwickelt,
war asphyk tisch, ein Knabe. Jetzt drängte sich sogleich eine
neue Fruchtblase in die Schnittwunde, und nach deren
Sprengung wurde ein scheintodtes Mädchen hervorgezogen,
das unter Belebungsversuchen alsbald kräftig athmete. Beide
Kinder, durch eine Amme ernährt, leben noch heute und
sind ungewöhnlich gross. Das eine der Kinder hat schon
zwei Zähne, und jedes einzelne kann für ein grosses Kind
gelten. Die Mntter ging innerhalb 24 Stunden nach der
Operation zu Grunde. Weder an der Bauch wand, noch am
Uterus war eine Spur von Verklebung zu finden. Darm-
schlingen lagen vor dem Uterus. Die Nieren befanden sich im
Uebergange vom ersten zum zweiten Stadium der Brightischen
Erkrankung. Prof. Buhl, welchem die Nieren ohne alle
weitere Mittheilung vorgelegt wurden, erklärte, die Krankheit
könne ohngefähr seit acht Tagen bestehen, und gerade seit
dieser Zeit war auf ein geringes ein sehr starkes Oedem der
Füsse gefolgt. Die Kranke hatte in der letzten Zeit ausser
Kaffeebohnen und Anis nichts mehr genossen und H. sprach
seine Ueberzeugung dahin aus, dass in vielen Fällen die
Eclampsie Folge der Nierenkrankheit sein möge oder diese
ihr wenigstens vorangehe, und, dass in vorliegendem Falle die
Nierenkrankheit gewiss nicht Folge der Eclampsie gewesen sei.
Die Durchmesser des Beckens, speciell die Gonjugata vera
fand üT. grösser, als er vermuthet hatte. Die Conjugata vera
betrug 2 Zoll 9 Linien. Der Jrrthum wurde, abgesehen von
464 XXIV. Qermann, Versammlung dent* eher Naturforscher
den Schwierigkeiten bei der Untersuchung, begünstigt durch
ein falsches Promontorium und eine sehr starke Becken-
neigung. Man nahm den Yerbindungsknorpel des ersten und
zweiten Rreuzwirbels für den Vorberg und die Schamfuge
▼erlief so nach einwärts, dass der Abzug von der Conjugata
diagonalis nur 5 Linien betrug. H. hielt die Mutter für mit
Wahrscheinlichkeit verloren, und ob es gelungen wäre, die
Rinder auf natürlichem Wege lebend zu entwickeln, Wieb
unentschieden. Von dem Skelett der Verstorbenen Hess H.
eine Photographie anfertigen, welche den Anwesenden vor-
gelegt wurde. Bei der Betrachtung fällt die Verkürzung der
oberen und unteren Extremitäten auf. Die Knochen sind fast
gerade, aber zu kurz. Das Verhältniss der Länge der Ex-
tremitäten zu der Gesammtlänge in Procentzahlen ausgedrückt,
ergiebt in diesem Falle für die oberen Extremitäten 37 Procent,
bei normalen Verhältnissen dagegen 40 Procent, bei einem
Falle von Rhachitis acquisita 48 Procent, für die unteren
Extremitäten bei der Rhachitis congenita 41 Procent, bei der
Rhachitis acquisita 51 Procent, bei normalen Verhältnissen
50 Procent
Die Anamnese anlangend, so wurde nach Aussage der
Eltern die Person mit kurzen Extremitäten, insbesondere mit
sehr kurzen Armen geboren. Sie erlernte das Geben erst
nach iy«t Jahren. Nach jedem Durchbruche eines Zahnes
vermochte sie für einen Monat und länger nicht zu gehen,
woraus sich schtiessen lässt, dass der intrauterine Krankheits-
process extrauterin sich fortsetzte. Die erste Menstruation
trat im 15. Jahre, Schwangerschaft im 23. Jahre ein. Der
Vortragende stellt nun die Frage, ob hier ein Fall von
Rhachitis congenita vorliege und was sich über dies Capitel
in der Literatur finde. Meist werde nur auf Skelette neu-
geborener Kinder hingewiesen. H. selbst besitzt ein solches
Skelett von einem 10 Tage alten Kinde mit sehr kurzen
oberen Extremitäten und ebenso dessen Photographie, welche
vorgelegt wird. Auf der Photographie ist derselbe Krankhetts-
process zu sehen, welchen Vrolik in seinem grossen Atlas
mit „Osteogenesis imperfecta " bezeichnet; die unteren Ex-
tremitäten sind so verbogen, dass sie fast einen Kreis bilden,
die Biegung und Verwerfung der einzelnen Knochen so be-
und Aerzte in Karlsbad im Jahre 1862. 465
deutend, dass man an intrauterine Fracturen denken kann,
welche heilten. Die Schädelknochen sind so dünn, dass man
vollständig hindurch sehen kann. Es lässt sich von diesem
Process nicht mit Bestimmtheit sagen, ob er Rhachitis con-
genita sei oder nicht.
Ebenso lässt sich nach Hecker>& Meinung der Beweis
nicht fähren, ob die Verbilduug der Knochen von Fracturen
herrühre, oder nicht, es könne ebensowohl Rarefactio und
Anhäufung von Knochenmasse sein. Heinrich Müller in
Würzburg (vergl. die Würzburger medic. Zeitschr., Bd. I.,
H. 3 u. 4, 1860) untersuchte die Knochen eines Kalbs -Embryo,
welcher in die Würzburger Anstalt eingeliefert wurde. Dieser
zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Kürze der Extremitäten
aus, ferner durch welke Haut und durch einen Schädelbau,
den Müller als einen cretinischen bezeichnete. Das ganze
Gesichtsprofil ist zurückgetreten und die Nase fallt platt ab.
Müller zeichnete auch einen Durchschnitt des Oberschenkels
desselben Kalbes ab, an welchem eine ungewöhnlich zurück-
gebliebene Knochenbildung bemerkt wird, nach Müße^s An-
sicht, in Folge von Rhachitis congenita. H. untersuchte nun
mit Buhl eine unter dem Namen Phocomelus bekannte Miss-
geburt und machte Durchschnitte durch die betreffenden
Oberschenkel und durch das ganze Skelett. Ein fünfmonatlicher
Phocomelus wurde neben einem gleich alten normalen Fötus
abgebildet vorgelegt. Der Hauptunterschied zeigte sich in der
Knochenbildung. Bei dem Oberschenkel des normalen Fötus
sind nur die Epiphysen knorpelig, bei der Robbengliederbildung
dagegen finden sich genau die Verhältnisse, welche H. Müller
bei dem Oberschenkel jenes Kalbs -Embryo schildert. Ausser-
dem erscheint die ganze Wirbelsäule des Phocomelus noch
völlig knorpelig, und verbindet sich mit der auch noch ganz
knorpeligen Schädelbasis (eine spheno-basilare Synostose
fehlt) fast unter einem Winkel von 180°, während die einzelnen
Wirbelkörper des normalen fünfmonatlichen Embryo alle ihren
Knochenkern haben und hier die Verbindung zwischen Wirbel-
säule und Basis beinahe rechtwinkelig ist. Die Vergleichung
des zuerst in Rede stehenden Skeletts, an dessen Schädelbasis
gleichfalls ein sehr steiles Aufsteigen des Clivus beobachtet
wird, mit der Phocomelenbildung zeigt, dass jenes zur
4ß$ XXIV. Qsrman», Voraatumlang deutscher Naturforscher etc.
Rhachitis congenita gehört, wenn man den Beweis, dass die
Phocomelenbildung eiue Form der Rhachitis congenita sei,
für geführt erachtet, wovon H. eben im Hinblick auf die
Untersuchungen von H. Müller nicht im mindesten zweifelt
Rücksichtlich des betreffenden zweiten Skeletts lässt H. es
zweifelhaft, vielleicht sei es eine Modification, eine verschiedene
Form der Rhachitis congenita.
Prof. Braun freut sich, in obigem Falle eine Bestätigung
seiner Ansicht über das Verhältniss von Nierenerkrankung
und Eklampsie zu finden. Die über das Skelett des Kindes
ausgesprochene Meinung hält er für richtig. Klinisch jedoch
sei ein solcher Fall sehr schwer zu diagnosticiren. Die
Verkrümmung der Extremitäten allein sei nicht beweisend.
