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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Monatsschrift
für
Ohrenheilkunde
und
Laryngo-Rhinologie
Organ der Österreichischen otologischen Gesellschaft
und der Wiener laryngo-rhinologischen Gesellschaft
MitbegrOndat ron
CHIARI, GRUBER, JURASZ, RUDINGER, VOLTOLINI, WEBER-LIEL,
. L. V. SCHRÖTTER, V. URBANTS*CHITSCH, E. ZUCKERKANDL
Unter Mitwirkung von
Prof. Dr. P. ALT (Wien), Prof. De. R. bArXnY (UpeaU), PrtT.-Do*. Dr. O. BECK (Wien), Prof. Dr
A. BIN<* (Wien); Prir.-Do*. Dr. G. BONDY (Wien), Prof. Dr. G. BRÜHL (Berlin), Prof. Dr. H. BÜRGER
(Amsterdam), Prof. D. DEMRTRIADKS (Athen), Prof. Dr. J. FEIN (Wien), Prof Dr. H. FREY (Wien),
Prir.-Dos Dr. E. FBÖ8CHELS (Wien), Dr. V. FRÜHWALD (Wien), Priv -Dos. Dr 8. GATSCHER (Wien),
Prof. Dr. & GLAS (Wien), Prof. Dr. B. GOMPERZ (Wien), Prof. Dr. M GROSSMANN (Wien),
Prof. Dr. V. HAMMKRSOHLAG (Wien), Dr. HEINZK (Leipzig), Prof. Dr. HEYMANN (Berlin), Prix.-
Don. Dr. G. HOFER (Wien), Prof. Dr. HOFFMANN (Dresden), Prof. Dr. HOPMANN (Köln), Prof. Dr.
O. KAHLER (Freiburgi Br), PrW.-Doz. Dr. J. KATZENSTEIN (Berlin), Dr. KELLER (Köln), Hofrot
Dr. KIRCHNER (Wtlrxburo), Priv.-Do*. Dr. K. KÜFLER (Wien), 08tA. Dr. S. LAW NBR (Wien),
Prof. Dr. LICHTENBERG (Budapest), Dr. L. MAHLER (Kopenhagen), Prof. Dr. H. NEUMAYER (Mönchen),
Dr. Max RAUCH (Wien) Prof. Dr. L. RfiTHI (W ien), Dr. Ed. RIMINI (Triebt), Dr. F. RODE (Trieit),
Prir.-Doa. Dr. K RUTTIN (Wien), Prof. Dr. J. SAPRANKK (Budapest), Dr. F. SCHLEMMER (Wien),
,P/of. Dr. A. SCHÖNEMANN (Bern), Beg.-Rat Dr. H. SCHRÖTTER (Wien), Dr. M. SEEMANN (Prag),
Dr. A. 8IKKKL (Heeg), Dr. SPIBA (Krokan). Priv.-Doz. Dr. H. STERN (Wien), Dr. M. SUGAR (Budapest),
Prof. Dr. A. THOST (Hamburg), Dr. WEIL (Stuttgart), Dr. M. WEIL (Wien), Dr. E. WODAK (Piag)
t* i. ,ii, :
heraasgegeben ron
H. NEUMANN G. ALEXANDER
Wien ' M. HAJEK Wien
Wien
; . • , - Redakteure :
für O hVanJi eil k^a d£ : ' für Laryngo-Rhinologie:
Ernst ttrbaftfschHsck Hermann Marschik
Wien Wien
56. Jahrgang, 2. Heft
4 i . .. , . (Februar)
URBAN &. SCHWARZENBERG
BERLIN N WIEN I
FRIEDRICHSTRASSE. 105 b MAHLERSTRASSE 4
1922
Monatlich erscheint 1 Heft von etwa 6 Bogen Umfang.
Preis vierteljährig für Deutsch Österreich K 2000. —, für die Tschechoslowakei
£. K 50.—, für Ungarn ung. K 350. —, für Deutschland M 100.—, für Polen
poln. M 1500.—, für Jugoslawien Dinar J80.— , für alle übrigen Länder
West-, Süd- und Nord-Europas sowie der Übersee 10 Franken Schweizer
Währung exkl. Porto.
Einzelne Hefte, kostep d,-ö. K 700^—, 8. K 20.—, M 40. — bzw. M 120.—.
Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Urban
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& Schwarzenberg, Wien I, Mahlerstraße 4, und Berlin N 24, Friedrich
;si ( ,0 Q Straße 105b, entgegen.
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nal ftom
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Originalbeiträge, Rezensionsexemplare usw . otologischen Inhaltes bitten wir,
an Doz. Dr. Ehrtest Urbantschitsch, Wien, 1. Schottenring 24, und solche rhino-
laryngologischen Inhaltes an Prof. Dr. ZT. Marschik, Wien, IXfo Severingasse 1,
dnsenden zu wollen. Das Honorar für Originalien und Referate beträgt K 960 .— für
den Bogen zu 16 Seiten. Sonder ab drücke von Originalien werden zum Selbstkostenpreise
berechnet. Für Bücherbesprechungen geht das betreffende Buch als Honorar in den
Besitz des Besprechers über. Redaktion und Verlag.
Inhaltsverzeichnis.
OriginalaArtikd
Dr. Eugen E r d 61 yi, Szeged: Einige Fälle von orbitalen Komplikationen
nach Nebenhöhlenentzündungen.. oö
Dr. Heinrich Hal&sz, Mißkolcz: Entfernung der adenoiden Vegetationen in
Lokalanästhesie .. ...... 94
Dr. Aurel R6thi, Budapest: Zur Methodik 1 der Gluckschen Totalexstirpation
des Kehlkopfes. Bemerkungen zu dem Artikel des Professors Boenninghaus 96
Professor Dr. Brüggemann, Gießen: Zur Frage des harten (echten) Nasen¬
papilloms (Papilloraa durum nasi). Berichtigung zu der Arbeit von Kofler 100
Dr. Fritz Hutter: Bericht über meine fachärztliche Tätigkeit in Sibirien • . 101
Dr. O. Mauthner, Mähr.-Ostrau: Zur Diagnose der Lues des inneren Ohres.
(Nervus octavus und Labyrinth.).... 104
Vereinabericbte
österreichische otologisohe Gesellschaft. Sitzungtfvom 12. Dezember 1921.135
Bäcberbesprechimgen
Grundriß der Wundversorgung und Wundbehandlung. Von Priv.-DozJD.W.v.Ga za 149
Personalien and Notizen
Ernannt. Verliehen. Habilitiert. Berufen.^>0
□i
na
Farbwerke vorm. Meister Lucius &. Brüning, Hoechst a. M.
Vertretung für Deutschösterreich:
Hoechster Farbwerk« das. nt. b. H., Wien VIII/2, Josefetidteretr. 82
1 Anästhesin i
= (p-AmidobenzoesSureäthylester) =
= Ungiftiges =^|
| lokales Daueranästhetikum |
p Eigenschaften: |
:= Absolut reizlos, sicher und lange wirkend, extern und intern anwendbar. ==
H Indikationen: jj
=== Chirurgie: Verhinderung von Nachschmerzen und postoperativem Schock =
: —~ Dermatologie: Schmerzhafte Wunden u. Geschwüre, Pruritus, Ulcus cruris. ==
= Oto-Rhlno-Laryngologle: Katarrhe, Mund- u. Rachenulzerationen. -—•
= Interne Medizin: Gastralgien, Ulcus ventriculi, Brechreiz, Httmorrholden, ——
g Dosierung: §§
=FI Extern: In Substanz. B—20%ige Streupulver und Salben, 2—3^«iges Oel, 1=1
—— 0 5g In Supposltorien usw. •
: Intern : Pulver. Schüttelmixtur usw. 02B—0*5 g vor dem Essen. —
rrzr- Anästhesin tiefem wir nur in Substunm (Pulverform). --
Ärzten stehen Uterntur und Proben zur Verfügung. ==
Ol
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MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LARYNGO-RHINOLOGIE
56. Jahrg. 1922. 2. Heft.
Nachdrvok Yerbot«n.
OriginalaArtikel.
Aus der Ambulanz für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten des All¬
gemeinen Krankenhauses in Szeged.
Einige Fälle von orbitalen Komplikationen nach
Nebenhöhlenentzündungen.
Von Ordinarius Dr. Eugen Erdäji.
Die große Rolle der Entzündungen der Nebenhöhlen bei der Er¬
krankung der Orbita wurde durch die Untersuchungen und Erfahrungen
der letzten Jahrzehnte allgemein erkannt und führte auf dem Gebiete
der Diagnose und Therapie dieser Erkrankungen zu günstigen Resultaten.
Die grundlegenden Arbeiten von Zuckerkand l 1 ), Haje k 2 ),
O n o d i 3 ) und vieler anderer (B e r 1 i n 4 ), Birch-Hirschfel d 5 ).
Gerbe r 6 ), Cohen und R e i n k u n g 7 ) usw. ermöglichten es, den
inneren Zusammenhang zwischen den orbitalen Erkrankungen und den
Veränderungen in den Nebenhöhlen der Nase in seinen bisher nicht ge¬
kannten Einzelheiten zu erkennen. Dieses Thema stand im Vordergründe
des Interesses sowohl der Ophtalmologen, als auch der Rhinologen und
batte ein gemeinsames Arbeiten zur Folge.
Obzwar der Zusammenhang der Erkrankungen der Orbita und
der benachbarten Nebenhöhlen zum größten Teil geklärt ist, bleiben
dennoch in der Pathologie und Therapie zahlreiche Fragen offen. Zur
Klärung einiger solcher Fragen wollen wir hier die unten angeführten,
genau beobachteten Fälle publizieren, da diese das rechtzeitige rationelle
Eingreifen rechtfertigen.
*) Zuckerkand 1, Anatomie der Nebenhöhlen der Nase, 1893.
*) H a j e k, Pathologie und Therapie der Nebenhöhlen der Nase. 4. Auf!., 1915.
a ) Onodi, Die topographische Anatomie der Nasenhöhle und ihrer Neben¬
höhlen.
4 ) Berlin, Gr ä f e - S ä m i s c h’ Handbuch der gesummten Augenheil¬
kunde. 1. Aufl., Kap. XI.
*) Birch-Hirschfel d, Gräfe-Sämisch. 2. Auf!., Lief. 167 bis 170.
*) Gerber, Die Komplikationen der Stimhöldenentzündungen. Berlin 1909,
Karger, S. 226.
7 ) Cohen und Reinkung, Beitrag zur Augenheilkunde von Deutsch-
m a n n. Heft 78, S. 462.
Mon&tasehrift f. Obrenheilk. n. Lar.-Rhin. 56. Jahrg. 7
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Eugen E r d 6 1 y i.
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Fall 1 . Evi B., 6 Jahre alt, aufgenommen am 14. X. 1916.
Empyem a sinus frontalis et cellul. infund. 1. d. Perio¬
stitis orbitae et oedema collaterale retrobulb. Exo-
phthalrpus.
Operatio endonasalis. Freilegung des Ductus naso-
frontalis. Ausräumung der Infundibularzellen. Heilung.
Anamnese. Vor 10 Tagen Erkältung, seither Schnupfen und Husten.
Seit 6 Tagen Kopfschmerzen, welche am Vormittage intensiver sind, besonders auf
die rechte Stirnseite lokalisiert werden und nachmittags sich verringern. Die Kopf¬
schmerzen werden von Tag zu Tag stärker. Seit 2 Tagen ist das rechte obere Lid
gedunsen. Schüttelfrost. Therapie — vonseiten des behandelnden Arztes — bisher
Aspirin und Umschläge.
Status p r. Eindruck einer schweren Erkrankung. Temperatur 40° C.
Puls 120. Über den Lungen diffuser trockener Katarrh. Rachen mäßig gerötet. Uber
der rechten Stirne und über dein oberen inneren Rande der rechten Orbita Schwellung,
ödem, starke Druckschmerzhaftigkeit. Desgleichen Schwellung und ödem des rechten
oberen Lides, wodurch der Bulbus zum Teil verdeckt ist, spontanes Aufschlagen
dieses Lides unmöglich. Mäßiger Exophthalmus. Der Bulbus ist nach unten und
außen disloziert . Bewegung des Bulbus nach oben und innen bei lindert, aber nicht
schmerzhaft. Kein Doppelsehen. Konjunktiva injiziert. Chemose an der oberen
inneren Peripherie der Kornea. „Visus normal. Augenhintergrund normal* 4 (Primarius
Dr. Eisenstein).
Rhinosc. ant. Die vordere Hälfte der mittleren Muschel ist geschwollen und
verdeckt teilweise den Ductus nasofrontalis. Nach Pinselung mit 20%igem Kokain-
Adrenalin schwindet die Schwellung. Im vorderen Teil des mittleren Nasengangea
ein Eiterstreifen, welcher sich nach Entfernung alsbald von oben her wieder erneuert.
Rhinosc. post. Wenig Eiter im mittleren Nasengang. Oberer Nasengang rein.
Probepunktion der Highrnorhöhle — negativ.
Operation am 14. X. sofort nach der Untersuchung in Lokalanästhesie.
Resektion des vorderen Teiles der mittleren Muschel und Freilegung der vor¬
geschobenen, vereiterten Infundibularzellen, dadurch wird der Ductus nasofrontalis
frei und kann sondiert werden. »Sinus frontalis klein. Die freigelegten Schleimhäute
sind hyperämisch und geschwollen. Reinigung des Operationsfeldes mit 6%igem H a O a .
Keine Tamponade.
Verlau f. 15. X. Nach der Operation geringe Blutung einige Stunden hin¬
durch, seither bloß etwas blutig-eitriges Sekret. Allgemeinbefinden bedeutend besser.
Kopfschmerzen geringer. Exophthalmus und Ödem bilden sich zurück. Temperatur
:J8‘4° C. Lokalbehandlung: Tampon mit 20° o igem Kokain-Adrenalin für wenige
Minuten in den Ductus nasofrontalis zur Eiterableitung.
17. X. Fieberfrei. Exophthalmus und ödem geschwunden. Oberer innerer
Winkel der Orbita noch druckempfindlich, jedoch in weit geringerem Grade. Das
obere Lid noch etwas geschworen, kann jedoch aufgeschlagen werden. Bulbus¬
bewegungen frei, durch die Nase wenig Sekret.
22. X. Sämtliche Erscheinungen geschwunden. Operationswunde geheilt.
E p i k r i s e. Zu einer nach Influenza aufgetretenen Entzündung
der Stirnhöhle und der Infundibularzellen, welche letztere den Ductus
nasofrontalis verengerten und den freien Abfluß des Eiters verhinderten,
gesellte sich eine Entzündung der benachbarten Orbitalwand. Das Be¬
stehen einer Periostitis konnte aus den Symptomen, wie hohes Fieber,
Schüttelfrost, Schwellung der Gegend über der rechten Stirnhöhle, des
inneren oberen Randes der Orbita, des oberen Lides, Druckempfindlich¬
keit, beginnender Exophthalmus und Chemosis der Konjunktiva mit
Sicherheit angenommen werden. Die Verdrängung des Bulbus nach
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Orbitate Komplikationen nach Nebenhöhlenentzündungen.
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•«?iner bestimmten Richtung, die Lokalisation der Chemose an einer be¬
stimmten Seite der Kornea, die Schmerzlosigkeit der Augenbewegungen
sprachen gegen eine Orbitalphlegmone und für ein kollaterales ödem;
•diese unsere Annahme wurde durch das rasche Schwinden der Er¬
scheinungen nach der Operation vollauf bestätigt.
Der Zusammenhang mit einer Erkrankung der Nase war durch
den rhinologischen Befund gegeben, welcher durch die bei der Operation
gefundenen Veränderungen und den günstigen Verlauf erhärtet wurde.
Mit der unverzüglich vorgenommenen endonasalen Operation gelang
es uns, den Prozeß zum Stehen zu bringen und eine vollständige Heilung
herbeizuführen.
Fall 2, Frau H. O., 23 Jahre alt. angenommen am 6. XI. 1917.
Sinusitis frontalis et cellularum ethmoid. acuta
1. d. Periostitis orbitae et oedema collateral. retrobulbär.
Meningismus ? E x o p h t h a 1 m u s.
Opera t i o endonasalis (Resectio partis anterioris
conchae m e d. et Op erat io r adic. c e 11 u 1. ethmoid. a n t.
sec. H a j e k). Heilung.
Anamnese. Seit 2 Wochen Influenza, Fieber, starker Katarrh. Sclinupfen.
Husten. Seit einer Woche Schmerzen in der rechten Stimhälfte, welche um die
Mittagsstunde am stärksten sind und seit einigen Tagen unerträglich werden. Rechts
ist die Stirne seit einigen Tagen, besonders vormittags, seit gestern auch die Gegend
des rechten Auges geschwollen, das rechte obere Augenlid kann nicht vollständig
auf geschlagen werden. Hohes Fieber. Heute Abend Verschlechterung des Zustandes.
Pat. deliriert, wird zwecks Operation unserer Anstalt zugewiesen.
Status pr. Pat. verfallen, blaß, abgemagert, Temperatur 40*3° C. Puls 120.
Sensorium getrübt. Antworten unklar. Starke Unruhe. Keine Nackensteifigkeit.
Kernig — negativ. Pupillen etwas erweitert, nicht ungleich, reagieren gut auf
Licht. Lumbalpunktion: Klarer Liquor, etwas erhöhter Druck, „mäßige Vermehrung
der Polynukleären. Kultur — negativ“. (Oberarzt Dr. Hollos).
Gegend der rechten Stirnhöhle, oberer innerer Orbitalwinkel ödematös ge¬
schwollen, auf leichte Berührung äußerst schmerzhaft. Oberes Lid stärker, unteres
Lid mäßiger geschwollen, das obere Lid kann nicht aktiv gehoben werden, es hängt
herunter und bedeckt den Bulbus. Exophthalmus mit mäßiger Dislokation nach
unten und außen. Die Augenbewegungen können wegen des imklaren Bewußtseins
des Pat. nicht genau untersucht werden. Konjunktiva injiziert, die Konjimktiva
bulbi am inneren Rande der Kornea ehemotisch. Untersuchung des Augenhinter¬
grundes undurchführbar.
Rhinosc. ant. Rechte mittlere Muschel geschwollen, hyperämisch, der Ductus
nasofrontalis zum größten Teil verdeckt. Nach Kokainpinselung von der Stirnhöhle
her reichlich Eiter, nach Entfernen desselben erscheint dieser sofort wieder.
Rhinosc. post. Eiter im mittleren Nasengange. Oberer Nasengang rein.
Probepunktion der Highmorhöhle — negativ.
Operation sofort nach Aufnahme ((>. XL). Nach Resektion der vorderen
Hälfte der mittleren Muschel wird der Duktus durch öffnen einiger vorgeschobener
Infundibularzellen freigelegt; sowohl von hier als auch von weiter hinten von den
Ethmoidalzellen her erscheint Eiter. Eröffnen der vorderen Ethmoidalzeilen nach
H a j e k. Die Schleimhaut ist überall hyperämisch und gedunsen, der Eiter geruchlos.
Reinigung der Wundhöhle mit 6%igern H 2 0 2 . Keine Tamponade.
V e r 1 a u f. 7. XI. Temperatur 38-5° C. Allgemeinbefinden gut. Kopfschmerzen
wesentlich nachgelassen. Schwellung geringer. Exophthalmus zurückgegangen,
Augenhew r egungen frei. Ductus nasofrontalis wird mit Kokain gepinselt.
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Eugen E r d 6 1 y i.
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8. XI. Temperatur bis 87*8° C. Kopfschmerzen ganz wenig. Eiterung ans der
Nase verringert. Lokalbehandlung wie oben. In Anbetracht der vorhergehenden
Sensoriumstönmg und der raschen Besserung wird von einer Ausspritzung des
Sinus frontalis abgesehen.
11. XI. Fieberfrei. Entzündliche Erscheinungen vonseiten des Auges ge¬
schwunden. Nasensekret minimal, schleimig. Augenhintergrund ,,normal. Visus
vollständig“ (Dozent Dr. L e i t n e r).
15. XI. geheilt entlassen.
E p i k r i s e. Nach Influenza entstandene Eiterung der Stirn¬
höhle und der Ethmoidelzellen mit Komplikation vonseiten der Orbita
und bedrohlichen Gehirnsymptomen: Hohes Fieber, gestörtes Bewußt¬
sein, starker Kräfteverfall. Die orbitale Komplikation geht nur bis zur
Periostitis (Schwellung des oberen inneren Orbitalrandes, ödem der
Lider), doch droht sie auf das retrobulbäre Bindegewebe überzugreifen
(Exophthalmus, Dislokation, Chemosis). Die sofort vorgenommene Opera¬
tion verhindert ein weiteres Fortschreiten des Prozesses und führt
in kurzer Zeit zur vollständigen Heilung.
Fall 3. B. Konstantin, 28 Jahre alt, Taglöhner, aufgenommen am 20. II. 1017.
Empyema sinuum omnium 1. d. Abseessus retro-
b u 1 b a r i s c. f i s t u 1 a. Exophthalmus. A t r o p h i a n. optici
ex neuritide. Operatio radicalis sinuum.
Anamnese. Vor 11 Wochen Erkältimg, 4 Tage hindurch jeden Tag:
Schüttelfrost. Eine Woche hindurch starke Kopfschmerzen mit hohem Fieber.
Am Ende dieser Woche Schwellung der Stirne, des Auges und des Gesichtes der
rechten Seite. Nach einigen Tagen Eiterdurchbruch am oberen Augenlid i n rechten
inneren Augenwinkel, seither von hier aus anfangs stärkere, später schwächere
Eiterung. Die Schwellung des Gesichtes und der Stirne geht innerhalb 8 Wochen
langsam zurück, bloß das Auge bleibt in geringerem Grade geschwollen.'Bei Beginn
der oben geschilderten Entzündung wird der Visus des rechten Auges rasch —
ungefähr in 2 Tagen — verloren. Deshalb hat Pat. jetzt das Augenspital aufgesucht»
von wo aus er an unsere Anstalt zur Behandlung überwiesen wurde.
Status p r. Das rechte obere und untere Augenlid ist geschwollen, gerötet»
die Konjunktiva stark injiziert. Die bulbäre Konjunktiva ist an dem inneren und
unteren Rande der Kornea chemotisch. Exophthalmus. Dislokation nach vorn,,
unten und außen. Die Bewegung des Bulbus ist nach oben und innen behindert.
Pupille weit, reagiert kaum auf Licht. Visus: Kein Fingerzählen, Lichtempfindlich¬
keit vorhanden. Augen Spiegel bef und (Dozent Dr. Leitner): „Atrophia n. optici
ex neuritide“. Am oberen Augenlid über dem inneren Augenwinkel eine hirsekorn-
große, mit Granulationen bedeckte Fistelöffnung, aus welcher sich dicker, gelber,
etwas übelriechender Eiter entleert. Bei Einführung einer Sonde in die Fistel¬
öffnung nach hinten und oben gelangt man an die obere entblößte rauhe Wand der
Orbita und durch diese weiter in die Stirnhöhle, zusammen in einer Tiefe von G cm.
Rhinosk. ant. Hochgradige Septumdeviation rechts. Die mittlere MuscheL
und der mittlere Nasengang wird durch das Septum größtenteils verdeckt. Wegen
der engen anatomischen Verhältnisse kann der mittlere Nasengang weder mittels
Kokain, noch auf anderem Wege (K i 11 i a n sches Spekulum) freigelegt werden.
Rhinosk. post. Eiterung sowohl vom mittleren als auch vom oberen Nasen¬
gang her, welche im Nasenrachenraum und an der hinteren Wand des Rachens
Krusten bildet.
Bei der Probepunktion der Kieferhöhle entweicht ein Teil der eingeblasenen
Luft durch die Fistelöffnung an dem oberen Augenlid. Da dieser Umstand eine direkte
Kommunikation aus der Kieferhöhle mit der Orbita beweist, wird von dein Aus¬
spritzen der Höhle Abstand genommen.
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Orlitale Komplikationen nach Nebenhöhlenentzündungen.
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Die rechte Seite der Stirne und die rechte Orbitalgegend ist auf Druck in
geringerem Grade empfindlich. Die mäßig an gesell wollene rechte Gesichtshälfte ist
auf Druck unempfindlich. Keine Kopfschmerzen, kein Schwindel. Keine meningealen
Symptome. Subfebrilität (abends 37*7° G), Puls 80.
Operation am 25. II. in Narkose. Freilegung des Sinus frontalis (H a j e k sehe
Modifikation der Iv i 1 li a n sehen Operation. Radikale Ausräumung der pathologisch
befundenen vorderen und hinteren Etlimoidalzellen, Entfernung der vorderen Wand
des Sinus sphenoidalis durch die äußere Operationswunde. Freilegung und Aus¬
räumung der Kieferhöhle sec. Luc-Caldwell. Lockere Jodoformtamponade
nach außen und gegen die Nasenhöhle.
Operationsbefund: Die Schleimhaut sämtlicher Höhlen ist ödematös ge¬
schwollen. teilweise hypertrophisch, die Etlimoidalzellen zum Teil mit Eiter gefüllt
und ilire Schleimhaut polypös degeneriert. Die Stirnhöhle ist mittelbreit, an ihrer
unteren Wand ein linsengroßer, unregelmäßiger Knochendefekt, durch welchen sie
mit der subperiostealen Eiterhöhle der Orbita kommuniziert. Ein ähnlicher Knochen-
defekt befindet sic h an der Lamina papyraeea, welche in die Etlimoidalzellen führt
und außerdem eine am Grunde der Orbita, welcher eine Kommunikation nach der
Kieferhöhle bewerkstelligt.
Verlauf: Fieberfreier Verlauf.
Am 28. II. teihveiser, am 3. III. vollständiger Verbandwechsel. Wunde
reaktionsfrei, über dem Auge sekundäre Naht. Exophthalmus, Augenlid-, Gesicht-
und Konjunktivaschwellung im Rückgang begriffen. Keine Kopfschmerzen.
6. III. Entfernung der sekundären Naht. Die Wundränder verklebt. Fistel¬
öffnung verheilt. Aus der Nase wenig Sekret. Tägliches Auswaschen der Kieferhöhle.
Ätzung des Operationsfeldes in der Nase jeden zweiten Tag mit 5%iger Lapislösung.
Exophthalmus kaum merklich. Augenbewegungen frei. Schwellung des Gesichtes
geschwunden, ebenso die Chemose der Konjunktivs. Am oberen Augenlid noch
mäßige Schwellung.
18. III. Geheilt entlassen mit folgendem Augenbefund: „Ausgesprochene
Atrophia n. optici. Visus nicht gebessert“ (Dozent Dr. L e i t n e r).
E p i k r i s e. Laut der Anamnese ist die Pansinuitis der rechten
Seite foudroyant aufgetreten und hat sich alsbald auf die Gebilde der
Orbita erstreckt. Da dem Pat. eine fachmäßige ärztliche Hilfe nicht
zuteil wurde, hat er den Visus des rechten Auges sehr rasch — in 2 Tagen —
verloren.
Bei der Aufnahme konnte auf Grund des damaligen Befundes die
Diagnose und der Zusammenhang mit den Nasennebenhöhlen zweifellos
angenommen werden. Dies wurde durch den Operationsbefund bekräftigt,
indem die Wand der Orbita an drei Stellen — gegen Stirn-, Gesichts¬
höhle und Ethmoidelzellen — nekrotisiert war und freie Kommunikation
gestattete. Mit dem radikalen Eingriff wurde der Prozeß zum Stehen
gebracht, jedoch konnte die späte Operation an dem Verlust des Seh¬
vermögens nichts mehr ändern.
Fall 4. Helene P., 18 Jahre alt, Dienstbote, nufgenommen am 21. X. 1912.
Phlegmone retrobulb. ex empyernat. cell, ethmoid.
po-st. 1. d. Operatio e n d o n. sec. Hajek. Heilung.
Anamnese. Vor 2 Wochen Erkältung, Schnupfen und Husten. Seither
hat sich der Zustand gebessert, doch ist der Schnupfen nicht vollständig geschwunden.
Vor 2 Tagen plötzlich starke Kopfschmerzen in der rechten Seite, Schüttelfrost.
Am nächsten Tage stärkere Kopfschmerzen und wiederholter Schüttelfrost. Heute
morgens treten neben den Kopfsclimerzen noch starke Schinerzen in der Orbita auf,
gleichzeitig schwillt die Gegend des rechten Auges auf.
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Eugen Erd^lyi.
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Status p r. Starker Exophthalmus rechts. Augenbewegimgen in jeder
Richtung behindert und schmerzhaft. Beim Schauen nach oben und unten Doppel¬
sehen. Schwellung, ödem und Rötung des oberen Augenlides, welches den Bulbus
bedeckt und nicht aufgeschlagen werden kann. Konjunktivs stark injiziert, bulbäre
Konjunktivs chemotisch, bildet einen Wall um die Kornea. Der geringste Druck
auf den Bulbus verursacht heftige Schmerzen, Augenbewegimgen schmerzhaft.
Pupillen gleich weit, reagieren prompt auf Licht und Akkomodation. Visus normal.
Augenhintergrund (Dozent Dr. Leitner): ,,Die Ränder der Papille mäßig ver¬
waschen, besonders temporalwärts. Sonst keine Veränderung. Visus
Rhinosk. ant. Normale Verhältnisse, erst nach Kokain ist in der Fissura
olfactoria ein dünner Eiterstreifen zu sehen.
Rhinosk. post. Eiter im oberen Nasengang über der hinteren Hälfte der
mittleren Muschel.
Temperatur 38-8° C. Puls 98. Kontinuierliche Kopfschmerzen. Keine menin-
geale Erscheinungen.
Therapie. Sofortige Operation nach vollständiger Resektion der mittleren
Muschel, radikale Freilegung der hinteren Ethmoidalzellen (sec. Hajek). Die
Schleimhäute der Ethmoidalzellen ist stark geschwollen und füllt das Lumen der
Zellen beinahe vollständig aus. Wenig Eiter. Der hintere Teil der Lamina papyracea
fühlt sich rauh an, daselbst ein Knochendefekt, durch welchen man mit der Sonde
in den retrobulbären Teil der Orbita gelangt. Nach Entfernung des rauhen Teiles
wird die Kommunikation erweitert. Vom Sinus sphenoidalis her kann eine Eiterung
nicht wahrgenominen werden. Reinigung der Wundhöhle mit 6%igem H, 0 2 . Keine
Tamponade.
V erlauf. 22. X. Fieberfrei. Exophthalmus etwas geringer, desgleichen die
Kopfschmerzen und die Schmerzen in der Augenhöhle. Das Ödem des oberen Augen¬
lides im Rückgang.
23. X. Exophthalmus, Schwellung des Augenlides bedeutend geringer. Das
Auge kann noch nicht geölTnet werden. Die Chemose der Konjunktiva geht zurück.
Noch ein wenig Kopfschmerzen. Allgemeinbefinden gut. Aus der Nase noch ziemlich
reichliches Sekret.
24. X. Exophthalmus beinahe ganz geschwunden. Keine Kopfschmerzen.
Augenlidschwellung kaum bemerkbar, Chemose verschwunden. Endonasale Pinselung
jeden zweiten Tag mit 5%iger Lapislösung.
30. X. Aus der Nase kein Sekret. Am Auge nichts abnormes. Doppelsehen
geschwunden. Augenbefund (Dozent Dr. Leitner): „normal“.
Epikrise. Zu der vor 2 Wochen aufgetretenen Erkältung und
Schnupfen hat sich eine Eiterung in den hinteren Ethmoidalzellen der
rechten Seite gesellt, welche mit nekröser Einschmelzung der Lamina
papiracea plötzlich in die Orbita durchgebrochen ist und zu einer Ent¬
zündung der orbitalen Gewebe — orbitale Phlegmone — geführt hat.
Die Diagnose wurde durch typische Symptome ermöglicht : Plötzlich
auftretendes hohes Fieber, Schüttelfröste, heftige Kopfschmerzen,
Exophthalmus, Schwellung des rechten oberen Augenlides, Chemose
um die Kornea herum, Einschränkung der Bewegungen des Bulbus in
jeder Richtung, spontane und auf Druck auf den Augapfel und bei Augen¬
bewegungen auftretende Schmerzen, Schwellung und Druckschmerz¬
haftigkeit des rechten inneren Augenwinkels. Der rhinogene Zusammen¬
hang wurde durch das einseitige Auftreten der Erkrankung sowie durch
den Nasenspiegelbefund aufgeklärt.
Die Operation wurde ohne Verzug sofort durchgeführt. Die mittlere
Nasenmuschel wurde zwecks besserer Übersichtlichkeit des Operations-
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Orbitale Komplikationen nach Nebenhöhlenentzündungen.
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feldes gänzlich entfernt. Die pathologische Veränderung in den hinteren
Ethmoidalzellen und die pathologische Kommunikation mit der Orbita
durch die Lamina papyracea zeigte uns klar den Weg der Infektion. Durch
das rechtzeitige Eingreifen gelang es, die Entzündung in der Orbita auf
endonasalem Wege abzuleiten, bevor die retrobulbär gelegenen wichtigen
Gebilde in die Entzündung miteinbezogen worden waren, und so wurde
der Visus trotz foudroyanten Auftretens der Entzündung und ihrer
retrobulbären Lokalisation gerettet.
Fall 5. B. Cs., 21 Jahre alt, Feldarbeiterin, aufgenommen am 31. XII. 1918.
Abscessus retrob ulbaris ex empyemat. cell, e t h-
moid. ant. 1. d. Operatio endonalis sec. Hajek. Heilung.
Anamnese. Vor 5 Wochen Erkältung, seither Schnupfen und eitriges
Sekret aus der rechten Nasenhälfte. Seit 4 Wochen Schmerzen in der rechten Augen¬
höhle und langsam entstandene Schwellung des rechten Augenlides und der rechten
Gesichtshälfte. Diese entzündliche, in letzterer Zeit stark schmerzhafte Schwellung
brach vor 3 Tagen unter dem rechten inneren Augenwinkel durch, wo sich seither
reichlich übelriechender, bröckliger Eiter entleerte. Pat. wurde im Augenspital auf¬
genommen, wo wegen Verdacht auf eine phlegmonöse Dakryoeystitis die Fistel¬
öffnung erweitert wurde. Da sich dieser Verdacht aber als unhaltbar erwies, wurde
Pat. unserem Spital überwiesen.
Status p r. Starke rechtsseitige Kopfschmerzen. Temperatur 38-5° C.
Puls 96. Das rechte obere und untere Augenlid insbesondere an der nasalen Seite,
ferner die rechte Gesichtshälfte stark geschwollen, gerötet und druckschmerzhaft.
An der inneren Seite des rechten unteren Augenlides in der Nähe des Augenwinkels
eine quergelegene, 1 cm lange Inzisionsw’imde, durch welche man mit der Sonde
an die innere rauhe Wand der Orbita ankommt. Exophthalmus. Dislokation des
Bulbus nach vom und außen. Augenbewegungen in jeder Richtung, insbesondere
aber nach innen gehemmt. Konjunktiva stark injiziert, an der inneren Peripherie
der Kornea cheinotisch und wallförmig aufgeworfen. Augenbefund (Dozent Dr.
Leitner): „Visus normal. Geringe venöse Hyperämie, die Grenzen der Papille
mäßig verseil w r onunen“.
Rhinosk. ant. Abundante Eiterung vom mittleren Nasengang her. Der Eiter
ist stark übelriechend, bröckelig. Der vordere Teil der mittleren Muschel ist etwas
geschwollen, ohne besondere pathologische Veränderung. Nach Entfernung des
Eiters erscheint dieser bald wieder, und zwar von der Gegend der Mitte des Nasen¬
ganges her. Probepunktion der Kieferhöhle — negativ.
Rhinosk. post. Eiter über der unteren Nasenmuschel füllt den mittleren
Nasengang aus. Der obere Nasengang ist frei.
Operation (31. XII.): Resektion der vorderen Hälfte der mittleren Muschel
und radikale Freilegung der vorderen Ethmoidalzellen nach Hajek. Die Zellen
sind mit bröckligem, stark übelriechendem Eiter gefüllt; ihre Schleimhaut geschwollen.
Am vorderen Teile der Lamina papyracea eine hellergroße nekrotische Zelle mit einer
Fistel in die Höhle der Orbita, aus dieser Fistel entleert sich ähnlich beschaffener
Eiter. Die Fistelöffnung w r ird nach Entfernung des nekrotischen Teiles der Lamina
papiracea erweitert, w odurch dem Eiter reichlicher Ablauf geboten wird. Die Operation¬
höhle wrird mit 6%igem H 2 0 2 gereinigt. Keine Tamponade.
Verlauf. 1.1.1919. Kopfschmerzen geringer. Exophthalmus wenig zurück¬
gegangen. Druckschmerzhaftigkeit der Augenhöhle nachgelassen. Temperatur 37*8° C.
2. I. Nasensekret bedeutend geringer. Reinigung der Operationshöhle mit
6%igem H, 0 2 , nachher Vaselinöl. Exophthalmus stark im Rückgang, ebenso die
Schwellung der Augenlider. Temperatur 37*4° C.
4.1. Fieberfrei. Keine Kopfschmerzen. Kein Exophthalmus. Etwas Schwellung
der Augenlider, am meisten noch um die Inzisionsw unde des unteren Lides. Augen-
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Eugen E r d 6 1 y i.
bewegungeil frei, etwas eitrig-sclileimiges, nicht übelriechendes Nasensekret. Ätzung
der Operationshöhle mit 5%iger Lapislösung jeden zweiten Tag.
15. I. Kein Nasensekret. Glatt geheilte Operationshöhle. Wunde am Augenlid
vollständig geheilt. Keine Veränderung am Bulbus. Augenbefund (Dozent Dr.
L e i t n e r) „normal“. Geheilt entlassen.
E p i k r i s e. Zu dem vor 5 Wochen akquirierten Schnupfen hat
sich eine Eiterung der vorderen Ethmoidalzellen - gesellt, welche sich
langsam per continuitatem fortpflanzte, eine Periostitis der benach¬
barten inneren Wand der Orbita erzeugte und weiter zu einer Nekrose
der Lamina papyracea, einer Fistelbildung und einem subperiostalem
Abszesse geführt hat. Die teilweise retrobulbäre Lokalisation des Abszesses
hatte einesteils den Exophthalmus und andrerseits durch Durchbruch
nach außen eine Fistel zur Folge.
Die Diagnose war in Anbetracht der Anamnese und der folgenden
Symptome zweifellos: Langsam sich steigernde Kopfschmerzen, Fieber,
Schwellung beider Augenlider und der benachbarten Teile des Gesichtes,
Chemose an der inneren Peripherie der Kornea, Exophthalmus und der
bei Sondierung der Fistel gewonnene Befund. Der Zusammenhang mit
einer Erkrankung der Nase war durch den rhinoskopischen Befund,
durch die bei der Operation gefundenen Veränderungen und die Art der
Fortpflanzung der Infektion klargelegt. Durch die endonasale Operation
gelang es, den Eiter aus der Orbita abzuleiten, den Prozeß zum Stehen
zu bringen und den Visus vollkommen zu retten.
Fall 6. Julius R., 39 Jalire alt, Tischlermeister, aufgenommen am 26. XII. 1919.
Empyema cell, ethmoid. ant. 1. s. Abscessus et phleg-
mone retrobulb. Operatio endonasalis sec. Hajek. Incisio
orbitae subperiostalis. Drainage. Heilung.
Anamnese. Vor 2 Wochen Erkältung, seither entleert sich aus der linken
Nasenhälfte übelriechendes eitriges Sekret. In der vergangenen Nacht traten in der
linken Augenhöhle plötzlich sehr starke Schmerzen auf. Morgens war das hintere
obere Augenlid so stark geschwollen, daß Pat. das linke Auge nicht öffnen konnte.
Mehrmals Schüttelfrost. Linksseitige Kopfschmerzen.
Status pr. Das linke obere Augenlid, insbesondere dessen innere Hälfte, ist
geschwollen, ödematös gerötet, stark verdickt. Der Bulbus wird ganz bedeckt, das
Auge kann spontan nicht geöffnet werden. Die Gegend des inneren Augenwinkels
ist geschwollen, sowohl hier, als auch am Bulbus starke Schmerzhaftigkeit auf ge¬
ringem Druck. Visus erhalten. Pupillen gleich weit, Reaktion auf Licht und Akko¬
modation normal. Exophthalmus. Dislokation des Bulbus nach vom außen und unten.
Augenbewegungen in jeder Richtung, insbesondere nach oben und innen gehemmt
und schmerzhaft. Konjunktiva chemotisch, besonders stark in der inneren Peripherie
der Komea. Augenhintergrund (Dozent Dr. Leitner): „Mäßige Injektion der
Papille, etwas verwaschene Ränder“.
Rhinosk. ant. Der vordere Teil der mittleren Muschel hypertrophisch. Im
mittleren Nasengang reichlicher übelriechender Eiter. Nach Entfernung desselben
erscheint er gleich wieder von der Mitte des Nasenganges. Probepunktion der Kiefer¬
höhle negativ.
Rhinosk. post. Aus dem mittleren Nasengang über der unteren Nasenmuschel
Eiter. Temperatur 38*6° C. Puls 90.
I. Operation (26. XII.). Resektion der vorderen Hälfte der mittleren Muschel
und radikale Freilegung der Ethmoidalzellen nach Hajek.'Die Ethmoidalzellen
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Orbitale Komplikationen nach Nebenhöhlenentzündungen.
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sind teilweise verschmolzen und mit stark übelriechendem bröckligem Eiter gefüllt*
die Schleimhaut geschwollen, an einzelnen Stellen polypös degeneriert. An der Seite
der Orbita in der Nachbarschaft des Os lacrimale an der Lamina papyracea eine heller¬
stückgroße nekrotische Stelle mit einer Fistelöffnung, aus welcher sich von der Orbita
her ähnlich beschaffener Eiter entleert. Reinigung der Operationswunde mit 6%igem
H, O a . Keine Tamponade.
27. XII. Temperatur 386° C. Exophthalmus, Schwellung der Lider vergrößert,
das untere Augenlid auch geschwollen. Schmerzen in der Orbita verstärkt, Augen-
bewegungen noch mehr behindert. An der inneren Seite des oberen Augenlides findet
sich eine zwanzighellerstückgroße blasenartige Geschwulst. Die Chemose der Kon¬
junktivs ist verstärkt und umgibt die ganze Kornea wallartig. Visus erhalten. Kopf¬
schmerzen stärker.
II. Operation. Bogenförmige Inzision am oberen inneren Rande der Orbita
bis auf den Knochen. Stumpfe Ablösung des Periosts und Freilegung des retro¬
bulbären Abszesses mittels stumpfer Verdrängung des Augapfels und der Orbital¬
gebilde (Birch- Hirschfeld). Entfernung des auf der Lamina papyracea
noch Vorgefundenen nekrotischen Teiles, so daß die Orbita durch eine zwanzigheller¬
stückgroße Öffnung mit der Nasenhöhle kommuniziert. An der verdickten Periorbita
hinter dem Bulbus ist eine linsengroße nekrotisierte Stelle zu finden, durch deren
Mitte man in das retrobulbäre Bindegewebe gelangt. Mit einer 2 cm langen, durch
die nekrotische Stelle hindurch geführte Inzision wird das retrobulbäre Binde¬
gewebe freigelegt. Durch die so erlangte Öffnung kommt hyperämisches Fettgewebe
zum Vorschein. Drainage.
28. XII. Temperatur 37*8° C. Drain leitet gut. Kopfschmerzen geringer. Täg¬
lich zweimaliger Verbandwechsel; Augenwaschungen mit Borwasser. Reichliches
übelriechendes Nasensekret. Tägliche Reinigung der nasalen Operationshöhle mit
6%igem H a O a , rechter Ol. vaselini. Exophthalmus, Liderschwellung und Chemose
unverändert. Visus erhalten.
29. XII. Temperatur 37*4° C. Keine Kopfschmerzen. Drain leitet gut, tägliche
Reinigung. Aus den retrobulbären Teilen noch reichlich stinkender Eiter und nekro-
tisiertes Gewebe. Exophthalmus etwas geringer. Schwellung der Augenlider und
Chemose der Konjunktivs noch unverändert.
30. XII. Fieberfrei. Von diesem Tage an gehen die Symptome sukzessive
zurück. Die Eiterung besteht noch einige Tage, wird dann geringer und geruchlos,
gleichzeitig auch das Nasensekret.
8.1. Drain wird entfernt. Exophthalmus vollständig geschwunden, Augen¬
bewegungen frei. Geringe Schwellung des oberen Augenlides. Chemose der Konjunktivs
stark verringert.
20. I. Orbitale Wunde geheilt. Aus der Nase kein Sekret. „Augenhintergrund
normal. Visus “/*“ (Dozent Dr. L e i t n e r).
E p i k r i s e. Auf Grund der im Status pr. beschriebenen Sym¬
ptome haben wir unsere Diagnose auf linksseitige chronische und nun
exazerbierte Eiterung der vorderen Ethmoidalzellen gestellt, zu welcher
sich ein Zum Teil retrobulbär gelegener Abszeß gesellte; bei der Operation
zeigte sich, daß diesem eine Periostitis vorangegangen ist (verdicktes
Periost). Mittels endonasaler radikaler Freilegung der Ethmoidalzellen
gelang es nicht, den Prozeß zum Stehen zu bringen. Einen Tag nach der
Operation hatten sich die Symptome noch verstärkt und ließen an eine
Phlegmone des retrobulbären Bindegewebes denken; weiter bestehendes
Fieber, verstärkter Exyphthalmus, Ausbreitung der Chemose, stärkere
Behinderung der Augenbewegungen und stärkere Schmerzen in der
Orbita, Auf Grund dieser Symptome haben wir uns sofort zur äußeren
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Hei m ich H a I A s z.
Freilegung des retrobulbären Abszesses entschlossen, wodurch es gelang,
den Entzündungsprozeß zu lokalisieren, abzuleiten und das Auge voll¬
ständig intakt zu erhalten.
Entfernung der adenoiden Vegetationen in Lokal¬
anästhesie.
Von Dr. Heinrich HiMu in Miskolcz.
Die häufige Frequenz der adenoiden Vegetationen gibt dem Spezia¬
listen fast alltäglich zu schaffen. So kurze Zeit auch die Operation in
Anspruch nimmt, ebenso langwierig und umständlich sind die zu treffenden
Vorkehrungen mit den meist unmündigen Kindern, die Unterhandlungen
mit deren Angehörigen, wiewohl der Eingriff selbst ohne Anästhesie
nicht imerträglich schmerzhaft ist, wie dies aus den Mitteilungen von
das zehnte Lebensjahr überschrittenen, älteren intelligenten Kranken
hervorgeht.
Zum guten Gelingen der Operation ist es dennoch wünschenswert,
daß der Patient eine ruhige Kopfhaltung während der kurzen Zeit des
Eingriffes bewahre. Diese ruhige Kopfhaltung kann durch ein geschultes
Hilfspersonal gesichert werden, das durch entsprechende Fixierung des
Kopfes und der Extremitäten die Ausführung des Eingriffes in einigen
Minuten ermöglicht. Ist die physische Kraft und Widerstandsfähigkeit
der Kinder leicht besiegbar und meiner Erfahrung gemäß ist das 5. und
6. Lebensjahr die Altersgrenze, unterhalb welcher ein gut eingeübter
Gehilfe mit dem Kinde leicht fertig wird, so daß der Eingriff anstandslos
gemacht werden kann und nicht mehr als ein Assistent notwendig er¬
scheint, mißlingt es doch bei der Operation eines mehr als sechs Jahre
alten Kindes des öfteren selbst bei Fixierung durch zwei Gehilfen, die
ruhige Kopf- und Körperhaltung zu erreichen, die zur erfolgreichen
Vollendung der Operation notwendig ist.
Narkose zog ich niemals in Anwendung, teils weil die Eltern selbst
die am wenigsten gefährliche Chloräthylnarkose nicht zugeben wollen —
insbesondere in der Provinz und in Ermanglung eines Sanatoriums —
andrerseits ist der in der Provinz wirkende Spezialarzt durch die Gefahr
der Narkose dem Risiko ausgesetzt, seinen guten Ruf durch einen un¬
glücklich verlaufenden Fall zu schädigen. Abgesehen hiervon ist die
Frage der Narkose bei Adenotomien seit Jahrzehnten eine strittige, so daß
es Sache der individuellen Auffassung ist, in welcher Weise wir die
Operation vornehmen wollen. Das Referat S t e n g e r s (1) in der Däni¬
schen otologischen Gesellschaft bietet eine gründliche Orientierung über
das Pro und Kontra in dieser Frage und nur zur Charakterisierung der
Stellungnahme führe ich die zwei entgegengesetzten Auffassungen in
der Diskussion über obigen Vortrag an. So operieren H a 1 s t e d und
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Entfernung der adenoicjen Vegetationen in Lokalanästhesie.
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Freer ihre Patienten unter zwölf Jahren nur in Narkose, während
Körner (2) lieber von der Operation Abstand nimmt, als in Narkose
zu operieren. Ich pflichte letzterer Auffassung bei, mußte niemals die
Narkose in Anwendung ziehen, konnte aber stets die kleine Operation
in Lokalanästhesie anstandslos machen. Das sein sechstes
Lebensjahr überschrittene Kind ist schon kraft seines Alters genug ver¬
ständig, um zu begreifen, daß seine Rachenmandel entfernt werden soll
und daß zur Vermeidung der Schmerzhaftigkeit seine Nasenhöhle einige
Male eingepinselt werden soll. Mir kam noch kein mehr als sechs Jahre
altes Kind in die Hände, das hierzu, wenn auch zögernd, nicht seine
Einwilligung gab.
Die lokale Anästhesie führe ich derart aus, daß ich auf das geriefte
Ende einer Sonde entsprechend große feine Watte aufdrehe, die ich mit
20%iger Alypinlösung durchtränke. Die Sonde wird durch den unteren
Nasengang in die Nasenhöhle eingeführt, die Schleimhaut unterwegs
gleichzeitig eingepinselt, hierauf wird erst in die eine, dann in die andere
Nasenhälfte nach rückwärts durch die Choanen gegen die hintere Rachen¬
wand die Sonde vorgeführt und gepinselt. Jetzt warte ich stets 2 bis
3 Minuten, bis nach der gelinden Anästhesie infolge der Pinselung die
weitere Bepinselung der Nase dem Patienten keinen Reiz mehr verursacht,
was in der Regel auch eintritt. Nach der ersten Bepinselung, die ich in
sitzender Stellung des Patienten vornehme, bringe ich den Patienten
in Rückenlage auf einem Sopha, lege unter seinen Nacken ein Keil¬
kissen, wie dies bei der Tracheotomie üblich ist, damit sein Kopf nach
rückwärts förmlich in herabhängender Lage gerate und in dieser Position
kommen die mit Alypin imprägnierten, umwickelten Sonden bzw. deren
Flüssigkeit mit den Vegetationen in Kontakt und durchtränken dieselben.
Die Sonden, beide gleichzeitig in der Nasenhöhle belassen, bleiben
5 Minuten lang liegen. Nach Ablauf dieser Zeit tränke ich wieder zwei mit
Watte umwickelte Sonden mit der Alypinlösung und drehe die bis zu
den Vegetationen reichenden Sonden an ihrer Stelle um die Achse, ich
bepinsele förmlich gesondert durch jede Nasenhälfte die Vegetationen,
deren Berührung vom Patienten kaum mehr empfunden wird.
Regelmäßig dreimal nacheinander führe ich eine Alypinsonde
in 1 i e g e n d e r Stellung des Patienten ein, in Pausen von je 5 Minuten,
nach welcher Zeit der Patient unsere Frage, ob er noch die Bepinselung
spüre, zu verneinen pflegt. Nach dieser Prozedur vermögen wir den Ein¬
griff schmerzlos auszuführen.
Ich lasse während der Operation nur den Kopf des Kindes fixieren,
heiße den kleinen Patienten die Seitenlehnen des Operationsstuhles fest
mit den Händen fassen, verbiete ihm, die Hände zu erheben, beschwichtige
ihn, daß er nunmehr keinerlei Schmerz fühlen wird. So viel genügt meist
zur Sicherung des ruhigen Verhaltens seitens des Patienten, der nunmehr
von der wirklichen Schmerzlosigkeit der Operation überzeugt, bei even¬
tueller selten vorkommender Rezidivierung der Vegetationen ohne zurück-
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Aurel R 6 t h i.
gebliebene unangenehme Erinnerung leichter einer Rezidivoperation
zugänglich ist.
In der von mir eingesehenen Literatur fand ich kaum eine Er¬
wähnung über Operation der Vegetationen unter Lokalanästhesie. Nur
■das bekannte Lehrbuch von Moritz Schmidt- Edmund Meyer
erwähnt ganz allgemein, daß ,,bei größeren Kindern und Erwachsenen
häufig die Lokalanästhesie gute Dienste leistet“, ohne sich über die Art
der Anwendung auszusprechen.
Ich zweifle nicht, daß in der Praxis aurea, in Sanatorien, das Chlor¬
äthyl sich als ein gutes Lokalanästhetikum auch bei Adenoiden bewähren
•dürfte, in der Provinz jedoch, in Städten ohne Sanatorien, wo der Fach¬
arzt in seinem Ordinationszimmer zu operieren bemüssigt ist, wird das
von mir beschriebene Verfahren, das vollständig gefahrlos und von mir
bereits 15 Jahre mit vollem Erfolge angewandt wird, den Spezialisten
vor viel Aufregungen der narkoselosen Operation befreien.
In Fällen von Hypertrophie der Gaumenmandeln, wenn ihre Ent¬
fernung mit jener der Vegetationen gleichzeitig indiziert erscheint, mache
ich vorher die Anästhesie der Tonsillen durch Alypinbepinselung, indem
ich zwei- bis dreimale die Oberfläche der Tonsillen gut bestreiche und
schreite erst nachher zur Anästhesierung der Vegetationen durch die
Nase. Nach der Anästhesierung entferne ich zuerst die Gaumentonsille,
alsbald nachher die Vegetationen.
Literatur: (1) Paul S t e n g e r. Die Anwendung der Narkose bei Ent -
femung der adenoiden Vegetationen. Zentralblatt f. Ohrenhlk., Bd. 2, S. 412. —
(2) Körner, Lehrbuch der Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten. Bergmann.
Wiesbaden. — (3) Moritz Schmidt- Edmund Meyer, Krankheiten der oberen
Luftwege. Springer, Berlin, 1909, S. 226.
Zur Methodik der Gluckschen Totalexstirpation
des Kehlkopfes 1 ).
Bemerkungen zu dem Artikel des Professors Boenninghaus.
Von Dr. Aurel Rltbi, Budapest.
Nach der Laryngologentagung in Nürnberg, wie Herr Profesor
Boenninghaus in seinem Artikel bekanntgibt, machte er sofort
nach seiner Rückkehr, da er zufällig einen Patienten mit unkompliziertem
inneren Larynxkrebs auf seiner Abteilung hatte, eine totale Kehlkopf¬
exstirpation. Es freut mich sehr, daß Herr Boenninghaus den
diesbezüglichen Vorträgen ein so reges Interesse entgegenbrachte. Aller¬
dings hatte er die Operation in ganz anderem Sinne zu modifizieren
versucht; da die Nähte eitrig auseinander gingen, die Schleimhaut nekro-
x ) Siehe Mschr. f. Ohrenhlk. 1921, Supplementband. Festschrift H a j e k.
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Zur Methodik der Gluck,sehen Totalex.stirpation des Kehlkopfes.
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tisierte und der Patient starb, zieht der Autor die Folgerung, daß die
Nekrose der Pharynxschleimhaut vielleicht nie vermieden werden kann.
Der Autor sagt folgendes: „Ich selbst habe nun über meine Mi߬
erfolge bei der Pharynxnaht viel nachgedacht und kam, nachdem alles
andere nach Befolgung der bekannten Maßnahmen von Gluck und
K i 11 i a n ausgeschlossen werden konnte, zu der Überzeugung, daß
. nur die zu starke Spannung der zu vereinigenden
Schleimhautflächen die Schuld tragen könne, und
sann auf Mittel und Wege, sie zu vermindern. Ich kam dabei zu folgender
Überlegung: Zur Verminderung der Spannung der hinteren unteren
Schleimhautfläche, d. h. der vorderen Wand des Hypopharynx und der
ganzen Sinus pyriformes, kann ja nur in Betracht kommen, daß man
von ihnen nicht mehr wegnimmt, als eben nötig ist. Zur Verminderung
der Spannung der vorderen oberen Schleimhaut fläche am Zungengrunde
kann viel mehr geschehen: Man kann die Epiglottis, wenn sie einwandfrei
ist, vollkommen erhalten oder wenigstens ihre vordere Schleimhaut¬
fläche, oder aber, und das schien mit das wichtigste zu sein, m a n m u ß
die unteren vier Zungenbeinmuskeln schonen. Denn,
wenn man sie opfert, so werden die Antagonisten, die vier oberen Zungen¬
beinmuskeln, das Zungenbein und demgemäß die Schnittfläche hinter
dem Zungengrund in die Höhe ziehen und von der hinteren unteren
Schnittfläche entfernen. Das absolute Maß dieses Zuges der vier oberen
Muskeln scheint recht erheblich zu sein. R e t h i sah, nachdem er zuerst
die vier unteren Muskeln nach Gluck reseziert und dann die M. mylo-
hyoidei und M. geniohyoidei ihres festen Ansatzpunktes am Zungen¬
beinkörper durch Resektion desselben beseitigt hatte, ein Hinunter¬
sinken der vorderen oberen Nahtlinie um 2 bis 3 cm. Die Absicht R 6 t h i s
aber war dieselbe, wie sie von mir durch Schonung der vier unteren
Muskeln erstrebt und erreicht wurde, nämlich Verminderung der Naht¬
spannung“.
Die Anführung meiner Modifikation ist für mich sehr schmeichel¬
haft, doch aber finde ich, daß wir bezüglich der Absicht des Operatiöns-
modus nicht ganz eines Standpunktes sind, auch läßt sich über den Wert
des Operationsvorganges Prof. Boenninghaus viel sprechen; es
sei mir also gestattet, ganz kurz mein Operationsvorgehen zu besprechen.
Selbst mit der vorsichtigsten Tamponade kann die große Wund¬
höhle nicht vor der Infektion des im Rachen gesammelten Speichels
gesichert werden, hauptsächlich wenn,- wie gewöhnlich, eine gesteigerte
Absonderung vorhanden ist und der Patient Schlingbewegungen macht.
So entsteht die primäre Speichelinfektion.
Nach der Entfernung des Kehlkopfes ist der obere Rand des
Defektes nach oben zu konkav und zieht sich am unteren Rande des
Zungenbeines hin. Der untere Rand ist nach unten zu konkav. Wenn
wir die Defektränder mit Nähten vereinigen wollen, so müssen wir die
an die hintere Rachenwand angeschmiegte Schleimhaut mit Nähten in
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Aurel R 6 t h i.
die Höhe des Zungenbeines hinaufziehen; es besteht schon infolge der
Schwere eine allerdings kleiner Zug in der Richtung der Wirbelsäule hin.
Dabei verursacht die Naht eine kleinere oder größere Spannung; da
infolge der Unterbindung der A. laryngea superior die Schleimhaut so
wie so schlecht ernährt ist, können die Ränder leicht absterben. Jetzt
kommen noch die Schlingbewegungen dazu, welche mit einer Zerrung
der Wundnahtlinie verbunden sind, wodurch die Nähte leicht aus¬
einandergehen, meistens am zweiten, dritten Tag, und so tritt die sekun¬
däre Speichelinfektion in den Vordergrund, mit ihrer störenden Wirkung.
Gluck empfiehlt, den Widerstand durch die Naht der Konstriktoren
zu erhöhen; das nutzt aber wenig, weil es unmöglich ist, mit jenen den
unteren Rand des Zungenbeines zu bedecken.
Alle diese nachteiligen Momente können mit einem Schlag aus¬
geschaltet werden, wenn wir die zur Verfügung stehende Rachenschleim¬
haut in dem Maße verlängern, daß die Wundlinie bequem von der hinteren
Rachenwand abgehoben wird, daß wir eine bequeme doppelte Nahtetage
der Mukosa machen, die quere Nahtlinie mit den Konstriktoren sicher
und fest bedecken und aus dem Wirkungskreis der Schlingbewegungen
möglichst fernhalten. Diese Schleimhautverlängerung kann nur von
oben, aus der Richtung des Zungenrgundes stattfinden.
Wenn wir an der Leiche nach Entfernung des Kehlkopfes den
Zungenbeinkörper und einen Teil der Hörner resezieren, so sinkt der
obere Rand des Schleimhautdefektes nach hinten und unten. Wenn wir
die Mm. mylohyoideus und geniohyoideus 2 bis 3 cm oberhalb ihrer
hyoidalen Insertion quer durchschneiden, so fällt der Zungengrund nach
unten, so daß der obere Defektrand um 3 bis 4 cm absinkt; dadurch
wird der obere Rand — welcher bis jetzt nach oben zu konvex war —
nach unten zu konvex und paßt in den nach oben konkaven Bogen des
unteren Randes.
Um einen besseren Überblick zu gewinnen, werde ich die ein¬
zelnen Phasen der Operation schildern:
1. Hautschnitt entspricht dem Gluck sehen Türflügelschnitt,
nur der mediane Schnitt fängt 1 bis 1 J 4 cm oberhalb des Zungenbeines an.
2. Durchtrennung der oberflächlichen Halsfaszie; Entfernung der
äußeren Kehlkopfmuskeln.
3. Entfernung der regionären Drüsen.
4. Unterbindung der A. laryngea superior und cricothyreoidea.
5. Es folgt die Lösung des Schilddrüsenisthmus und der Kon¬
striktoren. Die oberste Partie der Trachea wird mit einer Kocher sehen
Sonde vom Ösophagus getrennt.
6. Wir schneiden die Trachea vom Kehlkopf ab. In die klaffende
Öffnung des Kehlkopfes legen wir einen Tampon, während die Trachea
mit einigen Nähten an der Haut fixiert wird. Es ist noch vorteilhafter,
in der Trachea eine P e r i e r sehe Kanüle zu fixieren, wodurch das An-
lmsten der Wunde wie die Blutung in die Trachea unmöglich wird.
Google
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Zur Methodik der Gluckschen Tot.ilexstirp.ition des Kehlkopfes.
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7. Der Körper des Zungenbeines wird freipräpariert und reseziert.
Von den Hörnern präparieren wir in 1 bis 1 y 2 cm Tiefe die Schleim¬
haut ab und entfernen die freistehenden Hornportionen. Der M. mylo¬
hyoideus wird 3 cm oberhalb des Zungenbeines quer durchschnitten,
desgleichen dann der M. geniohyoideus. Nach der Heilung wird die
Muskeltätigkeit der genannten Muskeln wieder im vollen Maße auf¬
genommen, während die Heilung selbst durch Schlingbewegungen nicht
gestört wird.
8. Die Rachenschleimhaut wird vom Kehlkopf abgelöst; der Kehl¬
kopf so freipräpariert, daß er senkrecht aufgestellt werden kann.
8 a. Mit Hilfe eines Katheters wird der Speichel per os ausgepumpt.
8 b. An beiden Seiten des Kehlkopfes applizieren wir einen Spann¬
faden, mit dessen Hilfe die vordere Rachenschleimhaut von der hinteren
abgehalten wird. Jetzt entfernen wir den Kehlkopf.
9. Der Assistent hält mit Hilfe der Fäden die Wundränder ab¬
gehoben, so daß kein Speichel in die Wunde kommen kann. Erst kommt
eine fortlaufende Naht, wodurch die Wunde geschlossen wird. Neue
Handschuhe und frische Nahtinstrumente. Mit geknoteten Nähten,
welche die Schleimhaut nicht perforieren, machen wir die zweite
Nahtetage..
10. Die Konstriktoren werden mit Knopfnähten vereinigt, wo¬
durch die quere Nahtlinie der Mukosa fest mit einem Muskelring um¬
armt wird.
11. Hautnaht, Jodoformgazetampon als Drainage.
In meiner ersten Publikation habe ich empfohlen, den M. mylo¬
hyoideus und den M. geniohyoideus nicht durchzuschneiden, sondern
an beiden Seiten bis zur Mitte ihrer sagittalen Länge von untersher frei
präparieren.
Es scheint mir doch besser, die Muskeln einfach quer durchzu¬
schneiden und eventuell die untere Partie zu entfernen, wodurch
eine Nekrose der Muskeln ausgeschlossen wird.
Nach der Heilung wird das Schlingen überhaupt nicht beeinträchtigt.
Ich muß Boenninghaus zugeben, daß die Durchschneidung
der ernährenden Gefäße das Absterben der Pharynxschleimhaut be¬
fördert, aber die Hauptursache ist beinahe immer die Spannung. Die
einzige Möglichkeit also, eine primäre Heilung erreichen zu können,
ist die sichere Vermeidung der Schleimhautspannung. Herr Boenning¬
haus schont also die vier unteren Zungenbeinmuskeln und meint, daß
er auch dadurch erreichen wird, daß nach der Operation das Zungen¬
bein und demgemäß die Schnittfläche hinter dem Zungengrund nicht
in die Höhe gezogen wird. Das ist aber absolut unrichtig. Wenn ein
gesunder Mensch schluckt, so wird in der Folge der Wirkung der oberen
Zungenbeinmuskeln das Zungenbein energisch in die Höhe gezogen;
aber nicht im geringsten wird diese Bewegung energischer, wenn die
unteren Zungenbeinmuskeln ganz entfernt werden; nämlich die unteren
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100 Brügge mann. Zur Frage des harten (echten) Nasenpapilloms.
Zungenbeinmuskeln sind überhaupt nicht stark angespannt und während
des Sehlingens sind sie ganz inaktiv, bloß nach dem Schlingen ziehen
sie das Zungenbein hinunter. Der M. hyothyreoideus verliert infolge der
Exstirpation des Kehlkopfes seinen unteren Stützpunkt und so wird er
überhaupt wirkungslos.
Die Vermeidung der Spannung wird also durch die Schonung der
unteren Zungenbeinmuskeln überhaupt nicht gefördert und natürlich
kann auch dadurch nicht eine primäre Heilung erwartet werden. Aber
ängenommen, daß diese unteren Zungenbeinmuskeln wirklich anta¬
gonistisch wirken würden und in diesem Sinne sie verhindern könnten,
daß das Zungenbein in die Höhe gezogen wird, so würde trotzdem die
infolge der Schleimhautnähte gewöhnlich entstehende Spannung nicht
im geringsten Grade vermindert. Die Spannung kann nur dann ver¬
mindert werden, wenn die Distanz zwischen den unteren und oberen
Schleimhautdefekträndem ganz ausgeschaltet wird, so daß die Ränder
auch ohne Nähte sich aneinander legen, wie das bei meinem Verfahren
der Fall ist. 0 m
*
Erwiderung auf obige Bemerkungen.
Professor Boenninghaus, welchem die vorliegende Arbeit des Herrn
R 6 t h i vor dem Druck von der Redakt ion vorgelcgt wurde, verzichtet auf eine
Erwiderung, da er glaubt, daß die eigentliche Tendenz seiner Arbeit von Herrn
R 6 t h i mißverstanden sei.
Zur Frage des harten (echten) Naspnpapilloms
(Papilloma durum nasi)’).
Berichtigung zu der Arbeit von Koller.
Von Piofcssor Dr. Brüggemann, Gießen.
K. schreibt: „Brügge mann u. a. scheinen nun eine weitere
Form von weichen Papillomen aufstellen zu wollen. ,M’an kam nun bald
dazu*, sagt er (B.) wörtlich, .diese (soeben erwähnten) papillomatösen
Entzündungshyperplasien der Nasenschleimhaut von den eigentlichen
weichen Papillomen abzutrennen, so daß der letztere Name von manchen
Autoren Vorbehalten wurde für seltener auftretende Neubildungen in der
Nase mit Zylinderepithelüberzug von auffallend blutreichem, meist
weichem papillomatösem Bau und zuweilen den angrenzenden Knochen
zerstörendem Wachstum*. Für diese zweite Form der weichen Papillome
führt nun Brüggemann einen instruktiven Fall in seiner Arbeit an.
Wenn man aber den histologischen Befund dieses Falles prüft, so kommt
man zur Überzeugung, daß wir es wieder mit keiner echten Geschwulst
zu tun haben“.
l ) Msehr. f. Ohrenhlk. 1921. Supplement band. Festschrift fürHajek.
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Fritz Hutter. Bericht über meine fachärztliche Tätigkeit in Sibirien. 10L
Darnach könnte man glauben, daß ich in meinem Fall die Wuche¬
rungen in der Nase für wahre Geschwülste „eine zweite Form von weichen
Papillomen“ hielte, während K. auf Grund meines histologischen Befundes
überzeugt ist, daß es sich dabei um keine echte Geschwulst handelt.
Hier liegt ein Irrtum vor. Ich zeigte gerade im Gegenteil, daß in meinem
Fall die papillomatösen Wucherungen in der Nase, die sonst weiche
Papillome genannt werden, mit wahren Geschwülsten nichts zu tun
haben und rein entzündlicher Natur sind. Ich stehe also auf demselben
Standpunkt in der Beurteilung meines Falles wie K. und gehöre nicht
zu denen, die eine zweite Form von weichen Papillomen aufstellen wollen.
Dies geht auch aus einem der Schlußsätze meiner Arbeit mit aller
Deutlichkeit hervor. Es heißt da wörtlich*): „Der erste Fall (den K.
heranzieht) ist eine rein entzündliche Neubildung, die mit echten Tumoren
nichts zu tun hat und für die der Geschwulstname weiches Papillom
deshalb ebenso wenig paßt, wie für die entzündlichen Hyperplasien der
unteren Muscheln, für die man diese Bezeichnung schon lange hat fallen
lassen.“
Bericht über meine fachärztliche Tätigkeit
in Sibirien 1 ).
Von Dr. Fritz Hntter.
Zufolge der Verteilung der ursprünglich für das November-
heft bestimmten Festschrift auf die beiden letzten Hefte des Jahr¬
ganges 1921 und einen eingeschalteten Supplementband, zu welcher
Änderung der Verlag mit Rücksicht auf die gerade in jenen Monaten
ganz exorbitant in die Höhe gegangenem Satz- und Druckkosten
gezwungen war, ist es zu einer höchst bedauerlichen Verstümmelung
des obigen Artikels gekommen. Indem Redaktion und Verlag dem
betroffenen Autor das lebhafteste Bedauern darüber aussprechen,
fühlen sie sich auch veranlaßt, die im Satz vorhandenen, aber im
Druck ausgelassenen Stellen des Artikels nachzutragen. Es folgt da¬
her der zweite Teil des Artikels, soweit er durch die Verstümmelung
unverständlich war, und die fehlenden Absätze.
Wenn ich zum Schluß noch einige Bemerkungen otologischen In¬
halts ankntipfe, so bitte ich um so mehr, dieselben vom Gesichtspunkte
des in der Kriegsgefangenschaft Geleisteten zu betrachten, als es sich
hierbei um ein mir a priori minder vertrautes Fach handelt. Die
Ausdehnung der spezialistischen Tätigkeit auf das Gebiet der Oto-
logie bedeutete fUr mich deren Vermehrung um ein Vielfaches, da
speziell nnter der einheimischen Bevölkerung die Ohrenleiden und
*) Zschr. f. Ohrenhlk. Bd. 69. S. If9.
l ) Siehe Msehr. f. Ohrenhlk. 1921, Supplementbund. Festschrift zum
■60. Geburtstag M. H a j e k s.
Monatsschrift f. Ohrcnheilk. ti Lar.-Tthin. 60 . Jahrg. g
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102
Fritz Hutter.
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das Bedürfnis nach Behebung derselben das rhinolaryngologische-
Gebiet bedeutend Uberwogen. Besonders die Zahl der vernachlässigten
chronischen Mittelohreiterungen 2 ), genuin oder nach Allgemein¬
infektionen, speziell Scharlach, entstanden, war absolut und relativ
sehr groß. Zahlen und Vergleiche mit der relativen Häufigkeit bei
nns stehen mir natürlich nicht zu Gebote, doch gestattet die Tat¬
sache der mangelhaften Behandlung und Pflege, die dort zu Lande
bei akuten Exanthemen und anderen schweren Infektionen Üblich
ist, den entsprechenden Schluß auf Häufigkeit und Schwere der
Ohrkomplikationen. Aber auch die chronischen katarrhalischen und
labyrinthären Prozesse waren stark vertreten. Wiederholt sah ich
letztere an Kindern und Erwachsenen, auch unter der bäuerlichen
Bevölkerung, wobei Anamnese oder somatische Symptome oft auf
die luetische Genese hinwiesen, wenn auch mangels einer Blutprobe
der letzte Beweis hierfür nicht zu erbringen war.
Unter den Kriegsgefangenen in Krasnojarsk, wo die veneri¬
schen Krankheiten sehr grassierten, konstatierte ich auch des öfteren
nach Salvarsan oder Neosalvarsan aufgetretenes Neurorezidiv. Es
kamen dort außer dem deutschen Präparat noch angeblich identische
Mittel von zweifelhafter Güte zur Verwendung, ein französisches
„Billon“ und ein japanisches „Arsaminol“. "Wir machten uns die
Erfahrungen bis 1914 zunutze und sahen die Erscheinungen nach fort¬
gesetzter Hg-Behandlung meist zurückgehen. In einem Falle blieb-
trotz alledem einseitige Taubheit zurück. Hervorzuheben wären noch
die häufig von mir und anderen Kollegen draußen beobachteten
Hörstörungen im Verlauf und der Rekonvaleszenz nach Fleckfieber.
Das Mittelohr war selten befallen, einmal sah ich Durchbruch einer
metastatischen Parotitis in den Meat. audit., auffallend oft aber kam
es zu Affektionen des N. acusticus bzw. cochlearis, die nebst der
Hörstörung durch Hyperästhesie für Töne und Geräusche und lang
anhaltende subjektive Geräusche ausgezeichnet waren. Diese Affektion
lief nach meinen und anderen Erfahrungen stets günstig ab.
Über die primitiven Hilfs- und die Ersatzmittel, die mir zu
Gebote standen, wurde schon gesprochen. Zum Glück konnte ich
gleich mit Beginn meiner Tätigkeit eine kleine c 2 -Stimmgabel auf¬
treiben. In Ermanglung der B ä r a n y sehen Lärmtrommel bin ich,
wenn es galt, ein Ohr auszuschalten, immer so verfahren, daß ich
den Finger, der den betreffenden Gehörgang fest verschloß, in stark
vibrierende Bewegung versetzte. Ich empfand dies als ganz gute
Aushilfe zur Feststellung einseitiger Taubheit; auch Simulanten wurden
so mitunter entlarvt. Therapeutisch suchte ich natürlich womöglich
konservativ auszukommen und hier, auf einem diesbezüglich noch
-) Fliegenmaden, oft zu mehreren, sowie Küchenschaben in der Tiefe des
mit fötidem Sekret erfüllten Gehörganges waren ein sehr häufiger Befund,
besonders bei Kindern. Einmal spülte ich eine Wanze aus dem Gehörgang.
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Bericht über meine fachärztliche Tätigkeit in Sibiren.
103
unbebauten Boden erblühten den täglichen Methoden der Otiatrie auch
begreifliche Erfolge. Nebst Politzer und Katheter verwendete ich
oft Hydrogen, Borsäure und Spiritus — besonders letzterer in Form
der Borspiritustropfen erfreute sich bei den Russen, wohl in Anbe¬
tracht des seit Kriegsbeginn herrschenden Alkoholverbotes, großer
Beliebtheit! In manchen Fällen chronischer Eiterung erwies sich die
Durchspülung des Mittelohres per Katheter und Tube sehr erfolgreich.
Zur Parazentese war ich relativ selten gezwungen, einigemal, zumeist
bei Kriegsgefangenen, war die Aufmeißelung des Antrums wegen
akuter Mastoiditis nicht zu umgehen. In einem Falle von Mastoiditis
nach Typh. abd. mit hohem Fieber bestätigte die Operation die auf
Pachymeningitis ext. gestellte Diagnose. Doch ging Patient trotz
breiter Eröffnung und Entfieberung nachträglich unter Dysenterie¬
symptomen zugrunde. Sonst habe ich an keinem Kriegsgefangenen
bedrohliche Komplikationen oder Exitus otogener Natur eintreten
gesehen.
Die letzten Tage meines fast 6jährigen Abenteuers verbrachte
ich in Petersburg. Wie mir der Aufenthalt in dieser noch immer
schönen Stadt die traurige Epoche der Kriegsgefangenschaft verklärt
hat, so hinterließ er in mir auch angenehme Eindrücke in fachärzt¬
licher Beziehung. Denn, wie schon erwähnt, bot mir die Petersburger
Universitätsklinik für Otolaryngologie, geleitet durch Prof. Wojaczek,
gastliche Aufnahme. Ich sah eine groß und zweckmäßig angelegte,
moderne Klinik. Zwar wurde über Mangel an Instrumenten infolge
der Absperrung von Deutschland geklagt, doch herrschte eine rege
operative Tätigkeit und es gab Gelegenheit, mehreren größeren Ein¬
griffen aus beiden Fachgebieten beizuwohnen. In Petersburg wurden
viel Larynxkomplikationen und -Stenosen nach Flecktyphus gesehen
die mitunter die Laryngostomie erheischten.
Wenn ich auf die geschilderte Periode ärztliche Tätigkeit
zurückblicke, so möchte ich den Wert derselben für mich und meine
ärztlichen Schicksalsgenossen dahin zusammenfassen: man lernte
mit geringen Mitteln auszukommen. Unsere Zeit krankt in ärztlicher
Beziehung an einem Übermaß von Mitteln und Apparaten. In der Ge¬
fangenschaft, wo man darauf verzichten mußte, hat mancher viel¬
leicht gelernt, diesen Mangel durch ein Plus an sorgsamer Behandlung
wettzumachen und in Zeiten sowie einem Lande, wo das Menschen¬
leben schon gar keine Rolle spielte, doppelt des ärztlichen Kardinal¬
satzes eingedenk zu sein: Primum non nocere!
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104
O. M a u t li n e r.
Zur Diagnose der Lues des inneren Öhres. (Nervus
octavus und Labyrinth.)
Klinische Studien 1 ) von Dr. 0 . Manthncr, Spezialarzt der mähr.-schles. Brudcrlack n
und Schulohrenarzt in Mähr.-Ostrau.
Ich habe seit dem Jahre 1914 zirka 400 Fälle von Lues des Ohres,
der Nase und des Kehlkopfes gesehen, davon 192 Fälle näher untersucht
und mich dabei überzeugt, daß trotz der Fortschritte auf dem Gebiete
der klinischen Erforschung der Lues des Nervus octavus und des Laby¬
rinthes im abgelaufenen Dezennium die Diagnose dieser Mitbeteiligung
nicht immer leicht wird. Dies betrifft hauptsächlich die Spätstadien der
Lues, sowohl der kongenitalen als der im mannbaren Alter erworbenen,
welche Stadien sich mitunter durch eine besondere Neigung zur Oligo-
symptomatologie und Monosymptomatologie auszeichnen.
Bestreben sich viele otologische Arbeiten der letzten Jahre, bei
sicherer Lues die Symptomenfülle seitens des Ohres (Nerv, Labyrinth)
zu beschreiben, auseinanderzuhalten und den Sitz zu ergründen, so zielen
meine Studien mehr dahin, überhaupt zu erkennen, ob die vorliegende
Innenohrerkrankung luetischer Natur ist oder nicht. Allerdings trifft
dieses Bedürfnis nach Feststellung dieser Basis mehr für die Spätstadien
der Lues zu, welchen Spätstadien auch die große Mehrzahl meiner
Beobachtungen angehört.
Überblicke ich die von mir beobachteten Fälle, so begegnen mir
praktisch-klinisch immer wieder drei Manifestationstypen, welche sicher
nur gewissen Manifestationsstadien entsprechen, welche natürlich auch
Übergänge und Kombinationen zeigen und sich unter Zuhilfenahme der
einschlägigen fremden Erfahrung der letzten Jahre entsprechend modifi¬
zieren und ergänzen lassen. Ich beginne bei der häufigsten:
1. Die beiderseitig fortgeschrittene Innenohrerkrankung. Hör-
verminderung zumeist auf unter 1 m Flüstersprache auf jedem Ohr,
hochgradig konzentrische Einengung des Tongehöres, Vestibularapparat
nur selten mitergriffen. (In nur 5*8% aller daraufhin untersuchten
Fälle war die Erregbarkeit für Kälte- und Drehreiz einseitig, in 2-9%
der Fälle beiderseitig erloschen. Ob symptomlose Ausschaltung erfolgt ist,
ist dabei nicht immer sicher zu erheben. Inkongruenz der Erregbarkeit
für den Drehreiz und den thermischen Reiz wurde in 7 m 3% gefunden.)
Der zu beschreibende Manifestationstypus ist ein eminentes Spätstadium,
welches in der Regel nicht \or Ablauf des ersten Jahrzehntes nach dem
Primäraffekt beobachtet wird und therapeutisch fast nicht mehr zu be-
x ) Teilweise mitgeteilt uuf der Versammlung Deutscher Hals-, Xasen- und
Ohrenärzte in Nürnberg 1921.
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Diagnose der Lues des inneren Olircs.
105
einflussen ist. Es gilt sowohl von der kongenitalen als auch von der später
erworbenen Lues, der schließliche Ausgang — die völlige Ertaubung —
tritt unter Umständen auch erst 30 Jahre und darüber nach der Infektion
ein. Nur ganz -vereinzelt begegnet man diesem Typus in früheren Zeit¬
abschnitten nach der Infektion (siehe beispielsweise Fälle X 3497 nach
Salvarsan und XIV 5147).
2. In die zweite Manifestationsgruppe teile ich jene Fälle ein, welche
durch die minderfortgeschrittene Innenohrerkrankung beider Ohren,
seltener eines Ohres repräsentiert sind. Häufig folgt das zweite Ohr später
nach. Man begegnet dieser minder fortge^hxittenen Innenohrerkrankung
mitunter schon in der Frühperiode, häufiger in der Früh- und Spätlatenz.
Hierher gehören auch jene Fälle von Innenohrerkrankung auf kongenitaler
Basis, bei welchen beispielsweise das eine Ohr ohne Behandlung noch im
dritten Lebensjahrzehnt, sporadisch auch im vierten Lebensjahrzehnt
noch zirka 3 bis 4 m Flüstersprache aufweist. Bisweilen ist dieses Getrennt¬
marschieren beider Ohren und auch das langsame Fortschreiten der
Ausdruck noch möglicher günstiger therapeutischer Beeinflußbarkeit. Die
Erscheinungen seitens des Vestibularapparates treten namentlich bei
jenen Fällen, wo die Innenohrerkrankung Jahre bis zur Erreichung des
beschriebenen Grades gebraucht haben, in den Hintergrund. Doch findet
man auch bei kongenitalen Fällen hie und da einen Spontannystagmus
anscheinend nichtlabyrinthärer Veranlassung. Dieser Manifestacionstypus
ist zumeist, aber nicht durchgehends, der Vorläufer des zuerst be¬
schriebenen Manifestationsstadiums.
3. Der dritte Manifestationstypus wird gebildet durch jene weit
kleinere Gruppe von Fällen, bei welchen der Vestibularis in den Vorder¬
grund der Erscheinungen tritt. Schwindel, Nystagmus, Gleichgewichts¬
störungen, Scheindrehung der Gegenstände, Gangstörungen usw. ver¬
anlassen die ohrenärztliche Untersuchung. Dem eigentlichen Anfall
gehen mitunter Vorstadien voraus, welche der Ohrenarzt nicht immer
zu Gesicht bekommt. Das Hörvermögen bleibt durch den Anfall in vielen
Fällen unberührt oder nur vorübergehend vermindert (mitunter sich nur
aufs Tongehör erstreckend); dagegen sind bisweilen andere Hirnnerven
an dem Anfalle beteiligt. Meine Fälle zeigen, daß diese Anfälle bzw. Aus¬
fälle ebenso in den Spätstadien der kongenitalen und der später erworbenen
Lues Vorkommen können, sowie auch in den Frühstadien, und daß sie
seltener zu einer schon bestehenden Hörstörung hinzutreten, häufiger
bei ihrem Auftreten mit einer solchen verbunden sind.
Ich bin mir dessen bewußt, daß diese drei aus meinen Beobachtungen
abgeleiteten Manifestationstypen auf Vollständigkeit keinen Anspruch
erheben dürfen und keineswegs als eine erschöpfende Darstellung aller
möglichen klinischen Kombinationen und Zeichen seitens der luetischen
Innenohrerkrankung betrachtet werden dürfen. Vervollständigen wir
aber unsere eigenen Erfahrungen aus den umfangreichen Arbeiten von
Alexander, 0. Beck, Benario, Gennerich, Habermann-
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106
O. Maut h n e r.
Lund, Mayer, Vossu. a.,so belehren wir uns noch in mancher Hinsicht
über die luetische Neuritis, Neurolabyrinthitis bzw. über die Neuro-
rezidive und Meningorezidive, über die Erkrankung des lymphokinetischen
Apparates usw., allein zur Bestimmung der luetischen Ätiologie vom
Ohre aus reichen alle Funktionsbilder und Zeichen nicht aus, weil sie
keineswegs eindeutig bestimmt sind. Welche verschiedene Basis kann
beispielsweise die beiderseitig fortgeschrittene Innenohrerkrankung haben ?
Nicht einmal das Funktionsbild der sogenannten Neurorezidive und die
apoplektiforme totale Ausschaltung des gesamten Labyrinthes ist an
und für sich pathognomonisch eindeutig für Lues auris
internae.
Ebensowenig sind es einzelne Symptome, wie die unverhältnis¬
mäßig stark verkürzte Kopfknochenleitung, Ausfälle im Tonrelief, Über¬
und Untererregbarkeit des statischen Labyrinthes, auch nicht die mecha¬
nische Erregbarkeit (Alexander -IIennebertsches Symptom) und die
Inkongruenz der Qualitäten bei der Prüfung der Erregbarkeit des Laby¬
rinthes (z. B. Drehreaktion aufgehoben, kalorische Reaktion vorhanden
oder umgekehrt).
Denn sowohl das Fistelsymptom als auch die Inkongruenz zwischen
der thermischen Reaktion und der Drehreaktion wurde bei anderer Grund¬
lage ebenfalls beobachtet. Diese Inkongruenz wurde beispielsweise auch
nach Vergiftungen konstatiert (Gasvergiftung - R u 11 i n, Jodoform¬
vergiftung -Urbantschitsch), doch glaube ich, daß sie noch bei
anderer Ätiologie sich nachweisen lassen wird: bei Trauma, worauf schon
Rauch hingewiesen hat, jedoch auch bei chronischen Mittelohr¬
eiterungen, bei Arteriosklerose und nach Meningitis epidemica. Einen
solchen Fall nach Meningitis epidemica glaube ich nun tatsächlich be¬
obachtet zu haben:
Vorgeschichte und Anamnese: P. X. X 3430. Xaftali H. T.,
33 Jahre alt, aus Halicz in Galizien, untersucht am 17. VII. 1917. Mit dem Kranken,
der nicht hört, wird die Anamnese schriftlich aufgenommen und vom anwesenden
Bruder separat (in Abwesenheit des Patienten) neuerdings erhoben. Übereinstimmend
sagen beide aus, daß in der Familie niemand taub, schwerhörig oder geisteskrank
gewesen sei. Beide Eltern sind hochbetagt und gesund. Der Untersuchte hat zwei
gut sehende und gut hörende Kinder. Er war im Älter von 12 Jahren einige Wochen
bettlägerig mit wechselnd hohem Fieber, Krämpfen der Beine und Zuckungen im
Gesicht, war zeitweise ohne Besinnung und konnte den Kopf nicht rühren. Starke
Kopf- und Rückenschmerzen, zeitweilig Erbrechen. Die Ärzle konstatierU n .»Hirn¬
hautentzündung“. Im Anschlüsse an die Krankheit wurde er taub und ein Ohr begann
zu fließen.
Objektiv: R. O.: Mäßige leicht fötide Sekretion aus dem Mittelohr.
L. O.: Chronisch-katarrhalisch verändertes Trommelfell. Beiderseitige Taubheit.
Kein Sp. X. Bei fortgesetzter Drehung (20 bis 30 Umdrehungen) sowohl nach rechts
als auch hach links höchstens einige Schläge. Keine typische Reaktion. Linkes Ohr
kalorisch unerregbar, rechtes Ohr deutlich kalorisch erregbar (relativ rasches Ein¬
treten eines zirka eine Minute dauernden mittelschlägigen, nach links gerichteten
Nystagmus). Kein Fistelsymptom. Wa. negativ, auch nach Provokation.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA j
Diagnose der Lues des inneren Ohres.
107
Diagnose und Epikrise: Beiderseitige Ertaubung nach Meningit's
-epidemica. Bleibende Unerregbarkeit für Dreh- und Kältereiz im linken Labyrinth.
Rechtes statisches Labyrinth für Drehung unerregbar, kalorische Reaktion erhalten.
Eine Anamnese wie die beschriebene ermächtigt nach mehreren Autoren,
so z. B. auch nach T h i e m i c h, zur Diagnose epidemischer Meningitis, wozu auch
noch das Funktionsbild im höchsten Grade berechtigt. Allerdings wäre auch der
Fall denkbar, daß infolge der Mittelohreiterung das ursprünglich freibleibende rechte
Labyrinth für den Drehreiz unerregbar wurde. Gegen Lues spricht die Anamnese
und das Verhalten der Wassermannreaktion und das Funktionsbild, bzw. Ent¬
stehen und Verlauf.
Die Inkongruenz der thermischen und kalorischen Reaktion im
rechten Ohre ist also im vorliegenden Falle mit größter Wahrscheinlichkeit
auf epidemische Meningitis zurückzuführen. Die Inkongruenz zwischen
der galvanischen Reaktion und den übrigen Reaktionen wurde neuerdings
von 0. B e c k wieder zu lokalisatorischen Zwecken bei kongenitaler
Ohrlues benutzt. Mein Studium hat sich auf diese Art der Inkongruenz
nicht erstreckt. Jedoch möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen,
daß gerade bei Ertaubung bei epidemischer Meningitis auch histologische
Befunde vorliegen (A11) und daß bei systematischer Untersuchung auf
diese Inkongruenz vielleicht auch Rückschlüsse auf die Innenohrlues
sich ergeben könnten, und zwar in bezug auf den Sitz der Erkrankung.
Die besprochene Inkongruenz der Drehreaktion und der thermischen
Reaktion aber ist nach dem, was vorher gesagt wurde, weder patho-
gnomonisch eindeutig, noch auch bei Ohrsyphilis so häufig, daß sie oft
zur Stütze der Diagnose herangezogen werden könnte.
Wir sind also in der Regel auf das Zusammenlegen mehrerer Ohr¬
symptome angewiesen und nur bei einer Minderzahl der Fälle imstande,
die Diagnose Lues auris internae vom Ohre aus zu stellen und dies auch
nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Um aber bei der großen
Mehrzahl der uns begegnenden Fälle der vorhin aufgestellten Mani¬
festationstypen die Diagnose Lues auris internae mit größtmöglichster
Wahrscheinlichkeit stellen zu können, werden wir außer den genannten
Ohrsymptomen andere diagnostische Hilfsquellen systematisch er¬
schließen müssen.
Als solche Quellen 2 ) kommen außer einer sorgfältigen Anamnese 3 )
in Betracht:
I. die Kenntnis der luetischen Manifestationen und ihrer Residuen
überhaupt,
*) Der Spirochätennachweis kommt für die symptomenarmen Fälle der Späl-
stadien kaum in Betracht. Es sei denn, daß jemand aus dem Grunde einer Efftores-
zenz, dem Punktat einer Drüse usw. gelegentlich den Nachweis versuchen wollte.
*) Die Frage nach dem Abort ist namentlich bei dem Verdachte auf kongenitale
Lues nie zu unterlassen. Aus unseren Aufzeichnungen sieht man auch, daß die Regel
nach Kassowitz : Abortus, lebende syphilitische Frühgeburt, Leben des Neu¬
geborenen mit syphilitischen Erscheinungen, nicht immer eingchalten werden muß
(siehe Hochsinger und Zappert) und daß auch schon die große Anzahl
frühzeitig verstorbener Kinder in ein und derselben Familie Anlaß gibt, weiter nach
Lucs zu forschen. Siehe beispielsweise die Fälle XIII, 4934, 4998, III. 447, 467.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
108
O. Maut h n e r.
II. die Serumreaktion, die provozierte Serumreaktion (im be¬
schränkten Maße auch die Liquoruntersuchung),
III. die Hilfe ex juvantibus.
I. Was zunächst die erste Hilfsquelle anbelangt, so ist ihre Kenntnis
so allgemein, daß ich nur auf die Kapitel einzugehen habe, auf
welche das Studium meiner Krankengeschichten hinweist. Hervor¬
zuheben wäre zunächst, daß ein prinzipieller Unterschied zwischen der
kongenitalen Lues und der später erworbenen nicht besteht und daß
auch klinisch bezüglich der Spätprozesse eine weitgehende Überein¬
stimmung herrscht.
Die Hautaffektionen der Syphilis hereditaria tarda unterscheiden
sich sogar in keiner Weise von den tertiärsyphilitischen Affektionen der
akquirierten Lues (H o c h s i n g e r), ebenso werden beispielweise auch
meningitische Prozesse, Gehirnlues, Tabes und Paralyse bei der kon¬
genitalen Lues beobachtet. Klinische Unterschiede werden natürlich
beiderseits bestehen, jedoch keine prinzipiellen. ,,Das Kindesalter“ —
schreibt Nonne — ,,bringt es mit sich, daß der Einfluß der Syphilis
auf das Nervensystem in den einschlägigen Fällen noch einwandfreier
sich dokumentiert als beim Erwachsenen, weil beim Kind die Häufung
anderer ätiologischer Schädlichkeiten (Alkohol, Trauma, körpeiliche und
physische Überanstrengung) in Fortfall kommt. Das Kindesalter bringt
es aber auch mit sich, daß die Erkrankungen des Zentralnervensystems,
sich als besonders deletär darstellen, w r eil an erster Stelle in der Ent¬
wicklung befindliche Organe betroffen worden.“
Der Unterschied, daß die verschiedenen Organe in der Entwicklung
betroffen werden, bedeutet aber eine Häufung von zurückbleibenden Erken¬
nungszeichen gegenüber der später erworbenen Syphilis, es ist nicht nur
die H u t c h i n s o n sehe Trias, die übrigens häufig überhaupt fehlt r
es sind Entwicklungsstörungen überhaupt, Skelettveränderungen, Ent¬
zündungsresiduen usw., und solche Erkennungszeichen brauchen W’ir.
um die Diagnose luetische Innerohrerkrankung zu erkennen und zu stützen.
Aber auch bei der Untersuchung der später erworbenen Syphilis müssen
wir auf Erschließung von Erkennungszeichen dringen. Es worden beispiels¬
weise Augenmuskelstörungen, Pupillenanomalien oder Himnervenparesen
oder Zeichen noch frischer Entzündungen sein, so daß wir den Begriff
der Erkennunszeichen, also für beide Eventualitäten im Sinne von noch
bestehenden charakteristischen Manifestationen oder Residuen nach
solchen fassen dürfen, und in der Tat hat man ja in der Periode vor der
Serumuntersuchung dieses Erkennungszeichen weit häufiger heran¬
gezogen als gegenwärtig, wonngleich den meisten \on ihnen unumstößliche
Beweiskraft nicht zuzuschreiben ist. (Als absolut beweiskräftig beschreibt
H o c h s i n g e r für die kongenitale Lues beispielsweise radiäre Narben
an den Mundlippen, wobei die Lippen selbst in toto heller und gefältelt
erscheinen.) Trotzdem werden wir durch das Zusammenlegen einiger
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UMIVERSITY OF CALIFORNI^
Diagnose der Lues des inneren Olires.
100
Zeichen bisweilen schon von der Vermutung zur Wahrscheinlichkeit
fortschreiten können. Eine willkommene Ergänzung bei Verdacht auf
kongenitale Lues bietet dabei die Untersuchung der Geschwister 4 ). Die
Wahrscheinlichkeitsdiagiose der Lues auris internae ist also auf diese
Art in einer Anzahl von Fällen möglich, jedoch dürfen wir nicht in den
Fehler verfallen, in solchen Fällen auf andere Hilfsquellen zu verzichten,
welche die Diagnose sichern helfen (Wassermannreaktion usw.). So
hat beispielsweise Stein in seiner schönen Arbeit Gehörorgan- und
Konstitution für den Nachweis der hereditär-degenerativen Art der
erhobenen Innenohrerkrankung bzw. der „Organminderwertigkeit“ eine
Reihe von Zeichen „degenerative Stigmen“ in seinen Krankengeschichten
angeführt und dieselben bzw\ ihr gehäuftes Auftreten mitunter für so
beweiskräftig angesehen, daß er selbst in zwingenden Fällen auf die
Wass,ermannreaktion verzichtete. Und doch finden sich viele derartige,
von ihm und anderen Autoren als „Entartungszeichen“ angesprochene,
auf Veränderung des mütterlichen oder väterlichen Keimplasmas zurück¬
geführte Zeichen, also antekonzeptionelle Zeichen, auch in meinen
Krankengeschichten von serologisch erhärteter Lues auris internae 5 ).
Ich aber muß viele dieser Zeichen mit Rücksicht auf ihre stete Wieder¬
kehr und Häufung bei kongenitaler Lues als kongenital-luetisch — also
postkonzeptionelle Zeichen — an sprechen. Merkwürdigerweise finde ich
hingegen gerade in seinen 29 Fällen von „Otosklerose“, welche doch
ebenfalls als hereditär-degenerative Erkrankung aufgefaßt werden muß,
Fälle, wo er die Serumuntersuchung nicht unterließ und den positiven
Wassermann ausdrücklich hinzubemerkte. Also fehlerhafte Keimanlage
plus postkonzeptioneller Infektion ?
Wie dem auch immer sei, die „Entartungszeichen“ reichen allein
nicht hin, die Diagnose hereditär-degenerative Innenohrerkrankung zu
sichern und die Notwendigkeit zur Heranziehung anderer Hilfsquellen
erscheint geboten. Aber auch unsere „Erkennungszeichen“ werden nicht
immer beweiskräftig genug sein, die Diagnose luetische Innenohrerkrankung
mit Sicherheit zu stellen. Bevor ich jedoch auf die Heranziehung anderer
Hilfsquellen zur Diagnose weiter eingehe, möchte ich noch einigen Tat¬
sachen Raum geben, welche mir bemerkenswert erscheinen.
Ich habe in vielen Fällen die Nase mituntersucht und gefundene
Veränderungen vermerkt, umgekehrt habe ich bei Untersuchungen von
Nasenlues immer das Innenohr mituntersucht. Über das Verhalten beider
Manifestationen zueinander orientieren wir uns vielleicht am besten bei
der kongenitalen Lues. Bei derselben steht der luetische Säuglingsschnupfen
in der Tabelle der Häufigkeitsgrade der kongenital-luetischen Symptome
an erster Stelle. Der Säuglingsschnupfen befällt nach Z a p p e r t za. 70%
der Fälle kongenital-luetischer Säuglinge und doch findet man bei der
*) Vgl. das Beispiel von Kay (Literaturverzeichnis).
*) Fälle IX 3210, IX 3204, XIII 4740, IX 3200, XIII 4744, XIII 4761 u. a.
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110
O. Mau t h n e r.
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Innenohrluesder Spätperiode nur in 30% der untersuchten Fälle deutliche
Folgeerscheinungen nach überstandener Nasenlues, wie chronisch¬
atrophische Rhinitis mit Borkenbildung, Ratifikation der Muscheln,
Septumperforationen, Gummen mit Rhinitis bzw. Polyantritis oder
scheinbar isolierte Knochenerkrankungen im Bereiche des Gesichts¬
schädels, Narben im Nasenrachenraum usw. Umgekehrt finde ich in
anderen als den hier zusammengestellten Fällen von Spätlues solche
Nasen Veränderungen, wie hier beschrieben, jedoch nur in etwa 5% der
Fälle von Innenohrerkrankungen. Diese können sich allerdings noch zu
einem späteren Zeitpunkte eiustellen.
Daraus scheint zunächst zu folgen, daß bei kongenitaler Lues die
Nasenlues auffallenderweise nicht immer zu jenen makroskopischen
Veränderungen führt, die wir zur Stütze der Diagnose „Innenohrlues“
heranziehen können und zweitens, daß der bleibende Innenohrprozeß —
etwa so, wie er sich in meinen Manifestationsstadien I und II repräsen¬
tiert — gegenüber jenen Veränderungen in der Nase in der Regel der
spätere ist. Wir können aber immer noch in einem beträchtlichen Prozent¬
satz (30%) die Veränderungen der Nase zur Diagnose der Innneohrlues
heranziehen. Verstärkt wird diese Untersuchung noch durch Abweichungen
der äußeren Nase von der Norm bzw. durch Residuen am Gesichtsskelett
überhaupt; natürlich dürfen wir dabei nicht immer Sattelnasen, Bock¬
nasen und Lorgnettennasen hoffen, vielmehr müssen wir uns mit geringen
Veränderungen zufrieden geben, w r ie die Andeutung von Kleinnasen,
Plattnasen, Protuberanzen der Stirn- und Scheitelbeinhöcker usw.
Nicht vergessen werden wir in Hinkunft auch auf die röntgeno¬
logische Untersuchung des Skelettes, der Extremitäten des Herzens
und der Aorta, welche Untersuchungen nach den neuesten Fortschritten
geeignet erscheinen, in weiterem Maße als bisher zur Stütze der Diagnose
herangezogen zu werden. Von der Hutchinson sehen Trias ist bekannt,
daß sie in vielen Fällen zweifelloser kongenitaler Lues fehlt oder unvoll¬
ständig ist. Diese Unvollständigkeit bezieht sich sow r ohl auf die Residuen
nach Keratitis als auch auf die Beteiligung der Zähne. Es finden sich auch
keineswegs immer jene bekannten halbmondförmigen Enden der oberen
Schneidezähne, sondern im steten Wechsel zahllose andere Anomalien
der Bildung, Kerbung, Stellung bzw\ Lagerung der Zähne und der Kiefer,
welche Anomalien scheinbar immer wieder neu entdeckt werden, aber
in ihrer Mehrzahl schon seit jeher beschrieben worden sind (F o u r n i e r,
Fränkl, Frolowu. a.). So finde ich in meinen Fällen nicht selten
Anomalien des Bisses bzw. der Stellung des Unterkiefers zum Ober¬
kiefer beim Zusammenbeißen (z. B. Fall XIII, 4744).
Nicht verzichten sollten wir auf eine neurologische Untersuchung.
Diese und besonders ihre Wiederholung deutet mitunter an. daß von der
Latenz zur Manifestation oft nur ein Schritt ist. Die Erfahrungen der
Pathologie lehren überdies, daß das Gehörorgan ebensowenig vom Rücken¬
mark und vom Gehirn und deren Hüllen zu trennen ist wie das Auge.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
111
Diagnose der Lues des inneren Ohres.
U t h o f f fand an snnem Charitömaterial bei Hirnlues nur 15% der Fälle
ganz frei von irgendwelchen Augenstörungen. Analog werden auch
Störungen im Bereiche der Gehörorgane bei Himlues bei einem großen
Prozentsätze zu erwarten sein. Das Stadium der Frühmeningitis und der
Neurorezidive bietet häufig einen nicht zu unterschätzenden Beleg.
Bezüglich der Metalues führe ich die Untersuchungen von Alexander
an, der bei Tabes dorsalis in 41% und bei progressiver Paralyse in 70%
der Fälle Erkrankungen des Oktavus fand.
Aber nicht darauf kommt es hier an, sondern auf die Frage: Wie
oft kann uns in den symptomenarmen Stadien der Lues bei nachgewiesener
aber ätiologisch nicht klargestellter Innenohrerkrankung die neurologische
Untersuchung ohne Liquoruntersuchung mit verwendbaren Symptomen
dienen? Eine strikte Antwort in Ziffern oder Prozenten ist weder nach
meinen Aufzeichnungen, noch nach den otologischen Krankengeschichten
anderer Arbeiten (Alexander, Becku. a.) möglich, da diese Arbeiten
nicht zu diesem bestimmten Zwecke angelegt sind und die Ohrdiagnose
unter wiederholter Zuhilfenahme der Serumuntersuchung erfolgte. Daß
aber gewisse Zeichen, wüe z. B. der anamnestisch erhobene, verschieden
charakterisierte Kopfschmerz, Schwindel, Neuralgien, leicht zu übersehende
Paresen, Störungen der Reflexerregbarkeit, ein „neurasthenisch- vaso¬
motorischer Symptomenkomplcx' - oder Veränderungen der Psyche usw.
ganz abgesehen von den so häufigen Veränderungen im Bereiche des
Optikus, die Lues cerebrospinalis verraten, läßt sich auch aus meinen
Erfahrungen ersehen. Die Kombination einzelner Hirn- und Ohrzeichen
führt somit in den genannten Stadien von der Vermutung manchmal
wieder zur Wahrscheinlichkeit.
Eine Kombination möchte ich aber noch besonders erwähnen:
Das ist die bei der Manifestationsgruppe I und II nicht selten zu findende
Kongruenz des gesteigerten Blutdruckes und der Übererregbarkeit des
Vestibularis bei zu erschließenden zerebralen Gefäßveränderungen des
Gehirns, eine Kombination, welche auch bei gewissen Neurosen nach¬
zuweisen ist. Nach Kombinationen zu suchen, zwängt uns nicht nur die
veränderte Erregbarkeit, sondern manchmal auch der Spontannystagmus,
namentlich dann, wenn er als nichtlabyrinthär ausgelöster angesprochen
werden muß (vgl. Fall XII 4393 und XII 4557).
II. Wir kommen zum zweiten Punkt unserer diagnostischen Hilfs¬
quellen. Wir haben gesehen, daß in einer Reihe von Fällen die Diagnosen¬
stellung auch ohne Blutüntersuchung mit mehr oder minder großer
Wahrscheinlichkeit gelingt, daß aber die Serumuntersuchung gemeiniglich
nicht entbehrt werden kann. Daß diese nicht so oft positiv ausfällt, als
wir erwarten, ist bekannt. Namentlich in den Spätstadien der Lues,
die sich häufig als latent oder als mono- bzw. oligosymptomatisch mani¬
festieren.
Digitizeit by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
112
O. Maut li n e r.
Nach Müller ist die
sekundäre Lues
komplett positiv.94 3%
mittelstark.3 - 6 %
schwach positi\.1'5%
negativ in.0-6 %
die tertiäre Lues
komplett positiv . . . .94'5%
mittelstark.30%
schwach positiv.10%
negativ in.0-6%
Lues latens (Frühlatenz)
komplett positiv.47 4 %1 po.-u)
inkomplett positiv.21*3% / ' ‘
negativ.31-3%
Lues latens (Spätlatenz)
komplett positiv.
inkomplett positiv . . . .
negativ.
180% 1
17-0% (
6*5%
350%
Weiters kennen wir die sogenannten „Schwankungen“ der Serum¬
reaktion, z. B. in den Frühperioden und beim Auftreten der Neuro-
rezidive, was für uns von einiger Bedeutung ist. Da nun die große Mehr¬
zahl der beobachteten Fälle und überhaupt die große Mehrzahl der ohren¬
ärztliche Hilfe aufsuchenden Fälle den symptomenarmen oder latenten
Spätstadien bzw. der Syphilis hereditaria tarda angehört, so dürfen wir selbst,
wenn wir den Durchschnitt aus den Zahlen der Früh- und Spätlatenz
ziehen, nur in etwa der Hälfte der Fälle einen positiven Wassermann
bekommen. Wir wissen, daß wir auf Grund eines negativen Wassermann,
auch wenn er wiederholt angestellt ist, die syphilitische Natur einer
Ohrenerkrankung nicht ablehnen dürfen, gleichwohl können wir in vielen
Arbeiten, wo kasuistische Fälle mitgeteilt sind, feststellen, daß viele
Autoren — und ich nehme mich selbst nicht aus —
wenn sie über traumatische, über hereditär-dege-
nerative oder auf Allgemeinschädigungen usw.
basierende Innenohrerkrankungen berichteten,
mit einer oder mehreren negativen Serumreak¬
tionen den Einwand einer möglicherweise lue¬
tischen Genese zu entkräften versuchten.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMVERSITY OF CALIFORM
Diagnose der Lues des inneren Ohres.
113
Dürfen wir aber gegenwärtig, wo wir speziell die syphilitische
Natur der Innenohrerkrankung feststellen wollen, uns mit einem nega¬
tiven Wassermann zufrieden geben? Ich habe weiterzugehen versucht.
Gennerich hat im Jahre 1910 zuerst berichtet, daß er bei nega¬
tiver Phase der Serumreaktion durch eine Salvarsaninjektion eine positive
Schwankung der Serumreaktion erzielen konnte. Gennerich hebt
weiter hervor, daß er nicht nur in der Frühperiode, sondern auch in
der Frühlatenz ungefähr bis zum 8. Infektionsjahre mit der Salvarsan-
provokation befriedigende Ergebnisse gehabt hat. „In hochgradig ein¬
geschränkten Fällen, besonders jenseits des 10. Tnfektionsjahres“ —
schreibt Gennerich — „fehlt es indessen häufig an Reaginen, so daß
mit einer positiven Schwankung der Serumreaktion in absehbarer Zeit
oder überhaupt nicht zu rechnen ist. Eine ausgiebigere Salvarsanprovo-
kation (3 bis 4 Injektionen) äußert sich aber manchmal noch im Sinne
einer Provokation der restlichen Infektion.“
Seither ist von Syphilidologen und auch von anderen Fachärzten
wiederholt provoziert worden, nicht nur mit Salvarsan, sondern auch
mit Quecksilber, mit fiebererregenden Mitteln, wie Milchinjektionen
(S c h e r b e r), Typhusantitoxin, Tuberkulin usw.
Ich habe nun in meinen Fällen von Innenohrerkrankungen eben¬
falls zum Hilfsmittel der Provokation gegriffen und da Salvarsan bei
Patienten, die sich nur ohrenkrank fühlen, sofort anzuwenden mir un¬
tunlich erschien, habe ich zunächst mit einfacheren Mitteln provoziert.
Auch kam es mir nicht darauf an, die richtige Diagnose innerhalb
48 Stunden zu stellen, in der Mehrzahl meiner Fälle versuchte ich eine
Provokation mit Jodkali, dem ich ein gefäßerweiterndes Mittel, wie
Antipyrin, beisetzte (nach Z u m b u s c_h), oder indem ich Diuretin
gleichzeitig verabfolgte. Nach zirka 8 bis 14 Tagen der Verabreichung
schloß ich fin einigen Fällen bloß) eine Quecksilberinjektion an. In einigen
Fällen provozierte ich mit Tuberkulomuzin (Velen? in sky) sub¬
kutan oder mit Mirjon intramuskulär, einem Präparat, welchem in letzter
Zeit besondere provokatorische Eigenschaften zuerkannt weiden und
welches die Jodwirkung erst an Ort und Stelle der syphilitischen Residuen
entfalten soll. Nur in einem Falle habe ich intravenös mit der Dosis 1
Neosalvarsan provoziert.
Es ist selbstverständlich, daß sich diese Anordnungen noch ver¬
schiedentlich vermischen und steigern lassen und daß durch Fortsetzung
der Provokationsversuche vielleicht die zweckmäßigste Art der Provo¬
kation einer seropositiven Reaktion sich wird finden lassen.
So habe ich in 96 Fällen seropositiver Reaktionen in 14 Fällen
diese seropositiven Reaktionen durch Provokation erzielt, d. i. in etwas
weniger als in 1 / 7 dieser seropositiven Fälle und in fast der Hälfte der
Fälle, die ursprünglich negativ waren (32), und zwar waren einige dieser
14 Fälle vorher auch 2mal und 3mal serumnegativ. Hierbei ist noch
hervorzuheben, daß ich nicht alle ursprünglich negativen Fälle einer
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
114
O. Mauthne r.
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Provokation unterzogen habe. Es kann sich demnach, da ich die Fälle
des Primär- und Sekundärstadiums und auch die Neurorezidiven in
Abzug georacht habe, nicht um sogenannte auch ohne Provokation
auftretende Schwankungen gehandelt haben.
Bemerken will ich noch, daß die serologische Untersuchung an
der staatlichen bakteriologischen Untersuchungsstelle in Olmütz (Vor¬
stand Prof. Dr. Berka) vorgenommen wurde und daß ich — um ganz
sicher zu gehen — häufig auch Kontrolluntersuchungen an anderen
Stellen vornehmen ließ. Zu erwähnen ist noch, daß in einigen Fällen
nach Provokation zuerst schwache Hemmung eintrat und erst später
der Umschlag in die einfach positive oder mittelstark positive Wasser¬
mannreaktion erfolgte. Die Bedeutung für die Diagnose der luetischen
Innenohrerkrankung ist ohne weiteres klar:
1. In den ursprünglich serumnegativen, nach Provokation serum-
positiven Fällen von Innenohrerkrankung, wo Stigmen oder Erkennungs¬
zeichen vorliegen, kann die Diagnose luetische Innenohrerkrankung mit
einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gestellt werden;
2. In den ursprünglich serumnegativen, nach Provokation serum¬
positiven Fällen, wo keine Stigmen oder Erkennungszeichen vorliegen,
kann die Diagnose luetische Innenohrerkrankung mit der größten Wahr¬
scheinlichkeit gestellt werden.
Beck hat bei Patienten nach dem 40. Lebensjahre, die labyrinthäre
SchwerhörigKeit zeigten, in 33% der Fälle Lues nachgewiesen, Busch
in 52% seropositive Reaktion erzielt. Diese Zahlen werden sich nach
Anwendung der Provokation noch um ein bedeutendes erhöhen. Ich
bekomme rechnerisch eine weit größere Zahl, jedoch läßt sich meine
Kasuistik — weil sie nicht zum gleichen Zwecke angelegt ist — zur Er¬
hebung einer einwandfreien Prozentzahl nicht verwenden;
3. Umgekehrt kann die luetische Natur einer Innenohrerkrankung
auch auf Grund mehrerer negativer Serumreaktionen nicht abgelehnt
werden; dies trifft selbstverständlich auch für die Erkrankungen anderer
Organe zu; sowohl für den Einzelfall als auch für die Reihenunter¬
suchungen, wenn auch bei Reihenuntersuchungen die große Anzahl
der serumnegativen Resultate die Wahrscheinlichkeit der nichtluetischen
Natur vergrößert. Hierher gehören die Untersuchungen über Otosklerose
und Ozaena und speziell die Arbeiten von Arzt und Großmann,
0. Beck, Uffenorde und Zange. Die Provokation einer sero¬
positiven Reaktion ist so wie die Liquoruntersuchung imstande, die
Wahrscheinlichkeit der nichtluetischen Natur zu verringern, weshalb
alle einschlägigen Arbeiten in dieser Richtung revidiert werden müssen.
Allerdings ist die Provokation noch keine ausgebaute Methode,
aber sie ist von ätiologischer und praktischer Bedeutung, denn die auf¬
fällige Tatsache, daß wir mit relativ einfachen Mitteln die Zahl der serum-
negativen Fälle von Innenohrerkrankung etwa um die Hälfte vermindert
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Diagnose der Lues des inneren Olnes.
115-
haben, spricht nicht nur gegen die Unterlassung der Provokation, sondern
für häufige Nachahmung gerade auch von otologischer Seite.
Eine positive Serumreaktion — ob wir sie nun provokatorisch
oder von vornherein bekommen haben — sagt uns allerdings nichts über
die Beschaffenheit der Meningen und des Gehirnes selbst. Aber nur dann,
wenn wir bei Feststellung der Art der Innenohrerkrankung auch zugleich
über das Verhalten der Meningen und des Gehirnes Aufschluß haben
müssen, werden wir zur Liquoruntersuchung schreiten.
Zur Ergründung der luetischen Natur einer Innenohrerkrankung
aber wird der Ohrenarzt die Liquoruntersuchung anzuwenden nur selten
gezwungen sein. Das scheint auch aus folgendem hervorzugehen: Nach
Gennerich können wir bei Lues latens nur in etwa 33% der Fälle
einen pathologischen Liquor erwarten. Weiters finden wir bei D r e y f u s
bei Lues latens ohne Erscheinungen von seiten des Nervensystems (oder
höchstens mit einigen scheinbar stationären Zeichen seitens des Optikus
oder Akustikus) unter 260 Fällen nur 229 mit liquorpositiven Wasser¬
mann und 210 Fälle mit chronisch zytologischen Veränderungen. Bei
der Lues cerebrospinalis ist die Zahl der Fälle mit pathologischem Liquor
größer, es wächst aber auch die Anzahl der Zeichen. Wenn wir also zur
Ergründung der luetischen Natur einer Innenohrerkrankung die Liquor¬
untersuchung 6 ) in der Regel unterlassen werden, so gilt diese Unter¬
lassung keineswegs auch für die Prognose und Therapie.
III. Mehr noch als für die Liquoruntersuchung wird für die
Methode ex juvantibus angenommen werden müssen, daß
sie durch die angestellte Provokation häufig überflüssig gemacht werden
kann. Die Methode ex juvantibus ist unsicherer, namentlich beim Innen¬
ohr, einschneidend und keineswegs überall durchführbar. Bei den Fällen
der Manifestationsgruppe 1 bietet ihre Anwendung keine Aussicht auf
Erfolg, mehr bei den Fällen der Manifestationsgruppen 2 und 3.
‘(Dreyfuß schreibt: Einer Blutentnahme unterzieht sich fast jeder Kranke
•willig, eine Lumbalpunktion, auch wenn sie noch so schonend vorgenommen wird,
ist eben doch ein operativer Eingriff, der nie ambulant vorgenommen werden darf,
der nie ganz schmerzlos verlaufen kann und immer mit nachfolgender, zum mindesten
zwei bis dreitägiger Bettruhe verbunden sein muß, bei dem es zudem nicht ganz so-
selten (10 bis 15%) zu vorübergehenden unangenehmen Folgeerscheinungen
(Meningismus) kommt. Aus diesen Gründen immer die meisten Kranken bald oder
schließlich versagen. Serienuntersuchungen, analog den Blutuntersuchungen, halte
ich für unmöglich.“ Aber auch für das Gehör und die Labyrinthfunktion scheint die
Lumbalpunktion bei Lues cerebrospinalis und anderen Erkrankungen nicht immer
gleichgültig zu sein. So beobachtete ich bei einem Kranken, den ich im Allgemeinen
Krankenhausc in Ostrau im November 1921 untersuchte, nach der Lumbalpunktion
anhaltende Ausschaltung eines vorher gut funktionierenden Labyrinthes für den
Dreh- und Kältereiz (Grundleiden: Gehirnlues). In dem mir im Februar 1922 zu¬
gekommenen Jännerheft der Mschr, f. Ohrenhlk. finde ich von L e i d 1 e r und L ö w y
eine Reihe einschlägiger Fälle mitgeteilt.
Digitizeit by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Beobachtete Fälle: K. Kongenitale Fälle. — A. Später erworbene Fälle. — D. Fälle mit einzelnen Daten
(sowohl kongenitale als später erworbene; mit Rücksicht auf die gebotene Papierersparnis nicht mitgeteilt).
116
O. M authne r,
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Diagnose der Lues des inneren Ohres.
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
132
O. M autline r.
Zusammenfassung.
In den Stadien der Früh- und Spätlatenz bzw. den Symptomen -
armen Spätstadien der kongenitalen und der später erworbenen Syphilis,
welchen die große Mehrzahl der von mir beobachteten Fälle angehört,
gelingt die Diagnose der Innenohrlues vom Ohr aus nur mit einiger Wahr¬
scheinlichkeit und nur durch das Zusammenlegen mehrerer Ohrsymptome.
Denn kein bei Lues auris internae zu erhebendes Ohrsymptom ist patho-
gnomonisch eindeutig; selbst nicht die Inkongruenz der kalorischen und
der Drehreaktion. Diese Inkongruenz, welche in unseren Fällen kon¬
genitaler als auch später erworbener Lues nur in einem geringen Prozent¬
sätze (7*3%) gefunden wurde, ist bisweilen auch bei Innenohrerkrankungen
anderer Ätiologie, z. B. nach epidemischer Meningitis (siehe instehenden
Fall) und nach Vergiftungen zu erheben.
Um sonach die Wahrscheinlichkeit bei der Diagnose *u steigern,
müssen wir uns in der Regel noch anderer Hilfsquellen bedienen. Als
solche Hilfsquellen kommen außer einer sorgfältigen Anamnese in Betracht:
I. die Kenntnis der luetischen Manifestationen und ihrer Residuen über¬
haupt, II. die Serumreaktion, die provozierte Serumreaktion (im be¬
schränkten Maße auch die Liquoruntersuchung), III. die Hilfe ex
juvantibus.
Wenn auch die Kenntnis der luetischen Manifestationen und ihrer
Residuen üoerhaupt allgemein bekannt ist, 60 erscheint es nicht un¬
wichtig, sich immer wieder vor Augen zu halten, daß zwischen der kon¬
genitalen und der später erworbenen Sypliilis kein prinzipieller, sondern
höchstens ein klinische:- Unterschied besteht. Analoges trifft auch für
die luetische Innenohrerkrankung zu, jedoch ist auch dieser Unterschied
niemals so groß, daß nicht die Aufstellung gewisser gemeinsamer Mani¬
festationstypen gelänge (siehe S. 104 u. 105). Weiters ergiot das Studium
dieser Manifestationen und Residuen, daß wir die Veränderungen in der
Nase zur Stütze der Diagnose Innneohrlues bei kongenitalen Fällen in
einem Prozentsätze von ungefähr 30% heranziehen können, nicht aber
umgekehrt. Hierbei sei der auffallenden Tatsache Erwälmung getan, daß
der luetische Säuglingsschnupfen, der ungefähr 70% kongenitalluetische
Säuglinge befällt, anscheinend nicht immer zu jenen bekannten Folge¬
zuständen oder Residuen führt, welche wir zur Stütze der Diagnose zu
einem späteren Zeitpunkte benötigen. Weiters bestätigt das Studium
die bekannte Tatsache, daß bei kongenitaler Lues die Hutchinson-
sche Trias häufig unvollständig ist. Die fehlenden Stigmen jedoch werden
oft bei den Geschwistern der Untersuchten gefunden; eine solche Ver¬
teilung finden wir auch bei anderen Stigmen.
Die zur Feststellung der Diagnose Innenohrlues unternommene
neurologische, interne, röntgenologische Untersuchung usw. beweist, daß
von der Latenz zur Manifestation mitunter nur ein Schritt ist und die
Diagnose auch ohne Serumuntersuchung durch die Kombination der
erhobenen Daten bisweilen mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit gestellt
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Diagnose der Lues des inneren Ohres.
133
werden kann. Ohr und Allgemeinuntersuchung decken allerdings hie
und da Zeichengruppen auf, welche auch bei anderen Erkrankungen,
z. B. bei den Neurosen, gefunden werden. Differentialdiagnostisch kommen
sehr häufig auch die hereditär degenerativen Innenohrerkrankungen
inklusive der Organminderwertigkeit in Betracht. Bekannt ist eine kom¬
binierte Ätiologie, z. B. auch Lues und Trauma und Lues und Neurose.
Der bei der Ohruntersuchung erhobene Spontannystagmus deutet nicht
•o selten auf bestehende meningeale und zerebrale Veränderungen.
Die Blutuntersuchung gibt, wie wir wissen, in der Früh- und Spät¬
latenz nur in einem bestimmten Prozentsätze positive Reaktionen, so
daß vor Jahren schon zur Provokation einer positiven Reaktion ge¬
schritten wurde (Gennerich 1910 Salvarsanprovokation). Seither ist
wiederholt mit verschiedenen Mitteln provoziert worden. Ich versuchte
mit Dauergaben von Jodkali mit Antipyrin, sporadisch auch durch
Injektion spezifischer Mittel und nichtspezifischer fiebererzeugender
Mittel usw. eine positive Reaktion zu erzielen und es gelang mir in 96 Fällen
seropositiver Reaktion, in 14 Fällen diese seropositive Reaktion nur
durch Provokation zu erzielen. Daraus folgt, daß die Provokation, wie
auch immer sie vorgenommen oder fortgebildet wird, in zweifelhaften
Fällen von Innenohrlues auch von otologischer Seite nicht zu unter¬
lassen ist. Dies gilt sowohl für Einzel- als auch für Reihenuntersuchungen.
Demnach bedürfen die bislang ohne Liquoruntersuchung und ohne Pro¬
vokation auch auf anderen Gebieten angestellten Reihenuntersuchungen
einer Revision. Die Provokation ist imstande, die Hilfe ex juvantibus
überflüssig zu machen.
Die Methode ex juvantibus ist überdies keineswegs eindeutig und
bei der fortgeschrittenen Innenohrerkrankung ziemlich aussichtslos. Die
Liquoruntersuchung, zur Erschließung, Prognose und Therapie derGehirn-
und Rückenmarklues fast unumgehbar, wird ohrenärztlich in der Regel
unterlassen werden können, wenn es sich nur um die Ergründung der
luetischen Natur einer Innenohrerkrankung handelt, worauf meine Studien
hauptsächlich hinzielten.
Benutzte Literatur: Alexander: Die Syphilis des Gehör¬
organs. Handbuch der Geschlechtskrankheiten. 1914. — Alt: Die Taubheit infolge
Meningitis epidemica. Wien 1908. — Arzt und Grossmann : Zur Frage der
Bedeutung der Wassermannreaktion. Mschr. f. Ohrenhlkd. 1910.— Beck O.: Über
Fistelsymptome bei nicht eitriger Erkrankung des Gehörorgans. 22. Vers. d. deutschen
otol. Ges. Stuttgart. — Derselbe : Isolierte Neuritis des Nervus vestibularis.
Zschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. Bd. III. 4. 10. — Derselbe: Über die Kopf-
knochenleitung bei Lues. Mschr. f. Ohrenhlkd. 1913. — Derselbe: Über die
Erkrankungen des inneren Ohres und deren Beziehungen zur Wassermannschen
Serumreaktion. Mschr. f. Ohrenhlkd. 44. Jg. Nr. 1. — Derselbe: Über den
primären Sitz der Erkrankung bei der Heredolues des Ohres. Verh. d. Ges. d. Hals-,
Nasen- u. Ohrenärzte in Nürnberg. 1921. — Beck und Kerl: Ohrenerkrankungen
im Verlauf von Syphilis. Mschr. f. Ohrenhlkd. 1920. — Dieselben : Zit. nach
Alexander. — Benario : Über Neurorezidive nach Salvarsan und Hg behandelt.
Monatsschrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-BhiD. 66. Jabrg. 10
Digitizeit by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
134
O. Maut li n e r. Diagnose der Lues des inneren Ohres.
Difitized by
München 1911. Lehmann. — Davidsohn : Über die Hutchinsonzähne. D. med.
Wschr. 1920. Nr. 11. (Erwiderung von Kra n z : D. ined. Wschr. 1920. Nr. 28.) —
D r e y f u 8 G. L.: Die Beschaffenheit des Liquor cerebrospinalis usw. Münch, med.
Wschr. 1920. Nr. 48. — Fournier A.: Hereditäre Syphilis, deren Prophylaxe und
Therapie. Dresden 1920. — Derselbe: Vorlesungen über Syphilis hered. tarda. Wien
1894. Deuticke. —Derselbe: Malformation de Poreille chez un h. s. Soc. de derm.
1900. Zit. nach Zappert. — Frankel B.: Verlagerte Zähne. Berl. M. Ges. 1897. Zit.
nach Zappert. — Frey H.: Über das Vorkommen von Erkrankungen des inneren
Ohres im Frühstadium der Syphilis. Münch, med. Wrchr. 1911. Nr. 11. — FreundL.:
Die Syphilis im Röntgenbilde. Handb. f. Gesehlechtskr. 1916. — Fr ol o w : Zahn¬
distrophien bei hereditärer Syphilis. J. russe de mal. cut. 1904; A. D. S. 77. —
Finger : Wr. kl. Wschr. 1920. S. 18. Übersichtsreferat. -— Gennerich W.:
Die Syphi.is des Zentralnervensystems. Berlin 1921. — Gerber P.: Die Syphilis
der Nase, des Halses und des Ohres. Berlin 1910. — Derselbe: Die Syphilis der
Mundhöhle, des Rachens und der Speicheldrüsen. Handb. d. Gesehlechtskr.
III. Bd. 1913. — GüttichW.: Die Untersuchung des Ohrlabyrinthes als Hilfs¬
mittel bei der Diagnostik der Lues. Berl. med. Wschr. 1921. — Habermann J.:
Die luetischen Erkrankungen des Gehörorgans. Schwärtz' Handbuch I. 1892. —
Hartung : Syphilis der Knochen. Handb. d. Gesehlechtskr. III. Bd. — Henne-
bort : Referat. Zschr. f. Ohrenhlkd. 1910. — Hochsinger C.: Syphilis. Handb.
d. Kinderheilk. von Pfaundler und Schlossmann. I. Bd. — Hutchinson:
Syphilis. Autor, d. Ausgabe von Kollmann. Leipzig 1888. — Jansen und Kobrak:
Praktische Ohrenheilkunde. 1918. — Kay M. B.: J. Am. Med. Ass. Chicago 1910.
LXXTV. Nr. 17. — Kerl W.: Über Polyneuritis syphil. Wr. kl. Wschr. Nr. 42.
1910. — Knapp: Über vererbte syphilitische Ohrenleiden. Zschr. f. Ohrenhlkd.
1880. Bd. 9. — K y r 1 e J.: Latente Lues und Liquorveränderungen. Wr. kl. Wschr.
1920. Nr. 40. — Leid ler und Löwy: Sitzung d. österr. otol. Ges. v. No¬
vember 1921, mitgeteilt Mschr. f. Ohrenhlk. 1922. Jännerheft. — Lund R.:
Neurolabyrinthitis syphilitica. Kopenhagen 1920, ref. Zbl. f. Ohrenhlk. Nr. 18.
9. u. 10. H. — M a u t h n e r O.: Zur Kenntnis und Heilung der Hör- und Sprech¬
störungen beiden Neurosen. Mschr. f. Ohrenhlkd. 1918. Festschr. f. Urbantschitsch. —
MaycrO.: Histologische Untersuchungen zur Kenntnis der Entstehung der Taubheit
infolge von angeborener Syphilis. Arch. f. Ohrenhlkd. Nr. 77. — M ü 11 e r R.: Die
Entwicklung der Serumdiagnostik der Syphilis usw. Handb. d. Gesehlechtskr. III. Bd.
— Neumann: Österr. otol. Ges. November 1910. — Nonne: Syphilis und
Nervensystem. Berlin 1915. — Politzer : Geschichten der Ohrenheilkunde. H. Bd.
1915. — Rauch: Über atypische und paradoxe Vestibularriflexe. Mschr. f. Ohrenhlk.
1919. — Rosenstein : Zur Kenntnis.der syphilitischen Erkrankung des Hör-
nervenstammes. Arch. f. Ohrenhlkd. Bd. 65. — Ruttin E.: Zit. nach Rauch. —
Seifert O.: Die Syphilis der Atmungsorgane usw. Handb. f. Gesehlechtskr. III. Bd.
— Stein C.: Gehörorgan und Konstitution. Zschr. f. Ohrenhlkd. 76. Bd. 1917. —
Scherber : Berl. kl. Wschr. 1919. — Thiemich: Meningokokkenmeningitis.
Hdbuch der Kinderheilkunde (Pfaundler-Schlossmann). — Urbantschitsch E.:
österr. otol. Ges. Jänner 1916. Mschr. f. Ohrenhlk. 1916. — U t h o f f : W. Über
die bei der Syphilis des Zentralnervensystems vorkommenden Augenstörungen. —
Zappert : Die Klinik der hereditären Lues. Handb. f. Gesehlechtskr. III. Bd.
3. Teil. — Zumbusch : Probleme der Syphilis. Naturforscherkongreß Nauheim
1920. Ref. Münch, med. Wschr. Nr. 43. 1920.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Vereinsberichte (österr. otol. Ges., Dez. 1921).
135
Vereinsbericht e.
Österreichische otologische Gesellschaft.
Sitzung to in 12. Dezember 1921.
Vorsitz: F. Alt.
Schriftführer: E. U r b a nt s o h i 18 c h.
Der Vorsitzende begrüßt Herrn Dr. K 1 e j n als Gast.
Administrative Sitzung.
Der Sekretär Doz. Gat scher erstattet folgenden Bericht über das
;tbgelaufene Vereinsjahr:
Es fanden im Jahre 1921 9 Sitzungen statt, und zwar am 31. I., 28. II.,
21. III., 25. IV., 30. V., 27. VI., 31. X., 28. XI. und 12. XII.
In diesen wurden gehalten:
1 Nekrolog (A11 über Urbantsehitsch),
3 Vorträge (Kestenbaum, Gemach, Leidler und
L o e w y),
2 vorläufige Mitteilungen (Hofvendal, Gemach)
und
73 Demonstrationen, und zwar von den Herren Beck (13),
Bondy (6), Brunner (1), Ce mach (5), Demetriades (1),
Eisinger (1), Fischer (1), F r e m e 1 (4), Gatscher (4), Gom-
perz (1), Leidler (3), Leidler und Loewy (1), Ruttin (13),
S c h 1 a n d e r (2), Toch (1), Urbantsehitsch (16). Der Gegen¬
stand der Demonstrationen war: Komplikationen (32), Labyrinth (11), ver¬
schiedene Nervenerkrankungen (9), Mittelohrerkrankungen (7), Erkrankung
des äußeren Ohres (5), Tumoren des Os temporale (2), Tumoren des Ge¬
hirns (2), Angiosarkom der Nase (1), Fibroma nasopharyngis (1), Nasen¬
fremdkörperextraktion (1), Mundkrankheiten (1), Lumbalpunktion (1).
Der Säckelwart Dozent Beck erstattet den Bericht über die Kassa¬
gebarung im Jahre 1921. Nach Prüfung durch die Revisoren wird dem Säckel¬
wart das Absolutorium erteilt und der Dank für seine Mühewaltung aus¬
gesprochen.
Bei der Wahl des neuen Präsidiums für 1922 werden einstimmig ge¬
wählt zum
Präsidenten: Prof. Viktor Hammerschlag,
Vizepräsidenten: Dozent Gustav Bondy,
Sekretär: Dozent Rudolf Leidler,
Schriftführer: Dozent Ernst Urbantsehitsch.
Kassier: Dozent Oskar Beck.
Dem abtretenden Präsidium wird der Dank der Gesellschaft aus¬
gesprochen. Die Neugewählten nehmen die Wahl an und danken für die
Ehrung.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
136
Vereinsberichte (österr. otol. Ges., Dez. 1921).
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Zu Ehrenmitgliedern der österreichischen otologischen Gesell¬
schaft werden gewählt: Dr. Perez (Argentinien), Prof. Siebenmann
(Basel), Prof. Martino (Uruguay), Prof. P a s s o w (Berlin), Dr. Gloga u
(New York) und Q u i x (Utrecht).
Zu korrespondierenden Mitgliedern werden gewählt:
Prof. Boenninghaus (Breslau), Prof. Heine (München), Prof. Voss
(Frankfurt a. M.), Prof. Holmgreen (Stockholm), Prof. Uchermann
(Kristiania), Prof. Kümmel (Heidelberg), Prof. Denker (Halle a. S),
Prof. Demitriades sen. (Athen), Prof. Burger (Amsterdam).
Zu ordentlichen Mitgliedern werden gewählt: Dr. H o f-
m a n n, Dr. Georg Schwarz (Orszowa), Dr. Karl Goldberger, Dr. Leo
Deutsch, Dr. Heinrich F r ü h w a 1 d, Dr. P o 1 y a k (Prag), Dr. Paul
Brück (Temesvar), Dr. Ernst Sachs (Prag), Dr. Salomon B o s s a k
(Brooklyn), Dr. Wilhelm Liegmeister (Brooklyn), Dr. Paul Kepes
(Budapest), Dr. Josef S p i r a (Krakau), Dr. Christ (Amerika), Dr. W i t z-
mann (Amerika), Dr. Ho d s o n (Amerika), Dr. Win eser (Amerika),
Dr. Gompertz (Hamburg), Dr. Weleminsky (Wien), Dr. Hans
Brunner (Wien), Dr. Leo Forsch ner (Wien), Dr. Philipp Mayer
(Wien), Dr. Saxner (Montreal), Dr. Schapiro (Brooklyn), Dr. Arpad
R i e g e r ( Györ), Dr. Mark Eisenberg (Odessa).
Wissenschaftliche Sitzung.
I. E. Ruttin: Plötzlicher .Übergang einer serösen in eine eitrige
Labyrinthitis. Meningitis. Exitus.
Der 42jähr. Nachtwächter J. K. war früher nie ohrenkrank. Am
30. Juli 1921 bekam er Schmerzen im rechten Ohre und Erbrechen. Er goß
sich öl ins Ohr, worauf sich eine braune Flüssigkeit entleerte. Seit dem
2. August eitert das Ohr. Am 4. August wurde ihm unter Anästhesie mit
der B o n a i n sehen Mischung die Parazentese gemacht. Am 5. August
früh Schwindel und Erbrechen, weshalb er in die Klinik Neumann auf¬
genommen wurde. Bei der Aufnahme fand sich das rechte Trommelfell stark
gerötet, diphtheritisch belegt, in der hinteren Hälfte spaltförmige Perforation,
aus der sich reichlich seröses Exsudat ergießt. Taubheit für Sprache und
Stimmgabeln. Weber rechts, Rinne unendlich negativ. Spontaner
Nystagmus II. Grades nach links. Kalorische Reaktion noch vorhanden.
Linkes Ohr normal. Am 6. August Schwindel, Erbrechen, Kopfschmerz,
Nystagmus schwächer als gestern. Hörvermögen wieder vorhanden a. c. In
den nächsten Tagen wurde bis zum 14. August täglich geprüft, das Hör¬
vermögen war stets vorhanden, der Weber zur kranken Seite lateralisiert,
die subjektiven Symptome bis auf etwas Schwindel verschwunden. Pat.
fühlte sich so gut, daß bereits am 13. August, in der Annahme, die seröse
Labyrinthitis sei abgeklungen, nicht mehr geprüft wurde. In der Nacht vom
15. auf den 16. August plötzlich Schüttelfröste, 39° Temperatur, starke
Kopfschmerzen. In der Früh des 16. August rechts taub, kalorisch unerregbar.
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Vereinsberichte (Üsterr. otol. Ges., Dez. 1921).
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Lumbalpunktion trüb, reichlich polynukleäre Leukozyten und mikrosko¬
pisch und kulturell sehr reichlich Streptokokken. 10 cm 3 Vuzin. Operation
(Ruttin): Warzenfortsatz mit bindegewebigen und sulzigen Granulationen
erfüllt. Radikaloperation. Hammer-Ambos in Granulationen eingebettet,
ovales Fenster leer, typische Labyrinthoperation nach Neumann. Sagittaler
und horizontaler Bogengang hämorrhagisch verfärbt. Beim Eingehen mit der
Sonde entleert sich ein Tröpfchen Eiter aus dem Labyrinth. 17. August Exitus.
Obduktionsbefund (Dr. Nor er): Diffuse eitrige Meningitis an der Basis
mit ziemlich dicker eitriger Infiltration an den Nervenscheiden des VIII.
und VII. rechts, ödem und Hyperämie des Gehirns. Der Fall ist besonders
interessant, denn es ist ungewöhnlich, daß sich eine seröse Labyrinthitis so
plötzlich in eine eitrige Labyrinthitis mit fast gleichzeitiger Meningitis ver¬
wandelt. Wenn auch unsere Indikationen, die auf der Beobachtung der
Labyrinthfunktion aufgebaut sind, im allgemeinen uns gestatten, rechtzeitig
die Labyrinthoperation zu machen, so kann man ja doch nicht den ganzen
Tag und die ganze Nacht wochenlang hindurch die Labyrinthprüfungen
machen und es wird daher, wenn auch nur ausnahmsweise, geschehen können,
daß eine so plötzliche Umwandlung einer serösen in eitrige Labyrinthitis
t icht rechtzeitig bemerkt wird. Es scheint übrigens, daß in diesem Falle die
B o n a i n sehe Mischung durch Verätzung die seröse Labyrinthitis hervor¬
gerufen hat und vielleicht auch an der Einschmelzung des Stapes schuld ist,
die offenbar wenigstens zum größten Teile schon vor der Entstehung der
-eitrigen Labyrinthitis stattgefunden haben mag.
II. E. Ruttin: Zur Entstehung der Meningitis nach Labyrinthitis
mit Funktionsresten und Fazialparese.
a) Fall I. Die 3jähr. Pat. G. B. war vor 1 Jahre rechts radikal operiert
worden. Bei dem schon damals kränklichen Kinde war von seiten des Inter¬
nisten und des Kinderarztes die Diagnose auf Tbc Peritonitis gestellt worden,
außerdem hatte sie auch damals einen Fungus im linken Sprunggelenk.
Am 2. August 1921 wurde sie wegen des linken Ohres wieder auf die
Klinik Ne umahn aufgenommen. Es fand sich im linken Gehörgang, der
mit Polypen erfüllt war, fötide Sekretion. Warzenfortsatz druckempfindlich,
doch waren geschwollene, empfindliche, infraaurikuläre Drüsen vorhanden.
Rechts nicht ganz geheilte Radikaloperationshöhle. Hörvermögen und kalo¬
rische Reaktion beiderseits vorhanden. Am 15. August trat Fazialparese
links auf.
Am 16. August 39*6 Temperatur. Hörvermögen und kalorische Reaktion
beiderseits noch erhalten. Kein Fistelsymptom. Operation (Ruttin):
Warzenfortsatz mit Eiter erfüllt, im Antrum Cholesteatom. Trommelhöhle
mit Cholesteatom und Granulationen erfüllt, Gehörknöcheichen in Granu¬
lationen eingebettet, Bogengang intakt. Fazialis scheint unter demselben
freizuliegen. Dura der mittleren Schädelgrube und Sinus freigelegt, normal.
18. August: Temperatur 39*7, Puls 150, Kernig -|-, Babinsky -f-,
Nackensteifigkeit, allgemeine Hypersensibilität. Lumbalpunktat: Mikro¬
skopisch sehr reichliche Eiterzellen, k°ine Bakterien, Kultur steril.
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Vereinsberichte (Öst. otol. Ges., Dez. 1921).
20. August: Exitus. Obduktionsbefund (Dr. Löffler): Eitrige Menin¬
gitis, hauptsächlich an der Basis und vorwiegend daselbst auf der linken.
Seite; spärliches Exsudat über der Konvexität. Hydrocephalus internus,
ödem des Gehirns. Verkäste tracheobroncbiale Lymphdrüsen auf der linken
Seite. Verkalkter Primärherd im Oberlappen. Lobulärpneumonische Herde
in allen Lungenlappen.
b) Fall II. Der 23jähr. H. J. litt seit Kindheit an Schwerhörigkeit und
Ohrenfluß rechts. 14 Tage vor der Aufnahme mit Schüttelfrost einsetzende
akute Exazerbation. Seither Schwindel, öfter Erbrechen, seit 1 Woche
Fazialparevse. Bei der Aufnahme an die Klinik Neumann am 2. August
fand sich der rechte Gehörgang mit Granulationen erfüllt, Warzen fort satz
druckempfindlich. Taub für Sprache und Stimmgabeln, Weber nach links,
Ri nne oo negativ, kalorische Reaktion negativ. Nach Rechtsdrehung
Nystagmus 1 12", nach Linksdrehung Nystagmus r 6". Spontaner
Nystagmus horizont.-rotator. nach beiden Seiten.
Operation 3. VIII. (R u 11 i n): Warzenfortsatz sklerotisch, im Antruni
Cholesteatom. Sinus auf Linsengröße freigelegt, leicht mit Granulationen
bedeckt, Dura der mittleren Schädelgrube auf mehr als 1 cm 2 freigelegt,
sehr verdickt, mit Granulationen bedeckt. Im horizontalen Bogengang, knapp
über dem Fazialis eine langgestreckte Fistel. Fazialis im horizontalen Teil
vollkommen freiliegend. Radikaloperation. Lumbalpunktat klar, keine
Zellen, steril.
4. VIII.: Früh Wohlbefinden, kein Fieber. Nachmittag plötzlich ver¬
fallenes Aussehen, Nackensteifigkeit, Babinski, Kernig, Dermc-
graphie, etwas Kopfschmerz, spontaner Nystagmus horizontal-rotatorisch
nach beiden Seiten, 38*8, Puls 88, komatös. Operation (Ruttin): Frei¬
legung des Sinus auf zirka 4 cm, der wenig verändert ist. Labyrinthoperation
nach Neumann. An der hinteren Pyramiden fläche wird ein kleiner Extn -
duralabszeß eröffnet, Spaltung der Dura des Kleinhirns und der Dura der
mittleren Schädelgrube mit negativem Resultat. Lumbalpunktat: Trüber
Liquor, geringer Druck, reichlich polynukleäre Leukozyten, keine Bakterien.
Bis zum 12. August wurde Pat. 4mal punktiert, das Punktat war stets steril,
doch waren reichlich polynukleäre Leukozyten darin. Das Blut aus dem
Sinus war steril, Augenbefund normal.
Obduktion (Dr. No rer): Eitrige Leptomeningitis der Basis cerebri
mit Ansammlung von sehr reichlichem fibrinös-eitrigem Exsudat in der
Cysterna ebiasmatis pontis und in den Subarachnoidalräumen des Kleinhirns.
Starke Hyperämie der Meningen der Konvexität des Gehirns und kleine
enzephalitische Herde mit multiplen Blutungen in den rückwärtigen An¬
teilen des rechten Hinterhauptlappens.
In beiden Fällen waren noch Reste von Labyrinthfunktion vorhanden,
aber bereits eine Fazialparese entstanden. Es war in beiden Fällen keine
strikte Indikation zur Labyrinth Operation gegeben und tatsächlich nur die
Radikaloperation ausgeführt worden. Zur Zeit der Radikaloperation bestand
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auch keine Meningitis, wie auch das Punktat in Fall II bewies. Trotzdem
kam es sehr rasch zur Meningitis.
Es scheint, daß man in Fällen, wo eine Fazial parese besteht und man
aus den geringen Funktionsresten des Labyrinths auf den Sitz der Fazial-
parese an der Labyrinthw T and schließen kann und dieser Sitz für eine Mit¬
erkrankung der Labyrinthwand spricht, die Labyrinthoperation machen soll.
III. G. B o n d y: Thrombose des Sinus cavernosus.
64jähr. Mann, vor 6 Wochen an akuter Otitis erkrankt, seit 3 Tagen
Fieber und Schüttelfröste. Bei der Aufnahme 40*0, mäßige Otorrhoe, Senkung
der hinteren oberen Gehörgangswand, Druckempfindlichkeit des Warzen¬
fortsatzes, keine Schwellung. Operation am 10. IX. Der Knochen weitgehend
erweicht, gegen das Antrum zu reichlich Eiter. Die Knochenerkrankung
besonders gegen die mittlere Schädelgrube zu ausgesprochen, so daß, um
den erweichten Knochen vollständig zu entfernen, die Radikaloperation
ausgeführt werden muß. Freilegung des Sinus, der leicht verdickt, aber blut-
hältig erscheint. Lytischer Abfall der Temperatur, am 19. wieder 39*5, wes¬
halb am 21. nach vorausgegangener Jugularisunterbindung der Sinus weiter
freigelegt wird. Unterhalb der erst freigelegten Stelle findet sich ein Defekt
der äußeren Wand, aus dem unteren Ende wird ein etwa 1 cm langer Thrombus
entfernt. Volle Blutung. Aus dem oberen Ende erfolgt sofort nach Eingehen
mit dem scharfen Löffel reichliche Blutung. Temperatur nach der Operation
durch einige Tage noch bis 38*4, dann normal. Nur gelegentlich treten noch
Temperaturen bis 38*4 auf.
7. X. Pat. scheint schlechter zu sehen, da er beim Fassen eines Gegen¬
standes häufig danebengreift. Augenbefund: Rechts geringe Ptose, Bewegungs¬
einschränkung nach außen, weniger nach oben und innen. Pupille, Sensibilität,
Fundus normal.
9. X. Fast vollkommene Ptose, stärkere Bewegungseinschränkung nach
außen, oben, innen, geringere nach unten. Auch Trochleariswirkung nicht
nachweisbar. Pupille rechts etwas weiter als links. Sonst alles normal.
11. X. Vollkommene Ptose. Bulbus in leichter Divergenzstellung.
Nur noch etwas Beweglichkeit nach innen (bis zur Sagittalaehse), etwas
besser nach unten (dabei etwas Trochleariswirkung erhalten), Pupillenweite
5 mm (links 2^2 bis 3 mm), reagiert schlecht. Papille nasal etwas verwaschen.
13. X. Lumbalpunktion. Im Liquor fast keine Zellen (einzelne Lympho¬
zyten), keine Bakterien.
14. X. Pupille noch weiter (7 mm), fast reaktionslos, keine Neuritis
oder Venenstauung.
17. X. Seit gestern Rückgang der Augensymptome. Nur noch geringe
Ptose, Pupille 4 bis 4 y 2 mm, reagiert träge. Beweglichkeit nach allen Rich¬
tungen besser.
22. X. Bis gestern stat. idem. Heute Morgentemperatur 38*5, starke
Somnolenz, Kernig, Nackensteifigkeit.
24. X. Exitus in tiefer Bewußtlosigkeit.
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Obduktionsbefund (Prof. Sternberg): Otitis media purulenta
dextra, Thrombophlebitis purulenta sinus transversi, sigmoidei, cavernosi
lateris dextri et sinus intercavernosi anterioris, abscessus lobi temporalis
dextri, leptomeningitis purulenta acuta, praecipue ad basim cerebelli. Oedema
cerebri acutum et hydrocephalus acutus. Tumor lienis acutus, degeneratio
parenchymatosa hepatis renumque.
Bemerkenswert ist in diesem Falle das Verhalten der durch die Kaver-
nosusthrombose verursachten Symptome. Die ersten Symptome wiesen auf
einen Prozeß an der rechten Seite der Schädelbasis. Da weder Protrusio bulbi
noch Lidödem bestanden, wurde zunächst an die Möglichkeit einer basalen
Meningitis gedacht, was aber durch das Ergebnis der Lumbalpunktion nicht
bestätigt wurde. Die Diagnose der Kavernosusthrombose wurde neuerlich
zweifelhaft, als die Augensymptome 10 Tage nach ihrem Beginne einen auf¬
fälligen Rückgang zeigten. Eine Erklärung für dieses eigentümliche Ver¬
halten könnte in der Annahme gefunden werden, daß die Symptome zunächst
durch das der Eiterung vorausgegangene entzündliche ödem horvorgerufen
wurden, das sich mit Eintritt der Eiterbildung teilweise zurückbildete. Der
erst bei der Obduktion gefundene Schläfenlappenabszeß hatte sich vollständig
symptomlos ohne irgend welche Drucksymptome und, da er rechts saß,
natürlich ohne Herderscheinungen entwickelt. Er führte durch seinen Durch¬
bruch zur Meningitis, die als unmittelbare Todesursache anzusehen ist.
IV. G. Bondy: Umkehrung des Fisteisymtoms nach der Operation.
57jähr. Pat. mit chronischer Mittelohreiterung und Cholesteatom am
linken Ohr. Sehr leicht auslösbares Fistelsymptom, und zwar Kompressions¬
nystagmus nach rechts, deutlich mit der langsamen Komponente einsetzend,
bedeutend stärkerer Aspirationsnystagmus nach links. Bei der Operation
fand sich ein großes, Antrum und Attik ausfüllendes Cholesteatom, an dem
stark abgeflachten Bogengangswulst eine längsgestellte Fistel. Druck auf die
Fistel erzeugte auf fälliger weise statt der erwarteten Deviation der Bulbi
nach links eine solche nach rechts. Beim ersten Verbandwechsel 5 Tage
nach der Operation zeigte sich im Einklänge mit dem bei der Operation er¬
hobenen Befund Kompressionsnystagmus nach rechts. In dieser Form blieb
das Fistelsymptom bestehen, bis es zirka 3 Wochen nach der Operation voll¬
ständig verschwand. 5 Wochen nach der Operation konnte der Pat. geheilt
aus der Behandlung entlassen werden.
Daß wir aus der Art des Fistelsymptoms keinen Schluß auf den Sitz
der Fistel ziehen können, ist seit langem bekannt. Der Grund hierfür dürfte
in den meisten Fällen in den Veränderungen im perilymphatischen Raume
zu suchen sein, die die Richtung der bei Kompression bzw. Aspiration auf¬
tretenden Endolymphströmung beeinflussen. Im vorliegenden Falle ist
zweifellos die Entfernung des die Fistel bedeckenden Cholesteatoms die
Ursache der Umkehrung des Fistelsymptoms. Offenbar dürfte ein Choleste¬
atomtropfen der den freiliegenden Bogengang in der Nähe der Ampulle com-
primierte, das Zustandekommen einer ampullopetalen Strömung verhindert
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Dez. 1921). 141
haben, die dann nach Entfernung des Cholesteatoms leicht möglich war.
Umkehr des Fistelsymptoms wurde bereits beobachtet, so in einem Falle
der Klinik, der von Ruttin in seiner Monographie über Labyrinth-
entzündungen mit geteilt wurde. Doch trat dies spontan auf, so daß die Ursache
dieses Verhaltens nicht erkannt werden konnte.
Aussprache.
G. Alexander: Ich habe wiederholt atypisches bzw. sogenanntes
umgekehrtes Fistelsymptom gesehen. Wenn man von dem Erklärungsmodus
absieht, daß Auflagerungen, wie z. B. Cholesteatom, die vorübergehende
und länger dauernde Umkehrung des Fistelsymptoms verursachen können,
und wenn man auch von den Fällen von multipler Sklerose absieht, bleiben
Fälle übrig, bei denen vorübergehend verschiedenes Verhalten des Fistel¬
symptoms dadurch erklärt werden kann, daß das eine Mal die Druckkom¬
ponente ihren Angriffspunkt in der Fistel, das andere Mal im Stapes findet,
welch letzterem, besonders in Fällen von chronischer Mittelohreiterung mit
Ambosverlust, eine erhöhte Beweglichkeit zugesprochen werden muß.
E. Ruttin: Es gibt Fälle, wo 6- bis 8mal eine Änderung des Fistel-
symptoms stattfindet. Dies ist wohl auch nur damit zu erklären, daß der
Druck des Cholesteatoms sich geändert hat.
H. Neu mann: Wir haben an der Klinik einen Patienten, bei dem
sich das Fistelsymptom im Laufe des Vormittags ändert. Der eine Beobachter
meldet: „Das Fistelsymptom geht nach rechts“, und wenn man kontrolliert,
sieht man es nach links gehen. Anfangs dachte ich an eine falsche Beobachtung,
konnte mich aber bald von der „Umkehrung“ des Fistelsymptoms selbst
überzeugen. Diese Änderung ist sehr abhängig von Imponderabilien. Die
Änderung des Fistelsymptoms habe ich hier in der Otologischen Gesellschaft
1908 anschließend an die Demonstration von 2 Fällen ausführlich besprochen
und damals aus der Änderung des Fistelsymptoms Schlüsse auf den Sitz
der Fistel zu ziehen versucht, indem ich glaubte, annehmen zu dürfen, daß
die Richtung des Fistelsymptoms insofern von dem Sitze der Fistel abhängig
Ist, als Defekte vor der Ampulle oder in der Stapesgcgend anderen Ausschlag
geben werden als solche hinter der Ampulle. Im Laufe der Zeit mußte ich
diese Meinung korrigieren und ich habe mich davon überzeugt, daß nicht der
Sitz des Defektes allein, sondern auch die Bohrungsrichtung desselben,
GerinnungsVerhältnisse, Verlötungen, die Füllung der Blutgefäße für die
Stromrichtung maßgebend sind. Bondys Vorstellung ist von besonderem
Interesse, weil er gerade Gelegenheit hatte, durch die Entfernung des
Cholesteatoms das Experiment in vivo zu machen. Daß seine Erklärung
hier zutrifft, ist richtig, im allgemeinen ist aber die Änderung des Fistel¬
symptoms durch so viele Nebenumstände bedingt, daß ich Bondvs Er¬
klärung für seinen Fall akzeptiere, aber nicht für alle Fälle als allgemeine
Regel hinstellen möchte.
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142 Vereiiisberichte (Öst. otol. Ges., Di*z. 1921).
V. O. Beck: Schläfenlappenabszcß unter dem Bilde einer Sinus¬
thrombose.
M. G., 42 Jahre, Kaufmann, 11. VII. 1921 auf die Klinik Neumann
aufgenommen. Angeblich keine Kinderkrankheiten. Pat. neigt seit Jahren
stark zu Husten und Schnupfen. Vor dem Kriege (genau kann es Pat. nicht
angeben) begann das rechte Ohr zu fließen. Während des Krieges bestand
auch rechts einmal Ohrfluß. 1916 leichte Malaria, 1917 Erysipel der rechten
Ohrmuschel. Seit dem Kriege bestand zeitweilig leichter Ohrenfluß. 1919
abermals leichtes Erysipel der rechten Ohrmuschel. Seit 8 Tagen akute
Exazerbation rechts. Am 9. VIII. leichte Senkung der hinteren, oberen
Gehörgangswand, 40° Temperatur, Schüttelfrost. Seit der Exazerbation
Schmerzen, zeitweilig Schwindel.
Befund: Rechtes Ohr: Aus dem Gehörgang ziemlich reichlich fötide
Sekretion. Die hintere Gehörgangswand fast bis zur Berührung der unteren
genähert, so daß ein Einblick in die Tiefe nicht möglich ist. Innenfläche des
Tragus etwas geschwollen. Entlang dem hinteren Rand des Warzenfortsatzes
und in der Gegend des Emissarium Druckschmerz. Druck auf die Jugularis-
gegend wird unangenehm empfunden. — Linkes Ohr: Ekzem des äußeren
Gehörganges, keine Sekretion. Trommelfell wegen der reichlichen Krusten¬
bildung nicht deutlich übersehbar. Es scheinen jedoch Trübungen und Narben
zu bestehen. Zunge trocken, belegt, starkes Trockenheitsgefühl im Mund.
V = 5 cm, 1 m, v = a. c., 20 cm. — v. Stimmgabelbefund spricht
beiderseits für Schalleitungshindernis. Kein spontaner Nystagmus, kein
Fistelsymptom. Kalorische Reaktion typisch.
Operation 10 Uhr nachts (Beck): Warzenfortsatz sklerotisch,
ohne jede Zelle, elfenbeinhart. Bei Eröffnung des Antrum quillt verjauchtes
Cholesteatom unter Druck hervor. Totalaufmeißelung, wobei die Dura der
mittleren Schädelgrube auf Hellergröße freigelegt wird, weil das Cholesteatom
den Knochen im Tegmen erweicht hat. Im Mittelohr und Attic massenhaft
verjauchtes Cholesteatom. Reste der Gehörknöchelchen nicht zu finden.
Glättung des Hypotympanon, das ebenfalls mit Cholesteatom ausgefüllt Ist.
Im horizontalen Bogengang eine große, mit Granulationen erfüllte Fistel.
Der Sinus ist sehr weit zurückgelagert, von einer Schichte sklerotischen,
elfenbeinharten, makroskopisch gesund erscheinenden Knochens bedeckt.
Er wird von der Spitzengegend nach aufwärts etwa 2 cm lang freigelegt,
seine Wand ohne jede Veränderung. Eine Überleitung vom erkrankten
Knochen zum Sinus kann nirgends gefunden werden. Dreilappenplastik,
Wundversorgung. Blut aus der Armvene steril.
12. VII. Pat. fühlt sich auffallend besser, jedoch die Zunge trocken,
keine meningealen Erscheinungen.
Interner Befund (Dozent Dr. Heß): Starke diffuse Bronchitis,
Puls 64, Temperatur 39, Dermographismus, keine meningealen Erscheinungen,
keine Milzschwellung.
Augenbefund: Beiderseits abklingende Neuritis optici mit ganz
geringer Schwellung der Papillen, diese blasser, noch nicht scharf begrenzte
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Venen, weit geschlängelt, deutliche Einschneidung der meisten Gefäße,
besonders links, letzteres spricht für Neuritis, doch kann früher eine Stauungs¬
papille Vorgelegen haben. Heute läßt sich das nicht mehr entscheiden.
Lumbalpunktion am 11. VII.: Lymphozyten 132, bakterio¬
logisch steril, Farbe klar, Druck etwas gesteigert.
Wegen 40° Fieber Inspektion der Wundhöhle. Dura der hinteren
Schädelgrube wird freigelegt, erscheint normal. Die Sinuswand im bereits
freigelegten Gebiet stark verändert.
Bei der Punktion des Sinus wenig Blut, durch den Stichkanal sickert
wenig Blut nach. Bei einer Sticlinzision in den Sinus Blutung, jedoch nicht
so kräftig wie normal. Weitere Freilegung des Sinus bis 1 cm ober dem Knie.
»Sinuswand erscheint gesund. Freilegung gegen den Bulbus, wo die Sinus¬
wand wieder vollkommen normal ist. Unterbindung der vena jugula ris interna
und vena facialis communis. Jugularis bluthältig, ihre Wand etwas verdickt.
Inzision in den Sinus ergibt Blutung von oben nach unten. Ein Thrombus
wird nicht gefunden, ob ein solcher herausgescMeudert wurde, kann wegen
der starken Blutung nicht festgestellt werden. Wundversorgung, Kochsalz¬
infusion, Kampferinjektion.
Lumbalpunktion vom 15. VII.: Farbe klar, Druck gesteigert,
150 Zellen, Lymphozyten, vereinzelte polynukleäre und Zelldetritus. Bak¬
teriologisch reichliches Bakteriengemenge mit reichlichen Strepto- und
Staphylokokken.
Pat. klagt über heftige Kopfschmerzen, keine Nackensteifigkeit, keine
Meningealerscheinungen.
17. VII. Pat. springt während der Nacht aus dem Bett, fordert die
Schwester auf, ihm seine Kleider zu geben, weil er Weggehen wolle. Zunge
trocken, borkig belegt, keine Nackensteifigkeit, keine Meningealerscheinungen.
18. VII. Verbandwechsel, Sinus, Bulbus, Jugularis sind bluthältig.
Bei der Inzision der Dura der mittleren Schädelgrube wölbt sich das Hirn
rieht vor. Punktion des Schläfelappens negativ. In der Gegend der Schläfe¬
schuppe in der ganzen Ausdehnung des musculus temporalis besteht Fluk¬
tuation. Punktion ergibt fötiden Eiter. Durch Eingehen mit der Kornzange
und durch Abheben des musculus temporalis läßt sich feststellen, daß der
Eiter subperiostal fitzt. In der Annahme eines nach außen durchgebrochenen
Extradural- bzw. Hirnabszesses neuerliche Operation.
Operation (Beck) 18. VII.: Hautschnitt bis zum lateralen Lid¬
winkel und ein auf diesen senkrechter bis in die Haarwirbelgegend. Frei-
präparierung des musculus temporalis und Spaltung desselben nach vorn
und oben, so daß die ganze Schläfebeinschuppe, Wurzel und Körper des
Jochfortsatzes gut übersehbar sind. An der Schläfebeinschuppe in der Höhe
des Ansatzes der Jochwurzel eine Fistel, aus der Eiter quillt. Abtragung der
Schuppe von der Basis bis zum Hinterhauptbein nach hinten, bis zum
^Scheitelbein nach oben und nach vorn. Nach Resektion der ganzen Joeh-
fortsatzwmrzel, Abtragung des Knochens bis in die großen Keilbeinflügel.
Die Dura ist mit einem sehr dicken, eitrigen schwartigen Belag überzogen
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und von extraduralem Eiter umspült. Nach hinten und oben wird normale
Dura erreicht, nach vorn nicht. Die erweichte Wurzel des Jochfortsatzes
scheint die Überleitung vom Mittelohr zu bilden. In einer Ausdehnung von
zirka 3 cm 3 zeigt die veränderte Dura an der Außenfläche des Schläfelappens
deutliche Fluktuation. Bei der Inzision daselbst entleert sich ein hühnerei¬
großer Interduralabszeß. Im hinteren Anteil desselben ergibt die Hirn¬
inzision einen scheinbar ziemlich oberflächlich sitzenden walnußgroßen
Schläfelappenabszeß. Entleerung seines Eiters, Drainage mit Jodoform¬
docht. Die freigelegte Dura wird leicht mit Jodoformgaze bedeckt. Die Wunde,
auch die des musculus temporalis, wird nach genauer Ligatur der Gefäße
breit offen gelassen, Wund Versorgung.
In den nächsten zwei Tagen leicht soporöser Zustand, Zunge trocken,
stark belegt.
Augenbefund: 21. VII. (Dr. Nova k) ergibt das gleiche Resultat
wie das erstemal, nur sind die Veränderungen des Augenhintergrundes noch
weiter regressiv.
21. VII. Wegen 54 Puls Verbandwechsel, im Abszeß Eiter, Jugularis
und Bulbus noch etwas bluthältig.
25. VIII. 5 Uhr nachmittags Exitus.
Eiter aus dem Extraduralabszeß und Hirnabszeß ergibt äußerst reich¬
liches Bakteriengemenge.
Obduktionsbefund: über dem rechten Schläfelappen ist die
Dura im Umkreise eine Fünfkronenstückes mit dem Hirn verklebt und mit
Eiter bedeckt. Drainage eines Extradural- und Hirnabszesses. Die Basis
der mittleren Schädelgrube ist mißfärbig. Unter dem musculus temporalis
befindet sich reichlich dicker Eiter, die Basis des Gehirns ist frei. Das in
Formalin gehärtete Gehirn wird in Frontalscheiben'zerlegt, wobei im rechten
Schläfelappen in der Gegend über dem Ammonshorn ein zirka nußgroßer
Abszeß mit glatter Wand sichtbar wird, dessen Basis in breiter Kommunikation
mit dem Hinterhorn steht und dessen Grund mit Eiter belegt ist. Pyocephalus
internus. In der Umgebung des Abszesses Veränderungen, entsprechend einer
E izephalitis. Entsprechend dem Abszeß, der operativ eröffnet ist, erscheint
die Dura an der Hirnoberfläche breit adhärent.
E p i k r i s e. Bei diesem Kranken bestand eine 8 Tage alte Exazerbation,
bei der ich 2 Tage vor der Spitalsaufnahme eine leichte Senkung der oberen
Gehörgangswand feststellen konnte. Am Tage vor der Spitalsaufnahme 40°
Fieber mit Schüttelfrost, ebenso am Tage der Spitalsaufnahme. Sowohl die
lokalen Symptome am Warzenfortsatz und seiner Umgebung, als auch die
Allgemeinsymptome, besonders die Zunge, wiesen auf eine Sinusthrombose.
Bei der Radikaloperation wurde die mittlere Schädelgrube freigclegt und
eine Bogengangsfistel gefunden. Der Sinus, weit rückverlagert und von dickem
sklerotischen Knochen bedeckt, erwies sich als normal. Am Tage nach der
Operation Temperaturabfall auf 36*8, jedoch am zweitnächsten Tage ein
Ansteigen auf 39*5, weshalb in der Annahme eines wandständigen Thrombus
im Bulbus und, da es sich um eine chronische Eiterung handelte, die Sinus-
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Jugularisoperation ausgeführt wurde. Ein Thrombus wurde nicht gefunden.
Nach diesem Eingriff schwankte das Fieber zwischen 38*5 und um 37. Bei
dem Verbandwechsel am dritten Tage nach der Jugularisoperation, bei der
Sinus-Jugularis und Bulbus noch bluthältig waren und bei welcher wegen
Verdacht auf einen Schläfelappenabszeß die Dura der mittleren Schädelgrube
am freigelegten Stück an der Schädelbasis mit negativem Erfolg punktiert
wurde, zeigte sich in der Schläfengegend eine große Fluktuation, dem Tem¬
poralmuskel entsprechend, und beim Abheben des musculus temporalis ent¬
leerte sich subperiostaler Eiter. Die Annahme, daß es sich um einen durch
die Schuppe durch gebrochenen Schläfelappenabszeß handelte, wurde durch
die Operation zur Gewißheit, w'obei gleichzeitig speziell an der lateralen
Fläche des Schläfelappens ein großer, fötiden Eiter enthaltender Extradural¬
abszeß und Intraduralabszeß freigelegt wurde. Zur gleichen Zeit war die
Dura an der Basis, von wo aus der Schläfelappen früher punktiert wurde,
ohne Veränderungen. Das Interessante an diesem Fall liegt abgesehen von
der Art der lokalen Veränderungen darin, daß Hirnabszesse — Extra- und
Intraduralabszesse — unter dem Bild einer Sepsis klinisch verliefen. Auch
die Lumbalpunktion ergab zur Zeit der Sinusoperation keinen sicheren
Anhaltspunkt für Abszeß.
VI. E. Urbantscliit sch: Ödematöses Fibroin des Naso-Pharynx.
Demonstration der großen Geschwulst, die den ganzen oberen Rachen¬
raum des 23jähr. Mannes ausgefüllt hatte. Die Operation war mittels Schlinge
nicht durchführbar, gelang aber sehr gut mittels eines großen Beckmann-
sehen Messers. Die Blutung w r ar minimal. Die histologische Untersuchung
ergab ein ödematöses Fibrom. Trotzdem die Tubenöffnungen ganz verlegt
waren, bestand merkwürdigerweise nicht die geringste Hörstörung. Die
Heilung ging rasch vonstatten und führte auch subjektiv zu einem anhaltend
vollen Erfolg.
VII. R. L e i d 1 e r und P. L ö w y: Zur Lumbalpunktion.
Leidler berichtet, daß der erste der 3 Fälle von Lumbalpunktion,
über die in der Novembersitzung vorgetragen wurde, jetzt normal reagiert.
Aussprache.
H. Brunner: Wenn Leidler und L ö w v durch ihre Unter¬
suchungen den Versuch machen wollten, alle Formen des Schwindels auf
eine gemeinsame Ursache, nämlich auf vasovegetative Störungen zurück¬
zuführen, wenn sie also versuchten, auch den echten labyrinthären Schw T indel
nicht als direktes, sondern gleichsam als indirektes Labyrinthsymptom dar¬
zustellen, so wräre es eigentlich plausibler gewesen, zuerst die Symptomatologie
des Schwindels bei Labyrinth kranken ohne Neurose genauer zu erfassen,
bevor sie den Schwindel bei Neurosen studieren, mit anderen Worten, es
wäre besser gewesen, sich zuerst die Frage vorzulegen, welche Veränderungen
ruft eine Erkrankung des peripheren oder zentralen Vestibularapparates in
der gesunden Psyche hervor, bevor die diesbezüglichen Verhältnisse
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Dez. 1921).
in einer nicht vollkommen gesunden Psyche dargelegt werden. Eine derartige
Untersuchung zeigt, daß die bis jetzt geltende Lehre von dem für Erkrankungen
des Vestibularapparates allein charakteristischen Drehschwindel nicht zu¬
trifft. Ich konnte vielmehr bis jetzt bei reinen, d. h. nicht mit Neurosen kom¬
plizierten Erkrankungen des Vestibularapparates 3 verschiedene Angaben
unterscheiden: 1. Die erste Gruppe von Patienten gab Scheindrehung der
Umgebung, seltener des eigenen Körpers an, 2. die zweite Gruppe gab Zug
nach einer bestimmten Seite (meist zur erkrankten Seite) oder in sehr seltenen
Fällen Schiefstellung der gesehenen Objekte an, ohne eine Spur von Schein-
drehung, 3. in die dritte Gruppe endlich gehören die Kombinationsformen.
Es ist nicht zu verkennen, daß die Angaben der Gruppen 1 und 2 wesentlich
verschiedene Zustände beschreiben, die sich zu einander etwa so verhalten
wie der Nystagmus zu der kompensatorischen Augenbewegung. Es liegt
daher die Möglichkeit vor, daß sich aus dem weiteren Studium gerade dieser
Verhältnisse praktisch wichtige Schlüsse entweder für die Lokalisation oder
für die Schwere des Krankheitsprozesses ergeben können. Die Symptomatologie
des Schwindels wird aber sofort eine weitaus reichere, wenn die vom erkrankten
Labyrinthe oder vom zentralen Vestibularis kommenden Reize durch eine
kranke Psyche verarbeitet werden. Welche dieser verschiedenen und reich¬
haltigen Angaben man dann wirklich auf das Labyrinth bzw. auf den zentralen
Vestibularis wird zurückführen können, läßt sich erst dann entscheiden,
wenn man sich über die Entstehungsart und die topisch-diagnostische Be¬
deutung der beiden oben genannten, vom Labyrinth ausgelösten psychischen
Phänomene klar geworden ist. Es muß daher vorderhand vollkommen un¬
entschieden bleiben, welche der von den Neurotikern gemachten Angaben
man auf das Labyrinth, welche man auf das Kleinhirn, das Großhirn oder
die M«'dulla oblongata zurückführen soll. Sicher ist nur, daß der gesamte
Vestibularapparat auch bei nicht anatomisch nachweisbaren Erkrankungen
Symptome machen kann.
Was den Nystagmus bei Neurosen betrifft, so möchte ich zunächst
bemerken, daß man von einem „vestibulären Typus des Nystagmus“ nicht
sprechen kann. Jeder vestibuläre Nystagmus ist ein Rucknystagmus, aber
nicht jeder Rucknystagmus ein vestibulärer. Es muß sich die Frage erheben,
ob nicht wenigstens ein Teil der von L e i d 1 e r und L ö w y gefundenen
Nystagmen eher zur Gruppe des von der Großhirnrinde ausgelösten Ein¬
stellungsnystagmus als zur Gruppe des vestibulären Nystagmus zu rechnen ist.
Was die Frage der Übererregbarkeit betrifft, so möchte ich wieder
betonen, daß der Grad der Reaktionsbewegungen nach der Labyrinthreizung
kein Maß für die Empfindlichkeit des Labyrinthes abgibt, da es ganz von der
allgemeinen und momentanen Verfassung des Patienten abhängt, die Reak¬
tionsbewegungen zu übertreiben oder nicht. Das einzig halbwegs sichere
Maß bietet vorderhand die Dauer des Nachnystagmus.
Was die Fallreaktion betrifft, so möchte ich daran erinnern, daß
Schwankungen in der Frontalebene viel maßgebender sind als Schwankungen
in der Sagittalebene. Darauf wurde ja schon vielfach von Neurologen und
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Otologen hingewiesen. Es kann dieser Tatbestand Zusammenhängen mit
dem beiläufig symmetrischen Bau des menschlichen Körpers in der Frontal¬
ebene und mit dem vollkommen unsymmetrischen Bau des Körpers in der
Sagittalebene.
Wenn nun L e i d 1 e r als Ursache dieser Symptome vor allem in An¬
lehnung an W i 11 m a a c k einen Hydrops labyrintlii anschuldigt, der im
Anschluß an die der Neurose zugrunde liegenden vasovegetativen Störungen
aufgetreten sein soll, so muß daran erinnert werden, daß aus den Witt-
maackschen Untersuchungen die ausgiebige Kommunikation von Liquor
labyrinthi und Liquor cerebrospinalis nicht gefolgert werden kann. Aus
dem Umstande, daß Stoffe, die man in das Labyrintliinnere bringt, auch im
Liquor cerebrospinalis erscheinen, kann noch nicht geschlossen werden, daß
diese beiden Flüssigkeiten auch miteinander kommunizieren. Wir wissen ja
schon lange, daß verschiedene Gifte durch die peripheren Nerven ins Zentral¬
nervensystem befördert werden können. Ich verweise diesbezüglich auf die
Untersuchungen von Homen und Last inen, die derartige Versuche
an den Spinalnerven unternahmen, weiter an Meyer und Rarnson,
die ähnliche Versuchsergebnisse mit dem Tetanustoxin erhielten, schließlich
an die Versuche von Spitzer am Trigeminus. Es geht daher nicht an,
aus dem Umstande, daß Stoffe, die ins Labyrinthinnere gebracht wurden,
ira Liquor cerebrospinalis erscheinen, auf eine ausgiebige Kommunikation
dieser beiden Flüssigkeiten zu schließen. Es sprechen im Gegenteil manche
Umstände gegen diese Kommunikation und ich glaube, daß gerade darauf
die Tatsache zurückzuführen ist, daß es uns noch nicht gelang, eine der
Stauungspapille entsprechende Form des Stauungsohres zu finden. Man
muß ja stets daran denken, daß der N. opticus einen Teil des Gehirns darstellt,
während der Akustikus ein peripherer Nerv ist.
Lei dl er: Auf die Brunn ersehen Bemerkungen kann ich aus
demselben Grunde wieder nicht befriedigend antworten, den ich seinerzeit
angeführt habe, als wir den Vortrag gehalten haben. Es lassen sich die Resultate
unserer Untersuchungen in dem kurzen Rahmen eines Vortrages nicht so
erschöpfend darstellen, daß man daraus ein klares Bild gewinnt. Ich hoffe,
-daß unsere Arbeit die Mißverständnisse etwas auf klären wird. Immerhin
möchte ich auf einige Punkte etwas näher eingehen. Es freut mich, daß
Brunner sich mit dem Problem der Differenzialdiagnose des Schwindels
befaßt, einem Problem, das angegangen werden muß. Wir besitzen Be¬
schreibungen über Schwindel in der Otologie schon 100 Jahre, aber niemand
ist es eingefallen, ihn systematisch von dieser Seite zu betrachten. Aber
gerade weil wir bei dieser Beschäftigung mit Neurosen a) dem Labyrinth¬
schwindel ähnhehe, b) unähnliche Formen gefunden haben, sind wir dazu
gekommen, uns mit der Differentialdiagnose zu beschäftigen. Daß wir erst
der Frage näher kommen, wenn wir uns mit dem Labyrinthschwindel, ferner
dem bei organischen Hirnerkrankungen und bei reinen Psychosen beschäftigt
haben, ist zweifellos und ich kann auch heute noch nicht Sicheres in dieser
Beziehung aussagen. Nun hat Brunner versucht, gewisse Gruppen auf-
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zustellen, die sich vielleicht zu einer Gruppierung der Schwindelformen
lierauskristallisieren werden. Es ist bei der Kürze der von Brunner ge¬
machten Bemerkung natürlich schwer zu diskutieren. Ich möchte aber
erwähnen, daß wir bei den Neurosen bekanntlich alle die Formen, die er in
Gruppen einzuteilen versucht, teils nebeneinander, teils zeitlich abwechselnd
vorgefunden haben. Andererseits ist Folgendes zu bemerken: In der
letzten Zeit habe ich gemeinsam mit F r e m e 1 in 1 bis 2 Fällen und in einem
eigenen genau beobachteten Fall gesehen, daß eine Patientin, die einen absolut
sicheren Labyrinthschwindel (seröse Labyrinthitis ohne Form von Neurose)
unmittelbar nach oder während der Attaque des Einbruches ins Labyrinth
einen solchen ausgesprochenen Drehschwindel hatte. Sie lag im Bette und
konnte nicht aufstehen. Der Drehschwindel schwand nach 3 bis 4 Tagen
wie abgerissen und an seine Stelle trat ein ausgesprochener Zug, der einer
Reaktionsbewegung entgegen der raschen Komponente des Nystagmus
III. Grades entsprach. Wir sehen also zwei Symptome Brunners bei
einer Patientin bei einer Erkrankung sukzessive hintereinander auf-
treten. Wenn Brunner uns vorwirft, daß wir alle Formen des Schwindels
auf eine gemeinsame Ursache, nämlich auf vasovegetative Störungen zurück¬
führen wollen, so hat er uns schlecht verstanden. Wir haben nicht behauptet,
daß der Labyrinthschwindel, der sicher vom peripheren Labyrinth ausgelöst
wird, auf vasovegetativem Wege zustande kommt. Ubiigens wird Löwv
auf diesen Punkt noch näher eingehen. Der Arbeit Wittmaacks haben
wir vielleicht in unserer Arbeit einen etwas zu großen Raum gewidmet und
den Anschein erweckt, daß wir besonders großen Wert auf sie legten. Wir
wollten in unserem Vortrage dartun, daß die Möglichkeit besteht, daß ein
großer Teil der bei Neurosen zu findenden Schwindelsymptome auf dem
Wege des peripheren Labyrinths oder des zentralen Vestibularis zustande
kommt, und haben hierzu die unserer Ansicht nach ausführlichste Arbeit
von Wittmaack zu Hilfe genommen, die uns wenigstens einen direkten
Zusammenhang zwischen Zerebrospinal- und Labyrinthflüssigkeit zu be¬
weisen scheint. Ob dieser Zusammenhang richtig ist oder nicht, kann ich
nicht beurteilen, da ich darüber nicht gearbeitet habe. Es gehört aber nicht
unbedingt zur Richtigkeit unserer Konklusionen, ob die Arbeit von Witt¬
maack richtig ist oder nicht. Denn wenn diese Hypothese nicht zutrifft,
wird eine andere herhalten müssen. Unser Vortrag sollte Tatsachen bringen,
die Tatsache, daß wir bei Neurosen häufig Schwindel finden und daß dieser
in vielen Beziehungen gleich ist, in mancher Beziehung aber sich unterscheidet
vom echten Labyiinthschwündel. Die Hypothesen zur Erklärung bleiben
selbstverständlich Hypothesen und w r enn sie nicht hinreichen, so müssen
andere gesucht werden.
P. Löwy: In Erwiderung auf die Diskussionsbemerkung Dr. Hans
Brunners bemerkt L e i d 1 e r, der Nystagmus bei den Neurosen ist
gewiß kein rein vestibulärer, aber wir haben Grund, ihn als von vermutlich
vasomotorisch bedingten Erregungszuständen des Labyrinthes hervorgerufen
anzusehen.
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Bücher besprecht! ngen.
149
Was die Fallreaktionen betrifft, so müssen wir auch das Übervviegen
des Fallens in der Frontalebene bestätigen.
Die Polemik gegen die Liquorkommunikation zwischen Cavum cranii
und Labyrinth (Wittmaack) verliert deshalb ihre Schärfe, weil wir sie
ja durchaus nicht ab etwas Sicheres hinstellen, sondern sie uns nur einen der
möglichen Wege darstellt, Kapillarzustandsveränderungen im Labyrinth
selbst würden einen anderen Weg darstellen; welcher zur Erklärung führt,
erscheint noch ungewiß. Sicher erscheint uns, daß die vorhandenen Schwindel¬
zustände bei der Neurose in Analogie mit den übrigen reichlich vertretenen
vasomotorischen Symptomen auch diese Genese haben werden.
Etwas anderes ist die psychische Verarbeitung dieser Schwindel¬
zustände; sie ist entsprechend der Selbst Wahrnehmung und der krankheits-
fördemden oder -hemmenden Tendenzen der Patienten in ihrem motorischen
(statomotorischen) Ausdruck verschieden. Der Parallelismus zwischen Schein
und Reaktionsbewegung ist ein Ausdruck der krankheitsfördernden Tendenzen
des Patienten.
Bücherbesprechtmgeii.
Grundriß der Wund Versorgung and Wundbehandlung sowie der Behandlung
geschlossener Infektionsherde von Priv.-Doz. D. W. von Gaza, Assistent an
der chirur^. Universitätsklinik in Göttingen. Mit 32 Abbildungen. Berlin 1921,
Jnlins Springer.
Das vorliegende Bach bringt die wichtigsten Methoden der Wund¬
behandlung und die bedeutsamsten Mittel fttr dieselbe in äußerst anregender
Form, zumal Verf. das ganze Werk auf einer großzügig geschriebenen
„Allgemeinen Biologie des Verletzungsherganges und der Verletzungsfolgen“
anfbaut. Wir finden hier die Gewebsdurcbtrennung und ihre unmittelbaren
Folgen besprochen, die besonderen Stoffwechselvorgänge bei der Wund¬
heilung, den Vernarbnngsprozeß, die Wundsekretion and die Wandeiternng,
Wundinfektion and Entzündung sowie das Vorgeben gegen die Wandkeime.
Verf. weist mit Hecht darauf hin, daß die allgemeinen Grundsätze
der Wundversorgung und Wundbehandlung und der orthopädischen Nach¬
behandlung (II. Teil) noch nicht genügend bekannt sind. Zu verwerfen ist
Polypragmasie. Man „arbeite mit wenigen erprobten Mitteln, lerne ihre
Wirknngsart und ihre Mängel kennen und wechsle nicht za oft“. Der
III. Teil amfaßt die spezielle Wundversorgung und Wundbehandlung,
der IV. die Mittel znr Wundbehandlung. Hier vertritt der Antor den
Standpunkt, dem Arzt Gelegenheit za bieten, sich über die von ihm
angewandten Mittel eine auch theoretisch gegründete eigene Meinung zu
bilden nnd hat schon ans diesem Grunde den pathophysiologischen Vor¬
gängen bei der Wandheilnng einen breiteren Raum eingeräumt. Die
Arbeiten Friedrichs werden vom Verf. vollauf berücksichtigt.
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Personalien und Notizen.
Das Bnch entspricht zweifellos einem großen Bedürfnis nach einem
derartigen Werk und wird sich bei seiner ausgezeichneten Darstellungs¬
weise und der erstklassigen Ausstattung mit vollstem Recht überall
Freunde erwerben. E. U.
Personalien und Notizen.
Ernannt: Prof. Dr. Wagen er, Direktor der Universitätsklinik für
Ohren-, Nagen-, Halskrankheiten in Marburg zum ord. Professor; Prof. Dr. Wilhelm
Lange in Güttingen zum ord. Professor der Ohren-, Nasen-, und Halskrank¬
heiten in Bonn.
Verliehen: Dr. A. Gütlich, Privatdozent für Ohrenheilkunde, und
Dr. M. Weingärtner, Privatdozent für Laryngologie, in Berlin die Dienst¬
bezeichnung m. o. Professor.
Habilitiert: Dr. Kobrak in Berlin als Privatdozent für Hals-, Nasen-
und Ohrenheilkunde; Dr. E. Schüttler in Basel für Otologie.
Berufen : Prof. Dr. von Eicken (Gießen) als Nachfolger K i 11 i a n s
und Direktor der Universitätsklinik für Nasen- und Kehlkopfkrankbeiten nach
Berlin.
Für d«n wissenschaftlichen Teil verantwortliche Redakteure: Dr. E. Urbantsohlfsoh, Dr. H. linoDit f
Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Urban 4 &0hwarz6lber$ j i
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Richtung.
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lichkeit ist von
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wird durch die
zwei auf der Ab¬
bildung vorn
und hinten lie¬
genden Handrä¬
der bequem be*
tätigt.
Jedem Besitzer einer Kromayer - Lampe
wird der Nachbezug einer neuen Vertikal-Stativstange mit
neuem Querarm — beide mit der Zahnradeinrichtung ent¬
sprechend Abb. 2 (Bestellwort „Cemach*Einrichtung 11 ) an¬
gelegentlichst empfohlen. Angebot auf Anfrage. Die präzise
gediegene‘Ausführung läßt die Kromayer-Lampe als dop¬
pelt wertvollen Apparat erscheinen. Niemand, der das neue
Cemach-Stativ gesehen hat, wird das Stativ aller Art vveiter-
benutzen wollen.
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Monatsschrift
für
Ohrenheilkunde
und
Laryngo-Rhinologie
Organ der Österreichischen ototogischen Gesellschaft
und der Wiener laryngo-rhinologischen Gesellschaft
MitbegrOndrt von
CHIARI, GRUBER, JURASZ, RUDINGER, VOLTOLINI, WEBER*LIEL,
L. v. SCHRÖTTER, V. URBANTSCHITSCH. E. ZUCKERKANDL
Unter Mitwirkung ron
Prof. Dr. F. ALT (Wien), Prof. Dr. B. bArÄNY (Upsala), PriT.-Do*. Dr. O. BECK (Wien), Prof. Dr
A. BING (Wien), Prhr.-Do*. Dr. G. BONDY (Wien), Prof. Dr. G. BRÜHL (Berlin), Prof Dr. H. BURGER
(Amsterdam), Prof. D. DEMETRIADE8 (Athen), Prof. Dr. J. FEIN (Wien), Prof Dr H. FREY (Wien),
Prir.-Do* Dr. E. FRÖ8CHKLS (Wien), Dr. Y. FRÜH WALD (Wien), Prir -Do*. Dr S. GATSCHER (Wien),
Prof. Dr. B. GLAS (Wie.), Prof. Dr. B. GOMPERZ (Wien), Prof. Dr. M GROSSMANN (Wien),
Prof. Dr. V. HAMMKRSGHLAG (Wien), Dr. HKINZH (Leipzig), Prof. Dr. HEYMANN (Berlin), Prir..
Do*. Dr. G. HOFER (Wien), Prof. Dr. R. HOKFMANN (Dresden), Prof. Dr. HOPMANN (Kolo), Prof. Dr.
0. KAHLER (Freiburg I Br), Priv.-Do*. Dr. J. KATZKN8TEIN (Berlin). Dr KELLER (Köln), Hofrat
Dr. KIRCHNER (Würzbure), Priv.-Do*. Dr. K KOFLEK (Wien), OStA. Dr. S. LAVVNER (Wien),
Prof Dr. LICHTEN B ERG (Budapest), Dr. L MAHLER (Kopenhagen), Prof. Dr. H. NEUMAYER (München),
Dr. Max RAUCH (Wien). Prof. Dr. L. RÜTHI (Wien). Dr. Ed. RIMINI (Triebt), Dr. F RODE (Trieit),
Prir.-Do*. Dr K RUTTIN (Wien), Prof. Pr J SA FRANKE (Budapest), Pr F. SCHLEMM h R (W'ien),
Prof. Dr. A. SCHÖNEMANN «Born), Reg. Rat Dr. H. SCHRÖTTER (Wien) Dr. M. SEEMANN (Prag),
Dr. A. SIKKKL (Ha*g), Dr. SPIRA (Krakau). Prir.-Do*. Dr. H. STERN (Wien), Dr. M. 8UOAB (Budapest),
Prof. Dr A THOST (Hamburg), Dr. WEIL (Stuttgart), Dr. M. WEIL (Wien», Dr. K. WODAK (P»ag)
H. NEUMANN
Wien
für Ohrenheilkunde:
Ernst Urbantschitsch
Wien
herausgegeben von
M. HAJEK
Wien
Redakteure:
G. ALEXANDER
Wien
für Larjngo - Rbioologie:
Hermann Marschlk
Wien
56. Jahrgang, 3. Heft
(Mfirz)
URBAN & SCHWARZENBERG
BERLIN N WIEN I
FRIEDRICHSTRASSE 106 b MAHLERSTRASSE 4
1922
Monatlich erscheint 1 Heft von etwa 6 Bogen Umfang.
Preis vierteljährig für Deutsch Österreich K 2000. —, für die Tschechoslowakei
8. K 50.— , für Ungarn ung. K 350. —, für Deutschland M 100. —, für Polen
poln. M1500. —, für Jugoslawien Dinar 80.— , für alle übrigen Länder
West-, Süd- Und Nord-Europas sowie der Übersee 10 Franken Schweizer
Währung exkl. Porto.
Einzelne Hefte kosten d.-ö. K 700.—, c. K 20.—, M 40. — bzw. M 120. — .
Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Urban
& Schwarzenberg, Wien I, Mahlerstraße 4, und Berlin N 24, Friedrich-
Straße 105 b, entgegen.
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Originalbeiträge, Rezensionsexemplare usw. otologischen Inhaltes bitten icir,
an Doz. Dr. Erst st Urbantschitseh , Wien, I. Schottenring 24, und solche rhino-
laryngologischen Inhaltes an Prof. Dr. H . Marschik 9 Wien, IXSeveringasse 1,
einsenden zu wollen. Das Honorar für Originalien und Referate beträgt K 960 .— für
den Bogen zu 16 Seiten. Sonder ab drücke von Originalien werden zum Selbstkostenpreise
berechnet. Für Bücherbesprechungen geht das betreffende Buch als Honorar • m den
Besitz des Besprechers über. Redaktion und Verlag .
Inhaltsverzeichnis.
OriginaUArtikel
Wilhelm Sternberg, Berlin: Elementar-Analyse der Tonsprache. 161
Dr. Maximilian Bauch, Wien: Über die LokaUsation von Tönen und ihre Be¬
einflussung durch Reizung des Vestibularis.xl76
Dr. Maximilian Rauch, Wien: Die Lokalisation einseitig Tauber. 183
Dr. 0. Strandberg, Kopenhagen: Bemerkungen zhr tuberkulösen Mittel¬
ohrentzündung und zu ihren Komplikationen mit besonderer Berück¬
sichtigung der Behandlung mit Finsenbädern .. 187
Dr. Aurel R e t h i, Budapest: Die operative Lösung der bei der beiderseitigen
Postikuslähmung bestehenden Medianlage.200
Vereinsberichte
Österreichische otologisohe Gesellschaft. Sitzung vom 30. Jänner 1922 . 204
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft. Sitzung vom 5. Oktober 1921 ... 216
Bficherbesprechnngen
Taschenbuch der ökonomischen und rationellen Rezeptur. Von Prof. A. F r ö h-
lich und Prof. R, Wasi cky % .. 223
Personalien und Notizen
Habilitiert. Ernannt. Gesellschaft Deutscher Hals-, Nasen- und Ohrenärzte . . 224
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Schleimhaut-Anästhesie: 5—20V»iga Pinselung, bezw. Instillation. =
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MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LARYNGO-RHINOLOGIE
66. J»hrg. _ 1622. _ 8. Heft.
ÜMkdnak Tabu» .
OriginaUArtikel.
Elementar-Analyse der Tonsprache.
Neue CJesiehtspunkte aus der physiologischen Muskelmechanik für die
Physiologie des Tonsinnes.
I.
Physiologische Begründung der Konsonanz.
Von Wilhelm Sternberg, Berlin.
(Mit 11 Figuren.)
Wortsprache und Tonsprache wenden sich ans Ohr, die Wortsprache
an den Gehörssinn, die Tonsprache an das musikalische Ohr, an den Tonsinn
oder Klangsinn. Die Wortsprache, die Sprache des Verstandes, wendet
sich durchs Ohr an den Verstand; die Tonsprache, die Sprache des Ge¬
fühls, durch das musikalische Ohr ans Gefühl. Freilich spricht man auch
von musikalischer Logik, von musikalischem Sinn, von musikalischem
Verstehen. Wortsprache und Tonsprache unterhalten mannigfache Be¬
ziehungen zu einander. Die Wortsprache kann der musikalischen Elemente
nicht entbehren. In der Tonsprache spricht man von der Sprachlehre der
Melodik, dem Stil, dem Vortrag, von den Sprachmitteln der Musik, vom
Ausdruck, von der musikalischen Aussprache, von der Artikulation.
Im Gesang verbinden sich beide Gebiete, Wortsprache und Tonsprache,
sozusagen das Muskelspiel des Wortspieles oder der Wortmalerei mit
dem Muskelspiel des Lautspiels oder der Tonmalerei.
Wie die Laute das Element der Wortsprache, so bilden das musi¬
kalische Element die Töne. Die Töne sind das ursprüngliche Formelement
der Tonsprache, das Material der gesamten Tonkunst. Sie bilden die
kleinste Einheit, gewissermaßen das Atom.
‘Und diese Elemente werden physiologisch nach zwei Richtungen
zu höheren Einheiten zusammengefaßt, zu sukzessiven Verbindungen
und zu simultanen Verbindungen.
Die Elementaranalyse jedes Tonstückes führt regelmäßig zu diesen
■ wei elementaren Verbindungen, zur Melodie und zur Harmonie. Die
sukzessive Verbindung der Elemente ist die musikalische Melodie. Die
Melodie, das eine elementare Grundelement der Tonkunst, ist die höhere
Monit—otirifl f. Ohnshtilk. a. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. H
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152
Wilhelm Sternberg.
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Einheit, gewissermaßen das Molekül, die Verbindung. Das zweite elemen¬
tare Grundelement der Tonkunst ist die Harmonie. Die musikalische
Harmonie ist physiologisch der simultane Sinneseindruck.
Das musikalische Hören ist also zeitlich ein doppeltes und auch
wesentlich ein doppeltes. Denn die Funktion des Ohres ist erstlich eine
analytische, sodann aber auch eine synthetische und überdies gleich¬
zeitig in jeder Zeiteinheit eine analytische und 'zugleich eine synthetische.
Die einfachste Grundformel melodischer Bewegung ist die ein¬
heitliche Verbindung von 8 Atomen, die physiologische Reihe von be¬
stimmten 8 Elementen, die elementare Tonfolge, die in der Musik Oktav¬
reihe oder Leiter genannt wird. Diese Einheit der 8 Elemente bildet
ein „imteilbares“ Ganze, ist also auch für sich ein „Atom“ höherer Ord¬
nung, vergleichbar dem chemischen Radikal. Die Zahl 8 spielt in der
Tonkunst dieselbe Rolle wie die Zahl 10 in der Arithmetik, worauf schon
Ptolemäus hingewiesen hat. Ja, in der Tonkunst ist die Verbindung
der 8 Elemente zu der Einheit der Naturtonleiter oder Normalskala wie
in der chemischen Verbindung sogar unabänderlich, geradezu eine kon¬
stante Naturnotwendigkeit. Schon diese Tatsache deutet auf physio¬
logische, sogar auf physiologisch-mechanische Bedingungen hin.
Die einfachste Grundformel der Harmonie ist die Konsonanz
und die Dissonanz. Gewisse Töne verschiedener Tonhöhe geben beim
Zusammenklang, der in der Tonkunst Akkord genannt wird, den physio¬
logischen Sinneseindruck des Einklangs von psychisch wohltuender
Wirkung. Die Verbindung aus zwei, drei oder vier Elementen führt also
zu einer Einheit, förmlich wie zu einer chemischen Verbindung. Andere
Klänge wieder geben bei ihrer Mischung zu Zusammenklängen physio¬
logisch keinen einheitlichen Sinneseindruck und ihr Gefühls-,,Ton“ ist
von mehr oder weniger schmerzlicher Wirkung. Dabei ist diese physio¬
logische Sinnes Wirkung und die psychologische Reizwirkung der ver¬
schiedenen Zusammenklänge graduell abgestuft, so daß eine Reihe von
Konsonanzen und eine Reihenfolge von Dissonanzen besteht. Das
Maximum der Konsonanz sinkt bis zum Minimum und schlägt um zur
Dissonanz.