Prof. Patruban (Wien) kennt unter einer Zahl von 6 — 7000
Geburten nur eine einzige ähnliche Bildung. Das Kind wurde
drei Monate alt der k. k. Gesellschaft der Aerzte vorgestellt
und war, den äusseren Formen nach, dem oben erwähnten
Kinde sehr ähnlich. Er glaubt, dass nur durch Messung
und Chemie zugleich hier die Grenze bestimmt werden könne,
die Lösung der Aufgabe aber sei noch nicht geliefert Auch
Prof. Buhl betrachtet den Begriff der angebornen Rhachitis
bis jetzt als nicht festgestellt. Wolle man die Charaktere der
Rhachitis acquisita auf die Rhachitis congenita übertragen,
so zeige sich, dass die genaue Gestalt der erworbenen
Rhachitis angeboren nicht vorkomme, oder doch nur in
einzelnen Fällen. Seiner Meinung nach gehöre das grosse
Skelett zu den Phocomelen, das kleine Skelett eher der
Osteomalacie als der Rhachitis und Phocomelie an. Das
Skelett sei ungemein brüchig, bei der Phocomelie dagegen
finde man nur Knorpel. Dass die Kürze der Extremitäten
allein für Rhachitis nicht beweisend sei, sucht Dr. Freund jun.
aus einem in Berlin vorhandenen Skelett einer Frau zu be-
weisen, an welcher Mursinna den Kaiserschnitt machte.
Dies Skelett verhält sich bis zum Becken ganz normal, von
da aber ab sind alle Knochen so im Wachsthum zurück-
geblieben, dass das Skelett aus zwei verschiedenen Skeletten
zu bestehen scheint. Mikroskopisch lässt sich an ihm Rhachitis
nicht nachweisen. H. betrachtet diesen Fall wegen Be-
schränkung der Verkürzung auf die unteren Extremitäten nicht
XXV. 8m$n, Die operative VerlSagenppfc? etc. 467
för hierher gehörig. Eben die gleichmässige Verkürzung der
Extremitäten in seinein Falle spreche dafür, dass die Störung
des Wachstbums sehr früh eingetreten sein müsse, da (nach
MiiBer) die Ausdehnung der Extremitäten schon sehr früh
beginne. Auch das eigentümliche Verhalten der Schädelbasis
entspreche in seinem Falle ganz dem Verhalten der Phocoiuelen.
Dr. Bauehfuss aus St Petersburg hält mit Bruns dafür,
dass Osteogenesis imperfecta und Rbachitis wohl zu unter-
scheiden seien, obwohl letztere auch gleichzeitig mit Ver-
kürzung der Extremitäten vorkomme. Auf eine Anfrage des
Dr. BrecKUry ob der Urin jener Operirten auf Eiweiss
untersucht wurde, erwidert üTM dass er reich an Eiweiss
und Faserstoffcylindern war, dass aber in dem Eiweiss an
sich nichts beweisendes hier liege, weil ja eclamptische Anfalle
bereits vor der Aufnahme aufgetreten waren; das für die
Aetiologie der Eclampsia Wichtigste hätte die Obduction ergeben.
Der auf diese Discussion folgende Vortrag des Dr. Hegar
(Dartnstadt): „lieber Abort in den ersten Monaten der
Schwangerschaft" wird von Dr. H. selbst demnächst in der
Monatsschrift f&r Geburtskunde veröffentlicht werden.
XXV.
Die operative Verlängerung (Allongement opöra-
toire) fibröser Gebärmutterpolypen. Eine Methode
der Exstirpation sehr voluminöser Polypen.
Von
Prof. Dr. G. Simon in Rostock.
Fibröse Gebärmutterpolypen, welche eine so bedeutende
Grösse erreicht haben, dass sie immobil in den Geschlechts-
theilen lagern1) und so wenig gestatten, dass man weder
1) Immobil find (abgesehen von den verwachsenen Polypen)
vorzugsweise intrauterine Polypen, welche mit breiter Basis im
Gebarmnttergrande festaitsen und nur mm Theüe in die Scheiß*
468 XXV. Simon, Die operative Verlängerung
mit dem Finger, noch mit Instrumenten zum Stiele gelangen
kann, bieten den bisher gebräuchlichen Operationsmethoden
sehr bedeutende, manchmal unüberwindliche Schwierigkeiten
dar. — Die Conditio sine qua non zur Excision dieser Polypen
ist die Verkleinerung des Dickendurchmessers ; denn nur durch
sie kann man hinreichenden Raum gewinnen, um zum Stiele
zu gelangen und die Excision auszufuhren. Nach den bisher
gebräuchlichen Methoden griff man aber diese Polypen immer
von der Spitze an. Man suchte von dieser ausgehend die
Geschwülste mit scheeren- oder messerförmigen Instrumenten
so hoch hinauf (von der Spitze bis zur Basis) zu zertheilen,
bis der Dickendurchmesser geringer geworden war, oder man
erstrebte eine Verkleinerung dieses Durchmessers durch trichter-
förmige Aushöhlung des Polypen von der Spitze bis zur Basis.
Aber es leuchtet wohl ein, wie ausserordentlich schwierig
eine solche Verkleinerung des Durchmessers bei beträchtlicher
Grösse des Polypen sein muss, wie unzählige Messer- oder
Scheerenschnitte, die alle mit den Pingerspitzen der anderen
Hand controlirt werden müssen, dazu gehören, um bis über den
grössten Dickendurchmesser zu gelangen, und wie durch die
lange Dauer der Operation die Ausdauer des Arztes und die
Kräfte der Patientin aufs Aeusserste erschöpft werden können.
Diese Schwierigkeiten der Excision sind so allgemein anerkannt,
dass sonst tüchtige Operateure die Exstirpation sehr voluminöser
Polypen gar nicht zu unternehmen wagen. Ja ich kenne
Fälle, in welchen die Operation zwar unternommen, aber
unvollendet gelassen wurde, weil sich der Operateur nach
langem Operiren kein glückliches Ende seiner Unternehmung
versprach, oder weil die Kräfte der Patientin eine Fortführung
der Operation nicht ertragen hätten.
Ich glaube nun in dem Aüongement eine Methode ge-
funden zu haben, durch welche die Hauptschwierigkeiten der
vorragen. Dagegen können solche Gebärmutterpolypen, welche
mit ihrem grössten Umfange in der Scheide Hegen, oft noch
mit der Geburtszange zusammengedrückt and vor die Russeren
Geschlechtstheile gezogen werden, auch wenn sie so voluminös sind,
dass man bei ihrer ursprünglichen Lage nicht zum Stiele gelangen
kann. — Indessen ist auch bei diesen Polypen das AUongement
das weniger gewaltsame und deshalb weniger eingreifende Verfahren.
fibröser Gebarmutterpolypen etc. 4Q9
Operation» nämlich die Verkleinerung des Dickendurchwessers
des Polypen auf sehr einfache und ungefährliche Weise er-
reicht» die ganze Operation sehr erleichtert und abgekürzt
wird. Das Allongement besteht in transversaler Ein-
schneidung des Polypenkörpers, in spec. der un-
nachgiebigen Theile der Kapsel des Polypen, bis
die Geschwulst, durch einen an ihrer Spitze an*
gebrachten Zug in die Länge ausgezogen und dabei
so verdünnt wird, dass man mit leichter Mühe mit
Finger und Instrumenten zum Stiele gelangen kann.
Diese Verlängerung des Polypen auf Kosten seines Dicken-
durchmessers wird durch die Eigenschaft der Fasern der
fibrösen Polypen1) bedingt, dass sieb diese sehr stark aus«
ziehen und in starken Bündeln von einander trennen lasseif,
sobald der unnachgiebige Ueberzug (die hypertrophische Schleim-
haut, besonders das hypertrophische submueose Bindegewebe
des Uterus) in hinreichender Ausdehnung gespalten ist
Zur Ausführung der Operation fasst man mit Museuxschcv
Hakenzange den Polypen an der Spitze, zieht ihn an und
schneidet dann mit langer und spitzer Coojper'scher Scheere
in querer Richtung und so hoch als möglich in den Polypen-
körper ein. Von diesem Schnitte aus spaltet man mit weiteren
kräftigen Scheerenschnitlen die Kapsel und die damit verT
wachsenen fibrösen Fasern bis zur, selbst über die Mitte des
Polypeuumfanges. In der Regel wird sich jetzt der Polypen-
körper ausziehen und so weit verdünnen lassen, dass mau
zum Polypenstiele gelangen kann. Sollte dies aber noch nicht
der Fall sein, sollten sich unnachgiebige Kapseltheile an der
1) Durch diese Eigenschaft unterscheiden sich die fibrösen
Polypen von den kugeligen Fibroiden, mit welchen sie gleiche
elementare Zusammensetzung haben. — Die fibrösen Fasern der
Fibroide sind so fest mit einander verbunden, dass sie sich nur
mit grösster Gewalt von einander trennen lassen; mit ihrer Kapsel
hangen diese Geschwülste dagegen nur lose zusammen und lassen
sich sehr leicht in toto aus derselben herausbeben (enucleiren). —
Die fibrösen Polypen haben (ganz im Gegensatze zu den
Fibroiden) einen fest verwachsenen, unnachgiebigen Ueberzug,
wShrend die den Polypen constitnirenden Faserbündel locker
zusammenhängen! sich deshalb leicht ausziehen und voneinander
trennen lassen.
47Ö XXV. Simon, Die operative Vertiagernng
entgegengesetzten Seite de» ersten Einschnittes dem Autogenen!
widersetzen, so mnss man aoch diese Theile zerschneide».
Iris eine hinreichende Verlängerung und Verdünnung erreicht
wird. Man macht die Scheerenschnitte in die Geschwulst
sehr kräftig, weil dadurch nicht der geringste Nacktheit ent-
steht, die Operation aber verkürzt wird. Die AfuaeWschen
Hakenzangen werden bei der Verlängerung des Polypen immer
höher nach oben eingesetzt Die Blutung ist sohr gering
und steht bald nach der Entfernung des Polypen. — Bei
voluminösen, mit der Scheide oder den Uterinwanduugen
verwachsenen Polypen, welche der Exstirpation noch
weit grössere Hindernisse entgegensetzen, als nicht verwachsene,
kürzt man die Exoision ebenfalls sehr bedeutend ab, wenn
man nach Durcbtrennung der Verwachsungen an der zu*
gänglichsten Stelle, die Umhüllung des Polypen auf dieselbe
Weise und soweit, als es ohne Verletzung der Geschlechtsthctfe
möglich ist, nach links und rechts einschneidet, die nach-
giebigen, fibrösen Theile auszieht, theilweise selbst entfernt
und dann nach Gewinnung hinreichenden Raumes die Trennung
der übrigen Verwachsungen und des Polypenstiels vornimmt.
Ich hatte bis jetzt Gelegenheit, das AUongement in drei
Fällen vorzunehmen. Zwei Mal bei nicht verwachsenen, im
Fundus uteri wurzelnden Polypen, ein Mal bei einem mit der
Scheide verwachsenen Polypen, dessen Stiel im Cervix uteri sass.
Erster Fall. Im October 1854 schnitt ich in Darmstadt
einen % Pfund schweren Polypen mit der Assistenz der Herren
DDr. Orih, Tenner , Heidenreich und von Siebold aus.
Der Polyp wurzelte im Fundus uteri, sein Volumen war so
bedeutend und die fnsertionsslelle lag so hoch, dass man
nur sehr schwierig mit der Fingerspitze zur hinteren Seite
derselben gelangen konnte. Mit der Scheere machte ich hier
mehrere Einschnitte in die Einpflanzungsslelle und erlangte
so viel, dass ich darauf ein geknöpftes, rechtwinkelig zum
Stiele gestelltes Sichelmesser an der vorderen Seite vorschieben
und etwa 1 Zoll vor der Insertionsstelle den Polypenkörper
der Quere nach bis zur Mitte einschneiden konnte. Sogleich
zog sich der Polyp aus und mit leichter Mühe gelang es jetzt,
den Polypenstiel an der hinteren Hälfte von seiner Insertions-
stelle im Muttergrunde zu trennen und dadurch den Polypen
tibröser Gdb&nmtttttfpolypen etc. 4?1
ra extraLiren. Ein Stück de* vorderen Theilß des Pofype»*
sliels, welches durch das Sichelmesser von dem Polypenkörper
getrennt worden war, blieb zurück. Es verursachte aber nicht
den geringsten Sehaden. Die Frau erfreut sich jetzt noch,
nach acht Jahren, vollkommenen Wohlseins. (Vergl. diese
Zeitschrift, Bd. XIII., H. 6, 1869.)
Zweiter Fall. Im Januar 1859 exstirpirte ich mit der
Assistenz der Herren DDr. Orth, Tenner und Beiser in einem
Dorfe nahe bei Darmstadt einen mehr als faustgrossen Polypen,
dessen Basis den ganzen Fundus des entsprechend ausgedehnten
Uterus eingenommen hätte. Der Polyp konnte auch durch
die stärksten Tractionen mit Museuxschen Hakenzangen nicht
so weit vorgezogen werden, dass man die Exstirpation mit
Exectbeit hätte ausführen können. Ich schnitt deshalb die
harte, unnachgiebige, beim Schneiden knirschende Umhüllung
des Polypen an vielen Stellen der Insertion ein. Sogleich
zogen sich die den Polypen constituirenden fibrösen Faserbündel
so weit aus, dass die Exstirpation des Polypen aus der Höhle
des Fundus mit leichter Mühe vollendet werden konnte. Die
Frau hütete das Bett nur einige Tage. Ein Jahr darauf bekam
sie ein gesundes, jetzt noch lebendes Kind, ohne dass die
Normalität der Geburt die geringste Störung erlitten hätte.
(Vergl. diese Zeitschrift, Bd. XIII. , H. 6, 1859.)
Der dritte Fall betraf einen mit der Scheide sehr
stark verwachsenen, gänseeigrossen Polypen, welchen ich in
der Klinik zu Rostock am 27. November 1861 ausschnitt.
Der Polyp war nur an der Spitze und an einer verhältniss-
mässig kleinen Stelle der Knken Seite von Verwachsungen frei.
Er konnte durchaus nicht hervorgezogen werden. Ä*H dem
Finger war weder der Muttermund, noch der Polypenstiel zu
erreichen; nur mit der Uterussonde konnte man auf dar linken
Seite durch die nicht verwachsene Stelle zwischen Polyp und
Scheidenwand nach oben in das Scbeidengewölbe vordringen«
Von die&er Stelle ausgehend suchte ich die Verwachsungen
zu trennen, was mir auch nach vieler Mühe bis etwa über
die Mitte des Polypenkörpers gelang. Aber die Verwachsungen
an der hinteren und rechten Seite waren noch so bedeutend
und der Polyp war immer noch so unbeweglich, dass ich
voraussichtlich noch lange Zeit in der Operation hätte fort-
472 XXV. Simon, Die operative Verlängerung etc.
fahren m Assen, bis ich den Polypen hätte upfei) machen,
hervorziehen und von seiner Insertion trennen können. Um
Raum für die Finger und die Instrumente zu schaffen, zer-
schnitt ich deshalb den Polypenkörper an seiner dicksten Stelle
mit kräftigen Scheerenschnitten bis zur Mitte seines Umfang*.
Sogleich Hessen sich die fibrösen Faserbündel ausziehen und
theilweise ganz aus der Umhüllung herausziehen. Dadurch
entstand so viel Raum, da9s ich zum Stiele gelangen konnte,
welcher innig mit der hinteren Muttermundslippe verwachsen
war. Ich durchschnitt denselben mit einem Theile der hinteren
Muttermundslippe, und während ich die laserigen Theile des
Polypen immer mehr aus der Vagina vorzog, konnte ich auch
mit leichter Mühe die Adhäsiouen desselben |an der hinteren
und rechten Seite trennen. Die Patientin war in wenigen
Tagen genesen. ^
Aus diesen Krankengeschichten erhellt, dass die Exstirpaüou
der voluminösen Polypen (die nach den bis jetzt gebräuchlichen
Operatiousinetboden äusserst schwierig gewesen wäre) mit
leichter Mühe gelang, als die unnachgiebigen Theile des Ueber-
zuges zusammt einem Theile der fibrösen Fasern des Polypen
durchschnitten waren. Die Geschwulst liess sich danach
sehr bedeutend ausziehen und so verdünnen, dass man zum
Stiele gelangen und die Excision vollenden konnte. Dies gelang
selbst im dritten Falle, wo nur der vordere Tbeil des Polypen-
körpers eingeschnitten werden konnte. Die Blutung war in
allen Fällen sehr gering; die Genesung trat schnell ein. —
Man wird deshalb die operative Verlängerung des Polypen
überall in Anwendung ziehen, wo die Extraction des Polypen
in tote nur im Geringsten mit Schwierigkeiten verbunden ist
Anmerknag. Bei meiner kti raliühen Anwesenheit in Darm-
Stadt erfuhr ich von Herrn Dr. Hegar, dass er im Frühjahre 1861
einen sehr grossen {21/t Pfund schweren) mit der Umgehung stark
verwachsenen extrauterinen Polypen auf ähnliche Weise excidirt
habe. Naeh unsKbligen Einschnitten, welche den Polypenkörper
spiralförmig umkreisten, bewerkstelligte er die Aussiehung der
fibrösen Faserbündel und die Excieion des Polypen. Der Operateur
kam au diesem Verfahren , als es ihm nicht gelingen wollte, den
Polypen in toto oder in grösseren Stücken au excidiren.