Die mathematische, akustische Reihenfolge der Schwingungs¬
zahlen für die physiologische Reihe der Konsonanzen ist von bestechender
Einfachheit und bestrickender Schlichtheit:
1. 1:1 (1 Prime 1 Tonstufe)
2. 1:2 (8 Oktave 8 „ )
3. 2:3 (5 Quinte 5 „ )
4. 3:4 (4 Quarte 4 „ )
5. 4:5 (gr. 3 Terz 3 „ )
6. 5: 6 (kl. 3 Terz 3 „ )
Ausgezeichnet sind also durch das Maximum der Konsonanz die
Tonstufen 1, 8, 5, 4. Ebenso sind andere Tonstufen durch ihre Dissonanz
ausgezeichnet.
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153
Elementaranalyse der Tonsprache.
n
Die konsonierende bzw. dissonierende Wirkung des Zusammen¬
klanges gewisser Tonstufen ist durch eine höchst merkwürdige Kon¬
stanz ausgezeichnet, mag auch im Laufe der Zeiten hie und da eine kleine
Abweichung einmal bei manchen Völkern vorgekommen sein. Und diese
Konstanz ist so regelmäßig und so auffällig, daß ihr nicht nur physio¬
logische Faktoren zugrunde liegen müssen, sondern daß sie sogar rein
mechanisch bedingt sein muß.
Das Problem dieser Konstanz in der merkwürdigen Reihe von
sinnlichen und seelischen Reizen der Zusammenklänge ist in der klassischen
Literatur von zwei Seiten bisher der Lösung zugeführt worden, zuerst
' om Berliner Physiker und Physiologen Helmholt z, dann vom
Berliner Philosophen, dem Nichtfachmann Stumpf. Der Physiker hat
die Frage auf eine physikalische Formel der Erklärung gebracht, der
Philosoph auf eine philosophisch-psychologische Formel, der Berliner
Philosoph und Nichtfachmann Stumpf 1 ) hat freilich auch Beiträge
zur Physik und Akustik geliefert. Das Element der physikalischen
Formel des Physikers ist der Begriff der Schwebungen. Das Element
der philosophisch-psychologischen Formel des Philosophen ist der Begriff
der Verschmelzung. Da beide Erklärungen anerkanntermaßen doch noch
nicht eine endgültige Lösung des Problems ergeben, dürfte es möglicher¬
weise nicht überflüssig sein, die Lösung auch einmal vom Standpunkte
der physiologischen Mechanik zu versuchen.
Die deutsche Sprache spricht vom „Einklang“ der Konsonanz,
von „Über ein Stimmung“, von „Klang e i n h e i t“. Es fragt sich:
Läßt sich denn nicht ein physiologisch-mechanisches Element ausfindig
machen, eine Einheit der Verbindung aus zwei oder mehr Elementen,
ähnlich der Einheit der chemischen Verbindung, die durch Neutralisierung
von zwei oder mehr Elementen zustande kommt, ein mechanisches
Element der Einheit, das für die Erklärung der Konsonanz, für die
physiologische Begründung der Konsonanz zu beanspruchen wäre?
Läßt sich nicht ein mechanisches Element der Einheit ausfindig
machen, dessen graduelle Veränderung zum Maximum oder Minimum
das Maximum oder Minimum der Konsonanz, dessen Inversion zum
Umschlag die Dissonanz erklären könnte?
Die Praxis des täglichen Lebens und die Praxis der angewandten
Tonkunst, die von der Theorie der Wissenschaften doch wahrlich nicht
länger mehr übersehen werden dürfen, verwenden äußerst häufig eigen¬
artige Vorstellungen, die in sämtlichen Gebieten der Forschungen bisher
fremd geblieben sind. Die eine ist die Wirkung der Tonkunst auf den
Hörer im Sinne von „Erleben“, als wäre das musikalische Hören nicht
etwa bloß eine passive Perzeption der Sinne, sondern als käme außerdem
noch eine aktive Tätigkeit des Hörers hinzu. Dem liegt jedenfalls die
dunkle Vorstellung zugrunde, durch das Ohr werde nicht bloß eine
*) Beiträge zur Akustik und Musikwissenschaft. 1. Heft: Konspnanz ind
Dissonanz. Leipzig 1898.
11 *
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Wilhelm Sternberg.
psychologische Wirkung ausgeübt, sondern sogar eine physiologische,
leibliche, körperliche Wirkung, eine somatische Veränderung. Und andrer¬
seits spricht man umgekehrt vom „Verkörpern der Musik“, und zwar
durch Bewegungen, gleichsam als würden diese körperlichen Veränderungen
des Hörers, die Funktionen der Muskeln, die Beiz Wirkung abgeben, die
durch den Sinnesreiz des Tonstückes ausgelöst wird.
Dabei ist es nicht etwa bloß oder ausschließlich der Takt der
Bewegungen oder der Rhythmus der Muskelkontraktionen und Relaxionen,
der hierbei das eigentliche Wesen ausmacht. Der Dirigent ist nicht etwa
bloß ein Metronom oder ein einfacher Taktschläger.
Tatsache ist freilich, daß von den drei Grundelementen der Musik:
1. Rhythmus,
2. Melodie,
3. Harmonie,
das Wichtigste und Fundamentalste der Rhythmus ist. Schon d e alten
Griechen maßen immer wieder dem Rhythmus die einzigartige domi¬
nierende Stellung bei in der musischen Kunst, in der Dichtkunst und
in der Tonkunst, die freilich der modernen Kunst gegenüber eine gewisse
Einseitigkeit hatte.
Die alltägliche Erfahrung lehrt, daß die Tonkunst durch das Ohr
auf den Muskel wirkt. Selbst jeder ungebildete Mensch weiß einen Walzer
von einem Marsch zu unterscheiden. Das mag auf der physiologischen
Fähigkeit der rhythmischen Empfindung beruhen. Aber außerdem reizt
der Gehörseindruck in dem einen Fall auch noch die Lust, — diese Lust
ist in physiologischem Sinne dasselbe wie der Appetit — das Tanzbein
zu schwingen, in dem anderen Falle zum mindesten das Bedürfnis, eine
straffe Haltung anzunehmen. Die uralte Anwendung der Tonkunst für
den Marsch und für die Tätigkeit des ermüdeten Soldaten ist durch die
physiologische Wirkung des auditiven Sinnesreizes auf den Muskel be¬
gründet. Gar manchen, und nicht bloß Ungebildeten, sieht man im
Konzert sich nach dem Rhythmus wiegen, und nicht wenige sind geneigt,
mitzusingen. Wenn dennoch die meisten nicht mitsummen, dann ist
der Grund dafür der, daß die Erziehung diese Anlage der Neigung, ebenso
wie andere Reflexe, gerade hemmt und unterdrückt.
Aus diesen Tatsachen gehen jedenfalls zwei Leitsätze hervor.
1. Spieler und Hörer sind als eine physiologische Einheit auf¬
zufassen, ebenso wie Sprecher und Hörer, was ich 2 ) an anderer Stelle
ausgeführt habe.
2. Der Muskel ist das Organ, an dem der Reiz des Tonstückes die
körperliche Reizwirkung am meisten auslöst.
Daher fasse ich die Mitbewegung in diesem Sinne, die Mitbewegung
des Hörenden auf den Reiz der Bewegung des Spielenden, als die erste
und grundsätzlichste Reizwirkung des Reizes der Tonkunst durch das
*) „Die Elementaranalyse der Sprache“. Monatsschr. f. Ohrenhlk. 1921. S. 870.
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Elementaranalyse der Tonsprache.
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Ohr auf. Die Mitbewegung in dieser meiner modernen Auffassung ist
etwas prinzipiell anderes als die Mitbewegung in der klassischen Literatur,
die F o e r 81 e r 3 ) jüngst behandelt. Die Muskelbewegungen des Spielers,
die hörbaren Bewegungen reizen durch das Ohr die Muskeln auch des
Hörers zu Mitbewegungen. Es besteht eine Wechselbeziehung von Muskel
zu Muskel.
So und nur so erklären sich viele bisher imerklärbare Tatsachen:
Einerseits steckt Stottern an; umgekehrt kann andrerseits jeder Stotterer,
der allein keine Silbe, keinen Laut herausbringt, gleichsam wie ein
Stummer, doch im Chor mit anderen zugleich mitsprechen und vorzüglich
mitsingen, als wäre er durch die Mitsänger und Mitsprecher wie vom
Wunder angesteckt und geheilt. Mit Leichtigkeit singt jedes Kind in
seiner Lage den vom Lehrer gesungenen Ton nach, d. h. also eine Oktave
höher oder umgekehrt jener tiefer, wie einen identischen Ton. Das
quantitative Maß seiner Mitbewegung ist identisch mit dem quantitativen
Spannungsgrad des anderen. So erkläre ich das bisher unlösbare Rätsel
von der Identität der Oktave.
Es findet gewissermaßen eine nervöse Infektion vom Ohr statt,
wie z. B. eine nervöse Infektion vom Auge bei Chorea. Ist die Tatsache
ja schon längst bekannt, daß durch den Sehsinn leicht Mitbewegungen
in dieser Bedeutung angeregt werden. Gähnen steckt an, „Anlachen“
sagt die deutsche Sprache.
Ebenso bekannt ist die Tatsache aus der Pädagogik der Musik,
daß das Ohr, auch für den Anfänger, der beste Führer seiner Muskeln ist.
Daher fängt die pädagogisch-didaktische Methode für jede Instrumental¬
technik beim Ohr an, nicht beim Muskel. Sänger sind am besten prä¬
destiniert für jede Instrumentaltechnik. Das Ohr wirkt ebenso unmittelbar
auf den Muskel, wie der Geschmackssinn auf den Appetit, den ich auch
im Gegensatz zu Pawlow als den Hebel für die Musßelmechanik des
zugehörigen Organsystems ansehe. In zahlreichen Arbeiten habe ich
das bewiesen.
In seiner „Physiologie der Tonkunst“ hat F i e b a c h 4 ) diesen
Leitsatz übersehen. Ernst J e n t s c h B ) übergeht in seinen beiden Heften
„Musik und Nerven, I. Naturgeschichte des Tonsinns, II. Das musikalische
Gefühl“ den Muskel gänzlich.
Von allen Muskeln werden am meisten die Muskeln des Kehlkopfs
in Mitleidenschaft — in des Wortes eigentlichster Bedeutung — gezogen
durch das Ohr, und wenn auch nicht tatsächlich die Muskeln selber, im
buchstäblichsten Sinne, so doch das Muskelgefühl, der Muskelsinn. Die
*) „Die Mitbewegungen bei Gesunden, Nerven- und Geisteskranken“. Jena
1903, Otfried Foerster.
4 ) „Die Physiologie der Tonkunst“ von Otto F i e b a c h, Direktor des
Konservatoriums zu Königsberg i. Pr. Leipzig 1891.
*) 1904 und 1911. Wiesbaden, Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens.
Heft 78.
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Wilhelm Sternberg.
Muskeln der Stimmlippen kommen dabei vor allem in Betracht. Diese
Einsicht dürfte beitragen zur Aufklärung des ältesten und zugleich am
wenigsten ergründeten Problems, des Problems vom Wesen der Konsonanz.
Wie sehr die Muskeln des Kehlkopfs durch das musikalische Hören
beeinflußt werden müssen, ja wie wertvoll die Übungen dieser Muskulatur
für das musikalische Erfassen überhaupt und die allgemeine Ausbildung des
Tonsinnes sein müssen, vollends für die Erlangung der Kunstfertigkeit
auch in allen anderen Muskeln zur besonderen Schulung einer jeden
musikalischen Instrumentaltechnik, das lehren die außerordentlich reichen
Erfahrungen aus der alltäglichen Praxis der musikalischen Pädagogik.
Das beruht auf der Erkenntnis der modernen Pädagogik, daß an die
Muskeln das Vorstellungsvermögen geknüpft ist.
Die Praxis der didaktischen Musiktechnik hat erkannt, daß ein
feines musikalisches Gehör die selbstverständliche Voraussetzung für
jedes rechtschaffene Musizieren ist, und daß es daher von fundamentaler
Wichtigkeit ist, das musikalische Vorstellungsvermögen des Schülers
von Anfang an eifrig zu pflegen. Er muß singen, singen und wieder singen!
Schon vor nahezu zwei Jahrhunderten sagte T a r t i n i: „Per ben suonare,
bisogna ben cantare“ (Gutes Klingen braucht gutes Singen). Keinen
Ton soll der angehende Geiger anstreichen, den er nicht vorher durch
seine eigene Stimme festgestellt hat, bevor er also sich dessen vollkommen
bewußt geworden ist, welchen Ton er durch die Muskelbewegung seiner
Arme hervorbringen will.
Die Hauptsache ist, daß sich der Schüler ein bewußtes Hören aneigne.
Daß er rein oder unrein voneinander zu unterscheiden weiß, genügt noch
keineswegs; er muß vielmehr mit Sicherheit angeben können, ob ein
Ton zu hoch oder zu tief intoniert ist. Die auf Schulung des Ohrs ver¬
wendete Zeit und Mühe wird besonders bei Doppelgriffstudien ihren
Segen erweisen.
Dies ist einer der Gründe, weshalb die ersten Griffversuche des Geigers
auf der D-Saite zu machen sind. Die Töne der ersten Lage auf dieser Saite
entsprechen der Stimmlage eines jeden Kindes, es mag Sopran oder Alt
singen. Sollte aber, was zu den Seltenheiten gehört, keinerlei Stimme
vorhanden sein, so mag das Pfeifen als Notbehelf dienen.
Auch diese letzte Beobachtung und diese didaktische Erfahrung ist
nicht wenig interessant für die Physiologie, ihre Nutzanwendung in der
Praxis der modernen Pädagogik der Tonsprache nicht wenig dankbar für
die Heilpädagogik der Gebrechen der Wortsprache.
Ist die Tatsache etwa nicht äußerst seltsam, auf die bisher noch
gar nicht hingewiesen ist, daß jeder, ohne Ausnahme, regelmäßig die
Melodie, die er im Ohr hat, die er auf der Zunge hat, die er in den Fingern
hat, die er im Kopfe hat, daß er die auch auf dem Instrument seiner Mund¬
pfeife richtig, ohne einen einzigen Fehler treffen kann, — vorausgesetzt,
daß er diese elementare Technik überhaupt beherrscht —? Ist nicht
die Tatsache merkwürdig, daß keiner, der eine Melodie beherrscht, im
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Elementaranalyse der Tonsprache.
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Singen und im Spielen auf irgendeinem Instrument, auch nur einen
einzigen Fehler macht in der Wiedergabe auf seinem Instrument der
Mundpfeife, daß er sich niemals vergreift in dem quantitativen Maß
der Spannung und Entspannung auch dieser Muskeln ? Ist nicht die Prä¬
zision und die Leichtigkeit, die Treffsicherheit und die Kongruenz der
Treffsicherheit in der quantitativen Spannung und Entspannung dieser
Muskeln mit der Treffsicherheit in der quantitativen Spannung und
Entspannung der anderen Muskeln auffallend?
Diese Fragen sind noch nicht einmal aufgeworfen. Das Rätsel
löst sich mit der einfachen Erkenntnis: Das Muskelgefühl ist ein All¬
gemeingefühl, ein Gefühl, das aufs Erstaunlichste genau das quantitative
Maß, und zwar in allen Muskeln allgemein beherrscht. Auch daraus erklärt
sich die Macht der Übung und die Bedeutung des motorischen Gedächt¬
nisses. Meye r 6 ) hat das ganz und gar übersehen.
Das „Singen“ auf dem Instrument ist sogar das Ideal. Der In¬
strumentalist erstrebt geradezu die akustische Täuschung der Illusion,
die Technik lauscht die Ausdrucksmittel der menschlichen Stimme ab,
damit der Spieler mit seinen hörbaren Bewegungen den Hörer um so
leichter zu Mitbewegungen mitreißt, ja, damit eT seine eigene seelische
Erregung, und genau dieselbe, auf die Seele des Hörers um so leichter
projiziert, vollends damit er die Seelenbewegung,- den seelischen Ausdruck
des Komponisten reproduzierend, auch als Eindruck auf das Spiegelbild
der Seele aller Zuhörer um so leichter reflektiere. Das ist das Kunstmittel
der Tonkunst, mit der Seele des Hörers nach Belieben geradezu Fangball
zu spielen. Und das Zwischenglied ist hier wie da der Muskel. Folgendes
Schema illustriert dies:
Einheit
Physiologie
Element
Seelen-
a) Spieler
Muskel-
lj
Ohr
b) Hörer
Muskel- Seelen
bewegung bewegung ij bewegung bewegung
<-« Wechselspiel •-*
Hier brauchen ja nur die Ausdrucksmittel der Tonkunst angeführt
zu werden, wie das Tremolieren in der Gesangskunst, das Tremolo in
der Instrumentaltechnik, des Vibrato, das Portamento, mit ihrer erstaun¬
lichen Wirkung auf den Hörer, und zwar mit ihren erstaunlichen Wir¬
kungen gerade der Identität, der Identität der Mitbewegungen im schein¬
bar passiven Teil, nämlich der Hörer.
Das Tremolo der Streicher, das Tremolieren der Sänger sind
Iterativformen, vergleichbar der Iterativform des Stotterns, die durch
Zitterbewegungen erzeugt werden.
•) Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens. Einzeldarstellung für Gebildete
aller Stände. Übung und Gedächtnis. Eine physiologische.Studie von Dr. med.
Sami Meyer. Danzig 1904.
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Wilhelm Sternberg.
Die eine Art dieser Technik wird folgendermaßen ausgeführt:
Die Spieler der Streichinstrumente behalten die Einstellungsaktivität
der „Artikulation“ mit dem Finger der linken Hand bei. Die Rechte mit
dem Bogen, den man von jeher mit der Atmung vergleicht, führt zitter¬
artige Bewegungen aus, eine Strichart, die geradezu „tremolo“ ge¬
nannt wird.
Mit Recht schreibt daher die Notenschrift
dieses Tremolo mit einer einzigen Note vor:
Das ist auch der Grund für mich, die bisher übliche Graphologie
des Stotterns
K-K-K-K-K-Kappe
als die unwissenschaftliche zu verlassen und dafür die in der exakten
internationalen Graphologie verwandte Schriftart zu verwenden:
Kappe.
Die zweite Art, die die Kirnst ebenfalls verwendet, zu demselben
Zwecke, nämlich um eipe gewisse Erregung zu malen und zu erzeugen,
ist die Iterativform des Gesanges, die sogar ebenfalls dieselbe Bezeichnung
führt, nämlich das „Tremolieren“. Unwillkürlich entsteht Tremolieren
vor allem infolge seelischer Bewegung (Angst, Lampenfieber), ähnlich
wie aus gleicher Ursache auch andere Muskelgruppen als die des
Stimmapparates in zitternde Bewegung geraten.
Aus denselben Gründen der seelischen Bewegung kommt es ja
auch zum Tremolieren der Artikulationsmuskeln. Das ist die Iterativ¬
form des Stotterns, Echolallie, die den Hörer sogar nervös macht und
verscheucht. Damit weicht meine Anschauung grundsätzlich von der
bisherigen klassischen ab. Denn Lieb mann 7 ) meint: „Das bei sehr
hochgradigen und ängstlichen Stotterern mitunter auftretende Tremo¬
lieren der Stimme darf man nicht mit Stottern verwechseln.“ Diese
Bemerkung scheint mir von einer völligen Verkennung des eigentlichen
Wesens des Stotterns zu zeugen.
Unbestritten verwendet der Künstler das Tremolo, das Tremolieren
des Singens oder Vibrieren oder das Trillern, erstlich um die psychische
Erregung zu malen, nämlich um seine eigene, die des Reproduzierenden
sowie die des Komponisten, des Produzierenden, wiederzugeben, und
zweitens, um —die seltsame Tatsache der Kongruenz ist wissenschaftlich
sehr wohl festzuhalten und zu beachten 1 — genau dieselbe Erregung
auch im Hörer zu erzeugen.
Dieselbe Erregung mit demselben physiologischen Mechanismus ist
es, die den Sprecher zum Stotterer macht, einerseits, und dieselbe andrer-
’) Lieb mann: Vorlesungen über Sprachstörungen. 1898.
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Elementaranalyse der Tonsprache.
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seits, die der Stotterer im Hörer erzeugt, schon bei der mildesten Form
seines Stotterns, bereits bei der Aussprache eines einzigen Konsonanten
im Falle seines Anstoßes oder Anstoßens.
Mehrere Gründe sind es also, die mit dem Stotterer zugleich die
Hörer des Stotterers scheu machen und die Hörer zu Abwehrbewegungen
vom Stotterer veranlassen, ebenso wie sie umgekehrt diesen in entgegen¬
gesetzter Richtung menschenscheu machen.
Durch das „Portamento“ wird in der angewandten Tonkunst eine
Verbindungsbrücke zwischen zwei Tönen geschlagen, deren enge Zu¬
sammengehörigkeit wenigstens angedeutet werden soll. Und gerade der
menschlichen Stimme ist auch dieses Ausdrucksmittel — italienisch:
portare la voce = die Stimme tragen; französisch: port de voix — ab¬
gelauscht. Daher muß die Anwendung und Ausführung des Portamento
naturgemäß denselben Vorschriften unterliegen, die für die „Kunst des
schönen Gesanges“ gelten. So lautet die allgemeine Vorschrift der päda¬
gogischen Technik. Diese Art des Lagewechsels der Hand des Streichers
soll dem „ausdrucksvollen Singen auf der Geige“ dienen. Im Hörer will
der Spieler mit allen diesen Ausdrucksmitteln die Illusion hervorrufen, es
sei eine menschliche Stimme, die singe, sein göttliches Entzücken durch
die Kunst stamme nicht etwa vom Holze, von den vordem mit Kot
und Urin besudelten Schwanzhaaren eines Hengstes oder Wallachs und
den Trägem wiederum des Kotes, den Därmen, den Saitlingen der Schafe.
Ja, noch viel weiter reicht der Einfluß der Kehlkopfmuskulatur
auf die gesamte Musik aller Völker und aller Zeiten.
Tonentfemungen, Intervalle, die schwer zu singen sind, wie z. B. der
sogenannte Tritonus f—h, die große Quarte, die Tonstufen 4—7 der
Normalskala, sind wegen ihrer Unsanglichkeit aus der gesamten Ton¬
kunst geradezu verbannt als „Diabolus in musica“, im Gegensatz zum
„cantabile“, „cantando“ der Instrumentalmusik.
Geht man den Beziehungen der Kehlkopfmuskulatur des Hörers
zu der Muskulatur des Spielers weiter nach, auch in der Geschichte, so
kommt man zu der für die Physiologie höchst merkwürdigen Einsicht:
Die menschliche Stimme ist es, die sogar von jeher der gesamten Musik
geradezu die Gesetze diktiert hat und nicht etwa bloß die Gesetze der
Melodiebildung. Die menschliche Stimme und die Vokalmusik ist es,
die von jeher sogar der gesamten Instrumentalmusik die Gesetze diktiert
hat. A b e r t 8 ) freilich meint, daß diese Beeinflussung nur auf die antike
und mittelalterliche Musik beschränkt werden darf, nicht aber auf die
moderne Musik ausgedehnt werden kann, die Melodien von durchaus
instrumentalem Charakter schafft. Diese Annahme ist physiologisch
unrichtig.
*) Die Lehre vom Ethos in der griechischen Musik. Leipzig 1899. Sammlung
musikwissenschaftlicher Arbeiten von deutschen Hochschulen. II. S. 56. § 18 Vokal-
und Instrumentalmusik.
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Wilhelm Sternberg.
Mitbewegung und Mitgefühl seitens des scheinbar passiven Hörers
sind alltägliche Beobachtungen. Das Hören eines häßlich klingenden
Tones, der zwar richtig, in richtiger Höhe getroffen, aber unschön ge¬
sungen wird, z. B. des „gepreßten“, „gequälten“ Tones seitens des Sängers,
tut nicht nur dem Ohr des Hörers weh, sondern erregt sogar das Schmerz¬
gefühl, und zwar gerade auch im Halse des Hörers.
Die erstaunliche psychologische Feinheit der deutschen Sprache zeigt
sich auch darin, daß wir gerade sagen, der Spieler „stimmt“ sein „ver¬
stimmtes“ Instrument, die „Stimmung“ des Tonstückes, die „stimmungs¬
volle“ Schilderung und Charakterisierung durch Töne und ihre elementaren
Zusammenhänge. Damit ist die Kongruenz gemeint der Wirkung der
Sinneseindrücke auf die Seele des Hörers einerseits mit der seelischen
Wirkung durch den betreffenden Tatbestand andrerseits.
Auf diesem Wege gelangt man zu dem physiologisch-mechanischen
Leitsatz, dessen Einsicht man sich länger nicht mehr verschließen darf:
Das „bewußte Hören“, von dem in der Tonkunst und in der Pädagogik
der Tonsprache jetzt so viel die Rede ist, ist nichts anderes, als das Muskel¬
gefühl der Kehlkopfmuskulatur. Die Tonvorstellung, von der in der
modernen Pädagogik der Instrumentaltechnik so viel die Rede ist, ist
nichts anderes als das Muskelgefühl der Kehlkopfmuskulatur, das Gefühl
der Einstellungsaktivität der betreffenden Muskeln. Die Tonvorstellung —
ich 9 ) habe darauf bereits hingewiesen — ist nichts anderes als Bewegungs¬
vorstellung der Kehlkopfmuskulatur. So und nur so erklären sich die
seltsamen und allbekannten Erfahrungen und Nutzanwendungen aus
der Pädagogik der Tonsprache.
Freilich muß hier doch vor Mißverständnissen nachdrücklichst
gewarnt werden, die sich leicht einstellen könnten.
1. Nicht etwa die objektiven Muskelbewegungen kommen in Frage,
sondern die subjektiven Bewegungsvorstellungen, die S. Stricker 10 )
behandelt hat.
2. Nicht etwa die inneren Reproduktionen der Sinneseindrücke
kommen in Frage, sondern ihre Vorstellungen. Beides ist nicht etwa
identisch. Denn auf dem Gebiete des chemischen Sinnes, des Geschmacks
und Geruchs, ist uns die Fähigkeit der inneren Reproduktion der Ein¬
drücke versagt; ihre Vorstellung hingegen ist doch sehr leicht möglich.
3. Tonvorstellung ist Bewegungsvorstellung, und zwar Vorstellung
der Bewegung im Kehlkopfe.
4. Und diese Vorstellung selber ist schon ein Reiz zur Aktivierung,
die Bewegungsvorstellung ist ein Reizmittel zur Bewegung selber.
Mac h 11 ) freilich vertritt einen abweichenden Standpunkt. Mach
nahm zuerst die Spannung des Tensor tympani in Anspruch. Davon
kam er später ab.
•) „Die Elementaranalyse der Sprache“, a. a. O. S. 871.
1# ) Stadien über BewegungsVorstellungen. Wien 1882.
11 j Mach: „Zur Theorie des Gehörorgans. Sitzungsber. d. Wiener Akad. 1863“
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Elementaranalyse der Tonsprache.
161
„Die Baumanalogie fällt hiermit jedoch nicht“, so meint er 12 ),
„sondern es ist nur das betreffende physiologische Element erst
aufzufinden. Die Annahme, daß die Vorgänge im Kehlkopf (beim Singen)
zur Bildung der Tonreihe beitragen, habe ich in der Arbeit von 1863
ebenfalls berührt, aber nicht haltbar gefunden. Das Singen ist zu äußer¬
lich und zufällig mit dem Hören verbunden. Ich kann Töne weit über
die Grenzen meiner Stimme hinaus hören und mir vorstellen. Wenn ich
eine Orchesteraufführung mit allen Stimmen höre, oder wenn mir dieselbe
als Halluzination entgegentritt, so kann ich mir unmöglich denken, daß
mir das Verständnis des ganzen Stimmengewebes durch meinen einen
Kehlkopf, der noch dazu gar kein geübter Sänger ist, vermittelt wird.
Ich halte die Empfindungen, die man beim Hören von Musik gelegentlich
zweifellos im Kehlkopf bemerkt, für nebensächlich, so wie ich mir in
meiner musikalisch geübteren Zeit rasch zu jedem gehörten Klavier¬
oder * Orgelstück nebenbei die gegriffenen Tasten vorstellte. Wenn ich
mir Musik vorstelle, höre ich immer deutlich die Töne. Aus den die Musik¬
aufführungen begleitenden motorischen Empfindungen allein wird keine
Musik, so wenig der Taube, der die Bewegungen der Spieler im Orchester
sieht, Musik hört. Ich kann also in diesem Punkte Strickers
Ansicht nicht zustimmen.“ (Vgl. Stricker, Du langage et de la
musique. Paris, 1885.)
Mach begeht Zwei Fehler. Erstlich übersieht er, daß ja über¬
haupt gar nicht etwa die objektiven Bewegungen selber in Frage kommen.
Vielmehr die subjektiven Bewegungsvorstellungen sind es. Daher über¬
sieht er zweitens, daß die Ton- und Bewegungsvorstellungen auch von
Tönen, die man selber gar nicht zu singen vermag, doch sehr wohl möglich
sind. Diese Ton- und Bewegungsvorstellungen sind schon deshalb mög¬
lich, weil, zufolge der merkwürdigen Identität der Oktaven, jeder Ton
von selber, von allein, automatisch in den Bereich der physiologisch und
mechanisch leicht zu treffenden Oktave projiziert und transponiert wird.
Wenn aber die Tatsache schon richtig ist, daß die Muskelfunktion
ein Bestandteil des musikalischen Gehörs ist, die Tatsache, daß das
musikalische Hören zu Mitbewegungen führt und zu Mitbewegungen
des Kehlkopfes, dann fragt es sich doch weiter: Wie kann der Zusammen¬
klang von gewissen Tonstufen, der konsonierende Einklang oder die
Dissonanz zu einer Einheit in der Muskelfunktion führen oder zum Gegen¬
teil? Zur Behandlung dieser Frage muß die physiologische Muskel¬
mechanik für die Produktionsvorstellung der einzelnen Tonstufen einer
Betrachtung unterzogen werden.
Unser Tonsystem ist nicht etwa ein künstliches Produkt, sondern
ein natürliches Gebilde, physiologisch begründet. Die Elementaranalyse
der Melodie führt zu dem Element der Tonleiter genannten physio¬
logischen Eeihe von 7 bestimmten Tonstufen mit dem 8. Schlußton, der
**) S. 228. Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen
zum Psychischen. Jena 1919.
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mit 1 identisch ist. Diese physiologische Reihe ist eine in sich geschlossene
Einheit, ein selbständiges Gebilde. Ist der Ton die kleinere Einheit, das
Atom, dann ist die elementare Tonfolge der Tonleiter die größere Einheit,
auch ein unteilbares Ganzes, das Molekül. Ton verhält sich zu Tonleiter,
wie physiologisch die Koordination zur Assoziation, der Verbindung von
Koordinationsreihen. Dieser diatonische Kreis von 7 Stufen ist die Grund¬
formel alles Musizierens. Die Leiter genannte physiologische Reihe ist
die Stammleiter.
Selbst Volksschulkinder aus den einfachsten Ständen und all¬
überall können die Tonleiter leicht und bequem, ohne Mühe und ohne
jede Einübung singen. Sie haben sie ,,im Ohr“ — d. h. im Kehlkopf —
gewissermaßen präformiert. Sie treffen die Tonstufen durch Abstufen
der Spannungen in ihrem Muskelapparat, richtig, ohne Übung, bequem
und leicht, automatisch, wie von selber, ein wahres Kinderspiel.
Zwischen den einzelnen Tönen dieser physiologischen Tonreihe liegt
natürlich eine unendliche Anzahl von Zwischentönen, in mathematischem
Sinne oo. Zwischen Stufe 1 und 2, zwischen Stufe 2 und 3 der physio¬
logischen Tonreihe usw. liegt die physikalische Tonreihe von unendlicher
Ausdehnung. Um so auffallender ist daher die Tatsache, daß stets und
allüberall seit den ältesten Zeiten, ununterbrochen mit einer stets er¬
haltenen Konstanz doch immer bloß ein Ton und nur ein Ton aus der
unendlich großen Anzahl von Tönen dieser physikalischen Tonreihe,
ausnahmslos auf allen Instrumenten, der Teil der ganzen Einheit der
physiologischen Tonreihe ist und bleibt. Ein Ton und nur ein Ton ist
immer der „Leiter eigene“, der Tonleiter genannten physiologischen
Tonreihe. Alle anderen sind ausnahmslos „leiterfremd“. Mit Recht heißt
daher diese Art der physiologischen Tonreihe die Naturtonleiter, die
Normalskala.
Tatsächlich weist schon diese Konstanz mehr noch als alles andere
unzweideutig und unzweifelhaft darauf hin:
1. Physiologische Bedingungen müssen dem zugrunde liegen.
2. Ja, nur physiologisch-mechanische Bedingungen müssen dem
zugrunde liegen.
Wenn man auf einem Saiteninstrument, z. B. auf einer Geige,
die Saite entsprechend verkürzt, nacheinander mit den vier Fingern 1, 2,
3, 4, — der Daumen, auch sprachlich nicht als Finger gerechnet, zählt
tatsächlich hier nicht mit — dann erhält man vier zusammengehörige
Töne, den sogenannten Vierling oder Tetrachord: 1, 2, 3, 4. Ist nun die
Haltung der Geige richtig, und werden die Muskeln der Finger entspannt,
dann greifen sie rein, d. h. die Abstände der Tonstufen voneinander sind
so richtig, daß die Töne rein erklingen müssen. Auf der nächsten Saite,
die um eine Quinte höher ist, begreifen die vier Finger wiederum den
folgenden Vierling 5, 6, 7, 8. Reiht man diese Vierlinge aneinander, so
erhält man die Naturtonleiter.
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Element&ranalyse der Tonsprache.
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Die einzelnen Tonstufen liegen einander genau gegenüber:
t — — s
*— —e
▼ *
3— —7
—8
Die Anfangsstellung haben 1 und 5, die Endstellung 4 und 8. Diese
vier Töne oder die sie produzierenden Griffe sind besonders ausgezeichnet.
Tatsächlich sind diese vier Griffe in jeder Haltung der Hand, die hier
Lage genannt wird, die leichtesten und bequemsten Bewegungen.
Wie man auf der Violine durch Verkürzen der zwei Saiten das
zusammengehörige Paar der Vierlinge begreift, so kann durch Dehnung
der Stimmlippen, also durch Verlängerung der Stimmlippen, ein Vier¬
ling erhalten werden. Der nächste Vierling kann durch dieselbe Dehnung
erhalten werden, wenn nur die Spannung in der Dicke der Stimmlippen
entsprechend verringert wird, wenn also die Breite der Lippen durch
entsprechende Entspannung verkürzt wird. Durch diese Abspannung in
der Breite und Entspannung in der Dicke wird gewissermaßen eine neue
Saite eingesetzt. Das ist der Kunstgriff der Natur, mit einem Instrument,
mit einer Saite doch das Saitenspiel von vier Saiten zu ermöglichen.
Dann würden die Grundtöne beider Tetrachorde 1 und 5, do und sol,
einander genau gegenüberliegen. Tatsächlich wird 5 sol in der Musik
der „zweite Grundton“ oder „Stützton“ genannt. Er heißt so, weil sein
Gehörseindruck so empfunden wird, und weil die Pädagogik dem den
Ton Produzierenden, also beim Singen, damit eine Erleichterung in der
Vorstellung schafft. 1 do bildet gewissermaßen den Fußboden, von dem
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aus man die Tonleiter oder Treppe heraufsteigt, bis man zum Treppen¬
absatz 5 sol gelangt. Und dieser ist gewissermaßen wiederum ein Fu߬
boden, von dem aus man über die Treppe des zweiten Tetrachords in
die höhere Etage, zum oberen do gelangt.
Umgekehrt wirkt auch der Gehörseindruck beim Hören der Ton¬
leiter genau in dieser Weise.
Sogar bei ganz kleinen Kindern kann man beobachten, daß sie
den Fundamentalton, die Tonica, als Ausgangspunkt leicht ansehen.
Ebenso wie die Tonica selbst nimmt die fünfte Stufe, die Quinte, eine
dominierende Stellung ein. Dominante deshalb genannt, ist sie tatsäch¬
lich auch etwas Primäres. Die Grundtöne von sämtlichen Tonleitern
stehen im Quintenverhältnis zueinander. Daher müssen auch alle übrigen
gleichwertigen Stufen im Quintenverhältnis zueinander stehen.
Die moderne Pädagogik verwendet geradezu diese Vorstellungs¬
reihe der Treppe mit Stufen und Treppenabsatz als Hilfsmittel in der
Volksschule. Zur Einübung der Treffsicherheit werden die Treffübungen
in dieser Weise methodisch und systematisch geleitet. Den gesuchten
Ton schnell und leicht zu trefEen, nimmt die didaktische Methode gewisser¬
maßen als Krücke und Geländer beim Herauf- und Herabsteigen der
Treppe oder der Leiter die Vorstellung vom Treppenabsatz, Fußboden,
Höhepunkt der Treppenstufen, Endsprosse usw. mit glücklichstem
Erfolge.
Stets handelt es sich um Ruhe und Ruhepunkt oder um Bewegung.
Und dieses mechanische Prinzip kann man auch auf die Mechanik der
Konsonanz und Dissonanz an wenden.
Jeder, der die Tonleiter in der einen Richtung, z. B. in der Richtung
nach oben, aufwärts gespielt, gehört oder selber gesungen hat, jeder hat
das Bedürfnis, bevor er umkehrt und die entgegengesetzte Richtung
einschlägt, um dieselbe Tonleiter in der anderen Richtung, z. B. nach
unten, abwärts zu wiederholen, erst noch einmal eine kleine Weile auf
dem Grun^ton zu ruhen und ihn dann gar nochmals zu wiederholen,
um mit ihm also erst wieder anzufangen.
So bildet die Stufe des Grundtones den Ruhepunkt, den Mittel¬
punkt, um den sich die 7 Stufen gruppieren, wie die 4 Atome eines
Moleküls sich räumlich um den Mittelpunkt des C-Atoms
| ^
gruppieren — c —, oder wie sich stereogeometrisch die ver- || ^
schiedenen Atome, z. B. 6, in den zyklischen Verbindungen um y ^
das ringförmige Gerüst ordnen:
Diese elementare Tonfolge ist in der Tat eine physiologische Reihe,
eine physiologische Einheit und Verbindung, genau so, wie eine chemische
Verbindung eine Einheit ist, sie ist ein selbständiges — wie ein chemisches
.,Atom“—, ein „imteilbares Ganze“, das stets zur Ergänzung drängt. Jeder,
der einen Teil der Tonleiter hört oder singt, mag es ein ungeschultes Kind
der einfachsten Stände sein oder ein bis zur Kunstfertigkeit geübter
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Elementaranalyse der Tonsprache.
165
Berufsmusiker, jeder hat das Bedürfnis, die Tonleiter zwangsläufig zu
,,ergänzen“, und zwar bis zum Grundton, überdies bis zum Grundton
gerade in der Richtung, die gehört oder gesungen wird, also entweder
auf- oder abwärts.
Wenn die jüngsten und einfachsten Kinder mit den ersten drei Ton¬
fortschritten von c bis f, 1—4, vertraut gemacht sind, dann beherrschen sie
die ganze Skala. Durch die halbe Tonstufe am Ende der ersten Vierton¬
reihe erhält diese einen musikalischen Abschluß. Die Kinder hören,
fühlen und empfinden, daß sie auf der 4. Stufe einen Ruhepunkt, einen
Schluß finden. Und dieses Gefühl der Beruhigung wird in den Kindern
noch gestärkt, wenn an die Viertonreihe der Schluß f e f angefügt wird.
Selbst die unbegabtesten Kinder unter den Volksschülem, die
ganz immusikalischen „Brummer“, sind doch verhältnismäßig schnell
soweit zu fördern, daß sie wenigstens eine Viertonreihe singen. Die Tat¬
sache ist äußerst bezeichnend, daß es gerade diese kleine Einheit ist,
die selbst solche unmusikalischen Kinder leicht erfassen und auch im
Gedächtnis behalten, gleichsam als wäre diese Einheit wirklich auch ein
selbständiges Gebilde, gewissermaßen das Molekül aus den Elementen
der Töne oder ein Radikal. Physiologisch hochinteressant und dankbar
ist die weitere Tatsache, daß der Kunstgriff, mit dem die Pädagogik
dieses Ziel erreicht, die Zuhilfenahme der mitreißenden Kraft der Asso¬
ziation ist, und zwar nach der quantitativen Richtung hin. Meist hilft
nämlich die Vorstellung, der Schüler müsse lauter singen, dann gelingen
die ersten fünf Töne bis zur Dominante eher.
Die Abspannung der Stimmlippen in der frontalen Richtung ist
etwas durchaus Natürliches. So vollzieht sich ja der Wechsel der Stimme,
der Register genannt wird.
Wenn ein ungeschultes Kind kräftig schreiend die Tonleiter von c 1
aufwärts singt, so wird es meist etwa bis a oder gar bis h dieselbe Klang¬
farbe beibehalten, die in der Höhe unvornehm erscheint, bis dann plötz¬
lich bei h oder c 2 die Stimme umschlägt und einen ganz weichen, an¬
genehmen Ton hervorbringt, den Kopfton. Überschnappen der Stimme,
„Kieksen“ ist der Vorgang genannt, wenn der Sprung aus dem tieferen
ins höhere Register plötzlich, unerwartet erfolgt. Die physiologische
Begründung ist die, daß die Kontraktion des Musculus vocalis der Dehnung
durch den musculus cricotyroeideus nicht mehr standhält.
Irgendwie und irgendwo erreicht die Längsdehnung der Stimm¬
lippen ihr Maximum. Irgendwo und irgendwie erfolgt dann die Ent¬
spannung in frontaler Richtung, die Verminderung der Querspannung.
Dann kann die Längsdehnung wieder von neuem beginnen — bei Er-
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166
Wilhelm Sternberg.
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haltung derselben Einstellung des Stimmapparates —, gleichsam als
wäre eine ganz neue Saite mit anderer Querspannung aufgezogen. Diese
Annahme ist durchaus nicht etwa eine willkürliche, hypothetische.
Denn jeder menschlichen Stimme, die nahezu regelmäßig über zwei
Oktaven verfügt, mangelt die Möglichkeit, etwa diese zwei Oktaven
oder auch nur eine einzige Oktave lediglich mit der Längsspannung zu
erreichen.
Die elementaren Tonstufen der zweiten Oktave liegen bei ge¬
schulten und geübten Individuen genau so wie bei der ersten Oktave:
Dazu muß freilich die Annahme gemacht werden, daß die Ab¬
spannung der Stimmlippen für die dritte Saite gewissermaßen um eine
Quarte erfolgt und die Abspannung der vierten Saite wiederum um
eine Quinte:
Dann wü de es sich bei dem menschlichen Musikinstrument um
einen Apparat von vier Saiten handeln. Die Saiten stehen aber nicht wie
bei der Geige in Quintenstimmung, sondern in Quinten- und Quarten¬
stimmung.
1 5 8=1* 6*
Das verschiedene Maß der Querspannung, das eine Mal um eine
Quinte zwischen erster und zweiter Saite der Querspannung, das zweite
Mal um eine Quarte zwischen zweiter und dritter Saite, das dritte Mal
wiederum um eine Quinte zwischen dritter und vierter Saite darf nicht
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Elementaranalyse der Tonsprache.
167
besonders auf fallen. Denn jederseits handelt es sich ja gewissermaßen
um einen Halbkreis der Stimmlippe und um Fixation des vorderen Ansatz¬
punktes. Daher kann Abnahme in der frontalen Richtung nicht so
stetig erfolgen.
(I (]
Die Schulung der Stimme mag auf diese quantitative Ab- und
Anspannung in sagittaler und frontaler Richtung abzielen.
Bei dieser Annahme müssen die Stimmlippen in neutraler Spannung
ihrer Ruhestellung — bei einmal eingestelltem Stimmapparat — am In¬
differenzpunkt, der dem Sattel der Geige vergleichbar wäre, am Null¬
punkt sozusagen, den Grundton ergeben, die Quinte — d. i. der soge¬
nannte „zweite Grundton“ oder „Stützton“ — und die Oktave — sie
ist identisch mit dem Grundton.
v iv v
Freilich müßten diese beiden letzten Spannungen für ein und
dieselbe Tonstufe angenommen werden, deren Grad aber und deren
subjektives Spannungsgefühl doch identisch sein müßten. Das ist die
Oktave. Denn einmal müßte die maximale Längsspannung mit einmal
veränderter Querspannung, dem Grade der Quinte entsprechend, die
Oktave ergeben. Sodann müßte die minimale Längsspannung mit zwei¬
mal veränderter Querspannung, der Quinte plus Quarte entsprechend,
dieselbe Oktave ergeben. Faßt man die Leistung der Muskulatur als die
Hebung eines Gewichtes auf, dann ist ja die Leistung dieselbe, wenn
das Gewicht dasselbe bleibt.
In Wirklichkeit macht auch jeder Anfänger, der über den Grundton
hinaus fortfahren soll zu spielen, oder zu singen, der also Bruchstücke
derselben Tonleiter geben soll, unwillkürlich erst eine kleine Ruhepause
auf dem Grundton, eine sogenannte „Fermate“ •C\ Zudem aber wiederholt
er sogar erst noch einmal den Grundton gern. Schließlich schreitet er
gar zu gern noch bis zu dem in derselben Richtung liegenden Grundton
fort. Erst langer besonderer Übungen bedarf es, um diesem natürlichen
Hang zu widerstehen.
Wenn aber in der Tat dieser Mechanismus die physiologische Be¬
gründung der Tonstufen gibt, wenn dies wirklich so ist, dann fragt es
sich doch, was ist denn damit für das Problem der Konsonanz eigentlich
MonatMchrift f. Ohrenhnilk. u. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 12
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168
Wilhelm Sternberg.
gewonnen? Das ganze Problem spitzt sich dann zu der Frage zu: Wie
kann die Spannung der Muskulatur, der maximale bzw. minimale
Spannungsgrad der Längs- bzw. Querspannung der 1., 8., 5., 4. Ton¬
stufe eine so bevorzugte auszeichnende Stellung den anderen Tonstufen
gegenüber verleihen? Für die Beantwortung dieser Frage genügt nicht
die physiologische Begründung der Tonstufen. Vielmehr bedarf es dazu
noch der physiologischen Begründung für die Bedeutung der Tonstufen
und für die Bedeutung der Intervalle.
Die elementarste Tatsache, der grundsätzlichste Ausgangspunkt,
die prinzipiellste und fundamentalste Erfahrung, die in der angewandten
Technik ebenso wie in den Musikwissenschaften noch viel zu wenig
„betont“ wird, gar in der modernen Physiologie überhaupt noch nicht
ein einziges Mal, ist die Tatsache: Das musikalische Hören von Klängen
eines Tonstückes ist nicht etwa bloß das sinnliche Hören der Elemente,
der einzelnen Töne in ihrer absoluten Höhe oder Tiefe, also nicht etwa
bloß eine Reihe von sinnlichen Gehörseindrücken. Vielmehr kommt
noch etwas ganz besonderes, für die Physiologie höchst merkwürdiges
hinzu. Und das ist die Verbindung der Elemente zur Einheit, und zwar
in folgendem Sinn: Es kommt hinzu das Verhältnis der verschiedenen
gehörten Töne zu einem und immer nur zu einem und demselben Ton,
dem sogenannten Grundton, auch für den Fall, daß man diesen Grundton
tatsächlich, sinnlich überhaupt noch gar nicht gehört hat, also das Ver¬
hältnis der in Wirklichkeit sinnlich gehörten, perzipierten Töne zum
antezipierten und apperzipierten Grundton, der bloß in der Vorstellung
zu sein braucht. Das musikalische Ohr ist also physiologisches Ohr
-f- Vorstellung.
Der Tonsinn vergleicht jeden mittels des Gehörsinns perzipierten Ton
mit einem und immer nur mit ein und demselben Ton. Das musikalische
Ohr ist das physiologische Ohr + M. Wir können überhaupt gar nicht
anders Töne hören, selbst wenn wir es schon einmal wollten. Wir müssen
so und nur so hören, nämlich tonal, nicht atonal. Auch das ungebildete
Kind hört so und kann nur so hören. Andrerseits hört selbst der geübteste
Künstler gleichfalls nur so und kann nur so hören. Man hört die Töne
stets nur in ihrer „Bezogenheit“, — wie der schöne Ausdruck der „Musik¬
wissenschaften“ lautet, — in ihrer Bezogenheit auf den Grundton. Das
Ohr hört nicht nur die Verbindung, die Formel der ganzen Einheit, die
Bruttoformel, sondern sogar die Konstitutionsformel gewissermaßen.
Das ist das, was man Tonalitätsgefühl nennt. Seit R a m e a u s
Arbeiten scheinen die verschiedensten Forschungsgebiete, die Physio-
lologie, die Psychologie und die Musikwissenschaften der Ergründung
dieses Problems geflissentlich aus dem Wege gegangen zu sein. Die
Physiologie des Tonalitätsgefühls steht noch aus. Begriff und Bezeichnung
Tonalitätsgefühl sind bloß Verlegenheitsausdrücke. Ebenso hat man
sich ja auch behelfsmäßig bewogen gefühlt, an Stelle einer physio¬
logischen Begründung der Konsonanz einfach und bequem Gefühle zu
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Element&r&nalyse der Tonsprache.
169
setzen, wie Konsonanzgefühl und Dissonanzgefühl. Vom „Intervallsinn“ gar
und „Reinheitsgefühl“ redet die Berliner Schule, Karl L. Schaefer 13 ),
der Laboratoriumsgelehrte der Berliner Ohre nklini k, Schüler des Philo¬
sophen und Nichtfachmannes S t u m p f 1 Man lese, was der Wiener
Karl Kraus über die Berliner wissenschaftlichen „Autoritäten“ sagt.
Auf diese Weise kommt man zu folgendem Ergebnis. Das Hören
eines Intervalls, also der Entfernung von zwei Tonstufen, die einer
Leiter angehören, leitereigen genannt werden, — nur solche haben einen
musikalischen Sinn, nur solche sind kommensurabel fürs Ohr, nur solche
sind faßlich fürs Ohr, nur solche lassen sich hören in der Praxis der an¬
gewandten Tonkunst, — ist nicht etwa bloß das sinnliche Erfassen dieser
zwei elementaren Sinneseindrücke oder gar das Erfassen des relativen
Abstandes der zwei Tonstufen voneinander. Vielmehr kommt für das
Erfassen eines Intervalls hinzu das Verhältnis der Bewegungsvorstellung,
der einen elementaren Tonstufe vom Grundtone aus, und das Verhältnis
der Bewegungsvorstellung der anderen, der zweiten elementaren Ton¬
stufe, vom selben Grundton aus, der physiologischen 8. Reihe der elemen¬
taren Tonfolge. Die Oktave ist der Sprung vom Grundton zur 8. Tonstufe.
Die Quinte ist der Sprung vom Grundton zur 5. Tonstufe.
Die Quarte ist der Sprung vom Grundton zur 4. Tonstufe.
Ein Intervall ist also physiologisch nicht etwa die örtliche Distanz,
die räumliche Entfernung, ebensowenig wie akustisch etwa die Differenz der
Schwingungszahlen. Vielmehr entscheidet physikalisch das Verhältnis
der Schwingungszahlen zueinander über die Größe des betreffenden
Intervalls, der Quotient beider Zahlen, und physiologisch das Verhältnis
der Muskelbewegungen oder Bewegungsvorstellungen vom Grundton
nach der einen Tonstufe zur Muskelbewegung vom Grundton nach der
anderen Tonstufe, der Quotient beider Spannungsgrade, die zur Zurück¬
legung der Wege von einem und demselben Ausgangspunkt, nämlich
vom Grundton, nötig sind. Demnach ist das musikalische Hören ein
räumliches Hören. Diese Auffassung steht freilich im Gegensatz zu der
Annahme des Berliner Philosophen und Nichtfachmannes Stumpf.
Stump f u ) philosophiert nämlich: „Auch wer die Dissonanz auf
Schwebungen zurückführt, ist in der nämlichen Verlegenheit, die
Gehimprozesse bei Schwebungen zu schildern. Wer die Konsonanz
als Ähnlichkeit, sei es durch Teiltöne, sei es durch Grundtöne
selbst, definiert, nicht minder. Und fragen wir: Wie kommt es,
daß die Töne mit wachsender Schwingungszahl für unsere Empfindung
in die Höhe steigen, und daß jeder neue Ton dem Ausgangston weniger
ähnlich wird ? — so bleibt der Gehimphysiologie uns selbst für diese Grund¬
tatsache der Tonempfindungen ebenso die Erklärung schuldig wie für
die der Verschmelzung.“
**) „Einführung“ (!) in die „Musikwissenschaft“ (!) 1015, Leipzig, S. 130,131.
**) Beiträge zur Akustik und Musikwissenschaft. 1. Heft. S. 54. Konsonanz
lind Dissonanz. Leipzig 1898.
12 *
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170
Wilhelm Sternberg.
Demgegenüber müssen wir aber durchaus ein räumliches Hören
für das musikalische Ohr beanspruchen und stehen nicht an, in der Ent¬
wicklung der Raumphysiologie des Ohres und der Stereogeometrie des
Tonsinnes dieselben Fortschritte zu erhoffen, die die Chemie gemacht
hat durch die Aufnahme des räumlichen Gedankens in ihrer Entwicklung
zur Stereochemie.
Nimmt man einmal das räumliche Hören an, dann muß man nach
einer bestimmten Einstellung des Stimmapparates, die beibehalten
wird, annehmen:
Die erste Tonstufe hat das Minimum der Spannung, die vierte das
Maximum der Längsspannung in derselben Querspannung, die fünfte
Stufe, der sogenannte „zweite Grundton“, das Minimum der Längs¬
spannung mit einmal veränderter Querspannung, die achte Tonstufe,
mit dem Grundton identisch, das Maximum der Längsspannung mit
ebenfalls einmaliger veränderter Querspannung, die achte Tonstufe
zugleich aber auch das Minimum der Längsspannung bei zweimal ver¬
änderter Querspannung.
Die Bewegungen zum Minimum der Längsspannung und die Ver¬
gleiche dieser Bewegungen haben offenbar das Gepräge der Einheitlichkeit,
der Ruhe und der Leichtigkeit. Dies ist vergleichbar der Ruhe und der
Sicherheit, die selbst der Anfänger in der Technik der Streichinstrumente
hat, wenn er die sogenannten Quintengriffe ausführt. Denn hier hat er
die Leichtigkeit durch die Einheitlichkeit derselben Bewegung, mit
einem Griff zwei oder gar drei Saiten richtig zu verkürzen, ohne dazu
eine Veränderung in der Lage der Hand zu benötigen. Arm, Hand und
Finger bleiben einfach ruhig liegen. Demgegenüber handelt es sich
freilich beim physiologischen Musikinstrument unseres Stimmapparates
um die beiden Unterschiede, die in der Stimmung und in der Richtung
des Lagewechsels gegeben sind.
1. Die größte Ruhe bleibt der Prime.
2. Demnach hat die größte Ruhe die Bewegung zum minimalen
Grad in der Längsspannung mit zweimal veränderter, dem
Grade der Quinte + dem Grade der Quarte entsprechend, veränderten
Querspannung, oder aber der maximale Grad in der Längs¬
spannung mit nur einmal veränderter Querspannung.
3. Darnach hat die größte Ruhe die Bewegung zum minimalen
Grad in der Längsspannung bei nur einmal veränderter
Querspannung.
4. Darnach hat die größte Ruhe die Bewegung zum maximalen
Grad in der Längsspannung bei ganz unveränderter Quer¬
spannung.
Das Prinzip ist also das Maß von Ruhe und Ruhigstellung der
Organe bzw. Unruhe und Bewegung, wenn die Organe mehr oder weniger
nicht zur Ruhe kommen und mehr oder weniger keine Ruhe finden.
Und dazu kommt letzten Endes das psychische Gefühl der Beruhigung
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Elementaranalyse der Tonapracbe.
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bzw. Beunruhigung. Man ist nun einmal „gespannt“, nämlich auf die
Fortsetzung. Dieser sprachliche Ausdruok ist physiologisch durchaus
richtig. Physiologisch ist es dasselbe wie das Wesen des Appetites. Da
haben wir wieder die Berührung mit diesem Problem.
So erklärt sich physiologisch die konstante Leichtigkeit bei allen,
gewisse Tonstufen zu erfassen, ohne alle Vorübung, ganz von allein,
von selber, automatisch, als drängten sie sich zwangsläufig auf, als
wäre das nur natürlich, als lägen sie präformiert in uns selber. So erklärt
sich physiologisch ferner die Leichtigkeit bei allen, gewisse Tonstufen
und gewisse Tonfolgen im Gedächtnis aufzubewahren. So erklärt sich
auch die Tatsache, daß sich das musikalische Ohr nicht so leicht ver¬
rechnet in diesem Einmaleins und nicht so leicht irrt in diesem ABC.
So erklärt es sich, daß es eigentlich kaum musikalische Analphabeten
auf diesem Gebiete gibt. So erklärt sich die Tatsache, daß alle Volks¬
lieder gleichermaßen dieselben Tonstufen stets wiederholen, andere
ebenso regelmäßig vermeiden und niemals große Sprünge machen. Ja,
unter Melodie versteht man überhaupt bloß jene Art der Bewegung,
die in leichtfaßlichen Intervallen von Stufe zu Stufe fortschreitet. Eine
Melodie ist um so sangbarer, je weniger sie sich in schwer zu treffenden
Sprüngen bewegt und je mehr sie sich an die leichten Stufen der Ton¬
leiter hält. So erklärt sich andrerseits die psychische Wirkung der Ton¬
stufen und der Intervalle derselben Tonleiter, die schwer zu singen und
schwer vorzustellen sind. Höchst merkwürdig ist die Kongruenz dieser
Schwierigkeit mit der Wirkung auf das Ohr. So hat der Tritonus, der
Diabolus in musica, der selbst vom geübten Berufssänger schwer zu
singen und schwer vorzustellen ist, zugleich die Eigentümlichkeit, daß
sein Eindruck auf das Ohr mit dem Ausdruck plumper Brutalität iden¬
tisch ist.
Wagner hat diese Wirkung des Intervalls mit Absicht der musi¬
kalischen Charakterisierung des Riesenwurms Fafner im „Ring“ dienstbar
gemacht. Beethoven schildert gerade durch diese Tritonusschritte
bereits in der Instrumentaleinleitung zum zweiten Akt seines „Fidelio“
• stimmungsvoll das düstere Milieu des Gefängnisses, in dem die Opfer
von Pizarros Gewaltherrschaft schmachten.
So erklärt sich das Wesen der Konsonanz mechanisch so, daß sie
tatsächlich etwas räumlich Einheitliches in der Bewegung bedeutet.
Konsonanz ist auch physiologisch-mechanisch eine Einheit der Elemente,
wie eine chemische Verbindung eine Einheit der Elemente ist.
Nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ müssen die Elemente
der Zwei-, Drei-, Vierklänge zusammenstimmen, wenn sie zu einer Ein¬
heit neutralisiert werden sollen, gleichsam wie zu einer Einheit einer
chemischen Verbindung. Erst dann können sich die elementaren Klänge
wirklich zu einem Ein klang, zu einer Klang e i n h e i t vermählen.
Erst dann ergeben die Akkorde ein ungeteiltes Ganzes, während sie
sonst als „gebrochen“, „arpeggiert“, wie auf der „Harfe“ geteilt, er
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Wilhelm Sternberg.
klingen, physiologisch einen „geteilten" Sinneieindruck geben. Vom
„geteilten“ Geschmack spricht man ja auch. Daher genügt es
nicht, auf dem Saiteninstrument die Akkorde rein zu greifen, d. h. daß
die Töne rein, nicht unrein erklingen. Mit dem Reingreifen allein
ist es noch nicht getan bei den Doppelgriffen, bei denen zwei Finger
zugleich zwei Saiten an bestimmter Stelle verkürzen. Die Töne müssen
auch gut klingen, d. h. sich stets zu schöner Klangeinheit vermählen.
Dies wird dadurch erzielt, daß der Bogen beide Saiten immer mit der
gleichen Stärke anstreicht, also bestrebt ist, das richtige dynamische
Verhältnis zwischen ihnen herzustellen. Von dieser Vorschrift sind natür¬
lich jene Fälle ausgenommen, bei denen es dem Komponisten um das
Vorherrschen einer Stimme zu tun ist, die dann aber fast immer mit der
Bezeichnung „ben marcato il canto" oder einer ähnlich lautenden ver¬
sehen ist. Auch beim Klavier ist es eine unerträgliche Manier, wenn
Akkorde, die als ein ungeteiltes Ganzes gedacht sind, fortwährend ge¬
brochen werden. Auf der Geige können dreistimmige Akkorde von kurzer
Dauer sehr wohl in der Weise ausgeführt werden, daß ihre Töne wenigstens
beim Anschlag gleichzeitig erklingen. Es gehört freilich eine große
Geschicklichkeit dazu, daß man der unzweifelhaft vorhandenen Gefahr,
die Akkorde zu zerdrücken, auch entgeht. Wer aber eine geschmeidige
Bogenführung besitzt und die nötige Ausdauer an das Studium des mehr¬
griffigen Spieles wendet, kann sich diese Geschicklichkeit nicht nur für
Tripelakkorde aneignen, sondern auch mit der Ausführung von Qua-
drupelgrifien im Zuhörer die Illusion hervorrufen, als ob alle vier Töne
gleichzeitig erklängen.
Demnach ist der Akkord auch im mechanischen Sinn tatsächlich
ein Einklang, mechanisch wird eine Übereinstimmung erzielt. Die deutsche
Sprache hat vollkommen recht, wenn sie bereits in der Bezeichnung die
Einheit hervorhebt. Darum ist es nicht wenig befremdlich, daß die
lateinischen, die englischen und die anderen fremden Sprachwissen¬
schaften das Wort Akkord, italienisch acordo, englisch chord usw. vom
lateinischen cor, französisch coeur ableiten und nicht von chorda, die Saite.
Außer der mechanischen objektiven Wirkung wird auch das sub¬
jektive psychische Gefühl der Ruhe bzw. der Unruhe, der Bewegung
erregt, also Beruhigung bzw. Beunruhigung. So fasse ich das Schluß-
gefiihl der Kadenz als Beruhigung auf, das Tonalitätsgefühl, das Be*
dürfnis nach diesem Schlußgefühl des mechanischen Ruhepunktes, das
Vorgefühl und dasWesen der Dissonanz mit dem Strebeton oder „Leitton“ —
schon das Wort „Leit“ton (petere) erinnert wiederum an das Problem
des Appetites. In der Tat fördert meine mechanisch-physiologische Auf¬
fassung vom Wesen des Appetites auch hier die Einsicht in diese Probleme
der Tonkunst — und dem Gleitton mit dem Bedürfnis nach Weiter¬
führung.
Ebenso wie das Wesen der Akkorde eine mechanische Erklärung
Zuläßt, kann auch die Wirkung des Reimes auf das Ohr erklärt werden.
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Element&ranalyse der Tonspr&che.
173
Ja, ich finde eine weitere Stütze für diese meine Auffassung vom Einklang
der konsonierenden Töne in der Wirkung vom Gleichklang der Laute
auf den Hörer. Wie die Muskeln der Phonation oder deren Muskel¬
gefühle beim Hören des Einklangs der Töne durch das Ohr gereizt
werden, so werden auch die Muskeln der Artikulation oder deren Muskel¬
gefühle durch das Hören des Gleichklangs der Laute gereizt. Wie der
Einklang der Töne durch das Ohr auf die Koordination der Phonation
wirkt oder auf deren Vorstellung, so wirkt der Gleichklang der Laute
durch das Ohr auf die Koordination der Artikulation oder auf deren
Vorstellung. Mit Recht verwendet daher die deutsche Sprache das
Wort „reimen“, „zusammenreimen“ in demselben Sinne wie „stimmen“,
„zusammenstimmen“, „einstimmig machen“, „in Übereinstimmung
bringen“, „in Einklang bringen“.
So und nur so erklärt sich der graduelle Unterschied sogar in der
verschiedenen Wirkung der verschiedenen Größen, Längen, Formen und
Stellungen der Reime. So und nur so erklärt sich auch der verschiedene
Grad in der Wirkung der Reime auf die Leichtigkeit oder Schwierigkeit,
den Reim und sogar das Ganze, die Gesamtheit der Verszeile oder Strophe
ins Gedächtnis, und zwar des Hörers einzuprägen. Ist ja auch das haupt¬
sächlichste Unterstützungsmittel für das Gedächtnis der Muskel. Das
motorische Gedächtnis ist das beste.
Bekannt und leicht nachkontrollierbar ist die Verschiedenheit in
der Wirkung des Endreims, Binnenreims und Anfangs- oder Stabreims
aufs Ohr.
Endreim ist der gemeinhin so genannte Reim. Binnenreim
heißt der Reim innerhalb einer Verszeile, der nur durch eine Hebung
getrennt ist, z. B.
Heute hab* ich Freude überall,
Morgen hab* ich Sorgen ohne Zahl.
Der Stabreim, die Alliteration, ist der Gleichklang, der durch
den gleichen Anfangslaut mehrerer Wörter entsteht, wie er sich in sprich¬
wörtlichen Wendungen häufig findet, z. B. Stock und Stein, Wind und
Wetter, Kind und Kegel.
Ebenso alltäglich ist die Erfahrung, daß die Wirkung der Reime
aufs Ohr durchaus nicht gleich ist, je nachdem sie rein oder unrein sind.
Rein heißt der Reim, wenn die Reimsilben des Endreimes in
den Vokalen und Konsonanten genau überein„stimmen“, z. B. Mienen—
dienen; Sang—Klang; ist der Vokal bzw. Konsonant etwas verschieden,
z. B. dienen—grünen, sang—Dank, so heißt der Reim unrein.
Noch deutlicher und noch sinnfälliger wird die Verschiedenheit
in der Wirkung ein und desselben Gehörseindruckes, ein und desselben
Reizes, der durch das Hören des Reimes gegeben ist, durch die Stellung
der Reime zueinander. Denn es ist die Wirkung desselben Gehörseindruckes
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174
Wilhelm Sternberg.
durchaus nicht etwa die gleiche, je nachdem der Reim paarig, gekreuzt
oder gebrochen ist.
Der Reim heißt p a a r i g, d. h. es entstehen Reimpaare, wenn sich
die Nachbarzeilen miteinander stets reimen, z. B. erste und zweite, dritte
und vierte oder aa, bb, cc usw. Der Reim heißt gekreuzt oder ver¬
schränkt, wenn sich die Reimzeilen abwechseln, z. B. a b a b.
Der gebrochene Reim wirkt geradezu komisch. Das bekannteste
Beispiel ist:
Hans Sachs war ein Schuh¬
macher und Poet dazu.
Auch folgender Vers, der zwar kein Wort, aber den Sinn arg zer¬
reißt, gilt als gebrochen:
Und die Tante mir nichts dir
nichts, setzt sich an das Klavier.
Am größten vollends ist die Verschiedenheit der Wirkung ein und
desselben Gehörseindruckes aufs Ohr, je nachdem der Reim eine, zwei,
drei oder gar mehrere Silben umfaßt, je nachdem er also männlich oder
stumpf, weiblich oder klingend oder gar gleitend ist.
1. Der Reim, der sich nur auf eine einzige Silbe eines Wortes in
den beiden Zeilen beschränkt, z. B. Sang—Klang, Morgenrot—früher
Tod, dieser Reim heißt stumpf oder männlich. Es verdient be¬
merkt zu werden, daß ebenso wie die Dichtkunst auch die Tonkunst von
männlichen und weiblichen Endungen spricht.
2. „Klingend“ oder weiblich heißt der Reim, der sich
auf zwei Silben ausdehnt, z. B. klingen—singen.
3. Der Reim, der sich auf drei oder noch mehr Silben ausdehnt,
z. B. zufrieden sein—gemieden sein, dieser Reim heißt gleitend.
Aus diesen Beobachtungen leite ich die pädagogischen Regeln
meiner didaktischen Übungstherapie des Stotterns und Stammelns her:
1. Stumme Hörübungen sind die ersten elementarsten für diese
Sprachgebrechen.
2. Die Dichtkunst ist zunächst stets in den Kreis der pädagogisch¬
didaktischen Methode der Sprachgebrechen zu stellen.
Noch ein anderes Beispiel aus der Wortsprache reiht sich hier an,
in dem es gleichfalls auf die sprachliche Neutralisierung von zwei laut¬
lichen Elementen ankommt zur einheitlichen Verbindung, und zwar
wiederum mit Aufgeben der Individualität der einzelnen Elemente,
genau so wie bei der chemischen Neutralisierung. Die Z w i e laute, die
Doppel vokale, D i phthonge, in der Schriftsprache eine Dualität,
werden in der Aussprache zu einer Klang e i n h e i t neutralisiert, sie
werden „e i n silbig“ gesprochen und daher müßten die Doppelvökale
auch in der Lautschrift so bloß mit einem Buchstaben zu schreiben
sein. Ist ja auch z. B. der stimmhafte Nasallaut ng (lang, sang, rings)
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Elementaranalyse der Tonsprache.
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ein einheitlicher Laut und wird daher phonetisch auch so geschrieben nj
lang, sang. Physiologisch sind diese Laute eine Einheit.
Gerade daher kommt es, daß die Aussprache des Textes beim
Gesänge, zumal beim Gesang der Doppelvokale, schwierig ist und Fehler
bei Ungeschulten veranlaßt. Der Anfänger singt nämlich bei der Aus¬
sprache des Textes:
äi, äü, ui
statt äi (aj), äü (aw), öl (oj).
Schon darum ist, wie ich an anderer Stelle ausführe, die Heil¬
methode der Sprachgebrechen nach dem Gesangslehrer Eiders 1 ®), die
in der Hamburger Volksschule behördlicherseits eingeführt ist, nicht nur
ein Umweg, sondern in pädagogischer Hinsicht vollkommen verkehrt.
Der Begriff der Einheit wird hier mitunter auch „Ausgleichen“
gern genannt. Hier hat man gleichfalls den Begriff und die Bezeichnung
der „Verschmelzung“ gern angewandt. So heißt es z. B. von dem seltenen
Sprachlaut x = ks, er entstehe durch energische „Verschmelzung“.
Die Einheit im Klang und im Laut, der Einklang oder der Gleich¬
klang, ist letzten Endes im physiologischen Sinne nicht bloß eine Neutra¬
lisation oder. Verbindung der Eindrücke des Gehörsinnes zu einer Einheit,
nach Art der chemischen Neutralisation der Elemente zur chemischen
Verbindung, unter Aufgabe der einzelnen elementaren Eindrücke des
Gehörsinnes. Vielmehr kommt noch etwas Besonderes hinzu. Das ist
die Einheit der Bewegungen, die Einheit der physiologischen Mit¬
bewegungen, die Einheit der psychologischen Mitgefühle. Durch das
Ohr, durch die hörbare Muskelbewegung des Spielers oder Sprechers
wird auch des Hörers Muskel in Mitleidenschaft gezogen, in des Wortes
eigentlichster Bedeutung. Es besteht eine physiologische Wechselwirkung
zwischen dem Ausdruck des Spielers oder Redners und dem Eindruck
des Hörers. Spieler und Hörer bilden eine physiologische Einheit.
So schafft die Konsonanz in physiologisch-mechanischem Sinne
Ruhe in der Bewegung und Beruhigung. So schafft die Dissonanz in
physiologisch-mechanischem Sinne Beunruhigung, seelische Bewegung
und Muskelbewegung. Denn der Tonsinn oder Klangsinn ist nichts anderes
als die nach Art einer mechanischen Leitschiene oder eines physikalischen
Leitrohres wirkende Kombination von Gehörsinn und Muskelsinn.
u ) Anton E1 d e r 8, Lehrer in Crefeld: „Heilung des Stotterns nach gesang¬
lichen Grundsätzen“. Leipzig 1911, Carl Merseburger.
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Maximilian Bauch.
Über die Lokalisation von Tönen und ihre Beein¬
flussung durch Reizung des Testibnlaris.
Von Dr. Maximilian Baach, em. Assistent der Universitätsklinik für Ohren-<
Nasen- und Kehlkopfkrankheiten in Wien.
(Hit .l’Vignnii.)
Auf Anregung des Herrn Prof. K r e i d 1, dem ich an dieser Stelle
meinen herzlichsten Dank ausspreche, habe ich untersucht, wie sich die
Lokalisation von Tönen gestaltet, wenn wir durch Reizung des Vestibular-
apparates eine experimentelle Desorientierung hervorrufen und so die
Lage und Stabilität der Umgebung für die Versuchsperson verändern.
Frey 1 ) hat bereits Versuche angestellt, um den Einfluß einer
Drehnachempfindung auf die subjektive Schallokalisation festzustellen:
Personen, die sonst normal lokalisierten, wurden mit verschlossenen
Augen auf dem Drehstuhl rotiert. Nach dem Anhalten wurde ein Schall¬
zeichen mit dem Lärmapparat in der Medianebene gegeben und die
Versuchsperson angewiesen, die Richtung zu zeigen, aus der der Schall
käme. Es Zeigt sich jedoch hierbei kein gesetzmäßiges Verhalten: Die
meisten verlegten den Schall in die Richtung der Drehung, seltener er¬
folgte die richtige Lokalisation, ganz vereinzelt wurde der Schall in die
der Drehung entgegengesetzten Seite lokalisiert.
Bei unseren Versuchen haben wir die Rotation nicht verwendet,
um nicht beide Vestibularapparate gleichzeitig zu erregen, von dem
Gedanken ausgehend, daß eine feinere Differenzierung gerade aus der
isolierten Reizung jedes der beiden Gleichgewichtsapparate sich ergeben
würde, daß überdies beim Drehreiz auch die optischen Eindrücke Ver¬
schiebungen erfahren und die Tiefensensibilität aus dem Gleichgewicht
gebracht wird.
Unsere anfänglichen Versuche mit der galvanischen Reizung mußten
wir verlassen, weil stärkere Ströme nicht gut vertragen werden, und be¬
nutzten ausschließlich die Kalorisation, obwohl auch derselben Mängel
anhaften (am idealsten allerdings wäre ein Föhnapparat, der aber in
exakter Ausführung uns nicht zur Verfügung stand).
Die im ^ folgenden beschriebene Versuchsanordnung haben wir bei
Herrn Prof. K r e i d 1 gesehen und auch so für unsere Experimente
übernommen:
Auf einem langen, zirka 1 m hohen Tisch werden zwei gleich¬
gestimmte Pfeifen auf je einem Stativ senkrecht eingeklemmt. Die beiden
Lippenstücke dieser Pfeifen werden mit Schläuchen armiert, diese durch
eine Y-förmige Kanüle zu einem gemeinsamen Schlauchstück vereinigt,
das seinerseits mit einer Radfahrluftpumpe verbunden ist. Mittels dieser
0 Mschr. f. Ohrenhlk. 1912, Heft 1.
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Über die Lokalisation von Tönen.
177
am Boden stehenden Pumpe können beide Pfeifen in beliebiger An¬
ordnung in Betrieb gesetzt werden, indem man das eine oder andere der
beiden Schläuche mittels der Finger oder eines Quetschhahnes abklemmt
bzw. öffnet.
W i r haben unsere Versuche in d e r Weise ausgeführt, daß die
Versuchsperson unmittelbar vor dem Tisch in der Mitte zwischen beiden
Pfeifen Platz nahm, den Rücken dem Tisch zugewendet, so daß sie die
Manipulation mit diesen nicht sehen konnte. Die Pfeifen waren rechts
und links zirka 1 m vom Kopfe der Versuchsperson entfernt. Da wir auf
subjektive Angaben angewiesen waren, waren wir bestrebt, zu unseren
Experimenten verläßliche und intelligente Menschen heranzuziehen.
Experimentiert wurde mit mittleren Tönen, vor allem mit c s . Tiefe Töne
tragen nicht weit und hohe Töne werden höchst unsicher lokalisiert.
Untersucht wurden zunächst ohne, dann mit Reizung des Vesti-
bularis:
I. Normale Gehörorgane.
II. Affektionen des Mittelohres (Tubenmittelohrkatarrhe, Oto-
sklerose).
III. Affektionen des Nerv, cochlearis.
Ad. I. Die normalen Fälle betrafen Versuchspersonen mittleren
Alters.
Ad II. Wir haben nur Mittelohraffektionen mit normalem oder
nahezu normalem Trommelfell herangezogen, deren Labyrinth intakt war
sowie chronische Tubenmittelohrkatarrhe. Akute und chronische Adhäsiv¬
prozesse nach Eiterung mit Atrophien oder Narbenbildungen des Trommel¬
felles wurden von der Versuchsreihe ausgeschlossen (überhaupt Fälle,
für die eine Durchspülung nicht gleichgültig wäre).
Ad III. Von den Affektionen des Kochlearis selbstverständlich nur
Fälle, welche die Töne, mit denen experimentiert wurde, deutlich perzi-
pieren konnten.
Der Hergang der Prüfung erfolgte in der Weise, daß ein Hör- und
Stimmgabelbefund aufgenommen und durch Rotation festgestellt wurde,
ob der Vestibularis ansprechbar sei. Ferner wurde geprüft, ob der Unter¬
suchte normaliter richtig zu lokalisieren imstande war. Die Reizung
erfolgte durch Kaltwasserspülung; bei den pathologischen Fällen auf der
Seite des affizierten Ohres.
Wenn sich die ersten Nystagmusschläge einstellten, wurde mit der
Reizung aufgehört, um stärkere subjektive Sensationen zu vermeiden.
Von solchen nicht allzu heftig alterierten Versuchspersonen konnten wir
um so verläßlichere Angaben erwarten.
Ein Blick auf die Tabelle — bei der wir vorläufig bloß die Gruppen I
bis III summarisch berücksichtigen wollen — zeigt, daß nach
experimenteller Hervorrufung eines Drehschwindels bei der überwiegenden
Mehrzahl aller untersuchten Fälle eine vollständige Desorientierung
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178
Maximilian Rauch.
eintrat. Diesen zunächst kommen die Fälle mit der Geneigtheit, die
Schallokalisation in die Richtung der langsamen Komponente zu ver¬
legen (auch Freys Fälle lokalisierten größtenteils in die Richtung der
Drehung). Sehr wenige lokalisierten richtig und ebenso wenige verlegten
die Schallrichtung nach der Schnellkomponente. Die Nutzanwendung
dieser Ergebnisse, die Beeinflussung der Lokalisation durch räumliche
Desorientierung wollen wir am Schlüsse der Arbeit würdigen; wir wollen
nur bezüglich des Verhaltens der einzelnen Gruppen bemerken,
d a ß d i e V e r s u c h s p er s o n e n mit einem Schalleitungs¬
hindernis nach der Kalorisation die größten Fehler
machten, während solche mit einer Affektion des
Nerv, cochl. sich ähnlich verhielten wie die nor¬
malen Fälle.
8,
O,
P
u
o
Qualität
Zahl
Lokalisation nach
der
Richtige
Lokali¬
sation
Voll¬
ständige
Des¬
orientie¬
rung
Schnell-
Kompo-
nente
langsamen
Kompo¬
nente
der untersuchten Fälle
I.
normal
30
3
0
4
14
II.
Tubenmittelohr-
katarrh und Oto-
sklerose
30
2
5
1
22
III.
Affektio nerv, cochl.
20 2
6
3
9 i
Diese Tatsache war uns wertvoll für die Frage nach dem ersten
Angriffspunkt der Lokalisationsempfindung. Noch interessantere Momente
förderte unsere Beschäftigung mit der normalen, d. i. ungestörten Lokali¬
sation, die im folgenden niedergelegt werden sollen:
I. Die herkömmliche Erklärung für unsere Fähigkeit, die Richtung
eines Schalles festzustellen, ist die, daß angenommen wird: ein von links
kommender Schall treffe zunächst das näherliegende linke, ein von rechts
kommender das näherliegende rechte Ohr.
Gleichwertige Gehörorgane beiderseits vorausgesetzt, wird kaum
ein Fehler in der Bestimmung der Lokalisation gemacht, wenn — wie
wir gleich auf Grund unserer Versuche vorwegnehmen wollen — die
Tonhöhe in gewissen Grenzen sich bewegt und die Entfernung der Schall¬
quelle eine gewisse Größe nicht übersteigt. Im allgemeinen aber können
wir die Anschauung, daß die Distinktion von der stärkeren Erregung des
der Schallquelle näherliegenden Ohres herrühre, nicht ohne weiteres zugeben.
So wird z. B. das knatternde Geräusch eines über uns schwebenden Aeroplan
— wie jede uns überraschend und unvermittelt treffende Schalleinwirkung
— bezüglich der Lokalisation uns anfangs verwirren; aber nach einer
gewissen Zeit aufmerksamen Lauschens, nachdem sich die akustischen
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Über die Lokalisation von Tönen.
179
Eindrücke durch längere Einwirkung summiert haben, sind wir über die
Richtung des Geräusches auch ohne Zuhilfenahme des Gesichtssinnes
eindeutig informiert. Gegenüber der Entfernung des Aeroplans von
unseren Gehörorganen spielt die Größe des Abstandes beider Ohren eine
so untergeordnete Rolle, daß es diese Differenz allein nicht sein kann,
die uns die Unterscheidung von rechts odpr links kommend vermittelt.
Auch die Stellung beider Ohrmuscheln wurde für die Schallokalisation
verantwortlich gemacht, in der Weise, daß für die von rechts kommenden
Schallwellen die rechte, für die von links kommenden die linke Ohr¬
muschel als erste, bzw. Anfangsstation zu betrachten wäre, so daß das
zuerst erregte Ohr auch das stärker getroffene wäre. Auch diese Auffassung
kann einer Kritik nicht standhalten, wenn wir beim obigen Beispiel vom
Aeroplan bleibend, bedenken, daß die Schallwellen, von so weiter Ent¬
fernung kommend, beide Ohren tangential treffen. Wir sehen daher, daß
die Intensitätslehre nicht ausreicht, die Schallokalisation restlos zu
erklären. Wir glauben nicht, daß es sich da um eine quantitative
Differenz handelt, sondern vielmehr, daß die Töne im rechten
und linken Ohre eine qualitative Umwertung er¬
fahren und daß diese Differenz in der verschiedenen
Stellung beider Gehörorgane im Raume zu suchen
ist, in ihrer symmetrischen Anlage.
II. Daß Schallwellen, die von der Seite her das Ohr treffen,
uns am besten orientiert finden, ist eine empirisch allgemein bekannte
Tatsache, ebenso daß die aus anderen Richtungen (oben oder unten,
hinten oder vom) kommenden leichter zu Verwechslungen führen.
Schaeffer 1 ) meint, die Richtung oben und vorne werde wegen der
Form und Lage der Ohrmuschel am meisten bevorzugt. Nim haben wir
bei unseren Versuchen mit den beiden Pfeifen folgendes konstatiert:
Bei 1 m Abstand beider Pfeifen vom Untersuchten wurde bis zu
einer Entfernung von zirka 4 m richtig lokalisiert; von da wurden die
Angaben um so unsicherer, je weiter sich die Versuchsperson von der
Schallquelle entfernte. Nun wurden, als sich eine Unsicherheit einstellte,
die Tonquellen seitwärts nach rechts und links verschoben, worauf wieder
präzisere Angaben erfolgten. Dieser Vorgang konnte fortgesetzt werden,
soweit das Untersuchungszimmer Spielraum gestattete.
Wir können aus dieser Tatsache den Schluß ableiten, daß Töne
umso besser lokalisiert werden, je senkrechter,
und um so schlechter, je tangentialer die Schall¬
wellen auf das Gehörorgan auffallen.
Wir sehen also, daß es nicht die „Form und Lage“ der Ohrmuschel
ist, die uns für die Lokalisation der von rechts und links kommenden
Schallwellen befähigter machen, als für die von oben oder unten, hinten
oder vorn kommenden, sondern daß die Größe des Einfallswinkels hier
in Betracht kommt.
*) Schaeffer: Der Gehörsinn, Nagels Handbuch III. Band.
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Maximilian Rauch.
Nachstehende schematische Darstellung möge Experiment und
Folgerung erklären.
Bei Fig. 1 bleibt die Schallquelle A x und B x fix. Je weiter sich die
Versuchsperson entfernt (nach 1, 2, 3, 4, 5), desto tangentialer treffen
die Schallwellen das Gehörorgan und desto unsicherer wird die Lokali¬
sation.
Bei Fig. 2 entfernen sich die beiden Schallquellen A v B x geradlinig
nach A 2 B 2 — A 3 B s — A 4 B 4 usw. in dem Maße von der Versuchsperson,
als sich diese nach vorn 1, 2, 3, 4, 5. bewegt. Die Schallwellen fallen stets
unter einem gleichen Winkel nahezu parallel auf das Gehörorgan auf.
Dieses Ergebnis blieb das gleiche, einerlei ob die Versuchsperson
der Schallquelle den Rücken oder das Gesicht zuwendete.
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Über die Lokalisation von Tönen.
181
III. Und nun die Frage: Wo und wodurch werden die
Lokalzeichen aufgebracht, die bei uns die richtige Empfindung
von rechts oder links kommend auslösen ?
Wir haben eingangs erwähnt, daß hohe Töne schlecht lokalisiert
werden. Diese durchdringen nach Helmholtz den Knochen und
erregen direkt die Endstation des Kochlearis ohne Vermittlung der Gehör¬
knöchelchenkette. Es ist daher die Wahrscheinlichkeit nicht groß, daß
wir durch einen physiologischen Vorgang in der Schnecke die Lokali¬
sationsempfindung beziehen; wir müssen vielmehr die am besten lokalisier¬
baren mittleren Töne auf ihrem Wege verfolgen; dorthin, wo sie verarbeitet
werden, und das ist nach Helmholtz das Mittelohr. Von hier aus
dürften jene Lokalzeichen ausgehen, die uns zu einer Lokalisierung be¬
fähigen, und hier im Mittelohr sind es am wahrscheinlichsten jene Organe,
die bei einer Schalleinwirkung am meisten engagiert sind, und das sind
die Binnenmuskeln. Die hier erzeugten Muskelgefühle, als ein Teil unserer
subtilen Tiefensensibilität, bilden in unserem Unterbewußtsein vielleicht
den ersten Anstoß zur Befähigung, Schallintensitäten zu lokalisieren.
Auch Frey meint ganz richtig —allerdings ohne sonstige Begründung —
daß ,,die sensiblen Empfindungen des Schalleitungsapparates (Vibrations¬
gefühl) eine Rolle spielen“. Und es scheint uns kein bloßer Zufall, daß
Mittelohrkranke mit oder ohne Reizung des Vestibularis verhältnismäßig
schlechter lokalisieren als Patienten mit reiner Affektion des Innenohres.
Haben wir von der Helmholtz sehen Transformationstheorie aus¬
gehend, unsere Thesen abgeleitet, so findet jene andrerseits einen Stütz¬
punkt in unseren Betrachtungen über die erste Angriffsstelle der Schall¬
lokalisation.
Wenn wir auf den Ausgangspunkt dieser Arbeit zurückkommen,
auf unsere Betrachtung über die Abhängigkeit unserer Lokalisations¬
empfindung von der räumlichen Desorientierung, so möchten wir folgendes
bemerken:
Unsere Lokalisationsempfindung fußt auf unsere Raumvorstellung,
welch letztere wir in der ersten Kindheit vornehmlich mittels des Gesichts¬
sinnes zu erfassen lernen. Später mit der Entwicklung der Leitungs¬
bahnen für die Tiefensensibilität übernimmt der Gleichgewichtssinn
immer mehr und mehr die führende Rolle, während der Gesichtssinn die
Kontrolle ausübt —bis eine größere Selbständigkeit der Gleichgewichts¬
empfindung diese Kontrolle auch entbehrlich machen kann (daher Raum¬
empfindung bei geschlossenen Augen oder Erblindung).
So sehen wir Raum- und Gleichgewichtsempfindung eng mit¬
einander verknüpft. Sollen wir nun einen Ton lokalisieren, d. h. ihn wieder
dorthin in den Raum projizieren, woher er uns zugeführt wurde, so
müssen Raumvorstellung, Gleichgewichts- und der akustische Sinn
Zusammenwirken. Die richtige Lokalisierung des Schalles mit oder ohne
Zuhilfenahme des Gesichtssinnes stellt Anforderungen sowohl an die
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Maximilian Baach. Ober die Lokalisation von Tönen.
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Funktion des kochlearen als auch vestibulären Teil des Akustikus, in¬
sofern letzterer uns die Raumempfindung vermittelt. In diesem Zu¬
sammenwirken greifen die physiologischen Funktionen des Kochlearis
und Vestibularis ineinander. Vielleicht hätten wir da eines jener gemein¬
samen funktionellen Momente vor uns, nach denen immer wieder gefahndet
wird, da die enge Nachbarschaft so wie die anatomische Verbindung dieser
beiden Sinnesorgane den Gedanken an eine gewisse physiologische
Verwandtschaft immer wieder auslösen.
Zusammenfassend möchten wir für die Lokalisationslehre
folgende Theorien aufstellen:
1. Die Lokalisationsempfindung ist nicht in
der quantitativen Differenz, sondern in der ver¬
schiedenen qualitativen Umwertung der Töne im
rechten und im linken Ohr begründet. Diese Ver¬
schiedenheit ist gegeben in der verschiedenen
Orientierung beider Gehörorgane im Raume, in
ihrer symmetrischen Anlage.
2. Die bessere Lokalisation für die von der Seite
k o m m e n d e n T ö n e gegenüber denen von oben-unten,
hinten-yorn hängtnicht von derLageun d S t e 11ung
der Ohrmuschel ab, sondern vom Einfallswinkel
der Schallwellen: Je senkrecht er, desto besser die
Lokalisation; je tangentialer, desto schlechter.
3. Die Lokalisationsempfindung wird schon im
Mittelohr angeregt und kommt letzten Endes im
Zentrum zum Bewußtsein.
4. Der erste Angriffspunkt unserer Lokali¬
sationsempfindung sind die B i n n e n m u s k e 1 n des
Ohres.
5. Bei der Lokalisation greifen die Funktionen den
Kochlearis und Vestibularis ineinander, insofern,
als letzterer dieRaumempfindung vermittelt. Hier
wäre die physiologische Abhängigkeit beider
Sinnesorgane voneinander zu suchen.
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Maximilian Bauch. Die Lokalisation einseitig Tauber.
183
Die Lokalisation einseitig Tanber.
Von Dr. Maximilian Ranch, em. Assistent der Universitätsklinik für Ohren«,
Nasen- und Kehlkopfkrankheiten.
In meiner Arbeit ,,Über die Lokalisation von Tönen
und ihre Beeinflussung durch Reizung des Vesti¬
bül a r i s“ x ) habe ich folgende Theorien aufgestellt:
1. Die Lokalisationsempfindung ist nicht in der quantitativen
Differenz, sondern in der verschiedenen qualitativen Umwertung
der Töne im rechten u n d im linken Ohr begründet. Diese Verschiedenheit
ist gegeben in der verschiedenen Orientierung beider Gehörorgane im
Raume, in ihrer symmetrischen Anlage.
2. Die bessere Lokalisation für die von der Seite kommenden Töne
gegenüber denen von oben-unten, hinten-vorn hängt vom Einfalls¬
winkel der Schallwellen ab: Je senkrechter, desto besser die Lokalisation;
je tangentialer, desto schlechter.
3. Die Lokalisationsempfindung wird schon im Mittelohr angeregt
und kommt letzten Endes im Zentrum zum Bewußtsein.
4. Der erste Angriffspunkt unserer Lokalisationsempfindung sind
die Binnenmuskeln des Ohres.
5. Bei der Lokalisation greifen die Funktionen des Kochlearis und
Vestibularis ineinander; insofern, als letzterer die Raumempfindung
vermittelt. Hier wäre die physiologische Abhängigkeit beider Sinnesorgane
zu suchen.
Nun habe ich auch einseitigTaubein den Bereich der Unter¬
suchungen gezogen und a) deren normale, d. i. ungestörte
Lokalisation geprüft, b) die Lokalisation nach experimenteller
Desorientierung. Durch Hör- und Stimmgabeluntersuchung sowie
mittels des Lärmapparates wurde die tatsächlich bestehende einseitige
Taubheit konstatiert und nur solche Fälle herangezogen, wo beide
Vestibularapparate kalorisch und rotatorisch normal ansprechbar und
der Kochlearis und das Mittelohr der anderen Seite intakt waren.
A. Prüfung ohne Reizung des Vestibularis.
Die untersuchte Person wurde mit verbundenen Augen auf den
Drehstuhl gesetzt und auf demselben in halber oder dreiviertel Umdrehung
ein- bis zweimal nach rechts und links rotiert, so daß sie über ihre Stellung
im Untersuchungsraum desorientiert wurde. Nun wurden von einigen
Hilfspersonen, die sich an verschiedenen Stellen im Raume postiert
hatten, die Worte ,,Wo bin ich?“ oder „Wo stehe ich?“ gesprochen und
der Untersuchte wurde angewiesen, mit der Hand auf die Stelle hin¬
zuweisen, woher er die Worte zu vernehmen glaubte. Bei jeder Sitzung
*) Siehe dieses Heft S. 176.
Monatsschrift f. Ohrsnhellk. u. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 13
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184
Maximilian Rauch.
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wurden einige Prüfungen gemacht, indem die erwähnten Hilfspersonen
gleichzeitig in beliebiger Anordnung die Plätze wechselten, damit der
Untersuchte nicht aus der Stimme irgendwelche Kombinationen bezüglich
der Richtung sich mache oder aufs Erraten einlasse. Und diese Tendenz
bestand bei den meisten, die das Bestreben zeigten, ihre spezielle Ge¬
schicklichkeit zu prononzieren. Wir haben daher Kollegen, die die er¬
wähnten Hilfspersonen abgaben und die selbst Interesse an der Lösung
der Frage hatten, zu unseren Experimenten herangezogen, indem sie
mittels des Lärmapparates das eine Ohr vom Hörakte ausschlossen und
so die Zahl der untersuchten einseitig Tauben —es waren 14 Patienten —
vermehrten.
Außer der Stimme wurde die Lokalisation von Tönen
geprüft, und zwar mittels der von Urbantschitsch angegebenen
Ziehharmonika. Experimentiert wurde mit mittleren Tönen, und
zwar vor allem mit c 3 , da hohe Töne schlecht lokalisiert werden und tiefe
Töne nicht weit tragen. Während der Prüfer seinen Platz wechselte,
geschah dies auch von Seite der mitanwesenden Hilfspersonen, da wir
immer den Eindruck hatten, daß — wenn bloß der Untersucher den
Platz wechselte — die Versuchsperson die Neigung zeigte, aus den Er¬
schütterungen des Bodens Schlüsse ziehen zu wollen.
B. Prüfung nach e xp e r i m e n t e 11 e r D e s or i e n t i e r u n g.
Die Versuchsanordnung war folgende:
Auf einem langen zirka 1 m hohen Tisch wurden 2 gleich¬
gestimmte Pfeifen auf je einem Stativ senkrecht eingeklemmt, die
beiden Lippenstücke mit Schläuchen armiert, diese durch eine Y-Kanüle
zu einem gemeinsamen Schlauchstück vereinigt, letzteres mit einer
Radfahrluftpumpe verbunden. Mittels derselben wurden die beiden
Pfeifen in beliebiger Anordnung in Betrieb gesetzt, indem der eine oder
andere der beiden Schläuche mittels der Finger oder eines Quetschhahns
abgeklemmt bzw. geöffnet wurden.
Die Versuchsperson nahm immittelbar vor dem Tisch in der Mitte
zwischen beiden Pfeifen Platz, den Rücken dem Tisch zugewendet, so
daß sie die Manipulation mit den Pfeifen nicht sehen konnte. Diese waren
rechts und links zirka 1 m vom Kopfe des Untersuchten entfernt. Experi¬
mentiert wurde auch hier mit mittleren Tönen. Nun wurde die eine oder
andere Lippenpfeife zum Tönen gebracht und der Untersuchte angewiesen,
mit der Hand hinzuweisen, woher der Ton komme. Hierauf erfolgte
Kaltwasserkalorisation des einen Ohres (oft zu Kontrollzwecken beider
Ohren nacheinander). Bei den ersten Nystagmusschlägen wurde mit der
Spülung aufgehört, um stärkere subjektive Sensationen zu vermeiden
und die Versuchsperson zu befähigen, ohne Ablenkung durch stärkeres
körperliches Unbehagen genau anzugeben, wohin nach der experi¬
mentellen Desorientierung der rechts oder links erzeugte Ton lokali¬
siert wurde.
Gck igle
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Die Lokalisation einseitig Tauber.
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Sämtliche 14 untersuchten einseitig Taube
lieferten ganz eindeutige Besultate: Sie lokali¬
sierten falsch: bei Prüfung der menschlichen
Stimme und der Töne bestand jedoch ein gewisser
Unterschied. Bei ersterer wurde oft hin und her
geraten, aber fast immer falsch lokalisiert, wobei
die größere Geneigtheit bestand, die Frage „Wo
bin ich?“ in die Richtung des gesunden Ohres zu
projizieren; bei Prüfung von Harmonikatönen
zeigten die Untersuchten, einerlei wo der Prüfer
stand, ausnahmslos in dieRichtung ihres gesunden
Ohres. Der durch Provozierung eines Kaltwasser¬
nystagmus herv.orgerufene subjektive Drehschwin¬
del konnte an dieser Tatsache nichts ändern. Für die
Beobachtung, daß bei der Lokalisation der einseitig Tauben ein Unter¬
schied zwischen dem gesprochenen Wort und dem musikalischen Ton
besteht, haben wir vorläufig keine Erklärung, die uns restlos befriedigen
würde. Hier die prompte präzise Angabe bei allen Untersuchten, daß der
Ton von der Seite des funktionierendenOhres komme,
dort wohl größtenteils dieselbe Angabe, aber ab und zu auch andere
falsche Angaben und dies um so mehr, je näher sich der Prüfer der unter¬
suchten Person gegenüber befindet. Es scheint das Tongemisch der ge¬
sprochenen Worte die Versuchsperson zum Erraten und Kombinieren
eher zu vermögen, als der einzelne Ton. Tatsache ist — wie eigentlich
theoretisch nicht anders zu erwarten war — daß die Schallokalisation,
zumindest was Töne betrifft, ausschließlich auf die Seite des funktionieren¬
den Gehörorgans erfolgte. Dies betraf nicht nur Fälle, die erst spät,
d. h. in den letzten Jahren (etwa postoperativ) ertaubten, sondern auch
solche, wo die Taubheit angeboren oder in frühester Kindheit erworben
war. Wir dachten, daß sich bei letzteren gewisse Lokalzeichen heraus¬
gebildet haben würden, die von den Patienten zur richtigen Perzeption
des Schalles verwendet würden. Unsere Annahme stimmte nicht: auch
hier wurde in allen Distanzen, einerlei, ob der Ton von rechts oder links
her zugeführt wurde, ob die Schallquelle nahe oder in weiterer Entfernung
vom Untersuchten sich befand, stets der Ton als von der Seite kommend
bezeichnet, wo sich das gesunde Ohr befand. Ja noch mehr, die Kalori-
sation sowohl des einen als auch des anderen Ohres —selbstverständ¬
lich wurden, wie bereits erwähnt, nur Fälle mit prompt ansprech¬
baren Vestibularis untersucht — konnte an dieser Tatsache nichts
ändern.
Auf den ersten Blick hat es den Anschein, als ob die Ergebnisse
unserer Versuche bei den einseitig Tauben nicht gerade für die Abhängig¬
keit unserer Lokalisation vom Raumsinn sprechen würden. Dem ist aber
nicht so. Unsere Schlüsse setzten vor allem eine normale Raum¬
empfindung der Untersuchten voraus. Fälle mit Störungen derselben
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Maximilian Bauch. Die Lokalisation einseitig Tauber.
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können natürlich nicht einbezogen werden. Daß dazu die einseitig Tauben
gehören, werden wir im folgenden ausführen:
Wir verstehen unter Raumempfindung oder Raumsinn das Er¬
fassen der Dimensionen unserer Umgebung mittels unserer Sinneswerk-
zeuge, und zwar des Gesichts-, Gehörs- und Gleichgewichtssinnes. Um
die Lokalisation eines Tones richtig zu erfassen, gehören zwei Gehör¬
organe. Dem Rechtstauben fehlt total die Empfindung, daß ein
Ton von rechts kommt. Daß er von rechts kommen kann, ist ihm selbst¬
verständlich bekannt; er kann dies mittels des Gesichtssinnes ohne
weiteres erschließen, wenn er die Tonquelle mit seinen Augen aufsucht
und sie als solche erkennt, da er doch eine Raum Vorstellung
besitzt .(Wir müssen nicht erst erwähnen, daß Empfindung und Vor¬
stellung zwei verschiedene Begriffe sind.) Wenn wir einem experimentell
desorientierten Menschen mit zwei funktionierenden Gehörorganen einen
Ton zuführen, so haben wir durch den provozierten Drehschwindel die
physiologische Funktion der Gehörorgane nicht gestört. Es wird daher,
wenn unsere früher ausgeführte Hypothese richtig ist, unsere Lokali¬
sationsempfindung unbehindert im Mittelohr angeregt; dagegen aber
wird durch den Drehschwindel die zentrale Auswertung der Lokalisations¬
empfindung gestört werden, weil die Versuchsperson —allerdings vorüber¬
gehend — die Raumempfindung verloren hat. Von den drei Sinnen, die
uns die Raumempfindung vermitteln, sind zwei gestört: Der Gesichtssinn
(Nystagmus) und der Gleichgewichtssinn (Drehschwindel).
Anders beim einseitig Tauben. Dieser lokalisiert von vornherein
falsch, da er — von welcher Seite auch immer der Ton ausgelöst wird —
ihn stets als von der Seite kommend, bezeichnet, wo er sein gesundes
Ohr hat. Er besitzt auf der kranken Seite überhaupt keine
Lokalisationsempfindung, weil seine Raum¬
empfindung für akustische Reize gestört ist. Ihm
fehlt die Möglichkeit einer qualitativen Differenzierung des Tones in
beiden Gehörorganen, weil er n u r e i n e s besitzt. Hat man in Rücksicht
auf die paarige Anlage der Sinnesorgane den Menschen als ein Doppel¬
wesen bezeichnet, so fehlt dem einseitig Tauben bezüglich seiner akusti¬
schen Perzeption die Doppelnatur: Für den Rechtstauben besteht keine
rechtsseitige, für den Linkstauben keine linksseitige akustische Raum¬
empfindung. In allen wirklichen und vermeintlichen Stellungen des
Körpers im Raume haftet der Ton immer in dem einzig funktionierenden
Gehörorgan so fest, daß ihn der Drehschwindel nicht zu verwischen
vermag. Der Drehschwindel kann die fehlende akustische Perzeption
der einen Seite ebenso wenig beeinflussen, wie wenig wir durch irgendein
physiologisches Experiment imstande sind, in einem erblindeten Auge
optische Eindrücke auszulösen. Ein einseitig Tauber ist in seiner Raum¬
empfindung pathologisch gestört und kann daher von vornherein nicht
für jene Versuche verwertet werden, welche die Abhängigkeit der Lokali¬
sation von der Raumempfindung beweisen sollen.
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O. Strandberg. Tuberkulöse Mittelohrentzündung.
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Unsere Versuche belehren uns also, daß ein
Gehörorgan allein zu einer Lokalisation des
Schalles nicht ausreicht, sondern beide Gehör¬
organe in ihrem Zusammenwirken an derselben
sich beteiligen, in einem gewissen Sinne sich — wie
beide Augen beim stereoskopischen Sehen — er¬
gänzen und so für die Lokalisation in einem physio¬
logischen Abhängigkeit s Verhältnis zueinander
stehen.
Aus dem Finsensehen medizinischen Lysinstitut zu Kopenhagen
(Ohren-, Nasen- und Halsabteilung).
Bemerkungen zur tuberkulösen Mittelohrentzündung
und zu ihren Komplikationen mit besonderer Berück¬
sichtigung der Behandlung mit Finsenbädern.
Von Dr. 0. Strandberg.
Durch Sektionen von Tuberkulosefällen, wo auch die Ohren
untersucht wurden, ist man sich seit langem klar darüber, daß Tuber¬
kulose im Mittelohr und im os temporale hier keineswegs zu den
Seltenheiten gehört (Habermann, Schwabach, Brieger,
Preysing u. a.).
Auch bei Kranken mit Lungentuberkulose wurden Unter¬
suchungen angestellt, namentlich von Herzog, und bei Lupuskranken
von Levy und Brieger.
Es geht aus diesen Untersuchungen hervor, daß die Mittel¬
ohrtuberkulose und ihre Komplikationen keine seltene Erkrankung
bei Tuberkulösen ist.
Aber auch bei Kranken, die an keiner anderen Form von
Tuberkulose leiden, ist die tuberkulöse Mittelohrentzündung häufiger
als manchmal angenommen wird. Milligan fand, daß die Otitiden
in 20% der Fälle bei Kindern unter 6 Jahren tuberkulöser Natur
waren. Henrici gibt an, daß 20% aller Mastoiditiden bei Kindern
tuberkulöser Natur sind, während Brieger meint, daß diese Zahl
eher zu niedrig ist.
Leegaard, aus dessen Arbeit: „Beitrag zum Studium der
Mittelohrtuberkulose“, Kristiana 1919, ein Teil der in diesem Artikel
mitgeteilten Angaben entnommen ist, hat die verschiedenen Statistiken
kritisch gesichtet und meint auf Grundlage davon, daß bei Kindern
unter 7, Jahren zwischen 10 und 20% sämtlicher Mastoiditiden
tuberkulös sind.
Leegaards eigene Statistik ist jedoch, so weit sich über¬
sehen läßt, die beste bisher vorliegende, da das Material bei früheren
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188
O. Strandberg.
Untersucbern entweder aasgewählt oder zu klein war, Einwendungen,
die gegen Leegaard nicht erhoben werden können, der im Reichs¬
hospital in Eristiana eine zusammenhängende Reihe von 200 Kranken
nntersucht hat, die wegen Otitis med. supp, die operativen Eingriff
erforderte, aufgenommen worden waren.
Er hat dadurch eine beträchtliche Sicherheit in bezug auf die
Diagnose erreicht, da er in größtmöglicher Ausdehnung das entfernte
pathologische Gewebe histologisch oder durch Impfung auf Meer¬
schweinchen hat untersuchen können.
Das Material ist also ausgezeichnet für die Konstatierung geeignet,
wie häufig sich Tuberkulose unter den suppurativen Mittelohrent¬
zündungen findet, deren Komplikationen operative Eingriffe ver¬
anlassen.
Leegaard fand, daß von sämtlichen 200 operierten Kranken
in dem aus dem Os temporale entfernten Gewebe bei 20 sich mit
Sicherheit Tuberkulose konstatieren ließ; mit anderen Worten, es kann
als gegeben angenommen werden, daß 10°/ o sämtlicher komplizierter
Mittelohrleiden, die zur Operation kommen, tuberkulös sind. Einen
sicheren Begriff von der Häufigkeit der Mittelohrtuberkulose gibt
diese Zahl ja nicht, da verschiedene einfache Mittelohrentzündungen,
die anscheinend keine Komplikationen machen, sehr wohl tuberkulös
sein können.
Die Mittelohrtuberkulose ist also mit anderen Worten eine
keineswegs seltene Krankheit und ihre Prognose und Behandlung
kann daher wohl durchaus großes Interesse erfordern.
Mit Bezug auf die Prognose muß man zwischen den tuberkulösen
Mittelohrleiden bei Phthisikern und bei anderen unterscheiden.
Die meisten Autoren sehen die Prognose bei den ersten als
schlecht an (Jacobson, Blau, Jansen u. a.). Denker macht sie
abhängig vom Verlauf des Lungenleidens und dem Allgemeinzustand
des Kranken.
Wo das Ohrenleiden die einzige tuberkulöse Manifestation,
eventuell in Verbindung mit Halsdrüsen ist, sieht Denker die
Prognose für wesentlich besser an. Koerner sieht bei zeitiger
Operation die Prognose nicht als schlecht an, erwähnt jedoch, daß
die Heilung oft protrahiert ist, daß wiederholte Auskratzungen dazu
gehören und das man zu anderen Hilfsmitteln, wie guter Ernährung,
Soolbädern und ähnlichen greifen muß. Leegaard meint, daß man
nun, wo man weiß, daß die Mittelohrtuberkulose ziemlich häufig
auch bei Niehtphthisikern vorkommt, vielleicht nicht so ernst auf diese
Krankheit zu sehen braucht.
In Leegaards eigenem Material ist das Resultat bei 4%
zweifelhaft, 32°/ 0 sind gestorben und 64°/ 0 geheilt, am schlechtesten
ist die Prognose bei Kindern unter 1 Jahr und bei erwachsenen
Phthisikern.
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Tuberkulöse Mittelohrentzündung und ihre Komplikationen.
189
Auch Lermoyez betrachtet die Prognose bei kleinen Kindern
für pessima und meint, daß sie bei Kindern im ganzen ernst iBt.
Beide Autoren erwähnen die Fazialisparese als ein in pro¬
gnostischer Beziehung schlechtes Zeichen. Im ganzen kann man sagen,
daß die allgemeine Anschauung die ist, daß die Tuberkulose des
Mittelohrs und Schläfenbeins eine sehr ernste Krankheit ist, besonders
ernst bei Kindern unter 1 Jahr und bei erwachsenen Phthisikern.
Bevor ich näher darauf eingehe, die Behandlung des Finsen-
instituts bei der MitteloLrtuberkulose zu besprechen, ist es notwendig,
die Diagnose und die andernorts angewandte Therapie zu besprechen.
Was die Diagnose betrifft, so wird die tuberkulöse Otitis bei
Lungentuberkulösen im weit vorgeschrittenen Stadium hier außer
Betracht gelassen; die Differentialdiagnose wird hier selten eine
besondere Rolle spielen, da die Behandlung in der Regel die gleiche
sein wird: palliativ.
Schwierigkeiten in der Differentialdiagnose zeigen sich besonders
bei Patienten mit kleinem oder keinem Lungenbefund.
Es werden eine Reihe klinischer Symptome genannt, die für die
tuberkulöse Otitis und ihre Komplikationen spezifisch sein sollen, so
das Vorhandensein mehrerer Perforationen im Trommelfell, ein Zeichen,
dem jedoch kaum größere Bedeutung beigelegt werden kann, nachdem
Leegaard bei 25 Kranken mit tuberkulöser Otitis nur einmal mehr
als eine Perforation gefunden hat, während man bei 180 nicht tuber¬
kulösen 5 mal 2 Perforationen gefunden hat. Bei den im Finsen-
institut behandelten 13 Patienten mit Mittelohrtuberkulose, die später
näher besprochen werden sollen, wurden nicht ein mal mehrere Per¬
forationen gefunden.
Gleichzeitiges Vorhandensein reichlicher Granulationen mit
Neigung schneller Rezidive bei den akuten Fällen hat Leegaard
nur selten sowohl bei den banalen als auch den tuberkulösen Otitiden
gefunden. Das Auftreten solcher Granulationen spricht, meint er,
für Tuberkulose.
Besonders wird von zahlreichen Autoren der schleichende Beginn
und die frtlhe Anwesenheit von Fazialisparese erwähnt, namentlich
der schleichende Beginn wird von den meisten als besonders
charakteristisch angesehen, nur einzelne, namentlich K o e r n e r,
erwähnen, daß die tuberkulöse Otitis wie andere beginnen kann.
Leegaard fand schmerzhaften Beginn bei 16 von 25 Fällen,
und von den 13 Fällen des FinseninBtitutes fingen 8 wie eine
gewöhnliche akute suppurative Otitis an. Diese 2 Zahlen liegen
einander so nahe, daß man aussprechen kann, daß die tuberkulöse
Otitis med. in weit über der Hälfte der Fälle (zirka 63°/o) wie eine
gewöhnliche Otitis med. anfängt, so daß man auf keinen Fall eine
Tuberkulose ausschließen darf, wenn eine Otitis med. mit starken
Schmerzen und' hoher Temperatur beginnt.
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190
0. Strandberg.
Was die Fazialisparese betrifft, so bat sie Leegaard in keinem
seiner Fälle beobachtet, während wir sie im Finseninstitut einmal
gesehen haben.
Als charakteristisch für die Tuberkulose müssen Schwartzes
Tuberkel im Trommelfell und Jörgen Möllers Myringitis tubercu-
losa diffusa angesehen werden, Phänomene, die beide mit starker
Destruktion der Membran enden.
Leegaard hat so wenig wie ich Gelegenheit gehabt, dieses
bei den hier besprochenen Kranken zu beobachten. Lermoyez
betont, was auch unsere Erfahrung im Finseninstitut ist, daß das
klinische Bild allein nicht imstande ist, die Diagnose Tuberkulose
zu sichern. Hierbei müssen jedoch solche Patienten ausgenommen
werden, wo die von Schwartze und Jörgen Möller gefundenen
Veränderungen am Trommelfell gefunden werden.
Die mikroskopische Untersuchung des Eiters auf Tuberkel¬
bazillen ist wenig lohnend, weil der negative Befund nichts bedeutet —
Br ieger hat bei den untersuchten tuberkulösen Fällen nur in 10°/ o
Tuberkelbazillen gefunden — und die Bedeutung eines positiven
Befundes wird durch den Umstand abgeechwächt, daß im Eiter alter
chronischer Otitiden sich zahlreiche säurefeste Bazillen finden, die
nicht 1 " mit Tuberkelbazillen identisch sind (Lermoyez). Andere
Autoren halten diese Fehlerquelle jedoch für nicht so groß.
Die lokale Tuberkulinreaktion scheint eine etwas größere
Bedeutung zu haben, da der Abschnitt des Kindesalters, wo die
positive Reaktion einen besonderen diagnostischen Wert zu haben
scheint, gerade dieselbe Periode ist, wo die Häufigkeit der Mittelohr¬
tuberkulose am größten ist (Leegaard).
Durch die subkutane Tuberkulinprobe kann es dem Ohre an¬
belangend Fazialisparalyse, Labyrinthkomplikationen uud Meningitis
auftreten, weshalb sie Brieger für sehr gefährlich, ja, die An¬
wendung dieser Untersuchungsmethode für ausgeschlossen hält.
Wie man sieht, kann es vor der Operation mit den größten
Schwierigkeiten verbunden, um nicht zu sagen, unmöglich zu ent¬
scheiden sein, ob eine vorliegende Otitis med. oder eine Mastoiditis
tuberkulös ist oder nicht, und für die unter der Maske einer all¬
gemeinen akuten Otitis med. entstehenden Leiden kaun das ganz
unmöglich sein.
Das einzige, was die Diagnose sichern kann, ist, wenn entweder
der Nachweis von Tuberkelbazillen in Sekret gelingt, was. wie
oben erwähnt, zu den Seltenheiten gehört, oder wenn histologisch
Tuberkulose in den Granulationen nachgewiesen wird.
Kann die Diagnose nicht vor der Operation gestellt werden,
so ist es ja möglich, daß es während derselben geschehen kann und
so sich ein Wegweiser für die Behandlung ergibt.
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Tuberkulöse Mittelohrentzündung und ihre Komplikationen.
191
In dieser Beziehung wird das Vorhandensein kittartiger Sub¬
stanz und von käseartigem Zerfall erwähnt (Leegaard-Lermoyez).
Leegaard hat kittartige Substanz 6mal bei 25 Fällen gesehen,
während wir das im Finseninstitut in keinem Fall beobachtet haben.
Lermoyez legt Gewicht auf die Anwesenheit blaßer, schlaffer
Granulationen, etwas, was allerdings im Finseninstitut beobachtet
ist, was wir andrerseits aber auch in einigen nicht tuberkulösen
Fällen gesehen haben.
Aber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle trifft man nichts
davon bei den Operationen an, die auf die für gewöhnliche kompli¬
zierte akute Otitiden geltenden Indikationen hin vorgenommen sind.
Manchmal kann auch der Wundverlauf einem keine Aufklärungen
geben, da z. B. K o e r n e r betont, daß die tuberkulöse Mastoiditiden
heilen können, und in gewohnter Weise nach einer einfachen
Aufmeißelung.
Häufig wird der postoperativo Verlauf Verdacht erwecken.
Unmittelbar nach der Operation kann der Verlauf ganz normal
sein, aber nach einiger Zeit beginnen die Granulationen zu atrophieren,
werden blaß und schlaff und liegen wie eine dünne Decke über der
in der Regel großen Kavität. In anderen Fällen füllt sich die Operations-
wunde ganz gut und es restiert zuletzt nur eine dünne, von einem
Schorf gedeckte Fistel; wird dieser entfernt, so trifft die Sonde auf
dem Grunde entblößte Knochen. Aus der sich nicht schließenden
Fistel entleert sich gern ein schleimiges, fadenziehendes Sekret.
Die Erkrankung dringt weiter in die Tiefe vor und manchmal
gibt sie Anlaß za Retentionszuständen.
Dieser Wundverlauf ist der im Finseninstitut bei tuberkulösen
Erkrankungen des os temporale häufigst beobachtete; spezifisch für
Tuberkulose ist er keineswegs, da er ganz genau so bei einer größeren
Reibe von Kranken mit chronischer Ostitis im os temporale beobachtet
ist, wo man die Diagnose Tuberkulose nicht feststellen konnte, weil
die histologische Untersuchung wie auch die Uberimpfung auf Meer¬
schweinchen negative Resultate gaben.
Schließlich kann der postoperative Verlauf ein anderes Bild
zeigen, das allerdings über die Diagnose keinen Zweifel läßt, da die
Granulationen sich mit einer kolossalen Lebhaftigkeit vorschieben,
fast aus der Wunde herausquellen, binnen kurzem über die Wundränder
proliferieren und diese derartig infizieren, daß hier kutane Tuberkulose
entsteht, die manchmal sich mit rasender Hast ausbreitet. Die Granu¬
lationen sind groß, blutig und schwammig; eine Sonde dringt durch
sie fast ohne Druck hindurch und sie sezernieren sehr stark.
Diese drei Formen sind die, welche im Finseninstitut beobachtet
worden sind, die letzte Form wurde zweimal gesehen, einmal bei
einem erwachsenen Mann und einmal bei einem Kind. Ich habe den
Eindruck, daß sich unter diesem Wundverlauf Fälle verbergen, die
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O. S t r a n d b e r g.
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besonders maligne sind, wenn sie nicht schleunigst in richtige Be¬
handlung kommen.
Eine sichere Diagnose läßt sich, wie Lermoyez betont, nur
mit Hilfe des Laboratoriums stellen. Der negative Ausfall der histo¬
logischen Untersuchung des operativ entfernten Gewebes bedeutet
selbstverständlich nichts und die positive Beantwortung kann oft
schwer zu erzielen sein.
Leegaard hat es so nur gesehen in 13 von 18 Fällen, die
positiven Ausschlag bei Meerschweinchen ergaben.
Sowohl Lermoyez als auch Leegaard betrachten denn
auch die Überimpfung auf Meerschweinchen als sicherstes Kriterium
und Leegaard hält namentlich den negativen Befund für beweisend;
hierzu muß man sich vielleicht auch noch halten, nachdem es von
Paus erwiesen ist, daß man durch Blutokulation von Kranken mit
chirurgischer Tuberkulose positiven Ausschlag in 2% der inokulierten
Fälle bekommen hat.
Die Inukulationsmethode hat den großen Überstand, daß die
Antwort lange auf sich warten läßt, ein Mißstand, der natürlich
besonders fühlbar für den ist, der auf dem Standpunkt steht, daß
man in Fällen von Tuberkulose die Totalaufmeißelung des Mittelohrs
und des proc. mastoid. machen muß, ein Standpunkt, der allerdings,
worauf ich später noch zurückkommen werde, doch noch Anlaß zur
Revision gibt.
Wie ist nun die bisher bei der tuberkulösen Otitis med. und
ihren Komplikationen angewandte Behandlung?
Wenn das Leiden maskiert als eine gewöhnliche akute kom¬
plizierte Otitis med. mit Temperatursteigerung, Schmerzen, Druck¬
empfindlichkeit und Infiltration auftritt, ist selbstverständlich die
Operation gegeben, und, wie gesagt, betont Koerner, daß viele
Ohrtuberkulosen nach einer gewöhnlichen Aufmeißelung ausheilen,
Leegaard hat diese 13mal gemacht und nur 2mal in normaler
Weise Ausheilung bekommen, und in keinem der 13 Fälle des
Finseninstituts war der Verlauf oder die Ausheilung nach der ein¬
fachen Aufmeißelung allein normal.
Lermoyez meint, daß man nach gestellter Diagnose so radikal
als möglich operieren muß, aber er ist sich klar darüber, daß eine
wirkliche radikale Entfernung alles Krankhaften kaum möglich ist.
Die Radikaloperatiou soll dann vorgenommen werden, nicht nur, um
soviel Krankes wie möglich zu entfernen, sondern auch, um die
bestmöglichen Drainageverhältnisse zu schaffen. Die operative Be¬
handlung muß daher mit der konservativen Hand in Hand gehen,
die allein nicht imstande ist, ein gutes Resultat zu geben.
Die Triumphe, die die konservative Behandlung bei der Ex¬
tremitätentuberkulose gefeiert hat, können nach Lermoyez’s
Meinung infolge des Baues des Mittelohrs bei der Ohrentuberkulose
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Original frorn
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Tuberkulöse Mittelohrentzündung und ihre Komplikationen.
193
nicht erzielt werden. Erst wenn dieses durch die Operation in eine
große Kavität umgewandelt ist, sind die geeigneten Bedingungen fUr
die Wirkung von Licht, Luft usw. gegeben.
Die Gefahren, die einige Autoren durch operative Eingriffe
erwähnen: Miliartuberkulose, Verschlimmerung des Lungenleidens
und tuberkulöse Meningitis halten sowohl Lermoyez wieLeegaard
für hypothetisch, und ich kann hier hinzufügen, daß wir auch im
Finseninstitut nichts derartiges gesehen haben. Kontraindiziert ist die
Operation bei vorgeschrittener Lungentuberkulose, Kachexie amyloider
Degeneration, sowie bei Neugebornen.
Leegaard stellt die Allgemeinbehandlung an die Spitze und
faßt somit die Ohrentuberkulose, wie das auch im Finseninstitut der
Fall ist, als ein Symptom bei einem tuberkulösen Individuum auf,
gibt aber im übrigen die Totalaufmeißelung an bei Fällen mit chro¬
nischem Verlauf sowie bei den akuten und subakuten Fällen, wenn
die Diagnose von vornherein gestellt ist; ist die Natur der Krank¬
heit nicht erkannt, wenn man operiert, und ist die einfache Auf¬
meißelung gemacht, muß man das Resultat ab warten und eventuell
später die Totalaufmeißelung machen.
Leegaard hat außerdem, wie es scheint, mit einigem Gltlck
die lokale Tuberkulinbehandlung versucht.
Diese beiden modernen Arbeiten, von denen die von Leegaard
1919, die von Lermoyez 1921 erschienen ist, beschäftigen sich im
wesentlichen nur mit der operativen Behandlung und der Allgemein¬
behandlung und erwähnen nur, daß die Heliotherapie angewandt
wird und daß sie im Tiefland durch Quarzlicht ersetzt wird. Es
sind anscheinend nur sehr wenige Otologen, die die Heliotherapie oder
künstliche chemische Lichtbäder angewandt haben, und von den
wenigen Mitteilungen, die überhaupt vorliegen, rühren einige von
Autoren her, die wegen anderer tuberkulöser Erkrankungen Patienten
behandelten, die gleichzeitig ein Ohrenleiden hatten.
Kollier erwähnt in seiner Heliotherapie der Tuberkulose 1913
3 Fälle von Ohrentuberkulose, alle geheilt. Bernhard (1917)
behandelt purulente tuberkulöse Mittelohrentzündungen lokal mit
Sonnenlicht und gibt an, gute Resultate gehabt zu haben, aber
Gemach findet Bernhards Diagnose nicht überzeugend.
Alexander hat gleichfalls Lokalbehandlung mit durch
Metallspiegel reflektiertem Sonnenlicht versucht und will in mehreren
Fällen Epithelialisierung erzielt haben und Lermoyez meint, daß
daB in inoperablen Fällen versucht werden muß.
Vom Finseninstitut aus hin ich teils in Hospitalstidende 1916,
teils in der Mschr. f. Ohrenhlk. für Behandlung nicht nur der Tuber¬
kulose im os temp., sondern auch der chronischen Ostitis mit
FinBenbädern eingetreten und habe eine Reihe mit Glück behandelter
Fälle mitgeteilt.
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, Schließlich hat Cemach in der Mschr. f. Ohrenhlk. 1920 seine
Erfahrungen teils mit Heliotherapie teils mit Quarzbädern mitgeteilt.
Das Material ist in bezug auf die Sonnenbäder sehr klein, aber in¬
folge seiner Zusammensetzung von bedeutendem Interesse.
Es handelt sich im Ganzen um 8 systematisch mit Sonnenbädern
behandelte Fälle von Tuberkulose im Mittelohr und ob temporale.
Die Kranken hatten alle Lungentuberkulose und waren zwischen
16 und 39 Jahren, also in einem Alter, wo die Prognose besonders
schlecht ist. 6 waren zum Teil lange vorher der Operation unterworfen,
aber nicht geheilt, 2 waren nicht operiert. Nur 2 heilten nicht und
von diesen war der eine früher operiert, der andere nicht. Das
Resultat muß man als besonders ermutigend ansprechen, da es sich
hier um Schwerkranke handelte, wo das Ohrleiden mit Lungen¬
tuberkulose kombiniert war, und um Kranke, wo die Prognose auch
auf Grund ihres Alters als schlecht angesehen werden mußte.
Cemach berichtete in dieser Verbindung von einer Reihe
von Kranken, die mit gutem Resultat mit Sonnenlicht im Sanatorium
in Sulzbach behandelt waren, aber da die Diagnose nicht überzeugend
ist, will ich nicht näher auf sie eingehen.
* Interessanter ist eine andere Beobachtungsreihe Gemachs,
die aus 9 Erwachsenen und 7 Kindern besteht, die wegen Mittel-
obrtuberkulose mit Quarzlicht teils als Lichtbad teils lokal behandelt
waren. Die Diagnose war histologisch festgestellt.
Die Resultate sind jedoch weit schlechter a^s die mit Sonnen¬
licht erzielten, da nur 2 ausheilten und 4 sich mehr oder weniger
besserten, während der Rest beeinflußt war.
Auf Grund seiner vom Sonnenlicht geheilten Fälle behauptet
nun Cemach, daß jede Art Ohrentuberkulose in jedem Stadium in
jedem Alter durch Heliotherapie geheilt werden kann. In bezug
auf die vorausgegangene Operation deutet er an, daß man nach den
bisherigen Erfahrungen nicht entscheiden kann, ob die Radikal¬
operation geeignet ist, die Heilung zu beschleunigen oder zu sichern,
aber die Heliotherapie allein wäre in jedem Falle imstande, die
Heilung zu bewirken.
Man erhält jedoch den Eindruck, daß Cemach die Operation
für überflüssig hält, ein Standpunkt, der jedoch, wie ich später noch
zeigen werde, kaum in allen Fällen richtig ist und dessen Berech¬
tigung aus Cemachs Material auch nicht einleuchtend hervorgeht,
wo jedenfalls ein Fall nach Beginn der Sonnenbäder Fazialisparese
bekam, was dem Kranken doch möglicherweise hätte erspart werden
können, wenn eine rechtzeitige Revision vorgenommen worden wäre.
Indessen ist es keineswegs unmöglich, daß die Operation ver¬
mieden werden und für die Lichttherapie allein entschieden werden
kann, bei der speziellen Form der Mittelohrtuberkulose, die sich
bei mehreren Kranken Cemachs fand, nämlich bei der mit zum Teil
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Tuberkulöse Mittelohrentzündung und ihre Komplikationen.
195
schweren Langenleiden vorhandenen Form, and wo, wie erwähnt,
alle Autoren zur Zurückhaltung mahnen.
Ein von Blegvad in der dän. oto-laryngol. Gesellschaft er¬
wähnter Fall weiBt in diese Richtung.
Aber wo keine Kombinationen mit einem vorgeschrittenen
Lungenleiden vorliegen, wird die Operation sicher den Verlauf ab-
kürzen, und wo die tuberkulöse Mittelohrentzündung unter dem Bild
einer hochfebrilen akuten Otits med. mit akuter Ostitis im proc.
mast, oder mit drohenden intrakraniellen Komplikationen aultritt,
wird die Operation immer indiziert sein und gleichzeitig wird sie
hier den Verlauf abkürzen.
Ich will nunmehr die 13 Patienten mit Mittelohrtuberkulose
und Komplikationen näher behandeln, die im Finseninstitut behandelt
wurden.
Die Diagnose bei diesen Kranken wurde bei 8 histologisch und
bei 5 durch Meerschweinchenimpfung festgestellt. Die Inokulationen
wurden im Serumlaboratorium der landwirtschaftlichen Bochschule
vorgenommen, deren Chef Prof. C. 0. J e n s e n ist und den ich auch
hier bitte, meinen herzlichen Dank für die große Bereitwilligkeit ent¬
gegennehmen zu wollen, mit der er diese Untersuchungen unter¬
stützt hat.
4 Patienten waren erwachsen, 21, 29, 36 bzw. 52 Jahre -alt,
der Rest waren Kinder, von denen 3 drei Jahre alt und darunter,
die übrigen zwischen 3 und 11 Jahren waren. Ein Kind hatte eine
zweifellose Lungentuberkulose, eins war zweifelhaft. 2 Erwachsene
und ein Kind hatten gleichzeitig Lupus vulgaris der Nasenschleimhaut,
ein Kind tuberkulöse DrüBen (histologisch nachgewiesen) am Halse.
Bei 7 anderen war das Ohrleiden die einzige naebgewiesene
Erkrankung. Fazialisparese vor der Operation wurde nur einmal
bei einem 36jährigen Mann beobachtet.
Die überwiegende Mehrzahl der Kranken war vor der Aufnahme
einer oder mehrerer Operationen unterworfen und bei 2 war die
Totalaufmeißelung gemacht worden. Bei 10 Kranken wurde im
Finseninstitut eine Revision vorgenommen, die zweimal zur Total¬
aufmeißelung führte.
Die Revisionen wurden u. a. vorgenommen, weil der größte
Teil der Kranken einige Zeit warten mußte, bis sie aufgenommen
werden konnten, und in der Zwischenzeit war die Gelegenheit
zur Entstehung neuer Karies mit oder ohne Retentionszuständen
gegeben.
Da es sich, wie erwähnt, zu einem großen Teil um Palienten
handelt, die nach anderweiter Behandlung aufgenommen wurden,
und da oft lange Zeit verstrichen war zwischen dem Beginn der
Krankheit und der Aufnahme im Finseninstitut, war es in einzelnen
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196
O. Strand berg.
Fallen anmöglich, alle anamnestischen Angaben beizubringen, die
für die Tuberkulose von speziellem Interesse sind.
In bezug auf familiäre Disposition oder. Ansteckung fehlen
Angaben bei 4, bei 3 konnte keine Disposition oder Ansteckungs¬
quelle nachgewiesen werden, während bei 5 Lungentuberkulose bei
den Eltern oder Geschwistern bestand und eins in einer Häuslichkeit
in Pflege war, wo der Mann Lungentuberkulose hatte.
Bei 2 Erwachsenen und einem Kind werden Angaben über
den Beginn der Krankheit vermißt, bei 2 begann sie ohne Schmerzen
oder Temperaturerhöhung, während sie bei 8 wie eine gewöhnliche
Otitis med. supp, acuta mit Schmerzen und Temperaturerhöhung
begann.
Die Zahl entspricht einigermaßen Leegaards Material, wo
zirka */ 3 der Fälle schleichend begann. Wie früher erwähnt, darf man
also keineswegs damit rechnen, daß die tuberkulöse Mittelobrerkrankung
schleichend beginnt, sie beginnt im Gegenteil in der weit über¬
wiegenden Mehrzahl der Fälle mit Schmerzen und Temperatur¬
erhöhung. Bei einem Kranken wurde rezidivierende Granulations¬
bildung im Gehörgang beobachtet.
Die 8 Patienten, wo die Krankheit akut begann, wurden alle
im akuten Stadium aufgemeißelt, und bei ihnen allen wurde die
simple Aufmeißelung gemacht. Bei 7 Patienten wurden bei der
Operation subperiostale Abszesse gefunden und bei allen Operierten
bestanden sehr große Destruktionen im Knochen. Bei keinem von
ihnen wurde bei der Operation breiige Substanz oder knöchener
Zerfall und nur bei 2 blasse, speckige Granulationen gefunden. Bei
2 Kranken bestand kutane Tuberkulose in der Umgebung.
Im großen und ganzen war der Operationsbefund nicht ver¬
schieden von dem, den man bei jeder noch so banalen Mastoiditis
untrifft. Auch bei den im Finseninstitut vorgenommenen Revisionen
wurden keine Abweichungen hiervon gefunden, sowenig wie bei den
Patienten, wo die primäre Operation ausgeführt wurde.
Wie man sieht, hat keiner dieser Kranken vor oder bei der
Operation Symptome gezeigt, die die Diagnostizierung der Tuberkulose
ermöglicht hätten. Erst die histologische Untersuchung oder der
Krankheitsverlauf und die Meerschweinchenimpfung hat die richtige
Diagnose gebracht. Die meisten Kranken hatten, bevor sie in Licht¬
behandlung kamen, vergebens auf andere Weise Heilung gesucht.
Die Lichtbehandlung wurde bei allen in Form von Finsenbäder
vorgenommen, deren Technik zu wiederholen hier überflüssig sein
würde. Wo kutane Tuberkulose bestand, wurde diese mit konzen¬
triertem Licht mit Druckglas behandelt. Einige Kranke wurden
außerdem in der Kavität lokal mit konzentriertem Licht ohne Druck¬
glas behandelt. Letzterer Modus bildet praktisch immer eine Unter-
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Tuberkulöse Mittelohrentzündung and ihre Komplikationen. 197
Stützung der Finsenbäder and bat sich in einer Reihe von Fallen
als vorzüglich erwiesen.
Ein Kranker nahm wahrend der Behandlung 500 g ab, der
Rest hat 1—7 Kilo zagenommen. Die Dauer der Behandlung
erstreckte sich bei 2 unter 2 Monaten, bei 3 zwischen 2—6 Monaten,
bei einem über 8 Monate, bei einem 16 und bei 2 (einem 36jahr.
Mann und einem 6jähr. Kind) zirka 24 Monate.
Das Behandlungsresultat bestand bei allen in Ausheilung der
Operationswunde und nur in einem Fall, der noch in Behandlung
ist, sind die Ohren nicht trocken, doch hat eine Kranke die Be¬
handlung abgebrochen, bevor sie völlig ausgeheilt war.
Dieses Resultat ist besser als ein bisher mit anderer Behänd*
lang mitgeteiltes, besser als die mit operativer Behandlung allein
und besser als Cemacbs mit Quarzlicht erzielten Resultate.
Die Rezidivfreiheit betrug bei zwei 37a Jahre, bei drei 3 Jahre,
bei einem zwei Jahre.
Wenn hier von Heilung gesprochen wird, muß ich natürlich
wie andere den Vorbehalt machen, daß nur die klinische Heilung
in Frage kommt. Um die endgültige Heilung festzustellen, wird für
die meisten eine bedeutend längere Beobachtungszeit notwendig sein.
Doch kann ich von einem Patienten mitteilen, daß er zirka 1 Jahr
nach der Entassung eine akute Mastoiditis bekam, ohne daß es
möglich war, Tuberkulose in ihr nacbzuweisen, und daß Wund*
verlauf und Heilung normal verliefen.
Cemach gibt in seiner Arbeit eine Beschreibung des Wund¬
verlaufes bei der Behandlung mit Sonnen- und Quarzbadern, der
nach seiner Angabe ganz verschieden ist, und er bemerkt, daß unter
der Quarzbebandlung die tieferen Foci nicht beeinflußt werden, so
daß die Regeneration des Gewebes in der Tiefe mit der Granulations¬
bildung an der Oberfläche nicht Schritt halten kann, und, wie oben
erwähnt, bekam Cemach nur in 2 von 16 Fallen Heilung, die mit
Quarzbädern behandelt waren.
Cemachs Darstellung des Wundverlaufes während der Be¬
handlung mit Sonnenbädern gleicht ganz dem, was wir im Finsen-
institut bei Anwendung des Finsenbades zu sehen gewohnt sind.
Nur war der Verlauf bei uns in einigen Fällen bedeutend länger,
aber bei einigen auch kürzer als bei Cemach.
Bald nach Beginn der Finsenbäder, die jeden zweiten Tag
verabfolgt werden, tritt seitens des Geschwürs eine starke Sekretion
auf, die sich in der Regel sehr lang hält.
In Fällen mit stark proliferierenden Granulationen Bieht man
diese schwinden und an Stelle dieser mehr großblätterigen, stark
sezernierenden Granulationen treten kleine, derbe, lebhaft rote auf;
der denudierte Knochen bedeckt sieb sehr bald, wonach die Heilung
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einen Verlauf nimmt, der nicht wesensverschieden von dem bei banalen
Mastoiditiden bekannt iat, nur ist er etwas langsamer. Zorn Schluß
bleibt oft längere Zeit hindurch eine kleine Fistel, die in der Regel
unter der lokalen Lichtbehandlung schwindet und schneller als
wenn man diese nicht za Hilfe nimmt. In Fällen mit nicht stark
proliferierenden Granulationen, aber mit Kavitäten, wo sich kleine
schlaffe Granulationen und größere Inseln entblößten Knochens finden,
ist der Verlauf in der Regel etwas langsamer, aber auch hier ist
der Gang der, daß die Granulationen lebhafter rot werden und das
Geschwür sich stark zusammen zieht, um mit der erwähnten kleinen
Fistel zu enden, die langsam ausheilt.
In einer Beziehung unterscheiden sich die im Finseninstitut
behandelten Fälle von den anderwärts erwähnten, nämlich darin, daß
wir niemals eine Abstoßung von Sequestern gesehen haben. Das
rührt möglicherweise davon her, daß die Patienten, wenn sich bei
der Aufnahme Zeichen von Ostitis finden,immer einer sehr detaillierten
and durchgreifenden Revision unterworfen werden, um darnach
baldmöglichst mit den Finsenbädern zu beginnen.
Ich lege sehr großes Gewicht auf diese beiden Umstände und
möglicherweise muß man hierin den Grund suchen, daß wir niemals
Ausstoßung von Sequestern beobachtet haben.
Es dürfte ja auch einleuchtend sein, daß eine solche durch¬
greifende Revision den Verlauf abkürzen muß, da die Abgrenzung
und Ausstoßung der Sequester notwendigerweise lange Zeit in An¬
spruch nehmen muß, die hier also erspart wird.
Eine Labyrintherkrankung, postoperative Meningitis oder andere
Komplikationen, die man der Operation oder Revision zur Last
legen könnte, haben wir nicht beobachtet. Was Wundverlauf und
Ausheilung betrifft, so scheint es also, als ob die Finsenbäder den
Sonnenbädern sehr nahe und weit näher als die Quarzbäder stehen,
was anzunehmen auch aller Grund ist, da das Spektrum des Finsen-
lichts dem des Sonnenlichts am nächsten steht. Und es scheint denn
auch nach Ce mache Untersuchungen in Verbindnng mit denen des
Finseninstituts Grund zu der Annahme vorhanden zu sein, daß das
Quarzbad dem Finsenbad bei der Behandlung der Mittelohrtuber¬
kulose und ihrer Komplikationen weit unterlegen ist.
Es erhebt sich nun die Frage, ob man eine tuberkulöse Mastoid¬
itis operieren oder ob man sich auf die Lichttherapie beschränken
soll. Wie schon erwähnt, kann Ce mach sich auf Grund seiner
wenigen Fälle nicht bestimmt aussprechen, aber man liest zwischen
den Zeilen, daß er die Operation für überflüssig hält. Die Frage im
allgemeinen, ob Operation oder nicht bei tuberkulösen Ohrerkrankungen,
ist Gegenstand lebhafter Diskussion gewesen und die Meinungen
stehen sich zum Teil recht scharf einander gegenüber, was vermutlich
daher rührt, daß von verschiedenen Dingen geredet wird, indem einige
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Tuberkulöse Mittelohrentzündung und ihre Komplikationen.
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von tuberkulösen Ohrerkrankungen bei vorgeschrittenen Phthisikerb
reden, -wahrend andere von Ohrtuberkulose ohne Lungentuberkulose
als Komplikation sprechen.
Im ersten Falle ist man sich allerdings einig, nicht zu operieren,
außer palliativ wögen starker und anhaltender Schmerzen, aber in
solchen Fallen scheint die Lichttherapie ganz besonders am Platze
zu sein (Cemach).
In all den Fallen, wo die Ohrerkrankung nicht mit einer vor¬
geschrittenen Lungentuberkulose kombiniert ist und wo sie als akutes
Ohrleiden mit akuten Komplikationen beginnt, wird die Operation
jedoch immer indiziert Bein und vorgenommen werden, u. a. weil
man, wie gesagt, nicht wissen kann, daß es Bich um eine Tuber¬
kulose handelt.
Soll man sich hier nun mit einer gewöhnlichen Auf¬
meißelung begnügen oder soll man, wenn der tuberkulöse Charakter
festgestellt ist, später die Totalaufmeißelung vornehmen, was
Lermoyez will und wozu Leegaard geneigt ist?
Von den 13 Fällen des Finseninstituts war einer totalaufgemeißelt
vor der Aufnahme; aber die Tuberkulose ging energisch weiter —
sehr energisch trotzdem.
2 Falle machten wegen besonderer Verhältnisse die Total¬
aufmeißelung wahrend der Behandlung nötig; aber die übrigen 10
wurden alle ohne Totalaufmeißelung nur mit einer einfachen atypischen
Aufmeißelung in Verbindung mit Finsenbädern durchgeführt.
Dieses Resultat scheint mir darauf hinzuweisen, daß man die
Totalaufmeißelung nicht machen darf, jedenfalls solange als möglich
mit ihr warten soll, wenn man die Lichttherapie zur Verfügung hat.
Es ist ja doch für die Kranken von größter Bedeutung, die Total¬
aufmeißelung wegen der mit ihr in der Regel verbundenen, recht
starken Herabsetzung des Gehörs vermeiden zu können.
Ich will schließlich noch einmal die Notwendigkeit betonen,
daß die Patienten sobald als möglich nach der Operation in die
Finsenbadbehandluug kommen und daß die Operation selbst wie
immer dahin streben muß, so viel Krankes wie tunlich zu entfernen.
Vergeht längere Zeit nach der Operation, so muß beim geringsten
Zeichen von schon vorhandener Ostitis sofort eine durchgreifende
Revision vorgenommen werden.
Die hier mitgeteilten 13 Fälle von tuberkulöser Mittelohr¬
entzündung und ihrer Komplikationen zeigen somit, daß diese Krankheit
eine besondere gnte Prognose bekommt, wenn die operative Be¬
handlung mit Finsenbädern und eventueller lokaler Lichtbehandlung
kombiniert wird.
Sie zeigen gleichzeitig, daß man die Totalaufmeißelung nicht
machen darf, jedenfalls nicht sofort, wenn man Finsenbäder zu
seiner Verfügung hat.
Monatsschrift f. Oh snhailk. n. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 14
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Zusammengelialten mit Gemachs Statistik ergibt sich zugleich,
daß die Finsenbader den Quarzbadern bei dieser Erkrankung weit
überlegen sind. Die Falle bestätigen außerdem, was namentlich von
Leegaard nachgewiesen ist, daß diese Krankheit sich finden kann
und häufig findet bei Kranken ohne andere deutliche tuberkulöse
Manifestationen, sowie daß sie bei ihrem Beginn sich nicht im
mindesten von einer gewöhnlichen nicht tuberkulösen Otitis media
zu unterscheiden braucht
Die operative Lösung der bei der beiderseitigen
Postikuslähmung bestehenden Medianlage.
(Vorläufige Mitteilung.)
Von Dr. Aurel Rethi, Budapest.
Die durch Postikuslähmung verursachte Verengerung der Glottis
ist infolge der Medianlage der Stimmbänder so hochgradig, daß
schon ein akuter Katarrh zum gänzlichen Verschluß der zwischen
den Stimmbändern bestehenden schmalen Lücke und damit zur
Erstickung führen kann, zumindest aber wird das durch die chronische
Stenose ermüdete Herz der Gefahr der Lähmung ausgesetzt sein.
Wir müssen daher bei doppelseitiger Postikuslähmung die ent¬
sprechende Luftzufuhr sichern. Die allereinfachste Art, dies zu sichern,
ist die Tracheotomie. Viele Kranke müssen so ihr ganzes Leben
hindurch die Kanüle tragen. Um dies zu vermeiden, hat man analog
mit der in der Tierheilkunde gebräuchlichen Art, auf der einen Seite
Chordektomie, d. h. die Entfernung des Stimmbandes vorgenommen.
C i t e 11 i und Gleitsmann empfehlen dieses Vorgehen, doch
stellte sich später heraus, daß das Lob nur darum möglich war,
weil sie ihre Mitteilung gleich nach der ausgeführten Operation
veröffentlicht haben. Es bildet sich nämlich in jedem Falle, auf der
Stelle des entfernten Stimmbandes ein narbiger Wulst, welcher den
Raum des entfernten, in der Medianstellung gewesenen Stimmbandes,
derart ausfüllt, daß bedeutende Besserung kaum eintreten wird.
Darum sagt üansberg mit Recht: „Nach den bisherigen Er¬
fahrungen kann man der Laryngofissur mit nachfolgender Chordek¬
tomie bei der Postikuslähmung nicht das Wort reden. Es wird
richtiger sein, wie es bisher Gebrauch war, nur die Tracheotomie
zu machen.“ Es wurde auch statt Tracheotomie die Intubation
empfohlen, aber nach längerem Gebrauch reizt sie das Kehlkopf¬
innere und kann Entzündung verursachen; der Kranke hat keine
Stimme; anderseits wenn man den Kranken vom Ersticken retten
muß, z. B. bei akutem Katarrh, so muß man nach der Intubation
den Kranken unter ständiger Aufsicht halten, daß nicht eventuell
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Die operative Lösung bei der beiderseitigen Postikuslähmung. 201
beim Herausfallen der Tube, doch diese Gefahr eintritt. In letzterer
Zeit hat Frederik Hobday bei 2000 Pferden, die Postikus-
* lähmnng hatten, die Schleimhaut des Ventrikulus entfernt, wodurch
ein narbiges Zusammenwachsen entstand, infolgedessen sich das
Stimmband seitlich verzog. Es entstand nun die Frage, ob man
dies Verfahren auch beim Menschen ausführen könnte. Michael
V1 a s t o hat nachgewiesen, daß dies heim Menschen, da die
anatomischen Verhältnisse ganz anders seien, als beim Pferde, nicht
vdrgenommen werden kann.
A. Iwanoff empfahl bei Kehlkopfstenose die totale Exstirpation
eines Aryknorpels. In einem Falle machte er die Operation. Seinen
Erfolg schildert er folgendermaßen: „In der Nacht kam es während
eines Hustens zu Atemnot und die Kanüle mußte wieder eingeführt
werden. Beim LaryngoBkopieren des Kranken bei Abwesenheit des
Gummirohres, konnte man bemerken, daß bei starkem Ein- und
Ausatmen das rechte Stimmband gleichsam flottierte und bei der
Inspiration an das linke angerückt wurdet Es war klar, daß das
Stimmband mit dem Verlust seines Stützpunktes zugleich sein
Spannungsvermögen eingehüßt hatte.“
Ich war in letzterer Zeit gezwungen, bei zwei Kranken wegen
Postikuslähmung die Tracheotomie zu machen. Alle beide wollen
vom ständigen Tragen der Kanüle befreit werden und da die
erwähnten Methoden nicht zum Ziele führen, so habe ich Versuche
gemacht, um einen entsprechenden Operationsvorgang auszuarbeiten.
Wenn man in Betracht zieht, daß das Medianstehen der Stimm¬
bänder in solcher Weise entstand, daß in dem cricoarytänoidalen
Gelenk der Gießbeckenknorpel sich derart bewegt hat (freilich unter
dem Einflüsse außer dem Gelenk stehender Kräfte), daß der Proc.
vocalis sich einwärts gedreht und der Knorpel sich zugleich dem
anderseitigen Gießbeckenknorpel genähert hat, so kann die ganze
Erscheinung nur in der Voraussetzung zustande kommen, daß zur
Zeit der Entstehung der Medianstellung eine freie Bewegung des
Gelenkes vorhanden war. Wenn also das Gelenk in einer* entgegen¬
gesetzten Lage durch Ankylose fixiert wäre, so hätte die Median¬
stellung trotz der Einwirkung äußerer Kräfte nicht zustande kommen
können. Aus diesem Gedankengang folgt, daß wir, falls die
Medianstellung schon entstanden ist, diesen
Zustand durch Anky1o t i s ierung des Gelenkes
im entgegengesetzten Bewegun^gsextrera insofern
ändern können, daß das entsprechende Stimm¬
band statt in der Medianstellung sich in einer
vollständigen Abduktionslage fixiert befindet.
Die Technik des Verfahrens ist folgende:
Nach der Laryngofission wird noch die Schleimhaut gründlich
anästhesiert; an der betreffenden Seite betastet man leicht die untere
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Fläche des Proc. vocalis, welches Niveau eigentlich der tiefsten
Partie des Stimmbandes entspricht und führt dann dementsprechend
einen horizontalen Schnitt mjt einem feinen Messer. Der Schnitt*
beginnt unter der Mitte des Stimmbandes und endet, knapp unter*
halb des Proc. vocalis weitergeführt, zwischen den Gießbecken¬
knorpeln. Die untere Fläche des Gießbeckenknorpels zieht man
sorgfältig mit einem feinen Doppelhäckchen nach oben, nachher mit
dem Messer vorsichtig in die Tiefe dringend, schneiden wir die
mediale Partie der Gelenkkapsel durch und eröffnen so das Gelenk,
erweitern seitlich die Öffnung, so daß nur die hintere Gelenkskapsei
das Gelenk zusammenhält. Nachher kratzt man mit einer feinen
scharfen Kürette, deren Stiel, um besser hinzugelangen, am Ende
etwas abgebogen ist, den Gelenksknorpel der unteren Gelenksfläche
sehr vorsichtig ab, wobei man sich hütet, die hintere Gelenkskapsel
zu beschädigen. Um besser Vorgehen zu können, drückt man mit
einer Sonde, die mit dem feinen Doppelhäckchen weggezogene
Gelenksfläche des Aryknorpels etwas nach rückwärts. Nach der
Entfernung der unteren Gelenksfläche kratzt man ebenfalls mit
einem feinen, aber geradem scharfen Löffelchen die Gelenksfläche
des Aryknorpels ab. Nach all diesem folgt die Fixation des Gelenkes.
Dies geschieht durch Nähte. Wir haben das Optimum unserem
Ziele entsprechend so erreicht, daß wir den Aryknorpel mög¬
lichst seitwärts drücken. Wir stechen durch die Schleimhaut
und durch das Perichondrium des Proc. vocalis und fuhren die
Nadel an einer entsprechenden Stelle des Bingknorpels durch das
Perichondrium und durch die Schleimhaut; dann knoten wir. Vor
dem Knoten legen wir aber auch die andere Naht an, welche das
Perichondrium vom Körper des Aryknorpels an das Perichondrium
des entsprechenden Teiles deB Bingknorpels fixiert. Diese Naht
vereinigt ebenfalls gleichzeitig die Schleimhäute. Die eventuell noch
notwendigen Schleimhautnähte sind oberflächlich. In die hintere
Wundecke führen wir ein kleines Gazestreifchen ein.
Tamponade. Den Kehlkopf läßt man nur nach der Fixierung
des Gelenkes schließen.
Mit den zuletzt erwähnten Nähten ist das entsprechende Stimm*
band in einer maximal abduzierten Stellung fixiert.
* •
-Nachträgliche Ergänzung.
Anfangs versuchte ich also auf theoretischem Wege, jedoch durch
Leichenversuche unterstützt, mit Ankylotisierung des Gelenkes die
Frage zu lösen. Ursprünglich war die nachfolgende Ausführung nicht
in der zur Bedaktion eingesandten vorläufigen Mitteilung enthalten.
Meine Erfahrung, die ich nach der Operation meines ersten Kranken
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Die operative Lösung bei der beiderseitigen Postikuslähmung. 203
machte, nötigte mich jedoch, den oben ausgeführten Gedankengang
zn andern. Ich ließ nämlich eine sehr wichtige Tatsache außor Acht,
and zwar jene, daß die im Laufe der Zeit verkürzten Adduktoren,
hauptsächlich aber der Transversus, eine solche Zugkraft auf den
Knorpel ausüben, mit welcher sie ihn dann wieder in die ursprüngliche
falsche Stellung zu bringen versuchen. Es ist zwar wahr, daß der
Processus vocaliB sich nach der Operation nicht einwärts dreht, die
Zugkraft des Transversus mit welcher er den Knorpel in der Mittel¬
linie zu erhalten sucht bleibt aber desto mehr erhalten. Zwar können
wir dies durch Tamponade überwinden, so daß nach erfolgter Heilung
das Narbengewebe den Knorpel in einer von der Mittellinie entfernten
Stellung fixiert. Dieses Verfahren ist jedoch so umständlich, daß es
nötig war eine viel einfachere Lösung zu finden. Diese Lösung besteht
darin, daß wir sowohl den Musculus transversus respektive obliquus
der entsprechenden Seite, als auch den M. lateralis durchtrennen. Dieses
Verfahren erschwert die oben beschriebene Operationsmethode kaum
erheblich.
AIb endgültige Operationsmethode empfehle ich
also folgendes:
Der Schnitt beginnt am oberen Drittel der medialen Seite des
Gießbeckenknorpels und läuft vertikal abwärts; entsprechend dem
unteren Rande des Gießbeckenknorpels machen wir eine scharfe
Biegung, so daß der Schnitt nun horizontal läuft unter dem Proc.
vocalis bis zur Mitte des Stimmbandes. Mit einem feinen doppelten
Hacken ziehen wir den Knorpel mit seiner unteren Seite nach aufwärts
und durchschneiden darunter die Gelenkskapsel, wodurch wir daB
Gelenk eröffnet haben.
In der Tiefe des an der medialen Seite des Knorpels laufenden
Schnittes tritt uns der M. transversus entgegen, welchen wir leicht
durchschneiden können, obzwar genügend Vorsicht geboten ist, damit
wir die unmittelbar hinter dem Muskel gelegene hypopharyngeale
Schleimhaut nicht verletzen. Wenn wir die Muskelfasern mit einer
Pinzette ergreifen und nun mit einer Schere vorsichtig durchtrennen,
so ist die Verletzung der Schleimhaut ausgeschlossen. Jetzt müssen
wir noch den M. lat. durchtrennen. Die Ausführung dessen ist noch
einfacher. Wenn wir den Aryknorpel mit Hilfe des doppelten Hakens
gut aufwärts ziehen, so liegt die Gelenkfläche des Gießbeckenknorpels
vor uns. An dem hinteren Rande der Gelenkfläche inseriert der M.
transversus, an dem vorderen Rande der M. lateralis, am unteren
Rande der M. posticus. Durch einen vorsichtigen Schnitt mit einem
Skalpell befreien wir den vorderen Teil der Gelenkfläche, damit ist
auch der M. lateralis durchtrennt. Mit einer kleinen gebogenen Sonde,
zu diesem Zweck entspricht am besten die in der Ohrenheilkunde
gebräuchliche Sonde, können wir nachprüfeo, ob nicht einige Fasern
undurchtrennt gebliehen sind. Den am unteren Rande der Gelenk-
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Vereinsberichte (Ost. otol. Ges., Jänner 1922).
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fläche inserierenden M. posticus darf man nicht anrtlhren, er muß
unversehrt bleiben, denn jener Muskel zieht ja in die erwünschte
Richtung den Knorpel. Was die Gelenkfläche anbelangt, so genügt
es, die Gelenkfläche des Aryknorpels oberflächlich abzukratzen, die
nntere, am Ringknorpel sitzende Gelenkfläche kann unberührt bleiben.
Was nun die Versorgung der Wunde betrifft, so ist es meines
Erachtens nach nicht notwendig, fixierende Nähte anzulegen, da man
den Aryknorpel schon mittels ganz leichter ‘Tamponade in der er¬
wünschten Lage zu erhalten fähig ist. Es könnte höchstens davon
die Rede sein, auf dem aufsteigenden Teile der »Schleimhautwunde
die Schleimhaut durch ein bis zwei Nähte zu vereinigen. Hier ist es
aber einerseits sehr wichtig, daß wir in die Naht keinen Muskelfaser
hineinbekommen, andrerseits müssen wir die Naht recht nahe dem
Wundrande ausführen, damit wir von der uns zu Gebote stehenden
Schleimhaut je weniger verlieren. Meinerseits finde ich auch diese
Nähte nicht für absolut notwendig. Jedenfalls ist es sehr wichtig, daß
wir in die horizontale Wunde einen Jodoformgazestreifen einführen,
und dies dürfen wir im Laufe der Behandlung so lange nicht weglassen,
bis die Wunde sich nicht vollständig schließt. Tamponade.—
Bei einem Patienten wurde die Operation schon gemacht. Über
meine Erfolge werde ich demnächst referieren und die Kranken¬
geschichten mitteilen.
Vereinsberichte.
Österreichische otologische Gesellschaft.
Sitzung Tom SO. Jänner ISS*.
Vorsitz: V. Hammerschag.
Sehrif t führ er: E. Urbantschitsch.
I. E. Urbantschitsch: Tuberkulöse Mastoiditis und Sinus-
thrombose nach Grippe. Auftreten einer Abduzensparese 10 Tage nach der
Operation.
T. Sch., 6 Jahre, war bisher stets ohrgesund. Am 18. Oktober 1921
erkrankte er an Grippe lind im Anschluß daran an eitriger Mittelohrentzündung
linkerseits. 4 Wochen später trat eine retroaurikuläre Schwellung auf, weshalb
Pat. nunmehr vom Hausarzt zur weiteren Behandlung nach Wien geschickt
wurde. Keine Schmerzen, kein Fieber, kein Erbrechen. Die Untersuchung
ergab links eine ausgesprochene Mastoiditis, v = 50 cm.
Operation am 17. November 1921: Ausgedehnte Knochenfistel
des Warzenfortsatzes, von dem der größte Teil seiner lateralen Wand fehlte.
Die Höhle war ganz mit Granulationsmassen erfüllt, die bis zum Sinus reichten.
Dieser war hochgradig verändert; die Inzision ergab eine obturierende Throm-
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Vereinsberiohte (Ost. otol. Ges., Jänner 1922).
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böse vom oberen Knie bis in den Bulbus. Ausräumung der Thromben. Jugulaiis-
unterbindung.
Die histologische Untersuchung (Dr. Kutschera) ergab
ein tuberkulöses Granulationsgewebe, darin zahlreiche Anhäufungen poly¬
morphkerniger Leukozyten. Im Schnittpräparat (G r a m färbung) keine
Mikroorganismen nachweisbar. Die Thromben blieben auf Bouillon, Serum¬
bouillon, Agar und Serumagar bei 48stündiger Bebrütung steril.
Der Wundverlauf war anhaltend ausgezeichnet, so daß Pat. derzeit
otologisch ganz geheilt ist. Jedoch traten 10 Tage nach der Operation, als Pat.
schon aus dem Sanatorium entlassen war, Augenstörungen, Kopfschmerzen
und Erbrechen (jeden 2. Tag) auf. Kein Fieber.
Augenbefund (Doz. Dr. L a u b e r) am 2. Dezember 1921: Links¬
seitige Abduzensparese. Beiderseitige hochgradige Stauungspapille mit
S = 10 / 18 r. und 10 / ls 1.
Die Augenstörungen gingen allmählich zurück, auch das Erbrechen
sistierte seit 3 Wochen, so daß sich Pat. jetzt ganz wohl fühlt und keinerlei
Beschwerden hat. Der Augenbefund am 3. II. 1922 ergab: Stauungs¬
papillen zurückgegangen (Prominenz 1 D). Papillen grau. Sehschärfe 10 / 12 .
Anisokorie (r>l). Weit erbestehen der Abduzensparese.
Epikrise: Bei dem Kinde entwickelte sich im Anschluß an Grippe
eine Mastoiditis, die sich als tuberkulöse entpuppte. Das Auftreten von offen¬
kundiger Tuberkulose nach Infektionskrankheiten sehen wir öfters, besonders
nach Masern; es handelt sich in solchen Fällen zweifellos um ein Manifest¬
werden einer latenten Tuberkulose. Nach Grippe habe ich dies bisher noch
nicht beobachtet. Nun zeigte der Pat. bei der Operation auch eine aus¬
gedehnte Sinusthrombose, die keinerlei Erscheinungen gemacht hatte. Die
Symptomlosigkeit hängt zum Teil gewiß damit zusammen, daß der Thrombus
noch steril war; vielleicht spielt auch der Umstand eine Rolle, daß die Er¬
krankung nicht durch die gewöhnlichen Eitererreger, sondern durch Tuberkel¬
bazillen ausgelöst wurde. Möglicherweise war aber die Thrombose noch zu
jung, um Allgemeinerscheinungen zu zeitigen. Hierfür spricht besonders das
Auftreten von Kopfschmerzen, Erbrechen und Augenstörungen (Abduzens¬
parese und Stauungspapillen) 10 Tage nach der Operation. Ich glaube, daß
diese Erscheinungen nur auf Gefäßstörungen bzw. kleine Blutaustritte im
Gehirn durch die plötzliche Sinusausschaltung zurückzuführen sind, wobei
hier nicht die Jugularisunterbindung, sondern die Thrombosierung zu ver¬
stehen ist. Speziell Abduzensparesen sind nach plötzlicher Jugularis-
ausschaltung, besonders bei früher noch durchgängigem Sinus, öfters zu
beobachten. Der Fall scheint nun aber dafür zu sprechen, daß Kopfschmerzen
und Erbrechen bei Sinusthrombose nicht so sehr durch die Infektion, als
durch die mechanischen Momente, die durch die Stauung bedingt sind, aus¬
gelöst werden. Von besonderem Interesse ist auch die Tatsache, daß die
Diagnose Tuberkulose erst vom Ohr aus gestellt wurde und sonstige Hinweise
auf die Erkrankung fehlten. Insofern, als durch diese Feststellung rechtzeitig
Vorkehrungen getroffen werden können, war die Ohrerkrankung für den Pat.
vielleicht ein Glück.
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206
Veremsberiohte (Ost. otol. Gee., Jänner 1922).
II. E. Urbantschitsch: Eigentümliches Flsteteymptom bei
cbronischem Adhäsivprozeß des Mittelohres. ^
Dr. H. B. batte seit seinem 6. Lebensjahre wiederholt eitrige Mittelohr¬
entzündungen, besonders linkerseits, und hätte auch links einmal wegen
Mastoiditis operiert werden sollen, doch ging die Entzündung damals noch
auf konservative Behandlung zurück.
Der Ohrenbefund ergibt einen beiderseits chronischen Adhäsivpro¬
zeß des Mittelohres mit Narbenbildung, beiderseits negative Rinne, W eber
im Kopf, Schwabach leicht verkürzt. Kein spontaner Nystagmus. Nun
zeigt Pat. bei Prüfung des Fistelsymptoms links eine eigentümliche Form
desselben: es tritt bei Kompression ein mehrere Sekunden anhaltender leb¬
hafter Nystagmus gegen die andere Seite auf, bei Pneumomassage bis zu 45";
bei Aspiration ein wesentlich schwächerer homolateraler. — Wassermann
negativ.
Epikrise: Es dürfte sich in diesem Fall wohl um eine abnorme Be¬
weglichkeit der Stapesplatte handeln, die durch die häufigen Mittelohrent¬
zündungen ausgelöst wurde.
III. 6. B o n d y: Extraduralabszeß mit zentralem und labyrinthärem
Nystagmus.
Die 42jähr. Pat. steht seit 15. Juni v. J. in meiner Beobachtung. Vor
3 Jahren Grippe ohne besondere Lokalisation. Im Mai v. J. traten angeblich
nach einer Erkältung Schmerzen und Schwerhörigkeit im linken Ohre auf,
nach etwa 3 Wochen begann das Ohr zu fließen. Tags vorher hatte sie starken
Schwindel gehabt und mehrmals erbrochen. Ee fand sich damals eine steck¬
nadelkopfgroße, mit pulsierendem Eiter erfüllte Perforation unterhalb des
Umbo, der Warzenfortsatz ohne Veränderung.
Die Hörweite am 1. Ohre stark herabgesetzt (Fl. spr. ad conch.), die
Stimmgabeluntersuchung ergibt ein reines Schalleitungshindernis. wird
nicht gehört. Auffallend iöt der spontane Nystagmus. Bei Blick geradeaus
kein Nystagmus, hinter der undurchsichtigen Brille zeigt sich ein sehr langsamer
horizontaler Nystagmus nach rechts. Bei Blick nach rechts grobschlägiger
Nystagmus nach rechts unten, bei Blick nach links sehr kleinschlägiger Ny¬
stagmus vertikal nach unten, ebenso bei Blick nach unten. Kein Fistelsymptom.
Zeigeversuch prompt, R o m b e r g negativ. Die Kaltwasserspülung des linken
Ohres bewirkt eine starke Zunahme des spontanen Nystagmus nach rechts,
wobei er nun eine rein horizontale Richtung zeigt, keine Zeige-, keine Fall¬
reaktion. \
Nach 6 Tagen w r urde die Pat., da sich ihr Zustand besserte, und die
Sekretion abnahm, wdeder in ambulatorische Behandlung entlassen. Als das
Ohr nach einigen Wochen mit einer trockenen Perforation ausheilte, verschwand
der horizontale Nystagmus nach rechts, der Vertikalnystagmus blieb bestehen.
Das Gehör zeigte trotz Behandlung keine Besserung.
Am 3. XII. trat neuerlich eine Eiterung am 1. Ohre auf. 9 Tage später
klagte sie über Schwindel und es zeigte sich abermals derselbe grobschlägige
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Jänner 1922).
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Nystagmus schräg nach rechts unten, wie bei der ersten Erkrankung. Da der
Eiter lebhaft pulsierte, und sich intensive, gegen den Scheitel ausstrahlende
Schmerzen einstellten, wurde sie neuerlich ins Spital aufgenommen.
21. XII. Warzenfortsatz druckempfindlich, nicht geschwollen. Deutliche
Senkung der h. o. Gehörgangswand. Zentrale, durch einen Polypen voll¬
ständig ausgefüllte Perforation. Horizontalnystagmus 3. Grades nach rechts,
nur bei Blick nach links unten Vertikalnystagmus nach unten, bei Blick nach
unten Nystagmus schräg nach rechts unten.
27. XII. Nystagmus nach rechts nur noch 1. Grades, der Vertikal¬
nystagmus wieder deutlich hervortretend.
28. XII. Sekretion stark vermindert. Der Nystagmus horizontal wieder
3. Grades, wie am 21. XII. Kalorische Erregbarkeit erhalten.
29. XII. Sekretion wieder reichlich. Der Horizontalnystagmus nur bei
Blick nach rechts.
30. XII. Radikaloperation. Unter der mäßig dicken Kortikalis der
Knochen mißfarbig, bis an den Labyrinthkern erweicht. Großer Extradural¬
abszeß der mittleren Schädelgrube, auf die hintere übergreifend. Die Dura
bis nahe an die Jochbeinwurzel verfärbt, mit dicken Auflagerungen besetzt,
ebenso der hintere Teil des Sinus sigm. Es gelingt, überall gesunde Dura zu
erreichen. Im Eiter Streptokokken in Reinkultur.
31. XII. Wohlbefinden, nur leichter Kopfschmerz. Nystagmus horizontal
bedeutend kleinschlägiger, erst bei etwa 45° seitlicher Blickrichtung hervor¬
tretend. Vertikalnystagmus nur bei Blick nacl* unten.
16. I. Entlassung. Der Horizontalnystagmus besteht noch in gleicher
Stärke, bei Blick nach links und nach unten Vertikalnystagmus.
Epikrise: Die schon bei der ersten Erkrankung beobachtete Kombination
von Horizontalnystagmus nach rechts und Vertikalnystagmus nach unten
erschien auffallend. Daß der Vertikalnystagmus als zentraler aufgefaßt werden
mußte, war klar. Auch bei der Deutung des horizontalen mußte daran gedacht
werden, da die rotatorische Komponente fehlte. Dagegen sprach aber, daß
auch der kalorische Nystagmus rein horizontal war und sie mußte aufgegeben
werden, als mit Versiegen der Eiterung der Horizontalnystagmus vollständig
verschwand. Daß er als labyrinthär aufzufassen ist, dürfte daraus hervor¬
gehen, daß er sehr bald nach Beginn der frischen Eiterung wieder auftrat,
sowie aus dem eigenartigen Abhängigkeitsverhältnisse zur Eiterung, indem
er bei ungestörtem Eiterabfluß gering, bei Retention sofort stärker war, was
mich hauptsächlich zum chirurgischen Eingreifen bestimmte. Eine Erklärung
für die Ursache des Vertikalnystagmus sowohl, als das Fehlen der rotatorischen
Komponente beim Horizontalnystagmus kann ich nicht geben.
IV. S. G a t s c h e r: Psoriasis beider Gehörgange.
Der Patient leidet seit der Kindheit an einer über den ganzen Körper
ausgebreiteten Psoriasis, die im Laufe der letzten Jahre wesentlich zurück¬
gegangen und derzeit hauptsächlich nur an den Streckseiten der Gliedmaßen
noch deutlich ausgeprägt ist. Die Anwesenheit der Dermatose am übrigen
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Vereinaberichte (Ost. otol. Ges., Jänner 1922).
Körper berechtigt erst auch die Hautveränderungen in den Gehörgängen
als Psoriasis anzusprechen. Im linken Gehörgang zeigt sich die wohlcharakteri¬
sierte Form, während der rechte nicht in so deutlicher Weise verändert ist.
V. S. Gat sch er: Sinnsthrombose, Exitus in Narkose, subdurak
Hemisphärenblutiing.
Im Mai 1921 wurde an die Klinik ein 12jähr. Kind eingebracht, das
das Bild einer otogenen Komplikation darbot (hohes Fieber, Kopfschmerz,
Andeutung eines schläfrigen Zustandes). Die Anamnese lieferte Anhaltspunkte
für die Exazerbation einer chronischen* Otitis media links, die durch fötide
Sekretion und starke Senkung der Gehörgangs wand objektiv in Erscheinung
trat. Die Indikation zur Operation war durch den geschilderten Zustand
gegeben. Wenn auch das Bild in erster Linie für Sinusthrombose zu sprechen
schien, so wollten wir doch durch eine vorangegangene Lumbalpunktion uns
den Weg für den Eingriff möglichst klar machen. Kurze Zeit nach eingeleiteter
Narkose wurde die Punktion vorgenommen und zirka 10 cm 8 reinen Liquors,
der unter hohem Druck stand, entleert. Fast unmittelbar nachher trat in der
bisher vollkommen ungestörten Narkose plötzlich Atemstillstand ein und
das Kind ging trotz aller aufgewandten Mühe unter den Erscheinungen der
Medullarparalyse zugrunde. Man konnte daran denken, daß vielleicht doch
ein Hirnabszeß bestanden hat. Bei der Obduktion aber fand man eine aus¬
gedehnte subdurale Blutung über der linken Hemisphäre, Sinusthrombose,
aber keine nachweisbaren entzündliche Veränderungen im Gehirn oder seiner
Häute. Die Blutung, in deren Folge offenbar der Tod eingetreten war, war
in ihrem Alter nach der Ansicht des Obduzenten nicht ganz genau zu be¬
stimmen. Es ist möglich, daß unter dem Einfluß der Lumbalpunktion und
der Narkose infolge einer Druckschwankung plötzlich die Blutung zustande
gekommen ist. Es ist aber auch möglich, daß sie in den letzten Stunden des
Lebens schon bestanden hat. Dafür könnte ein am Morgen vor der Operation
beobachtetes ödem der Stirn- und Scheitelgegend sprechen, das uns den
Gedanken an eine beginnende Kavernosusthrombose nahegelegt hatte.
Die Entstehung der Blutung ist doch wohl auf eine infolge des septischen
Prozesses eingetretene Gefäßveränderung zurückzuführen. Es ist bemerkens¬
wert, daß eine derartige Hirnblutung bei einem so jugendlichen Individuum
zustande kam.
VI. S. Gatscher: Saugreflex bei otogener Meningitis. (Vorläufige
Mitteilung.) *
Bei einigen in der Literatur nicht angegebenen Krankheitsprozessen,
unter anderen aber bei der otogenen Meningitis, konnte ich im Zustand
schwerster Bewußtlosigkeit das Auftreten des Saugreflexes beobachten. Die
Einführung irgendeines Gegenstandes — ich habe einen Ballon verwendet —
genügt, um die Erscheinung deutlich hervorzurufen. Nach Abschluß der
geplanten näheren Untersuchungen werde ich ausführlich weiter über das
Phänomen berichten. Ich denke besonders daran, zu prüfen, ob eine in diesem
Zustand vorgenommene Lumbalpunktion imstande ist, die Auslösung des
Reflexes zu beeinflussen.
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Vereinsberiohte (Ost. otol. Ges., Jänner 1922).
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VII. V. Hammerschlag: Doppelseitiges Cholesteatom des äußeren
Gebörganges.
Das Cholesteatom hat bei der Patientin zu einer symmetrischen beider¬
seitigen Usur der unteren knöchernen Gehörgangs wand geführt. Das Mittelohr
ist vollständig intakt.
VIII. B. Gomperz: Erfolgreiche Behandlung einer Hyperostose mit
Jothion.
An diesem SOjähr. Herrn H. habe ich einen .Erfolg bei der Behandlung
einer Hyperostose des äußeren Gehörganges zu verzeichnen, wie er mir an
früheren Fällen noch nie geglückt war. Der Pat. kam Mitte Mai 1921 wegen
Ohrensausen und Schwerhörigkeit an beiden Seiten zu mir und es zeigte sich
als Ursache eine ganz unbedeutende Zerumenmenge, welche rechts neben
einer hanfkorngroßen Exostose, links neben einer Hyperostose die verengten
Schallwege verschloß. Über den Beginn des Leidens wußte Pat. keine Anhalts¬
punkte zu geben, Lues negierte er. Rechts meißelte ich die Exostose w r eg und
Sie sehen noch heute nahe dem jetzt vollständig zu überblickenden Trommelfell,
hierorts eine mohnkorngroße weiße Narbe.
Während der Nachbehandlung pinselte ich einige Male den hyperostoti-
schen Gehörgang links mit Jothion ein. Das Lumen des Gehörganges war
durch fast vollständige Berührung der vorderen und hinteren Wand bis auf
eine in der Mitte des Spaltes gelegene, kaum 1 mm breite und hohe Öffnung
verschlossen, durch welche man gerade noch ein graues Fleckchen vom
Trommelfell erblicken konnte.
Meine Erwartungen für das linke Ohr waren dabei sehr gering. Ich
hatte schon in früheren Fällen Hyperostosen des Gehörganges mit Jodtinktur
und Jothion ohne jeden Erfolg behandelt und pinselte links nur ein, weil der
Pat. wegen der Wundbehandlung des rechten Ohres ohnehin zu mir kommen
mußte.
Nun habe ich hier nicht, wie dies empfohlen w r ird, die 10%ige ölige
oder die 25%ige spirituöse Lösung verwendet, sondern das reine, unverdünnte
Jothion.
14 Tage nach dem Beginn der Behandlung war eine deutliche Ver¬
breiterung des Spaltes sichtbar und das Hörvermögen auffallend gebessert.
Aber zugleich hatte sich durch das Jothion eine Otitis externa entwickelt,
die zur Exfoliation der Epidermis und ziemlich heftiger Sekretion führte
und einige Tage recht lästige Schmerzen verursachte.
Nach dem Ablaufen der Entzündung erweiterte sich der Gehörgang
zusehends; Sie können heute durch den etwa 3 mm breiten Spalt das ganze
Trommelfell überblicken und der Herr hört die Uhr (normal 1 m) r. 65 cm,
1. 71 cm, Flüstersprache beiderseits -f* 20 m. Ich habe dann auch rechts einige
Male mit Jothion gepinselt und habe auch hier eine sehr auffallende Er¬
weiterung des Gehörganges konstatieren können. Ich möchte bitten, in ein¬
schlägigen Fällen das Jothion weiter zu versuchen.
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Vereinsberiohte (Ost. otpl. Gee., Jänner 1922).
IX. 0. Mayer: Angiom des Gehörganges.
Die 22jähr. Lehrerin hat seit Kindheit öfters Schmerzen im linken Ohre
und hört daselbst schlechter. Ohrenfluß hat nie bestanden. Seit August 1921
angeblich nach einer Angina Schmerzen und bedeutende Verschlechterung des
Gehöres, kein Ohrenfluß. Sie kam Ende Dezember 1921 zur Untersuchung.
Es fand sich ein dunkelblauer Tumor, welcher von der hinteren Hälfte
des Trommelfelles und dem angrenzenden Gehörgange ausging. Die Geschwulst
verengte den Gehörgang bis auf einen schmalen Spalt; sie war ungefähr
kirschkerngroß, leicht höckerig, weich und mit glatter Epidermis überzogen.
Das Gehör war schlecht. Konversationssprache wurde auf 70 cm gehört,
Rinne war negativ, die untere Tongrenze eingeschränkt, gleichzeitig bestand
ein schlechtes Gehör für c 4 .
Nach diesem Befunde war die Diagnose Angioma cavernosum wahr¬
scheinlich. Es wurde ein Dominici-Röhrchen, enthaltend 37 mg Radium¬
bromid auf 2 Stunden eingelegt, und zwar so, daß das Röhrchen durch eine
Kautschukhülle bedeckt war, während die Spitze, welche den Tumor berührte,
frei lag. Vor einigen Tagen erschien die Pat. wieder und es zeigte sich, daß die
Geschwulst nur mehr halb so groß war. Die Pat. hört jetzt Konversationssprache
auf 4 m. Es wurde mm neuerlich dieselbe Radiumdosis verabreicht.
Interessant ist die Anamnese insoferne, als die Pat. angibt, schon seit
früher Jugend auf diesem Ohre.schlecht zu hören. Es dürfte sich deshalb
die Geschwulst schon in früher Kindheit entwickelt haben, was deswegen wahr¬
scheinlich ist, w T eil die Angiome aus einer kongenitalen Anlage entstehen.
X. Mayer: Angiom des rechten Taschenbandes (Demonstration der
Patientin).
Es findet sich im vorderen Drittel des rechten Taschenbandes eine
erbsengroße, blaurote Geschwulst. Da die Patientin von der operativen Ent¬
fernung der Geschwulst nichts wissen wollte, wurde ihr ein flacher Radium¬
träger außen auf den Kehlkopf aufgelegt, und zwar mit einer Messingunterlage
von 3 mm Dicke und das Radium 24 Stunden in der Lage belassen. Die
Geschwulst wurde daraufhin etwas kleiner und derber, verschwend jedoch
nicht völlig. Die Patientin hat sich aber nun entschlossen, den kleinen Tumor
entfernen zu lassen, welche Operation sich mit einer Doppelkürette leicht
ausführen lassen wird.
Diskussion.
H. Marschik: Ich möchte raten, das Taschenbanda ngiom mit Kreuz¬
feuer zu bestrahlen. Ähnlich habe ich es bei einem Ca getan. Dabei w r ürde
ich die Applikation nach Fritz N e u m a n n empfehlen. Pat. kann neben
dem Radium ganz gut atmen. Es ist gut, wenn man zwei- bis dreimal bestrahlt.
Bei Kokain ist das nicht gut möglich, es ist daher Leitungsanästhesie nötig.
Eis macht dann der Fremdkörper keinerlei Reizerscheinungen und der Pat.
erträgt ihn 3 bis 4 Stunden, ohne sich zu rühren, was bei der gewöhnlichen
Kokainanästhesie ausgeschlossen ist.
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Vereinsberiohte (Ost. otol. Ges., Jänner 1922).
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H. Neumann: Ich erlaube mir, an Herrn Kollegen Mayer die
Anfrage, ob er eine histologische Untersuchung vorgenommen hat. Ich habe
selbst hier einen Fall mit einem sehr ähnlichen Bilde demonstriert, der klinisch
wie ein Angiom aussah und dessen histologische Untersuchung einen sehr
gefäßreichen Polypen ergab.
E. Urbantschitsch: Ich habe vor Jahren bei einer alten Frau
die Extraktion eines scheinbar gewöhnlichen Polypen, der den rechten Gehör¬
gang ausfüllte, vorgenommen und hierbei eine außerordentlich starke Blutung
erlebt, die erst nach Drucktamponade und länger dauernder Digitalkompression
stand. Die histologische Untersuchung (Prof. Albrecht) ergab ein Angiom
mit sarkomatöser Entartung. Der Verlauf war trotz der ungünstigen Prognose
ein sehr günstiger. Es traten zwar im Laufe der nächsten 10 Jahre wieder¬
holt stärkere spontane Blutungen auf, die aber durch Behandlung (Zitronen¬
saft, Alkohol, Perhydrol, Styptizin, Calcium lacticum) stets zu beherrschen
w r aren. Die damals 68jähr. Pat. ist jetzt über 80 Jahre alt. Das Labyrinth
funktioniert nicht mehr. Pat. ist rechts komplett taub, seit Frühjahr 1921
besteht auch eine Fazialisparalyse der rechten Seite. Im letzten Jahr ist keine
Blutung mehr aufgetreten, nur wird Pat. durch sehr starkes pulsatorisches
Ohrensausen gequält. Das Angiosarkom ragt etwas aus dem Gehörgang
heraus. Ich rühre es selbstverständlich operativ nicht mehr an; eine Radium¬
bestrahlung (vor Jahren) hatte eine vorübergehende Besserung gebracht.
B. Gompetz: Haben Sie, Herr Prof. Mayer, eine Inzision in den
Tumor gemacht ?
Mayer: Nein.
Gomperz: Dann würde ich eine solche doch empfehlen, da sie ja bei
bereitgehaltenem Tamponmateriale nicht Gefahr bringen kann. Es muß
nämlich daran gedacht werden, daß ja hier auch eines jener zystenförmigen
Gebilde vorliegen könnte, wie sie in den letzten Jahren vielfach als blaues
Trommelfell beschrieben wurden und von denen ich selbst im Vorjahre einen
sehr instruktiven Fall hier demonstriert habe.
V. Hammerschlag: Ich möchte kurz über einen Fall aus dem
Jahre 1899 berichten, der nie publiziert wurde. Eine Bäuerin kam mit einem
aus dem Gehörgang herausragenden Polypen zu mir. Sie hatte eine totale
Akustikus-, Fazialis- und Hypoglossuslähmung. Ich riß mit der Schlinge ein
Stück des Polypen ab, worauf eine kolossale Blutung eintrat, die ich schließlich
nur so beherrschen konnte, daß ich einen einstündigen Druck mit dem Daumen
auf den Gehdrgang ausübte. Die Pat. wmrde sofort auf die Klinik Politzer
aufgenommen und Politzer wollte die Radikaloperation machen. Das
abgerissene Stück war unterdessen zur histologischen Untersuchung geschickt
worden. Politzer begann zu operieren und meißelte einen Knochenspan
ab, worauf eine durch Tamponade nicht stillbare kolossale Blutung eintrat.
Erst nach Paquelinisierung und Naht stand die Blutung. Heilung p. p. Die Pat.
habeich nicht mehr gesehen. Die pathologisch-anatomische Untersuchung ergab
Angiosarkom.
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Vereinsberiohte (öst. otol. Ges., Jänner 1922).
Ich sah später einen zweiten solchen Fall, der dieselben Hirnnerven¬
lähmungen aufwies. Beim Konsilium warnte Politzer vor einem Eingriff
und meinte, daß das Angiosarkom längs der Schädelbasis nach innen durch¬
gebrochen sei und das ganze Schläfebein eingenommen habe.
Mayer (Schlußwort): Daß es sich um einen Ohrpolypen handle, ist
deshalb nicht anzunehmen, w r eil nie eine Mittelohreiterung vorhanden war und es
auch nicht gelungen ist, bei der Aspiration mit dem Sigle sehen Trichter
auch nur die geringsten Spuren von Sekret zu aspirieren. Eine Inzision in den
Tumor habe ich deswegen nicht vorgenommen, weil ich eine größere Blutung
fürchtete. Sollte der Tumor sich auf Radium nicht vollkommen zurückbilden,
werde ich ihn operativ entfernen. Die histologische Untersuchung wird dann
vorgenommen werden.
Die Bestrahlung des Kehlkopfinnem mit Radium hat den Nachteil sehr
unangenehm zu sein, und dürfte sich der Pat. in einem Fall, wie dem vor¬
liegenden, sicher eher für die operative Entfernung der Geschwulst entscheiden.
XI. Dr. Schlander: Mukosusotitis mit Labyrinthitis.
Der 27 Jahre alte Pat. machte Mitte Oktober eine hochfieberhafte
Lungen-Rippenfellentzündung durch, der eine Angina folgte. Anfangs De¬
zember erkrankte Pat. an linksseitiger Mittelohrentzündung. Der sofort ein¬
setzende Ausfluß hielt durch zirka 14 Tage an und sistierte dann vollständig.
In den ersten Jännertagen verspürte Pat., der bis dahin bettlägerig war,
beim ersten Aufstehen heftigen Schwindel, der besonders heftig beim Auf¬
stehen und raschen Kopfbewegungen auftrat und als ausgesprochener Dreh¬
schwindel bezeichnet wird. Wegen heftiger Schmerzen im Ohr und Hinterkopf
wird Pat. am 22. I. auf genommen.
Befund: R. normal. L. Trommelfell gerötet, vorgewölbt, Details nicht
sichtbar, Warzenfortsatz frei. Temperatur normal. Hörvermögen rechts:
Zimmerweite, links komplett taub. Vestibularis rechts normal erregbar, links
Ausschaltung für alle Reize. Kein Spontannystagmus, Schwindel beim Auf-
stehen. Parazentese ergibt keine Sekretion. Bei vorgestelltem Pat. besteht
zwischen seinen anamnestischen Angaben und dem Aufnahmsbefund ein
gewisser Widerspruch. Wenn wir annehmen, daß zur Zeit, als Pat. den
Schwinde] verspürte, die Ausschaltung erfolgte, so sollten wir bei der 3 Wochen
später erfolgten Aufnahme noch einen Spontannystagmus erwarten. Es wäre
jedoch auch denkbar, daß die Ausschaltung früher erfolgte, während der Bett-
lägerigkeit symptomlos einsetzte und erst beim ersten Aufstehen dem Pat.
bewußt wurde.
Im vorliegenden Falle nehmen wir die Labyrinthitis wohl von der
Mukosusotitis entstanden an, doch können wir die Möglichkeit einer anderen
Entstehungsursache — toxisch — nicht von der Hand weisen.
XII. 0. Beck: Scheinbare Heilung eines Kleinhirnabszesses (Demon¬
stration des Präparates).
Das Präparat, das ich mir vorzustellen erlaube, stammt von jenem
Falle, den ich in der Oktobersitzung vorgestellt habe. Es handelt sich um
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Jänner 1922).
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einen Pat., bei dem wegen eines akuten Nachschubes einer chronischen Mittel-
ohreiterung die Radikal- und Labyrinthoperation nach Neumann und
die Eröffnung des Kleinhirnabszesses ausgeführt wurde. Der Kranke war taub,
sein Labyrinth ausgeschaltet und zeigte mit Ausnahme des Fehlens des Zeige¬
versuches in klassischer Weise alle Symptome eines Kleinhirnabszesses. Nach
der Operation wurde der Abszeß, solange sich noch Eiter entleerte, mit in
Pregellösung getränkten Jodoformdochten dräniert. Ende Oktober (die
Operation war am 13. Oktober) entleerte sich nur minimal Eiter aus dem
Abszeß. Vom 1. November an wurde von einer Drainage ganz abgesehen, da
der Abszeß durch 2 Tage beim Lüften keinen Eiter mehr zeigte. Es wurden
daher in der Folgezeit nur die Abszeßränder gelüftet und Pregellösung in die
Abszeßhöhle eingeschüttet. Da bis zum 7. November, also durch eine Woche,
bei dieser Art von Nachbehandlung sich bei der Lüftung der Abszeßhöhle
niemals Eiter zeigte, wurde bei dem Wohlbefinden des Pat. und bei dem
Mangel an neurologischen Symptomen von einer weiteren Lüftung bzw. von
dem Eingehen mit der Kornzange Abstand genommen. Die Operationshöhle
zeigte gute Heilungstendenz und füllte sich mit guten Granulationen, ln den
folgenden 3 Wochen zeigte der Kranke ein auffallendes Wohlbefinden, klagte
nicht über Kopfschmerzen, der spontane Nystagmus war geschwunden. Auf¬
fallend war, daß trotz guten Appetits und reichlicher Nahrungsaufnahme
der Kranke bedeutend abmagerte. Zwei Tage vor seinem Tode klagte er über
starke Kopfschmerzen, ohne daß neurologisch irgendwelche Symptome nach¬
zuweisen gewesen wären. Am 25. November trat plötzlich innerhalb weniger
Minuten der Exitus ein.
Obduktion 26. XI. 1921 (Assistent Dr. Norer): Übernußgroßer Abszeß
des hinteren und lateralen Anteiles der rechten Kleinhirnhämisphäre mit
Enzephalomalazie der übrigen Kleinhirnmarksubstanz und des Nucleus
dentatus. Chronisch adhäsive Meningitis im Bereich des Abszesses. Der Abszeß
ist gegen die Umgebung durch eine deutliche pyogene Membran abgegrenzt.
Hochgradige Abplattung der Gyri bei akutem Hydrocephalus internus. Lepto-
meningen zart, chronischer Pachymeningitis externa adhäsiva. Status nach
rechtsseitiger Radikal- und Labyrinthoperation nach Neu mann und
Eröffnung der hinteren Schädelgrube.
Bei der Obduktion zeigte sich nun, was für uns das Wichtigste ist, daß
sich in der Abszeßhöhle wieder Eiter befand. Man muß daher die Frage
ventilieren, ob es nicht angezeigt gewesen wäre, 2 Tage vor dem Tode, als der
Kranke wieder über starke Kopfschmerzen klagte, die bereits verheilte
Operationshöhle neuerlich zu eröffnen und in den Kleinhimabszcß einzugehen.
Mir haben diese Möglichkeit ventiliert, doch wären die Kopfschmerzen auch
durch eine Kleinhirnmalazie zu erklären gewesen und wir überlegten, ob man
durch einen neuerlichen Eingriff, der nur wegen der Kopfschmerzen vor¬
zunehmen gewesen wäre, dem Kranken nicht eher schaden als nützen könnte.
Es scheint also doch, daß für gewisse Fälle ein zu schonendes Vorgehen nicht
angezoiirt ist. Trotzdem ist es sehr fraglich, ob es gelungen wäre, durch einen
neuerlichen Eingriff mit Entleerung des Abszesses das Leben des Pat. zu
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verlängern, da bei der Obduktion eine ausgebreitete Enzephalomalazie ge¬
funden wurde.
XIII. O. Beck: Beiderseitige Otitis media. Sinusthrombose and tiefer
Extraduralabszeß der hinteren Sehädelgrube links, eitrige Meningitis mit
Deviation conjug6e.
Der 41jähr. Hilfsarbeiter J. M. wurde am 19. I. 1922 in schwer be¬
nommenem Zustande auf die Klinik N e u m a n n aufgenommen. Anamnesti-
sche Daten sind nicht zu erheben. Der Transportführer meldet, daß seit
3 Tagen die Ohren fließen sollen und daß Schwindel, allgemeine Kopfschmerzen
und mehrmaliges Erbrechen bestanden hat. Gestern angeblich Schüttelfrost.
Später wird in Erfahrung gebracht, daß seit 4. Dezember erst links, später
rechts Ohrenfluß ohne Fieber aufgetreten sei, daß aber vor 10 Jahren auch
Ohren flu ß bestand.
Befund: R. 0. Trommelfell gerötet, etwas schleimiges Sekret, kleine
zentrale Perforation, Details sichtbar. L. 0.: Trommelfell gerötet, kurzer
Fortsatz sichtbar, stecknadelkopfgroße zentrale Perforation, schleimiges,
fötid riechendes Sekret. Warzenfortsatz links vielleicht druckempfindlich,
jedoch bei Berührung des ganzen Kopfknochens Schmerzäußerungen.
Kochlearprüfung infolge der Benommenheit nicht durchführbar.
Pat. ist beiderseits stark schwerhörig, hört sicher die Stimmgabeln und
reagiert auf Anrufe. Bei Anruf von der Seite w r endet Pat. die Augen stets
nach rechts, auch bei Anruf von links. Spontan sind beide Augen nach rechts
gewendet, er kann nur geradeaus schauen, Blick nach links unmöglich.
Vestibularprüfung: Kalorisch rechts (kalt), typischer Nystagmus.
Kalorisch links typischer Nystagmus. Kein Spontannystagmus.
Parazentese rechts und links. Links entleert sich unter Druck etwas
Sekret, rechts nichts.
Schwerbenommener kräftiger Mann, Temperatur 39*2, Puls 92, starker
Fötor ex ore, Zunge und Lippen trocken, belegt, rissig. Läßt Urin unter sich,
reagiert richtig auf laute Anrufe. Benennt Gegenstände der Umgebung richtig,
spricht in kurzen Sätzen richtig. Interner Befund (Dr. Kahler) negativ.
Pupillen reagieren träge auf Licht, starker Opisthotonus, starke Haut- und
Tiefenhyperalgesie, Periost und Sehnenreflexe stark gesteigert, Bauchdecken¬
reflexe lebhaft. Nasenbefund ohne Besonderheit. Lumbalpunktat: milchig,
152 Zellen.
Operation (Dr.B eck) am 19. I. Typischer Hautschnitt, Wf. sklero¬
tisch, elfenbeinhart. Der etwas vorgelagerte Sinus ward freigelegt, ist mit
ödematösen, weißgrauen Granulationen bedeckt. Aus dem Antrum fötides
Sekret. Totalaufmeißelung. Cholesteatom im Antrum und Attic. Im Mittel¬
ohr Granulationen. Amboß kariös, ebenso der Hammer. Breite Freilegung
der Dura der mittleren Schädelgrube. Sie erscheint normal, aber gespannt;
breite Freilegung des Sinus, wobei von seinem medialen Rande dicker, jedoch
nicht krümeliger Eiter hervordringt. Nahe der Spitze ist der Sinus nekrotisch.
Aus der nekrotischen Stelle seiner äußeren Wand schaut ein mißfarbiger
Thrombus heraus. Freilegung nach rückwärts bis ins Gesunde. Behufs breiter
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Freilegung der Dura der hinteren Schädelgrube wird durch Wegnahme der
Spange die mittlere mit der* hinteren Schädelgrube vereinigt und die hintere
Schädelgrube mit Schonung des Labyrinthes breit freigelegt. Sie ist von
mißfarbigen Granulationen bedeckt. Gegen das Labyrinth zu wird keine
gesunde Dura erreicht. Punktion des Kleinhirns parallel zur hinteren Pyramiden¬
fläche und an der Grenze zwischen hinterer und mittlerer Dura ergibt trüben
Liquor, jedoch keinen Eiter. II. Unterbindung der Vena jug. interna. Die
breite .Facialis communis bildet einen Trunkus mit der Jugularis, so daß die
Unterbindung oberhalb der Einmündung der Facialis comm. aasgeführt wird.
Jugularis bluthältig. III. Schlitzung des Sinus. Ausräumung des Thrombus.
Die äußere Sinuswand sehr verdickt. Ihr Lumen torkularwärts von der
Thrombose knapp für einen dünnen Politzer- Löffel auf einer Strecke
von 1cm Länge durchgängig. Blutung aus dem Bulbus. Nach Schlitzung
des verengten Sinuslumens kommt torkularwärts Blutung in vollem Strahl.
Von einer Plastik wird Abstand genommen. Wund Versorgung. Am 20. und 21.
Strepto- und Staph ylokokkenvakzine subkutan, 170 cm 8 Pregellösung intra¬
venös. 21. 1. Nervenbefund (Primarius Infeld). Kein örtliches Symptom
zur Anpahme eines Abszesses. Meningitis. Augenbefund wegen des Zustandes
des Pat. nicht durchführbar, 22. I. nachts Exitus.
Blut aus der Armvene: steril, Lumbalpunktat: sehr reichlich Eiter¬
zellen, mikroskopisch und kulturell Streptokokkus mucosus in Reinkultur.
Obduktionsbefund (Institut Prof. Al brecht): Befund nach
linksseitiger Radikaloperation und Sinuseröffnung und Unterbindung der
linken Jugularis interna. Beiderseitige eitrige Otitis media, beiderseitige Eiter¬
infiltration des Gangion G a s s e r i, in den Sinus kein Gerinsel und kein
Eiter. Subakute eitrige Leptomeningitis mit besonderer Ausbreitung über der
Konvexität. Mäßiger Hydrocephalus internus, Hyperämie des Gehirns, sonst
ohne Befund. Abgeimpft aus dem Gangion Gasseri: Streptococcus mu¬
cosus; der Operationshöhle: Streptococcus mucosus; dem rechten Antrum:
Streptococcus mucosus; der Keilbeinhöhle; Bakteriengemenge.
Bei diesem Kranken, der in schwer benommenen Zustande auf die
Klinik eingebracht wurde, soll angeblich eine beiderseitige nur 3 Tage be¬
stehende Otitis vorhanden gewesen sein. Erst die am nächsten Tage mit seiner
Frau aufgenommene Anamnese bestätigte den Operationsbefund, daß es sich
um eine alte chronische Otitis handelte. Da bei der beiderseitigen Otitis und
der beiderseitigen Exazerbation es unsicher war, von welchem Ohre aus die
Komplikation bedingt sei, wurde zuerst links operiert in der Absicht, auch
die andere Seite zu eröffnen. Da aber links eine Sinusthrombose und ein tiefer
Extraduralabszeß der hinteren Schädelgrube aufgedeckt wurde, wurde von
der Operation der anderen Seite Abstand genommen. Das Lumbalpunktat
war eitrig und zeigte Streptococcus mucosus in Reinkultur. Die Meningitis
war hauptsächlich an der Konvexität, basal sehr wenig. Interessant ist vor
allem an diesem Fall die Deviation conjugu6 nach rechts. Die Augen des
Kranken befanden sich spontan meistens im rechten Lidwinkel und konnten
über die Mittellinie hinaus nach links nicht bevregt werden. Bei jedem Anruf,
MoartwobrlJt f. Ohimluilk. u. Lar.-Bhin. 6« Jahr«. 15
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216 Vereiriaberichte (Wiener lar.-rhinol. Geo., Okt. 1921).
auch bei Anrufen von links, bewegten sich beide Bulbi in den rechten Lid¬
winkel. Die Kalorisation links ergab normale Verhältnisse. Bei der kalten
Kalorisation rechts zeigte sich folgendes Verhalten: Auch bei lange andauernder
Labyrinthreizung mit kaltem Wasser trat wohl ein typischer rotatorisch-
horizontaler Nystagmus nach links auf, es war aber unmöglich, durch die
Labyrinthreizung die Augen über die Mittellinie hinaus zu bewegen. Da,
wie auch die Obduktion zeigte, kein Abszeß vorhanden war, muß für diese
Deviation conjugu6 ein kortikaler Herd verantwortlich gemacht werden, wahr¬
scheinlich in der Gegend des Gyrus angularis. Das Exsudat der Meningitis
war auch auf der r. Konvexität besonders reichlich. Wenn man sich also diese
Deviation conjugu6 durch die Bahn vom Gyrus angularis via Talamus, hintere
Kommissur, hinteres Längsbündel zum Abduzens und Okulomotoriuskern
erklärt, so bleibt doch die Tatsache ungeklärt, warum die Augen durch den
Labyrinthreiz nicht über die Mittelstellung hinaus in den linken Lidwinkel
gebracht werden konnten.
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft.
Sitzung vom 5. Oktober 1W1.
(Offizielles Protokoll.)
Vorsitzender: J. Fein*
Schriftführer: F. Haslinger.
I. Marschik: 1. Zwei Fälle von Tracheomalazie: a) RezMüvstenoae
nach erfolgreicher Traehealresektion und Plastik durch wachsende Struma.
Heilung durch neuerliche Strumektomie. b) Typische Operation Im ersten Akt»
Strumektomie und Tracheostomie.
Die beiden Fälle stellen Repräsentanten eines eigentümlichen, geradezu
typisch zu nennenden Krankheitsbildes dar, wie Vortr. schon des öfteren
hervorgehoben hat: Nach längerem Kanülentragen — meist in der Kindheit
wegen Diphtherie — kommt es zur Tracheomalazie, zur Erweichung an der
Stelle, wo die Kanüle gelegen hat, mit mehr minder hochgradiger Narben-
striktur, die nach dem Dekanulement zwar zunächst in der Kindheit dem
Patienten keine Beschwerden zu machen braucht, in der Wachstumsperiode
aber, wenn diese Stelle der Trachea gedehnt wird, besonders aber durch
wachsende Struma bald schwere Stenosenerscheinungen machen kann. Die
Häufigkeit dieser Tracheomalazie bei ehemaligen Kanülenträgem und der
in diesen Fällen immer beiderseitigen, symmetrischen Strumaentwicklung
hat Vortr. zu der in seiner kürzlich im Septemberheft der Mschr. f. Ohrenhlk.
erschienenen Arbeit über Traehealresektion ausgesprochenen Vermutung ver¬
anlaßt, daß das Zusammentreffen von beiden Zuständen kein zufälliges, sondern
ein ursächlich bedingtes sein könnte, etwa in dem Sinne, daß der Reiz der
entzündlichen Zustände, der zur Erweichung der Luftröhre geführt hat, auf
die zur Kolloidentartung disponierte Struma eingewirkt und sie zur Ver¬
größerung angeregt habe.
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Vereinsberichfce (Wiener lar.-rhinol. Ges., Okt. 1921).
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Der erste Fall nun, ein 26jähr. Mädchen, war wegen der beschriebenen
Erscheinungen im Jahre 1919 vom Vortr. in 3 Akten mit Erfolg operiert
worden (partielle Trachealresektion, beiderseitige Strumektomie und Tracheo-
stomie, dann Einpflanzung eines Rippenknorpelstückes neben dem Tracheo¬
stoma als Ersatz der vorderen Trachealwand, endlich plastischer Verschluß
mittels Doppellappens) und wurde auch damals in der Gesellschaft der Ärzte
und in dieser Gesellschaft mehrfach vorgestellt. Vortr. konnte damals
besonders auf das ausgezeichnet und dauernd weit gebliebene Lumen der
künstlich aufgebauten Trachea hinweisen, das eine bequeme indirekte Tracheo-
skopie nicht nur bis zur Plastik, sondern darüber hinaus bis zur Bifurkation
gestattete. Vor 6 Monaten begannen neuerliche, zunehmende Stenosen¬
erscheinungen, in der letzten Zeit Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Schmerzen
links neben der Plastik. Die Laryngoskopie stellte Rezidivstenose durch
zweierlei Vorgänge fest; einerseits und hauptsächlich durch die Vorwölbung
der auffallend geröteten, linken Seitenwand, andrerseits aber als inspiratorische
Stenose durch die Aspiration der weichen, rechten Seitenwand, die sich somit
von ihrer seinerzeitigen Fixation am M. stemocleido (nach B i r c h e r) gelöst
haben mußte. Wurde die Haut rechts neben der Trachea kräftig nach unten
verzogen und fest gehalten, so blieb die inspiratorische Ansaugung aus und
die Dyspnoe war verschwunden. In der nun am 17. September 1921 vor¬
genommenen neuerlichen Operation wurde zunächst die linksseitige Struma
von der Größe eines kleinen Apfels bis auf den hinteren Pol reseziert, der
Stumpf nach Vernähung der Kapsel nach außen oben an den Stemocleido
angenäht und damit ein neuerlicher dauernder Zug nach außen hergestellt.
Weitets neuerliche B i r c h e r sehe Nähte an der linken Wand mit Seide
angelegt. Sodann rechts neben der Trachea inzidiert, die Seitenwand frei¬
gelegt und ebenfalls B i r c h e r sehe Nähte mit Seide angebracht. Die Trachea
ist, wie man sich überzeugen kann, jetzt wieder normal weit und läßt wieder
bis zur Bifurkation sehen.
Leider hat diesmal bei der neuerlichen Strumaresektion der linke
Rekurrens dran glauben müssen, während bei den vorhergegangenen Ein¬
griffen trotz Freilegung und Resektion erheblicher Trachealabschnitte beide
Rekurrentes intakt geblieben waren. Da Vortr. sich strenge an die Struma
gehalten hat und überhaupt nicht an die Verlaufsstelle des Rekurrens heran¬
gekommen ist, kann die Parese nur durch den Zug der nach oben verzogenen
und verlagerten Schilddrüsenreste erklärt werden. Die Stellung der gelähmten
Stimmlippe ist nicht ungünstig, fast in der Medianlinie. Da eine direkte Ver¬
letzung der Nerven ausgeschlossen ist, ist bei der nicht zu selten beobachteten
Restitutionsfähigkeit solcher Paresen — sind doch schon „Erholungen“
nach 2 bis 3 Jahren beobachtet — die Prognose vorderhand nicht ungünstig
zu stellen.
Der zweite Fall ist ganz ähnlich: Im vorigen Jahr an der Klinik H a j e k
wegen Stenose bei subglottischer Laryngitis Tracheotomie. Die Kanüle wurde
nach 4 Wochen entfernt. Seit einigen Monaten zunehmende Atembeschwerden.
Laryngoskopie zeigte das merkwürdige Bild einer unterhalb der normalen
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218 Yereinaberichte (Wiener lar.rrhinol. Ges., Okt. 1921).
und auch normal funktionierenden Glottis in der Höhe der seinerzeitigen
Tracheotomie befindliche zweite Glottis, die aber gerade verkehrt war. Der
spitze Winkel befand sich hinten. Ebenso war die Bewegung verkehrt. Bei
der Inspiration erfolgte Annäherung der beiden stimmbandähnlichen sub¬
glottischen Wülste. Auch hier handelte es sich um Tracheomalazie mit Narben¬
strikt ur, namentlich an der Hinterwand, wo ein stärkerer Dekubitalprozeß
sich abgespielt haben dürfte, und Kombination mit Kompressionsstenose
durch beiderseitige wachsende Struma. Die Operation war dieselbe, die in
allen diesen Fällen einzig zum Ziele führt. Tracheostomie mit beiderseitiger
Strumaresektion und Fixation der erweichten Partie der Seitenwand durch
B i r c h e r sehe Nähte an den Sternocleido, wodurch ein konstanter Zug
nach außen angebracht ist. Wie der erste Fall gezeigt hat, ist in diesen Fällen,
da ja die Stenose hauptsächlich durch die Kompression der wachsenden
Struma erzeugt ist, keine Dilatationsbehandlung nötig, auch von keinem
Wert, da nach Aussetzen der Tamponade die erweichte Luftröhrenwand
wieder zusammenklappt. Alles kommt im Gegenteil auf die plastische Operation
an, die als Ersatz der durch die Knorpel gewährleisteten Härte und Starrheit
der Trichealwand an dieser einen dauernden Zug nach außen anzubringen
hat. Die meist gerade an der erweichten Stelle gelagerten Schilddrüsenlappen
können auch nach ausgiebiger Resektion einen noch immer die Tracheal-
wand vorwölbenden Tumor bilden, sich auch wieder vergrößern, so daß dann
nichts anderes übrig bleibt als die Verlagerung (W ö 1 f 1 e r).
2. Lymphosarkom der Tonsille. Exstirpation. Heilung. Präparat.
Ein 45jähr. Beamter hat seit 3 Monaten das Gefühl einer wachsenden
Geschwulst im Rachen. Seit geraumer Zeit schon kann er die Geschwulst
durch Würgbewegungen heraufbefördern. Keine Atembeschwerden, mäßige
Schluckbeschwerden. Es zeigte sich ein zirka hühnereigroßer, rötlicher, grob-
höckeriger, nicht ulzerierter Tumor, der mit einem bedeutend dünneren Stiel
von dem unteren Pol der rechten Tonsille ausging, für gewöhnlich nur mit
dem Kehlkopfspiegel als über den Larynxeingang gelagert sichtbar war, vom
Pat. aber nach oben gepreßt werden konnte und dann den ganzen Oro-
phärynx ausfüllte. Am Halse keinerlei Drüsenschwellungen zu tasten. Die
Operation verlief glatt und rasch in Lokalanästhesie, dabei wurde die ganze
Tonsille mitentfernt, welche ihrerseits flach, von normalem Aussehen und
Konsistenz war. Die histologische Untersuchung ergab einen Granulations¬
tumor, der von dem Pathologen (Prof. W i e s n e r) nach einigem Schwanken
schließlich als Lymphosarkom erklärt wurde. Demonstration des Präparates.
Vortr. w r eist auf die Mannigfaltigkeit der Formen hin, in denen das Lympho¬
sarkom des Rachens sich zeigen kann. Neben der bekannten Form großer,
bald ulzerierender Tumoren mit mächtigen Lymphdrüsenmetastasen kennen
wir die von flachen, torpiden Schleimhautgeschwüren, ohne Drüsenmetastasen.
In dem heutigen Fall hätten wir eine dritte Form vor uns, die eines gut ge¬
stielten, benignen Tumors ohne Drüsenmetastasen und ohne das beim Lympho¬
sarkom bekannte, infiltrative Wachstum.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Okt. 1921). 219
Aussprache:
Marschik (Schlußwort): Ich möchte doch lieber mit der Bestrahlung
warten, da sich bisher keinerlei Anzeichen von Infiltration der Umgebung
oder Rezidive gezeigt haben, im Gegenteil der Wundverlauf glatt wie der
einer gewöhnlichen .Tonsillektomie war und andrerseits bei der bekannten
ausgezeichneten Reaktion des Lymphosarkoms auf Bestrahlung ein beginnendes
Rezidiv mit Leichtigkeit zürn Verschwinden zu bringen wäre.
3. Sektionspräparat eines Falles von ösophagoplastik nach Radikal¬
operation eines Hypophwynxkandnoms.
Bei der 56jähr. Frau war vom Vortr. vor fast einem Jahr die Radikal¬
operation nach G1 u c k ausgeführt worden, i. e. quere Pharynxlarynxresektion.
3 Monate nach der Operation zeigte sich ein Rezidiv in der Gegend der rechten
Tonsille, bis wohin seinerzeit der Tumor gereicht hatte und die damals mit-
exstirpiert worden war. Die Gegend der Pharynxlarynxresektion dagegen war
vom Rezidiv frei geblieben. Pat. wurde daher einer Radiumbehandlung unter¬
zogen und unabhängig davon 5 Monate nach der Radikaloperation die
ösophagoplastik nach Gluck ausgeführt, nach einer kleinen Nachoperation
wegen Fistelbildung mit vollem Erfolg, die Pat. hat sich bis zu ihrem Tode
auf natürlichem Wege genährt und bereits mit Sprach versuchen begonnen.
Mit der Zeit war am rechten Unterkieferwinkel ein derbes Infiltrat aufgetreten,
von dem nicht feststand, ob es sich um Karzinom oder induratives ödem
nach der Radiumbestrahlung handelte. An der Stelle der mit großen Dosen
applizierten Radiumbestrahlung im Rachen war ein großes Ulkus ohne
Karzinomcharakter zurückgeblieben. Trotz ausreichender Ernährung ent¬
wickelte sich eine zunehmende Kachexie (Radium?) und schließlich kam es
vor einigen Wochen zur tödlichen Arrosionsblutung aus der Pharyngea
ascendens in einem Peripheriespital. Demonstration des Präparates des künst¬
lichen Pharynx und Ösophagus, der allenthalben glatte Heilung zeigt ohne
Stenosierung .und ohne Rezidive. Die Untersuchung des Radiumulkus, aus
dem die Arrosionsblutung erfolgte, ist noch nicht abgeschlossen.
4. Neue Kanülen, a) Konische Kanüle für das Tracheostoma nach Total¬
exstirpation. b) Attrape (Fopperl) für Tracheostomie. (Erscheint ausführlich).
II. G. H o f e r : 1. 2 Fälle nach Westseber Tränensackoperation. Trans-
septale Operation. Neue Methode.
Die Methode besteht in der einfachen hinter dem Filtrum angelegten
vertikalen Diszission des Septums. Das so diszindierte Septum gestattet das
Einführen eines Spekulums, die maximale Erweiterung des Septumspaltes
und eine entsprechend gute Übersicht der lateralen Wand der transkarti-
laginösen Nasenseite. Nach Beendigung der Operation einfache Antamponade
der durchtrennten Nasenscheidewand. In allen bisher operierten 7 Fällen
Heilung p. p. Die Stelle der Diszision ist nach 2 bis 3 Wochen kaum mehr
auffindbar. (Siehe ausführliche Mitteilung Mschr. f. Ohrenhlk. u. Laryngo-
Rhinol. November 1921).
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£20 Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ge«., Okt. 1921).
2. Schilddrüsenmetastase eines Magenkarzinoms, mit Eünwaehsen in
den Kehlkopf.
54jähr. Frau zeigt einen Tumor an der linken Schildknorpelplatte.
Der Tumor ist nußgroß und mäßig weich. Die Pat. bemerkt diesen Tumor
seit etwa 7 Wochen. In des letzten Zeit zunehmende Heiserkeit, daher endo-
laryngeale Untersuchung. Hier sieht man eine glatte Schwellung der linken
Subglottis nahe an die Medianlinie reichend. Die Schleimhaut über dieser
Schwellung von annähernd normaler Farbe. Das linke Stimmband beweglich,
jedoch träger als das rechte, Aryknorpel von normaler Konfiguration. Anam¬
nestisch läßt sich erheben, daß die Pat. vor 3 Jahren laparotomiert worden
war. Über die Natur ihres damaligen Leidens weiß die Pat. selbst nichts
Sicheres. Probeexzision aus dem subglottischen Tumor ergibt normale
Schleimhaut. Nach der Probeexzision durch 2 Tage starke reaktive Schwellung
und Stridor. Die Tracheotomie wird in Erwägung gezogen, erweist siph jedoch
endlich als vermeidbar. Die Mitteilung von Prof. H. Lorenz, dem ersten
Operateur endlich macht eine Diagnose möglich. Es war bei der Pat. vor
3 Jahren ein Pylorus karzinom operiert worden, mit Resektion des Pylorus,
eines Teiles des Duodenums und der Gallenblase. Der Tumor kann daraufhin
als Spätmetastase in der Thyreoidea gedeutet werden mit Einwachsung in
den Larynx, da er am Larynx fixiert, beim Schlucken Mitbewegung zeigt.
Nachträglich!
Befund der Operation bestätigt die Annahme Carcinoma metastaticum
ventriculi in Thyreoidea mit Einwachsen des Tumors im Ligamentum conicum
und Vorwölbung der linken subglottischen Schleimhaut des Larynx.
III. Tschiassny: Hypertrophie der Seitenstränge nach TonsiUen-
und Adenoidenoperation.
Vortr. demonstriert aus seinem Ambulatorium im Spitale der israeliti¬
schen Kultusgemeinde eine lljähr. Knaben, der bereits vor 6 Jahren in London
‘wegen „Mandeln und Wucherungen“ operiert wurde, seit mehreren Monaten
aber wieder an einer lästigen Behinderung der Nasenatmung leidet. Die Unter¬
suchung zeigt einen merkwürdigen Befund im Mesopharynx. Man sieht beider¬
seits an der seitlichen Pharynxwand halbkugelige symmetrische Wülste,
welche besonders beim Würgen hinter den hinteren Gaumenbögen hervor¬
treten. Mit Rhinosk. post, sieht man, daß diese Wülste eine seitliche Ver¬
breiterung der Adenoiden des Rachendaches darstellen. Die Tonsillengruben
sind beiderseits frei — es scheint damals in London die Tonsillektomie gemacht
worden zu sein. An der Oberfläche der erwähnten Wülste, deren histologisch
von Doz. Bauer freundlichst vorgenommene Untersuchung adenoides
Gewebe ergab, sieht man kleine Vertiefungen, welche den Tonsillenkrypten
ähneln. Blutbefund ohne Besonderheiten. Tech, verweist auf die große Selten¬
heit dieser Lokalisation größerer adenoider Lager.
Aussprache:
Fein: Derart voluminöse Ansammlungen adenoiden Gewebes in den
Seitensträngen, wie sie der vorgestellte Fall zeigt, sind allerdings selten. Ich
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Okt. 1921).
221
selbst habe in den letzten Tagen ein Mädchen gesehen, bei dem eine ähnliche
Anhäufung an einer Seite, aber hoch oben und vor dem Tubarwulst zu
sehen war.
IV. Glas: 1. Maligner Traor des ÖBophagiwringaoges (siehe vorige
Sitzung), Hktologiseheg Präparat.
Es handelt sich um einen der sehr seltenen Fälle von Sarkokarzinom
Über einen solchen Fall hat aus der C h i a r i sehen Klinik Kahler vor
Jahren Mitteilung gemacht.
2. Angina ulzeromembranacea und einseitiger Stomatitis nie. membr.
Die Erkrankung ist mit kariösen Zähnen dieser Seite kombiniert, in
welchen die Müller sehen Spirochäten (refingentes) und Bac. fusiformes
gleichfalls in Reinkultur nachgewiesen werden konnten. Gl. vermutet einen
Zusammenhang dieser Affektionen, bespricht die therapeutischen Maßnahmen
(lokale Behandlung, Salvarsan usw.) und glaubt eine günstige Beeinflussung
dieses Prozesses durch die P r e g e 1 sehe Lösung konstatieren zu können.
Aussprache:
Marschik erwähnt außer dem schon von Glas* zitierten noch
einen zweiten im Jahre 1919 an der Klinik beobachteten Fall.
Fein kann der Anschauung Glas, daß das einseitige Vor¬
kommen der Stomatitis ulcerosa eine Seltenheit sei, nicht bei¬
pflichten. Im Gegenteil kann man sie fast immer nur einseitig beobachten.
Geht sie doch sehr häufig von Entzündungen des Zahnfleisches am Weisheits¬
zahn oder von Herden an kariösen Zähnen aus und ist dann immer eben dort
lokalisiert. Zur Therapie der Plaut sehen Angina wiederholt Fein
seine schon häufig gemachte Bemerkung, daß diese Krankheit schon der
mechanischen Reinigung ohne Schwierigkeit weicht. Die Wahl des
Heilmittels ist ganz nebensächlich: Jod wirkt ebenso gut
wie Lapis oder Salvarsan oder irgendein anderes Mittel. Fein hat Serien
von Plaut scher Angina mit Aqua fontis behandelt und damit
glänzende Erfolge erzielt — die Fälle heilten nach wenigen Tagen.
0. Beck (Klinik Neumann): Ich habe seit einem Jahre in Gemein¬
schaft mit Prof. Kerl von der Klinik Riehl Fälle von Plaut-Vincent-
Angina und ulzeröser Stomatitis klinisch und bakteriologisch systematisch
untersucht. Im vorigen Jahr war diese Affektion derart häufig, daß man direkt
von einer kleinen Pandemie sprechen konnte. Bei der Revision der Domizile
der betreffenden Personen zeigte es sich, daß sich 60% aus Ottakring rekru¬
tierten, ohne daß die betreffenden Individuen in derselben Wohnung oder in
demselben Hause gewohnt hätten. Die Erkrankung war, wie wir aus der
Literatur nach weisen konnten, bis vor einigen Jahren in Mitteleuropa und
speziell in unseren Ländern sehr wenig bekannt und sie scheint von Truppen
aus dem Orient eingeschleppt worden zu sein und sich von hier aus über Mittel¬
europa ausgebreitet zu haben. So fanden wir die ersten Mitteilungen aus
Konstantinopel, wo auf der internen und chirurgischen Abteilung das Auf-
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22$ Vereinflberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Okt. 1921).
treten derartiger Affektionen gehäuft beobachtet wurde. Später folgten dann
ähnliche Nachrichten aus verschiedenen Städten Deutschlands, Welcher
von den beiden Mikroorganismen der eigentliche Erreger ist, ist nicht fest¬
stellbar, chrakteristisch ist aber, daß sowohl die Spirochäte als der fusiforme
Bazillus in großer Zahl in den betreffenden Affektionen gefunden wurde;
dieser Befund läßt sich bei allen ulzerösen Mundprozessen erheben, einerlei
db das Geschwür in der Mundschleimhaut, in der Nähe der Zähne oder an
den Tonsillen sitzt. Diesbezüglich liegen ja auch von Gerber genaue Unter¬
suchungen vor. Man findet die genannten Erreger auch im normalen Mund
als Parasiten vegetieren und wir konnten sie im Abstrich normaler Zahnhälse
nachweisen. Es liegt also das Pathologische nur im gehäuften Vorkommen
selbst. Es ist richtig, daß jede Therapie wie Wasserstofeuperoxyd und andere
Desinfizientien innerhalb einiger Tage die Affektion in den meisten Fällen
zur Abheilung bringen. Die Erfolge mit lokaler Applikation von Salvarsan hat
sich uns besonders gut bewährt. Es muß aber der Wattebausch, der mit einer
wässerigen Salvarsanlösung oder einer Emulsion mit Glyzerin durchtränkt
ist, IG Minuten an der affizierten Stelle angepreßt gehalten werden; man kann
die Beeinflussung dieser Affektion durch Salvarsan am besten dadurch
kontrollieren, daß man vor der Therapie und zirka 24 Stunden später
bakteriologisch untersucht und man wird nach der Behandlung nicht nur
klinisch ein deutliches Abklingen feststellen können, sondern die Zahl der
Spirochäten erscheint ganz bedeutend herabgesetzt. Betreffs der genaueren
Details erlaube ich mir auf meine Arbeit gemeinsam mit Prof. Kerl zu
verweisen.
Glas (Schlußwort) betont, daß es nicht richtig sei, die Vincent sehe
Angina ulcerosa für eine stets belanglose, durch alle therapeutischen Maßnahmen
zu beeinflussende Erkrankung hinzustellen. Diese Form ulzeröser Angina, die
manchmal durch sehr tiefe Ulzerationen, retromandibulare Bubonen, hohe
Fieberkurven ausgezeichnet ist, trotzt mitunter jeglicher Therapie und kann
sich auf Wochen hinziehen und den Patienten starke Beschwerden verursachen
(Angina chancroformis und diphteroides). Darum kann die Form der Behandlung
für solche schwerere Fälle nicht gleichgültig sein, wenn auch die meisten dieser
Erkrankungen relativ benigner Form sind.
V. W. Weiss: Beiderseitige Rekurrenslähmung — Bulbäraffektion.
Die 32jähr. Pat., deren Familienanamnese belanglos ist, bemerkte vor
2 y 2 Jahren plötzlich, daß sie den Kaffee nicht trinken konnte. Außerdem
kam die Flüssigkeit bei der Nase heraus. Seit dieser Zeit kann sie feste Speisen
fast gar nicht schlucken, und hat das Gefühl, daß die Bissen „hinter der
Zunge“ stecken bleiben. Häufiges Verschlucken. Seit 6 Monaten zunehmende
Heiserkeit, macht häufig Anfälle von Atemnot, auch bei raschem Gehen treten
solche auf.
Larynxbefund: Linke Stimmlippe nahe der Medianlinie absolut
fixiert, exkaviert, Rand scharf, heller gefärbt als die rechte. Letztere etwas
beweglich (1 bis 1*5 mm). Nach Aufhören des Phonationsimpulses machen
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Bücherbespr Gehangen.
228
rechte Taschenf<e und Aryknorpel eigentümlich zuckende Bewegungen.
Glottisschluß infolge Fixation der linken Stimmlippe ungenügend. Rekurrens-
stimme. Röntgenologisch erscheinen die Sinus piriformes noch nach 1 Stunde
mit Kontrastmasse gefüllt. Weitere Passage frei. Linksseitige Zungen- und
Gaumensegellähmung. Störungen der Hautsensibilität. Wassermann
negativ, Fundus normal. Der Fall, bei dem wir auf Grund des ausführlichen
neurologischen Befundes die Wahrscheinlichkeitsdiagnose auf: doppel¬
seitige laterale Spaltbildung in der Medulla oblongata
stellen können, wird demnächst ausführlich publiziert.
Bücherbesprechnngen.
Taschenbuch der Ökonomischen und rationellen Rezeptor. Von Prof. A.
Fröhlich nnd Prot R. Wasicky. Berlin-Wien 1921, Urban & Schwarzenberg.
Zu den Tagen ungeheuerer Teuerung gibt das ausgezeichnete Büchlein
Richtlinien ,„nach denen der ordinierende Arzt, in erster Linie jener der
Krankenkassen und der öffentlichen Ambulatorien, vorzugehen habe, um
bei noch erträglichen Preisen zweckmäßige Rezeptur dem Kranken
vorzuschreiben“.
Jeder, der die Schrift von Anfang bis za Ende darchliest, wird
reichlich Anregungen daraus schöpfen. Unter der medikamentösen Therapie
der Ohren* nnd Nasenkrankbeiten findet sich der Ersatz von Aqua dest.
durch Aqua fontis bei den gebräuchlichen Einträuflungsmittelu (z. B.
Karbolglyzerin u. a.). Statt des nnnmehr (infolge der schweizerischen
Fabrikationsstätte) sehr teueren Thigenols kann Thiamon verwendet werden.
Anstatt des teueren,nicht unfehlbar wirkenden Pollantins hat sich in jüngster
Zeit die Behandlung mit intravenösen Injektionen löslicher Kalzinmsalze
sehr bewährt. Die Verf. verschreiben sogar znr subkutanen Injektion
statt Aqua dest. Aqua fontis (S. 79), eine Verwendung des Brunnenwassers,
die unter Umständen vielleicht doch nicht ganz nnbedenklich sein könnte.
Bei der Verordnung einer 10°/ 0 (!) Pilocarpinlösung (!/ 2 Pravazspritze) zur
Injektion (S. 95) dürfte es sich wohl nm ein Versehen handeln und
richtig eine 1% Lösung gemeint sein.
Manche der angegebenen Mittel müssen aber in den Apotheken erst
eingeführt werden und stellen sich hente noch teurer als die empfohlenen
Ersatzmittel, so z. B. radix Tormentillae (für r. Ratanhiae), so daß eine
Ersparnis erst nach entsprechenden Maßnahmen in den Apotheken znr
Durchführung gelangen wird. Von großem Wert ist zweifellos die Ver¬
wendung der chemischen Nomenklatur statt der wortgeschützten einfachen
Verbindungen.
Der Inhalt der Schrift sollte Gemeingut aller rezeptierenden Ärzte
werden. E. U.
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224
Personalien und Notizen,
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Personalien und Notizen.
Habilitiert! Der Vorstand des Ambulatoriums für Hals- und Nasenkranke
im Elisabethspital in Wien, Dr. Fritz Schlemmer, für Laryngo-Rhinologie.
Ernannt! Prof, Dr. Alfred Brüggemann zum Direktor der l&ryngo-
logischen Klinik in Gießen.
Einladung zur II. Tagung der Gesellschaft Deutscher Hals-, Nasen-
und Ohrenärzte. Am 1., 2. und 3. Juni findet in Wiesbaden im Hörsaal des
neuen Museums die II. Tagung der Gesellschaft Deutscher Hals-, Nasen- und
Ohrenärzte statt. Der Unterzeichnete Vorstand beehrt sich, dazu ergebenst einznladen.
Die endgültige Tagesordnung wird Ende April versandt werden«
Vorträge und Demonstrationen sind spätestens bis sum 12. April beim
Unterzeichneten Schriftführer anzumeiden. Es wird gebeten, schon bei der An¬
meldung bekannt zu geben, ob Projektion gewünscht wird. Ein modernes Epidiaskop
steht zur Verfügung.
Um einen Überblick über den zu erwartenden Besuch zu bekommen, bitten
wir Sie, dem Schriftführer jetzt schon mitzuteilen, ob Sie voraussichtlich teilnehmen
werden.
Wohnungsbestellung beim städtischen Verkehrsbureau \bX spätestens bis sum
30m April unbedingt erforderlich. Bestellkarten für die Wohnung folgen mit der
endgültigen Tagesordnung.
Die Hotels sind in drei Gruppen eingeteilt: Gruppe 1: Luxushotel, Zimmer
mit Frühstück M 150.—, Gruppe 2: Zimmer mit Frühstück M 80.—, Gruppe
3: Zimmer mit Frühstück M 60.— Außerdem steht eine große Anzahl von Privat*
quatieren, teils ohne, teils gegen geringes Entgelt zur Verfügung. Jüngere Herren
mit nicht selbständiger Stellung werden im städtischen Krankenhause kostenloa
untergebracht.
Mit der Tagung ist eine Ausstellung verbunden. Anmeldungen für diese
sind an Herrn Dr, Will et, Wiesbaden, Große Burgstraße 15 oder Herrn
Dr. Bamdohr, Wiesbaden, Biebricherstraße 10, zu richten.
Sanitätsrat Dr. Rudolf Panse Pofessor Dr. Karl Zarniko
I. Vorsitzender Schatzmeister
Professor Dr. Otto Kahler
Freiburg i. B., Karlstraße 75
Schriftführer
Professor Dr. Felix Blumenfeld
Wiesbaden, Taunusstraße 4, Vorsitzender des Ortsausschusses.
Für den wieientchaftlichen Teil rerentwörtliche Redakteure: Dr. E. Urbaitaobltsoh, Dr. H. ■artshlk.
Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Urban 4 8obwarzaabtrg.
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zur Feinverstel¬
lunginvertikaler
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Richtung.
Die zarte Ver¬
stellungsmög¬
lichkeit ist von
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wird durch die
zwei auf der Ab¬
bildung vorn
und hinten lie¬
genden Handrä¬
der bequem be¬
tätigt.
Jedem Besitzer einer Kromayer - Lampe
wird der Nachbezug einer neuen Vertikal-Stativstange mit
neuem Querarm — beide mit der Zahnradeinrichtung ent¬
sprechend Abb. 2 (Bestellwort „Cemach-Einrichtung“) an¬
gelegentlichst empfohlen. Angebot auf Anfrage. Die präzise
gediegene Ausführung läßt die Kromayer-Lampe als dop¬
pelt wertvollen Apparat erscheinen. Niemand, der das neue
Gemach-Stativ gesehen hat, wird das Stativ aller Art weiter¬
benutzen wollen.
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Organ der Österreichischen otologischen Gesellschaft
und der Wiener laryngo-rhinologischen Gesellschaft
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CHIARIj GRUBER, JURASZ, RUDINGER, VOLTOLINI, WEBER-UEL,
L. v. SCHRÖTtER, V. URBANTSCHITSCH, E. ZUCKERKANDL
Unter Mitwirkung ron
Prof. Dr. F. ALT (Wien), Prof. Dr. E. bAjULnY (Upeal«), Jkir.-Doz. Dr. 0. BECK (Wien), Prof. Dr.
A* BING (Wien), PNt.-Do*. Dr. G. BONDY (Wien), Prof. Dr. GT BRÜHL (Berlin), Prof. Dr. H. BÜRGER
(Amsterdam), Prof. D. DEMETRIADES (Athen), Prof. Dr. J. FEIN (Wien), Prof. Dr. H. FREY (Wien),
Prir.-Doi. Dr. K. FBÖSCHELS (Wien), Dr. V. FRÜHWALD (Wien), Priy.-Dox. Dr. 8. GATSCHER (Wien),
Prof. Dr. E. GLAS (Wien), Prof. Dr. B. GOMPERZ (Wien), Prof. Dr. M GROSSMANN (Wien),
Prof. Dr. Y. HAMMERSCHLAG (Wien), Dr. HEINZE (Leipzig), Ärof. Dr. HEYMANN (Berlin), Prir.-
Do«. Dr. G. HOFER (Wien), Prof. Dr. R. HOFFMANN (Dresden), Prof. Dr. HOPMANN (Köln), Prof. Dr.
O. KAHLER (Freibarg i. Br ), Priv.-Doz. Dr. J. KATZENSTEIN (Berlin), Dr. KELLER (Köln), Hofrat
Dr. KIRCHNER (Würzburg), Priv.-Do*. Dr. K. KOFLER (Wien), OStA. Dr. S. LAWNER (Wien),
Prof. Dr. LICHTENBERG (Budapest), Dr. L. MAHLER (Kopenhagen), Prof. Dr. H. NEÜMAYER (München),
Dr. Max RAUCH (Wien), Prof. Dr. L. RÄTHI (Wien), Dr. Ed. RIMINI (Triest), Dr. F. RODE (Triest),
Prhr.-Doz. Dr. E. RUTTIN (Wien), Prof. Dr. J. SAFRANEK (Budapest), Dr. F. SCHLEMMER (Wien),
Prof. Dr. A. SCHÖNEMANN (Bern), Reg.-Rat Dr. H. SCHRÖTTER (Wien). Dr. M. SEEMANN (Prag),
Br. A. 8IKKJBL (Haag), Dr. SPIEA (Krakau). Priv.-Doz. Dr. H. STERN (Wien), Dr. M. 8UGAR (Budapest),
Prof. Dr. A. THOST (Hamburg), Dr. WEIL (Stuttgart^ Dr. M. WEIL (Wien), Dr. E. WODAK (Prag)
H. NEUMANN
Wien
für Ohrenheilkunde:
Ernst Urbantschitsch
Wien
herauagegeben Ton
M. HAJEK
Wien
Redakteure:
G. ALEXANDER
Wien
für Laryngo-Rhinologie:
Hermann Marschik
Wien ^'
56. Jahrgang, 5. Heft
(Mai)
URBAN &. SCHWARZENBERG
BERLIN N WIEN I
FRIEDRICHSTRASSE 105 b MAHLERSTRASSE 4
1922
Monatlich erscheint 1 Heft von etwa 6 Bogen Umfang.
Preis vierteljährig für Deutschösterreich K 2000.—, für die Tschechoslowakei
5. K 50. —, für Ungarn ung. K 350. —, für Deutschland M 100. —, für Polen
poln. M 1500. —, für Jugoslawien Dinar.80.— , für alle übrigen Länder
West-, Süd- nnd Nord-Europas sowie der Übersee 10 Franken Schweizer
Währung exkl. Porto.
Einzelne Hefte kosten d.-ö. K 700.—, i. K 20.—, M 40.— bzw. M 120.—.
Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Urban
& Schwarzenberg, Wien I, Mahlerstraße 4, und Berlin N 24, Friedrich¬
straße 105 b, entgegen.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Originalbeiträge, Rezensionsexemplare ttsw. otologischen Inhaltes bitten wir,
an Doz. Dr. Ehrtest JJrbantschitsch , Wien , 2. Schottenring 24, und solche rhino-
laryngologischen Inhaltes an Prof. Dr. H. Marschik , Wien, IX/% Severingasse 1,
einsenden zu wollen. Das Honorar für Originalien und Referate beträgt K 960 .— für
den Bogen zu 16 Seiten. Sonderabdrücke von Originalien werden zum Selbstkostenpreise
berechnet. Für Bücherbesprechungen geht das betreffende Buch als Honorar in den
Besitz des Besprechers Über. Redaktion und Verlag .
Inhaltsverzeichnis.
OriffinalsArtikel
Prof. Dr. Gustav Alexander: Gehörorgan und Gehirn eines Falles von
Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes. (Mjt 1 Figur im Text
und 23 Figuren auf Tafeln I bis IX) . . ... • 331
Dr. Heinz Dah marin, Düsseldorf: Durariß bei Warzenfortsatzoperation. Bei¬
trag zur Verhütung meningealer Komplikationen. 37$
Vereinsberichte
österreichische otologisohe Gesellschaft. Sitzung vom 29. März 1922 . 383
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft. Sitzung vom 7. Dezember 1921. . . 396
Bttcherbesprechungen
Mathematische Theorie der Gehörempfindung. Von Budde-Feldafing. . . 405
Vorlesungen über allgemeine Konstitutions- und Vererbungslehre. Von Dr. Julius
B au e r... 406
Atmungspathologie und Therapie. Von Hofbauer .;.406
Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. Von
/ L. Katz und F. Blumenfeld.407
Ifersonalien und Notizen
Berufung. Gewählt. Ernannt. Die Einführung einer Prüfung in Oto-Rhino-Laryng. 410
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H Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Hoechst a. M. m
- Vertretung für Deutschösterreich: -—=
jH Hocdiat« Farbwerk* das. m. b. H., Wien VIII/2, Josefstädterstr. 82 §=
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■ Lokalanästhetikum j
M Eigenschaften: |
Schwer löslich, daher langanhaltende Wirkung und sehr geringe ==
= Giftigkeit.
= Indikationen: |
:== =^ Extern ; Schmerzhafte Wunden und Geschwüre wie Brandwunden, =
—— ulceröse Stomatitiden, tuberkulöse und luetische Larynx- und =
—-= Pharynx-Geschwüre, Excoriationen, Fissuren, Hämorrhoiden, Nach- ==
-—- schmerzen nach Zahnextraktionen. =
—-r Intern: Ulcus und Carcinoma ventriculi. =
§H Dosierung: 1
1 Extern: In Substanz, als Streupulver, Emulsion, Zäpfchen 5—50*/*ig. ==
—— Intern: 0,5—1 g mehrmals täglich vor dem Essen. =
= Ärzten stehen Uteratur und Proben zur Verfügung. f
■ □llllllllll!lllill!!lll!!!!llilllllll!lll!!VI!lll!IIIIIIUIIIIIII!l!lllll!l
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UNIVERSITY 0F CALIFORNIA
MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LARYNGO-RHINOLOGIE
56. Jriirg. _ 1922. _ 5. Heft.
Nachdruck verboten.
OriginaUArtikel.
Aas dem neurologischen Institut in Wien ,
(Vorstand Prof Dr. O. Marburg.)
Gehörorgan und Gehirn eines Falles von Taubstumm¬
heit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
Von Prof. Dr. Gustav Alexander.
(Mit 1 Figur im Text und St Figuren auf Tafeln I bis IX.)
II. Teil 1 ).
Bevor die einzelnen Befunde und die daraus Bich ergebende
Auffassung des Falles in ätiologischer Richtung besprochen werden,
ist es notwendig, über die in der Literatur bekannten und genau unter¬
suchten Fälle von Kleinhirnhypoplasie bzw. -Agenesie zu berichten.
Brun (6) erwähnt in seiner Arbeit 1917, daß in der Literatur
ungefähr 35 Fälle sicher intrafötal erworbener Bildungsfehler des
Kleinhirnes vorliegen. Seither hat sich die Zahl der publizierten Fälle
beträchtlich vermehrt.
Eine eingehende Beschreibung eines Falles von beiderseitigem
Kleinhirnmangel liegt von Anton und Zingerle (1) vor. Es handelt
sich um ein Mädchen, das im Alter von 6 1 /* Jahren infolge von
Erstickung gestorben ist. Das Kind hat erst in späteren Jahren
Worte und Sätze vernehmbar auBsprechen gelernt. „Nach Angabe,
der Mutter sprach es niemals so deutlich, so viel und so laut wie
die anderen Kinder“. Über das Hörvermögen enthält die Anamnese
keine Angaben. Aus dem Obduktionsbefund sei erwähnt, daß die
Thymusdrüse fast vollständig den Herzbeutel bedeckte (10 cm lang,
2 1 / 2 cm breit). Gesamtgewicht des Gehirnes mit Einschluß der zarten
Häute und des verlängerten Rückenmarkes 870 g. Die Flocken¬
windungen sind die einzigen erhaltenen Reste der Rindenoberfläche
der rechten Kleinhirnhemisphäre. Am Übergang in die Brücke tritt
ein kleiner Rest von Kleinhirnsubstanz auf, in Gestalt von 2 unschein¬
baren, teilweise verbildeten Windungen. Mikroskopisch bestand deren
*) I. Teil s. Mschr. f. Ohrenhlk. 1921, Supplementband. Festschrift H aj ek.
Monates ohrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Bhin. 66. Jahrg. 23
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332
G. Alexander.
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Rinde deutlich aus einer Molekular* und Körnerschichte, zwischen
denen noch wohlgebaute Purkinjesche Zellen liegen (S. 6). Der
IV. Ventrikel war von einem sklerotischen Gewebe umrahmt, das
einen degenerierten Rest der ursprünglichen Kleinhirnanlage darstellt.
Die Ventrikeldecke war durch einen gleichzeitig bestehenden hoch¬
gradigen Hydrozephalus stark gedehnt, in eine dünne Haut ausge¬
zogen und muß ursprünglich blasenartig vorgewölbt gewesen sein.
Die Blase ist später gerissen (S. 9). Wie in anderen Fällen (Brou wer,
Hitzig) waren im Falle von Anton und Zingerle die beiden
hinteren Schädelgruben enorm verengt und abgeflacht. Im Zentral¬
nervensystem waren sonstige primäre Veränderungen nicht festzu¬
stellen, dagegen eine Fülle von sekundären Veränderungen im Sinne
regressiver Rückbildung infolge der intraembryonalen Zerstörung der
beiden Kleinhirnhälften. Mäßigere regressive Veränderungen zeigen:
1. Die Clarkeschen Säulen,
2. die roten Kerne,
3. die Nuclei laterales der Sub. reticularis,
4. die Vestibulariskerne.
Vollkommen fehlten:
1. Die grauen Kerne der Brücke und die Nuclei arciformes,
2. die von Bianchi beschriebenen ■ oberen Kerne des Corpus
restiforme.
Die unteren Oliven waren proportional dem Kleinhirndefekt
entartet.
Dabei läßt sich ein Unterschied in der Degeneration der grauen
Kerne, d. h. der direkten Kleinhirnanteile feststellen, je nachdem
es sich um embryonale oder postembryonale Kleinhirnläsionen handelt.
In bezug auf die sekundäre Faserdegeneration erhoben Anton
Zingerle folgende Befunde:
1. Degeneration der vorderen Kleinhirnstiele, „die nur mehr
ein kleines Bindearmrudiment enthielten, das aus den kleinen
Resten des Nucleus dentatus und vielleicht auch aus dem
Nucleus angularis entsprang“ (S. 51),
2. vollkommene Degeneration der mittleren Hirn stiele,
3. vollkommene Degeneration der kortikopontinen Bahnen,
4. hochgradige Degeneration der hinteren Kleinhirnstiele, ent¬
sprechend dem weitgehenden Defekte der Kleinhirnkerne
und des Wurmes fehlt die Hauptmasse der Corpora restiformia,
5. Fehlen eines größeren Teiles der Hellwegschen Dreikanten¬
bahn,
6. Ausfall der Tractus spino-cerebellares-ventrales,
7. Ausfall der Bodenstriae.
Aus der partiellen Degeneration der ventralen Akustikuskerne
lassen sich keine bestimmten Schlüsse auf das Verhältnis derselben
zum Zerebellum ziehen.
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
333
Durch den hochgradigen Ausfall der Fasersysteme und der
grauen Masse erscheint auch die grobe Architektonik des Hirn*
Stammes verändert.
Bezüglich des Nervus octavus ergibt sich folgendes:
Der Ramus cochlearis ist erhalten, desgleichen seine Kerne. Die
Veränderungen beschränken sich auf eine Atrophie des Tuberculum
acusticum und den Mangel der Striae acusticae.
Im Bereich des Vestibularis besteht eine ausgesprochene Ver¬
änderung im kaudalen (kleinzelligen) Anteile des Deitersschen Kernes
und vielleicht auch im ventralen Anteile oberhalb der spinalen
Trigeminuswurzel. Der Bechterewsche Kern ist erhalten, desgleichen
der Deiterssche Kern.
In Rudimenten nachweisbar sind der Nucleus dentatus und
vielleicht auch der Nucleus tecti (S. 34). Die hinteren Längsbündel
sind vollständig erhalten, desgleichen das deiterospinale Bündel.
„Trotz des Kleinhirndefektes sind also die Vestibularkerne —
abgesehen von einer geringen Schädigung des Nucleus triangularis
und des hinteren lateralen Anteiles der Deitersschen Kerne —
mit ihren außerzerebellaren Verbindungen erhalten geblieben“. (S. 37.)
„Das Erhaltensein und die geringe Schädigung der Deitersschen
und Bechterewschen Kerne ist ein neuer Beweis dafür, daß diese
Kerne ausgedehnte außerzerebellare Verbindungen haben müssen“
(S. 34).
Im Zentralnervensystem des Falles fand sich noch eine Reihe
von Veränderungen im Sinne der Vergrößerung einzelner Teile des
Zentralnervensystems, die als kompensatorische partielle Hyperplasien
gedeutet werden müssen.
Brouwer (4) teilt zwei Fälle von Kleinhirnatrophie mit.
Fall I betrifft einen 77 Jahre alten Imbezillen. Intra vitam bot derselbe keine
Kleinhirnstörungcn, über das Hörvermögen wird nichts ausgesagt. Der mittlere
. Teil des Kleinhirnes ist atrophisch, die Brücke normal groß. Die hauptsächlichste
histologische Veränderung betraf die Kleinhirnrinde. Die Purkinje sehen Zellen
fehlten gänzlich oder waren erheblich degeneriert. Die Läppchen, die in der
Tiefe des Kleinhirnes liegen, erwiesen sich weniger geschädigt als die oberflächlichen.
Beide Flocculi atrophisch. Der orale Teil der Tonsille (Lobus paramedianus B o 1 k)
wenig verändert. Nirgends deutliche Entzündungserscheinungen. Die Markmasse
des Kleinhirnes blasser als in den Kontrollserien. Das Vließ des Nucleus dentatus
kleiner als normal. Ähnliche Zell Veränderungen im Nucleus emboliformis und Nucleus
globosus. Zellen des Nucleus tecti kleiner und dichter gelagert als normal. Markkern
des Kleinhirnes etwas verkleinert und blasser gefärbt. Halsmark unverändert. Fibrae
arcuatae externae nicht verkleinert. Untere Oliven unverändert. Gebiet der Oktavus¬
kerne normal. Pons ohne Veränderungen. Keine erheblichen Veränderungen an den
Blutgefäßen.
Fall II betrifft eine im Alter von 75 Jahren verstorbene Frau, die an einer
manisch-depressiven Psychose und in den letzten Lebensjahren an Erscheinungen
von Demenz gelitten hat. Intra vitam keine zerebellaren Krankheitserscheinungen.
Es fand sich eine erhebliche Atrophie des Kleinhirnes, Hydrozephalus externus.
Die Basalarterien waren sehr sklerotisch. Windungen des Großhirnes gleichmäßig
23*
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334
G. Alexander»
atrophiert. Das Gehirn wog 920 g. Wurm und Flocculi normal. Rechte Kleinhirn
hemisphäre höhergradig verändert als die linke. Die Purkinje sehen Zellen
fehlten. Zona granulosa und moleculari 0 sehr verschmälert. Es bestand Gliawucherung.
In der atrophischen Rinde keine deutlichen Entzündungserscheinungen. Die Pia-
falten sind normal. In der rechten Kleinhirnhemisphäre ist das Gebiet der Atrophie
gegen das nicht atrophierte Areale scharf begrenzt. Auch die Begrenzung der Atrophie
gegen den Flocculus ist eine ungemein scharfe. Im Gebiete der Formatio vermicularis
B o 1 k ist keine Veränderung nachweisbar. Die Atrophie erstreckt sich dagegen auf
die lateralen Teile des rechten Lobus Simplex und des rechten Lobus anterior B o 1 k.
Die linke Kleinhirnhemisphäre ist weniger geschädigt. Von den Kleinhirnkernen ist
der Nucleus dentatus verändert (rechts mehr als links), die Nuclei tecti und die
Nuclei globosi sind normal. Der Markkern des Kleinhirnes ist beiderseits kleiner als
normal, rechts mehr als links Und heller gefärbt.
Außerdem fand sich Aufhellung der Fasersysteme der Hinterstränge (S. 10).
Dagegen sind die Zellen der G o 11 sehen und Burdach sehen Kerne, der Schleifen
und der Pyramidenkreuzung normal. Hochgradige Veränderung der linken Haupt¬
olive, deren kaudaler Teil keine Zellen mehr hat. Die beiden Nebenoliven sind
normal. Die rechte Hauptolive ist nur wenig verändert. Die Fasern von der
linken Olive zum rechten Corpus restiforme sind verschwunden. Erhalten geblieben
sind nur Fasern, die aus dem Olivenareal der linken Seite kommend, nach dem
rechten Corpus restiforme verlaufen.
Die Fibrae arcuatae externae ventrales beiderseits schwächer als normal.
Beide Nuclei arciformes verkleinert und zellarm. Rechtes Corpus restiforme ver¬
kleinert. Sämtliche Himnervenkerne normal. Linkes Bracchium conjunctivum
ohne deutliche Veränderungen. Das rechte kürzer und breiter als das linke. In der
Wernecking sehen Kommissur keine Asymmetrie. Brückenarme verkleinert,
rechts mehr als links. Die linke Brückenhälfte ist kleiner als die rechte unter gleich¬
zeitig vorhandenen pathologischen Zellveränderungen. Die beiden roten Kerne sind
normal.
Die Arbeit von Vogt und Astwazaturow (28) bringt
neben einer eingehenden Besprechung der einschlägigen Literatur
den Bericht von fünf selbst beobachteten Fällen von Kleinhirnatrophie.
Fall I betrifft die 43 Jahre alte, „idiotische“ Juliana H. Sie verstand die
Sprache nicht und sprach auch selber nur einige Worte lallend. Das Gehör war normal.
Sie konnte selbständig weder gehen noch stehen. Bei der Sektion zeigte sich: Eine
Makrogyrie des Großhirnes und eine hochgradige Hypoplasie des Kleinhirnes. Gesamt¬
gewicht des Gehirnes 945 g. Vom Kleinhirn sind lediglich die Partie des Wurmes und
des mittleren Teiles erhalten. Die histologische Untersuchung ergibt (S. 29): Fast
vollkommenes Fehlen der Rinde, nur Teile der Wurmrinde sind erhalten und Spuren
derselben an den Hemisphären. Heterotopien der grauen Substanz. Atrophie der
erhaltenen' Rindenpartien. Verkleinerung und sonstige Veränderungen der
P u r k i n j e sehen Zellen. Zentrale Kerne normal, desgleichen Oblongata, Rücken¬
mark und Olive, Brückenhaube und rote Kerne. Fehlen der Strata und Nuclei pontis
und der Fibrae semicirculares externae.
Fall II betrifft einen 14jährigen, geistig wenig entwickelten Knaben. Er hat-
anscheinend gut gehört, hatte spontanen Nystagmus. Die Sprache war schlecht,
skandierend und wechselnd in ihrem Verhalten. Der Gang war breitbeinig, ataktisch,
taumelnd, außerdem bestand Schwindel. Der Tod erfolgte an Lungentuberkulose.
Bei der Sektion ergab sich ein Hirngewicht von 1025 g. Das Kleinhirn war sehr ver¬
kleinert (Durchmesser: frontaler 8, sagittaler 7 8 /4> größte Höhe 3 cm). Die mikro¬
skopische Untersuchung ergab Atrophie der Rinde. Körnerschicht von der Molekular¬
schicht kaum zu unterscheiden, Purkinje sehe Zellen an einzelnen Stellen merk¬
lich vermindert, im allgemeinen in normaler Zahl, an manchen Stellen vermehrt.
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
335
Die Purkinje sehen Zellen sind sehr unregelmäßig gelagert, die meisten sind
nicht birnförmig, sondern drei- bis viereckig konturiert und zeigen verschiedene
Stadien der Degeneration. Die Kleinhirnkerne sind normal. Brücke, roter Kern,
Medulla, Olive normal. Diffuse Degeneration der zentralen weißen Substanz des
Kleinhirnes. Degeneration der Kerne von X und XII.
Fall III betrifft einen 11jährigen Knaben. Im Alter von 3 Jahren ist zunehmende
Zittorbewegung des Kopfes aufgetreten. Im Alter von 7 bis 8 Jahren wurde der
Gang immer breitbeiniger und unsicherer. Hochgradiges Schwanken beim Stehen.
Später wurde die Ataxie so bedeutend, daß freies Stehen nicht möglich w r ar und
das Gehen nur bei doppelseitiger Unterstützung. Fehlen der P. S. R., Ba b i ns k i
positiv. Auch die oberen Extremitäten wurden hochgradig ataktisch. Ein Jahr vor
dem Tod bestand bereits hochgradiges Schwanken des Kopfes, das gegen Ende des
Lebens bis zu einem unerträglichen Grad zunahm. Das Gehör war normal. Es bestand
starker horizontaler Nystagmus und links geringer Strabismus divergens. Sprache
skandierend, stoßend, kaum verständlich, wie das übrige psychische Verhalten einer
mittleren Imbezillität entsprechend. Tod an Pneumonie. Die Sektion ergab Hydro-
cephalus externus, ein Hirngewicht von 1073 g. Das Kleinhirn beiderseits verkleinert.
Durchmesser: frontal 9, sagittal 6-5, größte Höhe 3*5 cm. Mikroskopisch ergab sich
Atrophie der Kleinhirnrinde mit starker Verschmälerung der Molekularschicht und
Rarefikation der Körnerschicht, Deformation der P u r k i n j e sehen Zellen, daut-
liches Hervortreten der äußeren Körnerschichte. Gliöse Herde in der weißen Substanz
der Läppchen. Diffuse Degeneration des zentralen Marklagers des Klinhirnes. Kerne
normal. Anhäufung grauer Substanz im Corpus restiforme. Degeneration der Hinter¬
stränge und des Tractus spinocerebellaris im Rückenmark. Die Rückenmarks¬
veränderungen sind denjenigen der Friedreich sehen Ataxie vollkommen analog
Fall HI ist dem Fall n in vieler Beziehung so auch in bezug auf die intrauterine
Entstehung ähnlich.
Fall IV betrifft einen 29jährigen, geistig zurückgebliebenen Mann. Seit dem
fünften Lebensjahr epileptische Anfälle. Seit dem achten Störungen des Stehens
und Gehens, Strabismus convergens. Schwankende und zitternde Bewegungen des
Kopfes, fällt oft nach hinten über. Sprache unvollständig. Hörvermögen nicht ver¬
ändert. Tod an Lungentuberkulose. Hirngewicht 1070 g. Kleinhirn auf etwa ein
Drittel der Norm verkleinert. Die Verkleinerung betrifft beide Hemisphären und den
mittleren Teil in gleicher Weise. Mikroskopisch sind die proximalen Partien der
Läppchen hochgradig verändert, die peripheren vollkommen normal. In den Tiefen
der Läppchen keine Purkinje sehen Zellen, während diese Zellen in den peri-
phersten Lamellen in Zahl und Gestalt normal sind. Leichte Degeneration der zen¬
tralen Kleinhirnkerne und der betreffenden Fasersysteme. Degeneration der Olive
und der Olivenfasersysteme. Verschmälerung der Corpora restiformia, in der Brücken¬
haube Rarefikation der Markfasern in den Bindearmen. Vogt und Astwaza-
t ur o w nehmen für diesen Fall eine primäre Erkrankung der Kleinhirnrinde an.
Das Rückenmark konnte nicht untersucht werden. Der Zustand der Medulla oblongata
ließ aber Veränderungen im Rückenmark erwarten.
Fall V betrifft einen 46jährigen, von Jugend auf geistig zurückgebliebenen
Mann. In der letzten Zeit des Schulbesuches Verschlechterung der Sprache, erst im
dritten Lebensjahrzehnt Verschlechterung des Gehens. Gehör normal. Gang stampfend.
Statische Ataxie. Ataxie sämtlicher Extremitäten, rechts stärker als links. Sprache
lallend, stoßweise. Beim Stehen Neigung nach hinten umzufallen. Nach der Unter¬
suchung wird der Mann als leicht schwachsinnig bezeichnet. Vom anatomischen
Befund wird nur erwähnt: Im allgemeinen sind die peripheren Lamellen stärker
verändert als die basalen. Purkinje sehen Zellen teilweise fehlend. Reichliche
Corpora amylacea. Veränderungen der Pia und der Blutgefäße. (Der Fall ist nicht
vollständig untersucht.)
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336
G. Alexander.
An den vier Fällen seiner eigenen Beobachtung sucht Mar¬
burg (17) die Bedeutung der einzelnen ursächlichen Momente zu er¬
mitteln (8. u.). Auf die Frage, wie das embryonale Gehirn seine
Defektbildungen auszugleichen sich bemüht^ wünscht er nicht ein¬
zugehen.
In Pall I, in welchem normale Großhirnrinde und die Projektionssysteme fast
völlig fehlten, zeigte das Kleinhirn makroskopisch embryonale, dem V. bis VI.
Fötalmonat entsprechende Formen. Mikroskopisch erwies sich der Lobus anterior sehr
wenig geschädigt, der Lobus medianus (Vermis) nur an dem Abschnitt c t partiell
(Declive), der Lobulus simplex aber sowie das Crus primum vom Ansiformis (Lunatus
posterior, beide Semilunares), wie auch der Flocculus schwerst mikrogyr entartet.
Das Crus secundum lobi ansiformis und die Amygdala sind links relativ gut ent¬
wickelt und rechts weniger schwer als die anderen geschädigten Teile verändert. Die
inneren Kleinhirnkerne waren intakt, desgleichen die Olive und der Bindeann. Die
Brücke ist atrophisch, läßt aber Querfaserung und Brückenkerne in beträcht¬
lichem Maße erkennen. In der Medulla zwei seitliche Herde, die Gefäßwände verdickt,
in einzelnen Ästchen organisierte Thromben.
Fall II. Der Wurm war im ganzen stark reduziert. Der linke Seitenlappen
fehlte nahezu gänzlich, die ventralen Läppchenabschnitte sind, soweit sie vorhanden,
auf beiden Seiten geschädigt, desgleichen die Flocke. Einige Läppchen des rechten
Seitenlappens, besonders der oberen Hemisphärenpartie sind verhältnismäßig intakt.
Die Kleinhimkerne sind vorhanden. Der Dentatus ist rechts mehr geschädigt als
links, hauptsächlich in seinem ventralen Abschnitte. Beide Hauptoliven sind
atrophisch (rechts mehr als links), es sind nur die dorsomedialen Partien erhalten. Die
medio ventrale Nebenolive verhält sich zum Teil gleich der Hauptolive. Die dorsale
Nebenolive ist intakt. Die retrotrigeminalen Fasern sind auf der Seite der besser
entwickelten Hemisphäre, d. h. rechts vorhanden. Das Corpus restiforme zeigt relative
Intaktheit. Die Bindearme sind beiderseits stark atrophisch. Die Brücke läßt nur
in den vordersten Teilen Fasern erkennen, die dem Stratum profundum eher als dem
Stratum superficiale anzugehören scheinen. Brückenkerne sind in den oralen Brücken¬
partien vorhanden, fehlen in der Mitte teilweise, um kaudal wieder zu erscheinen.
Im Pedunculus erweist sich das temporo-pontine Gebiet besser entwickelt als das
frontopontine Gebiet, das fast keine Fasern erkennen laßt.
Fall III. Obwohl das Großhirn ebenso geschädigt gewesen ist wie in den Fällen I
und II, war die Brücke völlig normal; „vielleicht ein wenig asymmetrisch, indem die
eine Hemisphäre um eine Spur größer ist als die andere. Die Differenz gleicht sich
aber bald aus.“ Die Pyramiden fehlten, das Kleinhirn war bis auf vereinzelte beider¬
seitige, jedoch nicht ganz symmetrische Mikrogyrien normal. Die Kleinhirnkerne
des Bindearmsystems, Corpus restiforme und Oliven waren normal.
Fall IV. Gehirn eines 52jährigen Mannes mit Hydrocephalus unter ziemlicher
Erweiterung der Ventrikel, jedoch ohne wesentliche Schädigung der Zell- und
Faserentwicklung des Gehirnes, die linke Seite ist um Weniges höhergradig affiziert
als die rechte. Das linke Kleinhirn erwies sich normal, desgleichen der Wurm bis
zum Anfangsteil der Declive beiderseits. Rechts zeigt sich nur ein einziger, von einer
ziemlich großen Zyste bedeckter Kleinhirnabschnitt, der in den kaudalen Partien
stellenweise eine glatte Oberfläche aufwies. Rechterseits war der Seitenlappen
vorhanden, nur im ganzen etwas kleiner und die Läppchen nicht so hoch als
links. Im übrigen war das rechte Kleinhirn in seiner Gänze reduziert.
Es handelte sich um eine Mikrogyrie vorwiegend in der Pars posterior Bolks,
im Lobus paramedianus (der Amygdala) und \n den angrenzenden Läppchen dieser
Gebiete. Auffallend ist die gute Entwicklung sämtlicher Kleinhirnkerne. Lediglich der
Gesamtumfang der Kerne ist rechts kleiner als links. Außerdem bestand ein Hydro-
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
337
cephalus des IV. Ventrikels. Wie erwähnt, trafen sich die hcohgradigen Veränderungen
kaudal vom Flocculus.
Brun (6) teilt das Ergebnis von 15 von ihm untersuchten
Fallen mit.
Fall L IO 3 /. Monate altes Kind. Schon seit dem 2. Lebensmonat war der
Kopf ungewöhnlich klein, ,,auch der Kopf und die Augen waren fast unausge¬
setzt in Bewegung“. Der Tod eifolgte an akuter Verdauungsstörung. Der Befund
war: Flocke und Wurm morphologisch normal, der letztere lediglich in toto ver¬
kleinert, das übrige Kleinhirn hochgradig verkleinert. Imcl- oder perlschnurförmige
Segmentierung der Nuclei dentati, Auftreten eines Kernkonglomerates mit auffallend
großen Zellen und reicher Markentwicklung mediofrontal vom Nucleus dentatus.
Fehlen der medialen Dachkernabschnitte, der fontänenartigen, interfastigiären
Faserkreuzung und der basalen Schicht der großen Wurmkommissur. In diesem
Fall fanden sich auch im Rückenmark, verlängerten Mark, in der Brücke, im Mittel¬
hirn, Zwischenhirn und im Großhirngebiet des oberen Kleinhirnstieles patho¬
logisch© Veränderungen. Brun selbst bezeichnet den Fall als Aplasie des Klein¬
hirnes.
Fall II. Hypoplasie an einem im Alter von l 1 /« Jahren verstorbenen
Knaben, mit schweren motorischen St Ölungen und mit Unvei mögen zu sitzen. Der
Tod erfolgte unter gehäuften epileptiformen Anfällen. Anatomisch ergab sich in
diesem Fall eine hochgradige symmetrische Hypoplasie der Seitenlappen mit primi¬
tiver Furchen- und Läppchenbildung, jedoch normaler Rindentektonik und ziemlich
normaler histologischer Struktur (leichte allgemeine Hypoplasie der Elemente,
zumal der Pu r k i n j e sehen Zellen). Fehlen irgendwelcher pathologischer Ver¬
änderungen. Vollständig normale Entwicklung des Wurmes und der Flocken. Enorme
Volumreduktion des lateralen Markes. Inselförmige Segmentierung der Nuclei dentati
mit Entwicklungshemmung der lateralen Abschnitte auf früher Fötalstufe, wie im
Fall I. Abnorme Entwicklung eines mächtigen dorsofrontalen Kernkonglomerates.
Hochgradige Hypoplasie der medialen Dachkernabschnitte. Fehlen der interfastigiären
Kreuzung, starke Hypoplasie der dorsalen Wurmkommissur.
Im Bereich der Kleinhirnanteile fanden sich zahlreiche Veränderungen, so
eine starke Reduktion der unteren Hauptoliven und Fehlen der Bodenstriae. Hoch¬
gradige Reduktion der Brückenarme, Hypoplasie eines Teiles des Brückengraus und
eine mäßige Volumenreduktion des roten Kernes. Starke Reduktion des Bindearmes.
Fall VI, 2 Monate alter Knabe mit Spina bifida. Hier fand sich eine par¬
tielle symmetrische Dysgenesie der ventrokaudalen Kleinhirnlappcn (Lobus poste¬
rior Bolk), und zwar vornehmlich der lateralen Abschnitte (Lobus lateralis
posterior), weniger des Unterwurmes und der Flocken, die verhältnismäßig gering¬
fügige Veränderungen aufweisen. An demselben Fall fand sich auch eine bis
auf das Mark einschneidende mediane Spalte im Oberwurm („mediodorsale
Wurmspalte“). Einen ganz ähnlichen Befund bietet der gleichfalls ein (3 Monate
altes) Kind mit Spina bifida betreffende Fall VII.
Fall X, lö^ Jahre alten Knaben mit schwerer Idiotie, Athyreoidis-
mus und Entwicklungshemmung im gesamten Zentralnervensystem. Das Kleinhirn
war sehr stark hypoplastisch, namentlich das Neocerebellum, mit histogenetischer
Entwicklungshemmung der Rinde (Persistenz der peripheren Körnerschicht, Fehlen
der Purki nj eschen Zellen) und der Kerne auf der Stufe eines achtmonatigen Fötus.
Schwere frühembryonale Entwicklungshemmung der hinteren Abschnitte des Lobus
posterior mit sekundären vaskulären und entzündlichen Veränderungen. Heterotopien
.m zentralen Mark des Ober- und Unterwurmes.
1
Im Fall XII (2 ^jähriges idiotisches Kind mit allgemeiner Hypoplasie des
Zerebellum) fand sich eine embryonale Segmentierung der laterobasalen und kau¬
dalen Abschnitte der Nuclei dentati.
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338
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Pall XIII, (2 ^jähriges mikrozephales Kind mit Balkenmangel und Hypoplasie
des Kleinhirnes), zeigte eine embryonale Segmentierung der laterokaudalen Ab¬
schnitte der Nuclei dentati. ti&s*
Die Ätiologie anlangend fahren Anton und Zingerle, die
in ihrem Falle gefundenen Veränderungen auf eine intraembryonal
abgelaufene Entzündung zurück. Sie stützen sich dabei auf den Befand
der narbigen Sklerose. Diese Entzündung muß in einem sehr frühen
Embryonalstadium nicht bloß aufgetreten sein, sondern anch ihren
gesamten Ablauf gefunden haben, so daß zur Zeit der Anlage des
knöchernen Schädels die Agenesie, bzw. Hypoplasie des Kleinhirnes
bereits bestanden und die nun sich entwickelnde Schädelkapsel
dementsprechend eine Verkleinerung im Sinne der Abflachung der
beiden Schädelgruben erfahren hat.
Der Defekt war hier ursprünglich auf das Neozerebellum
beschränkt. Anton und Zingerle verlegen aus diesem Grande
das Einsetzen der Entwicklungsstörung in den dritten Embryonal¬
monat, zu welchem Zeitpunkte die Anlage deB Paleozerebellum bereits
vorhanden ist. Doch erkrankte das Paleozerebellum später, wodurch
sein Gewebe, ausgenommen die beiden Flocken, schwer destruierte.
Nach dem Ergebnis dieser Erkrankung, das heißt, der narbigen
Sklerose, ist sie auf eine Entzündung mit Veränderungen der regionären
Blutgefäße zurückzuführen. Anton und Zingerle betrachten alle
Fälle der Literatur vom theoretischen Standpunkt aus, daß beim
Zustandekommen der kongenitalen Veränderungen die Abgrenzung
des Palaeo gegen das Neozerebellum eine bedeutende Rolle spielt.
Von den primären Veränderungen im Zentralnervensystem
abgesehen, finden sich dann noch eine Reihe von sekundären
als Folgeerscheinungen der aus der primären Läsion folgenden
embryonalen und postembryonalen regressiven Veränderungen.
In den Veränderungen der Blutgefäße sehen Anton und
Zingerle eine Teilerscheinung bzw. eventuell eine Folge des
Ablaufes der Entzündung. Mit den regressiven sekundären Ver¬
änderungen sind nach A. und Z. eine Reihe von kompensatorischen
Hyperplasien des Zentralnervensystems in eine Linie zu stellen, die
auch als sekundär und postembryonal entstanden aufzufassen sind.
Vogt und A s t w a z a t u r o w (24) stehen gleichfalls auf dem Boden
der E din ger sehen Anschauung. Sie sehen in ihrem Fall I eine
ziemlich reine neozerebellare Erkrankung.
In der Deutung seiner beiden Fälle fnßt Brouwer auf der
Edingersehen Einteilung des Kleinhirnes in Palaeo- und Neozere¬
bellum, wonach der erste Fall in diesen beiden Teilen, der zweite
im neozerebellaren Anteil geschädigt erscheint. Um mit dieser Auf¬
fassung in seinem zweiten Fall anch die im Nncleus dentatus
gefundenen Veränderungen erklären zu können, nimmt er als
erwiesen an, daß der Nucleus dentatus aus einem phylogenetisch
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
339
jungen und einem phylogenetisch alten Teil besteh. Die Hauptolive
steht mit ihrem frontalen Pol and dem medialen Teil ihrer oralen
Abschnitte in Verbindung mit dem phylogenetisch alten Teil
des Kleinhirnes.
Unter eingehender Diskussion aller bisher geäußerten An*
Behauungen nimmt Marburg (17) zur Frage der Ätiologie Stellung
wobei er, um der Diskussion eine breite Grundlage zu schaffen, die
nichts präjudizierende Nomenklatur Kleinhirnatrophie wählt. Er
gelangt dazu, ftlr die kongenitalen Kleinhirnveränderungen das
korrelative Moment abzulehnen, desgleichen auch die Wirkung von
endogenen Faktoren. Auch die Annahme einer primär degenerativen
Erkrankung des Parenchyms des Kleinhirnes im Sinne der Atrophie
ponto-olivo-zerebelleuse D6jerines lehnt er ab. Desgleichen auch
die Annahme, in den congenitalen Kleinhirnveränderungen eine
phylogenetische Systemerkrankung zu erblicken, für welche die
Edingersche Gruppierung des Kleinhirnes in Neo- und Paleo-
zerebellum die Grundlage der Überlegungen abgibt. Marburg weist
nach, daß ontogenetisch für den Menschen an dem strikten Gegensatz
zwischen palaeo- und neozerebellarem Teil nicht festgehalten werden
kann, auf Grund einer kritischen Sichtung der in der Literatur
niedergelegten Tatsachen und mitgeteilten Fällen kommt Marburg
zum Schluß, daß der Beweis ftlr das Bestehen einer isolierten neo-
oder palaeozerebellaren Erkrankung bisher nicht erbracht worden ist
und sich lediglich ergeben hat, daß bei den verschiedenartigsten
Kleinhirnprozessen der Wurm und die zentralen Kerne gemeinhin
am wenigsten geschädigt sind (S. 224).
Mit gebührender Schärfe hebt Marburg hervor, daß bei der
Annahme, daß genetische Störungen eine Bolle spielen oder eine System*
erkrankung vorliege, immer noch erst der ursprünglich wirkende
ätiologische Faktor aufgedeckt werden müßte. Marburg hebt an
der Gand der Befunde der von ihm selbst untersuchten 4 Fälle
die genetischen und korrelativen Faktoren sowie die auffind¬
baren Umstände, die zu einer parenchymatösen oder phylogenetischen
Systemerkrankung Anlaß geben können, hervor. In der Tatsache, daß
einzelne Teile des Organes in verschiedenem Grade geschädigt
erscheinen, sieht er einen Beweis, daß neben endogenen auch
exogene Faktoren eine Bolle spielen. Es handelt sich
somit in diesen kongenitalen Kleinhirnerkrankungen
um Dysgenesien im weitesten Sinne. Für seine Fälle vermag
Marburg Anhaltspunkte, die die Annahme einer Systemerkrankung
oder gar einer phyologenetischen Systemerkrankung rechtfertigen,
nicht aufzufinden. Er findet die primäre Ursache der Dysgenesie in
einer Unterentwicklung des regionären Blutgefäßgebietes. Hauptsächlich
und am häufigsten erkrankt findet Marburg die Arteria cerebelli
inferior anterior. Eine besondere Stütze für seine Anschauung findet
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340
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Marburg in der Koinzidenz von Hirnatrophie und Nebennieren¬
schädigung. Neben diesem vaskulären Faktor, der nach Marburg
für das Zustandekommen der Kleinhirnschädigung das Hauptmoment
abgibt, spielen die korrelativen Faktoren höchstens eine ganz unter¬
geordnete Rolle (S. 253). Es kommt dabei auch ein innerer kor¬
relativer Faktor in Betracht, wonach die intraembryonale Entwicklung
des Kleinhirnabschnittes weiterhin zur Störung der Entwicklung
anderer Teile derselben Hemisphäre führt.
Brun (6) unterscheidet Defektbildung, Unterentwicklung und
Dysgenesie (M a r b u r g). In der Gruppe der Hypoplasie unterscheidet
Brun fünf verschiedene Formen:
a) Die Gruppe der reinen Fälle, in welchen das Kleinhirn
morphologisch auf einem embryonalen Typus stehen geblieben ist.
b) Eine recht fragliche Gruppe von hochgradiger Verkleinerung
des Kleinhirns bei normalem histologischen Verhalten (betrifft
durchaus Fälle der älteren Literatur, deren histologische Unter¬
suchungsergebnisse der derzeitigen Kritik nicht standhalten).
c) Totale Atrophien und Sklerosen.
d) Nicht gekreuzte Hemiatrophien.
e) Einfache HemmungBbildungen.
Brun iBt geneigt, in den menschlichen Befunden eine Stütze
der Eding er sehen Einteilung in Falaeo- und Neozerebellum zu
erblicken.
Die beiden von ihm selbst untersuchten Fälle faßt Brun als
frühfötale endogene Hemmungsbildungen auf, wobei er an eine
toxische Keimschädigung denkt. Seine Ansicht ist dabei durch den
morphologischen Befund gestützt, daß die Mißbildung nicht auf das
Kleinhirn beschränkt geblieben ist, sondern daß auch andere Teile
des Zentralnervensystems und andere Körperorgane Zeichen einer
Entwicklungshemmung aufweisen (S. 66). Bei der toxischen Keim¬
schädigung selbst denkt er für seinen Fall I an eine durch Al¬
koholismus des Vaters bedingte „blastophtorische Vergiftung“ der
männlichen Keimzelle. Es muß jedoch erwähnt werden, daß ledig¬
lich in der Anamnese von Bruns Fall I bemerkt wird: „Der
Vater war Portier (Alkoholismus?).“ Aus dieser Fassung geht her¬
vor, daß Brun selbst den Alkoholismus des Vaters keineswegs für
erwiesen hält. 2 ) Nicht unwichtig für die Beurteilung unseres Falles
ist Bruns Fall IX. Brun nimmt für diesen eine frühembryo¬
nale Entwicklungshemmung an mit sekundären vaskulären und ent¬
zündlichen Veränderungen. In diesem Fall fanden sich außerdem
im zentralen Mark des Ober- und Unterwurms Heterotopien.
In einigen der übrigen von Brun untersuchten Fälle wird der
Autor besonders durch das multiple Auftreten von Mißbildungen
*) Dagegen ist eine Reihe von postfötal durch Alkoholismus verursachten Klein¬
hirnatrophien bekannt (M i n g a z z i n i).
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
341
auch außerhalb des Kleinhirns veranlaßt, die Ursache fttr die Klein-
hirnmißbildung in einer toxischen Keimschädigung zn snchen. In
einer Anzahl seiner Fälle hat Brun auch schwere vaskuläre und
entzündliche Veränderungen im Gebiete der mißbildeten Kleinhirn¬
abschnitte feststellen können. Er verweist jedoch darauf, daß der¬
artige Veränderungen sich fast gesetzmäßig bei allen schweren
Bildungsfehlern im Zentralnervensystem finden, sogar bei solchen,
bei welchen das Einsetzen der ersten Veränderungen in eine Zeit
fällt, zu weichet Blutgefäße noch nicht entwickelt sind. Brun be¬
tont, daß außerdem die vaskulären und sekundären pathologischen
Veränderungen in einzelnen seiner Fälle Bich durchaus nicht immer
nur auf die mißbildeten Gebiete des Lobus posterior beschränkten.
*. *
*
Aus der Zusammenstellung der Literatur folgt, daß in einer
großen Anzahl von Fällen von Kleinhirnhypoplasie sich auch Ver¬
änderungen im Oktavusgebiete finden, und zwar häufiger und stärker
im Bereiche des Labyrinth- als des Sohneckennerven. Dadurch
werden zum Teil die hochgradigen Gleichgewichts- und TonuS-
defekte, die zeitweise oder in höhergradigen Fällen von Kleinhirn-
hypoplasie dauernd bestanden, erklärt. Über den Zustand des peri¬
pheren Gehörorgans ist in keinem einzigen Fall etwas Genaueres
ausgesagt, da in keinem einzigen der zur Autopsie gekommenen
Fälle das Gehörorgan anatomisch untersucht worden ist und auch
nirgend verläßliche klinische Daten bezüglich des Hörvermögens
vorliegen. Eb ist lediglich die häufige anamnestische Angabe von
Gleichgewichtsstörungen und Schwindel bemerkenswert.
Bezüglich der Daten, welche die einzelnen Fälle bieten, ist
folgendes zu sagen:
Im Falle von Anton und Zingerle finden sich die Vesti-
bularkerne — abgesehen von einer geringen Schädigung des
Nucleus triangularis und des hinteren lateralen Anteiles des
D e i t e r s’schen Kernes — sowie alle außerzerebellen Verbindungen
intakt. Beide Autoren erblicken in dieser Intaktheit, bei vollkom¬
mener Agenesie des Kleinhirns, einen Beweis dafür, daß sowohl
der D e it e r s’sehe als auch der Bechterew sehe Kern aus¬
gedehnte extrazerebellare Verbindungen haben müssen.
In den beiden Fällen von B r o u w e r bestanden keine Klein-
hirnstörungen. Über das Hörvermögen wird nichts auBgesagt. Das
Gebiet der Oktavuskerne war normal.
Im Fall I von Vogt und Astwazaturow war das Hör¬
vermögen normal. Die Kranke konnte selbständig weder gehen noch
stehen.
Fall II hat gut gehört, hatte spontanen Nystagmus, Gang¬
störungen und Schwindel.
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Original fro-m
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342
6. Alexander.
Im Fall III bestanden im Laufe der Zeit znnehmende Zitter¬
bewegungen des Kopfes und progrediente Gangstörungen, die schlie߬
lich jedes freie Stehen und Gehen unmöglich machten. Die Unter¬
suchung ergab stärkeren horizontalen Nystagmus und linksseitigen
geringen Strabismus divergens.
Im Fall IV sind epileptische Anfälle verzeichnet, und zwar seit
fröher Kindheit. Seit dem achten Lebensjahr Störungen beim Gehen
und Stehen, Schwindel und zitternde Bewegungen des Kopfes, Hör¬
vermögen nicht verändert, d. h. normal.
Im Falle V Verschlechterung deB Geh Vermögens seit dem
dritten Lebensjahr. Statische Ataxie. Gehör normal.
(In der größten Mehrzahl der Fälle ist auch von mehr oder
weniger hochgradigen Störungen der Sprache die Bede).
Im Falle I von Brun wird angegeben: „Auch der Kopf und
die Augen waren fast unausgesetzt in Bewegung.“
Im l^alle II Bruns bestanden schwere motorische Störungen
mit Unvermögen zu sitzen, außerdem epileptiforme Anfälle.
Es ergibt sich, daß in den Fällen von Kleinhirnhypoplasie bzw.
Atrophie die statischen Störungen gewöhnlich nicht auf Veränderungen
im Kerngebiet des Labyrinthnerven zurückzufilhren sind, da dieses
meist gefunden wird. Sie sind vielmehr der unmittelbare Ausdruck der
Verkleinerung der Kleinhirnhemisphären. Es wäre immerhin möglich,
daß in den Fällen eine Erkrankung des peripheren Labyrinths vor¬
liegt bei intaktem Kerngebiet, doch ist, wie erwähnt, kein einziger
Fall in bezug auf den Zustand des peripheren Gehörorgans ana¬
tomisch untersucht worden.
* *
*
Ich gehe nun zum Hirnbefunde des von mir untersuchten Falles
über:
Der Hirnstamm wurde in zwei Serien zerlegt. Die eine reicht
vom kaudalen Kleinhirnpol bis in die Gegend der Akustikuskerne
(Serie A, Schnitt 1 — 980), die andere von da bis zum vor¬
deren Rande der Brücke (Serie B, Schnitt 860 — 1). Gefärbt wurde
ungefähr jeder zehnte Schnitt, und zwar reihenweise nach Original-
Weigert, Weigert-Pal, mit Hämalaun-Eosin, nach van Gieson
und N i s s 1. Nach den gleichen Methoden und nach G o 1 g i sowie
mit der Silbermethode nach Bielschowski wurden auch Schnitte
aus dem Bereiche der H e s c h 1 sehen Windung behandelt.
Makroskopischer Befund.
Nach der makroskopischen Untersuchung ergibt sich, daß die
Schädigung rechterseits im Mark ventral vom Nucleus dentatus ein¬
gesetzt und daselbst zu abiotrophischen Veränderungen, später zu
Erweichung des Markes geführt hat, in weiterer Folge zu völligem
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
343
Markachwand und Sklerose in den befallenen Partien und zur
konsekutiven Schrumpfung der gesamten Kleinhirnhemisphäre. So¬
dann hat der Erkrankungsprozeß vom Mark auf die Rinde über-
gegriffen und wohl allmählich die ganze Rinde im Bereich des
medialen Teiles des Lobus biventer und des Flockenstiels zum
Schwund gebracht Da das Mark erfahrungsgemäß gegen vaskulär
verursachte Prozesse widerstandsfähiger ist als die graue Rinde, so
erscheint es erklärlich, daß die Rinde des erwähnten Teiles des
Lohns biventer vollkommen geschwunden ist, während die erkrankten
Partien des Markes in der Hemisphäre auch jetzt noch mikroskopisch
nachweisbar gehliehen sind. Der Erkrankungsprozeß hat sich 60 -
dann nicht nur vom Mark ventral auf die Rinde, sondern auch
dorsal auf den rechten Nucleus dentatus erstreckt und im kaudalen
Teil dieses Kernes das normale Faltenband zum Zerfall gebracht.
Links stimmt der Prozeß topographisch mit dem rechts ge¬
fundenen überein, ist jedoch nach jeder Richtung geringer ent¬
wickelt. So ist der linke Nucleus dentatus gänzlich intakt geblieben,
desgleichen die Rinde des Lobus biventer und deB Flockenstiels
(hierbei wird von der möglicherweise ursprünglich bestandenen,
durch die Hypoplasie bedingten beiderseitigen Verkleinerung ab¬
gesehen). Lediglich die ventralen Anteile des Markes zwischen
linkem Nucleus dentatus und Lobulus biventer sind in ihrem kau¬
dalen Anteil sklerosiert, in den mehr oral gelegenen Partien prägt
sich die Veränderung nur in einer Aufhellung im Weigert-
Schnitt aus.
Wir hätten somit hier eine erworbene Schrumpfung des Klein¬
hirns vor uns, als Ergebnis einer beiderseitigen vaskulär bedingten
Erweichung mit nachfolgender Sklerose. Allem Anschein nach ist
der Erkrankungsprozeß rechts älter als links. Der Defekt ging von
der Mitte der Kleinhirnbasis aus und hat nach beiden Seiten seine
Ausstrahlung gefunden.
Mikroskopischer Befund.
Bei der Beschreibung der einzelnen Querschnittsbilder wird
mit dem im kaudalen Pol des Kleinhirns begonnen.
A. Schnitt 270. (Hämalaun-Eosin.) Intrameningeale und intra¬
zerebrale Blutgefäße stark gefüllt. Geringes intrameningeales Ödem
und intrameningeale Blutungen. Nirgends Leukozytenauswanderung.
A. Schnitt 280. (W e i g e r t.) (Fig. 12.) Der Schnitt trifft noch
nicht die im gegenseitigen Zusammenhang getroffenen hinteren Pole
der Lobi laterales des Kleinhirns. Die linke Hemisphäre zeigt einen
horizontalen Durchmesser von 4 cm, einen vertikalen von 2 cm, die
rechte einen horizontalen und einen vertikalen Durchmesser von je
D/a cm ‘ Die Markstrahlen sind links beträchtlich breiter als rechts.
Eine Delle am dorsalen Pol der linken Kleinhirnhemispbäre ent-
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344
G. Alexander.
spricht einer umschriebenen Sklerose als Folge einer Erweichung.
(Fig. 12, o, 6.)
A. Schnitt 310. (W e i g e r t.) (Fig. 13.) Es bestehen annähernd
die Verhältnisse des Schnittes 280. An der Unterseite der linken
Kleinhirnhemisphäre läßt sich hier schon zeigen, daß kein Klein¬
hirnläppchen fehlt. Der Lobnlns semilnnaris inferior (L. s. i.), Lobulus
gracilis (L. g.), Lobnlns biventer (L. b.) nnd Amygdala (A) lassen
sich bereits dentlich abscheiden. Die Gliederung des Oberlappens
erscheint vollständig normal. Dorso-medial trägt die linke Kleinhirn¬
hemisphäre eine Delle ( b ) entsprechend einer umschriebenen sporn-
förmigen Sklerose. Weiters ist im Schnitte das kaudale Ende des
Wurmes getroffen. Auch in der rechten Kleinhirnhemisphäre ist die
Läppchengliederung nachweisbar, doch sind die einzelnen Läpp¬
chen wesentlich windungsärmer als links, wobei zu betonen, ist, daß
auch linkerseits die Arborisation eine sehr geringfügige ist. Der
Querschnitt der Medulla oblongata ist ohne Veränderungen.
A. Schnitt 460. (W e i g e r t.) Die linksseitige spomförmige
Sklerose zeigt sich hier deutlich begrenzt.
A. Schnitt 510. (Haemalaun-Eosin.) Umschriebener Defekt der
Kleinhirnrinde. Regionäre Blutgefäße pathologisch erweitert und stark
gefüllt. Rechterseits, auf .der Seite der stärkeren Schrumpfung, fehlen
medial und basal die Purkinje sehen Zellen und fast die ganze
Körnerschicht. In der Tiefe beobaohtet man geschrumpfte Blut¬
gefäße.
A. Schnitt 561. (W e i g e r t.) Während linkerseits der Mark¬
kern im Querschnitt schon entwickelt ist, fehlt er rechts noch voll¬
ständig.
A. Schnitt 590. (Weigert.) (Fig. 14.) Hier treten die Markkerne
schon deutlich her vor.Die Asymmetrie des Kleinhirnes betrifft hauptsäch¬
lich den Unterlappen, während im Oberlappen die Verschmächtigung der
Markstrahlen rechterseits ins Auge fällt. Den bedeutendsten Größen¬
unterschied zeigt der Markkern,' der links 3 cm : 1 cm und rechts
8 mm : 4 mm mißt. Der rechtsseitige Markkernrest entspricht dem
lateralsten Teil des Markkernes. Die übrigen Kerne des rechten
Markes fehlen in Form eines Defektes (a). Nur gegen die Mark¬
strahlen des Oberläppchens zieht sich ein schmaler Streifen er¬
haltenen Markes hin, der von dichter Glia umsäumt und von zahl¬
reichen dickwandigen, mit einem perivaskulären Gliasaum ver¬
sehenen Gefäßen durchsetzt ist. Ein ähnliches Verhalten zeigt der
linksseitige Markkern dorBomedial, knapp oberhalb der Amygdala.
Während links die Läppchen des Unterlappens vollständig vor¬
handen sind, zeigt sich rechts, daß die Amygdala fehlt. Die vor¬
handenen Läppchen sind zum Lobulus biventer zu rechnen. Die
Läppchen an der dorsalen Fläche der rechten Kleinhirnhemisphäre
sind vorhanden.
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Original frum
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
345
Die Veränderungen der linken Kleinhirnhemisphäre zeigen
sich an diesem Schnitte in einem Stadium, aus welchem unter der
Annahme weiterer Progredienz die rechtsseitig gefundenen Ver¬
änderungen abgeleitet werden können. Man kann hier im linken
Kleinhirn noch deutlich das Gebiet überblicken, das durch die Er¬
weichung mit nachheriger Sklerose rechtsseitig verloren gegangen
ist. Schon nach diesem Bilde kann man annehmen, daß der gleiche
Prozeß, der sieh in der linken Kleinhirnhemisphäre abgespielt hat,
rechterseits früher und stärker einsetzend, einen höhergradigen
Defekt in der rechten Kleinhirnhemisphäre verursacht hat. Zur Be¬
urteilung liefert auch der genaue Vergleich der Querschnitte A 590
und A 770 Anhaltspunkte.
Wurm und linke KleiohirnhemiBphäre hängen nicht zusammen.
Auch ist die schon erwähnte linksseitige Einziehung entsprechend
einer spornförmigen Sklerose zu sehen.
Die Medulla oblongata (Marburg- Atlas, 2. Aufl. ungf.
Querschnitt 1, Taf. V,' Fig. 17) zeigt keine Abweichung von der
Norm. Die Gefäße, die an zahlreichen Querschnitten in der Um¬
gebung zu sehen sind, weisen allenthalben dicke Wandungen auf,
zum Teile auch endarteriitische Auflagerungen.
A. Schnitt 620. (We i g e r t.) (Fig. 16.) Die sklerotische Region
der linken Kleinhemisphäre hat sich etwas vertieft. Sie zeigt die
Form eines spitz zulaufenden Spornes, der von der Mittellinie in das
Mark der linken Hemisphäre zieht (Fig. 15, a). Die Sklerose liegt hier
ventro-medial vom caudalen Ende des Nudeus dentatus. Der letztere
ist im Querschnitt getroffen (Fig. 15, Ne) und zeigt keine Abweichung
von der Norm. In der Region des kaudalwärts vorhanden gewesenen
Defektes tritt rechts eine dichte Sklerose auf (Fig. 15). Die rechte
Amygdala fehlt. Die übrigen Windungen der rechten Kleinhirn¬
unterseite sind vorhanden, jedoch stark reduziert. Wohl infolge des
rechtsseitigen Defektes erscheint im Querschnitt der baBO-mediale
Anteil der linken Hemisphäre über die Mittellinie hinaus nach rechts
verschoben (Fig. 15).
A. Schnitt 680. (W e i g e r t.) (Fig. 16). Die Asymmetrie beider
Kleinhirnhemisphären tritt stark zutage. Die rechte Hemisphäre ist
vom Wurm durch eine Furche vollständig getrennt, die als kaudale
Fortsetzung des Sulcus paramedianus angesehen werden muß (Fig. 16, s).
Der Markkern der rechten Seite hat etwas an Ausdehnung ge¬
wonnen. Die den Windungen des rechten Oberlappens zugekehrte
Partie wird faserreicher. In das markhaltige Gebiet sind wie kleine
Inseln Gefäße mit ziemlich dichter perivaskulärer Sklerose ein¬
gesprengt, so daß einzelne Partien wie getigert aussehen. Die rechts¬
seitige Sklerose (b) ist in Form eines breiten Streifens vorhanden,
entsprechend der basalen Sklerosierung. Vom Unterlappen sind
rechts nur der Lobulus semilunaris inf. und der Lobulus gracilis
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346
G. Alexander.
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vorhanden, vielleicht noch ein Markstrahl des Lobulns biventer. Das
darin eingesohlossene Kleinhirngebiet ist vollständig homogen and
macht den Eindruck von erfolgter Verlagerung, wie wenn ein großes
StQck molekularer Substanz mit eingestrenten Inseln von Körnern
und Purkinjeschen Zellen sich isoliert hätte. Links tritt im Mark
zwischen Nucleus dentatus and Lobulus biventer eine Sklerose auf
(Fig. 16, a), die mit der Sklerose im Markkern der linken Hemi¬
sphäre kontinuierlich znsammenhängt. In der Medulla oblongata
sind die Hinterstränge sichtbar. Sie zeigen gegenüber der Norm
keine Veränderungen.
A.Schnitt 730. (We i g e r t - P a 1.) (Fig. 17.) Der Markkern
der rechten Seite hat weiter an Umfang gewonnen. Die Amygdala fehlt,
der Lobulus biventer ist unvollständig ausgebildet. Der Nucleus den¬
tatus ist rechterseits nicht getroffen, links zeigt er sich normal ent¬
wickelt (Fig. 17). Die rechte Kleinhirnhemisphäre ist durch eine
annähernd vertikal verlaufende Furche, deren Wände von Pia über¬
zogen sind, vom Wurm 'und von der linken Kleinhirnhemisphäre
getrennt (Fig. 17, s). Diese Furche ist indirekt wohl dadurch
zustande gekommen, daß die rechte Kleinhirnhemisphäre infolge
der Erweichung, Sklerose und Schrumpfung eine stärkere Ver¬
kleinerung erfahren hat, so daß im Querscbnittsniveau, in
welchem linksseitig ein Zusammenhang zwischen Hemisphäre und
Wurm noch nachweisbar ist, rechtsseitig das Markblatt des
Wurmes unterbrochen erscheint und zwischen Wurm und rechter
Hemisphäre kein Zusammenhang mehr besteht. Die Sklerose
selbst ist auf die Basis der Kleinhirnhemisphäre beschränkt ge¬
blieben. Die erwähnte Fissur hängt daher mit dem Krankheits¬
prozeß, der zur Sklerose geführt hat, nur indirekt zusammen.
A. Schnitt 750. (Hämalaun-Eosin.) Die basalen Anteile
des Zerebellum unverändert. Die rechte Hemisphäre hängt durch
den Wurm mit der linken zusammen.
A. Schnitt 760. (P a 1 - W e i g e r t.) (Fig. 18.) Einsenkung an
der Basis des Kleinhirnes vertieft (Fig. 18, c). Das Mark'des Wurmes
geht jedoch nicht kontinuierlich über die Mitte, man sieht beide
Sulci paramediani. Rechterseits besteht ein hochgradiger Defekt in
Mark und Rinde. Der frontale Querschnitt des linken Nucleus
dentatus ist anscheinend normal, ventrolateral davon ist das Mark
aufgehellt (siehe auch Fig. 17, d).
A. Schnitt 770. (We i g e rt.) (Fig. 19.) Die rechtsseitige Sklerose
hat an Querschnittsbreite zugenommen und erstreckt sich nun auch
mehr dorsomedial in einen Winkel zwischen Unterwurm und
Hemisphärenmark (Fig. 19, a, b), wodurch sich vom Ventrikel her
eine abnorme Einsenkung zwischen Unterwurm und Hemisphären¬
mark herstellt.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 5 . Heft
G. Alexander. Taubstummheit mit Hypoplasie des Kleinhirnes.
Tafel I
L.
R.
i
Fig. 12 (Schnitt 280). a = linksseitige dorsonudiale Delle, b = linksseitige
dorsomediale Sklerose.
Fig. 13 (Schnitt 310). a — Wurm, b = Spornförmige Sklerose, c = Me-
dulla oblongata, Lsi = Lobulus semilunaris inferior, Lg = Lobulus
gracilis, Lb = Lobulus biventer, A = Amygdala.
Fig. 14 (Schnitt A 590). a = rechtsseitiger Markkerndefekt, b = linkes
Hemisphärenmark, rechts Defekt des linkerseits vorhandenen Lobulus
biventer.
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uwr(§figijY 1 ßE£^
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 5. Heft
G. Alexander. Taubstummheit mit Hypoplasie des Kleinhirnes.
Tafel II
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Fig. 15 (Schnitt A 620). Der basomcdiale Anteil der linken Hemisphäre
reicht über die Mitte nach r (ist nach rechts verschoben oder verzogen),
a = Sklerosezone, Nd = Nu eleu s dentatus.
Fig. 16 (Schnitt A 680). 8 = Trennungsfurche zwischen Wuim u. rechter
Hemisphäre, b = Sklerose in der rechten Hemisphäre, a = Sklerose in
der linken Hemisphäre.
Fig. 17 (Schnitt A 730). s = Trennungsfurche zwischen VVuim und
rechter Hemisphäre (Fortsetzung des Sulcus paramedianus), a = Sklerose
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in der rechten Hemisphäre.
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G Alexander. Taubstummheit mit Hypoplasie des Kleinhirnes.
Tafel III
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Fig. 18 (Schnitt A 760). b, a = rechter und linker Sulcus paramedianus,
c = rechtsseitiges Sklerosegebiet.
L.
R.
Fig. 19 (Schnitt A 770). a = sklerotische Zone, b = caudales Ende des
Markblattes des Wurmes, c = linker Nucleus dentatus, d = Wurmmark,
e = rechter Nucleus dentatus, / = linksseitige Sklerose, g = vertikale
Furche durch Markstrahl überbrückt.
L.
R.
Fig. 20 (Schnitt A 800). a = Sklerose, b = Unterwuim.
^|^ment der Windungen des r. Unterlappens.
Go
o<
c = Rudi-
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G. Alexander. Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
Tafel IV
Sp
A Jd
R.
Fig. 21 (Schnitt A 820). Xd = Nucleus dentatus, a, b = Sklerose¬
zonen, / = thrombosiertes Blutgefäß, G = G o 1 1 scher Strang,
B = Burdach scher Strang, V+L = spinale Quintuswuizel und
L i s s a u e r sehe Randzone, Sp = Sulcus paramcdianus.
Fig. 22 (Schnitt A 830). Nd = Nucleus dentatus, a,b = Sklerosezonen,
G = Go 11 scher Strang, B = Bur dach scher Strang, V -4- L = spinale
Quintuswuizel und Li s sauer sehe Randzone.
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Vedag von Urban
Berlin lind Wien
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U N I 0nick‘,R. Spier L Co. Wiffi V
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 5 . Heft
G. Alexander. Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
Tafel V
Fig. 23(Schnitt A 890). Nd = Nucleusdentatus, Vs = Oberwurm,
Vi = Unterwurm, Nd = Nucleus den t atu s.
Fig. 24. (Schnitt A 910). Vs = Obeiwurm, Vi = Unterwurm, a = Auf¬
hellungszone (Erweichung), G = N. gracilis (G o 11), B = N. cuneatus
(Burdach), V = spinale Quintuswurzel, Ca = Vorderhorn, Cc=Zentral-
kanal, Lb = Lobulus biventer.
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Fig. 26 (Schnitt B 800). Nd = Nucleus dentatus, CV = Corpus resti«
~ = untere Olive. VIII Co = Cochleariswurzel. Original ftom
Go fgf & 0
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O. Alexander. Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
Tafel VI
Fig. 25 (Schnitt B 859). Vs = Oteiwuim, E — Embolus, Nf = Nucleus
fastigii, Nd = Nucleus dentatus, / = Flockenstiel, Tr = Tii.clus spino-
cerebellarisdorsalis, V = spinale Qu int uswurzcl, Lb = Lotus biventer.
Fig. 28 (Schnitt B 790). VIII co = Radix coehlearis n. octavi, Nd =
Nucleus dentatus, Ne = Nucleus emboliformis, Nf = Nucleus fastigii.
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n_i_ n f»-». . r»y. \V r icn V
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 5 . Heft
Tafel VII
G. Alexander. Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
Fig. 27 (Schnitt B 800, r. Hälfte) Nd = r. Xucleus dentatus, Cr =
r, Corpus restiforme, VIII Co = r. Cochlcariswurzel, 0= r. Haupt-
olive, O i = r. dorsale Nebenolive, 0 " = r. ventrale Nebenolive.
Fig. 29 (Schnitt B TCO). Vs = OLeiwurin (Pyrrmis), A 7 / = Nuckus
fastigii, Nd = Nucleusdentatus, fs = Flockensticl, Cr = Coipusresti¬
forme, Vsp = spinale Quintuswuizel, VIIIsp = s])inale Octavrswurzel,
Lm = Lemniscus medialis, IX = R ol 1 e r sehe IX- Wurzel, XII =
oraler Rest des Hyi>oglos.suskernes, Flp = Faseiculus longili dinajis
posterior.
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V'erlae von Urban & Schwarzcubcni. Berlin und Wien
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Druck R Spics & Co. ^ ieI1 v
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 5 . Heft Tafel VIII
G. Alexander. Taubstummheit und Hypop'asie des Kleinhirnes.
Fig. 30 (Schnitt B
790). er, b = Defekt in der Rindenstruktur der
1. Kleinhirnheinisphäre.
Fig.
31 (Schnitt B 790). c, d = Übergang der normalen in die
defekte Rinde des Kleinhirnläppchens der 1. Hemisphäre.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 5 . Heft
Tafel IX
G. Alexander. Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
Fig. 32 (Schnitt B 680). CV= Corpus restiforme, 0 = untere Olive,
VIII la = Labyrinthicuswurzel.
Fig. 33 (Schnitt B 630) VIlila — r. Labyrinthicuswurzel.
Fig. 34 (Schnitt B CCO). Vs = Obeiwuim, L = Lingula, Lin = Mark¬
decke der Lingula.
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347
Um nun zu einer richtigen Anschauung Ober den Grad des
rechtsseitigen Defektes zu gelangen, muß die rechte Hemisphäre
von A 770 mit der linken eines mehr kaudalen Querschnittes
verglichen werden, etwa A 590. Dabei zeigt sich ganz deutlich, daß
rechts die ganze Amygdala, der größte Teil des Lobulus bi-
venter mit anderen medialen Anteilen und der basale Teil des
Markes fehlen (siehe Fig. 19). Ein Teil der Uvula fehlt. Das Mark
des Wurmes strahlt in beide Hemisphären aus (Fig. 19, d). Die
dorsomedialen Teile der rechten Hemisphäre fehlen, desgleichen
der größere Teil des Unterwurmes. Besonders auffallend ist
die starke Verkleinerung der rechten Eieinhirnhemisphäre.
Die Medulla ist unverändert. Es zeigt sich deutlich bereits ‘die
Bildung des Wurmes, der aber nur in seinem oberen, dem Ober*
wurm entsprechenden Abschnitt kenntlich ist, auch hier nur in den
obersten Partien, während die tieferen Markstrahlen von rechts nach
links sich in die Läppchen fortsetzen. Links ist der Dentatus in voller
Entwicklung (Fig. 19, c), nur sein direkt an der medialen Peripherie
gelegener Abschnitt hat dorsomedial etwas gelitten, weil er sich hier
an eine sklerotische Partie anlehnt. Sie entspricht einem Läppchen
des Unterwurmes und geht auf der rechten Seite in das sklerotische
Gebiet dieser Seite direkt Ober. Auch hier ist der Markkern dichter
geworden und es zeigen sich die ersten Inseln des Nucleus dentatus
(Fig. 19, e). Der Markkern hat jetzt links eine Länge von 3 cm und eine
Breite von 8 mm, rechts eine Länge von 2 cm und in dem skleroti¬
schen Gebiete eine Breite von 1 / t cm. Rechts fehlt die ganze Amygdala
und vom Unterwurm der Lobulus, während die anderen Windungen
des Unterlappens, besonders die des Biventer, die bereits geschilderte
Verbildung aufweisen. Auf der linken Seite zeigt sich in den medial
vom Nucleus dentatus gelegenen Partien des Markkernes eine deutliche
Sklerose (Fig. 19, f).
Die vertikale Furche (Fig. 19, g) wird durch den Markstrahl,
der die rechte mit der linken Hemisphäre verbindet, OberbrOckt.
A. Schnitt 790. (W eigert-Pal.) Der Schnitt betrifft den
oralen Teil des NucleuB dentatus. Nucleus emboliformis und Nucleus
fastigii sind bilateral gleich entwickelt. Rechtes Marklager kleiner
als das linke. Der rechte Lobulus biventer fehlt fast vollständig. Der
rechte Sulcus horizontalis greift tiefer ein als der linke. Im dorsalen
Teil der beiden Hemisphären ist die Testur der Rinde beiderseits gleich.
Die degenerativen Veränderungen im Bereiche des Flocculus sind
rechts stärker ausgeprägt als links. Die Atrophie der beiden
Kleinhirnhemisphären betrifft vor allem die ventralen und oralen
Anteile. Der rechte Flockenstiel liegt gänzlich frei, ist jedoch
normal.
A. Schnitt 800. (W e i g e r t.) (Fig. 20.) Im Bereiche des
Oberlappens rechts und links keine Verschiedenheiten. Im rechten
Monatsschrift f. Ohrenheilk. tu Lar.-Bhin. 66. Jahrg. 24
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348
G. Alexander.
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Unterlappen sind Lobnlns semilunaris, Lobnlus gracilis, Lobulus
biventer nnd Amygdala in Form eines mit blassen Markstrahlen
▼ersehenen Windungsgebietes rudimentär nachweisbar (Fig. 20, c).
Die Sklerose setzt sich von der rechten Seite über den Unterwurm
nach links fort, ist jedoch linkerseits weit weniger ausgedehnt als
rechts. Infolge der der Erweichung folgenden Resorption sind die
Uvula geschwunden, der rechte Nucleus dentatus teilweise zerstört.
In den basälen Anteilen des Kleinhirnes sind Defekte aufgetreten,
die sich zum Teil in das Marklager erstrecken (Fig. 20, a).
A. Schnitt 820. (P a 1 - W e i g e r t.) (Fig. 21.) Dorsale Klein¬
hirnfläche wie früher. An der ventralen Fläche hat das pathologisch
veränderte Gebiet wesentlich an Umfang gewonnen. Die Sklerose
reicht jetzt tief in das rechte Kleinhirnmark (Fig. 21) und bezieht
auch den rechten Nucleus dentatus ein. Der rechte Nucleus dentatus
erscheint am Querschnitt (Fig. 21 N. d.) nicht als gefälteltes Band,
sondern stellt sich als aus einem Zellkonglomerat mit reichlichen
Kernen zusammengesetzter Anteil dar, an dem noch die markhaltigen
Faseranteile, welche die erwähnten Zellhaufen einhüllen, zu sehen
sind (siehe Fig. 21). Das pathologisch veränderte Markgebiet setzt
sich nicht mehr scharf gegen das Mark der normalen Umgebung ab,
sondern geht allmählig in ein im P a 1 - We i g e r t schnitt heller ge¬
färbtes Markgebiet über, in welchem nur vereinzelt ungefärbte Herde
von bizarrer Form zu finden sind (Fig. 21, a). Es handelt sich hier
um sklerosierte Markgebiete im Ernährungsareal von kleinen, zum
Teil bluthältigen, zum Teil leeren Blutgefäßen. Die linksseitige
Sklerose ist geringfügig. Ausgesprochene Sklerose ist nur am Rande
vorhanden (Fig. 21, b). In der Umgebung aufgehelltes Mark, das
rechterseits multiple kleinste Degenerationsherde enthält.
A. Schnitt 830 (Weigert) (Fig. 22) und Schnitt 840 (Haem-
alaun-Eosin). Die innere Struktur der Kleinhirnrinde entspricht
bis auf geringe Arborisation der einzelnen Läppchen vollständig der
Norm. Im Bereiche der Sklerose sind die Läppchen zerstört.
Zwischen der Sklerose und den normalen Läppchen findet sich eine
scharfe Grenze. Nirgends Übergangszonen. Die Körnerschichte er¬
scheint nirgends verschmächtigt. Im Gebiete des verlagerten rechts¬
seitigen Unterlappens ist die Molekularschichte stellenweise ver¬
schmälert und es fehlen die Purkinje sehen Zellen. Histologisch
entspricht die Sklerose einer gliösen Narbe. Der Nucleus dentatus
ist zellreich, die Zellen selbst sind gut entwickelt. Die Grund¬
substanz ist rechts heller als normal.
A. Schnitt 890. (W e i g e r t.) (Fig. 23.) Die beiden Oberlappen
und der Wurm weisen keine bedeutende Asymmetrie auf. Im Be¬
reiche der beiden Unterlappen lassen sich die Läppchen nach den
Markstrahlen identifizieren, nur sind die Läppchen linkerseits
arborisiert, rechts einfach (Fig. 23).
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
349
Der Unterwurm zeigt drei Windungen. Der ventrale Bandteil
der untersten Windung ist sklerotisch. Die Sklerose setzt sich von
da annähernd bilateral symmetrisch in den Markkern der Seiten¬
lappen fort und dehnt sich bis in den mediodorsalen Teil deB
Nucleus dentatus aus. Der linke Nucleus dentatus ist wesentlich
größer als der rechte, doch zeigt auch der rechte den Faserreichtum
eines normalen Nucleus dentatus. Die Sklerose erscheint überall
gegen das Mark des Dentatus und das Flies scharf abgegrenzt, doch
treten noch im Bereich der Sklerosierung einzelne hellere distinkt
stehende Markfasern hervor. Hand in Hand mit der Verkleinerung
der Rinde der rechten Kleinhirnhemisphäre geht auch die Ver¬
kleinerung der rechtsseitigen Markmasse.
Die beiden ventralen Schenkel der Nuclei dentati grenzen
direkt an den Ventrikel, da die medialsten Anteile der ventralen
Fläche des Kleinhirnes (rechte Amygdala und mediale Anteile des
rechten Lobulus biventer) zugrunde gegangen sind. Es besteht
eine Bandsklerose des Zerebellum, die auf das Kleinhirnmark über¬
gegriffen hat. Die Sklerose reicht ziemlich tief in den Hilus des
Nucleus dentatus und hat beiderseits auf das im Winkei zwischen
den Hemisphären gelegene Mark Ubergegriffen.
In der Medulia oblongata (vgl. Querschnitt 3, Fig. 19, Tafel 5
d. Atl. v. Marburg) zeigen sich alle Kernmassen normal, nur fehlen
• die Fibrae arcuatae externae ventrales auf der rechten Seite, während
sie links deutlich bis an die Pyramide heran zu sehen sind. Der
Nucleus arcuatus wird hier vermißt.
A. Schnitt 910. (Weigert-Pal.) (Fig. 24.) Der Schnitt
entspricht ungefähr Querschnitt 3, Taf. V, Fig. 15, des Marburg-
schen Atlas. Der Querschnitt trifft die Uvula. Der rechte Nucleus
dentatus ist kleiner und gröber gefältelt als der linke. Die rechte
ventrolaterale Markmasse ist kleiner als die linke.
Vom Unterwurm sind einige Läppchen erhalten (Fig. 24 V. i.).
Die Sklerose zeigt annähernd die Verhältnisse des Schnittes A 890.
Links sind der Nucleus emboliformis deutlich zu erkennen,
medial einige Dentatus-Zellanhäufungen, die mit dem darüber be¬
findlichen, scheinbar dem Wurm angehörenden Kleinhirnläppchen
durch direkt vertikal verlaufende Fasern in Verbindung zu stehen
scheinen. Links ist der Nucleus globosus getroffen. Im Bereiche
des Hirnstammes keine pathologischen Veränderungen.
A. Schnitt 970. (P a 1 - W e i g e r t.) Querschnittsregion knapp
oral von der Pyramidenkreuzung. Ventrale Oliven beiderseits gleich
und normal, desgleichen die beiden Hypoglossuskerne und die Fibrae
arcuatae internae, die beiderseits gleich stark entwickelt sind.
B. Schnitt 859. (W e i g e r t) (Fig. 25.) Der Frontalschnitt liegt
in der Höhe des kaudalen Beginnes der Wurzel des Labyrinthnerven.
Die linke Hemisphäre hat, von der Mitte des Wurmes gemessen, einen
24*
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350
O. Alexander.
grüßten Durchmesser von 3 1 /* cm, die rechte von etwa 3 1 /* cm, die linke
einen größten Höhendurchmesser von etwa 27 cm, die rechte Hemi¬
sphäre von 2 cm. Diese Differenz mt vollständig durch die Ent¬
wicklung des linken Unterlappens bedingt, der alle Anteile, aller¬
dings in hypoplastischer Verkleinerung zeigt. Der linke Dentatus ist
noch in voller Entwicklung, der rechte weniger entwickelt als der linke.
Beide Emboliformes sind deutlich sichtbar, von ihnen ziehen Fasern
direkt gegen die Dachkernkreuzung. Die Kernmassen sind nicht
wie sonst ventral zugeschärft, sondern im ganzen mehr viereckig.
Der Dachkern liegt eigentlich im Gebiete der Sklerose und man sieht,
daß die sklerotische Partie gegen das Ependym zu, das intakt ist, am
dichtesten erscheint. Dorsalwärts gegen den Kern ist es weniger
dicht. In dieser Sklerose finden sich neben zahlreichen plasma¬
tischen Gliazellen nur vereinzelt gut entwickelte Nervenzellen und
ziemlich reichliche Markfasern, die durch ihre Verdünnung ihr Ab¬
weichen von der Norm erkennen lassen. Man hat den Eindruck, daß
die intakten, besonders die kreuzenden, dorsalen Fasern, aus
dem Gebiete der Emboliformes hervorgehen. Der Boden der
Rautengrube ist intakt, ebenso Schleife und Pyramide. Das Gebiet
der absteigenden Wurzel des Labyrinthnerven 3 ) ist beiderseits der
Höhe entsprechend entwickelt. Die Nuclei laterales sind auffallend
zellreich und beiderseits ziemlich gleich. Man sieht aber an der
Außenseite der Medulla, von den Olivenfasern abgesehen, keine
Bogenfasern und auch die Olivenfasern sind, so weit sie ventral an
der Seite liegen, sehr wenig zahlreich und aufgehellt. Fibrae arcuatae
externae ventrales sind sicher vorhanden aber erst vom Gebiete der
Substantia reticularis an durch die Pyramide, die sie zerklüftet, zu
verfolgen. Sie sind ungemein zart, verhalten sich jedoch sonst der Norm
entsprechend. Ein Nucleus arcuatus wird hier noch vermißt. Die
Olive der rechten Seite zeigt deutlich eine dorsale und eine ventro-
mediale Nebenolive (Primäroliven Brunner). Das dorsale Blatt ist
vollständig der Norm gemäß entwickelt, das ventrale Blatt reicht
— und auch hier verdünnt — kaum bis zur Mitte des dorsalen.
Auch sieht man sowohl im Vlies als auch im Hilus lateral und ventral
starke Aufhellungen. Das dorsale Blatt der linken Hauptolive ist
weniger entwickelt als das der rechten, das ventrale fehlt bis auf
geringe Reste vollständig, desgleichen ist der laterale Abschnitt
auffällig atrophisch. Bezüglich der Markstrahlen sind analoge Ver¬
hältnisse wie rechts, nur sieht man hier deutlich äußere Bogen-
3 ) Im Texte ist der Ausdruck Radix vestibularis durch die Bezeichnung
Radix labyrinthica ersetzt. Die letztere entspricht besser dem Stande der gegen¬
wärtigen Forschung, die klinisch und experimentell eine Sonderung des Bogengang-
gegen den Vestibularapparat anstrebt. Die Radix labyrinthica umfaßt darnach
sämtliche aus dem Bogengang- und dem Vorhofapparat stammende Faseranteile des
Nervus octavus nach ihrem Durchgang durch die beiden peripheren Labyrinth¬
ganglien.
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
351
fasern die Olive umziehen; die dorsalen Teile des Hilusmarkes
lassen Markstrahlen erkennen, während das laterale und ven¬
trale Vlies vollständig aufgehellt sind. Im U-förmigen Verbin¬
dungsschenkel sowie im ventralen Schenkel ist das gefältete Blatt
in einzelne Häufchen zerfallen, so daß die Kontinuität des Falten¬
bandes unterbrochen erscheint, ähnlich wie in einem umschriebenen
Bezirk des Nucleus dentatus (sie oben). Die Zellen der beiden Oliven
sind normal, auch im Bereiche der aus der Kontinuität des Falten¬
bandes gelösten Zellhaufen. Die zentrale Haubenbahn ist normal.
Die Fibrae olivo-cerebellares sind links stärker entwickelt als rechts.
Corpus restiforme beiderseits annähernd gleich. Spinale Quintus-
wurzel, Lemniscus medialis, spinale Glossopharyngeuswurzel, dorsaler
Vaguskern und Hypoglossnskern beiderseits gleich groß und normal.
In der beginnenden spinalen Acusticuswurzel beiderseits keine
nachweisbaren pathologischen Veränderungen.
B. Schnitt 800. (Weigert.) (Fig. 26 und 27.) Der Schnitt liegt
in der Höhe des vollentwickelten Querschnittes der unteren Olive.
Die Veränderungen in der linken Olive erscheinen weiter vorgeschritten.
Der Zerfallsprozeß hat nun auch den dorsalen Schenkel der Haupt¬
olive erfaßt, der außerdem links wesentlich schwächer entwickelt ist
als rechts. Die beiden primären Oliven sind beiderseits gleich groß
und intakt (Fig. 35). Das Hilusmark ist abgeblaßt und kommuni¬
ziert durch den zerfallenen Verbindungsschenkel der Hauptolive mit
der zentralen Haubenbahn. An der Helwegschen Dreikantenbahn
nichts Abnormes. Die Fibrae olivo-cerebellares sind links bedeutend
stärker entwickelt als rechts. Spinale Akustikuswurzel beiderseits
gleich und normal. Corpus restiforme rechts schwächer als links.
Es erscheint rechterseits am äußeren Rande eingefallen. Roller-
scher Glossopharyngeusherd beiderseits normal.
B. Schnitt 190. (G i e s o n) (Fig. 28.) Der Querschnitt liegt
im Niveau des Eintrittes der Radix cochlearis. Der Dachkern
besitzt nur einige gut ausgebildete Ganglienzellen. Der Nucleus
emboliformis der linken Seite ist mächtiger entwickelt als der rechts¬
seitige. Das gleiche gilt für den Nucleus dentatus. Rechter Nucleus
dentatus und rechter emboliformis stehen auch an Zellreichtum
den Kernen der linken Seite nach. Das gut entwickelte Ependym
zeigt kleine Zotten und im Recessus lateralis reichliche Taschen¬
bildung. Der Plexus chorioideus ist auffällig stark sklerosiert, die
Plexuszellen sind jedoch normal.
B. Schnitt 760. (W ei g e r t) (Fig. 29). Der Schnitt geht durch
den kaudalen Teil des Tuberkulum acusticum. Dieses sowie die
Radix labyrinthica beiderseits gleich und normal.
Man sieht beiderseits den oralsten Teil der Kleinhirnkerne
(Nucleus dentatus, Nucleus globosus und Embolus). Der rechte Klein¬
hirnbindearm ist dünner als der linke. Die entwickelte Kleinhirn-
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352
G. A eiander.
rinde ist normal, doch erscheint das gesamte Rindengebiet
verkleinert (rechts mehr als links). Die Unterflache der Klein¬
hirnhemisphären vom vorhandenen Sulcus horizontal» bis an den
medialen Hemisphärenrand ist beiderseits gegenüber der Norm ver¬
schmälert, und zwar rechts wesentlich mehr als links. Der Flocken¬
stiel erscheint links annähernd normal. Die Flockenrinde ist hier
etwas verschmälert. Rechterseits fehlt dagegen die Flockenrinde
vollständig, so daß der rechte Flockenstiel durch Rinde nicht ge¬
deckt oberflächlich verlauft. Die wesentlichsten Veränderungen
finden sich hier somit im Bereiche des LobuluB biventer und des
Flocculus.
Der Nucleus lateralis ist vorhanden, die äußeren Bogenfasern
fehlen. Bedeutende Asymetrie ergibt sich noch im Marklager, das
rechterseits stark verringert ist. Rechts sind noch Reste des Nucleus
dentatus mit deutlichen Windungen getroffen, links nur mehr Inseln,
auch ist rechts das Gebiet des Nucleus fastigii größer zu sehen
als links, wo nur Reste vorhanden sind. Beiderseits deutlich ist
nur eine kleine Insel grauer Substanz. Die Dachkern kreuzung ist
ziemlich mächtig, hauptsächlich in den dorsalen Partien. Die Sklerose
ist jetzt nahezu ganz auf den Rand beschränkt und läßt die medialen
Bindearmpartien etwas aufgehellt erscheinen. In der Medulla oblon-
gata zeigen sich im Nucleus praepositus hypoglossi und in dem daran
anschließenden Nucleus triangularis vestibularis keine Abweichung
von der Norm. Auffällig ist auch die gute und gleichmäßige Entwick¬
lung der absteigenden Wurzeln des Labyrinthnerven. Das Corpus resti-
forme ist beiderseits ziemlich gleich. Die Gegend der Einstrahlung
des Cochlearis erscheint aufgehellt. Lateral vom Corpus restiforme
zeigen sich keinerlei Bogenfasern, dagegen deutlich ventral davon
solche, die zur Olive ziehen. Solche, die über die Olive hinaus¬
gehen, sind hier nicht erkennbar. Es findet sich ein kleines Pyramiden-
bündel durch den Nucleus arcuatus ventral isoliert. In dieser grauen
Masse sind Ganglienzellen und feine atrophische Fasern kenntlich.
Links sind Bogenfasern, die durch die Pyramide setzen, deutlich sicht¬
bar. In den lateralen Kernen nichts Abnormes, das dorsale Blatt
der rechten Olive ist vollständig normal. Das ventrale Blatt reicht
bis zur Mitte, ist schmäler als gewöhnlich, aber sonst gut entwickelt,
von dort ab ist nur ein aufgehelltes keulenförmiges Gebiet sichtbar.
Die Faserung des lateralen Vlieses ist aufgehellt, ebenso die
laterale Partie der Hilusfasern. Auf der linken Seite ist die Olive
wesentlich kürzer. Das dorsale Blatt ist bis zu seinem äußersten
Drittel aufgehellt, von da ab jedoch samt dem ventralen Blatt
vollständig abgeblaßt. Auffallend ist, daß die äußeren Oliven¬
bogenfasern hier besser entwickelt sind als rechts.
B. Schnitte 790 770, 755, 720. Im Nissl-Präparat (755) zeigen
sich an einer vereinzelten Stelle ein frisches perivaskuläres Infiltrat im
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes. 353
linken Kleinhirn sowie frische Thromben in der Arteria basilaris (770).
Sodann ergeben sich (775) umschriebene Erweichungen im dorsalen
Teil der Rinde der linken Kleinhirnhemisphäre. Oral reicht diese
Erweichung bis in die Höhe der Einstrahlung des linken Corpus
restiforme in das Kleinhirn (A. 720). Kaudalwärts erstreckt sie sich
bis in das Niveau des vollentwickelten Querschnittes der unteren
Olive. Im wesentlichen führte die Erweichung zu einer streifen¬
förmigen Zerstörung der einander zugewendeten Seiten von zwei
Rindenläppchen in der Tiefe der lateral vom linken Sulcus para-
medianus gelegenen und ihm parallel laufenden Längsfurche (Fig. 30
und 31). Die Zerstörung erstreckt sich oral ungefähr bis zur Höhe
der Einstrahlung des linken Corpus restiforme in das Kleinhirn und
kaudal bis zum vollentwickelten Querschnitt der unteren Olive,
somit im ganzen auf eine Länge von ungefähr 8 mm. Oral- und
kaudalwärts verliert der Defekt an Ausdehnung und endet spitz¬
zulaufend mit dem Querschnittsbild zweier punktförmiger Er¬
weichungen in zwei gegenüberliegenden Läppchen mit starker
Verschmälerung der molekularen Körnerschicht (Fig. 30, 31) und
totalem Ausfall der Purkinjeschen Zellen.
Die erkrankte Partie ist gegen die gesunde Umgebung seharf
abgesetzt (Fig. 30 a, b). In den Randteilen der Zerstörung besteht
Schwund der Purkinjeschen Zellen, die auch im gesamten Zer¬
störungsbezirk fehlen (Fig. 31 c, d). Sodann zeigt sich eine
bedeutende Verschmälerung der Rinde, eine Verdünnung der
Molekular- und der Körnersohicht. Gegen die Mitte des Defektes
fällt die Markfaserung der Körnerschicht zum größten Teil
auB, im Zentrum des Defektes selbst findet man ein Läppchen,
an welchem man noch den zentralen Markstrahl unter Rarefizierung
der einstrahlenden Markfasern beobachten kann (Fig. 29 a). Weiters
erkennt man in diesem Bezirk Reste der Körnerschicht in Form
eines sehr schmalen Bandes, das vereinzelte nekrotische, einander
durchflechtende Markfäserchen enthält. Diese Veränderungen ergeben
sich besonders deutlich im N i s s 1 - Schnitt, hier zeigt sich schön
die unvermittelt einsetzende Verschmälerung des Bandes der Körner¬
schicht auf ungefähr ein Sechstel der Norm. Die Körnerzellen in
der erkrankten Partie sind gegen die Norm vergrößert und zeigen
sich mit Toluidinblau heller gefärbt als in der Norm. Sie enthalten
noch ein zentrales Kernkörperchen.
B. Schnitt 730. (P a 1-We i g e r t.) Der Schnitt liegt knapp
oral vom Nucleus dentatus. Er geht durch den in die Medulla ein¬
strahlenden Nervus cochlearis. Das Brachium conjunctivum erscheint
rechts wesentlich kleiner als links. Im rechten Corpus restiforme,
und zwar besonders in dessen dorsomedialem Anteil, finden sich
Aufhellungsbezirke. Die Kappenfaserung des Corpus restiforme
erscheint beiderseits gleich und normal. Der Cochlearisquerschnitt
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354
G. Alexander.
ist verkleinert, der Nerv selbst zeigt extramedullär deutliche Mark¬
scheidendegeneration. Im Bereiche des Tnberculum acnsticum, der
spinalen Akustikuswurzel und des Nucleus triangularis, die alle
beiderseits gleich entwickelt sind, keine nachweisbaren Veränderungen.
Linke untere Olive kleiner als die rechte. Der Verbindungsschenkel
und der ventrale Schenkel der linken unteren Olive wie in B. 800.
Medialer Rand des ventralen Blattes der rechten Hanptolive degene¬
riert, die vier Primäroliven sind normal. Die rechten Fibrae olivo-
cerebellares erscheinen bedeutend rarefiziert.
B. Schnitt 710. (Van Gieson.) An diesem Präparat zeigen
sich im ventralen Kochleariskerne nur vereinzelte, aber große Ganglien¬
zellen. Die Zellen selbst sind vollständig normal entwickelt und
zeigen intakte Nisslstruktur. Auf der rechten Seite finden sich
deutlich weniger Zellen als links.
B. Schnitt 700. (Haemalaun-Eosin.) Im Schnitt getroffen ist der
Kochleariseintritt und der Recessus lateralis. An einer Stelle ist
im proximalen Ende des medullären Teiles der rechten Radix
cochlearis eine umschriebene Nekrose festzustellen. Die Kerne sind
daselbst außerordentlich klein und liegen in einer Grundsubstanz,
die jede Faserstruktur verloren hat.
B. Schnitt 680. (Weigert.) (Fig. 32.) Der Schnitt geht durch
die Region der Einstrahlung des Corpus restiforme in das Klein¬
hirn. Rechter Bindearm bedeutend kleiner als der linke. Die Ver¬
kleinerung betrifft vor allem den ventrolateralen Anteil des Binde¬
armes in der Art, daß der Bindearm rechterseits spitz, linkerseits
flachrundlich konturiert erscheint. Die Verschmälerung des rechten
Bindearmes betrifft in geringem Grade auch noch den dorso-
medialen Pol des frontal getroffenen Bindearmes. Das rechte Corpus
restiforme ist wesentlich schwächer als daB linke. Am Nucleus
triangularis und an der spinalen Akustikuswurzel keine wesentlichen
Veränderungen. Die linke Hauptolive wie in B. 730. In der rechten
Hauptolive ist es nun ähnlich wie in der linken zu einem Zerfall
des ventralen Schenkels gekommen (Fig. 22, Fig. 35). Die Auf¬
hellung des Hilusmarkes tritt deutlich zutage. Lemniscus medialis,
Pyramide und Fasciculus longitudinalis posterior beiderseits noimal.
Zwischen Medulla oblongata und Kleinhirn findet sich beiderseits
der orale Rest des Nucleus accessorius cochlearis (ventralis), der
beiderseits normal erscheint. Rechterseits am Rande des einstrahlen¬
den Corpus restiforme eine ungefähr 1 mm breite, sklerotische
Zone, durch welche die Radix cochlearis in den Hirnstamm
eintritt. Im Bereiche dieser Zone erscheint der einstrahlende Nervus
cochlearis mittelgradig verdünnt. Der Nerv selbst ist längsgetroffen,
die Markscheiden sind in ihm größtenteils zerfallen. Das gleiche
Verhalten zeigt sich auch im Bereiche des im selben Schnitt sicht¬
baren extramedullären Anteiles der Radix cochlearis. Auch hier
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
355
hochgradiger Ausfall von Fasern, Markschwund und Markzerfall.
Soweit durch den völligen Untergang der nervösen Bestandteile der
Dickendurchmesser des Nerven sich nicht verringert hat, sind die
untergegangenen nervösen Bestandteile durch Bindegewebe ersetzt.
Zwischen den Bindegewebsbündeln verlaufen hochgradig gestaute
Blutgefäße. Ventrales Akustikusganglion in seinem ventralen Anteil
aufgehellt.
Die rechte Eieinhirnhemisphäre ist beträchtlich kleiner als
die linke. Am stärksten ist von der Verkleinerung der rechte Unter¬
lappen betroffen. Im übrigen handelt es sich um eine Verringerung
der ganzen Masse, ohne daß ein besonderes Gebiet der Rinde oder
des Markes stärker ergriffen wäre als ein anderes. Von der
Sklerose sind nur die verdichteten Ränder am Dach des Ventrikels
erhalten. Sie begrenzen Bindearm und Velum anterius. Ventraler
Kochleariskern und Gebiet der spinalen Akustikuswurzel Bind beider¬
seits gut entwickelt. Die aus diesem Gebiete stammenden Bogen¬
fasern sind vorhanden. Auch der Nucleus angularis ist zu sehen.
Äußere Bogenfasern umziehen die Pyramide, sind aber zarter als
es der Norm entspricht.
B. Schnitt 670. (Haemalau n-E o s i n). Degenerierter Nervus
cochlearis mit gestauten Blutgefäßen.
B. Schnitt 650. (Pa 1-Weigert.) (Fig. 33.) Der Schnitt geht
durch den kaudalen Beginn der in den Hirnstamm einstrahlenden
Radix labyrinthica. In beiden Bindearmen unveränderte Verhältnisse,
ebenso in den Corpora restiformia, die fastigio-bulbären Fasern
sind beiderseits anscheinend gleich. Der Nucleus Bechterew (Kaplan)
beiderseits gleich, er scheint jedoch in seinem dorsalen Anteil
beiderseits in der Umgebung des Ventrikels aufgehellt. Spinale
Akustikuswurzel unverändert. Medialer Teil des ventralen Schenkels
der rechten Hauptolive zerfallen. Das diesen Schenkel umgebende
Fasermark ist aufgebellt. Verhältnisse der linken Hauptolive un¬
gefähr wie in B. 680 (s. Fig. 35). Im einstrahlenden Nervus laby-
rinthi findet sich extramedullär ein wesentlicher Markfaserausfall,
Zerfall der Markscheiden. Vom erfolgten Eintritt in den Hirn¬
stamm, d. h. vom Aufhören der Schwann sehen Scheide an
erhält jedoch der Nerv intramedullär durchaus normale Scheiden
und erweist sich auch in seinem weiteren zentralen Verlauf normal.
B. Schnitt 610. (Pa 1-Weigert.) Ähnliche Verhältnisse wie in
B. 650. Doch ist die Degeneration des extramedullären Vestibularis,
der hier mehr axial getroffen ist, nicht so deutlich entwickelt wie
in B. 650. Bindearme wie in B. 680 (der rechte schmäler als der
linke). Im Bereiche des Nucleus Bechterew (Kaplan) keine Ver¬
änderung. Beide aufsteigenden Vestibulariswurzeln gleich und normal.
Fazialiskern und Corpus trapezoides beiderseits gleich und normal.
Hinteres Längsbündel links schwächer entwickelt als rechts.
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356
G. Alexander.
Degeneration des ventralen Schenkels und des Verbindungsschenkels
der linken unteren Olive (Fig. 35).
B. Schnitt 600. (We i g e r t.) (Fig. 34.) Der Schnitt geht durch
das kandale Ende der beiden Abduzenskerne. Die Atrophie des Klein¬
hirnes prägt sich deutlich ans. Die substantielle Verminderung' der
rechten gegenüber der linken Kleinhirnhemisphäre tritt jedoch nicht
mehr so stark hervor wie in den kaudaler gelegenen Querschnitten. Die
Mittellinie des Wurmes verlauft nach rechts geneigt. Alle drei Paare
der -Kleinhirnarme sind (rechts wesentlich mehr als links) gegen¬
über der Norm verdünnt. Der orale Anteil des Kleinhirnmarks
erstreckt sich ohne Unterbrechung von einer Hemisphäre durch den
Wurm zur anderen. Die beiden Bindearme zeigen deutlich eine
Entwicklung, die, soweit die dorsalen Teile in Betracht kommen,
vollständig der Norm entspricht. Ventromedial ist der Bindearm
aufgehellt. Der einstrahlende Vestibularis zeigt sich beiderseits gnt
entwickelt, rechts ist er im Querschnitt um ein Geringes kleiner
als links. Die gleich gute Entwicklung zeigen beide ventralen
Kochleariskerne, die von einem dichten Fasernetz durchzogen
sind, doch ist auch hier rechts eine Verschmächtigung zu sehen.
Die Olive der rechten Seite ist vollständig und zeigt nur im vor¬
handenen Vlies und im Mark umschriebene Aufhellungen. Hier sieht
man deutlich die Differenz in der Olivenzwischenschichte, indem
rechts weniger Fasern vorhanden sind als links. Die linke Olive zeigt
die bekannte Sklerose des ventralen Abschnittes, während der dor¬
sale und auch der äußere ziemlich intakt sind. Leider gestattet der
Schnitt nicht, die Bogenfasern genauer zu verfolgen, doch, fehlen
solche an der Außenseite der Medulla und sind nur sehr spärlich
in der Raphe aufsteigend zu finden. Im Fazialiskern und im
Brückengebiete der Medulla oblongata keine Differenz gegenüber
der Norm. Bindearme, zentraler Vestibularis und Fazialis wie in
B. 610. Corpus trapezoides rechts deutlich faserärmer als links.
Oralster Teil des einstrahlenden Teiles des Corpus restiforme
rechts deutlich schmäler als links. Olive wie in B. 610.
Zentrale Haubenbahn beiderseits gleich und normal. (Der Schnitt
entspricht Marburgs Atlas, 2. Aufl., Tafel 9, Fig. 28, Schnitt 9 a.)
B. Schnitt 570. (Pal-Weigert.) Beide in den Hirnstamm
eintretenden Labyrinthnerven normal. Querschnitt des Fazialis-
und Abduzenskernes voll entwickelt. Der im Schnitt getroffene
oralste Teil des D e i t e r s’schen Kernes und der Bechterew sehe
Kern (Kaplan) normal. Tractus retropeduncularis links
stärker als rechts. In der zentralen Haubenbahn sowie in den
Kernen des Labyrinthicus, des VI. und des VII. keine Veränderungen.
Rechtes Corpus trapezoides etwas faserärmer als das linke. Oralster
Anteil des akzessorischen Kochlearisganglion beiderseits vorhanden
und normal.
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
857
B 660
B 670
B 600
B 610
B 650
B 680
B 720
B 730
L.
<0
B 760
B 800
B 970
B 980
A 940
A 920
a
0
Fig. 36. Der untere Olivenkomplex,
Die vollschwarzen Anteile sind gänzlich degeneriert.
B. Schnitt 560. (Weigert') Asymmetrie des Kleinhirns unver¬
ändert. Vorderes Ende der rechten unteren Olive in zahlreichen
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358
G. Alexander.
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Windungen nahezu normal. Linkerseits ist nnr mehr eine kleine
Insel von Olivensubstanz sichtbar. Die Bindearme wie in B. 600.
Im extramedullären Anteil der rechten Radix labyrinthica ein
Raufen isolierter Ganglienzellen (versprengter Teil der Martin-
schen Zellgruppe). Corpus trapezoides beiderseits ohne besondere Un¬
gleichheiten (rechtes Corpus trapezoides etwas faserreicher als das
linke), jedoch nicht mächtig entwickelt. Bindearme unverändert.
Zentrale Haubenbahn beiderseits gleich entwickelt und gut gefärbt.
Im Bereiche des oralsten Teiles des ventralen Randes des Corpus
restiforme auf beiden Seiten Aufhellungsherde, die rechts mehr
entwickelt erscheinen als links. Im Bereiche dieser Aufhellungs¬
zonen finden sich kleine, degenerierte Nervenzellen und
degenerierte Markfasern. Diese Veränderungen stellen sich als
Folge einer alten Erweichnng dar, haben mit dem Corpus
pontobulbare, das normal ist, nichts zu tun. Auch sonst am
Randteil des Hirnstammes, besonders rechterseits, Aufhellungszonen,
die rechterseits tiefer in die Medulla reichen als links und die
Breite des physiologischen Randschleiers (Randgliastreifen) bedeutend
überschreiten. Außer im Corpus restiforme findet sich eine
Aufhellungszone beiderseits ventral vom Fazialiskern und
links an der Grenze zwischen Pyramide und Lemniscus medialis.
Im Bereiche dieser Aufhellungszonen sind degenerierte Fasern und
kleine thrombosierte Blutgefäße zu sehen. Basale Gefäße deutlich
endarteriitisch verändert.
B. Schnitt 520. (Weigert.) Kaudales Ende des sensiblen
Trigeminuskernes. In ihm sowie im Abduzens keine pathologischen
Veränderungen. Binde- und Brückenarme rechts schwächer als links.
B. Schnitt 490. (Pa 1-We i g e rt.) Der Schnitt liegt in der
Höhe des Beginnes des Brückengrau. Brücken- und Bindearme wie
B. 520. Beide oberen Oliven gleich und normal, desgleichen der
motorische Trigeminuskern und die mesenzephale Trigeminuswurzel.
Das linke hintere Längsbündel erscheint schmäler als das rechte.
Im Kleinhirn keine wesentliche Veränderung. Rechter Binde¬
arm kleiner als der linke. Die ventralen mittleren Teile der Binde¬
arme vollständig und beiderseits gut gefärbt. Die dorsalen Anteile
der beiden Bindearme sind gleich, jedoch aufgehellt. Desgleichen
zeigt sich das Gebiet des Velum heller als normal.
Der rechte Brückenarm ist kleiner als der linke. Außer¬
dem besteht noch eine Seitenungleichheit darin, daß rechterseits
die medial gelegenen Anteile mächtiger entwickelt sind als linker¬
seits. Weiters läßt sich eine deutliche Differenz in der zentralen
Haubenbahn erkennen, die linkerseits schwächer erscheint als rechts.
Das Brückengebiet ohne wesentliche Veränderung.
B. Schnitt 480. (W e i g e r t.) Linkes hinteres Längsbündel im
ganzen schwächer, lockerer gebündelt und im Querschnitt
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
359
kleiner als das rechte. Binde- and Brtlckenarme wie in B. 490. Im
Bereiche der Trigeminuskerne and -fasern nichts Pathologisches.
B. Schnitt 450. (Pal-Weigert.) Binde-und Brtlckenarme
wie in B 480.
V-Kerne ohne Besonderheiten. Die Kreuzung des Corpus trape-
zoides normal und symmetrisch. Der Größenunterschied in den
beiden hinteren Längsbtlndeln ist nur unbedeutend vorhanden.
B. Schnitt 440. (Weigert). In den Zwischenschnitten ent¬
wickelt sich die Brücke. Mediale, zwischen den Pyramiden ge¬
legenen Kernmassen sind rechterseits mächtig, linkerseits annähernd
nur bis zur Hälfte der Höhe entwickelt. Umgekehrt erweisen sich
die lateral von der Pyramide gelegenen Zellmassen linkerseits
mächtiger und zellreicher sowie wesentlich besser gefärbt. Doch
ist beiderseits die Färbung unter der Norm (s. auch Schnitt 480).
Dort, wo Stratum complexum, superficiale und profundum bereits
entwickelt sind, ist die Zellmasse der rechten Seite reicher ent¬
wickelt als die der linken. Das Stratum superficiale der linken
Seite erweist sich ventral bis etwa zur Höhe der Mitte der Pyramide
zell- und faserarm. Medial sind nur die dorsalsten Partien, die
neben der Pyramide gelegen sind, zellreicher. Bechts analoge, je¬
doch weniger intensive Veränderungen. Der große Gegensatz
zwischen Stratum profundum und Stratum superficiale tritt deut¬
lich hervor.
Das rechte hintere Längsbündel erscheint schwächer als das
linke, läuft in ventraler Richtung spitzer zu als- das linke (die
Größenuntersehiede der beiden Längsbündel sind somit wechselnd).
Binde- "und Brückenarm der rechten Seite schwächer als die der
linken. Die gefundenen Varianten Unterschiede in der Ausbildung
der beiden hinteren Längsbündel liegen innerhalb der physiologischen
Varietätsbreite und haben keine pathologische Bedeutung.
B. Schnitt 420: (Van G i e s o n.) In den aufgehellten Gebieten
die Zellen deutlich verkleinert. Nur vereinzelte Zellen zeigen normale
Größe. Sonst wie B 440.
B. Schnitt 411. (Pal-Weigert.) Der rechte Bindearm in
seinem spitzen dorsalen Abschnitte auffallend verschmächtigt. Rechte
zentrale Haubenbahn und das daran grenzende dorso-laterale Hauben¬
feld deutlich schmächtiger als links. Der Brückenarm iat rechts
weniger mächtig als links und im Gebiete der getroffenen Brücken¬
fasern hat es den Anschein, als ob die Fasern linkerseits reich¬
licher wären wie rechterseits, doch läßt sich das infolge der ver¬
schiedenen Lagerungen der Fasern nicht mit Sicherheit entscheiden.
Es fällt wiederum auf, daß das Aufhellungsgebiet beiderseits vor¬
wiegend ventro-medial gelegen ist, doch sind inselförmige Auf¬
hellungen auch dorso-lateral <von der Pyramide zu finden.
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360
G. Alexander.
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B. Schnitt 400. (Weigert.) Der Schnitt trifft den oralsten
Teil des vierten Ventrikels bzw. den Beginn, des Aquaeductus Sylvii.
Binde- und Brückenarm wie früher. Mesencephale Quintuswurzel
und Locus coeruleus beiderseits gleich und normal, ebenso die
zentrale Haubenbahn, laterale und mediale Schleife.
Von ventral nach dorsal finden wir zunächst die äußere Schichte
der Brückenfasem, das Stratum superficiale. Es folgt darauf ein
aufgehellter zellarmer Streif (beiderseits ziemlich gleich), dann eine
noch immer ventral von der Pyramide gelegene Zone, die faser¬
und zellreich beiderseits ziemlich gleich entwickelt ist, soweit es
sich um die lateralen Partien handelt. Medial ist das Grau rechts
besser entwickelt als links, doch verlauft links ein quer getroffenes
Bündel inmitten dieser grauen Masse, das rechts fehlt.
B. Schnitt 370. (Pal-Weigert.) Der Schnitt geht durch
den hinteren Vierhügel. Laterale Schleife und Kochleariskreuzung
normal. Rechter Kleinhirnschenkel deutlich dünner als der linke.
Verhältnisse in der Brücke gegenüber dem kaudaleren Anteile un¬
verändert, wobei .sich zeigt, daß der knapp dorsal vom Stratum
superficiale gelegene Zellstreif atrophisch ist und rechts die Zellen
besser entwickelt sind als links. In der Haube tritt die Differenz an'
der zentralen Haubenbahn noch immer zutage. Die laterale Schleife
erscheint links eine Spur schwächer als rechts, Binde- und Brücken¬
arm rechts schwächer als links. Nach vorn zu zeigt sich die Diffe¬
renz der quergetroffenen Brückenfasern deutlich, indem besonders
ventro-medial rechts weniger Bündel zu finden sind als links. Oral-
wärts wird die Aufhellungszone in der Brücke immer schmächtiger.
Auch iu der Haube wird durch die Überlagerungen die beginnende
Bindearmkreuzung undeutlicher. Es unterliegt aber keinem Zweifel,
daß die linke Schleife stärker ist als die rechte. Knapp vor dem
Trigeminus, gegen das Ende der Brückenarme zu, ist die Diffe¬
renz beiderseits der Brücke ziemlich verwischt, obwohl auch hier
noch die Kernmasse größer erscheint als links und im ventralsten
medialen Abschnitt dieser Kernmasse die Aufhellung deutlich er¬
kennbar bleibt.
B. Schnitt 360. (W e i g e r t.) Wie in B 370.
B. Schnitt 350. (Haemalaun-Eosin). Im Locus coeruleus
kleine, pigmentierte Nervenzellen.
B. Schnitt 330. (P a 1- We i g e r t.) Beide lateralen Schleifen
normal.
B. Schnitt 320. (W e i g e r t.) Rechter Bindeann schwächer als
der linke. Im übrigen die Verhältnisse wie in B 330.
B. Schnitt 290. (P a 1 - W e i g e r t.) Sekundäre Hörbahn beider¬
seits normal.
B. Schnitt 250. (P al - We i g e r t.) Mit dem Auftreten der
Kreuzung der Brückenfasern medial rückt die aufgehellte Körner-
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Taubstummheit- und Hypoplasie des Kleinhirnes.
361
masse etwas lateral und liegt dann am ventro-lateralen Rand. An
den Abschnitten des Vierhügels erkennt man, daß der rechtsseitige
schmächtiger ist als der linksseitige. Nach vorn zu ist nur mehr
der Brückenfuß erhalten; man kann aber an diesem deutlich er¬
kennen, daß der ventrale Streif der Brückenkerne, die die Auf¬
hellung gezeigt haben, bis in die vordersten Partien nachweisbar
bleibt. # ,
*
Rindenstruktur der Hesch Ischen Windung im Biel-
schowski- und Golgi-Präparat normal.
Zusammenfassung.
aj Veränderungen im Kleinhirn.
Es besteht eine allgemeine Verkleinerung beider Kleinhirn-
hemisphfiren, sie betrifft die rechte Seite mehr als die linke. Die
Unterflachen der Hemisphären sind starker verkleinert, verschmälert,
als die Oberseiten (rechts mehr als links). Die stärkere Verkleinerung
der rechten Hemisphären und ihres Markkernes gegenüber den gleichen
Teilen der linken Seite treten kaudalwärts deutlicher zutage.
Rechterseits fehlt die Amygdala nahezu völlig, der rechte
Lobulus biventer ist rudimentär. Dieselben Gebiete sind auch linker¬
seits, jedoch in geringerem Maße geschädigt, auch 1. sind Amygdala
und Lobulus biventer mehr zurückgeblieben als der Lobulus semi-
lunaris inferior dieser Seite. Der Sulcus horizontalis ist rechts tiefer
als links, die Mittellinie des Wurmes verlauft nach rechts geneigt.
Der rechte Flocculus ist hochgradig atrophiert. Ein Teil des Unter¬
wurmes fehlt. Die Uvula ist infolge der aus der Erweichung folgen¬
den Resorption hochgradig verkleinert.
Infolge der Verkleinerung der rechten Hemisphäre erscheinen
die basomedialen Anteile der linken Uber die Mittellinie nach rechts
über den Wurm hinaus verschoben. Im Bereiche der Verkleinerung
sind die Markstrahlen rechterseits blaß. Links besteht eine arbori-
sierte, rechts einfache Markstrahlung, auch sind die Markstrahlen
reehts dünner als links. Markstrahlen des Oberlappens treten durch
den Wurm von rechts nach links über, auch in der Tiefe des
Wurmes gehen Markstrahlen über die Mitte von einer in die andere
Hemisphäre.
In einem frontalen Querschnittsniveau, in welchem linker¬
seits (B .590) Lobulus biventer und der basale Teil des Markkernes
vorhanden sind, fehlen rechts diese Teile gänzlich. Es besteht eine
Einsenkung an der Basis des Kleinhirnes.
Zwischen dem kaudalen Teil der rechten Kleinhirnhemi*
Sphäre einerseits und Wurm und linker Hemisphäre verlauft nahezu
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362
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vertikal eine von Pia ausgekleidete Fnrcbe. Oral wird diese durch
einen die beiden Hemisphären verbindenden Markstrabi begrenzt.
Die Fissur bat sich indirekt durch die im Anschluß an die Er*
weicbung und Sklerose im basalen Anteile aufgetretene Schrumpfung
der rechten Hemisphäre entwickelt.
Eine Stelle im dorsomedialen Anteile der Hemisphäre
kennzeichnet oberflächlich eine in das Mark reichende spornförmige
Sklerose. Die Erweichung selbst ist mehr oder weniger auf die
Basis der Kleinhirnhemisphären beschränkt geblieben.
Das zerebellare Marklager beider Seiten (rechts mehr als
links) ist verkleinert und stellenweise degeneriert. Im Kleinhirnmark
findet sich eine umschriebene Sklerose. Sie ist beiderseits auf das
im Winkel zwischen den Hemisphären und dem Wurm gelegene
Mark ausgedehnt und reicht rechts bis in den Hilus des Nucleus
dentatus. Ventro-lateral vom Nucleus dentatus ist das Mark auf¬
gehellt (s. u.).
Der Nucleus dentatus ist beiderseits entwickelt, links besser
als rechts, doch sind infolge der Sklerose, die das ganze dem Ventrikel
zugekehrte Gebiet des Kleinhirnes einnimmt, die dorso-medialen Ab¬
schnitte des linken und in größerem Umfang auch die medialen
Abschnitte des rechten Dentatus zerstört. In einer frontalen Quer¬
schnittszone, in welcher sich der rechte Nucleus dentatus schon
weitgehend verändert darstellt, findet sich ventral vom ventralen
Schenkel des linken Dentatus nur aufgehelltes Mark mit kleinsten
Sklerosen.
In kaudaler Richtung erstreckt sich die Sklerose besonders
auf die ventro-lateralen Anteile des Kleinhirnes und auf den rechten
Nucleus dentatus, der dort höhergradig und ausgedehnter verändert
ist als der linke.
Mit der rechtsseitigen Rindenatrophie geht die quantitative
Verringerung der rechtsseitigen Markmasse Hand in Hand.
Die Asymmetrie der Hemisphären nimmt oralwärts ab.
Im oralen Teil des Unterlappens sind L. semilunaris, gracilis
und biveuter zu sehen. Sie stellen ein mit blassen Markstrahlen
versehenes Windungsgebiet dar.
Im oralsten Teil ist ein Wurmgebiet nicht schart zu be¬
grenzen; von der Mitte ziehen starke Markstrahlen beiderseits in
die Seitenlappen. Nur einige Läppchen des Unterwurmes sind in
diesem Schnittgebiet erhalten.
Im kaudalen Teil der linken Hemisphäre findet sich eine
flache, im Querschnitt spornförmige Sklerose ventro-medial vom
kaudalen Ende des Nucleus dentatus. Dieser „Sporn“ reicht bis in
den kaudalen Pol der linken Hemisphäre.
Die linke Flockenrinde ist verkleinert, rechts fehlt sie.
Der rechte Flockenstiel verlauft durch Rinde nicht gedeckt.
Go^ 'gle
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
363
Im dorsalsten Teil der Rinde der linken Hemisphäre finden
sich umschriebene Defekte in Form von Fehlen der PurkinjeBchen
Zellen und Verdünnung der Molekular- und Körnerschichfr. In der
Tiefe daselbst geschrumpfte Blutgefäße.
Der linke N. dentatus ist in seinem dorso-medialen Ab¬
schnitt, mit welchem er in die sklerosierte Partie geraten ist, ge¬
schädigt (s. a. P. 15). Auch der Nucleus fastigii liegt in dieser Sklerose
und ist bis auf wenige Zellen und Fasern zerstört. Nucleus emboli-
formis, (links größer als rechts), und globosuB sind verhältnismäßig
gut erhalten.
Es besteht eine direkte Faserverbindung zwischen dem dem
linken Dentatus angehörenden Zellhaufen mit dem darüber befind¬
lichen, dem Anscheine nach dem Wurm zugehörigen Kleinhirn¬
läppchen (Brunner). Fasern ziehen vom N. emboliformis gegen
die Dachkreuzung.
Das Gebiet der Sklerose gibt das Bild einer dichten gliösen
Narbe: in der Sklerose finden sich Plasma-, Glia- und Nervenzellen
sowie degenerisierte Markfasern. (Die intakten Fasern, besonders die
kreuzenden, scheinen alle aus dem Gebiet« des N. emboliformis
hervorzugehen.)
Die Sklerose ist eine alte und zeigt ihre Abhängigkeit von
den Blutgefäßen darin, daß sie sich längs derselben in das normale
Gewebe vorschiebt. Die Sklerose ist auf der rechten Seite viel
erheblicher entwickelt als links, sie erstreckt sich von der Mitte in
beide Hemisphären und ist die Ursache des Defektes des Markkernes.
Fast überall zeigt die Sklerose eine scharfe Grenze gegen die
normale Umgehung (so besonders im Bereich des Nucleus
dentatus).
Kaudalwärts erstreckt sich die Sklerose von der rechten
Kleinhirnhemisphäre dojrsoipedialwärts in den Winkel zwischen Unter¬
wurm und Hemisphärenmark, infolgedessen kommt cb an dieser
Stelle zu einer abnormen Einsenkung vom Ventrikel her.
Die ventralen Schenkel der beiden N. dentati grenzen in¬
folge des Defektes im Bereich der medialen Anteile der ventralen
Kleinhirnfläche (Amygdala und medialer Teil des L. biventer) direkt
an den Ventrikel. An die ventralen Schenkel beider N. dentati ist eine
Zone der Sklerose an geschlossen, die in ventrolateraler Richtung vom
Unterwurm ungefähr parallel zur Längsachse des N. dentatus in das
Kleinhirn zieht. Ein ähnliches Areale findet sich ventral vom linken
Nucleus globosus im Bereiche des im Winkel zwischen linkem
Wurm und linker Hemisphäre gelegenen Markes.
Im oralen Anteil trifft die Sklerose die Randteile des
Daches des Ventrikels, sie beinhaltet auch die Läppchen des Unter¬
wurmes und geht von da auf die rechte Seite über.
Henatmehrift f. Ohrenhnilk. u. L&r.-Rhin. 66. Jahrg. 25
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364
G. Alexander.
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Der Dachkern liegt im Gebiet der Sklerose. Die sklero¬
tische Partie erscheint gegen das Ependym, das intakt ist, am
dichtesten, weniger mächtig gegen den Kern.
b) Veränderungen außerhalb, des Kleinhirnes.
Im Randteil des Hirnstammes (rechts mehr als links) eine
Aufhellungszone.
In der Medulla oblongata sind die beiden unteren Oliven
geschädigt (links mehr als rechts). Die Schädigung betrifft
den ventralen Schenkel und den lateralen Abschnitt der Hauptolive,
die links fast bis zur Vernichtung zerstört sind. Damit im Zusammen¬
hang sind auch die Vlies- und die zentralen Olivenfasern entsprechend
aufgehellt. Während rechts die äußeren Bogenfasern der Olive
fehlen, sind sie auf der stärker affizierten linken Seite vorhanden.
Die beiden Primäroliven sind intakt.
Die Fibrae olivo-cerebellares sind links stärker entwickelt als
rechts. Das Hilusmark der Oliven, beiderseits abgeblaßt, kommuni¬
ziert durch den zerfallenen Verbindungsschenkel der Hauptolive mit
der zentralen Haubenbahn.
Äußere ventrale* Bogenfasern sind an der rechten Seite
kaum erkennbar, dagegen linkerseits vom Gebiete der lateralen
Kerne nach abwärts und durch die Pyramide hindurch deutlich,
wenn auch ziemlich dünn entwickelt, sichtbar. Lateral vom
Corpus restiforme finden sich keine Bogenfasern, desgleichen nicht
an der Außenseite der Medulla. Fibrae arcuatae externae sind erst
vom Gebiete der Substantia reticularis an durch die Pyramide,
die sie zerklüften, zu verfolgen. Die Olivenfasern sind wenig zahl¬
reich und aufgehellt.
Rechtes Corpus restiforme schwächer alB das linke und am
äußeren Rande eingefallen.
Im oralsten Anteil des ventralen Randes der Corpora resti-
formia Aufhellungsherde, rechts mehr als links. In denselben de¬
generierte Nervenzellen und degenerierte Markfasern als Folge einer
alten Erweichung. Aufhellungszonen beiderseits ventral vom Fazia-
liskern sowie linkerseits an der Grenze zwischen Pyramide und
medialer Schleife. *• In diesen Zonen degenerierte Fasern und throm-
bosierte kleinste Blutgefäße.
Die beiden hinteren Längsbündel variant ungleich entwickelt,
meist das linke schwächer und lockerer gebündelt als das rechte,
oral dagegen das rechte schwächer als das linke (die physiologische
Breite nicht überschreitende Varietät). Velumgebiet heller als in
der Norm. Linker Traotus retropeduncularis schwächer als derrechte.
Sämtliche drei Kleinhirnsehenkel sind gegenüber der Norm
verkleinert, rechts wesentlich mehr als links.
In der Brücke sind drei Systeme getroffen:
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
365
a) Der Bindearm. Seine dorsale Spitze ist beiderseits ver-
schmächtigt. Diese Verschmächtigung läßt sich bis zur Bindearm-
kreuzung deutlich verfolgen, sie verschwindet jedoch links dort,
wo sich die dorsalen Fasern gegen das Velum ziehend, auffallend
verschmächtigt zeigen.
ß) Die zentrale Haubenbahn der linken Seite, welche ver¬
schmächtigt ist.
y) Der rechte Brückenarm ist kleiner, das rechte Brückengrau
aber besser entwickelt als das linke. Es zeigt sich kaudooralwärts
ein medial und schließlich mehr ventral ganz oberflächlich gelegener
Zellstreifen als das Hauptgebiet der Atrophie.
Laterale Schleife links schwächer entwickelt als rechts.
Linke Brückenfasern scheinbar reichlicher als die rechten.
Die medialen, zwischen den Pyramiden gelegenen KemmaBsen
in der Brücke linkerseits quantitativ stark (ungefähr bis auf die
Hälfte) verringert. Die lateral von den Pyramiden gelegenen Zell¬
massen in der Brücke links mächtiger, zellreicher und besser gefärbt
als rechts, jedoch beiderseits Färbung unter der Norm.
In der Region, wo Stratum complexum, superficiale und pro-
fundum bereits entwickelt sind, sind die Kernmassen in der Brücke
rechts höher als links, in ihnen Aufhellungen.
Bezüglich der quergetroffenen Brückenfasern läßt sich schwer
etwas aussagen, weil das Gebiet der Brücke nach vorne zu fehlt.
Sämtliche Arterien der Gegend des rechten Kleinhirnes und
des Pons sind dünner als die des linken. Aber auch diese sind, wie
die gesamten Hirnarterien des Falles, von kleinerem Kaliber als
normal. Der Plexus chorioideus des 4. Ventrikels ist stark sklerosiert
An den Gefaßen der Hirnbasis eine chronische Endarteriitis mit
Verbreiterung der Gefäße und Spaltung der Elastika in einem Aus¬
maße, wie sie bei einem 21jährigen Menschen nur selten und da
fast ausschließlich bei Syphilis zu finden ist.
Im Hirnstamm, besonders in der Gegend des Kocblearisein*
trittes, findet sich hochgradige BlutgefäßBtauung. Außerdem be¬
steht starke Füllung und Erweiterung der intrameningealen und
intrazerebellaren Blutgefäße. Vereinzelte frische Thromben in der
Arteria basilaris, vereinzelte perivaskuläre Infiltrate im Kleinhirn.
Geringes intrameningeales ödem und intrameningeale Blutungen.
.Die Einzelfunde im Bereich des Nervus octavuB und seiner
zentralen Endausbreitung seien noch kurz hervorgehoben:
Die dritte linke Temporalwirkung, die Gyri temporales und die
Insel erweisen sich normal, desgleichen die H e s c h 1 sehe Windung.
Die aufsteigenden Hörfasern sind normal, so insbesondere die tiefen
und oberflächlichen Striae acusticae sowie der Nucleus triangularis,
die Zellen der Deitersschen Kerne usw. Der distale Teil des Nucleua
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366
G. Alexander.
anterior acnstici (ventralis) ist normal, desgleichen das Tnbercnlom
acusticum.
Weiters fanden sich Aufhellungsgebiete im Bereiche beider
lateralen Akustikuswurzeln. Die ventralen Kochleariskerne waren
zellarm, die vorhandenen großen Ganglienzellen jedoch intakt. Auf
der rechten Seite waren weniger Zellen als linkerseits. Anch fanden
sich im rechten Kochleariskern einzelne Zellen kleiner als im linken
Kern. Ferner ließ sich eine wenn anch geringgradige Verschmächtignng
der rechten ventralen Kochleariskerne nachweisen. Die Badix coch-
learis erweist sich in dem extra- und intramedullären Teil degene¬
riert, im extramedullären mäßig verdünnt. Im proximalen Ende
des extramedullären Teiles der Radix cochlearis fand sich eine um¬
schriebene Nekrose, am Rande des einstrahlenden Corpus restiforme
eine ältere Erweichung des Hirnstammes. Im Hirnstamm, besonders
in der Gegend des Kochleariseintrittes, fanden sich auch hochgradig
gestaute Blutgefäße.
Die Radix labyrinthica ist rechts etwaB kleiner als links.
Der extramedulläre Teil der Radix labyrinthica erweist sich
oberflächlich und besonders im kaudalen Anteil degeneriert (Arte¬
fakt?). Im extramedullären Anteil der rechten Radix labyrinthica
fand sich ein versprengter Ganglienzellhaufen (Martin sehe Zell¬
gruppe). Es handelt sich dabei um eine Heterotopie, die als Varietät
das Gebiet des Normalen nicht überschreitet. Der intramedulläre Teil
der Radix labyrinthica erwies sich normal. Im Hirnstamm fanden
sich besonders in der Gegend des Kochleariseintrittes hochgradig
gestaute Blutgefäße.
Eine Reihe von Heterotopien haben auch Vogt und Astwaza-
turow an ihren Fällen feststellen können. Sie sind Teilerscheinung
von Entwicklungsstörungen und ein sicheres Zeichen des intrafötalen
Entstehens der Veränderungen. Erwähnenswert ist, daß sich auch
im membranösen peripheren Gehörorgan bei kongenitalen Ver¬
änderungen Heterotopien finden, allerdings haben sich im vorliegenden
Falle keine feststellen lassen.
Eine besondere Heterotopie stellt die Anhäufung von grauer
Substanz im Corpus restiforme dar. Diese Zellhaufen entsprechen
einem embryonalen Strickkörperkern, der intrafötal normalerweise
vorhanden, später verschwindet und nur in Fällen von Entwicklungs¬
hemmung erhalten bleibt [Karplus (15), Vogt und Astwaza-
turow (28), S. 98]. Im Nachweis dieser Heterotopie ist somit
gleichfalls ein Zeichen für die intrafötale Entstehung der Verände¬
rungen zugleich auch der Minderwertigkeit des Zentralnervensystems
zu finden.
Vogt und Astwazaturow (28) bemerken: „Mitten im Corpus
restiforme auf der Höhe des Akustikuseintrittes findet sich (im
Frontalschnitt) eine Anhäufung von grauer Substanz mit Ganglien-
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
367
zellen. Auf Serienschnitten sieht man, daß dieses Gebilde mit keinem
von den Oblongatakernen in Verbindung steht und ein sehr kleines
Volumen hat. Eine etwas größere Anhäufung grauer Substanz in
Corpns restiforme konnte auch (auf einer Seite) auf der Höhe des
Eintrittes ins Kleinhirn konstatiert werden.“
Das Corpus trapezoides schien rechts weniger intakt als links.
Im Niveau der Kreuzung stellt sich jedoch heraus, daß beide als
gleich und normal anzusehen sind. Die oberen Haupt- und Neben¬
oliven sind normal, desgleichen die Vliesfasern und Striae Monakow
(tiefen Striae).
Die absteigenden Hörfasern erwiesen sich normal. Am Boden
des 4. Ventrikels bis auf Stauung von kleinen Blutgefäßen keine
Veränderungen Der Ventrikel selbst erscheint dorsal und rechts in¬
folge des Ausfalles der ventro-medialen Anteile der Rinde der
rechten Kleinhirnhemisphäre erweitert.
An den Kernen der übrigen Hirnnerven ergaben sich keine
Veränderungen. Es zeigen sich lediglich Aufhellungszonen beiderseits
ventral vom Fazialiskern sowie linkerseits an der Grenze zwischen
Pyramide und medialer Schleife, in diesem Gebiete degenerierte
Fasern und thrombosierte kleinste Blutgefäße.
* *
*
In Anbetracht der beträchtlichen Anzahl von zum Teil charak¬
teristischen Einzelbefunden im Zentralnervensystem und ihrer Ver¬
bindung mit dem Befund der peripheren Taubheit erwächst dem
Untersucher die Pflicht, die Frage der Ätiologie und des zeitlichen
Entstehens aller Veränderungen zu erörtern. Dabei muß man darüber
klar sein, daß diese Erörterung trotz Vorliegens brauchbarer Daten
in Anamnese und Befund einzelner Annahmen und Vermutungen
nicht entraten kann.
Die histologische Untersuchung des Zentralnervensystems hat im
Bereiche des Kleinhirnes und des verlängerten Marks eine Reihe
verschiedenwertiger Veränderungen ergeben: kongenitale und er¬
worbene. Es ist Sache der untenstehenden Ausführungen, den Zeit¬
punkt des Auftretens der erworbenen Veränderungen möglichst zu
bestimmen sowie festzustellen, ob es sich dabei um direkte oder
sekundäre Veränderungen handelt. Ihre prinzipielle Erklärung
erlangen diese Befunde im Zusammenhang mit den autoptischen Be¬
funden des Gesamtkörpers.
I. Kongenitale Veränderungen.
Aus den autoptischen Einzelbefunden des Gesamtkörpers seien
zusammenfassend diejenigen hervorgehoben, die als kongenitale Ver¬
änderungen gedeutet werden müssen. Es handelt sich um ein In-
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368
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dividuum mit allen Zeichen des Status thymico - lymphaticus (Ver¬
größerung der Lymphdrüsen, großer Thymus, schwächlicher flacher
Brustkorb, schwammige, bis 6 mm diche Schädeldecke, zarte Arterien,
Aorta angusta). Im Bereiche des Gehörorgans ist in den Knochen¬
defekten im Tractus spiralis foraminosus und der Lamina spiralis
gleichfalls eine kongenitale Veränderung tu erblicken. Desgleichen
in der Endostverdickung im inneren Qehörgang.
Nach den Untersuchungen von Bartel (2) ist bekannt, daß
zum Bild ded Status thymico-lymphaticus (Status hypoplasticus
Bartels) auch kongenitale Veränderungen im Zentralnerven¬
system gehören. Eine Reihe von Veränderungen des vorliegenden
Falles können nun gleichfalls als kongenitale betrachtet werden.
Darin gehören im Hirnstamm die versprengten Martin sehen
Zellengruppen im Gebiete des Vestibularis und die umschriebenen
Veränderungen in der Kleinhirurinde (Erhaltung der gröberen Rinden¬
struktur bei Verlust der Purkinje sehen Zellen und starker Ver¬
schmälerung der inneren Körnerschichte). Weiters gehört hierzu die
Verkleinerung der linken Kleinhirnhemisphäre, da durch die in
dieser Hemisphäre sehr wenig umfangreiche Sklerose mit
Schrumpfung (s. u.) die auffallende Kleinheit dieser Hemisphäre
nicht zur Gänze erklärt werden kann. Nun liegt es nahe, anzunehmen,
daß ursprünglich auch die rechte Kleinhirnhemisphäre vom gleichen
Grade einer kongenitalen Verkleinerung betroffen'worden ist, zu
welcher spätere Veränderungen im Sinne von Sklerose und
Schrumpfung (s. u.) hinzugekommen sind. Man gelangt daher
ungezwungen zur Annahme, daß das Kleinhirn des vorliegenden
Falles schon urspünglich kleiner als normal, d. h. hypoplastisch
gewesen ist. Dabei kann es sich aber nur um eine gleichmäßige
Verkleinerung des Kleinhirnes unter Erhaltensein aller seiner Teile
gehandelt haben.
Die unmittelbare Ursache der Hypoplasie des Kleinhirnes kann
aus den Daten des vorliegenden Falles ebenso wenig erklärt werden,
wie die Ursache des Status thymico-lymphaticus des Gesamtkörpers.
Es ist denkbar, daß die Kleinhirnhypoplasie wie der Status thymico-
lymphaticus einer ursprünglich defekten Anlage infolge von Blas-
tophthorese im Sinne F o r e 1 s seine Enstehung verdankt, wobei für
das Zustandekommen der Blastophthorese die indirekte Wirkung von
Alkohol und Lues oder anderer Schäden der Erzeuger maßgebend
geworden sind. Nun liegen sogar Zeichen einer direkten luetischen
Infektion im Sinne einer Heredo-Lues in diesem Falle an den regio¬
nären Gefäßen vor (s. u.). Umso mehr ist man daher berechtigt,
hier in der Lues auch in der Richtung der Blastophtorese ein
ätiologisches Moment zu erblicken.
Weiters muß man annehmen, daß die Hypoplasie des Klein¬
hirnes und der regionären Blutgefäße im engsten gegenseitigen
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
369
Zusammenhang schon sehr früzeitig intraembryonal aufgetreten ist,
ohne die Frage beantworten zu können, welcher der beiden Teile
den primär erkrankten darstellt. Marburg sieht das ursprüng¬
lichste ätiologische Moment in der Gefäßveränderung, Brun in den
Veränderungen des Zentralnervensystems. Es ist bekannt, daß die
Asymmetrie der Blutgefäße der Hirnbasis, wie sie sich im vor¬
liegenden Falle fand, mit der ursprünglich defekten Anlage nichts
zu tun haben muß, sondern als sekundäre Veränderung entstanden,
im Zusammenhang mit der später eingetretenen Kleinhirnschrumpfung
gedeutet werden kann und das gleiche kann vom Befund der asym¬
metrischen Abflachung der beiden hinteren Schädelgruben gelten.
Ziehen wir in Betracht, daß pathologische Prozesse während des
Embryonallebens leicht zu Entwicklungshemmung fuhren können
(Spiegel [24] S. 544), so sind die weitgehenden Veränderungen an
der knöchernen Schädelbasis und den regionären Blutgefäßen un¬
gezwungen zu erklären.
II. Die erworbenen Veränderungen.
In diesem Gehirn, das kongenital im Sinne der Kleinhirn-
hypoplasie verändert war, ist es später unter dem Einflüsse einer
exogenen Ursache zu weiteren Veränderungen gekommen. An um¬
schriebenen Stellen des Kleinhirnes fanden sich sklerotische Herde,
im Bereiche welcher das nervöse Gewebe, und zwar sowohl die
weiße als auch die graue Substanz zugrunde gegangen ist. Im
Bereiche der Sklerose fanden sich auch geschrumpfte Blutgefäße.
Der größte sklerotische Herd besteht im Kleinhirn. Er ist mit seinem
größeren Anteil im basalen Anteile der rechten Kleinhirnhemi¬
sphäre gelegen und reicht über den Wurm in die linke Klein¬
hirnhemisphäre. Durch die Herderkrankung sind in der rechten
Kleinhirnhemisphäre folgende Veränderungen zustande gekommen:
die rechte Amygdala fehlt fast vollständig, desgleichen fehlt der
medio-kaudale Teil des rechten Lobulus biventer und ein gleicher
Anteil des rechten Semilunaris inferior. Der Herd reicht in voller
Breite von der Rinde in das Mark der rechten Kleinhirnhemisphäre
und erstreckt sich bis in den kaudalsten Anteil derselben. Kaudal
vom Nucleus dentatus trifft der Defekt rechts die medianen Anteile
des Hemisphärenmarks. Im kaudalen Beginne des Nucleus dentatus
beschränkt sich die Sklerose auf das ventral vom Nucleus dentatus
gelegene Mark, reicht aber durch den Wurm hinüber auf die medialen
Anteile der linken Kleinhirnhemisphäre (1. Amygdala). Der kaudale
Anteil des rechten Nucleus dentatus ist zerfallen. Weiter oral geht
die Sklerose bandförmig durch den Wurm über die Mitte und
durchsetzt die ventralen Anteile des Markes der linken Hemisphäre.
In dieser Höhe (A 920) bietet der Nucleus dentatus beiderseits
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G. Alexander.
eine annähernd normale Konfiguration. Die Sklerose reicht bis
knapp an den Nucleus fastigii.
Weitere kleinere nicht wesentliche Herde finden sich im
Bereiche des Hirnstammes im Bereiche des Kochleariseintrittes.
Die Schiefhaltnng des Kopfes geht anf den Kleinhimdefekt
zurück: sie ist offenbar einer Kompensation entsprechend später ge¬
schwunden. Über Schwanken des Kopfes berichten Vogt und A st-
wazaturow (28) in ihrem Fall III.
Für das frühzeitige Entstehen der Kleinhirnveränderungen
spricht endlich auch die Abflachung der beiden hinteren Schädel¬
gruben. Die Atrophie des Kleinhirnes und die Asymmetrie seiner beiden
Hemisphären muß intrafötal oder infantil so früh aufgetreten sein,
daß die sich entwickelnde Schädelkapsel mit der der Asymmetrie der
beiden Kleinhirnhemisphären ganz entsprechenden Abflachung der
beiden hinteren Schädelgruben reagieren konnte.
An der HirnbasiB findet man reichlich zum Teil organisierte,
bindegewebig und hyalin degenerierte Blutgefäße, eine Endarteriitis
mit Verbreiterung der Gefäße und Spaltung der Elastica. Da auch
sonst die Gefäßwände Verdichtungen zeigen, welche alle Wände auch
die Adventitia treffen, so wäre die Wahrscheinlichkeit, daß der
Prozeß ein vaskulärer, und zwar ein luetischer ist, nicht von der
Hand zu weisen (s. u.). Als Folge dieses vaskulären Prozesses muß
man wohl auch die sklerotischen Partien im Zerebellum ansehen, die
ventrikelwärts gelegen sind. Allerdings läßt sich nicht entscheiden,
ob der Prozeß ein vaskulär-entztlndlicher oder ein rein vaskulär-
malazischer gewesen iBt. Dagegen läßt sich mit Sicherheit sagen, daß
die Veränderungen sehr alte sind. Der Umstand, daß ihm ganze Klein¬
hirnteile zum Opfer gefallen sind, zwingt uns, ihn in die Fötalzeil
oder in die früheste Kindheit zu verlegen. Dafür sprechen auch die
Untersuchungen von Spatz (24, 25). Dieser Prozeß, der die rechte
Seite stärker betroffen haben müßte als die linke, kann aber nicht
die Ursache der gesamten Hypoplasie des Kleinhirnes gewesen sein.
Die Hypoplasie des Kleinhirnes hat schwere sekundäre, degene-
rative, retrograde Veränderungen und solche korrelativer Natur in der
Brücke und im verlängerten Mark zur Folge gehabt. Die Extensität
dieser spricht gleichfalls zugunsten der Annahme eines fötalen oder
früh-infantilen Prozesses. Dabei ist auffällig, daß die Entwicklung
des Vorhandenen relativ gut erfolgt ist.
Diese Tatsache spricht dafür, daß die Schädigung vor die Zeit
gefallen sein muß, in welcher es zur Zellentwicklung und Zell¬
anordnung im Kleinhirn kommt. Man könnte demnach annehmen,
daß auf der Basis einer vaskulären Anomalie in frühester Fötalzeit
ein malazischer Herd entstanden ist, wodurch eine Hypoplasie des
Kleinshirnes sich entwickelt hat, und zwar eine Hypoplasie des ge-
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
371
samten Kleinhirnes nnd nicht einzelner Rindenanteile. Denn in der
Rinde ist die Zellentwicklung fast normal erfolgt.
Die Frage nach der Ätiologie der Herde nnd der Zeit
ihres ersten Auftretens, kann nicht mit voller Eindeutigkeit beant¬
wortet werden. Als ätiologische Faktoren kommen in Betracht:
1. eine infektiöse Entzündung, 2. das in der Anamnese ausgesprochene
Trauma.
Für die Annahme, daß die Sklerose aus einer regionären in¬
fektiösen Entzündung hervorgegangen ist, sprechen folgende Befunde:
a) Die Veränderungen an den Blutgefäßen der Hirnbasis (zum
Teil obliterierte, bindegewebig und hyalin degenerierte Blutgefäße,
Endateriitis mit Verbreiterung der Gefäße, Spaltung der Elastica,
alte Thrombosierungen);
b) der Befund der Atrophie der linken Niere als Ausheilungs¬
form einer infantilen Lithiasis. Wenn auch anamnestisch ausdrück¬
liche Angaben über eine durchgemachte Infektionskrankheit fehlen,
so zwingen diese Befunde doch, anzunehmen, daß das Individuum
eine Infektionskrankheit durehgemacht hat. Sowohl die Otitis media
als die Lithiasis der linken Niere sind sicher das Ergebnis einer
postfötalen Infektion gewesen. Die Veränderungen an den Blutgefäßen
der Hirnbasis zeigen mit Sicherheit, daß auch endokraniell sich eine
infektiöse Entzündung abgespielt hat.
Bezüglich des Zeitpunktes der endokraniellen Entzündung
sind zwei Auffassungen möglich. Hat für die infektiöse Ent¬
zündung des Mittelohres, der linken Niere und des Endokraniums
die gleiche Ursache gewirkt, so ist die endokranielle Entzün¬
dung wie die beiden anderen Lokalisationen als postfötal auf¬
getreten anzusehen. Bringt man aber den endokraniellen Befund in
Vergleich mit anderen ähnlichen, dann kann man in den Gefä߬
veränderungen Produkte einer intrafötalen Entzündung erblicken.
In diesem Fall käme als ätiologisches Moment mit Rücksicht auf den
histologischen Befund in den regionären Arterien Lues in Betracht.
Es ergibt sich somit aus den Veränderungen der basalen Hirngefäße
mit Sicherheit die Tatsache, daß der vorliegende Fall eine endo¬
kranielle Entzündung durchgemacht hat.
Ist nun die im Kleinhirn gefundene Sklerose auf Entzündung
zurückzuführen im Sinne von Narben nach abgelaufener Enzepha¬
litis? Nach dem histologischen Befund muß diese Frage bejaht
werden. Gegen die Annahme einer abgelautenen Enzephalitis, gleich¬
gültig ob es sich um eine intra- oder postfötale, um eine luetische
oder eine anderer Ätiologie gehandelt haben sollte, spricht jedoch
das Fehlen ausgedehnter Veränderung im Zentralnervensystem außer¬
halb des Kleinhirnes. Auch der weitgehende Rindendefekt des Klein¬
hirnes ist mit dem gewöhnlichen Befund einer abgelaufenen Enzephalitis
nicht vereinbar.
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So kommt nun in der Diskussion noch das postfötale Trauma,
von welchem das Individuum im Alter von 16 Monaten betroffen
worden ist, in Betracht. Man müßte dann annehmen, daß durch den
Sturz eine traumatische Erweichung infolge einer Hirnhämorrhagie
zustandegekommen ist. Das Fehlen von Residuen einer sonstigen
makroskopischen seinerzeitigen Schfidelverletzung schränkt allerdings
diese Überlegung zur bloßen Annahme ein.
Für beide ätiologischen Möglichkeiten — Infektion und
Trauma — können zur Erklärung der Tatsache, daß die Verände¬
rungen auf das Kleinhirn und auf das Ohr so deletär gewirkt haben,
die kongenitalen Anomalien des Gesamtorganismus herangezogen
werden.
Es handelt sich um ein Individuum, das infolge seiner körper¬
lichen Minderwertigkeit im Bereiche des Kleinhirnes und des Ohres
weitgehend erkrankt ist. In der Minderwertigkeit ist mit Sicherheit
ein für die Zerebellar- und Ohraffektion gemeinsamer ätiologischer
Faktor zu erblicken. Im übrigen sind zwei Deutungen möglich:
1. Kleinhirnaffektion und Taubheit sind in bezug auf das ätiologische
Moment und die Zeit seines Auftretens miteinander verbunden.
2. Kleinhirnaffektion und Taubheit sind in ätiologischer 'Beziehung
und in bezug auf das zeitliche Auftreten voneinander unabhängig.
Will man beide Veränderungen ätiologisch und zeitlich einheitlich
betrachten, so muß man annehmen, daß entweder die infektiöse Ent¬
zündung postfötal Zerebellum und Ohr gleichzeitig befallen, oder
daß für beide Organe das Trauma die Ursache der Veränderungen
dargestellt hat. Andrerseits kann mit dem postfotalen Trauma allein
die erfolgte Ertaubung nicht erklärt werden. Es muß sich, wie
der Ohrbefund aufhellt, sekundär eine infektiöse Erkrankung dazu¬
gesellt haben. Es bleibt nun die Frage: war diese Infektion auch
die Ursache für die Kleinhirnveränderung? Die Möglichkeit, daß'
dies der Fall ist, muß zugegeben werden und damit besteht für die
Ohr- und die Kleinhirnveränderung die gleiche Ätiologie.
Folgt man der zweiten Annahme, so ergibt sich, daß die Klein¬
hirnveränderung und die Taubheit unabhängig voneinander ent¬
standen sind und das einzig Gemeinsame bleibt, die für beide
Regionen geltende Minderwertigkeit. Stützt man sich nun berechtigter¬
weise auf die verläßlichen Angaben der Anamnese, so gelangt man
zur Ablehnung der Annahme einer postfötalen Infektionskrankheit als
eines gemeinsamen ätiologischen Faktors für die Ohr- und die Klein¬
hirnveränderung, denn diese Erkrankung wäre entsprechend ihren
schweren bleibenden Folgen sicher auch schwer verlaufen und in¬
folgedessen gewiß nicht der Umgebung verborgen geblieben bzw. über¬
sehen worden. Hat aber die postfötale Infektion nicht stattge¬
funden, dann zwingt der histologische Befund der regionären Hirn¬
arterien zur Annahme einer intrafötalen infektiösen Entzündung.
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes, 373
Der intrafötale Infekt, aller Wahrscheinlichkeit nach luetischer
Ätiologie, hat zu den Veränderungen an den reagionären Arterien
geführt, vielleicht auch zur Sklerose, sicher aber nicht zur Otitis
media, das postfötale Trauma hat sicher zur Ertaubung geführt (auf dem
ätiologisch nicht weiter aufklärbaren Umweg der Otitis media),
vielleicht auch zur Sklerose, sicher nicht zu den Gefäßveränderungen.
III. Die sekundären Veränderungen.
Eine dritte Gruppe ergeben die Veränderungen, welche sich
als Folge der Hypoplasie und der Sklerose des Kleinhirnes und der
darauffolgenden Schrumpfung des Kleinhirnes eingestellt haben. Diese
Veränderungen zeigen sich 1. als mechanische Folgen der Schrumpfung
in Gestalt von Asymmetrien, Verzerrungen und Verziehung im Bereiche
des Kleinhirnes, 2. als organische in Form von Degeneration und
Atrophie gewisser Fasersysteme. Infolge dieser Schädigungen des
Kleinhirnes sind korrelative Veränderungen entstanden, die gewisse
Beziehungen zwischen Kleinhirn, Medulla und Brücke klarstellen.
Zu den Veränderungen der ersten Gruppe gehört die Asym¬
metrie des Kleinhirnes mit Verziehung der Mitte nach rechts, stärkerer
Verkleinerung der rechten Kleinhirnhemisphäre und Verlagerung
des Sulcus horizontalis. Hierher gehört weiters die Verkürzung der
rechten Kleinhirnhemisphäre in kaudofrontaler Richtung und das
Auftreten der medio-dorsalen Wurmspalte. Zu diesen Veränderungen
ist endlich zu rechnen die Asymmetrie der beiden hinteren Schädel¬
gruben sowie die asymmetrische Verkleinerung der Blutgefäße der
rechten Hirnbasis gegenüber denen der linken.
Zur zweiten Gruppe gehören die höhergradigen Veränderungen
bzw. die Systemerkrankungen im Bereiche aller drei Kleinhirn¬
schenkel.
a) Man findet eine deutliche Verdünnung des rechten Corpus
restiforme. Nun wissen wir, daß sich das Corpus restiforme
in der Hauptsache aus den Fibrae olivo-cerebellares, dem
Tractus spino-cerebellaris dorsalis und den Fibrae arcuatae
extern ae zusammensetzt. Eine quantitative Verminderung im
Bereiche des Tractus spino-cerebellaris dorsalis ist nicht er¬
weisbar, da Marchischnitte nicht vorliegen. Es liegt aber auch kein
Anhaltspunkt für eine solche Systeraerkrankung vor. Hingegen
fehlen rechts die Fibrae arcuatae externae der Medulla oblongata.
Der wichtigste Grund für die Verdünnung des rechten Corpus resti¬
forme liegt aber im Ausfall der aus der linken Olive kommenden
Fibrae olivo cerebellares. Dieser Ausfall ist aber ohne weiteres zu
erklären aus der weitgehenden Degeneration dieser Olive.
Nach Vogt und Astwazaturow reicht selbst eine hoch¬
gradige Atrophie der Kleinhirnrinde nicht aus, um Veränderungen
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an den Oliven hervorzubringen. Die Olivenveränderungen entsprechen
lediglich dem Grade .der Veränderungen der Nuclei dentati. Dies
gilt wenigstens für die Fälle von Kleinatrophie und -Hypoplasie. In
allen Fällen von Schädigung der Corpora dentata stellt sich sekundär
eine Atrophie der Olive her (S. 80).
Die Degeneration der unteren Oliven selbst betreffend ergibt
die genaue Durchsicht der Serie folgende Verhältnisse (Fig. 35):
In der rechten Hauptolive ist der mediale Rand des ventralen
Blattes degeneriert. Die Degeneration ist kaudooral im mittleren
Drittel der Olive gelegen, jedoch kürzer als dieses. Dieser De¬
generation ist der Defekt des medialen Anteiles der linken
Amygdala zugehörig.
Die Degeneration der linken Hauptolive reicht kaudooral von
einem Punkt innerhalb des kaudalen Drittels der Olive kontinuierlich
fast bis in das orale Ende der Olive. Diese Degeneration betrifft
das gesamte ventrale Blatt und reicht in der größten Breite (Fig. 35)
im Bereich des mittleren Drittels der Olive durch den Verbindungs¬
schenkel bis in den lateralen Rand des dorsalen Blattes. Dieser Ver¬
änderung entspricht in der rechten Kleinhirnhemisphäre das fast
völlige Fehlen der Amygdala und die hochgradige Verkleinerung
des rechten Lobulus biventer und des rechten Lobulus semilunaris.
Nimmt man die Tatsache als gegeben an, daß die beiden Haupt¬
oliven in erster Linie mit der Hemisphären rinde Zusammen¬
hängen, so ergeben sich als Folgerungen aus dem Befund des vor¬
liegenden Falles:
1. Das ventrale Blatt jeder Hauptolive hängt mit der Rinde
der kontralateralen ventralen Kleinhirnseite zusammen.
2. Der mediale Rand des ventralen Blattes im Bereich des
mittleren Drittels der Hauptolive hängt zusammen mit dem medialen
Anteil der gegenseitigen Amygdala.
3. Die weiter lateral gelegenen Teile des ventralen Blattes
sowie die Verbindungsschenkel und der lateralste Teil des dorsalen
Blattes in der Längsausdehnung über das mittlere Drittel der Olive
hinaus sind mit dem lateralen Teil der Amygdala, dem medialen
des Lobulus biventer und des Lobulus semilunaris der Gegenseite
verbunden.
4. Die Primäroliven besitzen keinen Zusammenhang mit dem
oralen Teil der Uvula und des Nodulus.
Diese Ergebnisse stimmen größtenteils mit denen der Unter¬
suchung von B r o u w e r und C o e n e n (5) überein. (S. in dieser Ab¬
handlung auch die Literatur). So ist besonders der Anschauung bei¬
zupflichten, daß die Gegend der Tonsille und des angrenzenden
Gebietes der Hemisphären ein reiches Projektionsareale der unteren
Oliven darstellen muß (B r o u we r und Coenen, S. 70, P. 2).
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
375
Weiters zeigt sich, daß tatsächlich die Unterlappen des Klein¬
hirns dem kontralateralen ventralen Olivenblatt entsprechen, wie
das Holmes und Stewart (14) und viele andere festgelegt
haben. Die Beziehung geht sogar, wie die Differenz in der rechten
und linken Seite des vorliegenden Falles zeigt, noch weiter, wonach
der Amygdala das am meisten geschädigte medialste Stück des ven¬
tralen Blattes zukom mt.
Auffällig ist daB Verhalten der Bogenfasern. Die prätrigeminalen
Bogenfasern sind rechts zerstört, links erhalten. Besonders triflt das
die marginale Gruppe dieser Fasern. Das würde dafür sprechen, daß
wir in diesen Fasern Verbindungen zu sehen haben, welche vom
Kleinhirn zur Olive gehen. Die zentrale Haubenbahn zeigt, wie
das dorso-laterale Haubenfeld, zu ungunsten der schwerer affizierten
Olive eine Verschmächtigung. Dieses Verhalten kann dahin gedeutet
werden, daß wir hier eine sekundäre Atrophie vor uns haben, oder
aber, daß die zentrale Haubenbahn auch von der Olive zum Zwischen¬
hirn ziehende Fasern enthält.
Die in Punkt 3, S. 70 der Arbeit von B r o u w e r und
C o e n e n (5) niedergelegte Anschauung, daß die Nebenolive und der
Frontalpol der Hauptolive mit dem Palaeozerebellum und der größte
Teil der Hauptolive mit dem Neozerebellum in faseranatomischer
Verbindung stehen muß, wird durch die Befunde der vorliegenden
Untersuchung nicht widerlegt.
In bezug auf die Zusammenhänge der Nebenolive entspricht
das Ergebnis der vorliegenden Untersuchung eher der Anschauung
von Brunner (6), der auf Grund vergleichender Untersuchungen
festgestellt hat (S. 166), „daß zwischen den Kernen a und b einerseits,
dem Lobulus c von B o 1 k bzw. der Declive, Tuber valvulae, Folium
cacuminis und Pyramis der Anthropotomie andrerseits in bezug auf
ihren phylogenetischen Entwicklungsgang eine weitgehende Analogie
besteht.“ Weniger spricht der Befund meines Falles zugunsten der
Anschauung von B r o u w e r und C o e n e n (5), wonach die medio¬
ventrale Nebenolive mit der Pars postrema cerebelli (Pyramis,
Uvula, Nodulus mit Flocculus und Paraflocculus) in faseranatomischer
Verbindung steht, da in meinem Fall bei völliger Intaktheit der
Nebenoliven 4 ) der Nodulus und der Flocculus hochgradig atrophisch
waren und ein TeiJ des Unterwurmes gefehlt hat: Es beStand somit
hier ein hochgradiger Defekt der Pars postrema cerebelli bei Un¬
versehrtheit der medioventralen Nebenolive.
Interessant ist die Darstellung der Beziehung des Unterlappens
deB Kleinhirns zur Brücke nach dem Befunde des vorliegenden
Falles, indem diesem Gebiete die kontralateralen ventro-medialen
*) Allerdings ist bei der individuell bedeutend variierenden Ausbildung der
Nebenolive ihre ideale Intaktheit nicht vollständig exakt erweisbar.
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Zellpartien der Brllcko entsprechen [Masuda (18)]. Defekt ist ein
großer Teil deB Unterwurms und die Amygdala sowie Teile des
Lobulus biventer. ln der Tat zeigten sich die ventromedialen
Zellanteile der Brücke verändert. Da wir nun annehmen müssen,
daß diese Zellpartien vorwiegend Fasern entsprechen, welche aus dem
Zerebellum brückenwärts ziehen, da ja die Schädigung im Zerebellum
sitzt, so ist damit neuerdings der Beweis erbracht, daß diese Fasern
im Stratum superficiale verlaufen und in den diesem Stratum
benachbarten Zellgruppen ihr Ende finden. Dabei dürfte die Mehr r
zahl der Fasern tatsächlich gekreuzt verlaufen: Die Brückenkerne
erweisen sich linkerseits schwerer geschädigt als rechts. Die Ent¬
scheidung, welche Partien der Brückendem Wurm und welche den
Eieinhirnläppchen entsprechen ist nicht genau zu treffen, doch
scheint es, daß den Wurmpartien die medialsten, der Amygdala
die ventromedialen, dem Lobulus biventer die lateralen Zellpartien
der Brücke zugehören, da die lateralsten Zellgruppen am wenigsten
verändert gefunden worden sind.
Im Kleinhirn sind Kern und Rinde zerstört. In Beziehung zur
Olive steht die Rinde. Die Zerstörung der rechten Rindenpartien
hat zur Degeneration der linken Olive geführt.
Die Primäroliven sind intakt. Nach Brunner hängen die
Primäroliven mit dem Wurm zusammen. Im vorliegenden Fall fehlen
tatsächlich einzelne Anteile des Wurmes. Es ergibt sich somit, daß
die Primäroliven mit den fehlenden Wurmteilen keinen Zusammen¬
hang besitzen, d. h. mit Uvula und einem Teil des Nodulus.
Der geringe Defekt der rechten Olive hängt zusammen mit
dem Rindendefekt der linken Hemisphäre, nicht mit ihrer Hypo¬
plasie.
Die Veränderungen bestehen schon sehr lange. Aub dem
Untersuchungsergebnis lassen sich somit keinerlei Tatsachen für
die Frage der Verlaufsrichtung der olivo-zerebellaren Fasern im
Sinne der Funktion, d. h. für die Frage, ob sie zerebellopetal oder
zerebellofugal laufen, ableiten. Desgleichen kann hier auch nicht
auf die Frage des Vorhandenseins von nicht gekreuzt verlaufenden
olivozerebellaren Fasern eingegangen werden, deren Existenz beim
Menschen noch durchaus fraglich ist (Brunne r).
Hierher gehört endlich auch die rechterseits gefundene Ver-
schmälerung des von Lewandowsky zuerst beschriebenen Tractus
retroped unculari s.
Im Ponsgebiet findet man eine deutliche Verschmälerung des
rechten Brückenarmes. Es folgt daraus die Bestätigung der be¬
kannten Tatsache, daß die Kleinhirnhemisphärenrinde das haupt¬
sächliche Projektionsfeld für die Brückenarmfaserung darstellt. Damit
soll nicht verneint werden, daß auch die Wurmrinde, die im vor¬
liegenden Falle allerdings nur in kleinem Umfange defekt war
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Taubstummheit und Hypoplasie des Kleinhirnes.
377
mit der Brückenarmfaserang gleichfalls im Zusammenhang steht.
Von einer weiteren Diskusion dieser Befunde im Vergleiche mit
den Angaben der Literatur [Spitzer und Karplus (27), M a r-
burg (17), Masuda (18)] muß abgesehen werden, da der vordere
Teil der Brücke im vorliegeuden Präparat fehlt. Auch auf die
Frage der Verlaufsrichtung der Brückenfasern kann nicht ein¬
gegangen werden,. da es sich im Vorliegenden um einen Fall mit
alten Veränderungen handelt.
Bezüglich des Bindearmes läßt sich mangels einer vollständigen
Serie des Vierhügelgebietes nichts aussagen. Man kann nur annehmen,
daß die dorsalsten Teile des Bindearmes, die mehr geschädigt sind,
mit dem dorsomedialen Dentatusabschnitt in Beziehung stehen und
daß ein Teil der Bindearmfasern der dorsalen atrophischen Spitze
vor der Kreuzung den Bindearm verläßt, um in dasVelum medulläre
anterius einzustrahlen. (Faisceau encrochet).
IV. Die frischen Veränderungen.
Eine besondere Gruppe bilden die frischen Veränderungen, die
als Folge der Pilzvergiftung aufgefaßt werden müssen.
Dahin gehört die starke Füllung und Erweiterung der intra-
meningealen und intrazerebellaren Blutgefäße, das intrameningeale
Ödem und die intrameningealen Blutungen, sodann die frischen
Thrombosen in kleinsten Blutgefäßen des Hirnstammes in der
Gegend zwischen Pyramide und medialer Schleife, sowie die hoch¬
gradige Stauung in den Blutgefäßen des Hirnstammes, besonders
in der Gegend des Kochleariseintrittes. Zu den frischen Verände¬
rungen gehören endlich die vereinzelt gefundenen perivaskulären
Infiltrate im Kleinhirn, sowie die vereinzelten frischen Thromben in
der Arteria besilaris.
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angeborene Kleinhirnerkrankungen mit Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte des
Kleinhirnes. Arch. f. Psych. u. Neur. Bd. 49.