XXVI. Franke, Fall tod Zwillingsseli Wanderschaft etc. 473
XXVI.
Fall von ZwiUingMchwangerschaft mit gleich-
zeitigem Eintritt beider Köpfe in das Becken.
Von
Dr. Walther Franke,
Prlv*tdocent an der UnWeraität Halle.
Eine 33jährige kräftige Multipara auf dem Lande bekam
am regelmässigen Ende ihrer siebenten Schwangerschaft,
welche mit grösseren Beschwerden, Oedem beider unterer
Extremitäten verbunden gewesen war, Weben, welche ungefähr
drei Stunden anhielten und dann gänzlich aufhörten, nachdem.
nach Aussage der Hebamme, der Muttermund ungefähr 2 Zoll
weit eröffnet war. Die froheren Geburten der Frau waren
einfache gewesen, regelmässig verlaufen, und immer lebende
Kinder leicht geboren, worden. Die Kreissende war daher
über die Abweichung im Verlauf dieser Geburt um so mehr
beunruhigt, als die schon erwähnten bedeutenderen Unbequem-
lichkeiten und Störungen im Allgemeinbefinden während der
jetzigen Schwangerschaft sie über den Ausgang der Geburt
besorgt gemacht hatten. Doch tröstete sie die Hebamme, und
als nach 36 Stunden die Wehen von Neuem begannen, schwan-
den auch Furcht und Angst der Kreissenden, zumal sehr bald
die Blase bei vollständig eröffnetem Muttermunde sprang, wobei
ziemlich viel Fruchtwasser abgeflossen sein soll und Treib-
wehen den vorliegenden Kopf in und durch das Becken trieben.
Doch ensland jetzt abermals eine unwillkommene Verzögerung,
als nach gebornem Kopfe der Rumpf des Kindes trotz der
kräftigsten Wehen und aller nur denkbaren Anstrengungen
von Seiten der Kreissenden und Hülfsleistungen seitens der
Hebamme, d. h. Ziehen am gebornen Kopfe, nicht folgen
wollte oder konnte. So wurde denn ärztlicher Beistand nöthig.
Bei meiner, wegen der Entfernung von hier erst nach Verlauf
von einigen Stunden erfolgenden Ankunft fand ich die Kreissende
sich unruhig und ungeduldig auf ihrem Lager herumwälzend,
gequält von den heftigsten Wehen, von denen eine buchstäb-
lich die andere jagte und die auch die Hfllfskräfte in das
Monatuehr. f. Qebnrtsk. 1809. Bd*. XX., Hfl. 6. 31
476 XXVI. Franke, Fall von ZwilUngMohwangerschalt
die Vermuthung auf Zwillingsschwangerschaft, denn die unter
dem gebornen Kopfe eingeführte Hand stiess auf einen zweiten
Kopf, welcher in erster Scheitelbeinslage an dem Hals des
vorangegangenen Zwillings fest im Becken stand. Das Vor-
kommen solcher fehlerhaften Stellung der Köpfe von reifen
oder unreifen Zwillingen gehört nach Hohl (Lehrbuch, 2. Aufl.
S. 584) gerade nicht zu den gross ten Seltenheiten, nament-
lich ist die andere Art der fehlerhaften Stellung, wo nämlich
das erste Kind sich in einer Beckenendlage zur Geburt stellt
und neben dessen zurückgebliebenem Kopf sich der Kopf des
zweiten Kindes einstellt, nach Ansicht des genannten Autors
häufiger, wenngleich bekanntlich bei Zwillingsgeburten zwei .
Kopflagen relativ am häufigsten beobachtet werden. Scanzoni
lehrt, dass sich beide Früchte selten gleichzeitig zur Geburt
stellen, (unter 98 Fällen von Zwillingsschwangerschaften nur
ein Mal, das erste Kind stellte sich in einer Beckenendlage
zur Geburt, während das zweite in der noch unverletzten
Blase mit dem Kopfe vorlag) und dass dann in der Regel
mit dem Eintritt kräftiger Wehen das eine Kind tiefer herab-
steigt und vollends ausgestossen wird, während das zweite
vom Beckeneingange zurückweicht und in denselben erst nach
der Expulsion des ersten wieder eintritt (Lehrbuch, 3. Aufl.
S. 241). C. Braun dagegen, welcher erst jüngst einen Fall
der zweiten Art veröffentlicht bat („über .einen sehr seltenen
Vorgang bei Zwillingsgeburten mit gleichzeitiger Praesentation
der Füsse und des Kopfes differenter Früchte44 in der AJlg.
Wiener medicinischen Zeitung 1861, Nr. ö) rechnet jene Fälle
zu den seltensten und gefährlichsten Vorgängen bei Zwillings-
geburten, denn unter 90,000 Geburtsfällen während der letzten
12 Jahre in den beiden Wiener geburtshülflichen Kliniken
hat sich jene Anomalie nach seinen Beobachtungen und Er-
kundigungen nur ein einziges Mal ereignet. Die Natur selbst
kann Fälle der ersten wie zweiten Art unter günstigen Ver-
hältnissen beenden, indem sie den Zwilling, welcher sich als
zweiter zuc Geburt stellt, zuerst geboren werden lässL Braun
kennt ausser seinen eigenen 13 Fälle der zweiten Art und
darunter wurde fünfmal durch die Naturkräfte allein das zweite
Kind zuerst, das mit dem Rumpf zum Theil geborne zuletzt
ausgestossen. Hecker hat in der neuesten Zeit eine ähnliche
mit gleichzeitigem Eintritt beider Köpfe in das Becken. 477
Beobachtung veröffentlicht (Klinik der Gehurtskunde von Hecker
und Buhl, Leipzig 1861, S. 80) und wurde hierbei durch
die Naturkräfte allein der Durchtritt des nachfolgenden Kopfes
vom ersten Zwilling mit dem vorangehenden des zweiten
gleichzeitig bewirkt. Die Aussichten auf eine natürliche Be-
endigung waren nun zwar in unserem Falle nicht vorhanden,
es fehlte aber auch jeder Zweifel, auf welche Weise die Kunst
Hülfe zu bringen habe, da ja die Natur auch hier wieder
dieser den richtigen Weg gezeigt hat. Wehentreibende Mittel,
Ziehen am Kopf, Zunickschieben des Kopfes oder gar die
Decapitation sind unnütz und verwerflich ; die Zange dagegen
- oder im Nothfall wegen räumlichen Missverhältniss, sei es durch
Grösse des Kopfes oder Enge des Beckens bedingt, Perforation
oder Kephalotrypsie, sind am Platze. So wurde denn auch
in diesem Fall, nachdem die Kreissende auf das Querbett
gelagert worden war, die Zange an den zweiten, im Becken
stehenden Kopf gelegt. Die Einführung des Instruments war
natürlich nicht so leicht, als unter gewöhnlichen Verhältnissen
zu bewerkstelligen; von grossen Schwierigkeiten war aber
dabei wirklich nicht die Rede.