Aas der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der Akademie für prak¬
tische Medizin zu Düsseldorf (Direktor: Prof. Dr. B. Oertel).
Durariß bei Warzenfortsatzoperation. Beitrag zur
Verhütung meningealer Komplikationen.
Von Dr. Heinz Dahmann, Oberarzt der Klinik.
Zu den unerwarteten Komplikationen, die im Verlauf einer
Warzenfortsatz- oder Stirnhöhlenoperation auftreten können, gehört
unter anderem der Durariß. Liquorabfluß oder die klaffende Dura-
wunde machen den Operateur auf die ernste Komplikation auf¬
merksam.
Ein unvorhergesehener Durariß bringt naturgemäß ganz andere
Gesichtspunkte in den Operationsverlauf, in die Therapie und
Prognose des Falles, da mit der großen Wahrscheinlichkeit einer
Infektion der Meningen zu rechnen ist. Dies bezieht sich ver¬
ständlicherweise in erster Linie auf jene Fälle, in denen es sich
um ein eitrig-infiziertes Wundgebiet handelt, so bei eitriger Mastoiditis
oder Empyen der Stirnhöhle.
Durarisse können entstehen einmal durch ungeschicktes
Operieren, bei dem die Dura z. B. mit dem Meißel verletzt wird
und ferner dann, wenn der Einschmelzungsherd des Knochens die
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Durariß bei Warzenfortsatzoperation.
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Dura erreicht hat and Entztindungsvorgftnge za Verklebungen
zwischen der aufgelockerten Dura und dem ihr benachbarten
Knochen geführt haben; wird in diesem Fall der Knochen ab*
getragen, so kann es sich erreignen, daß trotz größter Vorsicht an
der Verklebungs- oder Verwachsungsstelle von Dura und Knochen
ein Einriß erfolgt. Ist nun gar auch noch die Dura selbst durch
jauchig-eitrige Prozesse mazeriert und in ihrer Widerstandskraft
herabgesetzt, so liegt die große Möglichkeit einer Eröffnung des
Subduralraumes auf der Hand.
In den meisten Fällen wird ein Durariß bei infizierter Wunde
zur Meningitis führen. Die Meningitis kann günstigenfalls
zirkumskript bleiben, wenn der Subduralraum im peripheren Bereich
der Erkrankungszone Verklebungen oder Verwachsungen aufweist,
die die Generalisierung der zunächst zirkumskripten Meningitis über
die gesamte Basis oder Konvexität des Gehirnes verhindern. In der
Mehrzahl der Fälle jedoch fehlen derartige Verwachsungen, so daß
ein Durariß dann meist zu einer allgemeinen Meningitis führt und
den ExituB letalis zur Folge hat.
Wenn — wie in einem Falle, den ich zu beobachten Ge¬
legenheit hatte, und den ich im folgenden beschreiben möchte —
trotz Durarisses bei eitrig*-infizierten Wundverhältnissen keine Infektion
der Meningen erfolgt ist, so möchte ich den guten Ausgang dieses,
durch den Durariß geschaffenen, bedrohlichen Zustandes auf das
Vorgehen bei der Operation zurückführen.
Es handelt sich um einen 32 Jahre alten Patienten A. T., der
von Beruf Dreher ist.
Der Aufnahmebefund vom 29. XU. 1921 ergibt: GroBer (1*82 m)
mäßig ernährter Mann. Hautfarbe etwas biaB.
Innere Organe: o. B.
Re fl ex e: normal.
Rechtes Ohr: Otitis media purulenta. Hinter dem Umbo centrale
Perforation, aus der sich grofie Mengen Eiter entleeren, die Perforation ist zum
Teil durch einen Polypen verlegt.
Linkes Ohr: o. B.
Nase: Deviatio septi nach links.
Mund, Rachen, Nasenrachen und Larynx: o. &
Die Röntgenaufnahme der Warzenfortsätze zeigt:
Rechter Warzenfortsatz: Antrum und Paukenhöhle verschleiert;
Zellzeichnung im Bereich des ganzen Warzenfortsatzes verwaschen, im vorderen
Teil deutliche Einschmelzung.
Linker Warzenfortsatz: Antrum und Paukenhöhle frei; im
Warzenfortsatz kleine und mittelgroße Zellen, die überall deutliche Zellwände
und scharfe Konturen zeigen.
Zunächst wird der Polyp, der die Trommelfellperforation zum Teil verlegt,
abgetragen. Es entleert sich in der Folgezeit deuernd reichlich Eiter, der
foetid ist.
Reichlich foetider Ausfluß aus dem Ohr, erhöhte Temperatur,
Druckempfindlichkeit über dem rechten Warzenfortsatz, sowie das
Monat« «ohrift f. Ohranheilk. o. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 26
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I
380
Heinz Dthmann.
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Ergebnis der Röntgenaufnahme machen einen operativen Eingriff
erforderlich.
Warzenfortsatzaufmeißelung rechts am 5. 1.
1922. Typischer Weichteilschnitt. Zurückschieben des Periostes. Auf
der KortikaliB nur vereinzelt Blutpunkte. Die Eortikalis ist nur
mäßig dick. Beim Einmeißeln derselben quillt pulsierend reichlich
Eiter hervor, der aus der Richtung des Sinus herznkommen scheint.
Freilegung des Antrums. Die Zellwände des Warzenfortsatzes sind
weitgehend morsch oder eingeschmolzen und brechen bei leichtesten
Meiseischlägen ein. Der Sinus und die davor liegende Kleinhirndura
sowie die Dura des Schläfenlappens vom Tegmen antri bis hinter
das obere Sinnsknie liegen frei und sind überall mit dicken polypösen
mißfarbenen Granulationen belegt. Die Granulationen sind an vielen
Stellen mit dem kariösen Knochen verklebt oder haben einzelne
Knochenspangen umwachsen. Beim Abtragen der kariösen Felsen¬
beinkante im Verlauf des Sinus petrosus superior erfolgt in der
Nähe der Einmündung des Sinus petrosus superior in den Sinus
transversus beim Abheben eines Knochensplitters aus den Granu¬
lationen ein Durariß; es quillt sofort reichlich Liquor hervor, der
das Blut und den Eiter fortschwemmt.
Da es sich um eine eitrig-infizierte Wundhöhle handelte, zogen
wir es vor, nicht weiter zu operieren, um nicht durch Meißel¬
erschütterungen oder andere Manipulationen in der Wunde den
Eiter und die Infektionserreger durch den Durariß auf die Meningen
zu verschleppen. Wir ließen den Liquor ungehindert fließen, gaben
dann Wasserstoffsuperoxyd in die Wunde, um den Eiter aus¬
zuschwemmen, tupften die Wunde nicht aus, sondern saugten am
unteren Wundwinkel mit Wasserstrahlgebläse die Aufschwemmung
von H 2 0 2 , Blut und Eiter ab. Dann stäubten wir reichlich Jodoform-
{ »ulver in die Wunde, besonders ins Gebiet des Durarisses und
egten nur ganz locker etwas Jodoformgaze zur Drainage ein.
Darüber wurde ein ebenso lockerer Verband gelegt.
Nachdem so die Operation unterbrochen war, wurde der Patient
mit tiefgelagertem Kopf ins Bett gelegt.
Nachmittags und an den ersten Tagen nach der Operation —
wahrscheinlich infolge des veränderten und herabgesetzten Liquor¬
druckes — klagte Patient über heftige Kopfschmerzen. Er war wohl
etwas benommen, hatte jedoch kein Fieber und kein Erbrechen.
Der Eiter, den wir zu U'ntersuchungszwecken der Warzen¬
fortsatzwunde entnommen hatten, ergab bei der bakteriologischen
Untersuchung in der bakteriologischen Abteilung des Hygienischen
Institutes: Ausstrich: Streptokokken, keine Tuberkelbazillen
kulturell: hämolysierende Streptokokken.
Da es sich also um infektiösen Eiter handelte, und der Verband
schon stark blutig-serös durchtränkt war, nahmen wir schon am
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Durariß bei Warzenfortaatzoper&tion.
381
zweiten Tag den ersten Verbandwechsel vor. Es sollte damit ver¬
hindert werden, daß unter dem vollgesogenen Verband doch eine
Stagnation von Sekret eintreten und damit gegebenenfalls noch eine
Infektion der Meningen durch den Durariß hindurch erfolgen
könnte. Bei dpm Verbandwechsel zeigte die Wunde wohl reichlich
dünnflüssiges Sekret auf schmutzig belegtem Grund, doch konnte
kein Liquorabfluß mehr festgestellt werden. (Wahrscheinlich hatten
die Granulationen, die in der Nähe des Durarisses lagen, diesen
schon verlegt.) Nach weiteren zwei Tagen wurde* der zweite Ver¬
bandwechsel vorgenommen, dann wurde der Verband t&glich ge¬
wechselt, weil sehr starke eitrige Sekretion bestand. Diese reichliche
eitrige Absonderung hielt auch in der Folgezeit an. Es war dies ja
auch erklärlich, weil das Abbrechen der ersten Operation uns ge¬
zwungen hatte, nicht bis ins Gesunde auszuräumen, sondern einen
großen Teil des erkrankten Knochens und die Hauptmasse der
schmutzigen, stark sezernierenden Granulationen in der Wunde
stehen zu lassen.
Nachdem jede Gefahr einer Infektion der Meningen ge¬
schwunden zu sein schien und man annebmen mußte, daß sich der
Durariß völlig geschlossen hatte, wurde am 17. I. in Äthernarkose
die zweite Operation zur Entfernung des noch stehen-
gebliebenen kranken Gewebes vorgenommen.
Operationsbefund: Zunächst werden die Ränder der
Knochenwunde freigelegt; dann wird versucht, mit abgebogenem
stumpfen Elevatorium die Verklebungen der Granulationen und der
Dura mit dem Knochen stumpf zu lösen. Der Knochen ist überall
noch schmutzig verfärbt. Um den kranken Knochen mit möglichst
geringer Erschütterung abzutragen, wird teils mit der Zange ge¬
arbeitet, teils werden mit dem K i 11 i a n sehen Winkelmeißel erst
Rillen in den Knochen gezogen, um hier den Knochen dann leichter
absetzen zu können. Auf diese Weise wird die Dura allseitig bis
ins Gesunde freigelegt, nach vorn bis ans Labyrinthmassiv, nach
unten bis ans untere Sinusknie, nach hinten bis etw iy 2 cm hinter
dem oberen Sinusknie. Die Schläfenlappendura wird in einem, dem
Sinus petrosus superior parallel laufenden, 2 cm breiten Streifen
vom Tegmen antri an bis hinter das obere Sinusknie freigelegt. Die
Stelle, an welcher der Durariß erfolgt war, wird nicht berührt,
ebenso nicht die auf ihr liegenden Granulationen; doch werden die
an anderen Stellen der Dura befindlichen mißfarbenen Granulationen
mit stumpfer Pinzette vorsichtig entfernt. So entsteht zum Schluß
der Operation ein Bild, das den in der Peripherie gesunden Knochen
erkennen läßt; dann folgen zentralwärts — annähernd konzentrisch
■— erst ein ringförmiger Streifen gesunder Dura, dann ein breiter
konzentrischer Streifen entzündlicher Dura, die mit rötlichen
Granulationen belegt ist, und in der Mitte erhebt sich auf dieser
26 *
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382 Heinz Dahmann. Durariß bei Warzenforteatzoperation.
entzündlichen Dura das unberührte, dicke, schmutzig-graugrüne
Granulationspolster, das der Stelle des Durarisses entspricht. —
Jodoformgazetamponade. Verband.
Die Nachbehandlung hatte einen durchaus normalen Verlauf.
Patient war dauernd fieberfrei. Der Wundschmerz, der vorher noch
bestanden hatte, verlor sich gänzlich, die Sekretion ließ wesentlich
nach. Die Wunde reinigte sich sehr bald, die schmutzig verfärbten
Granulationen über dem Durariß stießen sich spontan in etwa zehn
Tagen ab, es schossen allseitig gute Granulationen auf, Patient
fühlte sich sichtlich von Tag zu Tag wohler und konnte bald auf-
stehen. Obwohl es sich um eine sehr große Wundhöhle handelte,
hatten wir es mit Absicht vermieden, durch Naht die äußere Wunde
zu verkleinern, um dauernd in offener Nachbehandlung der Wunde
die verdächtige Stelle über dem Durariß beobachten und gegebenen¬
falls beim Einsetzen von Komplikationen von Seiten der Meningen
oder der Dura jederzeit schnell eingreifen zu können.
Nach weiteren sechs Wochen war die Wundhöhle wohl schon
zum größten Teil ausgranuliert; doch war bei dem großen Umfang
und der erheblichen Tiefe der Wunde eine Wundheilung mit starker
Narbeneinziehung zu erwarten. Deshalb wurde am 3. III. der Defekt
mit Periostweichteillappen plastisch gedeckt und darüber die Haut¬
wunde durch Naht geschlossen.
Während der gesamten Zeit — vom Tage der ersten Operation
an gerechnet, bei welcher der Durariß erfolgte — war Patient
dauernd fieberfrei. Auch hatte er bei genauester Beobachtung keine
Erscheinungen gezeigt, die eine sekundäre Erkrankung der Meningen
hätten annehmen lassen. Sein Allgemeinbefinden besserte sich von
Tag zu Tag, er fühlte sich dauernd beschwerdefrei, hatte keine
erhöhten Temperaturen und nahm in den letzten sechs Wochen 5 kg
an Körpergewicht zu. Nach alledem muß man als sicher annehmen,
daß der bei der ersten Operation eintretende Durariß ohne
schädigende Komplikation völlig verheilt ist.
Z u s a m m e n fa s s e n d möchte ich f o lgendes sagen:
Im vorliegenden Falle handelt es sich um einen Durariß, der
trotz vorsichtigsten Operierens bei Gelegenheit einer Warzen fortsatz-
o'peration erfolgte. Es liegt eine eitrig-infizierte Wunde vor (Strepto¬
kokken); demnach wäre eine Infektion der Meningen durch den
Durariß hindurch zu erwarten gewesen. Wenn diese nicht eintrat,
so führe ich den günstigen Ausgang dieser ernsten Komplikation
zurück:
1. darauf, daß die Operation sofort abgebrochen
und dadurch verhindert wurde, daß durch weiteres
Operieren in der Wunde infektiöses Material
durch den Durariß auf die Meningen verschleppt
wurde;
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., März 1922 ).
383
2. darauf, daß man die Wunde nicht mehr aus¬
tupfte, sondern den Eiter und das Blut mit H 2 0 2
ausschwemmte und am unteren Wundwinkel vor¬
sichtig mit Absaugevorrichtung entfernte;
3. auf die äußerst lockere Tamponade, durch
die einerseits wohl das infektiöse Wundsekret
abgeleitet wurde, die aber andrerseits nipht so
fest war, daß Sekretstauung auftreten konnte,
infolge deren dann eventuell doch noch In¬
fekt i o n sk ei m e durch den Durariß zu den Meningen
hin gedrängt worden wären und zu einem schlechten
Ausgang hätten führen könne d.
V ereinsber ich te.
Österreichische otologische Gesellschaft.
Sitzung vom *». Min in*.
Vorsitz:V. Hammerschlag.
Schriftführer:E. Urbantschitsch.
I. Ig. H o f e r : Spontan geheilte Sinnsthrombose mit bereits pyämischen
Symptomen.
Die 6jährige Pat. erkrankte Mitte Oktober 1921 an beiderseitiger Otitis,
8 Tage später beiderseits Parazentese; bald darauf hohes Fieber mit Schüttel¬
frösten, die über eine Woche andauerten, so daß die Mutter das Kind am
10. November 1921 in das Kronprinz Rudolf-Kinderspital aufnehmen ließ
(interne Abteilung).
Am Tage der Aufnahme abends nur mehr 38° Temperatur, am 2. Tage
379°, vom 3. Tage an normale Temperaturen; das Kind fühlte sich voll¬
kommen wohl, so daß es erst am 19. XI., 2 Tage vor seinem von der Mutter
verlangtem Spitalsaustritt, zur ohrenärztlichen Untersuchung in den Ambulanz¬
trakt des Spitals gebracht wurde, aber ohne jedwede weitere anamnestische
Angabe, so daß ich von dem vorhergegangenem Fieber und den vor der
Spitalsaufnahme bestandenen Schüttelfrösten nichts erfuhr. Die Diagnose
lautete damals: Abklingende Mastoiditis acuta und Otitis med. acuta dextra
mit noch geringer Sekretion aus dem Ohre; linkes Ohr normal. Ich sah das
Kind nicht mehr, da es bereits 2 Tage darauf, wie bereits erwähnt, von der
Mutter wieder aus dem Spitale genommen wurde, da es vollkommen fieber¬
frei war und sich wohl fühlt.
Das Kind blieb auch fernerhin gesund und fieberfrei, nur merkte die
Mutter, daß seit zirka Weihnachten 1921 allmählich eine Schwellung hinter
dem rechten Ohre auftrat, die langsam größer wurde, so daß die Mutter am
24. I. 1922 mit dem Kinde wieder in die Ohrenambulanz des Kinderspitals
erschien. Die Mutter erwähnte, daß das Kind mit Mittelohrentzündung im
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Veremsberiohte (öst* otol. Ges., Marz 1922).
November 1921 durch 10 Tage im Spital gelegen sei. Die ausgehobene
Krankengeschichte enthielt, daß damals bereits vor der Spitalsaufnahme,
wie bereits eingangs erwähnt, Schüttelfröste, bestanden hatten, die mit
der Spitalsaufnahme aufhörten, so daß im Spitale nur mehr durch 2 Tage
erhöhte Temperatur vorhanden war, ferner eiterige Sekretion aus beiden
Ohren, besonders rechts, keine Nackensteifigkeit, vergrößerte Milz, schmerz¬
hafte Schwellung des rechten Kniegelenkes, Pirquet +, Blutprobe am
14. XI. 1921 bereits steril.
Ohrenbefund am 24.1.1922: Linkes Ohr normal, rechtes Trommelfell
etwas getrübt und glanzlos, Gehörgang von normaler Weite, keine Vorwölbung;
hinter dem rechten Ohre eine ziemlich starke Schwellung über den ganzen
Warzenfortsatz, in der Tiefe etwas fluktuierend, nicht druckempfindlich;
Allgemeinbefinden gut, keine Temperatursteigerung.
Am 26. I. 1922 nahm ich die Trepanation vor und fand Folgendes:
Nach dem Hautperiostschnitt entleert sich etwas Eiter, nach Abhebelung des
' Periosts findet sich hinten oben am Warzenfortsatz eine zirka hellerstück¬
große Knochenfistel, durch welche dem Aussehen nach bläuliche Granulationen
sichtbar sind; nach Freilegung des Antrums und Ausräumung des Warzen¬
fortsatzes und der Spitze desselben, woselbst einzelne, erweichte Mastoid-
zellen angetroffen werden, sowie Freilegung des Sinus sieht man, daß diese
bläulichen Granulationen laterale Sinuswand der Gegend des oberen Sinus¬
knies sind, während von dort nach abwärts die laterale Sinuswand bis gegen
den Bulbus hinab, soweit sich der Sinus eben verfolgen läßt, vollkommen
fehlt; die zerebrale Sinuswand ist stark verdickt. Der Teil des Sinus in der
Gegend des oberen Sinusknies ist mit einem bereits organisierten, festen
Thrombus verschlossen; weder vom Sinusknie her noch vom Bulbus her eine
Blutung. Da das Kind schon seit seinem Spitalsaufenthalt im November her
nicht mehr fiebert und sich vollkommen wohl befindet und auch vor der
Operation ohne Temperaturserhöhung war, lag kein Anlaß vor, einen weiteren
Eingriff (am Bulbus oder an der Vena jugularis) zu machen. Postoperativer
Wundverlauf vollkommen fieberfrei und normal. 4 Wochen später vollkommene
Heilung.
Epikrise: Es handelt sich in diesem Falle um eine spontan aus¬
geheilte, eiterige Sinusthrombose nach akuter, eiteriger Mittelohrentzündung,
welche bereits zu allgemein-pyämischen Erscheinungen (Schüttelfrösten)
und zu Metastasenbildung (Schwellung des rechten Kniegelenkes) geführt
hatte; der eiterig erkrankte Sinusabschnitt zwischen oberem Sinusknie und
Bulbus wurde durch Organisierung der Thromben nach oben, gegen das
Sinusknie hin, und nach unten gegen den Bulbus hin abgekapselt, die vor¬
handen gewesene endo- und perisinuöse Eiterung führte zur vollständigen
Zerstörung (eiterigen Einschmelzung) der lateralen Sinuswand. Der Organis¬
mus des sonst kräftigen Kindes überwand die bereits erfolgte Allgemein¬
infektion. Der Eiter des Sinusabszesses und der Warzenfort satzzellen schaffte
sich allmählich einen Ausweg nach außen, es kam zur Bildung der großen
Knochenfistel und zur Entleerung des Eiters unter das Periost und die Haut
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Vereinsberioht© (öst. otol. Ges., März 1922).
385
des Warzenfortsatzes. Diese Eiteransammlung wäre entweder von selbst zur
Resorption gekommen oder vielleicht nach außen durchgebrochen, so daß
unser operativer Eingriff nur die ganze Spontanheilung abkürzte und so die
letzte Phase des ganzen Spontanheilungsprozesses darstellte.
In der Literatur konnte ich einen gleichen Fall, wo es zur vollkommenen
Zerstörung und gänzlichem Fehlen der lateralen Sinuswand gekommen wäre,
nicht finden, obwohl Spontanheilungen von Fällen otogener Pyämie schon
öfters beschrieben worden sind.
Stacke hat schon im Jahre 1883 (Arch. f. Ohrenlk. Nr. 20, S. 282) einen
Fall von spontan ausgeheilter eiteriger Sinusphlebitis mit schweren pyämischen
Allgemeinerscheinungen und Metastasenbildung in den Lungen beschrieben,
die nach einfacher Eröffnung eines retroaurikulären Abszesses, der stinkenden
Eiter enthielt, ünd nach einfacher Erweiterung der vorhandenen Knochen¬
fistel mit einer Knochenzange zur Heilung gelangte, ohne daß damals ein
weiterer chirurgischer Eingriff gemacht worden wäre, der zur damaligen Zeit
wegen der bereits vorhandenen schweren Allgemeinpyämie noch kontra-
indiziert war; die damals aufgetretene Phlebitis der Vena jugularis interna,
welche am Halse als schmerzhaften Strang fühlbar war, ging zurück, die
Fistelöffnung nach der operativen Abszeßeröffnung hinter dem Ohre verheilte,
der Patient genas vollkommen. Zwei meinem Falle analoge Fälle hat War¬
ne c k e im Arch. f. Ohlk. im Jahre 1900 publiziert, wo in beiden Fällen zum
Zeitpunkt der Operation die pyämischen Erscheinungen bereits abgelaufen
waren und kein Fieber mehr bestand; in beiden Fällen fand sich ein nach unten
und oben durch bereits organisierte Thromben abgesackter Sinusabszeß vor.
Einen nur ähnlichen Fall von Absackung eines Abszeß des Sinus sig-
moidens durch Verschluß desselben nach auf- und* abwärts hat Ernst
Urbantschitsch im Jahre 1910 hier vorgestellt, nur bestand in
diesem Falle, soweit ich mich erinnere, zur Zeit der Operation noch pyämi¬
sches Fieber, welches erst nach der Operation aufhörte.
II. E. Urbantschitsch: Sinus jugularis-Thrombose mit meta-
statischen Lungenabszessen. Heilung nach Operation und Trypaflavinin jektionen.
Der 14jährige Josef M. hatte mit 3 Jahren Skarlatina; seither rechts
Otorrhoe. Am 16. XI. 1921 begann seine schwere Erkrankung mit hohem
Fieber (über 40°), intensiven Kopf- und Ohrenschmerzen sowie Erbrechen,
tags darauf auch Kreuzschmerzen, am 5. Tag Nackensteifigkeit, weshalb Pat.
mit der Diagnose ,,Meningitis“ in Franz Josef-Spital eingeliefert w r urde.
Der Ohrenbefund war — bis auf die eiterige Mittelohrentzündung
— ohne Besonderheiten; der Warzenfortsatz war stark druckempfindlich,
v = a. c.
Operation am 22. XI. 1921 (gleich nach der Aufnahme): Peri¬
sinuöser Abszeß mit einem Kaffeelöffel voll Eiter. Knochen am Sinus und an
der Dura eitrig erkrankt. Im Antrum Cholesteatom. Sinuswand schwärzlich
verfärbt, perforiert. Exzision der lateralen Sinusw T and; Ausräumung der
Thromben. Vom Bulbus her w r ird keine, vom S. transverus volle Blutung
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386
Vereinsberichte (österr. otol Ges., März 1022).
erreicht. Wegen Collapses des Pat. kann die Jugularisoperation erst 2 Tage
später durchgeführt werden: Da die Jugularis thrombosiert ist, Freilegung
derselben bis zur Clavicula und Exzision derselben.
Die histologische Untersuchung des unteren Abschnittes der
Jugularis ergab Endophlebitis mit Parietalthrombose (Prof. Stoerk). Bei
der bakteriologischen Untersuchung des perisinuösen Eiters fanden
sich im Ausstrich Streptokokken, die Kultur blieb aber steril. Desgleichen
zeigten sich die Thromben und das Lumbalpunktat steril (Dr. Kutscher a).
Verlauf: In den nächsten Tagen hohes Fieber bei zeitweiliger Herz¬
schwäche, starkes Husten bei pneumonischen Symptomen. Wegen des fast
hoffnungslosen Zustandes, der imunterbrochen das Schlimmste befürchten
ließ, bekam Pat. über 1 Woche 2 bis 3stündlich Kampfer bzw. Digipurat.
Augenhintergrund (Doz. Lauber) normal. Nach dem zweiten
Verbandwechsel (29. XI.) tritt anläßlich eines heftigen Hustenanfalles eine
spontane Sinusblutung (durch den Verband hindurch) auf, die auf Druck¬
tamponade steht.
Wegen beängstigender Verschlimmerung des Lungenleidens starker
Fötor der Exhalationsluft!) Röntgenisierung. Der Befund (Dr. Selka) er¬
gab: „Das ganze linke obere und mittlere Lungenfelddrittel ist von zahl¬
reichen, untereinander konfluierenden Schattenherden ausgefüllt, welche diese
Partie des Lungenfeldes völlig getrübt erscheinen lassen. Das untere Drittel
zeigt annähernd normale Helligkeit. In dem mehr diffus getrübten rechten
oberen Lungenfelddrittel fällt ein derber, glattrandiger über bleistiftdicker,
lateralwärts konvex gekrümmter, halbkreisförmiger Schattenstreifen auf,
der mit seinem oberen und unteren Ende sich im Mittelschatten verliert. Er
begrenzt eine Fläche von fast Hühnereigröße und könnte einer Kaverne ent¬
sprechen. Eine stärkere Lufthelligkeit in dem begrenzten Raume ist radio¬
logisch nicht nachweisbar. Verstärkung der Lungenzeichnung im mittleren
Drittel (vereinzelte Herde).“
Pat. wird wegen seines elenden internen Zustandes auf die I. med.
Abteilung (Prof. Wiesel) transferiert und wird hier mit Trypaflavin be¬
handelt. Schon nach wenigen Tagen trat eine bedeutende Verminderung des
Fötors der Exhalationsluft auf; auch das Allgemeinbefinden besserte sich
zusehends.
Am 25. I. 1922 entwickelte sich eine linksseitige Peritonsillitis, die sich
aber nach 3 Tagen spontan zurückbildete, am 4. II. eine schmerzhafte Schwel¬
lung des rechten Ellbogengelenkes, die aber ebenfalls ohne Eingriff in wenigen
Tagen zurückging. Am 11. II. war das Ohr ganz geheilt. Nach 8 Tagen trat
allerdings noch einmal eine eiterige Mittelohrentzündung auf, die aber bis
1. III. ausheilte, so daß Pat. gesund entlassen werden konnte.
E p i k r i s e: Bei dem Knaben trat also eine Phlebitis des Sinus und
der Jugularis mit Thrombose auf, die zur Spontanperforation des Sinus führte.
Nach Ausräumung der Thromben und Ausschaltung der ganzen Jugularis
kam es zu Lungenabszessen (einem größeren und mehreren kleinen), die
fernerhin das Krankheitsbild beherrschten.
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Vereineberichte (österr. otol. Ges., März 1922).
387
Auf Trypaflavin trat nun in auffallend kurzer Zeit eine bedeutende
Besserung auf, die schließlich zur Heilung führte. Inwieweit hierfür dem
Trypaflavin eine ausschlaggebende Rolle zukommt, läßt sich natürlich nicht
feststellen. Immerhin verdient dieser Fall registriert zu werden, da es ja
möglich erscheint, daß in einzelnen derartigen Fällen durch diese Mittel tat¬
sächlich eine günstige Wirkung erzielt werden kann.
Diskussion:
O. Beck: Wir haben an der Klinik N e u m a n n bei einer Reihe analoger
Fälle Trypaflavin injiziert und davon nicht mehr oder weniger gesehen als bei den
vielen übrigen Fällen ähnlicher Art.
V. Hammerschlag: Bei einer jungen Pat. der Klinik Politzer,
dessen Vater ein Naturheiler war, mit schwerer Sinusthrombose und septischem
Fieber trat eine Schwellung am Halse auf. Die Jugularis war thrombosiert. Der
Vater gestattete keinen weiteren Eingriff und nahm das Kind mit den Worten nach
Hause ,,wenn es stirbt, so soll es zu Hause sterben“. Nach einigen Tage wurde ich
gerufen und fand einen kolossalen fluktuierenden Abszeß am Halse des Kindes.
Der Vater erlaubte wieder keinen Eingriff. Es kam zu spontanem Durchbruch und
Entleerung von jauchigem Eiter; ferner zu perijugularer Eiterung und Lungen¬
metastasen. Nach 3 bis 4 Wochen Spontanheilung. Der Vater gab mehrere Aufgüsse
und schrieb die Heilung seiner Behandlung zu. Damals gab es noch nicht das Wunder¬
mittel „Trypaflavin“. Der Fall erinnert mich sehr an den jetzt demonstrierten.
E. Urbantschitsch: Ich habe ausdrücklich hervorgehoben, daß es
nicht feststeht, daß das Trypaflavin ausschlaggebend war, aber es ist immerhin
möglich, da unmittelbar nach seiner Darreichung eine so wesentliche Besserung
auftrat. Es ist denkbar, daß es gerade bei Lungenabszessen unter Umständen eine
sehr günstige Wirkung ausüben kann. Natürlich kann nur die Beobachtung mehrerer
Fälle die Sache klären. Übrigens habe ich den Fall als solchen und nicht blos
wegen einer Trypaflavinwirkung vorgestellt.
III. Vogel: Zur Kasuistik der isolierten Störungen der Zeige¬
reaktion. (Erscheint ausführlich in dieser Monatsschrift.)
Diskussion:
E. Ru t tin: Ich möchte einen kleinen Irrtum des Kollegen berichtigen, da
er vielleicht die otologische Ausdrucks weise nicht kennt. Er hat gesagt, daß die
Drehreaktion von 2ö“ gegen eine Labyrinthläsion spricht. Man kann nur sagen,
daß sie gegen eine Ausschaltung spricht.
H. Brunner: Zu den Ausführungen der Herrn Dr. Vogel möchte ich
mir zwei Bemerkungen erlauben:
I. Was das Gefühl der Lateropulsion anbetrifft, so habe ich in einer der letzteren
Sitzungen darauf aufmerksam gemacht, daß diese Sensation charakteristisch ist für
Erkrankungen des zentralen Vestibularsystems. Die klinische Bedeutung dieser
Tatsache möchte ich an 2 Fällen demonstrieren: Der erste Fall stammt von Le-
wandowsky; in diesem Falle wurde von dem Otologen ein otogener Kleinhirn¬
abszeß diagnostiziert, während Lewandowsky auf Grund der Angabe von
Lateropulsion, die der Patient machte, Hysterie diagnostizierte, welche durch die
spätere Beobachtung bestätigt wurde. Ich selbst habe einen Fall gesehen, der an
die Abteilung kam, ebenfalls unter den Verdacht eines otogenen Kleinhirnabszesscs.
Auch dieser Patient gab Lateropulsion an und ich konnte bei ihm nach längerer
Beobachtung das Bestehen einer multiplen Sklerose feststellen. Im allgemeinen
möchte ich noch bemerken, daß nach meinen bisherigen Beobachtungen, die Latero¬
pulsion am häufigsten bei der multiplen Sklerose auftritt.
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Vereinsberichte (Ost. otol. Ges.» Marz 1922).
II. Der zweiten Annahme, die Herr Dr. Vogel bezüglich der Lage des
Herdes in seinem Falle macht, möchte ich nicht beistimmen. Denn, wenn man erstlich
in diesem Falle überhaupt eine vaskuläre Erkrankung annimmt, so ist bei der Gefä߬
versorgung des Pons ein derartig isolierter Herd in der Brücke, wie dies auch Dr. Vogel
betont hat, ausgeschlossen. Eine derartige Lage, haben gewöhnlich die Tuberkeln
und in sehr seltenen Fällen die Abszesse der Brücke. Weiter ist zu bemerken, daß
ein derartiger Herd kaum ohne Symptome des Fazialis- oder der Augenmuskelnerven
bestehen kann. Ich glaube daher, daß es sich um eine Erkrankung im Gebiete der
Arteria cerebellaris post inf. handelt, wie auch der Herr Vortragende dargetan hat.
Bei der Beurteilung der anatomisch nachweisbaren Veränderungen, welche diese
Erkrankung im Hirnstamm nach sich gezogen hat, muß man jedoch sehr vorsichtig
sein, da es sich hier um eine Lues handelt. Ich selbst konnte mit Herrn Doz. Bauer
einen ähnlichen Fall beobachten, bei dem in Attackenform Kleinhirnsymptome auf-
traten. Bei der Obduktion erwies sich das Kleinhirn als makroskopisch normal, mikro¬
skopisch konnte es nicht untersucht werden. Über den mikroskopischen Befund des
Gehörorgans in diesem Falle werde ich ein andermal berichten.
H. Vogel (Schlußwort): Herr Brunner hat im wesentlichen nur die von
mir selbst gegen den in zweiter Linie in Erwägung gezogenen Herd vorgebrachten
Bedenken unterstrichen. Was jedoch speziell den Einwand anlangt, daß in diesem
Falle auch der Fazialis und Augenmuskelnerven hätten in Mitleidenschaft gezogen
werden müssen, so hebe ich demgegenüber hervor, daß das geschilderte Syndrom
eben nur durch einen sehr kleinen, umschriebenen Herd erklärbar ist, in dessen Bereich
dann keinesfalls Kerne oder Fasern der genannten Nerven fallen dürften. Für die
Annahme eines Tuberkels fehlt jeder Anhaltspunkt hingegen ist ein kleines Gumma,
wenn auch unwahrscheinlich, so doch nicht auszuschließen. Mit dem Fall Brunner-
Bauer (Labyrinthlues) gestattet der vorgestellte Fall schon vermöge der gleich¬
zeitigen Trigeminus und Sympathicusläsion keine Analogie.
IV. E. R u 11 i n: Ohrbefnnd bei Reeklinghausenscher Krankheit.
Der Pat. W. J., 47 Jahre alt, steht schon seit einigen Jahren in unserer
Beobachtung. Der gegenwärtige Befund, der sich seit etwa */ Ä Jahr nicht
wesentlich geändert hat, ist folgender: Trommelfell beiderseits etwas getrübt
und eingezogen. Hörweite für Konversationssprache rechts 1 / t m, links 6 m,
für Flüstersprache rechts ad concham, links 5 m. Weber rechts, Rinne
rechts negativ, links negativ, aber nach rechts hinübergehört. Schwabach
beiderseits verlängert, c 4 und c t rechts nur bei starkem Anschlag gehört,
links gut gehört. Kein spontaner Nystagmus, kein spontanes Vorbeizeigen.
Kal. Reaktion rechts negativ, links typisch, mit typischem Vorbeizeigen und
Schwindel. Nach Rechtsdrehung Nystagmus »-► 1. 50", Sturz nach rechts,
Übelkeit, Brechreiz und Schwindel, nach Linksdrehung Nystagmus +** r. 56",
Sturz nach links, Übelkeit, Brechreiz und Schwindel.
Der Stimmgabelbefund spricht allerdings nicht eindeutig für eine
Laesio auris internae. Aber bei dem Vorhandensein so unendlich vieler über
den ganzen Körper verbreiteter Neurofibrome ist wohl trotzdem wahrschein¬
lich, daß es sich auch um eine Neurofibrom des Akustikus handelt, umsomehr,
da ja auch der Vestibularis ergriffen ist. Nimmt man an, daß es sich um ein
Neurofibrom des Akustikus handelt, dann wären zwei Möglichkeiten für die
Erklärung des eigentümlichen Vestibularbefundes: Entweder ist der rechte
Vestibularis kalorisch und auf Drehen ausgeschaltet oder er ist nur kalorisch
ausgeschaltet und auf Drehen erregbar. Im ersteren Falle müßte das Resultat
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Vereinsberiohte (österr. otol Gee., März 1922).
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der Drehreaktion als Kompensation aufgefaßt werden. Es müßte als eine
Kompensation mit gleichzeitiger, d. h. wahrscheinlich mit später eingetretener
Erhöhung der Erregbarkeit aufgefaßt werden, eine Auffassung, die ja für
intrakranielle Prozesse nicht von der Hand zu weisen ist. Im zweiten. Falle
würde es sich um eine Ausschaltung der kalorischen Reaktion bei erhaltener
und erhöhter Dreherregbarkeit handeln.
Noch aus einem anderen Grunde ist der Fall interessant. Die Frage,
von welchem der Nerven, Kochlearis oder Vestibularis das Neurofibrom
seinen Anfang nimmt, ist noch ungewiß und war in den meisten bekannten
Fällen, wie sie von Heuschen, Bondy u. a. publiziert wurden, klinisch
nicht sicher zu eruieren, weil ja bei ausgebildeten Tumoren meist die Funktion
des Kochlearis und Vestibularis zugrunde gegangen ist. In einem Falle Otto
Mayers war histologisch der Ursprung vom Vestibularis nachgewiesen.
In unserem Falle wäre auch der Vestibularis der stärker ergriffene Nerv.
Diskussion:
R. L e i d 1 e r: Ich glaube, hier einen Fall vorgestellt zu haben, der vielleicht
zur Erklärung des Falles von Beck beitragen könnte. Es handelte sich um einen
15- bis löjähr. Pat., der als Kind eine Zerebrospinalmeningitis durchgemacht hatte,
von der verschiedene neurologische Symptome zurückblieben. Er hat dann viele
Jahre später plötzlich Symptome eines progredienten zentralen Hirnprozesses gezeigt,
unter anderem auch spontanen, sogenannten zentralen starken Nystagmus und
Schwindel. Er war auf einem Ohre taub, die Symptome sprachen aber für Erkrankung
auf der anderen Seite. Diese 2 Fälle könnten also beweisen, daß überstandene Meningitis
späterhin im Akustikus Erscheinungen hervorrufen könnten.
O. Beck: Ich kann mich der Ansicht L e i d 1 e r s nicht ganz anschließen,
diesen Fall unter jene zu zählen, bei denen Späterscheinungen im Oktavus nach
abgelaufener Zerebrospinalmeningitis beobachtet werden. Auch dieser Typus von
Fällen ist uns sehr gut bekannt und ich erinnere nur an einen von mir in dieser Gesell¬
schaft vorgestellten Kranken. Es handelt sich um einen jungen Mann, den ich kurz
nach überstandener Zerebrospinalmeningitis im Sophienspital gesehen habe. Es
bestand einseitige Taubheit und vollständige Vestibularausschaltung am tauben
Ohre. Er wurde intralumbal mit Serum behandelt. Die Genesung w r ar scheinbar
derartig gut, daß der Mann vom Jahre 1916 bis Kriegsschluß an der Front kämpfte
und nach seiner Rückkehr sich als Turner und Sportsmann betätigte. Vor 1 Jahre
suchte er mich auf der Klinik auf wegen starker Kopfschmerzen, Schwindel und Er¬
brechen. Es bestand ein kräftiger zentraler Nystagmus. Im Laufe der Beobachtung
auf der Klinik trat plötzlich innerhalb weniger Minuten Exitus auf. Bei der Obduktion
zeigte sich die ganze Dura sehnig verädert und Narben und Adhäsionen in der Um¬
gebung des Foramen Magendie, durch dessen plötzlichen Verschluß der Exitus ver¬
ursacht wurde. Die genaueren Details sind in der seinerzeitigen Demonstration und
am demonstrierten Präparat angeführt.
V. 0. B e c k: Alte Zmbrospinalmeningitis mit Taubheit und vestibulärer
Unerregbarkeit der linken Seite bei erhaltenem Gehör und vestibulärer Aus¬
schaltung der rechten Seite.
Der vorgestellte Fall betrifft einen 33jährige;i Arbeiter, der in frühester
Kindheit eine Zerebrospinalmeningitis durchgemacht hat, aus welcher eine
Taubheit des linken Ohres resultierte. Am rechten Ohr hat er angeblich viele
Jahre hindurch gut gehört. Vor einem halben Jahre bemerkte er am rechten
Ohre eine langsam zunehmende Schwerhörigkeit, die mit heftigem Ohren-
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Vereinsberichte (österr. otoL Ges., März 1922).
sausen einsetzte. Das Ohrensausen besteht, wenn auch nicht so stark, bis
heute fort. Er gibt an, daß er bei offenen Augen nie Gleichgewichtsstörungen
gehabt hat, nur im Dunkeln oder bei geschlossenen Augen fühle er sich un¬
sicher. Befund: Das linke Ohr ist für Sprache und Stimmgabeln komplett
taub, Rinne unendlich negativ, am rechten Ohre besteht im Sinne einer
Hörnervenerkrankung Flüstersprache a. c. Konversationssprache 1. m. kein
spontaner Nystagmus, bei offenen Augen kein Rhomberg, bei geschlossenen
Augen und beim Gang mit geschlossenen Augen ein unsicheres Schwanken
ohne Bevorzugung einer bestimmten Fallrichtung. Spontanes Zeigen mit
beiden Armen richtig, kalorische Spülung ist beiderseits für Kalt
und Warm negativ, kein Schwindel und kein Vorbeizeigen auslösbar und am
Drehstuhl besteht für alle 6 Bogengänge komplette Aus¬
schaltung. Die galvanische Reaktion ergibt bei querer Durchleitung
für Kathode und Anode sowohl rechts als auch links bei 8 bis 10 Milliampere
deutlichen Nystagmus. Nervenbefund: Doz. Schacherl. Negativ. Liquor:
Wassermann 0*8 negativ, Globulin: ±1:1, —, 7:18, Lymphozyten 7/3,
Polynukleäre 0, globuläres Eiweiß 0 05%o> klar, ohne Gerinnsel.
Das Interessante an diesem Ohrenbefunde liegt darin, daß beide Ohren
für kalorische und Drehreize ausgeschaltet sind, das linke Ohr ist außerdem
komplett taub, während das rechte Ohr bei erhaltenem Gehör komplette
Ausschaltung für die lymphokinetischen Reaktionen zeigt. Merkwürdig ist
ferner an diesem Befund, daß trotz der beiderseitigen Ausschaltung für
kalorische und Drehreize die galvanische Reaktion erhalten, allerdings etwas
herabgesetzt ist, und zwar für beide Ohren gleich.
Bezüglich der Erklärung dieses Ohrbefundes ergeben sich mehrere
Möglichkeiten. Die eine wäre, daß der jetzige Zustand bereits seit frühester
Jugend besteht und daß der Kranke, obgleich er die ganzen Jahre hindurch
am rechten Ohre schlechter gehört hat, diese Schwerhörigkeit und das Sausen
erst seit einem halben Jahre stärker empfindet. In diesem Falle wäre die
beiderseitige Ausschaltung des Labyrinthes und die Taubheit links als Folge
der Zerebrospinalmeningitis aufzufassen. Daß die galvanische Reaktion er¬
halten ist, würde sich aus einer primären Schädigung des lymphokinetischen
Apparates durch die Zerebrospinalmeningitis erklären. Wir wissen ja seit den
gemeinsamen Untersuchungen von N e u m a n n und. G h o n, daß man schon
sehr früh nach Beginn der Zerebrospinalmeningitis das Labyrinth mit Meningo¬
kokken überschwemmt findet und daß aus den Labyrinth räumen Meningo¬
kokken zu züchten sind. Da also diese Schädigung des Innenrohres nicht durch
Fortleitung von Exsudat von den Meningen auf das Ohr zustande kommt,
w T äre das Vorhandensein der galvanischen Reaktion bei Fehlen der lympho¬
kinetischen Reaktionen erklärbar. Die zweite laut Anamnese des Pat. viel
wahrscheinlichere Erklärung wäre die, daß der Pat. infolge der Zerebrospinal¬
meningitis nur auf dem linken Ohre ertaubt ist, das rechte Ohr im Kochlear-
und Vestibularapparate verschont geblieben wäre. Solche einseitige Panotitiden
nach Zerebrospinalmeningitis bei erhaltener Funktion des anderen Ohres sind
allerdings sehr selten, und ich erlaube mir zu erinnern, daß derartige Fälle
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., März 1922).
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in dieser Gesellschaft von N e u m a n n, von mir und anderen vorgestellt
wurden. Die seit einem halben Jahre am rechten Ohre aufgetretene und unter
Ohrensausen seither progrediente Schwerhörigkeit wäre also in keinem Zu¬
sammenhänge mit der Zerebrospinalmeningitis. Die Ausschaltung des Vesti-
bularapparates müßte als zentral aufgefaßt werden, wie sie von B & r & n y,
Herzogu. a. bereits beschrieben wurde. Die erhaltene Vestibuläre Reaktion
für galvanische Reize müßte dann als Reaktion von den Kernen gedeutet
werden.
Diskussion:
R. L e i d 1 e r: Ich möchte Kollegen Beck fragen, ob er überzengt ist, daß
Pat. eine Meningitis hatte und nicht eine Lues.
Beck: Es wundert mich, daß Kollege L e i d 1 e r die Frage, ob eine Lues
übersehen wurde, gerade an mich richtet. Wenn ich von der Lues nichts erwähnt
habe, so habe ich vorausgesetzt, daß es selbstverständlich ist, daß Pat. keinerlei
Anhaltspunkte dafür bot. W. R. im Blute und Liquor waren negativ und auch die
biochemischen Reaktionen des Liquors gaben keinen Anhaltspunkt für Lues.
VI. 0. Beck: Chronische Otitis media, Meningitis ohne klinische
neurologische Symptome.
M. J., 55 Jahre alt, aufgenommen auf die Klinik Neu mann am
11. II. 1922. Pat. hat von seinem Ohrenleiden bisher nie etwas gewußt. Er suchte
vor 14 Tagen die Ambulanz unserer Klinik auf wegen Kopfschmerz und Ohren¬
fluß links. Es bestand ein vom Antrum ausgehender Polyp, der das ganze
Mittelohr einnahm und fötide Sekretion, die in den folgenden Tagen reich¬
licher wurde. Gehör 20 cm Konversationssprache (mit Lärmapparat), Stimm¬
gabelbefund spricht für Schalleitungshindernis, kein spontaner Nystagmus,
normale Labyrinthreaktion. Da der Polyp auffallend leicht blutete und sehr
sukkulent aussah, wurde er wegen Verdacht auf Neoplasma entfernt. Histo¬
logisch: unspezifisches Granulationsgewebe. In den nächsten Tagen reichliche
Sekretion, keine Senkung der oberen Gehörgangs wand, Pat. hat keinerlei
Klagen und geht seinem Beruf als Richter nach. Am heutigen Tage kam er
um 10 Uhr vormittags in die Ambulanz, schläft am Sessel ein, zeigt einen
leichten Tremor der linken oberen Extremität, läßt den Kopf nach vorn
hängen, auffallende Zyanose im Gesichte und an der Nase, weshalb er zuerst
den Eindruck einer Hemiplegie macht. Er wird sofort ins Bett gebracht, ist
schwer besinnlich, gibt jedoch auf Fragen richtige Antworten. Er gibt bei
vollem Bewußtsein die Einwilligung zu allen Eingriffen, die nötig befunden
werden.
Prüfung auf Aphasie negativ. Nervenbefund negativ (Doz. Schilder).
Vielleicht etwas Strabismus durch Abduzensparese links (nicht sicher fest¬
stellbar). Pat. gibt auch an, daß er durch 3 Tage keine ausreichende Nahrung
gehabt hätte. Temperatur 41.
Lumbalpunktat ergibt trüben Liquor. Zytologisch reichlich
Lymphozyten und Polynukleare. Kultur auf festen und flüssigen Nähr¬
böden bleibt steril.
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Vereinsberichte (Ost. otol. Ges., März 1922).
Operation (Beck): Typischer Hautschnitt, sklerotischer Warzen -
fortsatz, an der Spitze neben der hinteren Gehörgangswand einige Zellen,
die gesund erscheinen. Totalaufmeißelung. Überall elfenbeinharter Knochen,
im Mittelohr Granulationen und ein Cholesteatom, das nicht verjaucht, noch
fötid ist.
Sinus sehr stark vorgelagert und sehr hoch. Breite Freilegung der Dura
der mittleren Schädelgrube, sowohl über dem Tubendach, über dem Tegmen
tympani et antri und nach rückwärts bis zum Petrosuswinkel. Sie ist normal,
nicht gespannt. Freilegung des Sinus, um die Dura der hinteren Schädelgrube
übersehen zu können. Auch diese ist normal und wird durch einen Knochen¬
splitter geritzt* wobei Liquor abfließt. Infolge des spontanen Liquorabflusses
wird von der projektierten Inzision der Dura Abstand genommen. Keine
Plastik. Venaesektion von zirka 300cm 3 . Wundversorgung. Interner Befund:
Lobulärpneumonie im rechten Unterlappen.
5 Uhr nachmittags: Leicht soporös, aber sonst besinnlich.
12. VIII. 8 Uhr früh: 38 8, Zunge trocken und belegt, unruhiger Schlaf,
auf Anrufe besinnlich. Augenbefund: normal. Im Harn etwas Eiweiß.
Nachmittags: 39 8, soporöser Zustand.
Nervenbefund: Uhr (Prim. I n f e 1 d) Pat. schwer benommen,
keine neurologischen Symptome. Puls vor und nach dem Erbrechen gleich.
13. II. Vt? Uhr früh: Exitus.
Obduktionsbefund: Basale Meningitis mit hauptsächlicher
Lokalisation an der Pons und gegen den linken Schläfelappen ausstrahlend.
Die Auflagerungen sind schon etwas fester haftend, im Bereich des Tegmen
tympani blutig inhibiert. Lobulärpneumonische Herde im rechten Unter¬
lappen, vereinzelte hämorrhagische Infarkte mit beginnender Vereiterung.
Mäßige Arteriosklerose der Aorta. Beginnende sklerotische Schrumpfniere,
chronischer Milztumor, trübe Schwellung des Herzmuskels und der Leber.
E pikrise: Es handelt sich also um einen 55 jährigen Pat., der wegen
einer 14 Tage alten Exazerbation einer seit Jahren bestehenden Eiterung
die Klinik aufsuchte und bei dem wegen Tumorverdacht ein Polyp aus dem
Mittelohr entfernt wurde. Die Labyrinthreaktionen waren erhalten.
Einige Tage später Auftreten von schweren Allgemeinerscheinungen
und Temperatur bis 40°. In diesem Zustand kam der Kranke wieder auf die
Klinik und machte anfänglich den Eindruck eines apoplektischen Insultes.
Am Ohr bestand keine Senkung der Gehörgangswand, jedoch reichliche
Sekretion, keine Schmerzen am Warzenfortsatz und auch während der
Operation wurden weder im Mittelohr noch an dem die Dura deckenden
Knochen Veränderungen gefunden, die den Verdacht einer Meningitis nahe
gelegt hätten, obgleich die Lumbalpunktion einen stark getrübten Liquor
ergab. Der Gesamteindruck, die belegte Zunge, die Trockenheit im Munde
und an der Zunge hätten eher an eine Sinuserkrankung denken lassen. Neuro¬
logisch, am Augenhintergrund bestanden keine Anhaltspunkte für Meningitis.
Auffallend war ferner eine gewisse Pulsverlangsamung, die wir um diese Zeit
öfters bei Grippen gesehen haben. Abgesehen von plötzlichem Einsetzen der
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Vereinsberichte (Osterr. otoL Qee., März 1922).
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klinischen Symptome dieser Meningitis, die nach dem Obduktionsbefund
sicherlich älter war, als der Beginn der schweren Allgemeinsymptome, ist bei
diesem Pat. bemerkenswert, daß trotz der schweren und ausgebreiteten Ver¬
änderungen an den Hirnhäuten, klinisch keinerlei Symptome für Meningitis
sprachen. Die Diagnose konnte nur durch die Lumbalpunktion gestellt werden.
Diskussion:
H. Brunner: Ich möchte Herrn Doz. Beck fragen, wie er sich das Zu¬
standekommen einer zentralen Labyrinthausschaltung nach Meningitis vorstellt.
Die Annahme eines enzephalitischen Herdes im hinteren LängsbündeJ, bei der es
zu Labyrinthausschaltung kommen könnte, ist in diesem Falle bei dem Fehlen aller
anderen meningitischen neurologischen Symptome ausgeschlossen.
Beck: Bei Herrn Brunner scheint es sich um ein Mißverständnis zu
handeln, wenn er die zentrale Ausschaltung so breit auseinandersetzt und ihre Un¬
möglichkeit klarlegen will. Es sind ihm die Arbeiten von P r e n und Herzog ent¬
gangen, die ja bekanntlich nachgewiesen haben, daß bei kompletter Ausschaltung
einer Seite infolge Erkrankung der Labyrinthräume auch die andere Seite mit
normalem Mittelohr und erhaltenem Gehör vestibulär ausgeschaltet sein kann. Ob
diese Ausschaltung wirklich in das Zwischenhirn zu lokalisieren ist, bleibt eine offene
Frage. Sicher aber ist die Tatsache, die ich für den vorge6tellten Fall als die eine
Möglichkeit der Erklärung angenommen habe.
•fifc.
VII. J. Popper: Bericht über 3 Fälle von Bakteriämie bei akuten
Otitiden bzw. Mastoiditiden.
Ich erlaube mir hiermit Ihnen hier zwei Patienten vorzustellen und
über einen dritten, bereits entlassenen zu berichten, die ein gemeinsames
Krankheitsbild aufwiesen; positiven Bakterienbefund und entsprechend hohe,
auf eine Sinusaffektion hinweisende Temperaturen, Erscheinungen, die nach
Ausräumung des kranken Knochens aus dem Warzenfort satze restlos zurück-
gingen.
Bei dem ersten (leider nicht erschienenen) Fälle handelt es sich um
einen 27jährigen Mann, der mit einer zirka 2 Wochen alten akuten Otitis die
Klinik Neumann aufsuchte. Damals bestand neben der reichlichen eiterigen
Sekretion aus dem linken Ohre und geringer Druckschmerzhaftigkeit des
Proc. mastoideus eine leichte Senkung der oberen Gehörgangswand.
Pat. klagte auch über Hals- und Kreuzschmerzen. Am Tage der Auf¬
nahme stieg unter Schüttelfrösten die Temperatur auf 39*5, nachdem er auch
schon zu Hause sich „fiebrig“ gefühlt hatte. Das Hörvermögen war beider¬
seits schlecht, am linken Ohre war er taub — infolge einer alten Lues. Die
Vestibularapparate reagierten beiderseits typisch. Die Internisten nahmen
mit Sicherheit eine Grippe an und wir warteten daher mit dem operativen
Eingriffe zu. Nach 3 Tagen war Pat. fieberfrei. Nach weiteren 2 Wochen ;
nachdem inzwischen die Erscheinungen am Warzenfortsatze und die Senkung
der oberen Gehörgangswand bei profuser eiteriger Sekretion stärker geworden
waren, trat plötzlich ein Temperaturanstieg bis 39*7 auf. Pat. wurde operiert
und unter anderem bis an den Sinus heranreichende, mit Eiter erfüllte Zellen
ausgeräutnt, der Sinus selbst auf zirka 2 cm Länge freigelegt. Seine Wand
erscheint makroskopisch normal. Bei der Operation und 2 Tage später aus
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Vereinsberichte (österr. otol. Ges., März 1922).
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der Armvene entnommenes Blut enthält Streptokokken. Pat. selbst ist vom
2. Tage nach der Operation bis zu seiner Entlassung dauernd afebril, weitere
Blutproben ergeben negatives Resultat.
Im zweiten Falle handelt es sich um v einen 50jährigen Mann, der
mit einer 14 Tage alten, rechtsseitigen Otitis unsere Klinik aufsuchte. Auf
Grund der Anamnese und des lokalen Befundes stellten wir die Diagnose
Mukosusotitis; der im Eiter des Warzenfortsatzes in Reinkultur nachweisbare
Streptcooccus mucosus bestätigte diese Annahme. Pat. begann nach der
Operation zu fiebern. Der während derselben in großer Ausdehnung frei¬
gelegte, dabei leicht veränderte Sinus wird im Laufe der nächsten Tage wieder¬
holt punktiert. Das aus ihm sowie aus der Armvene gewonnene Blut ergibt
2 Wochen hindurch stets Streptococcus mucosus in Reinkultur. Nach zirka
16 Tagen war der Kranke lytisch entfiebert und der Armvenenblutbefund
ist jetzt steril.
Der dritte Fall betrifft einen 11jährigen Knaben, der um 11 Uhr
abends an die Klinik N e u m a n n eingebracht wurde; 3 Wochen alte, links¬
seitige Otitis, seit 5 Tagen bereits daheim, angeblich hohes Fieber, starke
Schmerzen im Ohre, zeitweiliges Erbrechen. Pat. phantasiert, auf lauten
Anruf gibt er aber klare und richtige Antworten. Bei passiven Kopfbewegungen
äußert er Schmerzen, ebenso bei Druck auf die Bulbi.Lichtscheu. Halswirbel¬
säule ist druckempfindlich, kein Kernig, Babinski oder Oppen¬
heim. An der linken großen Zehe schmerzhafte Schwellung, die nach An¬
gabe der Mutter ein Schuhdruck sein soll.
Otoskopischer Befund: Trommelfell gerötet, stecknadelkopfgroße
Berforation hinten oben, aus der pulsierend eiterig-schleimiges Sekret hervor¬
quillt. Sternokleidomastoideus sowie Jugularisgegend links druckempfindlich.
Die sofort vorgenommene Operation ergibt folgenden Befund:
diploetisch gebauter Warzenfortsatz, im Antrum freier Eiter. Die Erweichung
des Knochens und die Hyperämie nehmen gegen den Sinus hin zu, die
Sinuswand weiß aufgelagert und verdickt. Der Sinus wird bis über das Knie
hinauf freigelegt, bis normale Wand erreicht ist, ebenso gegen den Bulbus
zu, bis auch hier normale Wand erscheint. Dura der hinteren und mittleren
Schädelgrube erweisen sich als normal.
Lumbalpunktion: Rasche Tropfenfolge, Punktat klar, keine
Zellvermehrung. Sinuspunktion ergibt flüssiges Blut.
Augenhintergrund beiderseits normal.
Dekursus: Pat. fiebert die ganze Zeit bis 39 bis 40. Wiederholte Blut¬
entnahmen aus dem Sinus und aus der Armvene ergeben immer Stropto-
coccus haemolyticus, eine zweite Lumbalpunktion dagegen wieder negatives
Resultat. Die früher erwähnte Schwellung des linken Großzehengelenkes ver¬
eitert, wird inzidiert und aus dem Eiter läßt sich ebenfalls der Streptococcus
haemolyticus züchten; sie ist daher als Metastase aufzufassen.
Nach 3 Wochen (post operatinem) ist Pat. fieberfrei, der Wundverlauf
ein ungestörter. Pat. geht bereits herum. Es handelt sich also in diesem Falle
um eine typische Osteophlebitis Körner, bei der wir trotz des Krankheits-
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Vereinsberichte (österr. otol. Ges., Marz 1922).
395
bildes (septische Temperaturen, Metastasen, Streptococcus haemolyticus) uns
mit Rücksicht auf das Alter der Otitis und auf den ständig bluthaltigen,
wenn auch an seiner Außenwand veränderten Sinus entschlossen, nach aus¬
giebiger Freilegung desselben von einer Jugularisligatur abzusehen.
Es handelt sich daher in diesen 3 Fällen um akute Otitiden mit sep¬
tischen Temperaturen bei positiven Bakterienbefunde im Blute, die alle nach
Entfernung des erkrankten Knochens aus dem Warzenfortsatze und Frei¬
legung des Sinus ohne jeden weiteren operativen Eingriff ausheilten.
Vm. E. Ruttin: Verschluß des äußere» Gehörganges durch eine
Exostose. Akute Otitis. Abszeß unter der unteren Gebörgangswand. Operation.
Heilung.
Die 28jährige Pat. L. H. leidet seit einigen Jahren öfter an Schmerzen
im linken Ohre, die aber immer nach einigen Tagen wieder vergingen. 18 Tage
vor ihrer Aufnahme an die Klinik N e u m a n n traten starke Schmerzen
und Stechen im linken Ohre auf, kein Ohrenfluß. 4 Tage vor der Aufnahme
Temperatur 38*8, sonst keine Erscheinungen. Bei der Aufnahme fand sich
das rechte Ohr normal, der linke Gehörgang durch Exostose, die von der
hinteren Gehörgangswand ausging, so vollständig verschlossen, daß nirgends
mehr ein auch nur für eine Sonde durchgängiger Spalt vorhanden war. Die
Exostose ist mit gewöhnlicher Epidermis bedeckt. Der Warzenfortsatz ist
frei, nur der Tragus und der Kieferwinkel unterhalb der unteren Gehörgangs¬
wand stark druckempfindlich bei vollständigem Fehlen einer Otitis externa.
Hörweite für Konversationssprache a. c., für Flüstersprache 0, Weber im
Kopf, Rinne negativ, Schwabach verlängert, Cj und c 4 verkürzt, kein
spontaner Nystagmus, Drehnachnystagmus beiderseits 15".
4 Tage nach der Aufnahme Temperatur 39 4, Gehör wie früher, Kon¬
versationssprache ad concham. Starke Schmerzen und Druckempfindlich¬
keit vor dem Ohre und besonders unterhalb der unteren Gehörgangswand.
Der Röntgenbefund ergab: „Der Meatus auditorius ext. ist von der hinteren
Wand des Kiefergelenkes durch eine 2 bis 3 mm dicke Knochenleiste getrennt,
was die Norm um etwa das Doppelte überschreitet. Der Gehörgang selbst
ist geräumig, ebenso ist der Meatus auditorius int. ohne Befund. Das
Antrum mastoideum ist mittelgradig gut pneumatisiert.“
Der Befund war zwar offensichtlich unzulänglich, doch war keine Mög¬
lichkeit einer neuerlichen Aufnahme. Die Geräumigkeit des Gehörganges
mußte sich wohl auf die hinterher Exostose gelegenen Teile beziehen, die
Exostose im Röntgenbefund nicht deutlich. Die Schmerzen und die hohe
Temperatur deuteten auf einen hinter der Exostose liegenden akuten entzünd¬
lichen Prozeß, wenn auch die Druckempfindlichkeit für eine Otitis ganz
atypisch war. Wir nahmen am 4. III., d. h. 4 Tage nach der Aufnahme, die
Operation vor. Es fand sich der äußere Gehörgang vollständig von einer harten
gelben Knochenmasse ausgefüllt. Man kommt nur vorn oben neben dieser
Knochenmasse nur eben noch mit der Sonde in den Gehörgang. Aufmeißelung
des Warzenfortsatzes, der im unteren Teil vorwiegend sklerotisch ist, jedoch
MonatMchrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Rhin. 66, Jahrg. 27
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396 Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez. 1921).
mehrere mit Eiter gefüllte in die Sinusgegend reichende Zellen enthält. Der
obere Teil des Warzenfortsatzes, besonders gegen den Zygomaticuß zu, ent¬
hält große pneumatische, mit Eiter gefüllte Zellen. Freilegung des sehr quer
verlaufenden Sinus. Seine Wand bis in die Nähe des Bulbus normal, hier eine
kleine graurote Auflagerung. Das Antrum mit Granulationen erfüllt. Es wird
zunächst versucht, um die Exostose wegzumeißeln, da sich aber herausstellt,
daß die Exostose den Gehörgang bis nahe an die Trommelhöhle ausfüllt,
wird die Exostose zusammen mit der hinteren Gehörgangswand schichtweise
abgemeißelt und die typische Radikaloperation ausgeführt. Die Trommel¬
höhle erweist sich mit Granulationen und Massen von cholesteatomähnlichem
Aussehen ausgefüllt. Der AmbQs ist nicht vorhanden, der Hammergriff defekt.
Ferner zeigt sich an der unteren Gehörgangswand vor der Trommelhöhle ein
etwa bohnengroßer Defekt, aus dem bei Druck auf die Retromandibular-
gegend dünnflüssiger, aber nicht fötider Eiter hervorquillt. Dieser Abszeß
scheint oberflächlich unter der unteren Gehörgangswand zu liegen. Zu seiner
Eröffnung muß die vordere und untere Gehörgangswand abgetragen werden.
Der Wundverlauf war bis auf eine Angina ungestört. Sie sehen die Pat. jetzt
mit allenthalben gut granulierender Wunde, beschwerdefrei. Es handelt sich
hier um eine solitäre, elfenbeinharte, den ganzen äußeren Gehörgang aus¬
füllende Exostose, hinter der wahrscheinlich eine chronische Otitis mit akuter
Exazerbation vorhanden war. Die Unmöglichkeit genügenden Abflusses
führte zur Zerstörung der unteren Gehörgangswand und zur Abszeßbildung
in den darunter liegenden Weichteilen neben der gewöhnlichen Zerstörung
im Warzenfortsatz. Die ungewöhnliche Lokalisation des Weichteilabszesses
tief innen unter der unteren Gehörgangswand gab auch das ungewöhnliche
Symptom der starken Druckempfindlichkeit der Retromandibulargrube ohne
äußerliche Veränderung und ohne Otitis externa.
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft.
Sitzung vom 7. Dezember 1921.
(Offizielle Verhandlungsschrift.)
Vorsitzender: H e i n d 1.
Schriftführer: Suchanek.
Vor Beginn der wissenschaftlichen Sitzung ergreift der Vizepräsident
Prof. Fein das Wort: Meine Herren! Wie Sie wissen, hat unser verehrter
Präsident, Herr Prof. Dr. M. H a j e k, im November sein 60. Lebensjahr
erreicht. Seine Schüler und Freunde haben aus diesem Anlaß am 25. November
an seiner Klinik eine Feier veranstaltet, die ebenso würdig als herzlich ver¬
laufen ist. Ich habe die Ehre gehabt, dem Jubilar mit einer kurzen Ansprache
die Glückwünsche unserer Gesellschaft zu überbringen. Gestatten Sie, daß
ich heute diese herzlichen Glückwünsche in Camera caritatis wiederhole und
den Wunsch ausspreche, daß Prof. Ha j ek noch viele, viele Jahre in voller
Gesundheit an unserer Spitze bleibe.
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Vereinsberiohte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez« 1921). 397
Ha j e k: Ich habe Ihnen, meine sehr geehrten Herren, den herzlichsten
Dank abzustatten für die große Ehre, die Sie mir bei meiner 60. Geburtstags¬
feier erwiesen haben. Lassen Sie mich nur kurz darauf hinweisen, daß ich die
Wiener laryngologische Gesellschaft als eine enggeschlossene Gemeinde ansehe,
deren einzelne Mitglieder meinem Herzen gleich nahe sind. Ich will dieses
Geständnis nicht als Redensart aufgefaßt wissen, sondern vielmehr wieder
betonen, daß diese Klinik und ihre Institutionen jedermann zugänglich sind,
und es selbstverständlich als unsere Pflicht erachten, Außenstehenden in jeder
Hinsicht Unterstützung zu gewähren.
Der Vorsitzende spricht M. Ha j ek für seine wiederholt kund¬
getane Bereitwilligkeit, die Tore der Klinik allen Mitgliedern stets offen zu
halten, die da kommen und lernen wollen, den herzlichsten Dank aus mit der
Aufforderung an alle, fleißig von dem liebenswürdigen Anerbieten Gebrauch
zu machen.
Marschik berichtet über die Informationen, die er sich sowohl aus
Deutschland als insbesondere aus den neutralen Ländern über die Geschichte
und die Begleitumstände des im April 1922 in Paris geplanten „internationalen
Otologenkongresses“ geholt hat. Der Ausschluß der Deutschen und Öster¬
reicher von diesem Kongreß hat bekanntlich die in deutschen und öster¬
reichischen Wochen- und Fachzeitschriften erschienene Protestnote des Vor¬
standes der Gesellschaft deutscher Hals-, Nasen- und Ohrenärzte veranlaßt.
Die Wiener Laryngo-rhinologische und die österreichische otologische Gesell¬
schaft haben seinerzeit in gemeinsamer vertraulicher Sitzung hierzu Stellung
genommen, sich mit der deutschen Gesellschaft solidarisch erklärt und be¬
schlossen, mit Rücksicht auf die bereits auch in österreichischen Zeitschriften
erschienene Erklärung von der Hinausgabe einer besonderen Note abzusehen,
umso mehr als ohnehin die meisten Mitglieder der beiden Gesellschaften auch
Mitglieder der Gesellschaft deutscher Hals-, Nasen- und Ohrenärzte sind.
Aus diesen Informationen geht hervor; daß einmal die Wahl von Paris
und Söbileau ganz widerrechtlich und den Statuten für die internationalen
Kongresse zuwiderlaufend erfolgt ist, da 1912 in Boston Deutschland als
Versammlungsland und Denker als Präsident gewählt worden war. Die
Neutralen haben sich in Anerkennung dieser Tatsachen entschlossen, teils
dem Kongreß überhaupt fernzubleiben, teils ihn zu besuchen, dort aber gegen
den Ausschluß der Fachkollegen Deutschlands und Österreichs Verwahrung
einzulegen. Jedenfalls ist nach Ansicht der Informatoren Marschiks
dieses Vorgehen der Ententeländer vier Jahre nach Kriegsende ganz ungeeignet,
den Boden für eine Wiederanbahnung der alten wissenschaftlichen Beziehungen
vorzubereiten. Denker, Passow und Körner haben dann in den von
ihnen herausgegebenen Archiven eine ähnliche Protesterklärung mit etwas
geändertem Text veröffentlicht wie folgt:
„Der internationale Otologenkongreß.
Auf dem im Jahre 1912 in Boston abgehaltenen letzten internatio¬
nalen Otologenkongreß wurde beschlossen, die nächste Versammlung unter
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Vereinaberiohte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez. 1921).
dem Vorsitz des Unterzeichneten in Deutschland abzu¬
halten. Wie den Mitgliedern der deutschen otologischen Gesellschaft erinner¬
lich sein dürfte, wurde dementsprechend auf unserer letzten Zusammenkunft
vor dem Kriege, die 1914 in Kiel stattfand, Hamburg als Kongreßort
bestimmt und das deutsche nationale Komitee beauftragt, die Vorbereitungen
für einen würdigen Verlauf der Veranstaltung zu treffen.
Entgegen dem seinerzeit gefaßten Beschluß hat, wie uns von befreundeten
Kollegen aus der Schweiz mitgeteilt wird, ein „internationales“ Komitee,
unter Ausschluß der mitteleuropäischen Staaten und ohne Hinzuziehung der
Kollegen in den neutralen Staaten Paris als Versammlungsort und Prof.
S ö b i 1 e a u zum Präsidenten des Kongresses gewählt. Gegen dieses verhängnis¬
volle Vorgehen der Fachkollegen in den Ententeländern, das den Krieg auf
das wissenschaftliche Gebiet überträgt und ihn zu verewigen geeignet ist,
muß von seiten der deutschen Otologen aufs schärfste Verwahrung eingelegt
werden; die in Paris geplante Versammlung hat nicht das Hecht, sich
als internationalenOtologenkongreßzu bezeichnen, sondern
stellt ausschließlich eine Zusammenkunft der Otologen der interalliierten
Länder dar. Wir deutschen Otologen können im Hinblick auf unsere Mitarbeit
an dem Aufbau der modernen Ohrenheilkunde in Ruhe abwarten, bis die uns
immer noch feindlich gegenüberstehenden Fachkollegen an uns herantreten,
und wir dürfen uns ohne Übegrhebung der Überzeugung hingeben, daß der
durch den Ausschluß der deutschen Otologen angerichtete Schaden unsere
Gegner mindestens in gleichem Maße trifft wie uns“.
Wissenschaftliche Sitzung.
I. M a r s c h i k : Konfluierender Herpes laryngis.
Das 20jährige Mädchen erkrankte vor zwei Wochen unter hohem Fieber
und den Symptomen einer schweren akuten Laryngitis. Marschik sah
sie bald darauf und fand jlas Innere des hochgradig entzündeten Kehl¬
kopfes, besonders aber die Taschenfalten mit zarten fibrinösen Belägen be¬
deckt. Die Affektion ließ den Verdacht auf Diphtherie aufkommen, jedoch
bestärkten die rasche Entfieberung und das kaum gestörte Allgemeinbefinden,
besonders aber das Vorhandensein von in Gruppen stehenden
kleinenBläschenan einzelnen Stellen, namentlich an den Aryknorpeln,
Vortragenden in der Ansicht, daß es sich um einen jener Fälle von Herpes
laryngis handelt, von denen er im Jahre 1912 an der Klinik eine größere
Anzahl beobachten konnte und auch in einer der letzten Sitzungen im An¬
schluß an eine Demonstration Glas’ darüber berichtet hat, und die an¬
scheinend nur im Beginn das typische Bild des Schleimhautherpes zeigen,
aber bald konfluieren. Die Differentialdiagnose gegenüber Diphtherie möchte
Vortragender von dem nur im Anfang der Erkrankung bestehenden typischen
Herpesbild’ abgesehen vor allem auch in der ausgesprochenen Zartheit der
Beläge, der symmetrischen Regelmäßigkeit derselben und dem Fehlen ander¬
weitiger Erscheinungen von Diphtherie, besonders auch der Tonsillen erkennen.
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Vereinebericht© (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez. 1921).
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Das Leiden scheint recht langsam ausheilen zu wollen, auch heute noch sind
die zarten Beläge auf den Taschenfalten deutlich zu erkennen. Vortragender
erwähnt die in letzter Zeit von Hirsch veröffentlichte Beobachtung von
Laryngitis ulcero-membranacea, an die man eventuell auch zu denken hätte.
Aussprache:
H a j e k: Tatsächlich läßt sich aus dem vorliegenden laryngoskopischen
Befunde keine Diagnose stellen. Ein oberflächlicher, grauweißer, nekrotischer Belag
kann alles Mögliche bedeuten; nur die länger dauernde klinische Beobachtung una
die eventuelle mikroskopische Untersuchung des Belages können im Laufe der Zeit
die Diagnose sichern. Herr Prof. Marschik wird gebeten, demnächst über den weiteren
Verlauf zu referieren.
Hirsch: Herr Marschik erwähnte, daß im vorgestellten Falle viel¬
leicht Laryngitis ulcero-membranacea vorliegen könnte. Dazu bemerke ich, daß
die Laryngitis ulcero-membranacea ein charakteristisches Krankheitsbild ist, dessen
hervorstechendste Merkmale eine hochgradige Schwellung der Epiglottis und Ge¬
schwüre am Kehlkopfeingang sind. Die Stimmbänder w'aren in allen von mir beob¬
achteten Fällen frei. Da im vorgestellten Falle vorwiegend die Stimmbänder betroffen
sind, der Kehlkopfeingang aber frei ist, entspricht das Krankheitsbild nicht einer
Laryngitis ulcero-membranacea, sondern ähnelt einem von Reiche beschriebenen
Falle, bei welchem Beläge auf den Stimmbändern vorhanden w'aren und der später
unter dem Bilde der Diphtherie verlief.
Fein ist der Ansicht, daß es sich um eine Mykose handelt. An Herpes
glaubt er nicht, weil bei diesem Prozeß immer auch die rundlichen Exkoriationen
zu sehen sind, die durch Abstossung der Häutchen entstehen. Sowohl diese fehlen
in dem vorgestellten Falle, als auch die aus dem nekrotischen Epithel hervorgegangenen
weißen Fleckchen. Hier ist ein gleichmäßiger Belag vorhanden. Fein empfiehlt
die bakteriologische Untersuchung eines Abstriches.
II. Menzel: Fall von Karzinom des Recessns piriformis. Heilung
durch endolaryngeale Operation.
Als der 47jährige Pat. am 1. XII. 1920 zum erstenmal beim Vortragenden
erschien, klagte er über seit mehrere Wochen bestehende mäßige Schmerzen
und Brennen auf der rechten Halsseite, namentlich beim Schlucken von
Alcoholicis; er hatte das Gefühl, als ob ihm „die rechte Mandel gefallen 'wäre“.
Die damals vorgenommene laryngoskopische Untersuchung ergab im vorderen
gegen die Plica pharyngo epiglottica zu gelegenen Anteil der aryepiglottischen
Falte, und zwar entsprechend ihrem oberen Rande und ihrer dem Sinus
piriformis zugewendeten Sch leimhaut fläche einen flach halbkugeligen, zirka
bohnengroßen, breit aufsitzenden, scharf gegen die Umgebung abgegrenzten
Tumor von blaßroter Farbe, feinhöckeriger Oberfläche ohne Reaktion in der
Umgebung. Die Plica pharyngo epiglottica selbst sowie die hintere Hälfte
der medialen Wand des Sinus piriformis sind vollständig feri, ebenso das
Larynxinnere. Drüsen am Halse sind trotz wiederholter genauester Unter¬
suchung nicht tastbar. Die histologische Untersuchung eines probeexzidierten
Stückchens, die von dem damaligen Assistenten am Pathol.-histol. Institute
der Poliklinik Dr. Sinnesberger ausgeführt wurde, lautet: „Das über¬
sandte, aus dem Larynx (Sin. pirif.) exzidierte Stückchen zeigt eine atypische
Wucherung eines überkleidenden Plattenepithels, die zwar noch nicht weit
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400
Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez. 1921).
in die Tiefe vordringend, doch einem nicht verhornenden Plattenepithel¬
karzinom entspricht.“ (Demonstration.)
Am 8. XII. 1920 wurde das Karzinom in Kokainanästhesie, zum Teile
bei direkter Beleuchtung mittels Kirsteinscher Autoskopie, zum Teil
bei indirekter Beleuchtung auf endolaryngealem Wege im Gesunden entfernt.
Zuerst wurde in der Mitte der aryepiglottischen Falte mittels der Struyken-
schen Schere eine tiefe senkrechte Inzision ausgeführt, um die Grenze des
zu entfernenden Anteils der Wand des Sinus piriformis zu markieren. Dann
wurde mit schneidenden Zangen der laterale Rand der Epiglottis sowie* die
vordere Hälfte der Aryfalte bzw. der medialen Wand des Sin. pirif. mit dem
angrenzenden Teil der pharyngo epiglottischen Falte entfernt. Die mäßige
arterielle Blutung wurde durch kurzes Liegenlassen eines Pöans sowie durch
Tamponade mit in Clauden getränkten Tupfern gestillt. Der Verlauf war
ein fieberfreier, Schluckschmerzen waren nur gering. 4 bis 6 Wochen nach der
Operation waren sämtliche Wunden im Larynx verheilt. Der Patient hatte
damals um 6 Yz kg zugenommen.
Am 5. III., also 8 Wochen nach der Operation zeigte sich eine über
haselnußgroße harte runde, schmerzlose, vollkommen frei bewegliche Druse
an der rechten Halsseite, entsprechend der Grenze des oberen Drittels des
Stemocleido mastoideus. Infolgedessen wurden vom Vortragenden einige
Tage später die der Gefäßscheide aufliegenden Lymphdrüsen, und zwar fanden
sich bei der Operation vier mit einander zusammenhängende mit der Um¬
gebung nicht verwachsene Drüsen von Erbsen- bis über Haselnußgröße, in
Lokalanästhesie entfernt. Die Wunde war nach kurzer Zeit per primam
verheilt. Aus prophylaktischen Gründen wurde Ende Mai die Gegend des
Tumorsitzes durch 5 Stunden mit einem imgefilterten 24 mg Radium ent¬
haltenden Dominici-Röhrchen bestrahlt, das an einem durch die Nase ge¬
zogenen Faden ohne Ende befestigt war.
In Pausen von 4 bis 6 Wochen erfolgten auch 3 Röntgenbestrahlungen
der rechten Halsseite. Pat. ist seit der anfangs Dezember v. J. ausgeführten
Operation, demnach bis jetzt ein Jahr lang geheilt. Derzeit zeigt die laryngo-
logische Untersuchung glatte Narben und Defekte im vorderen Teile der
rechten Aryfalte und am rechten Seitenrande der Epiglottis, demnach eine
Assymetrie der beiden Larynxhälften. Die Karzinome, welche bisher mit
gutem Erfolge endolaryngeal entfernt wurden, saßen’ausschließlich inner¬
halb des Larynx, namentlich an einem Stimmbande. Karzinome des Sinus
piriformis sind bisher auf endolaryngealem Wege soviel wie gar nicht operiert,
geschweige denn geheilt worden.
Die Ursache hierfür liegt offenbar darin, daß sie als besonders bösartig
betrachtet werden. Vortragender weiß zwar nicht, ob Pat. sich auch bei weiterer
Beobachtung als definitiv geheilt erweisen wrird, aber der Fall zeigt bis jetzt
jedenfalls, daß es nicht so sehr auf den Sitz des Karzinoms ankommt, als viel¬
mehr darauf, daß dasselbe möglichst frühzeitig in Angriff genommen wird und
daß man eben auch ein Karzinom des Sinus piriformis so lange es noch zirkum¬
skript, klein und leicht zugänglich ist, auf endolaryngealem Wege entfernen*
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez. 1921).
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kann. Hierbei ist es, wie der Fall ebenfalls zeigt, trotz frühzeitiger Operation
unerläßlich, auch die regionären Lymphdrüsen mitzuentfernen. Im übrigen
scheint dem Vortragenden die Ära der Schwebelaryngoskopie für eine Wieder¬
aufnahme der Versuche mit endolaryngealen Operationen günstig. Es ist
anzunehmen, daß die direkte Methode weit mehr zu leisten imstande ist, als
die bisher ausschließlich geübte indirekte.
Aussprache:
H a j e k: Ich möchte nur mit großer Reserve über die von Dr. Menzel
befolgte Methode mich äußern. Eine so maligne Tumorart, wie es die Karzinome
des Pharynx sind, auf endolaryngoalem Wege zu operieren, ist doch eine sehr ge¬
wagte Sache. Ausführlicher soll die Sache nach dem nächsten Vortrag des Herrn
Dr. Weil diskutiert werden.
HI. Hermann Schrotter: Mitteilung über Sklerom.
Erinnert an der Hand von Kartenskizzen und einer großen Zahl bildlicher
Darstellungen an das seinerzeit von Wien aus angeregte, umfassende Studium
der in mehrfacher Richtung so interessanten Sklerom erkrankung, For¬
schungen, die auch heute nicht außer Acht gelassen werden sollten, wenn
auch durch den Wegfall der für diese Infektionskrankheit besonders in Be¬
tracht kommenden Länder, diese für uns vielleicht weniger Würdigung in
prophylaktischer Richtung beansprucht. Redner übergibt der laryngologischen
Universitätsklinik seine Sammlung bezüglicher Karten, Korrespondenzen,
Abbildungen sowie eine große Zahl wertvoller sowie seltener Publikationen,
die sich auf das Sklerom, seinen Erreger sowie verwandte Gebiete beziehen,
mit der Bestimmung, dieselben dem Inventare derKlinik einzuver¬
leiben, um die bezüglichen Behelfe gelegentlich zweckentsprechender Ver¬
wendung bei gleichzeitiger Erhaltung der Sammlung zuführen zu lassen.
In diesem Zusammenhänge möchte er neuerlich und mit allem Nach¬
drucke die Abhaltung einer internationalen Skleromkonferenz an¬
regen, für welche schon in den Jahren 1911 und 1912 weitgehende Vorarbeiten^
getroffen worden waren. Als Ort dieser Tagung erschien Wien um so mehr
berechtigt, als die für das Gesamtgebiet der Pathologie so be¬
merkenswerte Erkrankung in Wien zuerst richtig erkannt, bezüglich ihres
Erregers präzise determiniert und hier einem eingehenden, klinischen Studium
unterzogen ist, das russische, polnische, deutsche, italienische wie auch amerika¬
nische Ärzte in wertvoller Weise ergänzt haben. Nichtsdestoweniger bedürfen
manche Fragen noch der Klärung, die im angedeuteten Wege am besten
erreicht werden dürfte.
Aussprache:
H a j e k schlägt vor, in einer der nächsten Sitzungen über dieses Thema
einen Vortrag zu halten.
IV. B. Grossmann: Hirnpräparat eines Falles von Resektion der
A. carotis communis wegen Larynxkarzldom mit Drüsentumor.
Ich zeige Ihnen hier ein Hirnpräparat mit injiziertem Circulus arter.
Wilisii. Das Präparat stammt von einem 56jährigen Mann, welcher im Juli
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez. 1921).
1919 wegen Ca laryngis von Herrn Dr. Schlemmer laryngektomiert wurde.
Bei der Ausräumung der linksseitigen Halsdrüsen zeigten sich dieselben mit
der Carotis communis, Jugularis int. und dem Vagus derart verwachsen,
daß diese 3 Gebilde mitreseziert werden mußten. Trotz dieses Eingriffes traten
nach der Operation keinerlei Ausfallserscheinungen seitens des Gehirnes auf.
Pat. wurde dann im Jänner 1920 wegen regionärer Drüsenmetastasen links
neuerlich operiert. Die Drüsen waren in Narbengewebe fest eingebettet und
es gelang nicht, den ehemals ligierten Stamm der 1. Carotis com. auferfinden.
Pat. kam schließlich am 26. X. d. J. infolge Kachexie und Pneumonie zum
Exitus. Bei der Obduktion fand man die 1. Carotis com. in Schwielengewebe
fest eingebettet und zirka 2 Querfinger oberhalb ihres Abganges blind endigend.
Die r. Carotis com. war fast doppelt so weit als die 1. A. vertebralis r. und 1. bei
ihrem Abgang von der Subklavia annähernd normal weit. Beim Durchtritt
der Gefäße durch die Dura sah man die r. Carotis int. und r. Vertebralis weit
klaffend und bedeutend weiter als die gleichen Arterien der linken Seite,
welch letztere aber auch ein vollständig freies Lumen zeigten.
An dem mit Teichmann scher Masse injizierten Präparate sehen
Sie nun eine deutliche Erweiterung der r. Vertebralis und r. Carotis int.,
ferner der r. Communicans ant. bezw\ Cerebri ant. und der 1. Communicans post.
Sie sehen also, daß sich in diesem Falle trotz Ligatur und Resektion
einer so wichtigen Schlagader wie der Carotis com. und trotz des vorgeschrittenen
Alters des Pat. ein vollständiger Kollateralkreislauf ausgebildet hatte und
nie irgendwelche Ausfallserscheinungen seitens des Gehirnes aufgetreten waren.
Ich möchte aus diesem einzelnen Falle keine weiteren Schlüsse ziehen,
möchte aber bitten, bei fier Obduktion derartiger Fälle dem Verhalten des
Kollateralkreislaufes, insbesondere des Circulus arter. Willisii besonderes
Augenmerk zuzuwenden. Vielleicht läßt sich an einem größeren Material
entscheiden, warum in dem einen Fall die Ligatur der Carotis com. ohne weitere
Folgen bleibt, während in anderen Fällen Thrombosierung der Gefäße
• und Gehirnerweichung die Folge sind.
V. üllmann: Papillomatosis laryngis et tracheae. SektionspräparaL
Demonstriert den Kehlkopf samt Trachea des Kindes, welches er in
der letzten Sitzung wegen Kehlkopfpapillomen und deren gelungener Über¬
tragbarkeit vorstellte und welches inzwischen verstorben war. Der Kehl¬
kopf und die Trachea zeigten bis zur Bifurkation eine diffuse Papillomatose.
(Wird ausführlich publiziert.)
Aussprache:
K o f 1 e r erwähnt, daß er bei einem Falle von Papillomen des Larynx und
der Trachea auch solche an der Karina beobachtet hat.
VI. G. H o f e r: 2 Fälle von Verrchlußplastik des Larynx nach Laryngo-
stomie.
Beide Fälle betreffen traumatische Larynxstenosen mit Laryngostomie
und Dilatation behandelt, die nach Behebung der Verengerung verschlossen
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Vereinsberiohte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez. 1921).
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werden. Methode: Hautdoppellajfpen enthaltend ein Stück Rippenknorpel.
Trotz aller Vorsicht der subkutanen Implantation des Knorpels, der Wahl
eines lumenwärts konkaven Knorpelstückes hat sich durch Ein wärt «ist ülpung
der lumenwärts gedrehter» Haut eine Hautfalte in das Luftrohr eingelegt,
die eine neuerliche Stenose zur Folge hat. Der Befund beweist, daß die Technik
der Doppellappen so „chirurgisch“ sie bezeichnet werden kann, doch keine
universelle Methode bedeutet, und einer Revision also im Sinne der Original¬
methode Mangoldts mit einfachem Lappen bedarf.
VII. R. Feucht in g]er: Fall von Exitus letalis nach Adenotomie
bei Status thymolymphaticns.]
Ein 3jähriges Kind wird ambulatorisch adenotomiert und hört sofort
nach der Operation zu atmen auf. Durch eine sogleich eingeleitete künstliche
Atmung und durch Tracheoskopie werden Blutkrümel aus den Luftwegen
entfernte und die Atmung wieder hergestellt. Am Abend neuerdings Atemnot
bei stark beschleunigter Herztätigkeit. Eine Tracheotomia inf. schafft für
einige Stunden Erleichterung. Am nächsten Morgen erlag das Kind. Die
Obduktion ergab eine stark vergrößerte Thymus, die bis zur Mitte des Halses
und nach unten über einen Teil des Herzens reichte. Im Jugulum an der
Thymus eine tiefe Schnürfurche. Die Trachea und Larynx ohne Besonderheit.
Das Herz in beiden Ventrikeln hochgradig exzentrische Hypertrophie und
Dilatation. In den Lungen keine Aspiration. Die Todesursache ist im Versagen
der Herztätigkeit zu suchen. Eine Kompression der Trachea bestand nicht.
(Demonstration des Präparates.)
Aussprache:
Hermann Schrötter fragt, ob das Kind in der Zeit vor dem Tode blaß
war und erinnert an eine eigene Beobachtung von plötzlichem Exitus während der
Tracheotomie, wobei Zyanose fehlte und das Ereignis unter arterieller Anämie ein¬
trat. Zweifellos stehen beim Status thymicolymphaticus, wie auch Feucht inger
vermutet, Störungen der Herztätigkeit im Vordergründe des bezüglichen kausalen
Zusammenhanges. Sonst geringfügige Reize können bei dieser Konstitution an¬
scheinend besonders leicht zur Herzhemmung führen.
K o f 1 e r beobachtete einen plötzlichen Tod bei einem ähnlichen Fäll. Da
nur eine sehr leichte Narkose (Billrothmischung) gegeben wurde, ist als Todesursache
Chok am wahrscheinlichsten.
H e i n d 1 berichtet über einen ähnlichen Fall, der zum Glück nicht letalen
Ausgang hatte. Der Redner wollte an einem 10jährigen Mädchen mit pastösem
lymphatischem Habitus Hypertrophien der hinteren Enden der unteren Muscheln
und Adenoide Veget. entfernen. Pat. wurde von einem sehr geübten Narkotiseur
mit Billrothmischung nur bis zum Eintritt in die tiefe Narkose gebracht. Als der
Operateur mit der Schlinge die hinteren Enden nahm, bemerkte er eine leichte
Abwehrbewegung und darnach sofortiges Erblassen der Pat. mit Aussetzen von Puls
und Atmung. Die sofort angewendeten Wiederbelebungsversuche hatten Erfolg und
die Operation der Adenoiden konnte dann noch mit Erfolg durchgeführt werden.
Es handelte sich damals ebenso, wie Vortragender sofort feststellen konnte, um
Chokwirkung auf das Herz bei bestehendem Status thymico¬
lymphaticus in der oberflächlichen Narkose durch die noch vorhandene Reflex¬
erregbarkeit in der Gegend der Choanen ausgelöst. Seitdem ist Redner mit der
Anwendung der Narkose zur Entfernung von Aden. Veget., die jetzt so häufig üblich
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Dez. 1921).
geworden ist, vorsichtig. Er möchte auch jedem raten, vorher genau auf etwa be¬
stehende Thymushypertrophie mit ihren Folgeerscheinungen zu prüfen.
Fein fragt, ob das Äußere des Kindes nichts Auffallendes gezeigt habe, etwa
lymphatisches Aussehen o. dgl. Vielleicht ließe sich jetzt noch aus der Erinnerung
und aus den Angaben der letztem ein Bild rekonstruieren; denn es wäre ja für die
Zukunft sehr wichtig, schon* aus der äußeren Erscheinung irgendeinen Anhaltspunkt
gewinnen zu können, der vor der Narkose warnt.
Hutter erinnert an einen Fall aus der Literatur, wo bei einem Säugling
infolge kräftigen Hinabdrückens der Zunge mit dem Spatel plötzlicher Exitus eintrat.
Panzer schlägt vor, bei Eingriffen in der Nase, welche in Narkose aus¬
geführt werden, vorher zu kokainisieren, um die Chockwirkung zu vermeiden.
H e i n d 1 kann die Maßnahmen Herrn Panzers nur befürworten. Auch
er wendet seit dem obigen Falle, wenn Narkose nicht zu umgehen ist, gern vorher
zuerst zur Lokalanästhesie in der Nase geringe Mengen von Alypin oder Kokain
an. Man erspart viel Zeit, Narkose und kann Chockwirkung ausschalten. Wird
Adrenalin kombiniert, dann natürlich nur reine Äthernarkose.
R. Feuchtinger (Schlußwort): Die erste Suffokation wurde auf Aspiration
eines Gewebsstückes zurückgeführt, es bestand Zyanose und Dyspnoe. Dies ver-
anlaßte die Tracheoskopie. In einem ähnlichen Falle würden wir das nächste Mal
eine sofortige Tracheotomie jedem anderen Eingriff vorziehen. Die Tracheotomie
selbst wurde ohne weitere Anästhesie ausgeführt, da das Kind bewußtlos war und
war leicht auszuführen. Der Erfolg derselben war, wie die Obduktion zeigte, ein
scheinbarer. Das Kind hielt bei seinem Status thymolymphaticus die mehrfachen
Eingriffe nicht aus.
VIII. E. Wessely: Stereobrille für den Ansehauungsimterriclit In
der Rhinolar y ngoo tologie.
In fast allen Disziplinen der Medizin ist es möglich, die Kenntnis patho¬
logischer Zustände und den Vorgang operativer Eingriffe durch direkten
Anschauungsunterricht zu vermitteln. In der Chirurgie ist fast jede Operation
von einem kleinen Zuseherkreis, zumindest aber von dem Assistenten genau
zu verfolgen. Die Handhabung der Instrumente, die technischen Tricks
können direkt beobachtet werden.
In unserer bis vor kurzem nur monokular das Arbeitsgebiet beherrschen¬
den Disziplin war auch ein Anschauungsunterricht in diesem Sinne nicht
möglich. Der Operationszögling saß meist neben oder hinter dem Operateur
und sah nichts. Wenn der Operateur gesprächig war, so konnte der Zuseher
erfahren, was dieser sah, beabsichtigte oder ausgeführt hatte. Der Beobachter
sah Instrumente in die Nase oder in den Mund verschwinden und mehr minder
blutig wieder zum Vorschein kommen. In Intervallen oder am Ende der
Operation konnte er den Erfolg bewundern. Das „Wie“, die Vorteile der
Handhabung der Instrumente, die Technik der Ausführung sah er nicht.
Um diesen Mangel in unserer Disziplin abzuhelfen, habe ich den An¬
schauungsunterricht mittels meiner Brille wenigstens für zwei Beobachter
ermöglicht, eine Idee, die vor mir v. E i c k e n bei seiner auf einem anderen
optischen Prinzipe aufgebauten Stereobrille, ich glaube als erster, verwirk¬
licht hat.
Es sieht der Operateur mit beiden Augen ein stereoskopisches plastisches
Operationsfeld mit Erhaltung der normalen Konvergenz und Akkommodation
und zw ei seitliche Beobachter sehen das gleiche Bild monokulär. Der Operateur
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Bücherbesprechungen.
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hat zwecks besserer Orientierung ein etwas größeres Gesichtsfeld als die
Beobachter. Es ist dieses aber auch mehr als hinreichend groß. Die Hellig¬
keit des Bildes ist völlig gleich und gegenüber dem gewöhnlichen Relaskop
unvennindert. (Demonstration an einem Patienten).
Bücherbesprechangen.
Mathematische Theorie der GehörempfindunK. Von Budde-Feldafing. Hand¬
buch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. V. Berlin und Wien 1921. Ulban
& Schwarzenberg.
Die Phänomene der Akustik, die sich der Mediziner, speziell derOtologe,
gewöhnlich auf Grund seiner Physikkenntnisse optisch plastisch begrifflich
macht, bringt Verfasser auf mathematischem Wege zum Verständnis, aller¬
dings nur für den engeren Leserkreis, der in der höheren Mathematik zu
Hause ist, so daß dieses Buch für den Großteil der praktischen Otologen keine
Vertiefung ihrer Kenntnisse über Akustik bringen dürfte. Die verschiedenen
Formen der Schwingung, ihr Abklingen, Interferenz und Schwebungen,
Resonanz, die verschiedenen Tonarten, Variations- und Unterbrechungstöne,
die Gesetze der schwingenden und mitschwingenden Saite werden durch
Berechnung und Formeln vorgeführt. Interessant für den Otologen ist das
zweite Kapitel, welches theoretische Vorstellungen über den Vorgang im
Labyrinth beim Hörakte bringt. Die Schwingungszahlen der Wellen, welche
zu Tonempfindungen Anlaß geben, liegen zwischen 9000 und 30, ihre Länge
beträgt 4 bis 10 mm. Durch den Trommelfell-Gehörknöchelchenapparat werden
diese Bewegungen von großer Amplitude und geringer Kraft, welche die
leichte Luft an das Trommelfell abgibt, in solche von geringer Amplitude
und großer Kraft, die an das schwere Labyrinthwasser abgegeben werden,
verwandelt. Jede der Basilarfasern des Labyrinthes gibt, in Schwingung
versetzt, Anlaß zur Entstehung einer Tonempfindung von entsprechender
Höhe. Es ist nicht wahrscheinlich, daß die einzelne Basilarfaser allein schwingt,
sondern die angrenzenden Partien der Basilarmembran mit ihren Fasern
werden mit schwingen. Da aber trotz des Mitschwingens mehrerer Fasern
doch nur eine Tonempfindung ausgelöst wird, so muß im Gehörorgan eine
Einrichtung sein, welche so wirkt, daß trotz der durch die Schwingung
mehrerer Fasern hervorgerufenen Ausgedehntheit der Deformation der Basilar¬
membran nur ein einfacher Ton empfunden wird.
Verfasser stützt diese Annahme durch eine Selbstbeobachtung. Während
einer Typhuserkrankung hörte er jeden einzeln angeschlagenen Klavierton
nicht als einfachen Ton, sondern als Chaos von Tönen, welche einen Mißton
erzeugten. Verfasser glaubt, daß die im gesunden Ohr vorhandene Einrichtung,
welche dazu dienen soll, die ausgedehnte Deformation der Basilarmembran
in eine einfache Tonempfindung überzuleiten, durch Typhusgift außer Tätig¬
keit gesetzt war. Zum Schlüsse bespricht Verfasser die vorhandenen theo¬
retischen Vorstellungen über die intralabyrinthären Vorgänge beim Hörakt ;
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Büoherbeaprechungen.
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nach seiner Ansicht wirkt das Labyrinthwasser nicht auf alle Teile der Basilar-
membran mit der gleichen periodischen Kraft, sondern das Labyrinthwasser
über und unter dem maximal schwingenden Anteile der Basilarmembran
schwingt stärker als das angrenzende Labyrinthwasser. Bei der Besprechung
der Theorien der Hörempfindung wird allein der periphere Hörapparat in
den Betrachtungskreis gezogen und demselben eine imgemein komplizierte
und hochdifferenzierte Leistung zugemutet, wobei der zentrale Anteil des
Hörapparates nicht gewürdigt wird. • F r e m e 1.
Vorlesungen über allgemeine Konstltntlons- and Vererbungslehre (für
Studierende and Arzte) von Dr. Julias Bauer, Privatdozent für innere
Medizin an der Wiener Universität Mit 47 Textabbildungen. Berlin 1021,
Jul. Springer.
Es ist ein großes Verdienst des Autors, das bearbeitete, so überaus
wichtige Kapitel der Medizin einem weiteren Kreis zugänglich gemacht
zu haben. Die Konstitutionen und Vererbungslehre ist ja erst in den letzten
Jahren mehr in den Vordergrund des ärztlichen Interesses getreten; schon
deshalb ist diese Lehre erst im Anfangsstadium der Verbreitung. Dazu
kommen nun noch gewisse Schwierigkeiten des Verständnisses, durch die
man sich erst durcharbeiten maß, die verhältnismäßig vielen Fachaasdrücke,
die manchem zam erstenmal im Leben begegnen und die man sich dann erst
allmählich zu eigen machen muß, und schließlich das erst nach and nach
reifende Bewußtsein der großen Bedeutung, die dieser jungen Wissenschaft
zukommt. „Das Bedürfnis, sich mit dem Wesen der Konstitution und mit
den Gesetzen ihres Werdens, ihrer Beeinflußbarkeit nnd Bedeutung für
krankhaftes Geschehen vertraut zu machen“, muß sich aber unbedingt
Bahn brechen, weil erst hierdurch in vielen Fällen das Verständnis für
Ätiologie und Diagnose, Prognose und Therapie bedingt wird.
Bef. möchte nicht behaupten, daß das Buch „leicht geschrieben“ ist;
jemand, der sich allenfalls mit dem Thema noch nie beschäftigt hat, wird
gewiß nur schrittweise vorwärtskommen; aber dafür ist in erster Linie
eben das Thema schuld. Der große Vorzug der Schrift liegt in der
erschöpfenden Behandlung aller Fragen, soweit sie für das allgemeine
Verständnis nötig sind, sich also nicht in bestimmten Richtungen verlieren;
die Darstellungsweise ist äußerst klar und sachlich. Die Ausstattung
macht dem Verlag alle Ehre. E. U.
Atmungspathologie und Therapie; Von Hof bauer. 1921. Julius Springer.
Neben einer Fülle von interessanten und bisher wenig beachteten Tat¬
sachen interessiert den Spezialisten besonders das Kapitel über gestörte
Nasenatmung, Mundatmung und Thoraxdeformitat. Der Mundatmer mit
seiner verflachten Atmung zeigt eine abnorm starke Neigung der oberen
Brustapertur mit dem Bilde einer Umschnürung der oberen Lungenanteile.
Bei Kindern mit adenoiden Vegetationen fand Autor die obere Apertur stark
steil gestellt. Leider gestattet der enge Raum keine eingehendere Besprechung
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Btioherbeeprechungen.
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des interessanten Buches, welches den Rhino-Laryngologen von Uber¬
spezialisierung unter Vernachlässigung anderer Disziplinen abhält.
Fremel.
Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres and der oberen Laftwege. Von L.Katz
und F. Blumenfeld. L Bd. 3. vermehrte und verbesserte Auflage 1921,
Curt Kabitzsch.
Im Jahre 1911 erschien das erste Heft der ersten Auflage des gro߬
angelegten ,,Handbuches der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen
Luftwege“, herausgegeben ven Katz, Preysing und Blumenfeld,
noch ist es nicht ganz vollendet — eine Lieferung des zweiten Bandes ist noch
nicht erschienen — und jetzt schon liegt der erste Band in zwei stattlichen
Halbbänden in dritter Auflage vor uns. Während die zweite Auflage — sie
ist zuerst 1918 begonnen, abgesehen von einigen Ergänzungen und Hinzu¬
fügungen mehr einen Neudruck der ersten Auflage darstellt — sie bezeichnet
sich selbst als zweite ergänzte Auflage — zeigt die dritte Auflage in vielen
Arbeiten eine weitgehende Umarbeitung. Die außerordentlich rührigen Heraus¬
geber Katz und Blumenfeld — Herr Preysing hat inzwischen seine
Teilnahme an der Redaktion zurückgezogen — und die Verleger teilen mit,
daß Band I, III und IV vollständig vergriffen sei und stellen das Erscheinen
dieser Bände in dritter Auflage in baldigste Aussicht. Für ein so großes umfang¬
reiches und selbstverständlich auch sehr teures Spezialwerk ein ganz unerhörter
Erfolg. Was das Werk im ganzen auszeichnet und neben der richtigen Er¬
kenntnis der Bedürfnisfrage im wesentlichen zu dem großen Erfolge bei¬
getragen hat, ist vor allem das Geschick, mit dem es den Herausgebern ge¬
lungen ist, für die einzelnen Abschnitte ganz besonders geeignete Mitarbeiter
zu gewinnen, und daß in dem Werke gewisse Gebiete, die bisher wohl kaum
im Zusammenhänge, namentlich nicht in einem Handbuche der Otologie
und Laryngologie dargestellt sind, sorgfältigst behandelt werden, z. B. im
ersten Bande die Aufsätze von I s e m e r über Stauungstherapie, von
R o e p k e über Begutachtung Operierter, von A 1 b a n u s über Strahlen¬
therapie u. a. m.
Bei der Besprechung des bisher erschienenen ersten Bandes ist zuerst
rühmend hervorzuheben, daß es dem Verleger gelungen ist, die Ausstattung
des Buches wenigstens annähernd auf der Höhe zu halten, die die ersten Auf¬
lagen so ganz besonders ausgezeichnet hat, annähernd, denn ganz das schöne
Papier, ganz der klare Druck und ganz die Vortrefflichkeit und Klarheit der
Abbildungen hat sich doch nicht erhalten lassen.
Bei der Verteilung der einzelnen Kapitel mußte an manchen Stellen
ein Wechsel eintreten; Prof. Pieniäzek und Prof. Port sind gestorben,
an deren Stelle ist Prof. T.h o s t und Prof. Loos getreten, die Bearbeitung
der Röntgenanwendung haben an Stelle des Prof. Kuttiner die Herren
Pfeiffer und A 1 b a n u s übernommen. Prof. 0 n o d i hat die von ihm
bearbeitete Anatomie der Nase kurz vor seinem Tode noch durcharbeiten
können.
Die topographische Anatomie des Kopfes, des Mundrachens, des Halses
und des Mediastinums hat J. Sobotta bearbeitet. Auf jeder Seite
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Büoherbesprechungen.
macht sich die bessernde Hand des erfahrenen Anatomen und des akademischen
Lehrers bemerkbar. Mehr und mehr zeigt sich die Anpassung des Theoretikers
an das Bedürfnis des ausübenden Arztes. In der neuen Auflage findet sich
neu eine Beschreibung der Kopfschwarte, der Altersunterschiede des
Schädels, der Schädelnähte und der Beschaffenheit der Schädelwandung im
allgemeinen, ferner eine sorgfältige Darstellung der Lage des Gehirnes in der
Schädelhöhle unter Benutzung der Arbeiten von Kocher, Garr 6,W i t z e 1-
Heiderichu. a. — Auch in der Beschreibung der Mund- und Rachenhöhle
ist mancherlei hinzugefügt, so interessierte den Ref. besonders die Darstellung
des Foramen caecum am Zungengrunde als Rest eines Ausführungsganges
der Schilddrüse, die genaue Beschreibung der Zungenbälge usw. Die Tuben-
sonsille scheint Sobotta als selbständiges Gebilde nicht anzuerkennen.
Nur unbedeutende Änderungen hat Sobotta bei der vorzüglichen Dar¬
stellung der Topographie des Halses und des Mediastinums für erforderlich
gehalten.
Der Text der Darstellung der topographischen Anatomie der Nase und
ihrer Nebenhöhlen durch 0 n o d i hat auch nur wenig Veränderungen er¬
fahren, aus der großen Überzahl der Abbildungen sind eine Anzahl fortgelassen
worden (147, III. Auflage gegen 195, II. Auflage). Ich glaube nicht, daß es ein
großer Verlust ist; eine Anzahl der fortgelassenen Bilder finden sich auch
schon in dem Sobotta sehen Aufsatz über die Anatomie des Kopfes, ein
anderer Teil ist in den verschiedenen Spezialwerken 0 n o d i s abgedruckt.
Wenn ich auch wohl mit mancher Auffassung nicht ganz einverstanden bin,
so muß ich die Arbeit 0 n o d i s doch als die eingehendste und sorgfältigste Dar*
Stellung des schwierigen Gebietes anerkennen, wenigstens in deutscher Sprache,
die mir bekannt geworden ist.
Die vorzügliche Arbeit über die topographische Anatomie des Gehör¬
organs von S t e n g e r hat namentlich in ihrem ersten Teile nur wenige Er¬
gänzungen und Erweiterungen notwendig gemacht. Fig. 5, die noch in zweiter
Auflage dem Atlas von Spalteholz entlehnt war, hat einer sehr viel
lehrreicheren Zeichnung des Verfassers Platz machen müssen. Den Fortfall
der Zeichnung 16, die für die Topographie des Mittelohres sehr instruktiv war,
glaubt Ref. bedauern zu müssen. Neu hinzugekommen sind die Abb. 26 und 27
über den Verlauf des Nerv, facialis und die Abb. 38 bis 43, welche die Lage
des Gehirnes und der Hirnnerven zu dem Gehörorgane darstellen. Gerade
die praktisch wichtigen Abschnitte, welche die Lagebeziehungen der einzelnen
Teile zueinander behandeln, haben in der dritten Auflage zahlreiche Ver¬
besserungen und Ergänzungen erfahren, ganz neu hinzugefügt ist die Er¬
weiterung der Topographie der einzelnen Hirnnerven und des Gehirnes in
Beziehung zu dem Gehörorgane.
Jede Darstellung, die uns A. Most von den Verhältnissen des Lymph¬
gefäßapparates am Kopfe und am Halse gibt — sie beruht fast vollständig
auf eigenen Untersuchungen — bedeutet einen Fortschritt. Sehr bemerkenswert
erschien Ref., daß Most, der ja eigentlich praktischer Chirurg ist, in früheren
Bearbeitungen sich aber mehr theoretischer Darstellung befleißigt hat, jetzt
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Bücherbesprechungen.
409
aber die praktische Anwendung und das Bedürfnis des Arztes in den. Vorder¬
grund treten läßt. Die in letzter Zeit in die Erörterung geschobene Frage,
ob die Tonsillen als eigentliche Lymphknoten aufzufassen sind oder nicht,
berührt Most nicht, doch scheint es nach seiner Darstellung, daß er die
Frage verneinen würde. In der dritten Auflage sind mehrere neue, außer¬
ordentlich lehrreiche Abbildungen hinzugefügt, natürlich den eigenen Präpa¬
raten des Autors entstammend. Nicht ungern entbehrt hätte ich Fig. 5, die
wenigstens in meinem Exemplar nicht recht deutlich ist. Mit dem vortrefflichen
Aufsatz von Most, dessen Lektüre wir allen Praktikern nicht dringend genug
empfehlen können, schließt der erste Halbband.
In den ersten Aufsätzen des zweiten Teiles sind die Änderungen nicht
sehr erheblich; Haecker schränkt das Indikationsgebiet für die Allgemein¬
narkose noch weiter ein und bezeichnet für den bei weitem größten Teil der
in Frage kommenden Operationen die Lokalanästhesie als das Verfahren der
Wahl, P. Heymann hat alle neueren Modifikationen und Mittel der Lokal¬
anästhesie in den‘oberen Luftwegen nach eigenen Erfahrungen in Erwägung
gezogen und 0. V o s s, der sich in der zweiten Auflage bei der Lokalanästhesie
des Ohres sehr kurz gefaßt hat, geht auf die verschiedenen Methoden und Ma߬
nahmen etwas genauer ein. Isemer vertritt auch in der dritten Auflage
gegen die Stauungstherapie einen im wesentlichen ablehnenden Standpunkt,
namentlich warnt er davor, sich bei Mittelohrentzündungen durch den Nachlaß
der Schmerzen täuschen zu lassen. Trotz Besserung der Schmerzen kann der
Prozeß in der Tiefe fortschreiten. — Außerordentlich sachlich, sich nur an
die gesetzlichen und statutarischen Bestimmungen haltend, ist der Aufsatz
von ßoepke „Begutachtung Operierter“. In der III. Auflage ist noch eine
„kurze Anleitung zur Begutachtung Kriegsbeschädigter“ binzugekommen,
die ich gern etwas ausführlicher gesehen hätte. ,Roepke hat sicher auf diesem
Gebiete so viel Erfahrungen, daß eine mehr persönliche Darstellung möglich
gewesen wäre. Immerhin sind sehr interessante Einzelheiten zu bemerken,
z. B. „wenn nach Kopftraumen Schwerhörigkeit zurückbleibt, so ist diese
in der Regel beiderseitig“, „Starke Uber- und Untererregbarkeit des Vestibular-
apparates macht die Annahme wahrscheinlich, daß die vom Kranken 'an¬
gegebene Schwerhörigkeit zum wenigsten nicht simuliert ist“ u. dgl. m.
Port, der in dritter Auflage, an Stelle von P i e n i k z e k, die „Behandlung
der Stenosen“ bearbeitet hat, hat sich Mühe gegeben, das Erbe seines Vor¬
gängers möglichst zu erhalten, ja einzelne Teile sind wörtlich herübergenommen,
im ganzen aber ist es eine durchaus neue und selbständige Arbeit, die mir im
übrigen einen großen Fortschritt zu bedeuten scheint. Auf jeder Seite sieht
man den beschäftigten Praktiker, der auf eigene Erfahrungen gestützt, eigene
Anschauungen und Methoden zum Vortrag bringt. Neben der Tatsache, daß
die Anordnung des Stoffes eine sachlichere und wissenschaftlichere geworden
ist, finden wir überall bemerkenswerte Einzelheiten, so z. B. den Rat, bei
der Tracheotomie ein rundes Loch in die Wand der Luftröhre einzuschneiden,
damit die Knickung und Verbiegung der Luftröhre und ihrer Knorpel beim
Einführen der Kanüle und damit Stenosebildung vermieden werde. Diese
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410
Personalien und Notizen.
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Idee ist nicht von T h o s t, sondern viel älter (MarshalHell-Dieffen-
bach), sie war aber ziemlich in Vergessenheit geraten. Th o st faßt seine
Erfahrungen dahin zusammen, daß bei Stenosepatienten, die mit der Kanüle
in Behandlung kommen, die Dilatation mittels solider Bolzen von der Fistel
aus die zweckmäßigste Methode sei, und daß die übliche L u e r sehe Kanüle
durch eine mehr rechtwinklig gestellte, z. B. die D u r h a m sehe ersetzt werden
sollen. Bei der „Dilatation der Nichttracheotomierten“ folgt er im wesent¬
lichen der Darstellung von Pieniäzek. Bemerkt muß werden, daß
Port nicht die Behandlung der Stenosen der Nase und des Rachens mit
abhandelt, sondern sich lediglich auf Kehlkopf und Rachen beschränkt.
Die Besprechung der Prothesen hat nach dem Tode von Port
Prof. Loos übernommen. Die ersten Abschnitte, die Ersetzung des Kiefers
und der Gaumenteile hat er ziemlich unabhängig von Port unter Berück¬
sichtigung einer großen, den Medizinern wenig bekannten Literatur bearbeitet,
während er sich bei der Besprechung des Ersatzes der Nase mehr an die Arbeit
Ports gehalten hat. Sehr interessant und im Anfänge einen gewissen Wider¬
spruch’ herausfordernd, ist die Auseinandersetzung, daß im Kriege nicht so
sehr die Prothetik, wie die chirurgischen Maßnahmen, welche die Prothetik
zurückdrängen, wesentliche Förderung erfahren haben: (Schluß folgt.)
Personalien und Notizen.
Berufung! Prof. Dr. Lange in Göttingen hat einen Ruf nach Bonn an-
f enommen und die neue Stellung am 1. April 1922 angetreten. — Prof.
>r. 0. W a g e n e r in Marburg als Nachfolger von Prof. Lange nach Göttingen.
Gewählt: Prof. Dr. Man aase in Wiirzburg zum Dekan der medizinisdien
Fakultät.
Ernannt! Prof. Dr. Wittmaack in Jena zum ordentlichen Professor ad
personam; Privatdozent Dr» Haymann in München zum a. o. Professor.
Die Einführung einer Prüfung in Oto-RhinO'Laryngologie in der
Approbationsprüfung der Ärzte wird von unseren Schweizer Kollegen verlangt.
Die medizinischen Fakuktäten von Basel und Lausanne haben sich damit ein¬
verstanden erklärt, wogegen die von Bern Zürich und Genf bisher ihre Zustimmung
verweigert haben.
Für des wieieneohaftlichen Teil verantwortliche Redakteure: Dr. E. Urtaatiohlteota, Dr. H. ■arsohtk.
Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Urban A Sohwarzenberg.
Druck R. Spiee & Oo. Wien V.
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Verlag von. Urban & Schwarzenberg, Wien-Berlin
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plasie des Kleinhirnes. Von Prof. Dr. Gustav Alexander,
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Vasomotorische Phänomene am Vestibularapparat bei Lues und
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Eine gestielte Krebsgeschwulst des Kehlkopfes. Von Prof. Dr, H.
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Dr. J. WEITERER, Mannheim — Prof. Dr.H. WINTZ, Erlangen
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Diese Zeitschrift erscheint in zwanglosen Heften und bringt in
jedem Bande Originale und Referate. Mehrere Hefte im Gesamt¬
umfang von 40 bis 60 Bogen werden zu einem Bande mit Register
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Monatsschrift
für
Ohrenheilkunde
und
Laryngo-Rh i nolog ie
Organ der österreichischen otologischen Gesellschaft
und der Wiener laryngo-rhinologischen Gesellschaft
MitbcgrÜndst Ton
CHIARI, GRUBER, JURJ}SZ, RUDINGER, VOLTOLINI, WEBER - LIEL,
L. v. SCHRÖTTER, V. URBANTSCHITSCH, E. ZUCKf RKANOL
Unter Mitwirkung tod
Prof. Dr. F. ALT (Wien), Prof. Dr. B. BiDi.NY (Upsuln), PriT.-Dos. Dr. O. BECK (Wien), Prot Dr.
A. BING (Wien), PriT.-Do*. Dr.G. BONDY (Wien), Prof. Dr. G. BRÜHL (Berlin), Prof. Dr. H. BÜRGER
(Amsterdam), Prof. D. DEMBTBIADEB (Athen), Prof. Dr. J. FEIN (Wien), Prof. Dr. H. FREY (Wien),
PriT.-Dos. Dr. R. F RÖSCHELB (Wien), Dr. Y. FRÜH WALD (Wien), PriT.-Dos. Dr. 8. GATSCHER (Wien),
Prof. Dr. K. GLAS (Wien), Prof. Dr. B. GOMPERZ (Wien). Prof. Dr. M GROSSMANN (Wien),
Prof. Dr. V. HAMMERSOHL AG (Wien), Dr. HEINZE (Leipzig), Prof. Dr. HEYMANN (Berlin), PriT.-
Dos. Dr.G. HOFER (Wien), Prof. Dr. R. HOPFMANN (Dresden), Prof. Dr. HOPMANN (Köln), Prof. Dr.
0. KAHLER (Freiburg i. Br ), Prir.-Doz. Dr. J. KATZENSTEIN (Berlin), Dr. KELLER (Köln), Hofrat
Dr. KIRCHNER (Wttrzburtr), Priv.-Dos. Dr. K. KOFLER (Wien), OStA. Dr. S. LAWNER (Wien),
Prof. Dr. LICHTENBERG (Budapest), Dr. L. MAHLER (Kopenhagen), Prof. Dr. H. NEUMAYER (München),
Dr. Max RAUCH (Wien), Prof. Dr. L. RfiTHI (Wien), Dr. Ed. RIMINI (Triest), Dr. F. RODE (Trieet),
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Dr. A. SIKKEL (Haag), Dr. 8PIRA (Krakau). Prir.-Doz. Dr. H. STERN (Wien), Dr. M. SOGAR (Budapest),
Prof. Dr. A. TH09T (Hamburg), Dr. WEIL (Stuttgart), Dr. M. WEIL (Wien), Dr. K. WODAK (Prag)
H. NEUMANN
Wien
hera^sgegeben
M. HAJEK
Wi.n
G. ALEXANDER
Wim
* Redakteure:
für Ohrenheilkunde:
Ernst (Jrbantschitsch
Wien
für Laryngo-Rhinologie
Hermann Marschik
WI.II
56. Jahrgang, 6. Heft
(Juni)
URBAN &. SCHWARZENBERG
BERLIN N WIEN I
FRIEDRICHSTRASSE 106 b MAHLERSTRASSE 4
1922
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Monatlich erscheint 1 Heft von etwa 6 Bogen Umfang.
Preie vierteljährig für Deutsch Österreich K 2000« —, für die Tschechoslowakei
i. K 50. — # für Ungarn ung. K 350. —, für Deutschland M 100. — f für Polen
poln. M 1500.—, für Jugoslawien Dinar JBO.— , für alle übrigen Länder
WeBt-, Süd- und Nord-Europas sowie der Übersee 10 Franken Schweizer
Währung exkl. Porto.
Einzelne Hefte kosten d.-tf. K 700. —, 5. K 20.—, M 40. — bzw. M 120.—.
Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Urban
& Schwarzenberg, Wien I, Mahlerstraße 4, und Berlin N 24, Friedrich¬
straße 105b, entgegen.
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Originalbeiträge, Rezensionsexemplare usw. otologischen Inhaltes bitten wir,
an Doz. Dr. Ernst Urbantschitsch , Wien, 1. Schottenring 24, und solche rhino -
laryngologischen Inhaltes an Prof. Dr. JET. Marschik 9 Wien, . IX/* Severingasse 1,
einsenden zu wollen. Das Honorar für Originalien und Referate beträgt K 960 .— für
den Bogen zu 16 Seiten. Sonder ab drücke von Originalien werden zum Selbstkostenpreise
berechnet. Für Bücherbesprechungen geht das betreffende Buch als Honorar in den
Besitz des Besprechers Über. Redaktion und Verlag.
Inhaltsverzeichnis.
OriginalsArtikel •
Dr. S. Bclinoff, Sofia: Über die Form und die Dimensionen des Ventriculus
Morgagni. (Mit 2 Tafeln und 1 Tabelle).411
Prof. Nicolai Wolkowitschf, Kiew: Zur Statistik und dem Vorkommen des
Skleromes (Rhinoskleromes) in Rußland um das Jahr 1910. (Mit 1 Figur) 421
Dr. Th. D. D6m4triades und Dr. Ph. Mayer: Zur kalorischen Labyrinth¬
prüfung mit Minimalreizen.430
Dr. Imre Junger, Wien: Methodik und klinische Bedeutung der galvanischen
Prüfung des Labyrinthes.451
Vereinsberichte
Wiener laryngo-rtiinologieche Gesellschaft. Sitzung vom 11. Jänner 1922 . . . 473
österreichische otologische’Gesellschaft. Sitzung vom 20. April 1922. 481
Bücherbesprechungen
Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. Von
L. Katz und F. Blumenfeld. (Schluß).487
Personalien und Notizen
Verliehen. Berufen. Die Universitäts-Ohrenklinik in München. Druckfehlerber. 490
giiiiiiiiiiiniiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii
§= Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Hoechst a. M. M
1 Suprarenin i
== (o-Dioxyphenyläthanolmethylamin) --
=E \ Hochwirksames =
B Adstringens Hämostatikum Cardiotonikum ]
H§ Eigenschaften : j
- Chemisch rein, gut haltbar, zuverlässig, konstant wirksam. —-
Ü Indikationen und Dosierung: s
— - Injektionen: Als Zusatz zu Lokalanästheticis; bei Blutungen, toxischer ——
-—- Blutdrucksenkung, Kollaps, Asthma, Osteomalazie. 005—1 ccm der ——
= Solutio 1 : 1000—10000. =
Intern: Bei internen Blutungen, bazillärer Dysenterie, Vomitus gravidarum, —~~
=-= Pertussis, Urticaria usw. =-=
=F 1—4 ccm der Solutio 1 :1000, bezw 1—4 Tabletten zu 1 mg. —-
—— Extern : Bei lokalen Blutungen und Entzündungen, Pruritus, Ekzemen usw- rr~zz
1 : 1000—10 000 als Lösung, Salbe, Pulver, Zäpfchen usw. -—-
Ü Originalpackungen: 1
Lösung 1:1000. Flaschen mit 5, 10 und 25ccm. zrr-r
—- Schachteln mit 10 Ampullen zu 0*5, bezw. 1 ccm. -
== ~r Tabletten 1 mg. Röhrchen mit 20 Stück. --
EEE Ärzten stehen Literatur und Proben zur Verfügung durch
= Hoechster Farbwerke des. m.b.H., Wien Vlll^Josefstädterstr. 82 =
□ .1: ',„ 1 .,":-„„„'VÜIi,n,□
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MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LA RYNGO-RHINOLOGIE
56. Jahrg. 1922. 6. Heft.
Nachdruck verboten.
OriginaUArtikfel.
Aus der Obren-, Nasen- und Kehlkopf-Abteilung des Alexander-
Spitales in Sofia (Bulgarien).
Über die Form und die Dimensionen des Yentriculus
Morgagni').
Von Dr. S. Bellnoff, Vorstand der Abteilung.
(Hit 2 Titeln und 1 Tabelle.)
In den Lehrbüchern der Anatomie wird der Ventriculus
Morgagni als eine Vertiefung der Schleimhaut beschrieben, die sich
zwischen den Stimmbändern befindet [H y r 11 (1), Pansch (2),
Räuber (3), T o 1 d t (4) u. a.]. Genaueres über die Form, ins¬
besondere über die Dimensionen des Ventrikels finden wir nur bei
wenigen Autoren. Zum Beispiel widmet H e n 1 e (5) dem Ventri-
culis Morgagni folgende Worte: „Zwischen Taschenfalte und Stimm¬
lippe findet man eine lang gezogene, beiderseits zugespitzte Ver¬
tiefung, welche sich von dem Winkel des Schildknorpels bis zum
Rande des Aryknorpels erstreckt. Von seiner oberen Wand geht hinter
der Taschenfalte eine blindsackähnliche Fortsetzung in die Höhe,
Appendix ventric. laryngis, welche sich an der Platte der Cartilago
thyreoidea verschieden weit nach aufwärts erstreckt.“
Ausführlicher ist der Ventriculus Morgagni vom Ch i a r i (6)
beschrieben; ich lasse diese Beschreibung folgen:
„Der Ventrikel hat einen horizontalen, ebenen Boden, welcher
durch die obere Fläche des prismatischen Stimmlippenkörpers dar¬
gestellt wird, dann eine obere, zugleich innere Wand, welche von
der äußeren Fläche der Taschenfalte gebildet wird, und eine äußere
laterale Wand, welche sich bis zum Schildknorpel ausdehnt, (öfter
schiebt sich zwischen diese Wand und dem Schildknorpel der
M. thyreoarytaenoideus ein.) Der Ventrikel reicht verschieden weit
nach oben (je nach der Höhe der Taschenfalte) und verlängert sich
in seinem vorderen Anteile zu einem sackartigem Anhänge, dem
*) Vortrag, gehalten in der Wiener larvngolosriselien Gesellschaft am
1. III. 1922.
Monatsschrift f. Ohrenluilk u. Lar.-Rhin. L6. Jalirg. 28
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412
S. B t* 1 i 11 o f 1.
Appendix ventriculi laryngis; früher wurde er auch Saccus laryngis
genannt, hauptsächlich deswegen, weil er bei einigen Affen (Orang-
Utang, Gorilla, Schimpanse) sich als ein Hohlgang nach oben fort¬
setzt, den Muskulus hyothyreoideus durchbricht und sich außen am
Halse zu großen Blasen aus weitet. Beim Menschen ist der Appendix
manchmal nur eine kleine, ventrikelartige Ausstülpung, manchmal
aber ein Rohr, welches in seltenen Fällen bis zum Rande des
Schildknorpels und darüber hinaufreicht. (Doch wurde Bchon ein
Fall beobachtet, wo er den Musculus hyothyreoideus durchbrach.)
Der Appendix mündet mit einem feinen Schlitz
in den Ventriculus laryngis.“
Am ausführlichsten sind die Beschreibungen von Testut (7)
und P o i r i e r (8). Letztere verdient mot-a-mot angeführt zu werden.
„Schon Galenus bekannt, der dieselben am Schwein entdeckt
hat, und gut beschrieben von Morgagni, bilden die laryngealen
Ventrikel zwei laterale Divertikel, die beim Mann viel größer sind
als beim Weibe und die rechts und links in die Substanz
der plica ary-epiglottica eindringe n. Die Ritze, durch
welche jeder Ventrikel in das Larynxinnere mündet, befindet sich
zwischen der Taschenfalte und der Stimmlippe. Diese Öffnung hat
eine längliche Form und sehr wechselnde Dimensionen. Die Länge
derselben beim Manne ist 2 cm, beim Weibe 13 mm, die Breite
schwankt zwischen 3 und 6 mm; die vorderen Ränder beider
Öffnungen enden beim inneren Winkel des Schildknorpels und
unmittelbar unterhalb der Spitze der Epiglottis. Hier können dieselben
unabhängig voneinander bleiben oder sich ineinander fortsetzen, in
welchem Falle sich eine kleine zentrale Grube bildet (Foveola
centralis Merkel). Die Höhle des Ventrikels wird in zwei Teile
geteilt: den Ventrikel sensu stricto, welcher
zwischen den Stimmbändern e i n g e s c h 1 o s s e n ist
und daher horizontale Richtung hat, und den
Appendix, der von dem Ventrikel ausgeht und vertikalwärts i n
die Tiefe der plica ary-epiglottica eindringt.
Der Ventriculus Morgagni bat drei Wände, die untere, obere
und äußere. Die untere Wand, die in allen Richtungen inbesondere
transversal konkav ist, entspricht der oberen Fläche der Chorda
vocalis vera (ihre Länge ist gleich dem Orificium ventriculare) oder
überschreitet dieselbe, weil die Höhle sich oft in Form einer Grube
außerhalb des äußeren Endes der cart. arythenoidea fortsetzen kann.
Ihre Breite erreicht im Maximum f> bis 7 mm an dem Punkt, wo
sich das hintere Drittel mit dem vorderen vereinigt. Die äußere
Wand ist oft nichts anderes als ein Rand, welcher
durch die Vereinigung der unteren und oberen
Wand entsteht. Wenn sie vorhanden ist, so ist
ihre Höhe immer minimal. (Sie zeigt sich gewöhnlich in
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Vciitrieulus Morgagni.
413
2 oder 3 Zonen durch halbmondförmige Falten, die hauptsächlich
vertikale Richtung haben, geteilt.) Die obere Wand wird durch die
untere Fläche der chorda vocalis spuria gebildet. Sie ist flach oder
leicht konkav. In ihrem vorderen Anteil befindet sich die Öffnung
des Appendix.
Der Appendix ist senkrecht in der Richtung des Ventrikels
gelegen. Um ihn gut zu sehen, muß man die Stimmlippe vollkommen
entfernen und so kann man die untere Fläche der Taschenfalte
übersehen.
Man bemerkt dann eine mehr oder weniger klaffende
Ritze, die 5 bis 8 mm lang ist und vorn in der Nähe des vorderen
Endes der Chorda vocalis spuria beginnt und bei der Vereinigung
des hinteren und mittleren Drittels oder sogar ein wenig weiter
endet. Der Appendix dringt in die Substanz der plica
ary-epiglottica oder genauer gesagt, zwischen dem inneren
Blatt derselben und der lateralen Fläche des Schildknorpels ein
Seine Tiefe ist bei verschiedenen Menschen variabel und sehr oft
sogar auf beiden Seiten desselben Individuums. Manchmal ist der
Appendix stprk reduziert und in seltenen Fällen so wenig tief, daß
er zu fehlen scheint. Gewöhnlich ist seine Länge zirka 1 cm, nicht
selten aber ist er viel länger. In der Regel erreicht der Appendix
die Ebene nicht, die durch den oberen Rand des Schildknorpels
geht. In seltenen Fällen steigt er bis auf das os hyoideum, ja sogar
bis auf die Schleimhaut der Basis der Zunge hinauf.
Z e r n o w (9) beschreibt überhaupt keinen Appendix, sondern
sagt, daß der Ventrikel in der Mitte eine Einschnürung zeigt.
Wir sehen also, daß die Autoren über die Form des Ventriculus
Morgagni nicht einig sind. Während Zernow überhaupt keinen
Appendix anerkennt, findet P o i r i e r eine Portio verticalis fast
in jedem Larynx. Auf jeden Fall beschreiben die Autoren ausführlich
nur die untere und obere Wand. Poirier und Testut geben
auch die Dimensionen dieser zwei Wände an. Was die laterale
Wand anbelangt, so ist sie nur bei C h i a r i erwähnt; außerdem
ist bei Poirier die laterale Wand als ein Rand geschildert, der durch
die Berührung der oberen und unteren Wand entsteht und immer
minimale Dimensionen zeigt.
Es ist klar, daß aus diesen Beschreibungen eine genaue Vor¬
stellung von der Form, Größe und Richtung des V. M. kaum möglich
ist. Auch ist daraus nicht zu entnehmen, wie seine Wände zu einander
stehen usw. usw.
Die Ursache dafür, daß ein so wichtiges Organ wie der V. M.
nicht genau beschrieben und gemessen ist, liegt meiner Meinung
nach in der Methodik des Studiums desselben.
Um die Form einer Höhle oder eines Hohlorganes genau
kennen zu lernen, z. B. der Hirnventrikel, des Ohrlabyrinths, bedarf
28 *
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414
S. Belinoff.
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man einer speziellen Methodik. Wenn wir aus Gips oder irgend einer
anderen Masse einen Ausguß dieser Organe herstellen, so erhalten
wir über ihre Form und Dimensionen viel genauere Vorstellungen,
als sie uns das beste anatomische Präparat geben kann.
Von diesen Prinzipien ausgehend, habe ich Gipsausgtlssc des
Kehlkopfes gemacht und will hier die Resultate meiner Unter*
Buchungen an diesen Ausgüssen kurz mitteilen.
Im ganzen habe ich zirka 100 Ausgüsse angefertigt, davon
eignen sich zum Stadium der Form und der Dimensionen der
Morgagnischen Taschen nur 56, die auf der Tafel I abgebildet sind.
Bevor ich zur genauen Beschreibung der Ausgüsse übergehe, erlaube
ich mir einige Worte über die Technik vorauszuschicken.
Aus der frischen Leiche wird der ganze Kehlkopf mit der
Zunge und einem Teil der Luftröhre entnommen. Das Präparat wird
auf einem Stück Karton befestigt, die Öffnung der Trachea mit
Watte verschlossen und in die Stimmritze frisch bereitete GipsmaBse
eingegossen. Dann bleibt das Präparat 24 Stunden liegen. Im Anfang
habe ich ziemlich dicken Gipsbrei verwendet. Die Erfahrung hat
aber gelehrt, daß je flüssiger (bis zu einem gewissen Grad) der Brei
ist, desto genauer der Ausguß den natürlichen Verhältnissen entspricht.
Nach der Erhärtung der Gipsmasse wird durch die hintere
Wand der Trachea und dem Ring der Cart. cricoidea ein Scheren¬
schnitt gemacht und der Ausguß vorsichtig herauBgenommen. Dann
wird der Ausguß in eine Leimlösung getaucht, um ihm Festigkeit
zu verleihen. Nun wird der Ausguß abgemessen, wie es weiter unten
beschrieben werden wird. Die Kontrolle bestand darin, daß die vom
Ausguß erhaltenen Zahlen mit denen verglichen wurden, die mit der
Sonde am anatomischen Präparat erhalten wurden. Wenn der Unter¬
schied nicht wesentlich war, dann wurde der Ausguß für gelungen
betrachtet; wenn der Unterschied groß war — was in der Hälfte
der Ausgüsse der Fall war, — so war der Ausguß nicht zu ver¬
wenden.
Um einen gelungenen Ausguß zu bekommen, muß man folgendes
beachten: es ist vor allem Gips bester Qualität nötig. Der minder¬
wertige Gips würde sonst nicht hart werden. Wie ich oben er¬
wähnte, muß der Brei ziemlich flüssig sein, damit er in alle Höhlen und
Ausbuchtungen des Kehlkopfes eindringen kann. Wichtiger ist es die
Dicke des Breies zu bestimmen, was nicht immer leicht ist. Es ist
klar, daß. wenn diese Dicke gerade genügend ist, um die Resistenz
der Höhlenwände zu überwinden, der Ausguß verwendbar ist. Wenn
die Masse zu flüssig ist, so wird sie wohl eindringen, aber nicht
erhärten; wenn sie zu dick ist, so wird sie erhärten, aber nicht in
die Vertiefungen eindringen.
Viele Autoren die über die Form des Kehlkopfes und der
Luftröhre gearbeitet haben, bedienten sich auch des Gipsbreies. So hat
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ventriculus Morgagni.
415
Zeller (9), um die Breite der Trachea zu bestimmen, Gipsausgüsse
vorbereitet, indem er den Brei in die Luftröhre von unten her eingoß.
In der Anatomie von Poirier und Charpy finden wir einen Ausguß
des menschlichen Kehlkopfes, der dem unsrigen ähnlich sieht, nur
ist der V. M. nicht zu sehen. 2 ) Sehr schönene Ausgüsse mit Paraffin¬
wachsmischung hat Offikofer (10) erhalten. Auf der Seite 6 seiner
Arbeit beschreibt er sogar den V. M. als einen schmalen Vorsprung,
der manchmal bei wohlgelungenen Ausgüssen an seinem freien
Ende einen feinen Ausläufer nach oben hin zeigt. Simmond (11) hat
auch von den Deformationen des Larynx und der Trachea Gipsaus-
güsse angefertigt.
Die Beschreibung der Form und Dimensionen des V. M. ist
nicht leicht; vor allem sind die Variationen der Form und der
Dimensionen außerordentlich zahlreich. Es sind kaum 2 Präparate
zu finden, die vollkommen gleiche Form haben; vielmehr zeigen
oft auf demselbem Ausguß die rechte und linke Seite bedeutende
Unterschiede in Form und Dimensionen. Außerdem ist der Ventrikel
von schiefen, unregelmäßigen Ebenen begrenzt, die sich schwer
beschreiben lassen. So zum Beispiel geht die obere Wand des Ventrikels
zuerst nach unten und lateralwärts, dann hebt sie sich nach oben
und dieses Aufsteigen ist am stärksten manchmal im vorderen,
manchmal im mittleren und manchmal im hinteren Anteil der Höhle
ausgeprägt. Natürlich kann dies mit Worten und Zahlen nur schwer
ausgedrückt werden. Bei diesen Verhältnissen bleibt nichts anderes
Übrig, als die Grundform zu suchen, nach der das uns
interessierende Organ aufgebaut ist und auf die dann
alle Variationen zurückgeführt werden können. Nun scheint es, daß
aus unseren Ausgüssen diese Grundform nicht schwer zu ent¬
nehmen ist. Wenn wir die auf Tafel n abgebildeten Ausgüsse ansehen,
so erkennen wir, daß die Form des V. M. nichts anderes ist als
eine Pyramide; die Basis oder die untere Wand derselben ist die
obere Fläche des Lig. vocale verum; die obere Wand bildet das Lig. voc.
spurium. Seine laterale Wand ist die mediale Fläche des Schildknorpels.
Die Basis der Pyramide, bzw. die untere Wand des Ventrikels ist
ziemlich breit. Die Pyramide nimmt nach oben an Größe allmählich
ab und endet mit einer Spitze an dem Punkte, wo die obere Wand
mit der lateralen in Berührung kommt. Außer der Spitze bildet
die Pyramide noch zwei Winkel, den vorderen und den hinteren.
Von einem Appendix im Sinne einer akzessorischen Höhle, die
mit dem Ventrikel durch einen feinen Schlitz (C h i a r i, P o i r i e r u. a.)
verbunden ist, kann man nicht sprechen, sondern nur von ver¬
schiedenen Recessus (anterior, inferior und superior) je nach der
Lage der Ausbuchtung.
2 ) Wahrscheinlich deshalb, weil der Gipsbrei zu dick war.
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Gck igle
Original from
UNIVERS1TY OF CALIFORNIA
416
8. B e 1 i n o f f.
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Wenn wir die Konturen der Pyramide auf das Larynxinnere
projizieren, so bekommen wir für den Ventr. Morgagni in der Mehr¬
zahl der Fälle folgende Grenzen: Unten Ligam. vocale verum,
lateralwärts die Basis der Plica ary-epiclottica und medialwärts
Insertio apicis epiglottidis.
Dieses Dreieck ist sehr schön am frischen anatomischen Präparat
zu sehen und entspricht in den meisten Fällen der Form und den
Dimensionen des Ventrikels. Ich möchte es der Klarheit wegen
Trigonum petioloventriculare nennen.
Aus diesen Ausführungen geht gleichzeitig hervor, daß der
Ventrikel nicht in die Substanz der Plica ary-epiglottica eindringt
und nicht eine horizontale Richtung hat, wie es Poirier behauptet,
sondern eine vertikale Richtung hat und in den meisten Fällen
dem Trigonum petiolo-ventriculare entspricht.
Es gibt aber Fälle, in welchen sich die Form des Ventrikels
ändert und dann sehr komplizierte Konturen zeigt. So sehen wir
auf dem Ausguß Nr. 34, daß der rechte Ventrikel 2 cm Höhe erreicht 3 )
und seine Höhle zuerst nach außen geht, dann nach oben senkrecht
aufsteigt, dann wieder nach außen geht während der linke Ventrikel
beim selben Individuum ziemlich typische Form hat und gerade dem
Trigonum petioloventriculare entspricht. Ganz andere Beschaffenheit
hat der Ausguß Nr. 21. Hier ist die obere und laterale Wand zirka
05 cm hoch; wir sehen aber, daß der vordere Winkel des Ventrikels
sehr stark entwickelt ist, so daß wir einen Recessus anterior vor
uns haben.
Diese Mannigfaltigeit der Form des Ventrikels bängt mit dem
Umstand zusammen, daß jede seiner Wände Krümmungen und Ver¬
tiefungen verschiedener Form und Größe bilden und jeder Winkel
in seiner Richtung Ausläufer formieren kann, die selbstredend den
Ventrikel ganz umgestalten.
Nichtsdestoweniger ist die Grundform in jedem Falle zu erkennen.
Ich habe einen Fall gesehen, wo der Ventrikel die Form einer
phrygischen Kappe hatte (ein Gipsausguß ist aus äußeren Gründen
nicht gemacht worden). In diesem Falle waren aber doch die drei
Wände und die drei Winkel des Ventriculus Morgagni nicht schwer
zu erkennen.
Am häufigsten beobachten wir den Recessus superior. Die
größten Recessus superiores (Appendix ventricnli) sehen wir auf den
Ausgüssen Nr. 20, 30, 34, 35, 46. Auf Nr. 5, 11, 12, 13, 20 und 31
ist ein Recessus inferior ziemlich gut ausgeprägt.
Endlich sehen wir auf Ausgüssen Nr. 21, 23, 42 und 46 Aus¬
läufer des vorderen Winkels — Recessus anterior.
*) Auf dem anatomischen Präparate reichte die Höhle des Ventrikels bis
auf die Vallecula hinauf.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Wntriculus Morgagni.
417
Es ist hier am Platze zu bemerken, daß der Ausdruck
„Appendix“ für den Recessus superior nicht besonders paßt. Unsere
Präparate zeigen, daß der Ventrikel mit allen seinen Ausbuchtungen
nach oben, vorn und unten doch eine und dieselbe Höhle bildet
und daß der Recessus superior, wie wohl auch die übrigen Recessus
eine unmittelbare Fortsetzung des Ventrikels häufig ohne Unter*
brechungen und ohne besonderen Einschnürungen darstellt. Das
Wort „Recessus“ wäre deshalb mehr am Platze.
Jetzt lasse ich eine Tabelle folgen, auf welcher die Dimensionen
des Ventrikels angeführt sind, wie sie an den Ausgüssen gemessen
wurden. Außer Namen, Alter, Körperlänge und Diagnose habe ich
noch folgende Daten angegeben: Diameter anterio-posterior der
Stimmritze, Länge des Ventriculus Morgagni, endlich Dimensionen
der unteren, der oberen und der lateralen Wand.
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Name
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2 ) V. M. Dexta ist durch eine vertikale
Hälfte eingeteilt.
Wand in
zwei symmetrische
1. Die Länge der Stimmritze, durchschnittlich 20 mm. erscheint
im Verhältnis zu den Angaben der Literatur klein; bei Poirier
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 6 . Heft Tafel 1
S. Belinoff. Über die Form und die Dimensionen des Ventriculus Morgagni.
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Verlag von Urban & Schwarzenberg, Berlin und Wien
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Druck R. Sr ! ~ » Co. Wien V
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 6. Heft Tafel II
S. H e 1 i n o f f. Über die Form und die Dimensionen des Ventriculus Morgagni.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ventriculus Morgagni.
419
ist beim Manne die Stimmritze 25—30 mm, beim Weibe mit 20 mm
angegeben, bei T e s t u t mit 26—32 mm, respektive 20—25 min.
M o u r a t gibt aber Dimensionen an, die viel näher den unsrigen
sind, und zwar 23 mm für Männer und 17 für Frauen.
2. Die Länge des Ventrikels ist bei uns 12—17 mm, bei
Testut 15mm bei Frauen und 20mm bei Männern, bei Poirier
20 mm für Männer, 13 mm für Frauen.
3. Die untere Wand wird gemessen, indem der eine Fuß
des Zirkels auf den tiefsten Punkt des Präparates in horizontaler
Ebene und der andere auf den lateralsten Punkt des Präparates
gelegt wird. Die untere Wand ist nicht horizontal, sondern verläuft
von oben nach unten und bildet oft medialwärts eine Vertiefung,
die so groß ist, daß man dieselbe als einen Recessus inferior
betrachten kann (Nr. 5, 11, 12, 13, 20).
4. Die obere Wand entspricht der unteren Fläche der
Taschenfalte und hat eine durchschnittliche Höhe von 6 mm. Sie
wird gemessen, indem der eine Fuß des Zirkels auf den Punkt, der
der Plica ventricularis entspricht, der andere auf die Spitze des
Ventrikels gelegt wird.
5. Die Höhe der lateralen Wand beträgt zirka 5 mm bei
Weibern, 8—9 mm bei Männern. Sie wurde bis jetzt noch nicht
beschrieben und nur von Poirier erwähnt, der sie als minimal
erklärt. Tatsächlich sind auch bei uns Präparate, auf welchen diese
Wand sehr wenig ausgeprägt ist und sich zu einem Rande reduziert,
wo sich die obere mit der lateralen Wand berührt. An den meisten
Ausgüssen konstatieren wir aber nicht nur das Vorhandensein dieser
Wand, sondern auch verschiedene Varianten ihrer Formierung. Die
laterale Wand grenzt sich von der oberen durch einen scharfen
Winkel ab, in die -untere Wand geht in der Mehrzahl der Präparate
ohne scharfe Grenze Uber. Ihre Höhe ist im vorderen und hinteren
Anteil nicht gleich.
Wenn wir jetzt noch einmal die Präparate, die auf der
Tafel II abgebildet sind, genau betrachten, so sehen wir, daß auf
dem Ausguß der V. M. ein ziemlich mächtiges Massiv darstellt,
welches den Kehlkopf von allen Seiten umgibt und nach oben bis
auf den oberen Rand des Schildknorpels hinaufreicht, nach unten
die Trachea erreicht und nach vorn weiter als die Stimmbänder
selbst gebt.
Wozu dient dieser große Luftraum? Worin besteht die
physiologische Funktion des V. M ? Welch eine pathologische Be¬
deutung kann dieses Organ haben? Alle diese Fragen können nur
nach genauerem Studium der Anatomie des V. M. beantwortet werden.
Es ist z. B. interessant, Ausgüsse aus dem V. M. am gespaltenen
Kehlkopfe zu machen. Über dieses Thema werde ich eine zweite
Arbeit publizieren.
Digitized by
Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
420
S. B c l i n o f f. Ventriculus Morgagni.
Meine kleine Arbeit reicht nicht aus, um die Frage über die
Form und Dimensionen des V. M. als gelöst zu betrachten. Im
Gegenteil, nach meiner Ansicht gehört dazu noch große Mühe. Das
eine ist aber außer Zweifel: Die Ausgußmethode ist vorläufig die
beste, die uns die Möglichkeit gibt, den V. M. genau keimen zu lernen.
Das oben Gesagte läßt sich in folgenden Sätzen resümieren:
1. Der Ventriculus Mogagni zeigt eine sehr komplizierte Form
und zahlreiche Variationen, die durch die Methode der Sektion nicht
genau erkennbar sind.
2. Die Ausgußmethode gibt genauere Resultate, der Gipsbrei
eignet sich sich zu diesem Zwecke vorzüglich; es muß aber nach
einer noch besseren Masse gesucht werden, da der Gips doch nicht
in jede Ausbuchtung des Ventrikels eindringt.
3. Der Ventriculus Morgagni hat größere Dimensionen, als in
den Lehrbüchern angegeben ist.
4. Der Ventriculus Morgagni kann am besten mit einer drei¬
seitigen Pyramide verglichen werden. Die untere und obere Wand
ist bisher beschrieben worden, die laterale Wand wird aber in der
Literatur nicht erwähnt. Die Ausgüsse zeigen, daß diese Wand in
der Regel vorhanden ist und zirka 8 mm Höhe hat.
Literatur: (l) H y r 11. — (2) P a n s c h. — (3) K a u b e r. — (4) T o 1 d t.
— (5) He.nle: Handbrch der systematischen Anatomie. —(G)Chiari: Krank¬
heiten des Kehlkopfes und der Luftröhre. 1905. — (6) Testat: Traite d’ana-
tomie humaine. Paris 1904. — (7) Poirier et Charpy: Traite d’anatomie
huinaine. 1901. Paris. S. 415. — (3) Zernow: Anatomie des Menschen. Moskau
1896. — (9) Zeller: Die Regio trochealis. Dissert. 1871. (Zitiert nach Oppi-
kofer.) — (10) Oppikofer: Paraffin - Wachsausgüsse vom Larynx und
Trachea bei strumöser Bevölkerung. Arch. f. Lar. Bd.26, H. 2, S. 5. — (ll)Sim-
monds: Über Formverinderungen der Luftröhre. Münch, med. Wschr. 1897.
Bd. 44, S. 431. Verhandl. d. Deutsch, patholog. Ges. Berlin 1904. S. 170.
* *
*
Nachtrag bei der Korrektur.
Meine Arbeit war schon im Drucke, als ich die Inaugural-
Dissertation von Dr. Karl G e r 1 a c h „Über die Gestalt der Mor-
gagnischen Tasche des Menschen“ (Greifswald 1867) in die Hand
bekam. In dieser Arbeit wendet der Verfasser die Methode des
Ausgießens und Ausstopfens am gespaltenen Kehlkopf an.
Auf diese Arbeit werde ich in meiner zweiten Publikation
zurückkommen.
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Nicolai \V o l k o w i t s e h. Vorkommen des Skleromes in Rußland. 421
Zur Statistik und dem Vorkommen des Skleromes
(Rhinoskleromes) in Rußland um das Jahr 1910.
Von Prof. Nicolai Wolkowit&ch + in Kiew*).
(Mit 1 Figur )
Herr Dr. H. v. Schrötter aus Wien wandte sich im Namen
der im vorigen Jahre zusammengetretenen internationalen Kommission
zur Erforschung des Skleromes mit der Bitte an mich, diese Frage
zu bearbeiten.
Die Lösung meiner Aufgabe besteht meines Erachtens in erster
Linie darin, das ganze Material von Sklerom zu sammeln, das in
die Hände meiner russischen Kollegen gelangt ist. Zu diesem
Zwecke wandte ich mich in zwei der verbreitetsten, allgemeinen,
russischen medizinischen Zeitungen und in einem speziellen Journale
für Krankheiten des Halses, der Nase und der Ohren an meine
Kollegen, die mit dem Sklerome bekannt sind, mit der Bitte, mir bei
meiner Aufgabe behilflich zu sein und mir Nachrichten über ihnen
bekaonte Fälle dieser Erkrankung zuzustellen, wobei ich haupt¬
sächlich auch um die Bezeichnung des Wohnortes der Patienten bat.
Leider erhielt ich nur von sehr Wenigen Antwort und konnte über¬
haupt auf diesem Wege nur wenig Material sammeln. Ich habe
keinen Grund, diesen Umstand dadurch zu erklären, daß das Sklerom
i) Geleitwort von Dr. H. Schrötter in Wien: Die vorstehende
Publikation steht im Zusammenhänge mit Bestrebungen von mir, welche den
Zweck batten, das Studium des Skleromes auf eine breitere, wissenschaftliche
und im Besonderen epidemiologische Basis zu stellen, um solcher Art dieser in
Europa heimischen Infektionskrankheit die ihr gebührende Würdigung zuteil
werden za lassen. Auf Grund früherer Arbeiten habe ich schon im Herbste 1909,
gelegentlich Tagung des XVI. Internationalen medizinischen Kongresses in
Budapest, auf die Zweckmäßigkeit der Schaffung eines engeren Internationalen
Komitees hingewiesen, dessen Arbeiten einer geplanten Konferenz zur Formu¬
lierung weiterer Richtlinien vorgelegt werden sollten. Auf Grund der be¬
züglichen Umfragen bei Fachkollegen wurde ein wertvolles Material zustande¬
gebracht, dem auch die vorliegende Arbeit von Wolkowitsch angehört. —
Äußere Umstände, die Verlegung der bezüglichen Mappen, verhinderten es, daß
diese Arbeit nicht früher zum Abdrucke gelangte, was hiermit nachgetragen
sein soll.
Die Publikation des um die Erforschung des Skleromes so verdienten
Autors, dürfte dermalen um so größeres Interesses beanspruchen, als auf Grund
entsprechender Vorarbeiten demnächst die Abhaltung einer Internationalen
Skleromkonferetiz in Wien geplant ist, wobei dieser, namentlich in
Polen, endemischen, anscheinend in früheren Jahrhunderten viel intensiver
verbreiteten Infektionskrankheit, eingehende Erörterung in prophylaktischer und
soziafhygieni6cher Richtung zuteil werden soll; im Besonderen werden auch die,
die Übertragung des Leidens vermittelnden Umstände eine nähere Untersuchung
zu ertahren haben.
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422
Nicolai W o 1 k o w i t s c h.
außerhalb Kiews selten beobachtet wird — die weiter unten an¬
geführten Zahlen sprechen vom Gegenteil —; eher muß der Grund
hierfür in der ungenügenden Bekanntschaft mit dieser Krankheit
und gleichzeitig im ungenügenden Interesse für dieselbe gesucht
werden. Nachrichten sandten mir ein: Dr. Kossak (aus Kadom)
Uber 3 Patienten; Dr. de L e n s (aus Kiew) über 9; Prof. Nikol sky
(aus Warschau) über 1; Dr. Plastunow (aus Brazlaw) im
podolischen Gouvernement) über 2 und Priv.-Doz. Trofimo ff
(aus Kiew) über 2 Fälle. Außerdem sammelte ich unter Mithilfe des
letzteren und des Dr. B a s i 1 e w i t sc h 18 Fälle aus dem Ambula¬
torium des Krankenhauses des Pokrowschen Klosters in Kiew.
Einige der erwähnten Herren hatten mir Uber eine größere
Anzahl von Patienten berichtet, jedoch waren erstens einige von
diesen Patienten bereits auch von mir beobachtet worden und
bereits meinem Materiale zugezählt (hierher gehört auch eine Patientin,
über die mir Dr. Golowtschiner aus Kiew berichtet hat),
zweitens fehlten bei einigen vollständig die Angabe des Wohnortes
(solche Patienten habe ich in meine Statistik gar nicht aufgenommen),
drittens war bei einer nicht geringen Anzahl der Patienten nur eine
charakteristische Affektion des Kehlkopfes vorhauden. Obgleich
die letzteren Fälle, allen Daten nach, ein lokales Sklerom darstellen,
derartige Patienten bei uns recht häufig Vorkommen und aus
Gegenden stammen, die reich an Sklerom sind, beschloß ich
dennoch, der besseren Objektivität halber (für den Fall z. B. einer
Fehldiagnose) dieselben nicht in meine Statistik aufzunehmen.
Ich konnte also durch Umfragen nur 35 Fälle sammeln, die
meinem Zwecke genügten. Hierzu kommen noch 17 Fälle (alles nur
solche, bei denen der Wohnort des Patienten zur Zeit seiner
Erkrankung vermerkt war, die ich aus der russischen Literatur ge¬
sammelt habe. Hierher gehören: 1 Fall von Mandelbaum im
Jahre 1886 beschrieben 2 ), 3 Fälle von Stukowenkoff (1887) 3 ),
2 Fälle von Jakowski und Matlakowski (1887) 4 * * ), 2 Fälle von
Stepano ff (1893)6), 1 Fall von M i c h ai 1 o f f (1897)*), 1 Fall
von Bjelogolowij (1903) 7 ), 1 Fall von Begasch (1907) 8 ),
3 Fälle von Krasnoglasow und Mamurowsky (1908 1 '•’)
und 3 Fälle von Shukoff (1909) 1# ).
2) Wratsch 1886. Nr. 33.
3) Medizinskoje obosrenje Bd. 28. Nr. 20.
‘i Gazeta lekarska 1887. Nr. 45 bis 48, 50, 51 und 53.
Dissert. Moskau 1803.
r u Medizinskoje obosrenje 1897. Bd. 47. S. 782.
0 Referat im Rueskij Wratsch 1903. Nr. 11. S. 426.
R ) Charkow>kij mediz. Journal 1907. Bd. 4. S. 407.
• r ) Medizinskoje obosrenje 1908. Bd. 69. S. 916.
i°) Dif-sert. 8t. Petersburg 1909.
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Vorkommen des Skleromes in Rußland.
423
Als Hauptmaterial dienten mir meine eigenen Fälle, die ich
seit 1884 gesammelt habe, hierbei muß ich bemerken, daß ich nicht
alle von mir beobachteten Patienten eingetragen habe. Außerdem
11 Fälle, die als Material für meine Arbeit (1888) u ) dienten, besitze
ich noch Daten über weitere 65 Patienten. Im ganzen besteht also mein
eigenes Sklerommaterial, das ich ausschließlich in Kiew gesammelt
habe, aus 76 Fällen (hierbei will ich nochmals bemerken, daß in
diese Zahl keine Fälle von Affektion des Kehlkopfes allein auf¬
genommen sind, die, dank ihrer Häufigkeit, die • Zahl der
Erkrankungen an Sklerom bedeutend erhöhen würden).
In derA-bsicht, eine möglichst genaue geographische Karte
des Vorkommens des Skleromes zu zeichnen, habe ich bei der Be¬
zeichnung des Wohnortes der Patienten mich nicht nur auf die
Nennung des Gouvernements beschränkt, sondern auch noch
wenigstens den Kreis bezeichnet. Ich hielt dieses wegen der Größe
unserer Gouvernements für erforderlich. Es fehlten in der Tat unter
allen 128 Fällen, die mir zur Statistik dienten, nur in 25 Fällen,
also weniger als in ein Fünftel, die Angabe des Kreises. Ich hegte
einigermaßen Bedenken, wie ich diese Fälle auf der Karte ver¬
zeichnen sollte und habe dieselben schließlich gleichmäßig über das
Gouvernement verteilt, zu dem sie gehörten.
Die geographische Verteilung (vergl. umstehende Figur) der
von mir gesammelten Fälle nach den Gouvernements bzw. Kreisen
war folgende:
Kiewsches Gouvernement:
Kreis Berditschew.3 Fälle
„ Wassiljkow ..5 „
„ Kiew . 5 „
„ Radomysslj .3 „
„ Taraschtscha.1 Fall
„ Umanj.1 „
„ Tscherkassy.1 „
„ Tschigirin.1 „
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 3 Fälle
23 Fälle
Wolynisches Gouvernement:
Kreis Dubno.2 Fälle
„ Shitomir ..4 „
„ Saslawlj.4 „
Stadt Kowelj.2 „
Kreis Kremenetz.2 „
n Luzk . 2 »
„ Nowograd-Wolynsk.3 „
u) Das Rhinosklerom (Scleroma respiratorium) eine klinische, mikroskopische
und bakteriologische Studie. Diss. Kiew. 1888 und Archiv f. klin. Chir. Bd. 38.
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Nicolai W o 1 k o w 1 t s c ü.
Kreis Owrutsch.1 Fall
n Ostrog.1 „
„ Rowno.1 „
n Starokonstantinow.2 Fälle
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 2 „
Zus. 27 Fälle
Gouvernement Podolien:
Kreis Balta.1 Fall
„ Brazlaw.4 Fälle
„ Winniza.4 „
„ Gaissin.2 „ '
Stadt Kamenez-Podoljsk.1 Fall
Kreis Litin.4 Fälle
„ Mogiljew.1 Fall
„ Nowaja Uschiza.2 Fälle
„ Sampolj.1 Fall
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 3 Fälle
23 Fälle
Gouvernement Tschernigow:
Kreis Gluchow. 2 Fälle
„ Gorodnja . 1 Fall
„ Konotop.1 „
„ Krolewez.2 Fälle
r Ssosniza.1 Fall
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 1 „
8 Fälle
Gouvernement Poltawa:
Kreis Solotonoscha.I Fall
„ Priluki.1 „
n Romny.1 n
3 Fälle
Gouvernement Minsk:
Kreis Nowogrudok.2 Fälle
„ Rjetschiza.3 „
„ Ssluzk.1 Fall
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 6 Fälle
12 Fälle
G o u v e r n e m e nt M o g i 1 j e w:
Kreis Gomelj.2 Fälle
, Gorcki.1 Fall
„ Klimowitschi.1 „
„ Orscha.2 Fälle
„ Sjenno.2 „
„ Tschaussy.1 Fall •
Go^ 'gle
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426
Nicolai W o 1 k o w i t s c li.
Kreis Tscherikow.1 Fall
Flecken Tschereja.1 „
„ Schklew.1 „
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 4 Fälle
16 Fälle
Gouvernement Kursk:
Stadt Putiwlj.1 Fall
Gouvernement Grodno:
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 2 Fälle
Gouvernement Ljublin:
Kreis Grubeschow.1 Fall
Gouvernement Sjedljez:
Ohne Bezeichnung des Kreises . . . 1 Fall
Gouvernement Radom:
Ostrowez.I Fall
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 2 Fälle
Gouvernement Ekaterinosslaw:
Stadt Ekaterinosslaw.I Fall
Kreis Nowomoskowsk.1 v
Gouvernement Chersson:
Kreis Odessa.1 Fall
Gouvernement Bessarabien:
Kreis Kischinjew.1 Fall
Gouvernement Kaluga:
Kreis Medynj.1 Fall
Gouvernement Tula:
Kreis Odojew.1 Fall
Gouvernement Moskau:
Ohne Bezeichnung des Kreises ... 1 Fall
Gouvernement Wladimir:
Kreis Ssusdalj.1 Fall
Männer 65, Frauen 63; Das Alter ist nur von 123 Patienten
(62 Männern und 6 Frauen) bekannt. Der jüngste Mann war
16 Jahre alt, die jüngste Frau 13 Jahre; der älteste Mann war
63 und die älteste Frau 55 Jahre alt.
Im allgemeinen kamen auf das:
2. Jahrzehnt des Lebens 17 Patienten (6 männliche, .11 weibliche)
oder annähernd 14%.
3. Jahrzehnt des Lebens 30 Patienten (27 männliche. 13 weibliche)
gegen 41-4%.
4. Jahrzehnt des Lebens 51 Patienten (17 männliche, 13 weibliche)
gegen 244%.
5. Jahrzehnt des Lebens 15 Patienten (6 männliche, 9 weibliche)
gegen 12-2%.
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Vorkommen des Skleromes in Rußland.
427
6. Jahrzehnt des Lebens 10 Patienten (6 männliche, 4 weibliche)
gegen 8-1%.
Dieses ist aber das Alter der Patienten znr Zeit ihrer
Beobachtung. Da es aber wohl wichtiger ist, das Alter zur Zeit der
Erkrankung festzustellen, hielt ich es für erforderlich, die Dauer der
Erkrankungen vom Beginne derselben bis zur Beobachtung festzu-
Btellen. Diesbezügliche Daten fand ich nur in 78 Fällen. (Hierbei
behalte ich ob natürlich im Auge, daß die Feststellung der Dauer
der Krankheit, die sich ja äußerst chronisch entwickelt und keine
besonders beunruhigenden Symptome hat, bei Skleromkranken nicht
genau sein kann; die Dauer der Erkrankung, die durch die Anamnese
erhoben wird, muß wohl als geringer als de facto bezeichnet werden.)
Ich habe folgende Daten erhalten: nur bei 19 Patienten, oder
in 24 3%, betrug die Dauer der Krankheit weniger als 2 Jahre und
bei nur 2 Patienten weniger als 1 Jahr. Bei 23, oder in 30% der
Fälle, betrug sie 2—4 Jahre und bei den übrigen 36 Patienten, oder
in 46% der Fälle, von 5—20 Jahren und sogar noch mehr; bei 20
von diesen letztgenannten Patienten, oder in 26% aller Fälle, betrug
die Krankheitsdauer 8—20 Jahre. Hieraus geht hervor, daß, wenn
daß Sklerom, wie aus der angeführten Alterstabelle hervorgeht, haupt¬
sächlich das jugendliche Alter befällt, der Krankheits¬
beginn noch weiter gegen den Anfang des ersten Jahrzehntes
verschoben werden muß. Weiter oben habe ich als die früheste
Altersgrenze für an Sklerom Erkrankte 13 Jahre angegeben, ich
z. B. habe aber eine 16jährige Patientin, wo der Beginn der Er¬
krankung 6 Jahre zurück lag und einen 26jährigen Patienten mit
16jähriger Krankheitsdauer usw. gehabt. Mit anderen Worten muß
der Beginn der Erkrankung bei diesen Kranken in ihr lOjähriges
Alter verlegt werden. In gleicher Weise befanden sich unter den
Patienten, die dem 3. Lebensjahrzehnte angehörten, 13 solcher, die
der Dauer der Krankheit nach zum 2. Jahrzehnte gerechnet werden
müssen, d. h. dieselben erkrankten noch vor dem 20. Lebens¬
jahre.-Von den Patienten des 4. Jahrzehntes gehören 12 dem Krank¬
heitsbeginne nach de facto dem 3. Jahrzehnt an. Von den 8 Patienten
des 5. Jahrzehntes müssen 4 zum 4. und 4 sogar zum 3. Jahrzehnte
gerechnet werden. Von 2 Patienten des 6. Jahrzehntes muß einer
zum 5. und einer sogar zum 4. Jahrzehnte gerechnet werden. Endlich
muß ein Patient des 7. Jahrzehntes zum 5. Jahrzehnte gerechnet
werden. Was die Nationalität der Patienten anbetrifft, so kann ich
nur bemerken, daß auf 98 Russen (hier sind auch Polen gerechnet,
die schwer von den echten Russen unterschieden werden konnten)
30 Juden kamen. Im Gouvernement Mogiljew geben die Juden beinahe
70% aller Skleromkranken.
Ihrem Wohnorte, der Profession, der gesellschaftlichen und
materiellen Lage nach gehörten alle Patienten mit wenigen Aus-
Monatsschrift f. Ohrenheilk. u. Lar*-Rhin. 66. Jahrg, 20
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428
Nicolai Wolkowitsch.
nahmen, zu den Bewohnern von Dörfern und Flecken, es waren
Bauern oder kleine Händler (Juden) und im ganzen alles arme Leute.
Aus besser materiell situierten oder eher gebildeteren Kreisen sind
mir persönlich nur 3 Patienten bekannt: ein Arzt, die Frau eines
Kreispolizeibeamten und eine Lehrerin.
Es schien mir sehr lehrreich zu sein, mein Material auch für
die Beleuchtung einer anderen Seite der Frage zu benutzen, und
zwar für die Frage der Häufigkeit der Erkrankung an Sklerom
derjenigen Körperteile, an denen diese Krankheit vorkommt. Ich sah
aber von Anfang an, daß meine Zahlen nicht genau sein würden, da
bei sehr vielen Patienten, die hauptsächlich ambulatorisch, und zwar
von Persönlichkeiten beobachtet wurden, die die Erkrankung und
folglich auch die Einzelheiten derselben wenig interessierten, genaue
Hinweise auf die Lokalisation der Erkrankung in den Berichten
ausgelassen sein konnten. Ich habe hier speziell das Nichterwähnen
eines Übergreifens des Prozesses auf die Oberlippe bei einer Affektion
der äußeren Nase, auf den Alveolarfortsatz des Oberkiefers, auf den
harten Gaumen usw. im Sinn. Dagegen - glaube ich nicht, daß Ärzte
in bezug auf den Rachen, mit seinen charakteristischen Veränderungen
bei Sklerom, beim Untersuchen eines Skleromkranken diese Ver¬
änderung übersehen und sie daher nicht in das Krankenjournal
eintragen. Dasselbe glaube ich auch in bezug auf den Kehlkopf an¬
nehmen zu können, wenn die Veränderungen in demselben, die ja
durch Behinderung der Atmung begleitet werden, einen mehr oder
weniger starken Grad erreicht haben. Daher scheint es mir, daß
ich ein gewisses Recht dazu habe, ohne mich von der Wirklichkeit
zu weit zu entfernen, auf Grund des von mir gesammelten Materiales
die Statistik der Skleromerkrankung dreier Gebiete zu berühren,
und zwar der Nase, des Pharynx (hier ist hauptsächlich das Gebiet
des Rachens gemeint) und des Kehlkopfes. In 116 Fällen beschränkte
sich der Bericht nicht nur auf die Diagnose „Rhinoskleroma“, sondern
vermerkte auch die Lokalisation der Erkrankung. Von diesen Fällen
war 109 mal die Nase affiziert, d. h. in annähernd 94%.
Beider Besprechung der Affektion der Nase wäre es natürlich
erforderlich, die Häufigkeit der Affektion der äußeren Teile der Nase
von derjenigen der Nasenhöhle zu trennen. Diese Frage kann nur,
beim Vorhandensein genauer Angaben Uber die Ausbreitung der
Erkrankung bei jedem einzelnen Kranken entschieden werden. Man
kann aber doch a priori annehmen, daß höchstens mit wenigen Aus¬
nahmen dort, wo die äußere Nase affiziert ist, auch die Nasenhöhle
oder doch wenigstens die vorderen Teile derselben vom Prozesse
mitergriffen sind. Dieses entspricht auch meiner früheren Statistik
(vom Jahre 1888, cf. meine, bereits erwähnte Arbeit), die sich auf
84 Fälle gründet (11 eigene und 73 aus der Literatur gesammelte)
und wo die Nasenhöhle in 80 Fällen gleich 95% ergriffen war.
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Original frorn
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Vorkommen des ISkleromes in Rußland.
429
Von den 109 erwähnten Fällen von Affektion der Nase jedoch,
ist nur in 97 Fällen, d. h. in 83 6% aller Fälle, eine Affektion
der äußeren Nase vermerkt. In 12 Fällen (oder annähernd in 103%
aller Fälle) von denen 10 mir gehören, waren außerhalb keine Ver¬
änderungen vorhanden, sondern nur innerhalb der Nasenhöhle. In
2 Fällen erstreckte sieh die Erkrankung ausschließlich auf die Nasen¬
höhle, in den übrigen Fällen bestanden gleichzeitig Veränderungen
im Pharynx, oder auch im Kehlkopfe und der Trachea.
Eine Erkrankung des Pharynxschlundes bestand in
86 Fällen, oder in annähernd 74%, welche Zahl sich meinem Pro¬
zentsätze der Pharynxerkrankungen (67) nähert, den ich in meiner
erwähnten früheren Arbeit angeführt habe.
Eine Erkrankung des Kehlkopfes endlich bestand in 32 Fällen
oder in 28%, ebenfalls ein Prozentsatz, der demjenigen meiner
früheren Statistik nahekommt (23).
Ich wiederhole nochmals, daß die Fälle einer ausschlie߬
lichen Affektion des Kehlkopfes nicht in die
Statistik aufgenommen worden sind; ich halte mich aber für
berechtigt, hier 7 Fälle unterzubringen, die ich selbst beobachtet habe
und deren Diagnose sicher feststeht, in denen nur der Hachen
(1 Fall) oder der Rachen, der harte Gaumen und teilweise das Zahn¬
fleisch (3 Fälle) oder endlich der Rachen und der Kehlkopf (3 Fälle)
affiziert waren. Hierbei ist mit einbegriffen, daß hei weiter vorge¬
schrittenen Affektionen des Rachens in einigen Fällen auch die
Zungenwurzel mitergriffen war.
Es ergeben sich also zusammen mit den 12 oben erwähnten
Fällen von Affektion der Nasenhöhle, von 116 Fällen mit fest¬
gestellter Lokalisation der Erkrankung, 19 Fälle, in denen die für
das Sklerom charakteristische Affektion der äußeren Nase fehlte.
Der Prozentsatz solcher Sklerome wächst jedoch bei weitem, wenn
wir durch weiteres Studium eudgültig konstatieren werden, daß
bestimmte chroniche Erkrankungsformen des Kehl¬
kopfes, die ohne eine charakteristische Affektion der oberen
Teile der Luftwege auftreten, ebenfalls Sklerom sind.
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430
Th. D. D 6 in 6 t r i ;i d e s und Ph. M a v e r.
Aus der Ohrenabteilung der Allgemeinen Poliklinik in Wien
(Vorstand: Prof. Dr. G. Alexander).
Zur kalorischen Labyrinthprüftmg mit Minimalreizen.
Von Dr. Th. D. Demetriades und Dr. Ph. Mayer.
Die zuerst von Bäräny in die otologische Diagnostik ein-
geftlhrte kalorische Untersuch ang des Labyrinthes erfuhr eine
wesentliche Verbesserung durch die von Ko brak entdeckte Prüfung
des Labyrinthes mit Minimalreizen. Es wurde ja schon früher vielfach
hervorgehoben (Alexander, Bartels u. a.), daß die gewöhnlichen
Prüfungsmethoden des Labyrinthes außerordentlich grobe Beize
darstellen und es wurde daher vielfach versucht, diese groben
Methoden durch feinere zu ersetzen. In letzter Zeit hat Brünings
über eine derartige verfeinerte Untersuchungsmethode durch den
Drehreiz berichtet, doch haben ähnliche Untersuchungen, die an
unserer Abteilung insbesondere von Cemach vorgenommen wurden,
bisher zu keinem verwertbaren Resultat geführt.
Demgegenüber wurde bereits von G r a h e über gute Resultate
mit der von K o b r a k modifizierten kalorischen Methode berichtet.
Weitere derartige Untersuchungen liegen bis jetzt nicht vor, weshalb
wir es auf Anregung von Herrn Dr. Brunner unternahmen, den Wert
der Methode von Ko brak unter verschiedenen Bedingungen kennen
zu lernen. Es sei uns gestattet,an dieser Stelle Herrn Prof. Alexander
wie auch Herrn Dr. Brunner für die Beihilfe und Durchsicht der
Arbeit unseren besten Dank auszusprechen.
Methodik.
Wir untersuchten das Labyrinth von 150 Kranken nach
Kobraks Angaben mit 5 cm 3 13 bis 35 gradigen Wassers, indem der
Wasserstrahl nach der hinteren oberen Gehörgangswand unter
mäßigem Druck gerichtet wurde, so daß ein direkter Druck auf
das Trommelfell möglichst vermieden wurde. Zur Prüfung der
Heißwasserreaktion verwendeten wir Wasser von 38 bis 45°. Der
Gang der Untersuchung war gemäß den Angaben Kobraks folgender:
Zuerst wurde untersucht, ob bei Dauerkompression Nystagmus auftritt.
Dabei komprimierten wir zuerst den Gehörgang der gesunden Seite
und dann erst bei negativem Resultat beide Seiten. Dann wurde
entsprechend den Angaben Kobraks zirka 5 Min. gewartet, um
eine durch die Dauerkompression hervorgerufene Nystagmusbereit¬
schaft abklingen zu lassen, erst dann spritzen wir 5 c m ; > 13gradigen
Wassers in das Ohr. Nur in wenigen Fällen verwendeten wir zunächst
5 cm 3 25 bis 30gradigen Wassers. Erhielten wir bei dieser Unter-
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Kalorische Labyrinthprüfung mit Miiiinmlrcizcn.
431
suchung nach 2 Min. keine Reaktion, so verwendeten wir zunächst
eine größere Menge Wassers von derselben Temperatur. In den
Fällen hingegen, in denen höher temperiertes Wasser als 13gradig
zuerst verwendet worden war, gingen wir, bevor wir die Wasser¬
menge vermehrten, in der Temperatur des Wassers herunter. Zwischen
den Prüfungen der beiden Ohren haben wir gewöhnlich eine Pause
von 5 bis 10 Min. eingeschaltet, in Fällen von heftiger Reaktion
eine entsprechend längere Pause. In einigen Fällen verglichen wir
die Resultate bei der K o b r a k sehen Methode mit den Resultaten
der MassenspUlung und der Drehreaktion.
Es ist klar, daß diese Methode bei der angegebenen Hand¬
habung eine sehr zeitraubende und daher für praktisch klinische
Zwecke eine nicht sehr zweckmäßige Untersuchung darstellt,
insbesondere wenn man noch bedenkt, daß man nach den Angaben
von Kobrak zwischen jeder der einzelnen Prozeduren zumindest
5 Min. verstreichen lassen soll, um die Wirkung eines Reizes nicht
durch den voran gegangenen zu trüben. Dazu kommt noch, daß in
einer Reihe von Fällen, die angewendete Mühe nicht vollkommen
dem erzielten Resultate entspricht. Denn praktisch handelt es sich
in vielen Fällen nur um die Frage, ob ein Labyrinth kalorisch
erregbar ist oder nicht. Pathologische Veränderungen im Labyrinthe
leichten Grades aber können häufig durch die spontan angegebenen
subjektiven Beschwerden des Patienten (Tast- oder Drehschwindel)
früher diagnostiziert werden, als die objektiven Erscheinungen ein-
treten. Es ergibt sich daraus die Notwendigkeit, die Kobrak sehe
Methode, um sie dem praktisch klinischen Gebrauch dienstbar zu
machen, in abgekürzter Form anzuwenden.
Was zunächst die Dauerkompression betrifft, so haben wir nur
in einer sehr geringen Anzahl von Fällen sichere Resultate damit
erzielt, im Gegensatz zu Kobrak, der in einer relativ großen Reihe
von Ohrerkrankungen einen positiven Ausfall des Dauerkompressions¬
versuches fand. Allerdings sind wir bei der Bewertung dieses
Symptoms von anderen Grundsätzen ausgegangen, als dies Kobrak
tüt. Kobrak will nämlich auch den sogenannten Einstellungs¬
nystagmus als „im Zusammenhang mit vestibulären Reizfaktoren“
aufgefaßt wissen. „Fast mit Sicherheit kann man das in jenen Fällen
annehmen, in denen z. B. vor der vestibulären Schwaehreizung
keine Einstellungszuckungen zu beobachten waren, die sich aber
nach der vestibulären Reizung einstellten.“ Was zunächst die
letzte Behauptung Eobraks betriflt, so möge dagegen der
Einwand gestattet sein, daß der Einstellungsnystagmus olt sehr
unregelmäßig in seinem Auftreten ist, wodurch dann die Be¬
antwortung der Frage, ob ein solcher Nystagmus durch Labyrinth¬
reizung zustande gekommen ist oder nicht, nur sehr schwer zu
beantworten ist. Eine Reihe hierher gehöriger Fälle konnten auch
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432
Th. I). D 6 nt 6 t r i a d e s und Ph. M a y o r.
wir beobachten; wir haben aber in diesen Fällen nicht einen positiven
Dauerkompressionsversuch angenommen, sondern den aufgetretenen
Nystagmus als Einstellungsnystagmus betrachtet, insbesondere dann,
wenn der Nystagmus rein horizontal schlug. Prinzipiell stehen wir
nicht auf den Standpunkt, daß der Einstellungsnystagmus irgendwie
mit dem Labyrinth zusammenhängt, wogegen ja auch der Umstand
spricht, daß dieser Nystagmus nach den Untersuchungen von
Offergeld bei zirka 70% der Menschen vorkommt, sondern wir
nehmen wie Kesten bau m und Brunner an, daß der Einstellungs¬
nystagmus nur eine Abnormität der physiologischen Einstell¬
bewegungen der Augen darstellt, also wahrscheinlich kortikalen
Ursprunges ist.
In einer Reihe von Fällen konnten wir bei Anstellung des
Dauerkompressionsversuches eine Verstärkung eines schon bestehenden
horizontal-rotatorischen Nystagmus niedrigsten Grades beobachten.
Es handelte sich in diesen Fällen meist um Patienten mit chronischen
Mittelohrerkrankungen (katarrhalisch oder eitrig) oder um Patienten
nach Grippe. Wir fassen diesen horizontal-rotatorischen Nystagmus
in Endstellung der Augen mit Brunner als labyrinthären, bzw.
zentrallabyrinthären auf, während wir zu dem Einstellungsnystagmus
nur den rein horizontalen, in manchen Fällen auch einen vertikalen
Nystagmus rechnen (Brunner). Den positiven Ausfall des Dauer¬
kompressionsversuches in diesen Fällen möchten wir aber auch nicht
auf Reize zurückfuhren, die vom peripheren Sinnesorgan ausgehen,
sondern möchten eher die Verstärkung des bestehenden Spontan¬
nystagmus psychischen Einflüssen zuschreiben.
Es ergibt sich daraus, daß die Bewertung des Dauerkompressions¬
versuches nach Kobrak oft großen Schwierigkeiten begegnet und
es ist daher Kobrak vollkommen beizustimmen, wenn er selbst
behauptet, daß dieser Versuch vorderhand mehr wissenschaftliches,
als praktisches Interesse habe. Aus diesem Grunde glauben wir bei
praktisch klinischen Untersuchungen vorderhand auf den Dauer¬
kompressionsversuch verzichten zu können.
Kobrak schreibt nun nach der Dauerkompression vor, mit 2 bis
5 cm 3 35 bis 36 gradigen Wassers zu prüfen und falls dabei keine
Reaktion auftritt,bei gleichbleibender Wassermenge mit der Temperatur
so weit herunterzugehen, bis der Nystagmus erscheint. Auf diese Weise
wird die Reizschwelle des Labyrinthes ermittelt. Nun wissen wir,
daß man bei der Massenspülung mit Wasser von 30° in der Regel
bereits Nystagmus erzielen kann (Kiproff). Bei der Nachprüfung
der Kobrak sehen Methode verwendete G r a h e in der Regel
Wasser von 27°, um Nystagmus zu erzielen. Wir sind bei unseren
Untersuchungen der Kobrak sehen Anordnung mit der Temperatur
allmählich herunterzugehen in den meisten Fällen nicht gefolgt,
und zwar deshalb nicht, weil wir nicht einsehen konnten, welchen
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Kalorische .Libyrinthprüfung mit Miniuialieizen.
433
Wert die Feststellung des Kältegrades bei welchem ein Labyrinth
reagiert, besitzen soll. Wir haben es im Gegenteil als einen Vorzug
der K o b r a k sehen Methode angesehen, gleich mit Kältegraden
arbeiten zu können, bei denen ein normales Labyrinth sicher reagiert,
die aber bei der ursprünglichen Massenspülung wegen der heftigen
subjektiven Beschwerden bekanntlich nicht zu verwenden sind. Aus
diesem Grunde haben wir stets Leitungswasser, welches 13 bis 15°
Temperatur hatte, verwendet. Diese Anordnung hatte auch den
Vorteil, daß bei dem Vergleich unserer Ergebnisse der in der
Temperatur gelegene variable Faktor wegfiel.
In der Regel begannen wir mit 2 bis 5 cm 3 13 bis lögradigen
Wassers zu spülen. Bekamen wir bei dieser Versuchsanordnung keine
Reaktion, so verwendeten wir nach Ablauf von etwa 5 Min. 10 cm 3
Wasser von der gleichen Temperatur eventuell mit Benutzung der
Brüning s’schen Optimumstellung des Kopfes, die uns in manchen
Fällen ein Resultat ergab, wo die Spülung in gerader Kopfstellung
versagte und steigerten dann die Wassermenge bis zu 60 cm 3 .
Bekamen wir auch dann keine Reaktion, so verwendeten wir die
Massenspülung mit 100 und 200 cm 3 Wasser an. Auf diese Weise
glauben wir den von Kobrak und Grahe gefundenen, der Massen-
spülung anhaftenden Fehler der „Dämpfung“ des Nystagmus um¬
gangen zu haben.
Es ergibt sich hiermit aus Unseren Untersuchungen folgende
Methodik der kalorischen Prüfung als die für den klinischen Ge¬
brauch geeigneteste: Wir spritzen in das zu untersuchende Ohr nach
möglfchster Säuberung 5 cm 3 13- bis lögradiges Wasser und lassen
den Patienten nach der Seite des nichtausgespritzten Ohres blicken.
Die Verwendung eines Blickfixators (Bärjiny) oder eines Otogonio-
meters (Brünings) halten wir für überflüssig. Besteht Spontan¬
nystagmus niedersten Intensitätsgrades, dann lassen wir den Patienten
geradeaus blicken und warten in dieser Stellung zwei Minuten das
Erscheinen des Nystagmus ab. Man kann dann sehr gut, wie dies
schon Kobrak beschrieben hat, die einzelnen Phasen des kalorischen
Nystagmus (langsame Komponente, periodische Schläge, rhythmische
Zuckungen) beobachten. Ist nach zwei Minuten das Resultat negativ,
so spülen wir mit 10 cm 31 ); verläuft auch diese Untersuchung negativ,
dann spülen wir mit 10cm 3 in Brünings’scher Optimumstellung
des Kopfes; tritt auch jetzt kein Nystagmus auf, so verwenden
wir gleich 20 oder 30 cm 3 Wasser und bei negativem Resultat
schließlich die Massenspülung. Heißwasserspülungen verwenden wir
nur ausnahmsweise.
i) Wo in den nachfolgenden Ausführungen der Temperaturgrad des Wassers
nicht angegeben ist, wird stets Lei tung&wasser von 13 bis 15« gemeint.
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434
TI). D. D6m6triades und Pli. Mayer.
Die gewonnenen Resultate werden in folgender Weise ver¬
merkt: In normalen Fällen, z. B. 5 cm 3 — 15 ^ 80, wobei die
erste Zahl die verwendete Spülmenge, die zweite die Latenzzeit,
die Nystagmusdauer angibt. Die Temperatur des Wassers wird
nicht angegeben, da wir, wie schon erwähnt, immer Leitungswasser
von 13bis 15° verwenden. Wurdein BrUnings’scherOptimumstellung
untersucht, so wird der Zahl für die Spülmenge ein großes 0
(Optimum) in Klammern hinzugefügt. In dieser Form wird die
kalorische Prüfung an unserer Abteilung gehandhabt.
In der geschilderten Art dauert die kalorische Prüfung nicht
viel länger, als die früher geübte Massenspülung in Fällen von
fraglicher Erregbarkeit des Labyrinthes gedauert hat. Wir glauben
aber mit der von uns geübten Methode viel sicherere Resultate erzielen
zu können, als mit der Massenspülung, weil durch die oben erwähnte
Methode die eventuelle Hemmung eines Nystagmus nicht erfolgen kann.
Untersucht wurden: 1. der Nystagmus, 2. der Einfluß von
Kopfstellungen auf den experimentell hervorgerufenen Nystagmus,
3. der Zeigeversuch im Schultergelenk, 4. die Fallreaktion, 5. das
Schwindelgefühl.
Eigene Untersuchungen.
I. Normale.
Wir haben 15 ohrgesunde Personen (worunter aber nur Per¬
sonen verstanden werden, die beiderseits ohrgesund waren) unter¬
sucht. Über die Personen, die einseitig ohrenkrank waren, wird
unten berichtet werden. Bemerkt sei noch, daß in einem von den
15 Fällen früher einmal eine akute Otitis auf einem Ohre beständen
hat. In diesen Fällen fanden wir im Durchschnitt bei Verwendung
von 3 cm 8 13gradigen Wassers nach 25 bis 40 Sekunden Latenz¬
zeit einen Nystagmus niedersten (I.) Grades, der 40 bis 90 Sekunden
lang dauerte. Bei Verwendung von 5 cm 3 13gradigen Wassers be¬
kamen wir nach 15 bis 30 Sekunden Latenzzeit Nystagmus I. bis
II. Grades, der 60—120 Sekunden andauerte. Schwindel, Fallreaktion
oder Vorbeizeigen fanden wir in diesen Fällen nie.
Grahe fand bei Verwendung von 5 cm 3 27 gradigen Wassers
nach 10 bis 30 Sekunden Latenzzeit einen Nystagmus, der 60 bis 200
Sekunden andauerte.
II. Pathologische Fälle.
Um die Ergebnisse unserer Untersucbungen übersichtlicher
gestalten zu können, wollen wir zunächst unser Material nach dem
klinischen Ohrbefunde unterteilen. Wir untersuchten:
1. Fälle von chronisch-katarrhalischen Ver¬
änderungen im Mittelohr. In diesen Fällen fanden wir
bei Verwendung von 5 cm 3 13gradigen Wassers nach einer Latenz-
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Kalorische Labyrinth]« iiiiing mit Minimaln-mn.
435
zeit von 10 bis 30 Sekunden einen Nystagmus I. bis II. Grades,
der 50 bis 120 Sekunden andauerte. In 2 von diesen Fällen, von
denen der eine auf dem rechten Ohre einen chronischen Adhäsiv¬
prozeß, auf dem linken Ohre eine chronische Mittelohreiterung
hatte, war bei Seitenblick Spontannystagmus nach beiden Seiten zu
beobachten. In diesen Fällen erhielten wir mittels der angewendeten
Methode Nystagmus II. und III. Grades. Von allen Fällen hatten
3 nach der kalorischen Untersuchung geringen Schwindel; Vorbei¬
zeigen und Fallreaktion sahen wir in diesen Fällen nie. In 3 Fällen
untersuchten wir den Einfluß der Kopfneigung auf den experimen¬
tellen Nystagmus. In einem Falle mit beiderseitigem chronischen
Adhäsivprozeß sahen wir bei Kopfneigung nach der kaltausgespritzten
Seite eine Abschwächung des kalorischen Nystagmus und Auftreten
eines horizontal-rotatorischen Nystagmus nach der ausgespritzten
Seite (Spontannystagmus), bei Neigung nach der entgegengesetzten Seite
wurde der kalorische Nystagmus verstärkt. Allerdings bestand in
diesem Falle Spontannystagmus I. Grades nach beiden Seiten. In
einem zweiten Falle mit einem chronischen Adhäsivprozeß rechts
und einer chronischen Eiterung links wurde der kalorische Nystag¬
mus durch Kopfneigung nach beiden Seiten verstärkt. In einem
Falle mit beiderseitigem chronischem Mittelohrkatarrh erhielten wir
bei Spülung mit 3 cm 3 lögradigen Wassers vom rechten Ohre nach
50 Sekunden Latenzzeit einen 60 Sekunden lang dauernden Nystagmus,
vom linken Ohre nach 40 Sekunden einen 90 Sekunden lang dauernden
Nystagmus. Interessant ist, daß die Drehreaktion ähnliche Resultate
lieferte, insofern als der Rechtsnystagmus 20 Sekunden, der Links¬
nystagmus 30 Sekunden dauerte.
2. Wir haben ferner Fälle mit akuten Entzündungen des
Mittelohres oder des Trommelfelles untersucht. In einem Falle
war das r.Trommelfell leicht gerötet und eingezogen, Coehlearis normal,
Drehreaktion normal. Bei Spülung des rechten Ohres mit 5 cm 8 Wasser
traten nach 35 Sekunden einige wenige Nystagmuszuckungen auf,
bei Spülung des linken Ohres mit 5 cm 3 Nystagmus I. Grades
120 Sekunden lang mit einer Latenz von 20 Sekunden. Bei Spülung
des rechten Ohres mit 10 cm 3 Nystagmus I. Grades 40 Sekunden (!)
lang mit einer Latenz von 25 Sekunden. In einem zweiten Falle
bestand rechts eine ausgeheilte Otitis media acuta, links eine Myringitis
bullosa. Drehreaktion normal. Bei Spülung des linken Ohres mit
5 cm 3 Nystagmus I. bis II. Grades 80 Sekunden lang mit Latenz
von 35 Sekunden, rechts Nystagmusdauer 90 Sekunden mit Latenz
von 20 Sekunden. In einem dritten Falle endlich bestand links eine
akute Salpingitis und Myringitis, rechts eine dem Promontorium
adhärente Trommelfellnarbe nach Mittelohreiterung und eine abge¬
laufene akute Epitympanitis. Spontannystagmus I nach beiden Seiten,
nach rechts > links. Durch Kopfueigung ist der Spontannystagmus
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Th. D. D6m6triades und Fh. il a y <■ r.
nicht zu beeinflussen. Bei Spülung des rechten Ohres mit 5 cm 3 tritt
nach einer Latenz von 5 Sekunden Nystagmus II auf, der 90 Sekunden
dauert. Dabei Drehschwindel und Vorbeizeigen des rechten Armes
nach rechts, keine Fallreaktion. Der Nystagmus wird durch Kopf¬
stellung nicht beeinflußt. Nach der Spülung tritt eine deutliche
Verstärkung des Spontannystagmus auf, die mehr als eine halbe
Stunde andauert. Bei Spülung des linken Ohres mit lögradigen
Wasser tritt nach einer Latenz von 15 Sekunden Nystagmus II
100 Sekunden lang auf, auch jetzt Schwindel und Vorbeizeigen und
darauf Dauernystagmus.
3. Chronische Mittelohreiterungen (inkl. Knochen¬
eiterung und Cholesteatome). Hierher gehören 41 Fälle. Bei diesen
Fällen fanden wir alle möglichen Variationen in der Latenzzeit und
in der Dauer der Reaktion. Verkürzt war die Latenzzeit in zirka 47%,
normal in zirka 23•;">%, verlängert in zirka 29 5%. Dabei verstehen
wir unter der normalen Latenzzeit die Zeit von 15 bis 30 Sekunden,
wie sie auf Grund unserer Untersuchungen bei Normalen sich ergibt.
Die Nystagmusdauer war verkürzt in 20 6%, normal 58 8% und ver¬
längert in 20%. Es ergibt sich daraus zunächst, daßbeichronischer
Mittelohreiterung, inkl. Cholesteatomen die Latenzzeit
für die kalorische Reaktion in der Mehrzahl der Fälle
verkürzt, die Nystagmusdauer in der Mehrzahl der
Fälle normal ist. Was die Beziehungen zwischen Latenzzeit
und Nystagmusdauer anbelangt, so ist darüber folgendes zu sagen:
Unter 16 Fällen mit verkürzter Latenzzeit (2 bis 10 Sek.)
fanden sich 9 Fälle mit normaler Nystagmusdauer und 7 mit ver¬
längerter Nystagmusdauer (120 bis 180 Sek.), so daß man sagen
kann, daß bei chronischen Mittelohreiterungen einer verkürzten
Latenzzeit in der Regel entweder eine normale oder eine verlängerte
Reaktionsdauer entspricht. Bei normaler Latenzzeit fanden wir in
der Regel auch normale Nystagmusdauer, bei verlängerter Latenzzeit
(30 bis 60 Sek.) in der Regel verkürzte Nystagmusdauer (einige
Zuckungen bis 50 Sek. ferner die Fälle, die auf 5 cm 3 13gradigen
Wassers nicht reagierten). Wir finden also bei chronischen Mittel¬
ohreiterungen folgendes Verhalten: 1. Verkürzte Latenzzeit mit
normaler oder verlängerter Nystagmusdauer (Mehrzahl der Fälle);
2. Normale Latenzzeit mit normaler, verkürzter oder verlängerter
Nystagmusdauer; 3. Verlängerte Latenzzeit mit verkürzter oder
normaler Nystagmusdauer. Eine deutliche Abhängigkeit des ver¬
schiedenen Verhaltens bei der kalorischen Reaktion von dem Trommel¬
fellzustande konnten wir nicht konstatieren; immerhin muß aber
bemerkt werdeu, daß die verlängerte Latenzzeit häufig in den Fällen
zu beobachten war, in denen Granulationen im Mittelohre zu sehen
waren; daß ferner die normale Latenzzeit häufig in den Fällen mit
einfachen Trommelfellperforationen, die verkürzte Latenzzeit häufig
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Kalorische L.ibyiinlhpmfi>ng mit Minimal)(i7.cn.
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in den Fällen mit totalem Trommelfelldefekt zu beobachten war;
ferner muß bemerkt werden, daß gerade bei den chronischen Mittel¬
ohreiterungen die Reaktion von Schwindel und Vorbeizeigen auf
der ausgespritzten Seite nach außen begleitet war. und zwar auch in
den Fällen, in denen der Nystagmus normal lange andauerte. Fall¬
reaktion hingegen in Romberg-Stellung haben wir aber auch in
dieser Gruppe nur selten (2 Fälle) gesehen.
4. Radikaloperierte. Die Verhältnisse liegen hier
ähnlich wie bei den Fällen mit chronischer Mittelohreiterung. Wir
fanden hier in der Regel, und zwar sowohl in den geheilten, als
auch in den ungeheilten Fällen eine verkürzte Latenzzeit, doch
fanden sich auch normale und verlängerte Latenzzeiten. Die Nystagmus¬
dauer war in der Regel normal, doch kamen auch hier verkürzte
und verlängerte Nystagmusdauer vor; häufiger war die verkürzte
als die verlängerte Nystagmusdauer. Genau so, wie in den Fällen
mit chronischer Mittelohreiterung, fanden wir auch nach Radikal¬
operation relativ häufig Schwindel und Vorbeizeigen, seltener Fall¬
reaktion.