Die Kreissende konnte sich selbst mit dem besten Willen,
des Drückens und Pressens während der gewalligen Wehen
nicht enthalten, und deshalb würden wir in diesem Falle sicher
durch Chloroform eine leichte Narkose derselben herbeigeführt
haben, wenn wir das Mittel zur Hand gehabt hätten. Der
reebtseitige Zangenlöffel, er lag, da der Kopf noch eine schräge
Stellung einnahm, die Pfeilnaht im rechten schrägen Durch-
messer, das Hinterhaupt nach links und vorn, über dem
rechten Stirnbein, warf sich und die Zange konnte nur während
einiger sogenannter Rotationen auf dem Fleck zum Schluss
gebracht werden. Das sind aber Uebelstände, die auch unter
anderen Verhältnissen vorkommen und deren Beseitigung in der
That wohl keine schwere ist Die eigentliche Operation war
eine sehr leichte. Denn es wurde mittels einiger Tractionen
das Kind entwickelt und mit der nächsten Wehe wurde dann
auch der Rumpf des anderen geboren, welches, obschon
sein Kopf schon stundenlang geboren war, doch das Zweit-
geborne wurde. Dieselbe Bestimmung würde übrigens auch
richtig sein, wenn ja einmal bei solch* fehlerhaften Zwillings-
478 XXVI. Franke, Fall von Zwülingsschwangerschaft etc.
geburten das Recht der Erstgeburt wegen Erbschaft etc. in
Frage gestellt werden sollte. (Vergl. Hohl, Neue Zeitschrift
f. Geburtsk. Bd. 32, 1852, S. 9). Die Kinder waren beide
todt, männlichen Geschlechts, mit den Zeichen der Reife, von
massiger Grösse. Genaue Gewichtsbestimmung etc. war leider
nicht möglich. Das Herz des mit Hülfe der Zange gebornen
Kindes pulsirte zwar noch schwach, doch blieben die Wieder-
belebungsversuche erfolglos. Die gemeinsame Placenta mit
einfachem Amnios und Chorion folgte unmittelbar dem zweiten
Kinde, dieser eine massige Nachblutung, welche durch Rei-
bungen des Fundus uteri gestillt wurde; dann blieb der Uterus
gut contrahirt. Das Wochenbett verlief ohne Störung. Der
Ausgang solcher Abweichungen vom regelmässigen Mechanis-
mus kann aber auch für die Mutter ein unerwünschter werden,
indem, wohl selbst ohne krankhafte Beschaffenheit der Sub-
stanz des Uterus, dieser oder die Scheide durch die am vor-
handenen Hinderniss sich steigernden Wehen, ebenso gut wie
bei anderen mechanischen Hindernissen * Beckenenge, oder
durch das gewaltsame, heftige Verarbeiten der Wehen zer-
rissen, oder eine Blutung in Folge zu früher Lösung der
Placenta oder eine Nachblutung aus Atonie des Uterus der
Mutter Gefahr bringen kann, ganz abgesehen von verschiedenen
Krankheitszuständen , welche im Gefolge solcher Geburten
auftreten können. Die Prognose für die Kinder, namentlich
für das, welches sich zuerst zur Geburt gestellt hat, muss
wohl ungünstig genannt werden, wenngleich die Aussichten
für das andere manchmal besser sein mögen. So wurden
nach Brauris Mittheilung von den 26 Kindern, welche in
jenen 13 Fällen geboren wurden, drei lebend geboren; dazu
kommt als viertes das, in dem von ihm selbst beobachteten
Falle, mit der Zange entwickelte, welches, leicht asphyctisch,
durch die gewöhnlichen Mittel bald belebt wurde. Freilich
starb es schon nach fünf Stunden an Lebensschwäche, hatte
aber auch nur 2% Pfd. Wiener Gewicht
Für unsern Fall genügen wohl die durch die häufigen,
heftigen Wehen bedingten Circulationsstörungen in den Ge-
fässen der Nabelschnur und der Placenta vollständig, um den
auch dieses Kindes erklärlich zu finden,
\
XX VII. Notizen aus der Journal -Literatur. 479
Uebrigens hat Braun in dem mehrfach erwähnten Auf-
sätze sehr schätzenswerthe Mittheilungen sowohl über den
abweichenden Mechanismus bei Zwillingsgeburten als auch
über die daraus zu deducirenden therapeutischen Regeln ge-
macht, auf welche wir hiermit verweisen wollen.
XXVII.
Notizen* ans der Journal -Literatur.
Habit: Ein Fall von Heilnng eines Gebärmutter- und
Scheidenkrebses.
Die 63 Jahre* alte , ledige S. U. wurde am 27. Oetober 1866
auf Zimmer No. 88 der Frauenabtheilung des k. k. allgemeinen
Krankenhauses aufgenommen. Die Menstruation hatte sich bei
ihr mit 18 Jahren eingestellt und war regelmässig geschlossen.
Die Kranke hatte zwei Mal, zuletzt vor 17 Jahren, geboren.
Bei der ersten Geburt wurde das Kind mit der Zange entwickelt,
bei der zweiten mnsste die Wendung ausgeführt werden. Nach
der letzten Entbindung lag sie 10 Wochen krank darnieder. Mit
46 Jahren hörte die Menstruation auf, und es stellte sich, nach-
dem durch vier Jahre keine Abgänge aus den Genitalien statt-
gefunden hatte, eine Blutung ein, welche sich von da an regel-
mässig in Zwischenräumen von vier Wochen wiederholt haben
soll. Die Blutung war eine massige, Pat. fühlte sich vollkommen
wohl, nur zeigte sich in der Zwischenzeit der Blutungen ein
fleischwasserähnlicber , manchmal übelriechender, reichlicher
Ausfluss und häufiger Drang; zum Uriniren. Zwei Monate vor
ihrem Spitaleintritte trat eine heftige Blutung auf, die sich
seitdem wiederholte. Nebstbei litt die Kranke an Schmorzen im
Unterbauche und im Kreuze und an einem beständigen Drängen
zum Uriniren. Sie war schlaflos, magerte ab und kam von Tag
zu Tag mehr von Kräften, so dass sie zuletzt das Bett nicht
mehr verlassen konnte.
Bei ihrer Aufnahme zeigte sich eine spröde, blasse, trockone
Haut. Der Unterleib war oberhalb der Schambeine empfindlich
und für den untersuchenden Finger zeigte sich im Beckeneingange
eine gewisse Völle. Innerlich stellte sich das Vaginalrohr als
eine mit grossen Granulationen und fungösen Wucherungen be-
setzte Fläche dar: Vaginalportion zerklüftet, Cervix trichter-
förmig, der Band des Trichters war wulstig, gelappt, die Ober-
480 XXVII. Notizen aus der Journal - Literatur.
fliehe desselben weich, uloerirt. Die Gebärmatter fiziri. Wegen
der grossen Neigung zu Blutungen wurde die Untersuchung mit
dem 8peculum unterlassen. Die. Granulationen waren leicht
blutend und aus der Vulva floss eine dünne, höchst übelriechende,
missfarbige Jauche in grosser Menge ab. Die Diagnose wurde
auf ein ezulcerirendes MeduUarcaroinom des Uterus und der
Vagina gestellt.
Die Behandlung war, da bei der Ausbreitung des Uebels
an eine Radicalheilung nicht mehr zu denken war, eine rein
symptomatische, doch besserte sich in etwas das Allgemein-
befinden dabei; der Appetit nahm su, der Schlaf stellte sich ein,
die Schmerzen und der Ausfluss verminderten sich, letsterer
wurde weniger übelriechend, die Blutungen hörten auf. Sieben
Wochen nach ihrer Aufnahme, nachdem seit einigen Tagen sich
fast gar kein Ausfluss gezeigt hatte, zeigte die Inspection die
Scheide einen Zoll weit über ihrem Eingange , von einer derben,
narbenähnlichen Masse ausgefüllt und abgeschlossen, die das
Vordringen des Fingers nicht gestattete. Sie bestand aus leicht
• blutenden, normal aussehenden Granulationen. Weder mit dem
Auge, noch mit der feinsten Sonde konnte irgend eine Oeffnung
aufgefunden werden. Der Uterus konnte weder durch das Rectum,
noch durch die Bauchdecken deutlich gefühlt werden. Der in
die Blase eingeführte Katheter ging nach rück- und abwärts
und konnte durch das Rectum zwar nicht deutlich gefühlt werden,
man bemerkte aber doch, dass die Schichte zwischen dem im
Mastdarme befindlichen Finger und dem eingeführten Katheter,
die aus der vorderen Mastdarmwand, der atresirten Vagina und
der hinteren Blasenwand bestand , keine sehr dicke war. Es war
also in diesem Falle unzweifelhaft, dass hier eine der seltenen
Heilungen stattgefunden hatte, wie sie Rokitansky, KiwUek,
8canzoni, Virchow, Schuh, Ar an etc. beschreiben.
(Allgem. Wien. med. Zeitung, 1862, No. 29.)
LUtner: Angeborener Mangel der Gebärmutter.