Als Beispiele sollen folgende zwei Fälle dienen:
B. J-, 14 Jahre. Links ungeheilte Radikaloperationshöhle. Rechts trockene
Perforation. Spontannystagmus niedersten Grades nach links. Kein Fistelsymptom.
Kalorische Reaktion; Links 5 cm* — 4^90 mit Schwindel und Vorbeizeigen.
St. M., 16 Jahre. Rechts ansgeheilte Radikaloperationshöhle. Links Otitis
med. supp, chron. Zeitweise Drehschwindel nach links, Kopfschmerzen, v:
rechts 2 m, links 3 m. W: «*-*!., c 4 rechts — 15 Sek., links — 5 Sek. Spontan¬
nystagmus niedersten Grades nach beiden Seiten. Kein Vorbeizeigen. Kalorische
Prüfung: Rechts öcrn* sofort20120Sek. stärksten (III.) Grades mit Schwindel
und Vorbeizeigen. Links 5 cm* — keine Reaktion; 10 ein 3 — 60 Sek. Ozuk-
kungen II. Grades einige Sekunden lang.
Nur in einem Falle von Labyrinthfistel stürzte der Patient bei
der kalorischen Probe unter heftigem Schwindel zusammen. In einem
Falle von rechtsseitiger Radikaloperation konnten wir selbst mit 20 cm*
15gradigen Wassers keine Reaktion erzielen; auch die Drehreaktion
ergab iü diesem Falle eine deutliche Untererregbarkeit der rechten
Seite (Postoperative Labyrinthatrophie).
5. Erkrankungen des Innenohres (ohne Lues). Die
Verhältnisse bei den Erkrankungen des Innenohres waren je nach
dem übrigen klinischen Befunde verschieden. Beschränkte sich die Er¬
krankung nach dem übrigen klinischen Befunde vorwiegend auf die
Schnecke, so ergaben sich bei der kalorischen Prüfung nach Kobrak
normale Werte. War jedoch das Labyrinth an der Erkrankung auch
beteiligt, so fand man auch eine entsprechende Veränderung der kalo¬
rischen Reaktion in der Form, daß auch beiVerwendung größerer Mengen
logradigen Wassers nur kurzdauernder Nystagmus nach einer langen
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Th. D. D 6 m 61 r i a d e s und Ph. Mayer.
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Latenzzeit (bis 120 Sek.) auftrat. Als Beispiel für diese Gruppe von
Fällen diene folgender Fall:
H. EL, 60 Jahre. Seit 3 Wochen Drehschwindel, seit 4 Tagen Erbrechen.
Seit Jahren Schwerhörigkeit. Wassermann negativ. Trommelfell beiderseits normal.
Grobschlägiger, horizontal rotatorischer Spontannystagmus I. nach beiden Seiten.
Strabismus conv.
R: Beiderseits +, W: nicht gehört, S: beiderseits sehr stark verkürzt,
c 4 beiderseits verkürzt. Kalorische Reaktion: L. nach 5 bis 15 cm» keine Reaktion,
nach 20cm3 (Latenzzeit 60 Sek.) Nystagmusdauer 60 Sek. II. Grades. R: nach
15 cm3 (Latenzzeit 60 Sek.): der spontane Nystagmus nach rechts wird 2 Min.
lang aufgehoben, während dessen zeitweise Zuckungen nach links. Rotation: Nach
Rechtsdrehung 20 Sek. langer, nach Linksdrehung 10 Sek. langer Nachnystagmus.
Sehr bemerkenswert ist es jedoch, daß wir in einem Falle von
nichtluetischer Erkrankung des Innenohres auch annähernd normales
Verhalten bei der Ko brak sehen Reaktion fanden 1 ), während die
Drehreaktion deutliche Untererregbarkeit der Labyrinthe
ergab. Es ist dies folgender Fall von professioneller Schwer¬
hörigkeit:
F. S., Dampfheizer und Kesselschmied, 43 Jahre. Vor 14 Tagen Dreh-
schwindelanfalle, darauf plötzliche Verschlimmerung seiner schon vorher be¬
standenen Schwerhörigkeit. Wassermann negativ. Trommelfeilbefund: Beiderseits
Retraktion, sonst normal. Cochlearis: v: r. 50 cm, 1.40 cm, C x beiderseits normal,
c 4 : r. — 17 Sek., 1. — 30 Sek., W: «*-► 1., R: 1. —, S: beiderseits verkürzt.
Spontannystagmus iOnach rechts und diagonal nach links unten. („Optischer 44
Nystagmus.) Kein spontanes Vorbeizeigen. Rotation: Nach 10 Rechtsdrehungen
Xystagmus III. bis I. Grades 15 Sek. nach links, nach Linksdrehung einige
Zuckungen nach rechts. Bei Spülung des rechten Ohres mit 5 cm3 Ißgradigen
Wassers tritt nach 40 Sek. Nystagmus I 70 Sek. lang ohne Schwindel auf. Bei
Spülung des linken Ohres mit 5 cm 3 nach 25 Sek. Nystagmus II 90 Sek. ohne
Schwindel. Bei Kopfneigung zur linken Schulter wird dieser kalorische Nystagmus
gehemmt.
Dieser Fall zeigt, daß das sonst für die luetische Innenohr¬
affektion charakteristische Verhalten des Überwiegens der kalori¬
schen Reaktion über die. Drehreaktion auch in Fällen von nicht¬
luetischen Erkrankungen des Labyrinthes Vorkommen kann.
Bekanntlich hat B ä r a n y dieses Verhalten mit Veränderungen
des Chemismus in der Endolymphe erklären wollen. Es ist Dun zu
bedenken, daß die gewöhnliche Drehprobe und die kalorische Probe
nach Kobiak bezüglich der Intensität ihrer Einwirkung nicht
als gleichwertige Methoden zu betrachten sind. Es ist daher durchaus
möglich, daß man in den Fällen, in denen man bei der Drehreaktion
und bei der Massenspülung, also bei groben Prüfungen des Labyrinthes
deutliche Untererregbarkeit findet, bei Verwendung der K o b r a k sehen
Methode eine annähernd normale Reaktion wird finden können.
i) Ähnliche Dissoziation zwischen Massenspülung und Drehreaktion fand
sieh bei nichtluetischen Innenohrerkrankungen: Urban tsehitsch (Jodoform¬
vergiftung), Ruttin (Gasvergiftung), Rauch (Trauma).
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Kalorische Labyrinth]»'iifmi" mit .llinimalrcizc n.
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Schließlich konnten wir Fälle beobachten, in denen eine deutliche
Erkrankung des Cochlearapparates einherging mit Übererregbarkeit
des Labyrinthes bei der Kobrakschen Prüfung. So sahen wir dies
z. B. bei einem Fall von Commotio cerebri, bei der der Stimmgabel¬
befund deutlich auf eine Erkrankung des Innenohres hinwies und
bei der überdies Spontannystagmus nach beiden Seiten bei ent¬
sprechendem Seitenblick vorhanden war; in diesem Falle fanden wir
bei Spülung des rechten Ohres mit 5 cm 3 lögradigen Wassers nach
8 Sek. Latenzzeit einen Nystagmus II. bis III. Grades, der 120 Sek.
andauerte; bei Spülung des linken Ohres nach 18 Sek. einen Ny¬
stagmus II 90 Sek. lang, dabei merkwürdigerweise kein Schwindel
und kein Vorbeizeigen.
Wir schließen hier gleich unsere Untersuchungen an Taub¬
stummen an. Hierher gehören 5 Fälle: -)
a) B. M., 10 Jahre. Trommelfelle normal. Keine Hörreste, ('ochleopalpebral-
reflex nicht auslösbar. Kein Spontannystagmus. Bei Augenschluß mäßige Gleich¬
gewichtsstörungen. Kalorische Reaktion: Bei Spülung des rechten Ohrts mit
dem 3 tritt Kunvergenzkrampf der Augen ein, erst nach 60 Sek. deutlicher,
horizontal-rotatierender Nystagmus I. Bei Spülung des linken Ohres mit 5 cm 3
nach 15 Sek. Convergenzkrampf bei Blick geradeaus, bei Seitenblick horizontal
rotatierender Nystagmus 1. 30 Sek. lang; bei Spülung mit 10 cm 3 tritt nach
10 Sek. Latenzzeit Nystagmus II. bis I. Grades auf, der 120 Sek. andauert. —
Rotation: Nach RechtsdrebungKonvergenzkrainpf und Zitterbewegungen des linken
Auges, nach Linksdrehung kein Konvergenzkrampt, nach einigen Sek. einige
horizontal-rotatierende Zuckungen nach links.
b) E. P., 12 Jahre. Trommelfelle getrübt, eingezogen. Keine Hörreste,
kein Cochleopalpebralreflex, kein Spontannystagmus. — Kalorische Reaktion: Bei
5 cm 3 rechts nach 25 Sek. Nystagmus II. bis I. Grades 70 Sek. lang. Bei Spülung
mit 5 cm 3 links nach 30 Sek. Nystagmusdauer 11*0 Sek. II. bis I. Grades. —
Rotation: Nach Linksdrehung 20 Sek., nach Rechtdrehung 27 Sek. langer
Nachnystagmus. — Galvanische Reaktion: Kathode rechts nach 5 M.-A., Kathode
links nach 3 M.-A. Typischer Nystagmus.
c) H. E., 12 Jahre. Verwandtenehe. Trommelfelle annähernd normal.
Schallgehör, Tongehör und differenzierendes Vokalgehör. Cochleopalpebrale auslös¬
bar. Kein Spontannystagmus. — Kalorische Reaktion: Nach Rechtspülung mit 5cm ;!
Latenzzeit 18 Sek., Nvstagini sdauer 60 Sek. II. bis I. Grades. Links: Nach 5
bis 30 cm* keine deutli< he Reaktion, nach 2( 0 cm 3 einige Zuckungen. — Rotation:
Nach Rechtsdrebung Nachnystagmus 6 Sek., nach Linksdrehung 10 Sek. langer
Nachnystagmus. — Galvanische Reaktion: Beiderseits bei 4 M.-A. auslösbar.
d) K. A., 10 Jahre. Trommelfell rechts getrübt, links eingezogen, matt.
Keine Hörreste, kein Cochleopalpebralreflex. Kein Spontannystagmus. Bei Augen¬
schluß geringe Gleichgewichtsstörungen. — Kalorische Reaktion: Rechts bei
Spülung mit 5 cm 3 nach 12 Sek. Latenzzeit Nystagmus II. bis I. Gradts 70 Sek.
lang. Bei Spülung mit 5 cm 3 links nach 30 Sek. Latenzzeit Nystagmusdauer
50 Sek. unregelmäßig. Rotation: Nach RechUdrehung Sek. langer, nach
Linksdrehung 18 Sek. langer Nachnvstagmus. — Galvanische Reaktion:
Kathode rechts 3 M.-A., Kathode links 2 M.-A.
-) Die Krankengeschichte der Fälle entnahmen wir der Arbeit von Alexander
und Fischer (E“S, 1920/21).
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440
Th. D. D6ni6triades und Ph. M a y e r.
e) E. S., 13 Jahre. Trommelfelle normal. — Kalorische Reaktion: Rechts
nach 5 cm* Konvergenzkrampf, nach 60 Sek. Verstärkung des bestehenden Spontan¬
nystagmus. Links nach 60 cra* einige Zuckungen. — Rotation: Bei Drehung starke
Fallreaktion, nur ganz geringer Nystagmus nach beiden Seiten 5 bis 7 Sek. lang. —
Galvanische Reaktion: Beiderseits bei 4 M.-A. auslösbar.
6. Luetische Innenohrerkrankungen. Alle diese
Fälle mit Ausnahme eines einzigen, der sich als tibererregbar erwies,
waren untererregbar. Wir fanden bei 5 cm 8 13gradigen Wassers
nach 50 bis 80 Sek. Latenzzeit entweder nur einige Nystagmus¬
zuckungen oder überhaupt keine Reaktion. Die Reaktion trat erst
ein, wenn wir größere Mengen Wassers, und zwar bis 200 cm 3 ver¬
wendeten, also die Massen sptilung an wandten. Aber auch dann war
die Latenzzeit meist verlängert (40 bis 60 Sek.) und die Nystagmus¬
dauer verkürzt (40 bis 60 Sek., nur in einem einzigen Falle 130 Sek.).
Schwindel, Fallreaktion und Vorbeizeigen trat in der Regel nicht auf.
Was die Beziehungen der kalorischen Probe nach Kobrak
zur Drehreaktion betrifft, so ließ sich ein gesetzmäßiges Verhalten
diesbezüglich nicht feststellen; wir fanden in Fällen, in denen die
Drehreaktion annähernd normale Verhältnisse ergab, bei Verwendung
der Kobrak sehen Methode bald geringe Untererregbarkeit, bald
deutliche Übererregbarkeit. In Fällen, in denen die Drehreaktion
eine geringe Untererregbarkeit ergab, konnten wir mit der Kobrak-
schen Methode eine hochgradige Untererregbarkeit konstatieren. Doch
möchten wir aus unseren Fällen noch kein abschließendes Urteil
fällen, da die Zahl der untersuchten Patienten eine zu geringe ist.
7. Organische Erkrankungen des Zentralnerven¬
systems. Hierher gehören 4 Fälle:
o) 1. XII. 1921. J. F., 32 Jahre, Schreiber. Im Juli 1021 nach Genuß von
verdorbenen Konserven (nach Angabe des Patienten) einige Tage lang Übelkeit
und Abführen, im September nach neuerlichem Genuß dieser Konserven Übelkeit,
Schweißausbruch auf der Stirn, Schwindelgefühl (Schwanken des Körpers), Er¬
brechen, Druckgefühl im Hinterhaupt; oft Geräusche (Rauschen) im rechte^ Ohr.
Sonst immer Ohr gesund gewesen. Familienamnese belanglos. Ohrbefund: Trommel¬
fell beiderseits annähernd normal, v; r. und 1. -f-12 m. Stimmgabelbefund normal.
Kein Spontannystagmus. Kalorische Reaktion: Links typisch, rechts unerregbar
auf 20 cm3 13gradigen Wassers. Beim Gehen mit offenen und geschlossenen
Augen Abweichen etwas nach rechts, Romberg inkonstant, Fallen in der Regel
nach rechts hinten, manchmal nach links hinten. Nasenfingerversuch, wie auch
Kniehackenversuch normal, keine Adiadochokinese. Zeigeversuch normal. Beim
Drehen nach rechts Nystagmus nach links, beim Linksdrehen kein Nystagmus.
Schwindelgefühl beim Rechtsdrehen stärker als beim Linksdrehen. — Augen¬
fundus normal. — Interner und neurologischer Befund: Pulmo, Cor, Abdomen
normal. Pupillarreflex normal. Gaumenreflex fehlt, B.-D.-R. nicht auslösbar, die
motorische Kraft des rechten Armes und rechten Beines herabgesetzt. Muskel-
und Sehnenreflexe gesteigert. Keine An- oder Hyperästhesie. Beim Romberg fällt
Pat. nach der rechten Seite.
2. XII. Rechts kalorisch unerregbar.
11. XII. Kalorische Reaktion links positiv, rechts nach 10 cm3 lögradigen
Wassers 3 Schläge nach links. Beim Rechtsdrehen 15 Sek. langer grobschlägiger
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Kalorische Labyrinth}ȟfung mit Minimalreizen.
441
XachnystagmuB nach links, beim Linksdrehen 2 bis 8 Schläge nach rechts; kein
Schwindel, Kein Romberg, beim Gehen mit offenen und geschlossenen Augen
kein Abweichen. Pat. gibt an, außer dem Ohrensausen rechts keinerlei Be¬
schwerden mehr zu haben. — Wassermann negativ. — Galvanische Reaktion:
Kathode links normal, Kathode rechts bei 12 M.-A. kein Nystagmus.
30. XII. Kalorische Reaktion: Links normal, rechts nach 20 cm 3 logradigen
Wassers 5 bis 6 Schläge nach links. Nach Linksdrehen 3 bis 4 Schläge nach
rechts. Bei 12 M.-A. einige Zuckungen bei Kathode rechts.
18. 1. 1922. Keine subjektiven Geräusche mehr. Weitere Untersuchungen
unmöglich.
Dieser Fall besitzt diagnostisch ein gewisses Interesse insofern,
als man zunächst in Anbetracht der isolierten Vestibulariserkrankung
an eine Neuritis nervi vestib. wahrscheinlich infolge von Speisenver¬
giftung hätte denken müssen, wie solche Fälle von L e i d 1 e r,
Fischer u. a. beschrieben worden sind. Die nähere neurologische
Untersuchung ergab aber Anhaltspunkte für das Bestehen einer
multiplen Sklerose (Paresen, Steigerung der Reflexe, Fehlen
des B.-D.-R.), so daß man diesen Fall in die Reihe jener Fälle ein-
fügen muß, bei denen 0. Beck die passagcre Ausschaltung des
Nervus octavus beschrieben hat, zumal in unserem Falle bei der
weiteren Beobachtung die Erregbarkeit des rechten Labyrinthes
allmählich wiederkehrte. Auffallend ist allerdings in diesem Falle
die vollkommene Intaktheit des Kochlearis.
b) L. B., 65 Jahre, Straßenbahnbeamter. 1906 Schwindelanfälle mit Brech¬
reiz, die sich 1909 in erhöhtem Maße und besonders nach lauten Schalleinwirkungen
und Lärm wiederholten. Diese Anlälle traten im Februar 1921, zuletzt im
November 1921 abermals auf. Pat. beschreibt sie folgendermaßen: zuerst heftiges
Ohrensausen links, dann Druckgefühl in beiden Augen, Drehschwindel, nachher
Erbrechen; Pat. mußte zu Bett gebracht werden.— Ohrbefund: Trommelfell beider¬
seits eingezogen. W: nach r., R: r. -j-, 1. —. S: beiderseits etwas verlängert. C: links
etwas verkürzt, c 4 beiderseits ein wenig, doch links stärker verkürzt. — Kein
Spontannystagmus. — Neurologischer Befund normal. — Röntgenbefund: ver¬
tiefte Impre.-siones digitatae.
Kalorische Reaktion: 11/f. Lii ks nach 5 cm* keine Reaktion, bei 10cm 3
(Latenzzeit 20 Sek.) Nystagmnsdauer 6<> Sek. Rechts dasselbe.
14. 1. Links: bei 5 cm 3 Latenzzeit 60 Sek., Nystagmusdauer 20 Sek. Rechts:
bei 5 cm 3 Latenzzeit 30 Sek., Nystagmusdauer 60 Sek.
26. I. Links: bei 10 cm 8 keine Reaktion.
25. II. Links: bei 2 cm 3 Latenzzeit 20 Sek., Nvstagmusdauer 60 Sek.; bei
2 cm* Latenzzeit 30 Sek., Nystagmusdauer 90 Sek. II. Grades. — Drehreaktion
beiderseits; normal. Wassermann negativ.
Die Diagnose in diesem merkwürdigen Falle kann mit Sicher¬
heit nicht gestellt werden. Der Röntgenbefund legt den Gedanken
nabe, daß es sich hier um einen drucksteigernden Prozeß im Schüdel-
innern handelt. Aus dem anfallsweisen Auftreten von Drehschwindel
(solch ein Anfall wurde allerdings nicht beobachtet) ergibt sich die
Möglichkeit, daß es sich hier um eine Meningitis serös a
(Pseudotumor nach Nonne) handeln könnte.
e) F. W., 18 Jahre. (19 I. 1922.) Als Kind Fraisen, 1920 Grippe gehabt.
Seit einem Jahr bemerkt Pat. die Klauenstellung der rechten Hand. Während
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442
Th. JD. D e m c* t r i a d e s und Ph. M a v c r.
der Grippe oft Drehtchwindel gehabt, seither auch Heiserkeit, Fehlschlucken
(letzteres bestand in geringerem Grade schon vor der Grippe). — Ohrbefund:
Trommelfell beiderseits normal. Kochlearis normal. Rotatorischer, frequenter,
grobschlägiger Spontannystagmus 111. Grades nach rechts (Drehschirm: Keine
Inversion des „optischen“ Nystagmus). Labyrinth beiderseits kalorisch und am
Drehstuhl erregbar. Kein Romberg, keine Koordinationsstörungen. — Rechts¬
seitige Rekurrenslähmung, Sensibilität der rechten Kehlkopfhälite herab¬
gesetzt. Fibrilläre Zuckungen der rechten Zungenhälfte. — Spastische Kontraktur
der rechteu Finger. — Kalorische Reaktion: Bei Spülung des rechten Ohres mit
20 ctn* lSgradigen Wassers nach 30 Sek. Latenzzeit Aufhebung des Spontan¬
nystagmus. Nach Spülung des linken Ohres mit 5 cm* lögradigen Wassers ver¬
wandelt sich der rotatierende Spontannystagmus 111. Grades in horizonial-rota-
tierenden Nystagmus 1. Grades. Kein Schwindel.
Es handelt sich in diesem Falle um eine typische Syringo-
b u 1 b i e mit Spaltbildung in der rechten Hälfte der Medulla
oblongata. Bemerkenswert ist dieser Fall vor allem aus zwei Gründen:
Erstlich zeigt er sehr gut das zuerst von Brunner beschriebene
Syndrom von der Rekurrenslähmung und Nystagmus nach der Seite
der Rekurrenslähmung, das für Erkrankungen in der dorsolatoralen
Ecke der Medulla oblongata (mit Ausnahme von multipler Sklerose)
charakteristisch ist. Auch in diesem Falle wurden sowohl die
Rekurrenslähmung, als auch der Nystagmus, wie man das gewöhnlich
beobachtet, zufällig entdeckt. Zweitens zeigt dieser Fall, daß die Ent¬
scheidung bezüglich der Erregbarkeit des Labyrinthes in Fällen
von Syringobulbie mit Spontannystagmus III. Grades durch die
K o b r a k sehe Methode gefällt werden kann, was gegenüber anderen
Untersuchungen mit Massenspülung (O. B e c k) hervorgehoben sei.
Ein vierter Fall wurde uns unter der Diagnose Akustikustumor
rechts (?) zugewiesen. Die Trommelfelle waren in diesem Falle normal,
rechts bestand eine komplette Kochlearis- und Vestibularisausschaltung.
Vom linken Ohre aus konnte mit 5 cm 3 Wasser typischer Nystagmus
ausgelöst werden, obwohl ein horizontaler Spontannystagmus I. Grades
nach rechts bestand.
Aus der vorangegangenen Darstellung ergibt sich somit, daß die
Kobraksehe Methode in der von uns geübten Form tatsächlich
eine für klinische Zwecke außerordentlich wertvolle Untersuchungs¬
methode darstellt. Immerhin müssen wir aber auf Grund
unserer Untersuchungen sagen, daß in manchen
Fällen, insbesondere bei Erkrankungen des
Innenohres luetischer oder niehtluetischer Natur
die Massen Spülung ein positives Resultat ergab,
während die Reizung mit Minimalreizen versagte.
Damit wollen wir natürlich die von Kobrak gefundene „Dämpfung“
des Nystagmus durch Massenspülung durchaus nicht in Abrede
stellen. Trotzdem muß jedoch behauptet werden, daß bei Er¬
krankungen des Labyrinthes die Vermehrung
des Spülwassers als stärkerer Reiz wirkt.
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Kalorische Labyrinthprüfung mit Minima heizen.
443
Bei Verwendung- von 5 cm 3 13 bis lögradigen Wasser fanden
wir bei Normalen eine durchschnittliche Latenzzeit von 15 bis 30 Sek.
und eine durchschnittliche Nystagmusdauer von 60 bis 120 Sek.
• II. bis I. Grades. Grahe fand bei Verwendung von 5 cm 3 27gradigen
Wassers eine Latenzzeit von 10 bis 30 Sek. und eine Nystagmus-
dauer von 60 bis 200 Sek. Daraus ergibt sich, daß der Temperatur¬
unterschied von zirka 12° in der Latenzzeit keinen wesentlichen
Unterschied hervorbringt. Hingegen muß es auffallen, daß die
Nystagmusdauer bei Verwendung von 27° eine durchschnittlich
längere ist als bei Verwendung von 16°. Wir möchten jedoch
aus dieser Differenz keine weiteren Schlüsse ziehen, sondern die
Differenz in der Nystagmusdauer auf Verschiedenheiten in der
Beobachtung zurückfuhren und dies um so mehr, da ja bekanntlich
die Feststellung des Nystagmusendes eine sehr schwierige ist.
Bei der Massenspülung dauert die Latenzzeit nach Bäräny
45 bis 90 Sek., während die Nystagmusdauer nach den Untersuchungen
von Bärany, Kiproff u. a. 115 bis 180 Sek. beträgt. Aus einem
Vergleich mit den nach der Kobrak sehen Methode gewonnenen
Zahlen ergibt sich also, daß sowohl für die Latenzzeit, als auch für
die NystagmuBdauer die Mindestzahlen bei der Massenspülung
wesentlich in die Höhe gerückt erscheinen.
Was die Latenzzeit bei der Kobrakscben Methode betrifft,
so unterliegt sie bei Erkrankungen des Ohres gewissen Schwankungen.
Am schnellsten erscheint der Nystagmus bei chronischen Eiterungen
(2 bis 10 Sek.), dann kommen die Radikaloperationen (5 bis 90 Sek.,
je nach dem Zustande des Innenohres), dann kommen die Normalen
und die chronisch katarrhischen Veränderungen im Mittelohr (15 bis
30 Sek.), dann die akuten Eiterungen des Mittelohres (15 bis 40 Sek.),
dann die Myringitiden (35 bis 50 Sek.), die Innenohrerkrankungen
(40 bis 120 Sek.) und schließlich die Hindernisse im äußeren Ohre.
Vergleicht man diese Reihenfolge mit den diesbezüglichen
Ergebnissen bei der Massenspülung, so ergeben sich einige Unter¬
schiede. So fand Kiproff, daß bei der Massenspülung der Nystagmus
am raschesten erscheint bei der totalen Destruktion des Trommelfelles
mit Epidermisierung der Labyrinthwand und bei Radikaloperationen,
dann kommen die Normalen, dann die akuten Eiterungen und die
Externa. Was speziell die akute Mittelohreiterung betriflt, so fand
O. Beck, daß mit dem Grade der Mittelohrentzündung die Latenzzeit
stetig 1 abnimmt. Daraus schließen Beck und Kiproff, daß die
Latenzzeit „höchstwahrscheinlich fast ausschließlich von anatomischen,
extralabyrinthären Verhältnissen“ abhängig ist. Unsere Untersuchun¬
gen bei Radikaloperierten zeigen, daß die Latenzzeit durchaus nicht
allein von extralabyrinthären, sondern auch von intralabyrinthären
Verhältnissen abhängig ist, was mit den Untersuchungen von
Zalewsky Ubereinstimmt. Daraus ergibt sich, daß wir in der
Monataaohrift f. Ohratiheilk. u. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 30
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444 Th. D. D6m6triades und Pb. Mayer.
Latenzzeit einen wichtigen Indikator für die Erregbarkeitsverhält-
nisse im Labyrinthe besitzen.
Damit soll natürlich durchaus nicht gesagt Bein, daß extra-
labyrinthäre Hindernisse nicht auch für die Länge der Latenzzeit
von Belang sind. Wir möchten drei hierher gehörige Fälle kurz
erwähnen. Im ersten Falle bestand eine Otitis externa mit sehr
starker Verengung des Gehörganges. Die kalorische Prüfung ergab:
50 cm 3 — 30 O 90. In einem zweiten Falle bestand eine linksseitige
totale Atresie des äußeren Gehörganges nach Radikaloperation; in
diesem Falle fanden wir mit 60 cm 3 Wasser nach einer Latenzzeit
von 40 Sek. eine Aufhebung des Spontannystagmus nach rechts,
dann einige Zuckungen zur kontralateralen Seite. Im dritten Falle
bestand ebenfalls eine Atresie auf der linken Seite nach Radikal¬
operation; wir fanden bei 60 cm 3 Wasser nach einer Latenzzeit von
80 Sek. einen Nystagmus in Mittelstellung der Augen, der zirka
30 Sek. andauerte.
Wir möchten gerade auf diese Fälle besonderes Gewicht
legen, und zwar deshalb, weil sie zeigen, daß man mit der
Eobrakschen Methode selbst in Fällen, die man
v i e 1 f a c h a 1 s r e f r a k t ä r gegenüber der kalorischen
Reaktion bezeichnet hat, bei richtiger Hand¬
habung der Methode positive Resultate erzielen
kann. Wir haben überhaupt bis jetzt nur in einem einzigen Falle
mit der kalorischen Prüfung wegen extralahyrinthärer Hindernisse
kein Resultat erzielt; es handelte sich hier um eine kongenitale
Atresie des OhreB in einem Falle, der überdies an einer multiplen
Sklerose litt.
Was die Nystagmusdauer betrifft, so hat schon G r a h e mit
Recht hervorgehoben, daß hier die Schwankungen auch bei Normalen
ziemlich bedeutende sind. Hierzu möchten wir uns nur die Bemerkung
erlauben, daß wir bei Normalen trotz der Schwankungen in der
Nystagmusdauer, die allerdings bei unseren Fällen nicht so groß
waren wie hei den von Grate untersuchten Personen, doch
bei Verwendung von 5 cm 3 13gradigen Wassers Nystagmus bei
Blick nach der ausgespritzten Seite (Nystagmus III. Grades)
beobachten konnten. Hingegen konnten wir Nystagmus auch
in dieser Augenstellung bei chronischen Eiterungen, bei Radikal¬
operierten, einem Teil der Innenohrerkrankungen feststellen. Da in
diesen Fällen gleichzeitig der Nystagmus länger dauerte als bei
unseren normalen Versuchspersonen (120 bis 180 Sek. oder noch
länger) und überdies in einigen von diesen Fällen Schwindel, Brech¬
reiz usw. auftraten, was wir bei Normalen nie beobachten konnten,
so halten wir uns berechtigt, zu behaupten, daß in diesen Fällen der
Reizeffekt ein größerer war, alB bei normalen Personen. Damit
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Kalorische Labyrinthprüfung mit Minimulreizen.
445
kommen wir auf die Frage za sprechen, ob es darch die kalorische
Reaktion nach Kobrak möglich ist, die Frage der Übererregbarkeit
eines Labyrinthes zu lösen.
Diesbezüglich muß zunächst festgestellt werden, daß alle
Methoden zur Beantwortung dieser Frage, die auf subjektive An¬
gaben der Patienten oder auf Reaktionen, die vom Willen leicht
beeinflußbar sind (Fallreaktion), basieren, praktisch nicht mit abso¬
luter Sicherheit zu verwerten sind. Es kann sich daher die
quantitative Prüfung des Labyrinthes nur auf den Nystagmus Btützen.
Was nun speziell die kalorische Reaktion betrifft, so finden
wir hier vor allem drei Faktoren, die in ihrem Ausmaße variieren
können. Das ist erstens die verbrauchte Menge des Spülwassers,
zweitens die Latenzzeit, drittens die Nystagmusdauer.
Die Spüldauer wurde vor allem von Brünings zur quantitativen
Prüfung des Labyrinthes verwendet. Wir können, wie schon erwähnt,
die Beobachtungen von Brünings insofern bestätigen, als auch
wir fanden, daß bei untererregbaren Labyrinthen eine größere Menge
von Spülwasser tatsächlich intensiver wirkt, als eine kleinere. Damit
ergibt sich aus der Brüning sehen Methode tatsächlich ein aus¬
gezeichnetes Mittel, um die Untererregbarkeit eines Labyrinthes zu
messen. Für die Feststellung der Übererregbarkeit taugt sie aber
nicht, da wir ja bereits mit 2 cm 3 l&gradigen Wassers bei Normalen
Nystagmus auslösen können. (Griessmann will sogar durch kalte
Kompressen, die er auf den Hals legt, Nystagmus ausgelöst haben.
Wir haben diese Untersuchung nicht nachgeprüft). Es bleibt somit
für die praktische Diagnose der Übererregbarkeit des Labyrinthes
nur die Latenzzeit und die Nystagmusdauer (inklusive Intensität des
Nystagmus) übrig. Wir konnten oben zeigen, daß die Latenzzeit,
abgesehen von extralabyrinthären Faktoren, von intralabyrinthären
Verhältnissen abhängt. Unter diesen intralabyrinthären Verhältnissen
verstehen wir erstens die Empfindlichkeit der peripheren Nerven¬
endigung gegenüber dem Reize, zweitens die Schnelligkeit, mit
welcher der Nerv den Reiz dem Zentralorgan zuführt. Dagegen
machen wir in Übereinstimmung mit B&räny, Kiproff, Beck
n. a. die Nystagmusdauer abhängig von Vorgängen im Zentral¬
nervensystem. Demnach verschafft uns die Latenzzeit
Einblick in die E r r e g b a r k e i t s v e r h ä 11 n i s s e des
peripheren Sinnesorgans bzw. des peripheren
Nerven, die Nystagmusdauer in die Empfindlich¬
keitsverhältnisse des Zentralnervensystems.
Bis jetzt haben wir gefunden, daß einer verkürzten Latenzzeit
eine normale oder verlängerte Nystagmusdauer, einer verlängerten
Latenzzeit eine verkürzte Nystagmusdauer entspricht; was nach
dem oben gesagten so viel bedeutet, daß die Übererregbarkeit des
peripheren Sinnesorgans stets mit einer Überempfindlichkeit oder
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446
Th. D. D 6 in e t r i a de s und Ph. M a y e r.
•
normalen Empfindlichkeit des Zentralnervensystems einhergeht, eine
Untererregbarkeit des peripheren Sinnesorgans mit einer Unter¬
empfindlichkeit des Zentralnervensystems. Demnach müßte man vom
klinischen Standpunkte aus die Verbindung von verkürzter Latenzzeit
und verlängerter Nystagmusdauer als Übererregbarkeit definieren.
Dieser Auffassung steht jedoch die eine Tatsache im Wege, daß
diesbezüglich die Verhältnisse bei Normalen allzu schwankende
sind. Hingegen darf man jedoch nicht vergessen, daß der gleiche
Einwand natürlich auch für die Diagnose der Untererregbarkeit
gelten muß. In diesem letzten Falle hilft man sich jedoch gewöhnlich
in der Weise, daß man nur bei ganz auffälligen Abweichungen von
der Norm (einige wenige NystagmuszuckuDgen bei der kalorischen
Prüfung) die Diagnose Untererregbarkeit macht. Diese Auffälligen
Abweichungen von der Norm finden sich aber auch im Sinne der
Übererregbarkeit, wenn man an den langandauernden Nystagmus
bei Kleinhirntumoren, Nystagmusklonus (Neumann) denkt, der
auch bei Syringobulbie (Brunner), sowie bei organisch nerven¬
gesunden Menschen als Dauernystagmus Vorkommen kann. Da wir
in diesen Fällen das charakteristische Zusammentreffen von deutlich
verkürzter Latenzzeit und deutlich verlängerter Nystagmusdauer
finden, so wären wir zunächst berechtigt, nur in diesen Fällen von
einer Übererregbarkeit zu sprechen.
Wenn also sonach die Übererregbarkeit, wie die Untererregbar¬
keit des Labyrinthes in ihren extremen Graden klinisch gut
charakterisiert erscheinen, so unterscheiden sich diese beiden Ab¬
weichungen von der normalen Erregbarkeit doch wesentlich dadurch
voneinander, daß der Untererregbarkeit in der Regel eine anatomisch
nachweisbare Ursache zugrunde liegt, während dies für die Über¬
erregbarkeit nicht gilt, wir sogar nicht einmal imstande sind, uns
irgendeiner morphologischen Veränderung im Labyrinth oder im
Nervensystem vorzustellen, der eine Steigerung der physiologischen
Erregbarkeit hervorrufen könnte. Dieser Mangel der anatomischen
Grundlage macht sich noch mehr bemerkbar bei der Diagnose der
leichten Grade der Übererregbarkeit. Es bedeutet daher die
Diagnose der Übererregbarkeit immer nur eine funktionelle
Diagnose, während die Untererregbarkeit stets auf einer anatomischen
Basis beruht. Nun liefert aber die Physiologie des Labyrinthes nicht
so exakte und einheitliche Daten wie die Anatomie, woraus folgt, daß
die Diagnose der Übererregbarkeit stets eine ungenaue bleiben muß.
Die K o b r a k sehe Methode scheint nun hier von einigem
Nutzen zu sein. Und zwar scheint uns nach unseren Untersuchungen
die Latenzzeit des kalorischen Nystagmus von wesentlicherer Be¬
deutung zu sein als die Nystagmusdauer, die, wie schon erwähnt,
vorwiegend von zentralen und zum größten Teil unbekannten Ver¬
hältnissen abhängig ist und daher quantitativ sehr bedeutende
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Kalorische Labyrinthprüf ung mit Minimulreizen.
447
Schwankungen zeigt, wie dies ja auch Grahe hervorgehoben hat.
Hingegen wird die Latenzzeit bei der Kobrakschen Methode nach
Gr ah es sowie unseren Untersuchungen wohl niemals unter 10 Sek.
heruntersinken. Ist dies jedoch der Fall, dann glauben wir mit Recht
eine Übererregbarkeit des Labyrinthes konstatieren zu dürfen. Wie
schon erwähnt, verbindet sich dann mit dieser verkürzten Latenzzeit
sehr häufig auch eine verlängerte Nystagmusdauer, die aber erstlich
klinisch viel schwerer festzustellen ist, als eine verkürzte Latenzzeit
(wir sehen dabei ab von dem Auftreten eines Dauernystagmus) und
die besonders in ihren oberen Grenzen zu variabel ist. Die Nystagmus¬
dauer glauben wir hingegen besser für die Diagnose der Unter¬
erregbarkeit verwerten zu können, und zwar deshalb, weil die
Latenzzeit, umgekehrt wie die Nystagmusdauer, in ihren Höchst¬
zahlen sehr variabel erscheint. Zusammenfassend ergibt sich also,
daß wir uns bei der Diagnose der leichteren
Grade von Übererregbarkeit in erster Linie auf
die Verkürzung der Latenzzeit (unter 10 Sek.,
abgesehen von den Fällen, in denen das Trommel¬
fell fehlt), bei der Diagnose der höheren Grade
auf die verkürzte Latenzzeit und die deutlich
verlängerte Nystagmusdauer, bei der Diagnose
der leichteren Grade von Untererregbarkeit auf
die verkürzte NystagmuBdauer (unter 50 Sek., ab¬
gesehen von den Fällen, in denen ein Hindernis
im äußeren Gehörgang besteht), bei der Diagnose
der höheren Grade der Untererregbarkeit auf
die verlängerte Latenzzeit und die verkürzte
Nystagmusdauer stützen.
Eine weitere Charakteristik empfangen die leichten Grade
von Übererregbarkeit des Labyrinthes durch das Auftreten von
Schwindel, Fallneigung und Vorheizeigen bei Verwendung von 5 cm 5
13 bis lögradigen Wassers. Bekanntlich hat Grahe bei seinen
Nachprüfungen der Kobrakschen Methode stets auch Fallneigung
und Vorbeizeigen konstatieren können. Demgegenüber müssen wir
behaupten, daß wir nur in ungefähr 15% der Fälle Vorbeizeigen und
Fallreaktion bekommen haben. Das Vorbeizeigen erfolgt in der Regel
nur auf der ausgespritzten Seite, wie dies auch Gütlich beobachten
konnte, nur in einem Fall (Hysterie ?) sahen wir Vorbeizeigen mit
beiden Extremitäten nach außen. Stets traten Fallreaktion und
Vorbeizeigen in Gemeinschaft mit Schwindel auf, doch konnten wir
nicht in allen Fällen, in denen Schwindel angegeben wurde, Fall¬
reaktion und Vorbeizeigen konstatieren. Der Schwindel wurde nur
in einigen Fällen spontan als Drehschwindel angegeben, in der
Mehrzahl der Fälle jedoch klagten die Patienten nur über ein un¬
bestimmtes Gefühl der Unsicherheit, worin wir wieder einen Beweis
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448
Th. D. D6mätriades und Ph. Maye r.
für die Anschauung erblicken, daß der Drehschwindel nor bei
intensiveren Labyrinthreizen auftritt (L e i d 1 e r, Brunner).
Unsere diesbezüglichen Untersuchungsergebnisse stehen also in
einem gewissen Gegensatz zu den Ergebnissen G r a h e s. Wir
möchten uns diesen Gegensatz aus den verschiedenen Versuchs¬
anordnungen erklären. G r a h e gibt an, daß er zur Prüfung des
Körpergleichgewichtes die Patientin auf den Sesselrand sich setzen
und dann mit geschlossenen Augen und mit geschlossenen Beinen
sich erheben ließ. Wir konnten uns überzeugen, daß ohr- und
nervengesunde Menschen auch ohne Labyrinthreizung bei dieser
Versuchsanordnung schwanken. Wir haben daher die Versuchs¬
anordnung von G r a h e nicht wiederholt, sondern haben die Patienten
sich erheben und dann in Rombergstellung sich aufstellen lassen.
Bei der Anstellung des Zeigeversuches, den wir nur im Schulter¬
gelenk prüften, sind wir so vorgegangen, daß wir den Patienten
vor der Spülung Uber den Versuch orientierten und nach der
Spülung sofort bei geschlossenen Augen zeigen ließen. Auch diese
Methode unterscheidet sich von der von G r a h e geübten.
Mit diesen Untersuchungsmethoden konnten wir entweder
Schwindel allein, oder Schwindel, Fallreaktion und Vorbeizeigen in
zirka der Hälfte der Fälle von chronischer Eiterung und zirka der
Hälfte der radikaloperierten, in 4 Fällen von 18 Innenohraffektionen
und in einem von 10 luetischen Innenohraffektionen feststellen. In
der weitaus größeren Zahl der untersuchten Fälle fehlte also
Schwindel, Fallreaktion und Zeigereaktion.
Weiter haben wir uns noch die Frage vorgelegt, oh die Än¬
derung des kalorischen Nystagmus durch Kopfstellung, wie sieBAr&ny
bei der MassenBpülung gefunden hat, auch hei der durch die
Kobraksche Methode ausgelösten Reaktion festzustellen ist.
Bäränv fand bekanntlich, daß man z. B. einen horiz.-rotat. Nystag¬
mus nach links durch Neigung des Kopfes auf die linke Schulter
in einen rein horizontalen nach rechts, bei Neigung des Kopfes
gegen die rechte Schulter in einen rein horizontalen nach links, bei
Neigung des Kopfes nach vorn in einem rotatorischen nach links
umwandeln kann.
Wir haben vor allem die Veränderungen des kalorischen. Nystag¬
mus durch Neigung des Kopfes, nach beiden Schultern untersucht
und gefunden, daß z. B. ein experimenteller horiz-rotat. Nystagmus
nach links in zirka 50% der Fälle durch Kopfneigung zur rechten
Schulter in einen horiz. Nystagmus nach links umgewandelt werden
kann. Sehr Belten jedoch konnten wir mit Sicherheit eine Veränderung
des horiz.-rotat. Nystagmus nach links durch Kopfneigung auf die
linke Schulter in einen horiz. Nystagmus nach rechts beobachten.
Es stehen also unsere Untersuchungen in einem gewissen Gegen¬
satz zu den Untersuchungen von Hofer, der bei Anwendung der
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Kalorische Labyrinthprüfung mit Minimalreizen.
449
Massenspülung in fast allen Fällen den Einfloß der Kopfneigung
zur ausgespritzten Seite auf den Nystagmus und einer großen Zahl der
Fälle (zirka 90°/o) den Einfluß der Kopfneigung zur nichtausge-
spritzten Seite beobachten konnte. Ob dieser Unterschied in den
Ergebnissen mit den Unterschieden zwischen Minimalreizung und
Massenspülung znsammenhängt, können wir nicht entscheiden.
Die Heißwasserspülung (40 bis 45°) haben wir nur selten ans*
geführt, da wir für diagnostische Zwecke in der Kegel mit Kalt-
wasserspülung auskamen. Wir wollen nur bemerken, daß die Heiß-
wasserspülung mit geringen Mengen Wassers nicht so sichere
Resultate gibt wie die Kaltwasserspülung. Vertikalen Nystagmus
haben wir bei der Heißwasserspülung nie gesehen. Als Beispiel für
die Heißwasserspülung diene folgender Fall:
P. H. Otit. med. simpl. bilat. Horiz.-rotat. Spontannystagmus nach rechts.
Kaltspfilung: Hechts 5cm* — 45 O einige Zuckungen; links 20 cm» — 45 O
90 Sek. IL bis L Grades mit geringem SchwindeL H ei fiep tt lang: Hechts 5 cm*
45 gradiges Wasser: negativ; bei 10 cm* nach 60 Sek. einige Zuckungen (un¬
deutlich). Links: 60 cm* 480 — 60 Sek. O 30 Sek.
Zusammenfassung.
1. Der Versuch der Dauerkompression ergibt nur selten ein
verwertbares Resultat, ist daher klinisch von untergeordneter Be¬
deutung.
2. Für den klinischen Gebrauch ist es vorteilhaft, stets Wasser
von derselben Temperatur zu benutzen. Die K o b r a k sehe Methode
gestattet es, in allen Fällen Wasser von 13° bis 15° zu verwenden,
das bei der Massenspülung wegen der heftigen subjektiven Be¬
schwerden deB Patienten nicht verwendet werden kann.
3. Die Brüning s’sche Optimumstellung des Kopfes ist auch
bei der K o b r a k sehen Methode mit Vorteil anzuwenden.
4. Die Heißwasserspülung ergibt unsichere Resultate und ist
für die Diagnose überflüssig.
&. Bei Normalen und bei Verwendung von 5 cm 3 13 bis
15 gradigen Wassers beträgt die Latenzzeit 15 bis 30 Sek., die
Nystagmusdauer 60 bis 120 Sek.
6. Schwindel, Vorbeizeigen und Fallreaktion treten bei dieser
Methode nicht auf.
7. In Fällen von chronischer Mittelohreiterung ist die Latenzzeit
meist verkürzt, die Nystagmusdauer in der Mehrzahl der Fälle normal.
8. Fälle von Erkrankungen des Innenohres können bei der
K o b r a k sehen Methode versagen, auf Massenspülung aber reagieren.
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450
Th. D. D 6 m 6 1 r i a d e s und Ph. Mayer. Labyrinthprüfung.
9. Die Daaer der Latenzzeit ist abhängig von extra- und
intralabyrinthären Verhältnissen.
10. Fälle mit extralabyrinthären Hindernissen sogar Falle von
hochgradiger Atresie reagieren bei Verwendung der Kobrak sehen
Untersuchungsmethode.
11. Die Dauer der Latenzzeit ist abhängig von den Erreg¬
barkeitsverhältnissen des peripheren Sinnesorgans bzw. des peripheren
Nerven, die Nystagmusdauer von den Empfindlichkeitsverhältnissen
des Zentralnervensystems.
12. Die Übererregbarkeit des peripheren Sinnesorgans ist
gewöhnlich mit einer Überempfindlichkeit oder normalen Empfind¬
lichkeit des Zentralnervensystems, die Untererregbarkeit des peri¬
pheren Sinnesorgans mit einer Unterempfindlichkeit des Zentral¬
nervensystems verbunden.
13. Die labyrinthäre Übererregbarkeit leichteren Grades ist
charakterisiert durch eine Verkürzung der Latenzzeit (unter 10 Sek.)
und das Auftreten von Schwindel, Fallreaktion und Vorbeizeigen,
die labyrinthäre Überereregbarkeit höheren Grades durch die ver¬
kürzte Latenzzeit und die deutlich verlängerte Nystagmusdauer, die
labyrinthäre Untererregbarkeit leichteren Grades durch die ver¬
kürzte Nystagmusdauer (unter 50 Sek.), die labyrinthäre Unter¬
erregbarkeit höheren Grades durch die verkürzte Nystagmusdauer
und die deutlich verlängerte Latenzzeit.
14. Durch Kopfneigung zur Schulter der ausgespritzten Seite
ließ sich der kalorische horiz.-rotat. Nystagmus nur in 50°/ 0 der
Fälle in einen horizontalen umwandeln. Eine Umkehr in der Schlag¬
richtung des kalorischen Nystagmus ließ sich nur selten mit Sicher¬
heit konstatieren.
Literatur: Alexander G.: Die Ohrenkrankheiten im Kindesalter.
Leipzig 1912. *— Barany: Untersuchungen über den vom Vestibularapparat des
Ohres reflektorisch ausgelöstenrythmischen Nystagmus und seine Begleiterscheinungen
Berlin 1906. — Beck 0.: Quantitative Messung des kalorischen Nystagmus und
Verlauf akuter Mittelohrentzündungen. Passow - Sehäffer. Bd. 2, 1909, S. 190. —
Brunner H.: Die klinischen Untersuchungsmethoden des Vorhofbogengang¬
apparates. Handbuch der Neurologie des Ohres. (Im Erscheinen.) Urban &
Schwarzenberg, Wien. — Grahe: Beiträge zur kalorischen Auslösung des Vesti¬
bulär ny stagmus. Passow-Schäffer. 1920. Bd. 15. S. 167. — Kiproff: Quanti¬
tative Prüfung des kalorischen Nystagmus bei Labyrinthgesunden. Passow-Sch äff er.
Bd. 2. 1909, S. 129. — Kobrak; Beitrag zur Lehre von den statischen Funk¬
tionen des menschlichen Körpers. Berlin 1922, Karger. -— Ders.: Zur Physiologie,
Pathologie und Klinik des vestibulären Nystagmus. Passow - Schaffer. 1918,
H. 4—6. — Zalewsky: Mschr. f. Ohrenhlk. 1914, S. 694.
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Imre Junger. Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
451
Aas der Ohrenabteilang der Allgemeinen Poliklinik in Wien
(Vorstand Prof. Dr. G. Alexander).
Methodik und klinische Bedeutung der galvanischen
Prüfung des Labyrinthes 1 ).
Von Dr. Imre Junger.
Die Reaktionserscheinnngen, welche bei der queren Galvani¬
sation des Eopfes auftreten, wurden zuerst von Hitzig genau
studiert und beschrieben. Weitere Untersuchungen von Kny, Strehl,
Pollak, Breuer, Alexander und K r e i d 1 u. a. haben genauere
Aufschlüsse über die Physiologie dieser Untersuchung gebracht. Die
klinische Bedeutung der galvanischen Prüfung wurde aber erst durch
die Arbeiten von Heumann, Mackenzie und Brünings
geklart. Soweit unsere Kenntnisse bezüglich der galvanischen Prüfung
durch die erwähnten Arbeiten gediehen waren, so wurde doch
später diese Methode durch die kalorische Prüfung des Labyrinthes
und insbesondere durch die Arbeiten von B a r ä n y ein wenig in
den Hintergrund gedrängt. So schreibt noch Bärany 1913, daß
die galvanische Prüfung ziemlich schmerzhaft ist und „daß sie keine
klinische Bedeutung besitzt, in der Regel überflüssig“ sei. Es sei
schon hier bemerkt, daß ich bei meinen Untersuchungen keine be¬
sondere Schmerzhaftigkeit bei Anstellung dieser Probe konstatieren
konnte; es sei denn, daß ich aus bestimmten Gründen die Strom¬
stärke bedeutend steigern mußte.
Wenn nun also die Schmerzhaftigkeit keinen Grund für die
Vernachlässigung der galvanischen Prüfung ergibt, so wollte man
weiter die Gründe hierfür darin finden, daß man erstlich darauf
hinwies, daß der galvanische Strom nicht am Sinnesorgan, sondern
am nervösen Apparate angreife, zweitens, daß man die Möglichkeit
einer unilateralen Reizung des Labyrinthes in Zweifel zog.
Was nun den ersten Einwurf gegen die galvanische Prüfung
betrifft, so ist darin kein Nachteil, sondern ein Vorteil dieser Unter-
suchungsmethode zu erblicken, da Bie uns gestattet, die Erkrankungen
der Sinnesorgane von denen des nervösen Apparates abzutrennen.
Was den zweiten Einwand betrifft, so besteht dieser darin,
daß man in Anlehnung an die von Brunner beschriebene „para¬
doxe Kochlearis-Reaktion“ annahm, daß jede unipolare Reizung des
Labyrinthes eine insofern scheinbare ist, als z. B. bei Einwirkung
der Anode auf das rechte Labyrinth der Nystagmus zur linken
*) Auszugsweise vorgetragen auf der IIL Jahresversammlung der Gesell¬
schaft deuBtscher Hals-Nasen-Obrenärzte in Wiesbaden 1922.
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Imre Junger.
Seite durch die Wirkung einer virtuellen Kathode am linken Laby*
rinth zustande kommt. Gegen diese Anschauung scheint ein von
Brunner ausgeführtes Experiment zu sprechen. Wenn man beide
Labyrinthe unter Anodenwirkung setzt, so feilt natürlich die virtuelle
Kathodenwirkung an einem Ohr weg. Nimmt man nun an, daß die
Anode als solche unwirksam und nur durch die virtuelle Kathoden¬
wirkung am anderen Ohre wirksam wird, so muß man daher auch
weiter annehmen, daß bei doppelseitiger Anodenwirkung am Laby¬
rinth ein Reizzustand in den Nerven überhaupt nicht erzeugt werden
könnte, da, wie schon erwähnt, die eigentliche wirksame virtuelle
Kathodenwirkung fehlt. Diese Folgerung stimmt aber mit den Tat¬
sachen nicht überein. Denn wenn man nach Applikation der geteilten
Anode an beide Ohren ein Ohr mit zirka 5 cm 8 kalten Wassers
spült, so tritt der Nystagmus nach der anderen Seite, welcher in
seiner Richtung identisch ist, mit dem durch die Anode erzeugten
Nystagmus früher auf als ohne gleichzeitige Anodenwirkung und
dauert gleichzeitig länger als unter normalen Verhältnissen. Hingegen
ist der Nystagmus durch Heißspülung, der nach der gespülten Seite
und daher in entgegengesetzter Richtung wie der durch die Anoden¬
wirkung erzeugte Nystagmus schlägt, entweder überhaupt nicht oder
nur nach lange fortgesetzter Spülung auszulösen. Genau die entgegen¬
gesetzten Verhältnisse sind bei der Spülung unter gleichzeitiger beider¬
seitiger Kathodenwirkung zu beobachten. Aus diesem Experiment zieht
Brunner die Schlußfolgerung, daß erstlich eine Reizung
eines einzigen Labyrinthes auch durch den gal¬
vanischen Strom möglich ist, zweitens daß die
A n o d e n wi r k u n g nicht, wie dies Bäräny annimmt,
durch Hemmung in der Fortleitung der vom Laby-
rynth kommenden „Eigenreize“ infolge des An-
elektrotonus im Nerven zustande kommt, sondern
daß die Anode ebenso alz Reiz auf den nervösen
Apparat des Labyryntljes wirkt wie die Kathode.
Aus diesen Erörterungen geht hervor, daß die galvanische
Prüfung für die klinische Diagnostik von gleicher Bedeutung ist
wie die übrigen Untersuchungsmethoden des Labyrinthes. Ich habe
es daher auf Anregung des Herrn Dr. Brunner unternommen,
die bei der galvanischen Prüfung auftretenden Reaktionserscheinungen
an labyrinthgesunden und labyrinthkranken Personen zu untersuchen.
Es wurden insgesamt 30 Labyrinthgesunde und 50 Labyrinthkranke
untersucht.
Unter den Labyrinthkranken befanden sich 3 Fälle von here¬
ditärer Lues; 6 Fälle von akquirierter Lues; 6 Fälle von Innenohr¬
affektion unbestimmter Ätiologie und 30 Taubstumme. Ferner unter¬
suchte ich Fälle von chronischer Mittelohreiterung mit labyrinthären
Reizerscheinungen; 1 Fall von postoperativer einseitiger Labyrinth-
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
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losigkeit. Außerdem ergab sieb die Notwendigkeit, Fälle zu unter¬
suchen, in welchen nach dem klinischen Bilde eine organische Er¬
krankung des zentralen Vestibularsystems angenommen werden
mußte. Hierher gehört 1 Fall von multipler Sklerose und 1 Fall,
bei dem die Diagnose Fonstuberkel gestellt wurde. In diesen beiden
Fallen war das periphäre Sinnesorgan normal. Hierher gehört
schließlich noch 1 Fall mit epileptischen Anfallen, bei welchem
aber überdies eine linksseitige chronische Mittelohreiterung (trockene
Perforation des Trommelfelles) bestand. Von funktionellen Er¬
krankungen des Nervensystems untersuchte ich 2 Falle von Hysterie
und 2 Falle von Commotio cerebri. In dem einen Fall von Commotio
cerebri bestand eine rechtsseitige chronische Mittelohreiterung. Im
anderen Falle war der Ohrbefund negativ. Von den beiden Fallen
mit Hysterie litt der eine an einer linksseitigen chronischen Mittel¬
ohreiterung, der andere an einer beiderseitigen Innenohraffektion
unbekannter Ätiologie, weshalb diese beiden Falle in dem Kapitel
über die Untersuchungen an Labyrinthkranken berücksichtigt werden *
sollen.
Wir nahmen die galvanische Prüfung in den meisten Fällen
in der auch von Mackenzie geübten Weise vor, indem wir mittels
einer Kopfbinde 2 Knopfelektroden an den beiden Tragi befestigten
und die eine Elektrode mit der Anode, die andere mit der Kathode
verbanden. Die Applikation der Elektroden an dem ProcessuB
ma8toideus ist für den Patienten unangenehm und gestattet eine
Steigerung der Stromstärke nicht einmal in geringem Ausmaße.
Gemäß den obigen Ausführungen sehen wir in dieser Schaltung
der Elektroden eine dem Drehversuch analoge Untersuchungsmethode,
insofern als hier die Wirkung der Kathode auf dem einen Ohre
durch die Wirkung der Anode auf dem anderen verstärkt wird.
Untersucht wurde:
1. Der Nystagmus;
2. Fallreaktion sowie deren Abhängigkeit von der Kopfstellung;
3. der Zeigeversuch;
4. die jüngst von Fischer und W o d a k beschriebene „Arm¬
tonusreaktion";
5. die subjektiven Empfindungen.
Bevor wir auf die Schilderung der einzelnen Reaktions-
erBcheinungen eingehen, sei noch bemerkt, daß die einzelnen Autoren
verschiedene Angaben Uber den Zeitpunkt des Auftretens der ein¬
zelnen Reaktionserscheinungen machen. So geben Mann, B u y s,
Hennebert, Dyrenfurth an, daß bei der galvanischen Prüfung
die Fallreaktion vor dem Nystagmus auftritt, während z. B. Bär&ny
den Nystagmus vor der Fallreaktion auftreten sah und G e r t z
Augenbewegungen schon bei ganz schwachen Strömen mit dem
Augenspiegel nachweisen konnte. Wir selbst sahen in der Regel
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Imre Junger.
den Nystagmus vor der Fallreaktion auftreten, wenn man die
Gleichgewichtsverminderung in Romberg - Stellung prüfte, während
die Fallreaktion vor dem Nystagmus auftrat, wenn man andere
Methoden der Untersuchung des Gleichgewichtes verwendete. Wir
möchten aber nicht aus diesen Tatsachen schließen, daß durch die
galvanische Reizung des Labyrinthes die Körpermuskulatur in be¬
stimmter Reihenfolge innerviert wird, sondern glauben, daß die
labyrinthäre Innervation der ganzen Körpermuskulatur gleichzeitig
erfolgt, daß jedoch die Wirkungen dieser labyrinthären Inner¬
vation an den verschiedenen, der Willkürinnervation in verschiedenen
Graden unterworfenen KörpermuBkeln zu verschiedenen Zeitpunkten
deutlich werden. # #
*
I. Untersuchungen an Labyrinthgesunden.
Ich habe im ganzen 80 Labyrinthgesunde der galvanischen
Reaktion unterzogen und kam dabei zu folgenden Ergebnissen:
Prüft man die galvanische Reaktion an dem sitzenden Patienten,
so tritt in der Regel zunächst Nystagmus, der eine Schlag¬
richtung besitzt. Von den 30 untersuchten Patienten trat bei 27 der
galvanische Nystagmus bis zu 3 MA. auf, bei 3 Patienten zwischen
3 und 5 MA.
Ich kann somit die Angabe von Dyrenfurth nicht be¬
stätigen, der findet, daß der galvanische Nystagmus erst bei 10 MA.
auftritt. Ich habe beobachtet, daß der bei der erwähnten Strom¬
stärke auftretende NystagmuB durch höhere Stromstärken in der
Regel frequenter wird, wobei seine Schwingungsamplitude gleich¬
zeitig kleiner oder größer werden kann. Nur in einem Falle konnte
ich sehen, daß der Nystagmus, der bei 2 MA. aufgetreten war, bei
7 MA. gehemmt wurde. Von Interesse ist es, daß bei ganz schwachen
Strömen (unter 2 MA.) der Nystagmus in Perioden auftreten kann,
wie dies auch Kobra k, Grahe, Demetriades und Ph. Mayer
bei Verwendung der kalorischen Schwachreizmethode beobachten
konnten.
Eine Neigung des Körpers, die stets zur Seite der Anode er¬
folgte, konnte ich bei den sitzenden Patienten in der Regel erst
zwischen 3 und 5 MA., also nach dem Auftreten des Nystagmus
beobachten. Hingegen kann ich die Beobachtung von Babinski,
Mann, Dyrenfurth u. a. insofern bestätigen, als bei der Unter¬
suchung der stehenden Patienten stets die Fallreaktion vor dem
Auftreten des Nystagmus zu beobachten war. Es empfiehlt sich
jedoch, diese Reaktion nicht in Romberg - Stellung des Patienten
zu untersuchen, sondern eine feinere Methode der Gleichgewichts¬
untersuchung zu verwenden. Am besten hat sich dazu die von
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Galvanische Prüfung des Labyrinth*«.
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Mann angegebene Stellung des Patienten bewahrt, die darin besteht)
daß man den Patienten den einen Fuß knapp vor den anderen
setzen läßt und so die Unterstützungsfläche des Patienten verkleinert.
Labyrinthgesunde Patienten zeigen bei dieser Stellung Spontan wohl
zunächst ein geringes Schwanken nach beiden Seiten, beruhigen
sich aber bald, so daß man die galvanische Fallreaktion an ihnen
untersuchen kann. Bei manchen labyrinthkranken Personen, ins¬
besondere aber bei labyrinthlosen Taubstummen, läßt Bich jedoch
diese Stellung des Körpers nicht durchführen, da die Versuchs¬
personen unausgesetzt schwanken, weshalb ich bei diesen Personen
die Mann sehe Stellung insofern modifizierte, als ich die Versuchs¬
person nicht den einen Fuß knapp vor den anderen, sondern die
Ferse des einen Fußes neben die Spitze des anderen Fußes setzen ließ.
In dieser Stellung trat also die Fallreaktion in der Regel vor
dem Nystagmus auf, während bei Verwendung der Romberg-
Stellung die Fallreaktion in der Regel erst nach dem Nystagmus
zu beobachten war. Stets fielen die Patienten gegen die Seite der
Anode.
Wenn hier von einer Reihenfolge, in welcher die einzelnen
Reaktionen auftreten, die Rede ist, so soll, wie schon erwähnt, damit
nicht gesagt sein, daß der labyrinthäre Einfluß auf die Stamm¬
muskulatur wirklich früher oder später erfolgt als auf die Augen¬
muskeln, ich nehme vielmehr mit Brunner an, daß dieser Einfluß
auf die Stammuskelu deshalb früher in Erscheinung tritt, als der
auf die Augenmuskeln, weil sich die Funktionsprüfung der Stamm¬
muskulatur unter günstigeren und verschiedenartigeren Versuchs¬
bedingungen durchführen läßt als die der Augenmuskeln.
Bei 20 Patienten habe ich untersucht, welche Wirkung Kopf¬
bewegungen auf die Fallrichtung ausüben, da Bdräny angibt,
daß auch bei der galvanischen Prüfung die Fallreaktion in typischer
Weise durch Kopfbewegungen zu beeinflussen ist.
Ich konnte bei meinen Untersuchungen bei Labyrinthgesunden
finden, daß sich in keinem einzigen Falle diese
typische Abhängigkeit der Fallrichtung von der
Kopfstellung mit Sicherheit nachweisen ließ,
die Patienten fielen vielmehr unabhängig von
der Kopfstellung stets in der Richtung nach
der Seite der Anode. In einer sehr großen Reihe von Fällen
konnte ich sogar beobachten, daß die Falltendenz durch die ab¬
norme Kopfstellung gehemmt wird. Die Patienten, die in M a n n-
scher Stellung und bei normaler Kopfhaltung, z. B. bei 1 MA. deutlich
nach der Seite der Anode fielen, zeigten, wenn man den Kopf nach
der Seite der Anode drehte, unbestimmtes Schwanken oder standen
ruhig. Vermehrte ich nun die Stromstärke, so trat auch bei dieser
abnormen Kopfhaltung Falltendenz nach der Seite der Anode auf.
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Imre Junger.
Drehte ich jetzt bei dieser Stromstärke den Kopf nach der Seite
der Kathode, so wurde die Fallreaktion wieder gehemmt und ich
maßte die Stromstärke nochmals steigern, nm auch bei dieser Kopf*
Stellung eine Fallreaktion zu erzielen. Das gleiche Verhalten ließ
sich beobachten, wenn man zuerst den Kopf nach der Seite der
Kathode und dann nach der Seite der Anode drehte.
Bezüglich der subjektiven Erscheinungen bei der galvanischen
Reaktion muß ich zunächst hervorheben, daß ich von den Patienten
niemals die Angabe erhalten habe, es drehen sich die Gegenstände
in der Ebene eines frontal gestellten Rades, wie dies Hitzig bei
seinen Untersuchungen gefunden hat. Es mag dies vielleicht davon
herrühren, daß Hitzig im allgemeinen höhere Stromstärken bei
seinen Untersuchungen verwendete und ferner seine Untersuchungen
meist an intelligenten und der Selbstbeobachtung fähigen Personen
durchgeführt hat. Ich konnte bei meinen Untersuchungen überhaupt
niemals von nerven- und labyrinthgesunden Versuchspersonen die
spontane Angabe erhalten, daß sich die sichtbaren Gegenstände
drehen. Nur 9 Personen gaben an, daß „es sich in ihnen drehe“.
Hingegen erhielt ich sehr häufig die Angabe von den Patienten,
daß sie das Gefühl des Taumelns, des Zuges nach einer Seite ver¬
spüren, daß sie das Gefühl hätten, als ob sie vom Boden gehoben
würden, also Sensationen, die Brunner unter der Purkinje-
sehen Bezeichnung „Tastschwindel“ zusammengefaßt hat. Dazu
kommen noch akzidentelle Sensationen, wie Schwarzwerden vor den
Augen, Brennen und Zittern in den Augen, Üblichkeiten usw. Diese
Beobachtungen sprechen wieder dafür, daß sich die subjektiven Ge¬
fühle bei schwachen Labyrinthreizen in der Regel nicht als typischer
Drehschwindel manifestieren, sondern vor allem unter dem Bilde
des „Tastschwindels“ auftreten, worauf Brunner wiederholt hin¬
gewiesen hat. Bemerkt sei noch, daß der Schwindel nach Strom¬
öffnung stets intensiver war als nach Stromschluß.
Von Interesse waren nun der Ausfall der Zeigereaktion bei
der galvanischen Prüfung. Nach den Angaben von B k r 4 n y lassen
sich die Zeigereaktionen bei der galvanischen Prüfung in der
gleichen Weise beobachten wie bei den anderen Untersuchungs¬
methoden des Labyrinthes. Ich habe daher auch zunächst bei
5 labyrinthgesunden Personen die Zeigereaktion während der gal¬
vanischen Prüfung in der horizontalen Ebene untersucht, ohne aber
hierbei zu verwertbaren Resultaten zu kommen.
Da nun bekanntlich der galvanische Nystagmus vorwiegend
ein rotatorischer ist, d. h. in der frontalen Ebene schlägt, so mußte
man daran denken, ob es nicht möglich wäre, sicherere Resultate
bezüglich der Zeigereaktion dann zu erhalten, wenn man den Zeige¬
versuch in allen Ebenen untersucht. Ich habe daher bei 25. Labyrinth¬
gesunden die Zeigereaktion Bowohl in der horizontalen Ebene (nach
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
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außen und innen) als auch in der frontalen Ebene (nach o.ben and
unten), als auch schließlich nach dem Vorgang von Beyer und
Lewandowsky in der Sagittalebene geprüft. Bei dieser Gelegen¬
heit habe ich gleichzeitig auch die von Fischer und W o d a k
jüngst beschriebene „Armtonusreaktion“ nachgeprüft. Bei diesen
Untersuchungen kam ich zu folgenden Ergebnissen:
Von 30 Labyrinthgesunden war bei 21 Patienten die Zeige¬
reaktion bei der galvanischen Prüfung in allen Ebenen negativ
Bei 5 Patienten sah ich Vorbeizeigen nach unten, bei 1 Patienten
nach innen, bei 3 Patienten nach außen. Die „ Armtonusreaktion“
war bei 11 Füllen negativ, bei 1 Patienten angedeutet. Aus diesen
Versuchen geht deutlich hervor, daß sowohl die typischen
Z e ig e r e a k t i o n e n als a u ch d i e A r m t o n u s r e ak t i o n
bei der galvanischen Prüfung ein relativ seltenes
Vorkommnis darstellen. Dieses seltene Vorkommen von
Reaktionen der Armmuskulatur steht in Parallele mit dem relativ
seltenen Auftreten vom typischen Drehschwindel bei der galvanischen
Prüfung. In den Fallen aber, in denen typischer Drehschwindel
auftrat (7 Falle von insgesamt 87 Fallen), konnte ich stets Vorbei¬
zeigen wenigstens in einer Ebene finden. Hingegen konnten wir
sehr häufig eine deutliche Abhängigkeit der Zeigereaktion von der
Fallreaktion konstatieren, insofern als die Versuchsperson mit dem
Arme jener Seite, nach der sie sich neigte, nach unten vorbeizeigte
bzw. mit diesem Arm nach unten sank, wahrend der andere Arm,
also der Arm der Kathodenseite, entweder richtig oder sehr selten
nach oben vorbeizeigte. Dieses Vorbeizeigen konnte aber meist be¬
hoben werden, wenn man die Versuchsperson wieder in die nor¬
male Körperstellung brachte. Nur in zwei Fallen ließ sich dieses
Vorbeizeigen auch bei aufrechter Körperhaltung nachweisen. Diese
Beobachtungen zeigen recht deutlich, daß die Reaktionsbewegungen
der Armmuskulatur im wesentlichen auf denselben Vorgang zurück-
zuführen Bind wie die Reaktionen der Stammuskulatur, nur mit dem
Unterschiede, daß die Reaktionen der Stammuskulatur früher und
sicherer eintreten als die Reaktionen der Armmuskulatur, und zwar
wegen der intensiveren Abhängigkeit der Armmuskulatur von der
Tätigkeit des Großhirnes, wie dies zuerst Brunner ausgeführt hat.
In einigen Fallen konnte ich auch Vorbeizeigen nach Strom-
öffnung konstatieren, jedoch stets in Abhängigkeit von dem Auf¬
treten der Fallreaktion.
II. Untersuchung von Labyrinthkranken.
Hierher gehören drei Falle von Heredolues, 6 Falle von
aquirierter Lues, 1 Fall von operativer Labyrinthlosigkeit, 8 Falle
von Innenohraffektionen unbekannter Ätiologie, 30 Falle von Taub¬
stummheit, schließlich noch 2 Falle von Bleiintoxikation. Was nun
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lmre Junger.
die Fälle von Heredolaes betrifft, so fand sich in beiden Fällen das
erst in jüngster Zeit wieder von 0. Beck beschriebene Verhalten,
insofern als in beiden Fällen die kalorische and Drehreaktion aas¬
gefallen, während die galvanische Reaktion in allen drei Fällen
positiv war und in normaler Weise verlief.
Aus diesem Verhalten wurde nun vielfach der Schluß gezogen,
daß der der heredoluetischen Erkrankung des Innenohres zugrunde¬
liegende Prozeß im Bindegewebsapparat des Sinnesespithels angreifen
müsse, während der nervöse Apparat verschont bleibt Für diese
Anschauung sprach zunächst der Versuch, den ich auf Anregung des
Herrn Dr. Brunner in einer Reihe von Fällen ausgeführt habe. Wir
gingen dabei von folgendem Gedankengange aus: Es ist möglich,
daß die luetische oder eine andere Infektion den Nervus vestibularis
nur partiell schädigt, waB zur Folge haben würde, daß der Nerv
nicht imstande ist, die vom Labyrinth kommenden Reize in
genügender Intensität dem Nervensystem zuzuleiten. Diese Weiter¬
leitung der vom Labyrinth kommenden Reize wird jedoch ermöglicht,
wenn man den Nerven in einen Reizznstand versetzt, der homolog
ist dem vom peripheren Sinnesorgane ausgelöstem Reize. Dieser
Reizzustand des Nerven kann erreicht werden, wenn man den Nerven
unter die Wirkung eines galvanischen Reizes bringt, der an und für
sich erfahrungsgemäß noch keinen Nystagmus erzeugt. Tritt nun zu
diesem schwachen galvanischen Reizzustand ein zweiter schwacher
vom Labyrinth kommender Reiz hinzu, so muß entsprechend der
theoretischen Erwägung jetzt Nystagmus auftreten, der durch den
vom Labyrinth kommenden Reiz allein nicht ausgelöst werden könnte,
vorausgesetzt, daß Labyrinthreiz und galvanischer Reiz in gleichem
Sinne wirken.
Die praktische Ausführung dieses Versuches gestaltet sich sehr
einfach. Man gibt z. B. ans rechte Ohr die Anode und in die Hand
der Versuchsperson die Kathode und schaltet nun einen Strom von
6 bis 8 AM. ein, der bekanntlich noch nicht Nystagmus erzeugt.
Durch die Anodenwirkung am rechten Ohr wird aber eiu Reiz¬
zustand des Nerven erzeugt, der die Tendenz zu einem Nystagmus
nach links zur Folge hat. Spritzt man nun in das rechte normale
Ohr 2 bis 3 cm 3 kalten Wassers, so tritt Nystagmus viel früher und
deutlicher ein, als bei Einwirkung des kalten Wassers allein. Wir
nehmen nun an, daß in den Fällen, in welchen die kalorische
Reaktion negativ ist, in welchen sie aber positiv wird, bei gleich¬
zeitiger Einwirkung eines galvanischen Stromes eine partielle Er¬
krankung der Labyrinthnerven vorliegt.
Dieser Versuch ist in den Fällen von Heredolues negativ aus¬
gefallen, so daß man also auch auf Grund dieses Versuches die
Erkrankung bei Heredolues im peripheren Sinnesorgane und nicht
im Nerven vermuten sollte. Trotzdem möchten wir auf Grund der
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
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funktionellen Untersuchung des Ohres keine Diagnose deB Sitzes der
Erkrankung vornehmen, weil es uns nicht möglich erscheint, auf
Grund der normalen galvanischen Reaktion zu behaupten, daß der
Labyrinthnerv wirklich vollständig gesund ist. Jedenfalls erscheint
es auf Grund meiner Untersuchungen an Taubstummen nicht gerecht¬
fertigt, das geschilderte funktionelle Verhalten des Innenohres bei
Heredolues als charakteristisch nur ftir Heredolues anzusprechen, da
ich ein ähnliches Verhalten auch in Fällen von hereditär-degenerativer
Taubstummheit ohne Lues nachweisen konnte, wovon noch weiter
unten die Rede sein wird.
Von Fällen. mit Innenohraffektion bei akquirierter alter Lues
habe ich 6 untersucht. Von diesen Fällen zeigten 4 einen spon¬
tanen Nystagmus, bei 2 Fällen war der R o m b e r g sehe Versuch
positiv, 1 Fall gab spontan Drehschwindel an. In 4 Fällen ergab
die kalorische Reaktion eine Untererregbarkeit geringeren Grades,
2 Fälle waren kalorisch normal erregbar. Die Drehreaktion ergab in
5 Fällen normale Resultate, in 1 Fall ließ sich durch
10 Drehungen nach rechts Nystagmus II. Grades nach links nicht
auslösen. Von diesen 6 Fällen verhielten sich 4 Fälle bezüglich
der Erscheinungen bei der galvanischen Reaktion vollkommen
normal, d. h., es trat bis höchstens 3 MA. typischer galvanischer
Nystagmus auf und die Fallreaktion erfolgte in typischer Weise. Von
diesen 4 Fällen zeigte einer bei Kathoden Wirkung rechts mit dem linken
Arm nach unten vorbei, jedoch nur in Abhängigkeit von der nach
rechts geneigten Körperhaltung, ein zweiter Fall zeigte bei Kathoden¬
wirkung nach links mit dem linken Arm nach innen, bei Kathoden¬
wirkung reeths mit dem rechten Arm nach innen vorbei. Es muß
noch bemerkt werden, daß sich unter diesen 4 Fällen 1 befand, bei
dem die Fallreaktion durch die Kopfwendung in annähernd typischer
Weise beeinflußt werden konnte. Es handelt sich um einen 82 Jahre
alten Patienten mit einer inveterierten Lues. Dies ist der einzige
Fall in der ganzen Untersuchungsreihe, bei dem eine deutliche
Abhängigkeit der Fallrichtung von der Kopfstellung nachgewiesen
werden konnte.
In 2 Fällen verlief die galvanische Reaktion in nomaler Weise.
In dem ersten Fall handelte es sich um einen 46jährigen Mann, der bis 1915
niemals krank war. Im Jahre 1915 erkrankte er unter Fieber, Stechen in den Ohren
und Dreh Schwindel, wobei gleichzeitig, insbesondeis beim Gehen, sowie beim Fahren
Gleichgewichtsstörungen wie sie bei der Seekrankheit auf treten, sich bemerkbar
machten. Kein Erbrechen. Es wurde damals die Diagnose,,beiderseitige Labyrinthitis“
gestellt. Seit zirka dreiviertel Jahren Ohrensausen unter Abnahme des Gthörs.
Vor 14 Tagen trat nach einer P o 1 i t z e r einblasung in das Ohr, beim Aufstehen
aus dem Bett plötzlich Drehschwindel auf, so daß Pat. aus dem Bett hinausfiel.
Angabe der Drehrichtung unmöglich. Dabei Übelkeit und Brechreiz. Seither täglich
beim Auf stehen iind Niederlegen Schwindelanfälle. 1908 akquirierte der Pat. eine
Lues, die ohne Hauterscheinungen verlief, und nie behandelt wurde. Wassermann
im Blut + + +.
Monatsschrift f. Ohronheilk. u. Lsr.-Rhin. 66. Jahrg. 31
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460
Imre Junger.
Am 23. IIL 1922 wurde folgender Befund erhoben: Trommelfell annähernd
normal. Stimmgabelbefund ergibt eine beiderseitige Innenohraffektion. Bei extremem
Blick nach beiden Seiten einige rotatorische Zuckungen. Während der ,,Dauer-
kompresaion“ (K o b r a k) 10 Sek. lang erst links, dann rechts, erscheint Nystagmus O
zur komprimierten Seite. Nach der Kompression Dauernystagmus nach beiden Seiten,
stärker nach links. Am 24. III. 1922 zeigte der Pat. spontan Nystagmus L Grades
nach beiden Seiten, stärker nach links. Kalorische Reaktion: R. 16° 30cm 3 46 Sek. O
(II—I. Grades) 120 Sek. L. 15» 30 cm 3 20 Sek. O (II.—I. Grades) 160 Sek.
Durch 5 Drehungen läßt sich typischer Nystagmus nach beiden Seiten aus-
lösen. Die galvanische Reaktion wurde einigemal vorgenommen. Bei Kathoden¬
wirkung links, trat bereits bei 1 \ 2 MA. eine deutlich positive Fallreaktion imMann-
sehe Stellung auf, die von der Kopfstellung nicht zu beeinflussen war. Kein Schwindel,
kein Vorbeizeigen, doch ließ sich bis 5 MA. kein Nystagmus aus-
lösen. Die gleichen Verhältnisse bei Kathoden Wirkung rechts.
Im zweiten Fall handelte es sich um einen 51jährigen Mann, der 1910 Lues
akquiriert hatte, seither in Behandlung stand. Der Wassermann war negativ.
1919 posttraumatische Eiterung des linken Ohres. Nach Abheilung dieser Eiterung
Ohrensausen, Schwerhörigkeit, kein Schwindel.
Am 26. IV. 1922 wurde folgender Befund erhoben: Rechtes Trommelfell
annähernd normal. Linkes Trommelfell narbig eingezogen. Coclilearis: R. Dis
auf eine geringe Verkürzung der hohen Töne noi mal. L. hochgradige Schwerhörigkeit
von Mittelohr - Innenohrtypus. Spontan Nystagmus nach beiden Seiten, bei ent¬
sprechendem Seitenblick, spontanes Fallen in Romberg Stellung nach links.
Kalorische Reaktion: R. 10cm 3 15°40“O (II.Grades) 70“. L. 16° bis40cm 8 keine
deutliche Reaktion. 10 Drehungen nach links ergeben typischen Nystagmus nach
rechts. 10 Drehungen nach rechts ergeben keine deutliche Reaktion. Bei Kathoden¬
wirkung links tritt Vorbeizeigen nach oben im linken Arm© auf, bei 5 MA. deutliche
Falltendenz in Romberg Stellung nach rechts, die durch Kopfwendungen in
ein unbestimmtes Taumeln umgewandelt werden konnte. Deutlicher galva¬
nischer Nystagmus ließ sich jedoch bis 8 MA. nicht n ach-
weisen, es wurde nur der Spontannystagmus etwas frequenter. Bei Kathoden¬
wirkung rechts trat der Nystagmus schon bei 4 MA. auf. Die übrigen Reaktions¬
bewegungen waren typisch. Auffallend an diesen Fall war noch, daß weder beim
Stromschluß, noch bei Stromöffnung das geringste Schwindelgefühl angegeben wurde.
Es ergibt sich also, daß in den 6 Fällen von akquirierter Lues
die Drehreaktion normale Resultate ergab, so lange die luetische
Innenohraffektion nicht kombiniert war mit einer anderen Erkrankung
des Ohres, und daß die kalorische Reaktion eine Untererregbarkeit
geringen Grades beobachten ließ. In der Mehrzahl der Fälle ergab
auch die galvanische Reaktion normale Resultate, so daß wir in den
Fällen von alter, akquirierter Lues ein anderes Bild des Labyrinth¬
zustandes durch die Funktionsprttfung gewinnen, als in den Fällen
von Heredolues. In 1 Fall war der galvanische Nystagmus durch
Stromstärken bis zum 5 MA. nicht auszulösen. Wenn wir auch in
diesem Falle nicht annehmen, daß die galvanische Reaktion über¬
haupt negativ war, da wir bei dem Patienten höhere Stromstärken
nicht verwenden konnten, so glauben wir jedoch mit Recht behaupten
zu dürfen, daß in diesem Falle neben der kalorischen Unter-
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
461
erregbarkeit auch eine galvanische Untererregbarkeit bestanden tat.
Sehr interessant ist der zweite der obigen Fälle, bei dem das linke
Ohr kalorisch unerregbar war, bei dem ferner durch Kathodenwirkung
links bis 8 MA. kein Nystagmus, hingegen 'Fallreaktion und Zeige¬
reaktion auszulösen waren. Wir führen die kalorische Unerregbarkeit
und die hochgradige galvanische Untererregbarkeit auf der einen
Seite in diesem Falle auf die kombinierte Schädigung des Innen¬
ohres durch die Lues und durch die Mittelohreiterung zurück.
Anschließend an diese Fälle von luetischer Affektionen des
Innenohres möchte ich über meine Untersuchungen an Taubstummen
berichten. Untersuchungen über den funktionellen Zustand des
Innenohres mit Benutzung der modernen Prüfungsmethoden des
Labyrinthes wurden bis jetzt nicht in großer Anzahl ausgeführt.
Außer den Untersuchungen von Alexander und Mackenzie
und Alexander und Fischer liegen derartige systematische
Untersuchungen, soweit ich die Literatur überblicken kann, nicht vor.
Aber auch diese beiden Untersuchungsreihen sind insofern nicht voll¬
ständig, als von Alexander und Mackenzie nur die Drehprüfung
und die galvanische Reaktion, von Alexander und Fischer
nur die Drehprüfung und die kalorische Reaktion untersucht wurde.
Ich habe daher von den von Alexander und Fischer unter¬
suchten Fällen bei 22 die galvanische Reaktion untersucht und
außerdem bei weiteren 8 Fällen alle drei Prüfungsmethoden an¬
gewendet, so daß ich Uber die Prüfungsergebnisse bei 30 genau
untersuchten taubstummen Kindern 2 ) berichten kann.
Zur Charakterisierung der einzelnen Formen von Taubstummheit
verwende ich die von Alexander und Fischer durchgeführte
Einteilung. Demnach gehörten zu der Gruppe der intrafötial akqui¬
rierten, konstitutionell hereditär-degenerativen Innenohraffektionen
15 Fälle, zu der Gruppe der postfötal manifest gewordenen, konstitutio-
nell-hereditär-degenerativen Innenohraffektionen 2 Fälle, zu der Gruppe
der postfötalen, individuell erworbenen Innenohroktavusaffektionen
nach Meningitis cerebrospinalis 2 Fälle, zu der Gruppe der post¬
fötalen, individuell erworbenen Innenohroktavusaffektionen nach
Masern 1 Fall, zu der Gruppe der Innenobraffektionen nach Lues
bei Individuen mit Status degenerativus 2 Fälle, zu der Gruppe
von Innenohroktavusaffektionen nach Meningitis bei Individuen mit
Status degenerativus 1 Fall, die anderen 8 Fälle gehörten zu der
Gruppe der hereditär-degenerativen Innenohraffektionen.
Von diesen 30 Taubstummen zeigten 9 Spontannystagmus,
4 Fälle deutliche Gleichgewichtsstörungen in R o m b e r g Stellung.
*) An dieser Stelle sei es mir gestattet, Herrn Direktor Dr. S. Krenberger
für die außerordentlich liebenswürdige Unterstützung bei den Untersuchungen an
Taubstummen meinen crgebendsten Dank auszuspreclien.
31*
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Gck igle
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462
Imre Junger.
Bezüglich der zahlenmäßigen Angabe von Spontannystagmus bei
Taubstummen muß bemerkt werden, daß hier mit bedeutender Un*
genauigkeit gerechnet werden muß, insofern als man nicht selten
sieht, daß ein und derselbe Pat. einmal Nystagmus hat, bei einer
anderen Untersuchung jedoch nicht.
Von diesen 30 taubstummen Kindern verhielten sich bezüglich
ihrer galvanischen Reaktion 19 normal in bezug auf das Auftreten
von galvanischen Nystagmus, d. h. es trat bei diesen Kindern der
Nystagmus bei Blick in der Richtung der raschen Komponente,
bei höchstens 3 1 / 2 MA. oder Nystagmus bei Blicke geradeaus bei
höchstens 5 MA. auf. Von diesen normal reagierenden Taubstummen
gehörten 17 zu der Gruppe der konstitutionellen-hereditären
degenerativen Taubstummheit, 1 Fall zu der Gruppe der Innenohr-
Oktavusaffektionen nach Lues bei Status degenerativus und 1 Fall
zur Gruppe der postfötalen, individuell erworbenen Innenohr-
Oktavusaffektionen nach Masern. Die Fallreaktion war in 17 Fällen
normal, d. h. sie erfolgte in Mann scher Stellung vor dem Auf¬
treten des Nystagmus, in der R o m b e r g Stellung nach dem Auf¬
treten des Nystagmus und war stets zur Seite der Anode gerichtet.
Im ersten Falle erfolgte die Fallreaktion bei Kathodenwirkung
rechts in Mann scher Stellung erst bei 10 MA., bei Kathoden¬
wirkung links erst bei 7 MA.; in einem zweiten Falle zeigte das
Kind bei Kathodenwirkung links Fallreaktion bei 4 MA. bei der
von mir modifizierten Mannschen Stellung, während sich bei der
Kathodenwirkung rechts in derselben Stellung bis zu 5 MA. keine
Fallreaktion auslösen ließ. Die Anwendung höherer Ströme war
ausgeschlossen. Auffallend ist, daß sich bei 12 von diesen 19 Fällen
beiderseits Zeigereaktionen auslösen ließen, während nur bei 3 Fällen
die Zeigereaktion einseitig auftrat und in 4 Fällen keine Zeige¬
reaktion auszulösen war. In 4 dieser Fälle war auch die Armtonus¬
reaktion (Fi s c h e r - Wo da k) positiv. Was die Zeigereaktion
betrifft, so war auch hier wie bei den Labyrinthgesunden eine
deutliche Abhängigkeit des Vorbeizeigens von der Körperneigung-
festzustellen. Die Zeigereaktionen selbst erfolgten in der typischen
Weise, also auf der Seite der Kathode nach oben und innen auf
der Seite der Anode nach außen und unten. Nur in 2 Fällen verlief
die Zeigereaktion trotz öfter wiederholter Prüfung atypisch, und
zwar zeigte ein Kind bei Kathodenwirkung rechts mit dem linken
Arm nach außen und unten, mit dem rechten Arm nach innen und
unten, ein Kind bei Kathodenwirkung links mit dem rechten Arm
nach außen und unten, mit dem linken Arm nach innen und unten
vorbei. Bemerkt muß noch werden, daß häufig das Vorbeizeigen
nur in einer Ebene auszulösen ist. Über das Schwindelgefühl lassen
sich natürlich bei den Taubstummen keine genauen Angaben
machen.
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Go^ 'gle
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
463
Von Interesse ist nun die Feststellung, daß von diesen 19
galvanisch normal erregbaren Kindern nur 13 auch normale
kalorische und Drehreaktion zeigten. Die übrigen 6 waren unter¬
erregbar, nnd zwar zeigten sie alle Grade der kalorischen und
rotatorischen Untererregbarkeit von den leichtesten bis zu den
höchsten Graden, bei welch letzteren nach Beizung des peripheren
Sinnesorganes nur einige Nystagmusschläge zu beobachten waren.
Alle 6 Fälle mit kalorischer nnd rotatorischer Untererregbarkeit
gehörten zu der Grnppe der konstitutionell-hereditär-degenerativen
Taubstummheit, während die Fälle anderer Formen von Taub¬
stummheit (inklusive des einen Falles von hereditär luetischer
Taubstummheit) normale kalorische und rotatorische, wie auch
galvanische Erregbarkeit zeigten.
Galvanisch untererregbar waren 3 Fälle. Die galvanische
Untererregbarkeit war dadurch charakterisiert, daß in diesen beiden
Fällen der galvanische Nystagmus I. Grades erst bei 4 bzw. 5 MA.
auftrat. Zwei dieser Fälle gehörten zur Gruppe der Innenohr¬
oktavusaffektionen nach Lues bei Individuen mit Status degenerativus,
(der Bruder des einen Falles ergab bei allen Prüfungsarten des
Labyrinthes normale Reaktion), ein Fall znr Gruppe der Innenohr¬
oktavusaffektionen nach Meningitis. Die Fallreaktion war in
2 Fällen normal, der dritte zeigte erst bei 5 MA. eine Fallreaktion,
die jedoch nur durch Kopfdrehung deutlich gemacht wurde. Ein
Fall zeigte typische Zeigereaktion. Bezüglich der übrigen Prttfungs-
methoden muß bemerkt werden, daß der eine Fall kalorisch und
rotatorisch normal, der andere untererregbar war.
Galvanisch übererregbar war ein Fall von hereditär-
degenerativer Taubstummheit. Die Übererregbarkeit war dadurch
charakterisiert, daß bei 2 bzw. 2 ] /a MA. bereits Nystagmus
II. Grades auftrat. Fallreaktion, Zeigereaktion, kalorische und Dreh¬
reaktion waren normal.
Galvanisch unerregbar schließlich waren 3 Fälle, d. h. es ließ
sich bei diesen Kindern bis zu 10 MA. kein Nystagmus auslösen.
Alle drei Kinder waren auch kalorisch und rotatorisch unerregbar.
2 von diesen Fällen gehörten zur Gruppe der hereditär-degenerativen
Taubstummheit, 1 Fall zur Gruppe der Innenohroktavusaffektionen
nach Meningitis bei Individuen mit Status gegenerativus. Auffallend
ist nun, daß sich in 2 von diesen 3 Fällen trotz Fehlens des
typischen galvanischen Nystagmus, normale Fallreaktion auslösen
ließ und daß sich im dritten Fall wohl keine Fallreaktion während
des Stromschlusses, hingegen typische Fallneignng zur Seite der
Kathode nach Stromöffnung zeigte. Es geht daraus hervor, daß
die galvanische Fallreakton auch in Fällen
auftreten kann, in welchen ein typischer galva¬
nischer Nystagmus nicht mehr auszulösen ist.
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Original frn-m
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464
Imre Junger.
Wir möchten diesen auffallenden Befund in Übereinstimmung
mit unseren obigen Ausführungen damit erklären, daß die Stamm¬
muskulatur infolge der großen Variabilität ihrer funktionellen
Untersuchungsmethoden auch schwächste labyrinthäre Einflüsse
sicherer erkennen läßt alB die Augenmuskulatur.
Verschiedene Befunde an den Labyrinthen beider Seiten er¬
hielten wir in 3 Fällen von hereditär-degenerativer Taubstummheit.
Der erste Fall war rechts galvanisch normal erregbar, links ließ sich
bei 472 MA. kein Nystagmus auslösen, kalorisch und rotatorisch
war er untererregbar. Der zweite Fall zeigte bei Kathodenwirkung
rechts und bei einer Stromstärke von 8 MA. keinen Nystagmus,
bei Kathoden Wirkung links bei einer Stromstärke von 6 MA.
Nystagmus II. Grades. Kalorisch und rotatorisch war er unerregbar.
Der dritte Fall war links galvanisch untererregbar, kalorisch und
rotatorisch normal. Die Fallreaktion war in allen 3 Fällen normal
auslösbar, 1 Fall zeigte typische Zeigereaktion.
Überblicken wir die untersuchten Fälle von Taubstummheit,
so erlauben insbesondere die Fälle hereditär-degenerativer Taub¬
stummheit einige Schlüsse, und zwar deshalb, weil die Zahl der
untersuchten Fälle hier am größten ist. Fragt man sich, wie sich
die Fälle von hereditär-degenerativer Taubstummheit zu den drei
verwendeten Prüfungsmethoden des Labyrinths verhalten, so findet
man, daß in der größten Zahl dieser Fälle (11 von 23) alle drei
Reaktionen normal sind. In einer recht bedeutenden Anzahl von
Fällen (6) war die galvanische Reaktion normal, die kalorische und
rotatorische Prüfung ergab Untererregbarkeit. In 2 Fällen schließlich
gaben alle drei Reaktionen negatives Resultat. Zwischen diesen
Extremen fanden sich Einzelbefunde mit weiteren Verschiedenheiten
in den Prüfungsergebnissen der Labyrinthfunktion.
Man sieht also, daß die funktionelle Untersuchung des Laby¬
rinthes in Fällen hereditär-degenerativer Taubstummheit zu recht
verschiedenen Ergebnissen führen kann, wie das ja auch den
anatomischen Verhältnissen, insbesondere Dach den Befunden von
Alexander entspricht. Bedenken wir einerseits, daß der Ausfall
der kalorischen und rotatorischen Prüfung in erster Linie von dem
Zustand des peripheren Sinnesorganes, der Ausfall der galvanischen
Reaktion vom Zustand der peripheren Nerven abhängt, und bedenken
wir andrerseits, daß die anatomische Grundlage der hereditär-
degenerativen Taubstummheit im wesentlichen in einer Atrophie
dieser beiden Organelemente besteht, so ist es klar, daß sich bei
der funktionellen Prüfung des Labyrinthes dieser Fälle verschiedene
Bilder ergeben werden, je nach dem Grade, bis zu welchem die
Atrophie im peripheren Sinnesorgane bzw. in dessen nervösen
Apparat vorgeschritten ist. Es ist daher klar, daß wir in den
leichteren Graden der Atrophie in den beiden Organelementen noch
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
465
einen normalen Aasfall aller drei Reaktionen finden werden, während
wir bei den höchsten Graden der Atrophie eine komplette Un¬
erregbarkeit des Labyrinthes sehen müssen. Es ist aber auch klar,
daß wir in Fällen, in welchen das periphere Sinnesorgan und der
Nerv nicht im gleichen Maße von der Atrophie befallen sind, eine
Verschiedenheit in dem Aasfall der drei Reaktionen werden
konstatieren müssen.
Da nun erfahrungsgemäß das periphere Sinnesorgan gegenüber
Noxen viel empfindlicher ist als der Nerv, so wird es nicht auf¬
fallen, wenn man in Fällen von hereditär-degenerativer Taub¬
stummheit nicht so selten bei der Prüfung des Labyrinthes Befunde
erhebt, wie sie für die hereditäre Lues des Innenohres charak¬
teristisch sind, also normale galvanische Erregbarkeit bei kalorischer
und rotatorischer Unter- bzw. Unerregbarkeit. Nun muß es aber
heute als erwiesen gelten, daß eine höhergradige Erkrankung des
peripheren Sinnesorganes nicht bei voller Intaktheit des nervösen
Apparates auftreten kann, was nach Alexander insbesondere
für die herOditär-degenerative Taubstummheit gilt. Es läßt sich
demnach aus der normalen galvanischen Erreg¬
barkeit bei kalorischer und rotatorischer Unter¬
erregbarkeit in Fällen von hereditär-degenera¬
tiver Taubstummheit nicht auf eine Intaktheit
des nervösen Apparates im Labyrinthe schließen,
sondern nur auf eine leichtere Erkrankung dieses
Apparates gegenüber dem peripheren Sinnes¬
organ e 3 ). Da wir nun die gleichen Verhältnisse in
Fällen von hereditärer Lues des Innenohres
finden, so erscheint uns die Behauptung gerecht¬
fertigt, daß man auch in diesen Fällen aus der
n o r ma 1 e n g a 1 v a n i s c h e n R e a k t i o n keine weiteren
Schlüsse auf den Zustand des nervösen Apparates
im Innenohre ziehen darf.
Beweisend für diese Anschauung erscheint uns auch folgender
Fall von Taubstummheit nach Meningitis cerebrospinalis:
A. G., 12 Jahre alt, ertaubt im 5. Lebensjahr nach Meningitis und winde
sprachlos. Interner Befund: o. B. Augenbefund: Fundus normal.
Visus 6/12. Pirquet positiv ;Wasserma nn negativ. Ohrbefund: Trommel¬
fell normal. Keine Hörreste. Kalorisch und rotatoriseh unerregbar. Bt i Kathoden
Wirkung links und bei einer Stromstärke von 8 MA. deutlicher Nystagmus in Mittel¬
stellung der Augen nach links, bei 3% MA. in Mann scher Stellung deutlieher-
Fallreaktion. Kein Vorbeizeigen. Bei Kathodenwirkung rechts und bei einer Strom¬
stärke von 5 MA. deutlicher Nystagmus in Mittelstellung der Augen nach rechts
und typische Fallneigung nach links. Kein Vorbeizeigen.
3 j Alexander und Kr ei dl fanden ebenfalls bei Tanzmäusen normale
galvanische Erregbarkeit, obwohl in diesen Fällen die histologische Untersuchung
eine mäßige Atrophie im Nerv-Ganglienapparate der Pars sup. labyrinthi ergab.
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466
Imre Junger.
Wenn man einerseits bedenkt, daß in diesem Falle die Ver¬
nichtung der labyrinthären Sinnesendstellen nach einer Meningitis
cerebrospinalis aufgetreten ist and andererseits in Erwägung zieht,
daß nach den vorliegenden anatomischen Befunden eine Intaktheit
des gesamten nervösen Apparates im Innenohr in diesen Fällen
ausgeschlossen werden kann, so muß man die in diesem Falle vor¬
liegende positive galvanische Erregbarkeit bei kalorischer und
rotatorischer Unerregbarkeit, gemäß den obigen Erörterungen auf
eine nur partielle Schädigung des nervösen Apparates zurttckführen.
Dieser Fall zeigt also deutlich, daß der positive Ausfall der
galvanischen Reaktionen noch nicht auf eine vollkommene
anatomische Intaktheit des nervösen Apparates im Innenohre
schließen läßt.
Von Interesse sind auch die Labyrinthbefunde in Fällen von
hereditär-luetischer Taubstummheit, weil sie, verglichen mit den
oben erwähnten Fällen von hereditärer Lues des Innenohres zeigen,
wie verschieden sich auch in diesen Fällen die Prtlfungsergebnisse
bei der funktionellen Untersuchung des Labyrinthes gestalten
können.
Während die obigen Fälle kalorisch und rotatorisch unerregbar,
galvanisch normal erregbar waren, waren in dem einen der jetzigen
drei Fälle alle drei Prtlfungsergebnisse normal. 1 Fall war galvanisch
untererregbar, sonst unerregbar, 1 Fall galvanisch untererregbar,
sonst normal erregbar. Diese Verschiedenheiten in der Prüfung der
Labyrinthfunktionen bei Fällen von heredo - luetischer Taub¬
stummheit bzw. Taubheit erinnern ungemein an die gleichen Ver¬
hältnisse bei der hereditär-degenerativen Taubstummheit und lassen
den Schluß zu, daß dem Erkrankungsprozeß bei der
Heredolues des Innenohres ebenso verschiedene
anatomische Bilder zugrunde liegen müssen, wie
bei den Fällen von h ereditär-degenerativer Taub¬
stummheit.
In einem Fall von Bleiintoxikation des Innenohres, den ich
untersuchen konnte, fand ich insoferne eine Inkongruenz in den
Ergebnissen der einzelnen Prüfungsmetboden, als in diesem Falle
die galvanische Prüfung Übererregbarkeit, die kalorische Reaktion
Untererregbarkeit, die Prüfung auf dem Drehstuhl schließlich
normale Erregbarkeit ergab.
In der beigefügten Tabelle sind die Ergebnisse zusammen¬
gestellt, die wir bei der Untersuchung der Labyrinthfunktion in
Fällen von Innenohraffektionen ohne deutliche labyrinthäre Reiz¬
erscheinungen erhielten. In dieser Tabelle bedeutet „G“ galvanische
Reaktion, „K“ kalorische Reaktion, „T“ rotatorische Reaktion. Ein
-|- Zeichen bedeutet, daß die Prüfung ein normales Resultat, ein —,
daß die Prüfung ein subnormales Resultat, eine 0, daß die Prüfung
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
467
ein negatives Resultat, ein Doppelkreuz -(- daß die Prüfung ein
hypernormales Resultat ergab. In den Etagen, in welchen ein Buch¬
stabe zweimal vorkommt, sind die Fälle angeführt, in welchen die
beiderseitige Prüfung verschiedene Resultate ergab.
Von Fällen mit Affektionen des InnenohreB und deutlichen
labyrint.hären Reizerscheinungen habe ich zunächst 8 Fälle von
•Innenohraffektionen unbestimmter Äthiologie untersucht. Von diesen
8 Fällen waren 5 galvanisch normal erregbar, 1 unerregbar und 2
unter erregbar. Auffallend ist, daß 3 von diesen Fällen bei der
galvanischen Prüfung nicht den geringsten Schwindel angaben.
Ferner untersuchte ich 5 Fälle, welche bei akuter bzw. bei
chronischer Mittelohreiterung spontan labyrinthäre Reizerscheinungen
angaben. In allen diesen Fällen ergab die galvanische Reaktion
normale Resultate, auffallend war nur, daß sich bei der galvanischen
Reaktion in allen diesen Fällen typischer Drehschwindel einstellte.
Fälle, bei denen das Labyrinth operativ entfernt worden war,
haben wir nicht in unsere Untersuchungen einbezogen, da derartige
Untersuchungen in großer Anzahl bereits von Neumann, Ruttin
und Mackenzie ausgeführt wurden. Immerhin konnten wir in
einem derartigen Falle sechs Wochen nach der rechtsseitigen
Labyrinthoperation eine Übererregbarkeit für die Kathodenwirkung
auf der gesunden Seite, eine geringe Untererregbarkeit für die
Kathoden Wirkung auf der operierten Seite (4 MA.) bei Anlegung
der Elektroden an beiden Tragi nachweisen. Auffallend war in
diesem Falle ferner, daß nach Stromöffnung niemals. Schwindel
auftrat.
III. Untersuchung an Nervenkranken.
Bei den Fällen von Comotio cerebri konnten wir die vor
allem von Mann hervorgehobene Tatsache der Überempfindlichkeit
gegenüber dem galvanischen Strome bestätigen. Die Patienten
• ließen Stromstärken von höchstens 5 MA. zu.
Einer dieser Fälle ist deshalb interessant, weil hier neben der
Commotio cerebri eine Mittelohreiterung bestand.
Es handelte sich um einen 45jährigen Mann, dessen Ohren angeblich nie ge¬
flossen haben. 1917 Granatverschüttung mit Commotio cerebri. Im Herbst 1918
begann das rechte Ohr zu fließen. Der Ohrenfluß hörte bald wieder auf. Am 5. IV. 1922
fiel er auf das Hinterhaupt, seither fließt das Ohr wieder. Pat. leidet an Schwindel,
der stets im Zusammenhang mit dem Ohrenfluß auf tritt. Gegenwärtig anfallsweise
Schwindel mit Nystagmus III. Grades nach links.
Am 10. IV. 1922 wurde folgender Befund erhoben: im rechten Trommelfell
befindet sich eine nierenförmige Perforation im hinteren unteren Quadranten und
die Paukenschleimhaut ist geschwollen. Links chronischer Mittelohrkatarrh, v links
+ 12m, r. 10 m Webor ^r,; Schvabach normal, Rinne beiderseits negativ;
C 4 links ein wenig, rechts deutlich verkürzt. Kalorische Reaktion beiderseitig mit
5 cm 3 kalten Wassers normal, dabei jedoch heftige subjektive Beschwerden (Dreh¬
schwindel, Stechen im Kopfe). Galvanische Reaktion: Bei Kathode links
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468
Imre Junger.
Art der Taubheit
Hereditäre Taub¬
stummheit . . .
Taubstummheit
nach Meningitis .
Taubstummheit
nach Heredolues .
Taubstummheit
nach Masern . .
Heredolues . . .
Akquirierte Lues .
Intoxikationen . .
Zahl
G +
G 0
der
K +
K 0
Fälle
T +
T 0
24
11
2
2
—
1
3
1
—
1
1
—
3
—
—
6
2
i
1
—
1 _
G +
G —
G -
K 0
K 0
K +
T 0
T 0
T +
1
1
1
!
3
und 5 MA. einige periodische Zuckungen, Fallneigung in sitzender Stellung schon
bei 0*5 MA. zur Anode, kein Vorbeizeigen, keine Armtonusreaktion, jedoch heftiger
Schwindel, aber kein Dreh Schwindel. Bei Kathodenwirkung rechts läßt sich durch
2 MA. eine deutliche Fallreaktion, jedoch kein Nystagmus auslösen. Höhere Strom¬
stärken können nicht angewendet werden.
In einem Falle von multipler Sklerose, in welchem auch die
übrigen Prüfungsmethoden eine Übererregbarkeit ergaben, ließ sich
diese Übererregbarkeit auch durch die galvanische Reaktion nach-
weisen.
In einem Fall von chronischen Mittelohrkatarrh rechts und ge¬
heilter Antrumeiterung links, bei dem epileptische Anfälle bestanden,
ergab die kalorische und rotatorische Prüfung normale Resultate,
während sich bei der galvanischen Prüfung eine deutliche Über¬
erregbarkeit nachweisen ließ.
Der letzte hierher gehörige Fall war endlich folgender:
A. H., 15 Jahre alt, als Kind keine Krankheiten (Angaben höchst unsicher!).
Vor 2 Jahren soll sie infolge schlechter Ernährung sehr stark abgemagcrt sein, damals
bestanden aber auch profuse Nacht schweiße. Seit dieser Zeit gesund bis zum 25. De¬
zember 1921. Damals trat plötzlich Drehschwindel mit Birehieiz, dabei keine Be¬
wußtlosigkeit, sowie abnorme Einstellung der Augen auf. »Sie hat auch gegenwärtig
noch in Zwischenpausen von einigen Wochen Anfälle von Kopfschmerz und Dich-
scliwindel. »Sonst allgemeines Wohlbefinden. Status praesens (8. V. 1922):
Deviation coniuguee desyeux nach rechts, Blicklähmung nach links. Linker Corneal-
reflex deutlich herabgesetzt, leichte Parese des Mundfazialis links. Cochlearis voll¬
kommen normal. Keine Gleichgewichtsstörungen. Kalorische Reaktion negativ.
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
469
Während der Rechtsdrehung empfindet Pat. etwas Schwindel, während der Links¬
drehung jedoch nicht, typischer Nystagmus tritt aber niemals auf.
Bei Kathodenwirkung rechts tritt bis zu 5 MA. kein Nystagmus auf, dagegen
zeigt sie mit dem rechten Arm nach innen, mit dem linken Arm nach außen vorbei
und die Fallreaktion ist in der von mir modifizierten Mann sehen Stellung bei 3 MA.
positiv, während sie in R o m b e r g Stellung nicht auszulösen ist. Bei Kathoden¬
wirkung links tritt ebenfalls bis zu 5 MA. kein Nystagmus auf, hingegen zeigt sie
mit dem rechten Arm zeitweilig nach außen vorbei und die Fallreaktion ist in der
modifizierten Man rischen Stellung schon bei 2 MA. positiv. Weder bei Strom¬
öffnung noch bei Stromschluß Schwindel. Experimenteller ,,optischer“ Nystagmus;
Bei Drehung des Drehschirmes nach rechts bleiben die Augen ruhig, bei Drehung
des Schirmes nach links ist optischer Nystagmus nach rechts angedeutet.
Die verschiedenen neurologischen Symptome, welche diese
Patientin zeigte, lassen wohl nnr die Diagnose zii, daß es sich hier
um eine Ponsaftektion gehandelt hat, die man bei der auf Tuber¬
kulose verdächtigen Patientin als Ponstuberkel ansprechen mußte.
Aus dem Befunde der vollkommenen Unerregbarkeit beider Seiten
mußte man nach Brunner den weiteren Schluß ziehen, daß ent¬
weder beide hintere Längsblindei oder das hintere Längsbtlndel einer
Seite sowie die aus dem Deiters kerngebiet (Marburg) derselben
Seite kommenden Bogenfassern zerstört waren. Auffallend war auch
hier, daß durch den galvanischen Strom wenigstens bei den ver¬
wendeten Stromstärken kein Nystagmus, wohl aber Fallreaktion und
Zeigereaktion auftraten, was erstlich wieder für den auch anatomisch
engen Zusammenhang dieser beiden Reaktionen als auch für die
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470
Imre Junger.
Annahme spricht, daß die zentralen Bahnen für den Nystagmus ge¬
trennt von den Bahnen für die beiden anderen Reaktionen verlaufen.
* #
*
Überblickt man nun die genannten Untersuchungen, so ergibt
sich, daß zu den am häufigsten konstatierten Re-
a k t i o n s e r s c h e i n u n g e n bei der galvanischen
Prüfungsmethode nicht wie bei den übrigen Me¬
thoden der Nystagmus, sondern die Fallreaktion
gehört. Es fanden sich im ganzen 2 Falle, bei denen die Fall¬
reaktion nicht auszulösen war. Die Angabe Babinskis von der
unilateralen Fallreaktion bei der galvanischen Prüfung konnten wir
wie viele andere Untersucher nicht bestätigen. Hingegen gab es
Fälle, in welchen der Nystagmus bei der verwendeten, oft sehr
hohen Stromstärke nicht in Erscheinung trat, während die Fall¬
reaktion schon bei niedrigeren Stromstärken nachgewiesen werden
konnte. Als Beispiel hierfür sei auf den Fall von Ponstuberkel und
die hierher gehörenden Fälle von Taubstummheit hingewiesen.
Während wir nun in dem Fall von Ponstuberkel diese merk¬
würdige Inkongruenz in den Reaktionserscheinungen durch den ge¬
trennten Verlauf der zentralen Bahnen für die einzelnen Reaktionen
zu erklären versuchten, ist das z. B. in vielen Fällen von Taub¬
stummheit nicht möglich gewesen.
Als Beispiel diene folgender Fall:
B. B., 16 Jahre alt, ertaubt im frühen Kindesalter, Verwandte der Mutter
taub. InternerBefundo. B. Augenbefund: Fundus normal, Astigmatis¬
mus, Hypermetropie. Pirquet, Wassermann negativ. Allgemeine degenerative
Stigmen. Ohrbefund: Beide Trommelfelle normal, keine Hörreste, wechselnder
Spontannystagmus nach rechts bei Blick nach rechts, zeitweilige Gleichgewichts¬
störungen in R o m b e r g Stellung. Kalorische und rotatorische Reaktion negativ.
Bei Anlegung der Elektroden an beide Ohren läßt sich bis zu 10 MA. kein Nystagmus
auslösen, hingegen tritt die Fallreakt ion in typischer Weise, sogar in R o m b e r g-
stellung schon bei 8 MA. auf.
Es ist unmöglich, in diesen Fällen anzunehmen, daß die zen¬
tralen Bahnen für den Nystagmus erkrankt sind, hingegen die
Bahnen für die Fallreaktion gesund wären, da für eine organische
Erkrankung des Nervensystems in diesem Falle nicht die geringsten
Anhaltspunkte vorhanden waren. Auch die Annahme, daß der gal¬
vanische Strom in solche Fälle nicht am Nerven selbst, sondern an
den medullären Kernen des Labyrinthnerven angreife, hilft hier
nicht weiter, da auch dann das Fehlen des galvanischen Nystagmus
bei vorhandener Fallreaktion nicht erklärt werden kann. Es bleibt
nichts anderes übrig, als sich zunächst mit der Feststellung zu be¬
gnügen, daß es Fälle ohne organische Erkrankung
des Nervensystems gibt, in denen bei der gal¬
vanischen Prüfung wohl kein Nystagmus, jedoch
eine deutliche Fallreaktion auszulüsen ist. Man
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Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
471
wird in diese Fällen mit Sicherheit nur so viel sagen können, daß
der Labyrinthnerv bzw. dessen Kerne nicht vollständig zerstört sind,
eine weitere Detaildiagnose bezüglich der Erkrankung einzelner
Bahnen ist vorderhand nicht erwiesen.
Bezüglich des Nystagmus und der Zeigereaktion wurde bereits
oben das Nötige mitgeteilt.
Während nun bis jetzt nur die Rede davon war, in welcher
Weise sich die galvanische Unter- bzw. Unerregbarkeit manifestiert,
sei zum Schluß noch die Frage der galvanischen Übererregbarkeit
kurz besprochen. Wenn man mit Brunner die labyrinthäre Über¬
erregbarkeit unterteilt in die eigentliche Übererregbarkeit, welche
sich auf die Perzeption des Reizes durch das periphere Sinnesorgan
sowie auf die Fortleitung dieses Reizes durch den peripheren,
nervösen Apparat bezieht und in die Überempfindlichkeit, d. i. die
Verarbeitung des Reizes im Zentralnervensystem, so ergibt sich mit
der Einnahme des Standpunktes, daß der galvanische Strom nicht
am peripheren Sinnesorgane, sondern am nervösen Apparat direkt
angreift, die Folgerung, daß die galvanische Prüfungsmethode kein
exaktes Maß für die Übererregbarkeit im obigen Sinne, sondern nur
für die Überempfindlichkeit ahgeben kann. Wir haben gefunden,
daß bei Normalen der Nystagmus bei Blick in der Richtung der
raschen Komponente in der Regel durch Stromstärken von 3 MA. an,
hei Blick geradeaus durch Stromstärken von 5 MA. ausgelöst werden
könnte, und daß bei dieser Stromstärke weder deutlicher Dreh¬
schwindel noch bedeutendere vasomotorische Erscheinungen auftreten.
Wir sprechen daher von labyrinthärer Über¬
empfindlichkeit dann, wenn schon hei Strom¬
stärken unter 3 MA. Nystagmus, bei Blick in der
Richtung der raschen Komponente, bei Strom¬
stärken unter 5 MA. Nystagmus bei Blick gerade¬
aus und Drehschwindel auftreten. Auf die vaso¬
motorischen Erscheinungen legen wir kein besonderes Qewicht, weil
wir diese nicht als Zeichen einer labyrinthären Überempfindlichkeit,
sendern als Zeichen allgemeiner Neurasthenie auffassen.
IV. Zusammenfassung:
1. Eine einseitige Untersuchung des Labyrinthes ist durch den
galvanischen Strom möglich.
2. Bei Normalen tritt der galvanische Nystagmus bei Blick in
der Richtung der raschen Komponente bei höchstens 3 MA. auf.
3. Eine Neigung des Körpers bei den sitzenden normalen Ver¬
suchspersonen tritt in der Regel bei 3 bis 5 MA. auf. Die Neigung
orfolgt stets zur Seite der Anode.
4. Beim stehenden Patienten tritt in Mann scher Stellung die
Fallreaktion vor dem Nystagmus auf.
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472
Imre Junger. Galvanische Prüfung des Labyrinthes.
5. Bei labyrinthkranken und labyrinthlosen Personen empfiehlt
es sich, die Fallreaktion in der Weise zu prüfen, daß man die Ferse
des einen Fußes neben die Spitze des anderen setzen laßt.
6. Bei Normalen laßt sich die typische Abhängigkeit der Fall¬
richtung von der Kopfstellung in der Hegel nicht nachweisen. In
einer großen Reihe von Fallen wird sogar die Falltendenz durch die
abnorme KopfBtellung gehemmt.
7. Bei Normalen äußern sich die subjektiven Erscheinungen
bei der galvanischen Prüfungen häufiger in Form des „Tastschwindels“
(Purkinje) als in Form des Drehschwindels.
8. Bei Normalen stellen sowohl die typische Zeigereaktion als
auch die Armtonusreaktion (Fischer-W odak) ein seltenes Vor¬
kommnis dar.
9. Bei gewissen Erkrankungen des Labyrinthes läßt sich auch
durch hohe Stärken des galvanischen Stromes kein Nystagmus, wohl
aber typische Fallreaktion auslösen. Dieser Ausfall dar galvanischen
Reaktion' muß zurückgeführt werden auf die bessere Untersuchungs¬
möglichkeit der Stammuskulatur als der Augenmuskulatur.
10. In einigen Fällen von ' Taubstummheit nicht luetischer
Natur, kann man einen positiven Ausfall der galvanischen Reaktion
bei fehlender kalorischer und rotatorischer Erregbarkeit finden, ein
Verhalten, das bis jetzt als charakteristisch für die heredoluetische
Erkrankung des Innenrohres angesehen wurde.
11. Die kalorische und rotatorische Unerregbarkeit verbunden
mit galvanischer Erregbarkeit beweist eine Zerstörung der labyrin-
thären Sinnesendstellen, läßt aber keine Schlüsse auf die anatomische
Beschaffenheit des nervösen Apparates des Innenrohres zu.
12. Genau so wie den Fällen heredo-degenerativer Taub¬
stummheit liegen auch den Fällen von heredo-luetischen Erkrankung
des Innenohres verschiedene anatomische Bilder zugrunde, die ein
verschiedenes funktionelles Verhalten des Labyrinthes zur Folge haben.
18. Mit Hilfe des galvanischen Stromes läßt sich die laby-
rinthäre Überempfindlichkeit, nicht aber die labyrinthäre Über¬
erregbarkeit feststellen.
14. Die labyrinthäre Überempfindlichkeit ist dadurch gekenn¬
zeichnet, daß schon bei Stromstärken unter 3 MA. Nystagmus bei
Blick in der Richtung der raschen Komponente, bei Stromstärken
unter 5 MA. Nystagmus bei Blick geradeaus und Drehschwindel
auftreten.
15. Das Auftreten von heftigen vasomotorischen Erscheinungen
bei der galvanischen Prüfung deutet auf allgemeine Neurasthenie
und nicht auf labyrinthäre Überempfindlichkeit.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Jänn. 1922).
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Vereinsberichte.
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft.
Sitzung vom 11. Jänner 19$£.
(Offizielles Protokoll.)
Vorsitzender: Prof. H a j e k.
Schriftführer: H. Haslinger.
1. G. Ho f er: 1 . Pharynx larynxresektion wegen Karzinom vor 4 Jahren«
Dauerheilung. Gut funktionierende Glneksche Pharynxprothese, nach ver¬
geblicher Plastik.
Vor 4 Jahren wurde Pat. wegen Ca-laryngis totalexstirpiert. Der Ver¬
schluß des aus der Resektion des Larynx und Pharynx resultierenden großen
Pharyngoösophagostoma erwies sich nach 2 Versuchen einer Hautplastik
als vergeblich. Der Pat. wird seit 4 Jahren dadurch ernährt, daß ein ein¬
gesetzter und durch das lange Liegen gut verankerter Gluck scher Trichter
als oberste Speiseröhre funktioniert. Der Pat. ißt, trinkt und arbeitet wie
seinerzeit vor der Operation.
2 . Carcinoma postericoidenm.
Der Tumor wurde durch Ei c keusche Hypopharyngoskopie ent¬
deckt und erschien bei der Röntgendurchleuchtung als über dem Jugulum
nach unten begrenzt. Bei der Operation (Totalexstirpation Prof. H a j e k)
zeigte es sich jedoch, daß der Tumor tief hinein in das Ösophagus¬
lumen sich erstreckte und an eine radikale Entfernung nicht zu denken sei.
Nach Exstirpation des Larynx und oberen Tumors wurde ein nach allen
Seiten gut drainiertes, nur durch Situationsnähte mit Haut umsäumt es
Pharyngo-ösophagostoma angelegt, das, wie zu sehen, wunderschön verheilt
ist und nunmehr eine energische Radiumbestrahlung möglich macht.
Der Fall zeigt nebstdem, wie Yortr. in 2 Fällen wieder sehen konnte,
daß es bei allen vorhandenen Technizismen nicht gelingt, die untere Grenze
besonders in den hochsitzenden Ösophagustumoren zu bestimmen. Die
Endoskopie läßt sich ja gewöhnlich nicht ausführen.
Aussprache:
Marschik: Mit dem sogenannten Postkrikoid- oder Piriformiskarzinom
kann man leicht sehr unangenehme Überraschungen erleben. Nicht nur, daß das
Karzinom bei der Operation sich als viel weiter nach unten in den Ösophagus vor*
gedrungen erweist, es kann auch das Umgekehrte der Fall sein, wie ich es erfahren
habe, daß nämlich ein vermeintliches Karzinom des Recessus piriformis nur den
obersten Pol eines aus dem Ösophagus herauf ge wucherten Tumors darstellt,
der sich dann in der Tiefe, als dem eigentlichen Sitze der Erkrankung, schon als
längst inoperabel erweist. In dem erwähnten Falle machte ich die Querresektion
des Larynx und Pharynx nach Gluck und fand in der Tiefe des Jugulums den
Ösophagus immer noch von Tumormassen ausgefüllt, deren Ende nicht feststellbar
war, so daß ich wie H o f e r im Tumor abtragen mußte. Bald darauf Exitus infolge
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Vereins berichte (Wiener lar.-rhinol. Ges-, Jänn. 1922).
Arrosion der einen mit dem Tumor verwachsenen Carotis dommunjs. Die Obduktion
zeigte den Ösophagus fast bis zum Zwerchfell durch Karzinommassen ersetzt! Ein
Beispiel der Erfahrung, daß das Ösophaguskarzinom überhaupt mit Vorliebe dem
Schlauch entlang nach oben und unten sich ausbreitet, entgegen dem mehr kon¬
zentrischen Wachstum an anderen Stellen, so daß der ganze Ösophagus in Karzinom
umgewandelt sein kann, ohne daß das Mediastinum erheblich beteiligt ist. Es sir.d
daher beim Rezessuskarzinom, wo es sich um eine so große und meist lebensgefähr¬
liche Radikaloperation handelt,vorher alle uns zurVerfügung stehenden diagnostischen
Hilfsmittel anzuwenden, um die Ausdehnung des Tumors nach unten fcstzustelkn.
Auffällig ist immer ein Rezessuskarzinom, das schon längere Zeit besteht und schon
Schluckstenose macht, andrerseits die bekanntlich beim Hypopharynxkarzincm
frühzeitig und rasch sich entwickelnden Drüsenmetastasen veimissen läßt. Hypo-
pharyngoskopie, Ösophago- und Tracheoskopie sind heranzuziehen, nicht zuletzt
das Röntgenverfahren, wenn es am Ösophaguscingang zur Stenose gekommen ist
und der Tubus nicht mehr durchdringt. Nach SgalitzeriBt mit Durchleuchtung
in mehreren, hauptsächlich schiefen Richtungen, die Ausdehnung von Ösophagus¬
tumoren auch ohne Kontrastbrei deutlich abzugrenzen, wichtig auch wieder für
die Fälle, als die Paste nicht mehr die Stenose passiert. Für die Frage einer Radikal-
operation ist auch nach Möglichkeit das Vorhandensein von regionären Metastasen
im Ösophagus selbst festzustellen, die bekanntlich gerade hier nicht selten sind und
frühzeitig eine Radikaloperation illusorisch machen.
II. M a r s c h i k: Tracheotomie oder Traeheostomie bei der Total’
exstirpation des Kehlkopfes.
Stellt einen 47jährigen Pat. mit rechtsseitigem Rezessuskarzinom vor,
bei dem er in zweizeitigem Verfahren die Radikaloperation auszuführen
beabsichtigt und zunächst die Tracheotomie gemacht hat. Das zweizeitige
Verfahren, das Gluck zugunsten des einzeitigen aufgegeben hat, dürfte
doch für gewisse Fälle seine Berechtigung haben, hauptsächlich auch dann,
wenn die Einrichtungen nicht gegeben sind, die die Atemluft so verändern,
daß sie dieselbe Beschaffenheit bekommt wie beim gesunden, durch die Nase
atmenden Menschen. In dem vorgestellten Fall hat M. eine sogenannte
Traeheostomie ausgeführt, i. e. primäre Vernähung der Hautlefzen
mit der durch Knorpelexzision w r eich und schmiegsam gemachten vorderen
Trachealwand, wodurch jede Sekundärheilung vermieden wird. Damit mm
für die nachfolgende Radikaloperation und Trachealplastik die Haut an der
Trachea fixiert bleibt, ist eine besondere Schnittführung nötig (erscheint
ausführlich in dieser Monatsschrift).
Aussprache:
K o f 1 e r: Im Gegensatz zum Kollegen Marschik bin ich im Laufe der
Jahre ein entschiedener Anhänger der zweizeitigen Larynxoperation geworden.
Marschik sprach von Vorkehrungen, die Gluck trifft, um die durch die Kanüle
in die Trachea einströmende Luft der per vias naturalis eingeatmeten möglichst
gleich zu gestalten. Dies ist sicherlich sehr wichtig, doch scheint es mir geradeso
wichtig, doch sich der Pat. auch an die Kanüle selbst, d. h. an den durch sie in den
ersten Tagen hervorgerufenen starken Reiz gewöhnt. Von Asepsis im wahren Sinne des
Wortes läßt sich bei Larynxoperationen überhaupt nicht reden, höchstens von mehr
weniger reinem Operieren. Den Vorschlag Marschik s, statt der einfachen Tracheo¬
tomie bei der zweizeitigen Operation ein Tracheostoma durch Vernähung der Haut
mit der Trachealwand anzulcgen, muß ich aus dem Grunde verwerfen, weil gerade
unter dieser Naht, wie dies mein Vorredner Hofer schon hervorgehoben haf.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Jänn. 1922).
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häufig Eiterungen stärkerer oder geringerer Intensität, längerer cder küizeur Dauer
resultieren. Ich habe dies selbst erlebt, obwohl ich es vermieden habe, durch die
Traohealknorpel durchzustechen, und obwohl ich auch in 2 Fällen nach dem Vor¬
schläge Marschiks die Traohealknorpel ausgelöst habe. Für das einfachste
und beste halte ich die gewöhnliche Tracheotomie. 10 bis 14 Tage später kann man
dann die Hauptoperation durchführen.
Mjirschik (Schlußwort): Herrn Kotier kann ich nicht beipflichten.
Die Trachealkanüle ist und bleibt ein notwendiges Übel der aus welchen Gründen
immer indizierten dauernden Eröffnung der Luftwege, aber eben ein Übel. Eine
intakte Trachea bei einem, der längere Zeit die Kanüle getragen hat, erscheint mir
selbst bei Einhaltung der allergrößten Sorgfalt und subtilsten Technik eine Unmög¬
lichkeit. Über kurz oder lang kommt es. wenn nicht zu einem Dekubitalgeschwür,
so doch mindestens zu leichten Reizerscheinungen und der sogenannten Frcnd-
körperperichondritis, Metaplasie des Flimmerepithels in Plattenepithel mit Ver¬
hornungserscheinungen, Atrophie der Drüsen usw., damit zum Verlust der normalen
Funktion der Trachealschleimhaut für die Expektoration. Je länger man die Kanüle
vermeiden, je eher man sie entfernen kann, desto besser. Die Kanüle nach der Total¬
exstirpation ist, wenn sie auch nötig ist, nicht so gefährlich, weil die Trachea viel
leichter und besser zu übersehen und zu behandeln ist. Auch, was die von K o f 1 e r
angegebene Gefahr der primären Vernähung in Form von langdauerrden Eiterungen
anbelangt, so glaube ich sie ebenfalls auß meiner Erfahmng, die sehen mehr als zehn
Fälle übersieht, verneinen zu können. Mit der in meinem Vortrag angegebenen Technik
läßt sich die Operation wirklich so durchführen, daß alle Voraussetzungen für eine
Primaheilung gegeben sind. Viel bedeutsamer erscheinen mir die von mir bereits
angeführten Schwierigkeiten der Traeheostomie in funktioneller Hinsicht bezüglich
der Expektoration.
, III. M. W e i 1: t)fccr konservatives Verbalten lei malignen Neoplasmen
W. berichtet zunächst ausführlich über 3 Fälle aus der letzten Zeit.
1. Mann von 69 Jahren mit ausgedehntem Epitheliom des linken
Stimmbandes, hier dreimal demonstriert (siehe die Berichte) durch Zufall
mit Tannineinblasungen behandelt, wobei auffallende Rückbildungs-, bei¬
nahe Heilungsvorgänge beobachtet wurden.
2. Mann von 67 Jahren. Epitheliom in der Mitte des linken Stimm¬
bandes. Verweigerung der Radikaloperation. Endolaryngeal operiert, mit
Tannin behandelt, 2 Rezidivoperationen, dann Radiumbehandlung durch
Prof. Marschik. Vor 2 Monaten hier vorgestellt, vorläufig geheilt.
3. Frau von 39 Jahren. Klinisch Tuberkulose des rechten Stimmbandes,
unter Antipyrinbehandlung gebessert. Nach Mitteilung eines Kollegen, der
vorher schon eine Probeexzision gemacht hatte, histologisch Epitheliom,
daher Tanninbehandlung mitVerschlimmerung. Während derVorbesprechungen
wegen der Radikaloperation ging Pat. in eine andere Ambulanz, wo sie klinisch
als Apicitis und Tbc. laryngis angesprochen und mit galvanokaustischen
Tiefenstich behandelt wurde. Sie erscheint derzeit (nach 7 Monaten) geheilt ;
man sieht nur eine Narbe.
Diese 3 Fälle in ihrer Art und ihrem Verlaufe so verschieden, haben
ein Gemeinsames: daß sie durch das dilatorische Verhalten
des Vortr. der Radikaloperation entzogen wurden
und sich vorläufig in vollkommen zufriedenstellen¬
dem Zustande befinden.
Monatsschrift f. Ohrenheilk. n. Lar.-Rhin. 56. Jahrg. 32
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Vereinaberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Jänn. 1922)
W. erörtert die verschiedenen diagnostischen und therapeutischen
Möglichkeiten: Irrtümer bei der so schwierigen histologischen Diagnose des
beginnenden Epithelioms, mögliche Kombination von Tbc. oder Lues mit
Karzinom, mögliche Heilung auch eines Epithelioms durch Galvanokaustik
und so weiter, endlich auch das Vorkommen histologisch sichergestellten,
aber stillestehenden oder nur sehr langsam fortschreitenden Epithelioms.
Es erscheint dem Vortr. immer wahrscheinlicher, daß in. Beinern ersten, fast
einzig dastehenden Falle das Tannin keine entscheidende Rolle spielt, sondern
eher Spontanverlauf vorliegt. Solche Fälle können aber derzeit nur 3ann
beobachtet werden, wenn die Pat. jeden Eingriff verweigern; sie sollten aber
von den Laryngologen innerhalb der Grenzen des Möglichen und Zulässigen
systematisch gesucht werden, denn ihre Zahl ist uns vollständig unbekannt.
Durch das starre Festhalten an dem Grundsätze,
auf Grund oft nur einer einzigen histologischen
Untersuchung allein, ohne Berücksichtigung des
klinischen Bildes und Verlaufes, sofort die Radikal¬
operation und nur diese vorzunehmen, wird jeder
Fortschritt in der Erkenntnis und Therapie des
Leidens unmöglich gemacht, abgesehen von den Fehldiagnosen,
von denen naturgemäß nur sehr wenige bekannt werden.
Vortr. bespricht die verschiedenen Bestrebungen in der Therapie der
malignen Neoplasmen (Cancroin, Antimeristem, Kieselsäure, Mosetigs
Tinktionsverfahren, Röntgen, Radium) und speziell aus der letzten .Zeit
Prof. Weibels Berichte über die Behandlung des Uteruskarzinoms mit
dem Symmetrieapparat. Dieser hat das einzig richtige getan: beginnende
Fälle dazu genommen, nicht aber vorgeschrittene, an denen nichts mehr
zu verlieren aber auch kaum etwas zu erzielen war. Wenn nun Weibel
über keine einzige Heilung hätte berichten können, hätte es jemand wagen
dürfen, ihm daraus einen Vorwurf zu machen ?
Vortr. gelangt zu folgenden Vorschlägen:
1. Bei nicht zu ausgedehnten Stimmbandepitheliomen möge man es
nicht bei einer Probeexzision bewenden lassen, sondern gleich möglichst
gründlich endolaryngeal operieren, ebenso eine etwaige Rezidive.
2. Die Zwischenzeit benutze man zu therapeutischen Versuchen jeder
Art (Adstringentien, Kaustika usw., siehe oben).
3. Die histologischen Präparate mögen im Wege einer Sammelforschung
in der Hand der hervorragendsten Histologen vereinigt werden. Durch Ver¬
gleichung aller ersten Präparate mit Berücksichtigung des klinischen Verlaufes
der Fälle wird man dann vielleicht doch dazu kommen, die voraussichtliche
relative Gut- oder Bösartigkeit schon aus dem histologischen Bilde zu er¬
kennen, ebenso wird man an den Präparaten der Rezidive die Wirkung der
im Einzelfalle angewendeten Therapie studieren können.
4. Bei der jetzt üblichen zweizeit igen Operation möge man die Zwischen¬
zeit, die man ja auch etwas verlängern kann, zu solchen therapeutischen Ver¬
suchen (z. B. mit dem Symmetrieapparat benutzen.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Jänn. 1922).
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Vortr. meint, daß gerade die enormen Fortschritte in der Technik der
Radikaloperation es dem einzelnen Operateur gestatten, solche nichtoperative
b*wu endolaryngeale Therapie und klinische Beobachtung ohne nennenswerte
Schädigung der Patienten und somit ohne Belastung des eigenen Gewissens
auch auf längere Zeit auszudehnen, und hebt nochmals hervor, daß er. bei
seinen Darlegungen nur die beginnenden Stimmbandepitheliome im Auge
hatte, bei denen eine Heilung durch endolaryngeale Behandlung noch zu
erhoffen ist.
Aussprache:
E. Glas weist darauf hin, daß es wohl richtig und seit langem anerkannt
sei, daß man mit der histologischen Bestimmung der probeexzidierten Stückchen
aus dem Larynx besonders vorsichtig sein müsse und, wenn nötig, mehrere Exzisionen
und bei nicht ganz einwandfreiem Befunde Serienschnitte machen solle. Pachy-
dermien des Larynx können manchmal in einem oder dem anderen Präparate Kar¬
zinom Vortäuschen und mit ihren Zellwucherungen hart an die Grenze der Atypie
kommen. So weist Glas auf jenen in der Gesellschaft referierten Fall hin, bei dem
ein namhafter Histologe bei dem probeexzidierten Stückchen die Diagnose auf Ca
gestellt hatte, während die Untersuchung der durch Laryngofissur gewonnenen Geweb-
stücke Tuberkulose des Stimmbandes ergab. Es handelte sich um jenen Fall, bei
welchem Radium post operätionem in geringer Dose appliziert wurde und 8 Wochen
später es zu einer Nekrose der bestrahlten Partie kam. (In Parenthese: Wirkt das.
Radium bei tuberkulösen Prozessen nicht öfter ungünstig?) Zweitens ißt es
eine altbekannte Tatsache, daß auch im Larynx die Malignität der Karzinome eine
sehr verschiedene ist und daß es immerhin Fälle gibt, die ganz im Beginne
operiert (vielleicht auch endolaryngeal) nicht rezidivieren. Trotzdem besteht der
Leitsatz, bei histologisch konstatiertem Ca, auch wenn es endolaryngeal scheinbar
völlig exstirpiert worden ist, extralaryngeal zu opereren, absolut zu
Recht. Zum Beweis hierfür sei eines Falles Erwähnung getan, der eine 27jährige
Frau betraf, die warzenartige Exkreszenzen an beiden Stimmbändern hatte, die
Glas endolaryngeal entfernt hatte und deren histologische Untersuchung die
Diagnose junges rasch wachsendes Karzinom ergab. Nach der endo-
laryngealen Operation erschien der Larynx so rein, daß von den pachydermischen
Exkreszenzen nichts mehr zu sehen war und auch H a j e k trotz des positiven
histologischen Befundes ein wenig zuzuwarten riet, zumal die Heiserkeit (mit
entsprechendem Befunde) bereits sechs Jahre bestand. 2 Monate später mußte wegen
neu konstatierten Unebenheiten der Stimmbänder die Laryngofissur gemacht werden
und die erkrankten Stimmbänder in toto entfernt werden. So ist es möglich, daß der
Fall Heindl-Weil ein relativ langsam wachsendes Epitheliom des Stimm¬
bandes betraf, bei welchem die endolaryngeale Exzision mit nachfolgender Kaustik
der Ulkusbasis einen Erfolg zeitigte und den Larynx (zumindest längere Zeit) intakt
erscheinen lasse. Aber gerade so eine Ausnahme bestätigt die Regel und kann an
dem allgemein anerkannten Satze, bei diagnostiziertem Karzinom so früh als möglich
von außen zu operieren, absolut nichts ändern.
Kof ler: Ich möchte an den Vortragenden die Frage richten, ob er davon
überzeugt ist, daß bei der Anfertigung der histologischen Präparate keine Irrtümer,
z. B. Verwechslungen, vorgekommen sind? Der Vorgang Weils, die Patienten
konservativ zu behandeln, weil sie die Operation verweigerten, ist entschuldbar,
obwohl ich diesen Standpunkt persönlich nicht teile. Den Standpunkt der kon¬
servativen Behandlung aber zu verfechten und zu verallgemeinern, halte ich für
f anz unangebracht. Weil erwähnte, daß Weibel mehrere Fälle von beginnendem
Jteruskarzinom statt zu operieren bestrahlt hat. Ein Uteruskarzinom läßt sich
aber mit einem Larynxkarzinom nicht vergleichen. Wenn man bei letzterem zuwartet,
wird der Umfang der Operation ein immer größerer, was bezüglich der späteren
Stimme und Atmung und auch sonst nicht gleichgültig ist; statt einer einfachen
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Laryngofissur kann beim Zuwarten eine halbseitige, ja eine Totalexstiipation not¬
wendig werden. Beim Uteruskarzinom aber muß, ob nun das Karzinom im Beginn
oder weiter fortgeschritten ist, immer der ganze Uterus entfernt werden; man wäre
also beim beginnendenUteruskarzinom eher berechtigt,die Wirkungeiner konservativen
Behandlung bis zu einer gewissen Zeit zu beobachten als beim Larynxkarzinom.
Ich erlaube mir noch an den Vortr. die Frage zu richten, was er im Falle eines
beginnenden Larynxkarzinoms ansich selbst für eine Behandlung durchführen
ließe, eine konservative oder radikaloperative ?
Heindl bemerkt, daß derlei Ausführungen, wie sie H. Weil bringt, be¬
sonders insolangc er nicht andere Resultate seiner Tanninbehandlung bei b e-
ginnenden Larynxkarzinomen auf weisen kann, absolut nicht geeignet sind
,,Klärung“ in die Frage der Therapie des Larynxkarzinoms hinein zu tragen, sondern
im Gegenteile nur Verwirrung. Er hat keinen Fall einer erreichten Heilung aufzu¬
weisen, eher wie er selbst zugibt, im dritten Falle der Verschlimmerung. Nach dem
aber es bekanntermaßen den hervorragendsten Vertretern unseres Faches in Jahr¬
zehnte langer unermüdlicher Zusammenarbeit mit den Pathologen gelungen ist,
differenzialdiagnostische Merkmale für die mehr oder minder jeweilig ins Gewicht
fallende Malignität von derlei Neubildungen auszuarbeiten, auch für ihre nach
Lokalisation und Ausbreitung verschiedene Operabilität und Inoperabilität ganz
bestimmte Grenzen abzustecken, verschiedene Operationsmethcden zu ersinnen
und zu verbessern, so müssen diese therapeutischen Versuche geradezu als gefährlich
für die Pat. bezeichnet werden. Sie sind nur an inoperablen, oder in Fällen be¬
ginnender Erkrankung nur dann erlaubt, wenn Patient selbst sie
durchauswünscht.
Was nun die Heilung von beginnenden Stimmbandkarzinomen durch endo-
laryngeale Eingriffe anbelangt, so wissen wir, daß ihre Zahl eine ganz unverhältnis¬
mäßig kleine ist, gegenüber den durch extralaryngeale Eingriffe geheilten. Wir
wissen auch, daß das Spiegelbild, weil es nur einen Einblick aus der Vogelperspektive
gestattet, fast immer, was Ausdehnung der Erkrankung anbelangt, täuscht und die so
erlangte Kenntnis weit hinter der Wirklichkeit zurück bleibt, die bei der Eröffnung
des Larynx angetroffen wird. Jeder der solche Operationen ausgeführt, weiß davon
zu erzählen. Der 3. Fall Weils, jener, dem Redner die Stimmbandexstirpation
im Februar 1921 geraten hatte, war freilich ein solcher, daß man bei flüchtiger
anfänglicher Betrachtung eine tuberkulöse Erkrankung des rechten Stimm-
bandes diagnostizieren konnte, von den Schülern des Redners auch dafür gehalten
und bei einer einmaligen Besichtigung 4*4 Jahre früher auch von dem Redner selbst
als wahrscheinlich diagnostiziert wurde. Mit Rücksicht darauf aber, daß die damalige
flache Infiltration des Stimmbandes sich nunmehr nach 4*4 Jahren in eine menr
spindelförmige, auf eine Beteiligung des subchordalen Anteiles schließen lassende,
oberflächlich nur spärliche Ulzeration auf weisende Auftreibung des Stimm bandes
umgewandelt hatte, die sich bloß auf das rechte Stimmband beschränkte, und ein
starrep, derbes, trockenes Aussehen zeigte, mußte der Verdacht auf eine karzinomatöse
Erkrankung aufsteigen. Noch dazu blieben die übrigen Untersuchungen atich der
pulmones den strikten Nachweis einer tuberkulösen Erkrankung schuldig. Es wurde
zur Probeexzision von der subchordalen Auftreibung in der Mitte des freien Stimm¬
bandrandes geschritten und siehe da, der histologische Befund Paltaufs
lautete am 22. II. 1921 Plattenepithelkarzino m. Nun ist aber bekannt,
daß ein Gelehrter, wie P a 11 a u f wohl weiß, was er mit der Abgabe eines solchen
Befundes ausspricht. Und so konnte Redner nach allgemein anerkannten Regeln
der Jetztzeit den Pat. mir als einziges wirkliches Heilmittel die Stimmbandexstirpation
von außen vorschlagen. Etwas anderes verbietet ihm sein Gewissen. Da sich Pat.
nicht sofort zu einem solchen Eingriff entschließen konnte, wurde geraten, einen
zweiten erfahrenen Fachmann, wie Marschik, zu Rate zu ziehen. Wenn nun
Weil, den die Pat. aufsuchte, anfänglich ebenfalls und später andere Fach¬
männer die Fehldiagnose auf Tuberkulose des Stimmbandes machten, so
ist dies nach Gesagtem nicht übel zu nehmen. Aber, daß auch nach Bekanntgabe
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tle« histologischen Befundes eine mögliche Heilung durch Tannin¬
einblasungen der Pat. in Aussicht gestellt und eie dadurch in der Verweigerung
des operativen Eingriffes bestärkt wird, ist wohl kaum zu entschuldigen. Denn damals
hätte zur Heilung der relativ kleine operative Eingriff der einseitigen Stimmband-
exstirpation genügt, während in nächster Zukunft schon der halbe Larynx unter
ungünstigeren Auspizien wird geopfert werden müssen. Das ist aber jedenfalls ein
Nachteil und nicht Vorteil, der den Pat. aus derartigen therapeutischen
Versuchen, wie sie Weil anstellt, erwächst.
Was die schließlich behauptete Heilung oder Beseelung der Pat. — ai s
den Ausführungen W e i 1 s ist mit Sicherheit höchstens das letztere zu entnehmen —
nach einem galvanokaustisehen endolaryngealen Eingriff anbetrifft, so muß Redner
in Erinnerung bringen, daß solche karzinomatöee Erkrankungen damit wohl total
oder wahrscheinlicher nur teilweise zerstört werden können. In¬
wieweit dies in diesem Falle stattgefunden hat, wird die Zukunft lehren. Jedenfalls
aber kann dieser Umstand nicht als Rechtfertigung einer Behandlung eines beginnen¬
den Stimmbandkarzinoms mit Einblasungen von Tannin derzeit in Geltung
gebracht werden.
Marschik möchte den Vortr. fragen, ob er ganz sicher sei, daß bei Über¬
sendung und Anfertigung der histologischen Präparate nichts passiert sei, da ein
derartiger Verlauf, insbesondere die glatte Heilung in dem einen Falle immerhin
außerordentlich selten und auffallend sei. Bezüglich des von M. mit Radium be¬
handelten Falles möchte er nochmals betonen, daß er ihn in der vorigen Sitzung
nicht als Beispiel für den Wert konservativer Behandlung, scrdein als Radiumfall
vorgestellt hat, wobei die Radiumbestrahlung nur durch die Weigerung des Pat.,
sich operieren zu lassen, veranlaßt wurde. W T as endlich die Begutachtung über das
Kleinerwerden oder Verschwinden maligner Tumoren spontan eder unter kon¬
servativer bzw r . indifferenter Behandlung anbelangt, so möchte M. auf die von ihm
schon wiederholt hervorgeliobene Erfahrung verweisen, daß viele von den nach der
Anamnese ,,in letzter Zeit rasch gewachsenen“ Tumoren namentlich auch Drüse n-
metastasen, dieses rasche Wachstum nur einer Sekundärinfckticn und Bildung
kleinzelligen entzündlichen Infiltrates verdanken, welches das Neoplasma plötzlich
und rasch zu ungeahnter Masse anschwellen macht. Ohne oder mit irgendeiner am
besten anästhesierenden Behandlung kann dann dieses entzündliche Infiltrat
wieder zurückgehen und damit ein Tumor scheinbar bis auf einen kleinen Rest
schwinden, um dann langsam wieder sein unaufhaltsames Wachstum aufzunehmen.
Man lasse sich also durch auffälliges Kleinerweiden von malignen Tumoien nicht
täuschen, nur das dauernde Verschwinden oder Kleinbleiben wäre für Heilung eder
Rückbildungsvorgänge beweisend.
M. Hajek: Ich kann mit den Schlußfolgerungen des Herrn Vortr.
absolut nicht übereinstimmen. Es ist nicht richtig, daß man die Operation auch
noch später mit demselben Erfolge ausführen kann. Der laryngoskopische Befui d
gibt nur sehr mangelhaft die Tiefenausbreitung des Karzinoms wieder. Durch Zu¬
warten wird der Knorpel ergriffen und die Lymphdrüsen infiziert, welcher Umstand
die Prognose sehr viel übler gestaltet. Man muß also so früh als möglich — man
kann leider nicht genug früh operieren. Irrtümer in histologischen Befund« n
kommen vor. Es muß einigermaßen auch der klinische Befund fiir Ca stimmen:
In zweifelhaften Fällen müssen mehrere Probeexzisionen gemacht weiden. Der in
manchen Fällen konstatierte langsame Verlauf des Prozesses beweist nichts gegen
die dringende Frühoperation. Vor endolaryngealen Eingriffen ist mit den sein gelingen
Ausnahmen bei gestielten und ganz zirkumskripten Bildungen zu warnen.
. Hugo Neu mann: Ich möchte zu dem ersten der besprochenen Fälle und
der Verwendung des Tannins eine Bemerkung machen. Der Herr Vortr. hat zwar
selbst betont, daß er auf das Tannin als Spezifikum kein besonderes Gewicht lege.
Er hat aber hervorgehoben, daß dieser erste F"all sich bei Aussetzcn der Tannin¬
behandlung verschlechtert, bei Wiederbeginn derselben wieder gebessert habe.
Unter diesem mächtigen Eindruck hat er sich doch, erklärlieheiweise, zu dem Ge-
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Jänn. 1922).
danken veranlaßt gefühlt, er habe da vielleicht eine epochale Entdeckung gemacht
und dem Tannin sein Augenmerk zugewendet.
Da muß ich aus der Geschichte des Tannins die Entdeckung desselben als
Heilmittel gegen die Tuberkulose zu Beginn unserers Jahrhunderts, die auf der
vermeintlichen Tuberkuloseimmunität der Lohgerber basierte, in Erinnerung bringen.
Die damals gepriesenen Inhalationen von Eichenrinde sind bald wieder verschwunden.
In gleicher Weise sind aber, wie die Autoren aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts
berichten, das Tannin und die Tanninpräparate, als sie neu waren, bei vielen, fast
allen Krankheiten als epochales Heilmittel angesehen worden. So ist die erwähnte
Verwendung der Eichenrinde gegen Tuberkulose schon in der ersten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts, aus den gleichen Gründen wie bei der Wiederentdeckung
aufgekommen gewesen, aber wieder verschwunden. Aber auch gegen krebsige Ge¬
schwüre und Geschwülste wurden die Tanninpräparate damals vielfach verwendet.
Oesterlen, Vorstand der medizinischen Klinik in Dorpat, erwähnt in seiner
um 1850 erschienenen Heilmittellehre speziell die Verwendung des Tannins in wässe¬
riger Lösung bei Brustkrebs (durch Gutceit), bezeichnet sie aber, das Buch ist wohl
ungemein skeptisch und sarkastisch geschrieben, als zwecklose Verschwendung,
wie er die erwähnten Loheinhalationen eitle Spielereien nennt.
Nach diesen Erfahrungen ist wohl anzunehmen, daß das große unbekannte X,
welches bewirkt, daß es in einzelnen Fällen, die wir aus der Literatur kennen und
denen sich der heute besprochene vielleicht wird anreihen können, zum Stillstand
oder zur Spontanheilung des Karzinoms kommt, nicht das Tannin ist.
M. Weil (Schlußwort): Herrn Glas bin ich für die Mitteilung seines Falles
von Fehldiagnose sehr dankbar, da er ja damit einem meiner wichtigsten Postulate
zustimmt; solche Dinge dürfen eben nicht Vorkommen. Herrn Ko f ler antworte
ich, daß ich selbst bei beginnender Erkrankung mich zunächst von einem älteren,
erfahrenen Kollegen endolaryngeal operieren lassen würde. Herr H e i n d 1 läßt
meine Darlegungen vollständig außer Acht, die sich ja gerade um diesen Punkt
drehen, ob hier wirklich Karzinom vorliegt oder nicht doch eine histologische
Täuschung, eventuell eine Kombination; das wird erst die Zukunft lehren (ich sage
ja immer „vorläufig“ und „derzeit“). Ferner sagten mir gerade die Histologen, daß
man dem mikroskopischen Bilde den Grad der Bösartigkeit nicht sicher ansehen
könne. Daß die Zahl der durch endolaryngeale Eingriffe geheilten Fälle sehr gering
ist gegenüber dem radikal operierten, darf nicht Wunder nehmen, da ja gegenwärtig
die erstere Methode nur selten versucht wird; wer weiß, wie das Zahlen Verhältnis
sich gestalten würde, wenn sie bei beginnender Erkrankung zunächst allgemein
geübt würde. Absolut unrichtig ist die Äußerung Heindls, daß ich der Pat. die
Möglichkeit der Heilung des Karzinoms durch Einblasungen in Aussicht gestellt
hätte; das war bei ihrem ersten Besuche der Fall, da ich die Erkrankung für Tuber¬
kulose hielt, wofür ich sie ja noch halte. Ich habe ja detailliert erzählt, daß ich nach
seiner Mitteilung über den histologischen Befund nur das Pulver gewechselt habe
(anstatt Antipyrin Tannin nahm) und schon nach wenigen Wochen, da ich keine
Besserung sah, die Pat. zu Prof. M a r s c h i k schickte. Herr H a j e k gibt zu, daß
Irrtümer in der histologischen Diagnose Vorkommen; es müsse auch der klinische
Befund für Karzinom sprechen. Damit stimmt er ja einer meiner Forderungen zu.
Herrn Neumann danke ich sehr für seine Mitteilungen über das Tannin und
besonders dafür, daß er meine Gemütsverfassung und meinen Gedankengang nach
der Beobachtung meines ersten Falles, den ich wiederholt hier vorgestellt habe und
noch vorstellen werde, anscheinend am besten verstanden und gewürdigt hat.
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Vereinsberichte (öst. otol. Gee., April 1922).
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österreichische otologische Gesellschaft.
Sitzung rom 26. April 1922.
Vorsitz: G. Bondy, dann V. Hammerschlag.
Schriftführer: E. Urbantsch itsch.
I. 0. Beck: Zar Ätiologie der diffus-eitrigen Labyrintitis.
Die 48 jähr. Pat. H. R. wurde am 13. Jänner auf die Klinik Neu¬
mann aufgenommen. In der Kindheit Scharlach, im Anschluß daran
beiderseits Ohrenflufi, der bis zum 20. Lebensjahre gedauert hat, hernach
mehrere Jahre sistierte. Vor 12 Jahren nach einer Verkühlung ein
einige Wochen dauernder Ohrenfluß, dann Ruhe bis vor 2 Jahren. Seit
dieser Zeit wieder beiderseits Ohrenfluß, besonders links. Vor zirka
3 Wochen Schmerzen im linken Ohr, die in den ganzen Kopf aus¬
strahlten. Damals sah ich die Patientin das erste Mal. Rechts bestand
ein chronischer Adhäsivprozeß, links war das Mittelohr mit Polypen
erfüllt, die bis in den innersten Teil des Gehörganges reichten. Weber
nach links, kein Fistelsymptom, Gehör 20 cm Flttstersprache mit Lärm¬
apparat. Nach Reinigung des Ohres wurde der Polyp mit 10% Lapis
geätzt und der Pat. Salizylalkoholtropfen mitgegeben. Als sie am 13. I.,
also 10 Tage später, auf die Klinik kam, gab sie an, daß sie in der der
Polypenätzung folgenden Nacht mit sehr starkem Schwindel erwachte.
Das ganze Zimmer habe sich derart gedreht, daß sie glaubte, in einem
Karussel zu sein. Gleichzeitig sehr starkes Erbrechen, das sich bei jeder
Bewegung steigerte. Die Kranke blieb im Bett, bis Bie, von einer
Bekannten geführt, am 13. auf die Klinik kam. Der lokale Befund am
linken Ohr war unverändert. Dagegen bestand komplette Taubheit links,
kein Fistelsymptom, spotaner Nystagmus ersten Grades nach rechts,
komplette Ausschaltung des linken Vestibularapparates und geringer
Schwindel. Da die akuten Erscheinungen der Labyrintitis bereits ab¬
geklungen waren und kein Fieber bestand, keine meningealen Symptome,
haben wir mit der Operation zugewartet und das Ohr nur lokal gereinigt.
Derzeit ist das Mittelohr noch von Granulationen erfüllt, mäßige
Sekretion, kein spontaner Nystagmus, komplette Taubheit und Vestibulär-
ausschaltung.
Der Grund weshalb ich mir diese Kranke zu demonstrieren erlaube,
liegt in der gewiß ungewöhnlichen Ätiologie der LabyrinthausscLaltung.
Bei erhaltenem Gehör, beim Fehlen vom Fistelsymptom, bei Lateralisation
des Webers zur kranken Seite wurde bei einer Polyposis der Polyp mit
10% Lapislösung betupft. Dies war ein genug starker Reiz, um eine
solche Exacerbation der chronischen Otitis zu bewirken, daß sich wenige
Stunden hernach eine akute, diffus-eitrige Labyrintitis entwickelte. Diese
ist spontan abgeklungen, ein Grund zum sofortigen chirurgischen Ein¬
greifen schien deshalb nicht gegeben, weil wir die Kranke erst 10 Tage
nach Einsetzen der Labyrinthaffektion mit normalen Temperaturen ohne
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482
Vereinsberichte (öst. otol. Ges., April 1922).
meningeale Erscheinungen und mit einem Abklingen der Symptome zur
Beobachtung bekamen.
Ob die Patientin noch operiert werden wird, wird erst die weitere
Beobachtung ergeben.
II. 0. Beck: Tuberkulöse tumorartlge Granulome an der
Dura der mittleren und hinteren Schädelgrube und am Sinus.
Der 31jähr. Pat. M. H. wurde am 8. März 1922 auf die Klinik
Neumann aufgenommen. Im September 1922 bekam der Kranke, der bis
dahin immer ohrgesund gewesen war, im Anschluß an einen Schnupfen
Schmerzen und Ausfluß rechts. Das Ohr fließt seither ständig mit
wechselnder Intensität. Seit Beginn der Ohrerkrankung Ohrensausen und
starke Schwerhörigkeit. Sechs Tage vor der Spitalsaufnahme plötzliches
Auftreten von starkem Drehschwindel, er hatte die Empfindung, alles
drehe sich nach rechts, vor zwei Tagen und auch gestern starkes
Erbrechen und starker Schwindel, der anhaltend ist. Wenn Pat. sich
aufrichtet, empfindet er den Schwindel stärker als beim Liegen.
Ohrenbefund: Rechtes Ohr: Spitze des Wf. leicht druck¬
empfindlich, obere Gehörgangswand aufgelockert und bis zur Berührung
mit' der unteren Wand gesenkt, so daß ein Einblick in die Tiefe nicht
möglich ist. Mäßige, aber sehr stark fötide Sekretion. Linkes Ohr:
Ohne Besonderheit.
FunktionsprUfung: Rechtes Ohr komplette Taubheit mit
dem typischen Stimmgabelbefund. Spontaner Nystagmus nach links ersten
Grades. Die kalorische Prüfung mit kaltem und warmen Wasser ergibt
positive kalorische Reaktion. — Linkes Ohr normal.
Der rechte Mundwinkel bleibt bei Bewegungen vielleicht etwas
zurück. An der linken untersten Rippe ein apfelgroßer, kalter Abszeß.
Temperatur 37, Puls 76.
Interner Befund: Rezenter Prozeß an beiden Spitzen, be¬
sonders links.
Am 11. IV. maximale Senkung der hinteren, oberen Wand, fötide
Sekretion, Druckschmerz am hinteren Rand des Warzenfortsatzes und
an der Spitze daselbst ein leichtes Ödem. Keit spontaner Nystagmus,
kein Schwindelgefühl, Fistelprobe negativ, Labyrinth erregbar.
Operation (Beck). 12. IV. Unter einer mäßig dicken Corticalis
diploetischer Knochen, der käsig erweicht erscheint und mit dem
scharfen Löffel ausgekratzt werden kann. Eino fistulös durchbrochene
Stelle, ungefähr in der Mitte der hinteren, knöchernen Gehörgangswand,
und zwar nahe der unteren Wand. Totalaufmeißelung. Über dem Tegmen
antri liegt die Dura frei und ist in Hellergröße mit einem dicken, grau¬
weißen, tumorartig vorspringendem’ Granulationsgewebe bedeckt. Die Dura
wird von hier aus nach allen Seiten frei gelegt. Von der Stelle, wo die
Dura tumorartig belegt ist, nimmt dieses grauweiße Granulationsgewebe
gegen die Peripherie hin allmählich ab. Im Mittolohr keine Reste von
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., April 1922).
483
Gehörknöchelchen. Vom horizontalen Bogengang nnr sein glattes Ende
erhalten. Der restliche Bogengang dnrch Granulationen ersetzt. Nach
rückwärts reicht die Knochenerweichung an den Sinus und an die Dura
der hinteren Schädelgrube. Nach Freilegung des vorgelagerten Sinus und
der Dura, was durch einfache Ausschabung des erweichten Knochens
leicht möglich ist, findet sich an diesen beiden genau derselbe tumor¬
artige Belag, wie an der mittleren Schädelgrube. An der Spitze des
Warzenfortsatzes und retrofazial stark erweichter Knochen. Es wird,
soweit dies möglich ist, gesunder Knochen erreicht.
In der folgenden Zeit normaler Wundverlauf, jedoch zeitweise
Temperaturen bis 38°. Am 28. IV. wird eine leichte Fazialparese,
besonders im Augenast bemerkt. Die histologische Untersuchung
eines TumorstUckes ergibt eine Epitheloidzellentu berkulose.
Es handelt sich bei diesem Kranken um eine tuberkulöse chronische
Otitis, in deren Anschluß sich eine seröse Labyrintitis etabliert hat. Da
die Symptome nicht drängten, haben wir mit der Radikaloperation bis
zum Abklingen der serösen Labyrintitis zugewartet. Es fand sich außer
dem überall erweichten Knochen eine große Fistel im horizontalen
Bogengang von dem nur das äußerste Ende seines glatten Endes vor¬
handen war. An den beiden Duren und am Sinus fanden sich tumor¬
artige Granulome. An der mittleren Schädelgrube lag der Tumor frei, an
der hinteren Schädelgrube war er noch von erweichten Knochen bedeckt.
Die zirka 2 Wochen nach der Operation aufgetretene Fazialparese spricht
für eine Progredienz des Prozesses. Das Labyrinth ist derzeit noch nicht
ausgeschaltet. Solche tumorartige tuberkulöse Granulome wurden bereits
von Politzer beschrieben und auch in dieser Gesellschaft bereits vor¬
gestellt. Wegen der Seltenheit des Befundes habe ich mir erlaubt, den
Kranken zu demonstrieren.
III. S. Gatscher: Ausgedehnte akute Zygomatizitis. Sub¬
jektive Tonempfindung.
Der vorgestellte Pat. bekam nach ungefähr dreiwöchentlicher Dauer
einer akuten Otitis media eine ausgedehnte Anschwellung der rechten
Jocbfortsatzgegend. Trotz der großen Ausdehnung und der auffallend
raschen Entstehung fehlte ein Ödem des oberen Lides. Bei der Operation
fand ich allenthalben einen sehr zellreichen Knochen, woraus sich auch
die große Zerstörung im Gebiete des Jochfortsatzes ungezwungen erklärt.
Die Untersuchung des Eiters ergab Mukosus.
Pat., der absolutes Tongehör besitzt, beobachtet im Verlaufe seiner
Erkrankung eine subjektive Tonempfindung von „f“. Die Nachprüfung
mit der entsprechenden Bezold-Stimmgabel bestätigte die Richtigkeit der
Beobachtung. Da man selten eine derartige Angabe und Beobachtung
feststellen kann, habe ich über diese subjektive Gehörserapfindung Mit¬
teilung gemacht.
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484
Vereinsberichte (österr. otoL Ges., April 1922).
IV. S c h 1 a n d e r: Chronische Mittelohreiternng naeh
Grippe, eitrige Meningitis, wandst&ndiger Thrombus des Sinns
tr&nsYersus (Präparatdemonstration).
B. L., 48 Jahre alt, anfgenommen 29. I. 1922 an die Klinik Neu-
mann, bekam im Anschluß an Grippe eine akute Exazerbation einer
seit dem 16. Lebensjahre bestehenden linksseitigen Mittelohreiternng. Bei
der Aufnahme klagte Pat. aber heftige Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit,
Mattigkeit, hustete stark.
Ohrbefund: L. 0. Perforation im hinteren oberen Quadranten,
blutig-eitrige, nicht fötide Sekretion, Trommelfell stark gerötet, Warzen¬
fortsatz frei. V 1. = a. c. W oo, R links —; kein Spontannystagmus,
kalorische Reaktion links typisch. Temperatur bei der Aufnahme 38’7°,
Puls 101.
Neurologischer Befund negativ.
30. I. Pat. verbringt eine schlaflose Nacht, macht am Morgen einen
hinfälligen Eindruck. Rasende Kopfschmerzen, besonders im Hinterhaupt,
Zunge belegt. Patellarsehnenreflex gesteigert, geringe Nackensteifigkeit,
Kernig angedeutet, motorische Unruhe. Spontannystagmus II. Grades nach
links. Temperatur 37'5° bis 39 - 5°.
Augenhintergrund normal.
Lumbalpunktion: Liquor milchig getrübt, Druck erhöht;
das Gesichtsfeld Ubersät mit polynukleären Leukocyten.
Opera tion 30. I. Sklerotischer Warzenfortsatz. Aus dem weit
nach hinten ausgebuchteten Antrum quillt unter Druck stehender rahmiger
Eiter. Dura der mittleren Schädelgrube freiliegend, vorgewölbt, stark auf¬
gelagert. Typische Radikaloperation, langer Ambosschenkel kariös, Sinus
etwa zwei Querfinger Uber das obere Knie freigelegt, normal, zeigt außer¬
ordentlich kräftige respiratorische Schwankungen, bei Inspiration völlig
kollabiert. Freilegung der Dura der hinteren Scbädelgrube bis nahe an
den Labyrinthkern, wenig verändert; Punktion beider Schädelgruben nega¬
tiv. Inzision beider Duren. Tamponade Verband.
Bakteriologischer Befund: Im Warzenfortsatzeiter und
Liquor Streptococcus mucosus in Reinkultur, ebenso im Eiter aus den
Meningen.
31. I. 7 Stunden nach der Operation Exitus.
Obduktionsbefund: Eitrige Leptomeningitis an der Basis,
entsprechend der hinteren Schädelgrube und den medialen Abschnitten der
mittleren Schädelgrube. Exsudat links reichlicher als rechts, erstreckt
sich links auch in die Fossa Sylvii. Über der Konvexität entlang der
Mantelkante findet sich gleichfalls perivaskulär Exsudat. Gyri abgeplattet,
Snlci verstrichen, bei Hyperämie der Rinde. Parietaler Thrombus im
linken Sinus transversus.
Bei der Aufnahme des Pat. stand das Grippebild im Vordergründe,
24 Stunden danach ist die Meningitis manifest. Die außerordentlich starken
respiratorischen Schwankungen *des Sinus ließen schon bei der Operation
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Vereinsberichte (österr. otol. Ges., April 1822).
485
an einen Verschluß des Gefäßes denken. Breite Freilegung des Sinns bis
über das obere Knie zeigte jedoch überall normale Sinnswand. Das Zu¬
standekommen des isolierten wandständigen Thrombus im Sinns transver-
sns könnte man sich durch Fortwachsen eines Thrombus einer Tentorial-
Tene in das Sinnslnmen erklären; es käme aber auch die Möglichkeit
einer sprunghaften, retrograden Thrombose, aasgehend von einem er¬
krankten Warzenfortsatzgefäß in Betracht.
V. A. C e m a c h demonstriert 2 neue Modelle der Solluxlampe.
(Erscheint ansführlich in dieser Monatsschrift.)
VI. E. Urbantschitsch: Hämatogene Labyrinthitis bzw.
Neuritis nerri acustici bei akuter Mastoiditis. Pyämische Me¬
tastase bei intaktem Sinus infolge Bakteriämie.
Die 20jährige Leopoldine H. hatte mit 11 Jahren in Anschluß an
eine eitrige Mittelohrentzündung eine Meningitis überstanden, war aber
seither stets gesund. Am 23. Februar 1922 erkrankte die Pat. mit
starken linksseitigen Ohrenschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindel und
Fieber. Nach 2 Tagen blutiger Ausfluß ans dem linken Ohr, der dann
eitrig wurde; trotz der Otorrhöe keine Verminderung der Schmerzen und
des Fiebers. Daher Aufnahme.
Ohrenbefund: Rechts Tubenmittelohrkatarrh. Links eitrige
Mittelohrenzündung mit stecknadelkopfgroßer Perforation unterhalb des
Umbo. Sekretion profus. Warzenfortsatz äußerlich normal, hochgradig
druckempfindlich, besonders an der kinteren Abdachung. R+,
W»-*-r; S =, —( 2 ). Kein spontaner Nystagmus, kein Fistelsymptom,
kalorische Reaktion normal; v = 4m, a. c.
Operation am 2. III. Aufmeißelung des Warzenfortsatzes. Aus¬
gedehntes Empyem. Sinus normal. Bakteriologischer Befund des Eiters:
Streptokokken.
4. III. Heftiger Schwindel mit spontanem Nystagmus III. Grades
nach rechts; infolgedessen konstante Rechtslage, sonst Erbrechen. v = 0;
V = 20cm 'mit Verband und Lärmapparat). Fieber bis 40'3°.
5. III. V = a. c. Fieber bis 40‘3°.
6. III. Links komplette Taubheit, Schwindel und Nystagmus ziemlich
unverändert. Kein Kernig, kein B a b i n s k i, Dermographie, Bauch¬
deckenreflex typisch. 40-2°.
Labyrinthoperation (nach Neumann). Das Labyrinth
wird so breit eröffnet, daß von der hinteren Schädelgrube aus durch das
eröffuete Labyrinth in die Paukenhöhle ein Jodoformdochtfaden leicht
durchgezogen werden kann. Kein Eiter im Labyrinth. Sinus bluthältig.
Lumbalpunktion: Druck deutlich erhöht, Liquor wasserklar,
Nonne-Apelt 0, Gerinnsel 0, Zellen. Streptokokken.
7. III. Starke Schmerzhaftigkeit und Schwellung des rechten Knie¬
gelenkes. Venenpunktion derreohten Cubitalvene. Bakteriologischer
Befund deB Blutes: Streptokokken.
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48G
Vereinsberichte (österr. otol. Ges., April 1022).
8. III. Schwindel unverändert. Nackensteifigkeit, allgemeine Hant-
hyperästhesie. Kein Kernig. 1. Verbandwechsel: Tampon fast trocken.
Lumbalpunktion: Druck erhöht, Liquor trüb, bakteriologisch: Streptokokken.
9. III. */, 8 Uhr früh Exitus letalis.
Obduktionsbefund: Eitriges Exsudat an der Basis des Hirn'
Stammes. Im Labyrinth nnd in der Gegend des Felsenbeines kein Eiter.
Sinus frei. Vereiterung des rechten Kniegelenkes. Kleine flächenhafte Blutun¬
gen im Perineum nnd Endokard. Großer weicher Milztumor. Trübe Schwel¬
lung der Leber. Rezente lobulärpneumonische Herde in allen Lungenlappen.
Epikrise: Die Fat. zeigte im Verlaufe einer eitrigen Mastoiditis
Symptome einer eitrigen Labyrinthitis sowie Zeichen von Pyämie mit
einem Ablagerungsherd im rechten Kniegelenk. Aus ersterem Grunde wurde
die Labyrinthoperation nach N e u m a n n ausgeführt, eine Operation, die
zwar klinisch indiziert, aber in diesem Falle unangebracht war,
da es sich um gar keine Labyrintheiterung, wenigstens nicht um eine
solche mit freiem Eiter, gehandelt hat Man muß sich daher wenigstens
nachträglich die Frage vorlegen, ob für einen ähnlichen Fall nicht gewisse
Lehren gezogen werden können. Hier scheint mir in erster Linie die
Bakteriämie und der perakute Verlauf ausschlaggebend zu sein. Der
ganze Beginn scheint schon dafür zu sprechen, daß hier schon im Anfang
eine Meningitis vorlag. Wenn nun in solchen Fällen gleich Bakteriämie
nachgewiesen wird, scheint die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges durch
eine Labyrinthoperation fast geschwunden, denn die Labyrintherscheinungen
sind hier dann nur als sekundäre Folgeerscheinungen aufzufassen und
können entweder durch eine beginnende eitrige Infiltration des häutigen
Labyrinths oder retrolabyrinthär ausgelöst sein. Jedenfalls würde durch
die Operation höchstens ein Symptom bekämpft.
Sehr interessant ist aber in diesem Falle auch die „Metastase“ im
rechten Kniegelenk — eine in wenigen Tagen ganz foudroyant verlaufende
Eiterung, da sich bei der Inzision am 3. Tag schon ein Trinkglas voll
dicken Eiters entleerte — trotzdem der Sinus ganz frei befunden wurde.
Hier entstand die Metastase also nicht durch Verschleppung keirahältigen
Materials vom Sinus her, sondern rein durch die im Blut zirkulierenden
Streptokokken. Diskussion.
E. Ruttin: Ich weiß nicht, wie es in diesem Falle war, aber in solchen
Fällen gelingt eB meistens, die Differentialdiagnose zwischen Labyrintheiterung J
und retrolabyrinthärer Erkrankung zu stellen, da bei letzteren gewöhnlich nicht
rein rotatorischer sondern auch horizontaler Nystagmus besteht, ferner der \
Nystagmus bei Labyrintheiterungen einen typischen Ablauf innerhalb einer be¬
stimmten Zeit (3 bis 14 Tagen) hat, was bei den retrolabyrinthären Erkrankungen
nicht der Fall ist. Bei Meningitis und Kleinhirnabszeß wechselt er-entweder stark
oder nimmt allmälig zu, während er bei der Lahyrintheiterung allmälich abnimmt.
E. Urbantschitsch: Hier war für eine derartige differentialdiagnostische
Beurteilung der Verlauf ein zu rapider, da doch Pat. innerhalb 3 Tagen ad j
exitum gekommen war. Der Nystagmus hat in dieser Zeit nicht abgenommen; er
batte plötzlich eingesetzt und war konstant III. Grades. Vielleicht hat die seiner¬
zeitige Meningitis einen Boden für die jetzige Erkrankung geschaffen.
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Bücherbesprechungen.
487
Bücherbesprechungen.
Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. Von L. K a t z
und F. Blumenfeld. I. Bd. 3. vermehrte und verbesserte Auflage 1921,
Curt Kabitzsch. (Siehe den ersten Teil im 6. Heft.)
Die Bearbeitung der korrektiven Nasen- und Ohrenplastik ist in den
bewährten Händen von J. Joseph geblieben. Verdanken doch die meisten
der von ihm beschriebenen Methoden seinem technischen Geschick und seinem,
ich möchte nach dem, was ich selbst von ihm gesehen habe, sagen, seinem
künstlerischen Empfinden ihre Entstehung. Die meisten dieser Methoden
sind schon in den früheren Auflagen ausführlich dargestellt; die sehr umfang¬
reichen Erfahrungen, die J. an Kriegsverletzten zu machen Gelegenheit hatte,
haben natürlich auoh auf die Technik befruchtend und erweiternd gewirkt.
Die zahlreichen von Joseph aus dem Griechischen gebildeten Bezeichnungen
für die zu bessernden Zustände und für die von ihm dafür angegebenen Ma߬
nahmen haben sich bisher nicht einbürgern können, und ich würde es auch
nicht für wünschenswert halten; wir kommen ohne diese, z. T. schrecklichen
Wortbildungen aus und verständigen uns auch ohne dieselben. Abgesehen von
dieser Bemängelung ist die Arbeit von Joseph zu loben, sie ist klar und
verständlich. Sehr interessant ist der in dritter Auflage hinzugefügte ,.Anhang“,
der sich namenntlich mit der Nasendefektplastik, d. h. im wesentlichen mit
Kriegsverletz ungen bescliäft igt.
Die Paraffintherapie hat in Alb. E. Stein einen kundigen und beredten
Fürsprecher gefunden. Er bespricht ausführlich die verschiedenen Paraffin¬
sorten und die Art ihrer Anwendung. Erhält kalt injiziertes Hartparaffin für
das geeignetste. Er w r arnt vor der Einspritzung zu großer Mengen Paraffin
auf einmal und empfiehlt auch die möglichst sichere Absperrung der Blutw’ege
im Umkreise der Injektionsstelle.
Die von Ph.Bockenheimer bearbeitete Darstellung der plastischen
Operationen mußte natürlich durch die Erfahrungen des Krieges in vielen
Punkten Veränderungen und Erweiterungen erfahren. Der Umfang des Kapitels
ist trotz einiger Kürzungen um mehr als 30 Seiten gewachsen und die Zahl
der Abbildungen ist, trotzdem einige zum Teil sehr schöne farbige Tafeln
fortgelassen worden sind, von 258 auf 288 gestiegen. Sehr erheblich sind die
Veränderungen und Erweiterungen bei der Erörterung der Zerstörungen im
Gesicht, an den Kiefern, den Ohren usw., wie sie ja gerade als Kriegsver¬
letzungen so häufig beobachtet worden sind, und der Darstellung der Methoden,
dieselben durch plastische Operationen auszugleichen. Neben seinen eigenen
Erfahrungen benutzt B. die neuerenVeröffentlichungen, namentlich die Arbeiten
von L e x e r, von J. Joseph, dessen direkter Einfluß an vielen Stelleü in
Erscheinung tritt, von Esser, von Schroeder, von Ganzer u. a.
In den vier letztbesprochenen Aufsätzen finden wir ganz besonders die
Maßnahmen zusammengetragen, die zur Beseitigung von Kriegsdefekten in
Anwendung gezogen worden sind. Wenn ich für die hoffentlich bald zu er-
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488
Bücherbespreohungen.
wartende vierte Auflage einen Wunsch äußern darf, würde ich sagen, daß die
so ganz außerordentlichen Leistungen der Zahnheilkunde in der Wieder¬
herstellung der Form und Funktion der verletzten Kiefer eine etwas ein¬
gehendere Besprechung finden möge.
Der folgende Hauptabschnitt trägt den Titel „Röntgendiagnostik und
Strahlentherapie“. Während in der II. Auflage die Strahlentherapie überhaupt
nicht berücksichtigt wurde, hat der damalige Bearbeiter A. K u 11 n e r,
der zur Darstellung der Röntgendiagnostik 18 Seiten und einige allerdings
vorzügliche Tafeln gebrauchte, die Bearbeitung in der III. Auflage W. P f e i f f er
den diagnostischen Teil und A1 b a n u s die therapeutische Verwendung
der Strahlen überlassen. Pfeiffer bespricht die Aufnahmetechnik unter
Zuhilfenahme einfacher, aber sehr instruktiver Abbildungen, geht auf die
Schwierigkeiten ein, die das Lesen der Röntgenogramme macht und auf die
vorläufig noch nicht immer zu vermeidenden Fehlerquellen. Die bisher recht
spärlichen Resultate der Röntgenmethode bei Ohrenleiden seien durch neuer¬
liche Erfahrungen verbessert worden und versprächen für weiteres Arbeiten
gute Resultate. Für die Untersuchung der Nase und ihrer Nebenhöhlen liegt
ein größeres literarisches Material vor, aber Pfeiffer spricht, wie es scheint,
auch gestützt auf größere eigene Erfahrungen. Bei den zahlreichen und sehr
lehrreichen Abbildungen macht sich leider die geringere Schärfe gegenüber der
I. und II. Auflage geltend. Pf. kommt zu dem Schlüsse, daß das Röntgen-
verfahren bei der Diagnosestellung von Nebenhöhlenerkrankungen, bei der
Wahl des therapeutischen Vorgehens und bei der Kontrolle des weiteren Ver¬
laufes eine ausgezeichnete Unterstützung darstelle; doch solle man sich nie
auf das Rpntgenbild allein verlassen, dessen Nutzen nur neben den anderen
Untersuchungsmethoden in Erscheinung träte. Von besonderer Wichtigkeit
sei das Röntgen verfahren bei Schädeltumoren überhaupt „insbesonders ist
vor jeder operativen Inangriffnahme der Hypophyse ein Röntgenogramm
unumgänglich notwendig“. Der Nutzen des Röntgenbildes sowohl am Schläfen¬
bein, als auch in der Nasengegend, wenn es sich um Verletzungen oder um
steckengebliebene Geschosse handelt,wird gebührend hervorgehoben.P f e i f f e r
geht auph auf die stimmphysiologischen Studien und auf die Untersuchungen
ein, die mittels des Röntgenapparates über die Stellung der Kehlkopfteile,
über die Verknöcherung der Kehlkopfknorpel und über einzelne Krankheits¬
prozesse im Kehlkopfe und der Luftröhre (Tuberkulose, Karzinom, Ste¬
nosen usw.) gemacht worden sind. Von besonderer Wichtigkeit erweist sich
die Methode auch hier zur Feststellung von Fremdkörpern, Geschossen u. dgl.
Auf die sehr inhaltreiche Arbeit von A 1 b a n u s, so wie sie es eigentlich
verdiente und es wünschenswert wäre, einzugehen, verbietet leider $ie Rück¬
sicht auf den zur Verfügung stehenden Raum. Als allen Strahlenenergien
gemeinsam bezeichnet Albanus, daß sie in kleinen Dosen anregend, in
größeren schädigend, in großen lähmend und zerstörend auf die lebende
Substanz einwirken. Nur durch eine einheitliche Auffassung aller Strahlen¬
therapie wird das Verständnis für die Gefährlichkeit, besonders bei den
malignen Tumoren (Reizdosis, Uberdosierung, Vernichtung der gesunden
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Bücherbesprechungen.
489
Umgebung) Gemeingut werden und die Strahlentherapie nicht in Mißkredit
geraten. Auf der anderen Seite ist die Strahlentherapie gerade auf dem Gebiet
der oberen Luftwege und des Ohres berufen, ihre Bedeutung zu erweisen
und weiter ausgedehnt zu werden. Von diesem Grundgedanken ausgehend,
erörtert A1 b a n u s die Art der Anwendung der Höhensonne, des Finsen-
apparates, der Röntgenstrahlen und der vom Radium und Mesothorium aus¬
gehenden Strahlen. Er bespricht ihre Wirksamkeit bei Tuberkulose, bei Lupus,
bei Mittelohreiterung, bei Exzam, bei Sklerom, sowie bei gutartigen und bös¬
artigen Geschwülsten am Ohre und den oberen Luftwegen. Hervorgehoben muß
werden, daß A 1 b a n u s die sehr ausgedehnte und zerstreute, vorläufig ja
noch meist kasuistische Literatur sehr sorgfältig gesammelt und benutzt hat.
Seine Darstellung ist außerordentlich eingehend und dürfte über den Kreis
der engeren Fachgenossen hinaus Interesse erregen und Anregung bieten.
Die beiden letzten Aufsätze des Bandes „Die phlegmonöse Entzündung
der oberen Luftwege“ von Edm. Meyer und die „septischen Erkrankungen“
von K i s s 1 i n g haben vielfache Berührungspunkte, so daß sich an manchen
Stellen Wiederholungen nicht ganz haben vermeiden lassen. Die Arbeit von
E. Meyer präsentiert sich als eine sorgfältig nachredigierte Neuauflage unter
wesentlicher Erhaltung des ursprünglichen Textes und Umfanges, während die
„septischen Erkrankungen“ darüber hinausgehend, in vielen Teilen fast eine
Neubearbeitung des Gegenstandes darstellen. — Hervorheben möchte ich,
daß auch in der Arbeit von Edm. Meyer die Abgrenzung von phlegmonösen
Entzündungen und Erysipel eine nicht scharf gezogene ist, daß er aber die
völlige Identität, wie sie von manchen angenommen wird, auch nicht recht
zugeben möchte. Die Eröffnung des peritonsillären Abszesses auf stumpfem
Wege durch Eingehen in die Fossa supratonsillaris hält er in den meisten
Fällen für nicht empfehlenswert, auch Ref. ist im allgemeinen zur Eröffnung
durch Schnitt zurückgekehrt. In der Bewertung der Laryngitis subglottica
als Teilerscheinung der Phlegmone geht er wohl zu weit, ich habe subglottische
Schwellungen in so manchen Fällen sowohl von akuter wie von chronischer
Kehlkopfentzündung gesehen, die mit Phlegmone sicherlich nichts zu tun
hatten.
Die Arbeit von K i s s 1 i n g beschäftigt sich mit einer Reihe von sehr
wichtigen Fragen, die aber zu beantworten vorerst noch nicht möglich ist:
über die eigentliche Art der Infektion, der Entstehung der Infektionskrank¬
heiten und die Rolle, welche die Tonsillen und die Rachenschleimhaut und
ihre Erkrankungen bei der Infektion spielen. Während er in der II. Auflage
die Tonsillen „vorerst immer noch als Schutzorgane“ betrachtet, scheint er
seitdem mehr der Auffassung zuzuneigen, welche in den Tonsillen „physio¬
logisch wunde Stellen“ sieht. Sehr bemerkenswert ist die Angabe, daß bei 80%
aller Fälle von Gelenkrheumatismus vorangegangene Anginen nachweisbar
seien, ebenso gehöre unzweifelhaft die Nephritis und häufig auch die akute
Appendizitis zu den Folgekrankheiten der Tonsillitiden. K i s s 1 i n g warnt
davor, die Erkrankungen der Tonsillen leicht zu nehmen: „einer mit Bettruhe
sorgfältig behandelten Angina folge nur höchst selten eine Polyarthritis.
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490
Personalien und Notizen.
während Kranke, die mit einem frischen Gelenkrheumatismus in Behandlung
kommen, fast regelmäßig eine vorher gegangene Angina nicht beachtet, der
Behandlung nicht für wert gehalten und damit noch weiter gearbeitet haben“.
Ich glaube allerdings, die meisten Patienten mit Schnupfen und einfacher
Angina werden und können sich nicht ins Bett stecken lassen. Die Darstellung
der Diphtherie und der Sepsis im Anschlüsse an Erkrankungen der oberen Luft¬
wege ist verhältnismäßig kurz, aber sehr lesenswert. Etwas eingehender wird
die otogene Sepsis besprochen:
Ein sorgfältig gearbeitetes Sachregister erhöht die Brauchbarkeit des
Werkes sehr wesentlich.
Es ist den Herausgebern gelungen, trotz mannigfacher Erschwerungen
diesen Band auch in dritter Auflage so zu gestalten, daß er nicht nur auf der
Höh** der bisherigen Auflagen erhalten, sondern daß er einen wesentlichen
Fortschritt darstellt zur Ehre deutscher Wissenschaft und deutscher Arbeit.
P. Heyinann.
Personalien and Notizen.
Verliehen: Der Titel a. o. Professor: Herrn Prof. Dr. Esch weiler in Bonn
und Privatdozent Dr. Amersbach in Freiburg i. Br.
Berufen: Prof. Dr. v. Eicken nach Berlin unter gleichzeitiger Erteilung
eines Lehrauftrages für Oto-Rbino-Laryngologie.
Die UniYergitäts-Ohrenklinik in Mttnchen (Vorstand: Prof. Dr. Heine)
ist in die ehemalige Hebammenschule (Pettenkoferstr. 4), die zu diesem Zweck
umgebaut und eingerichtet worden ist, übersiedelt. Bettenzahl 31; außerdem
4 Separatzimmer für Klassenpatienten. Die Ohren-Poliklinik ist im Gebäude der
Allgemeinen Poliklinik geblieben.
Druckfehlerberichtigung.
In dem ersten Teil der im Maiheft erschienenen Besprechung P. Heymanns
der 3. Auflage des Handbuches der speziellen Chirurgie des Ohres und der
oberen Luftwege ist zu setzen:
S. 407, Z. 13 v. o.: „1913« statt „1918 u
S. 407, Z. 6 v. u.: „Kuttner“ statt „Kuttiner“
S. 4U8, Z. 12 v. o.: „Tubentonsille“ statt „Tubensonsile“
S. 409, Z. 12 v. u., und S. 410, Z. 9 v. o.: „Thost“ statt „Port«
S. 410, Z. 1 v. o.: „Mar sh all Hall“ statt „Marshai Hell“
S. 410, Z. 7 v. o.: „solle“ statt „sollen“.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortliche Redakteure: Or. E. UrbaaUohltsoh, Df. H. itreohlk.
Herausgeber, Eigentümer uud Verleger: Urban 4 SohwarzenberQ.
Druck R. Spiee & Oo. Wien V.
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Verlag von Urban & Schwarzenberg, Wien-Berlin
Kürzlich erschien:
Festschrift
für Prof. Dr. M. Hajek
Enthaltend 72 klinische Abhandlungen aus dem
oto-laryngo-rhinologischen Gebiete
(1754 Seiten)
Preis für das Inland. M 300.—
für das übervalutige Ausland Schweizer Franken 30.—
Aus dem Inhaltsverzeichnis:
Gehörorgan und Gehirn eines Falles von Taubstummheit und Hypo¬
plasie des Kleinhirnes. Von Prof. Dr. Gustav Alexander,
Wien (mit 4 Figuren auf Tafel I bis IV und 7 Figuren im Text).
Vasomotorische Phänomene am Vestibularapparat bei Lues und
Labyrinthflsteln. Von Prof. Dr. Robert B & r a n y, Upsala.
Zur Ätiologie der Retropharyngealabszesse. Von Dozent Dr. Oscar
Beck, Wien (mit 1 Figur).
Beitrag zu atypisch verlaufenden Larynxtumoren. Von Dr. J.
B e 1 e m e r, Wien (mit 1 Figur).
Zur Methodik der Gluck sehen Totalexstirpation des Kehlkopfes.
Von Prof. Dr. Georg Boenninghaus, Breslau.
Beitrag zur Kasuistik der Fremdkörper des Nasenrachens. Von
Dr. J. Braun, Wien.
Eine gestielte Krebsgeschwulst des Kehlkopfes. Von Prof. Dr. H.
Burger, Amsterdam (mit 2 Figuren).
Der Kehlkopfspiegelbefund beim Asthma bronchiale. Von Dr. Georg
C a 11 1 , Primararzt d. R. in Fiume.
Beiträge zur Ätiologie und Vakzinebehandlung der Ozaena. Von
Prof. Dr. Dem. Styl. Demetriades, Direktor der Ohren-,
Nasen- und Kehlkopfabteilung der Universitätspoliklinik
(Astyklinik) in Athen und Dr. Constantin Moutoussis,
Adjunkt am hygien. und bakteriol. Universitätsinstitut (Athen).
Weitere Erfahrungen über die Behandlung der typischen Nasen-
rachenflbrome. Von Prof. Dr. Alfred Denker, Halle a. S.
(mit 6 Figuren).
Ausbreitung eines Pharynxerysipels auf die Wange durch die Nase
und den Tränennasenkanal. Von Dr. G. D i n o 11, Wien.
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* ' i ■ I ii — ■ i ■■■
Uber die Behandlung der Fremdkörper der Speiseröhre mittels Öso¬
phagoskopie in einem Zeiträume von 12 Jahren. Von Dr. Eugen
E r d 6 1 y i, Ordinarius für Ohren-, Nasen- und Halskrank¬
heiten am städt Krankenhause in Szegedin (mit 5 Figuren).
Beinhartes Infiltrat des Gaumens mit Spontanheilung. Von Prof.
Dr. Johann Fein, Wien.
Uber den wahren Ursprung der Nasenrachenflbrome. Von Prof.
Dr. Gh. Ferreri, Rom (übersetzt von Dr. R. Feuch-
t i n g e r, Wien) (mit 4 Figuren).
Beitrag zur Pathologie, Diagnostik und Therapie der Kieferzysten.
Von Dr. Rudolf Feuchtinger, Wien (mit 2 Tafeln).
Erfahrungen über Behandlung der Kehlkopftuberkulose mit dem
Goldpräparat „Krysolgan . Von Prof. Dr. G. F i n d e r, Berlin.
Zur Erkennung der Phonasthenia cantatorum (Dysodie). Von Prof.
Dr. Theodor S. F 1 a t a u, Berlin.
Zur Frage der Entstehung der Choanalpolypen. Von Dr. Leo
Forschner, Wien.
Beiträge zur Symptomatologie des Stotterns. Von Privatdozent
Dr. Emil Fröschels, Wien.
Uber merkwürdige Deglutitionsstörungen bei Hypästhesie der unteren
Schlundpartien. Von Prof. Dr. Emil Glas, Wien (mit2Figuren).
Eine typische Operation für die von den oberen Luftwegen und vom
Zungengrunde ausgehenden Senkungsabszesse. Von Dr. Otto
G1 o g a u, New York (mit 3 Figuren).
Probleme und Ziele der Chirurgie der oberen Luft- und Speisewege!
Von Prof. Dr. Th. Gluck, Berlin.
Uber das Vorkommen von Geschmacksknospen an der Vorderwand
der Pars laryngea pharyngis beim Menschen. Von Dr. Benno
Grossmann, Wien (mit 3 Figuren).
Zur Histopathologie der Trachea bei Kanülenträgern. Von Dr. Benno
Grossmann und Dozenten Dr. G. Hofer, Wien (mit
5 Figuren).
Uber die verschiedenen Formen der inspiratorischen Stimme. Von
Prof. Dr. Hermann Gutzmann, Berlin (mit 2 Figuren).
Ein neues Verfahren zur Verhinderung der die Untersuchung und
Behandlung störenden Rachenreflexe. Die Muskelempfindungen
und Muskelreflexe des weichen Gaumens. Von Prof. Dr. A. v.
Gyergyai, ehern. Vorstand der ungar. Universitätsklinik zu
Klausenburg (Siebenbürgen) (mit 6 Figuren).
Ostitis fibrosa Recklinghausen einer Oberkieferhöhle.Von Regierungs¬
rat Dr. Friedrich Hanszel, Wien.
Eine Kanüle, die die Inspirationsluft anfeuchtet, reinigt und erwärmt
und den normalen Hustenmechanismus nachahmt. Von Dr. Franz
Haslinger, Wien (mit 2 Figuren und 2 Skizzen).
Beiträge zur Therapie der Stirnhöhlenerkrankungen. Von Regierungs¬
rat Dr. Adalbert H e i n d 1, Wien.
Zur operativen Behandlung der Ozaena durch diePlattennahtmethode.
Von Prof. Dr. Viktor H i n s b e r g, Breslau (mit 2 Figuren).
Laryngitis uloero-membranacea. Von Privatdozent Dr. Oskar
Hirsch, Wien (mit 1 Figur).
Uber die Wirkung postoperativer prophylaktischer Dauerbestrahlung
beim Karzinom der Nasenhöhle. Von Privatdozent Dr. Gustav
Hofer, Wien.
S 4
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Die einfache Diszission des Septums bei der transseptalen Operation.
Von Privatdozent Dr. Gustav Hofer, Wien.
Uber die Technik der Radikaloperation bei chronischer Otitis
media. Von Prof. Dr. Gunnar Holmgren, Direktor der
Ohren-, Nasen- und Halsklinik „Sabbatsberg“, Stockholm
(mit 5 Figuren).
Bericht Ober meine fachärztliche Tätigkeit in Sibirien. Von Dr. Fritz
Hutter, Wien.
Operativer Schluß von Perforationen der Nasenscheidewand. Von
Dr. Halle, Charlottenburg (mit 6 farbigen Figuren auf Tafel I
und II und 3 Figuren im Texte).
Geschichte der Ozaena (bis Michel und B. F r ä n k e 1). Von
Dr. Karl Kassel, N ümberg.
Uber Sängerknötchen. Von Prof. J. Katzenstein, Berlin (mit
18 Figuren).
Beitrag zur Frage der operativen Verengung der Ozaenanase durch
die Lautenschläger-Hallesche Operation. Von Dr. Eduard
Kellner, Assistent.
Zur Frage des harten (echten) Nasenpapilloms (Papilloma durum
nasi). Von Privatdozent Dr. Karl Koller (mit 2 Figuren).
Zur Rekurrensfrage. Von Prof. Dr. A. K u 11 n e r, Geh. San.-Rat,
Berlin.
über Blutstillung nach Tonsillektomie und einen neuartigen, auch
prophylaktisch anzuwendenden Haemostaten. Von General¬
stabsarzt Dr. S. L a w n e r, Wien (mit 1 Figur).
Das Verschließen einer ösophago-bronchialen Fistel auf endo¬
skopischem Wege. Von Dozent Dr. Z. v. L 6 n & r t, Budapest
(mit 1 Figur).
Röntgenschädigung des Kehlkopfes. Von Prof. H. Marschik.
Uber endonasale Zelluloidplastik. Von Privatdozent Dr. Karl M.
Menzel, Wien (mit 3 Figuren).
Das „Apostymatom“ für den Mund- und Rachenraum. Von Prof.
Dr. M e t z i a n u, Bukarest (mit 1 Figur).
Zur Behandlung des Sigmatismus lateralis, von Dr. Milan M i h i c,
Wien (mit 4 Figuren).
Die Bedeutung akuter Exazerbationen chronischer Eiterungen.
Von Prof. Heinrich N e u m a n n, Wien.
Uber die > Häufigkeit der Septumdifformitäten im Kindesalter und
zur Ätiologie der Leisten und Verbiegungen der Nasenscheide¬
wand. Von Dr. Hugo N e u m a n n, Wien.
Eine dem Kretinismus eigentümliche Veränderung im inneren Ohr.
Von Prof. Dr. E. Oppikofer, Basel.
Die Vakzinebehandlung der Ozaena. Von Dozent Dr. Elemör
Pollatsche k, Budapest.
Einseitige nicht spezifische Erkrankung der Kehlkopfschleimhaut.
Von Dr. D. Popovic, Bukarest.
Über die Tonsillektomie. Von Dr. Aurel R e t h i, Budapest (mit
5 Figuren).
Zur Klinik und Pathologie des rhinogenen Hirnabszesses. Von
Dozent Dr. Erich R u 11 i n, Wien (mit 2 Figuren).
Seltene laryngologische Fälle. Von Dr. J. Safranek, Budapest
(mit 4 Figuren].
Eine seltene Komplikation nach Tracheotomie. Von Dr. Josef S p i r a,
Wien.
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t ■ 1 - *
Anatomische, experimentelle und klinische Studien zum Tonsillar-
? Problem unter Feststellung sowohl der Beziehungen der ab-
ührenden Lymphbahnen aus der Nase und dem Pharynx
zur Tonsille, als auch der Lymphwege in der Tonsille selbst.
Beiträge zur Lehre von der Funktion der Rachenschleimhaut.
Von Dr. Fritz Schlemmer, em. klinischem Assistenten,
Vorstand des Ambulatoriums für Kehlkopf- und Nasenkrank¬
heiten am Elisabeth-Spital in Wien (mit 12 teils farbigen
Figuren auf Tafel I und II und 3 Figuren im Texte).
Das Röntgenogramm der Stirnhöhle — ein Hilfsmittel für die
Identitätsbestimmung von Schädeln. Von Prof. Arthur
Schüller (mit 1 Figur).
Laryngostroboskopische Untersuchungen bei einseitiger Rekurrens¬
lähmung. Ein Beitrag zur Stimmphysiologie. Von Dr. M. See¬
mann, Prag (mit 1 Figur).
Auffindung des Weges bei hochgradigen Ösophagusstenosen. Von
Dr. A. S e i f f e r t, Berlin (mit 2 Figuren).
Eine noch nicht beschriebene Form des Sigmatismus. Von Privat¬
dozent Dr. R. Sokolowsky, Königsberg i. Pr. (mit
7 Figuren).
Ein Beitrag zur Symptomatologie der entzündlichen Erkrankungen
der Nebenhöhlen der Nase. Von Privatdozent Dr. Conrad
Stein, Wien.
Ein Beitrag zur Leukämie der oberen Luftwege. Von Dr. Hermann
Sternberg, Wien (mit 1 Figur).
Uber den gegenwärtigen Stand der Phonastheniefrage. Von Dozent
Dr. Hugo Stern, Wien.
Uber Rekurrenslähmung bei Relaxatio diaphragmatica. Von Dr. med.
Otto S t o e r k, Wien (mit 1 Figur).
Uber ein Phonationsphänomen an den Speisewegen. Von Dr. Walter
S t u p k a, Innsbruck.
Vorgetäuschte Zweiteilung der Kieferhöhle. Ein Beitrag zur Wertung
der Probeausspülung. Von Dr. Kurt Tschiassnv, Wien
(mit 2 Figuren).
Sinusphlebitis sinus cavernosi sine thrombosi. Von Prof. V. U c h e r-
m a n n, Kristiania.
Ubertragungsversuche bei Kehlkopfpapillomen. (Vorläufige Mit¬
teilung.) Von Dr. Egon Victor U 11 m a n n, Wien.
Uber einen besonderen Fall von Trachealstenose und dessen Heilung
durch retrograde Bougierung. Von Dr. Moriz W e i 1, Abteilungs¬
vorstand am Kaiser Franz Josef-Ambulatorium in Wien.
Zur Ätiologie der Kopfschmerzen bei akuten Nebenhöhlenempyemen.
Von Dr. Josef Weleminsky.
Die Luftdruckverhältnisse in den Nebenhöhlen der Nase. Von
Dr. Emil Wessely, Wien (mit 13 Figuren).
Intravenöse hypertonische Traubenzuckerinjektionen zur Behand¬
lung von Nebenhöhleneiterungen (I. Versuchsreihe). Von
Dr. Camillo W i e h t e, Wien.
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Verlag von Urban & Schwarzenberg, Wien und Berlin
Ohrenheilkunde
für den praktischen Arzt
Von Priv.-Doz. Dr. Rudolf Leidler, Wien
Mit 36 Abbildungen im Texte.
Steif broschiert M 81, Auslandspreis M 324.
Dm« Buch ist kein Lehrbuch der Ohrenheilkunde, mit decaen Hilfe eich der Studierende ein
gründliche« Wiesen in diesem Peche aneignen kann. Es hat vielmehr den Zweck, dem
Kollegen, der sich durch mehrmonatige Arbeit an einer Ohrenstation die für die allgemeine
Praxis notwendigen praktischen und theoretischen Kenntnisse angeeignet* hat, in allen oto-
logiachen Fragen ein Berater und Helfer zu sein. Deshalb hat der Verfasser die am hlufigsten
vorkommenden Erkrankungen möglichst eingehend behandelt, dagegen die vorwiegend den
Spezialarzt interessierenden Fragen nur gestreift, teilweise sogar ganz übergangen.
Verlag Ton URBAN & SCHWARZENBERG, Berlin N 24 n. Wien
Die Schwebelaryngoskopie
and ihre praktische Verwertung
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Direktor der laryngo-rhinolog. Klinik der Universität Berlin
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Verlag von UJRBAN & SC HW AM ZENBERG
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Strahlentherapie
Mitteilungen aus dem Gebiete der
Behandlung mit Röntgenstrahlen,
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herausgegeben von
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Freiburg i. Br.
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Diese Zeitschrift erscheint in zwanglosen Heften und bringt in
jedem Bande Originale und Referate. Mehrere Hefte im Gesamt¬
umfang von 40 bis 60 Bogen werden zu einem Bande mit Register
vereinigt. Die Bände I—X1I liegen vollständig vor, von Band XIII
erschien kürzlich das 2. Heft.
Der Preis beträgt je nach ürhfany etwa M 300'— bis M 800 — pro
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Druck R. Spie* & Co. Wien V.
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Monatsschrift
für 1
Ohrenheilkunde
und 1
Laryngo-Rh i nolog ie
Organ der österreichischen otologischen Gesellschaft
und der Wiener laryngo-rhinologischen Gesellschaft
Mitbegründet von
CHIARI, GRUBER, JURASZ, RÜDINGER, VOLTOLINI, WEBER-LIEL
L. V. SCHRÖTTER, V. URBANTSCHITSCH, E. ZUCKERKANDL
Untar Mitwirkung tod
Prof. Dr. F. ALT (Wien), Prof. Dr. R. BÄrAnY (Upsala), Prir.-Doz. Dr. O. BECK (Wien), Prof. Dr
A. BING (Wien), Prir.-Do*. Dr. G. BONDY (Wien), Prof. Dr. G. BRÜHL (Berlin), Prof. Dr. H. BURGER
(Amsterdam), Prof. D. DEMETRIADR8 (Athen), Prof. Dr. J. FEIN (Wien), Prof. Dr. H. FREY (Wien),
Prir.-Do*. Dr. E. FRÖSOHELS (Wien), Dr. Y. FRtTTWALD (Wien), Prir.-Doz. Dr. 8. GATSOHER (Wien),
Prof. Dr. E. GLAS (Wien), Prof. Dr. B. G0MPERS5 (Wien), Prof. Dr. M GROSSMANN (Wien),
Prof. Dr. Y. HAMMBB8CHLAG (YHen), Dr. HEIN2E (Leipzig), Prof. Dr. HEYMANN (Berlin), Pri
Do«. Dr.G. HOFER (Wien), Prof. Dr. R. HOPFMANN (Dreeden), Prof. Dr. HOPMANN (Köln), Prof. Dr.
O. KAHLER (Freiburg i. Br.), Prir.-Doz. Dr. J. KATZENSTEIN (Berlin), Dr. KELLER (Köln), Hofrat
Dr. KIRCHNER (Wttrzburg), Prir.-Doz. Dr. K. KOFLER (Wien), OStA. Dr. 8. LAWNER (Wien),
Prof. Dr. LICHTENBERG (Budapest), Dr. L. MAHLER (Kopenhagen), Prof. Dr. H. NEUMAYER (Mönchen),
Dr. Max RAUCH (Wien). Prof. Dr. L. RÜTHI (Wien** Dr. Ed. RIMINI (Triest), Dr. F. RODE (Triezt),
Prir.-Doz. Dr. E. RUTTIN (Wien), Prof. Dr. J. SAFBANEK (Budapest), Dr. F. SCHLEMMER (Wien),
Prof. Dr. A. SCHÖNEMANN <Bern), Reg.-Bat Dr. H. SCHRÖTTER (Wien), Dr. M. SEEMANN (Prag),
Dr. A. SIKKKL (Haag), Dr. SPIBA (Krakau). Prir.-Doz. Dr. H. STERN (Wien), Dr. M. SUGAR (Budapest),
Prof. Dr. A. THOST (Hamburg), Dr. WEIL (Stuttgart), Dr. M. WEIL (Wien), Dr. E. WODAK (Prag)
herausgegeben ron
H. NEUMANN G. ALEXANDER
Wien M. HAJEK Wien .
Wien
Redakteure:
für Laryngo-Rhinologie:
Hermann Marschlk
W1.B
56. Jahrgang, 7. Heft
(Juli)
fOr Ohrenheilkunde;
Ernst Urbant8chit8ch
Wien
URBAN & SCHWARZENBERG
BERLIN N WIEN I
FRIEDRICHSTRASSE 105 b MAHLERSTRASSE 4
1922
Monatlich erscheint 1 Heft von etwa 6 Bogen Umfang.
Preis vierteljährig für Deutsch Österreich K 3000. —, für die Tschechoslowakei
K 50. —, für Ungarn ung. K 350. —, für Deutschland M 150. —, für Polen
poln. M 1500. —, für Jugoslawien Dinar.80.—, für alle übrigen Länder
West-, Süd- und Nord-Europas sowie der Übersee 10 Franken Schweizer
Währung exkl. Porto.
Einzelne Hefte kosten d.-ö. K 1200.—, c. K 20.—, M 60.—, Schw. F 4.—.
Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Urban
& Schwarzenberg, Wien I, Mahlerstraße 4, und Berlin N 24, Friedrich-
Straße 105 b, entgegen.
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|Cgr Originalbeiträge, Rezensionsexemplare usw. otologischen Inhaltes bitten wir,
an Doz. Dr. Ernst Urbantschitsch, Wien, I* Schottenring 24, und solche rhino-
laryngologischen Inhaltes an Prof. Dr. JT. Marschik , /X/ 2 Severingasse 1,
einsenden zu wollen. Das Honorar für Originalien und Referate beträgt K 9600 .— für
den Bogen zu 16 Seiten. Sonderabdrüche von Originalien werden zum Selbstkostenpreise
berechnet. Für Bücherbesprechungen geht das betreffende Buch als Honorar in den
Besitz des Besprechers Über. Redaktion und Verlag .
Inhaltsverzeichnis.
OriginaUArtikel
Prof. Dr. A. Schöne mann, Bern: Nene Gesichtspunkte für die Behandlung
der Otorrliöeundder Mittelohrschwerhörigkeit. (Mit 1 Textfig. u. 10Tafelfl[g.) 491
Wilhelm Stern borg, Berlin: Elementaranalyse der Tonsprache. (Mit 1 Figur) 514
Prof. Dr. Teofil Zalewski, Lemberg: Ein Beitrag zur Lehre von den Kriegs¬
verletzungen des (Jphörorgans.526
Dr. Alexander Gemach, Wien: Eine neue Lampe für die Glühlichtbehandlung
akuter Entzündungen. (Mit 2 Figuren).. . . • . 635
Prof. Dr. Otto Mayer: Metastatisches Karzinom des Gehörorgans.641
Dr. Eugen E r d 61 y i. Szegedin: Fremdkörper im Larynxoingang. (Mit 1 Figur) 543
Dr. Eugen E r d e 1 y i, Szegedin: Zwei interessante Fälle von in der Speise¬
röhre steckengebliebenen Fremdkörpern, ... . 545
Dr. S. Belinoff, Sofia: Über die Form und die Dimensionen des Ventrieulus
MJorgagni. (Mit 1 Figur).. 549
Dozent Dr. Emil Fröschols, Wien: Berichtigung des Inhaltes eines Flugblattes 550
Vereinsberichte
österreichische otologische Gesellschaft. Sitzung vom 24. Mai 1922 . 550
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft. Sitzung vom 1. Febr. u. 1. März 1922 565
Bücherbesprecbungen
Traite des Affections de l'Oreille. Von Lermoyez ... . . 585
giiiiiiiiiiiiiniiiiiiiiiH
s Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Hoechst a. M. m
1 Anästhesin i
= (p-Amldobenzoesäurefithylester) -
§== Ungiftiges |=
| lokales Daueranästhetikum jj
Ü Eigenschaften: 1§
Absolut reizlos, sicher und lange wirkend, extern und intern anwendbar. ^ ==
U Indikationen: jj
•== Chirurgie: Verhinderung von Nachschmerzen und postoperativem Shock =
Dermatologie: Schmerzhafte Wunden u. Geschwüre, Pruritus, Ulcus cruris. =
= Oto-Rhlno-Laryngologie : Katarrhe, Mund- u. Rachenulzerationen. =
Interne Medizin: Gastralgien, Ulcus ventriculi, Brechreiz, Hämorrhoiden. s=
lg Dosierung: |
== Extern: In Substanz, 5—20 f /fige Streupulve und Salben, 2—3*/«lges Oel, =
0,5g ' n Suppositorieo usw. ==
Intern : Pulver, Schüttelmixtur usw. 0'2B—0*5 g vor dem Essen.
Anästhesin liefern wir nur in Substanz (Pulverform). =■
= Ärzten stehen Literatur und Proben zur Verrügung durch Hl
== Hoachstar Farbwarka des. m. b. H., Wien VIII/2, Joeefstädterstr. 82 =
□llllll!llllllllllllllll!llilllllllllllllllll!lll
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Origiral fmm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LARYN GO-RHINOLOGIE
6«. Jahre. 1922. 7. Heft.
Naohdmok verboten.
OriginaUArtikel.
Neue Gesichtspunkte für die Behandlung der Otorrhöe
und der Mittelohrschwerhörigkeit (infolge Otitis
media sicca).
Von Prof. Dr. A. Schöncniann, Dozent für Oto-Rhino-Laryngologie
an der Universität Hern.
(Mit l Textfigur und 10 Tafelfiguren )
Ein klinischer Vortrag 1 ).
M. H.! Vielfach herrscht die Meinung, daß das Chronisch¬
werden akut auftretender Otorrhöen und, damit Hand in
i) Für die hier niedergelegten Erörterungen dienten als weitere Grundlagen
auch die nachfolgenden Arbeiten desselben Autors:
Schöhemann: Die Topographie des menschlichen Gehörorganes. Mit
8 Tafeln in Folio. Wiesbaden, bei t\ Bergmann. 1904. Enthält die Durchführung
der Ohrtopographie am einzelnen Individuum.
Idem: Schläfenbein und Schädelbasis, eine anatomisch otiatrische Studie.
Mit 8 Photogravuretafeln. Neue Denkschriften der Schweiz. Naturforscher-Gesell¬
schaft. Verlag Georg & Cie., Hasel. 1906. Enthält die Untersuchungsresultate
über die Variationen der Einzeltopographie des Schläfenbeines und seiner Kontanta
bei verschieden geformten Schädeln.
Idem: Atlas des menschlichen Gehörorganes mit besonderer Berücksichtigung
der topographischen und chirurgischen Anatomie des Schläfenbeines. Mit 50 Licht¬
drucktafeln. Jena, bei G. Fischer. 1907. (Ins Englische übersetzt.)
Idem: Ohr, Nase und Nasennebenhöhlen. Durch Rekonstruktionsplastiken
dargestellt. Für prakt. Arzte, Spezialärzte, Studierende. 16 Tafeln. Wyss, Bern. 1918.
Idem: Überden Durchbruch eitriger Mittelohrprozesse nach dem Pharynx.
Deutsche Otologische Gesellschaft. 1916.
Idem: Die Lage des Trommelfelles im Schädel. Korrbl. f. Schwz. Ärzte. 1905.
Idem: Zur Erhaltung des schalleitenden Apparats bei der Radikal¬
operation. Deutsche Otologische Gesellschaft. 1909.
Idem: Über den Einfluß der Radikaloperation am Gehörorgan auf das
Hörvermögen. Korrbl. f. Schwz. Ärzte. 1906.
Idem: Über die Berechtigung bei der anat. Beschreibung des menschl. Gehör¬
organes die wirklichen Lageverhältnisse zu berücksichtigen. Arch. f. Ohrenhlk. 1906.
Idem: Plattenmodelle des menschlichen Gehörorganes. Versamml. deutscher
Naturforscher u. Ärzte in Wien 1918. Gesamtsitzung der medizin. Hauptgruppen.
Idem: Über die Resorptionsfähigkeit deB äußeren Gehörganges und die
Permeabilität des Trommelfelles. Verhandlungen des NVI. internationalen medi¬
zinischen Kongresses in Budapest. 1909.
Cfr. auch die Abhandlung ähnlichen Inhaltes in Nr. 11, 1922, der Schweiz,
med. Wschr.
Monatsschrift f. Ohrenheilkunde u. Lar -Rhin. 66. Jahrg. 33
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
492
A. Schönemann.
Hand gehend, das Einsetzen des Fötors meistens bedingt sei durch
mangelhafte Behandlung bzw. durch Vernachlässigung der primären
akuten Otitis media perforativa. Dabei wird allerdings
vorausgesetzt, daß es sich primär stets um sogenannte genuine
Mittelohreiterungen handelt, d. h. um solche, die sich beispiels¬
weise an Schnupfen anschließen und nicht im Gefplge i. e. als
Sonderlokalisation akuter Infektionskrankheiten, wie Scharlach,
Masern, Typhus usw. auftreten; für letztere steht fest, daß sie trotz
sorgfältigster Lokalbehandlung sehr oft in chronische fötide Otitiden
ausarten. Bei ihnen finden wir denn auch fast regelmäßig das
charakteristische Merkmal des chronischen fötiden Ohrenflusses, die
persistierende, meistens randständige Perforation der Trommelfelle
(Tafelfigur 4), womit selbstverständlich nicht gesagt sein soll,
daß eine lange dauernde oder persistierende und überdies noch
randständige Perforation eo ipso einen chronischen Ohrenfluß bedingt;
denn in diesem Falle wären ja alle unsere Bestrebungen, auf
konservativem Wege die chronische Otorrhoe zu heilen, von vorn¬
herein zur Wirkungslosigkeit verurteilt.
Im allgemeinen mag auch richtig sein, daß diese genuinen,
d. h. gutartigen Otorrhöen der erfolgreichen Behandlung vom
äußeren Gehörgang aus wohl zugänglich sind. Letztere besteht, wie
bekannt ist, besonders seit den Bezoldschen Publikationen in beinahe
schemagemäß gehandhabtem A u s s p r i t z e n des Gehörganges
(und der zugänglichen Trommelhöhlenteile), Austrocknen dieser
Bezirke durch Austupfen, sodann Luftdusche und
schließlich Borsäure-Insufflation in den Gehör¬
gang. Diese Behandlung soll anfänglich täglich, später je nach
der Sachlage mit Einschiebung von ein- bis mehrtägigen Pausen
geschehen.
Ohne weiteres ist zuzugeben, daß in der Tat viele so behandelte,
aus akuter einfacher Otitis media entstandene chronische Ohren-
fltlsse heilen. Bei anderen Fällen warten wir aber oft vergebens und
sehr enttäuscht auf eine solche baldige Wendung zum Besseren.
Sobald die erwähnte Behandlung aussetzt oder auch schon während
derselben, wird der Ausfluß ohne sichtlichen Grund neuerdings
wieder fötid. Die Perforation bleibt beharrlich in Permanenz.
Als möglichen Grund für ein solches Geschehen könnte
man vielleicht anführen, daß viele dieser sogenannten einfachen,
genuinen Otitiden eben doch keine solche waren, sondern im Grund
genommen Skarlatina- und Masernlokalisationen, bei denen seinerzeit
alle übrigen Symptome dieser Infektionskrankheiten in den Hinter¬
grund traten, möglicherweise auch ganz übersehen wurden (Scharlach,
Angina ohne Ausschlag!). Auch hat es gewiß seine Bedenken, die
Otitis media perforativa, welche im Gefolge der Influenza so oft
auftritt, zu den genuinen, gutartigen zu zählen. Ist doch . mehrfach
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Otorrliöe und Mittelohrschwcrhörigkeit.
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beobachtet worden, daß gerade solche mit Influenza einhergehende
Ohrenflüsse sich vergesellschaften mit großen, nicht selten rand¬
ständigen Perforationen und, trotz aller Behandlung, mit fötidem Sekret.
Wir sind also ganz allgemein der Ansicht, es gebe Fälle
von chronisch und fötid gewordenen Otorrhöen,
die sich trotz fachgemäßer Behandlung aus so¬
genannten einfachen Mittelohrentzündungen heraus
entwickelt haben. (Für die anderen Ohrenflüsse, d. h. solche, die
z. B. aus akuten Scharlachotitiden entstehen, ist ein solcher Übergang in
Chronizität und Fötor ja, wie schon angedeutet wurde, leider an der
Tagesordnung und erklärt sich sehr leicht aus der Neigung dieser
Infektionskrankheiten, Nekrosen und nachfolgende Demarkations¬
prozesse heraufzubeschwören.) Sodann meinen wir aber, ganz besonders
anzudeuten, daß vielleicht doch noch andere, bisher zu
wenig beachtete Umstände hier beim Chronisch¬
werden auch der Otorrhoe mitspielen: Umstände,
deren Klarlegung möglicherweise dazu beitragen
möchte, die Heilung des chronischen Ohrenflusses
überhaupt rascher und namentlich rationeller
zu bewerkstelligen als bisher.
Zunächst ist es wohl zweckmäßig, daran festzuhalten, daß der
chronische, übelriechende Ohrenfluß im Grunde genommen nur der
Ausdruck einer ungeheilten, stagnierenden, Detritus
absondernden Wunde bedeutet und daß demgemäß
auch hier die Prinzipien der allgemeinen Wund¬
heilung zur Anwendung kommen sollten. Man wird
mir entgegenhalten, dies geschehe ja mit der Borsäure-Luftdusclien-
Therapie in exquisitem Maße. Dies trifft in der Tat bis zu einem
gewissen Grade wenigstens und bei großen Trommelfellperforationen
zu, eventuell auch noch vermittelst der Anwendung des Hartmannschen
Paukenröhrchens, von dem später noch die Rede sein soll. Aber
wirklich auch nur bis zu einem gewissen Grade, und zwar aus
zwei Gründen:
Selbst für den Fall, daß ein großer Defekt im Trommelfell
vorliegt, dürfte es schwer fallen, alle Teile der eiternden
Trommelhöhlenwände gleichmäßig mit dem Bor¬
säurepulver zu bestäuben. Für kleinere Perforationen gilt
dieser Einwand um so mehr und man tröstet sich vielfach mit dem
Umstand, daß das Borsäurcpulver im Sekret (Eiter) sich löse und
so gleichsam in Solution wirke. Meiner Ansicht nach nur eine
Entschuldigung für die Anwendung der Borsäure, aber kein Grund!
Namentlich wichtig scheint es mir jedoch, darauf hinzuweisen, daß
die via Gehörgang eingeblasene Borsäure wohl niemals in wirksamen
Mengen an die Einmündungsstelle der Ohrtrompete in die Trommel¬
höhle (s. Tafelfig. 1 u. 8) hingelangt, geschweige denn in deren Lumen.
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494
A. Schönemann.
Ein zweites, wichtiges Moment, das ebenfalls die Prinzipien der
allgemeinen Wundbehandlung betrifft, scheint mir in den besonderen
Abflußverhältnissen der Wundsekrete zu liegen.
Wir vergessen viel zu sehr, daß der natürliche Abfluß der Trommel¬
höhlensekrete normalerweise via Ohrtrompete in die Nase geht. Man
wird mir einwenden, es sei doch zum mindesten für den vorliegenden
Fall von der Natur zweckmäßig eingerichtet, daß fötides Eitersekret
via Gehörgang nach außen befördert werde und nicht via Tuba in
den Rachen- bzw. Verdauungstraktus gelange. Ganz richtig! Aber
woher wissen wir denn, daß ein gewisser Teil dieses fötiden Ohr-
sekretes mit oder ohne unser Zutun auch bei der Borsäurebehandlung
nicht in die Tube und den Hachen gelangt? Ich meine damit zu
sagen, man sollte dahin trachten, natürlich durch unsere Behandlung
in erster Linie, dem Sekret seinen Fötor zu nehmen; sodann aber
im Auge behalten, daß das nach Möglichkeit auch verminderte Sekret,
seinen natürlichen Abfluß via Tuba findet. Hand
in Hand damit zielt denn auch der Endzweck dieser Indikation
selbstredend dahin, die Tube nicht nur als Sekretabfuhr¬
weg, sondern auch als Luftzufuhrrohr für die Trommel¬
höhle wieder funktionstüchtig zu machen. Dem
Umstand, daß sehr oft die Tube bzw. deren Einmündungsstelle in
die Trommelhöhle (die „sellare“ [Sehönemann ]Trommelhöhlen-
wand, s. beigegebene Tafel) eitrig absondert bzw. den Ohrenfluß mit
unterhält, und, weil entzündlich geschwellt, wegbehindernd wirkt, wird
dabei in rationeller Heiltendenz von selbst Rechnung getragen.
Um diesen Postulaten zu genügen, führeich
seit Jahren und mit bestem Erfolge die Vioform-
und Xeroform p u 1 vereinb1asungen in die
Trommelhöhle via Tuba aus. Zur praktischen Erläuterung
dieses Verfahrens sei hier zunächst ein charakterischer Fall, der
beinahe wie ein Experiment auf die Brauchbarkeit meiner Methode
anmutet, kurz angeführt:
Herr F. Tech., geb 1884, kam als Füsilier der Etapp.-Komp 1/103 anfangs
August 1014 nach Solothurn. Am 11. August 1914 war er mit anderen Soldaten
zum Materialausladen in einen geschlossenen Güterwagen beordert. Der Schlag
einer plötzlich znschlagenden Waggontiire traf den Pat. unvermutet an die
linke Kopf- und Ohrgegend und streckte ihn bewußtlos zu Boden. Am folgenden
Morgen konstatierte der Arzt im Krankenzimmer, nach Angabe des Pat.,
außer einigen Schürfungen am Kopf nichts Besonderes. Die Schmerzen gingen
zurück, nur fühlte der Pat. im linken Ohr immer „etwas Ungewöhnliches“,
dort sei auch das Gehör schwach gewesen. Füsilier Tsch. konnte bald wieder
ausrücken, sogar zu einem dienstlichen Bad in der Aare. Bei diesem Anlasse
sei ihm ein Tropfen Wasser ins Ohr gekommen, der sofort sehr starke Schmerzen
verursachte. Pat. konsultierte daraufhin einen ihm zufällig bekannten Privat¬
arzt. Letzterer konstatierte „Trommelfellbruch“. Pat. verbrachte sodann wegen
Ohreiterung 2i/ 2 Monate im Militärspital in Solothurn und trat hernach durch
Verfügung der M. V. am 30. Oktober 1914 in meine Behandlung.
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Otorrhöe und Mittclolirsclnvcrhörigkeit.
495
Der Lokalbefund ergab: Otitis inedia perforativa links. Die Perforation
betrifft einen großen Teil der Trommelfellpartie vor und unterhalb des z. T.
noch erhaltenen Hammergriffes; ziemlich profuse fötide Eiterung. Flüstersprache
auf 05 m Entfernung perzipiert. Nach Reinigung des Gehörganges durch
vorsichtiges Austupfen und unter Zuhilfenahme von mit Wasserstoffsuperoxyd
durchtränkten Wattetupfern wurde ein Probekatheterismus vorgenommen. Die
Durchgängigkeit des Tubo-tympano-meatus ext. Kanals (denn von einem solchen
kontinuierlichen Kanal kann man pathologisch-anatomisch sprechen, sobald eine
irgendwie erhebliche Trommelfell-Diskontinuität sich gebildet hat) erwies sich,
wenn auch etwas gehemmt, so doch hinreichend. Dieser reinen Probelultein-
blasung folgte sofort eine reichliche Einblasung von Vioform in die Tube (über
die genauere Technik dieser Prozedur soll später noch eingehend berichtet
werden) mit dem unmittelbaren Ertolg, daß bei der hernach vorgenommenen
otoskupischen Inspektion die Trommelhöhle (soweit sie durch die Pfrforations-
öffnung zu überblicken war) sowie ein großer Teil des angrenzenden Gehörgang¬
lumens reichlich mit Vioform-Substanz bedeckt war.
Schon am nächsten Tag war der Föior verschwunden, auch die Eiter¬
sekretion wurde bald geringer und sistierte ganz, nachdem die geschilderte
Behandlung während zwei Wochen zirka achtmal wiederholt worden war. Trotzdem
wurde die gleiche Behandlung mit Rücksicht auf die zu erwartende Hör¬
verbesserung noch eine gewisse Zeit lang fortgesetzt.
ln der Folgezeit traten sodann einige Rezidive ein, fast immer im Anschluß
an akute Nasenkatarrhe (auch der Verdacht, daß sich kleine Knochensplitter aus
der Trommelhöhle nachträglich noch sequestrierten, war nicht ganz von der
Hand zu weisen). Diese Rezidive konnten aber immer durch die rasch ein¬
geleitete, beschriebene Behandlung prompt gestoppt werden. Seit längerer Zeit
ist der Pat. völlig beschwerdefrei. Die Ränder der persistierenden Perforation
haben sich konsolidiert. Die Trommelhöhle selbst ist sekretfrei. Das Hör¬
vermögen hat sich ganz wesentlich gebessert. Hinzugefügt mag noch werden, daß
bei Anlaß solcher nachträglich aufgetretener Rezidive mehrmals von mir die
Ausspritz-Borsäure-Luftduschenmethode probeweise angew T endet wurde, mit direkt
negativem Erfolg.
Wir haben es also hier mit einem Fall zu tun, welcher
(während zirka zweimonatlicher Spitalbehandlung) unter durchaus
günstigen Behandlungsverhältnissen gewesen wäre zur programm¬
gemäßen Ausheilung seiner Otitis media purulenta füdita (deren
spezielle Ätiologie übrigens hier ganz aus dem Spiel gelassen werden
soll). Trotzdem trat diese Heilung nicht ein, wohl aber erfolgte sie
im Zeitraum von zirka 14 Tagen durch die geschilderte Vioform-
Insufflationsmethode per tubara. Auch der weitere Verlauf sowie
namentlich die sehr erfreuliche Hörverbesserung sprechen zweifellos
für die Brauchbarkeit dieser Behandlungsweise.
Was nun die technischen Einzelheiten dieses
Verfahrens anbetrifft, so scheint es mir vor allem wichtig zu sein,
zunächst auf die Lagerung des Patienten ein besonderes
Augenmerk zu richten. Am besten läßt man den Kranken auf einem
großen Lehnstuhl Platz nehmen, auf welchem er, den Kopf nach
hinten geneigt, sein Hinterhaupt bequem auflegen kann. Der Arzt
stellt sich zur rechten Seite des Patienten und handhabt, nach den
bekannten Regeln, die in jedem Lehrbuch der Ohrenheilkunde
nachzulesen sind, Hörschlauch (in der Praxis falscherweiee „Otoskop u
genannt), Preßluftballon und Katheter.
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496
A. Schönemann.
Für die Wahl des letzteren muß Wert darauf gelegt werden,
daß nur kurze, metallene und besonders möglichst groß
kalibrierte Katheter zur Anwendung kommen (ein Grundsatz, der
übrigens, so viel ich weiß, auch bei der Anwendung von Urethra¬
kathetern gilt). Für unsere Fälle erwächst diesem Grundsatz der
großen Kalibrierung schon deswegen eine besondere Bedeutung, weil
durch das Katheterlumen vermittelst der Preßluft ein Pulver
hindurchgeschickt werden soll. Enge Katheter werden durch das¬
selbe unausbleiblich verstopft, besonders auch dann, wenn im
Katheter selbst die geringsten Mengen von Feuchtigkeit sich an¬
gesammelt haben.
Die bisher gebräuchlichen Katheter weisen nun ferner fast durch¬
weg eine solch kleine Anschwellung ihres Schnabels auf, daß sie,
eingeführt in das nasale Tubenostium, dieses nur sehr mangelhaft
abdichten. Die Folge davon ist, daß bei der Pulverinsufflation ein
Teil dieser Pulversubstanz mit dem aus der Pauke zurück¬
kehrenden Luftstrom regurgitiert und zum Teil in die Nasen-,
Pharynx- und Kehlkopfhöhle dringt, zum Teil auch als Staubwolke
via Nase und Mund nach außen geht.
Das Eindringen eines gewissen Quantums Vioform oder Xero¬
form in die Nase, den Nasenrachenraum, den Pharynx und eventuell
auch noch den Kehlkopf ist nun zwar im Interesse einer anti¬
katarrhalischen bzw. prophylaktischen Desinfektionstendenz dieser
Orte nur zu begrüßen. 2 ) Als vorübergehende subjektive Belästigung
kann es höchstens einen leichten, rasch vorübergehenden Reizhusten
erzeugen.
Für unsere hier vorliegende therapeutische Indikation bedeutet
aber das nach außen entwischte Pulverquantum eine nicht gerade
bezweckte Nebenwirkung und, abgesehen davon, auch einen unnützen
Materialverlust. Überdies ist es für einen diese Methode mehrmals
täglich an wendenden Arzt nicht gerade gleichgiltig, wenn er
wiederholt in einer Wolke von Vioform usw. arbeiten muß. Aus
diesen Gründen gebrauche ich nunmehr fast ausschließlich einen
Katheter, bei welchem der olivenartige Schnabel¬
ansatz viel bauchiger konstruiert ist und bei dem
übrigens an denselben Katheter verschieden
große solcher Schnabe1ansätze angeschraubt
werden können, entsprechend dem individuell
größeren oder kleineren nasalen Tubenmund.
2) Zur Zeit der großen Grippeepidemien habe ich empfohlen, daß sich die
Patienten prophylaktische Selbstinsufflationen von Vioform in die Nase machen.
I)a, wo dieselben vorschriftsgemiiß durch geführt wurden, haben sie
zweifellos gute Resultate gezeitigt. Auf alle Fälle haben sie niemals geschadet
oder auch „nur lokal gereizt“, wie dies behauptet wurde (s. Schönemann:
Zur Prophylaxe der Influenza. Korrbl. f. Schwz. Ärzte. Nr. 34. 1918).
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Otorrhöe und Mittelohrschwerhörigkeit.
497
So ausgerüstet vermag man die nasale Tubenöffnung auch bei
individuell verschiedener Weite viel vollkommener abzudicbten.
3
1
Tubenkatheter (nach Schönemann) mit auswechselbarer
Tubenolive. 2 u. 3 Tubenolive, durch Gewind am KatheterBchnabel
befestigt. 1 Hohler Konus.
Man sollte nun glauben, daß die Einführung eines
so gebauten Katheters durch den unteren Nasen¬
gang und das Verbringen desselben in die wirksame Stellung
mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sei. Dies trifft in der
Regel nicht zu; oft ist man geradezu überrascht, wieviel leichter
der dickkalibrige Katheter zu handhaben ist bzw. zum Ziel führt,
als der dünnkalibrige und namentlich auch als der dünnkalibrige
Hartgummikatheter.
Damit sei nun nicht gesagt, daß mein neues Katheter¬
mode 11 stets und mit Leichtigkeit in Stellung zu bringen wäre.
Wo Anstände auftreten, soll zunächst dem Katheterismus zum
Zwecke einer vorübergehenden Anästhesie bzw. Dilatation der
unteren Nasengänge und des nasalen Tubenostiums eine Kokain,
besser Alypin-Adrenalin Applikation (10 Tropfen Adrenalinlösung
auf 1 cm 3 5% Alypinlösung) vorangehen. Zu diesem Zwecke ver¬
wende ich schon seit Jahren mit Vorteil meine besondere
Nasensonde (Watteträger Schönemann). Sie stellt im
wesentlichen eine grobe, etwas biegsame Stricknadel dar, welche
einendig bis zur Hälfte ihrer Länge ganz gleichmäßig platt gewalzt
wurde. Diese Sonde wird mit einem zirka 4 cm langen und ebenso
breiten flachen, dünnen Wattestück sehr locker umwickelt (also
nicht nur ganz vorn, wie bei den pinselartigen Ohrtupfern) und,
so armiert, nach leichter Durchtränkung mit der oben angegebenen
Flüssigkeit unter Leitung des Nasenspekulums vorsichtig in den
unteren Nasengang eingeführt. Das Wesentliche besteht nun in der
Möglichkeit, daß man die Wattewicken am gewünschten .Ort liegen
lassen kann, indem man sie von der Sonde abstreift und die Sonde
aus dem Nasengang herauszieht. Solches ist bei den gewöhnlich in
Gebrauch stehenden schraubenförmigen Wattenträgern nicht gut
möglich.
Die Wattetampons bleiben zirka eine viertel Stunde lang liegen.
Stärkere Lösungen verwende ich nie, auch nicht Nasenpinselungcn,
wenigstens nicht zur Erreichung des angeführten Zweckes 3 j.
3) Ganz ähnlich wird auch verfahren zwecks Stillung von profusen
Nasenblutungen, besonders septalen Ursprunges, nur durchtriinke ich hier
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A. S c h ö n e m a n n.
Treten aber trotz alledem der Einführung des Ka¬
theters unüberwindliehe Hindernisse entgegen, wie
z. B. erhebliche Spinnen und Krusten der Nasenscheidewand, oder
exzessive Muschelhypertrophien (die auch knöcherner Natur sein
können), so müssen diese von fachkundiger Hand vorgängig der
Katheterismuskur entfernt werden. Solches sollte übrigens auch schon
aus dem Grunde geschehen, weil derartige Wegbehinderungen ganz
regelmäßig einhergehen mit dem auch auf den übrigen Organismus
und das Mittelohrübel einwirkenden Syptomenkomplex der be¬
hinderten Nasenatmung.
Weitere Wegbehinderungen finden sich oft im Nasen¬
rachenraum, und zwar in Form von adenoiden Vegetationen
(besser vielleicht Hypertrophie der Retronasaltonsille genannt),
ferner sodann eigentliche Tumoren im Retronasalraum und an¬
geborene Choanalstenosen. Auch hier genügt zur Erkennung dieser
pathologischen Zustände sehr oft die bloße Inspektion von
vorn, vermittelst des Nasenspekulums, besonders nachdem das
ganze zugängliche Gebiet durch Adrenalinapplikation anämisiert und
was viel wichtiger ist, ad Optimum dilatiert wurde. Man kann dann
unter anderem auch sehr gut beobachten, welche Elongationen das
Gaumensegel bei Phonation (z. B. bei „Kuckuck u -Sagen noch zu
machen vermag) und dadurch schon ein annäherndes Maß erhalten
für die Beurteilung der vorliegenden Wegbehinderungen in diesen
Abschnitten. Die Postrhinoskopie ist meiner Erfahrung nach eine
ziemlich unsichere und den Patienten quälende Untersuchungs¬
methode. Letzteres trifft besonders auch für die brutale, digitale
Exploration des Nasenrachenraumes zu. Sie ist meistens entbehrlich
durch Anwendung der erwähnten Okularinspektion von vorn.
Mit Berücksichtigung dieser vorweggenommenen Bemerkungen
gestaltet sich demgemäß der Modus procedendi bei meiner
Pulver-Einblasungsmethode in die Trommel¬
höhle via Tuba folgendermaßen: Gehörgang und soweit
möglich Trommelhöhle werden mit kleinen Wattepinseln (eventuell
mit Wasserstoffsuperoxyd) gereinigt. Daß ich, wohl verstanden, nur
für die hier in Frage stehende Indikation kein besonderer Befür¬
worter der so vielfach angewandten Gehörgangsausspritzungen bin,
läßt sich nach dem Gesagten leicht erraten. Die ganze Inszenierung
dieses Ausspritzens scheint mir viel zu heroisch zu sein, gegenüber
die Wattewicken mit gewöhnlichem Wasserstoffsuperoxyd plus 10 Tropfen
Adrenalin pro cm3, ein nach meinen Erfahrungen ganz ausgezeichnetes, niemals
lokal ätzendes oder schmerzendes Häinostvptikum. Zweckmäßigerweise veranlaßt
man aber den Patienten, vor dieser Lokalöehantllung recht kräftig einseitig zu
schneuzen, selbst auf die Gefahr hin, da > die bestehende Nasenblutung vorüber¬
gehend sich verstärkt. Durch dieses Schneuzen sollen ßlutkoagula entfernt
werden. Die beschriebenen Wattetauipon können ruhig bis am nächsten Tag
liegen bleiben.
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Otorrhöe und Mittelolirschwerhörigkeit.
499
dem gewöhnlich relativ doch kleinen Quantum Sekret, das im Ge¬
hörgang lagert und, was die Beurteilung der Sekretsqualitäten selbst
anbetrifft, so scheint mir dieselbe viel besser, gleich beim ersten
Blick in den Gehörgang, also in situ und hernach bei der Be¬
trachtung des Austupfpinsels zu geschehen als nachher, supendiert
im Spritzwasser. Zweckmäßigerweise können auch mit der flachen
Sonde Sekretpartien aus dem Gehörgang vorsichtig herausgeholt
und hernach mit schwachen Vergrößerungen untersucht werden. Im
ferneren vermag ich nicht recht einzusehen, weshalb man zuerst
alle Risiken des sonst so verpönten Wassereindringens in die durch¬
löcherte Trommelhöhle übernehmen soll, um hinterher bemüht zu
sein, durch Austupfen dieses Wassers peinlich genau wieder zu entfernen.
Übrigens ist sicher noch eines zu bedenken: nämlich der Um¬
stand, ob nicht allein schon durch das Eindringen von
Wasser in die ungeschützte, d. h. perforierte
Trommelhöhle die Vitalität de'r dort sich finden¬
den Zellen in ungünstigem Sinne alteriert werden
könne, derart, daß vielleicht das Granulationsgewebe unerwünscht
gereizt, neu sich bildendes Epitel aber in seiner heilsamen Ent¬
wicklung gehemmt wird. Namentlich der (vom Wartepersonal viel¬
fach geübte) Abusus der Ausspülungen ist sicher hier ebenso¬
wenig vom Guten wie bei der Nase. In die Trommelhöhle gehört,
gleicherweise wie in die Nasenhöhlen, der Norm entsprechend, Luft
und kein Wasser. Außerdem ist die natürliche Vis a tergo. welche
bestrebt ist, das Sekret nach außen, aber auch nach der Tube hin
fortzuschaffen, sicher, nicht zu unterschätzen.
Sollte es nun aber doch nicht möglich sein, durch kleine,
weiche Wattepinsel (wobei meine bereits erwähnte Sonde deswegen
besonders zweckmäßig sein dürfte, weil die gebrauchten Wattewicken
sehr leicht abgestreift werden können) alles Sekret zu entfernen
(z. B. bei zähen adhärenten Krusten, welche namentlich gegen den
Kuppelraum oft aufsitzen), so tut man gut, zunächst einen schmalen,
etwa vierfach zusammengelegten, trockenen Viotormgazestreifen mit
Hilfe des Ohrtrichters bis in die Tiefe des Gehörganges vor¬
zuschieben. Diesen Docht läßt man dann einige Zeit liegen, er muß
• aber sofort und dann etwa alle zwei Stunden vom Patienten durch
Auftröpfeln von einigen Tropfen Flüssigkeit (abgekochtes Wasser.
Kamillentee) feucht gemacht und durch Vorlegen eines eingefetteten
Wattebausches stets feucht erhalten werden; ein Verfahren, das ich
übrigens auch für die Behandlung der Otitis externa
eczematosa und furunculosa sehr empfehlen möchte.
Nach Entfernung dieses Vioformgazedochtes aus dem Gehörgang,
(je nach den Verhältnissen schon nach einigen Stunden, oft aber
erst am folgenden Tage), begegnet gewöhnlich die Reinigung der
Gehörgangstiefen keinen Schwierigkeiten mehr.
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500
A. Schönemann.
Nachdem nun unter Berücksichtigung dessen, was schon er¬
wähnt wurde, Patient, Katheter und Hörschlauch in die
richtige Position gebracht worden sind, erfolgt eine Probe¬
lufteinblasung. Oft kann dieselbe, wie übrigens die bald zu
erwähnende Pulverinsufflation selbst, wirksamer gemacht werden,
indem man den Patienten anweist, während der Lufteintreibungen in
den Katheter „leer“ oder mit Hilfe kleiner Quantitäten Wasser zu
schlucken.
Qualifiziert sich auch so die Probelufteinblasung als ungenügend,
so kann man zunächst versuchen, vermittelst des an Ort liegenden
Katheters einige Tropfen reine Adrenalinlösung in
die Tube einzublasen. Natürlich muß für diesen Fall nach
vollendeter Flüssigkeitseinblasung in die Tube durch die Ballonpre߬
luft der Katheter aus der Nase wieder entfernt werden. Er ist
ohne sorgfältige Austrocknung (z. B. vermittels Ätherdurchspülung)
für die nachfolgende Pulverinsufflation nicht mehr zu gebrauchen.
Die Adrenalinwirkung erreicht ihr Optimum zirka 5 Minuten nach
vollendeter Applikation: dabei empfindet der Patient anfänglich ein
rasch vorübergehendes Herzklopfen.
Es folgt sodann die eigentliche Pulverinsuf-
f 1 a t i o n. In den hohlen Komus des Katheters, welcher selbstredend in
Stellung gehalten werden muß (am besten mit Daumen und Zeige¬
finger der linken ärztlichen Hand) schüttet man einige Centigramm,
d. h. die gehäufte Spitze einer flachen, breiten Sonde Vioform oder
Xeroform hinein und läßt sofort die Lufteinblasung vermittelst des
Ballons folgen. Das Vioform dringt.mit dem Pre߬
luftstrom in die Tube und in die Trommelhöhle
li i n e i n.
Den Endzweck unseres therapeutischen Handels ersehen wir
also vor allem darin, via Tuba ein möglichst großes
d. h. wirksames Depot von Vioform oder Xero¬
form in die eiternde Trommelhöhle hinein zu
bringen, wo es, gleichsam in Aktionsstellung gebracht, a 11-
mählich seine antibakterielle und wohl auch
Schleimhaut beizende Wirkung ausüben kann.
Da, wo die Tube, deren Länge nebenbei gesagt, bekanntlich
zirka 3 5 cm beim Erwachsenen beträgt (s. Text Fig. 1) völlig
durchgängig ist, und da, wo eine hinreichend große Trommelfell¬
perforation in der pars tensa dem eindringenden Preßluftstrom den
Weg gleichsam noch besonders erleichtert, geht nun diese Einblasung
gewöhnlich ohne irgendwelche Schwierigkeiten vor sich, und es ist
durchaus verständlich, daß der Pulverinsufflationsstrom
nicht nur das Tubenlumen, sondern auch die
Trommelhöhle und sogar den Gehörgang reichlich
bestreicht.
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Otorrhöe und Mittelohrschwerhörigkeit.
501
Anfänglich, d. h., als ich vor neun Jahren diese Methode
zuerst anzuwenden begann, fürchtete ich, es möchten durch das ein-
gebrachte Vioform und Xeroform in der Tube oder in der Trommel¬
höhle irgendwelche Reizerscheinungen oder lokale Schädigungen
auftreten. Glücklicherweise traf dies niemals zu.
Außer vielleicht einem etwas rasch vorübergehenden Fremdkörper-
Larynxhusten oder etwa einem ebenso harmlosen, bald verschwin¬
denden Völlegefühl der Tuben- und Trommelhöhlengegend wissen
die Patienten von irgendwelchen subjektiven Beschwerden nichts
weiter anzugeben.
Für den Operateur ist nun die Sache scheinbar etwas mißlicher.
Hat er viele solche Fälle hintereinander zu behandeln, so ist trotz
der Anwendung meines dickschnabeligen Katheters nicht zu ver¬
meiden, daß der Arzt zerstäubtes Vioform und Xeroform einzuatmen
bekommt. Nun, der Soldat im Felde muß auch den Pulverdampf zu
ertragen lernen und von einem direkten Schaden seitens solcher
Pulverinhalationen habe ich an mir selbst niemals etwas beobachtet.
Es hält, übrigens dem ängstlichen Mediziner auch hier nicht schwer,
gewisse Selbstschutzvorrichtungen zu treffen. Daß dem Patienten das
Eindringen von Vioform und Xeroform in die Nasenhöhle und den
Pharynx im Sinne einer antikatarrhalischen Maßregel, nur nützlich
sein kann, habe ich schon erwähnt.
Hier möchte ich, späteren Erörterungen vorgreifend, an führen,
daß ich seit langer Zeit mit sichtlichem Erfolg diese Pulverinsufflationen
in die Trommelhöhle via Tuba auch bei intaktem Trommel¬
fell in Anwendung bringe und zwar in erster Linie
bei gewöhnlichen, nicht perforativeu, akuten und
chronischen Mittelohrkatarrhen, deren subjek¬
tive Hauptsymptome bekanntlich in Hörver¬
minderung und quälenden Ohrgeräuschen be¬
stehen. Warum ich auch bei diesen Affektionen in erster Linie
auf das Vioform und Xeroform verfallen bin, hat unter anderem
seinen besonderen Grund darin, daß jedes dieser Medikamente gleich¬
sam eine charakteristische Gruppe vertritt: Vioform ist jodhaltig
und chemisch als Jodoxychinolin charakterisiert. Es wurde
vor zirka 20 Jahren erstmals von Tavel (Bern) bakteriologisch
und klinisch geprüft und als bester Ersatz für das Jodoform befunden.
Vioform wirkt antibakteriell speziell auch antituberkulös und ist
ungiftig, sofern es nicht in abgeschlossene Wundhöhlen als Emulsion
gespritzt wird (Blanke). Es zersetzt sich nicht, wirkt blutstillend und
austrocknend. Es reizt die Umgebung nicht durch Ekzeme und beein¬
flußt die Granulationsbildung günstig. Xer ofo r m (Tr i b r o m ph e n o 1-
wismuth) dagegen ist jodfrei und w i s m u th h altig. Es
wurde ursprünglich wegen seiner kräftigen antiparasitärenEigenschaften
und seiner relativ geringen Giftigkeit gegen den Organismus als
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502
A. 8 c h ö n e m a n n.
Darmantiseptikum (besonders gegen Cholera, ferner Gastroenteritis
bei Kindern und Erwachsenen) innerlich empfohlen. Hauptsächlich
findet es aber als Wundantiseptikum ähnliche Anwendung wie das
Vioform, dessen Eigenschaften es im wesentlichen teilt. Allerdings
ist das Xeroform etwas weniger mobil als das Vioform, immerhin
noch außerordentlich leicht zerstäubbar.
Bei meinen Verwendungen zeigte es sich, daß beide erwähnte
Medikamente als eigentliches Wundpulver, d. h. in ihrer Wirksamkeit
bei Otorrhoe, ziemlich Gleiches leisten. Für die übrigen Anwendungen
lag a priori der Gedanke nahe, daß das jodhaltige Viofo r-m
besonders da anzuwenden sei, wo es sich darum handelte, mehr
oder weniger schon organisierte Depots von bestehenden und abge¬
laufenen Mittelohrkatarrhen zu mobilisieren und zur Resorption zu
bringen. Daß auf eine solche Applikation ganz alte, „ausgewachsene“,
trockene Mittelohrkatarrhe kaum reagierten ist sicher nicht ver¬
wunderlich. Abgesehen von diesen Fällen habe ich aber sehr oft
die Freude erlebt, daß weniger inveterierte trockene Mittelohr¬
katarrhe durch meine Vioform- oft auch Xeroformbehandlung bald
deutliche Hörverbesserungen aufwiesen. Doch davon soll später noch
die Rede sein. Hier lag es mir daran zunächst nur zu zeigen, daß das
Einblasen via Tuba und der Aufenthalt vou pulverartigen Substanzen
wie Vioform und Xeroform in der Trommelhöhle (auch bei völlig
intaktem, d. h. nicht perforiertem Trommelfell) auf alle Fälle
nichts schaden. Soviel ich aus der Literatur ersehe, ist dieses
Verfahren zuerst von mir angewendet und ausprobiert worden.
Um diesen Abschnitt über die Natur der in die Trom¬
melhöhle eingeblasenen Pulversubstanzen zu vervollstän¬
digen, sei noch erwähnt, daß ich u. a. ebenfalls Airol und Dermatol
versuchte. Sie wurden besonders wegen ihrer schweren Beweglich¬
keit und der hygroskopischen Uberempfindlichkeit bald aufgegeben.
Ich meine aber das Suchen nach weiteren derartigen Medikamenten
sollte fortgeführt werden. Ich habe die Überzeugung, daß es sicher
noch andere ebenfalls pulverförmige Substanzen zu finden gibt,
die den oben besprochenen Indikationen möglicherweise noch viel
besser entsprechen. Auch fragt es sich, ob eine Beimischung z. B.
von F i b r o 1 y s i n oder Pepsin oder Panitrin natürlich in
trockener, pulverförmiger, späterhin, d. h. in die Trommelhöhle ein-
gebracht, aber leichtlöslicher Form den angegebenen Insufflations-
pulvern beigefügt, deren Wirksamkeit nicht noch wesentlich er¬
höhen könnte.
Kehren wir nach diesem Exkurs zu unserer Behandlung
der chronischen fötiden Otorrhöe zurück, so konnten
wir zuletzt feststellen, daß bei völliger Wegfreiheit der Tube und
Vorhandensein einer hinreichenden Gegenöffnung in Form einer
größeren Trommelfellperforation, (siehe Tafelfigur 4) der pulver-
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Otorrhöo und Mittelohrschwerhörijikeit.
503
gesättigte Preßluftstrom sehr leicht seinen Weg durch den Tubo-
tympano-meatus Kanal findet, derart sogar, daß oft als sichtliches
Zeichen des unmittelbaren Erfolges ein Pulverwölklein neben der
Olive des Hörschlauches dem äußeren Gehörgang des Patienten
entfleucht.
In anderen Fällen aber konstatiert das mit dem Hörschlauch
bewaffnete Ohr des Arztes, daß die Preßluft nur schwer oder gar
nicht eindringt. Nicht selten trifft dies nur für den Anfang der
Behandlung zu und man kann bald feststellen, daß schon nach
Ablauf der ersten Insufflationen sowohl die Nasengänge als nament¬
lich auch der Tubenkanal merklich freier werden, prognostisch
natürlich ein günstiges Zeichen für die Beurteilung des vorliegenden
Falles; denn solche wegbehindernde Tubenschwellungen beruhen
dann mehr nur auf Kongestionszuständen als auf eigentlichen
lokalen Entzündungen. Sie sind konform den Kongestionszuständen
der Tube bei gewöhnlichen Nasenschleimhautschwellungen, die oft
schon durch Weingenuß oder Tabakrauchen oder leichten Schnupfen
hervorgerufen werden. Wir haben es hier zweifellos nur mit Kollateral-
Kongestionszuständen zu tun, welche der Nasenschleimhaut und
ihrem so eigenartigen Schwellkörpersystem einerseits und der Tuben-
mittelobrschleimhaut andererseits eigentümlich sind. Eine richtige
autochthone Tuben- oder Mittelohrschleimhaut-Affektion kommt
dabei, wie gesagt, gar nicht in Frage.
Zur anatomisch physiologischen Erklärung dieses kollateralen
Zusammenhanges darf hier wohl daran erinnert werden, daß beiden
Bezirken, nämlich der Tube und dem Mittelohr einer¬
seits und dem r e s p i r a t o n i s c h e n Abschnitt der
Nase andrerseits (untere Muschel und Retronasalraum) das
nämliche Ganglion sphenopalatinum als vosomotorisches Unterzentrum
vorstehen dürfte, (siehe Schönemann, Muschelbildung und
Muschelwachstum. Anatomische Hefte von Merkel & Bonnet 1901
bei F. Bergmann, Wiesbaden 1901; — vergleiche auch Goldmann,
Der Sammelbegriff Otoeklerose und chronische progressive Schwer¬
hörigkeit. Halbmonatsschrift für Pathologie und Therapie 1917.)
Solche, nur kollateral kongestive Tubenschwellungen sind es
nun wohl, die naturgemäß am ersten auf die Pulvereinblasungen
reagieren, welch letztere sehr bald nicht nur die Tuben und Mittel¬
ohrschleimhaut selbst, sondern auch die geschwellten Nasenschleim¬
häute entlasten. Sie (i. e. die Tubenschwellungen) erzeugen im Hör¬
schlauch ebenfalls ein Stenosengeräuch, das aber anders klingt, als
z. B. dasjenige bei Tubenlippenschwellung erzeugte.
Das feinhörige, auskultierende Ohr muß solche Unterschiede
machen lernen, aber der einigermaßen akustisch oder auch
musikalisch veranlagte Arzt, welcher der Untersuchung mit
dem Hörschlauch seine besondere Aufmerksamkeit
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504
A. Schönemann.
widmet, wird bald mit Befriedigung warnehmen, daß mit fort¬
schreitender Übung viele, auch topographisch zu lokalisierende Fein¬
heiten herausgehört werden können. Nun, wir befinden uns damit
in guter Gesellschaft. Ist es doch erstaunlich, welche auskultatorischen
Finessen oft das lauernde Ohr des Internisten aus den Tiefen des
Thoraxinnern heraus zu hören vermag.
Endlich können dem freien Eindringen des Insufflationspulvers
durch den Tubo-tympano-meatus-Kanal Hindernisse in der
Trommelhöhle selbst entgegenstehen. Da begegnen wir nun
in erster Linie 0 h r p o 1 y p e n, d. h. zu gestielten Gebilden aus¬
gewachsenen Granulationsmassen, welche bekanntlich so groß werden
können, daß sie den ganzen äußeren Gehörgang ausfüllen. Aber
schon allein die Labyrinthwand 4 ) der Trommelhöhle und die nach
innen an sie angrenzende „sellare“ (Schönemann) Trommel¬
höhlenwand (siehe Tafelfigur 8) welch letztere in der Hauptsache von
der Einmündung der Tuba in die Trommelhöhle bzw. deren Um¬
randung gebildet wird, kann ganz wesentlich im Wege sein. Diese
labyrinthäre Trommelhöhlenwand kann nämlich so aufgelockert
und mit Granulationsbildungen dermaßen durchsetzt sein, daß sie
wie ein Polster über das tympanale Ostium der Tube herunterhängt
und so natürlich außerordentlich wegbehindernd wirkt.
Daß die „Polypen“ instrumentell entfernt werden müssen, ist
klar. Flächenhafte Granulationen aber werden zweckmäßig nach
bekannten Verfahren mit einer an die Sondenspitze an¬
geschmolzenen Lapisperle betupft und zum Schwinden
gebracht. Dabei muß aber allergrößte Vorsicht walten und ja nicht
unterlassen werden, sofort nach dem Betupfen die betreffende Stelle
mit einer Kochsalzlösung zu neutralisieren. Dies geschieht am besten
so, daß ein mit dieser Lösung imprägnierter und bereit gestellter
Wattetupfer sofort, d. h. im Moment, wo der Patient Schmerz oder
Schwindel verspürt, auf die geätzte Stelle sanft angepreßt wird. Im
Anschluß daran tritt sodann der weiße Ätzschorf zutage.
Dringt aber das Vioformpulver trotz dieses Granulations¬
hindernisses in genügendem Maße in die Trommelhöhle ein, so
erübrigt sich gewöhnlich diese Lapisätzung und man konstatiert im
weiteren Verlauf der Behandlung mit Befriedigung, daß diese patho¬
logischen Schwellungen zurückgehen Hand in Hand mit der fort¬
schreitend versiegenden Eitersekretion.
*) Ich vermeide es absichtlich, von dieser labyrinthären Trommel¬
höhlenwand, wie es gewöhnlich geschieht, schlecht und recht als von der
medialen bzw. Innenwand der Trommelhöhle zu sprechen; denn diese
topographische Einreihung in die Gesamttopographie des Schädels kommt ihr
nicht mit Recht zu (vergleiche Schönemann 1. c. Über die Berech¬
tigung usw. 1906). Allerdings haben alle meine nach dieser Richtung hin unter¬
nommenen Bestrebungen auch bei den Fachgenossen der Schweiz bisher keinerlei
Unterstützung gefunden.
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Otorrhöe und Mittelohr.Schwerhörigkeit.
505
Eine wichtige Frage ist nun die, ob das Insufflationspulver
auch in den für die Ätiologie der chronischen Mittel-
ohreiterungen so bedeutsamen oberen Trommel¬
höhlenraum, das Epitypanum, einzudringen
vermag.
Bekanntlich bildet dieser Raum (siehe Tafelfigur 5,6,7,8), ähnlich
der Kuppel eines Dombaues, die knöcherne Umhüllung für den Hammer¬
und Amboskörper. Er kommuniziert mit der unterliegenden eigent¬
lichen Trommelhöhle, dem Tympanum, nur vermittelst eines kleinen
niedrigen rundlichen Ganges (des Ductus-tympano-epi-
tympanicus (Schönemann) (1. c. 1918), der bezüglich seines
geringen Durchmessers gerade hinreicht, um dem Ambos zu gestatten,
seinen langen Schenkel in die Trommelhöhle hinunterzustrecken.
Dort verbindet sich dieser Ambosschenkel mit dem Stapesköpfchen.
Der Vollständigkeit halber sei auch noch die Fortsetzung des Epi-
tympanums einerseits mastoidalwärts (d. h. gegen den Processus mastoid.
hin), andererseits eine ähnliche, aber viel kürzere „sellarwärts“ a. h.
gegen die Sella turcica oder den Carotiskanal hin, erwähnt. Erstere
verläuft gangartig Uber der oberen knöchernen Gehörgangswand
und wurde von mir Ductus epitympano-mastoideus
(Schönemann) genannt. Erst dieser kurze Gang (= Aditus ad
antrum der Autoren) mündet in das seiner Richtung nach absteigende
Antrum mostoideum, sofern wenigstens letzteres als eigent¬
licher, einheitlicher pneumatischer Hoblraum im Processus mostoideus
selbst hinreichend ausgebildet ist. Bezüglich dieser Bezeichnung
„aditus ad antrum“ sagt Körner (Zeitschrift für Ohrenheilkunde)
schon 1897: „Den unklaren Begriff des aditus ad antrum
sollten wir endlich abstoßen“. Auch nach innen hin, d. h. genau
genommen, in der Richtung gegen die Felsenbeinpyramidenspitze
(also „sellarwärts“, d. h. gegen den Canalis caroticus) hin (Schöne¬
mann) setzt sich der Raum des Epitympanum fort, und zwar blind¬
sackartig , auf kurze Strecke (Recessus epitympanicus
sellaris (Schönemann). Dieser Blindsack verläuft Uber der
(so viel ich sehe, ebenfalls von mir zuerst beschriebenen) Tensor¬
falte (siehe Tafelfiguren 5, 8, plica tens. tympani). Ob diesem
Raum pathologisch anatomisch auch eine besondere Bedeutung zu¬
kommt, müssen weitere Beobachtungen lehren.
Die für uns so wichtige Kommunikationsöffnung
zwischen Tympanum und Epitympanum ist also schon
normalerweise derart beschränkt, daß man versucht
ist zu sagen, sie sei von der Natur aus unzweckmäßigerweise recht
eigentlich dazu disponiert, um ganz verlegt zu werden, sobald katarr¬
halische und entzündliche Zustände dort einsetzen. Ein solches Ge¬
schehen ist sicher oft gerade der Grund, warum akute Otitiden zu
einer Mastoiditis sich auswachsen. Wir haben hier ganz ähnliche
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506
A. Schöne in an n.
Verhältnisse wie z. B. beim Blinddarmfortsatz und vielen anderen
frei mündenden oder untereinander gangartig verbundenen Organen
und Körperteilen. Schon die einfache Entzündung der Haarbälge,
die Akne vulgaris, bildet dafür ein Beispiel.
Der Vorgang der Infektion geht dabei wohl so vor sich, daß
die Krankheitskeime durch den zunächst noch freien Zugang un¬
gehindert durchdringen; einmal im Kuppelraum eingenistet, findet
dann die als Abwehr folgerichtig und durchaus ehrlich einsetzende
Eiterung den Ductus tympano-epitympanicus (S c h ö n e m a n n), den
natürlichen Abflußweg, durch entzündliche Schwellung bereits ver¬
schlossen. Sie selbst aber mag nun zusehen, wie sie sich andere
Wege zur Freiheit erobert.
A priori erweisen sich also die Lokalverhältnisse für das Ein¬
bringen von Pulver via Tuba in den Kuppelraum als nicht besonders
günstig. Trotzdem geht aber oft die Durchblasung des Tubo-
ty m pan o-meat u s-Kan al s bei einigermaßen erheblicher Perforation
in der Shrapnellschen Membran, welche bekanntlich dem unteren
Teil des Kuppelraumes direkt aufsitzt (siehe Tafelfiguren 1, 2, 7 a)
nicht allzu schwer. Es kann dies, zum Teil wenigstens,
damit Zusammenhängen, daß bei langdauernder fötider Otorrhöe
namentlich der lange Ambosschenkel leicht einschmilzt und so das
Lumen des Ductus tympano-epitympanicus (Schönemann) vielmehr
klafft, als bei normalen Verhältnissen, öfter auch gelingt es, durch
die schon erwähnten Ätzungen mit der Lapisperle Granulationen
selbst im Kuppelraum zum Schwinden zu bringen und so die Weg¬
freiheit des Tubo-tympano-meatus-Kanales für die Einblasung zu
erzwingen. In gewissen Fällen kommt auch die Hammerextraktior
in Betracht; die Ambosextraktion vom Gehörgang aus ist ein ge¬
fährliches Unternehmen.
Für solche Fälle der Wegfreiheit im Kuppel¬
raum hat mir denn auch meine Vioform- und
Xeroforminsufflation ebenfalls ganz wesentliche
Dienste geleistet.
Hier sei mir gestattet, eine einschlägige, kurze Krankenvorstellung ein¬
zuschieben. Es handelt sich um den 45jährigen Herrn G. von H., welchem in
seinem dritten Lebensjahr die Scarlatina so übel mitgespielt hatte, daß er das
Hörvermögen links fast total, rechts bis an einen geringen Re6t eingebüßt hatte,
trotzdem er fast in ununterbrochener Folge, wegen des immerzu bestehenden
fötiden Ohrenflußes in ärztlicher Behandlung stand. Als Pat. im Jahre 1912
in meine Behandlung trat, ergab sich folgender Status: Die linke Trommelhöhle
und der Kuppelraum bilden eine fast zusammenhängende, spärlich aber fötid
sezernierende Höhle. Vom Trommelfell ist ebensowenig etwas nachzuweisen wie
von den Gehörknöchelchen. Flüstersprache wird gar nicht, laute Sprache (rechtes
Ohr vermittelst der Hörtrommel gegen Schallempfindung abgedichtet) in un¬
mittelbarer Nähe vernommen. Kalorische Prüfung der Labyrinthfunktion unsicher.
Der rechte Gehörgang zeigte einen etwas weniger trostlosen Status: zwar war
auch hier, bei mäßiger fötider Otorrhoe, der größte Teil der pars tensa des
Trommelfelles verschwunden, und durch eine ziemlich breite Fistel in der Gegend
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 7 . Heft
A. Schönemann. Otorrhöe und Mittelohrschwerhörigkeit.
Tafel I
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t'orlan »*oti T
Fig. 1. Übersichtspräparat (halbschematisch, zirka l l / 2 fach der natür¬
lichen Verhältnisse), darstellend: die Tube (nach untengeschlitzt).
Art. carotis interna; Trommelhöhle (Tympanum)
Kuppelraum (Epitympanum) mit Hamm e r-, A m bo߬
kör p e r, d u c t u s epity mpano-mastoideus (Schöne-
mann)(= aditus ad antrum der Autoren) A n t r u m mastoide 11 m
(aufgemeißelt) und äußeren Gehörgang, dessen Vorder-Unter-
wand entfernt ist.
Die Legende zu den Abb. 2 bis 10 befindet sich irn Texte .
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Druck R. Snl« A Cn. Wien
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 7 . Heft
A. Schönemann. Otorrhöe und Mittelohrschwerhörigkeit.
Tafel II
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 7. Heft Tafel 111
A. Scliönemann. Otorrhöe und Mittelohrschwerhörigkeit.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 7. Heft
A. Sc hone mann. Otorrhöe und Mittelohrscliwerliörigkeit.
Tafel IV
Fig. 6.
Fig. 7 .
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Fig. 8.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 7. Heft Tafel V
A. Schönemann* Otorrhöe und MittelolirscliwerhörigkeiL
Kg. 9.
Fig. 10.
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Wien V
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Otorrhöe und Mittelohr Schwerhörigkeit.
507
der Shrapnellschen Membran konnte die abgebogene Sonde in den Kuppelraum
eindringen, wo eie auf rauhen Knochen stieß. Flüstersprache, und zwar nur gut
akzentuierte, wurde am Ohr wahrgenommen. Bei einer sehr vorsichtig vor»
genommenen kalorischen Labyrinthfunktionsprüfung trat sofort heftiger Schwindel
auf. Probeweise behandelte ich den Pat. dann einige Male mit der Ausspritz-
luftdusche-Bors&ure-Paukenröhrcbenmethode, weil ich damals meine Pulverein»
blasungsmethode noch nicht anwandte, anscheinend mit befriedigendem Erfolg.
Der Pat. blieb dann weg und zeigte sich erst nach einem halben Jahre wieder,
zum Arzt getrieben durch die heftigsten Kopfschmerzen. Diese waren offenbar
verursacht durch eine an der Unterfläche des Kuppelraumes festaitzenden Kruste
und ließen nach sorgfältiger Entfernung derselben (e. o.) bald nach. In der
Folge behandelte ich den Pat. nach meiner von mir inzwischen ausgebildeten
Pulvereinblasungsmethode, mit dem hochbefriedigenden Resultat, daß die fötide
Eiterung bald versiegte und die Hörfähigkeit sich so weit besserte, daß der
Pat. seinem Holzhandelgeschäft, wieder ohne Zuhilfenahme eines Hörrohres
nacbgehen kann. (Flüstersprache auf 0'5 m vom Ohr [manchmal etwas mehr] ver¬
standen.) Ich habe Herrn Gl. seither zirka alle 3 Monate wieder gesehen und
ihm jedesmal prophylaktisch eine energische, beidseitige Xeroformeinblasung
via Tuba gemacht. Ich hoffe, er ist der Gefahr, doch noch einer Radikaloperation
sich unterziehen zu müssen, nun endgültig entronnen.
Leider liegen non die Verhältnisse im Kappelraum
für eine ersprießliche Wegfreimachung nicht immer so günstig.
Tiefliegende, der Sonde nicht zugängliche Granulationen, ferner in
fötider Zersetzung begriffener Eiterdetritus, meistens wohl her rührend
von autochthonen Eiterprozessen am Hammer, am Ambos -und wohl
auch am Hammer-Ambosgelenk füllen oft den Kuppelraum recht
eigentlich aus. Auch die knöcherne Umwandung des Kuppelraumes
kann sicher selbständig erkranken und fötide Detritusmassen liefern;
denn solche Folgezustände von primären und sekundären Periostitiden,
Ostitiden und Osteomyelitiden des knöchernen Epitympanums und
seiner Kontenta liegen "durchaus im Bereich der Möglichkeit, ebenso
auch an solche Prozesse folgerichtig sich anschließende Karies und
Totenladenbildung en miniature. Daß alle diese Vorgänge mit mannig¬
fachen Detritusbildungen einhergehen, ist aus analogen Vorgängen
an anderen Körperteilen hinreichend bekannt.
Hier wäre nun auch der Ort, um die Pseudocholesteatom¬
frage kurz zu streifen. Mir will es scheinen, daß diese Diagnose,
die bekanntlich fälschlicherweise unter dem Titel
„Cholesteato m“ segelt (denn unter diesem Namen ist stets
nur die auch im Ohr als bloße Rarität auftretende kongenital
angelegte eigentliche Tumorbildung zu verstehen), viel zu
generell gefaßt wird und namentlich die Tendenz besteht, fast jede
fötide Detritusansammlung im Kuppelraum als „Cholesteatom“ und
damit implizite als gefährlichen und zur Radikaloperation ohne
weiteres indizierenden Status hinzustellen. Die Pseudocholesteatom¬
bildung in den oberen Mittelohrräumen und im Antrum mastoideum
selbst stellt nichts anderes dar als einen übermäßig proliferierenden
fötiden Desquamationsprozeß von Epidermismassen. Letztere haben
MonAtMchrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Rhin. 56. Jahrg. 34
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508
A. Schönem an n.
vom Gehörgang aus den Weg via randständige oder aufgewachsene
Perforationen (Körner) in diese Bäume gefunden. Den Wachstnmreiz
zu dieser Proliferation liefert die autochthone Kuppel¬
raumeiterung. Die Grundbedingung fttr die Heilung dieses
Desquamtionsprozesses liegt in der Beseitigung der primären
Eiterung (Körner).
Gestützt auf diese Deduktionen möchte es also berechtigt sein
zu sagen, daß auch bei Kuppelraumeiterungen, die
vergesellschaftet sind mit Pseudocholesteatombildungen
und die ferner gewöhnlich Hand in Hand gehen mit randständigen
Perforationen der oberen Trommelfellpartien (Membrana flaccida
Shrapnelli), ein V ersuch mit der Vio 1 -, Xeroforminsufflation via
Tuba wohl angezeigt erscheint; sofern wenigstens die Wegfreiheit
(eventuell unter Zuhilfenahme von Auswaschungen des Epitympanums
vermittelst des Paukenröhrchens) sich herstellen läßt. Führt ein
solcher Versuch nach gewisser Zeit nicht zum Ziel, dann allerdings
ist die .Radikaloperation oft nicht mehr zu umgehen. Ein solcher
Versuch ist aber gerade hier um so mehr angezeigt, als bekanntlich
bei denjenigen chronischen fötiden Otorrhoen, welche mit Perforation
in der Membrana Shrapnelli einhergehen, oft auffällig gute Hör¬
funktionsverhältnisse noch vorliegen. Dieses Hörvermögen wird aber,
wenn die erwähnte konservative Behandlung zum Ziel führt, nicht
nur erhalten, sondern oft noch wesentlich gebessert, was für die
Radikaloperation gewöhnlich nicht zutriflft.
Bekanntlich wird nun die Luftei ntreib ung vermittelst
des Katheters gleichsam als eine höhere Instanz gegenüber
dem Politzerschen Verfahren gewertet und man liest oft
in den Lehrbüchern, daß da, wo das Politzersche Verfahren nicht
zum Ziele führe, d. h. die Preßluft nicht in das Mittelohr dringt,
der Katheterismus der Tube seine Anwendung finden müsse. Es ist
zwar noch sehr fraglich, ob eine solche Gegenüberstellung wirklich
zu Recht besteht; denn oft leistet, z. B. bei einfachem Tubenverschluß,
merkwürdigerweise der gleich anfänglich gemachte Katheterismus
nicht so viel, wie das Politzern. Doch dies nur nebenbei. Hier soll
uns die Frage beschäftigen, ob es möglich ist, auch vermittelst
des einfachen Politzerschen Verfahrens Xeroform
oderVioformin die Trommelhöhle zu befördern.
Meine langjährigen Versuche haben in dieser Beziehung ein
positives Resultat ergeben.
Zur Vornahme dieser Procedur werden die Patienten
— und hier kommen besonders Kinder in Betracht — angewiesen,
energisch einseitig zu schneuzen').
») Diese« einseitige Schneuzen (natürlich mit vorgehaltenem Taschentuch!)
sollte vom rhinologisch-hygienischen Standpunkt aus überhaupt als einzig richtig
befürwortet werden. Das „Trompeten“ ist dabei durchaus entbehrlich.
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Otorrhöe und Mittelohrschwerhörigkeit.
509
öfters tut der Arzt gut daran, bei Kindern oder sonst
renitenten Patienten diesen einseitigen Schneuzeffekt selbst zu ver¬
anlassen, indem er den Politzerballon luftdicht in das eine Nasen¬
loch einsetzt und denselben bei völlig offen gelassenem anderen
Nasenloch kräftig entleert. Der Preßluftstrom uud mit ihm das
Sekret entweichen dann mit einer gewissen Energie aus dem offenen
anderen Nasenloch. Auf diese Reinigungsarbeit erfolgt eine reichliche
Einblasung von Xeroform oder Vioform vermittelst des gewöhnlichen
Pulverbläsers in eine Nasenhöhle (einseitiges Einblascn genügt für
-die beidseitigen Nasengänge, sofern sie- durchgängig sind) und un¬
mittelbar daran anschließend, ohne Zeitverlust, d. h., bevor der
Patient durch eine Expiration Zeit findet das im Cavum nasale
noch schwebende Pulver berauszublasen, erfolgt das Politzern.
Von vornherein muli nun zugegeben werden, daß sicher nur
kleine Quantitäten Pulver auf diese Weise in das Mittelohr gelangen.
Deshalb bin ich auf den Gedanken gekommen, vermittelst einer
besonderen Vorrichtung diesen Nutzeffekt zu steigern. Diese Vor¬
richtung besteht im wesentlichen darin, daß zwischen Preßluftballon
und Nasenolive ein gläsernes T-Röhrchen eingeschaltet wurde. In
den freien Schenkel dieses T-Rohres wurde sodann das Vioform-
bzw. Xeroformpulver geschüttet und unmittelbar darauf das Politzern
vorgenommen. Selbstverständlich mußte bei diesem Akt die freie
Öffnung des T-Schenkels mit dem Finger verschlossen werden.
Der hier beschriebene Apparat aber befriedigte mich nur mäßig.
Vielleicht jedoch findet die oben umschriebene Indikationsstellung
bald einen glücklicheren Bearbeiter.
Auf alle Fälle muß daran festgehalten werden, daß für unsere
Zwecke, nämlich für die Einbringung eines hinreichenden
Quantums Xeroform oder Vioform in die eiternde
Trommelhöhle via Tuba der Ratheterismus dem
Polizerverfahren naturgemäß überlegen ist. Aus
diesem Grunde ziehe ich es vor, auch bei Kindern,
selbstverständlich nach Applikation von Adre-
nalin-Alypin (s. o.) von der Anwendung der Kathe-
terismuspulverinsufflation ausgiebigen Ge¬
brauch zu machen.
Wenn nun aus all dem Gesagten auch hervorgeht, daß der
therapeutische Aufmarsch für meine Behandlungsmethode
der Otitis media purulenta in der Hauptsache
via Tuba erfolgt, so soll deswegen der Gehörgangsweg
doch nicht völlig vernachlässigt werden. Daß
Ausspritzungen desselben entbehrlich sind, habe ich schon ange¬
deutet. In den Gehörgang selbst, welcher den Eiter nach außen
leitet, sollen nach vollendeter Reinigung Vioformeinblasungen ver¬
mittelst des Pulverbläsers gemacht werden. Hernach folgt das
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510
A. bcliönemann.
lockere Einlegen eines aufsaagenden Wattebausches, der nach
Maßgabe der Notwendigkeit zu wechseln ist.
M. H.! Ohne eine zahlenmäßige Statistik hier folgen zu lassen, kann
ich Ihnen versichern, daß meine nunmehr neunjährigen Erfahrungen
mit meiner Pulver-Insufflationsmethode via Tuba in die Trommel¬
höhle recht zufriedenstellende Resultate zutage gefördert haben.
Allerdings möchte ich Sie davor warnen, diese neue Pro¬
zedur als Allheilmittel zu betrachten und dasselbe
nun kritiklos bei allen einschlägigen Fällen anzuwenden. Von
vornherein ist klar, daß dieses Verfahren bei schon ausge¬
sprochenem Entzündungs- bzw. Eiterungs^rozeß
in den Höhlen des Warzenfortsatzes nichts
nützen kann. Schaden bringen können sie wohl niemals, sofern
wenigstens peinliche Reinlichkeit bei der Handhabung von In¬
strumenten und Medikamenten beobachtet wird. Namentlich ist so
gut wie ausgeschlossen, daß die beim Politzerverfahren oder
Katheterismus angewendete Preßluft Krankheitskeime
in die bisher noch intakten oberen Trommel¬
höhlenräume oder gar in das Antrum mastoidium
zu schleudern vermag (Denker). Trotzdem seien Sie auf der Hut
und bedenken Sie, daß plötzlich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel,
die wichtige Frage au Sie herantreten kann, ob nicht drohende
Labyrintherscheinungen oder Zerebralerscheinungen oder Symtome
von seiten des processus mastoideus usw. die dringende Not¬
wendigkeit eines baldigen operativen Eingriffes
in die Nähe rücken.
Ausgehend nun von dem Gedanken, daß bei intaktem
Trommelfell, also bei Otitis media chronica sicca,
die wegen ihrer konsekutiven und progressiven Hörverschlechterung
und den subjektiven Geräuschen bekanntlich die crux der Ohren¬
ärzte darstellt, der einfache Luftstrom beim Katheterismus auch bis
in das Tympanum eindringt, wurde von mir die gleiche Methode
auch unter diesen Umständen probeweise angewendet. Zunächst sei
festgestellt, daß es hier (d. h. also bei intaktem Trommelfell) eben¬
falls gelingt, reichliche Depots von Xeroform und
Vioform in die Trommelhöhle einzutreiben. Als Beweis
dafür muß ohne weiteres die Tatsache gelten, daß nach Anwendung
dieser Methode sehr oft die Innenfläche des Trommelfelles
bei der otoskopischen Untersuchung als völlig be¬
staubt sich erwies und zwar überall: vorn, hinten, auch gegen die
Grenzstränge (siehe Tafelfigur 2) hin. Bei stark getrübten Trommel¬
fellen war ein solcher direkter Nachweis der Innenbestaubung
des Trommelfelles natürlich nicht zu sehen.
Irgendwelche ernstere subjektive Beschwerden wurden von
seiten des Patienten nach erfolgter Einblasung nie geklagt. Hin-
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Otorrhöe und Mittelohrschwerhörigkeit.
511
gegen muß sich der Patient darauf gefaßt machen, daß er während
einiger Stunden nach der Behandlung ein gewisses, nicht gerade
angenehmes Völlegefühl im behandelten Ohr empfindet, das sogar
vorübergehend (höchstens zwei Tage lang) seine subjektiven
Störungen (Hörverminderung und Geräusche) noch steigern kann.
Spätestens nach zwei Tagen aber klingen diese Reizerscheinungen
ab und gewöhnlich setzt dann auch die Besserung ein, wenn über¬
haupt noch etwas zu bessern ist. Zum wenigsten gelingt es meistens
den Hörstatus unter Besserung der subjektiven Ohrgeräusche zu
erhalten. Und dies ist schon sehr viel wert.
Bezüglich der Wahl des Medikamentes ist noch zu sagen, daß
mir hier Xeroform wirksamer zu sein scheint als Vioform; trotzdem
gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß möglicherweise ein noch
„jodaktiveres“ Präparat als das Vioform zu finden ist, das dann auch
noch besser wirkt. Auch vom Pani tri n erwarteich Ersprießliches.
Zusammenfassend waren meine Heilerfolge} bei kürzerer oder
längerer Anwendung dieser Medikamente, wie schon erwähnt, recht
zufriedenstellende; auf alle Fälle viel zufriedenstellendere
als meine früheren durch bloßen Katheterismüs oder Politkern er¬
zielten Heilerfolge. .
Auffällig und bezeichnend war dabei oft das differente
Verhalten der beidseitigen Gehörorgane. Bekannt¬
lich erkranken ja gewöhnlich beide Gehörorgane nicht gleichzeitig
und in gleich hohem Grade an chronischer, progressiver
Mittelohrschwerhörigkeit, sondern die Sache liegt zumeist
so, daß anfänglich nur das eine Ohr und zwar sehr viel¬
häufiger das rechte, von der Krankheit befallen wilrd 6 ).
Die durch diese neue Methode erzielten Resultate befriedigten
mich auch vielmehr als die schon vor vielen Jahren empfohlenen
und vielfach noch angewandten Flüssigkeit s- und Dampf¬
eintreibungen in die Trommelhöhlen. Abgesehen
von der chemischen Natur der hier angewandten Medikamente mag
s) Diese überwiegende Häufigkeit der rechtsseitigen, chro¬
nischen. nicht perforativen M i 11 e 1 o h rac h w e r h ö r i g k ei t ist doch
recht auffällig. Möglicherweise hängt siemit einem mechanischen Moment zusammen,
nämlich mit der gewohnheitsgemäß viel häufigeren Rechtslagerung des Menschen im
Schlaf, die wohl zugunsten der Entlastung des Herzens eingenommen wird. Dabei
gelangt natürlich der Schleim des Retronasalraumes viel leichter in die rechte
Tubenöfinung als in die linke. Die Folgen davon liegen auf der Hand. Zu dieser
rechtsseitigen progressiven Hörverminderung gesellt sich dann sehr oft erst in
späteren Jahren der auch linksseitig einsetzende analoge Krankheitsprozeß, ein
Umstand, welcher den Patienten nicht selten erst jetzt veranlaßte „etwas gegen
sein Leiden ärztlich zu versuchen“. In solchen Fällen mächte ich fast regelmäßig
die Erfahrung, daß beim erst-, d. h. schon lange erkrankten rechten Ohr
jegliche therapeutischen Bemühungen sich als nutzlos erwiesen, während das
linke, vor noch nicht so langer Zeit erkrankte Ohr ziemlich prompt auf die
Pulvereinblasungen reagierte.
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512
A. S c h ö n e in a n n.
dies besonders auch daran liegen, daß bei meiner Pulverinsufflations-
methode dort, d. h. in der Tube und der Trommelhöhle, ein „Heil¬
depot“ gebildet wird, während vermittelst des Katheters in die
Trommelhöhle eingespritzte Flüssigkeiten sehr rasch abfließen- Da¬
neben kommt natürlich, wie schon mehrfach hervorgehoben wurde*
die parallelgehende Lokalwirkung des Vioform und Xeroform auf die
Tubenmündung, auf den Nasenrachenraum, auf die Nasenhöhlen und
auf den Rachen auch in Betracht, welche ja ebenfalls und reichlich
vom Pulverstrom bestrichen werden. Sie haben zweifellos einen
nicht zu unterschätzenden Anteil am therapeutischen Endeffekt.
Legende xu den Figuren 2 bis 10 auf den Tafeln II bis V«
(Fig. 2 bis 4 zeigen eine zirka vierfache lin. Vergrößerung gegenüber
den natürlichen Verhältnissen und stellen Photogramme von Rekonstruktions-
Plastiken des Verfassers dar.)
Fig. 2. Isoliertes linkes Trommelfell des Erwachsenen (mit Gehörknöchelchen),,
so wie es sich bei der Otoskopie dem Auge des Arztes vorstellt. Bekanntlich
muß bei dieser Untersuchungsmethode der Patient seinen Kopf mehr oder
weniger nach rechts hinten oben neigen (bei der rechten Otoskopie entsprechend
nach links hinten oben.) Dadurch wird die Trommelfell-Ebene in eine den exakten
Lageverhältnissen nicht entsprechende künstliche Stellung gebracht und der
Beschauer erhält den Eindruck, als ob das Trommelfell der Median-Ebene dea
Körpers parallel laufe. (Vergl. Fig. 3, 4, 5, 6, 7 a, 7 b, bei welchen die wirkliche
Stellung der Trommelfell-Ebene im Schädel berücksichtigt wurde. Man beachte
auch die untenstehende Legende zu Fig. 5 bis 8.
Fig. 8. Gleiches Objekt wie bei Fig. 2. Ansicht von der Trommelhöhle
aus. Natürliche Lageorientierung.
Fig. 4. Isoliertes linkes Trommelfell des Erwachsenen mit Perforation und
polypöser Granulationswucherung in der Membrana flacc. Shrapnelli. und stabilisierter
s. T. randständiger Perforation im h. unt. Quadranten.
Die Fig. 5 bis 8 stellen verkleinerte Abbildungen von Rekonstruktions-
Plastiken des Verfassers dar. (cfr. Schönemann: Ohr, Nase und Nasenneben¬
höhlen, durch Rekonstruktionsplastiken dargestellt usw.Bern 1918.)Diese Plastiken,
vom Verfasser eigenhändig nach Schnittserien rekonstruiert, dienen nicht allein
didaktischen Demonstrationszwecken, sondern entsprechen der Notwendigkeit,
eine bisher fehlende vollständige „topographische Karte 44 des Gehör¬
organes zu beschaffen, auf deren Grund sodann die Topographie des menschlichen
Gehörorganes restlos durchgeführt werden konnte. (Siehe Schönemann
1. c. 1904.) Trotz allen Einwänden läßt sich nicht abstreiten, daß die bisher
übliche Lagebeschreibung des Gehörorganes unrichtig ist, (Siehe
vorstehende Legende zu Fig. 2 bis 4, Tafel II und IH) weil sie auf der beim
Otoskopieren gewonnenen Anschauung beruht, daß das Trommelfell die äußere
(anstatt vordere, untere, äußere) und die Labyrinth-Wand demgemäß die innere
(anstatt hintere, obere, innere) Trommelhöhlenwand bilde. Diese falsche, künstliche
Orientierung, welche konsequenterweise auf das ganze Gehörorgan übertragen
werden mußte, tritt namentlich sinnverwirrend bei den Bogengängen in die Er¬
scheinung, was ohne weiteres aus den Fig. 7 und 8 ersichtlich ist. Um die topo¬
graphische Lagevorstellung dieser (für den Raumsinn so wichtigen) Organe vom
vagen Begriff außen, innen, hinten, horizontal usw. zu befreien, habe ich, deren
nachbarliche Beziehungen benutzend, vorgeschlagen, von einem tympanalen, d. h.
der Trommelhöhle anliegenden (= horizont. äußerer Bogen der Autoren), ferner
von einem zerebellaren, d. h. dem Kleinhirn benachbarten (— vertik. vord.
hinteren Bogen d. A.) und einem Beilaren, d. h. der Sella turcica (bzw. der
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Otorrhöe und Mittelohrschwerhörigkeit.
513
Carotis interna) zugewandten Bogen (= vertik. vord. oberen Bogen d. A.) zu
sprechen, womit nicht gesagt, aber auch nicht verneint sein soll, daß diese Nach¬
barschaft für die Funktion der betreffenden Bogen irgendwie von Bedeutung iBt.
Diese Bezeichnungen vermitteln ohne weiteres für
jede Kopflage eine richtige Lagevorstellung des in Frage
stehenden Bogenganges. Sie gestatten aber auch eine zwanglose An¬
passung an die von m i r gefundene Tatsache, daß nämlich auch die i n d i-
viduelle Lage des Bogengangapparates imSchädel selbst
je nach der Schädelform variiert. Ein Grund mehr, die alten irre¬
führenden Bezeichnungen der einzelnen Bogen auszumerzen. (Siehe Schöne¬
mann: Schläfenbein und Schädelbasis, eine anatomisch-otiatrische Studie.
Basel. Neue Denkschrift der Schw. naturf. Gesellschaft. 1906.)
Index zu den Figuren 5 bis 10. (Fig. 7 a, 8 c und 9, Ansicht von
außen [mastoidal], die übrigen von innen [sellar]) S. Legende.
1 = Epitympanum cum capite incudis et mallei. — 2 et 6 = nervus
facialis. — 3 = membrana tympani. — 4 = stapes. — 5 = caput mallei. —
7 = promontorium. — 8 = ostium tubae tympanale. — 9 = membrana tympani
secundaria. — 10 = musculus tensor tympani (et recessus epitympanicus sellaris
Schönemann). — 11 = cavum labyrinthi ossei. — 12 = labyrinthus membra-
naceus.
c. n. a. p. und c. n. a. h. = crista nervosa ampullae post. (cerebellaris
Schönemann) und horizontalis (tympanalis Schönemann). — d. s. s. undd. b. p. =
ductus semicircul. sup. (sellaris) und post, (cerebell.). — d. e. c. = ductus endo-
lymph. comm. — s. =» sacculus. — u. = utriculus. — c. p. = cisterna peri-
lymphatica. — lam. spir. = lamina spiralis. — sc. t. und sc. v. = scala tym¬
pani und vestibuli. — 1. sp. = ligam. spirale. — d. c. = ductus cochlearis. —
c. = cochlea. — st. = stapes. — c. v. = coecum vestibul. (duct. coehl.). —
m. t. 8. = membrana tymp. secundaria. — d. r. = ductus reunienq, — d. e. u.
und d. e. s. und d. e. c. = ductus endolymphaticus utricularis und; saccularis
und communis. — a. c. a. s. = area cribrosa ampullae superioris (sellaris).
— b. st = basis stapedis.
Besondere Bemerkungen zu den Figuren 5 bis 8, welche
demselben Objekt (großes Ohrmodell von Schönemann) angehören.
Fig. 5 stellt eine Aufnahme des 1. Schläfenbeines von innen dar. Durch einen
dem sellaren (sog. vertik. ob.) Bogen parallel geführten Schnitt, welcher
die Felsenbeinpyramide durchquert, erhält man einen Einblick in die
Labyrinth- und Trommelhöhle von innen. Bei Fig. 6 und 8d
wurde in die, Labyrinthhöhle das häutige Labyrinth eingesetzt Durch die Fig. 7
und 8 sind einzelne Segmente des Felsenbeins von Fig. ß und 6 dargestellt
Fig. 9 und 10 zeigen das isolierte (gleichsam als dünne Knochenschale künst¬
lich herausgemeißelte) knöcherne 1. Labyrinth, wie es das häutige
Labyrinth umschließt, und zwar bezieht sich Fig. 7 auf den Neugebornen
(Ansicht von außen [mastoida]), Fig. 8 auf den Erwachsenen (Ansicht von innen
[sellar]).
Im Gegensatz zum großen Ohrmodell Schönemann (siehe oben Fig. 5
bis 8), welches in einem Vergrößerungsmaßstab von 1:8 rekonstruiert wurde,
gelangte bei diesen kleinen Ohrmodellen Schönemann ein Maßstab
von 1:16 zur Anwendung. Fig. 9 (Taf. V) bezieht sich auf den Neugebornen,
Fig. 10 (Taf. V) auf den Erwachsenen. Man beachte besonders das differente
Verhalten des Ductus reuniens (d. r.). Letzterer stellt beim Neonatus (Fig. 9)
einen dünnwandigen, großkalibrierten Verbindungsgangzwischen häutiger Schnecke
und Sacculus dar, während das analoge Gebilde beim Erwachsenen, Fig. 9
und 10 (wohl im Zusammenhang mit der Ausweitung der Cisterna perilympha-
tica) als ein platt gedrücktes, dickwandiges Gebilde erscheint; es ist sehr leichl
verständlich, daß Hand in Hand damit das Lumen des erwachsenen
Ductus reuniens ebenfalls reduziert wird und sogar stellenweise
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514
Wilhelm S t e r n b e r g.
obliterieren kann (Schönemann, 1. c. 1904). Damit soll nicht gesagt sein,
daß eine solche Obliteration stets und regelmäßig erfolgt. Sie selbst stellt auch
taicht das Wesentliche dar, wohl aber die beschriebene Abplattung, Wandver¬
dickung und Lumensverminderung des erwachsenen Ductus reuniens: denn eine
solche Lumensverminderung genügt sicherlich allein schon, um die freie Zir¬
kulation der Endolymphe zwischen Sacculus und häutigem Schneckengang ab¬
zudrosseln.
Elementaranalyse der Tonsprache.
Neue Gesichtspunkte aus der physiologischen Muskelmeehanik Kr die
Physiologie des Tonsinnes.
II.
Physiologische Begründung der Identität der Oktave.
Von Wilhelm Sternberg, Berlin.
(Mit 1 Figur.)
Tonsinn, Klangsinn oder musikalisches Gehör verhält sich zum
Gehörsinn wie Farbensinn zum Sehsinn. Wie merkwürdig, daß ein Sinnes¬
organ zwei Sinnen vorsteht! Das Rätsel löst sich mit der Einsicht, daß
die Natur unsere tierische Maschine im allgemeinen nach dem Grundsatz
maximaler Ökonomie ausgestattet hat. Jedes Organ ist mit mehreren
Funktionen begabt. Die Natur arbeitet überhaupt nach dem Prinzip der
maximalen Sparsamkeit, nach dem Gesichtspunkt der rationellen
Ökonomie und des minimalen Verbrauches oder nach den Grundsätzen der
Mathematik für eine Maximal- und Minimalaufgabe. An Zahl und Größe
minimal, anatomisch, sind die Organe physiologisch mit maximalen
Funktionen begabt.
Nicht wenig seltsam ist die Beobachtung, daß der Farbensinn schon
frühzeitig nachdenkliche Köpfe zur Betrachtung gereizt hat, während die
Kenntnis der physiologischen Funktionen des Tonsinns mit der Elementar¬
lehre des Tonsinns und musikalischen Grammatik auch heute noch, selbst
dem modernsten Ohrenarzt wenigstens nicht bis in alle Einzelheiten
geläufig ist. Doppelt merkwürdig ist diese Tatsache, weil doch die Kirnst,
die dem Tonsinn schmeichelt, viel ursprünglicher ist und außerdem viel
unmittelbarer an unsere Seele greift als die Kunst, die Sinnes- und Kunst¬
genüsse dem Farbensinn bereitet. Bemerkenswert genug, daß die moderne
Physiologie des Farbensinns nicht Halt gemacht hat in der Philosophie,
wohl aber die moderne Physiologie des Tonsinns. Schopenhauer und
Goethe haben schon Betrachtungen über den Farbensinn angestellt, die
zwar auch noch heute Bedeutung beanspruchen dürfen, aber doch von
der modernen Physiologie weit überholt sind. Der Tonsinn hingegen
findet selbst heute noch in den Laboratorien der Psychologie und der
Philosophie die eigentlichste Stätte der wissenschaftlichen Pflege. So
kommt es, daß die Physiologie des Tonsinns nach den grundlegenden
Werken des Physiologen und Physikers H e 1 m h o 11 z vom Philologen
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Elementaranalysc der Tonsprache.
515
und Nichtfachmann Otto F i e b a c h ')> Direktor des Konservatoriums
zu Königsberg, und vom Berliner Philosophen und Nichtfachmann
Stumpf versucht wird. Nur so mag sich wohl die Tatsache erklären,
daß die Physiologie des Tonsinns in der fachwissenschaftlichen Literatur
nur eine spärliche Unterkunft findet:
J. G. F. F r a n z: „Abhandlung von dem Einfluß der Musik auf die
Gesundheit der Menschen“. Leipzig 1770. P. Lichtenthal: „Der
musikalische Arzt“. Wien 1807. W. A. Bauer: „Über den Einfluß der
Musik auf den Menschen im gesunden und kranken Zustand“. Wien 1836.
Norbert Grabowsky, Vorkämpfer der Abstinenz: „Wider die Musik“.
1900. L a p r a d e: „Contre la musique“. Ernst J e n t s c h: „Musik und
Nerven. 1. Naturgeschichte des Tonsinns. 2. Das musikalische Gefühl“.
1904 und 1911. Wiesbaden. „Grenzfragen des Nerven-und Seelenlebens“.
Heft 78. Ferdinand Alt, Wien: „Über Störungen des musikalischen
Gehörs“. Mschr. f. Ohrenhlk. 1902. Nr. 6. Paul von Liebermann
und Geza Revesz: „Über Orthosymphonie“. Ztschr. f. Psychol. 1908.
Bd. 48. Oskar H ä n 1 e i n: „Über Störungen des musikalischen Gehörs“.
P a s s o w s Beiträge 1910, Bd. 4, Heft 1 und 2.
Freilich darf die Tatsache nicht vergessen bleiben, daß die staunens¬
werte Entdeckung des Freßtons — sage und schreibe: FreßtonU! — in
der gesamten Physiologie, in der gesamten Psychologie des Berliner
Philosophen Stumpf, in der gesamten Pathologie und in der gesamten
Therapie des Tonsinns ein berechtigtes Aufsehen erregt hat.
Dafür ist auch an der staatlichen akademischen Hochschule für
Musik in Berlin der einzige Dozent für Physiologie der Jakob Katzen¬
stein, Hals-Nasen-Ohrenarzt, Leiter des Ambulatoriums für Stimm-
und Sprachstörungen, für Stammeln, Stottern, Lispeln (wofür nicht
noch?) usw. an der Berliner Universitäts - Ohren- und Nasenklinik,
Spezialchirurg für Kehlkopfchirurgie, Spezialist für Stotterer und für
Physiologie des Tonsinnes. So mag sich wohl die Tatsache erklären, daß
die Physiologie des Tonsinnes noch nicht einmal bis zu den elementar¬
sten Fragen vorgedrungen ist.
Die wichtigste und grundlegendste Tatsache auf dem Gebiet des
musikalischen Hörens ist die eine: Im Tonsystem sind die Stufen 8 und 1
identisch. Mit 8 beginnt immer wieder von neuem eine weitere periodische
Reihe. Für die physiologische Reihe der musikalischen Elemente, für das
Tonsystem ist die Zahl 8 von einer so außerordentlich bestimmenden und
ordnenden Bedeutung, wie im dekadischen System die Zahl 10'. 1 ist das
Minimum, 8 ist das Maximum in der physiologischen Reihe der elementaren
Töne.
Diese physiologische Reihe, die Natur- oder Stammtonleiter, gibt
die Grundlage der gesamten Tonkunst ab. Sie ist das Alphabet, das ABC,
das lxl für alles musikalische Hören. Nur der wirklich Taube ist hier
Analphabet. Und auch der wirklich Taube ist merkwürdigerweise nicht
*) Die Physiologie der Tonkunst. Leipzig 1801.
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616
Wilhelm Sternberg.
so taub für die Tonsprache wie für die Wortsprache. Freilich kann um¬
gekehrt der mit dem besten Gehör Begabte doch musikalischer Analphabet
und für sein musikalisches Gehör taub bleiben, denn nämlich, wenn sein der
Übung bedürftiger Tonsinn in der Entwicklung vernachlässigt bleibt.
Das ist das, was man gern immusikalisch nennt.
Schon Ptolemäus verglich diese Eigenschaft der Zahl 8 der
Tonwelt mit der Zahl 10 in der Zahlenwelt. Dabei darf aber nicht etwa
übersehen werden, daß das dekadische System möglicherweise doch noch
durch ein anderes zu ersetzen wäre, hingegen ein Ersatz des musikalischen
Elementes 8 durch ein anderes grundsätzlich undurchführbar ist. Schon
daraus geht hervor, daß es sich bei der Identität der Stufe 8 um eine
physiologische Erscheinung handelt.
Die einfachste Grundformel melodischer Bewegung ist die ein¬
heitliche Verbindung von 8 musikalischen Elementen, die Oktavreihe.
Diese Einheit der 8 Elemente bildet ein unteilbares Ganzes, gewissermaßen
ein Atom.
Durchläuft man die physiologische Reihe dieser Elemente, so
trifft man, nachdem man sich eine bestimmte Strecke vom Anfangston,
vom Grundton, entfernt hat, auf einen Ton, der dem Anfangston äußerst
ähnlich und fast gleichartig erscheint, jedenfalls viel ähnlicher als die
inzwischen berührten Töne. Diese Erscheinung wiederholt sich regelmäßig
bei fernerem Aufstiege. Die Gesamttonreihe zerfällt also in Teilstrecken,
die durch gleichwirkende Töne begrenzt sind. Die Teilstrecken bezeichnet
man als Oktavabstände, kurz Oktaven (Octava sc. vox). Diese Bezeichnung
rührt daher, daß in der gebräuchlichsten musikalischen Tonreihe, der
diatonischen Tonleiter, immer der 8. Ton dem 1. gleicht. Die Entfernung
beträgt eine Oktave = 8 Töne.
Freilich wird auch der Ungeübte bei gespannter Aufmerksamkeit
den bedeutenden Unterschied in der Tonhöhe zwischen zwei Oktavtönen
spüren, wenn sie nacheinander ertönen. Der sukzessive Kontrast ist un¬
verkennbar. Daß aber dennoch der Eindruck der Gleichheit, der Einheit,
des Einklangs, den der Verschiedenheit übeiwiegt, zeigt die Tatsache,
daß es doch nicht gar so leicht ist, zwei zusammenklingende Oktavtöne
als zwei Töne auseinanderzuhalten. Der simultane Kontrast ist also geringer.
So stark verbinden sich beide elementaren Töne unter Aufgabe ihrer
Individualität zu einem Gleichklang oder einer Klangeinheit, wie sich
zwei chemische Elemente zu einer Verbindung verneinen“ unter Aufgabe
ihrer chemischen Individualität.
Diese Oktaven sind identisch. Daher führen sie auch identische
Bezeichnungen. Wird 1 = c oder do genannt, dann ist 8 = c oder wieder
do, die nächste 8 = 1 = c 2 = do usw. Jedem 1 oder c oder do, jedem
2 oder d oder re, jedem 3 oder e oder mi, überhaupt jedem Tone sind
andere Töne nahe verwandt, ja sie gleichen einander, was Toncharakter und
Stellung zum Grundton betrifft, so vollständig, daß ein ungeübtes Ohr
sich des Unterschiedes, der in der verschiedeneil Tonhöhe liegt, gar nicht
bewußt wird.
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Elementaranalyse der Tonsprache.
517
Aus dieser Tatsache der Identität der Oktave folgt ein weiteres.
Für alle Betrachtungen über Auswahl und Aufbau der musikalischen
Tonreihen braucht man einzig und allein die Verhältnisse innerhalb einer
und nur einer Oktave zu betrachten. Hat man sie dort erkannt, dann ist
man damit zugleich über die ganz analogen Verhältnisse in den höheren
und tieferen Oktaven, also in der gesamten Tonwelt, unterrichtet.
Die Physiognomie der physiologischen Reihe ist ein für allemal durch
alle anderen Tonreihen der Tonleitern hindurch gegeben. Daher hat man
ein für allemal ein und dieselben Bezeichnungen für sämtliche Tonstufen
sämtlicher Skalen.
Für die 7 Stammtöne der Tonleiter benutzt man die aretinischen
oder guidonischen Silben:
I II III IV V VI VII
do re mi fa sol la si
ut
gleichviel, ob die c-dur - Tonleiter mit dem Anfangston c, oder irgend
eine andere dur-Tonart mit einem anderen Grundton in Frage kommt.
Nicht die absolute Höhe des Tones, sondern nur dessen Stellung zum
Grundton kommt in Frage. Das ist die Solmisationsmethode im
Gegensatz zur Ziffriermethode.
Es wird also die Tonleiter genannte Reihe der 7 Elemente durch
die Stufe 8 zur periodischen Reihe. Dadurch wird das gesamte Tonsystem
zu einem periodischen System der Reihen der Elemente, ähnlich wie die
chemischen Elemente durch das periodische System der Reihen der
chemischen Elemente zusammengeordnet weiden.
Wie die chemischen Elemente, an Zahl gleichfalls 7, eine Reihe bilden,
I II III IV V VI VII
1. Li Be B C N 0 Fl
und wie die einander ähnlichen Elemente eine Gruppe bilden,
I II III IV
Li Be
Na Mg
K Ca
so daß ein periodisches System der Reihen zustande kommt, so bilden
7 musikalische Elemente
I II III IV V VI VII
1 2 3 4 5 6 7
8
ein unteilbares Ganze, und alle Reihen ein periodisches System.
Der Vergleich des periodischen Systems der Reihen der musikalischen
Elemente mit dem periodischen System der Reihen der chemischen
Elemente läßt sich noch weiter führen. Bei der Gruppierung der chemischen
Elemente findet man die Wiederkehr einander ähnlicher Elemente so, daß
nach je 7 Elementen 8 wieder 1. 9 wieder 2 ähnlich ist. Je 7 Elemente
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518
Wilhelm Sternberg.
bilden eine Reihe, die einander ähnlichen Elemente eine Gruppe. Noch
schärfer tritt aber die Ähnlichkeit nach je 14 Elementen hervor, so daß
die Gesamtzahl der Elemente in 7 Gruppen zerfällt, von denen jede zwei
Untergruppen enthält.
I
II
III
IV
V
VI
VII
1 .
H
2.
Li
Be
B
c
N
0
F
3.
Na
Mg
Al
Si
P
s
CI
4.
K
Ca
Sc
Ti
V
Cr
Mn
Diese Anordnung heißt das periodische System der Elemente. Sie
gibt die Anordnung nach quantitativen Gesichtspunkten und die Charak¬
teristik der Elemente.
Die Reihen der 7 musikalischen Elemente lassen sich auch in 2 Unter¬
gruppen ordnen
I II III IV
V VI VII
VIII IX X XI
Die Stufe V, „der zweite Grundton“, die „Dominante“, steht dem Grund¬
ton wieder nahe: Die Tonstufen I IV V VIII sind die charakteristischen.
Zugleich sind sie historisch die primitivenStufen der physiologischen Reihe.
Worauf beruht nun bloß diese merkwürdige sinnliche Identität der
8 Stufen ?
Zur Beantwortung dieser Frage wird sich leicht eine Vorfrage auf¬
drängen, wenn nicht ein Einwand.
Es könnte nämlich die Tatsache entgegengehalten werden, daß doch
wohl nicht zu allen Zeiten der „diatonische“ Kreis gerade von 7 Stufen als
die Grundlage alles Musizierens, und seine Leiter doch wohl nicht für
alle Zeiten als die Natur- oder Stammleiter gegolten hat. Zu gewissen
Zeiten war doch nicht der Tonkreis von 7 Stufen, sondern der von anderen,
z. B. 3 oder 5 Stufen, die „Pentatonik“, die physiologische Reihe der
Elemente.
Wenn das auch richtig ist, so darf doch die eine wichtige und hoch¬
bedeutsame Tatsache nicht verkannt werden: Zu allen Zeiten war ja
immerhin die Grenze der Reihe konstant gegeben und im verrückbar genau
dieselbe. Nur die dazwischen liegenden Elemente waren andere.
Zudem war auch die Zahl der Elemente der physiologischen Reihe —
und das verdient für die Physiologie des Tonsinnes erhöhte Bedeutung! —
an allen Orten und zu allen Zeiten konstant die gleiche, wenigstens in
einer Beziehung. Niemals und nirgends war die Zahl je größer als 7. Stets
und überall war die Zahl kleiner als 7.
Das aber, was vollends das Merkwürdigste ist, was außerdem ganz
konstant wiederkehrt und daher für die Physiologie des Tonsinnes ganz
besondere Bedeutung beansprucht, das ist folgende Tatsache: Regelmäßig,
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Elementaranalyse der Tonsprache.
51»
allüberall und zu allen Zeiten, ohne eine einzige Ausnahme handelt es
sich um ein und dieselbe Distanz der Töne. Nie und nirgends hat es
sich je einmal ereignet, daß etwa irgendwie inkommensurable Tonstufen
I, II H— n, III H— m
usw. vorgekommen wären. Immer und überall kehren dieselben Stufen
wieder, die im kommensurablen, „tonalen“ Verhältnis zueinander stehen.
Die Ausnahmen, die Ludwig Riemann*) anführt, bestätigen nur die
Regel. Und auch heute können wir diese 7 und nur diese 7 Elemente als
musikalische empfinden und verstehen, so sehr sich auch die modernen
Tonkünstler um die Zwischenstufen von Va Tönen bemühen. Diese „atonale
Musik“ ist keine Freude mehr für das Ohr, keine Kunst. Sie ist bloß ein
Kunststück. Und das ist physiologisch begründet.
Zu dieser auffallenden Konstanz kommt noch eine weitere Regel¬
mäßigkeit. Die Tonstufen waren überall und zu allen Zeiten genau die
nämlichen Stufen, es fehlten höchstens von der auch heute noch be¬
stehenden Reihe einige Stufen.
Überdies konstant und regelmäßig fehlten ein und dieselben Stufen.
Ja in manchen Gegenden stehen noch heutzutage genau dieselben
Stufen aus.
Dazu kommt, daß die historische Entwicklung der physiologischen
Reihe überall konstant ein und dieselbe Richtung, ja ein und denselben
Weg aufweist:
1. Die primitive Reihe der 3 Stufen ist überall und stets: I, IV, V
(VIII). Das sind auch heutzutage die charakteristischen Stufen.
2. Die Reihe der 5 Stufen besteht noch heutzutage an manchen
Punkten der Erde: I, II, IV, V, VI (VIII).
3. Erst später tritt überall und stets in die Reihe die Halbstufe III ein.
4. Noch später tritt überall und stets die zweite Halbstufe VII hinzu.
Sie ist noch heutzutage bei manchen Völkern die überhaupt einzig noch
fehlende Stufe im Tonsystem.
Das aber, was sich in der Erscheinungen Flucht als ruhender Pol
konstanter Regelmäßigkeit erhalten hat, das ist die Erscheinung: Zu
allen Zeiten erschien der Ton, der im jetzigen System der 8. ist, identisch
mit dem ersten und gab daher die Grenze für die physiologische Reihe des
elementaren Systems ab. Mit einer seltenen Konstanz also war zu allen
Zeiten und an allen Orten, das Minimum im musikalischen Hören = 1
gesetzt, das Maximum 8. Wenn sich aber Beobachtungen durch eine solche
Regelmäßigkeit auszeichnen, dann muß ihre Wahrheit physiologisch
begründet sein, ja mehr noch, sie muß durch physiologisch-mechanische
Bedingungen festgehalten sein.
*) Ludwig Riem an n, Essen: „Über eigentümliche, bei Natur- und
orientalischen Kulturvölkern vorkommende Tonreihen und ihre Beziehungen zu
den Gesetzen der Harmonie“. Essen lBädeker.
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520
Wilhelm Sternberg.
1. Die psychologische Erklärung, daß unserem Ohr der psychische
Gefühlston des sinnlichen Reizes bei Kombination 1 und 8 am an¬
genehmsten ist, kann keine Erklärung der sensuellen Identität 1 und 8 sein.
2. Die physikalisch-mathematische Erklärung, daß die Schwingungs¬
zahlen von 1 und 8 im Verhältnis von 1:2 stehen, kann keine Erklärung
der Identität von 1: 8 sein.
3. Die objektiv-akustische Erklärung, daß unter den mitklingenden
Obertönen von 1 auch 8 vorkommt, ist gleichfalls noch nicht hinreichend
für die sinnphysiologische Identität von 1 und 8.
Die Frage, wie es kommt, daß unserem Ohr die Töne 1 und 8, auch
w r enn ihre Schwingungen sich um Hunderte unterscheiden, doch identisch
Vorkommen, hat noch keine befriedigende Antwort gefunden.
Der Berliner Philosoph Stumpf philosophiert in seiner Arbeit
,,Konsonanz und Dissonanz“ 3 ): ,,Dieses Gesetz gibt daher der Oktave eine
ganz eigenartige Stellung, so daß man wohl sagen kann, sie unterscheide
sich mindestens ebenso ^spezifisch 4 von den übrigen Konsonanzen, wie
die Konsonanzen von den Dissonanzen. Eine Erklärung dieses Verhaltens
aber, eine tiefere Begründung des Erweiterungsgesetzes, scheint vorläufig
nicht möglich zu sein. Könnten wir überhaupt die Verschmelzungs-
erscheinungen weiter zurückführen, so würden wir dann wahrscheinlich
auch hierfür den Grund finden. Für die, welche Oktaventöne als identische
Töne definieren, bedarf das Gesetz natürlich überhaupt keiner Erklärung;
aber dieser Anschauung konnten wir eben nicht folgen.“
Der Philosoph hat darin nicht unrecht, wenn er meint, daß die physio¬
logische Begründung der Konsonanz dazu berufen sein mag, auch das
Problem von der Identität der Oktave einer weiteren Lösung zuzuführen.
Zur physiologischen Begründung der Konsonanz hatte ich 4 ) die Annahme
gemacht: Das musikalische Hören von Tönen, von hörbaren Bewegungen,
führt zu Mitbewegungen. Diese Annahme erscheint freilich willkürlich
und steht jedenfalls im Gegensatz zu den bisherigen Anschauungen,
nicht nur in der Physiologie des Tonsinnes, sondern auch in der Physio¬
logie der Bewegungen, zumal der Mitbewegungen.
Allein diese Lehre der Bewegungen, insbesondere der Mitbewegungen,
ist in ihrer physiologischen Begründung so wenig fundiert, daß dies kein
Einwand sein kann. Die neuesten Werke von Förster 5 ) über
Koordinationsbewegungen und über Mitbewegungen weisen fundamentale
Irrtümer auf in den Elementen der Bewegungslehre. Ich 6 ) führe dies ein¬
gehend aus.
Ä ) Beiträge zur Akustik und Musikwissenschaft. Leipzig 1898. S. 82.
4 ) ,,Elementar-Analyse der Tonsprache. I. Physiologische Begründung der
Konsonanz.“ Diese Monatsschrift 1922, 3. Heft.
5 ) Otfrid Förster: Die Mitbewegungen bei Gesunden, Nerven- und Geistes¬
kranken. Jena 1903. — Die Physiologie und Pathologie der Koordinationsbewegungen.
Jena 1902.
•) „Neue Gesichtspunkte aus der physiologischen Muskehneehanik für die
Elementar-Analyse der Koordination“. —„Neue Gesichtspunkte aus der Mechanik
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Elemontaranalyse der Tonsprache.
521
Wenn daher meine Annahme von Mitbewegungen durch den Klang¬
sinn im Widerspruch zu den bisherigen Anschauungen der Bewegungslehre
steht, dann brauche ist darin durchaus noch nicht etwa einen Einwand
zu erblicken. Vielmehr sehe ich darin den sicheren Beweis der Richtigkeit
meiner Betrachtungen und schöpfe daraus die Hoffnung, zugleich der
Bewegungslehre Berichtigung und befruchtende Anregungen zu geben.
Die Bewegungslehre, die Bewegungstherapie, die pädagogisch-didaktische
Therapie, die Übungstherapie müssen bei der Pädagogik der Kunstübungen
in die Schule gehen und Innen, denn sie ist die Praxis der angewandten
Bewegungslehre. Meine Klanganalyse liefert die Elementaranalyse der
Bewegungen. Denn Ton ist nichts weiter als hörbare Bewegung, und Ton¬
vorstellung ist nichts weiter als Bewegungsvorstellung. Nicht nur Mit¬
bewegungen, sondern auch Mitgefühl erregt das musikalische Hören. Ja,
musikalisches Ohr, so nehme ich an, ist geradezu Ohr -f- Muskel. So
innig ist der motorische Apparat mit diesem sensuellen verankert, wie der
motorisch-mechanische Apparat auch mit dem sensuellen des chemischen
Sinns verankert ist. So und nur so läßt sich das Wesen und die Macht
des Motors verstehen, der Appetit genannt wird, der mächtige Hebel mit
der merkwürdigen Hebelwirkung, die Geruch und Geschmack auf den
Appetitus coeundi und edendi ausüben zur Erhaltung der Art und des
Individuums.
Wenn aber nun einmal mit dem musikalischen Ohr das Muskelgefühl,
das Gefühl für Bewegung, in Verbindung gebracht werden muß, der Orts¬
und der Raumsinn, dann muß auch das Richtungsgefühl für den Klang¬
sinn in Frage kommen. Und das nehme ich in der Tat an. Damit steht
meine Anschauung freilich in schroffstem Widerspruch zu der des Berliner
Philosophen Stumpf 7 ). Denn dieser Philosoph kennt weder die Physio¬
logie des Raumsinnes noch die Physiologie des Zeitsinnes: „Und fragen
wir: Wie kommt es, daß die Töne mit wachsender Schwingungszahl für
unsere Empfindung in die Höhe steigen, und daß jeder neue Ton dem Aus¬
gangston weniger ähnlich wird ?, — so bleibt der Gehirnphysiologe uns selbst
für diese Grundtatsache der Empfindungen ebenso die Erklärung schuldig
wie für die der Verschmelzung“. Das ist ein grober Irrtum des Berliner
Philosophen. Diesem Philosophen, der sich so gern Psychologe nennt, ist
der Begriff des psychischen Richtungsgefühls fremd geblieben. Und doch
habe ich häufig genug darauf hingewiesen, daß der Appetit, das psychische
Gefühl, ein Richtungsgefühl ist, und daß der Ekel, das psychische Gefühl,
ein Richtungsgefühl ist, und zwar ein Gefühl für die entgegengesetzt
gerichtete Bewegung.
Das musikalische Ohr unterrichtet uns nicht nur über die Richtung der
hörbaren Bewegung, sondern auch über die Reihenfolge von Mischungen
für die Elementar-Analyse dos Koordinations-Mechanismus* 4 . — „Nene Gesichts¬
punkte aus der physiologischen Muskelnieehanik für die Kunst ühung. Elcinentar-
Analyse der Koordination**. Bonhoeffers Zschr. f. Xervenheilk. 1922.
7 ) Konsonanz und Dissonanz. 1908. S. 54.
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522
Wilhelm Sternberg.
derselben Töne. Der Sinneseindruck des Zusammenklanges derselben
Töne:
a) I + III + V, do, mi, sol, der Dreiklang oder Naturdreiklang, und
b) III + V + VIII, mi, sol, do, die erste Umbiegung oder Umkehrung
— die Terz III wird zum Baßton —ist nicht etwa der gleiche. Vielmehr sind
beide Zusammenklänge a und b von grundsätzlich verschiedener Wirkung
auf die Psyche. Der zweite Dreiklang b ist zwar noch selbständig, schlu߬
fähig, aber doch nicht mehr in dem Maße des ersten Dreiklangs a.
c) Gar der sogenannte Quartsechstakkord V + VIII + III, sol, do, mi
die zweite Umkehrung — die Quint V wird zum Baßton — ist eine Disso¬
nanz, obgleich die einzelnen Intervalle dieses Zusammenhanges gar keine
dissonanten Verhältnisse aufweisen. Dennoch hat dieser Zusammenklang
den dissonanten Charakter der kadenzierenden Weiterführung des „Auf¬
lösungsbedürfnisses“, des Vorwärtsdrängens, der Spannung, was physio¬
logisch dasselbe ist wie das des Appetitmachens, nämlich auf Fortsetzung
im Geschmacks- oder Genußbedürfnis, „im Verlangen nach mehr“.
Alle drei Akkorde haben den gemeinsamen Grundton I, c, es sind
c-dur-Dreiklänge. Hingegen der Baßton, der tiefste Ton des jedesmaligen
Akkordes, wechselt. Nach der Entfernung der einzelnen Akkordbestand¬
teile vom Baßton erhält jeder Akkord seinen eigenen Namen:
Grundlage Erste Umkehrung
A. B.
besteht aus: Grund- besteht aus: Baß ton,
ton, Terz u. Quint (1, dessen Terz u. Sexte
3, 5) und heißt dem- und heißt demnach:
nach: Terz - Quint- Terz - Sext - Akkord.
Akkord, schlechthin Die Bezifferung ist
Quint-Akkord. Die 0
Bezifferung,Bezeich- 3
nung durch Ziffern,
die über dem Baßton
8tehen,ist demnach^.
Zweite Umkehrung
besteht aus: Baßton,
dessen Quart u. Sexte
und heißt demnach;
Quart - Sext-Akkord.
0
Die Bezifferung ist
Das Richtungsgefiihl, so muß angenommen werden, ist der sichere
Anker, mit Hilfe dessen auch das imgeübte und ungeschulte Kind sicher
entscheiden kann, ob ein gehörter Ton höher oder tiefer ist. Der primitive
Eindruck des ungeschulten Ohres ist hierfür in absolutem Sinn sogar
genauer als der des musikalisch erzogenen Gehörs. Ein sehr lehrreiches
Beispiel liefert die alltägliche Praxis.
Wenn der Cellist seine leere A-Saite anstreicht, dann erklingt der
Ton a„, derselbe Ton, den der Geiger auf seiner G-Saite anstreicht. Derselbe
Ton aber mit der Klangfarbe des Cellos erscheint selbst dem Berufsmusiker
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Elementaranalyse der Tonsprache.
523
relativ hoch; derselbe Ton mit der Klangfarbe der Geige hingegen wirkt
selbst auf den Berufsmusiker relativ tief. Wenn der Cellist a x anstreicht, den
Ton, der genau dieselbe Höhe hat wie a x auf der leeren A-Saite des Geigers,
also der gewöhnliche normale Stimmton des Geigers und der Instru¬
mentalsten überhaupt, dann klingt derselbe Ton mit der Klangfarbe des
Cellos selbst dem Berufsgeiger relativ hoch, möglicherweise als wäre er gaf
eine Oktave höher als sein a auf der Geige, also a a . Das a x mit der Klang¬
farbe der Geige, also derselbe Ton von derselben Tonhöhe, bloß mit der
anderen Klangfarbe, erscheint ihm tiefer. So merkwürdig entgegengesetzt
dem absoluten Gehör ist der Sinneseindruck. Es ist dies die Folge der
Assoziation der Klangfarbe. Diese relative Assoziation wirkt stärker als
der absolute Eindruck der Höhe.
Das Kind hingegen, das noch nie zuvor ein Cello oder eine Geige
gehört hat, das durch die Klangfarbe noch nicht so beirrt wird, hört sofort,
daß der Celloton a x und der Geigenton a x von genau derselben absoluten
Höhe sind. Ebenso hört auch ein jedes Kind sofort, ob z. B. ein Bassist
mit der Stimme in die Höhe geht, oder z. B. eine Sopranistin in die Tiefe
steigt. Es dürfte sich fragen, ob das Richtungsgefühl des Ohrs uns nur
qualitativ informiert oder am Ende gar auch quantitativ. Zur Beantwortung
dieser Frage verlohnt es sich, zwei Beobachtungen aus der alltäglichen
Praxis heranzuziehen. Das sind die Vergleiche:
1. der Register der Sing- und Mundpfeiftöne;
2. der Register der Kinder- und Männerstimmen.
Das Register der Pfeiftöne umfaßt meist zwei bis drei Oktaven, und
zwar ziemlich konstant den Umfang der Töne c 2 bis c 6 . Der Umfang der
Singstimme ist hingegen ein ganz anderer. Die Lagen lassen sich folgender¬
maßen fixieren:
80 128 256 512 1024
E F G A H c d e f g a h c 1 d 1 e 1 f 1 g 1 a 1 h 1 c 2 d 2 e 2 f 2 g 2 a 2 h 2 c 3
In ungewöhnlichen Fällen geht der Baß herab bis Fj (42) und der
Sopran hinauf bis a 3 (1708). Im mittleren Lebensalter ist der Stimmumfang
am größten. Den Einfluß des Geschlechts auf die Register zeigt fol¬
gende Übersicht (nach Roßbach):
für den Mann:
E x Fj Gi A x H, C D E F G A H c d e f g a h c 1 d 1 e 1 f l g 1 a 1 h 1 c 2 d 2 e*
Monatsschrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Rhin. ßfi. Jahrg. #f)
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524
Wilhelm Sternberg.
für das Weib:
3
Rein konventionell teilt man alle Stimmlagen in 4 verschiedene
Register ein. Der Ton c x von 256 Schwingungen, annähernd der Mittel¬
punkt, um den sich die musikalischen Töne gruppieren, liegt im Bereiche
aller normalen Stimmen des Menschen.
Die Lagen werden bezeichnet als Baß, Tenor, Alt und Sopran.
Verabredetermaßen zählt man den Baß von E zum f, den Tenor vom
c zum c 2 , den Alt von f zum f 2 , den Sopran von c x zum c 3 . In den Bereich von
Baß und Tenor fallen alle normalen Männerstimmen, in den Bereich von
Alt und Sopran alle normalen Frauen- und Kinderstimmen. Eine von
den vier Lagen wird jedem Individuum zugeschrieben. Der Bereich
seiner Lage ist dadurch ausgezeichnet, daß die Töne am bequemsten und
mühelosten durch die Muskelspannungen erzeugt werden. Maßgebend ist
also das Minimum von Anspannung der Muskeln.
So mühelos, bequem und leicht die biologische Spannung im natür¬
lichen Instrument des Kehlkopfes die Töne erzeugt, so mühelos, bequem
und leicht erzeugt dieselbe biologische Spannung im natürlichen
Instrument des Mundes, der Mundpfeife, dieselben Töne von ganz anderer
Lage, ebenso auch im natürlichen Instrument der Zunge, in der Zungen¬
pfeife. Ein und dasselbe Organ also, der Muskel, bringt auf verschiedenen
Instrumenten dieselben Töne in durchaus anderen Lagen hervor. Dabei
ist die Mühelosigkeit und Sicherheit im Muskelspiel zu bewundern, die
Übereinstimmung, und zwar ohne alle Übung. Jeder ohne Ausnahme
vermag regelmäßig die Melodie, die er im Ohre hat, die er im Kopfe hat,
die er in den Fingern hat, die er auf der Zunge hat, auch auf dem
Instrument seiner Mundpfeife richtig ohne einen einzigen Fehler zu treffen,
wenn er nur die elementare Technik des Pfeifens beherrscht. Keiner, der
eine Melodie beherrscht im Singen und im Spielen oder auf irgendeinem
Instrument, macht auch nur einen einzigen Fehler in der Wiedergabe .
auf seinen Pfeifinstrumenten des Mundes, der Zunge, des Kehlkopfes.
Er vergreift sich niemals in dem quantitativen Maß der Spannung und
Entspannung dieser verschiedenen Muskelsysteme. Die Präzision und
die Leichtigkeit, die Treffsicherheit und die Kongruenz der Treffsicherheit
in der quantitativen Spannung und Entspannung dieser Muskeln mit
der Treffsicherheit in der quantitativen Spannung und Entspannung
der anderen Muskeln ist höchst auffallend. Das Rätsel löst sich mit der
einfachen Erkenntnis: Das Muskelgefühl ist ein Allgemeingefühl, ein Ge¬
fühl, das aufs erstaunlichste genau das quantitative Maß, und zwar in
allen Muskeln allgemein beherrscht.
Ebenso bekannt ist ja auch die Tatsache, daß der Spieler der kleinen
Geige, Violine, sich sehr schnell auf der größeren Bratsche Viola zurecht-
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d e f g a h c 1 d 1 e 1 f 1 g 1 a 1 h 1 c a d 2 e 2 f 2 g 2 a 2 h 2 c 3 d 3 e
Jru8tstimme
Fistelstimme
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Elementaranalyse der Tonsprache.
526
findet, indem er das relative Verhältnis von Spannung und Entspannung
in quantitativem Sinne ändert. Weniger bekannt dürfte die Tatsache sein,
die ich mehrmals zu beobachten Gelegenheit hatte. Der Geiger, der aus
irgendeinem Grunde, z. B. nach Verwundungen, die gewöhnlichen Be¬
wegungen der Linken mit der Rechten ausführen muß und die gewöhn¬
lichen Bewegungen der Rechten mit der Linken auszuführen gezwungen
ist, lernt die verschiedenen quantitativen Spannungen und Entspannungen
der beiden Seiten außerordentlich schnell.
Hier handelt es sich aber stets bloß um quantitatives Mitgefühl und
um quantitative Mitbewegung bei ein und demselben Individuum, um
quantitative Tonvorstellung, nämlich Vorstellung der hörbaren Bewegung,
und um quantitative Bewegungsvorstellung bei ein und demselben
Individuum. Und genau dasselbe muß auch angenommen werden für die
physiologische Einheit des Spielers und des Hörers, dessen, der die hör¬
baren Bewegungen ausführt, und dessen, der diese hörbaren Bewegungen
wahmimmt. Quantitatives Mitgefühl und quantitative Mitbewegung
kommen für das musikalische Hören in Frage. Und die quantitative
Distanz ist ein für alle mal gegeben durch natürliche anatomische Ver¬
hältnisse und natürliche Grenzen der Oktaven.
Sehr beweisend ist hierfür folgende Tatsache. Jedes Kind singt den
Ton, den z. B. ein Bassist oder Tenorist u. a, m., also aus anderen
Lagen, ihm Vorsingen, stets richtig nach, indem es den Ton in seine Lage
ein oder mehrere Oktaven transponiert und projiziert. So regelmäßig und
so ausnahmslos ist diese Beobachtung, daß ihre erstmalige Registrierung
hier auffallen möchte. Dabei ist Folgendes äußerst bemerkenswert:
1. Selbst ungeschulte Kinder zeigen diese Treffsicherheit der Oktave.
2. Diese reproduzierende Treffsicherheit ist mühelos, leicht.
3. So leicht, mühelos, bequem ist diese Treffsicherheit, und ohne
alle Übung gekonnt, daß sie jedem selbstverständlich erscheint.
4. Die Treffsicherheit ist konstant.
5. Umso auffallender ist diese Treffsicherheit der Oktave, weil der
Intervall der Oktave, also 1 und 8 von den Kindern selber aktiv
durchaus nicht so leicht zu treffen ist. Wenn das Kind einen Ton ge¬
sungen hat, kann es durchaus nicht so leicht und sicher produktiv die
Oktave treffen.
Nach dem Mutieren treffen die Kinder den Ton entsprechend der
Lage im Oktaven Verhältnis, ebenso sicher. Aber sie empfinden die Höhe ent¬
sprechend der objektiven Lage, subjektiv höher oder tiefer. Vordem hatten
sie sich eingebildet, es seien die beiden Töne, objektiv durch einen
Oktavabstand getrennt, genau dieselben, geradezu identisch. Sie hatten
ihre objektive Höhe und den objektiven Höhenabstand der Oktave,
subjektiv gar nicht empfunden.
Die quantitative Erregung des Spielers, die sich im hohen Ton eines
tiefen Instrumentes verrät, und die Richtung dieser Erregung, das
quantitative Gefühl der Anstrengung, die zum tiefsten Ton eines hohen
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526
Teofll Zalewskl
Instrumentes nötig ist, hört auch das imgeübte Ohr unmittelbar heraus
und fühlt sie nach. Das ist die assoziative Wirkung der Muskeltätigkeit
des Spielers auf die Muskeltätigkeit der Hörers.
Daraus geht hervor, daß selbst die ungeschulten Hörer das quan¬
titative Maß der Bewegung dessen, der spielt, der also hörbare Bewegungen
ausführt, herausfühlen und mitmachen, im Oktavenabstand. Die Spur des
Schienengeleises ist nun einmal gegeben, anatomisch, mit der Oktaven¬
distanz. Die hörbare Bewegung wird durch das Ohr mit dem Muskel¬
gefühl quantitativ wahrgenommen, und quantitativ erfolgt die Mit¬
bewegung im Abstand der Oktave. Somit ist die Identität der Oktave
zurückzuführen auf physiologische Mitbewegung, ein Gegenstück der
physikalischen Mitbewegung, Mitschwingung wird diese hier genannt.
Ein physikalischer Körper, der der Mitbewegungen, des Mit¬
schwingens, fähig ist, gerät nicht bloß dann in Mitschwingungen, wenn
die Zahl der erregenden Oszillationen mit der Zahl seiner Eigen¬
schwingungen selbst genau übereinkommt, sondern auch dann, wenn unter
den Elementen der erregenden Oszillationsbewegung eins in genügender
Stärke vorhanden ist, dessen Schwingungszahl der Zahl der Eigen¬
schwingungen des fraglichen Körpers sehr nahe liegt. Diese Analyse einer
einheitlichen komplexen Verbindung von Schwingungsformen mit kom¬
plizierten Verhältnissen in ihre Elemente, deren Schwingungszahlen die
Vielfachen der gegebenen Schwingungszahl sind, erschien zuerst als
eine bloße mathematische Fiktion. Bei der physikalischen Resonanz
gewinnt sie jedoch eine physikalische Bedeutung.
Vergleichbar dieser physikalischen Resonanz, der physikalischen
Mitbewegung der Elemente, im Sinne der quantitativen Elementaranalyse,
ist die physiologische Mitbewegung, im Sinne der quantitativen Elementar¬
analyse. Und diese physiologische Mitbewegung erklärt die Identität der
Oktave.
Ein Beitrag zur Lehre von den Kriegsverletzungen
des Gehörorgans.
Von Prof. Dr. Teofll Zalewskl, Lemberg.
Aus den früheren Zeiten haben wir nur spärliche Beobachtungen
über Verletzungen des Gehörorgans im Kriege; erst der letzte Krieg
gab uns die Gelegenheit, entsprechende Fälle zu sammeln und ge¬
nauer zu beobachten. Die bessere Ausbildung der Ärzte und die
bessere Ausstattung der Spitäler haben beigetragen, daß entsprechende
Fälle besser untersucht und beobachtet wurden. Unsere Beobachtungen
über Kriegsverletzungen des Gehörorgans haben aber noch viele
Mängel, welche durch ungünstige äußere Verhältnisse in der Unter¬
suchung und Beobachtung entstanden sind. Eine der wichtigsten
Schwierigkeiten war die Unmöglichkeit, den Fall längere Zeit zu
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Zur Lohre von den Krieg«Verletzungen des Gehörorgans.
527
beobachten. Die Untersuchung des Verletzten gleich nach der er¬
littenen Verletzung ist für die richtige Erkenntnis der sich im
Gehörorgane ahspielenden pathologischen Zustände von eminenter
Bedeutung, ebenso wichtig ist längere Beobachtung und Behandlung
von demselben Arzt. Leider haben die Ohrenärzte nur selten nahe
der Front die'Verwendung gefunden, infolgedessen besitzen wir nur
wenige Beobachtungen über das Frühstadium der Kriegsverletzungen
des Gehörorganes.
Bei der Belagerung von Lemberg durch die Ruthenen und bei
den Kämpfen in der Nähe der Stadt im Jahre 1918/19 habe ich die
Gelegenheit gehabt, in den Militärspitälern eine Zahl von Fällen zü
beobachten, welche meistens sofort oder kurze Zeit nach der Ver¬
letzung zur Behandlung erschienen; die äußeren Verhältnisse er¬
laubten mir, die Fälle längere Zeit zu beobachten.
Zusammen habe ich 66 Fälle beobachtet. Die Einteilung in
direkte und indirekte Verletzungen ist bei den Kriegsverletzungen
schwer durchzuführen. Eigentlich ist jede Verletzung direkt, bei
jeder Verletzung muß die wirkende Kraft auf das Gewebe ein¬
wirken; es wäre vielleicht logischer, die Verletzungen des Gehör¬
organes nach der wirkenden Kraft einzuteilen. Bei den Kriegs¬
verletzungen müssen wir außerdem berücksichtigen, daß bei der
direkten Verletzung eines Teiles des Gehörorgans eine indirekte
Schädigung eines anderen Teiles entstehen kann. Durch das Projektil
kann selbstverständlich jeder Teil des Gehörorgans getroffen werden;
durch die Druckerhöhung bei Schuß und Explosion können Ver¬
änderungen am Trommelfell, im Mittelohr und im Labyrinth ent¬
stehen ; die Detonation kann die Ursache pathologischer Veränderungen
im inneren Ohr werden.
Unter 66 beobachteten Fällen war die Ohrmuschel in 5 Fällen
und der äußere Gehörgang in 6 Fällen verletzt. Das Trommelfell
wies in 14 Fällen und das Mittelohr in 15 Fällen pathologische'
Veränderungen auf. , Der Warzenfortsatz war in 2 Fällen verletzt.
Das innere Ohr war sehr häufig der Sitz pathologischer Ver¬
änderungen bei den Kriegsverletzten: von 66 Fällen wiesen 55 Fälle
ausgesprochene Labyrinthveränderungen auf. Außerdem ist in einem
. Fall das Labyrinth, das Mittelohr und der Schläfenlappen des Gehirnes
durch das Projektil verletzt worden.
Unsere Fälle zeigen, daß die Labyiinthveränderungen charak¬
teristisch für die Kriegsverletzungen des Gehörorganes sind; patho¬
logische Veränderungen im Mittelohr und im äußeren Ohr bilden
einen weit geringeren Prozentsatz als Veränderungen im inneren Ohr.
Die Verletzung der Ohrmuschel entstand in allen Fällen durch
die Gewehrkugel. Nur in einem Fall war die Ohrmuschel allein
beschädigt; in zwei Fällen waren Veränderungen auch im Labyrinth
zu konstatieren, dabei in einem Fall beiderseits; in zwei anderen
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528
Teofil Zalewski.
Fällen entwickelte sich eine akute Mittelohreiterung. In 3 Fällen war
die linke und in 2 Fällen die rechte Seite geschädigt. In allen Fällen
heilte die Wunde an der Ohrmuschel ohne Komplikationen zn.
Was die Verletzung des äußeren Gehörganges betrifft, so war
nnr in einem Falle eine leichte Verletzung des Gehörorganes vor¬
handen; in diesem Fall war der äußere Gehörgang in seinem
knorpeligen Teil quer durchschossen, außerdem wies das innere Ohr
leichte Labyrinthveränderungen auf. Trotz schwerer Verletzung des
Schädels und Verlust eines Auges endete der Fall mit Genesung 1 ).
Fünf andere Fälle muß man als schwere Verletzung des Gehör¬
organes betrachten: In diesen Fällen sind wichtige Teile des Gehör¬
organes verletzt worden, die Verletzung des äußeren Gehörganges ist in
diesen Fällen von geringer Bedeutung. In 4 Fällen wurden Ver¬
änderungen im Labyrinth konstatiert, trotzdem daß das innere Ohr
durch das Projektil nicht getroffen war, aber infolge konstatierter
Mittelohreiterung war es nicht möglich zu entscheiden, ob die Laby-
rinthveränderuDgen die Folge der Verletzung oder der Mittelohr¬
eiterung waren.
2 Fälle wiesen eine schwere Verletzung des Trommelfelles und
des Warzenfortsatzes auf.
In einem Fall — Einschuß 2 cm unter dem äußeren Winkel der rechten
Augenhöhle, Ausschuß am Nacken in der Höhe des fünften Halswirbels — war
bei der Aufnahme am dritten Tage nach der Verletzung keine Eiterung zu
konstatieren, die äußeren Wunden waren fast zugeheilt, der Kranke fieberte aber
bis 39°. Infolgedessen wurde die Aufmeißelung des Warzenfortsatzes ausgeführt.
Bei der Operation wurde konstatiert, daß ein Teil der hinteren knöchernen Gehör-
gangswand abgesprengt war; aus dem Warzenfortsatze wurden einige Knochen¬
splitter entfernt. Das Trommelfell war zerrissen, der Warzenfortsatz und die
Trommelhöhle mit Blut ausgefüllt. Trotz der Operation blieb die Temperatur
hoch: es entwickelten sich multiple .Gelenkseiterung und Meningitis und der
Kranke starb am achten Tage nach der Aufmeißelung.
Der zweite Fall kam am sechsten Tage nach der Verwundung in die
Behandlung — Einschuß dicht unter dem Os zygomaticum reehts, Ausschuß am
Warzenfortsatz derselben Seite. Das Ohr und die äußeren Wunden eiterten stark,
der Kranke fieberte hoch. Die genauere Untersuchung 1 des Ohres war infolge
stark blutender Granulationen im äußeren Gehörgange, welcher ungefähr an der
Grenze zwischen dem knorpeligen und knöchernen Teil quer durchschossen war,
nicht möglich. Es wurde die Radikaloperation ausgeführt. Bei der Operation
stellte sich heraus, daß nicht nur der Warzenfortsatz und der äußere Gehörgang,
sondern auch das Tegmen ty mp. verletzt waren, so daß die Meningen freigelegt werden
mußten. Die Heilung verlief ohne Komplikationen und der Kranke wurde nach
sechsmonatiger Behandlung mit Taubheit für Flüstersprache auf dem operierten
Ohr aus dem Spital entlassen. Nach drei Monaten kam er wiederum in die
Behandlung mit Eiterung aus dem Ohr und mit einer Fistel in der Operations¬
narbe am Warzenfortsatz. Die Untersuchung ergab Karies im oberen Teil der
Operationshöble. Die Operationshöhle wurde freigelegt, der kariöse Knochen
entfernt, der Kranke erlag aber der Meningitis am achten Tage naeh der Operation.
*) Die oto-laryngologische Abteilung war gleichzeitig eine Station für Köpf¬
end HaJsscbüsse.
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Zur Lehre von den Kriegsverletzungen des Gehörorgans.
529
Zwei weitere Fälle der schweren Verletzung des Gehörorgans
«endeten mit Genesung.
In einem Fall war der größte Teil des Warzenfortsatzes und der hinteren
knöchernen Gehörgang9wand rechts abgesprengt, so daß die Wunde am Warzen-
fortsatze mit dem äußeren Gehörgang kommunizierte; die Ohrmuschel war durch*
schossen. Im Laufe der Behandlung entwickelte sich akute Mittelohreiterung,
welche mit persistenter Trommelfellperforation heilte. Nach zweimonatiger Be¬
handlung verlies der Kranke das Spital mit einer Hörschftrfe v = 2m auf dem
verletzten Ohr.
Im zweiten Fall, — Einschuß vor der linken Ohrmuschel, Ausschuß unter
dem Warzenfortsatz derselben Seite, — welcher ebenfalls mit Genesung endete,
war der knorpelige Gehörgang quer durchschossen. Bei der Aufnahme ins Spital
am dritten Tage nach der Verwundung eiterte schon das Ohr. Infolge starker
Schwellung des äußeren Gehörganges war es nicht möglich, die tieferen Partien
au übersehen. Die Ein- und Ausschußwunde heilte rasch za, die Eiterung aber
aus dem Ohr steigerte sich bedeutend und es entwickelten sich Symptome seitens
des Warzenfortsatzes mit hoher Temperatursteigerung. v = 0. Der Kranke wurde
radikal-operiert. Die Temperatur fiel nach der Operation zur Norm, bald aber
trat eine Erhöhung der Temperatur mit pyämischem Charakter. Infolgedessen
wurde die Vena jugularis int. unterbunden, der Sinus freigele^t und eröffnet; im
Sinus war kein Thrombus zu konstatieren. Die Folge der zweiten Operation war
ein rasches Fallen der Temperatur und eine rasche Erholung des Kranken. Die
Operationshöhle heilte mit gänzlicher Verödung; v = 0.
Der fünfte Fall der schweren Verletzung des Gehörorganes, — Einschuß
am rechten Os occipitale, Ausschuß am Schläfenbein derselben Seite nabe dem
Stirnknochen — kam erst einen Monat nach der Verwundung aus einem Feld¬
epital auf die Abteilung. Die beiden äußeren Wunden waren bereits vernarbt.
Bei der Untersuchung konstatierte man vollständige Taubheit auf dem rechten
Ohr, vollständige Lähmung des rechten Fazialis, profuse Eiterung aus dem Ohr,
ziemlich Btarke Gleichgewichtsstörungen. Der äußere Gebörgang war stark narbig
verengt. Das Gehen war möglich, der Kranke fühlte sich aber unsicher. Sonst
klagte der Kranke über keine Beschwerden; die Temperatur war normal. Nach
drei Wochen traten starke Kopfschmerzen auf, die Temperatur stieg in die Höhe,
infolgedessen entschloß ich mich, das Mittelohr freizulegen. Nach Ablösung der
Ohrmuschel und Erweiterung des knöchernen Gehörganges überzeugte man sich,
daß sich im Mittelohr Himsubstanz befindet und daß man von der Trommel¬
höhle durch den Defekt im Tegmen tympani in die Schädelhöhle gelangt. Am
nächsten Tag nach der Operation Exitus.
Bei der Autopsie sieht man am Schädel, entsprechend dem Ein- und Aus-
«chuß, zwei Knochendefekte. Die Kante der Pyramide ist mit einem Teil der
Schnecke und einem Teil des oberen und hinteren halbzirkel förmigen Kanals
abgesprengt, der Nervus acusticus und facialis im inneren Gehörgange abgerissen.
An der unteren Fläche des Schläfenlappens befindet sich eine tiefe Wunde, in
welcher tief die abgesprengte Pyramidenkante steckt; Das abgesprengte Knochen¬
stück ist etwa haselnußgroß. Die Gehirnwunde ist mit Eiter erfüllt und kom¬
muniziert durch die Trommelhöhle nach außen. An den Meningen eitrige diffuse
Meningitis.
Der Eiter aus der Hirnwunde entleerte sich also durch die Trommelhöhle
«direkt nach außen; diesem Umstande ist wahrscheinlich zuzuschreiben, daß die
meningitischen Erscheinungen so spät zum Vorschein gekommen sind. Interessant
ist es auch, daß der Kranke mit einer so schweren Verletzung beinahe zwei
Monate gelebt hat.
In allen anderen Fällen entstanden die Veränderungen im
Gehörorgane durch den erhöhten Luftdruck im äußeren Gehörgange,
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530
Teofil Z a 1 e w s k i.
durch die starke Schalleinwirkung und durch die Erschütterung der
Schädelknochen bei Kopfschüssen. Der Sitz der Veränderungen war
das Trommelfell, das Mittelohr und das Labyrinth.
Was die Veränderungen am Trommelfell betrifft, so war in
5 Fällen eine mehr oder weniger ausgesprochene Myringitis acuta
— dabei in einem Fall beiderseits — vorhanden, in 9 Fällen kon¬
statierte man eine traumatische Ruptur des Trommelfells. Von diesen
14 Fällen waren in 2 Fällen die Veränderungen nur auf das Trommel¬
fell allein beschränkt, in allen anderen Fällen waren gleichzeitig
Veränderungen im Labyrinth oder im Mittelohr zu konstatieren.
In den Fällen mit Myringitis acuta war auch das innere Ohr
nicht normal, dabei entsprachen der stärkeren Veränderungen am
Trommelfell stärkere Veränderungen im Labyrinth; selbstverständlich
haben die Veräpderungen am Trommelfell in diesen Fällen nur eine
untergeordnete Bedeutung. Die Labyrinthläsion war in allen Fällen
beiderseits.
Unter 9 Fällen mit traumatischer Ruptur des Trommelfells war
in 4 Fällen die Rnptur auf beiden Seiten vorhanden. In 5 Fällen
mit einseitiger Ruptur waren auf der anderen Seite Residuen nach
chronischer Mittelohreiterung.Die Pars flaccida war nur lmalrupturiert;
die Pars tensa war 12mal der Sitz der Perforation; 6mal war die Per¬
foration rechts und 6mal links. Die Zahl der traumatischen Per¬
forationen des Trommelfells ist sicher eine viel größere; in vielen
Fällen, welche mit akuter Mittelohreiterung in Behandlung kamen,
muß man als Ursache der Eiterung eine traumatische Ruptur des
Trommelfells annehmen. Bei unseren Fällen konnten wir in 2 Fällen
trotz Mittelohreiterung eine traumatische Ruptur diagnostizieren, ln
den Fällen mit traumatischer Perforation des Trommelfells war
außerdem in 5 Fällen eine Labyrinthläsion vorhanden.
Die Zahl der beobachteten Fälle ist sicher zu gering, um über'
die Dauer und Verlauf des Heilungsprozesses zu urteilen, ich muß
aber hervorheben, daß ich den Eindruck gewonnen habe, daß sich
die Heilung der Perforation viel langsamer vollzog, als wir gewöhnt
sind, bis jetzt anzunehmen.
In 15 Fällen haben wir mit akuten entzündlichen Pro¬
zessen im Mittelohr zu tun gehabt. Die Mittelohrentzündung
hat sich fast unmittelbar nach der Explosion in der Nähe oder nach
dem Schuß am Ohr entwickelt. Schon bei der ersten Untersuchung
war das Trommelfell in 14 Fällen perforiert, nur in einem Falle
war das Trommelfell ohne Perforation. In zwei ganz frischen Fällen
konnte man trotz Mittelohreiterung eine traumatische Trommelfell¬
ruptur diagnostizieren. Nicht ausgeschlossen ist es, daß auch in vielen
anderen Fällen eine traumatische Ruptur des Trommelfells die Ur¬
sache der Mittelohreiterung war.
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Zur Lehre von den Kriegsverletzungen des Gehörorgans.
531
Es entsteht die Frage, ob das Trauma, welches für das Trommel¬
fell und das Mittelohr bei Explosion oder bei Schuß am Ohr ent¬
steht, die Ursache der Mittelohrentzündung werden kann, ohne
gröbere Verletzungen zu verursachen? In dieser Beziehung ist ein vod
mir beobachteter Fall sehr interessant.
Der Fall kam 24 Stunden nach einer Granatexplosion in unmittelbarer
Nähe in die Spitalsbehaudlung. Bei der ersten Untersuchung war das Trommel¬
fell nur wenig injiziert. Bei den nächsten Untersuchungen konnte man beobachten,
wie sich die Mittelohrentzündung mit Herabsetzung der Hörschärfe und Schwellung
am Warzenfortsatz nach und nach entwickelte. Zur Perforation kam es in diesem
Fall nicht und die Mittelohrentzündung bildete sich ziemlich rasch zurück.
Merkwürdigerweise war die Mittelohrentzündung in den von mir
beobachteten Fällen immer einseitig; in 5 Fällen war sie mit Labyrinth¬
läsion kompliziert.
Der Verlauf der Mittelohreiterung war normal, nur in einem
Fall, welcher mit hohem Fieber, starker Eiterung aus dem Ohr,
Schwellung und Druekempfindlichkeit am Warzenfortsatz in die
Behandlung kam, mußte die Aufmeißelung ausgeführt werden.
Was die Ursache der Trommelfell- und Mittelohrveränderungen
betrifft, so wurde von den Kranken Folgendes angegeben: in 8 Fällen
Granatexplosion, in 4 Fällen Minenexplosion, in 4 Fällen Platzen
des Geschützes, in 1 Fall Kanonenschuß dicht am Kopf, in 2 Fällen
Gewehrschuß am Ohr, in 2 Fällen Explosion der Handgranate, in
2 Fällen Gewehrschuß ins Gesicht.
Wie ich oben bemerkt habe, sind die Labyrinthver¬
änderungen für die Kriegsverletzungen des Gehörganges fast
charakteristisch; in den frischen Fällen findet man nur selten diese
Veränderungen nicht. Auch in den Fällen mit Mittelohrentzündung
sind die Labyrinth Veränderungen nicht immer sekundärer Natur, in
manchen von diesen Fällen muß man eine primäre Labyrinthläsion
annehmen.
Die Kranken mit Labyrinth Veränderung kamen in die Behandlung
entweder unmittelbar nach der Verletzung oder in einer späteren Zeit;
in diesem letzten Falle gaben sie meistens an, daß sie gewisse feinere'
Arbeit, z. B. telephonieren, nicht verrichten können.
Von 55 Fällen mit Labyrintliveränderungen waren 27 Fälle
mit doppelseitiger, 15 mit rechtsseitiger und 13 mit linksseitiger
Erkrankung. Als Ursache der Krankheit wurde angegeben: in 20 Fällen
Granatexplosion, in 7 Fällen Minenexplosion, in 7 Fällen Gesichts-
uttd Kopfschuß, in 3 Fällen Platzen des Geschützes, in 3 Fällen
Handgranatenexplosion, in 3 Fällen Vorbeischießen am Ohr, in
2 Fällerf Kanonenschuß, in 2 Fällen Maschinengewehrfeuer, in 2 Fällen
Schrapnellexplosion; in 2 Fällen haben die Kranken angegeben, daß
sie während des Gefechtes taub geworden sind. In 4 Fällen ist eine
Schallschädigung des inneren Ohres bei länger dienender Mannschaft
konstatiert worden.
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532
Teofil Zalewski.
Warum in einem Teil der Falle die Veränderungen im Labyrinth
doppelseitig, in den anderen Fällen einseitig auftreten, hängt in
der ersten Linie von der Richtung der einwirkenden Kraft ab, wenn
man beide Labyrinthe physiologisch als gleichwertig betrachtet.
Bei näherer Betrachtung muß man auch die Art der wirkenden Kraft
berücksichtigen: in unseren Fällen gaben die Granatexplosionen in
der Hälfte eine doppelseitige und eine einseitige Labyrinthläsion;
bei der Minenexplosion waren in x / 8 einseitige und in % der Fälle
doppelseitige Labyrinthveränderungen; die Gesichts- und Kopfschüsse
gaben die Veränderungen immer einseitig und dabei immer auf dem
Ohr der verletzten Seite.
Das häufigste Symptom, welches man bei Verletzung des Gehör¬
organes konstatiert, ist die Herabsetzung der Hörschärfe: von 60 Fällen
findet man in der Anamnese nur in 11 Fällen dieses Symptom nicht.
Viel seltener werden andere Symptome angegeben. Sausen im
Ohr und Kopf war in 15 Fällen gemeldet; in 10 Fällen klagten
die Kranken über Schmerzen im Ohr, in manchen Fällen fand man
im Obr keine Veränderungen, welche diese Schmerzen erklären könnten,
ln 7 Fällen wurde in der Anamnese die Besinnungslosigkeit ange¬
geben, alle 7 Fälle betrafen Verletzungen nach starken Detonationen.
Klagen über Schwindel sind in 6 Fällen notiert worden. Sehr selten
wird Verlust der Sprache, Kopfschmerzen und Erbrechen angegeben.
Bei 4 Fällen wurden die Veränderungen zufällig bei Untersuchung
aus einer anderen Ursache entdeckt.
In allen Fällen welche über Schwindel geklagt haben, war der
Vestibularapparat gut erregbar, es waren aber mehr oder weniger
ausgesprochene Gleichgewichtsstörungen vorhanden. Die Gleich¬
gewichtsstörungen waren immer einseitig und von geringer Inten¬
sität: die Kranken waren meistens imstande, sich frei zu bewegen, sie
fühlten sich nur unsicher. In 4 Fällen traten die Gleichgewichts¬
störungen gleich nach der Verletzung auf, in einem Fall erschienen
sie nach 24 Stunden nach der Verletzung und waren so intensiv,
daß der Kranke weder gehen noch stehen konnte. In einem Fall
stellten sich die Gleichgewichtsstörungen erst 10 Tage nach der
Schädigung ein. Die Symptome von der Seite des Vestibularapparates
verschwinden meistens ziemlich rasch, in einigen Stunden oder Tagen,
manchmal dauern sie aber längere Zeit. In zwei von mir beobachteten
Fällen sind sie erst nach vier Wochen gänzlich geschwunden.
Pathologische Vestibularerscheinungen gehen in den meisten
Fällen mit den Kochlearerscheinungen parallel, es gibt aber auch
Ausnahmen. In dem oben zitierten Fall, in welchem sich die Gleich¬
gewichtsstörungen erst 24 Stunden nach der Verletzung aüs-
gebildet haben, klagte der Kranke sonst über keine Beschwerden.
Aus der Anamnese ist zu entnehmen, daß der Kranke sich nach
<>iner Granatexplosion die ersten 24 Stunden ganz wohl fühlte und
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Zur Lehre von den Kriegsverletzungen des Gehörorgans.
533
blieb in der Linie, erst nach 24 Standen stellten sich ohne Ursache
Gleichgewichtsstörungen ein. Die Untersuchung ergab beiderseits nor¬
males Gehör; der Vestibularapparat war beiderseits gleich gut erregbar,
es fanden sich aber Gleichgewichtsstörungen, welche auf die Verletzung
des rechten Vestibularapparates zurückgeführt werden müssen. Dieser
Fall liefert einen Beweis, daß bei der Explosion der Vestibularapparat
allein oder stärker als der Kochlearapparat getroffen werden kann.
Die Ohrgeräusche entstehen gleich nach der Verletzung; in
den meisten Fällen dauern sie nur einige Stunden oder Tage, es
gibt aber Fälle, wo sie monate- und jahrelang dauern, in diesen
Fällen läßt sich fast immer eine Herabsetzung der Hörschärfe infolge
Labyrinthveränderungen konstatieren.
Das wichtigste und dabei das häufigste Symptom bei der Verletzung
des Gehörorganes, ist eine stärkere oder geringere Herabsetzung der
Höischärfe; die Fälle, in welchen die Kranken in der Anamnese
dieses Symptom nicht angeben, sind äußerst selten.
Um sich speziell über die Hörschärfe bei den Labyrinthverletzten
zu orientieren, muß man diejenigen Fälle berücksichtigen, bei welchen
sich die pathologischen Veränderungen auf das Labyrinth beschränken.
In manchen Fällen ist die Herabsetzung des Gehörs unbedeutend,
von den Verletzten als Betäubung charakterisiert. Diese Betäubung
verschwindet gewöhnlich in kurzer Zeit, einige Stunden oder Tage.
In den meisten Fällen aber läßt sich eine stärkere Schädigung des
Gehörs konstatieren; die Herabsetzung der Hörschärfe ist manchmal
so groß, daß die Kranken weder Flüster- noch Konversationssprache
hören und die Verständigung mit ihnen nur schriftlich möglich ist.
In meinen Fällen muß man annehmen, daß das Labyrinth in
den meisten Fällen eine stärkere Schädigung erlitten hat; ich bin
geneigt, die Verletzung des Ohrlabyrinthes im Kriege nach Explosion,
Detonation oder Schuß als schwer zu betrachten. Sogar in den leichten
Fällen braucht man 4 bis 6 Wochen, bis die Hörschärfe für Flüster¬
sprache zur Norm zurückkehrt, in schweren Fällen kann man noch
nach Monaten eine Herabsetzung der Hörschärfe konstatieren, wenn
nicht für FlüBtersprache, so für Uhr und Stimmgabeln.
Die Schnelligkeit, mit welcher sich die Veränderungen im
Labyrinth rückbilden, und die Grenze der Rückbildung hängt nicht
von der Schwere der Verletzung allein ab, individuelle Eigen¬
tümlichkeiten des Organismus spielen hier eine große Rolle; man
sieht oft, daß starke Veränderungen nach Btarken Detonationen sich
in kurzer Zeit gänzlich zurückbilden, in anderen Fällen wiederum
leichte Veränderungen nur langsam verschwinden oder daß das
Labyrinth überhaupt zur Norm nicht zurückkehrt.
Manchmal kommen die Kranken zur Untersuchung mit der
Angabe, daß sie ihr nach der Explosion verlorenes Gehör erlangt
haben, daß sie aber die Arbeiten, bei welchen das Gehör besonders
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534 Teofil Zalewski. Zur Lehre von den Kriegsverletzungen des Gehörorgans.
in Anspruch genommen wird (Telephonieren), nicht verrichten können.
Die objektive Untersuchung konstatiert zwar in solchen Fällen ein
normales Gehör für Konversations- und Flüstersprache, die Stimm¬
gabeluntersuchung entdeckt aber eine minimale Herabsetzung der
Hörschärfe für hohe Töne.
Eine ziemlich große Gruppe bilden die Fälle, welche nach der
Heilung an die Front abgegangen sind und nach kurzer Zeit
wiederum in die Behandlung kommen; die geben an, daß sie im
Feuer schon nach kurzer Zeit das Gehör verlieren, was früher nicht
vorkam. Auch in diesen Fällen läßt sich eine minimale Herab¬
setzung der Perzeption hoher Töne entdecken. Es wäre interessant,
solche Fälle sofort nach der Schlacht zu untersuchen; nur auf solche
Weise wäre es möglich, die betreffenden Angaben zu kontrollieren.
Es ist bekannt, daß bei Artilleristen sich oft Labyrinthver-
änderungeu entwickeln, welche als Berufskrankheit sui generis
betrachtet werden müssen. Diese Veränderungen bilden sich langsam
aus und charakterisieren sich mit Herabsetzung der Hörschärfe und
Ohrensausen. Zu Beginn der Krankheit sind diese Veränderungen
sicher reparationsfäbig, beim Erreichen aber eines gewissen Grades
hat die Versetzung solcher Soldaten in die Hinterlandsformationen
— wie dies die von mir beobachteten Fälle beweisen — keinen
Einfluß auf die Krankheit. Bei zwei von mir beobachteten Fällen
war die Hörschärfe für Flüstersprache ungefähr 1 Meter, beide
dienten sechs Jahre bei der Artillerie und dabei fast die ganze Zeit
an der Front; in zwei anderen Fällen war die Hörschärfe für
Flüstersprache über 2 Meter. In allen vier Fällen klagten die
Kranken über starke Ohrgeräusche. Die Behandlung blieb in allen
vier Fällen ohne Erfolg, tzotzdem die Kranken seit längerer Zeit
den Kanzleidienst gemacht haben.
Ich muß noch bemerken, daß ich eine vollständige Ertaubung
nach Explosion und Detonation nicht gesehen habe. Das könnte bei
dem späteren Anspruch auf eine Rente von Bedeutung sein; die
Angaben der Untersuchten, daß sie durch Explosion taub geworden
sind, müssen kritisch beurteilt werden.
Die Resultate meiner Beobachtungen lassen sich in folgenden
Schlüssen zusammenfassen:
1. Labyrinthveränderungen sind für die Kriegsschädigung des
Gehörorganes fast charakteristisch; nur in wenigen Fällen findet man
diese Veränderungen nicht.
2. Die Labyrinthläsion nach Explosion, Detonation und Schuß
muß man als schwer betrachten, die Rückbildung erfolgt nur langsam
und vollzieht sich manchmal unvollkommen.
3. Die Fälle mit Labyrinthverletzung müssen auch nach dem
Ausheilen in spezieller Beobachtung bleiben. Vor dem Abgehen an
die Front sollen sie der Untersuchung unterzogen werden und wenn
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Alexander Ce mach. Eine neue Lampe für die Glühliehtbehandlung. 535
das Verbleiben an der Front ungünstig auf das Gehör wirkt, sollen
sie die Front verlassen.
4. Die Artilleristen sollen periodischer Untersuchung unter¬
zogen werden. Die Artilleristen mit fortschreitenden Labyrinth¬
veränderungen sollen unbedingt die Front verlassen.
5. Es wäre angezeigt, bei der Artillerie eine doppelte Besatzung
zu haben; nur auf solche Weise wird es müglioh, dem Gehörorgan
die für die normale Funktion notwendige Erholung zu sichern.
Eine neue Lampe für die Glühlichtbehandlung
akuter Entzündungen 1 ).
Von Dr. Alexander Cemach, Wien.
(Mit 3 Figuren.)
Ein großer Vorteil der Glühlichttherapie ist die Einfachheit
der Apparatur, die im Notfälle sogar mit einfachen Mitteln
improvisiert werden kann, ln der täglichen Praxis ist uns aber
mit Improvisationen nicht gedient, und wer das versucht hat, ist
bald davon abgekommen. Die Bedingungen des ärztlichen Betriebes
— im Krankenhause, in der Privatordination, am Krankenbett des
Privathauses — erfordern vielmehr eine solid und zweckmäßig
konstruierte, allen durch die neue Anwendungsweise gestellten
Anforderungen voll entsprechende Lichtquelle. Die bisher von mir
und anderen benutzte Solluxlampe genügte diesen Anforderungen
nicht. Für einen besonderen Zweck, die „Ergänzung“ der Quarz¬
lichtbehandlung, geschaffen, daher vorwiegend bei chronischen
Erkrankungen verwendet, war sie in Form und Dimensionen der
„künstlichen Höhensonne“ angepaßt. Ihr beträchtliches Gewicht
erschwerte den Transport, machte ihn unter Umständen unmöglich.
Leichte Transportabilität ist aber die wichtigste Bedingung
der zweckmäßigen Konstruktion eines Bestrahlungsapparates für
akute Erkrankungen. Denn akut Erkrankte sind, zumal in der
Privatpraxis, oft bettlägerig, die Lampe muß an ihr Lager gebracht
werden können. Dieser Umstand sowie einige kleinere Konstruktions¬
fehler der alten Solluxlampe, die das Arbeiten mit ihr für die
Dauer verleideten 2 ), gaben Veranlassung zur Neukonstruktion, die
ich mir hier vorzustellen erlaube.
Diese „kleine Solluxlampe“ ist als Tischlampe hergestellt
(Fig. 1). Ihr Gehäuse und Stativ haben ein minimales Gewicht.
Nur der abnehmbare Fuß ist aus Stabilitätsrücksichten massiver
r ) Demonstration in der Österr. Otolog. Gesellschaft am 20. April 1922.
*) Diese Mängel sind allerdings beim neuen, luxuriös ausgestatteten
„Modell 1922’* der großen Solluxlampe größtenteils behoben.
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536
Alexander C e ni a c b
gehalten, aber gleichfalls leicht transportabel. Ein Scharnier-
gelenk in der Stativgabel und die lockere Befestigung des Reflektors
in derselben ermöglichen eine praktisch vollkommen ausreichende
Verstellung in vertikaler Ebene (Senkung und Hebung). Für
dauernde Benutzung an Ort und Stelle kann die Lampe auch an
einem Wandarm angebracht werden (Fig. 2), wodurch ihr eine
ausgezeichnete Einstellungsfähigkeit in allen Richtungen verliehen
wird. Besitzer einer Quarzlampe können die „kleine Sollux“ ebenso
an deren Stativ anbringen.
Reflektor und Trichter sind aus sehr widerstandsfähigem
Material hergestellt, das auch bei starker Wärmeentwicklung die
gegebene Form dauernd behält. Am vorderen Ende trägt der
Fig. 1.
Trichter einen Korkring als Schutz gegen Verbrennung durch
Berührung des heißen Metalls. Hinter diesem Ring können Blau-
und Rotfilter eingeschoben werden.
Die kleinen Leuchtröhren entwickeln 600 Kerzen. Die
Leistung der „kleinen Solluxlampe“ gleicht also
vollkommen der des bisher benutzten großen
Modells.
Die Erzeugerfirma (Quarzlampengesellschaft in Hanau) hat sich, berechtigten
Klagen Rechnung tragend, verpflichtet, die Überprüfung der ihr von einer Zweig¬
fabrik gelieferten Leuchtröhren im eigeneu Betriebe vorzunehmen und nur ein¬
wandfreies Material zu liefern. Für raschen Ersatz wird durch Errichtung von
Röhrendepots an größeren Plätzen gleichfalls gesorgt werden.
Die Lampe kann sowohl an Gleichstrom wie auch an Wechsel¬
strom mittels einfachen Steckkontaktes angeschlossen werden. Für
Städte mit verschiedenen Stromspannungen (was z. B. in Wien der
Fall ist) werden auf Wunsch zu jedem Apparat Reserveröhren
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Eine neue Lampe für die Glühlichtbehandlung.
537
(für 220 bzw. 110 Volt) geliefert, so daß bei Verwendung der
Lampe im Privathause nur jeweils die entsprechende Röhre ein¬
gesetzt werden muß. s )
Wahrend die von mir angeregte Therapie Anerkennung ge¬
funden hat, wurden gegen die Solluxlampe, bzw. gegen die Glühlampe
als Energiequelle im allgemeinen, mehrfach Einwände erhoben.
Fig. 2.
Diesen Einwanden liegen prinzipielle Gegensätze zugrunde. Be¬
kanntlich führe ich den therapeutischen Effekt auf Lichtwirkung'
zurück; ich spreche daher stets von „Glüh 1 i c h t therapie“. Die
Gründe habe ich in einer Polemik gegen Volk bereits einmal
auseinandergesetzt 4 ) und möchte mich hier nicht wiederholen, sondern
•) Wie ich höre, beabsichtigt die Firma, aus ihren Depots in den Gro߬
städten Lampen für die Privatpraxis auch leihweise abcugeben. In diesem Falle
müßte bei der Beste.lung die vorhandene Stromspannung richtig angegeben
merden. 1
*) Diese Monatschrift, 1921, H. 8.
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538
Alexander C e m a c h.
mich nur auf die Bemerkung beschränken, daß meine Argumentation
bisher weder von Volk noch von Anderen widerlegt wurde. Dieser
Auffassung entspricht es, daß ich meine Therapie mit einer Licht-
quelle durchführe, deren Wärmeerzeugung ich eine nur unterge¬
ordnete Rolle beimesse, zumal ich zu dieser Quelle nicht durch
theoretische Erwägungen, sondern rein empirisch dadurch gekommen
bin, daß mir ihre ausgezeichnete Wirkung auffiel.
Meine Gegner dagegen sehen in der Wärme den alleinigen
Heilfaktor; nach ihnen ist meine Therapie nichts als eine neuartige
Thermophorbehandlung. „Die bei der Solluxlampe vorhandenen inten¬
siven Lichtstrahlen“, halten sie, „in therapeutischer Beziehung für
ziemlich wirkungslos“ 5 ), ohne diese, allen Erkenntnissen der modernen
Lichtbiologie widersprechende Ansicht zu motivieren. In Konsequenz
dieser Auffassung verwendet Voss statt der Solluxlampe einen
elektrischen Zimmerofen („Elko-Wärmestrahler“), der sich gut be¬
währt haben soll.
M. H.! Mir liegt es nur an der Methode, an der Tatsache, daß
akute Entzündungen durch Strahlentherapie beeinflußt werden
können. Welche Strahlenquelle dabei zur Verwendung kommt, ist
mir irrelevant. Ich wäre gern bereit, jeden Apparat zu akzeptieren,
der eine bessere Wirkung als die Glühlampe ausüben würde, oder
bei gleicher Wirkung im Betrieb billiger ifäre. Ich habe daher alle
vorgebrachtenEinwendungen gewissenhaft erwogen und die empfohlenen
Ersatzapparate nachgeprüft, und — bin dennoch bei meiner Sollux¬
lampe verblieben. Aus folgenden Gründen:
Die Behauptung Brünings’ 8 ), daß die Solluxlampe „unge¬
heuere Strommengen“ (1000 Watt!) verbrauche, „die bei Verwendung
rotglühender Körper (Heizlampen usw.) viel geringer sein können“,
beruht offenbar auf einem Mißverständnis. Diese Angabe bezieht sich
offenbar auf die große 2000-kerzige Solluxröhre, die von mir nie vorge¬
schlagen wurde und deren Verwendung bei Ohrenkrankheiten tatsäch¬
lich eine ungeheuere Strom Verschwendung bedeutet. Die bisherigen Er¬
folge sind durchwegs mit der 600-kerzigenSollvixröhre erzielt, sie reicht
vollkommen aus. Diese Röhre, wie die für meine neue Lampe ver¬
wendete kleine Röhre, verbrauchen, wie aus der Gravierung auf
jedem Stück ersichtlich, nicht 1000, sondern nur 300 Watt, stellen
sich daher viel billiger im Betrieb, als die Heizofen, von denen der
„Elkostrahler“ nach Angabe der Erzeugerfirma 750 Watt, nach
meinen Messungen aber nahezu 1000 verbraucht und andere Typen
(„Ibo“, „Zimmersonne“ usw.) noch mehr verschlingen. Es ist also
das Gegenteil wahr: Die Solluxlampe arbeitet nicht teuerer, sondern
bedeutend (3 mal) billiger als die Heizapparate.
*> Maier u. Lion (Klinik Vos s), D. m. W. 11*21, 18.
•j Nürnberg, 1921. (Protokoll, 8. 396).
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Eine neue Lampe für die Glüblichtbebandlung.
539
loh hätte jedoch prinzipiell nichts gegen größeren Strom¬
verbrauch einzuwenden, wenn die Wirkung dementsprechend
stärker wäre. Von besserer Wirkung der Wärmestrahler kann
aber keine Rede sein, sie steht vielmehr bedeutend zurück hinter
der der Glühlampen. Ich zweifle nicht an den guten Erfolgen
V o s s', habe aber bei meinen Versuchen an 60 Fällen weniger
Glück gehabt. Beweis: von 42 akuten Peritonsillitiden Bind nach
Bestrahlung mit Glühlicht 37 (=88%) ohne Abszedierung zurück-
gegangen, nach Bestrahlung mit der Elkosonne von 9 Fällen nur
2 (=22%), genau der vierte Teil. Vor allem vermißte ich bei der
Behandlung von Mastoiditiden und Nebenhöhlenentzündungen mit
dem Wärmestrahler die hervorragende analgesierende Wirkung des
Glühlichts. Das nahm mich nicht Wunder, den die Schmerzstillung
ist zweifellos eine rein aktinische Wirkung auf die sensiblen Nerven¬
endigungen, was schon daraus erhellt, daß sie ebenso erzielt wird
mit Blaulicht oder dem nahezu- ganz „kalten“ Quarzlicht.
Eines scheinen jedenfalls die „Wärmetherapeuten“ nicht be¬
rücksichtigt zu haben, nämlich, daß die Solluxlampe auch eine
bedeutende Wärme ausstrahlt, viel mehr als zur Behandlung not¬
wendig ist. Es muß in der Regel ein Abstand von 10—12 cm zwischen
Haut und Trichterrand eingehalten werden, weil bei geringerer Ent¬
fernung die Hitze nicht ertragen wird. Vergleichende Messungen
mit dem Schwarzkugelthermometer ergaben die für die Herren wohl
überraschende Tatsache, daß die kleine Solluxlampe nahezu ebenso¬
viel Wärme ausstrahlt, wie der Elkostrahler: bei Gleichstrom von
4 A. und 220 V. ergab die Glühlampe in einer Entfernung von
15 5 cm vom Glühfaden (1 cm vom Trichterrand) eine maximale
Temperatur von 258° C, in 24 5 cm vom Glühfaden (10 cm vom
Rand) noch 123° C, während der Wärmestrahler unter gleichen Be¬
dingungen und in der gleichen Zeit 287 bzw. 136° C erzielte. Eine
kaum nennenswerte Mehrleistung. Ich glaube allerdings, daß der
Versuch für den Wärmestrahler günstiger ausfallen würde, wenn er,
wie die Solluxlampe mit einem trichterförmigen Sammelreflektor
ausgestattet wäre.
Brünings 7 ) hält überhaupt „die Allgemeinbestrahlung des
Ohres, wobei natürlich nur durch gelegentlichen Zufall einige
Strahlen zum Trommelfell gelangen können, für recht unvollkommen“,
und stellt eine „einfache Vorrichtung“ in Aussicht, durch die das
Trommelfell direkt bestrahlt werden kann. Wie sich diese Vorrichtung,
die durch Wärmeapplikation auf das Trommelfell einen in der ganzen
Paukenhöhle und im Warzenfortsatz sitzenden Prozeß zur Heilung
bringen soll, bewähren wird, bleibt abzuwarten. Bis dabin glaube
ich mich auf die Bemerkung beschränken zu können, daß ich die
t) a. a. 0.
Monatsschrift f. Ohrenheilk. o. Lar. Rhin. 56. Jahrg. 36
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540 Alexander C e m a c h. Eine neue Lampe für die Glühlichtbehandlung.
Vorstellung, daß nur diejenigen Strahlen eine Wirkung au6tlben, die
durch gelegentlichen Zufall (soll wohl heißen: längs des winkelig
abgebogenen äußeren Gehörgangs!) zum Trommelfell gelangen,
meinerseits vom lichtbiologischen Standpunkt für recht unvollkommen
halte. Gilt sie nur für Gltlhlichtstrahlen, oder etwa auch ftlr Sonnen¬
strahlen, Röntgenstrahlen? Bisher war man jedenfalls der Meinung,
daß langwellige Strahlen penetrierend ins Gewebe eindriDgen, dort
absorbiert werden und so ihre Wirkung in der Tiefe ausilben. Daß
das auch beim Glühlicht der Fall ist, habe ich durch photographische
Aufnahmen durch den Vorderarm eines Menschen bewiesen 8 ). Da¬
durch ist die Wirkung des Glühlichts unserem Verständnis näher¬
gerückt. Warum denn gerade für die stark penetrierenden lang¬
welligen Wärmestrahlen angenommen werden soll, daß sie nur
dann wirken, wenn sie auf das Trommelfell direkt auffallen, i6t mir
rätselhaft. Wie mir überhaupt unbegreiflich ist, wie man eine Beil¬
methode, die anerkannt vorzügliche Resultate liefert und von der
in derselben Sitzung von verläßlicher Seite eben behauptet wurde,
sie sei „eine außerordentlich wertvolle Unterstützung unserer Therapie“,
„ein hervorragendes Adjuvans unserer therapeutischen Maßnahmen“
usw., einzig und allein auf Grund derartiger „theoretischer“ Er¬
wägungen als unvollkommen erklären kann, wobei sich doch jedem
Unbefangenen unwillkürlich die Frage aufdrängen muß, wieso denn
die vorgebrachten ausgezeichneten Heilwirkungen zustande kommen,
wenn nur „einige Strahlen durch gelegentlichen Zufall“ in den
Krankheitsherd gelangen.
Es liegt also bisher kein Grund vor, die Glühlampe als Energie¬
quelle fallen zu lassen. Deshalb habe ich auch meinen neuen Be¬
strahlungsapparat der Solluxlampe nachgebildet und hoffe, daß er
sich in dieser Form voll bewähren wird.
Es stehen demnach jetzt 2 Apparate zur Wahl: die große,
vornehm ausgestattete und dementsprechend teuere Solluxlampe
„Modell 1922“ und meine bescheidene, dafür aber bedeutend'billigere
Lampe. In der Privatordination des Arztes können beide gleich gut
verwendet werden, die kleine Sollux wohl am besten als Wandlampe.
Entscheidend für die Wahl werden in diesem Falle wohl nnr
finanzielle Erwägungen sein; für uns Österreicher ist die große
Solluxlampe geradezu unerschwinglich. Für das Krankenhaus und das
Privathaus aber kann aus Transportrücksichten wohl nur die „kleine
Solluxlampe“ in Betracht kommen.
8 ) Wiener laryngol. Gesellschaft, 1. Juni 1921. Siehe diese Mon&tscbrift
Bd. 55, H. 8.
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Otto Mayer. Metastatisches Karzinom des Gehörorgans.
541
Metastatisches Karzinom des Gehörorgans 1 ).
Von Prof. Dr. Otto Mayer.
Ein 5Gjähriger Wagen!Ackierer gab an, immer gesund gewesen zu sein.
Seine Erkrankung begann vor 2 Monaten mit udemen an den Beinen. Vor
4 Wochen trat er wegen Nierenentzündung in den Krankenstand. Vor 2 Wochen
trat plötzlich Schwerhörigkeit auf, die sich binnen 2 Tagen zu vollkommener
Taubheit steigerte; hierbei hatte er heftigen Schwindel. Unwillkürliches Spreizen
der Finger und Wadenkrämpfe sollen schon im Sommer bestanden haben.
Status praesens vom 8. X. 1918: Großer, gut genährter Mann,
von blasser Hautfarbe, das Gesicht ist leicht gedunsen, die Lider ödematös,
keine Ödemen an der unteren Extremität, kein Bleisaum, keine Peronäus-
lähmung. Die Lunge bietet vollkommen normale Verhältnisse. Harnbefund:
Albumen negativ, im Sediment granulierte und hyaline Zylinder, Harnmenge
über 2000. Wassermann negativ.
Das Trommelfell beiderseits normal. Patient ist vollkommen taub; er
hört weder Glocke noch Pfeife. Rechts ist nach langem Spülen mit Wasser von
14° Celuius träger Nystagmus auslösbar. Links ist die kalorische Reaktion negativ.
Decursus. Am 22. X. trat Fazialisparese rechts auf. Am 25. X. war
er auch rechts kalorisch nicht mehr erregbar. Am 29. X. leichte Somnolenz
Oedema scroti, Ascites, Puls 80, etwas gespannt. Am 5. XI. Paraplegie der
unteren Extremität. Incontinentia urinae.
In den nächsten Tagen entwickelte sich ein Dekubitus am Kreuzbein
und eine Zystitis, am 8. XI. wurde er aut die interne Abteilung (Vorstand
Prim. R e i 11 e r) transferiert, wo ohne wesentliche Änderung des Kranklieits-
bildes am 22. XI. der Exitus eintrat.
Bei der Obduktion fand sich ein Erweichungsherd im Rückenmark,
in der Höhe des 8. und 9. Brustwirbels und eine chronische Entzündung der
weichen Hirnhaut, ferner eine deformierende Endarteritis der Aorta und der
peripheren Arterien, eine Hypertrophie des linken Ventrikels, eine Arterio¬
sklerose der Nieren, ein chronischer Milztumor, eine parenchymatöse Degenera¬
tion der Eingeweide, außerdem eine lobuläre Pneumonie und eine eitrige
Cystitis.
Der makroskopisch-anatomische Befund schien die auf Grund
des klinischen Befundes gehegte Vermutung, daß es sich um einen
atheromatösen Prozeß handeln könnte, zu bestätigen. Die mikro¬
skopische Untersuchung ergab jedoch, daß ein metastatisches Kar¬
zinom vorlag. Sie sehen in dem im Mikroskop eingestellten Präparat
den inneren Gehörgang mit Geschwulstzellen erfüllt, vom Hör¬
nerven sind nur mehr spärliche Reste zu finden. Subperiostal sieht
man zahlreiche Riesenzellen in tiefen Lakunen des Knochens liegen.
Es wird hier, infolge des Druckes der Geschwulst, der innere
Gehörgang durch Resorption periostaler Zellen erweitert; auch der
Nervus facialis ist von Geschwulstzellen durchwuchert und sind
mit Markscheidenfärbung nur mehr einzelne Fasern nachzuweisen.
Die Geschwulstzellen sind in den Canalis nervi facialis bis zum
Knie vorgedrungen. Auch in die Rosenthalschen Kanäle und den
Canalis ganglionaris sind sie eingewandert, haben dort die Ganglien-
i) Nach einer Demonstration in der Österr. otolog. Gesellschaft am 24.V. 1922
3G*
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542
Otto Mayor. Metastatisches Karzinom des Gehörorgans.
zellen zerstört und füllen diese Kanäle in den unteren Windungen
vollkommen aus. Zwischen den Blättern der Lamina spiralis ossea
der Basal- und Mittelwindung sind sie bis zum Cortischen Organ
eingewuchert. Mit Markscheidenfärbung lassen sich dort nur wenige
•Nervenfasern nach weisen, während solche an der Spitze der
Schnecke zahlreicher vorhanden sind. Die Ganglienzellen des
Ganglion vestibuläre sind vollkommen zerstört, jene des Ganglion
spirale nur in der Spitze erhalten. Im perilymphatischen Baum der
Schnecke und zwar in der Skala tympani der unteren Windung
befinden sich angelagert an die Spindel, Sicheln von zartem neu¬
gebildetem Bindegewebe, in welchem auch einzelne aus Geschwulst¬
zellen bestehende Stränge zu sehen sind.
Es handelt sich in diesem Falle demnach um ein metastatisches
Karzinom des inneren Gehörganges und der Schnecke. Diese Er¬
krankung ist außerordentlich selten, stellt also eine Rarität dar. In
der otologischen Literatur liegt bisher ein nur histologisch unter¬
suchter Fall von Schwabach und ein klinisch und histologisch
untersuchter Fall vor, den S i e b en m a n n im Jahre 1913 hier auf
der Naturforscherversammlung demonstrierte; dieser Fall hat in
seinem klinischen und anatomischen Verhalten mit dem heute von
mir demonstrierten eine große Ähnlichkeit.
Den Neurologen ist dieses Krankheitsbild schon längere Zeit
bekannt. Während aber Oppenheim glaubte, daß es sich um
eine toxische Erkrankung des Gehirnes handle, wies Sänger
nach, daß ein metastatischer Karzinom die Ursache der klinischen
Symtome ist. In letzter Zeit hat Schiitter die Otologen auf die
metastatische Karzinose aufmerksam gemacht. Nach seinen Mit¬
teilungen aus der Literatur ist die Diagnose nur in ganz wenigen
Fällen richtig gestellt worden, ja auch die Obduktion hat meist im
Stiche gelassen. Auch in dem von mir besprochenen Falle, wurde
bei der Obduktion, die von einem jüngeren, aber sehr erfahrenen
und verläßlichen Pathologen ausgeführt worden war, kein Befund
erhoben, der für ein Neoplasma mit Metastasen gesprochen hätte.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß ein primärer Tumor, vielleicht ein
kleiner maligner Schilddrüsentumor übersehen worden ist.
Zusammenfassend können wir sagen, daß man, wenn
bei einem Menschen, der im 4. oder 5. Lebensjahrzehnt steht,
plötzlich eine beiderseitige Taubheit auftritt und dabei gleichzeitig
verschiedene, zum Teil allgemeine, zum Teil lokale Symtome einer
Erkrankung des Gehirnes und Rückenmarkes erscheinen, an eine
Karzinose denken muß. Ist ein primärer Tumor offenbar, so wird
natürlich ein solcher Zusammenhang sich leichter ergeben.
Schwieriger gestalten sich die Fälle, wo keine Symptome eines
primären Tumors nachweisbar sind. In solchen Fällen wird es sich
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Eugen E r d 6 1 y i. Fremdkörper im Larynxeingang.
543
empfehlen, im Lumbalpunktat oder im Gehirnpunktat nach Ge-
achwulstzellen zu suchen.
Von Interesse ist im histologischem Befände das vorzügliche
Erhaltenbleiben des Cortischen Organes in allen Windungen, trotz
vollständiger Zerstörung des Akustikusstammes im inneren Gehör-
gange. Dieses Verhalten spricht gegen die Wittmaack auf¬
gestellte These, daß das Cortische Organ nach Zerstörung des
Nerven rasch atrophiere. Da der Mann 3 Monate vor seinem Tode
taub wurde, also seit dieser Zeit eine Leitungsunterbrechung be¬
standen hat, wäre nach Wittmaack eine Atrophie zu erwarten
gewesen, die aber tatsächlich nicht eingetreten ist.
Aus dem städtischen Allgemeinen Krankenhause in Szegedin, Ungarn.
(Spitalsdirektor: Obersanitätsrat Dr. Josef Boros).
Fremdkörper im Larynxeingang, einen schweren
Croup vortäuschend.
Von Dr. Eugen Erdllyi, Ordinarius für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten des
obigen Spitales.
(Mit 1 Figur.)
Am 9. VIII. 1921 wird der 3jährige Patient D. E. obiger Anstalt eingeliefert.
Anamnese: Vor 2 Tagen plötzliches Unwohlsein, angeblich Schüttelfrost
und Kopfschmerzen. Seither erschwerte Atmung. Nähere Daten über den Beginn
der Erkrankung sind nicht einzubringen, da das Kind bei seinen Großeltern unwohl
wurde und jetzt von seiner Mutter ins Spital gebracht wird.
Statuspraesons: Etwas schwach entwickeltes mäßig ernährtes Mädchen.
Richengebilde etwas gerötet. Vom Kehlkopf her mäßiges zähsehleimiges Sekret.
Starke Heiserkeit, stenotisehes Atmen mit geringgradigem inspiratorischem Ein¬
ziehen im Epigastrium. Fieberfrei. Puls 100. Über den Lungen diffuser Katarrh.
Der Fall wird als Croup angesehen und auf die Abteilung für Diphtherie
gelegt. 4000 E. A. D. Serum, ferner Inhalation und Umschläge.
Verlauf: An den folgenden Tagen keinerlei Besserung. Atmung und Heiser¬
keit- unverändert, kein Fieber, später subfebril. Die Atmung wild vom ö. bis 6. Tage
an langsam schlechter und am 9. Tage nach der Aufnahme so schlecht, daß sieh der
behandelnde Arzt zu einer Intubation entschließt. Die Intubation gelingt auch nach
mehrmaligem Versuche nicht, und die Atmung wird rapid schlechter, dazu tritt
Zyanose, kalter Schweiß und starkes skrobikvlärcs Einziehen auf. P. 140.
In diesem Zustande wird mir der Patient vorgefiilirt. Bei dem nochmaligen
Intubationsversuche fühle ich einen zwischen die Stimmbänder eingekeilten harten
Fremdkörper. Daher wird statt Einfuhren des Tubus sofort zum Extraktionsversuche
geschritten, welcher aber weder mit dem Finger, noch mit der gerade zur Hand ge¬
wesenen gebogenen Pinzette gelingt. Inzwischen sistierte die Atmung vollständig.
Es wird da her sofort- oh ne Vorbereitung und besondere Desinfizierung die Tracheot omia
superior vorgenommen,sämtliche Schichten mit der Trachea werden in einem Sc hnitt
eröffnet und die Kanüle eingeführt. Nach einigen Minuten künstlicher Atmung gelingt
es, das Kind zu retten. Nach Einsetzern der regelmäßigen Atmung sorgfältige Blut¬
stillung und Wundentoilette.
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Eugen E r d 6 1 y i. Fremdkörper im Larynxeingang.
Nachdem auf diese Weise die Atmung gesichert war, wird weiter nach dem
oben erwähnten Fremdkörper gefahndet. Dieser ist jedoch an seinem früheren Orte
nicht mehr zu finden. Die jetzt jedoch in Ruhe vorgenommene Kehlkopfspiegelung
ergibt große Hyperämie am Kehlkopfeingang, blutende Granulationen an der vorderen
Kommissur, die Morgagni sehe Tasche ist geschwollen und bedeckt vollständig
die Stimmbänder. Der Ösophagus ist frei. Der Fremdkörper ist nirgends zu finden.
29. VIII. Das Gebiet der Wunde reaktionsfrei. Durch die Kanüle entleert sich
reichlich dickflüssiges, zähschleimiges Sekret. Subfebrilität.
20. VIII. Sekret geringer. Der nebenbei abgebildete, in Größe
und Form der Abbildung entsprechende platte Fremdkörper (Knochen¬
stück) hat sich per rectum entleert. Pat. fieberfrei.
22. VIII. Entfernung der Nähte. Bei geschlossener Kanüle nor¬
male Atmung 1 Stunde lang. Spiegelbefund: Schwellung im Rückgang,
jedoch bleibt für die Atmung nur ein schmaler Spalt frei.
24. VIIL Kanüle wird für mehrere Stunden entfernt.
28. VIIL Dekanulement. Von dieser Zeit an wird die Schwellung der M o r-
g a g n i sehen Tasche von Tag zu Tag geringer und die Stimmbänder mehr und
mehr sichtbar. Die Granulationen der vorderen Kommissur bilden sich zurück.
13. IX. Atmung ganz frei. Trachealfistel geschlossen. Pat. verläßt geheilt
die Anstalt.
E p i k r i s e: Die irreführende Anamnese erklärt zum größten Teil
die falsche Diagnose. Die unintelligenten Großeltern, bei denen sich das
Kind aufhielt, erwähnen gar nichts von den stürmischen Erscheinungen
(Hustenreiz, Erstickungserscheinungen, Brechreiz, Erbrechen), welche das
im Kehlkopfe steckengebliebene Knochenstück sicher hervorgerufen hat,
daher wußte die Mutter, die das Kind zu uns ins Spital brachte, nichts
darüber zu erwähnen, ja das Frösteln und die Kopfschmerzen waren
geeignet, den aufnehmenden Arzt noch mehr irre zu führen.
Im Spitale befindet sich das Kind 9 Tage hindurch unter falscher
Diagnose, während dieser Zeit wird bei Anwendung der der falschen
Diagnose entsprechenden Therapie der Zustand des Kranken natürlich
nur noch schlechter. Das zwischen die Stimmbänder eingekeilte Knochen¬
stück rief eine reaktive Entzündung hervor, welche die Stimmritze immer
mehr und mehr verengte.
EineSpiegel Untersuchung hätte die Unrichtig¬
keit der Diagnose schon früher aufgedeckt!
Die im letzten Momente gestellte Diagnose und das sofortige Ein¬
greifen konnte das Leben des Kindes noch retten. Während des Eingriffes
wurde der Fremdkörper aus seiner Lage befreit und verschluckt.
Es ist zwar das Kehlkopfspiegeln kleiner Kinder, welche noch dazu
Atembeschwerden haben, stets eine mühevolle und durchaus nicht immer
leichte Untersuchungsmethode, diese darf aber — wie man sieht — in
keinem Falle, wo die Diagnose auf Grund der Symptome und des Krank¬
heitsverlaufes nicht mit vollkommener Sicherheit zu stellen ist, unter¬
lassen werden.
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Engen E r d 6 1 y i. Von in der Speiseröhre steckengebliebenen Fremdkörpern. 545
Aus dem städtischen Allgemeinen Krankenhause in Szegedin, Ungarn
(Spitalsdirektor Dr. Josef Bo ros).
Zwei interessante Fälle von in der Speiseröhre
steckengebliebenen Fremdkörpern.
Von Dr. Engen Erd&yi, Ordinarius für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten des
obigen Spitales.
Die Pathologie und Therapie der in der Speiseröhre stecken-
gebliebenen Fremdkörper stellt heute ein bis in die kleinsten Einzelheiten
ausgearbeitetes Thema dar. Daß ich mich dennoch zur Veröffentlichung
der beiden unten angeführten Fälle veranlaßt fühlte, ist damit begründet,
daß der eine von den beiden für den praktischen Arzt, der andere durch
seine Besonderheiten für den Spezialisten von besonderem Interesse
sein mag.
Der erste Fall ist ein mißglückter Versuch einer (heute als Kunst¬
fehler zu bezeichnenden) Sondierung. Die schweren Folgen des ,,im
Finstern arbeiten“, welche so viel Unheil angestiftet haben, können
nicht genug oft wiederholt und gerade dem praktischen Arzt vor Augen
geführt werden, damit dieser gegebenen Falles nicht erst eine zu ver¬
werfende Methode versucht, sondern den Kranken sofort dem Spezialisten
zuweist, auch dann, wenn bloß der Verdacht eines im Ösophagus stecken¬
gebliebenen Fremdkörpers vorliegt.
Der zweite Fall, bei welchem es sich um eine Striktur der Speiseröhre
nach Laugenverätzung handelt, ist insofern von besonderem Interesse,
als er deutlich auch bei modernster Ausrüstung die Grenzen unserer
Leistungsfähigkeit zeigt und beweist, daß unter Umständen ein richtiges
expektatives Vorgehen dem forzierten Eingriff vorzuziehen ist.
1. H. K., 8jähriges Mädchen. Eingeliefert am 17. VII. 1921. Ringlotkern
inder Speiseröhre. Erfolgloserwiederholter Sondierungs¬
versuch. Konsekutiver Media stinalabszeß. Ösophago¬
skopie. Exitus.
Anamnese: Am 14. VII. nachmittags verschluckt Pat. einen Ringlotkern,
welcher im Ösophagus stecken bleibt. Am nächsten Tage wird ein Arzt zu Rate
gezogen, welcher zu wiederholtem Maße die Sondierung stets ohne Erfolg versuchte,
nachher werden die Schluckbeschwerden noch stärker. Schließlich kann Pat. über¬
haupt nicht schlucken und wird aus einer Entfernung von 35 km mittels Wagen zu
uns gebracht. Keine anamnestische Daten einer eventuell vorhergegangenen Laugen¬
vergiftung.
Status praesens: Schwer krankes, verfallenes, schwer leidendes
Mädchen. Schmerzen in der Höhe der Mitte des Sternums, w-elche in den Rücken
und nach rechts vorn ausstrahlen. Oberflächliche Atmung 36 p. M. Bei tieferen
Atemzügen stechende Schmerzen in der rechten Brusthälfte daselbst von der 8. Rippe
abwärts absolute Dämpfung, welche sich bei tiefem Inspirium nicht aufhellt; über
der Dämpfung abgeschwächtes Atmen und verstärkter Pektoralfremitus (Pleuritis)
Vergrößerung der absoluten Herzdämpfung. Puls 120. Filiform. Temp. 38*6° C.
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546
Eugen E r d 61 y i.
Am Tage* der Aufnahme (17. VII.) kann wegen Betriebsstörung iu der elektri-
sehen Leitung die Ösophagoskopie nicht vorgenommen werden. Therapie absolute
Bettruhe, Närhklysma, kalte Umschläge, Koffein, Digalen.