Die betreffende Person war 35 Jahre alt, seit 13 Jahren
kinderlos verheirathet, Menses haben sich nie gezeigt, dagegen
leidet Pat. seit ihrem 17. Jahre alle drei Wochen an schmerz-
haften Empfindungen in den Hand- und Kniegelenken, an Kopf-,
Magen- und Kreusschmerzen mit Appetitlosigkeit. Diese Be-
schwerden dauern gewöhnlich drei Tage ; enthält sich Pat. während
dieser Zeit nicht aller Anstrengungen, dann werden die Be-
schwerden heftiger und ziehen sich oft durch acht Tage hin.
Auch während ihrer Ehe blieben die Besehwerden, die als
Molimina menstrualia gedeutet werden müssen. Coitus wurde
von Seiten der Frau ohne rechtes Wollustgefühl vollsogen.
XXVII. Netiaen aus der Journal- Literatur. 481
Aeusserer Habitus vollständig weiblieb, an der Innenseite
der beiden Oberschenkel hamHell ergrosse marmorirte Stellen,
flache Telangieetasieen darstellend, die nach Angabe der Pat.
während der jedesmaligen Molim. menstr. mehr hervortreten sollen.
Aenssere Geschleehtstheile normal, Glitoris schwach ent-
wickelt, etwas gelappt Die Scheide zeigt sich vollständig vor-
gefallen and endigt blindsackförmig, ohne dass eine Portio
vaginalis, noch ein Orificium uteri sich nachweisen lässt. Die
Entfernung vom Introitns vaginae bis zum Gewölbe betrügt
3% Zoll. In der Mitte des Gewölbes findet sich eine secfaser-
grosse Stelle etwas erhaben and rings umgeben von einem ver-
tieften Rande. (Andeutung des Muttermundes.) Seit wann der
Prolapsus besteht, läset sieh nicht feststellen; Urethra normal; ein
männlicher, gekrümmter, fester Katheter lässt sich mit Leichtig-
keit einführen und kann von der Scheide aus deutlich gefühlt
werden, ohne dass man auf einen daswischen liegenden festen
Körper stösst. Der in's Rectum eingeführte Finger fühlt oberhalb
der Seheide keinen festen Körper und kann die Spitse des in
der Scheide liegenden Fingers sowie den in die Blase ein-
geführten Katheter deutlich fühlen, was bei Vorhandensein eines
Uterus nicht möglich wäre. Ferner ist* es möglich, den in
Scheide oder Rectum eingeführten Finger durch die sehr schlaffen
Bauchdecken deutlich su fühlen. Höhe der Symphyse 2% Zoll,
Schambogen auffallend spiti, Entfernung der Spin, anter. super.
3 V, Zoll, Neigung des Beckens sehr gering. Die Diagnose eines
angebornen Mangels der Gebärmutter sttttst sich also auf
Folgendes :
1) Zwischen Blase und Mastdarm befindet sich kein die Uterus-
forin darbietender Körper, noch „ein Uterus bipartitus,
oder ein kleiner, hohler, dünnwandiger Uterus ohne Hals
und ohne Scheidentheil B.
2) Menses sind nie vorhanden gewesen, und es wurde trota
der regelmässigen Molimina mens! um keine Geschwulst
oberhalb der 8cheide gefunden (Haematometra).
8) Der männlichen sich annähernde Bildung des Beckens.
4) Vollständig sackförmiger Verschluss der Vagina.
„' (Vierteljahrascbr. f. gerichtl. u. öffeutl. Medicin, Bd. XXII.,
Heft 1.)
Beroniw: Uterus bicornis et bilocularis. Peritonitis.
Das betreffende 21jährige Mädchen war seit dem 18. Jahre
menstruirt. Die Regeln setaten bisweilen aus und waren mit
mancherlei Beschwerden verknüpft. Als sie aufgenommen wurde,
gab sie an, dass sie während drei Wochen an heftigem Druck
and starken Schmeraen nach den Schamtheilen hin, als ob etwas
ans denselben heraus wolle, gelitten habe. Die Palpation durch
483 XXVII. Hotiaen ans der Journal -Li terato?.
die Bauehdeoken konnte nichts Abnormes finden, aber beim
Touchiren per vaginam fühlte man schräg nach oben und rechts
durch die ganse Lauge der Vagina einen resistenten, länglichen»
fast cylindrisehen Körper, der sich bei Druck nicht schmershait
erwies. Der Muttermund war weit nach hinteu und schräg nach
oben links zu fühlen. Am Introitus vaginae schien die Scheiden-
wand gleichsam verdünnt und war bei leisem Druck etwas
Flnctuation wahrnehmbar. Durch eine an der Stelle gemachte
Oeflhung gelangte der Finger in eine Höhle mit festen Wunden
und mit einer rauhen, etwas sottigen Bekleidung versehen. Diese
Höhle, welche eine Menge theils in Dissolution befindlichen,
theils geronnenen Blutes enthielt und nach deren Entleerung die
Fat. sich frei von Schmers fühlte, schien in ihrer Ausdehnung
der in der Vagina gefundenen Geschwulst au entsprechen. Am
fünften Tage nach der Operation empfand Pat. gleichsam ein
Zerreissen im Unterleibe, worauf sich eine heftige Peritonitis
einstellte, die innerhalb 36 Stunden tödtlich verlief. Die Ob-
dnction aeigte einen Ut bicorn. et bilocul. Die linke Gebärmutter-
höhle hatte ihre regelmässig gebildete, obwohl kurse Vaginal-
portion und öffnete sich mit dem Muttermunde normal in die
Scheide. Die rechte Cöhle aeigte auch eine Vaginalportion an-
gedeutet, diese war jedoch durch die vorhandene Blutstagnation
so ausgedehnt worden, dass die Gebärmutterhöhle mit der Vagina
einen fast uniformen Kanal bildete , dessen äussere Mündung die
künstliehe Oeffnung war. Das rechte Ovarimm war theil weise
mit dem Ostium abdom. tub. Fallop. verwachsen und bildete
durch Verschmelzung mit den umgebenden Theilen eine ab-
gekapselte Höhle, deren vordere Wand das Ligam. iatum, die
hintere, dünnere hatte eine Ruptur, wodurch also diese Höhle
ihren, ohne Zweifel aus stagnirtem Blute bestandenen Inhalt in
die Bauchhöhle entleert hatten
(Preuss. Medicinal -Zeitung, 1862, No. 33.)
E. J. Tut: TJeber die Abstossung der Schleimhäute
der Gebärmutter und der Scheide während der
Menstruation.
Während die Structur der suweilen aus dem Uterus und der
Scheide abgehenden Häute bekannt ist, sind die Bedingungen,
unter denen diese Abstossung zu Stande kommt, noch in Dunkel
gehüllt. Verf. glaubt, dass die Bildung und Abstossung dieser
Häute nicht selten mit der Menstruation im Zusammenhange steht
und dass viele hartnäckige Dysmenorrhöen hierin ihren Grand
haben mögen. Er selbst hat swei derartige Fälle beobachtet und
theilt noch einen dritten Fall aus dem Italienischen mit, das
Dr. Vannoni in Florena veröffentlicht hat
XXVII. Notizen aus der Journal -Literatur. 488
Krater Fall. Die 25 jahrige, bisher immer gesunde Frau,
seit dem 16. Jahre immer regelmässig menstruirt, litt seit ihrer
Verheirathang im 23. Jahre an schmerzhaftem Menstrualfluss und
Abgang fleischäbnlicher Massen ans der Scheide, wozu ein lästiger
Schleimfluss. sich gesellte. AUmälig bildete sich eine nervöse
Schwäche aas. Die innere Untersuchung ergab den Uterushals
byperämisoh and empfindlich, beide Uteruslippen intensiv geröthet
and excoriirt. Nach Aetzung mit Höllenstein erfolgte eine normale
Menstruation. Heisse Fassbäder, heisse Umsehlage auf den
Unterleib und warme Einspritzungen in die Seheide bewirkten
zwei Monate spater einen ausserordentlich reichen Menstrualfluss,
und unter heftigen Schmerzen ging ein geschlossener Sack von
der Form der Uterushöhle ab, der beim Eröffnen flüssiges Blut
entleerte, aber durchaus keine Spuren eines Fötus enthielt. Die
Structur der Haut 'entsprach vollkommen der Decidua. Diese
Häute wurden wahrscheinlich auch vorher bei jeder Menstruation
entleert; wenigstens sah sie die Kranke später darauf aufmerksam
gemacht, fast bei jeder Menstruation abgehen.
Hier war also die „Deciduous dysmenorrhoea" mit Ent-
zündung des Uterus verbunden, welche nach des Verfassers
Beobachtungen nie fehlt; doch ist sie nicht eine Ursache der
häutigen Bildungen, sondern eine Folge derselben, indem durch
die umfangreichen blutgefüllten Säcke der Gebärmutterhals über*
massig ausgedehnt, die Sehleimfollikel entzündet und au einer
sähen Schleimabsonderung veranlasst werden, welche durch das
Secret der ausgebreiteten Excoriationen am Muttermunde alkalische
Reaction erhält. Die Behandlung ist zunächst gegen die Ent-
zündung zu richten; doch ist die Prognose. immer ungünstig, da
es nur selten möglieh ist, die Bildung der Membranen zu ver> .
hüten und da Sterilität die noth wendige Folge derselben ist.
VannonVs Fall betraf eine seit sechs Jahren verheirathete
aber kinderlose Frau, welche seit drei Jahren an Schmerzen
beim Coitus, Beschwerden beim Wasserlassen und unangenehmen
Empfindungen in der rechten Regio iliaca. Ein am Uterushalse
sitzender Polyp wurde exstirpirt; trotzdem blieb die Empfindlich-
keit des Uterus gegen Druck unverändert, die Menstruation blieb
aus und kehrte erst fünf Monate später unter heftigen Schmerzen,
Fieber, Delirien und Krämpfen wieder. Am dritten Tage nach
der Menstruation wurde ein rother grosser Klumpen entleert, der
äusserlich weich, glatt, mit rothen Punkten besät war und einen
Abguss der Uternshöhle darstellte. Die Innenfläche war sammet-
artig, mit sehr goiassreichen Zotten besetzt. Die Zotten fanden
sich hier an der Innenseite des Decidoasackes , weil derselbe
beim Herauspressen aus dem Uterus umgestülpt worden war.
Bei der Menstruation werden zuweilen auch andere häutige
Substanzen entleert, welche aber nach Farrt selten aus den
484 XX VII. Notizen aus der Journal -Literatur.
Uterus, sondern ans der Vagina stammen nnd durch die vom
Uterushalse bewirkte Einsenkung cbarakterisirt sind.
Verf. beobachtete folgenden Fall:
Eine 24jährige Fran hatte seit ihrem 14. Jahre regelmässig,
doch immer unter Schmeraen menstrairt. Die Schmerzen, be-
sonders im Kreuze nnd den Lenden steigerten sich mit dem
20. Jahre und nothigten Pak, alle Arbeit einzustellen; ein fixer
Schmers über dem Schambeine nnd ein branner nnd rötblicber
Ansflnss ans den Genitalien, als gewöhnliche Zeichen einer
Metritis, waren nicht vorhanden. Blntegel und Vesicatore,
Schwammpessarien nnd Kohlensäureinjectionen waren ohne allen
Nutsen angewendet worden. Uterus nnd oberer Scheidentheil
seigten sich normal. Verf. verordnete Alauneinspritzungen , nnd
wenige Tage nachher entleerte djie Kranke mit dem Menstrusl-
blute unter ungewöhnlich heftigen Schmerzen eine Haut, welche
l'/s Zoll lang und 2 Zoll breit, schlauchförmig, oben flach ein-
gedrückt und mit swei seitlichen Ecken (doch ohne Löcher rar
die Tuben) versehen, unten unregelmässig abgerissen nnd seitlich,
wahrscheinlich durch die Blutansammlung im Uterus susamm en-
gedrückt war. Die Haut war dünn, stellenweise blutig gestreift,
ohne siebförmige Durchlöcherung auf der Innenfläche; unter dem
Mikroskope zeigte sie deutliche Pflastersellen. Unter Fortsetzung
der Alauneinspritzangen , kalten WaBserbfidern und Hercurial-
einreibungen besserte sich die Krankheit. Bei der nächsten
Menstruation ging eine ähnliche, aber schon theilweise zersetzte
und durch häutige Flocken verdickte Membran ab; die zweit-
folgende Menstruation war nur sparsam, nicht mit häutigen Ab-
sonderungen und nur mit wenig Schmerzen verbunden.
Im vorliegenden Falle waren die von Favre angegebenen
Merkmale für die Abstammung der Haut aus der Scheide nicht
vorhanden. Die Anwesenheit der Pflasterzellen erklärt sich nach
BtuU dadurch, dass die entzündete Uterusschleimbaut statt des
normalen Flimmerepithels Pflasterzellen bildet; Verf. glaubt daher,
dass diese Häute trotz ihrer Verschiedenheit von der Dectdua
dennoch aus dem Uterus stammen.
(Arch. of med., III., 9, p. 96, Oct. 1861, u. Schmidt, Jahrb.,
Bd. 114, No. 4, 1862.)
Heer: Ruptura uteri spontanea.
Die betreffende Gebarende hatte durch die lange Dauer des
Geburtsverlaufes und die hiermit verbundenen Leiden veranlasst,
in das Hebammeninstitut (Oppeln) behufs Beendigung der Geburt
gebracht zu werden verlangt und war nach einer fast zwei-
stündigen Fahrt in «inem schlechten Wagen Nachts in der Anstalt
angekommen, unter unsäglicher Angst, blase, pulslos, mit kalten
XXVII. NotUen aus der Journal- Literatur. 485
Extremitäten. Der Leib war teigig, die Umrisse des Uterus gar
nicht, die Kindestheile dagegen ungewöhnlich deutlich an fühlen.
Die Wehen hatten aufgehört. Die Frau verschied, nachdem sie
auf das Geburtsbett gebracht war und bevor noch eine innere
Exploration vorgenommen werden konnte. £s wurde, da der
Kopf des Kindes bei vollkommen eröffnetem Muttermunde in
•angenrechter Höhe vorlag, un verweilt die Zange applicirt
und ohne Mühe ein abgestorbenes Kind extrahirt, welchem ein
präcipitanter Blutstrom folgte. Bei der Untersuchung zeigte sich
die vordere Wand des Uterus in einer Ausdehnung von beinahe
5 Zollen geborsten.
(Preuss. Medicinal -Zeitung, 1862, No. 31.)
Chavanne: Neue Art der Extrauterinsch wangerschaft
oder Schwangerschaft des Gebärmutte rhalses.
Man sollte glauben, dass die Untersuchungen von Velpeau,
Dubai» und namentlich Deteimeris säinmtliche Arten von Extrauterin-
sch wangers chatten festgestellt hätten, denn man unterscheidet
Ovaria!-, Tubar- Tubouterin-, Uterotubar- oder interstitielle,
subperitonäale und intraperitonäale Schwangerschaften. Deteitnerit
will sogar zehn verschiedene Arten unterschieden wissen.
Verf. hat nun aber noch die Beobachtung einer Gebar-
mutterhalsschwangerschaft gemacht. Er fand bei einer jungen
Frau, welche über heftige Schmeraen im Becken klagte, tief in
der Scheide eine Geschwulst von der Grösse und Form eines
Hühnereies, die er sofort für das ausgedehnte Collum uteri
erkannte, während das Corpus uteri seine gewöhnlichen Ver-
haltnisse darbot; zwischen Collum und Corpus fand sich eine
scharfe ringförmige vertiefte Grenze. Die freie Oberfläche des
Collum war glatt, ohne Höcker, der Druck erregte keinen Schmers
und es ließe sich an mehreren Stellen kräftige Pulsation von
Arterien erkennen. Die Lippen waren verstrichen, das Orificium
ein kleines geschlossenes Grübchen. Zwei Tage darauf traten
heftige Geburtswehen ein, die man mit dem Finger deutlich am
Collum' uteri nachweisen konnte. Plötalich trat Erleichterung
ein und die Kranke gab an, sie sei durchnässt« Es war Blut
abgegangen und in demselben fand sich ein unverletztes Ei von
der Grösse einer Nuss. Das Collum uteri glich je tat dem einer
Schwangeren im siebenten Monate, war normal lang, dick, weich,
der äussere Muttermund offen, der Kanal trichterförmig, der
innere Muttermund geschlossen. Der grösste Theil der inneren
Oberfläche des Halskanales unregelmässig, wie schwammig, sonst
glatt. Verf. sweifelt nicht, dass das Ei im Collum gesessen hat
und die rauhe Stelle der Insertion entsprach. Das Ei hatte deutliche
Häute und Zotten, enthielt aber nur Wasser und keinen Fötus.