18. VII. Ösophagoskopie in Lokalanästhesie sitzend: 22cm von der oberen
Zahnreihe entfernt in der Höhe der Bifurkation findet sich eine verengte Stelle der
Speiseröhre, welche öde in a tos und zum Teil mit Schleimhaut fetzen bedeckt ist;
Nach Betupi'ung mit 20%igen Kokaintonogen (1:3) gelingt es, durch diese Enge
hindurch zu gelangen und ungefähr 2 cm tiefer stößt man auf den quergelegenen Kein,
dessen beide Enden eingekeilt sind und dessen eine Kante nach aufwärts gerichtet
ist. Die Anwendung der Fremd kör }>erzange bleibt erfolglos, da sic vom Fremdkörper
stets abrutscht. Mit einem stumpfen Haken gelingt es. vorsichtig hinter bzw. unter
den Kern zu gelangen und denselben aus seiner eingekeilten Lage zu befreien. Nachdem
der Kern auf diese Weise aus der Querlage in die Längslage gebracht worden ist, wild
der Extraktions versuch wiederholt, wobei der Kern bei Berührung mit der Fremd¬
körperzange verschwindet. Nachher ist die Sixuseröhre in ihrer ganzen Länge frei.
Therapie: Absolute Bettruhe. Eispillen, kalte Umschläge. Nährklysma. Koffein,
Digalen.
19. VII. Die Kranke ist noch mehr verfallen, Atmung frequent und ober¬
flächlich 45 p. M. Zyanose. Die Dämpfung in der Herzgegend und in der rechten
Brusthälfte vergrößert. Temp. 38*9° C. Puls 140. Th. cadem. In der Nacht Exitus.
•Sektion (Auszug aus dem Sektionsprotokoll; Dr. Engel, Prosektor).
,,....In der Perikardhöhle ungefähr 100cm 3 trübe seröse Flüssigkeit, das hinten?
parietale Blatt ist mit Blutungen bedeckt, hyperämisch und glanzlos. Das Herz von
normaler Größe seine Muskulatur schlaff. Die Klappen ohne Befund. In der rechten
Brusthöhle ungefähr 400cm 3 dünnflüssiger gelber Eiter, auf der hyperämischen
Pleura überall reichliche Fibrinauflagerungen. Die Lungen sind hyperämisch und
lufthaltig.
Zunge belegt, Rachen injiziert. An der vorderen Wand der Speiseröhre ungefähr
in der Höhe der Bifurkation ein zwanzighellerstückgroßes Geschwür, in dessen Um¬
gebung die Schleimhaut stark gedunsen ist, oralwärts vom Geschwür hat sieh diese
teilweise in Fetzen losgelöst. In der Mitte des Geschwüres befindet sieh eine 7 bis 8 mm
weite unregelmäßige Öffnung, durch welche man in eine Abszeßhöhle gelangt. Dieser
Abszeß liegt in der rechten Seit e des hinteren Mediast inums, ist ungefähr taubeneigroß
und wird hinten durch die perforierte ulzeröse Ösopliaguswamd, vorn durch das
liintere parietale Blatt des Perikards begrenzt. Nach rechts kommuniziert der Abszeß
unmittelbar hinter der Lungcnw'urzcl mit einer für den kleine n Finger durchgängigen
Öffnung mit der rechten Brusthöhle. Im Al.szeß findet sieh dünnflüssiger, gelber Eiter
und der Fremdkörper (Ringlot kei n). Die Wand des Abszesses besteht aus eitrig
infiltriertem Bindegewebe, welches an der Innenseite von einer ungefähr 3 bis 4 mm
dicken stark adhärenten gelben Eilermembrm bedeckt ist.“
Hystologiselier Befund: ..An den aus dem ulzerösen Teile der Speiseröhre an¬
gefertigten Schnitten ist außer der Epithelnekiosc und einer starken reaktiven Ent¬
zündung nichts pathologisches zu finden.“
Dia gnnse: ,, P e rf ora t io o e s o p h a g i pro p t e r e orpus a 1 i e n u m.
A b s c e s s u s m e d i a s t i n i p o s t. i n c a v u in p I e u r a e dext r a e
i r r u m p e n s. Pleuritis (lex t ra f i b r i n o s o - p u r u 1 e n t a. Per i-
e a r d i t i s s e r o p u r u l e n t a h a e m o r h a g i e a. “
E p i k r i s e: Wie man sieht-, handelt es sieh um den typischen Fall
einer mißglückten Sondierung. Ncbui den modernen diagnostischen und
therapeutischen Instrumenten ist die Sonde und andere zur Entfernung
von Fremdkörpern bestimmten ,,im Blinden arbeitenden“ Instrumente zu
verwerfen, ihre Anwendung hat als Kunst fehler zu gelten. Die Ver¬
öffentlichung dieses Falles hat auch den Zweck, obige Tatsache in den
weitesten Kreisen zu propagieren. Leider greift der praktische Arzt,
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Von in der Speiseröhre steckengebliebenen Fremdkörpern.
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den die Kranken meist zum Zwecke der ersten Hilfeleistung auf.-liehen,
noch immer allzu gern zur Sonde und versucht den Fremdkörper hinab¬
zustoßen, ohne sich über dessen Größe und Lage klar zu sein. Mangels
größerer Erfahrung und Übung wiid dann meist zu viel Kraft angi wt ndt t,
und so kann es dann zu irreparablen Komplikationen kommen. Mit der
Ösophagoskopie war die Speiseröhren Verletzung, welche durch die er¬
wähnte Prozedur verursacht wurde, klar und deutlich zu sehen. Wegen der
reaktiven Entzündung und der starken Einkeilung konnte der Fremd¬
körper nicht sogleich entfernt werdin, und als er nach seiner Mobilisation
verschwunden war, mußte man annehmen, daß er in den Magen gelangt
sei, da ja die Speiseröhre vollkommen frei war.
Die Prognose war von aller Anfang an schon infaust zu stellen, da
sich schon beim Eiiiliefern der Kranken Zeichen einer Pleuritis und
Mediastinitis nach weisen ließen.
Die Ösophagoskopie war jedenfalls absolut indiziert. Die Kranke
vertrug die in Lokalanästhesie vorsichtig ausgeführte Operation ziemlich
gut. Die Symptome der Mediastinitis bildeten in diesem Falle keine
Kontraindikation für die Ösophagoskopie. Der Fremdkörper und das
entzündete mediastinale Gebiet war auf dem Wege der Ösophagotomie
infolge seiner Lokalisation (Bifurkation) nicht zu erreichen, es hätte
höchstens eine Thorakotomie zum Ziele geführt. Ein so schwerer Eingriff,
welcher in ähnlichen Fällen auch bisher noch nie von Erfolg begleitet war,
wäre auch diesmal aussichtslos gewesen.
Es war daher die Ösophagoskopie das einzige Mittel, um den Kranken,
wenn nur irgendwie möglich, zu rett< n, wie wir dies in ähnlichen, allerdings
nicht so vorgeschrittenen Fällen wiederholt ei fahren haben.
Daß der ausgebildete Mcdiastinalabszeß und die anderen bei der
Sektion gefundenen Komplikationen nicht als Folge der Ösophagoskopie
anzusehen sind, geht aus den im Status praesem beschriebenen Symp¬
tomen und insbesondere aus dem Sektionenotokolle (Geschwür, Art und
Wandveränderungen des Abszesses) ohne weiteres hervor. An der Stelle
des Fremdkörpers war infolge des Druckes und der artefiziellen Verletzung
das Porfo rationsgeschwür schon ausgebildc t und es genügte, dem Fremd¬
körpereine andere Lage zu geben, damit dieser in die präformieite Absze߬
höhle leicht hiiu ing< lange.
Dierer Fall wäre ohne vorhergegangene Sondierungsversuche und
die daraus folgenden Komplikationen mittels ö ephagoskopio mir
Leichtigkeit zu retten gewest n.
2. 4. VIT. 1021. Katharine St., 15 Ja He alt. W < i o hs e 1 k e r n in der
.Spei s e r ö h r e bei einer .Strikter n a e h f r ü herer L a ngenve r-
ä tzun g. \V i e d e r holte erfolglose Ü s o p h a g o s k o p i e. G a s t i* o s-
t o m i e. D er Kern entfernt s i e h n a e h 4 \V o e h e n p e r o. n.
Anamnese. Kranke ha* vor 8 Jahren ans Versehen Ätzlange getrunken.
Wegen der entstandenen Striktur wurde einige Wochen später eine Gastrostomie
ausgeführt, nachher ein Jahr hindurch Sondcnhehandlung. Seither kann sie zwar
alles essen, muß aber die Sf>eiscn ganz besonders gut zerkauen. Vor 4 Jahren blieb
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-1)48 Eugen Erd61yi. Von in der Speiseröhre steckengebliebenen Fremdkörpern.
•«in Stück Fleisch in der Speiseröhre stecken und mußte in Narkose mittels öso-
phagoskop entfernt werden (Stephanie-Kinderspital in Budapest). Nachher 3 Monate
hindurch Sondenbehandlung bis zu einer federstieldicken Sonde. Seither be¬
schwerdefrei.
Am 3. VIL wurde aus Versehen ein Weichselkern verschluckt und
blieb in der Speiseröhre stecken. Seither kann Patientin gar nichts, nicht einmal
Flüssigkeit schlucken.
Status praesens. Mittelmäßig entwickeltes, etwas abgemagertes blasses
Mädchen, welches gar nicht schlucken kann und beim Schluckversuch über dumpfe
Schmerzen in der Höhe der Mitte des Sternums klagt. Über den Lungen diffuser
Katarrh. Temp. normal.
L Ösophagoskopie (4. VII.) in Lokalanästhesie: 24cm von der oberen Zahn¬
reihe entfernt, gelangt man zu einer zirkulären hartwandigen Striktur, welche
ungefähr für ein Streichholz durchgängig ist. Die durch das ösophagoskop in die
Striktur eingeführte entsprechend dicke Sonde stößt in einer Tiefe von ungefähr
2*5 cm auf ein hartes glattes Hindernis. Wegen starken Hustenreizes und reichlichen
Sekretes muß die Untersuchung abgebrochen werden. Ernährung per rektum.
II. Ösophagoskopie am nächsten Tage (5. VII.) nach vorhergegangener In¬
jektion von 0*015 Mo. + 0*005 Atropin. Kein Hustenreiz und kein Sekret. Die Unter¬
suchung geht ungestört vor sich. Befund wie oben, der Fremdkörper kann aus seiner
Lage nicht befreit werden. Wir sind daher gezwungen, zuzuwarten.
10. VIL Nachdem der Fremdkörper sich nicht entfernt hat, die Speiseröhre
absolut geschlossen bleibt, an eine Entfernung mittels Ösophagoskopie nicht zu
•denken ist, und die Kranke trotz rektaler Ernährung von Tag zu Tag schwächer
wird, wird eine neuerliche Gastrostomie ausgeführt (Sekundararzt Dr. Feuer).
Durch die artefizielle Fistel reichliche Ernährung, Patientin erholt sich zusehends.
22. VII. III. Ösophagoskopie nach Mo. + Atropininjektion. Ergebnis und
Befund unverändert, der Fremdkörper befindet sich an derselben Stelle der Striktur.
Therapia eadem. Allgemeinbefinden gut. Kräftezunahme.
2. VIII. Während eines Schluckversuches hat die Kranke das Gefühl, als ob
der Fremdkörper in den Magen abgleite, gleichzeitig hört das Druekgefühl in der
Brust auf. Von nun an geht das Schlucken von Flüssigkeit ungestört vor sich, daher
wird eine weitere Ernährung durch den Magen überflüssig und das Drain aus der
Magenfistel entfernt. Die ösophagusstriktur ist nun für eine dickere filiforme Sonde
leicht durchgängig.
13. VIII. Magenfistel zu geheilt. Die Speiseröhre ist für eine federkieldicke
Sonde durchgängig. Die Kranke verläßt das Spital und wird weiter ambulant be¬
handelt.
Epikrise: Die Behandlung des obigen glücklich verlaufenen
Falles war weder mittels Ösophagoskopie noch auf blutigem Wege zu
lösen. Die wiederholte Ösophagoskopie blieb erfolglos, der Fremdkörper
war mittels unserer Instrumente nicht zu erreichen. Infolge seiner Lage
(Bifurkation) konnte man weder mit Ösophagotomie noch mittels Gastro¬
stomie bis zum Fremdkörper gelangen. Die Gastrostomie würde bloß
zwecks Ernährung der Kranken ausgeführt. An eine retrograde Son¬
dierung durch die Magenöffnung war gerade so, wie an eine Sondierung
von oben nicht zu denken. Nach widerholter Ösophagoskopie war es klar,
daß der Fremdkörper in die Striktur fest eingekeilt ist. Wie die Striktur
weiterhin beschaffen war, ob sie sich noch verengte, ob nicht noch eine
Striktur vorhanden war, wie die Wand der Speiseröhre an der Druckstelle
des Fremdkörpers ausgesehen hat, blieben alles offene Fragen, welche
aber immerhin das Einführen einer Sonde von oben und auch von unten
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S. B c 1 i ii o f f. Ventriculus Morgagni.
549
her kontraindizierten. Eine Thorakotomie, welche das einzige Mittel zur
Erreichung des Fremdkörpers gewesen wäre, kam wegen der Schwere
dieses Eingriffes ;n Anbetracht des Kräfteverfalles der Kranken nicht
in Frage.
Es sei hier noch der Thyosinamininjektionen gedacht; wir haben,
aber bisher bei so alten Strikturen niemals irgendeinen Erfolg davon
gesehen.
Es blieb daher trotz der erklärlichen großen Ungeduld der Kranken
und ihrer Angehörigen nichts weiter übrig, als ruhig abzuwarten. In
Anbetracht der Form und geringen Größe des Fremdkörpers war zu
hoffen, daß sich dieser durch die Striktur mit der Zeit dennoch durch¬
arbeite. Mit der Gefahr einer Perforation und konsekutiver Mediastinitis
mußte allerdings gerechnet werden, die Erfahrung hat uns aber wiederholt
gezeigt, daß runde glatte Fremdkörper auch lange Zeit in der Speiseröhre
verweilen können, ohne für den Kranken verhänginsvoll zu sein.
Die Richtigkeit unserer Annahme und unseres Vorgehens wurde
durch den Verlauf bestätigt. Der Fremdkörper arbeitete sich innerhalb
4 Wochen durch die Enge hindurch, und die Patientin wurde geheilt.
Aus der Ohren-, Nasen- und Kehlkopf-Abteilung des Alexander-
Spitales in Sofia (Bulgarien).
Über die Form und die Dimensionen des Ventriculus
Morgagni.
Von Dr. 8 . BelinofF, Vorstand der Abteilung.
Als Ergänzung zu den im Heft 6 der Monatsschrift erschienenen
Abbildungen auf Taf. I bringen wir nachstehend noch Nr. 43
bis 56.
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550 Emil Frösch eis. Berichtigung. — Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922.)
Aus dem phonetischen Laboratorium des Physiologischen Institutes
der Wiener Universität (Vorstand: Prof. Dr. A. Durig).
Berichtigung: des Inhaltes des von Frau Berta Pap-
Stockert auf der Tagung der Hals-Nasenärzte zu
Wiesbaden verteilten Flugblattes.
Von Dozent Dr. Emil Fröschels.
Frau Pap-Stockert behauptet in einem Flugblatte, sie hätte
eine Stimmtechnik erfunden, bei der die Stimmlippen keine Rolle
spielen und die „durch besondere Einstellungen und Spannungen im
Gaumen und Mundboden entsteht“. Diese besondere Einstellung und
Spannung sei, so steht in einer Fußnote, von dem (von mir geleiteten)
phonetischen Institute bestätigt worden. In der Tat wurde bestätigt,
daß Frau Pap-Stockert mit 2 verschiedenen Timbres singen könne
und daß davon das eine durch stärkere Spannung des Mundbodens
und vielleicht des Gaumens ausgezeichnet sei. Von einer Bestätigung,
daß die von Frau Pap-Stockert vermutete Technik festgestellt
wurde, kann keine Rede sein.
Vereinsber icht e.
Österreichische otologische Gesellschaft.
Sitzung vom 24. Mal 1922.
Vorsitz: G. B o n d y.
Schriftführer: E. U r b a n t s c h i t s c h.
A.
Von den Ehrenmitgliedern bzw. korrespondierenden Mitgliedern
F. Pure z, B u r g e r, V o s s, Denk e r. Sie 1> e n in a n n sind Dank¬
schreiben für die Wahl einizelangt.
B.
I. E. U r b ant. schits c. h: Atypische Form des Fistelsymptoms und
t ypische Zeigereaktiouen bei Kuocheiizj stenbildiing am horizontalen
Bogengang.
Die COjährige Anna K. hatte seit ihrer Kindheit eine linksseitige chronisch
eitrige Mittelohrentzündung. Eiter stark fütid. Zeitweise heftige Kopfschmerzen,
Schwindel, Brechreiz. Deshalb Spitalaufnahme am IC. III. 1921. Der Ohren¬
befund ergab eine typische Antrumeiterung, keinen spontanen Nystagmus,
kein Fistelsymptom, positive kalorische Reaktion, links v = 20 cm.
Bei der K a d i k a 1 o p o r a t i o n am 17. III. 1921 fand sich am
horizontalen Bogengang, von diesem gegen den hinteren medialen Abschnitt
des Fazialwulstes ziehend, eine halbkugelige Knochenapposition, die im
bv Google
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|Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922).
551
Zentrum einen Hohlraum aufwies. Im Anschluß an den ersten Verband¬
wechsel am 23. III. Auftreten von Schwindel und horizontal-rotatorischem
Nystagmus nach rechts. Infolge zu starker Tendenz zu Granulationsbildung,
späterhin tamponlose Nachbehandlung.
Am 29. IV. Auftreten einer schmerzhaften präaurikularen Schwellung
linkerseits, tags darauf Koptschmerzen, Übelkeiten und Brechreiz, bei Kopf¬
bewegungen Schwindel. Da alle Erscheinungen aber am 1. Mai wieder ver¬
schwunden waren, wurde Pat. am 2. V. zur ambulatorischen Behandlung
entlassen.
Eine Woche lang Wohlbefinden, dann wieder Schwindel und Brechreiz,
weshalb Wiederaufnahme vom 23. bis 27. V. 1921: In den ersten Tagen Kopf¬
schmerzen und Mattigkeit. Augenbefund normal. Zeige versuch:
spontan keine Ablenkung, nach Rechts drehung rechts Ablenkung nach
rechts, links keine Ablenkung; nach Linksdrehung rechts wie links Ab¬
lenkung nach links.
Bei einer Kontrollontersuchung am 25. X. 1921 erwies sich die Wund¬
höhle trocken, doch bestand Fistelsymptom, und zwar bei Kompression
nach links, bei Aspiration nach rechts. Zeige versuch: spontan normal;
nach Rechts drehung rechts mäßige Ablenkung nach rechts, links keinerlei
Ablenkung (wiederholte Prüfung); nach Linksdrehung sowohl im rechten
wie linken Arm geringe Ablenkung. Links komplette Taubheit.
Derzeit besteht folgender Ohrbefund: Die linke Radikal-
operationshöhle ist ausgeheilt — bis auf eine leicht eiternde, schwartige Stelle
in der Gegend des Stapes und horizontalen Bogenganges. Links komplette
Taubheit (r. v = + 6 m), kein spontaner Nystagmus, normale kalorische
Reaktion, mäßige Drehreaktion beiderseits, a t y p i s c h e Art des Fistel¬
symptoms: bei Kompression der Luft im Mittelohr tritt eine langsame
Augenbewegung nach rechts, bei Aspiration eine solche nach links auf. Bei
direkter (Sonden-) Kompression in der Gegend des horizontalen Bogenganges
zeigt sich zuweilen ein typisches Fistelsymptom (Nystagmus 1.). Zeige¬
versuch: Spontan, nach Rechts- wie Linksdrehung und nach Kalorisation
(trotz des dabei bestehenden Nystagmus) keine Ablenkung (weder rechts
noch links).
Epikrise: Bemerkenswert sind in dem Fall: 1. die Knochenzyste
am horizontalen Bogengang; 2. das postoperative Auftreten des Fistel¬
symptoms; 3. die atypische Form dos letzteren, insofern als bei Luft¬
kompression bloß die langsame Komponente, bei direkter Berührung auch
die rasche Komponente auszulösen ist, bei typischer Richtung des Nystagmus;
4. die derzeit mangelnde Ablenkung beim Zeigeversuch bei Vestibularreizung
trotz der vorhandenen Anspreehbarkeit der Vestibularfunktionen, nach früher
wechselndem atypischem Verhalten dieser Reaktion. Was das Fistelsyinptom
betrifft, so scheint es hier, daß dasselbe über den Weg durch die Knochenzyste,
die wahrscheinlich mit dem Yestibularapparat in Verbindung steht, zustande
kommt, wobei der schwächere Reiz der Luftkompression in diesem Fall eben
nur die langsame Bewegung auslöst, yährend der stärkere der direkten Be-
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552
Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922).
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riihrung, vor allem, wenn man offenbar den Eingang in die Zyste trifft, den
typischen Nystagmus erzeugt.
II. F. F r e m e 1: Demonstration eines wegen Otosklerose vor 8 Jahren
operierten Patienten.
Der jetzt 38jährige Pat. stammt aus einer schwerhörigen Familie,
2 Schwestern und 1 Tante sind auch schwerhörig. In den Zwanzigerjahren
stellte sich bei ihm eine zunehmende beiderseitige Schwerhörigkeit ein und
1914 wurde er operiert. Es wurde damals von BÄrany der hintere knöcherne
Bogengang eröffnet; ich habe dazumal bei diesen Operationen assistiert. Die
Patienten hatten, in Lokalanästhesie operiert, im Augenblick der Eröffnung
des Bogenganges eine sofortige auffallende, mit dem Lärmapparat objektiv
festzustellende Hörverbesserung. Soviel ich mich erinnern kann, bestanden
keine ausgesprochenen Schwindelerscheinungen, die Patienten gingen zu Fuß,
etwas gestützt, auf das Krankenzimmer. Auch dieser Patient hatte eine so¬
fortige Hörverbesserung, es sei ihm damals so vorgekommen, als wenn sich
plötzlich eine verschlossene Tür plötzlich geöffnet habe, er hörte sofort gewöhn¬
liche Sprache auf mehrere Meter. Freilich dauerte diese Hörverbesserung nicht
lange an, am nächsten Tage war das Hörvermögen schlechter als es zuvor
gewesen war, so ungefähr wie es heute ist, es hat sich seither nicht merklich
verschlechtert. Pat. ist auf dem operierten Ohre taub, es ist auch die vestibuläre
Erregbarkeit für Dreh- und kalorische Reize im Vergleiche zum linken Ohre
etwas herabgesetzt. Es ist also bis jetzt noch mit keiner Methode gelungen,
trotz der vielen Versuche auf operativem Wege, diesem schweren Leiden
beizukommen.
Diskussion.
G. Bondy: Ich kann die Erfahrungen Fremels bestätigen. Ich habe
B a r a n y bei einem solchen Fall an der Klinik assistiert. Die Pat. gab kurze Zeit
an, besser zu hören, eine eklatante Besserung habe ich nicht konstatieren können.
Die vermutete Besserung war bald verschwunden. Ich habe mich gegen die Operation
ausgesprochen. Ich konnte mir nicht vorstelh n, daß die Öffnung dauernd offen bleibt ;
sie schließt sieh, ob durch Knochen- oder Bindegewebe. Dieser Weg kann nicht zur
Heilung führen.
J. Hofer: Hat der Pat. kalorische Reaktion ?
Fre m e 1: Er hat si?, aber nur in herabgesetztem Maße.
Otto Mayer: Ich habe in meinem Buche über Otosklercse die Frage be¬
sprochen, ob es nicht möglich wäre, einen kleinen, vor dem ovalen Fenster gelegenen
Herd operativ zu entfernen. Diese Fra gestellt ng lag deshalb sehr nahe, da ich auf
Grund meiner histologischen Untersuchungen die Herde als ge schwulst artige Hyper¬
plasien erkannt hatte und'sehr häutig fcs: stellen konnte, daß die Herde rings von
einem feinen, beim Schneiden entstände nc n Riß in der Kittlinie vom alten Knochen
losgelöst waren. Ich dachte mir, daß es möglich sein könnte, einen solchen Herd mit
einem feinen Instrumente herauszuhebeln, leb sagte aber, daß dieses Verfahren,
abgesehen von eler Gefahr für das Leben, deshalb wenig Aussicht auf Eifolg biete,
weil wahrscheinlich eine Blutung ins Labyrinth entstehen düifte, die zur Obliteration
der Labyrinthhohlräume* und zur Taubheit führen unel den Operationseifolg vereiteln
würde*. Ich habe bisher auch nicht den Mut gehabt, die Operation auszvfühun, und
es hat sich auch kein Kranker gefunden, der nach offener Darlegung der Aussichten
und Gefahren der Operation, sich zu derselben entschlossen hätte. Die geringen
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922).
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Reaktionserscheinungen, welche sich im Falle des Herrn Fremel eingestellt haben,
ermutigen aber zu Vorversuchen an der Leiche. Es wäre bei einem klinisch fest-
gestellten Fall von Otosklerose, der zur Obduktion kommt, ein Operationsversuch,
mit darauffolgender histologischer Untersuchung sehr wertvoll.
III. S. Gatscher: Parakusis ethotica.
Der vorgestellte Patient bekam einige Tage nach einem leichten Grippe¬
anfall die subjektive Empfindung von Echogehör auf dem linken Ohre. Dieselbe
bestand nicht nur für Worte, sondern auch für Töne und Geräusche. Bei der
ersten Untersuchung zeigte das Trommelfell leicht katarrhalische Ver¬
änderungen. Diese abnorme Empfindung dauerte ungefähr 14 Tage, war von
Sausen eingeleitet und begleitet. Das Ohr war früher und ist jetzt wieder
vollständig gesund.
Die Erklärung des Phänomens kann in einer objektiven Veränderung
im peripheren Apparate gesucht werden, das Phänomen kann aber auch als.
rein zentral entstanden aufgefaßt werden. Mit Rücksicht auf die Veränderungen
am Trommelfelle könnte man in diesem Falle vielleicht der ersteren Auf¬
fassung zuneigen.
Von Wichtigkeit erscheint es, daß es sich um einen völlig unbefangenen
Patienten handelt, der nie von dieser Erscheinung etwas gehört hat und
psychisch (vom Neurologen untersucht) vollständig normal ist, so daß man
nicht etwa an eine Halluzination zu denken hat.
IV. 0. Mayer: Fall von metastastlschem Karzinom des Gehörganges.
(Erscheint ausführlich in diesem Heft, S. 541.)
V. H. Neumann: Operative Parotisfistel.
Ich zeige Ihnen einen Patienten, der vor 13 Jahren radikal operiert
'wurde. Nach der Operation bemerkte der Patient, daß ihm hinter dem Ohr¬
läppchen beim Essen Speichel herauskomme. Er zeigt im unteren Abschnitt
der retroaurikulären Narbe, unmittelbar vor der Spitze des Warzen fort satzes*
eine feine Fistel, aus welcher, wie Sie sehen, Speichel fließt, wenn Patient
z. B. ein Stückchen Brot kaut. Diese Fistel dürfte offenbar durch die Operation
gesetzt worden sein, es wäre dies aber auch nicht möglich gewesen auch bei
übermäßiger Schnittführung nach unten, wenn nicht ein abnormer Lappen
der Parotis abnormer Weise über die Spitze des Warzenfortsatzes disloziert
wäre. Wie aus der Literatur hervorgeht, ist die therapeutische Beherrschung
einer solchen Fistel eine ungemein schwierige. Die einzelnen Autoren haben
mit den verschiedensten Methoden, wie Kauterisation, Verätzung, Exzision
erst im Laufe von Wochen Heilung erzielt.
Diskussion.
G. Bondy: Ich möchte hierzu einen Fall aus meiner Assistentenzeit er¬
wähnen. Bei einem sehr schweren Fall von Sinusthrombose wurde die Jugulaiis
unterbunden und der Sinus ausgeräumt; hierbei kam es zur Verletzung der Sv.b-
maxillaris. Es erfolgte volle Heilung, aber es blieb eine Speichelfistel zuiück. Es ist
ein unangenehmer Zustand, da dem Patienten beim Essen immer Speichel aus dem
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Vereinsbericht© (Ost. ofcol. Ges., Mai 1922).
Halse fließt. Wegen der Nähe der großen Gefäße wollte ich nicht mit dem Thermo¬
kauter eingehen.
VI. H. Neumann: Konsanguine Ehe und Taubstummheit.
Ich erlaube mir ein 4jähriges taubstummes Kind vorzustellen, welches
kongenital taub ist. Das Kind hat noch vier ältere taubstumme Geschwister
von 6 bis 14 Jahren, welche ebenfalls von Geburt taub sind. Das älteste Kind
mit 19 Jahren ist vollkommen normal. Dieses Kind hier hat normale Trommel¬
felle, ist taub, Hörreste lassen sich bei dem kleinen, der Untersuchung schwer
zugänglichen Patienten nicht mit Sicherheit nachweisen. Das Kind ist so¬
matisch vollkommen normal, ist für Drei reize in der gewöhnlichen Kopf-
stellung unerregbar, nach lOmaliger Drehung treten 2 bis 3 Nystagniusschläge
auf. Besonders möchte ich hervorheben, daß die Eltern des Kindes echte
Geschwisterkinder sind; der Patient mit seinen taubstummen Geschwistern
zeigt deutlich die Schädlichkeit der Blutsverwandtschaft für die Nach¬
kommenschaft. Irgendwelche degenerative Stigmen oder Taubheit in der
Familie konnten wir nicht in Erfahrung bringen.
Diskussion.
E. Urban tschitsch: Nach dem heutigen Stand der Vererbungs Wissen¬
schaft können wir in der Konsanguinität als solcher nicht die Ursache für das Ent¬
stehen von Taubstummheit sehen. Daß bei Blutsverwandtschaft Öfter dieses Leiden
zu beobachten ist, beruht darauf,daß in solchen Familien, bei denen diese Krankheit
vorkommt, durch eine konsanguine Ehe die Vereinigung zweier heterozygoter In¬
dividuen und somit die Manifestation der Taubstummheit gefördert wird. Das, was
in diesem Fall äußerst interessant ist, ist das Zahlen Verhältnis der taubstummen zu
den gesunden Kindern (5: 1). Bei allfälliger Homozygotie (die hier ja nicht besteht)
müßten samt liehe Kinder taubstumm sein, bei dopjx*lseitigerHeterozygotic ein Viertel.
N eu m a n n (Schlußwort): Auf die Bemerkung des Herrn Urbantsehitsch
habe ich zu bemerken, daß im Einzeltalle eine Bestätigung des Einzelfalles nicht
zu erwarten ist, da bekanntlieh die Mendel sehe Regel ein Gesetz der großen
Zahlen ist. Daß bei doppelseitiger Homozygot ie theoretisch 100% Taubstummer
zu erwarten wären, ist eben nur theoretisch richtig. Aber Hamm er sch lag hat
ja mehge wiesen, daß beim Menschen selbst bei Kreuzung schworst belasteter
'hereditärer Taubstummer nur ganz selten 100% Taube geboren werden.
VII. 0. Beck: Otitis media acuta mit konsekutiver Osteomyelitis des
Scheitelbeines, Pachymeniugitis, Leptomeuingitis und Sinustkfombose.
Der 42jährige Tischler I. S. wurde am 8. V. 1922 auf die Klinik N eu»
mann auf genommen. Er war früher immer ohrgesund. Im Februar 1922
Grippe. Anfang März heftige Schmerzen im linken Ohr und Kopf. In die
Behandlung des Kassenarztes begab sieh Pat. am 12. III. Nach der Para¬
zentese begann das Ohr zu fließen, ohne daß seitdem die Sekretion ganz
auf hörte. Keine besonderen Schmerzen. Hie und da Kopfschmerzen. Am 5. V.
begann das Ohr wieder heftig zu schmerzen und stark zu fließen. Kein
Schüttelfrost, kein Schwindel.
Schwer krank aussehender Patient in ziemlich schlechtem Ernährungs¬
zustand. Zugangstemperatur: 38 7°. Zunge feucht, stark belegt. Foetor exore.
Ohrenbefund: R. O. Äußere Teile ohne Befund. Trommelfell
stark eingezogen. L. 0. Profuse dickeitrige Sekretion, fötid. Trommelfell ge-
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922).
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schwollen. Vorn eine kleine zentrale Perforation, aus der sich beim Valsalva
dicker Eiter entleert. Senkung der hinteren, oberen Wand. Warzenfortsatz
am hinteren Rand und Spitze stark druckempfindlich. Konversationssprache:
ad concham. Weber nach links, Stimmgabelprüfung spricht für Schall¬
leitungshindernis. Kein spontaner Nystagmus. Labyrinth normal reagierend.
Operation (Beck) 9. V. 1922: Typischer Hautschnitt durch die
stark infiltrierten Weichteile, diploetischer Warzenfortsatz, Knochen erweicht.
Aus dem Antrum Eiter und Granulationen. Periantraler Knochen erweicht,
ebenso die Wurzel des Jochfortsatzes. Bei der Freilegung des Sinus quillt
perisinuös Eiter unter Druck hervor. Am Petrosuswinkel zwei große, mit
Granulationen und Eiter erfüllte Zellen. Erweichte Zellen reichen bis ans
Tegmen, die Dura der mittleren Schädelgrube wird auf Kleinhellergröße frei¬
gelegt ; sie ist normal. Der Sinus wird vom Petrosuswinkel bis zur Spitze frei¬
gelegt, nahe dem oberen Knie ist er mit starken, mißfärbigen Granulationen
belegt. Nach oben und unten wird gesunde Sinuswand erreicht. An der Stelle
der Granulationen reißt der Sinus beim Arbeiten mit dem Löffel ein, und
zwar beim Abheben der Sinusschale. Es erfolgt Blutung in vollem Strahl.
Tamponade des Sinus. 2 Situationsnähte. Verband.
12. V. 1922. Ophthalmoskopischer Befund: Fundus normal. Pupillen
gut gefärbt, scharf begrenzt, keine zentralen Veränderungen. Wegen dreier
pyämischer Zacken über 40° neuerliche Operation.
0 p e r a t i o n (B e c k) 13. V. 1922. Wundrevision. Der Sinus erscheint
kollabiert. An der Stelle, wo er geblutet hat und scheinbar eingerissen ist, ist
die äußere Sinuswand nekrotisch, und zwar kreisrund in der Größe einer
Erbse. Durch die nekrotische Stelle der äußeren Sinuswand ist die innere
Sinuswand sichtbar. Der Sinus wird nach oben bis zirka 3 cm ober dem oberen
Knie freipräpariert, nach unten bis zum Bulbus. In der Bulbusgegend ist die
äußere Wand des Sinus nekrotisch und durch die Nekrose sieht ein Thrombus
heraus. Unterbindung der Vena jugularis und Vena facialis communis. Das
obere Ende der Jugularis bluthältig. Aus dem Bulbus ein Thrombus, der in
den oberen Partien zerfallen, in den unteren solid erscheint. Blutung aus dem
Bulbus. Einführung eines Drains. Oberhalb des oberen Knies ist der Thrombus
zerfallen, weiter torkularwärts ein mehr roter Thrombus. Nach dessen Ent¬
fernung Blut in vollem Strahl. Exzision der lateralen Sinuswand.
16. V. Wunde nicht mehr so trocken. Aus dem Bulbus der Vene kommt
bei Lüftung der Gaze Blut, vorsichtige Abhebung der Gaze am oberen Knie
auch hier Blut. Beiderseits Tampons. Wund Versorgung.
17. V. Da Patient während des Transportes in den Operationssaal
zyanotisch und pulslos wird, wird vom Verband Abstand genommen. Kampfer,
Koffein.
11 Uhr a. m. Exitus.
Obduktion (Dr. Feiler): Befund einer linksseitigen Antrotomie,
Freilegung und Tamponade des Sinus transversus und sigmoideus wegen
Otitis media suppur. acuta (vor 8 Tagen) konsekutive, fort¬
geleitete Osteomyelitis nach aufwärts in der Diploe fast
Monatsschrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Bhin. 66. Jahrg. 37
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1921).
im ganzen Bereich des linken Schädelbeines; durch die Emissarien ist es
einerseits zu einem handtellergroßen, subperiostalen und subgaleotischen
Abszeß gekommen, andrerseits zu einem zirkumskripten bis an den Sinus
sagittalis heranreichenden Pachymeningitis suppurativa. Eine Anastomose
des Sinus spheno-parietalis und der Venae diploeticae ist durch einen ver¬
eiterten Thrombus erfüllt. Zirkumskripte, etwa handtellergroße Lepto-
meningitis an der Grenze zwischen Stirn und Scheitellappen, etwa über den
Zentralwindungen. Der Sinus transversus ist frei von Thrombose und mit einem
Gazetampon ausgestopft. Der Sinus sigmoideus ebenfalls bis an den Bulbus
tamponiert. In ihm finden sich jedoch Reste eines vereiterten Thrombus.
(Demonstration des Präparates.)
Epikrise: Es handelt sich bei diesem Kranken um eine verschleppte
akute Otitis, die am Tage nach der Spitalsaufnahme außer den Zeichen einer
Mastoiditis 39*5 Temperatur zeigte und den Eindruck einer Sinuskompli¬
kation machte. Bei der Operation wurde ein perisinuöser Abszeß aufgedeckt,
die Dura der mittleren Schädelgrube war normal. Beim Abheben der Sinus¬
schale riß der Sinus an der Stelle der stärksten Veränderung ein und es erfolgte
Blutung im vollen Strahl. Bei dem 2 Tage später vorgenommenen Verband¬
wechsel war der Sinus noch etwas bluthaltig. Da aber die Temperatur weiter
pyämisch über 40° anstieg, wurde die Sinus-Jugularisoperation vorgenommen,
wobei es sich zeigte, daß die äußere Sinuswand nekrotisch war und an der
Stelle der früher angenommenen Sinusverletzung die äußere Sinuswand in
Bohnengröße nekrotisch eingeschmolzen war. Die Thrombose wurde bulbus-
und torkularvvärts erreicht. Intern bestanden Symptome einer hämorrhagischen,
offenbar metastatischen Nephritis. Unter meningealen Erscheinungen erfolgte
4 Tage nach der Jugularisoperation Exitus. Bei der Obduktion zeigte es sich,
daß es sich um eine ausgedehnte, offenbar vom Mittelohr nach aufwärts weiter¬
geleitete Osteomyelitis im Bereiche der linken Kalvaria handelte und daß sich
entsprechend dieser Knochenveränderungen an der Außen- und Innenfläche
der harten Hirnhaut handtellergroße eitrige Auflagerungen fanden, die im
selben Bereiche eine eitrige Leptomeningitis, speziell im Stirn- und Scheitel¬
lappen bewirkten. Man wird wohl in diesem Falle annehmen müssen, daß die
von der Otitis ausgehende Osteomyelitis (bakteriologisch ergaben sich Strepto¬
kokken, das Armvenenblut war steril) die Ursache sowohl für die Sinus¬
veränderungen als auch für die Erscheinungen an den Meningen gewesen ist.
VIII. J. Popper: Demonstratioo eines Präparates einer Kavernosus-
thrombose.
Ich erlaube mir, Ihnen hier das Präparat von einem 39jährigen
Patienten zu demonstrieren, der wiegen einer akuten Exazerbation seiner
rechtsseitigen chronischen Otitis die Klinik Neu mann aufsuchte. Die
Otitis war 30 Jahre alt, bestand also seit seinem 9. Lebensjahre, die Exa¬
zerbation war vor zirka 4 Wochen nach Verkühlung aufgetreten. Da sich im
Verlaufe derselben hohes Fieber — angeblich bis 41° einstellte — und noch
Kopfschmerzen auftraten, wurde Pat. an unsere Klinik gewiesen.
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922).
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Wir konnten folgenden Befund erheben: Totaldestruktion des rechten
Trommelfelles, Polyp aus dem Antrum, reichliche fötid-eitrige Sekretion,
Weichteile des Warzenfortsatzes leicht gerötet und leicht ödematös. V =
0*25m; v = 0. Vestibularapparat o. B. Linkes Ohr: Normal.
Augenbefund (Assistent Nowak): Keinerlei entzündliche oder
Stauungserscheinungen an der Papille.
Der interne Befund war ebenfalls negativ. Zugangstemperatur 36*9,
Puls 82.
Am Tage der Aufnahme wird die Radikaloperation gemacht, der Sinus
auf zirka 3 cm freigelegt, er zeigte normale Wand. Nach Blutentnahme aus
der Armvene wird diese Operation beendigt. Lumbalpunktat normal.
Da in den nächsten Tagen die Temperaturen deutlichen septischen
Charakter zeigen, im Armvenenblut sich Streptokokken nachweisen lassen,
wird 3 Tage nach dem ersten Eingriffe die Jugularis ligiert, der Sinus breit
gespalten. Beide Gefäße sind bluthältig und ergeben gleichfalls Streptokokken
in der Kultur.
Am nächsten Tage unter Erscheinungen von Herzinsuffizienz Exitus.
Die Obduktion (Dr. Feiler) ergab nun, abgesehen von dem üblichen
septischen Befunde an den inneren Organen Folgendes: reichliche Eiter¬
ansammlung im Sinus cavernosus (im Ausstrich Streptokokken), sämtliche
anderen Sinus sind frei von Thrombose, die Nebenhöhlen der Nase sind normal.
Da wir zur Erklärung dieses Befundes einen entzündlichen Herd an der
Pyramidenspitze anzunehmen geneigt sind, der entweder auf dem Wege von
ostitischen Veränderungen oder mit Hilfe der Venen des Plexus carotideus
den Kavernosus attakierte, so werden wir das Schläfebein noch histologisch
untersuchen (Demonstration des Präparates).
IX. E. Urbantschitsch: Rezidivierende akute Mastoiditis mit
perakut verlaufender tuberkulöser Meningitis und Erscheinungen eines Hirn-
Abszesses.
Der 9jährige Ludwig K. war von mir ajn 20. X. 1921 wegen eines rechts¬
seitigen akuten Mastoiditis operiert worden. Bei der Aufmeißlung zeigten sich
alle Zellen des Warzenfortsatzes von der Terminalzelle bis ins Antrum eitrig
erkrankt ; insbesondere waren die Zellen an der Dura der mitteleren Schädel¬
grube vereitert. Bakteriologischer Befund: Streptokokken. Verlauf bis auf
Fieber in den ersten 2 und Gesichtsödem rechts in den ersten 7 Tagen post
operationem normal. Entlassung aus dem Spital am 12. XI, aus der Behandlung
nach vollständiger Heilung Ende November 1921.
’ Anfang Jänner 1922 trat, nachdem sich Pat. den ganzen Dezember
vollständig wohl gefühlt hatte, plötzlich Erbrechen auf (6- bis 7mal im Tag);
gleichzeitig brach die retroaurikuläre Wunde auf und es entleerte sich hämor¬
rhagisches Sekret, weshalb ich Pat. wieder aufnahm. Keine Kopfschmerzen,
kein Schwindel; Erbrechen täglich, doch weniger als anfangs.
Ohrenbefund: Rechts Trommelfell bis auf den geröteten Hammer¬
griff grau, eingezogen; keine Perforation. Retroaurikulär eine linsengroße
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922).
Fistelöffnung, die in den oberen Teil (Duragegend) der Operationshöhle führt;
daselbst spärlich blutiges Sekret. Links ohne Besonderheiten. R+,+;
W S — (1) , =. Kein spontaner Nystagmus, kein Fistelsymptom; prompte
kalorische Reaktion.
Interner und Nervenbefund: Systolisches Geräusch an der
Herzspitze, leichte Akzentuation des 2. Pulmonaltones. Brad ykardie
(Puls 59 bis 38*6° Temperatur). Weicher Milztumor. Pupillen mittelweit,
prompt reagierend (L. u. A.). Keine Nackensteifigkeit, keine Druckempfindlich¬
keit der Halswirbelsäule. Sensibilität beiderseits gleich, nicht erhöht. Dermo-
graphie. Alle Reflexe etwas gesteigert; beiderseits leichter Fußklonus; kein
B a b i n s k i, Andeutung von Kernig. Keine Kopfschmerzen.
Blutbefund (Dr.D immel): 8000 Leukozyten: 75% polynuklear L.
2’5% mononucleare L., 22*5% Lymphozyten, 0 # 1% eosinophile L.
Augenbefund (Prof. Lauber): Fundus normal. Gesichtsfeld:
leichte Einschränkung im linken oberen Temporalquadranten.
Operation am 12. 1.: Einzelne Zellen erkrankt, jedoch kein freier
Eiter in denselben. Breite Freilegung der Dura der mittleren Schädelgrube.
Dieselbe wölbt sich halbkugelig vor, „stellt sich ein“; sie ist gerötet und pulslos.
Bei Inzision derselben quellen sofort Hirnmassen hervor (histologisch ohne
Veränderung); Probeinzisionen in den Schläfelappen negativ.
Lumbalpunktion: Druck ziemlich stark erhöht. Liquor leicht
getrübt. Nonne Apelt: + + +, Lymphozyten 918; Spinnweben¬
gerinnsel + + +. Keine Bakterien.
Verlauf: 13. I.: Keine Kopfschmerzen, kein Schwindel, etwas Er¬
brechen. Keine Nackensteifigkeit; Puls 90, Temperatur 38°. Subjektive
Besserung.
14. I.: Subjektives Befinden zufriedenstellend. Schlaf etwas unruhig,
Appetit gebessert. Puls 90, Temperatur 39’4.
15. 1.: Geringes Erbrechen anhaltend, Temperatur und Puls geringer.
18. 1.: Leicht benommen. Hauthyperästhesie. Kein Erbrechen mehr.
Zeitweise Unruhe. Verfallen. Puls 65, Temperatur 38*5.
19. 1.: Unruhe (Pat. schlägt um sich), Benommenheit. Kein Erbrechen,
geringe Nahrungsaufnahme. Fehlende Bauchdeckenreflexe. Incontinentia
urinae et alvi. Diagonaler Nystagmus.
20. I.: Neurologischer Befund (Prim, infeld); Tief be¬
nommen. Pupillen fast reaktionslos, mittelweit, Kornealreflexe fehlend. Die
linke Körperhälfte fast ohne alle Bewegungen. Die Atembewegungen links
kaum erkennbar. Linke Achillessehne gespannt. Die rechte obere Extremität
fast fortwährend in Bewegung, indem er sich mit ihr unaufhörlich scheuert.
Die Bewegungen des rechten Beines erfolgen unabhängig davon. Rechte
Achillessehne gespannt. Beiderseits B a b i n s k i positiv. Keine Nacken¬
steifigkeit, vielleicht geringe bei Beugung, keine sichereDruckschmerzhaftigkeit,
Bauchdecken eingezogen, so daß deren Reflexe nicht sicher zu beurteilen sind,
kein Kernig.
21. I.: Zustand im allgemeinen unverändert.
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Vereinsberichte (österr. otol. Ges. t Mai 1922).
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22. I.: Zunehmende Benommenheit, dabei zunehmende Unruhe. Puls 75,
Temperatur 37*8.
20. I.: 6 Uhr früh Exitus letalis.
Obduktionsbefund (Dr. Paul): Miliartuberkulose mit ziemlich
spärlicher junger Aussaat in den inneren Organen, jedoch mit hochgradiger
Beteiligung der rechten Hirnhäute. Meningitis tuberculosa in Form des typi¬
schen sulzigen Ödems an der Hirnbasis, geringer Hydrozephalus internus,
hochgradiges Hirn ödem. Blaßrötliche Fleckung in den Stammganglien beider
Hemisphären, rechts stärker ausgesprochen. Haselnußgroßer, verkäster tuber¬
kulöser Primärherd an der Basis des linken Unterlappens, Verkäsung und
zentrale Erweichung der Bifurkationslymphdrüse. Konfluierende Broncho-
•pneumonie im linken Unterlappen.
Epikrise: Bei dem 9jährigen Kinde entwickelte sich 2% Monate
nach der Aufmeißlung des Warzenfortsatzes wegen akuter eitriger Mastoiditis
dextra eine Rezidive (ohne Beteiligung der Paukenhöhle) mit rasch ver¬
laufender tuberkulöser Meningitis als Folgeerscheinung einer miliaren Tuber¬
kulose. Nach den Erscheinungen hatte man einen rechtsseitigen Schläfen¬
lappenabszeß annehmen müssen; für diesen sprachen 1. das zerebrale Er¬
brechen, 2. die Bradykardie; 3. die Gesichtsfeldeinschränkung; 4. der Blut¬
befund, besonders die Eosinophilopenie; 5. die Trübung des Liquors bei
Steigerung des Druckesund Sterilität; 6. die , Einstellung“ der Dura nach deren
breiten Freilegung als Ausdruck des hochgesteigerten Hirndruckes. Trotzdem
fand sich kein Schläfelappenabszeß, dafür eine sehr starke akute tuberkulöse
Meningitis, hauptsächlich der rechten Seite mit hochgradigem Hirnödem.
Auffallend war in diesem Fall der völlige Mangel an Kopfschmerzen;
auch fehlten Nackensteifigkeit, Druckschmerzhaftigkeit der Halswirbelsäule
und K e r n i g, so daß eigentlich klinisch keine typischen Meningitissymptome
Vorlagen. Inwieweit hier ein Zusammenhang zwischen der Meningitis und der
Mastoiditis bestand, läßt sich nicht mit Sicherheit nachweisen; immerhin er¬
scheint ein solcher doch einigermaßen wahrscheinlich — vielleicht auch durch
die Zirkulationsstörungen im Kopfe begünstigt — zumal ich schon wiederholt
das zeitliche Zusammentreffen beider Erkrankungen beobachten konnte.
X. E. R u 11 i n: Über Mukosusmeningitis.
Ich zeige Ihnen die Felsenbeine von 4 Meningitisfällen, die insofern
interessant sind, als alle Fälle von otogener Meningitis sind, die sich im An*
Schluß an Mukosusotitiden entwickelt haben. Diese Fälle wurden in ziemlich
rascher Aufeinanderfolge in der letzten Zeit an die Klinik Neumann ein¬
geliefert, so daß man den Eindruck eines epidemischen Auftretens hatte.
Nun hatten wir im vorigen Jahre eine Grippeepidemie, die sich bis hinein
in den April dieses Jahres erstreckte. Wir hatten etwa seit November vorigen
Jahres bis jetzt 87 akute Otitiden aufzumeißeln. Davon waren nun 18Mukosus*
fälle, von denen 5 letal endeten. Die meisten dieser Mukosusfälle sind nun am
Ende dieser Epidemie aufgetreten. Die Ursache mag darin liegen, daß der
Streptococcus mucosus vielleicht erst gegen Ende der Epidemie aufgetreten
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Vereinsberichte (öst. otoL Ges., Mai 1022).
ist, oder vielleicht auch darin, daß ja der Verlauf der Mukosusotitis ein sehr
schleppender ist und daher die Mukosusmastoiditis bzw. die Komplikation erst
spät zur Behandlung kam.
Fall I. H. S., 50 Jahre alt, Schustergeselle. Aufnahme am 29. III. Der
Pat. wurde an eine medizinischen Abteilung mit Meningitis eingeliefert. Da
sein Meister in meiner Behandlung stand, nannte er im Delirium meinen
Namen, weshalb von den dortigen Ärzten irrtümlich angenommen wurde,
ich hätte ihn behandelt. Da auch die Lumbalpunktion im Punktat Strepto¬
coccus mucosus, in Reinkultur ergab, wurden wir hinzugezogen, obwohl sonst
eigentlich nichts auf Ohr hinwies. Das rechte Trommelfell grau, trüb, kein
Lichtreflex, Hammergriff leicht gerötet, keine Senkung, auch nach vor¬
genommener Parazentese und Aspiration kein Sekret. Linkes Trommelfell
normal. Hörprüfung wegen Bewußtlosigkeit unmöglich. Kalorische Reaktion
jederseits typisch (aber anstatt Nystagmus nur die entsprechende Deviation).
Ausgesprochen meningeale Erscheinungen. (Nackensteifigkeit, Kernig,
L i chtscheu, enge Pupillen, PSR und ASR gesteigert, BDR nicht auslösbar,
B a b i n s k i und OppenheimO.) Später trat noch vertikaler Nystagmus
auf. Bei der Operation fand sich der pneumatische Warzenfortsatz mit derben
Granulationen und schleimigem Eiter in großer Ausdehnung durchsetzt. Frei¬
legung der Dura beider Schädelgruben und des Sinus, die alle hyperämisch,
aber sonst nicht verändert sind. Inzision der Dura, Punktion des Schläfe¬
lappens und Kleinhirns negativ, Sinus bluthältig. Exitus am 20. III.
Obduktionsbefund: Basale eitrige Meningitis mit reichlich eitrigem
Exsudat und Lokalisation in der Zysterna chiasmatis, den Sylvischen Gruben
und besonders in der Zysterna cerebello-medullaris. Die Meningitis erstreckt
sich auch seitwärts bis etwa einen Querfinger breit über die Sylvische Spalte
hinaus. Pyozephalus. Bronchitis mit Obdurationsatelektase. Blut aus dem
Sinus: Streptococcus mucosus.
Die besondere Tücke und Bösartigkeit des Verlaufes geht in diesem
Falle auch daraus hervor, daß er nur durch einen Zufall der otologischen
Untersuchung zugeführt wurde, so wenig otologische Symptome wies er auf.
Der Weg, den die Meningitis nahm, war jedenfalls nicht übers Labyrinth,
wahrscheinlich lympho- und hämatogen, denn im Blute fand sich auch Strepto¬
coccus mucosus.
Fall II.: J. R., Schuhmachermeister. Aufnahme an die Klinik Neu¬
mann am 9. IV. 1922. Pat. war vor einigen Wochen von einem Kollegen
wegen akuter Mastoiditis operiert worden und fand sich noch vorgestern bei
demselben zur Nachbehandlung ein, ohne über irgend etwas zu klagen. Gestern
wurde er plötzlich bewußtlos. Bei seiner Einlieferung an die Klinik bestand
39° Fieber, das Trommelfell ist verdickt und gerötet, keine Sekretion. Narbe
hinter dem Ohre, die bis auf eine kleine Fistel im unteren Schnittrand geschlossen
ist. Funktionsprüfung unmöglich. Augenbefund neg. Lumbalpunktat milchig
getrübt, geringer Druck.Operation:Antrotomiehöhle reichlich mit Granulationen
erfüllt. Sinus auf 2 cm Ausdehnung freiliegend, schwartig verdickt. Im Zygo-
matikus und in der hinteren Gehörgangswand mit schwartigen Granulationen
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Vereinsberichte (ösfcerr. otol. Ges., Mai 1922).
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erfüllte Zellen. Der Sinus wird nach oben und unten bis ins Gesunde freigelegt.
Beim Übergang der kranken in die gesunde Sinuswand im Petrosuswinkel
Blutung, die auf Tamponade steht. Dura beider Schädelgruben freigelegt, nur
leicht graurot verändert, wird inzidiert. 10. IV. Exitus. Obduktionsbefund
(Löffler): Basale eitrige Meningitis mit reichlichem Exsudat in den Fossae
Sylvii und in der Cysterna chiasmatis und interpeduncularis. Entlang dem
Lnfundibulum setzt sich das Exsudat unter das Diaphragma sellae fort, wobei
es zu einer eitrigen Einschmelzung der Hypophyse gekommen ist. Entlang
der Fissura transversa cerebri setzt sich das Exsudat auf die Decke des dritten
Ventrikels fort. Auf beiden Seiten reicht die Meningitis bis über die Fossa
Sylvii auf die Konvexität hinauf. Sinus sphenoidalis frei. Im Eiter Strepto¬
coccus mucosus. Im Liquor Streptococcus mucosus in Reinkultur. Sämtliche
Sinus frei.
Auch dieser Fall zeigt wieder den eigenartigen schleichenden Verlauf
der Otitis, die selbst nach der Operation von zurückgebliebenen Zellen aus
ohne Symptome fortschreiten und plötzlich zur Meningitis führen kann.
Fall III. Cz. J., 59 Jahre, Aufnahme an die Klinik N e u m a n n am
20. II. 1922. Vor 5 Wochen Influenza und Ohrenstechen links, wurde von einem
Ohrenspezialisten parazentesiert. Daraufhin leichte Sekretion, abermalige
Parazentese, keine stärkere Sekretion. Zur Zeit der Aufnahme nur schlechtes
Gehör und Stirnkopfschmerz.
Bei der Aufnahme fand sich auf dem linken Ohre starke Senkung der
hinteren oberen Gehörgangswand, Trommelfell graurot, geringe Druck¬
empfindlichkeit des Warzenfortsatzes. 22. II. Parazentese, keine Sekretion.
24. II. Klagt über Kopfschmerzen, leichte Druckempfindlichkeit des Warzen¬
fortsatzes an der Spitze. Willigt noch nicht in eine Operation. 1. III. Plötzlich
Nachmittag Erbrechen, Kopfschmerz, Schüttelfrost, 39*5. Keine meningealen
uymptome. Operation: Eröffnung des pneumatischen, mit schleimigem Eiter
Snd Granulationen erfüllten Warzenfortsatzes. Dura beider Schädelgruben
freigelegt, mit Granulationen bedeckt, Sinus freigelegt, wenig verändert,
Freilegung bis ans obere und untere Knie. Probepunktion: Kein Blut. Jugu-
larisunterbindung, Ausräumung der Thromben, bis Blutung erreicht wird.
Nervenbefund, Fundi normal. Nachbehandlung. Am 3. III. Kopfschmerz,
39'1, horizontaler Nystagmus nach rechts. Lumbalpunktat trüb. 4. III.
Exitus. Obduktionsbefund (Dr. F öd er 1): Frische eitrige Meningitis von der
Basis auf die Konvexität, insbesondere links, übergreifend. Im Sinus trans-
versus sinister ein geschichteter, parietaler, das Lumen vollständig obturierender
Thrombus, der bis an den Confluens sin. reicht. Übrige Sinus frei. Eiter aus
dem Warzenfortsatz, Thrombus aus dem Sinus und Lumbalpunktat: Strepto¬
coccus mucosus in Reinkultur.
Auch in diesem Falle fällt wiederum die Plötzlichkeit des Eintretens
der Komplikation bei relativ geringen Symptomen der Otitis auf, ferner fällt
auch das fast gleichzeitige Eindringen des Streptococcus in die Meningen
und ins Blut auf.
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922).
IV. J. H., 56 Jahre, Aufnahme an die Klinik Neu mann 16. IV.
1922. Vor etwa 2 Wochen nach Grippe heftige Kopfschmerzen auf der linken
Kopfseite bekommen. Parazentese links (Jl. IV. 1922), geringer Ausfluß,
heftige Ohrenschmerzen und Kopfschmerzen. Am 16. IV. plötzlich auffallend
starker Ohrfluß, aber Pat. ging noch in die Arbeit, hat sich um 11 Uhr
vormittags niedergelegt und um 4 Uhr nachmittags noch mit seinem Sohn
gesprochen, knapp hernach legte Pat. ein merkwürdiges Benehmen an den
Tag und nahm unmotivierte unkoordinierte Handlungen vor.
Status praesens: Schwer benommen, auf Anruf schlägt er die
Augen auf, ohne weiter zu reagieren, Stöhnen, große motorische Unruhe
(wirft sich hin und her, Abwehrbewegungen, Lippenzuckungen), Pupillen
reagieren prompt auf Licht, PSR. und ASR rechts etwas herabgesetzt,
Babinski und Oppenheim negativ. Kernig positiv, keine Nacken¬
steifigkeit, Augenlider und Bulbi in leicht zitternder Bewegung, Atmung
unregelmäßig. Temperatur 39*2, Puls 80.
R. 0. Ohne Befund. L. 0. Profuse, dünnflüssige, nicht fötide eitrige
Sekretion, Senkung der hinteren oberen Gehörgangswand, Trommelfell diffus
gerötet, mit Schuppen bedeckt, Perforation nicht sichtbar. Stimmgabel¬
und Höruntersuchung nicht durchführbar. Auf linken Auge reagiert er
nicht, auch 6 Spritzen kalten Wassers erzeugen keinen deutlich feststell¬
baren Nystagmus.
Lumbalpunktion: Unter starkem Druck trüber Liquor, in dem
sich bald Fibrinflocken niederschlagen.
Operation: Warzenfortsatz mit Eiter und Granulationen erfüllt.
Knochen gegen die Dura der mittleren Schädelgrube und in der Zygomatikus-
wurzel erweicht. Dura der mittleren Schädelgrube breit freigelegt, sie ist
weißlich belegt, gespannt. Freilegung der hinteren Schädelgrube beim Ab¬
heben eines Knochensplitters Blutung aus dem Sinus, die Blutung steht
leicht auf Tamponade. Breite Freilegung der Dura der hinteren Schädelgrube,
die außer einer Hyperämie und geringen weißlichen Auflagerung keine Ver¬
änderungen zeigt. Ausräumung von Zellen an der Spitze, Inzision der Dura
der mittleren und hinteren Schädelgrube, wobei sich aus letzterer Liquor
entleert.
17. IV. Exitus.
Obduktion: 18. IV. 1922 (Dr. Feiler): Subakute basale eitrige
Meningitis, auf beiden Seiten auf die Konvexität übergreifend.Meningitiseiter
Streptococcus mucosus. Eiter aus dem Warzenfortsatz und im Lumbalpunktat:
Streptococcus muscosus.
Hier ist die verhältnismäßig kurze Dauer der Erkrankung auffällig.
Gewöhnlich dauert es bei der Mukosusotitis viel länger, bis es zur Kompli¬
kation kommt.
XI. Ruttin: Sinusthrombose mit enormem TemperatnrabfalL
N. L., 30 Jahre alt, aufgenommen 8. III. 1922. 8. III. Seit Oktober
eidet Pat. an eitrigem Ausfluß aus dem linken Ohr, der zirka 4 Monate an-
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Mai 1922).
563
hielt, dann erfolgte eine Besserung; kein Ausfluß mehr. Vor 12 Tagen im
Anschluß an ein Dampfbad Fieber, Kopfschmerz, Schüttelfrost und Appetit¬
losigkeit, gleichzeitig setzte starker Ohrfluß ein. Abends angeblich 40’4.
R. 0. Getrübtes, leicht gerötetes Trommelfell. — L. 0. Trommelfell
verdickt, gerötet, eine zentrale Perforation. Rechts normales Hörvermögen,
links Konversationssprache a. c. Stimmgabelbefund: Schalleitungshindernis
Pat. hat, kaum ins Bett gelegt, einen 10 Minuten dauernden Schüttelfrost,
Temperatur 41*8°, klagt über heftige Stirnkopfschmerzen, quälenden Husten,
Sensorium klar, Zunge belegt, feucht, keine meningealen Erscheinungen.
Interner Befund: Uber der rechten Lunge leicht gedämpfter
Schall, daselbst hauchendes Atmen, einzelne Rasselgeräusche. Herztöne
dumpf. Puls 132.
12. III.: Augenbefund (Dr. Urbanek): Die Venen etwas er¬
weitert, von zarten weißen Exsudatstreifen eingescheidet, die Arterien
normal, keine Hämorrhagien.
Temperaturabfall am selben Abend auf 36°.
9. III. Operati on (Dr. Ruttin): Der Warzenfortsatz enthält
mittelgroße Zellen, die mit Granulationen erfüllt sind, nach einigen Meißel¬
schlägen quillt Eiter in mäßiger Menge hervor, der erkrankte Knochen
reicht bis an die Dura der mittleren Schädelgrube heran, die auf Kronenstück¬
größe freigelegt wird. An einer mehr als bohnengroßen Stelle befindet sich
eine blasenförmige Vorwölbung mit ziemlich stark verfärbten Rändern, man
hat den Eindruck, daß sich hier eine große Fistel in der Dura befindet, durch
die das noch mit grauroter Leptomeninx bedeckte Zerebrum prohibiert.
Totalaufmeißelung, Hammer und Amboß anscheinend wenig verändert, Frei¬
legung des Sinus, der von dicken Auflagerungen bedeckt ist; großer, peri¬
sinuöser Abszeß, der bis über die Mitte des Sinus lateralis reicht. Der Abszeß
enthält graugelben fötiden Eiter. Die Punktion des Sinus ergibt Throm
böse. Freilegung des Sinus bis 2 cm 3 oberhalb des oberen Knies nach auf¬
wärts, bis zum Bulbus nach abwärts.
Unterbindung der Vena jugularis interna.
Spaltung des Sinus sigmoideus, welcher an der Einmündung des Sin.
petros. supr. stark erweitert ist; ebenso ist auch der Sin. petros. sup. stark
erweitert. Ausräumung der Thromben, von oben starke, von unten mäßige
Blutung.
12. III. V. W. Versuch einer Durchspülung gelingt nicht, es tritt mäßige
Blutung ein, bei Lüftung des Tampons über dem Sinus blutet ebenfalls.
Morgens 36*6, anhaltend bei subjektivem Wohlbefinden. Pat. schläft gut, ißt
gut; mäßige ballige Expektoration.
14. III. V. W. die Durchspülung der Jugularis ergibt ein negatives
Resultat, doch kommt dann nach einigen Versuchen doch Blut.
24. III. Pat. erbricht abends; da gleichzeitig auch ein anderer Pat. er¬
bricht, der von dem gleichen Nachtmahl genossen hat, scheint es sich um
eine Gastritis zu handeln.
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564
Vereinsberichte (österr. otoL Ges., Mai 1022).
26. III.: Wohlbefinden, kein spontaner Nystagmus, Axmvenenblut steril.
29. III.: Beiderseitige Neuritis opt. Pupillen rötlich, etwas unscharf
begrenzt, Venen erweitert, geschlängelt, kleine Blutungen längs der Gefäße,
geringe Exsudation und ödem der Netzhaut in nächster Umgebung der
Papillen. (Dr. Novak.)
30. III.: Heftiger Schüttelfrost, 40*7.
Operation (Dr. R u 11 i n) 31. III.: Freilegung des Sinus bis zum
Torkular, die Sinuswand ist zirka 2 Querfinger über die ursprüngliche Frei¬
legung hinaus stark verändert, sie sieht gangränös aus, ist an einer Stelle ein¬
geschmolzen, anscheinend bestand hier ein perisinuöser Abszeß, gegen das
Torkular wird der Sinus normal. Spaltung bis nahe an das Torkular, es erfolgt
Blutung. Nach der Operation hat der Pat. starken Schüttelfrost, 40*5.
3. IV.: Auftreten einer Fazialparese im Mundast, leichter im Augenast-
Armvenenblut steril.
5. IV.: Die ganze Wunde der Nachoperation mit guten Granulationen
erfüllt, mäßig sezernierend, es werden nun die Tampons gewechselt. Cinin.
8. IV.: Probatorische Injektion von 0*000001 Tuberkulin zwecks Fest¬
stellung, ob es sich möglicherweise um einen spezifischen Prozeß handelt, der
auf den Fazialis übergegriffen hat.
28. IV.: Fazialis unverändert, starke Wundgranulation.
Blut aus der Armvene: Staphylococcus alb. nachweisbar. 15*3.
Thrombus aus dem Sinus: Bakteriengemenge mit Staphylokokken und
Streptokokken.
Sinusblut: 12*3. Bakteriengemenge.
Eiter aus dem Warzenfortsatz: Bakteriengemenge. 12*3.
Blut aus der Armvene: Staphylokokken. 12*3.
Bemerkenswert ist zunächst der außerordentliche Temperaturabfall
von 41*8 auf 36*0 in einem Tage. Der Temperatursturz war ein derartiger,
daß wir uns nicht getrauten, am selben Tage in Narkose zu operieren.
Bemerkenswert ist auch der eigentümliche Befund an der Dura der
mittleren Schädelgrube. Ferner ist interessant, daß die Thrombose, trotzdem
sie schon bei der ersten Operation beherrscht wurde, doch noch weiter ging
und erst durch eine neuerliche Operation behoben wurde.
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Vereinsberiohte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
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Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft.
Sitiung vom 1. Februar (Hauptversammlung).
(Offizielle Verhandlungsschrift.)
Vorsitzender: H a j e k.
Schriftführer: Suchanek.
Wissenschaftliche Sitzung:
1. Fein: Fall von Rhinosklerom mit Übergreifen auf die Tränenwege.
Es handelt sich um einen 37jährigen Mann aus Bessarabien.
Die vordere Nase ist frei, nur die hintere ist ergriffen. Die Choanen sind von
den Infiltraten fast ganz ausgefüllt. Der Prozeß hat von der Nase aus durch
die Tränennasengänge beiderseits auf die Tränensäcke übergegriffen und in
den inneren Lidwinkeln große Infiltrate gebildet. Die histologische und
bakteriologische Untersuchung hat die klinische Diagnose bestätigt. Es werden
Röntgen- und Radiumbestrahlungen vorgenommen werden.
II. Tenzer: 1. Fall von Totalexstirpation wegen Cardnoma laryngis
vor 6 Jahren.
An dem Pat. wurde die Operation im Jahre 1916 von weiland Prof.
Koschier vorgenommen. Pat. ist vollkommen gesund, verrichtet das Amt
eines Schulwartes und hat eine bemerkenswert gute Pseudostimme. Demon¬
stration des Präparates, das einen pilzartigen Tumor der einen Kehlkopf¬
seite zeigt.
2. Pseudopapillomatosis laryngis luetica.
Pat. ist seit dem 9. Lebensjahr aphonisch, kam mit den Erscheinungen
höchster Atemnot auf die laryngologische Abteilung der Poliklinik. 1. Befund:
Gestielter, vom rechten Stimmband ausgehender flottierender Polyp, der
während der Atmung ventilartig die enge Stimmritze temporär verschließt.
Hochgradige Wulstung und Deformation der falschen und wahren Stimm¬
bänder, die auch Fortsätze in den subglottischen Raum schicken; auffallend
die hochgradige, hügelig geformte Pachydermie der Interarytänoidalfalte;
in direkter Laryngoskopie wird mit einem kräftigen, konchotomartigen In¬
strument der Polyp entfernt, hierauf einige Stückchen zum Zweck der histo¬
logischen Untersuchung exzidiert; es trat eine wesentliche Besserung der
Atmung ein.
Diagnose: Polyposis (Pachydermia) diffusa, wobei an eine Spezifität
der Erkrankung gedacht wurde, wenngleich das klinische Bild weder Tbc.
noch Lues als besonders wahrscheinlich annehmen ließ; es wurde auch an
eine nicht spezifische Pseudopapillomatosis gedacht.
Der histologische Befund (Prof. Sternberg) ergab das Bild eines
ödematösen Bindegewebes nach Art eines Kehlkopfpolypen. Überrasch ender¬
weise ergab die Blutprobe einen komplett positiven Wassermann,
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566
Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
so daß man die Erkrankung wohl als eine luetische ansprechen muß, wenn¬
gleich die Dauer seit der Kindheit — Zeichen hereditärer Lues fehlen — in
Widerspruch damit steht. Die jetzt eingeleitete antiluetische Kur wird vielleicht
volle Aufklärung bringen 1 ).
Aussprache:
' H a j e k betont mit Hinweis auf das vorgestellte Präparat des exstirpierten
Larynx die Wichtigkeit der Frühoperation. Ferner ersucht er um spätere Mitteilung
über den zweiten vorgestellten Fall und befragt Marsch ik über das Schicksal
des seinerzeit vorgestellten Herpes laryngis.
Marschik: Der Fall ging in Heilung aus, nachdem wochenlang die kon-
fluierten Beläge auf beiden Taschenfalten bestanden hatten, die noch von länger
dauernden einfachen Entzündungen der Larynxschleimhaut gefolgt waren. Keinerlei
Erscheinungen an anderen Stellen des Rachens oder des Kehlkopfes. Bis auf die
ersten, vom Vortr. nicht beobachteten Tage der Erkrankung stets fieberfrei.
III. Hugo Stern: Untersuchungen über das sogenannte Doppelpfeifen
und den „akustischen Nachton“.
Ich möchte Ihnen heute über Untersuchungen berichten, die das so¬
genannte Doppelpfeifen betreffen. Unsere Mundpfeiftöne kommen nach dem
Prinzip des Jägerpfeifchens zustande, und zwar entstehen die Töne bei diesem
dadurch, daß der quer durch den Hohlzylinder streichende Luftstrom die
Luft mit sich nach außen reißt, wodurch es dann im Innern zu einer Luft-
verdünnung kommt; diese wird durch das Eindringen der äußeren atmo¬
sphärischen Luft wieder ausgeglichen, ein Vorgang, der sich beim Anblasen
immer wieder aufs neue wiederholt. Beim Mundpfeifen bilden wir einen
Hohlraum zwischen 2 Engen, deren erste zwischen Zungenrücken und harten
Gaumen liegt, während die zweite durch die stark zugespitzten Lippen ge¬
bildet wird; es wird also auf diese Weise eine eingeschlossene Masse (ohne
Vermittlung einer Zunge) in Schwingungen gebracht. So ist es bei den ein¬
fachen Mundpfeiftönen, deren beabsichtigte Tonhöhe durch feinste und
exakteste Veränderungen des vertikalen sowie des sagittalen Durchmessers
der Zunge reguliert wird.
In der letzten Auflage des Handbuches der Physiologie weist nun
W. Nagel auf das gelegentlich von manchen Menschen produzierte
Doppelpfeifen hin und bemerkt hierzu: „Wie das gemacht wird, habe
ich nicht ermitteln können“. Auf Anregung Hofrat Prof. Dr. Durig habe
ich mich nun bemüht, das Wesen des Mechanismus des Doppelpfeifens zu
erklären. Wenn man dieses Doppelpfeifen hört (Vortr. demonstriert nun einen
Herrn, der Doppelpfeifen kann, und zwar erst vom Vorraume des Hörsaals aus,
dann im Hörsaal selbst) und dies insbesondere aus einiger Entfernung, sagt
man unwillkürlich: Die zwei pfeifen schön. Von za. 60 Personen, welche vorher
nichts davon wußten, daß es sich um dieses Akuomen (= akustisches Phänomen)
handelt, waren alle, bis auf eine Person überzeugt, daß da zwei Menschen in
l ) Nachtrag (Prof. Marschik): 3 Wochen antiluetischer Behandlung
brachten rasche und auffallende Veränderung des laryngoskopischen Bildes, die
Papillome werden flach und verschwinden rasch, Pat. ist in die Heimat abgegangen.
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Vereinsberichte (Wiener l&r.-rhinol. Ges., Febr. 1922). 567
Terzen eine Melodie pfeifen. Mit Rücksicht auf das früher Ewähnte bezüglich der
Bildung der beiden Engen, die beim gewöhnlichen Pfeifen gebildet werden,
war es mir von vornherein klar, daß es sich wohl kaum darum handeln könnte,
daß beim Doppelpfeifen etwa vier Engen zu gleicher Zeit gebildet werden. Ich
kam nun auf die Idee, eine solche Doppelpfeifmelodie mit der größt¬
möglichsten Geschwindigkeit phonographisch aufzunehmen und beim Re¬
produzieren zuerst dieselbe Geschwindigkeit zu benutzen, beim zweiten Male
aber die Reproduktion mit der möglichst geringen Umdrehungsgeschwindigkeit
abzuhören. Wir wissen, daß auf diese Weise das mittels des Phonographen
Aufgenommene nicht nur erheblich tiefer reproduziert wird, sondern durch
den abnorm langsamen Ablauf auch Details offenbart werden, die einer
akustischen Analyse zugänglich sind. (Demonstration einer derartigen phono-
graphischen Aufnahme.) Bei Einschaltung der kleinsten Umdrehungs¬
geschwindigkeit zeigte sich nun das überraschende Resultat,
daß es sich nicht um zwei synchron produzierte Töne
handelt, sondern um zwei aufeinanderfolgende, die den
akustischen Eindruck des (scheinbar) gleichzeitigen
Ansprechens hervorrufen. Was das Doppelpfeifen selbst an-
belangt, so hätte ich bezüglich der Veränderung des Mundbodens, der Wangen¬
muskulatur, über das Röntgenbild, das wir beim Aufnehmen desselben erhalten,
über die Glyphenübertragung durch den Hauser sehen Apparat (des
Phonogrammarchivs der Akademie der Wissenschaften) und noch über eine
ganze Reihe anderer hierher gehörigen Fragen zu berichten; ich möchte aber
alles diesbezüglich Ergänzende einer ausführlichen Publikation Vorbehalten.
Stellt das Doppelpfeifen an und für sich an alle hierbei in Betracht
kommenden Organe bezüglich präziser und strikter Einstellung die höchsten
Anforderungen und zeigt speziell die Zunge hierbei feinste Grade der Inner¬
vationsmöglichkeit und solche der Innervationsveränderungsbreite, die dieses
interessante akustische Phänomen uns hören lassen, so ist die Erklärung
desselben eine keineswegs leichte. In Analogie zum optischen Nachbild 2 )
glaube ich ein Phänomen vor mir zu haben, das ich „Akustischer
N a c h t o n“ nenne. Ich meine, daß es sich da um etwas ganz anderes handelt,
als was gelegentlich und nur bei manchen Individuen (und da auch meistens
nur unter pathologischen Verhältnissen) als Nachklingen beobachtet und
beschrieben wurde. Das wesentlichste liegt in unserem Falle in dem gleichzeitig
oder sagen wir scheinbar gleichzeitigen Hören von zwei differenten Tönen, die
eben nicht synchron, sondern nacheinander produziert werden. Diese scheinbare
„Verschmelzungsfrequenz“ deutet mit einem auf Vorgänge, die bisher nicht
Gegenstand von Untersuchungen waren, hin, insbesonders auf die Bestimmung
der Zeitgrenzen nach oben und nach unten hin, die uns gestatten, dieses
akustische Phänomen zu beobachten. Mit der weiteren Ausarbeitung dieses
Punktes, glaube ich, werden gewisse Fragen, wie z. B. solche, die Tonfolge
a ) Bekanntlich beruht auf dem optischen Nachbild die Stroboskcpie, die ich
wegen der Wichtigkeit der Beurteilung vieler Fragen, die Stiinnilippeni ewegung
betreffend, „die Mikroskopie der Laryngoskopie“ nenne.
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568
Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
betreffend, und andere stimmphysiologische und stimmpathologische Fragen
(Triller, Koloratur, Diplophonie usw.) in manchen Belangen eine Lösung
finden. Untersuchungen darüber sind im Gange und werde ich nach Abschluß
derselben über den „Akustischen Nachton“ weiter zu berichten mir gestatten.
A u s s p*r ache:
Din old hebt hervor, daß er beim Doppelpfeilen Zungenvibrationen
hervorruft.
Schrötter macht aufmerksam, daß die Doppelpfeifer stets in Terzen
pfeifen.
Stern (Schlußwort): Das, was die Herren Vorredner erwähnten, daß
nämlich das Doppelpfeifen nicht allzu selten beobachtet werden kann, bezweifle ich
keineswegs. Mir war es aber heute darum zu tun, eine Erklärung des Mechanismus
desselben, worüber, so weit mir bekannt ist, bisher keinerlei Untersuchungen vor¬
liegen, zu geben, wobei es ja nicht ausgeschlossen erscheint, daß in einem anderen
Falle, als dem demonstrierten, das Zustandekommen in einer differenten Weise
erfolgt, obgleich ich glaube (2 andere Fälle bestätigten ebenfalls meine Anschauung
hierüber), die richtige Lösung des Problems gefunden zu haben. Das Studium dieser
Frage hat aber ein anderes interessantes Problem aufgeworfen, nämlich, was ich als
„akustischer Nachton“ bezeichne. Hierüber und speziell über einige Details
desselben werden erst weitere Untersuchungen uns die gewünschte Klarheit geben
können.
IV. M a r s c h i k: Protrahierte Tonsillarerkrankung mit Erythema
multiforme.
Der 30jährige kräftige Pat. kam vor 2 Wochen mit Erscheinungen einer
gewöhnlichen, allerdings ziemlich heftigen Angina lacunaris, Fieber und den
noch heute sichtbaren roten, unregelmäßigen, erhabenen Flecken im Gesicht
und an den Händen und Unterarmen zum erstemal in meine Beobachtung.
Die übliche Lokalbehandlung zeitigte nicht nur keine Besserung der Angina,
sondern im Gegenteil, die Beläge konfluierten, schließlich waren beide Tonsillen
von teilweise tiefergreifenden, stark belegten Geschwüren bedeckt. In der
Umgebung und in der übrigen Mundhöhle fanden sich ebenfalls undeutlich
begrenzte, erhabene Flecken von verschiedener Färbung, ähnlich wie an der
äußeren Haut. Das Exanthem, das mit Wahrscheinlichkeit als Erythema
multiforme anzusprechen ist, verschwand und kehrte wieder. Auch heute in
der dritten Woche der Erkrankung bestehen noch Zeichen von starker
Tonsillitis, Beläge, teilweise Epitheltrübung und die Erythemflecken am
w r eichen Gaumen. Es handelt sich demnach um Erythema multi¬
forme augenscheinlich tonsillarer Ätiologie. Die Er¬
krankung ist durch die eigenartige, protrahierte, durch Medikamente nicht
beeinflußbare Angina bemerkenswert.
Aussprache:
Fein fragt den Vortragenden, ob die Anamnese in bezug auf Syphilis
absolut negativ ist und ob die Wassermann probe ausgeführt wurde; denn er
hält den Prozeß nicht für ein Erythema multiforme, sondern ist überzeugt, daß es
sich um Papeln im Rachen und ein Syphilid der Haut handle.
Glas erinnert daran, daß er als erster in seiner Arbeit „Über Herpes
laryngis et p h a r y n g i s (n e b s t Beiträgen zur Frage der
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
569
Sch leimhauterytheme) (Berliner kl. Wochenschr. 1906) 2 Fälle beschrieben
hat, die das Bild des exsudativen multiformen Sciileimhauterythems boten, ohne
daß die äußere Haut irgendwelche Veränderungen zeigte. Auffallend war in jenen
Fällen die Polymorphie der Effloreszenzen, ihre serpiginöse Begrenzung, ihre schnellen
Veränderungen, die leichte Blutung bei Berührung, ln dem vorgestellten Falle sind
derzeit keine irgendwie an das multiforme Erythem erinnernde Effloreszenzen vor¬
handen, sondern nur jene leicht milchigen Trübungen, wie sie bei abklingenden
Plaques zu sehen sind. Die multiplen indolenten Lymphdrüsenschwellungen sprechen
auch mehr hierfür. Es sollten die Erosionen geschabt und auf Spirochäten untersucht
werden. Der derzeitige Aspekt spricht für Lues.
Hajek macht auf die Epitheltrübung aufmerksam.
Tschiassny fragt, ob der Patient schon früher einmal an einer ähnlichen
Affektion erkrankt gewesen sei. Erytheme multiforme pflegt bekanntlich nicht selten
nach ein- oder mehrjährigen Intervallen wieder aufzutreten. Ferner, ob der Vortragende
die Tonsillektomie aus Erwägungen, die Ätiologie der Erkrankung betreffend, vor¬
zunehmen beabsichtige. Für diesen Fall würde es sich jedenfalls empfehlen, auch
die auffallende Zahnfäule nicht unberücksichtigt zu lassen.
K o f 1 e r vermutet, daß es sich um eine Kombination von Lues und Erythema
handelt.
Marschik (Schlußwort): An Lues ist wohl gedacht worden, doch hat von
Anfang an das klinische Bild dagegen gesprochen; wenn auch heute wegen der vor¬
geschrittenen Abheilung der Beläge verdächtige Epitheltrübung sichtbar ist, so muß
ich doch sagen, daß früher durchaus das Bild einer schweren nekrotischen Anigna
vorhanden war. Auch das Fieber sprach nicht für Lues. Wassermann ist noch
nicht gemacht, soll nachgetragen werden.
Nachtrag: Wassermannist negativ. Die Erkrankung sowohl der Tonsillen
als auch der äußeren Haut heilte erst nach weiteren 3 Wochen ganz allmählich ab.
V. Braun: Fall von Schlelinhauttuberkulose des Mundes. (Bericht nicht
ein gelangt.)
VI. Kofler: Karzinom der Stimmlippe, durch 3 Jahre stationär.
Fehler der histologischen Diagnose ? Verwechslung des Präparates ?
Wie Sie sich erinnern werden, habe ich in der letzten Sitzung unserer
Gesellschaft anläßlich des Vortrages M. W e i 1 s ,,über konservative Behand¬
lung des Larynxkarzinoms“ an den Vortragenden die Frage gerichtet, ob er
ganz sicher sei, daß bei der Herstellung der histologischen Präparate seiner
3 Fälle ein Fehler, sagen wir z. B. eine Verwechslung eines Präparates mit dem
eines anderen Patienten, ausgeschlossen werden kann. Diese Möglichkeit ist
nach meiner Ansicht nicht so einfach von der Hand zu weisen und erscheint,
wie ich glaube, durch den Fall, den ich Ihnen heute demonstrieren werde,
vielleicht nähergerückt.
Der 59jährige Fat. kam wegen konstanter Halsbeschwerden vor
3*4 Jahren an die Klinik. Ich fand damals einen chronischen Rachenkatarrh
und an der linken Stimmlippe nahe dem Proc. vocalis eine zirka erbsengroße,
von einem schneeweißen, papillomatösen Rasen bedeckte Stelle mit Rötung
und spindeliger Verdickung der darunterliegenden Partie der Stimmlippe.
Wegen dieser Verdickung, die jetzt nicht mehr zu sehen ist, schöpfte ich Ver¬
dacht auf Malignität, entfernte ein genügend tiefes Stückchen mit einer
schneidenden Zange und sandte es zur histologischen Untersuchung. Der
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1921).
histologische Befund lautete „Plattenepithelkarzino m“, worauf
ich dem Pat. die Entfernung der erkrankten Larynxpartie mittels Laryngo-
fissur vorschlug. Pat. verweigerte jedoch diesen Eingriff, blieb längere Zeit
. aus und kam erst nach 3 Jahren wieder zu mir. Das klinische Bild hatte sich
geändert, der weiße papillomatöse Rasen bestand weiter, die Rötung hingegen
und vor allem die Verdickung der Stimmlippe an dieser Stelle waren ver¬
schwunden. Das klinische Bild erinnerte jetzt mehr denn je an das einer so¬
genannten einfachen Hyperkeratose, wie Sie sie heute bei dem Pat. sehen.
Eine nochmalige Probeexzision und histologische Untersuchung ergab diesmal
einen für Malignität negativen Befund. Da ich bei der Ausdehnung des
ursprünglichen Prozesses nicht annehmen kann, daß ich durch die Probe¬
exzision allein ein allfälliges Karzinom radikal exstirpiert hätte, so muß ich
gegenüber dem allgemein bekannten pathologisch-anatomischen Begriff eines
Karzinoms eben annehmen, daß entweder auf dem weiten Wege von der
Probeexzision bis zur Fertigstellung des histologischen Präparates ein Fehler,
ich meine eine Verwechslung, unterlaufen sei oder daß die histologische
Diagnose von vornherein unrichtig war — bekannt sind ja die oft histologisch
sehr schwer zu diagnostizierenden Grenzfälle zwischen Pachydermie und be¬
ginnendem Ca. — Bevor wir also einem Pat. wegen Malignität einer Krankheits¬
erscheinung einen größeren operativen Eingriff Vorschlägen, müssen wir aus
verschiedenen Gründen noch andere Vorsichtsmaßregeln befolgen, die etwa
so lauten sollten:
1. Soll man sich nicht auf den histologischen Be¬
fund allein verlassen, sondern die erkrankte Stelle
soll auch klinisch zumindest den Verdacht der Ma¬
lignität erwecken;
2. 8 ö 111 e als Kontrolle womöglich eine 2. Probe¬
exzision vorgenommen werden. Als Kontrolle könnte
in manchen Fällen auch der Weg dienen, daß man den
Histologen die Stelle bezeichnen läßt, von der das
Objekt stammt, z. B. Ca. der Stimmlippe, der Tonsille,
der Zunge usw.
3. soll die Herstellung von pathologisch-histo-
logi sehen Präparaten überhaupt nur in verläßlichen
Instituten geschehen und streng überwacht werden.
Die histologische Diagnose selbst hat nur von einem
sehr geübten Berufshistologen gestellt zu werden.
Aussprach e:
Dr. M. Weil: Diese Deutung ist doch eine allzu weit hergeholte, geradezu
gezwungene; gerade in diesem Falle sollte eine Verwechslung gerade mit einem
Epitheliom stattgefunden haben ? Der Fall ist nach meiner Meinung ganz analog dem
von mir wiederholt vorgestellten Falle von sozusagen gutartigem Epitheliom mit
Hyperkeratose, wie Rosenberg solche als ,,weiße Geschwülste“ beschrieben hat,
und ist eben 3 Jahre lang stillgestanden. Dieses Verhalten konnte aber nur durch die
Weigerung des Patienten, sich operieren zu lassen, zur Kenntnis des Arztes gelangen;
wer w r eiß, wie viele solche Fälle wir finden wüulen, wenn wir systematisch nach ihnen
suchen würden, wie ich es eben in meinem Vortl age vor geschlagen habe.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
571
H a j e k spricht dem entgegen und ißt der Ansicht, daß es sich nicht um eine
Verwechslung des Präparates gehandelt habe, sondern daß eine nicht sichere histo¬
logische Diagnose vorliegt.
Emil Glas: Ich sehe eine warzenähnliche Exkreszenz in der Mitte des linken
Stimmbandes. Das ist nicht die Stelle, wo typischerweise Virchows Pachy-
dermien sitzen. Glas rät zu nochmaliger Tiefenexzision und Anlegen von Serien¬
schnitten, da nach diesem Aspekt ein Epitheliom nicht von der Hand zu weisen ist%
Zudem wäre es ratsam, die direkte Untersuchung in diesem Falle auszuführen, um
das subglottische Gebiet besichtigen zu können. Glas ersucht Herrn K o f 1 e r um
diesbezügliche Mitteilung.
Kotier (Schlußwort): (Bericht nicht eingelangt).
VII. M a r s c h i k : Karzinom der linken Stimmlippe. Radiambehandlang.
Neuerliche Vorstellung.
Es handelt sich um den in der Novembersitzung 1921 bereits vor¬
gestellten Kranken. Er hat mittlerweile noch eine 6. Radiumbestrahlung
erhalten, aber nur von außen, und zwar 800 Mgst. Die Stimme ist gut ge¬
blieben, hat sich sogar noch gebessert und an Ausdauer zugenommen. Die
Stimmlippe zeigt sich von normaler Breite, gegen früher abgeblaßt, die Be¬
weglichkeit ist noch vorhanden. Das zentrale karzinomatöse Ulkus scheint in
Heilung begriffen. Durch die kräftige Bestrahlung von außen war ein Haut¬
geschwür entstanden, das schon wieder abgeheilt ist. Eine neuerliche Exzision
aus der Stimmlippe ergab Plattenepithelkarzinom, an den Karzinomzellen
keine degenerativen Vorgänge sichtbar. Pat. bleibt weiter in Beobachtung.
VIII. K n e u c k e r (a. G.): Vortrag: Uber die Verwendung der 4%igen
Novokainadrenalinlösung in der Zahnchirurgie.
Der Vortragende empfiehlt für jene Fälle, wo die 1 bis 2%ige Novokain¬
adrenalinlösung einen Versager geben könnte, die von ihm als Erstem an¬
gegebene 4%ige Lösung, da sich oft gerade im Gebiete des Trigeminus die
Notwendigkeit ergibt, die Konzentration der Anästhesierungsflüssigkeit zu
erhöhen, um auch die stärksten Reize zu hemmen. Dies tritt ganz besonders
dann ein, wenn es sich um die Entfernung von Granulationen bei Wurzel¬
spitzeneiterungen, bei Zystogranulomen und bei Kieferzysten handelt, welch
letztere gerade die Rhinologen ja oft zu operieren Gelegenheit haben. Die
exakte Durchführung der ganzen Operation wird nur dann gelingen, wenn
die Anästhesie absolut komplett ist. — Von besonderer Wichtigkeit ist die
verläßliche Ausschaltung der entsprechenden Nervenstämme bei der Ex¬
traktion der oberen II. Prämolaren und der oberen I. Molaren, deren eitrige
Wurzelspitzenerkrankung häufig ein dentales Antrumempyem verursachen.
Es empfiehlt sich, in besonders ungünstigen Fällen (flacher Gaumen, dicke,
bukkale Alveolarwand, tiefe Karies) die 4%ige Lösung zu nehmen, von der
man im vorhinein bestimmt weiß, daß sie absolut sicher wirken muß.
Bei der Verwendung der 4%igen Lösung ist dem richtigen Mengen¬
verhältnis von Novokain und Adrenalin das genaueste Augenmerk zuzu¬
wenden, weil nur bei richtiger Dosierung des Adrenalins Intoxikationen ver¬
mieden werden können. Von den derzeit erhältlichen 4%igen Lösungen hat
Monatsschrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Rhin. 68. Jahrg. 38
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
sich am besten Algolysin II, hergestellt von der Wiener chemischen Fabrik
Sanabo, bewährt.
Die Ampullen mit stärker dosiertem Adrenalin ergeben nämlich häufig
unangenehme Zwischenfälle, wie Zittern, allgemeine Blässe, Brechreiz,
Krämpfe, namentlich in den Armen usw., ganz besonders, wenn die Patienten
durch Schlaflosigkeit, Schmerzen und ungenügende Nahrungsaufnahme er¬
schöpft waren.
Die Anästhesie fällt dann befriedigender aus, wenn die Lösung körper¬
warm zur Injektion kommt. Zu diesem Zwecke erwärme man die Phiole über
einer Bunsen- oder Spiritusflamme zirka 10 Sekunden und spritze die warme
Lösung ein.
Die 4%ige Lösung läßt sich sowohl lokal als auch zur Leitungsanästhesie
verwenden, doch darf man nie mehr als 3 cm 8 verbrauchen.
Gerade zur Leitungsanästhesie verwendet, ist ihre Wirkung einfach
unübertrefflich.
Über Antrag des Vorsitzenden wird die Aussprache zu dem Vortrag
Kneuckers mit Rücksicht auf die vorgerückte Zeit und die statuten¬
gemäß unaufschiebliche Hauptversammlung für die nächste Sitzung be¬
stimmt.
Administrative Sitzung.
M. Hajek eröffnet dieselbe mit einer kurzen Ansprache, worauf die
Berichte der Funktionäre folgen:
1. Bericht des Sekretärs (Marschik):
M. H. Das an Arbeit und wissenschaftlichem Ertrage reiche, vergangene
Jahr, das 27. des Bestandes der Gesellschaft, steht unter dem Zeichen von
2 Ereignissen, die besonders hervorgehoben werden müssen. Am 23. Februar
1921 starb in Berlin nach kurzer schwerer Erkrankung unser Ehrenmitglied
(seit 1906) Gustav Killian. Ein heimtückisch bösartiges Magenkarzinom,
das, als die ersten Symptome auftraten, sich schon als inoperabel erwies, hatte
das führende Haupt der deutschen Laryngologie dahingerafft, nachdem er
noch wenige Monate vorher auf der Naturforschertagung in Nauheim in voller
körperlicher Rüstigkeit und mit dem ihm eigenen Frohmut den Sitzungen der
laryngologischen Abteilung präsidiert hatte. Sein Tod verursachte in der
ganzen Spezialist ischen und medizinischen Welt tiefe Erschütterung und ward
geradezu als klaffende Lücke in der heutigen Laryngologie empfunden. Auch
unsere Gesellschaft betrauert den Verlust ihrer leuchtendsten Zierde. Li
meinem Nachrufe in der Monatsehr. f. Ohrenhlk. habe ich die Gefühle, die
uns Wiener beim Tode Killians bewegten, zum Ausdruck zu bringen
versucht. Eine Abordnung unserer Gesellschaft, bestehend aus unserem
Präsidenten Prof. Hajek, seinem Assistenten Dozent Hofer und mir.
scheute nicht die Mühen des damaligen Reisens und konnte noch zur Trauer¬
feier in K i 11 i a n s Haus in Berlin zurecht kommen, woselbst Prof. Hajek
unserem verstorbenen Ehrenmitglied eine tiefempfundene Nachrede hielt.
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■ Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
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Von der Witwe K i 11 i a n s lief bald darauf ein herzliches Dankschreiben an
Prof. H a j e k ein. Letzterer hat in der Sitzung vom 9. März die Trauerrede
für K i 11 i a n gehalten.
Das zweite Ereignis, freudiger Art, ist der am 25. November 1921 ge¬
feierte 60. Geburtstag unseres verehrten Präsidenten Prof. Markus H a j e k.
Aller Widerstand von seiten des Jubilars fruchtete nichts, die Feier gestaltete
sich zu einer solennen Kundgebung der Verehrung und wissenschaftlichen
Hochschätzung, die H a j e k nicht nur in seinem Spezialfach, sondern in der
ganzen Kollegenschaft Wiens genießt. Ein Komitee von Schülern und
Assistenten Hajeks, bestehend aus den Herren Hirsch, Hofer,
Mar schik, Schlemmer und Stern, war um den würdigen und
geziemenden Verlauf der Feier bemüht, die in der Gratulationscour an der
Klinik am 25. November früh, in der Herausgabe einer im Rahmen der Monats¬
schrift für Ohrenheilkunde erscheinenden Festschrift, in der Widmung des
von der Meisterhand Viktor Krämers, Professor an der Akademie der
bildenden Künste und eines der Gründer der Wiener Sezession, geschaffenen
Ölbildes des Jubilars und in einem Bankett am 26. November abends bestand.
Bei der klinischen Feier begrüßte zunächst Marschik die er¬
schienenen Vertreter der staatlichen und akademischen Behörden, die Mit¬
glieder des Kollegiums, Freunde und Verehrer Hajeks usw r ., indem er der
ganzen Feier den Anstrich einer wissenschaftlichen Diskussion gab, mit dem
Thema: Prof. M. H a j e k an seinem 60. Geburtstag. Als Diskussionsredner
traten mm auf Dozent Hofer für den gesamten klinischen Stab Hajeks,
seine Spektabilität der Dekan Hofrat D u r i g im Namen der Fakultät,
Hofrat Eiselsbergim Namen der Gesellschaft der Ärzte, Prof. Manna¬
berg als Direktor der allgemeinen Poliklinik, deren ehemaliger Assistent
H a j e k war, Hofrat Meder als Direktor des allgemeinen Krankenhauses,
Dozent Hirsch im Namen aller außerhalb der Klinik stehenden Schüler.
Dieser überreichte gleichzeitig das Widmungsexemplar der Festschrift, zu
dem 78 Schüler und Freunde des Jubilars, darunter zahlreiche Kollegen aus
dem Auslande, hauptsächlich aus dem neutralen, Beiträge geleistet hatten.
Der Verlag Urban & Schwarzenberg hatte mit bedeutenden
Opfern an Geld und Mühe in höchst dankenswerter Weise die rechtzeitige
Fertigstellung des stattlichen Bandes ermöglicht.
Es folgten Obermedizinalrat Dr. A. Kronfeld, Chefredakteur der
Wiener medizinischen Wochenschrift, der eine Festnummer der Wiener medi¬
zinischen Wochenschrift mit weiteren Beiträgen überreichte und über die
Geschichte der Wochenschrift und ihre Beziehungen zur Wiener Laryngologie
sprach, Geheimrat Prof. A. Kuttner im Namen der laryngologischen
Gesellschaft zu Berlin, indem er zugleich dem Gefeierten das Diplom der
Ehrenmitglied schaft der genannten Gesellschaft über¬
reichte, weiters für die Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft Vizepräsident
Prof. Fein, der folgende Festrede hielt:
„Hochverehrter Herr Jubilar! Im Namen der Wiener laryngc-rhino-
logischen Gesellschaft , deren Präsident Sie nunmel r seit 2 Jahren sind, erlaube
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
ich mir, Sie zu begrüßen. Man sollte glauben, daß es schwer fallen müßte,,
nach den Huldigungen, die wir eben aus dem Munde so zahlreicher und beredter
Gratulanten gehört haben, der Schilderung Ihrer Persönlichkeit und Ihres
Wirkens noch eine neue Seite abzugewinnen. Und doch ist dem nicht so! Eine f
starke Persönlichkeit, eine ursprüngliche Natur, ein Mann, der aus sich heraus s
auf seine erste sonst entfernte Umgebung wirkt, hat viele Eigenschaften^ (
die ihn hervorragend von den anderen unterscheiden, und leistet vielgestaltige !
Arbeit, die Früchte trägt. Seit Sie die Präsidentschaft unserer Gesellschaft
übernommen haben, ist Lust und Leben in dieselbe eingezogen. Der beklagens¬
werte Tod unserer zwei früheren Präsidenten und der mörderische Krieg
hatten eine düstere Stagnation in der wissenschaftlichen Arbeit und der
Tätigkeit unserer und manch anderer Gesellschaft verursacht. Sie haben
mit Ihrem lebhaften Eifer Bewegung in die ruhenden Geister gebracht, Sie *
haben mit der Mitteilung Ihrer Erfahrungen und Forschungen auf alle be¬
lehrend gewirkt, Sie haben mit scharfer Rede und wohlwollendem Witz Kritik
geübt an den Anschauungen anderer und Sie haben insbesondere darauf
gesehen, daß nicht ungenügend fundierte Beobachtungen dem Nachwuchs
unserer Disziplin als unumstößliche Wahrheit vorgeführt werden. In objektiver,
kritischer Denkart sind Sie beispielgebend vorausgegangen, die Suche nach /
Wahrheit war Ihr oberstes Ziel!
Und dafür danken wir Ihnen Alle! |
Aber auch sonst haben Sie in der Gesellschaft wertvolle Arbeit geleistet,
die ich nicht im einzelnen besprechen will; Sie haben uns nach außen hin bei
allen Gelegenheiten würdig vertreten und haben unsere Bibliothek gefördert
und in Ordnung gebracht.
Wir sind stolz darauf, Sie, den Forscher, der auf der ganzen Erde einen ,
stolzen Namen führt, an unserer Spitze zu haben, und wünschen und hoffen,
daß uns diese Freude und diese Ehre noch viele, viele Jahre vergönnt bleibt. In I
diesem Sinne begrüßen wir Sie heute zu Ihrem 60. Geburtstag und in diesem
Sinne begleiten Sie unsere herzlichsten Segenswünsche auf Ihrem weiteren
Lebenspfad.“
Es folgten Prof. Heinrich Neumann im Namen der österreichischen
otologischen Gesellschaft, weiters Dr. Christ für die in Wien neuerdings
gegründete American medical association, sodann enthüllte Dozent Stern, j
der Leiter des phonetischen Laboratoriums an der Klinik H a j e k, unter .
allgemeinem Beifall das Krämer sehe Porträt des Jubilars.
Als letzter Diskussionsredner ergriff endlich Ha j ek selbst das Wort
und schilderte in längerer, launiger Rede seinen medizinischen und wissen¬
schaftlichen Werdegang, den eines Self-made-man, der sich gegen mannigfache
Widerstände schließlich nur kraft seiner unermüdlichen Arbeitsenergie und \
seines schnurgerade schreitenden Charakters doch durchgesetzt hat.
Am 26. November abends vereinigte ein gemeinschaftliches Abendessen
noch einmal den Gefeierten und die Gratulanten, wobei in künstlerischen
Vorträgen, heiteren Tischreden, Spottgedichten, szenischem Ulk die lang f
zurückgedämmte Laune der jüngeren Festgenossen zur Entladung kam.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
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Die Gesellschaft hatte im vergangenen Jahr außerdem noch den Tod
weiterer zweier Ehrenmitglieder zu beklagen. Am 1. März 1921 starb auf
seinem Landgut in der Nähe von London das — ehemalige — Ehrenmitglied
43ir Felix S e m o n. Wie bekannt, wurde S e m o n seinerzeit im Kriege wegen
seiner in Tageszeitungen zur Schau getragenen Stellungnahme gegen die
Deutschen und Österreicher aus der Liste der Ehrenmitglieder gestrichen.
Herr Präsident Prof. H a j e k hat gleichwohl in der Aprilsitzung in längerer
Trauerrede S e m o n s Verdienste um die Laryngologie gewürdigt.
Am 21. November 1921 starb unser Ehrenmitglied George M. Lefferts
auf seinem Gut in der Nähe von New York, einer der Pioniere der Laryngologie
in Amerika, der seine medizinische und Spezialistische Ausbildung in Wien als
.Schüler Schrott ers und Stoerks erhalten hatte. Die Mitglieder
H a n s z e 1 und H e i n d 1 konnten wir zur Verleihung des Titels eines
Regierungsrates, Herrn K r o n f e 1 d zur Verleihung des Titels eines Ober¬
medizinalrates beglückwünschen, Herrn Stern zur Habilitierung an der
Wiener Universität für Laryngo-rhinologie mit besonderer Berücksichtigung
-der Sprachheilkunde. M a r s c h i k ward in der Festversammlung zu H a j e k s
Geburtstag am 25. November die Ehrung der Überreichung des Diploms eines
korrespondierenden Mitgliedes der Laryngologischen Gesellschaft zu Berlin
«durch Geheimrat K u 11 n e r zuteil.
In der Hauptversammlung am 9. Februar 1921 wurde der Gesandte
«der argentinischen Republik, Exzellenz Dr. Fernando P e r e z und der Direktor
der Oto-laryngologischen Klinik in Basel, Prof. E. Siebenmann zu Ehren¬
mitgliedern, Prof. Boenninghaus, Geheimrat Denker, Dr. Grün¬
wald, Prof. H i n s b e r g, Prof. Holmgren, Geheimrat Körner,
Geheimrat Kümmel, Prof. Uchermann und Prof. Wittmaack
zu korrespondierenden Mitgliedern, die Herren 0. Beck, J. J. Belemer,
O. Bustin, A. F. Cemach, K. Ettl, L. Forschner, F. Genz,
M.K essler, S. Lawner, E. Sachs, H. Sternberg, E. Suchanek
zu ordentlichen Mitgliedern gewählt.
Die Gesellschaft zählt demnach derzeit 8 Ehrenmitglieder, 28 korrespon¬
dierende und 81 ordentliche Mitglieder, davon 10 auswärtige nach § 6 der
Statuten.
Am 12. März sprachen Professor H a j e k als Präsident und M a r s c h i k
als Sekretär der Gesellschaft bei Exzellenz P e r e z vor, um ihm das Diplom
als Ehrenmitglied zu überreichen. H a j e k betonte in seiner Ansprache, daß
die Ehrenmitgliedschaft hauptsächlich wegen der
wissenschaftlichen Bedeutung und Verdienste zu*
erkannt wurde und sprach die Hoffnung aus, daß Perez wie bisher der
Spezialwissenschaft treu bleiben möge. Perez gelobte, nicht nur der Stadt,
«die ihm so ans Herz gewachsen sei, sondern auch der Wissenschaft und der
Gesellschaft, die ihn so sehr geehrt habe, treu zu bleiben.
Im Oktober nahm die Gesellschaft in vertraulicher Sitzung Anlaß, zu
der hauptsächlich von Frankreich ausgehenden Ausschließung der Deutschen
und Österreicher auf den in den Westländern abgehaltenen internationalen
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Fefcr. 1922).
medizinischen Kongressen, insbesondere bei dem im April 1922 geplanten
„internationalen“ oto-laryngologischen Kongreß Stellung zu nehmen.
Die Gesellschaft hat im vergangenen Vereinsjahre 9 Sitzungen ab¬
gehalten, in diesen wurden 3 Vorträge gehalten von den Herren Dozent Rudolf
M ü 11 e r als Gast, C e m a c h und H. S c h r ö 11 e r. An den Demonstrationen
beteiligten sich die Herren Glas mit 14, Marschik mit 12, H o f e r mit 10,
Fein, Feuchtinger, Heindl mit je 6, H a j e k und Mayer mit je 5,
K o f 1 e r mit 4, Hanszel, Schlemmer, Suchanek, W. Weiss
mit je 3, B. Großmann, Hirsch, Hutter, Menzel, H. Schrotte r,
Tenzer, Ullmann, Wessely, Wiethe mit je 2 Fällen, Belemer,
Braun, Forschner, Fremel, Gatscher, Genz, Gyergyai
(als Gast), Hitzenberger (als Gast), Kellner, Sternberg,
Tschiassny, Wechsler (als Gast), Weil mit je 1 Fall.
Gemäß dem Wahlergebnis der Hauptversammlung besteht das Büro
der Gesellschaft aus folgenden Herren: H a j e k, Präsident; Fein, Vize¬
präsident; Marschik, Sekretär; Schlemmer, Bibliothekar; Menzel,
Ökonom; Läufer, Weil, Vorsitzende; Haslinger, Suchanek,
Wiethe, Schriftführer.
2. Bericht des Ökonomen (Menzel):
Die Gesamteinnahmen des abgelaufenen Jahres ergaben eine Summe
von K 10.955*97, die Gesamtausgaben (hauptsächlich für den Jahresbericht)
belaufen sich auf K 5555*24, so daß ein Aktivsaldo von K 5400*73 erübrigt.
Die Kassengebarung wurde von den beiden Revisoren Herren Läufer und
H a n s z e 1 geprüft und für richtig befunden.
In Anbetracht des Umstandes, daß von dem Sekretär der Gesellschaft,
H. Marschik die Druckkosten für den nächstjährigen Jahresbericht mit
voraussichtlich zirka K 80.000 angegeben werden und 80 zahlende Mitglieder
in Betracht kommen, wird vom Ökonomen die Festsetzung des nächsten
Jahresbeitrages mit K 1000 beantragt (Angenommen).
Menzel schlägt vor, den Bericht der Gesellschaft, welcher nach
seinen Erkundigungen zirka K 56.000 kosten w ürde, nicht erscheinen zu lassen.
Nach einer lebhaften Wechselrede, an welcher sich Fein, Marschik,
Braun, Weil, Tschiassny und H a j e k beteiligen, wdrd der Antrag
H a j e k, den Bericht über das Jahr 1921, wobei sich die Mitglieder ausgiebigster
Kürze zu befleißen hätten, erscheinen zu lassen, angenommen.
Menzel beantragt, den Bericht mit einem Register auszustatten.
(Angenommen.)
3. Ein Antrag Hofers, die Gesellschaft möge zur präziseren Fest¬
legung des Protokolls einen Stenographen bestellen, wird nach längerer
Wechselrede mit 11:7 Stimmen angenommen.
4. Bericht des Bibliothekars (Schlemmer) (nicht eingelangt).
5. Die mittels Stimmzettel erfolgte Wahl von Mitgliedern ergibt
folgendes Resultat :
Zum Ehrenmitglied: S c h m i e g e 1 o w (Kopenhagen).
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Febr. 1922).
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Zu korrespondierenden Mitgliedern: Kahler (Freiburg i. Br.),
Eicken (Berlin), Kuttner (Berlin), Finder (Berlin), Demet riades
(Athen).
Zu ordentlichen Mitgliedern: J. B e 1 i n o f f (Sofia), P. Brück,
P. K e y e s, M. M i h i c, Z. Pra st a lo, J. Sc h w a r z, E. V. U 11 m a n n
und R. W a 1 d a p f e 1.
6. Zu Funktionären werden gewählt:
Präsident: H a j e k,
Vizepräsident : Fein,
Sekretär: Mars c* h i k,
Ökonom: Menzel,
Bibliothekar: Schlemme r,
Schriftführer: Schwarz, W. Weiß, Wessel y,
Vorsitzende: Glas, H a n s z e 1,
Revisoren: Braun, H i r s c h.
7. Hof er verliest ein Schreiben Sterns, das die Anregung enthält,
nach den wissenschaftlichen Sitzungen zwanglose Zusammenkünfte der Mit¬
glieder zu veranstalten. Auf Vorschlag H a j e k s wird ein Komitee aus Stern,
Hofer und Glas beauftragt, bei der nächsten Sitzung entsprechende
Vorschläge zu bringen.
8. Fein stellt den Antrag, von r.un an die Sitzungen um %7 Uhr be¬
ginnen zu lassen. (Angenommen.)
9. Hanszel erklärt in seinem und in M a r s c h i k s Namen, daß sie
die seinerzeit von der Gesellschaft übernommenen Mandate als Vertreter in der
Fachärzteorganisation niederlegen. Braun klärt dahin auf, daß die Wahl
seinerzeit, da noch keine Fachgruppe der Oto-Rhino-Laryngologen bestand,
von der Gesellschaft vorgenommen wurde, die Mandate jetzt jedoch dieser
Fachorganisation zurückgelegt werden müßten, wozu in den nächsten Tagen
in einer Versammlung Gelegenheit sein wird.
10. Hanszel macht aufmerksam, daß die Mitglieder der Gesellschaft
seit neuestem keine Ermäßigung beim Bezüge der Wiener medizinischen
Wochenschrift genießen.
Hofer erhielt eine Zuschrift dieser Zeitschrift, in welcher ßie sich nicht
mehr als Organ der laryngo-rhinologischcn Gesellschaft bezeichnet.
Fein weiß, daß diese Zeitschrift Organ der Gesellschaft war, jedoch nicht,
daß die Mitglieder eine Ermäßigung hatten.
H e i n d 1 weist eine Nummer der Zeitschrift vor, in welcher die Bezeichnung
,,Organ der Wiener laryngo-rhinologischen Gesellschaft“ vorhanden ist, weshalb die
Zuschrift an Hofer nur ein Druckfehler sein dürfte.
11. Hutter beantragt, unter den Krankendemonstrationen auch
Berichte über Patienten, welche aus irgendwelchem Grunde nicht vorgestellt
werden könnten, zuzulassen.
Weil schlägt vor, solche Berichte in Form von Vorträgen zu bringen.
H a j e k spricht sich gegen den Antrag Hutter aus, da dadurch die Genauigkeit
der Verhandlungen leiden würde und stellt den Gegenantrag, Berichte über ab¬
wesende Patienten nicht als Demonstration zuzulassen. (Angenommen.)
Der Präsident schließt hierauf mit einer kurzen Ansprache die Sitzung.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., März 1922).
Sitzung vom 1. März 19**.
(Offizielle Verhandlungsschrift.)
Vorsitzender: Hanszel, später E. M. Perez.
Schriftführer: Wessely.
H a j e k begrüßt das Ehrenmitglied Exz. Perez und bittet ihn, für
die heutige Sitzung das Ehrenpräsidium zu übernehmen.
H a j e k hält einen kurzen Nachruf nach dem vor kurzem verstorbenen
Ehrenmitglied G. M. Lefferts aus New York, dessen große Verdienste um
die Entwicklung der Laryngologie in den Vereinigten Staaten er hervorhebt.
Lefferts war einer der ersten amerikanischen Ärzte, welcher nach Gründung
der laryngologischen Klinik bei Schrötter seine Ausbildung genossen
und die Wiener Methoden und Errungenschaften in Amerika lehrte. Er hatte
eine große Anzahl von Schülern herangebildet, wenn er auch selbst in wissen¬
schaftlicher Beziehung w r enig produktiv gewesen ist. Dafür war er ein umso
größerer Organisator des Unterrichtes. Er bewahrte zeitlebens seinen Wiener
Kollegen gegenüber warme Freundschaft und Anerkennung.
Die Gesellschaft ehrt das Andenken des Verstorbenen durch Erheben
von den Sitzen.
I. Dr. Kellner: Lymphosarkom der rechten Tonsille.
Demonstriert eine 22jährige Pat., welche seit 3 Wochen an Hals¬
schmerzen leidet. Die Untersuchung zeigt eine starke Vergrößerung der rechten
Tonsille mit einem ausgebreiteten Ulkus. Die histologische Untersuchung
(Prof. C. Sternberg) ergibt Lymphosarkom. Starke Schwellung der rechts¬
seitigen Zervikaldrüsen. Bemerkensw ert erscheint der ulzeröse Zerfall. Da die
Geschwulst namentlich an der Zungenbasis infiltrierenden Charakter zeigt
und mit Rücksicht auf den geschwürigen Zerfall, soll der Fall einer energischen
Radiumbehandlung, kombiniert mit Röntgenbehandlung der Drüsen, unter¬
zogen werden.
Aussprache:
H a j e k: Die intensive Wirkung der Röntgenstrahlen auf das Lympho¬
sarkom ist bekannt, leider aber die baldige Rezidive ebenso sicher. Alle Fälle enden
schließlich letal. Es wären in diesem Falle die histologischen Details nötig gewesen,
da die Diagnose eines Lymphosarkoms der Tonsille doch keine ganz einfache ist.
Kellner (Schlußwort): Die histologische Natur ist in diesem Falle sicher¬
gestellt. Vortragender hat einen ähnlichen Fall vor 3 Jahren mit Radium und Röntgen¬
behandlung vollkommen ausheilen gesehen.
II. T e n z e r: 1. Chondrom der linken Kehlkopfhälfte. Radikaloperation.
Der 51jährige Pat. stand seit mehreren Monaten wegen zunehmender
Stenose in Behandlung der Abteilung Prof. Marschik an der Poliklinik.
Die Laryngoskopie zeigte eine glatte, rote, das Lumen des subglottischen
Raumes von links hinten her einengende Schwellung. Die Beweglichkeit des
linken Aryknorpels war etwas eingeschränkt. Bei Sondierung zeigte sich die
Geschwulst hart und glatt. Die Wahrscheinlichkeitsdiagnose war demnach
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., März 1922).
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schon klinisch auf Chondrom zu stellen und wurde durch die vor 2 Wochen
ausgeführte Radikaloperation bestätigt. Tracheotomie, 10 Tage darauf
Laryngofission, und Freilegung der linken Kehlkopfhälfte (Prof. M a r s c h i k).
Der Tumor hatte seinen Ausgang vom Ringknorpel genommen und wölbte
sich in der Größe einer Walnuß in das Innere vor, von geröteter, an der Kuppe
adhärenter Schleimhaut bekleidet. Die Exstirpation, bei der es zur Resektion
der linken Ringknorpelhälfte, des ersten Trachealringes und des unteren Teiles
der linken Schildknorpelhälfte kam, wobei die linke Stimmlippe größtenteils
geschont werden konnte, gelang leicht. Tamponadenachbehandlung. Derzeit
zeigt sich die linke Kehlkopfhälfte fixiert, aber keine Stenose, Pat. kann
demnach schon dekanuliert werden.
2. Vorgeschrittene Tbc. laryngis, ohne Lokalbehandlung geheilt
Der Pat. bot vor 2 Jahren das Bild schwerer, vorgeschrittener, ulzeröser
Larynxphthise, besonders der linken Seite, diese Seite bereits mit ein¬
geschränkter, wenn auch noch nicht aufgehobener Beweglichkeit, eine infauste
Prognose damals durchaus berechtigt. Aus äußeren Gründen kam es damals
nicht zu einer Lokalbehandlung, bloß Allgemeinbehandlung, vor allem Besserung
der Ernährung wnirde versucht. Der Kehlkopf des Pat. bietet heute ein bis auf
leichte katarrhalische Rötung durchaus normales Bild, das auch besonders
durch das Fehlen von Narben auffallend ist, so daß man versucht ist, an eine
Verwechslung zu denken, w r enn nicht die Aufzeichnungen Ts. jeden Zweifel
ausschlössen.
Aussprache:
Glas: Wenn es sich in dem Falle T e n z e r s wirklich um eine Tbc. laryngis
mit dem beschriebenen objektiven Befund gehandelt hat, so ist der Fall eine der
größten Seltenheiten, denn G. kann sich nicht erinnern, eine schwere, ausgebreitete,
ulzeröse Larynxphthise ohne Lokalbehandlung je so ausheilen gesehen zu haben, daß
man überhaupt nichts mehr davon sieht. G. erinnert sich nur an 2 Fälle von Lupus
der Mundhöhle allein auf Sonnenbestrahlung so ausgeheilt gesehen zu haben.
G. Hofer widerspricht den Ausführungen Glas'. Es gibt seltene Fälle
schwerster ulzeröser Tuberkulose des Larynx, die ausheilen. H. gelang eine solche
Ausheilung bei einer Sängerin mit tiefen Ulzerationen, Perichondritis, Dysphagie
durch Tracheotomie. Die Patientin ist Kirchensängerin und geht heute 3 Jahre nach
der Operation 1 y 2 Jahre nach dem Dekanülement sogar ihrem Berufe nach.
Fein hat ebenfalls vor einiger Zeit eine Frau beobachtet, welche schwere
infiltrative und ulzeröse Veränderungen tuberkulöser Natur im Larynx mit Dys¬
phagie zeigte und an einer Spitzeninfiltration litt. Nach einem Landaufenthalt von
ungefähr drei Vierteljahren war ohne lokale Behandlung vollkommene Heüung, wie
im vorgestellten Falle eingetreten. Diese Fälle sind allerdings sehr selten.
III. Din old: Erstickungsanfälle durch einen langgestielten Choanal-
polypen.
Ein 42jähriger Mann klagte über öfters auftretende plötzlich einsetzende
Erstickungsanfälle von sehr kurzer Dauer. Interner Befund völlig negativ. Bei
der Untersuchung fand sich im Larynx nichts. Beim Kokainisieren der Nase
trat ein heftiger Erstickungsanfall auf. Es zeigte sich, daß ein sehr leicht
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., März 1922).
beweglicher, langgestielter Choanalpolyp durch den Kokainpinsel in den
Larynxeingang hinabgestoßen worden war; der Polyp wurde durch einen
heftigen Hustenstoß wieder in seinen normalen Sitz zurückgeschleudert.
Evulsion des Stieles des Polypen mittels Luc scher Zange. Der Stiel kam
aus dem mittleren Nasengang hervor und war über 5 cm lang; der Polyp
wrnrde nach der Evulsion des Stieles vom Pat. „ausgespuckt“ und war von der
Größe eines Taubeneies. In diesem Falle war der Mechanismus der Entstehung
von Choanalpolvpen folgender: Durch eine in der Höhe des mittleren Nasen-
ganges sitzende Crista septi war der Polyp stets, im Stehen wie im Liegen,
nach hinten unten gedrängt, mußte in und durch die Choane wachsen, und
durch sein Gewicht wurde der Stiel so langgedehnt, daß er zeitweise bis in
den Kehlkopfeingang fallen konnte, woselbst er die blitzartigen Erstickungs¬
anfälle erzeugte. Ungewöhnlich ist in diesem Falle die Länge und hochgradige
Beweglichkeit des Stieles.
IV. M e n z e 1:1. Fall von scheinbarer Verdopplung der mittleren Muschel
der einen Seite.
Bei der Rhinoskopia ant. sieht man 3 übereinanderliegende, sagittal
gestellte, muschelähnliche Wülste an der lateralen Nasenwand, durch 2 tiefe
Furchen voneinander getrennt. Auf den ersten Blick könnte man den mittleren
Wulst für die hypertrophische Bulla oder den process. uncin. halten bzw. den
oberen Wulst für die abnormerweise sichtbare obere Muschel. Bei genauerer
Betrachtung findet man, daß die beiden oberen Wülste an ihrem vorderen
Ende miteinander verschmelzen und auf diese Weise das Operkulum einer
stark verbreiterten mittleren Muschel bilden, welche in ihrer Mitte durch eine
ziemlich tiefe, sagittal gestellte Furche in 2 parallel gelagerte Anteile zerfällt.
Bei Kieferhöhlenspülung durch Punktion vom unteren Nasengang fließt das
Spülwasser aus dem Spalt zwischen unterem und mittlerem Wulst in die Nase,
so daß hier der mittlere Nasengang sich befindet. Bei Sondierung der darüber
gelegenen Furche merkt man, daß letztere relativ seicht ist und nicht in einen
oberen Nasengang eindringt. Es handelt sich also in diesem Falle um die
selten in vivo beobachtete scheinbare Verdoppelung der mittleren Muschel.
Aussprache:
Glas verweist auf seine in den Anatomischen Heften vor Jahren
erschienene Arbeit „Über die Entwicklung und Morphologie der inneren Nase der
Ratte, wobei er betont hatte, daß der Bildungsmodus der Muscheln die Resultierende
zweier Komponenten sei: I. des Auswachsens in die Wandpartien einw'achSender
Epithelleisten (Fissuren) und 2. des Verwachsens bestimmter Wandpartien. Wenn
die Fissurierung nicht völlig durchgreift i. e., in einem bestimmten Stadium stehen
bleibt, dann kann es zu solchen Formen kommen, wie sie im vorgestellten Falle zu
finden sind. Jedenfalls besteht hier eine Ähnlichkeit mit der Entwicklung des EtLmo*
turbinale bei der Ratte.
Fein würde von Hause aus nicht daran gezw r eifelt haben, daß es sich um
eine tiefe S p a 1 t u n g d e r m i 111 e r e n Muschel handelt, da am vorderen
Ende ganz deutlich der gemeinsame Abgangsteil der beiden Muscheißpangen zu
sehen ist.
Ha jek: Bei anscheinender Verdopplung der mittleren Muschel muß man
sich die Frage vorlegen, ob es sich nicht um abnorme Verlängerung des oberen Nasen-
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., März 1922).
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ganges nach vorn handelt. In diesem Falle wäre der oberste Wulst als.obere
Muschel anzusprechen. Bei einfacher Veidopplnng der mittleicn Mi’schel ist die
Furche seicht, bei einem Xasengange tief. In dem demonstrierten Falle liegt letzteres
nebst einer bullösen Formation der mittleren Muschel vor.
Marschik erinnert sich an eine Beobachtung aus dem Jahre 1919 an der
Klinik, wo er an einer Patientin eine beiderseitige Zweiteilung des voideren Endes
der mittleren Muschel gesehen und auch seinem damaligen Chef Prof. H a j e k gezeigt
hat. Die Zweiteilung beschränkte sich auf eine bis zum Knochen reichende
Lappung der Schleimhaut ohne Knochenveiänderung, w r ar aber mit Rücksicht auf
die vollkommene Symmetrie und Regelmäßigkeit sowie das Fehlen anderweitiger
Erscheinungen bestimmt nichts Pathologisches.
2. Karzinom des Ösophagus, vergesellschaftet mit einem Karzinom des
Larynx (Präparat).
Es handelte sich um einen Pat. der Abteilung des Herrn Hofrat Prof.
Schlesinger. Die Dysphagie trat angeblich erst 7 Wochen und die
Heiserkeit 4 Wochen ante mortem auf. Die laryngoskopisebe Untersuchung
ergab eine Infiltration und Ulzeration des linken Taschen- und Stimmbänder
mit Unbeweglichkeit der linken Larynxhälfte. Keine Lymphdriisen am Halse*
Die Röntgenuntersuchung ergibt deutliche Zeichen einer zirkumskripten
Stenose im unteren Drittel des Ösophagus und läßt die Diagnose eines Ca des
Ösophagus stellen. Ösophagoskopie sowie Probeexzision aus dem Larynx
wegen enormer Hinfälligkeit des Pat. nicht mehr ausführbar. In Anbetracht
der Unbeweglichkeit der linken Larynxhälfte stellte Vortr. die Wahrscheinlich¬
keit sdiagnose eines Ca laryngis, trotzdem auch ein Ösophagus-Ca aus dem
Röntgenbefunde mit großer Wahrscheinlichkeit sich ergab. Allerdings mußte
Menzel die Möglichkeit einer Tbc. des Larynx offen lassen, weil die Affektion
den Tumorcharakter vermissen ließ. 3 Tage nach der laryngologischen Unter¬
suchung Exitus. Bei der im Institute Prof. Alb rechts vorgenommenen
Obduktion zeigte der Ösophagus ein stenosierendes Ca im unteren Drittel
mit mehreren oberhalb desselben gelegenen, auf dem Lymphwege ver¬
schleppten regionären Wandmetastasen sowie Metastasen in der Leber, im
Pankreas, an der Porta hepatis, sowie ein flach infiltrierendes
Ca deslinken Stirn m- und Taschenbandes, das an der Ober¬
fläche exulzeriert ist. Das rechte Stimmband zeigt in seinem Vorderteile
eine Abklatsch-Metastase. Es erhebt sich nun die Frage, ob
wir es in unserem Falle mit je einem primären Ca des Ösophagus und des
Larynx zu tun haben oder ob das Larynx Ca als Metastase des Ösophagus Ca.
aufzufassen ist. Die bisher vorliegenden histologischen Untersuchungsresultate,
die jedoch nicht als endgültig zu betrachten sind, ergeben, daß die beiden
Karzinome verschiedenen Charakter aufweisen. Über das definitive histologische
Untersuchungsresultat wird Vortragender in der nächsten Sitzung berichten.
3. Pseudobulbärparalyse mit eigentümlichen Kehlkopfstörungen.
63jähr. Mann hatte 2 apoplektische Insulte, den einen vor 1 V 2 Jahren, den
zweiten vor 8 Monaten. Letzterer hatte eine rechtsseitige Extremitäten-, eine
Sprach-, Schling- und Fazialislähmung zur Folge. Die letzteren Erscheinungen
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., März 1922).
besserten sich allmählich. Der Status präsens ergibt Starrheit der Gesichtszüge,
Fazialisparese rechts, Schlucken erfolgt sehr langsam und unvollkommen.
Die zerkauten Bissen bleiben in den Vallekulae und am Zungengrunde liegen
und müssen durch Wasserschlucken in den Ösophagus befördert werden.
Die Sprache ist schwer verständlich und monoton. Die Stimmlage ist wesentlich
höher geworden und entspricht etwa dem g.
Demonstration von Sprachkurven, die Herr Doz. Fröschels vom
physiologischen Institute aufgenommen hat und aus denen die Ungleich¬
mäßigkeit der Stimmbandschwingungen beim Sprechen der Vokale sowie die
gewaltige Luftverschwendung bei zusammenhängender Rede und die Schwäche
der Muskulatur des Ansatzrohres hervorgeht. Rachen- und Larvnxreflexe
sind sehr herabgesetzt, die Sensibilität der betreffenden Schleimhäute vor¬
handen.
Vom Interesse ist der laryngoskopische Befund: Zu Beginn der Beob¬
achtung konnte Vortr. bei jeder Phonation pendelartige Zuckungen des rechten
Aryknorpels und des rechten Stimmbandes, seltener auch des linken Stimm¬
bandes beobachten, wobei jedoch die Stimmbänder gut adduziert wurden
und ein leidlich lauter Ton zustande kam. Seit den letzten Tagen hat sich der
laryngoskopische Befund geändert. Man sieht jetzt nur bei längerer Beob¬
achtung seltene und ganz kurze Zuckungen der Stimmbänder, so als ob der
Impuls für einen Ton nicht ausreichen würde und durch einen neuerlichen
Impuls verstärkt werden müßte. Außerdem sieht man jetzt, daß die Glottis
bei längerem Intonieren allmählich sich zu einem schmalen Oval erweitert.
Letztere Tatsache erklärt nur teilweise die beim Sprechen auftretende
Luftverschwendung. Sicher ist auch die Insuffizienz der Respirationsmuskeln
zu einem großen Teile daran schuld. Pat. kann auch nach tiefer Inspriation
nicht länger als 3 bis 5 Sekunden die Exspiration halten. Darnach ist sein
Atem erschöpft, während ein normaler Mensch bis zu 1 Minute und darüber
exspirieren kann.
Die Seltenheit der Pseudobulbärparalyse selbst, sowie die Eigen¬
tümlichkeit der in dem Falle beobachteten Kehlkopf- und Sprachstörungen
bewogen Vortr. zur Demonstration des Falles.
Aussprache:
H a j e k: In dem Kehlkopf sind gegenwärtig keinerlei Lähmungserscheinungen
zu sehen, alle vorhandenen Störungen sind durch die Lähmung der Lippen, der Zunge
und Pharynxmuskulatur zu erklären. Die aufgenommenen graphischen Kurven be¬
ziehen sich auf die physiologischen Vorgänge im Rachen und in der Mundhöhle, daher
ist schwer daran festzuhalten, daß es sich hier um irgendwelche Störungen der Larynx-
innervation handelt.
V. H. H e i n d 1 : Papilloma malignum des Zungengrundes.
Der Pat. zeigt einen etwa hühnereigroßen gelappten Tumor mit papillöser,
höckeriger, grauer Oberfläche, der gestielt aus der linken Vallekula kommend,
pilzartig dem Zungengrunde aufsitzt, die Epiglottis nach rechts verdrängt
und die linke Larynxseite überdacht. Obwohl der Tumor auch einen schweif-
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Vereinsberichlc (Wiener lar.-rhinol. Ges.. März 1922).
58i
artigen Fortsatz in den linken Sinus pyriformis aussendet, scheint er doch
mit dem Larynx nicht verwachsen zu sein, da die Stimme des 50jährigen Pat.
zwar kloßig, aber nicht heiser klingt. Während das rechte Stimm band gut
beweglich zu sehen ist, ist die ganze linke Larynxseite durch den
Tumor verdeckt. Pat. bemerkt erst seit y 2 Jahre Stimmstörungen
und leichte zunehmende Schlingbeschwerden. Atembeschwerden sind nicht
vorhanden. Der Tumor ist nur an seiner medialen Seite oberflächlich leicht
arrodiert. Gegen seine Malignität spricht das vollständige Fehlen regionärer
Lymphdrüsenschwellungen. — Nachtrag: Der histologische Befund (Prof.
P a 11 a u f) lautet: Plattenepithelkarzinom mit papillärem Bau.
VI. G. Hofer: 1. Pulsionsdivertikel bei Careinoma oesophagis.
Fall von Karzinom des Ösophagus bei 24 cm Entfernung von der oberen
Zahnreihe. Bei der Ösophagoskopie sieht man bei 19 cm zunächst eine scharfe
Schleimhaut falte an der vorderen Wand, über die man in ein Divertikel
kommt. Vorne von dieser Falte gelangt man in das Lumen des Ösophagus,,
das dann bei 24 cm vom Tumor stenosiert ist. Es handelt sich also um den
seltenen Fall eines endoskopisch gut sichtbaren bzw. entrierbaren Divertikels,
das wohl als Pulsionsdivertikel gewertet werden muß.
%. Destruktion des Gesichtes bei hereditärer Lues.
Bei einem 15jährigen Jungen besteht vollkommener Defekt der Nase
und Umgebung mit narbiger, durchgreifender Spaltbildung des Gesichtes.
Eine Eiterung aus der Gegend des Nasendaches bzw. Daches des Spaltes
verhindert eine operative Plastik. Eine Orientierung über den Zustand
bzw. noch vorhandene Ausdehnung der Nebenhöhlen ist trotz Röntgen¬
untersuchung mit eingelegten Sonden äußerst erschwert. Man wird vorsichtig
den Sonden nachgehend, wohl erst in mühevoller Arbeit Schritt für Schritt
die Eiterherde in den Resten der Nebenhöhlen freilegen können.
VII. B e 1 i n o f f (Sofia): 1. Ein Fall von Gumma der hinteren Pharynx¬
wand und totaler Destruktion der linken Stimmlippe.
Der Pat. ist 35 Jahre alt, gut entwickelt. Innere Organe o. B. Ich wurde
1920 zu ihm nachts dringend wegen Erstickung gerufen und fand einen
typischen Retropharyngealabszeß. Derselbe saß an der typischen Stelle und
verursachte dem Pat. starke Schluckdyspnöe. Die Temperatur war 40*1°.
Ich nahm gleich eine breite Inzision vor, bekam aber nur Blut und keinen
Eiter. Die Atmung wurde besser. Nächsten Tag war die Temperatur normal.
Die hintere Pharynxwand aber blieb hart; auch die submaxillaren Drüsen beider¬
seits waren sehr derb. Am linken Stimmband konnte man einen zweiten Tumor
konstatieren, der grauweiße Verfärbung hatte, unbew eglich w ar und das ganze
Stimmband durchdrang.Die Diagnose ,,Abscessus retropharyngealis“ war selbst¬
redend nicht mehr aufrecht zu erhalten, sondern es mußte an Lues gedacht
werden. Tatsächlich ergab auch die WaR. + + + + positiven Befund. Auf
spezifische Behandlung gingen alle Erscheinungen bald zurück, nur wurde
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584 Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., März 1922).
der Kranke fast apbonisch. Die Stimmlosigkeit hat 2 Jahre gedauert. Heute,
3 Jahre nach der Exstirpierung, ist der Pat. beschwerdefrei, nur ist seine
Stimme ein wenig rauh. Wenn Sie jetzt den Pat. laryngoskopieren, so sehen
Sie eine komplette Zerstörung des linken Stimmbandes. Vikariierend hat
sich beim Patienten der Apparat der Taschenfalten so gut entwickelt, daß
der Pat. eine sehr starke Stimme hat, die nur einen rauhen Klang hat. Auf
der hinteren Pharynxwand keine Narbe.
Epikrise: Der Fall ist von 2 Standpunkten aus interessant. 1. Ein
Gumma pharyngis hat sich unter Erscheinungen eines gewöhnlichen retro-
pharyngeolen Abszesses (Temperatur 40*1°, Schluck- und Atembeschwerden)
entwickelt.
2. An dem Fall kann man eine vikariierende Funktion der falschen
Stimmbänder bei Zerstörung der wahren beobachten.
2. Vortrag: Die Form und die Dimensionen des Ventricuius Morgagni.
Zeigt an Hand von zahlreichen Gipsabgüssen von Kehlköpfen die
wechselnde Größe und Gestalt des Ventricuius Morgagni. (Erscheint aus¬
führlich in dieser Monatsschrift).
Vorsitzender Perez dankt für die ausführliche und anschauliche
Demonstration.
Aussprache:
M. Weil: Wenn ein Hohlraum durch eindringenden Gipsbrei genau aus-
gcg 08 «en weiden «oll, muß dafür Sorge getragen werden, daß am anderen Ende
die Luft (etwa durch eine vorher eingestochene Hohlnadel) entweichen kann; ist dies
hier geschehen ? Viele Abgüsse zeigen nämlich platte, abgeiundete Ränder, viele aber
Defekte, die augenscheinlich von eingeschloescnen Luftblasen herrühren.
VIII. Marschik: Herpes laryngis.
lSjähriges Mädchen. Die Erkrankung scheint durchaus nichts Seltenes
zu sein. In einer der letzten Sitzungen konnte M. einen ähnlichen Fall zeigen.
Leider ist auch heute nicht das typische Bild der akuten frischen Erkrankung
zu demonstrieren, man sieht heute nur beide Taschenfalten symmetrisch von
zarten fibrinösen Belägen bedeckt. In dem seinerzeit demonstrierten Fall
dauerte die Rekonvaleszenz sehr lange, die konfluierten Beläge blieben wochen¬
lang bestehen und trotzten der Behandlung. Hier scheint eine günstigere Form
vorzuliegen.
Aussprache:
Glas verweist auf seine in der Berliner klin. Wochen sch i ift publizierte Arbeit
„Über Herpes laryngis et pharyngis 44 , in der er betont hatte, daß cs sich bei dieser
Affektion um eine Erkrankung infektiöser Natur handelt, welche nicht selten gehäuft
auftritt und bei der der Herpes des Kehlkopfes Symptom einer allgemeinen Infektion
ist. Auch in diesem Falle erscheinen die Prädilektionsstellen (Epiglottis, Recessus
pirifonnes und vallcculae) betroffen. Glas fragt an, w r ie sich der Verlauf jenes Falles
gestaltet hat, den M a r s e h i k vor kurzem als Erythema multiforme exsudativum
der Schleimhäute demonstriert hatte, bei dem aber zur Zeit der Vorstellung nur mehr
Reste der Erythembildungen zu sehen waren.
M. Hajek: Alle* Mundkrankheiten haben den gemeinsamen Charakter
der nekrosierenden Epitheloberfläche. Wenn man nicht Stadien beobachtet, w t o die
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Bücherbeßprechungen.
585
charakteristische Form der Erkrankung wenigstens vorübergehend manifest ist, ist
die Diagnose nicht mit Sicherheit zu stellen.
Marschik (Schlußwort): Die Diagnose war im ersten akuten Stadium mit
Rücksicht auf die kleinen in Gruppen stehenden Bläschen und die starke diffuse
Hyperämie der ganzen Kehlkopfschleimhaut eindeutig zu stellen.
Der Erythemfall ging allmählich in Heilung aus. Die Tonsillen waren schließlich
bis auf mäßige Hypertrophie normal. Wa R. war negativ. Es wurde Tonsillektomie
gemacht.
IX. H. Schrott er: Vortrag mit Iichtblldern über das Sklerom.
Spricht an der Hand von Karten, Photographien und Abbildungen über
die Klinik und Epidemiologie des Skleroms und betont die Zweckmäßigkeit,
diese Infektionskrankheit einem eingehenden Studium auf breiter Basis im
Wege einer Internationalen Skleromkonferenz zuzuführen. (Ausführliche Mit¬
teilung folgt).
Aussprache:
Perez: Ich glaube der Dolmetsch der Gefühle sämtlicher Mitglieder der
Gesellschaft zu sein, indem ich Herrn Dr. Schrötter den Dank ausspreche für
das sehr interessante Geschenk, welches er dem Museum der Klinik gemacht hat.
Ich benutze diese Gelegenheit, um Ihnen von dem Interesse zu sprechen,
welches bestehen würde, innerhalb dieser Gesellschaft eine Diskussion über die
Ansteckung und die Prophylaxis des Rhinoskleroma zu eröffnen. Sie wissen, daß
der wichtigste Ansteckungsherd dieser Krankheit sich an der Grenze Galiziens,
Rußlands und Deutschlands befindet und daß dieser Herd einer der wichtigsten
Kriegsschauplätze gewesen ist. Es wird von Interesse sein, festzustellen, ob die
Armeen, welche diesen Herd gekreuzt haben, die Ansteckung weiter getragen
haben und ob man eine giößere Ausbreitung dieser zu fürchtenden Krankheit zu
erwarten hat. In jedem Falle, w'andern aus diesem größtenteils slawischen Herde
seit dem Kriege viele Personen nach Amerika aus. Diese Frage hat daher vom
Standpunkte der internationalen Prophylaxis eine große Bedeutung. Ich schlage
also vor, daß die Wiener laryngologische Gesellschaft auf die Tagesordnung einer
ihrer nächsten Sitzung die Frage der Prophylaxis des Rhinoskleroma setze und
daß man die Kollegen aus Galizien einlade, an der Diskussion dieser Frage
teilzunehmen.
Schrötter (Schlußwort): (Nicht eingelangt.)
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Tratte des Affections de L’Oretlle. Von Lermoyez. Erster Band. Paria 1921.
ßoulay and Hautant.
Der Antor hat sich die Aufgabe gestellt, das Gebiet der Ohrenheil¬
kunde auf breitester Basis sowohl für den Praktiker als auch für den im
Spezialfach tätigen Arzt zu bearbeiten; der bis jetzt erschienene über
tausend Seiten zählende erste Baud verspricht eine umfassende und sehr
gründliche Darstellung des Stoffes. Au manchen Stellen des Buches führt
der oft temperamentvolle Autor lebhaft Klage über die Unwissenheit auf
dem Gebiet der Ohrerkrankungen in praktischen Ärztekreisen und offen¬
bar um diesem Übelstande abzuhelfen, geht er bei der Besprechung der
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586
Bücherbesprechungen.
Kapitel ttber Technik der Beleuchtung, Otoskopie Funktionsprflfung auf
das kleinste Detail ein, jeder Handgriff wird genauestens beschrieben.
Nicht minder erschöpfend ist natürlich die Therapie behandelt, den all¬
gemeinen Praktiker interessierende Kapitel wie Fremdkörper im Ohr,
sind mit stilistischer Lebhaftigkeit und deshalb sehr instruktiv geschrieben.
Den Hauptteil des ersten Bandes nehmen der akute nnd chronische Mittel¬
ohrkatarrh und die akute und chronische Mittelohreiterung ein, wobei
uns auffällt, daß die für den Praktiker gewiß wichtige Mucosus-Otitis
nur flüchtig erwähnt wird. Die Darstellung der operativen Technik, durch
eine Reihe von Zeichnungen veranschaulicht, bringt keine neuen Gesichts¬
punkte, die Darstellung der Nachbehandlung verrät die große persönliche
Erfahrung des Autors. Die Langweiligkeit des Lesens rein deskriptiver
Kapitel versteht der Autor durch Einstreuen von Erfahrungen aus dem
praktischen Leben zu bannen. Die einfache chronische Schleimhautent-
zttndung des Mittelohres wird als harmlos herausgegriffen und erfährt eine
besondere Darstellung, wurden doch diese Menschen „mit einem dritten
Nasenloch", die sich „durch das Ohr schneuzen“, im Anfang des großen
Krieges des Frontdienstes enthoben. Ce scandale dura peu. Ein im Kriege
erschienenes Reglement teilte die Otorrhoiker in zwei Gruppen, die
purulenten wanderten in die Spitäler, die mukösen an die Front. Die
intratympanalen Eingriffe, die Polypen-und die Gehörknöchelchenoperationen
werden mit Hilfe von Zeichnnngen veranschaulicht, wobei uns die Prüfung
des Labyrinthes vor dem Eingriff zu wenig berücksichtigt erscheint. Die
Überlegungen bei der Indikationsstellung zur Radikaloperatiou, das Ab¬
wägen der mitbestimmenden sozialen Faktoren, dem ein eigener Abschnitt
gewidmet wird, verraten den im Leben stehenden Praktiker. Mit der Dar¬
stellung der trockenen Mittelohrprozesse schließt der erste Band, der in
ausgezeichneter gründlicher Bearbeitung alles enthält, was der Praktiker
im täglichen Leben braucht. Fremel.
Bezugspreis der Monatsschrift für Ohrenheilkunde
nnd Laryngo-Rhinologie.
Durch die seit Jahresbeginn eingetretene enorme Steigerung der
Herstellungskosten, welche im verflossenen Halbjahr 200% übersteigt,
ferner durch das stetige Anwachsen der Papierpreise und aller anderen
Spesen, sehen wir uns gezwungen, den Bezugspreis der „Monatsschrift“
zu erhöhen.
Derselbe beträgt für das III. Quartal 1922: Für Deutsch Österreich
ö. K 3000.—, für Deutschland M 150.—, für Ungarn u. K 350.—, für
die Tschechoslowakei ö. K 50.—, für Jugoslawien Dinar 80.—, für Polen
p. M 1500.—, für alle übervalutigen Länder West-, Süd- und Nord¬
europas sowie der Ubersee 10 Franken Schweizer Währung exklusive Post.
Für den wissenschaftlichen Teil verantwortliche Redakteure: Dr. E. Urbantaohltsoh, Dr. H. Marathlk.
Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Urban 4 Safcwarzeaberg.
Druck R. Spiee & Co. Wien V.
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Organ der Österreichischen otologischen Gesellschaft
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L. v. SCHRÖTTER, V. URBANTSCHITSCH, E. ZUCKERKANDL
Unter Mitwirkung tob
Prof. Dr. F. ALT (Wien), Prof. Dr. R. bArÄNY (Upsala), PrW.-Do*. Dr. O. BECK (Wien), Prof. Dr.
A. BING (Wien), Priv.-Doz. Dr. G. BONDY (WieD), Prof. Dr. G. BRÜHL (Berlin), Prof. Dr. H. BURGER
(Amsterdam), Prof. D. DRMETRIADES (Athen), Prof. Dr. J. FEIN (Wien), Prof Dr. H. FREY (Wien),
PriT.-Do«. Dr. E. FBÖSCHELS (Wien), Dr. Y. FRÜHWALD (Wien), Priv.-Doa. Dr. 8. GATSCHER (Wien),
Prof. Dr. E. GLA8 (Wien), Prof. Dr. B. GOMPERZ (Wien), Prof. Dr. M GROSSMANN (Wien),
Prof. Dr. V. HAMMERSOHL AG (Wien), Dr. HEINZE (Leipzig), Prof. Dr. HEYMANN (Berlin), Prir.-
Do*. Dr.G. HOFER (Wien), Prof. Dr. R. HOFFMANN (Dresden), Prof. Dr. HOPMANN (Köln), Prof. Dr.
0. KAHLER (Freibarg i. Br.), Prir.-Doz. Dr. J. KATZEN8TEIN (Berlin), Dr. KELLER (Köln), Hofrat
Dr. "KIRCH NER (Wttrzburu), Prir.-Doz. Dr. K. KOFLER (Wien), OStA. Dr. 8. LAWNEB (Wien),
Prof. Dr. LICHTENBERG (Budapest), Dr. L. MAHLER (Kopenhagen), Prof. Dr. H. NEUMAYER (Mllnohen),
Dr. Max RAUCH (Wien), Prof. Dr. L. RÄTHI (Wien), Dr. Ed. RIMINI (Triest), Dr. F. RODE (Trieet),
Prrr.-Dox. Dr. E. RUTTIN (Wien), Prof. Dr. J. SAFRANEK (Budapest), Dr. F. SCHLEMMER (Wien),
Prof. Dr. A. SCHÖNEMANN (Bern), Beg.-Bat Dr. H. 8CHRÖTTER (Wien), Dr. M. 8EEMANN (Prag),
Dr. A. 8IKKEL (HaagjT, Dr. SPIRA (Krakau). Prir.-Doz. Dr. H. STERN (Wien), Dr. M. SUGAR (Budapest),
Prof. Dr. A. THOST (Hamburg), Dr. WEIL (Stuttgart), Dr. M. WEIL (Wien), Dr. E. WODAK (Prag)
H. NEUMANN
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herausgegeben ron
M. HAJEK
Wim
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für Ohrenheilkunde:
Ernst Urbant8chitsch
» Wien
Redakteure:
für Laryngo-Rhinologie:
Hermann Marschik
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56. Jahrgang, 8. Heft
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URBAN &. SCHWARZENBERG
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Monatlich erscheint 1 Heft von etwa 6 Bogen Umfang.
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Bestellungen nehmen alle Buchhandlungen sowie der Verlag Urban
& Schwarzenberg, Wien I, Mahlerstraße 4, und Berlin N 24, Friedrich-
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Inh alts Verzeichnis.
OrlginalsArtikel
Dr. Eugen Erde ly i, Szegedin: Über die Frühbehandlung der Ösophagus-
striktur nach Laugenverätzung.. . . . ..587
Dr. Erwin Suchanek, Wien: „Cehasol“ in der Laryngo-Rhinologie.592
Dr. A. Blumenthal, Berlin: Über Bedeutung und Technik der Freilegung
des inneren Gehörganges bei labyrinthärer Meningitis.595
Dr. Josef Spira, Wien: über das Verhalten des gesunden Vestibularapparates
bei einseitig Labyrinthlosen, nebst einigen Bemerkungen über die quanti¬
tative Prüfung der vestibulären Erregbarkeit.611
Wilhelm Sternberg, Berlin: Elementaranalyse der Wortsprache und der
Tonsprache. (Mit 4 Figuren)..623
Dr. Edmund Pogäny, Budapest: Heilung eines Falles von otogener Septiko-
pyämie bei einem bejahrten Manne.. 637
Dr. Alfred Vogl, Wien: Zur Kasuistik der isolierten Störungen der Zeige¬
reaktion. (Mit 4 Figuren).... 6^9
Dr. Julius Kohn, Prag: Ein Fall von schwerer Blutung aus dem Ohre . . . 647
Prof. Dr. Teofil Zalewski, Lemberg: Die Erkrankungen des Gehörorgans
bei Typhus exanthematicus.649
Dr. Theodor v. Liebermann, Budapest: Empfindliche Methode zur Prüfung
des Vorbeizeigens bei Labyrinth Störungen usw.. 653
Dr. Th. D. Demetriades und Dr. Ph. Mayer*: Zur kalorischen Labyrinth¬
prüfung mit Minimalreizen.654
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österreichische otologisohe Gesellschaft. Sitzung vom 28. Juni 1922 . 655
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Diagnostische und therapeutische Irrtümer und deren Verhütung.665
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MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LA R YN GO-RHIN OLOG1E
56. Jahrg. 1922. 8. Heft.
Nachdruck verboten.
OriginaUArtikfel.
Aus dem städtischen Allgemeinen Krankenhause in Szegedin, Ungarn
(Direktor: k. ung. Obersanitätsrat Dr. Josef Bo ros).
Über die Frühbehandlung der Ösophagusstrihtur
nach Laugenverätzung.
Von Dr. Engen Erdeljl, Ordinarins für Ohren-, Nasen- und Halskrankheiten des
obigeD Spitals.
Laugen und Säuren bewirken auf der Schleimhaut eine Gewebs-
nekroBe, welche dann, wenn sie nur oberflächlich ist, mit restitutio
ad integrum ausheilen kann; in konzentrierten Lösungen oder nach
länger dauernder Einwirkung können diese Gifte durch die Schichten
der Schleimhaut hindurchdringen, das darunter liegende Bindegewebe
und sogar auch die Muskulatur angreifen. Nach Laugenverätzung
schwillt das angegriffene Gewebe an, stirbt ab, demarkiert sich und
an seiner Stelle entsteht ein Geschwür bzw. später schrumpfendes
Narbengewebe. Auf diese Weise kommen bei Laugevergifteten in
der Speiseröhre die Narben zustande (insbesondere an den soge¬
nannten physiologischen Verengerungen i. e. auf der Höhe des Bing¬
knorpels, an der Bifurkation und an der Kardia), welche den Kranken
große Beschwerden und oft bis ans Ende des Lebens dauernde un¬
sägliche Leiden bereiten.
Bei Laugenvergiftungen handelt es sich meistens um kon¬
zentrierte Natronlauge. Es ist dies bekanntlich ein im Haushalt
vielfach verwendetes, im Handel für jedermann leicht zugängliches
Mittel. Die Vergiftung geschieht teils in selbstmörderischer Absicht,
teils — meist bei Kindern — ausVersehen. Es vergeht keine Woche,
in der nicht einige Laugenverätzungen in unser Spital eingeliefert
werden.
Bei der Behandlung wurde allgemein und auch bei uns das
Prinzip befolgt, daß mit dem Sondieren und mit der systematischen
Dehnung der Ösophagusstriktur nicht früher als 3, meist aber erst
4 Wochen nach erfolgter Vergiftung begonnen wird; zu dieser Zeit
sind nämlich die durch die Lauge erzeugten Geschwüre meist schon
Monatsschrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 39
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Original frum
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Engt n K r d <’ 1 y i.
verheilt. Eine früher beginnende Behandlung war bisher wegen der
Perforationsgefahr kontraindiziert. Diese von Lehrbuch zu Lehrbuch
übernommene eingewurzelte Regel haben wir auch angewendet und
ans bei der Behandlung unserer Fälle jahrelang darnach gerichtet.
Die Nachteile dieser späten Behandlung sind:
1. Die meist wenig intelligenten Kranken melden sich trotz
eingehender und wiederholter Aufklärung gewöhnlich nicht nach
3 bis 4 Wochen, sondern bedeutend später, wenn sie schon garnicht
oder höchstens Flüssiges schlucken können. Noch schlechter sind
die Verhältnisse bei kleinen Kindern, welche oft durch Nachlässig¬
keit der Eltern bis zur Ausbildung einer vollständigen inpermeablen
Striktur ohne Behandlung bleiben und wo die Behandlung dann mit
der Qastrostomie beginnen muß. Es kam vor, daß man uns bis zum
Skelett abgemagerte Kinder brachte, welche infolge der Striktur
schon tagelang keine Nahrung zu sich nahmen. Auch geschah es
nicht selten, daß so ein Kind nach der dennoch erfolgreichen Be¬
handlung sich der weiteren Kontrolle entzog und erst dann wieder
zum Vorschein kam, wenn sich die Striktur neuerdings ent¬
wickelt hatte.
2. Besonders bei tiefgreifenden Verätzungen mit konzentrierter
Lauge findet man nicht selten nach 4 Wochen schon so starke
Narben Verengerungen, daß eine Erweiterung erst nach großer Mühe
und langer Zeit gelingt und es nur zu leicht zu einem Rezidiv
kommt. Oft ist man trotz großer Geduld und Mühe nicht imstande,
solche Strikturen vollständig zu erweitern.
In Anbetracht dieser schwerwiegenden Gründe habe ich mich
auf Anregung meines früheren Chefs und Lehrers des Herrn Prof.
H a j e k mit der Frage befaßt, die Behandlung zu einem früheren
Zeitpunkt zu beginnen, wenn noch kein Narbengewebe, also noch
keine eigentliche Striktur vorhanden ist.
Gegen eine Frühbehandlung sprach die Gefahr einer Perforation,
Mediastinitis usw. Zweifellos muß mit diesen Gefahren gerechnet
werden. Bekanntlich kommt es nach Laugen Verätzung zu einer
Kolliquationsnekrose im Gegensatz zur Koagulationsnekrose nach
Säurevergiftung. Es kann daher eine gewaltsam eingeführte spitzige
oder harte Sonde leicht eine fosse route verursachen und somit von
letaler Wirkung sein. Diesen Uxfistand müssen wir uns stets vor
Augen halten und er ist auch für den bei der Behandlung einzu¬
schlagenden Weg maßgebend.
Seit einem halben Jahre (April 1921) beginne ich nun mit dem
Sondieren einige Tage nach der Vergiftung. In leichteren Fällen
nach 2 Tagen, in schwereren Fällen, wo auch an der Zunge und
im Rachen schwerere Verätzungen zu finden sind, oder wo Blut
erbrochen wurde, einige Tage später. Hat der Kranke Fieber, große
Schmerzen, ist er verfallen, oder bestehen von seiten des Magens
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Ülx-r die Friilil chaiidhmg der Ösopliai.'iisstiikUir nach Laugenveiiitzi.n^. 589
und Darmtraktes Komplikationen, so stehen wir natürlich von einer
so zeitlichen aktiven Behandlung ab, aber auch in solchen Fällen
wird, sobald sich der Allgemeinzustand gebessert hat, das Fieber
geschwunden ist und der Kranke wieder zu Kräften kommt, un¬
verzüglich mit der Sondierung begonnen. Die in den Magen gelangte
Lauge ruft dort an der Schleimhaut ähnliche, ja oft schwerere Ver¬
ätzungen hervor, da das Gift hier längere Zeit eiuwirken kann als
in der Speiseröhre. Mit dem Sondieren des Ösophagus wird vor¬
sichtig begonnen, und zwar mit einer englischen stumpfen Sonde,
welche mit Vaselin o. dgl. gut bestrichen ist; es ist nicht die dem
Alter des Kranken entsprechende dickste, sondern eine Sonde mit
mittlerem Kaliber zu wählen. Vor dem Einfuhren wird am Körper
des Kranken ungefähr die Entfernung bis zur Kardia an der Sonde
abgemessen und beim Sondieren trachtet man, nur bis zur Kardia
oder höchstens eben durch dieselbe vorzudringen, um nicht in den
Magen zu gelangen und dort eventuell verätzte Stellen zu be¬
schädigen.
Es geschieht häufig, daß der in unmittelbarer Nachbarschaft
eines Geschwüres gelegene Teil der Speiseröhre bei Berührung mit
der Sonde mit einer starken spastischen Kontraktion antwortet und
so eine Striktur vortäuscht. Das Einführen darf in diesem Falle
nicht forziert werden, sondern man wartet, bis sich der Spasmus
legt. Wenn auch dann ein weiteres Vordringen ohne Kraftanwendung
nicht gelingt, so muß eine dünnere Sonde versucht werden. Je
dünner die Sonde, um so größer die Gefahr der Perforation
bzw. der Verletzung des angegriffenen Gewebes, deshalb ist vom
Gebrauche ganz dünner Sonden bei der Frühbehandlung entschieden
abzuraten.
Ist nach Herausziehen der Sonde das Sputum blutig, oder sind
an der Sonde einzelne blutige Fleckchen zu sehen, so ist größte
Vorsicht notwendig. Klagt der Patient über Schmerzen, oder besteht,
eine, auch nur geringe Temperatursteigerung, so muß mit der
Sondierung sistiert werden und diese ist erst dann fortzusetzen,
wenn der Kranke vollständig fieber- bzw. beschwerdefrei ist.
Während des angeführten Zeitabschnittes hatte ich Gelegen¬
heit, 38 Kranke auf diese Weise zu behandeln. Das Resultat ist,
soviel sich heute sagen läßt, ein vorzügliches. Bei dem größten Teil,
auch bei einigen sehr schweren Fällen mit stark verätzter Zunge
und Rachen, Bluterbrechen und schweren Allgemeinsymptomen gelang
-es schon nach einigen Sitzungen die dem Alter des Kranken ent¬
sprechende dickste Sonde einzuführen und bei täglich für einige
Minuten dauernder Sondeneinführung konnte das Entstehen einer
Narben striktur verhindert werden. Die Behandlung dauerte 4 bis
5 Wochen, nachher wurden die Kranken erst wöchentlich, später
zweiwöchentlich kontrolliert.
39*
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590
Eugen E r d e 1 y i.
Id einen:) kleineren Teile der Fälle war ein günstiges Ergebnis
nicht so rasch zu erzielen, da das Tempo der Behandlung ver¬
langsamt werden mußte. Bei der Sondierung wurde nämlich blutiges
Sputum entleert bzw. stellten sich Schmerzen in der Speiseröhre
in der Gegend des Geschwüres ein. Ein Kranker wurde nach dem
ersten Sondieren subfebril, ein anderer bekam hohes Fieber bis za
40°, welches aber innerhalb 3 Tage lytisch ohne irgendwelche
Komplikationen abfiel. Auch in diesen Fällen waren wir aber
imstande, am Ende der 5. Woche die dem Alter der Kranken ent¬
sprechende dickste Sonde einzufahren und dem Ausbilden einer
Striktur vorzubeugen.
Die Zeit ist natürlich zu kurz, um sich über das Ergebnis
dieser Behandlung in puncto Rezidiven äußern zu könneD. Bei dem
einen oder dem anderen Kranken, der sich trotz eingehender Auf¬
klärung der weiteren Kontrolle entziehen wird, kann sich wohl
einmal eine Striktur einstellen. Es ist jedoch anzunehmen, daß bei
einer vorsichtigen Frühbehandlung den eine große Verengerung
hervorrufenden Narben auB dem Wege gegangen werden kann, und
so mittels einer verhältnismäßig kurze Zeit dauernden Behandlung
sehr viele nachträgliche Beschwerden verhütet werden.
Nach unserer bisherigen Erfahrung glauben wir fordern zu
können, daß jeder Fall von Laugeverätzung unmittelbar nach der
Vergiftung einer entsprechenden Behandlung unterzogen werde.
Auch die leichtesten Fälle bilden keine Ausnahme, da es nur zu
oft vorkommt, daß eine scheinbar geringfügige Vernarbung beim
zufälligen Bineingelangen eines größeren Bissens sich als schwere
Striktur erweist.
Eine Frühbehandlung hat auch insofern vieles für sich, da sich
die Kranken unmittelbar nach der Vergiftung schwerer krank fühlen
und daher sich ohne weiteres einer Behandlung unterziehen als
später, wenn mit Schwinden der akuten Erscheinungen das subjektiv»
Krankheitsgefühl nachläßt. Die inzwischen sich langsam ent¬
wickelnde Striktur bringt den Kranken erst spät — meist zu spät —
wieder zum Arzt. Dann erfordert aber eine Behandlung sowohl von.
seiten des Kranken, als auch von seiten des Arztes viel mehr Geduld
und Mühe.
* *
*
Seit Abschluß meiner Arbeit ist wieder ein halbes Jahr ver¬
laufen. Die während dieser Zeit gewonnenen Erfahrungen bestätigen
in bezug der Frühbehandlung das oben Gesagte.
Nach Frühbehandlung treten seltener — und dann gering-
gradigere — Rezidiven auf und diese sind meist in kurzer Zeit
leicht günstig zu beeinflussen, bzw. das Ösophagnslumen vollständig
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Über die Frühbehandlung der Ö<ophagusstriktur nach Laugenveriitzung. 591
zu erweitern. In einem großen Teil der Fälle kam es überhaupt
nicht zu einem Rezidiv.
Es sei hier dennoch zweier Fälle Erwähnung getan: Beide
waren schwere Vergiftungen mit heftigen Allgemeinerscheinungen,
schweren Mund-, Rachen- und Magensymptomen. Die Früh¬
behandlung konnte nur langsam und vorsichtig mit mehrmaligen
Unterbrechungen ausgeführt werden. Weiter als bis zu einer mittel-
dicken Sonde sind wir bis heute nicht gekommen. Bei dem einen
mußte wegen einer konsekutiven Pylorusstriktur eine Gastroentero¬
stomie vorgenommen werden und es scheint, daß den anderen Fall
dasselbe Schicksal erwartet. Beide Kranke hatten eine größere
Menge konzentrierter Lauge getrunken, nach welcher in der Speiseröhre
sowie im Magen eine schwere tiefgreifende Verätzung resultierte.
Ohne Frühbehandlung wäre bei beiden eine so hochgradige Stenose
entstanden — wie aus früherer Erfahrung hervorgeht — daß diese
nach dem bisher gewohnten längeren Zuwarten nicht einmal so
weit hätte gedehnt werden können, wie dies bei der Frühbehandlung
gelang, oder daß die Behandlung wegen der ausgebildeten inper-
meablen Striktur der Speiseröhre wahrscheinlich mit einer Gastro¬
stomie hätte beginnen müssen.
* «
*
Erst nach Beendigung dieser Arbeit wurde mir die Gelegenheit
geboten, mich mit der Literatur über dieses Thema eingehender
zu befassen. Ich erwähne daher kurz die Autoren, die sich schon
mit der Frühbehandlung beschäftigt haben:
Gersuny (1887) führt bald nach der Verätzung ein weiches
Schlundrohr ein. Roux (1913) empfiehlt es neuerdings am 6. Tage
in Narkose. Johanessen (1900). Zacharias (1914) bougieren am
10. Tage, H. Salzer (1920) bei Kindern am 2. bis 6. Tage, ebenso
Lot heissen; der letztere nur bei leichten Fällen. Ledoux (1920)
empfiehlt für frische Verätzungen das Einlegeu dünner Kautschuk¬
röhren, am besten Nelatonkatheter, die eine Woche liegen bleiben
können.
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592
Ki will S u c h a n <■ k.
Aus der Abteilung für Kehlkopf- und Nasenkrankheiten der Allge¬
meinen Poliklinik in Wien (Vorstand: Prof. Dr. H. M a r s c h i k).
„Cehasol“ in der Laryngo-Rhinologie.
Von Dr. Erwin Suchanek, Assistent der Abteilung.
Uber Erfolge mit Cehasol (Ammoniumsulfo-Ischtyfossilicum)
wurde in letzter Zeit aus dem Gebiete der Dermatologie 1 ) und
Gynäkologie 2 ) berichtet, so daß es auch angezeigt erscheint, einiges
über die Anwendungsweise dieses Ölschieferpräparates in der Laryngo-
Rhinologie mitzuteilen. An unserer Abteilung wurde dieses Mittel
in zweifacher Weise zur Anwendung gebracht.
Zunächst durch Applikation auf die Schleimhaut. Ausgehend
von dem Gedanken, daß es eine gewisse austrocknendc' Wirkung
entfaltet, wurden zunächst chronische feuchte Prozesse, also mit
starker Sekretion einhergehende Katarrhe der Nase, des Nasen¬
rachenraumes und des Rachens, mit einer 3 bis 5%igen Mischung
von Cehasol mit Glyzerin behandelt. Die Pinselungen wurden meist
jeden 2. öder 3. Tag vorgenommen, wobei es sich zeigte, daß die
Sekretion bald nachließ. Kontrollversuche mit reinem Glyzerin
ergaben, daß der Erfolg sich nicht so prompt einstellte. Da der
Rhinologe oftmals in der Behandlung chronischer Katarrhe mit dem
Behandlungsmittel wechseln muß, um eine günstige „Umstimmung“
der Schleimhaut zu erreichen, wird er jedes dahin wirkende Mittel
begrüßen. Das Cehasol scheint nach unseren Erfahrungen ein solche»
Umstimmungsmittel zu sein, um für die Schwellenreiztherapie in
Betracht zu kommen. Besonders gut bewährte es sich in einigen
Fällen bei Applikation im Rhinopharynx. Kranke, welche über starke
Schleimabsonderung „hinter der Nase“ klagten, bei der Postrhino-
skopie Schleim am Rachendach zeigten, ohne Anhaltspunkte für eine
Nebenhöhlenerkrankung zu geben, waren nach 1 bis 2 wöchiger
Behandlung von ihren Beschwerden befreit. Wir haben auf diese
Weise mehr als hundert Patienten behandelt und nur in den wenigsten
Fällen keinen Erfolg gesehen.
Ein Beispiel möge dies veranschaulichen:
Die 49jährige F. N. klagt seit vielen Monaten über Brennen im Halse
und starke Scbleimabsondernng im Rachen, welche sie fast fortwährend zum
Räuspern zwingt. Die Untersuchung ergibt leicht gerötete, in ihrer Konfiguration
nicht pathologisch veränderte Rachengebilde, das Rachendach glatt, von weiß-
x ) Planner, Cehasol in der Dermatologie. Wr. kl. Wschr. 1921, Nr. 5.
*) Bauer, Cehasol als Spezifikum gegen Schleimbauterkrankungen der
Vagina, Ars Medici 1921, Nr. 8.
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..Cehasol“ in der Laiyiigo-Rliinologie.
593
lichem Sekret überzogen. Nase ohne Besonderheiten. Kein Anhaltspunkt für eine
Nebenbohlenerkrankung. Nach 4maligem Pinseln mit Cehasolglyzerin im Laufe
von 10 Tagen sind die Beschwerden geschwunden und auch kein Schleim am
Rachendach nachweisbar. Eine nach 2 Monaten vorgenommene Kontrollunter-
suchung ergibt Wohlbefinden und vollkommenes Fehlen der oben beschriebenen
Schleimansammlung.
Die desinfizierende Kraft der Ölschieferpräparate, welche auch
dem Cehasol innewohnen muß, versuchten wir bei einigen Fällen
von Angina durch Pinselung mit 5% Cehasolglyzerin, wobei sich
bei Kranken mit Angina katarrhalis, follicularis und lacunaris ein
rasches Schwinden der Erscheinungen zeigte.
Auch akute Prozesse der Nase, bei denen immer eine starke
Sekretion vorhanden ist, haben aut Einträufeln von einigen Tropfen
3" /0 igen Cehasolglyzerin, die 1 bis 2 mal täglich vom Patienten
vorgenommen werden, insoweit gut reagiert als sie rasch zur Ab¬
heilung gelangten und zum Versiegen der Schleimabsonderung
führten.
Erwähnt sei noch, daß die Glyzerinmischung von den Patienten
nur selten schmerzhaft empfunden wurde. Nur bei Applikation in
der Nase wurde manchmal über ein leicht brennendes Gefühl
geklagt.
Ein weiteres Anwendungsgebiet des Cehasol, auf das wir ganz
besonders hinweisen möchten, liegt im Schutze der Haut nach
großen Larynx-, Tracheal- und Pharynxoperationen. Jeder Laryngo-
chirurg sieht nur zu oft das unheimlich rasche, bisher manchmal
nicht zu vermeidende Auftreten von Ekzemen der Haut in der
Umgebung von Fisteln oder Öffnungen der oberen Luft- und Speise¬
wege. Die bisher übliche Verwendung von Zinksalbe ist an unserer
Abteilung, seit wir das Cehasol gebrauchen, vollkommen verschwunden
und mit ihr das Auftreten von Ekzemen. Das Cehasol wird ohne
Verdünnung, also in reinem, dickflüssigem Zustand, schon beim
ersten Verbandwechsel mittels Wattepinsel auf die Haut in der
Umgebung der Wunde aufgetrageii, überzieht diese mit einer rasch
trocknenden lackartigen Schichte und schützt sie vor der Einwirkung
der Sekrete. Diese Schichte haftet fest und zeigt, wenn darüber ein
Verband gelegt wird, keine Sprünge. Bei dem Bestreben, den
Patienten nach Anlegen eines Tracheostomas baldmöglichst von der
Kanüle zu befreien, hat sich diese Cehasolschichte im Vergleiche
zur Zinksalbe, Vaselin usw. ganz besonders bewährt, da sie beim
Wegwischen des Trachealsekretes, wie es sich unter dem Tracheo¬
stoma fast immer ansammelt, gut haften bleibt. Es seien hier kurz
die Krankengeschichten zweier Fälle gebracht, die deutlich die
Cehasolwirkung zeigen :
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Erwin Suchan e k. „Cehasol“ in der Laryngo-Rhinologie.
1. Bei einem 62jährigen Tischler, J. P., mit Karzinom des Larynxeinganges
wurde die partielle Larynxexstirpation und Pharynxresektion ausgeführt. Durch
das Pharyngostoma entleerte sich reichlich Speichel, so daß trotz der an gewendeten
Zinksalbe und Austrocknung der Haut mit Alkohol und Xeroform ein heftiges
Ekzem der umgebenden Haut entstand. Dieses zeigte über talerstückgroße
epithelentblößte Stellen. Nach Anwendung von Cehasol sah man am nächsten
Tag keine Rötung mehr und zwei Tage später das Ekzem vollkommen verschwinden.
2. Bei einer 52jährigen mit hochgradigen Atembeschwerden eingelieferten
Patientin M. H., wurde auf Grund des tracheoskopischen Befundes die Diagnose:
Partielle karzinomatöse Entartung einer Rezidivstruma mit Durchwachsung der
Trachealwand gestellt und die Exzission des karzinomatösen Knochen mit aus¬
gedehnter Resektion der vorderen Trachealwand ausgeführt. Die Wundbehandlung
wurde in der üblichen Weise durchgeführt und vom ersten Verb&ndwechel an,
stets die Umgebung der Wunde mit Cehasol bepinselt. Als die Wundbehandlung
abgeschlossen war und Pat. mit offenem Tracheostoma umherging, wurde dieses
versuchsweise mit einem versteiften Heftpflasterstreifen verdeckt, um den normalen
Atemtypus durch die Nase zu ermöglichen. Bisher war nicht einmal eine Rötung
der Haut zu sehen gewesen. Nach 24 Stunden war an der bisher vollkommen
intakten Haut ein hochgradiges Ekzem in der Ausdehnung des Heftpflasters
entstanden, ein Zeichen für die große Empfindlichkeit derselben. Neuerliche An¬
wendung von Cehasol brachte das Ekzem nach weiteren 24 Stunde zum Schwinden.
Auch in anderen Fällen, bei denen nach Larynxexstirpation
und Pharynxresektion oft ein breites Pharyngostoma vorhanden war, aus
welchen sich reichlich Schleim und Speichel entleerte, konnten wir
das Entstehen eines Ekzems durch die Anwendung von Cehasol
vollkommen vermeiden und dadurch den Heilungsverlauf ganz
wesentlich abkurzen.
Zusammenfassend läßt sich daher sagen, daß das Cehasol in der
Laryngo-Rhinologie einerseits an der Schleimhaut als gutes Um¬
stimmungsmittel bei sekretorischen Prozessen zu gebrauchen ist,
andrerseits in der Laryngochirurgie als vorzügliches Vorbeugungs¬
mittel gegen Ekzem empfohlen werden kann, da dadurch die Wund¬
heilung ganz auffallend abgekürzt wird.
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A. B l u in e n t h a l. Freilegung des inneren Gehörganges.
Über Bedeutung und Technik
der Freilegung des inneren Gehörganges bei
labyrintliärer Meningitis.
Von Dr. A. Blumenthal, Berlin.
Die labyrinthäre Meningitis gehört zur Klasse der otogenen Lepto-
meningitiden. Alle diese otogenen Entzündungen der weichen Hirnhäute
können in der verschiedensten Weise verlaufen und müssen dem¬
entsprechend verschieden bewertet werden. Die Unterscheidung der
einzelnen Formen ist nicht immer ganz einfach. Die Literatur zeigt in
eklatanter Weise, wie grundverschieden die Prozesse sein können, die den
gleichen Namen Leptomeningitis tragen, sie zeigt auch, wie wenig man
sich bei dem Worte Leptomeningitis denken kann, wenn nicht gleichzeitig
nähere Angaben über die Art des leptomeningitischen Prozesses gemacht
werden. Die Schwierigkeiten, den Charakter desselben näher zu präzisieren,
liegen zum Teile in der Erkennung der Meningitis selbst infolge der Ver-
wasclienheit der Symptome bei geringgradigen Entzündungen, sie liegen
vor allem aber in der Feststellung der richtigen Beziehungen des
meningitischen Prozesses zu demjenigen Krankheitsherd, von dem er
ausgegangen ist. Was den ersten Punkt anbelangt, so mag als Beispiel
der öfter beobachtete Status nach Radikaloperation mit hoher Temperatur
und starken Kopfschmerzen gelten, den wir geneigt sind als seröse Reizung
der Leptomeningen aufzufassen, von dem wir aber nicht sicher beweisen
können, ob es sich tatsächlich um einen leptomeningitischen Prozeß
handelt. Was den zweiten Punkt betrifft, so ist es oft außerordentlich
schwer, im Anfang zu sagen, ob es sich um eine seröse bzw. eitrige lepto-
meningitische Reizung als sekundäre kollaterale Begleiterscheinung eines
anderen endokraniellen Herdes handelt, welcher als Haupterkrankung
anzusehen ist, oder ob wir es mit einer selbständigen hochwertigen Lepto¬
meningitis zu tun haben.
Leptomeningitien, welche per continuitatem allmählich von einem
Knochenherd oder einem Hirnherd aus entstehen, sind zunächst immer
gutartig und anders zu beurteilen als solche, die auf dem Blut- oder
Lymphweg entstanden sind. Letztere können ebenso wie die ersteren
geringfügiger Art sein, sie können aber auch ebenso gut, ganz im Gegen¬
satz zu ersteren, von vornherein einen durchaus selbständigen und bös¬
artigen Chrakter haben. Bei allen Entzündungen der weichen Hirnhäute
ist die biologische Frage von der größten Wichtigkeit, ob der meningitische
Prozeß noch im Abhängigkeitsverhältnis zu dem ursächlichen Herd steht,
d. h. ob er dem Wachstum oder der Abnahme des letzteren entsprechend
steigt oder fällt, oder ob er, völlig selbständig geworden, vom Wachsen
oder Rückgang des ursächlichen Herdes nicht mehr beeinflußt wird. Es
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A. B 1 u in e n t h a 1.
ist leicht zu sagen, daß die otogenen leptomeningitischen Veränderungen
stets sekundär von einem Herd des zum Ohre gehörigen Knochens oder
seiner intrakraniellen Nachbarschaft aus entstehen. Es ist oft recht
schwierig zu sagen, welcher Herd und welche Bahn der Weiterleitung
es ist, von welchem und auf 'welcher die Keime in die weichen
Hirnhäute hineingedrungen sind, und es ist vielfach noch schwieriger,
das richtige Abhängigkeitsverhältnis zwischen ursächlichem Herd und
meningitischer Entzündung zu bestimmen. Nur wenn man allseitig die
Dinge von diesen Gesichtspunkten aus betrachtet, kann man den lepto¬
meningitischen Prozeß richtig beurteilen und eine logisch begründete
Basis für die richtigen therapeutischen Maßnahmen schaffen. Selbst das
wichtigste Untersuchungsmoment, die Lumbalpunktion, für sich allein
betrachtet, gibt diagnostisch vielfach nur recht unsichere Anhaltspunkte
und ist keineswegs imstande, die mannigfach verschiedenen Prozesse, die
alle mit dem gleichen Namen Leptomcningitis belegt werden, in dem für
die Diagnostik und Therapie notwendigen Maße zu differenzieren. Man
kann bei der Beurteilung des Lumbalpunktates sehr leicht sowohl dem
Nichtvorhandensein gewisser Befunde wie dem Vorhandensein derselben
zu große Bedeutung beilegen und daher zu Trugschlüssen über die Art
der Erkrankung kommen. So lange aber .die Beurteilung der im jeweiligen
Falle vorliegenden Foim von lcptomeningitischer Erkrankung zweifelhaft
ist, muß man auch mit der Wahl der einzusohlagenden bzw. der Bewertung
der eingeschlagenen Therapie recht vorsichtig sein. Es werden leicht
therapeutische Eingriffe und Anordnungen deswegen als wirksam an¬
gesehen, weil post hoc der Verlauf der Erkiankung eine günstige Wendung
nahm, ohne daß duve günstige Wendung wirklich auf die betreffende
Therapie zu beziehen ist. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß eine
Reihe von Meningitiden schon auf die Ausschaltung des ursächlichen Herdes
günstig reagiert, während eine sehr aktive Therapie glaubt, auch den
meningitischen Prozeß selbst durch Eingriffe an den Meningen beeinflussen
zu müssen, und nun nach Eintritt der günstigen Windung dieselbe nicht
der Ausschaltung des ursächlichen Hei des, sondern dem zweiten Eingriff
oder beiden zusammen zuschreibt. Was die Beschaffenheit des Lumbal¬
punktates anbelangt , so müssen auf Gmnd des vielen Literat in materials
folgende Richtlinien für die Bewertung der Lumbalpunktatbefunde auf¬
gestellt werden. Die makroskopische feststellbare Klarheit des Punktates
besagt nichts. Denn im Sediment- könmn bei klanm Punktat vermehrte
Zellen und Bakterien sein. Es muß dalur bei klarem Punktat stets ein
Sediment angefertigt weiden. Verneinter Zellreichtum, besonders Vor¬
handensein von polynukleären Zellen spricht für einen Entziinduugs-
prozeß im Endokranium oder im Rück« nmarkskaiial. Das Fehlen von
vermehrten Zellen spricht aller nicht sicher dagegen. Vorhandensein von
Bakterien, besonders wenn sie in Reinkultur zu züchten sind, läßt auf
einen bakteriell bedingten Prozeß ebenda schließen. Das Fehlen von
Bakterien spricht wieder nicht absolut dagtgin. Sind die Bakterien die-
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Fivilrgimg des inneren Gehörganges.
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selben, wie die. des Ohreitors, dann ist anzunehmen, daß der Entzündungs¬
prozeß im Endokranium seinen Ausgang vom Ohre nahm. Erhöhter Druek-
und erhöhter Eiweiligelia.lt sprechen ebenfalls für einen Entzimdungs-
prozeß im Endokranium oder Kückenmarkskanal. Beim erhöhten Drucke
allein muß man gelegentlich allerdings auch an Stauung und Hydrops
denken. Hat man es mit getrübtem Punktat zu tun, sei es bakterienfreiem
oder bakterienhaltigen, so ist damit noch sicherer eine Entzündung an¬
gezeigt. Das bakterienhaltige Punktat ist, besonders wenn die Bakterien
kulturell gut zu züchten sind, stets viel ernster zu beurteilen als das
bakterienfreie, wie überhaupt, jeder positive Befund im Lumbalpunktat
stets mindestens einen gleich schweren Prozeß im Endokranium oder
Rückenmarkskanal mit Sicherheit anzeigt , wählend ein negativer Befund im
Punktat nie einen schworen Entzündungsprozeß in dt n genannt* n Gebieten
mit Sicherheit, ausschiießt. Blutiges Punktat spricht-, falls das Blut nicht
artifiziell beigemengt ist, für eine mit Blutung einhergelunde Veiiinderung.
Wenn wir somit aus dom Lumbalpunktat in vielen Fällen überhaupt nicht
sicher auf einen entzündlichen Herd im Schädel oder Pückenma.rkskanal
schließen können, wenn in anderen Fällen auf Grund des Punktatbefundes
ein entzündlicher Prozeß, sei es ein bakterienfreier oder bakterb nhaltiger,
mit Sicherheit angenommen werden darf und muß, so bleibt immer noch
die wichtige Frage übrig, in welchen Geweben und an welcher Stelle wir
den Hauptherd zu suchen haben. Diese Frage ist nur im Zusammenhang
mit allen übrigen Untersuchungsmomenten zu lösen. Selbst dann, wenn
das Lumbalpunktat der endokraniellen intraaraelmoidalen Flüssigkeit voll¬
kommen ent>preclen sollte, i>t die Diagnose noch lange nicht gekläit,
besonders bei leicht vcrändeitem Punktat. Polynukleäre Zellen in mäßiger
Anzahl können beispielsweise in den Int raaraohnoidalraum und somit in
den Lumbalkanal gelangen, ohne daß der Intlaarachnoidelraum selbst
wesentlich entzündet nt. Sie finden sich beispiel-weise hei allen möglichen
endokraniellen Herden auch ohne besondere Beteiligung des. genannten
Raumes, und niemand kann ihnen ansehen, ob sie von einem Extradural-
abszeß, von einer Simisthroinl ose, eim m Intraduralabszeß oder einem
Hirnabszeß aus in die Lumbalflüssigkeit hiueingclangt sind. Solche
leichte Veränderungen erlauben also nur ganz grobe Schlüsse. Sie sind
weder ein Beweis für (‘ine ausgesprochene Erkrankung der weichen Hirn¬
häute, noch lassen sie einen Schluß auf sonstigen Sitz des Hauptherdes zu.
Trotzdem sind sie ein wertvolles Memento. Sie sind liirht ohne Grund da.
und zeigen an, daß irgendwo im Endokranium eine krankhafte Veränderung
eingetreten ist. Man muß versuchen, aus der Gesamtheit aller Unter¬
suchung.^ moniente Näheres über den sie erzeugenden Eikiankungsherd zu
erfahren, wenn häufig auch die letzte Klärung der Diagnose erst intra
Operationen} unter Messer und Meißel erfolgt. Je schwerer das Lumbal¬
punktat verändert ist. desto bessere Schlüsse venr.öuen wird aus demselben
in bezug auf elie Verändeiung d< r Lt ptemniingt n zu ziehen. Sprach- eiie
lediglich in leicht vermehrtem Zellgr halt hestrher.de Veränderung des
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A. Blum v n t h a 1.
Punktatcs durchaus nicht sicher für eine wesentliche Veränderung des
Intraarachnoidalraumes, so können und müssen wir bei stark getrübtem
oder gar eitrigem Punktat sicher eine intensive Beteiligung der weichen
Hirnhäute annehmen. Hier ist kein Zweifel an dem Bestehen einer Lepto-
meningitis mehr berechtigt. Noch klarer wird das Bild, wenn das getrübte
Punktat reichlich Bakterien enthält, besonders wenn dieselben gut zu
züchten sind. Bei getrübtem oder eitrigen Punktat mit reichlichem
Bakteriengehalt muß eine ausgedehnte Leptomeningitis angenommen
werden. Mit dem Nachweis der leptomeningitischen Entzündung ist die
Diagnose aber in vielen Fällen nicht erschöpft. Man muß versuchen, fest¬
zustellen, auf welchem Wege, von welchem Herd aus die Entzündung
entstanden ist und ferner, in welchem Verhältnis sie zu dem Ausgangsherd
steht. Denn erstens ist die otogene Leptomeningitis eine Sekundär¬
erkrankung, die ohne Auffindung und Berücksichtigung des Primärherdes
nicht behandelt werden darf, und zweitens ist es, wie bereits erwähnt,
für die Bewertung der Sekundärerkrankung außerordentlich wichtig, sie
von dem Gesichtspunkt aus zu betrachten, ob sie noch im biologischen
Abhängigkeitsverhältnis vom Primärherd steht oder ob sie sich bereits
zu einem selbständigen Prozeß ausgewachsen hat. Ist doch gerade die Art
des Abhängigkeitsverhältnisses für den Verlauf und die Heilbarkeit des
meningitischen Prozesses von der größten Wichtigkeit. Ohne richtige
Beurteilung des Abhängigkeitsgrades kann man auch die Therapie, ab¬
gesehen von rein technischen, später noch zu besprechenden Fragen, nicht
richtig einschätzen. Es können Eingriffe am Primärherd unterlassen werden,
ohne welche eine Heilung des meningitischen Prozesses nicht zu denken ist,
und es können Eingriffe zum Zwecke der Beeinflussung der Leptomeningitis
selbst vorgenommen und als wichtig für die Heilung angesehen werden,
die bei richtiger Behandlung des Primärherdes durchaus überflüssig sind
und gegenüber der Inangriffnahme des Primärherdes für den günstigen
Verlauf der Erkrankung wenig oder gamicht in Betracht kommen. Es
wird ferner bei schärferer Unterscheidung der verschiedenen lepto¬
meningitischen Prozesse die Verschiedenartigkeit der Wirkung operativer
Eingriffe bei verschiedenen Fällen besser verstanden. Wenn wir nun die
einzelnen Formen der beiden Kategorien von leptomeningitischer Ent¬
zündung 1. der abhängigen unselbständigen, 2. der unabhängigen selbst¬
ständigen zusammenhängend betrachten, so gehören zur ersten Kategorie,
d. h. zu den abhängigen Leptomeningitiden alle lokalisierten Entzündungen
der Leptomeningen, die per continuitatem allmählich von einem eitrigen
Herde in der Nachbarschaft aus entstanden sind, in der ersten Zeit ihres
Bestehens. Solche eitrige Nachbarherde sind Intraduralabszesse, Intra-
zerebral- und Intrazerebellarherde, erkrankte Sinus, erkrankte intra-
arachnoidale Gefäßbezirke, und schließlich erkrankte Labyrinthe, deren
Veränderungen sich langsam nach dem Endokranium fortsetzen und dabei
nicht plötzlich, sondern allmählich auf den Intraarachnoidalraum über¬
greifen. Es handelt sich dann entweder um rein seröse Ausschwitzungen
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Freilegung des inneren Gehürganges.
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der weichen Hirnhäute oder um lokalisierte serös eitrige oder eitrige Ent¬
zündungen, die zunächst keine ausgesprochene Tendenz zum schnellen
Wachsen haben oder sich doch nur parallel mit dem ursächlichen Herd,
wie beispielsweise bei einem wachsenden Hirnabszeß, ausbreiten. Da&
klinische Bild dieser Art von Leptomeningitis läßt die schwersten Symtome
der voll entwickelten Leptomeningitis, Benommenheit, ausgesprochene
Nackenstarre, die heftige Unruhe des Meningitikers, incontinentia alvi
et urinae vermissen. Aus dem Lumbalpunktat sind Bakterien in Rein¬
kultur gewöhnlich nicht zu züchten. Zu der zweiten Kategorie, d. h. den
selbständigen Meningitiden gehört in erster Linie die foudroyant ent¬
standene Meningitis, die bei schweren akuten Otitide n infolge hämatogener
Bakterienaussaat schon in den ersten Tagen entstehen kann, gehört ferner
die Meningitis, die sich plötzlich bei bestehender Mittelohreiterung an
Schläfenbeinfrakturen anschließt oder die nach Labyrinthverletzungen
oder plötzlichen Eitereinbrüchen ins Labyrinth nach schneller Fort¬
pflanzung der Entzündung durch den Meatus einsetzt, gehören ferner alle
Meningitiden, die zunächst durchaus im Abhängigkeitsverhältnis von dem
Primärherd stehen, sich aber durch allmähliches dauerndes Wachstum
so verstärken, daß sie sich zu völlig selbständigen Prozessen auswachsen,
und unbekümmert um das Schicksal des primären Herdes w r eiterbestehen,
gehören ferner alle Meningitiden, die zunächst durchaus abhängig sind>
dann aber durch einen plötzlichen Vorgang, wie z. B. Durchbruch von
Verwachsungen, eine plötzliche katastrophale Steigerung erfahren. Die
Differenz zwischen der meningitischen Veränderung bei vorübergehender
kollateraler oder toxischer Reizung und derjenigen bei foudroyant ent¬
standenen und ausgebreiteten Erkrankungen ist begreiflicherweise sehr
groß. Diese verschiedenen Arten — die leichteste auf der einen, die
schwerste auf der anderen — müssen außerordentlich verschieden be¬
wertet werden, und ganz besonders im Hinblick auf die operativen
therapeutischen Maßnahmen und ihre Wirkungen. Teilen wir sämtliche
operativen Versuche, die bei der otogenen Leptomeningitis teils mit, teils
ohne Erfolg angewandt w r orden sind, in zwrei Klassen, so haben wir es zu
tun erstens mit Maßnahmen, die lediglich den primären Herd angreifen
in der Erwartung, daß die Ausschaltung desselben auch ein Erlöschen
des meningitischen Prozesses zur Folge haben wird, zweitens mit operativen
Maßnahmen, die den Herd bzw. die Veränderungen an den Leptomeningen
selbst angreifen, drittens mit einer Kombination von operativen Ma߬
nahmen, welche den Primärherd und die Veränderungen an den Lepto¬
meningen in Angriff nehmen. Ihnen gegenüber stehen die nichtoperativen
Maßnahmen der internen Therapie.
Es ist klar, daß alle Formen leptomeningitischer Entzündung, die
wir als vom Primärherd abhängige Meningitiden bezeichnet haben, nach
der Ausschaltung des Primärherdes zurückgehen müssen. Denn darin
liegt ja gerade ihre Abhängigkeit, daß sie nicht in sich, sondern ent¬
sprechend dem Wachsen oder Fallen des Primärherdes steigen und fallen.
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600
A. B 1 u m e n t h a 1.
Daraus geht ferner hervor, daß es bei diesen abhängigen Leptomeningitiden
keiner weiteren Eingriffe an der weichen Hirnhäuten zum Zwecke der
Beeinflussung der Meningitis selbst bedarf, weil auch ohne sie der
meningitisclie Prozeß zurückgeht. Es muß daher mit großer Skepsis auf*
genommen werden, wenn bei meningitischen Erscheinungen von manchen
Operateuren außer der operativen Inangriffnahme des Primärherdes noch
operative Maßnahmen an den Hirnhäuten vorgenommen wurden und nun
das Zurückgehen der meningitischen Symptome auf die kombinierten
Eingriffe oder gar auf die Eingriffe an den Leptomeriingen allein zurück¬
geführt wurde. Die letzteren waren vermutlich überflüssig, wenn es sich
nicht um besondere Dinge, wie abgekapselte Intradural- oder Intra-
araehnoidallierde gehandet hat. Es ergibt sich naturgemäß die Frage,
ob überhaupt Eingriffe an den Hirnhäuten selbst imstande sind, lepto-
meningitische Entzündungen günstig zu beeinflussen. Als solche Eingriffe
kommen in Betracht erstens die Inzision der Dura oder die Lappenbildung
der Dura, zweitens die Inzision der Araclmoiden. Was die Eröffnung der
Dura anbelangt, mit oder ohne Lappenbildung der Dura, so kann sie
höchsten zur direkten Ableitung des Intraduralraumes, nicht aber zur
direkten Ableitung des Intraarachnoidalraumes dienen. Da aber die
Leptomeningitis ihren Sitz im Intraarachnoidalraum hat, so ist von
vornherein nicht mit einem günstigen Effekt derartiger Maßnahmen
zu rechnen. Es findet sich allerdings nicht selten bei ausgedehnter Lepto¬
meningitis freies eitriges Exsudat im Subduralraum, aber dann fast immer
nui 4 in der hinteren Schädelgrube. Dort tritt die eitrige Flüssigkeit, wie
ich mich bei einer großen Reihe von Sektionen bei eitrigen Lepto¬
meningitiden überzeugen konnte, vermöge der tiefen Lage und der be¬
sonderen anatomischen Verhältnisse nicht selten, wenn sie reichlich in den
Zisternen des Intraarachnoidalraumes angesammelt ist, auch in den
Intraduralraum über. Hier könnte man also vielleicht daran denken,
durch eine Drainage des Intraduralraumes sekundär auch den Intra-
araehnoidalraum zu entlasten und somit die Entzündung in demselben
zum Rückgang zu bringen. In den mittleren Schädelgruben haben wir
viel seltener freies eitriges Exsudat aus dem Intraarachnoidalraum. Hier
könnte durch Durainzisionen also nur eitriges Exsudat abgeleitet werden,
welches sich intradural lokalisiert angesammelt hat, wie z. B. bei einem
intraduralen Abszeß. Es bedarf nicht vieler Worte, um darauf hinzu¬
weisen, daß solch ein Prozeß in keiner Weise mit der otogenen Lepto¬
meningitis identisch ist. Wenn daher Durainzisionen zum Zwecke der
Ableitung freien Sekretes bei Leptomeningitiden gemacht werden sollen,
so kommen auf Grund der oben beschriebenen Sektionsbefunde nur solche
in der hinteren Schädelgrube in Betracht. Von der Vorstellung ausgehend,
daß Bildung von Duralappen zwecks Drainage des Intraduralraumes hier
an der tiefsten Stelle einigen Erfolg haben könnte, und mehr noch zur
Prüfung der Frage, ob überhaupt bei derartigen Maßnahmen eine praktisch
wichtige Drainage des Subduralraumes in der hinteren Schädelgrube
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601
Freilegung des inneren (Jehörganges.
erzielt werden könnte, legte ich in einem schweren Falle diffuser Meningitis
entsprechend der hinteren unteren Fläche des Kleinhirns einen Dura-
lappen von Zweimarkstückgröße an. Es kam hier nicht so sehr darauf an,
die schwere, wenig aussichtsvolle Leptomeningitis zu heilen, wie darauf,
zu sehen, ob an dieser nach theoretischen Überlegungen günstigsten Stelle
eine praktisch brauchbare Ableitung der Subduralsekrete erzielt würde
oder nicht. Ob dadurch auch der Intraarachnoidalraum zu entlasten war.
darauf kam es zunächst nicht an. Das wäre Gegenstand weiteer Unter¬
suchungen gewesen, die in dem Augenblick hinfällig wurden, in welchem
der Beweis der Wertlosigkeit der Lappenbildung für die Ableitung des
Subduralraumes gegeben war. So lange der Patient lebte, zeigte sich in
keiner Weise eine nennenswerte Absonderung von Wundsekreten aus der
großen Duraöffnung. Das Kleinhirn legte sich dicht an die Ränder der
Öffnung und wirkte so als Verschluß. vSehr dünnes, seröses Sekret wäre
vielleicht mehr hindurchgetreten, aber für dickes, eitriges, fibrinöses Sekret
war der Abfluß höchst schwierig und imbequem. Bei der Sektion fand sich
wie gewöhnlich Eiter an der Basis des Kleinhirns, außerdem Blutgerinnsel
in der Nachbarschaft der Duraöffnung. Verklebungen zwischen Hirn und
Durawunde hatten sich nicht gebildet, wie sie meistens ausbleiben, wenn
das Gehirn oder die Hirnhäute schmierig verändert sind. Sie treten ge¬
wöhnlich nur ein, so lange Innenfläche der Dura und Oberfläche der
weichen Hirnhäute noch imstande sind, produktives entzündliches Gewebe
zu bilden, also bei nicht zu hochgradiger entzündlicher Veränderung, oder
wenn die Gewebe sich von dem Zustande schwerster Schädigung erholen
und zu einem Stadium geringerer Schädigung zurückkehren. Es muß
also festgestellt werden, daß die Anlegung einer großen Duraöffnung mittels
Lappenbildung in keiner Weise ableitend auf den Subduralraum gewirkt
hat und daß sie daher noch weniger imstande war, den Intraarachnoidal-
prozeß günstig zu beeinflussen. Es kann bei leptomeningitischer Ent¬
zündungen auf Grund der obigen Ausführungen von Durainzisionen hin¬
sichtlich der direkten Beeinflussung der Leptomeningitis selbst nicht
viel erwartet werden. Ebenso wenig ist das der Fall, wenn man gleichzeitig
Einschnitte in die Arachnoidea macht. Man kann ein so ausgedehntes
Maschen- und Buchtensystem überhaupt nicht durch eine oder wenige
Inzisionen drainieren, es sei denn, daß es sich um einen eng begrenzten
Herd handelt, wie etwa bei einer lokalen Leptomeningitis im Bereich
einer thrombosierten Vene. Wir müssen daher die Eingriffe an den Hirn¬
häuten selbst zum Zwecke der Heilung leptomeningitischer Prozesse mit
der größten Skepsis betrachten, soweit es sich um diffuse und selbständige,
vom Primärherd unabhängige Veränderungen handelt, und die Wirkung
solcher Eingriffe als nebensächlich und die Eingriffe meist als über¬
flüssig erklären, soweit es sich um kollaterale und vom Primärherd ab¬
hängige Entzündungsformen handelt. Wir können sie einstweilen
im wesentlichen nur dort gelten lassen und können und müssen
sie dann anwenden, wenn es sich um abgekapselte oder durch Ver-
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602
A. Blunientha 1.
I
klebungen begrenzte intradurale oder intraarachnoidale Eiterherde
handelt. Wo das nicht der Fall ist, kommt bei den otogenen lepto-
meningitischen Entzündungen in allererster Linie die operative Aus¬
schaltung des ursächlichen Primärherdes, welcher zur Meningitis geführt
hat, in Betracht. Aber auch durch diese wird nur dann ein Erfolg zu
erwarten sein, so lange die Entzündungen der Leptomeningen im Ab¬
hängigkeitsverhältnis von der ursächlichen Erkrankung stehen. Haben
sie die Grenze, an welcher die Abhängigkeit aufhört und das diffuse selbst¬
ständige Wachstum anfängt, überschritten, oder sind sie von vornherein
durch die Art des Entstehens oder die Stärke der Virulenz vollkommen
selbständig in ihrem Verlauf, dann ist von der Ausschaltung des Ausgangs¬
herdes nicht viel mehr zu erwarten. Man muß sich im Anschluß an die
letztere mit Einwirkungen vom Lumbalkanal, interner und physikalischer
Therapie begnügen und zufrieden sein, wenn in Einzelfällen der schwere
intraarachnoidale, eitrige Prozeß nicht tötlich endigt. Es ist vielfach im
Anfang natürlich außerordenlich schwierig, zu sagen, ob wir es mit einem
abhängigen Prozeß zu tun haben oder nicht. Nur durch Berücksichtigung
sämtlicher diagnostisch wichtiger Momente kann man zum richtigen
Urteil kommen. Da trotzdem manche Fälle nach dieser Richtung hin unklar
bleiben werden und es sich in dubio stets empfiehlt, mit der Möglichkeit
der Beeinflußbarkeit der Meningitis durch Ausschaltung des Primärherdes
zu rechnen, so muß therapeutisch in jedem Falle die letztere ins Auge
gefaßt werden. Das ist bei einer Reihe von Fällen nicht schwierig, wenn
sich der Weg vom Primärherd bis zu den entzündeten Leptomeningen
klar Schritt für Schritt verfolgen läßt, d. h. bei den durch kontinuierliches
allmähliches Weiterwachsen des Prozesses entstandenen. Nicht leicht ist
diese Ausschaltung dann, wenn man den Weg der Weiterleitung nicht klar
übersehen kann, wenn beispielsweise verschiedene Herde oder verschiedene
Wege der Weiterleitung in Betracht kommen. Da bleibt vielleicht der
wichtigere Herd oder die wichtigere Leitung unentdeckt und unberück¬
sichtigt, und mit der Beseitigung der anderen ist nichts geholfen. In
gleicher Weise ist der Nutzen der Eröffnung nur beschränkt, wenn es
einem nicht gelingt, an den Punkt zu gelangen, bei dem die Entzündungs¬
erscheinungen schwächer werden oder gar halt gemacht haben. Jeder
operative Eingriff bei Entzündungsprozessen hat dann die meisten
Chancen, wenn man bis ans Ende der Entzündung, wenigstens aber bis
über den Punkt der größten Spannung hinaus vorgedningen ist.