486 XXVII. Notizen aus der Journal - Literatur.
Obwohl diese Art Ton Schwangerschaft noch niemals be-
schrieben worden ist, so zweifelt Verf. nicht, dass sie Öfter
vorgekommen, aber Übersehen sein möchte.
(Gaz. des hdpit, 1862, No. 182.)
M. Jober t de Lamb alle : Beobachtungen Über Vesico- vnginal-
Fisteln.
Erster Fall. Patientin, 21 Jahre alt, immer gesund, war seit
ihrem 19. Jahre regelmässig menstruirt. Ihre erste Schwanger-
schaft endigte am 28. Mai 1861. Das Kind befdbd sich in einer
Schulterlage; nach Aussage der Kranken wurden wiederholte,
natürlich jedooh vergebliche Zangenversuche gemacht. Nachdem
auch die Schulter exarticulirt worden war, wurde» als letztes
Hülfsmittel der Kaiserschnitt (?1) vorgeschlagen, jedoch nicht
angenommen. Vi erands wanzig Stunden nach diesen Qualen er-
folgte die Selbstentwickelnng des Kindes, welches sehr stark
entwickelt war. Das Wochenbett verlief im Ganzen regelmässig,
doch bemerkte die Kranke am zehnten Tage Harnträufeln aus
der Scheide, gleichviel, ob sie lag oder stand. In Folge dessen
entwickelte jich ein Erythem um Soheideneingaag und After.
Ende August zeigte sich eine geringe Besserung, da Pal. einige
Zeit lang im. Liegen den Urin halten konnte. Im Oetober stellte
sich die Regel ein und blieb seitdem regelmässig. Die Unter-
suchung zeigte die Fistel 3 Ctm. vom Eingange, ungleich rund,
in der Mittellinie gelegen, ein wenig nach rechts sich erstreckend.
Die Oeffnung, die circa 3 Ctm. im Durchmesser von vorn nach
hinten hat, findet sich durch die Harnblasenschleimhaut ver-
schlossen. Eine Sonde kann leicht in die Blase eingeschoben
werden. Am 12. März wurde die Operation vorgenommen. Die
angefrischten Wundränder wurden durch drei Fäden von Seide
vollständig vereinigt, die Kranke au Bett gebracht und ein
Gnmmi -Katheter in die Blase eingelegt Die Reaction war nnr
unbedeutend. Am 19. traten die Regeln ein, und da Verf. die
Folgen der Uterincongestion fürchtete, wurden am 21. die Fäden
entfernt, und es zeigte sich eine vollkommene Verklebuag der
Wunde. Bei wiedrholter Untersuchung mit dem Speeulum fand
man die 8cherde trocken und eine transversale regelmässige
Narbe. Die Harnblase hat fast ihre normale Ausdehnung wieder
erlangt; die Kranke urinirte nur ein Mal im Laufe der Nacht
und im Mittel 4 — 5 Mal am Tage.
Zweiter Fall. Fistula vesico- utero -vaginalis. Patientin ist
37 Jahre alt, von lymphatischem Temperamente, seit dem
14. Jahre immer regelmässig menstruirt. Ihre Entbindung dauerte
vier Taga; Zange und Seeale com. wurden vergeblich angewendet,
XXVII. Notizen aus der Journal -Literatur. 4g7
bis nach unendlichen Leides die freiwillige Gebort eines todten
Kindes erfolgte. Vierzehn Tage später zeigte sich Urinabgaag
aus der Seheide und nebenbei bildete sich eine sechs Monate
anhaltende unvollkommene Lähmung der unteren Extremitäten
ans. Die Untersuchung zeigte ein ausgebreitetes Erythem an
und um die Geschlechtstheile , den Damm zerrissen, die Harn-
röhre von normalem Caliber und eine in der Mittellinie gelegene
Fistel , welche sich an die vordere Lippe des Uterushalses anlegt.
Zwei in die Fistel eingelegte weibliche Katheter füllen dieselbe
noch nicht aus. Am 28. März wurde wie im vorigen Falle die
Operation (seidene Fäden) ausgeführt. Die Folgen waren eben-
falls massig und durch Steigerung des Erythems und einer über
den ganzen Körper sich verbreitenden Miliaria -Eruption com-
plicirt; auch stellten sich zwei Tage nach der Operation die
Regeln ein. Am 5. April wurden die Fäden entfernt und eine
völlige Vereinigung der Wunde constatirt. In keiner Stellung
verliert die Kranke Urin aus der Scheide. Sie muss ungefähr
aller zwei Stunden uriniren; der Harn ist dünn und klar.
Vorstehende Fälle zeichnen sich aus durch die vollkommene
Vernarbung der Wunde, trotz der Anwendung seidener Fäden,
die in keinem Falle durcheiterten, dann durch die kurze Zeit (nach
Angabe des Verf. 15 Minuten), die zur Operation nöthig war.
(Gaz. des höpit., 1862, No. 59.)
Tarnier: Beschreibung einer neuen Methode zur Er-
regung der künstlichen Frühgeburt
Die Schlüsse, welche Verf. aus seiner der Pariser Akademie
der Medicin vorgetragenen Arbeit zusammenfasst, sind: 1) Die
Schwierigkeit und Erfolglosigkeit bei Anwendung des Press-
schwammes, die grossen Gefahren der Uterindouchen rechtfertigen
die Empfehlung eines neuen Verfahrens zur Erregung der künst-
lichen Frühgeburt. 2) Ich empfehle einen Intrauterinen Er-
weiterer (Dilateur). Derselbe besteht aus einer Sonde, deren
Ende mit einem Kautschukrohr überzogen ist. Dieses kann
durch eine Injection kugelig aufgeblasen werden; ein Hahn ver-
hindert den Rückfluss der eingespritzten Flüssigkeit. 3) Das
Instrument wird bis in die Uterinhöhle eingeführt, und wird,
aufgeblasen, allein durch den inneren Muttermund zurückgehalten.
4) Die Einbringung ist leicht und schmerzlos, die Eihäute werden
nicht zerrissen und scheint überhaupt keine Gefahr damit ver-
bunden zu sein. 6) Der im Uterus befindliche grosse fremde
und feste Körper erregt schnell Contractionen des Uterus und
bringt die Geburt in Gang. 6) Zehn bis jetzt gesammelte
Beobachtungen scheinen zu beweisen, dass man mit diesem
488 XXVII. Notisen «ig der Journal -Literatur.
Apparate die Geburt leiohter erregt, als mit jedem anderen
Verfahren.
(Gas. des höp., 1892, No. 182.)
Hemmern: Ein Fall von künstlicher Frühgebart.
Verf. giebt ans die Ge bartage« chiehte einer Frau, die bereits
swei Mal durch Perforation und Kephalothrypsie entbanden worden
war. Circa 6 Wochen vor dem Ende ihrer dritten Schwanger-
schaft worden durch 16 in einem Zeiträume von 6 Tagen
applicirte Vaginaldouchen die Wehen angeregt, welche auch ein
4 Pfund schweres, t Fuss 3 Zoll langes Mädchen su Tage förderten.
Etwas rasch nach der Geburt erfolgte die Nachgeburt, darauf
eine nicht unbedeutende Blutang , welche indessen einigen
Kaltwasser- Einspritzungen nachgab. Die Mutter erholte sich
bald wieder, das Kind befindet sich gans wohl.
Die Conjugata konnte höchstens 3 Zoll 1 Linie betragen.
(Schweizerische Zeitschrift für Heilkunde, 1862, Bd. I.,
Heft 1 u. 2.)
Spencer Welle berichtete in der Obstetrical Society of London
am 2. October 1861 über swei Ovariotomien.
Die erste wurde an einer fedigen Person von 27 Jahren
ausgeführt, die nie punktirt worden war. Es war hauptsächlich
eine einsige Kyste ; doch hielt eine kleine Gruppe von secundären
Kysten von der Jodinjection ab. Die Kyste enthielt 44 Pinten
Flüssigkeit« Pat. befindet sich gans wohl.
Im sweiten Falle war die Kyste zusammengesetzt: Die
grösste Höhle enthielt 20 Pinteu Flüssigkeit. Die Kranke war
unverheirathet, 35 Jahre alt und war bereits zwei Mal punktirt
worden. Die Operation wurde am 15. August ausgeführt, die
Kranke genas schnell.
(Medical Times and Gazette, 1862, No. 590.)
Berichtiffunc.
Seite 19, Zeile 8 dieses Bandes ist 85 statt 35 zu lesen.
Druck ron A. Tb. Engelhardt In Lelpsitf.
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