Versucht man nun, nach den vorangegangenen Ausführungen über
die otogene leptomeningitische Entzündung im allgemeinen die Eröffnung
des Meatus acusticus internus bei labyrinthärer Meningitis richtig zu
bewerten, so muß man sagen, daß, wie alle otogenen Leptomeningitiden,
auch die labyrinthäre in verschiedener Form auftrcten kann, daß sie durch
Ausschaltung des primären Herdes im Labyrinth nur wesentlich be¬
einflußt werden wird, so lange sie noch im Abhängigkeitsverhältnis von dem¬
selben steht, und daß die Ausschaltung des Primärherdes in Form der Er-
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Freilegung des inneren Gehörganges.
603
Öffnung des Meatus internus nach der Eröffnung des Labyrinthes nur dann
Zweck und Erfolg haben kann, wenn die Entzündung vom Labyrinth auch
wirklich durch den Meatus internus und nicht auf anderer Bahn bis zu den
Leptomeningen vorwärts geschritten ist, daß diese Eröffnung des Meatus
aber auch nur dann aussichtsvoll erscheint, wenn der Höhepunkt der
Entzündung nicht schon jenseits des Meatus liegt. Die Eröffnung des
Meatus ist also nur dann berechtigt, wenn die Entzündung vom Labyrinth
auf den Meatus übergegiiffen hat. Entweder macht sich dies Fortschr eiten
auf den Meatus klinisch durch Symptome noch nicht bewerkbar, das
Fortschreiten ist nur durch den intra operationem erhobenen Befund zu
diagnostizieren, und die Indikation zur Meatusoperation wird daher eben¬
falls erst bei der Labyrinthoperation selbst aufgestellt, wie ja vielfach für
die Eingriffe am Labyrinth nicht so sehr die klinischen Symptome wie
gerade die intra operationem gefundenen Veränderungen an der Labyrinth¬
kapsel ausschlaggebend sind. Oder aber das Fortschreiten der Entzündung
vom Labyrinth auf den Meatus macht sich klinisch dadurch bemerkbar,
daß die Entzündung vom Meatus noch weiter zentralwärts fortschreitet
und durch Beteiligung der Leptomeningen meningitische Symptome aus¬
löst. Es ist durchaus möglich, daß neben einer Labyrinthitis noch ein
anderer eitriger Herd besteht und nicht die Labyrinthitis, sondern der
andere Herd die Leptomeningitis erzeugt hat. Dann kann man durch
Eröffnung des Meatus der Leptomeningitis natürlich nicht beikommen.
Es ist ferner durchaus vorstellbar, daß eine labyrinthäre Meningitis nicht
durch den Meatusweg, sondern auf anderem Wege vom Labyrinth aus,
beispielsweise durch Vermittlung des Sacculus entsteht. Auch hier ist
die Eröffnung des Meatus selbst überflüssig und zwecklos. Es genügt
durchaus die Resektion des Labyrinthes bis an den Meatus. Ob die Meatus¬
operation, unter den genannten richtigen anatomischen Voraussetzungen
gemacht, nutzen, d. h. den leptomeningitisehen Prozeß günstig beeinflussen
wird, ist eine weitere Frage. Der Eingriff ist nach dem oben Gesagten nur
dann aussichtsvoll, wenn der leptomeningitische Prozeß noch im Ab¬
hängigkeitsverhältnis von den Veränderungen im Meatus steht und noch
nicht als selbständige Erkrankung anzusehen ist, die sich um ihren
Ausgangsherd nicht mehr kümmert. Es handelt sich daher eigentlich nur
um alle chronisch entstandenen Formen. Die labyrinthären Meningitiden,
welche beispielsweise bei Labyrinthverletzungen in der Nachbarschaft
eitriger Mittelohrherde ganz akut entstehen, zeigen gewöhnlich einen so
foudroyanten Verlauf, daß hier von einer etappenförmigen Ausdehnung,
bei welcher die nächste Etappe noch in engen Zusammenhang mit der
vorigen steht, nicht gesprochen werden kann. Die Verbreitung des Prozesses
auf den Intraarachnoidalraum geht mit einer so rapiden Schnelligkeit
vor sich, daß in ganz kurzer Zeit eine voll entwickelte biologisch durchaus
selbständige Leptomeningitis vorliegt. Dieselbe noch durch breite Er¬
öffnung des Labyrinthes oder des Meatus beeinflussen zu können, ist nicht
viel mehr als ein guter Wunsch. Die Tatsachen lehren, daß man sie von
Monatesohrift f. Ohranheilk. u. Lar »-Rhin. 60. Jahrg. 40
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604
A. Blumen thal.
hier aus meistens nicht mehr beeinflussen kann. Dasselbe gilt für viele
eitrige Labyrinthitiden und Meningitiden, die nach einem plötzlichen Eiter¬
einbruch ins Labyrinth vom Mittelohr her bei akuten sehr virulenten
Otitiden entstehen. Aurch hier gibt es vielfach keine schrittweise Fort¬
entwicklung. Der Intraarachnoidalraum wird in diesen Fällen gewöhnlich
schnell überschwemmt, die selbständige Leptomeningitis ist da und läßt
sich durch Eröffnung des Meatus nicht mehr zurückbringen. So bleibt als
Hauptdomäne für che Freilegung des Meatus die Meningitis, welche sich
an einen langsam fortschreitenden Prozeß im Labyrinth und Meatus an¬
geschlossen hat, die chronische Form der Labyrintheiterung mit Meningeal-
symptomen übrig. Hier kann man bei rechtzeitiger Vornahme der Operation
die Meningitis erfolgreich beeinflussen. Man kann es allerdings nur so lange,
wie der leptomeningitische Prozeß im Abhängigkeitsverhältnis von den
genannten Herden steht. Hat derselbe durch immer neue Speisung vom
Meatus her infolge nicht rechtzeitiger Vornahme der Labyrinth- und
Meatuseröffnung einen gewissen Stärkegrad überschritten, dann wächst
er selbständig weiter und wird nunmehr durch die Eröffnung des Ausgangs¬
herdes nicht mehr beeinflußt. Klinisch beobachtet man dann bald die
schwersten Symptome: Nackenstarre, Benommenheit, starke Unruhe,
Incontinentia alvi ei urinae. Es gibt natürlich Übergangsformen, bei
denen in dubio ratsamer ist die Operation vorzunehmen, als die Hände
in den Schoß zu legen, selbst auf die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlich¬
keit hin, daß der Eingriff nichts mehr nutzt.
Was nun die Technik der Eröffnung des Meatus anbelangt, so ist
dieselbe von Neumann in der Mschr. f. Ohrenhlk. 1911 in der Weise an¬
gegeben worden, daß der Meatus lediglich von der hinteren Pyramiden¬
fläche aus eröffnet wird. Nach oben zu macht N e u m a n n dem Sinus
petrosus Halt, um keine Blutung zu bekommen. Diese Art der Operation
macht die Freilegung des inneren Gehörganges technisch zu einer recht
schwierigen. Man muß sich in einer schmalen Mulde weit in die Tiefe
arbeiten, die rückwärts begrenzt wird von der Dura der hinteren Schädel¬
grube, nach vorn von dem Pyramidenteil stirnwärts vom Meatus, nach
oben von dem Knochenabschnitt der Pyramide oberhalb des Meatus,
nach unten von einer Horizontallinie, welche etwa den oberen Rand des
Bulbus venae jugularis tangiert. N e u m a n n warnt vor einer Ver¬
letzung des in der oberen Pyramidenkante in einem Sulkus eingelagertem
Sinus petrosus superior und verweist daher den Operateur auf das unter¬
halb desselben gelegene Knochengebiet als Operationsterrain.Der Operateur
ist also auf einen sehr tiefen, nach innen spitz zulaufenden, durch die eben
angeführten Grenzlinien begrenzten engen Knochentrichter angewiesen.
Der der mitteieren Schädelgrube anliegende, den oberen Bogengang ent¬
haltende Teil der Pyramide wird nach Neumanns Beschreibung nicht
mitreseziert. Jedenfalls ist nichts davon gesagt. Es liegt auf der Hand,
daß man eine viel breitere Eröffnung des Meatus erzielt, wenn man nicht
nur die ihn occipitalwärts deckende Knochenschicht fortnimmt, wobei
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Freilegung des inneren Gehörgangee.
605
man dauernd in sehr engen Verhältnissen arbeiten muß, sondern wenn
man gleichzeitig den nach oben zu um den Meatus gelagerten Knochen,
welcher an die mittlere Schädelgrube stößt und den oberen Bogengang
enthält, fortnimmt. Diese Art der Freilegung hat den Vorzug der größeren
technischen Leichtigkeit, der breiteren Eröffnung des Meatus, den der
vollständigen Ausschaltung des statischen Labyrinthes, den oberen Bogen¬
gang eingeschlossen und den der Freilegung der Dura der hinteren und
mittleren Schädelgrube, soweit sie dem erkrankten Labyrinth anliegen.
Bei dieser radikalen Resektion des Labyrinthes und übersichtlichen Frei¬
legung aller dem Labyrinth und Meatus benachbarten endokraniellen
Gebiete hat man eine sehr große Sicherheit, daß man vom kranken
Knochen nichts stehen läßt und an der harten Hirnhaut so leicht nirgends
eine Veränderung, die mit dem Labyrinth Zusammenhängen könnte,
übersieht. Es ist bekannt, wie schwer es selbst intra operationem oft zu
sagen ist, auf welchem Wege die Ohrerkrankung auf die Meningen über¬
gegriffen hat. Nicht selten sind nicht ein, sondern verschiedene Herde
vorhanden, die als Ursache der Leptomengitis in Betracht kommen.
Vielleicht wird nur der eine gefunden, der andere, welcher den wirklichen
• Ausgangspunkt darstellt, bleibt unentdeckt und die eigentliche Quelle ist
somit nicht ausgeschaltet. Es gibt nichts Unangenehmeres für den
Operateur, als einen Herd nicht gefunden und dadurch den tötlichen
Ausgang verschuldet zu haben. Je ausgiebiger und vollkommener man
nun bei vorliegenden eitrigen Labyrintherkrankungen die Resektion des
Labyrinthes,Freilegung des Meatus und der Dura der hinteren und mittleren
Schädelgrube nach den obigen Gesichtspunkten durchführt, desto sicherer
wird man das Übersehen von Herden vermeiden. Das ist nächst der
größeren technischen Leichtigkeit ein nicht zu unterschätzender Vorzug
bei der Eröffnung des Meatus von der hinteren plus mittleren Schädel¬
grube. Dazu kommt ferner, daß die Nachbehandlung einer Reihe von
endokraniellen Komplikationen in der Nachbarschaft der tieferen Pyra¬
midenteile desto leichter ist, je umfangreicher der Knochen, welcher
diesem endokraniellen Herd vorgelagert ist, entfernt wird. Gerade die
tief liegenden Abszesse kommen häufig deswegen nicht zur Heilung,
weil der Zugang zu ihnen durch vorgelagerte Knochen zu sehr begrenzt
ist. Wir haben alle Veranlassung, wenn der ursächliche Knochenherd es
erlaubt oder sogar fordert, die tieferen Pyramidenteile für die Übersicht
und Drainage des endokraniellen Herdes so ausgedehnt wie möglich zu
resezieren. Ich wies bereits in der Mschr. f. Ohrenhlk. 1914, Nr. 10, S. 1243,
darauf hin, daß man durch Resektion des Labryrinthblocks nicht nur
bis zur Dura der hinteren, sondern auch bis zur Dura der mittleren
Schädelgrube, die Labyrinthresektion, die Freilegung des Meatus und die
der tiefen labytinthären Abszesse ausgiebiger gestalten könne. Eine Reihe
von Versuchen am Präparat lehrte das ganz einwandfrei, so daß nach
diesen Vorversuchen die Methode am Lebenden ausgearbeitet werden
konnte. Bevor die Krankengeschichte des Falles mitgeteilt wird, soll die
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A. Blumenthal.
606
Ausführung der Operation näher beschrieben werden. Nach Herstellung
der gewöhnlichen Radikaloperationshöhle wird der Sinus freigelegt und
der medial von ihm gelegene Knochen bis an den hinteren Bogengang
und noch etwas weiter ohne Rücksicht auf den letzteren reseziert. Ebenso
wird die Dura der mittleren Schädelgrube über der Pauke etwa bis an die
Gegend des oberen Bogenganges freigelegt. Die obere Kante der Pyramide,
welche etwa noch beide Dura voneinander trennt, wird mit der Knochen¬
zange fortgekniffen, so daß jetzt beide Dura bis zu dem Teile des Pyra¬
midenknochens freiliegen, welcher das Dach des Labyrinthes bildet
bzw. die oberen Teile des Labyrinthes selbst enthält. Blutet der Sinus
petrosus superior, so ist die Blutung aus dem meist nicht sehr dicken
Gefäß durch Kompression mit dem stumpfen Meißel oder durch Tamponade
zu beherrschen. Bevor nun die tieferen um den Meatus gelagerten Knochen¬
teile inklusive Gegend des oberen Bogenganges und des Sacculus reseziert
werden, muß die Dura der mittleren und hinteren Schädelgrube möglichst
weit vorsichtig vom Knochen abgedrängt werden. Es ergibt sich aus den
anatomischen Verhältnissen, daß dabei in der Gegend des Sacculus ein
Durariß entstehen kann, denn die Dura sendet hier einen Fortsatz in den
Knochen hinein. Das ist nicht als sehr schweres Ereignis zu bewerten, weil .
die Eröffnung des Meatus ja gerade wegen der bereits bestehenden
Meningitis gemacht wird, eine frische Infektion also kaum zu be¬
fürchten ist, besonders wenn man nachher die Öffnung der Dura nach der
Stelle des Porus acusticus internus hin erweitert, wo sich der Übergangs¬
punkt der Entzündung im Meatus auf den Intraarachnoidalraum befindet.
Es handelt sich nunmehr nach Ablösung der Dura beider Schädelgruben
um die Resektion des den Meatus bedeckenden Knochens. Dieselbe wird
in folgender Weise durchgeführt. Nachdem das Vestibulum bereits von
hinten her eröffnet worden ist, wird dicht oberhalb des horizontal ver¬
laufenden Fazialisteiles parallel mit ihm ein flach gekrümmter Hohl¬
meißel angesetzt und etwa in der Horizontalebene, dabei leicht nach oben
gerichtet, vorgetrieben. Seine Ansatzlinie bildet einen Teil der Basis zu
einem Dreieck, dessen Seiten gebildet werden von den Kanten der vorderen
und hinteren Pyramiden fläche nach Freilegung der beiden Dura bis an
den Labyrinthblock, dessen Spitze also im lateralen Punkte der oberen
Pyramidenkante (nach Resektion des ganzen äußeren Teiles derselben)
liegt. Treibt man nun von der genannten Ansatzstelle den Meißel in der
genannten Richtung vor, dann sprengt er den oberen Teil des Labyrinth¬
blockes und teilweise die Decke des Meatus ab bzw. verdünnt er die
Decke des letzteren so sehr, daß der Meatus nach vorsichtiger Heraus¬
hebung des abgesprengten oberen Knochenstückes ohne Schwierigkeiten
von oben her weiter eröffnet werden kann. Es ist nicht allzu schwierig,
von dieser verhältnismäßig weiten Knochenlücke aus weiter in der Tiefe
vorzugehen. Sollte der Sinus petrosus superior jetzt bluten, so ist die
Blutung durch Tamponade zu beherrschen. Ist vor der Absprengung des
Knochenstückes die Dura möglichst weit abgelöst, dann hat man bei
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Freilegung des inneren Gehörganges.
607
derselben keine Duraverletzung zu befürchten. Der Sprung im Knochen
erfolgt auch gewöhnlich schon bevor der Meißel an der Dura ist. Eine
Verletzung könnte eigentlich nur bei unvorsichtigem groben Herausheben
des abgesprengten Knochens erfolgen. Eine Verletzung des Fazialis kommt
nicht in Frage, wenn man den Meißel dicht oberhalb des horizontalen
Fazialisastes ansetzt und wenn man sich möglichst vorher überzeugt, wie
der Fazialis zum horizontalen Bogengangswulst, der mit fortfällt, liegt.
Bleibt der Meißel leicht nach oben gerichtet, kann er den Fazialis, weil
dieser nicht über die Horizontalebene ansteigt, nicht verletzen. Im Meatus
acusticus selbst ist der Nerv, weil er am meisten nach vorn und innen
liegt, der Verletzung ebenfalls nicht beträchtlich ausgesetzt, eher noch
der Akustikus. Aber die Verletzungsmöglichkeit ist bei richtiger Meißel¬
führung nicht sehr groß, und außerdem ist sie bei diffuser fortschreitender
eiternder Labyrinthitis belanglos. N e u m a n n weist bei der Beschreibung
seiner Methode der Eröffnung des Meatus von hinten darauf hin, daß der
Knochentrichter sich nach der Operation infolge der großen Granulations¬
kraft der Dura schnell und beträchtlich verengt. Ich kann diese Angaben
durchaus bestätigen. Bei der oben beschriebenen Methode ist der Knochen¬
defekt erheblich größer als bei der N e u m a n n sehen und doch wird
die Knochenlücke bald durch Hineinwachsen der granulierenden Dura
in dieselbe so sehr ausgefüllt, daß sich die ausgeheilte Höhle später nicht
von einer gewöhnlichen Radikaloperationshöhle unterscheidet, höchstens da¬
durch, daß sie wegen des künstlich herbeigeführten Tiefstandes der Dura der
mittleren Schädelgrube nicht so hoch hinaufragt, wie jene. Es ist klar, daß
die obige Art der Labyrinthresektion und Eröffnung des Meatus, bei der
selbstverständlich auch die Kochlea genügend eröffnet werden muß, eine
vollständige Ausschaltung des labyrinthären und retrolabyrinthären
Herdes, der zu der meningitischen Reizung geführt hat, bedeutet. Sie
bietet überall dort Aussicht auf erfolgreiche Bekämpfung der Meningitis,
wo der leptomenigitische Prozeß erstens nicht von vornherein als bös¬
artige selbständige Erkrankung aufgetreten ist und zweitens infolge zu
langer Unterlassung des notwendigen Eingriffes nicht zu sehr angewachsen
ist, so daß er sich von dem abhängigen imselbständigen Prozeß zu einer
selbständigen Erkrankung ausgewachsen hat, die dann auf die Beseitigung
des ursächlichen Herdes nicht mehr reagiert.
In dem einschlägigen Falle handelte es sich um einen 12jährigen Jungen,
welcher seit Jahren an linksseitiger Ohreiterung litt, sieh seit einigen Tagen nicht
wohl fühlte und nun mit Kopfschmerzen, Übelkeit und hoher Temperatur erkrankte.
Die Untersuchung ergab folgendes: Temp. 40°, Bewußtsein klar, Pupillenreflex
beiderseits gleich. Pupillen gleich weit. Motorische Kraft beiderseits gleich,
ebenfalls die Sehnenreflexe, die sich überall leicht gesteigert fanden. Keine
Veränderung der Sensibilität. Keine Nackensteifigkeit. Bückenmuskulatur zeigt
eine gewisse Steifigkeit. Kernig positiv. Stuhl und Urin werden gut gehalten.
Am 1. Ohre besteht Totaldefekt des Trommelfelles, von hinten oben kommt ziemlich
viel fötider Eiter. Warzenfortsatz o. B. Es besteht völlige Taubheit links, normales
Gehör rechts. Sehr spärliche kleinkalibrige nvstagmische Zuckungen nach rechts und
links. Kein Vorbeizeigen. Auf Drehnystagmus wird nicht geprüft, weil eine Prüfung
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608
A. Blumenthal.
auf solchen im Liegen mangels eines entsprechenden Liegedrehstuhles, der bei so
hoch fiebernden Kranken an Stelle des Drehstuhles zum Sitzen angewandt werden
sollte, nicht vorgenommen werden kann. Bei der Lumbalpunktion zeigt sich das
Punktat stark getrübt. Es enthält reichlich polynukleäre Zellen. Bakteriologisch
wird ein Gemisch von Bakterien, besonders Stäbchen gefunden; die angelegte Kultur
ergibt, wie sich einige Tage später zeigt, kein eindeutiges Resultat. Bei diesem Befunde
ist die Annahme einer meningitischen Reizung infolge chronischer Otitis media und
interna das Nächstliegendste. In Äthernarkose Totalaufmeißelung am 30. X1L 1921.
Die Kortikalis des Prozessus zeigt keine Veränderungen. In der Tiefe ist das Antrum
zu einem gut bohnengroßen Raume erweitert. Es ist erfüllt mit stinkendem Eiter
und reichlichen Granulationen. Der Knochen ist ausgesprochen kariös. Nach Säuberung
des Hohlraumes zeigt sich der Wulst des horizontalen Bogenganges vollständig ab¬
geflacht. Es wird eine gut 3 mm lange Fistel sichtbar. Die völlige Ertaubung des
1. Ohres, der Befund an der Labyrinthwand und die nachgewiesene meningitische
Veränderung (Lumbalpunktat) lassen den Schluß zu, daß es sich um eine diffuse
eitrige Labyrinthitis handelt, die mit aller Wahrscheinlichkeit durch den Meatus
internus hindurch, den Intraarachnoidalraum infiziert hat. Das Fehlen der schwersten
meningitischen Erscheinungen spricht dafür, daß es sich noch nicht um einen selbst¬
ständigen meningealen Prozeß handelt und daß die vollkommene Eröffnung des
Primärherdes denselben noch günstig beeinflussen kann. Es wird daher das Vesti-
bulum eröffnet. Dasselbe zeigt sich vollständig erfüllt mit dunkelroten Granulationen.
Es fließt kein Tropfen Liquor ab. Nach Eröffnung der Kochlea wird der Meatus
internus nach der oben beschriebenen Methode eröffnet, wobei das obere Knochen¬
stück beim Meißeln leicht einspringt und ohne besondere Schwierigkeiten und ohne
Duraverletzung entfernt werden kann. Beide Dura und Sinus waren vorher gesund
befunden worden. Eine Blutung aus dem Sinus petrosus superior erfolgt nicht. Der
Fazialis reagiert während der ganzen Operation nicht, obwohl sein Knochenkanal vor
dem horizontalen Bogengang vollkommen durch Karies zerstört ist und der Nerv, in
rötliches Granulationspolster ein gehüllt, freiliegt. Auch in den nächsten Ta gen, in denen
der zum Schlüsse der Operation eingeführte Tampon noch nicht entfernt ist, zeigt sich
nur eine geringfügige paretische Schädigung des Nerven, die sich mit der nicht selten
zu beobachtenden Paralyse infolge Tamponadendruck nicht vergleichen läßt. Diese
Widerstandsfähigkeit erklärt sich aus dem Schutze, welchen dem freiliegenden Nerven
durch das Granulationspolster bzw. die Schwarten infolge der chronischen Entzündung
geboten wird. Der Verlauf des Falles war vollkommen glatt. Die Temperatur fiel
in wenigen Tagen zur Norm ab, der Allgemeinzustand war und blieb sehr gut. Die
Höhle granulierte stark. Nach 8 Tagen plastische Erweiterung des engen Gehörganges,
fortan Tamponade vom Gehörgang aus. Am 3. III. 1922 war die Wunde hinter dem
Ohre fest vernarbt, die Höhle epidermisiert bis auf einen Bezirk in der Pauke, der
sich nicht mit Epidermis bedeckt hatte. Die Dura der hinteren und mittleren Schädel¬
grube hatten von vornherein reichliche Granulationsbildung gezeigt. Sie wuchsen
fest in den Knochendefekt der Pyramide hinein, die Höhle wurde nicht nur nicht
größer als die üblichen Radikaloperationshöhlen, sondern durch den Tiefstand der
Dura infolge Narbenzug eher noch flacher. Nach 8 Wochen drehte sich der Patient
aktiv ohne Schwierigkeit lOmal schnell nach rechts und links, ohne daß er irgendwie
schwankte. Diese gute und schnelle Ausgleichung sehen wir bekanntlich dann am
deutlichsten, wenn das statische Labyrinth nicht plötzlich, sondern allmählich wie
bei chronischen Prozessen geschädigt oder vernichtet worden ist. Der Patient zeigte
weder nach 10 schnellen Rechts- noch Linksdrehungen Nystagmus. Der sogenannte
Kompensationsnystagmus war also nicht vorhanden. Der Kompensationsnystagmus
wird dann nicht beobachtet, wenn es überhaupt auf die übliche Stärke der Drehungs¬
reizung hin nicht zur nystagmischen Reaktion kommt, d. h. bei Individuen mit träger
Erregbarkeit des statischen Labyrinthes oder der vestibulären Reflexbahnen.
Es handelte sich im vorliegenden Falle zweifellos um einen lepto-
meningitischen Prozeß bei chronischer Otitis media und interna. Wie
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Freilegung des inneren Gehörganges.
609
aus dem klinischen Verlauf und dem Befunde an der Labyrinthkapsel
und dem Labyrinthinnern hervorging, war der kariöse Knochenprozeß
allmählich vom Mittelohr weiter vorgedrungen, hatte zunächst den
Bogengang arrodiert, war ins Vestibulum gelangt und hatte sich von
dort auf dem Wege des Meatus zu den Leptomeningen fortbewegt. In
der Anamnese finden sich nirgends Zeichen eines plötzlichen Labyrinth-
einbruches. Die intrakranielle Komplikation hatte sich langsam durch
Tage lang dauernde Vorboten angekündigt. Als die leptomeningitischen
Zeichen da waren, ließen sie die schwersten Symptome einer lepto¬
meningitischen Erkrankung vermissen. Das Lumbalpunktat wies keinen
einheitlichen Bakterienbefund auf. So mußte der Fall geradezu als Schul¬
fall einer chronischen Mittelohr-, Innenohr- und Meatuserkrankung mit
konsekutiver, vom Primärherd noch abhängige Leptomeningitis auf¬
gefaßt werden. Es bestand die Wahrscheinlichkeit, durch radikale Er¬
öffnung und Ausschaltung des Primärherdes den leptomeningitischen
Prozeß zum Stillstand und Rückgang zu bringen. Das schnelle Abklingen
der Erscheinungen bestätigte die Richtigkeit dieser Auffassung im Sinne
der obigen Ausfüllrungen. Die beschriebene Methode der Freilegung des
Meatus internus erwies sich als bequem und brauchbar, als eine Methode
gründlichster Ausräumung des Herdes und größter Übersichtlichkeit.
Sie dürfte sich für die Radikalausräumung des Labyrinthes und Meatus
ebenso bei tief liegenden labyrinthären Komplikationen im Endokranium
empfehlen.
Zusammenfassung:
1. Die labyrinthäre Leptomeningitis ist nach denselben Gesichts¬
punkten zu beurteilen wie die otogene Leptomeningitis überhaupt.
2. Die otogene Leptomeningitis ist eine Sekundärerkrankung, die
von einem Herde im Schläfenbein oder seiner Nachbarschaft ausgeht.
3. Sie steht entweder im Abhängigkeitsverhältnis vom Ausgangs¬
herd, d. h. sie steigt und fällt mit demselben, oder sie ist eine selbständig
für sich bestehende, vom Primärherd nicht mehr abhängige Erkrankung.
4. Zu den abhängigen Formen gehören in der ersten Zeit ihres
Bestehens alle durch allmähliches kontinuierliches Weiterwachsen von
Schicht zu Schicht entstandenen Leptomeningitiden, ausgehend von
Knochenherden, Sinuserkrankungen, umschriebenen Intraarachnoidal-
gefäßthrom bösen, Extraduralabszessen, Intraduralabszessen, Hirn •
abszessen, Labyrinthitiden und die toxischen Meningealreizungen.
5. Zu den selbständigen unabhängigen Leptomeningitiden gehören
alle foudroyant entstandenen Formen mit reichlicher Aussaat von Bak¬
terien in den Intraarachnoidalraum, wie sie hämatogen bei Mittelohr¬
eiterungen oder nach Schläfenheinfrakturen oder nach plötzlich ent¬
standenen Labyrintheiterungen infolge Labyrinthverletzung oder infolge
plötzlichen Eitereinbruches ins Labyrinth mit schnellem Fortschreiten
beobachtet werden. Zu den selbständigen Leptomeningitiden gehören
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610
A. Blumenthal. Freilegung des inneren Gehörganges.
ferner die durch kontinuierliches Weiterwachsen von Schicht zu Schicht
entstandenen Labyrinthitiden bei längerem Bestehen und dauerndem
Wachstum infolge Nichtausschaltung des ursächlichen Herdes.
6. Für die Beurteilung der leptomeningitischen Erkrankungen ist
das Lumbalpunktat allein meistens nicht ausreichend. Denn die Be¬
schaffenheit des Lumbalpunktates ist durchaus nicht immer die gleiche
wie die der intrakraniellen intraarachnoidalen Flüssigkeit. Leichte Ver¬
änderungen im Punktat beweisen nicht sicher das Bestehen einer lepto¬
meningitischen Erkrankung, sprechen aber auch nicht gegen eine solche.
Schwere Veränderungen lassen bei Ausschluß von Rückenmarkskanal¬
erkrankungen stets auf eine wesentliche Veränderung im Intraarachnoidal-
raum schließen, sagen aber vielfach nichts über den genauen Sitz des
primären otogenen Herdes und über das Abhängigkeitsverhältnis zwischen
diesem und leptomeningitischer Veränderung.
7. Zur genauen Beurteilung des leptomeningitischen Prozesses
müssen alle Untersuchungsmomente herangezogen werden. Klinisch
fehlen bei den abhängigen leptomengitischen Reizungen in der Mehrzahl
der Fälle die schwersten meningitischen Symptome wie Bewußtlosigkeit,
starke Unruhe, incontinentia alvi et urinae, ausgesprochene Nacken¬
steifigkeit.
8. Operative therapeutische Maßnahmen am Primärherd sind in
erster Linie bei leptomeningitischen Erkrankungen wirksam so lange diese
noch vom ursächlichen Herde abhängig sind. Die leptomeningitischen
Veränderungen gehen dann meistens von selbst zurück, sobald der
Primärherd ausgeschaltet ist. Die selbständigen Leptomeningitiden
reagieren wenig oder gar nicht auf die Ausschaltung des Primärherdes.
9. Besondere operative Maßnahmen zum Zwecke der direkten Be¬
einflussung des leptomeningitischen Prozesses, wie Dura- und Arachnoidea-
inzisionen müssen in ihrer Wirksamkeit recht gering eingeschätzt werden.
Sie sind überflüssig bei abhängigen Leptomeningitiden und von wesentlicher
Bedeutung nur bei abgegerenzten Intradural-, oder Intraarachnoidal-
abszessen. Sie nutzen nichts bei unabhängigen Leptomeningitiden, weil
es keine wirksame Drainage des weithin erkrankten Intraarachnoidal-
raumes durch Dura- oder Arachnoidalinzisionen gibt.
10. Auf Grund obiger Ausführungen muß gesagt werden, daß die
labyrinthäre Leptomeningitis durch Eröffnung des Meatus intemüs nur
beinflußt werden kann, erstens wenn die Leptomeningitis durch den Meatus
hindurch entstanden ist, wenn die Erkrankung im Meatus also einen Teil
des ursächlichen Primärherdes darstellt und die Eröffnung des Meatus
somit die Ausschaltung eines Teiles des Primärherdes und des Anfangs¬
teiles der Weiterleitungsbahn bedeutet, zweitens wenn es sich um langsam
fortgeschrittene und nicht um foudroyant ausgebreitete Entzündungen
handelt, drittens wenn die Eröffnung gemacht wird, so lange der stärktse
Punkt des ganzen Entzündungsprozesses noch nicht jenseits des primären
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Josef Spiro. Der gesunde Vestibularapparat bei einseitig Labyrinthlosen. 611
otogenen Herdes liegt, die Leptomeningitis also noch nicht selbständigen
Charakter angenommen hat.
11. Zur Freilegung des Meatus wird die Eröffnung von der mittleren
und hinteren Schädelgrube nach oben beschriebener Methode empfohlen.
Aus der Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrank¬
heiten (Vorstand: Prof. H. N e u m a n n).
Über das Verhalten des gesunden Yestibularapparates
bei einseitig Labyrinthlosen, nebst einigen Be¬
merkungen über die quantitative Prüfung der vesti¬
bulären Erregbarkeit.
Von Dr. Josef Splra, Aspirant der Klinik.
Die Erscheinung, daß bei einseitig Tauben und vestibulär
Ausgeschalteten auch der zweite gesunde Vestibularapparat seine
Funktionen einbüßen kann, ist schon lange bekannt. B ä r ä n y hat
auf diese Tatsache zuerst aufmerksam gemacht, verschiedene Autoren
haben dann solche Fälle beobachtet, beschrieben oder in Vereinen
demonstriert. Bis jetzt aber sind noch keine systematischen Unter¬
suchungen vorgenommen worden, um festzustellen, ob hier eine
sporadische Erscheinung vorliegt oder ob es sich um eine Gesetz¬
mäßigkeit handelt und um welche. Die Frage ist ziemlich wichtig,
sowohl vom theoretischen, als auch vom praktischen Standpunkt.
Theoretisch, weil sie uns manche Aufklärungen über die Art der
Auslösung des spontanen Nystagmus nach einseitiger Labyrinth¬
zerstörung geben könnte. Wir wissen nämlich, daß, wenn es bei
einseitig Labyrinthlosen zur Erkrankung des anderen gesunden
Labyrinths kommt, neuerdings Nystagmus und andere vestibuläre
Symptome zur Gegen- also zur labyrinthlosen Seite auftreten.
Bär an y nimmt deswegen an, daß der bei der Ausschaltung eines
Labyrinthes eintretende Nystagsmus hauptsächlich auf Störungen
innerhalb der Zentren zurückzuführen ist. Die pheriphere Auslösung
des spontanen Nastagmus soll neben der zentralen Auslösung in
diesen Fällen nur eine Nebenrolle spielen. Diese Annahme würde
sehr an Wahrscheinlichkeit gewinnen, wenn wir beweisen könnten,
daß nach einseitiger Labyrinthzerstörung auch das zweite, bis jetzt
gesunde Ohr seine vestibuläre Erregbarkeit einbüßt. Aber auch
praktisch kann es unter Umständen von großer Bedeutung sein, zu
wissen, ob die vestibuläre Ausschaltung eines bis jetzt gesunden
Labyrinthes — die Folge der Zerstörung der anderen Seite oder
vielleicht eine ganz frische Erkrankung ist.
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612
Josef Spira.
Was die in der Literatur angegebenen Fälle betrifft, so
beschreibt zuerst B ä r a n y 1 ) zwei solche Fälle, bei welchen er
beim Ansspritzen der gesunden Seite mit 12° Wasser nur eine
minimale Reaktion erhalten konnte. Leider fehlen genaue Angaben
über die Art der Zerstörung und über das Alter der Ausschaltung.
Herzog 2 ) berichtet über zwei ähnliche Fälle, von denen aber nur
einer genau analysiert wird. Es handelte sich um eine beiderseitige
tuberkulöse Mittelohreiterung bei einem 73jährigen Pfründner. Zur
Zeit der Untersuchung (9. III. 1906) waren beide Labyrinthe
kalorisch normal erregbar. Am 11. V. traten einige heftige Schwindel¬
anfälle auf und am 13. V. konnte eine linksseitige Taubheit fest¬
gestellt werden, rechts blieb das Gehör bis auf 30 cm. Konv. Sprache
erhalten. Kalorischer Nystagmus war beiderseits nicht auszulösen.
Nuernberg 3 ) beschreibt einen Fall von Abstoßung der Schnecke
und aller drei Bogengänge. In diesem Falle lag eine linksseitige
chronische Mittelohreiterung nach Scharlach vor. Im Jänner 1905
trat plötzlich Paralyse des N. facialis ein, gleichzeitig hochgradiger
Schwindel. Am 9. II. 1905 Totalaufmeißelung mit Entfernung eines
sequestrierten Bogenganges aus dem Antrum, dem im Laufe der
Behandlung zwei weitere Bogengänge und die Schnecke folgten.
Die Nachprüfung im April 1907 und im November desselben Jahres
ergaben Drehnystagmus, beiderseits gleich. Kalorische Reaktion
links 0, rechts, d. i. am gesunden Ohr, minimal. L e i d 1 e r 4 ) be¬
richtet über eine rechtsseitige chronische Mittelohreiterung bei einem
tuberkulösen Individuum. Die Eiterung bestand seit Jahren; seit
2 Monaten heftige Schmerzen im Warzenfortsatz und Bildung eines
Periostalabszesses. Der Patient war rechts taub und unerregbar,
sowohl kalorisch, wie auch beim Drehen und galvanisch. Links
bestand eine leichte Affectio n. acustici; Unerregbarkeit für kalo¬
rische und Drehreize, galvanisch ließ sich beim Anlegen der Kathode
an dem Warzenfortsatz bei 14 M. A. ein Nystagmus hervorrufen.
Beck demonstrierte am 29. XII. 1912 in der Wr. otolog.
Gesellschaft einen Schneider mit beiderseitiger Mittelohreiterung.
Der Patient litt seit einigen Monaten an Schwindel und Brechreiz.
Es bestand rechts totale Taubheit. Kal. R. 0, links: Konv.-Sprache,
7 m. Kal. R. 0, Drehr. 0. Wegen meningealer Symptome wurde
rechts eine Labyrinthoperation nach Neumann vorgenommen;
nach der Operation trat kein spontaner Nystagmus auf. Eine
i) Bar&ny, Untersuchungen über den vom Vestibularapparat ausgolösten
Nystagmus. Mschr. f. Ohrenhlk. 1906.
3 ) Herzog, Labyrintheiterung und Gehör, München 1907.
s) Nuernberg, Beiträge für Klinik der Labyrintheiterung, Arch.
f. Ohrenhlk. 1908.
*) L e i d 1 e r, Bericht über die Tätigkeit der Ohrenabteilung, Arch. f.
Ohrenhlk. 1910.
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Der gesunde Vestibularapparat bei einseitig Labyrinthlosen.
613
3 Wochen später vorgenommene Untersuchung ergab nach Spülung
mit kaltem Wasser einen schwachen, aber deutlichen Nystagmus
I. Grades. Bei der zweiten, vier Wochen später wiederholten Unter¬
suchung war auch die Drehreaktiou vorhanden. Derselbe Autor
demonstriert in der Wr. otolog. Gesellschaft im Oktober 1919 einen
Fall mit rechtsseitiger Taubheit und Labyrinthausschaltung durch
Cholesteatomeiterung und Fehlen der kalorischen Reaktion beider¬
seits — bei normalem linken Mittelohr.
Auch den von R u 11 i n 5 ) zitierten Fall könnte man hier ein¬
reihen. Es handelte sich bei diesem um eine vollständige Unerreg¬
barkeit, sowohl für kalorische als auch für Drehreize bei gut
erhaltenem Hörvermögen, als Folge einer traumatischen Läsion des
Labyrinthes. Die zweite Seite ergab eine typische Reaktion, doch
sehr schwach und ohne Schwindel.
Dagegen provozierte Herzog 6 ) durch Plombierung der runden
Fensternische bei Katzen eine künstliche eiterige Labyrinthitis, die
dann zur Labyrinthausschaltung führte. Die erkrankten (rechten)
Labyrinthe erwiesen sich ausnahmslos als reaktionslos, während auf
der gesunden (linken) Seite die kalorische Reaktion prompt aus-
gelöst werden konnte, mit einer einzigen Ausnahme; doch zeigte in
diesem Falle das „gesunde“ Labyrinth ausgedehnte mikroskopische
Veränderungen, so daß diese als Ursache der Reaktionslosigkeit
aufgefaßt werden müssen.
Die hier angeführten Fälle sind so mannigfaltig, sowohl was
die Ätiologie, wie auch was den Verlauf anbetrifft, daß sie eigent¬
lich zu keinen richtigen Schlüssen führen. Außerdem wissen wir
nicht, ob in den vielen anderen Fällen der Labyrinthausschaltung
eine genaue Untersuchung des gesunden Labyrinthes vorgenommen
worden ist oder ob man sich nicht vielleicht mit der bloßen Fest¬
stellung begnügte, daß die Erregbarkeit vorhanden war, ohne ihren
Grad zu bestimmen.
Auf Anregung meines Chefs beschloß ich, mehrere Fälle von
Labyrinthzerstörung zu verschiedenen Zeitpunkten nach der Aus¬
schaltung zu untersuchen. Dabei handelte es sich mir um Fest¬
stellung des Vorhandenseins einer eventuell herabgesetzten Erregbar¬
keit des gesunden Ohres, sowie um den Grad derselben.
Die Frage der quantitativen Messung der vestibulären Erreg¬
barkeit ist eigentlich bis zum heutigen Tage nicht gelöst. Ver¬
schiedene Autoren haben sie von verschiedenen Standpunkten aus
betrachtet, wobei sich alle der kalorischen Erregung bedient haben,
weil sie den Vorteil bietet, jedes Labyrinth isoliert zu untersuchen.
6) R u 11 i n, Über frische traumatische Läsion des Labyrinthes. Mschr.
f. Ohrenhlk. 1912.
fi) Herzog, Experimentelle Labyrinthitis. Passow, Beitr. Bd. VI.
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Josef S p i r a.
Beck and K i p r o f f messen die Erregbarkeit auf Grund der
Nystagmusdauer. K i p r o f f verglich die Eintrittszeiten des kalori¬
schen Nystagmus bei verschiedenen Mittelohrerkranknngen und ge¬
langte dabei zn dem Schlüsse, daß diese Zeit im wesentlichen nnr
von den Wärmeleitangsverhältnissen abhängt; die Dauer des Ny¬
stagmus aber boII eine konstante Größe und daher labyrinthär oder
zentral bedingt sein. Zu ähnlichen Resultaten kommt Beck bei
seinen Untersuchungen über die Dauer des NystagmuB in ver¬
schiedenen Stadien der akuten Mittelohrentzündungen. Im Gegensatz
dazu bestimmt Brünings die Erregbarkeit mittels Feststellung
der Reizschwelle. Mit Hilfe eines speziell zu diesem Zwecke
konstruierten Apparates — Otokalorimeter — bringt er die auf 27°
temperierte Flüssigkeit ins Ohr und leitet sie dann in einem Me߬
zylinder ab. Er liest dann die Menge der Flüssigkeit ab, die dazu
notwendig war, um die ersten Nystagmuszuckungen hervorzurufen.
Was nun die erste Methode (Beck-Kiproff) anbetrifft, so ist
es sehr schwer, die Dauer des Nystagmus so präzis zu bestimmen.
Bei einem fixierten Seitenblick stellen sich sehr oft unruhige Augen¬
zuckungen ein, die sowohl zu Anfang wie gegen das Ende des
reflektorischen Nystagmus höchst störend wirken und in der genauen
Messung der Zeitdauer des Nystagmus sehr breite subjektive Grenzen
zulassen. Außerdem ist er sehr fraglich, ob die längere oder kürzere
Dauer des Nystagmus wirklich dem Erregbarkeitszustände des
Vestibularapparates entspricht oder ob sie nicht von anderen
Momenten abhängig ist — vor allem, von der leichteren oder
schwereren Ermüdbarkeit der Augenmuskeln, eventuell des Zentrums.
B & r k n y beobachtete Fälle, wo schon ein leichter Reiz einen
mehrere Minuten langen Nystagmus auslöst, ohne daß irgendwelche
Veränderungen des Vestibularapparates vorliegen würden. Besonders
beim Auslösen des Drehnystagmus kommt es vor, daß, nachdem
ungefähr 50 Sekunden beträchtliche Exkursionen bestanden hatten,
dann noch ein ganz kleinschlägiger, ziemlich lange sich fortsetzender
Nystagmus besteht. B & r ä n y sagt deshalb, daß man bei diesen
Fällen direkt den Eindruck hat, daß es sich um ein „zentrales
Fortspinnen“ des einmal gesetzten Reizes handelt. Aber auch die
Br ün ings’sche Methode wird nicht allen Anforderungen der exakten
Prüfung der Erregbarkeit gerecht. Bei dieser Massenspülung nämlich
gehen die kleinen Reizunterschiede, um die es sich gerade bei einer
quantitativen Methode handelt, verloren. Der Reiz zum Auslösen des
Nystagmus wird schon durch die ersten 5 cm 8 Flüssigkeit gegeben.
Bis zum Auftreten des Nystagmus verstreicht aber einige Zeit — im
Durchschnitt 25 bis 40" — die sogenannte Latenzzeit. Während dieser
Zeit fließt immer neues Wasser und bringt immer weitere Reize.
Dabei darf man einen Umstand nicht vergessen, auf den schon
Brünings selbst aufmerksam gemacht hat, daß nämlich „der
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Der gesunde Vestibularapparat bei einseitig Labyrinthlosen.
615
doppelten Wassermenge eine viel mehr als doppelt starke erregende
Wirkung zukommt, da bei ihr nicht nur der doppelte Kalorienwert,
sondern gleichzeitig auch die doppelte Einwirkungszeit zur Geltung
kommt“. Eine weitere Fehlerquelle dieser Methode besteht darin,
daß man, um den Moment des Nystagmuseintrittes sofort bestimmen
zu können, den Patienten zur Seite blicken läßt. Hierdurch stellen
sich infolge der Ermüdung der Augenmuskeln wieder störende Ein¬
stellungszuckungen ein. Endlich kommt es bei diesen Massen¬
spülungen oft zur „Dämpfung“ der Reaktion, eine Erscheinung, auf
die zuerst Kobrak aufmerksam gemacht hat. Sie besteht darin,
daß in manchen Fällen, besonders bei herabgesetzter Erregbarkeit,
der eintretende Nystagmus durch das Einfließen von weiteren Reizen
gedämpft wird. Ein schönes Beispiel einer solchen Dämpfung sehen
wir in Fall IV. Übrigens ist es schon lange bekannt, daß im
Augenblick der Unterbrechung der Spülung der schon bestehende
Nystagmus plötzlich stärker wird, eine Erscheinung, die man
vielleicht durch die Dämpfung der Reaktion durch weitere Reize
erklären könnte.
Aus diesen Gründen schien es mir von Vorteil, die Reiz¬
schwelle auf eine andere Weise zu bestimmen. Kobra k 7 ) konnte
feststellen, daß man mit ganz kleinen Mengen, 10, 5, ja sogar 2'5 cm 3
einer 27°igen Flüssigkeit bei normalen oder wenig veränderten
Trommelfellen einen kalorischen Nystagmus hervorrufen kann. Be¬
nutzen wir nun diese schwachen Reize zur Bestimmung der Reiz¬
schwelle, so vermeiden wir die Fehler der Massenspülung. Wir
brauchen nicht immer neue Reize hinzuzufügen, nachdem vielleicht
der erste Reiz ausreichend war, um den Nystagmus auszulösen.
Andrerseits müssen wir den Patienten nicht in der anstrengenden
und Einstellungszuckungen auslösenden seitlichen Blickfixation halten.
Nach einer Zeit, die ungefähr der Latenzzeit entspricht, lassen wir
den Patienten zur Seite blicken und stellen fest, ob jetzt ein
Nystagmus besteht oder nicht. Stellt sich nun kein Nystagmus ein,
so wiederholen wir nach einer kurzen Pause die Probe, allerdings
mit kälterem Wasser. Ich habe auf diese Weise zirka 50 Patienten
mit ganz normalem oder wenig verändertem Trommelfell unter¬
sucht und konnte dabei feststellen, daß die Menge von 5 cm 3 voll¬
ständig ausreicht, um einen Nystagmus hervorzurufen.
Der Vorgang der Untersuchung war folgender:
Ich spritzte bei aufrechter Kopfhaltung dem Patienten das Ohr
mittels einer mit Attikröhrchen armierten 5 cm 3 -Spritze mit 26°iger
Flüssigkeit aus; nach 20 bis 30" — eine Zeit, nach welcher er¬
fahrungsgemäß der Nystagmus auftritt — ließ ich den Patienten
7 ) Ko break: Beiträge zur Lehre von den statischen Funktionen des
Labyrinthes. Berlin 1922.
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616
Josef Spira.
zur Seite blicken und meinen in der Entfernung von zirka 1 m
befindlichen Finger fixieren. Zur genaueren Bestimmung der Seiten¬
richtung benutzte ich anfangs den Blickfixator, den ich in der Ab¬
duktion von 45° eingestellt hatte. Dann erreichte ich in genauer
Bemessung der Seitenrichtung eine derartige Übung, daß ich sie
ohne das Instrument bestimmte. Ich begnügte mich niemals mit
einigen Zuckungen, sondern reizte den Vestibularapparat so lange,
bis ich einen Nystagmus von 30 bis 100" bekam. Konnte ich mit
26° keinen Nystagmus auslösen, so wiederholte ich nach einer Pause
von 10 Min. die Spülnng mit 23°, dann mit 20, 16 und 14°. Ließ
sich auch mit Wasser von 14° kein Nystagmus hervorrufen, so ver¬
doppelte ich die Wassermenge und konnte dabei feststellen, daß
10 cm 8 einer 23°igen Flüssigkeit einen stärkeren Beiz ausüben als
5 cm 3 einer 14°igen.
Dabei konnte ich mich überzengen, daß auch bei dieser Art
der Untersuchung die Reizschwelle ziemlich variiert. Während bei
den meisten Fällen schon bei Spülung mit 5 cm 3 23°igen Wassers
der Nystagmus zu beobachten war, mußte ich bei anderen eine viel
niedrigere Temperatur dazu benutzen. Beizte ich den Vestibular¬
apparat mehrere Male nacheinander, so kam es oft vor, daß die ur¬
sprünglich auslösende Größe nicht mehr ausreichte und ich eine
viel niedrigere Temperatur anwenden mußte. Vielleicht lag hier
eine Ermüdung des Vestibularapparates vor. Auch eine andere Be¬
obachtung habe ich gemacht, die ebenfalls für eine leichte Ermüd¬
barkeit des VestibularapparateB sprechen könnte. Untersuchte ich
nämlich einen Patienten, der nach einer Beise oder aus anderen
Gründen ziemlich müde war, so war die Reizschwelle höher
als am nächsten Tage, wo der Patient ausgeruht war. Diese
Beobachtung habe ich 3 mal gemacht. Unter den 50 von mir
untersuchten Patienten fand ich nur in 2 Fällen die Menge von
5 cm 3 14°igen Wassers als unzureichend. Mit 10 cm 3 23°iger Flüssig¬
keit ließ sich der Nystagmus prompt auslösen. Bei dem ersten Falle
handelte es sich um eine nervöse Schwerhörigkeit mit sich öfters
wiederholenden Schwindelanfällen. Die verminderte Erregbarkeit in
diesem Falle würde auch mit den sonstigen Erfahrungen überein¬
stimmen, daß nämlich bei „Moniere“-Kranken oft eine Untererreg¬
barkeit vorliegt. Bei dem zweiten Fall waren die Trommelfellbilder
ohne Veränderung, der Funktionsbefund normal. Vielleicht lagen
speziell ungünstige WärmeleitungsVerhältnisse oder eine ausnahms¬
weise physiologische Herabsetzung der Erregbarkeit vor.
Im großen und ganzen können wir aber sagen, soweit die
Untersuchung von 50 Fällen schon Schlüsse zu ziehen erlaubt, daß
die Reizschwelle für den kalorischen Nystagmus zwischen 14 und
28° einer Menge von 5 cm 3 Flüssigkeit liegt. Diese Grenze ist, wie
wir sehen, ziemlich breit und hängt wahrscheinlich von den ver-
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Der gesunde Vestibularapparat bei einseitig Labyrinthlosen.
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schiedenen Wärmeleitangsbedingungen ab; vielleicht auch von der
leichteren oder schwereren Ansprechbarkeit des Labyrinthes. Läßt
sich aber mit dieser Größe kein Nystagmus hervorrufen und müssen
wir zu diesem Zwecke eine größere Menge benutzen, bo können wir
eine pathologische Untererregbarkeit desVestibularapparates annehmen.
Daß K o b r a k in jedem Falle schon mit 5 cm 3 einer 27°igen
Flüssigkeit den Nystagmus hervorrufen kann und ich in vielen Fällen
eine niedrigere Temperatur benutzen mußte, liegt vielleicht daran,
daß ich mich nicht mit einigen Zuckungen begnügte, sondern in
jedem Falle einen längeren, für jedermann deutlich sichtbaren
Nystagmus provozierte, um eine Verwechslung mit den Einstellungs¬
zuckungen zu vermeiden; ferner daß ich aus denselben Gründen
den Nystagmus nicht im extremen Seitenblick, sondern in einer
Abduktion von 45° geprüft habe.
Nach diesen Voruntersuchungen ging ich zur eigentlichen
Arbeit über, d. h. zur Prüfung des vestibulären Verhaltens des ge¬
sunden Ohres bei einseitig Labyrinthlosen. Ich überzeugte mich
vorerst, ob der Patient auf dem kranken Ohr vollständig taub und
unerregbar ist und untersuchte dann daB zweite Ohr auf die oben
erwähnte Weise. Die Fälle, wo Verdacht auf luetische Erkrankung
vorlag, habe ich aus der Untersuchung ausgeschieden, weil hier be¬
kanntlich sehr oft Abnormitäten in der Reflexerregbarkeit des
statischen Labyrinthes Vorkommen.
Pall 1 . A. H., löjähriges Mädchen, chronische Mittclohreiterung beiderseits.
Fazialisparese links. Die Ohrenerkrankung besteht seit dem 6. Lebensjahre. Im
August 1921 Labyrinthoperation nach Neumann links. Der Befund am 19. III.
1922: L.: Trockene epicl amüsierte Operationshöhle nach Labyrintkoperation. R.:
Chronischer Adhäsivprozeß. Konversationssprache 5 m Knochenleitung leicht ver¬
längert. Kein spontaner Nystagmus.
Nach R.-Dr. (10 Drehungen in 26") K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 7".
Nach L.-Dr. (10 Drehungen in 26") K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 11".
Kal. Reaktion: Bei Spülung r. mit 5 cm 3 16° hor.-rot. Ny. n. 1.
Fall £. A. V., 27 Jahre, Krankenpflegerin.
Chronische Mittelohreiterung links. Im Jahre 1914 Labyrinthoperation nach
Nenmann. Befund am 8. II. 1922: R.: Trommelfell matt, etwas eingezogen,
Gehör normal. Knochenleitung leicht verkürzt. L.: Status post. Labyrinthektomiam;
taub, unerregbar.
Nach R-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 6".
Nach L.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 14".
Kal. Reaktion: Bei Spülung mit 5 cm 3 14° Wasser hor.-rot. Ny. n. 1.
Fall & J. K., 29 Jahre, Maschinenschlosser.
Eltern, Geschwister gesund, Pat. stets gesund. Im Jahre 1916 in russischer
Gefangenschaft nach einem Sturz aus dem Wagen einige Tage Schwindel und Er¬
brechen. Seit dieser Zeit links taub. Öfters Schwindel.
Befund am 3. III. 1922: Beide Trommelfelle normal, Knochenleitung beider¬
seits leicht verkürzt, links mehr als rechte. L.: taub und unerregbar. Kein spontaner
Nystagmus. Wassermann reaktion negativ.
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618
Josef Spira.
Nach R.-Dr. K. aufw. einige Nystagmuszuckungen n. L 4".
Nach L.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 14".
Kal. Reaktion: Bei Spülung mit 6 cm 3 20° hor.-rot. Ny. n. 1.
tpm
Fall 4. T. W., 29 Jahre, Hilfsarbeiterin.
Im 3. Lebensjahre Krämpfe, wahrscheinlich seit dieser Zeit links taub. Nie
Schwindel oder Erbrechen. Eltern und Geschwister gesund. Ein gesundes Kind.
Wassermannreaktion negativ. Augenbefund normal. Neurologischer Befund:
Eine geringe Mundfacialis parese links, sonst normal. Befund vom 8. II. 1922:
Trommelfelle beiderseits leicht eingezogen. Knochenleitung leicht verkürzt. Das
Gehör rechts normal, links taub und unerregbar, kein spontaner Nystagmus.
Nach R.-Dr. K. aufw. Ny. 1. 5".
Nach L.-Dr. K. aufw. Ny. r. 11".
Nach R.-Dr. K. vgn. Ny. r} 1. 4".
Nach L.-Dr. K. vgn. Ny. r. 11".
Nach R.-Dr. K. rgn. Ny. { 10".
Nach R.-Dr. K. lgn. Ny. J 3".
Kal. Reaktion: Erst bei löcm* 18° läßt sich ein hor.-rot. Nystagmus nach
links hervorrufen. Bei der Massenspülung mit 18° Wasser läßt sich Folgendes fest¬
stellen: Nach 400cm 3 treten schwache Zuckungen ein. Unterbricht man jetzt die
Spülung, so steigert sich der Nystagmus biß zum II. Grade und dauert eine halbe
Minute; dabei geringes Vorbeizeigen und leichtes Schwindelgefühl. Spült man (bei
der 2. Untersuchung) weiter, so verstärkt sich der Nystagmus nicht und verschwindet
nach größerer Menge (3 1) vollständig.
Der Fall ist interessant, einerseits wegen der stark herabgesetzten Erregbar¬
keit des gesunden Ohres, andrerseits wegen der besonders deutlich auftretenden Er¬
scheinung der Dämpfung. Diese Dämpfung tritt wahrscheinlich öfters auf, doch
läßt sie sich bei normaler Erregbarkeit schwer beobachten. Wir müssen aber bei diesem
Fall noch eine Möglichkeit ins Auge fassen, daß nämlich die Herabsetzung der vesti¬
bulären Erregbarkeit der gesunden Seite — auf eine in der Kindheit durchgemachte
organische Hirnerkrankung mit Beteiligung der vestibulären Sphäre zurückgeführt
werden könnte.
Fall 5. N. A., 28 Jahre, Maurer.
Anfangs Dezember 1921 linksseitige Mittelohrentzündung mit Stechen und
Fieber. In den nächsten Wochen verschlechterte sich das Gehör bis zur vollständigen
Taubheit; gleichzeitig mehrere Drehschwindelanfälle, derzeit starkes Sausen,
Schmerzen, Ohrfluß.
Befund am 22. I. 1922: L.: Akute Mittelohrentzündung, Knochenleitung ver¬
kürzt, taub und unerregbar. R.: normal. Kein spontaner Nystagmus.
Nach R.-Dr. K. aufw. 5 Ny.-Schläge n. 1.
Nach L.-Dr. K. aufw. 14 Ny.-Schläge n. r.
Kal. Reaktion: Bei Spülung mit 5 cm 3 16° hor.-rot. Ny. n. 1.
Fall €. E. P., 28 Jahre, Hausfrau.
Eltern und Geschwister gesund, ein gesundes Kind. Vor 8 Wochen nach einer
Grippe Stechen und Sausen im linken Ohr; gleichzeitig mehrere Schwindelanfälle
und Erbrechen. Kein Ohrenfluß. Nach 14 Tagen Lähmung der linken Gesichtshälfte.
Befund am 26. III. 1922: R. O. normal, 1. O. akute Mittelohrentzündung, Knochen¬
leitung verkürzt. Geringer spontaner Nystagmus nach beiden Seiten.
Nach R.-Dr. K. aufw. schwacher kleinschlägeriger hor.-rot. Ny. n. 1. 9".
Nach L.-Dr. K. aufw. lebhafter großschlagiger hor.-rot. Ny. n. r. 19".
Kal. Reaktion: am 31. IIL: Bei Spülung mit 5 cm 3 20° deutliche Verstärkung
des spontanen Nystagmus nach rechts. Am 28. III. 1922 wegen akuter Mastoiditis
und gleichzeitiger Labyrinthausschaltung Labyrinthoperation nach N e u m a n n.
Nach der Operation geringer Nystagmus nach beiden Seiten.
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Der gesunde Vestibularapparat bei einseitig Labyrinthlosen.
619
Kal. Reaktion am 31. III.: Bei Spülung mit 5 cm 3 20° beim Seitenblick von
35° hör.-rot. Ny. n. 1.
Bei den zwei letzten Fällen hatte es sieh wahrscheinlich uni eine vor einigen
Wochen durehgemaehte Labvnnt lu iteieng gehandelt; und bei der frischen Aus¬
schaltung war die vestibuläre Erregbarkeit des anderen Ohres noimal.
Fall T. F. H., 27 Jahre, Hcizhansarbcitcr.
Chronische Mittelohreiterung links. Fazialisparese links. Im Dezember 1921
Labyrinthoperation nach N e u m a n n. Befund am 5. III. 1922: L. O.: Status post
Labyrinthektomiani; taub und unerregbar. R. O.: normal.
Nach R.-Dr. K. aufw. 8 Ny.-Schläge in IO 7 '*
Nach L.-Dr. K. aufw. 12 Ny.-Schlägo in 14".
Kal. Reaktion: Nach Spülung mit 5 cm 3 26° hör.-rot. Ny. n. 1.
Fall 8. A. R, Hilfsarbeiter.
Chronische Mittelohreiteiung beiderseits. Im Jahre 1920 Labyrinthoperation
nach Neumann links. B< fund am 24. III. 1922. L.: Trockene Operation sh üble
nach Labyrinthoperation. R.: Chronische Mitte lohn iterung mit Antrumfistel, Fistel¬
symptom positiv; geringer spontaner Nystagmus, keim Blick nach rechts und nach
links.
Nach R.-Dr. K. aufw. 8 Ny.-Schläge in 6" n. 1.
Nach L.-Dr. K. aufw. 16 Ny.-Schläge 11" n. r.
Kal. Reaktion rechts: Wegen des spontanen Nystagmus wuide die kalorische
Reaktion im Seitenblick von 3o ü (mit Blickfixator) geprüft. Bei Spülung mit 10 cm*
24° Wasser tritt der hor.-rot. Ny. auf.
Daß in diesem Falle eine größere Menge Wasser zum Au«lösen des Nystagmus
notwendig war, spricht nicht für eine herabgesetzte Erregbarkeit, weil eine chronische
Mittelohreiterung vorlag, die wahrscheinlich schlechtere Wäimeleitungsfccdingungen
zur Folge hatte.
Fall 9. A. B., 25 Jahre, Kutscher.
Im Dezember 1921 Trauma. Seit dieser Zeit links taub, die linke Gesichts¬
hälfte gelähmt. Befund am 14. II. und 25. III. 1922: Trommelfelle beiderseits normal.
L.: taub und ausgeschaltet.
Nach R.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 6".
Nach L.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 13".
Kal. Reaktion rechts: Bei Spülung mit 5 cm 3 21° tritt hor.-rot. Ny. n. 1. auf.
Fall 10. S. S., 27 Jahre, Aufleger.
Beiderseitige chronische Mittelohreiterung. Im Dezember 1921 Labyrinth¬
operation nach Neu m a n n. Befund am 18. III. 1922: R.: Status post Labyrinth-
ektomiani. L.: ausgcheilte Radikaloperationshöhle, kein spontaner Nystagmus,
Wassermann reaktion positiv.
Nach R.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 17".
Nach L.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 10".
Kal. Reaktion links: Mit Äthergebläse positiv.
Trotz des Zusammenwirkens zweier Faktoren, von denen jedweder imstande
sein könnte, die kalorische Erregbarkeit herabzusetzen, nämlich einer Lues und
Labyrinthausschaltung der anderen Seite finden wir noimale Reaktionswerte.
Fall 11. A. B., 25 Jahre, Hilfsarbeiterin.
Chronische Mittelohreiterung links seit der Kindheit. Im Jahre 1921 Labyrinth¬
operation nach N e u m a n n. Befund am 1. IV. 1922: R.: Status post. Labyrinth-
ektomiam, taub und unerregbar. L.: normal.
Nach R.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 7".
Nach L.-I)r. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 13".
Kal. Reaktion links: Bei Spülung mit 5 cm 3 21° hor.-rot. Ny. n. r.
Monatsschrift f. Ohranhailk. u. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 41
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620
Josef Spira.
Fall 13. B. L., 55 Jahre, Frau.
Im Jahre 1917 nach einer Aufregung einige Tage Schwindel und Taumeln,
seit dieser Zeit rechts taub. Befund am 20. II. 1921: Beide Trommelfelle normal.
Gehör links normal, rechts taub, Knochenleitung rechts verkürzt. Starker spontaner
hor.-rot. Nystagmus L Grades nach links; ähnlicher etwas schwächer beim Blick
nach rechts. Wassermannreaktionnegativ. Augenbefund normal. Interner Be¬
fund: Arteriosklerose mäßigen Grades. Neurasthenie.
Nach R.-Dr. K. aufw. beim Blick geradeaus (hinter undurchsichtiger Brille)
hor.-rot. Ny. n. 1. 11".
Nach L.-Dr. BL aufw. beim Blick geradeaus hor.-rot. Ny. n. r. 4".
Kal. Reaktion: rechts 0, links bei Spülung mit größerer Menge 18° Wassers
Nystagmus HL Grades nach rechts.
Fall 13* L. S., Ojähriges Mädchen.
Chronische tuberkulöse Mittelohreiterung links mit Fazialisparese links.
Im linken äußeren Gehörgang steckt seit Jahren ein Labyrinthsequester, taub.
R.: normaler Befund.
Nach R.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 10".
Nach L.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 14".
Kal. Reaktion rechts: Bei 5 cm 8 21° hor.-rot. Ny. n. 1.
Fall H. H. R., 38 Jahre, Arbeitersgattin.
Chronische beiderseitige Mittelohreiterung nach Scharlach. Ende Dezember
1921 akute Exarkabation links mit Ohrenstechen, Schwindelgefüh], Erbrechen und
Ohrgeräuschen. Befund vom 13. I. 1922: Spontaner hor.-rot. Nystagmus EL Grades
nach rechts mit typischem Vorbeizeigen. R. O.: Chronische Mittelohreiterung, Gehör:
Konversationssprache 5 m. L. 0. mit Polypen ausgefüllt, taub. Kalorische Reaktion:
Mit Kalt- und Heißwasserspülung läßt sich der spontane Nystagmus nicht beein¬
flussen. In den nächsten Tagen läßt der spontane Nystagmus nach und hört am
20. I. ganz auf. Kal. Reaktion am 20. I. L.: 0, R.: mit 5 cm 8 14° hor.-rot. Ny. n. 1.
Ähnlicher Befund am 4. IIL
Fall 15* M. K., 26 Jahre, Hilfsarbeiterin.
Seit der Kindheit linksseitige Ohreiterung, seit 2 Wochen Ohren- und Kopf¬
schmerzen, Schwindel. Befund am 23. I. 1922: R.: Chronische Mittelohreiterung mit
Granulationen im Mittelohr. L.: Chronische Mittelohreiterung mit Cholesteatom¬
durchbruch, Dreh- und kalorische Reaktion beiderseits normal. Am 24. I.
Radikaloperation links. Normaler Wundverlauf. Ende Februar klagt die Pat. über
Kopfschmerz und Brechreiz, mehreremal Erbrechen, kein spontaner Nystagmus.
Mitte März Fazialislähmung rechts. Die Untersuchung ergibt links vollständige
Taubheit Und Unerregbarkeit. Kal. Reaktion rechts mit 10 cm 3 24° hor.-rot. Ny. n. 1.
Befund am 23. IIL:
Nach R.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 8".
Nach L-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 11".
Kal. Reaktion wie Mitte März.
Wegen mcningaler Symptome Labyrinthoperation nach N e u m a n n, wobei
sich der Labyrinthknochen als vollständig sequestriert und durch eine scharfe De¬
markationslinie von dem übrigen Gewebe streng abgegrenzt erwies. Normaler Wund¬
verlauf. Kalor. Reaktion rechts am 30. III. mit 10 cm 8 24° hor.-rot. Ny. n. 1.
In diesem Falle mußte ähnlich wie im Falle 8 wegen der bestehenden Granu¬
lationen im Mittelohr eine größere Menge Wasser zum Auslösen des Nystagmus
verwendet werden. Doch ist der Unterschied so gering, daß wir auch hier von einer
normalen Erregbarkeit sprechen können.
Fall 16. K. H., 22 Jahre, Schaffner.
Chronische Mittelohreiterung links. Im März 1920 Labyrinthoperation nach
N e u m a n n. Befund vom 23. III. 1922: L.: Status post. Labyrinthektomiam,
taub, unerregbar. R.: normal.
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Der gesunde Vestibularapparat bei einseitig Labyrinth losen.
621
Nach R.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 4".
Nach L.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 11".
Kal. Reaktion rechts: Nach Spülung mit 5 cm 8 20° Wasser hor.-rot. Ny. n. 1.
Fall 17. F. B., Beamter, 30 Jahre.
Chronische Mittelohreiterung links mit Fazialisparese. Im Mai 1921 Labyrinth¬
operation nach Neumann. Befund am 5. IV. 1922. L.: Status post. Labyrinth-
ektomiam, taub, unerregbar. R.: normal.
Nach R.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. 1. 10".
Nach L.-Dr. K. aufw. hor.-rot. Ny. n. r. 17".
Kal. Reaktion rechts: Nach Spülung mit 5 cm 3 18° hor.-rot. Ny. n. 1.
Fall 18. H. H., 14jähriges Mädchen.
Chronische beiderseitige Mittelohreitcrung seit Blindheit. Mitte April durch
einige Tage Schwindel, Erbrechen und Kopfschmerzen. Befund am 19. IV. 1922:
Spontaner hor.-rot. Nystagmus I. Grades nach links. R. 0.: Chronische Mittelohr¬
eiterung mit Cholestaetom, taub. Der spontane Nystagmus läßt sich — vom rechten
Ohr aus — weder mit Kalt- noch mit Heiß Wasserspülung beeinflussen. Wegen
meningealer Symptome wird am 21. IV. die Labyrinthoperation nach N e u m a n n
vorgenommen. Am 23. IV. spontaner geringer hor.-rot. Nystagmus beim Blick nach
links. Kal. Reaktion links: Bei Spülung mit 18° Wasser 50 cm 3 ) bekommt man einen
hor.-rot. Nystagmus II. Grades nach rechts. Ähnlicher Befund am 26. IV. 1922.
Wegen leichter Benommenheit und auch technischer Schwierigkeiten bei der
Untersuchung konnte in diesem Falle die feine Methode der Schwachreize nicht an¬
gewendet und mußte die Spülung mit größeren Mengen Flüssigkeit vorgenommen
werden. Die kalorische Prüfung des gesunden Ohres im Stadium der akuten Aus¬
schaltung des anderen Ohres ergibt eine normale Erregbarkeit.
Unter den 18 hier angeführten Füllen befinden Bich verschiedene
Arten von Labyrinthzerstörungen. In 8 Fällen war sie die Folge der
Labyrinthoperation, in 6 der diffusen Labyrintheiterung; zweimal
trat sie nach einem Trauma auf, 2 Fälle sind ätiologisch unbekannt
und vielleicht auf eine zerebrale Erkrankung zurückzuführen. Die
Zeit, die seit der Labyrinthaasschaltung verflossen ist, war ganz
verschieden, meistens Jahre oder Monate. In einigen Fällen waren
6B nur Wochen, in 3 Fällen (Fall 14, 15 und 18) geschah sie
eigentlich unter unseren Augen. Das gesunde Ohr wurde meistens
mehrere Male untersucht, und zwar nach einer Methode, die schon
eine geringe Herabsetzung der Erregbarkeit zutage bringen würde.
Trotzdem gelang es nur in einem einzigen Falle (Fall 4), eine
Herabsetzung der Erregbarkeit festzustellen.
B & r & n y nimmt an, daß die Zentren in der Ruhe an dauernde,
symmetrisch zufließende und sich gegenseitig aufhebende Reize gewöhnt
sind. Fallen plötzlich die Reize, die von der einen Seite zufiießen sollen,
fort, so tritt beim normalen Zufließen der Reize der anderen Seite
eine große Störung auf. Um diese auszugleichen, nimmt nach
B & t & n y, das Zentrum, welches den Nystagmus zur gesunden Seite
macht und beständig stärkeren Zufluß von Reizen enthält, eine
höhere Erregbarkeitsschwelle an als das entgegengesetzte Zentrum,
das nur über einen schwächeren Zufluß von Reizen verfügt. Als ich
nun meine Arbeit begann, machte ich mir folgendes Bild zurecht;
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UNIVERSITY 0F CALIFORNIA
€22 Josef.Spira. Der gesunde Vestibularapparat bei einseitig Labyrinthlosen.
Infolge der Labyrinthzerstörung eineB Ohres kommt es in den
Zentren zu Ausgieichsbestrebungen und reflektorisch wird die Er¬
regbarkeit des entgegengesetzten Ohres herabgesetzt; daher büßt
der andere Vestibularapparat seine Erregbarkeit ein; wenigstens
frisch nach der Zerstörung. Nach einiger Zeit aber wird die toni-
sierende Wirkung des ausgeschalteten Labyrinthes durch andere,
uns nicht näher bekannte Tonusreize ersetzt und das entgegen¬
gesetzte Zentrum gewinnt seine frühere Erregbarkeit zurück. Für
diese Annahme würde der von Beck beobachtete Fall sprechen,
in welchem das vestibulär unerregbare (gesunde) Ohr nach einigen
Wochen sowohl seine kalorische, wie auch die Drehreaktion zurück¬
gewann. Leider steht diese Beobachtung von Beck vereinzelt da.
Unter den 18 von mir untersuchten Fällen befinden sich 3 ganz
frisch nach der Zerstörung; die mehrere Male vorgenommene Unter¬
suchung des zweiten Ohres ergab stets normale Erregbarkeit. Bei
2 anderen Fällen (Fall 5 und 6) hat es sich — wenigstens nach
der Anamnese — um eine einige Wochen alte Ausschaltung gehandelt:
auch in diesem Falle ließ die kalorische Reaktion der anderen Seite
sich schon mit minimalen Reizen auslösen, so daß wir nicht einmal
eine geringe Herabsetzung der Erregbarkeit annehmen können.
Somit kommen wir zu folgendem Ergebnis: Bei einseitiger
Zerstörung des Labyrinthes (die Art des Pro¬
zesses ist dabei gleichgültig) kann in Ausnahms¬
fällen auch das andere Ohr seine Erregbarkeit
für k a 1 o ri s c h e R e i z e einbüßen. D i e E r s c h e i nu n g
ist als sporadisch zu betrachten, ihre Ursache
ist unbekannt. Wahrscheinlich spielen Vorgänge
im Zentrum die Hauptrolle. Vielleicht steht die Erscheinung
in Beziehung zu der Ru ttin sehen Kompensation des Dreh¬
nystagmus. Auch bei dieser handelt es sich um einen zentralen
Vorgang, doch ist seine Art unbekannt. Ru ttin 8 ) nimmt an, daß
die Kompensation in den Fällen eintritt, wo das Labyrinth seit
längerer Zeit vollständig zerstört ist und wo sämtliche nervösen
Elemente zugrunde gegangen sind. Wir finden dann gleiche Werte
für den horizontalen und rotatorischen Drehnystagmus — trotz ein¬
seitig nicht funktionierendem Labyrinth. Es gibt aber Ausnahmen,
so wahrscheinlich auch unser Fall IV, wo die seit Kindheit be¬
stehende Taubheit, das Fehlen des spontanen Nystagmus und jedes,
auch des geringsten Schwindels die Vermutung zuläßt, daß das
Labyrinth seit Jahren schon vollständig zerstört ist, trotzdem sprechen
die Drehwerte gegen eine Kompensation. Gerade in diesem Fall
war die Erregbarkeit des anderen Ohres stark herabgesetzt. Viel¬
leicht handelt es sich um eine zufällige Koinzidenz.
8) Ru ttin: Über Kompensation des Drehnystagmus. Verh. d. Deutschen
otol. Gesellschaft in Kiel, 1914.
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W. Sternberg. Elementaranalyse der Wortsprache und der Tonsprache. 623
Die Zahl der hier untersuchten Falle ist zu klein, um sichere
Schlüsse ziehen zu können. Doch können wir schon auf Grund
dieser Untersuchungen die Behauptung anfstellen, daß auch im
Stadium derAusscha1tung das zweiteLabyrinth
gewöhnlich keine Veränderungen der vesti¬
bulären Reaktion aufweist. Warum es in manchen Fällen
doch zu einer Herabsetzung der Erregbarkeit kommt, konnte die
Untersuchung dieser Fälle nicht entscheiden. Vielleicht bringt
genaue Beobachtung einer größeren Anzahl von Labyrinthlosen die
Lösung dieser Frage.
Zum Schlüsse sei es mir gestattet, meinem hochverehrten Chef
für die Anregung zu der Arbeit und die Überlassung des Materials
meinen innigsten Dank auszusprechen.
Elementar-Analyse der Wortsprache und der Ton¬
sprache.
Neue Gesichtspunkte aus der physiologischen Muskelmechanik
fftr die Physiologie der Bildung von Laut und Ton, von Vokal
und Vokalmusik.
III.
Physiologische Begründung des Koordinations¬
wechsels von Singen und Sprechen.
Von Wilhelm Sternberg, Berlin.
(Mit 4 Figuren.)
Kunstgerechte Lautbildung und richtige Sprachbildung, Rein¬
heit und Deutlichkeit der isolierten Elemente und die „fließende“
Verbindung dieser Elemente zu den höheren Einheiten der Silben,
der Sätze, zur Rede, sind erforderlich, wenn anders die Kunst¬
fehler vermieden werden sollen, nämlich das Stammeln, die Un¬
fertigkeit in der Lautbildung, und das Stottern, die Unfertigkeit in
der elementaren Verbindung. Nicht „ausgesprochen“ anders, so
scheint es, als das gewöhnliche Sprechen ist die Aussprache des
Textes beim Singen, nur daß noch zur Bildung der lautlichen Ele¬
mente die der musikalischen Elemente, die Tonbildung hinzukommt.
Es scheint daher nur folgerichtig, daß auf dem III. Internationalen
Laryngo-Rhinologenkongreß in Berlin, 1911, der Antrag gestellt und
mit Sympathie aufgenommen wurde, obligatorischen Unterricht in
der Anatomie, Physiologie und Hygiene der menschlichen Gehör-
und Stimmorgane an den Musikkonservatorien einzuführen. Da in
den schwersten Fällen von Stottern beim Singen doch nie Stottern
vorkommt, wurde im selben Jahre durch den Krefelder Gesang-
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624
Wilhelm Sternberg.
lehrer Anton Eiders 1 ) das Singen sogar zur Heilmethode des
Stotterns erhoben und diese seine Methode der Gesangspädagogik
als Heilpädagogik praktisch in der Hamburger Volksschule behörd¬
licherseits eingefdhrt.
Allein die Vokalmusik beschränkt sich doch zum größten Teil
auf die Bevorzugung der einen Gruppe der Elemente, nämlich der
Vokale. Die Gesangsmusik führt daher im doppelten Sinn des
Wortes die Bezeichnung Vokalmusik. Denn sie ist nicht nur die
mit Stimme gebildete Musik, sondern sie ist sogar die Musik der
Vokale. Die konsonantischen Elemente der Geräuschlaute ver¬
nichten ja geradezu den Klang und bereiten schon dem Redner für
den Wohllaut der Sprache Schwierigkeiten. Selbst die Halbvokale,
die Klinger, die nach dem Prinzip der akustischen Analyse von
S i e b b mit den Vokalen in die eine endliche Reihe des Systems
der Elemente gebracht werden, sind mitunter in der Vokalmusik
geradezu gemieden. So hat die englische Gesangspädagogik aus der
gebräuchlichen Silbe „sol“ der italienischen Schule zur Bezeichnung
der fünften Tonstufe die sangbarere Silbe „so“ machen müssen, weil
das Element 1 am Schlüsse die freie Tonentwicklung erschwert.
Das ist deshalb so besonders beachtenswert, weil gerade dieser
Laut 1 fast wie ein Vokal ein Träger des Klanges ist und
außerdem das Tragen der Stimme, das Portamento (italienisch
portar la voce = port de voix), das weiche Übergehen von Laut
zu Laut, von Ton zu Ton, sich am leichtesten gerade auf diesen
Klingern und mittels dieser Klinger vollzieht.
Nun kommt ja gerade Vokalstottern selbst in den schwersten
Fällen von Stottern so selten vor, daß in der klassischen Literatur
sein Vorkommen überhaupt bestritten wird. Andrerseits ist es doch
aber gerade die andere Gruppe der Elemente, die der Konsonanten,
die das Anstoßen und Stolpern des Stotterers veranlaßt.
Deshalb dürfte sich die Frage aufdrängen nach den Gründen
hierfür und nach den Gründen für die Tatsache, daß selbst in den
schwersten Fällen von Stottern beim Singen nie Stottern vor¬
kommt.
Zur Beantwortung dieser Frage dürfte sich der dem bisherigen
Gang der Forschung entgegengesetzt gerichtete Weg empfehlen,
nämlich die technische Kunstübung des Gesanges alB physiologisches
Mittel oder als mechanisches Instrument der wissenschaftlichen Er¬
kenntnis für die Bewegungslehre überhaupt zu benutzen, für die
Elementaranalyse der Koordination. Dann dürfte am Ende die
Pädagogik des Gesanges einerseits den willkommenen Wegweiser
abgeben für die physiologische Einführung in die rationelle Technik,
wie die Heilpädagogik von Stotterern andrerseits das klassische
i) Heilung des Stotterns nach gesanglichen Grundsätzen. Leipzig 1911.
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Elementaranalyse der Wortsprache und der Tonsprache.
625
Musterbeispiel liefert für die irrationelle, behelfsmäßige Methode der
technischen Kunstübung.
Physiologisch sind Singen und Sprechen grundsätzlich und voll¬
kommen verschiedene Vorgänge. Sowohl qualitativ als auch quanti¬
tativ sind die Elemente und elementaren Verbindungen vollkommen
andere.
A. I. 1. Zeitlich ist der Vorgang des Singens, wie stets
in der Tonsprache, wesentlich vergrößert. Ein Konzert dauert länger
als ein Vortrag. Die Partitur ist umfangreicher als das Textbuch.
Die Graphologie für die musikalischen Elemente und für die Ton¬
sprache übertrifft räumlich die der Wortsprache.
Singen ist mehr oder weniger verlangsamtes Sprechen. Ganz
langsam aber kann jeder Stotterer sehr wohl sprechen. Das, was
dem Stotterer abgeht, ist das fließende Sprechen, das ein gewisses
Tempo voraussetzt.
2. Von dieser zeitlichen Vergrößerung heim Singen kommt
auf die Konsonanten nichts, ja nicht einmal zeitlich schlecht¬
hin fällt den Konsonanten irgend ein Quantum überhaupt zu.
Die Tonsprache läßt dem Konsonanten gar keine Zeit; nicht
einmal die stimmhaften Klinger unter den Konsonanten finden ein
Quantum im Tempo. Die internationale Notenschrift notiert nicht
einmal ihren Zeitwert, ebenso wenig wie den für die natürliche
Pause beim Atemwechsel und für das Einatmen.
3. Die Vokale sind es, deren zeitliche Dauer im Gesänge
wesentlich verlängert wird. Dabei sind es gerade die Konsonanten,
die das Anstoßen und Stolpern des Stotterers bedingen.
Allein die zeitliche Verlängerung und Dehnung der Vokale
ist schon deshalb kein Heilmittel, weil langgedehnte Vokale keinem
einzigen unter den Stotterern auch nur schwer fallen. Gerade das
Gegenteil ist der Fall. Lange, gedehnte Vokale fallen allen Stotterern
ohne Ausnahme leicht. Das, was dem Stotterer aber schwer fällt,
ist gerade der zeitlich kurze Vokal, der ungespannte. Das Singen
ist nichts anderes als eine Zeitlupe.
Daher beruht auch die Heilmethode des Stotterns durch Pro¬
fessor Denhardt und den Laien, den Taubstummenlehrer G u t z-
m a n n, auf einem Denkfehler und ist falsch, da sie die Stotterer
die Vokale quantitativ verlängern und skandieren, aber nicht
sprechen lehrt.
4. Noch dankbarer erweisen sich die Erfahrungen, die die
Pädagogik mit der Lautbildung der ungespannten (offenen)
Vokale macht. Die richtige bzw. falsche Qualität ist für die Deut¬
lichkeit äußerst entscheidend; die richtige bzw. falsche Aussprache
gerade dieser Elemente für die Elementaranalyse besonders be¬
weisend.
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626
Wilhelm Sternberg.
Ungespannt heißen die Vokale, weil sie im angespannten Auf¬
satzrohr, im minimal gespannten oder im maximal entspannten
Schallrohr erzeugt werden. Diese Qualität des akustischen Effektes
ist also in ihrer physiologischen Ursache eine Quantität. Daher ist
ihre Bildung mühelos, leicht unter physiologischen Verhältnissen,
ebenso schwer umgekehrt unter pathologischen Verhältnissen.
Wie so häufig, nennt man auch hier die Eeizwirkung aufs
Ohr des Hörers selber gespannt oder ungespannt, als wäre die sinn¬
liche Reizwirkung selber das, was irgendwie direkt, unmittelbar die
graduelle Dosis der Spannung erfahren würde. Tatsächlich hingegen
ist es ja der ursächliche Reiz der Bildung dieser elementaren
Qualität, der ungespannt ist. Dies beweist eben die ungemein nahen
Beziehungen von Ohr und Muskel.
Nicht weniger als sechs Gesichtspunkte sind es, die uns die
Pädagogik des Anfängers in der Kunstübung der Vokalmusik liefert
und zugleich die H$ilpädagogik des Stotterers, einzig und allein
für die richtige Aussprache dieser einen Qualität der vokalischen
Elemente.
a) Die Aussprache gerade der ungespannten (offenen) Vokale
ist es, die dem unfertigen angehenden Sänger unvergleichlich
schwerer fällt als die derselben Vokale, wenn sie als gespannte (ge¬
schlossene) ausgesprochen werden sollen.
b) Die Aussprache gerade der ungespannten (offenen) Vokale
ist es, die zugleich auch dem fertigen Stotterer unvergleichlich
schwerer fällt als die derselben Vokale, wenn sie als gespannte
(geschlossene) ausgesprochen werden sollen.
c) Dem unfertigen Sänger also und dem fertigen Stotterer
fällt es schwer, — in des Wortes eigentlichster Bedeutung — gerade
die ungespannten, wenig gespannten und nicht die gespannten zu
treffen. Die geringere Dosis der Spannung, wider Erwarten, ist es,
die gerade schwer fällt: die größere Dosis, wider Erwarten, ist es,
die gerade leicht fällt; Das Gegenteil sollte man doch eigentlich
erwarten. • Das leichtere Gewicht fällt dem ungeschulten Sänger und
dem „ausgesprochenen“ Stotterer schwer. Sie haben nicht die Treff¬
sicherheit für das Minimum an Muskelkraft, an Gewicht.
d) Die Qualität der ungespannten Vokale ist mit dem Minimum
an Spannung, an Gewicht, sozusagen, zu treffen, daher aber auch
mühelos, kinderleicht, ohne Anstrengung. Die Zahl für die Auswahl
der impulsgebenden Muskelgruppe ist gering, alle überflüssigen oder
gar zweckwidrigen, schädlichen Mitbewegungen sind ausgeschaltet.
Daher ist physiologisch Leichtigkeit im Sinne von Gewicht, levis
zugleich auch identisch mit Leichtigkeit im Sinne von facilis. Die
deutsche Sprache verfügt ja auch nur über ein Wort. Umgekehrt
ist physiologisch Schwere im Sinne von Gewicht gravis zugleich
auch identisch mit Schwierigkeit im Sinne von difficilis.
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Elementaranalyse der Wortsprache und der Tonsprache.
627
Physiologisch erklärt sich dies mit der quantitativen und quali¬
tativen Überspannung, mit der Verschwendung von Kraftmaß und
Zahl der Kraftgeber, im Falle des Anfängers in der Erlernung einer
Reihe von Koordinationsbewegungen oder im Falle der behelfs¬
mäßigen Methoden.
e) Dazu kommt der Mangel an Treffsicherheit, das Maximum
der Entspannung, die Ruhelage des Nullpunktes zu finden.
f) Und dieser doppelte Fehler in der Treffsicherheit für das
Minimum der Spannung und für das Maximum der Entspannung
ist der allgemeine Fehler, daher der physiologische Mangel der Un¬
fertigkeit. Regelmäßig bleibt er jedem Anfänger in jeder technischen
Kunstübung, jedem angehenden Künstler unerspart; andrerseits iBt
er dem Kenner ein untrügliches Zeichen dafür, daß die gewollte
Koordinationsbewegung noch ungekonnt oder gekonnt zwar, aber auf
behelfsmäßigem Wege nach unrationeller Methode gekonnt ist.
Im einzelnen lehren die praktischen Erfahrungen der Gesangs¬
pädagogik und der Heilpädagogik folgendes:
a) Voraussetzung für das Zustandekommen von ungespannten
Vokalen ist die ungespannte oder wenig gespannte Verfassung des
Aufsatzrohres, die ihnen das Merkmal müheloser Erzeugung auf¬
drückt. Die geringe Quantität der Spannung, die nötig ist von der
Ruhelage des Nullpunktes, erfordert auch nur kurze Zeit. Im Gesang
sind aber auch diese minimal in Zeit und Raum gespannten Vokale
gerade an den quantitativen Zeitwert der vorgeschriebenen Note
gebunden.
Im „Doppelgänger“ von Schubert heißt es folgendermaßen:
in al-ter Zeit.
Die Artikulation ist: in a — — — lter Zeit.
Bei allen Koloraturen, die auf einem Vokal gesungen werden,
handelt es sich physiologisch um Festhalten des Vokals, um Er¬
haltung der gleichen quantitativen Dosis der Spannung für die arti-
kulatorische Koordination der Reinheit des Vokals. Jede Mitbewegung
muß vermieden werden, während gerade die andere Koordination,
die phonatorische Koordination fortwährend wechselt.
So entsteht für den Sänger die Schwierigkeit, die geringe
Dosis der räumlichen und zeitlichen Spannung für die vokale
Qualität mit einer vorgeschriebenen temporalen Quantität zu ver¬
einigen. Mißlingt ihm diese Kombination, dann führt der Sang der
falschen Vokalqualität zu Mißverständnissen und Mißdeutungen, bis
gar zu komischer Wirkung.
Difitized
bv Google
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628
Wilhelm Sternberg.
Fällt z. B. die Silbe Li auf eine lange Note, und singt der
Sänger ein gespanntes (geschlossenes) i, so macht sich der Zuhörer
auf' ein Wort wie Lied oder Lieb gefaßt. Singt dagegen der Sänger
ein ungespanntes offenes i, dann erwartet der Zuhörer ein Wort wie
Licht oder litt. Kommt dann aber trotz des gesungenen i das Wort
Licht oder litt, trotz des i das Wort Lied oder Lieb zu Gehör, dann
erfährt der Zuhörer eine Enttäuschung, die ihn stört, weil sie ihn irre führt.
Eine Silbe mit falscher Vokalqualität kann aber auch zu argen
Mißverständnissen führen.
Singt Wolfram im „Tannhäuser“: „Sei mir gegrüßt, du kühner
Sänger, der, ach, so lang in unsrer Miete (statt Mitte) fehlt“, so er¬
fährt der Satz eine entschieden komische Wendung.
Wenn man in Schuberts: „Du bist die Ruh’“ am Schlüsse des
Liedes hört: „0 fühl es ganz“, anstatt „O füll’ es ganz“, bo wird
man sich vergeblich bemühen, den Sinn der Rede zu begreifen.
„Und diesen Kunstfehler züchten geradezu die beiden klassischen
Heilmethoden der beiden Laien Gutzmann und Eiders“.
b) Im allgemeinen erfolgt das Stottern am ersten bei der Ver¬
bindung der „stummen“ Konsonanten b, p; d, t; g, k; und hierbei
eher, wenn die Konsonanten mit einem kurzen Vokal oder Diphthong
verbunden werden.
Bahn ist für den Stotterer leichter auszusprechen als Bann,
kam ist für den Stotterer leichter auszusprechen als Kamm.
Amen ist für den Stotterer leichter auszusprechen als Ammen.
Diese alte klinische Erfahrung ist bisher gar nicht zu er¬
klären gewesen, ja ihre Erklärung ist kaum versucht worden.
Nach meiner Auffassung vom Wesen des Stotterns ist diese
Tatsache, daß der Stotterer die langen, gespannten, geschlossenen
Vokale leichter als die kurzen, ungespannten offenen Vokale aus¬
sprechen kann, darin begründet. Die Spannung, die Kontraktion der
Muskeln fällt dem Stotterer nicht schwer. Die Spannung ist all¬
gemein für keine technische Übung schwierig. Vielmehr ist die
Entspannung'das, was dem Stotterer nicht leicht fällt, zumal die
schnelle und maximale Entspannung. Das, was allgemein für keine
technische Übung leicht ist, das ist gerade die Entspannung, zumal
die schnelle und maximale Entspannung.
B. 5. Zur quantitativen Vergrößerung der Vokale kommt
noch eine qualitative Änderung ihrer Aussprache beim Gesang.
a) Die dynamische Veränderung führt schon zur qualitativen
Veränderung der Vokale.
Wie für den Anfänger, für den angehenden Künstler, die Ge¬
fahr besteht, daß durch dynamische Verstärkung zufolge der un¬
gewollten assoziativen Mitbewegung der gesungene Ton höher ge¬
trieben wird, so daß der tatsächlich gesungene Ton höher wird als
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Elementaranalyee der Wortsprache und der Tonsprache.
629
der gewollte Ton, so wird dnrch dynamische Verstärkung auch die
Aussprache geradezu gefährdet.
Besonders schwer ist es, sogar für den vollendeten Künstler,
auch schon die Schwingungszahl der Resonanz bloß aufrecht zu
erhalten, also die ungewollten Mitbewegungen des Schallrohres zu
bremsen, wenn auf einem Vokal ein Schwelltoa, also ein Ton mit
gleichmäßig zunehmender dynamischer Verstärkung ausgeführt
werden soll. Denn gar zu leicht erfolgt mit der einen gewollten Be¬
wegung in quantitativer Gradation die andere ungewollte Mit¬
bewegung in derselben Richtung der quantitativen Gradation. Durch
die sich steigernde Quantität der dynamischen Bewegung und des
Tons wird auch die andere Bewegung quantitativ leicht mit in die
Höhe getrieben zum Nullpunkt des neutralen a. Das ist eine
quantitative Mitbewegung. Dadurch erleidet aber der Vokal leicht
eine wesentliche Veränderung. Ja, er kann dadurch seinen Eigen¬
klang nahezu einbüßen. So macht der Künstler durch diese un¬
gewollte assoziative Mitbewegung aus dem Triumph des Pizarro im
„Fidelio“ in der Regel einen Triomph, wenn nicht gar einen
Triamph.
Anstatt Tri — u — — mph
hört man Tri — u — o — mph,
oder gar Tri — u — a — mph.
Physiologisch ist dies derselbe Kunstfehler wie der Sprach¬
fehler des Gleitens vom i zum r mittels des zentralen Gleitlautes a:
„Biar“ (Bier), „wiar“ (wir) oder die bequeme englische Bezeichnung
„ar“ statt „er“ im englischen Alphabet.
b) Die musikalische Veränderung der Tonhöhe führt
gleichfalls schon zur qualitativen Veränderung der Vokale.
Die verschiedene Tonhöhe bzw. -tiefe der Eigentöne der ver¬
schiedenen Vokale ist konstant, so daß sich darnach die physio¬
logische Reihe dieser Elemente aufstellen läßt. Diese physiologische
Reihe ist genau dieselbe wie die, die sich auch nach anderen Ge¬
sichtspunkten ergibt. Daraus erklärt sich auch die jedem Sänger
und jeder Sängerin bekannte Erfahrung, daß die Vokale von einer
gewissen Tonhöhe ab nicht mehr deutlich herausgebracht
werden können, daß die tieferen Vokale u, o, a auf den höheren
Tönen undeutlich werden müssen. Hohe Sopranstimmen ver¬
mögen auf ihren hohen Tönen kein deutliches u oder o mehr zu
Bingen, wohl aber noch e und i.
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630
Wilhelm Sternberg.
c) Schließlich ist eine qualitative Änderung der Vokale schon
durch die Wahl der einheitli c h en Grundfärbung be¬
dingt. Und diese wird auf Kosten der Deutlichkeit erkauft.
Die Klangfarben der Wortsprache, die vokale TonfKrbung
und Farbengebung, die Farbenmodulation, Reinheit der Vokale,
Schönheit und Eigenart des Vokals, also die Ideale der Vokale,
sind durchaus nicht identisch für Wortsprache und Tonsprache.
Vielmehr können diese Qualitäten einander ausschließen. Ohne Be¬
einträchtigung der Reinheit der Vokale läßt sich die Reinheit des
Tones nicht in erwünschter Weise erzielen und umgekehrt.
Die gespannten (geschlossenen) Vokale stellen Bich dem Ohr
als deutliche unverkennbare Klanggebilde dar. Sie sind einander so
unähnlich, daß man glauben könnte, sie würden von verschiedenen
Instrumenten erzeugt. U läßt an ein Fagott denken, o an ein Horn,
a an eine Trompete, e an eine Klarinette, i an eine Oboe. Da die
Vokale des gespannten Aufsatzrohres so das Merkmal scharf aus¬
geprägter Klangfarbe an sich tragen, nennt man solche Vokale
charaktervolle.
Für den Redner ist diese Unähnlichkeit der gespannten (ge¬
schlossenen) Vokale, die sich in ihrer Gesamtheit auch von den
matteren, ungespannten (offenen) Vokalen wesentlich unterscheiden,
unbedingt ein Vorteil, weil er sich an den Verstand der Zuhörer
wendet, und ihm daran gelegen sein muß, jedes einzelne Wort seiner
Wortsprache deutlich zu Gehör zu bringen.
Der Sänger hingegen wendet sich nicht an den Verstand des
Zuhörers, wie der Redner, sondern, wie die Tonsprache allgemein,
an dessen Gemüt. Der Sänger hat seelische Stimmungswerte aus¬
zulösen. Das gelingt ihm aber nur, wenn sein Vortrag selbst ab¬
gestimmt ist, d. h. wenn er die grellen, charaktervollen Unterschiede
der einzelnen Vokalfarben zu einer künstlerischen Einheit abtönt
und zu einer harmonischen Rundung ausgleicht, so wie der Maler
die einzelnen Farben seines Bildes zu einer Einheit zusammen¬
stimmt, ohne dabei etwa die charakteristischen Werte der Farben
zu verlieren, ebenso wie der Künstler von Küche und Keller die
einzelnen Schmeckstoffe zu einem einheitlichen Gesamteindruck der
harmonischen Rundung vereinigt.
Der Sänger muß seinem Vortrag eine einheitliche Grund¬
färbung geben, die aus dem innersten Wesen des vorzutragenden
Kunstwerkes entstanden, der künstlerischen Darstellung harmonische
Geschlossenheit verleiht. So muß er im Interesse des ausgeglichenen
Gesanges den Ausläufern der Vokalreihe eine Dosis ihrer Klang¬
farbe abziehen, dem i und dem e eine Quantität der Schärfe,
dem u und dem o einen Teil der Dumpfheit, während der
neutrale Nullpunkt des Elementes a weniger betroffen wird.
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Elementaranalyse der Wortsprache und der Tonsprache.
631
Die Art, wie der Kunstgesang eine solche Grundfärbung für
den künstlerischen Vortrag erreicht, ergibt den Unterschied in der
Aussprache derselben Vokale beim Sprechen und Singen.
Der physiologische Unterschied beruht in der quantitativen
Assimilation und Neutralisierung der verschiedenen Formen des Auf-
satzrohres und in der graduellen Verschiedenheit der Anspannung
und Abspannung der einzelnen Abschnitte des Aufsatzrohres.
II. 6. a) Die Doppellaute au, ei usw. können ja überhaupt
gar nicht so gesungen werden, wie sie gesprochen werden müssen. Denn
in der Wortsprache erfolgt die Bindung der zwei elementaren Laute
so schnell, und zwar durch Gleitbewegung, wie in der Tonsprache
die Bindung derzwei elementaren Töne gleichfalls durch Gleitbewegung,
„glissando“, so schnell, daß die dazwischen liegenden Gleittöne oder
Gleitlaute nicht apperzipiert werden. Bei zeitlicher Verlängerung ist
dies aber nicht möglich. Und daher kommen die berüchtigten Fehler
des Anfängers in der Aussprache des Textes. Hier wie da nennt man
den Kunstfehler mit Recht „Heulen“, „Miauen“, „Knautschen“.
b) Der Ungeschulte singt leicht
U— U— <J—
&i, au, oi.
Das ist nicht nur ein Kunstfehler im Gesang, sondern auch
ein direkter Sprachfehler.
c) Aber selbst dann, wenn der Sänger kunstgerecht singt
nämlich —u —o —u
ai (aj), au (aw), oi (oj),
selbst dann ist diese Aussprache der Kunst ein Kunstfehler für die
natürliche Aussprache beim gewöhnlichen Sprechen.
III. d) Der angehende Sänger macht leicht den Kunstfehler,
daß er unzeitig, vorzeitig vom Vokal auf den nachfolgenden Kon¬
sonanten übergeht. Und dieses entgegengesetzte Element des Geräusch¬
lautes oder des stummen Konsonanten vernichtet nicht nur den
Ton, sondern führt dann zur ungewollten Kunstpause. Dadurch ent¬
steht dann eine Lücke, ein Absetzen, eine Verkürzung des Zeit¬
wertes. Und das ist nichts anderes als geradezu eine Form des
„ausgesprochenen“ Stotterns.
e) Noch ärger ist der häufige Kunstfehler des angehenden
Künstlers, einen Rest des Notenwertes mit der gerade für den
Konsonanten erforderlichen Artikulationsstellung zu singen. Und das
ereignet sich gerade bei gewissen Konsonanten. Diese sind:
w, v, f, 1, m, n, r, s.
Nun sind aber diese Konsonanten gerade die, bei denen auch
jeder Stotterer leicht anstößt. Die Wirkung beim Singen ist dann die
folgende: ww — w, vv — v, ff — f, 11 — 1,
mm — m, nn — n, sz szsz — sz.
Das ist aber unverkennbar das echte Stottern.
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632
Wilhelm Sternberg.
C. 7. Gar die Verbindung der isolierten Elemente zar
höheren Einheit der Silbe gibt nicht nur dem unfertigen Anfänger und
Dilettanten Anlaß zu Kunstfehlern, die dem Stottern ähnlich sind,
sondern die kunstgerechte Silbenbildung auch des fertigen Könners
und Künstlers ist gleichfalls ein wahres Stottern.
Zwar lautet die Vorschrift der Gesangspädagogik, daß die
Silben-Teilung nach dem Sinn zu erfolgen hat, so daß zusammen¬
gesetzte Worte in ihre Elemente zerlegt werden:
ver/lassen, An/laß, ver/jüngt, All/macht,
halb/laut, nicht hal/blaut, nicht ha/lblaut,
hal/len, zusam/men, Min/ne.
Dennoch empfiehlt die Praxis auch das Gegenteil, Denn die
elementaren Sprachlaute werden auf die Gesangstöne vom Kunst¬
sänger anders verteilt als vom Natursänger. Dieser hat die Neigung,
die für die Sprache geltende Praxis auf den Gesang zu über¬
tragen. Daher setzt er nach kurzen Vokalen zu früh mit den Kon¬
sonanten ein:
dai — n ist main Her—r—tz,
dein ist mein Herz.
Diese Art nennt man „auf den Konsonanten singen u . Und
diese natürliche kunstgerechte Aussprache ist im Kunstgesang als
Kunstfehler aufs Strengste verboten.
Nun ist doch aber gerade die Silbenbildung das erste Element
der Sprachbildung für jeden und auch für den Stotterer, und daher
gerade die natürliche Silbenbildung für ihn so überaus wichtig.
Denn die „gebundene Rede“ — in diesem Sinne — soll der Stotterer
erlernen. Die kunstgerechte Aussprache des Künstlers in der Gesangs¬
kunst ist nicht natürlich, sondern künstlich, ein Kunstfehler, ein
Ersatz, wie ein Kunstbein oder ein künstliches Nährpräparat.
Das zeigt sich noch deutlicher, wenn man die kunstgerechte
Verteilung der Sprachlaute in folgendem einfachem Beispiele be¬
trachtet :
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Elementaranalyse der Wortsprache und der Tonspracke.
633
Nicht nur die Schlußkonsonanten einer Silbe, sondern sogar
die Anfangskonsonanten der folgenden Silbe werden in den Noten¬
wert des vorhergehenden Vokals einbezogen. Dadurch entsteht eine
ganz neue Silbenteilung und Silbenverbindung. Im Gegensatz zu den
Sprechsilben entstehen ganz neue Gesangssilben von Vokaleinsatz
zu Vokaleinsatz.
Die Gesangspädagogik fordert gerade zur Bildung einer guten
Kantilene = „legato“, das durch den „Binde u -Bogen angezeigt
wird, die kontinuierliche Verbindung der Töne — physiologisch ist
diese fließende Gleitbewegung dieselbe Strömungsbewegung, die ohne
Ruck, ohne Unterbrechung wie etwa beim Stottern das „fließende“
Sprechen bedingt, die kontinuierliche Verbindung der Laute —,
daher die Regel, den Schlußkonsonanten einer Silbe möglichst spät
zu bringen, also ihn fast zur nächsten Silbe zu schlagen, z. B.:
We nni chde n Wa ndre rfra ge.
Das ist aber das echte, vollendete Stottern. Damit hat diese
Heilmethode des Stotterns das Gegenteil von dem erreicht, was sie
erstrebt. Denn nicht allein, daß sie das Sprachübel nicht beseitigt,
nicht allein, daß bloß die Anfänger und Ungeschulten bei Kunst¬
fehlern diese falsche Aussprache wählen, züchtet ja gerade diese
Heilpädagogik das echte Stottern.
Man muß doch einmal an die Elementaranalyse der Koordi¬
nationsbewegungen herantreten und die Frage aufwerfen: Ist etwa
Singen und Sprechen im Lichte der Bewegungsanalyse ein und die¬
selbe Koordination?
Schon jeder Unbefangene muß auf den ersten Blick sofort
erkennen, daß beide Funktionen überhaupt unmöglich ein und die¬
selbe Koordination auch nur sein können.
A. Geht man freilich bloß dem äußeren Bewegungsbild nach,
wie das allgemein auch in der modernen Bewegungslehre noch
üblich ist, dann gibt man höchstens das Eine zu, daß Singen weiter
nichts sei als Sprechen, zu dem sich bloß noch etwas hinzuaddiert.
Allein diese Vorstellung ist ein elementarer Fehler in der Elementar¬
analyse der Koordination. Wie sich im Chemismus nicht einfach
etwas hinzuaddieren läßt, etwa zu einer chemischen Verbindung,
KCl, KCIO», ohne daß diese von Grund aus eine Änderung ihrer
Konstitution erfährt, so läßt sich auch zur Koordination nicht ein¬
fach eine neue Elementarbewegung hinzuaddieren, ohne daß diese
Koordination von Grund aus eine Änderung in ihrer Verfassung
erfährt. Elementaranalytisch besagt die deskriptive Methode des
äußeren Bewegungsbildes, daß der innere Vorgang beider Tätig¬
keiten ein grundsätzlich abweichender ist, ein Koordinationswechsel.
B. Schon der Spielraum des Muskelspiels ist ja in beiden
Fällen grundverschieden. Die räumlichen Verhältnisse für die Form¬
gebung sind in beiden Fällen darchaus andere. Selbst der Taube
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I
634 Wilhelm Sternberg.
sieht von weitem, ob einer spricht oder singt. Raumwechsel,
Quantitätsänderung ist bewegungsanalytisch stets ein Koordinations-
Wechsel. Da die Kraftquelle wandern muß, in der Richtung zum
proximalen bzw. distalen Ende, wird die qualitative Mischung der
impulsgebenden Muskelgruppe eine andere.
C. Dazu kommt ein weiterer für die Elementaranalyse der
Koordination sehr gewichtiger Gesichtspunkt. Allgemein bedingt
auch jeder Tempowechsel einen Koordinationswechsel. Jeder
Geiger weiß, daß er ein und dieselbe Bewegung grundsätzlich
ganz anders auszuführen hat, je nachdem sich das Tempo
ändert. Dieselbe Bewegung mit dem „Unterarm“-Strich, dem
„Dötachd“, wird bei Tempobeschleunigu'ng zum „Tremolo“, zur
Zitterbewegung „aus dem Handgelenk“. Laufen ist physiologisch
eine ganz andere Reihe von Koordinationen als Gehen. Die klassische
Muskelphysiologie kennt diesen Unterschied des Mechanismus noch
nicht, weil sie ihre Betrachtungen noch nicht Uber die einfachsten
Koordinationen z. B, des Gehens ausgedehnt hat. „Läufer“ sind
physiologisch grundsätzlich andere Koordinationen als „Passagen“,
„Andante“.
Daß schon die Zeit, die Geschwindigkeit allein einen Koordi¬
nationswechsel bedingen kann, habe ich 2 ) bereits ausgeführt.
Da nun aber das Singen allgemein dem Sprechen gegenüber
einen Tempowechsel bedeutet, muß das Singen schon darum einen
Koordinationswechsel dem Sprechen gegenüber bedingen. Raum und
Zeit führen zu doppeltem Koordinationswechsel. Doppelt intensiv
werden daher Raum und Zeit subjektiv durch das Muskelgefühl
empfunden.
D. Singen ist aber nicht nur eine vollkommen andere Koordi¬
nation als Sprechen, sondern auch eine Assoziation von zwei
Koordinationen. Und hierbei wirken ganz andere Muskeln reaktiv
als mechanische Stützpunkte. Daß diese reaktive Mitwirkung der
verschiedenen Muskeln zur Stütze bei scheinbar ein und derselben
Koordination nicht unwichtig ist, das lehrt schon die alltägliche
Erfahrung. Der Sänger singt nicht gern im Sitzen und begleitet
sich selber nur im Kotfall. Man unterscheidet „Sitz“-Geiger und
„Steh“-Geiger.
K. Nicht nur die simultane Assoziation der Koordinations¬
reihen ist so fest verbunden, sondern auch die sukzessive Assoziation
bei den Bewegungen in der Tonsprache. Daher kommt das unwill¬
kürliche Bedürfnis zur ungewollten Fortsetzung, das physiologisch
vergleichbar dem Appetit ist. Das mag mit der Tatsache Zusammen¬
hängen, daß die Tonstufen mit mehr oder weniger großem Zwange
das Bedürfnis erregen zur ungewollten Weiterführung bis zum
a ) „Physiologisches Stottern“. Therapie der Gegenwart 1922, H. 6, S. 238.
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Elementaranalyse der Wortsprache und der Tonsprache.
635
Schiaß des Grundtones. Das sind die Phänomene des Auflösungs-
hedUrfnisses, des Schlußgefühles der Kadenz. Bekannt ist ja der
unwiderstehliche Zwang, mit dem die Finger beim Spielen unge¬
wollt, ohne Hemmung fortlaufen, sozusagen von allein, zum Ruhe¬
punkt des Grundtones. So mag sich wohl auch die Tatsache erklären,
daß die durch das Singen vermeintlich geheilten Stotterer zwar
singend bestenfalls etwas aussprechen können, aber nicht Halt zu
machen vermögen, sondern ungewollte Artikulationsbewegungen
machen, wofür der August von Fritz Reuter 3 ) ein klassisches Bei¬
spiel ist.
Ohne vom anderen zu wissen, hatten alle die Mutter zu über¬
raschen gesucht mit demselben Geschenk, einer Brille. August, befragt,
worin denn nun seine Überraschung bestünde, konnte kein Wort
rausbringen. „Sing’, Jung’!“, säd Unkel Matthies, un August sung
denn mit schöne belle Stimm nah de Melodi von dem Jungfern¬
kranz :
„Ick schenk min Mudding ok ’n Brill —
Veilchenblaue Sei — i — de.“
Demnach hat die Gesangspädagogik als Heilpädagogik des
Stotterns doch mancherlei Übelstände:
1. Vokalmusik ist physiologisch ein Vokalstottern. Die Gesangs¬
kunst führt also zu einem Kunstfehler der elementaren Lautbildung.
2. Vokalmusik ist physiologisch sogar auch ein Konsonanten¬
stottern. Die Gesangskunst führt also zu einem zweiten Kunstfehler
der elementaren Lautbildung.
3. Vokalmusik ist physiologisch ein Silbenstolpern. Die Gesangs-
kunst führt also zu einem dritten Kunstfehler in der elementaren
Verbindung der Laute zur Sprachbiklung.
4. Die Tonsprache ist physiologisch in der Einheit ihrer
elementaren Bewegung eine andere als die Wortsprache. Die ein¬
heitlichen Bewegungen der kleinsten Einheiten sind durchaus nicht
etwa kongruent und decken sich keinesfalls miteinander.
Vokalmusik läßt den Stotterer nicht zur gewollten Ruhe
kommen. Das Singen läßt dem Stotterer nicht einmal Ruhe zur
gewollten Pause und zum gewollten Ende. So macht dank der Heil¬
pädagogik der Stotterer außer dem einen Kunstfehler der gekonnten
aber ungewollten Pause den zweiten der gewollten aber ungekonnten
Pause und ungewollten Fortbewegung.
5. Vokalmusik in Gemeinschaft mit anderen, „unisono“, hat
noch den doppelten pädagogischen Fehler:
a) Die Kontrollierung wird unsicher;
b) die mitreißende Kraft der anderen führt jeden leicht zu Mit¬
bewegungen und erhöht dadurch die Unselbständigkeit.
') Wat bi ’ne Aeverraschung rutekamen kann.
Monatsschrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 42
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636 W. Sternberg. Elementaranalyse der Wortspracbe und der Tonsprache.
Somit ist diese Art der Heilung nnr eine Scheinheilung. Ja,
Singen ist sogar kontraindiziert fttr Stotterer. Somit ist die eine
klassische Heilmethode des Gesanglehrers ebenso verkehrt wie die
andere, die des anderen Laien, des Tanbstummenlehrers Gutz-
m a n n. Kein Laie war mehr ungeeignet alB gerade der Taub¬
stummenlehrer. Und seine Methode bleibt nach wie vor die aka¬
demisch-klassische.
Wenn das richtig ist, dann ergeben sich drei neue Gesichts¬
punkte, die weit über das Spezialgebiet hinaus praktische Wichtig¬
keit haben:
1. Keinerlei Bewegungen, gewiß nicht die LeibesUbungen, sind
so dankbar für die Elementaranalyse der Koordinationen wie die
Kunsttlbungen.
2. Keinerlei Bewegungen sind so dankbar für die Analyse der
gewollten aber noch nicht gekonnten Koordinationen wie die Kunst¬
übungen des angehenden Künstlers. Die rationellen Kunstübungen
der Gesangspädagogik liefern die physiologische Progression der
Reihe der übenden Wirkungen, die die Unfertigkeit des Anfängers
in den technischen Übungen bis zur Fertigkeit fördern. Sie liefern
allgemein das beste Beispiel für jede technische Übung der ratio¬
nellen Koordination eines jeden Ungeschulten und eines jeden
Anf&Dgers.
3. Keinerlei Bewegungen sind so dankbar für die Analyse der
gewollten und auch gekonnten, aber nur unökonomisch gekonnten
Koordination wie die Kunstfehler und Sprachfehler des fertigen
Stotterers. Sie liefern allgemein das beste Beispiel für jede tech¬
nische Übung der irrationellen, behelfsmäßig ausgeführten Koor¬
dination.
Die eine Art der Koordinationsbewegung ist der Typus für
jede neue ungekonnte Koordination, ebenso zugleich für jeden Un¬
geschulten, Unfertigen, Ungeübten, also der Typus des Infantilismus.
Es ist der Typus des physiologischen Lallens oder des pathologischen
Stammelns.
Die zweite Art der Koordinationsbewegung ist der Typus für
jede nicht neue, sondern alte, bekannte, eingelernte, gekonnte
Koordination, aber bloß behelfsmäßig gekonnte, ebenso zugleich für
jeden falsch Geschulten, nach unrationeller Methodik Fertigen,
behelfsmäßig Geübten, also der Typus der falschen Methodik, der
unrationellen, unökonomischen Pädagogik. Das eine ist ein physio¬
logischer Fehler in der pädagogischen Entwicklung, das andere ein
pathologischer Mangel zufolge der pädagogischen Fehler.
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Edmund P o g 4 n y. Otogene Septikopyämie bei einem bejahrten Manne. 637
Aus dem Spitale der Budapester orth.-isr. Religionsgemeinde
Direktor-Chefarzt: Dr. Max R o s e n a k).
Heilung eines Falles von otogener Septikopyämie
bei einem bejahrten Manne.
Von Ohrenarzt Dr. Edmund Pogäny.
B. Cs., ein 64jähriger Mann, erkrankte am 28.11. 1921 an akuter linksseitiger
Mittelohrentzündung. Lebhaft rotes, sich vorwölbendes Trommelfell, am hinteren
Teile große Bulla. Temperatur 38*5°. Parazentese. Wenig seröses Sekret. 1. IIL Kein
Sekret. Stark entzündetes Trommelfell, infiltriert. Proc. mastoideus druckempfind¬
lich. Abendtemperatur 39°. Wiederholte Parazentese. 2. III., 3. III., 4. III.. Statue
idem. Wenig schleimiges, blutig-eitriges Sekret aus der Trommelhöhle. Febris Con¬
tinua bis 37 und 38 ü C. Keine spontane Schmerzen. Geringe Druckempfindlichkeit
an der Spitze. 6. bis 7. III. Typisch pyämische Temperaturen mit Schüttelfrost
am 6. III.
7. III. Wenig Sekret. Geringe Druckempfindlichkeit des Proc. mastoideus.
Heftige Schmerzen an der Spitze des Proc. mastoideus bei extremer Drehung des
Kopfes gegen die gesunden Seite, oder wenn Pat. einen Gegenstand aufheben will.
Keine lokale Veränderung am Proc. mastoideus. Wir nehmen an, daß an der Insertions-
stelle des M. sternocleidomastoideus eine Mugkek nt zündung vorhanden ist.
Am 8. III. Operation in lokaler Anästhesie (Novocain): Corticalis dick
und hart. In den Cellulae mastoideae kein Eiterherd, zerstreut in einzelnen Zellen
Granulationsgewebe, schleimiges Sekret. Proc. mastoid. blutreich. Geräumiges
Antrum, wenig Eiter und Granulationsgewebe enthaltend. Eröffnung des Sinus
sigmoideU8, welcher normal bluthältig scheint. Nach der Operation fällt das Fieber
lytisch. Der Schüttelfrost wiederholte sich nicht. Maximale Temperatur 38-3° C.
Puls der Temperatur entsprechend. Der vor der Operation bestehende, auf die Spitze
des Proc. mastoid. lokalisierte Schmerz blieb nach 2 Tagen nach der Operation
aus. Allgemeinbefinden gut. Am 11. III. vollständig fieberfrei, steht auf, am 14. UI.
wird er aus dem Spitale entlassen. Bis abends ^10 Uhr fühlt sich Pat. wohl, nach
y 2 10 bemächtigte sich seiner eine starke Unruhe. Er stieg aus dem Bette, ging im
Zimmer auf und ab, legte sich wieder nieder. Gegen Mitternacht bekam er einen
starken Schüttelfrost, der zirka eine viertel Stunde andauerte. Temperatur 40-2° C. Am
lö. III. morgens um y 2 V Uhr Temperatur 38-2°, um 12Uhr36-5, Puls70. Pat.fühlt sich
schwach, ist appetitlos. Wir nehmen an, daß irgendwo im Knochen ein Eiterherd
oder eine Thrombose eventuell eine Osteophlebitis septica sec. Körner vorhanden
ist. Nach Mitternacht Temperatur 40°. Schüttelfrost. Am 16. III. Operation
in Chloroformnarkose.
Im Knochen kein Eiterherd. Resektion der Spitze. Eröffnung des Sinus und
der Dura der mittleren Schädelgruhe. Dura gesund. Freilegungdes Sinusauf ca. 2 cm:
scheint auch gesund. Probepuiiktion negativ. Nach dreimal wiederholter negativer
Probepunktion Inzision des Sinus, welcher mit einem rötlich-braunen Thrombus
gefüllt ist. Nach Unterbindung der ganz leeren Jugularis, doppelte Unterbindung
der Vena facialis vor der Einmündung in die Jugularis und Durchtrennung der¬
selben. Fortsetzung der Knochenoperation lateral und zentral solange, bis die
Sinuswand verhältnismäßig gesund erscheint. Eröffnung des Sinus, Entfernung
der Thromben zentralwärts, bis eine starke Blutung entsteht. Tamponade. Von der
Bulbusgegend keine Blutung. Jodoformgaze-Tamponade. Verband.
Bakteriologischer Befund des Sinus - Eiters: Staphylococcus
aureus (Prof. Entz).
Nach der Operation ist Pat. auffallend schwach, soporös., appetitlos. Die
Appetitlosigkeit zieht sich durch den ganzen Verlauf der Krankheit durch. Proktoklyse.
42*
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638 Edmund Pogany. Otogene Septikopyämie bei einem bejahrten Manne.
Unmittelbar vor der Operation, hauptsächlich aber nach der Operation klagt
Pat. über heftige Sehmerzen in der Inter,skapulargegend. Interner Befund negativ.
Keine hohe Temperaturen, nicht über 38°, Schüttelfrost wiederholt sich nicht. Im
Verlaufe der Krankheit dominieren zwei Symptomen: gestörtes Sensorium und
große, nicht lokalisierte Rückenschmerzen. Pat: stöhnt fortwährend, ist auffallend
ungeduldig. Zumeist erkennt er seine Umgebung nicht. Keine Amnesie noch Aphasie
sowie auch keine zerebrale Symptomen. Vorübergehend Inkontinentia urinae. Stuhl
nur nach Einlauf. Die Schmerzen können nur mit Morphin gestillt werden.
Beide Wunden, sowohl die Jugularis wie auch die Trepanationswunde granu¬
lieren normal; nach 8 bis 10 Tagen ist bloß die Sinuswand nekrotisch.
26. III. Rechte Glutaealgegend ödematös, Fluktuation, schmerzhafte Druck¬
empfindlichkeit. Operation in Äthylchloridrausch (Direktor Chefarzt R o s e n a k).
Entleerung von zirka y 2 l Eiter und nekrotischer Gewebsstoffe. Der Abszeß ist in
der Höhe der I., II. und III. Sakral wirbeln, unterhalb der Faszie, oberhalb des
Periostes. Auch nekrotische Faszienstücke werden entfernt.
Nach der Operation geringere Schmerzen. Gestörtes Sensorium. Schlaf nur
durch Morphin, unter Morphinwirkung Sensorium reiner.
Temperaturen normal bis leicht erhöht.
Die Glutaealwtmde heilt auffallend gut. Der Zustand des Pat. bessert sich all¬
mählich, die Sensoriumstörungen sind auch seltener. Gewöhnlich ist er fieber¬
frei, später täglich, dann jeden zweiten, dritten Tag Temperaturerhöhungen bis 37*5°.
Klagt wiederholt über große Schmerzen in der linken Schultergegend und in der
linken Glutaealgegend, wo dem Nervus ischiadicus entsprechend spontane Schmerzen
und Druckeinpfindlichkeit bestehen. Objektiver Befund sonst negativ. Intravenöse
Elektrargol- und Methylenblauinjektionen. Es ist auffallend, daß am Tage der
intravenösen Injektion das Allgemeinbefinden wesentlich besser ist, als an solchen,
an denen er keine intravenöse Injektion erhielt. Insgesamt bekam Pat. 14 intravenöse
Injektionen.
Am 18. IV. wurde an der linken Glutaealgegend eine faustgroße, fluktuierende
Schwellung in der Roser-Nelaton-Linie, zirka 8 cm vom Trocheanter, sichtbar.
Inzision (Dr. Rosenak) durch sämtliche Weichteile bis zum Beckenperitoneum.
Höchstwahrscheinlich ist es ein periartikulärer Eiterungsprozeß. Nach der Operation
fühlt sich Pat. wesentlich besserest oft tagelang vollkommen fieberfrei, außer Bett.
Am 10. V. ist das Allgemeinbefinden wieder schlecht. Klagt über Schmerzen
in der linken Schulter, abends Temperaturerhöhungen bis 37*6°. Objektiver Befund
negativ.
Am 16. V. in der linken Supraklavikulargrube kinderfaustgroße Gewulst,
druckempfindlich. Temperatur 37*4, 37-6, abends 38*1°.
17. V. Inzision (Dr. Rosenak) parallel mit dem unteren Rande des linken
Schlüsselbeines. Der Abszeß ist, wie es sich nach Freilegung der Weichteile zeigt,
ein periartikulärer Abszeß des linken Sehultergelenkcs.
Nach dieser Operation stört nichts die fortdauernde Heilung. Am 5. VI. ist
auch diese letzte Operationswunde geheilt, Pat. ist wieder arbeitsfähig. Seitdem
ist schon bereits ein Jahr verflossen und Pat. vollständig gesund.
In der Literatur fand ich keinen ähnlichen Fall dieses Alters
von Heilung nach Septikopyämie. Das veranlaßt mich zur Mitteilung
dieses seltenen Falles.
Unter die von Hesaler gesammelten 389 Fällen waren zwei
im Alter von 60 bis 70 Jahren. Beide starben. In diesem hohen
Alter ist schon selbst die Erscheinung dieser Krankheit selten. In
Körners 39 Fällen kam im Alter von 61 bis 80 Jahre bloß ein
Fall von otogener Septikopyämie vor. Holger M y g i n d publizierte
80 Fälle, von denen war ein Fall über 60 Jahre mit letalem Ausgang,
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Alfred Vogl. Zur Kasuistik der isolierten Störungen der Zeigereaktion. 639
ebenso drei letale Fälle im Alter von 50 bis 59 Jahren. Nach seiner
Ansicht ist die Mortabilität bei Pat. über 50 Jahren 100%. Viel
Ähnlichkeit mit meinem Falle findet sich bei dem 54 Jahre alten
Pat. Leidlers, der auch Diabetiker war (3% Zucker). Die Opera¬
tion mußte wegen eines extraduralen Abszeß und Sinusthrombose
vorgenommen werden. Vollständige Heilung. (Monatschrift für Ohren¬
heilkunde 1910.) Diabetes beeinflußte diese otochirurgische Erkrankung
nicht schlecht.
Holger M y g i n d stellt für jene Fälle, in welchem die Tages¬
temperatur 385 u nicht überschreitet, keine schlechte Prognose. Bei
meinem Pat. war mit Ausnahme der Schuttelfrostanfälle die Tages¬
temperatur nicht Uber Natürlich ist bei älteren Individuen
der Puls meist labil, so auch hei meinem Pat. Während der ganzen
Krankheit war aber der Puls kräftig, gut; ein Beweis dafür, daß
der gute, der Temperatur entsprechende Puls eine gute Prognose er¬
hoffen ließ.
Holger M y g i n d behauptet ferner, daß auch in Fällen von
periartikulären Metastasen und Metastasen der Gelenkskapseln die
Prognose gut ist. Dies hat sich in meinem Falle erwiesen. „Ich
wage sogar zu behaupten — schreibt Holger Mygind — daß
ein Pat. mit otogener Sinusphlebitis, der fortwährend an Schmerzen
in einem Gelenke leidet (ohne daß dasselbe irgendeine Abnormität
aufzuweisen braucht), ausgezeichnete Chancen für Heilung hat.'' Er
betrachtet ebenfalls die Haut und subkutanen Abszesse als gute
prognostische Zeichen.
Aus der II. medizinischen Abteilung des Krankenhauses der Wiener
Kaufmannschaft (Primarius: Privatdozent Dr. Julius Donath).
Zur Kasuistik der isolierten Störungen der Zeige¬
reaktion 1 ).
Von Dr. Alfred Vogl.
(Mit 4 Figuren.)
Dissoziierte Störungen der vestibulären Reak¬
tionen, die bei erhaltenem kalorischen Nystagmus in isolierter
Weise nur die Zeigereaktion betreffen, sind wohl an und für
sich selten; umso bemerkenswerter erscheint daher ein derartiger
Fall, der — durch Zusammentreffen mit einem wohl charakterisier¬
baren neurologischen Syndrom — zu interessanten herddiagnostischen
Erwägungen, auch bezüglich des Verlaufes der Bahn der
vestibulären Zeigereaktion, Anlaß gibt.
x ) Nach einer Demonstration in der Wiener otologischen Gesellschaft
(29. März 1922).
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640
Alfred Vogl.
Der Patient, der dieses eigenartige Krankheitsbild bietet ist ein 64jähriger
Privatbeamter. Vor 40 Jahren Schanker; eine Schmierkur. Später keinerlei
luetische Manifestationen. Pat. ist verheiratet, hat vier gesunde Kinder. Kein
Abortus der Frau. — Seit Jahren leidet Pat. an geringer allmählich zunehmender
Schwerhörigkeit; seit etwa einem Jahre an Herzbeschwerden vom Charakter
einer leichtgradigen Angina pectoris.
Vor einem Jahr erlitt Pat. unvermittelt einen Schlaganfall ohne Bewußtseins¬
störung mit Schwindelgefühl und anschließender Parese des rechten Fazialis und
Armes. Rechtes Bein und Gang intakt. Innerhalb dreier Monate restlose Rück¬
bildung dieser Erscheinungen.
14 Tage vor der Aufnahme befiel den Pat. morgens beim Aufstehen ein
Schwindel, so daß er auf das Bett zurückfiel; er verlor jedoch angeblich nicht
das Bewußtsein; als er sich nach einer Weile wieder zu erheben versuchte, ver-
S iÜrte er eine derartige Taumlichkeit und Unsicherheit beim Stehen und
ehen, daß er selbst wenige Schritte, obgleich beiderseits unterstützt, nur mit
Mühe zurücklegen konnte; dabei merkte er die Neigung, nach rechts zu fallen.
Gleichzeitig trat Kältegefühl und Ameisenlaufen in der rechten Ge-
sichtshäJfte auf, das in den nächsten drei Tagen an Intensität noch zuge¬
nommen haben soll. Irgendwelche sonstige krankhafte Symptome, etwa Lähmungs¬
erscheinungen, wurden nicht beobachtet. Die Unsicherheit und die Parästhesien
halten seither fast ungeschwächt an.
Bei der Aufnahme war folgender Befund zu erheben:
Die innerliche Untersuchung ergab anßer mäßiger peripherer
Arteriosklerose keinen pathologischen Befund. Wassermann -Reaktion im
Serum negativ.
Neurologischer Befund: Augenbewegungen: frei; kein
Nystagmus. Augenhintergrund normal. Pupillen: Miosis rechts; Licht und
Akkomodationsreaktion beiderseits prompt. Motilität und motorische Kraft
(im Liegen) intakt. Reflexe: Kornealreflex rechts fast fehlend,
links lebhaft. Sonstige Reflexe intakt; keine pathologischen Reflexe. Sensibi-
lität: Parästhesien (Kältegefühl, Taubheit, keine Schmerzen), Analgesie
und Thermanästhesie des rechten Trigeminusgebietes. (Diese
Sensibilitätsstörung zeigte bei der Rückbildung im Laufe der nächsten Wochen
segmentalen Charakter (s. u.), denn die Besserung betraf vorwiegend und
weitgehend nur die in der Skizze (Fig. 2) distant schraffierten Partien, während
der dicht schraffierte Anteil analgetisch blieb). Koordination: im Liegen
intakt; kein spontanes Vorbeizeigen. Der Gang war anfänglich hochgradig
schwankend nach Art zerebellarer Ataxie mit Fallneigung und
Lateropulsion, nach rechts; Pat. konnte sich ursprünglich ohne Unter¬
stützung nicht aufrecht erhalten, drohte nach rechts zu stürzen. Die Ataxie
besserte sich jedoch ziemlich rasch, wobei das Ab weichen nach rechts bei Auf¬
forderung, geradeaus zu gehen, deutlicher wurde und äußerte sich schließlich
nur mehr in positivem Romberg mit konstanter Fall n ei gun g nach rechts.
Otologischer Befund (Professor H. Frey): Otoskopischer
Befund beiderseits normal. Kochlearapparat: akustisch beiderseits ganz
geringe Herabsetzung der Luft- und Knochenleitung, Uhr beiderseits ad concham,
vom Knochen nicht gehört. Flüstersprache links 3/i rechts 4 bis 5 m; Kon¬
versationssprache links 4 bis 5 m, rechts 6 m. Vesti bularapp arat: Nystag¬
mus: spontan nicht nachweisbar; Drehstuhl: Nach R-Drehung 26 Sekunden
Nystagmus horizontalis nach links (dabei übermäßige Fallreaktion); nach
L-Drehung 33 Sekunden Nystagmus horizontalis nach rechts (dabei geringe Fall¬
reaktion) ; kalorische Prüfung: R. und L. 0. kalt wie warm: positiv;
Zeigeversucb : kein spontanes Vorbeizeigen; kalorische Prüfung: nach
kalter Spülung links: kein Vorbeizeigen; nach kalter Spülung rechts:
mit dem rechten Arm Vorbeizeigen nach außen, mit dem linken kein Vorbei¬
zeigen; nach warmer Spülung links und rechts: gleicher Ausfall der Zeigereaktion
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Zur Kasuistik der isolierten Störungen der Zeigereaktion.
641
wie bei kalter Spülung (nach Drehung erschien das Ergebnis des Zeige Ver¬
suches wegen der übermäßigen Fallreaktion nicht verwertbar).
Vier Wochen später ergab die Prüfung der vestibulären Reaktionen:
Zeigeversuch: nach kalter Spülung links: beiderseits im ersten Moment
Andeutung von Yorbeiseigen; dieses verschwand — trotz deutlich vorhandenen
Nystagmus sofort wieder — und war auch durch unmittelbar darnach neuerlich
vorgenommene Kaltspülung nicht mehr auszulösen; nach kalter Spülung rechts :
mit beiden Armen Vorbeixeigen; dieses findet nach drei Minuten (bei fortbe-
stehendem Nystagmus) mit dem rechten Arme noch statt, mit dem linken nicht
mehr. Der sonstige Vestibülsrisbefnnd zeigte gegenüber dem anfangs
erhobenen keine Änderung im Verlaufe der weiteren Beobachtung.
Zusammenfassung: Bei einem älteren Mann, der vor
40 Jahren eine Lues akquiriert hatte, nur unzureichend behandelt
worden war und bereits vor einem Jahre einen Schlaganfall mit
vorübergehender inkompletter rechtsseitiger Hemiparese erlitten hatte,
trat apoplektiform hochgradige Taumligkeit und eine Gefühlsstörung
in der rechten Gesichtshälfte auf.
Die wichtigsten Daten des Aufnahmsbefundes waren: Miosis
rechts bei intakter Pupillenreaktion. Parästhesien, Analgesie und
Thermanästhesie im rechten Trigeminusgebiete; Kornealreflex rechts
herabgesetzt. Hochgradige zerebellare Ataxie mit Fallneigung nach
rechts. Wa-R negativ.
Kochlearapparat: geringgradige Schwerhörigkeit links von
Charakter einer Innenohrläsion. Vestibularapparat: kein Nystagmus,
kein spontanes Vorbeizeigen, kein Drehschwindel; bei kalorischer
Prüfung tritt Nystagmus bei Kalt- und Warmspttlung des rechten
und linken Ohres normal positiv auf, die Zeigereaktion ist bei Kalt-
und Warmspülung vom rechten Ohr auslösbar, bleibt jedoch vom
linken Ohr aus.
Im weiteren Verlauf weist der analgetische Bereich im Trige¬
minusgebiet eine Einengung von segmentalem Charakter auf, die
zerebellare Ataxie bildet sich weitgehend zurück, der Vestibularbefund
bleibt im wesentlichen unverändert.
• *
#
Die Frage nach dem anatomischen Charakter der
apoplektiform in Erscheinung getretener Läsion ist kaum mit Sicher¬
heit zu beantworten, im übrigen auch für unsere Zwecke von unter¬
geordneter Bedeutung. Sicherlich handelt es sich, schon nach den
geringfügigen allgemein-zerebralen Symptomen während des Insultes,
nur um einen kleinen Herd — Blutung oder thrombotische
Erweichung auf Basis atherosklerotischer, vielleicht lue¬
tischer Ge fäßveränderung. Immerhin darf man auch mit
Rücksicht auf die Lues in der Anamnese die Möglichkeit eines
Gumma nicht ganz außer acht lassen, wenn auch das plötzliche
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642
Alfred Vogl.
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Einsetzen der Symptome und die negative Wassermann - Reaktion
stark dagegen in die Wagschale fallen.
• •
*
Wenn ich nun an eine Analyse des dargestellten
Syndroms gehe, so bietet schon die eigenartige Beteiligung des
Trigeminus wichtige herddiagnostische Fingerzeige. Denn aus
der Skizze (Fig. 2), in der die Dichte der Schraffen den Grad
der Analgesie (s. o.) versinnbildlicht, geht ohne weiteres hervor, daß
die betroffenen Gebiete keineswegs etwa der peripheren Verteilung
der drei Trigeminusäste entsprechen; dagegen decken sie sich weit¬
gehend mit jenen Hautareaien, die bei Läsion der spinalen
Wurzel des Trigeminuskernes (Fig. 1) betroffen werden
(vergl. z. B. Bin g), ein Verteilungsmodus, der (in Analogie mit der
Körpersensibilität) „segmental“ genannt wird; selbstverständlich gilt
der gleiche auch für die Läsion der von der Radix spinalis zentral-
wärts ziehenden Fasern der sekundären (supranukleären)
Trigeminusbahn. (Fig. 1) Dem gemäß kann der Herd also
nur einen der beiden letztgenannten Anteile, nicht aber den
Kern oder den peripheren Trigeminus betreffen.
Außerdem ist die Beschränkung der sensiblen
Lähmung auf die Schmerz- und Temperaturem¬
pfindung (bei erhaltener Bertlhrungsempfindung) diagnostisch
beachtenswert; eine solche wird nämlich bei Läsion der spinalen
Trigeminuswurzel, aber auch in besonders ausgeprägter Weise bei
einer Störung im dorsalen Haubenbündel (W alienberg),
das als dorsale Fasergruppe der sekundären Trigeminusbahn auf¬
gefaßt wird, beschrieben; in diesem Anteil scheint nämlich eine
scharfe Sonderung der Sensibilitätsqualitäten stattzufinden (Marburg),
derart, daß im dorsalen Haubenbündel nur die Fasern für Schmerz-
und Temperaturempfindung verlaufen.
Weiters läßt sich die beobachtete rechtsseitige Miosis
(bei prompter Pupillenreaktion !) ohne weiteres auf eine Läsion des
Halssympthikus zurückführen, der die Fasern für den Dila¬
tator pupillae führt und dessen Verlauf in der Medulla oblongata
im engen Anschluß an die spinale Trigeminuswurzel sichergestellt
erscheint (Breuer und Marburg). Kranialwärts scheint diese
Bahn frontal vom Trigeminuskern zu kreuzen (Karplus und
E c o n o m o) und die sensible Schleife in der Haube zu begleiten.
Nach diesen Feststellungen läßt sich also nur sagen, daß die
Sympathikus- ebenso wie die partielle Trigeminuslähmung sowohl
die Möglichkeit eines gleichseitigen Herdes in der
Medulla oblongata als auch eines kontralateralen in
der Haube zuläßt.
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Zur Kasuistik der isolierten Störungen der Zeigereaktion.
643
Der Entscheidung zwischen diesen beiden letzteren Eventualitäten
scheinen wir interessanterweise durch die Analyse der Symptome
seitens des Gleichgewichtsapparates näher kommen
zu können.
Von spontanen Erscheinungen auf diesem Gebiet
lielJ sich, wie erwähnt, eine anfangs hochgradige, allmählich sich
rückbildende zerebellare Ataxie feststellen, wobei aber aus¬
drücklich hervorgehoben sei, daß alle sonstigen Zeichen einer Klein¬
hirnstörung (z. B. Hypotonie, Adiadochokinese, Gewichtsunter¬
schätzung, spontanes Vorbeizeigen) ebensowenig nachweisbar waren,
wie etwa Symptome einer Innenohrläsion (z. B. Drehschwindel oder
Spontannystagmus), wenn auch bei dem Pat. eine Schwerhörigkeit
vom Charakter einer Läsion des Kochlearapparates zu konstatieren
war, die seit vielen Jahren bestand und in der letzten Zeit sich gar
nicht geändert hat; andrerseits war aber auf Drehreiz und kalorischen
Reiz entsprechender Nystagmus und Fallreaktion auslösbar.
Ob die beobachtete Fallneigung für eine Herdseiten¬
diagnose verwertet werden kann, scheint nach den Angaben der
Literatur (Marburg, Bing) zumindest bei retrolabyrinthärem
Sitz der Erkrankung — Störung im Labyrinth kommt hier offenbar
nicht in Frage — zweifelhaft. Sicherlich ist die Fallneigung nach
der Herdseite das typische, jedoch wird auch das Entgegengesetzte
nicht selten beschrieben. Marburg äußert sich zu diieser Frage:
„Das allgemeine Unsicherheitsgefühl, das die gestörte Orientierung
mit sich bringt, führt zu wechselnder Unterstützung des Schwer¬
punktes, zum Kall nach jener Seite, auf welcher die Unterstützung
mangelhaft ist.“
Man kann also bereits nach der Betrachtung der spontanen
Erscheinungen des Gleichgewichtsapparates sagen, daß die Läsion
im Kleinhirn oder Labyrinth nicht liegen kann (ganz abgesehen
davon, daß ein solcher Sitz Trigeminus- und Pupillenstörung ungeklärt
ließe), sondern an einer der Zwischenstationen zwischen diesen beiden
Organen, also im Vestibularisstamm oder -kern oder in
einer der Kleinhirnbahnen liegen muß.
Diesbezüglich verspricht das Resultat der Funktions¬
prüfung des Vestibularapparates weitere Klärung.
Die hierbei erhobenen Befunde erwiesen sich bei wiederholter
sorgfältiger Untersuchung als so konstant, daß es wohl gerechtfertigt
ist, sie als Substrat weiterer Schlußfolgerungen zu benutzen, wenn
auch ihrer Verwertung für herddiagnostische Zwecke das Bedenken
entgegen steht, daß die anatomischen Grundlagen der Zeigereaktion
(abgesehen von der mit der Leitung für den kalorischen Nystagmus
gemeinsam verlaufenden Bahnstrecke Labyrinth-Vestibulariskerne,
die als sichergestellt gilt) keineswegs fixiert sind.
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644
Alfred Vogl.
Jedenfalls sind, da anf kalorischen Beiz beiderseits Nystagmus
prompt auslösbar war, die Glieder der Bahn (Fig. 1) Labyrinth —
Vestibularisstamm — Vestibilariskerne — pontines Blickzentrum —
hinteres Längsbündel — Augenmuskelkerne beiderseits mit Sicher¬
heit als intakt anzunehmen. Wenn aber demgegenüber festzustellen
war, daß kalorisch nur vom rechten Ohr normales Vorbeizeigen
auslösbar war, vom linken Ohr jedoch die kalorische Zeigereaktion
ausblieb, so gestattet die Gegenüberstellung dieser beiden Befunde
den Schluß, daß rechts die Leitung der kalorischen Reaktion in
ihrem ganzen Verlauf unversehrt ist, links dagegen die Bahn
der Zeigereaktion gestört ist und zwar erst zentral von
denVestibulariskernen, da ja der hiervon periphere, beiden
Reaktionen gemeinsame Abschnitt (nach dem einwandfreien Ausfall
des kalorischen Nystagmus vom linken Ohr) als intakt anzusehen ist.
Bevor ich nun an den Versuch, aus den bisher dargestellten
Möglichkeiten ein einheitliches Syndrombild zu gestalten, gehen
kann, müssen zwei Voraussetzungen vorweggenommen werden,
deren Beweis in vivo schlechtweg nicht zu erbringen ist: erstens,
daß der Erscheinungskomplex auf einen einzigen Herd zurück¬
zuführen ist, wofür wohl das apoplektiforme Einsetzen der gesamten
spontanen Erscheinungen mit großer Wahrscheinlichkeit spricht;
ferner daß die Entstehung der Zeigereaktionsstörung mit
dem Zeitpunkte des Auftretens der übrigen
Symptome zeitlich zusammenfällt, eine Annahme, die umso
plausibler erscheint, als ja der Patient früher auch sonst keinerlei
krankhafte Erscheinung seitens des Gleichgewichtsapparates dar¬
geboten hat.
Nimmt man diese Voraussetzungen und die bereits oben be¬
gründete Ablehnung des Kleinhirns oder Labyrinthes als Sitz der
Läsion für gegeben an, so kann ich mich darauf beschränken, die
Möglichkeiten des Herdes imHirnstamm zu diskutieren und
zwar kommt hier, wie schon bei der Erörterung der Trigeminus- und
Pupillenstörung abgeleitet, nur ein gleichseitiger Sitz in der
Medulla oblongata oder ein kontralateraler in der
Brttckenhaube in Betracht.
Der erstere wäre in der rechten Hälfte der Medulla oblangata,
etwa in der Höhe der Mitte der spinalen Wurzel des Trigeminus¬
kernes (Fig. 1) denkbar, und zwar im dorsolateralen Areale des Quer¬
schnittes (Fig. 3, eingekreist); ein Herd im skizzierten Ausmaß
würde eine Läsion vorwiegend des mittleren Anteiles des Tr actus
spinalis n. V., der Sympathikusbahn und zum Teil des
Corpus restiforme bewirken. Bei dieser Auffassung ergäbe sich
der geschilderte Symptomenkomplex als Ausschnitt aus dem von
Wallenberg beschriebenen Syndrom beiVerschluß der
Arteria cerebellaris posterior inferior (Grenzen
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Zur Kasuistik der isolierten Störungen der Zeigereaktion.
645
des Verteilungsgebietes dieser Arterie in Fig. 3 punktiert). So
ansprechend auch diese Erklärung schon wegen des anatomisch
wohl charakterisierbaren Ausbreitungsbezirkes erscheint, so muß doch
dagegen eingewendet werden, daß die beobachtete Ataxie nicht den
als für Corpus restiforme-Läsion typisch beschriebenen Charakter
(Asynergie, eventuell Hemiasynergie) aufwies. Überdies kann eine
derartige Lokalisation in keiner Weise die Störung der
kalorischen Zeigereaktion erklären; wenn nun auch
die Verwertbarkeit dieser Reaktion für herddiagnostische Zwecke
recht problematisch ist, so ist doch jedenfalls (s. o.) die Läsion
zentral vom linken Vestibulariskern zu suchen und hier eine Störung
der hypothetischen Bahn fttr die vestibulären Reaktionsbewegungen
anzunehmen, also z. B. jener Bahn, die Nucleus Deiters und Nucleus
fastigii des Kleinhirns auf bisher unbekannte Wege verbindet und
der B a r a n y die in Frage stehende Funktion zugestehen will.
Spitzen wir nun nach alldem die Fragestellung darauf zu: gibt
es einen Herd, der die letztgenannte Verbindung lädieren kann und
zugleich eine Erklärung für die übrigen Symptome bietet, so glaube
ich diese Frage bejahen zu dürfen. Denn in der linken Hälfte der
Brückenhaube (Fig. 4, eingekreist) kann ein einziger kleiner
Herd gleichzeitig die Trigeminusschleife (und zwar das
dorsale Haubenbündel), die Sympathikusbahn nach erfolgter
Kreuzung und eine Vestibularis-Kleinhirnverbindung, sofern sie
sich dem Brachium conjunctivum anschließt (Fig. 1, unterbrochene
Linie), zerstören. Ein solcher Sitz würde hinreichend erklären:
erstens die elektive Läsion der kontralateralen Schmerz- und
Temperaturempfindung im Trigeminusgebiete (Sensibilitätsisolierung
im Wallenber gschen Bündel s. o.), ferner die herdkontralaterale
Miosis, das herdgleichseitige Fehlen der Zeigereaktion und schließlich
auch die Eigenart der zerebellaren Ataxie, d. h. das Fehlen jeglicher
sonstiger Kleinhirn- oder Labyrinthsymptome (da es ja unter diesen
Umständen gewissermaßen ausschließlich zur mangelhaften Information
des Kleinhirns durch Ausfall der Reize seitens des linken Vestibulär*
apparates kommt), ferner das relativ rasche Schwinden der Ataxie (etwa
durch allmähliche Anpassung an die nur mehr einseitig — von
rechts — zufließenden Wahrnehmungen der Raumorientierung).
Es wäre also somit (wenn man nicht die Richtung der Fall¬
neigung dagegen verwertet s. o.) gelungen, die mannigfaltigen Er¬
scheinungen dieses merkwürdigen Syndroms dureh eine einheit¬
liche Deutung zu erklären, wobei im übrigen die Anerkennung
des gekennzeichneten Herdes — worauf mit entsprechender Reserve
verwiesen sei — insofern zur Klärung der Anatomie der hypo¬
thetischen Bahn der vestibulären Reaktionsbewe¬
gungen beitragen könnte, als dadurch deren Verlauf durch
die Gegend der Bindearme wahrscheinlich gemacht würde.
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646 Alfred Vogl. Zur Kasuistik der isolierten Störungen der Zeigereaktion,
BMMi.
— Trtgern in. B.
— Vestibulär B.
Tascicltngilpost
— Sympathie-B.
(ßilalalpupillae)
Tri geminus
hrenle
\ peripher*
bulbär
seqpnenturt
ttedulla oblon gata Te gmentum pontis
fig.3. (Sehemat. Querschnitte ) ~Fiß- 4
Original frorn
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Julius Kohn. Ein Fall von schwerer Blutung aus dem Ohre.
647
Fig. 1. Schema der Lageverhältnisse einiger Kerne und Bahnen am Boden
der .Rautengrube.
Fig. 2. Sensibilitätsschema des N. trigeminus.
Fig. 3. Schematischer Querschnitt durch das verlängerte Mark in der Höhe
des kaudalen Drittels der Rautengrube.
Fig. 4. Schematischer Querschnitt durch die Brückenhaube in der Höhe
des kranialeu Drittels der Rautengrube.
A. c. p. i. Versorgungsgebiet der A. cere-
belli posterior inferior (durch
Punkte umgrenzt.
D. c. Brachium conjunctivum.
c Hb. zentrales Haubenbündel.
(\ r. Corpus resti forme.
d. Hb. dorsales Haubenbündel.
D p. Sympathikusbahn für den M.
dilator pupillae.
F.l.p. Fasciculus longitudinalis post.
L. m . Lemniscus medialis.
L. I. Lemniscus lateralis.
A. V. Stamm des N. trigeminus.
N.V111 v. Stamm des N r . vestibularis.
Literatur: Bäräny, Lewandowskys Ilandb. d. Neur. 1913. — Bing,
top. Gehirn- u. Rückenmarksdiagnostik 1919. — Breuer und Marburg, Arb.
aus d. neurol. Instit. Bd. 9, 1902. — Karplus und Economo, Arch. f. Psycb.,
zit. nach VVallenberg 1. c. — Marburg, L). Zschr. f. Nervenheilk. Bd. 41. 1911.—
Wallen berg, Arch. f. Psvch. 27 und 34. — Neurol. Ztrl. Bl. 1915. — D. Zschr.
f. Nervenheilk. Bd. 41, 1911.
Py. Pyramide.
Tr. s. Tractus solitarius.
Tr. sp. V. Tractus spinalis N. trigemini.
r. Hb. ventrales 1 laubenbündel.
Vtc. IV. Ventriculus quartus.
7//. Kerne des N. oeulomotorius.
V. Kern und spinale Wurzel des
sensiblen N. trigeminus.
VI. Kern des N. abducens.
VIII. r. Kerne des N. vestibularis.
A\ d. dorsaler Kern des N. vagus.
A\ v. ventraler Kern des N. vagus.
XII. Kern des N. hypoglossus.
Aus der deutschen oto-rhinologisehen Universitätsklinik Prag
(Vorstand: Prof. Dr. Otto Piffl).
Ein Fall von schwerer Blutung aus dem Ohre 1 ).
Von Dr. Julius Kohn, Externarzt der Klinik.
Einzeln und zusammenfassend sind in der Literatur Fälle von
schwerer Blutung aus dem Ohre wiedergegeben. Da sie jedoeh ver¬
hältnismäßig selten Vorkommen, will ich den an obiger Klinik be¬
obachteten Fall beschreiben, zumal er hinsichtlich Ursprung der
Blutung von den publizierten Fällen abweicht.
Es handelt si»*h um einen 20j, : ihrigen Pat., der am 1. TH. mit blutig-eitrigem
Ausfluß aus dem rechten Ohre* an obiger Klinik autgenommen wurde. Anamnestiseh
gab der hoch tiebrrnde und in seinem Sensorium stark benommene Pat. bloß
an, daß der Ausfluß seit einem halben Jahre bestehe und er vor vier "lagen angeb¬
lich fast einen halben Liter Blut aus dem rechten Uhu* verloren habe.
Der Status ergab Folgendes: Schwächlicher, unterernährter Pat. Unter
dem linken medialen Augenwinkel eine Fistel infolge Tranensaekphkgmone; die
x ) Vorgctragen in der Versammlung der ,,Vereinigung deutscher Ohren-,
Nasen- und Kehlkuptärzte der Tschechoslowakei“ am 2. April 1922.
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648
Julius Kohn. Ein Fall von schwerer Blutung aus dem Ohre.
rechte Wange geschwollen, derb infiltriert, sehr druckschmerzhaft; am Halse mehrere
eingezogene Narben. Der Mund kann infolge beträchtlicher Kiefersperre nur mäßig
geöffnet werden; Zunge trocken belegt; der weiche Gaumen rechts starr, derb in¬
filtriert, Uvula nach links verdrängt. Das linke Ohr bietet keine wesentlichen Be¬
sonderheiten. Rechts ist der Gehörgang infolge Vorwölbung der vorderen G. G. Wand
stark eingeengt, mit fötiden Blut gerinnsein erfüllt, nach deren Entfernung man
in der Tiefe lebhafte Pulsationen sieht. Das Trommelfell ist nicht sichtbar. Ein Hör¬
befund kann infolge Benommenheit des Pat. nicht auf genommen werden. Der interne
Befund ergab kapilläre Bronchitis und Sepsis.
Tags darauf kam es um 2 Uhr nachmittags spontan zu einer starken Blutung
aus dem rechten Ohre. Das mit übelriechenden Gerinnseln vermischte Blut entleerte
sich im Strahle, war wohl nicht so hell wie arterielles, aber auch nicht so dunkel wie
venöses. Auf energische Tamponade des Gehörganges stand die Blutung. Gegen
Abend trat Nasenbluten ein; auch von der hinteren Rachenwand ließ sich Blut ab¬
streifen. 4 Uhr morgens Exitus letalis.
Die Sektion ergab den Befund hochgradiger Tuberkulose fast aller inneren
Organe. Bis apfelgroße Cavernen in beiden Lungen; im Darm zahlreiche bis 2 Kronen¬
stück große Geschwüre. Im linken Stirnhirn nahe der Basis ein erbsengioßer Kon¬
glomerattuberkel. Im paratonsillären Gewebe der rechten Seite eine gangränöse
Phlegmone mit Übergreifen auf den Knochen; der auf steigende Unter kieferaßt ist
seines Periostes entblößt.
Die Sektion des aasgeschnittenen Schläfen¬
beines, die Prof. Piffl selbst vornahm, ergab Folgendes: Der
Sinns der rechten Seite ist bis zum Emissarium Santorini nor¬
mal weit, glattwandig, biegt dortselbst in einem scharfen, etwas
spitzen Winkel nach hinten am, geht darch das in unserem Falle
bleistiftdicke Emissariam in den Knochen, biegt innerhalb desselben
scharf nach unten und vorn um und bildet nach einem Verlauf von
za. 15 mm ein zweites Knie nach abwärts. Sein weiterer Verlauf, der
sich an dem ausgeschnittenen Präparate nicht verfolgen läßt, dtlrite
wohl in der tiefen Halsmuskulatur zu suchen sein. Auf keinen Fall
besteht eine Kommunikation mit der Gegend, in der sich der Bulbus
befindet. Vom Emissarium Santorini bis zum Foramen jugulare ist
der Sinus auf ein Viertel verjüngt und durch einen wohlorganiBierten,
bereits vaskularisierten Thrombus ersetzt. Der Sinus petrosus in¬
ferior endet blind; der Bulbus venae jugularis fehlt.
Im äußeren Gehörgang ist die Auskleidung verdickt, im innersten
Anteil liegt der Knochen bloß. Die Paukenhöhle ist von Gerinnseln
und Eiter erfüllt; nach dessen Entfernung erkennt man im oberen
Paukenhöhlenraum den Hammer mit fehlendem Griff. Der Boden
der Paukenhöhle, sowie die untere Hälfte ihrer medialen Wand
fehlen. Hier kommt man in eine bohnengroße, von Blutgerinnseln
erfüllte Höhle, deren Wände sich rauh anfühlen. Diese wiederum
steht nach unten und vorne zu mit einer fast walnußgroßen, unregel¬
mäßigen Höhle in Verbindung, deren Wände durch jauchig miß-
färbige Weichteile gebildet werden. Es besteht folglich eine Kommuni¬
kation der Paukenhöhle mit der Fossa mandibularis. Auch der gegen
die Paukenhöhle zu gelegene Teil des Karotiskanals ist zerstört, doch
die Carotis interna selbst, deren Wand am Knie des Kanals wohl
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Teofil Zalewski. Erkrankungen des Gehörorgans bei Typhus exanthem. 649
gerötet und verdickt erscheint, ist intakt, was aach die histologische
Untersuchung bestätigt.
Aas welchem Gefkße stammte nun in unserem Falle die starke
Blutung? Betrachten wir in dieser Hinsicht zunächst einmal flüchtig
die in der Literatur wiedergegebenen Fälle, denen die gleiche
Ätiologie — Tbc. der Paukenhöhle — zugrunde liegt, so heißt es
in der Mehrzahl der Fälle; Caries des Felsenbeines, die Paukenhöhle
kommuniziert mit dem Knie der Carotis interna, wo eine Perforation
des Gefäßes bestand. In einem Falle, den Kirchner (Würzburg)
im A. f. 0. Bd. 97 v. J. 1915 publizierte, handelt es sich um Caries
des Tegmen tympani mit Arrosion eines Astes der Arteria meningea
media. In einigen wenigen Fällen ist als Quelle der Blutung der
Sinus bzw. der Bulbus erwähnt. Die Blutung stammt also immer
aus einem der Paukenhöhle unmittelbar benachbartem, größeren Ge¬
fäße. In unserem Falle trifft dies jedoch nicht zu, wie es aus dem
angegebenen Sektionsbefund ersichtlich ist. Hier stammt die starke
Blutung aus einem der Paukenhöhle weiter entlegenen Gefäße, ver¬
mutlich aus der Arteria maxillaris interna, deren Anfangsteil ja
gerade in den gangränösen Herd am aufsteigenden Unterkieferast
zu liegen kommt.
Epikrise: Unser Fall ist zunächst in anatomischer Hinsicht
interessant insofern, als das Sinusblut infolge der Verlegung des
untersten Abschnittes des Sinus sigmoideus und Defektes des Bulbus
der Vena jugularis interna durch ein bleistiftdickes Emissarium
Santorini nach außon in die Weichteile des Halses abgeleitet wurde.
Es bestand ferner hochgradige Tuberkulose der Paukenhöhle mit
Caries der knöchernen Wände, Zerstörung des Bodens und der
unteren Hälfte der medialen Wand der Paukenhöhle, Kommunikation
derselben mit der Fossa mandibularis, Ausbreitung des Prozesses
bis ins paratonsilläre Gewebe und vermutlich Arrosion der Arteria
maxillaris interna.
Die Erkrankungen des Gehörorgans bei Typhus
exanthematicus.
Von Prof. Dr. Teofil Zalewski, Lemberg.
Systematisch© Untersuchungen über pathologische Veränderungen
des Gehörorgans bei Fleckfieber besitzen wir bis jetzt nicht. In der
Literatur finden wir nur spärliche Angaben über diesen Gegenstand,
so daß das Material, über welches wir verfügen, für die Schilderung
der krankhaften Prozesse im Gehörorgan im Verlaufe von Fleckfieber
ungenügend ist. Die Spärlichkeit und Unvollkommenheit unserer
Beobachtung in dieser Beziehung ist leicht zu erklären, wenn man
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650
Tecfil Zalewski.
berücksichtigt, daß wir über die Krankheit selbst bis za dem letzten
Krieg sehr mangelnde Kenntnisse gehabt haben; erst während des
Krieges hatten wir die Gelegenheit, die Fälle von Fleekfieber ge¬
nauer za beobachten, und erst während des Krieges sind genaae
Untersuchungen Uber diesen Gegenstand durchgefuhrt worden.
Systematische Untersuchungen über Erkrankungen des Gehör¬
organes bei Typhus exanthematicus stoßen auf große technische
Schwierigkeiten. Auf Grund des in der Literatur bekannten Materials
ist es nicht möglich, über die Häufigkeit und den Charakter der Er¬
krankung des Gehörorganes zu urteilen.
Während der großen Epidemie von Fleckfieber im Jahre 1919/20
habe ich auf der oto-laryngologischen Abteilung des Kreis-Militärspitals
in Lemberg 51 Fälle mit Erkrankungen des Gehörorganes im
Verlauf des Fleckfiebers beobachtet. Da mir jeder Fall der Er¬
krankung des Gehörorganes gemeldet und jeder Fall, wo Uber
Beschwerden seitens des Gehörorganes geklagt wurde, von mir
untersucht wurde, kann ich annehmen, daß nur wenige Fälle der
Aufmerksamkeit entgehen konnten.
Im Militär-Epidemiespital sind im Jahre 1919/20 zirka
5000 Fleckfieber fälle behandelt worden. Die Komplikationen im
Gehörorgane bilden also 1%.
Was die Veränderungen im Ohr betrifft, so hebt Jürgen b
die Häufigkeit der Mittelohrentzündung hervor, G r ü n w a 1 d und
Lehman n 1 ) dagegen meinen, daß die Labyrinthveränderungen
häufiger Vorkommen. Lehmann hat keinen Fall mit Mittelohr¬
entzündung gesehen.
Das von mir gesammelte und beobachtete Material beweist,
daß Komplikationen im Mittelohr viel häufiger Vorkommen, daß das
innere Ohr nur selten der Sitz der Erkrankung ist. Die Veränderungen
im äußeren Ohr bieten nichts Charakteristisches für Fleckfieber und
sind als zufällige Erkrankungen zu betrachten.
Unter 51 Fällen waren 43 mit akuter Mittelohrentzündung, in
6 Fällen war eine Labyrinthläsion vorhanden, in 1 Fall war Otitis
externa und in 1 Fall war ein Parotisabszeß in den äußeren Gehör¬
gang durchgebrochen. Wenn man die letzten zwei Fälle aus-
scbließt, so kann man sagen, daß im Verlaufe von Fleckfieber die
Komplikationen im Mittelohr 87*7%, die Labyrinthläsionen 12*3%
bilden.
Von 43 Fällen mit Mittelohraffektion war in 1 Fall eine Exazer¬
bation einer chronischen Mittelohreiterung, in 42 Fällen eine typische
akute Mittelohrentzündung vorhanden, dabei waren in 6 Fällen beide
Ohren erkrankt; bei einseitiger Affektion war in je 18 Fällen das
rechte bzw. das linke Ohr verändert.
l ) Archiv f. Ohrenh. 102/3.
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Die Erkrankungen des Gehörorgans bei Typhus exanthematicus.
651
Die Mittelohrentzündung entsteht am häufigsten in der Rekon¬
valeszenz ; von 43 Fällen entstand die Mittelohrentzündung in
37 Fällen in der Rekonvaleszenz, in 12 Fällen in der zweiten
Hälfte der Krankheit und nur in 4 Fällen muß der Beginn der
Krankheit in die erste Hälfte derselben zurückgelegt werden, dabei
'erschienen in 1 Fall die ersten Zeichen der Mittelohrentzündung fast
gleichzeitig mit den ersten Symptomen des Fleckfiebers. Die Ent-
stehnng der Mittelohrentzündung in der Rekonvaleszenz und in dem
späteren Stadium des Fleckfiebers liefert einen Beweis, daß die all¬
gemeine Erschöpfung des Organismus für die Entstehung dieser
Affektion eine nicht untergeordnete Rolle spielt. Wenn wir dabei
<lie mangelnde Pflege des Mundes und der oberen Luftwege bei
-Schwerkranken berücksichtigen, so wird die Häufigkeit der Mittelohr-
-affektion beim Fleckfieber nicht wundern.
Nur in 1 Fall war das Trommelfell bei der Aufnahme in die
Behandlung nicht perforiert, in allen anderen Fällen war eine
Perforation vorhanden. Die Perforation des Trommelfelles wies
nichts Charakteristisches auf: in den meisten Fällen war sie vorn
•unten zu sehen, die obere Partie des Trommelfelles war nur aus¬
nahmsweise der Sitz einer Perforation; einmal war die Membrana
Shrapnelli perforiert.
Otoskopischer Befund sowie Quantität und Qualität des Aus¬
flusses hatte auch nichts Charakteristisches gehabt.
Auffallend ist in den Fällen mit Mittelohrentzündung die große
.'Zahl der Fälle mit Komplikationen seitens des Warzenfortsatzes.
Von 43 Fällen wurde in 22 Fällen Karies und Empyem des Warzen¬
fortsatzes diagnostiziert, dabei mußte in 16 Fällen die Aufmeißelung
ausgeführt worden sein. Man kann sagen, daß die Mittelohrentzündungen
im Verlaufe von Typhus exanthematicus in 50% ausgesprochene
Komplikationen im Warzenfortsatze aufweisen und daß diese Kompli¬
kationen nun in wenigen Fällen ohne Operation ausheilen. Bei der
Operation fand man in den meisten Fällen weit ausgedehnte Knochen¬
karies, welche sehr oft bis zum Sinus und bis zu den Meningea reichte.
Diese starke Veränderungen im Knochen müssen — wenigstens bis
zu einem gewissen Grade — als ‘/Folge der großen Entkräftung der
Kranken betrachtet werden.
Der Verlauf der operierten und nicht operierten Fällen bot
keine charakterische Eigentümlichkeiten. Es war zu erwarten, daß
•die allgemeine hochgradige Entkräftung der Kranken einen ungünstigen
Einfluß auf den Verlauf der Krankheit ausüben wird; es zeigte sich
aber, daß der Heilungsprozeß in günstigen Verhältnissen, in welchen
«ich unsere Kranken befanden, vollständig normal war, in vielen
Fallen war die rasche Heilung direkt auffallend.
Auf Grund unserer Beobachtung kann man sagen, daß bei
Mittelohrentzündungen im Verlaufe von Typhus exanthematicus weniger
Monatsschrift f. Ohronheilk. a. Lar.«Rhin. 56. Jahrg. 43
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652 TVetii Znli'Wski. Erkrankungen dos Gehörorgane« bei Typhus exantlicin.
die Stärke der lokalen Infektion als die verminderte Widerstands¬
fähigkeit in Betracht kommt. Infolge der verminderten Widerstands¬
fähigkeit des Organismus verursacht die lokale Infektion große Ver¬
änderungen im Knochen, der Organismus bekämpft aber leicht diese
Infektion bei allgemeiner Hebung der Kräfte. bei fortschreitender
Rekonvaleszenz. Die Mittelohrentzündung ist nicht als Folge der
Einwirkung des spezifischen Giftes von Typhus exanthematicus auf
das Mittelohr, sondern als Folge einer sekundären lokalen, In¬
fektion des Mittelohres zu betrachten.
Von den Fällen mit Mittelohrentzündungen endete ein Fall mit
beiderseitiger Erkrankung und einseitiger Trepanation mit Exitus.
Bei der Antopsie fand man als Ursache des Todes Pleuritis et Peri¬
tonitis acuta.
In 6 Fällen waren ziemlich starke Veränderungen im Labyrinth
konstatiert worden. In zwei von diesen Fällen war das innere Ohr
auch vor der Erkranknng nicht intakt. In der Anamnese wird an¬
gegeben, daß die Kranken vor der Erkrankung Herabsetzung der
Hörschärfe und Ohrensausen gehabt haben; das Ohrenleiden entstand
im Felde nach der starken Betäubung durch Detonation. Im Verlaufe
des Fleckfiebers steigerten sich die Beschwerden merklich, dabei
mehr auf dem schwächeren Ohr. Die Behandlung blieb in beiden
Fällen ohne Erfolg.
Zwei weitere Fälle wiesen leichtere Veränderungen im inneren.
Ohr beiderseits auf; das Gehör besserte sich langsam in beiden
Fällen.
In den letzten zwei Fällen muß man eine starke Läsion des
Labyrinths annehmen; in beiden Fällen war die Erkrankung ein¬
seitig. ln einem Fall, welcher nach der Rekonvaleszenz untersucht
war, wurde eine starke Herabsetzung der Hörschärfe auf einer Seite
konstatiert. Trotz der Behandlung blieb die Hörschärfe unverändert.
Die Gleichgewichtsstörungen, welche in diesem Falle vorhanden
waren, waren anderer Herkunft. Der zweite Fall wies eine sehr
starke Läsion des Kochlear- und Vestibularapparates auf. Der Fall
wurde auch nach der Rekonvaleszenz untersucht. Die Untersuchung
ergab vollständige Taubheit auf einem Ohr und vollständige Un¬
erregbarkeit des Vestibularapparates auf derselben Seite sowie deut¬
liche Gleichgewichtsstörungen, besonders beim Gehen. Nach den An¬
gaben des Kranken blieben die Beschwerden unverändert.
Die Veränderungen im inneren Ohr entstanden in allen Fällen
während der Krankheit. In den letzten 2 Fällen, welche besonders
starke Veränderungen aufwiesen, war der Verlauf des Fleckfiebers
Behr schwer: die Kranken waren eine Zeit lang besinnungslos und
haben beim Erwachen bemerkt, daß sie auf einem Ohr taub sind.
Der Umstand, daß die Veränderungen im Labyrinth in allen Fällen
während der Krankheiten entstanden sind, möchte ich als Beweis-
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Th. v. Lieber mann. Prüfung des Vorbeizeigens bei Labyrinthstörungen. 663
betrachten, daß die Labyrinthveränderungen bei Typhus exanthematicuB
auf die Wirkung des Fleckfiebergiftes auf das innere Ohr zurück¬
zuführen sind.
Aus der Universitätsklinik für interne Medizin Nr. 1 in Budapest
(Direktor Prof. R. B i 1 i n t).
Empfindliche Methode zur Prüfung des Vorbeizeigens
bei Labyrinthstörungen usw.
Von Dr. Theodor v. Liebermann.
Die von B ä r ä n y angegebene Methode der Prüfung des
Vorbeizeigens durch Heben und Senken usw. des Zeigefingers bei
geschlossenen Augen in verschiedenen Flächen, die allgemein ge¬
bräuchlich ist, hat sich als durchaus zuverlässig erwiesen, scheint
mir jedoch nicht genug empfindlich zu sein. Es gelang mir, ein
Untersuchungsverfahren zu finden, welches in vielen Fällen, da die
ßäräny sehe Methode ein normales Bild ergab, ausgesprochene
pathologische Resultate lieferte, welche sich Btets als begründet er¬
wiesen, Das Verfahren ist sehr einfach und wird folgendermaßen
ausgeführt:
Der Patient sitzt dem Arzte genau gegenüber und hält die Hände
auf beide Knie gelegt. Der Kopf des Patienten wird von einem
Assistenten leicht gehalten, der Patient aufgefordert, jeden Wendungs¬
versuch des Kopfes zu .vermeiden. Der Arzt denkt sich nun ein
Quadrat vor den Patienten, dessen vier Ecken in den verlängerten
Sehachsen des Patienten bei extremer Augenstellung nach links
oben, links unten, rechtB oben und rechts unten liegen. Also so,
daß der Patient die vier Ecken, falls das Quadrat tatsächlich vor
ihn gehalten würde und zwar in der Entfernung von zirka 75 cm,
gerade noch gut erblicken könnte, ohne den Kopf wenden zu
müssen.
Der Arzt hält nun seinen Finger in der Fläche dieses ge¬
dachten Quadrates erst in der Mitte, und fordert den Patienten auf,
sich die Lage desselben zu merken, darauf die Augen zu schließen
und den Finger mittels rascher Bewegung zu ergreifen. Liegen
keine Störungen vor, gelingt das vollkommen leicht, sind aber
Störungen vorhanden, so wird man ein deutliches Suchen nach dem
Finger wahrnehmen. Man wiederholt nun den Versuch in der
ganzen Ausdehnung des Quadrates bis zur extrem möglichen seit¬
lichen Augenstellung und wird finden, daß die Empfindlichkeit der
Methode bei dem Blick zur Seite stark zunimmt. Man achte darauf,
daß der Versuch knapp und präzise abläuft, also das Anschauen des
vorgehaltenen Fingers, das Schließen der Augen und das Greifen
43*
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654
Th. D. Dem ctria dos und Ph. Mayer. Labyrinthprüfung.
nach dem Finger rasch nacheinander erfolge. Wichtig ist auch, daß
der Patient sich genügend ruhig verhalt und nicht etwa unwillkürliche
Kopfwendungen vom Helfer gewaltsam, ruckweise ausgeglichen werden.
Eine geringe Seitenwendnng des Kopfes stört den Versuch viel weniger.
Die Ablesung des Ergebnisses ist genau dasselbe, wie nach der
Versuchsanordnung nach Bäräny. Bloß scheint die Reaktion sehr
viel empfindlicher zu sein, so daß Ungleichheiten im Muskeltonus,
auch bei sonst irritablen, scheinbar gleichen Labyrinthen stark zum
Ausdruck kommen. Auch das Vorbeizeigen nach kalorisierten
Labyrinthen ist bedeutend deutlicher, als bei der Anordnung nach
B&räny.
Ich übe das Verfahren nun schon seit zirka 4 Jahren. Es wurde
auf der Klinik nach meinen Angaben auch von anderen Ärzten
erprobt und bewährte sich an dem reichen Material der Klinik,
sowie an allen diesbezüglichen Kranken der inzwischen von mir
geleiteten verschiedenen Ambulanzen und der mir unterstehenden
Spitals-Ohrenabteilung stets vollkommen, so daß ich es den Ohren¬
ärzten und Neurologen nunmehr wärmstens empfehlen kann.
Zur kalorischen Labyrinthprüfung mit Minimalreizen.
Von Dr. Th. D. Demetrlades und Dr. Ph. Mayer.
Nachtrag.
Durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. Fremel wurden wir
darauf aufmerksam gemacht, daß eine Stelle unserer Arbeit geeignet
ist, Mißverständnisse hervorzurufen.
Wir schrieben auf S. 442 unserer Arbeit, daß „der an dieser
Stelle beschriebene Fall sehr gut das zuerst von Brunner beschriebene
Syndrom von Rekurrenslähmung und Nystagmus nach der Seite der
Rekurrenslähmung das für Erkrankungen in der dorsolateralen
Ecke der Medulla oblongata (mit Ausnahme von multipler Sklerose)
charakteristisch ist“ demonstriert.
Nun ist es uns bekannt, daß das Auftreten von Rekurrens¬
lähmung und Nystagmus schon wiederholt bei Syringobulbie sowie
bei Erkrankungen der Arteria cerebellaris posterior inferior beobachtet
wurde. Wir möchten nur erwähnen, daß schon im Jahre 1895
Wallenberg auf S. 531 seiner im 27. Bande des Archivs f. Psych.
erschienenen Arbeit über akute Bulbäraffektionen unter den bei Er¬
krankungen der Arteria cerebellaris posterior inferior auftretenden
Symptomen auch die Stimmbandlähmung und den Nystagmus erwähnt.
In neuerer Zeit hat Wallenberg einen ähnlichen Fall mitgeteilt
und wir möchten auch ausdrücklich hervorheben, daß Fremel vor
dem Erscheinen der Brunn ersehen Publikation einen Fall von
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Vereinsbgrichte (öst. otol. Ges., Juni 1922).
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multipler Sklerose mit Rekurrenslähmung und Nystagmus zur
selben Zeit vorgestellt hat, wobei in der anschließenden Diskussion
zu diesem Fall Brunner auf Grund der vorliegenden kompletten
Rekurrenslähmung die Diagnose der multiplen Sklerose bezweifelt
hat. Es ist also ersichtlich, daß das gemeinsame Vorkommen von
Nystagmus und Rekurrenslähmung zur selben Seite in der Literatur
wie erwähnt beschrieben worden ist, so daß wir Herrn Dr. Fremel
dankbar sind, daß er uns auf den ganz offenbaren Irrtum aufmerksam
gemacht hat, als hätten wir die erstmalige Darlegung dieses Syndrome
Brunner zuschreiben wollen. Wir haben vielmehr gemeint, daß
Brunner zuerst die allgemein diagnostischeBedeutung dieses Syndroms
speziell fUr die Diagnose der bulbären Kehlkopflähmungen erfaßt
hat, indem er auf Grund eigener Beobachtungen, sowie auf Grund
des in der Literatur niedergeiegten Materials erstlich die dia¬
gnostischen Schlüsse festgelegt hat, welche man aus dem gemeinsamen
Vorkommen von Rekurrenslähmung und Nystagmus ziehen kann,
zweitens die Möglichkeit einer Fehldiagnose erörtert hat, die durch
das Auftreten dieses Syndroms gegeben ist.
Vereinsberichte.
Österreichische otologische Gesellschaft.
Sitzung: Tom 28. Juni 1922.
Vorsitzender: V. Ha mm erschlag.
Schriftführer: E. Urba nts ch itsch.
Der Vorsitzende hält einen warm empfundenen Nachruf auf weiland
Dr. Siegfried T e n z e r. Die Anwesenden erheben sich von den Sitzen.
I. E. Urbantschitsch: Einseitige isolierte Vestibularisaus-
schaltnng mit diagonalem, später vertikalem Nystagmus bei mul¬
tipler Sklerose.
Die jetzt 24jährige Wilhelmine St. war bereits im Jahre 1914
wogen Erbrechen, Stirnkopfschmerzen und etwas Schwindel durch 4 Wochen
in Spitalsbehandlung, nachdem bereits 1912 ein ähnlicher Anfall bestanden
haben soll. Ende Februar 1922 neuerliche Erkrankung. Patientin hatte
anfangs eigentümliche Sensationen in der rechten unteren Extremität; sie
hatte ein pamstiges Gefühl, wie wenn sie auf einem weichen Teppich
stünde, bzw. ginge; beim Gehen schnappte das rechte Knie ein. Dann
wurde die linke Gesichtshälfte unempfindlich; 1 Woche später Erbrechen.
Seit 18. März Schwindel, sogar beim Sitzen, mit Fällrichtung nach rechts.
Status praesens (1. IV. 1922): Pupillen gleichweit, langsam,
aber prompt, auf L. u. A. reagierend. Spontaner diagonaler Nystagmus
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Juni 1922).
Fundns normal. Die Zange weicht beim Heraasstrecken etwas nach rechts
ab. Motorische Kraft der r. and 1. Extremität gleich. Geringe Ataxie,
kein Intentionstumor, Baachdeckenreflex nicht aaslösbar. P. S. R. =,
B a b i n s k i negativ. Romberg stark positiv mit Fällrichtung nach
rechts. Sensibilität fUr Schmerz- and Temperatarsinn normal. Wasser¬
mann negativ.
Ohrenbefnnd (6. IV. 1922): Trommelfell und Stimmgabel-
prttfnng beiderseits normal, v = beiderseits -f- 6 m (mit Lärmapparat).
Spontaner Nystagmus III. Grades y. Kalorische Reaktion:
rechts nach 3 1. 15° bzw. 2 1. 415° nicht aaszulösen, links Übererreg¬
barkeit (nach 8 cm 3 15° Wasser). Zoigeversach: Spontan beiderseits
Ablenkung nach rechts, nach rechtsseitiger Kalorisation keine Änderung,
nach linksseitiger typische Beeioflußung.
Verlauf (8. IV.): Spont. Nyst. y (II). Zeigeversuch: Spontan
rechts keine, links Ablenkung nach rechts; beim Seitwärtsbewegen der
Arme weichen diese bei der Bewegung gegen die Medianebene beiderseits
nach unten ab. Kalorische Reaktion unverändert; nach einigen Tropfen
links schlägt der spontane Nystagmus sofort in einen horiz.-rotat. Nyst.
nach rechts um.
9. IV.: Nach dem Frühstück und Mittagessen Erbrechen.
10. IV.: Spont. Nyst. y wieder stärker. Zeigeversuch: rechts wie
links in keiner Ebene Ablenkung. Kein Bauchdeckenreflex, kein aus¬
gesprochener Babinski, hie und da vielleicht Andeutung eines solchen.
18. IV. Zeitweise morgens Erbrechen. Spont. Nyst. r. 1 (~^y 2 1.
Zeigeversuch ohne Ablenkung, jedoch Andeutung von Ataxie.
20. IV. Zunahme des spont. Nyst. nach rechts, Abnahme desselben
nach links. Kalorische Reaktion: rechts nach 1 / 2 1 15° Wasser positiv,
hierbei jedoch keine Ablenkung beim Zeigeversuch. Bei späterer Wieder¬
holung des Versuches tritt bei positiv kalorischer Reaktion deutliche Ab¬
lenkung auf.
22. IV. Links kein diagonales Nystagmus mehr; beiderseits spontan
horizontaler Nystagmus I. Grades.
24. IV. Wieder spontaner Nystagmus diagonalis y. Zeigeversuch:
Spontane Ablenkung beiderseits nach links.
25. IV. Spont. diag. Nyst. im Zunehmen.
27. IV. Erbrechen nach dem Mittagmahl.
29. IV. Deutlicher vertikaler Nystagmus beim Aufwärtsblick,
diagonaler boi Blick nach oben. Zeigeversuch spontan ohne Ablenkung.
2. V. Nystagmus nach beiden Seiten ziemlich unverändert, nach
oben stark. Zeigeversuch wechselnd. Nervenbefund (Prim. In fei d):
Sympathicusparese auf dem rechten Auge (geringer Enophtbalmus, Lid¬
spalte und Pupille etwas enger, Sympath.-Reaktion höchstens minimal.
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Juni 1922).
657
Auch links gering) ist wohl angeboren. Nicht vestibulärer Nystagmus nach
oben und rechts schon in Mittelstellung. Die Zunge wird nach rechts
Abwechselnd vorgestreckt, die rechte Hälfte ist schmäler. Skandierende
Sprache gelegentlich angedeutet, starkes Intentionszittern. Geringer Rigor
beider Gliedmaßen, rechts dürfte dadurch Fehlen der A. S. R. vorgetäuscht
werden. Fehlen der Bauchdeckenreflexe. Geringer Babinski bzw. Oppen¬
heim. Starke Unsicherheit beim Stehen mit regelmäßigem Linksfallen.
Diagnose: Multiple Sklerose.
9. V. Spont. Nyst. sowohl nach rechts wie links minimal, vertikal
etwas stärker. Kalor. Reaktion rechts nach 4, links nach 6 cm 3 kalten
Wassers äußerst lebhaft. Zeigeversuch ohne Ablenkung.
21. VI. Nachdem Pat. mit Silbersalvarsan behandelt worden war, kann
sie, wenn auch mit etwas Unterstützung, gehen. Ataxie. Kein spontaner
Nystagmus mehr. Kalorische Reaktion beiderseits sehr lebhaft; Zeigeversuch
ohne Ablenkung.
Epikrise: Bei der 24jährigen Pat. trat plötzlich starker Schwindel
and Erbrechen auf, wofür zunächst eine interne Ursache nicht nachweisbar
war. Der Ohrenbefund ergab eine rechtsseitige isolierte Vestibularisaus¬
schaltung bei vestibulärer Übererregbarkeit der anderen Seite und
spontanem diagonalen, später vertikalen Nystagmus. Auffallenderweise
war der Kochlearapparat aber annähernd normal. In diesem Fall konnte
aus der Inkongruenz der otologischen Erscheinungen die Wahrscheinlich¬
keitsdiagnose einer multiplen Sklerose gestellt werden, eine Diagnose, die
später durch den neurologischen Befund ihre Bestätigung fand. Interessant
ist hier hauptsächlich das Auftreten des spontanen diagonalen, später
vertikalen Nystagmus bei vestibulärer Unerregbarkeit rechts, Übererreg¬
barkeit links und ausgezeichnetem Gehör.
Diskussion.
0. Beck. An dem von Herrn Urbantschitsch demonstrierten, interessanten
Fall erscheint mir auch noch eine andere Tatsache sehr erwähnenswert. Das ist
-der Wechsel von vestibulärer Erregbarkeit und Unerregbarkeit ohne daß gleich¬
zeitig irgendwelche subjektiven Reize bzw. Ausfallserscheinungen von seiten
des V'eUibularapparates bestanden haben und ohne daß deutliche Änderungen
im Verhalten des spontanen Nystagmus beobachtet wurden. Ich habe seinerzeit
-darauf verwiesen, daß der Wechsel von erhaltener und ausgeschalteter Funktion
im kochlearen und vestibulären Anteil des Labyrinthes für die multiple Sklerose
fast pathognomonisch sind und habe in Analogie der U th off sehen transitorischen
Amaurose für dieses Verhalten die Bezeichnung einer transitorischen Oktavus-
ausschaltung vorgeschlagen. Allerdings hat es sich bei den von mir publizierten
Fällen um Erscheinungen am kochlearen und vestibulären Anteil des Labyrinthes
gehandelt, während es sich im Urbantschitsch’schen Falle um eine isoli orte
Erkrankung des Vestibularis handelt. Es wird aber immer, wie auch Herr Urban-
tschitsch hervorhob, ein solcher Wechsel in der Funktion den Verdacht auf
-eine multiple Sklerose lenken.
H. Brunner: Zu dem Falle wäre Folgendes zu bemerken: Bekanntlich
hat Uhthoff seinerzeit behauptet, daß oszillierender oder diagonaler Nystagmus
nur bei multipler Sklerose vorkommt und für diese auch charakteristisch ist.
Bei der Untersuchung solcher Fälle hat sich nun herausgestellt, daß dieser
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Vereinsberichte (Öst. otol. Ges., Juni 1922).
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Nystagmus auch bei der multiplen Sklerose nicht auf diese zurückzuführen ist r
sondern eine akzidentelle Erscheinung darstellt. Dasselbe gilt auch für den
undulierenden Nystagmus bei der Friedrich sehen Krankheit, eine Anschauung»
die sich gut am Falle Hammerschlags demonstrieren läßt. In diesem Falle
von Friedrichscher Krankheit bestand ein oszillierender Nystagmus, der aber
nicht auf diese Krankheit sondern auf den bestehenden Albinismus zurückzufübren
war. Ich möchte daher empfehlen, solche Fälle zur näheren Bestimmung des
spontanen Nystagmus die Untersuchung auf dem von mir angegebenen Dreh¬
schirm vorzunehmen.
II. Fremel, Doppelseitige rheumatische Fazialislähmung
mit sjmptomloser einseitiger Vestibularisausschaltung bei nor¬
malem Gehör.
Die 15jährige Patientin erkrankte vor drei Wochen mit ziehenden
Schmerzen in beiden Obren, mit einer leichten ö.dematösen Anschwellung
um die Lippen. Wegen der Ohrenschmerzen suchte Patientin die Ohren¬
klinik auf, wir konnten aber einen normalen Befund erheben und be¬
merkten eine beiderseitige Fazialislähmung, Pat. konnte die Augen nicht
schließen, die Lippen nicht spitzen, die Wangen nicht aufblasen usw. Der
Nervenbefund ergab eine komplette Entartungsreaktion, eine Hyperalgesie
im Trigeminusgebiete, alle übrigen Befunde sind normal. Die Vestibular-
prüfnng ergab für die Links- und Rechtsdrehung 6 bis 8 Schläge. Kein
Schwindel, die KaltspUlnng links ergab nach 40 Sek. typische Reaktionen,,
rechts war kein Nystagmus auszulösen. Der ganzen Genese nach ist die
Diplegia facialis als eine rheumatische aufzufaßen und ebenso die rechts¬
seitige Vestibularisausschaltung. Beiderseitige Fazialislähmungen wurden in
dieser Gesellschaft von Ruttin und Beck demonstriert, bemerkenswert
ist an diesem Falle die Symptomlosigkeit der Vestibnlaransschaltnng.
Pat. hat nie Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen gehabt, ferner die-
Kompensation für den Drehreiz. Wir müssen zugeben, daß die Ausschaltung
vielleicht schon bestanden hat, vielleicht nach der Mumpserkranknng im
vorigen Jahre. Es ist aber auch denkbar und wahrscheinlicher, daß die
Vestibularerkrankung gleichzeitig- mit der Fazialiserkrankung aufgetreten
ist und gleichzeitig durch zentrale nicht näher definierbare Vorgänge Kom¬
pensationswerte geschaffen wurden, ähnlich wie wir ja die Herabsetzung
oder das Verschwinden der Erregbarkeit der Vestibularfunktion der gesunden
Seite für kalorische Reize nach einseitiger Vestibularausschaltnng können.
Der Prozeß scheint ein regressiver zu sein. Pat. kann jetzt schon besser
die Augen schließen, nach 3 Minuten langer Spülung mit kaltem Wasser
rechts konnte ein schwacher Nystagmus ausgelöst werden.
HI. R. Lei dl er: Multiple Sklerose mit beiderseitiger iso¬
lierter Ausschaltung des Vestibularapparates.
26jähr. Manipulatin, ledig, aus Wien.
Anamnese. Ein Bruder starb an Hirntumor vor 3 Jahren. Mit
9 Jahren Scharlach, seit damals Nierenentzündung und Herzfehler. Vor
4 Jahren im Sophienspital wegen Nierenentzündung (3 Monate). Damals
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Vereinsberichte ; v Öst. otol. Ges., Juni 1922).
65{>
häufiges Erbrechen mit Kopfschmerzen. 1916 plötzlich aufgetretene, nach
einigen Tagen wieder verschwindende spast. Parese der rechten ob. Extr.
und Parese des r. Fazialis (beobachtet in der Wr. Nervenklinik).
Seit der Nierenentzündung vor 4 Jahren leidet Pat. an Schwindel.
Besonders in der Früh beim Aufstehen dreht sich das Zimmer und Pat.
bekommt Brechreiz. Auch beim Gehen stellt sich Schwindel ein. Im
November 1921 trat er jeden Tag auf. Am 6. XII. 1921 bekam Pat. nach
dem Aufstehen beim Waschen einen so heftigen Schwindelanfall mit Er¬
brechen, daß sie sich ins Bett zurücklegen und daselbst ruhig liegen
bleiben mußte. Sie konnte 3 Tage lang nicht urinieren und mußte kathe-
terisiert werden.
Aufnahme ins Sophien spital (inn. Abt. Prof. J a g i c)
am 9. XII. 1921.
Aus dem Status : Pupillen reagieren träge auf Licht und Ak¬
komodation. Tremor der Zunge. Bauchdeckenreflex gesteigert. P. S. R. stark
gesteigert, r.>l.Pastellarklonus r., Achillessehnenreflex beiderseits vorhanden.
Fußklonus r. > 1. Babinski r. (nicht koustant!) Keine Sensibilitäts¬
störung, keine Herabsetzung der mot. Kraft. Temperatursinn normal.
18. XII. 1921. Ohrbefund (Dr. L e i d 1 e r). Trommelfell, Gehör
und Stimmgabelbefund beiderseits normal. Akute, komplette Ausschaltung
des r. Vestibullarapparates mit allen typischen Jobjekt. und Subjekt. Sym¬
ptomen. (Schwindel mit Drehen, Reißen und Fallen n. rechts). Nyst. rot.
+ hör. III. Grades nach 1. Rom berg entsprechend dem Nystagmus. Kein
spont. Vorbeizeigen.
Linker Vestibularis erregbar.
Dekursus. 19. XII. Babinski 0. Schwindel und Erbrechen ge¬
bessert. 31. XII. Ohrbefund (Dr. L e i d 1 e r). Kein Drehschwindel
mehr. Beim Gehen noch öfters Ziehen nach der Seite, doch viel weniger
als früherund nicht mehr nach r. allein, sondern verschieden. Hör. Nystagmus
I. Grades nach beiden Seiten, 1. etwas > als r. Gehör normal. Gang
leicht schwankend. Romberg: Spur Schwanken nach links hinten. Kopf¬
stellung ohne Einfluß. Kalor. Reaktion (kalt) r. negativ (auch nach K o b r a k).
Wassermann negativ. Augenbefund negativ. Temperatur normal.
10.1.1922. Pat. fühlte sich während der ganzen Zeit wohl. Sie geht
herum. Kein Brechreiz. Seit gestern Kopfschmerzen (die sie bis jetzt nicht
hatte). Klopfempfindlichkeit des Schädels hinter dem 1. Warzenfortsatz.
Heute Erbrechen. Kein Schwindel.
12. I. Erbrechen sistiert.
16. I. Nervenbefund (Prof. Schüller): Psychisch ohne
Besonderheiten. Subj. Beschwerden: mäßiger Kopfschmerz der Stirngegend,
Erbrechen, Schwäche. Objektiv: Bulbi etwas prominent. Kopf nicht klopf-
oder druckempfindlich. Hirnnerven 0. Ob. Extr.: Motilität, Sensibilität,
Reflexe normal. Bauchdeckenreflex beiderseits gleich, lebhaft. Unt. Extr.: tiefe
Reflexe sehr lebhaft, ohne Differenz beider Seiten. Oppenheim und
Babinski negativ.
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Vereinsberichte (österr. otol. Ges., Juni 1922).
Diagnose : Möglicherweise kleiner Erweichnngsherd in der Mednlla.
21. I. 1922. Ohrbefund (Dr. L e i d 1 e r). Drehstubl. Horiz. Dreh¬
stuhl: Drehnachnyst. nach 1.12" schwach: nach r. 0. Rotat. Drehnachnyst.
nach r. 0, n. 1. einige Zuckungen. Kalor. R. r nach 600 cm 3 Wasser von
10° leichter Nyst. I. Grad, nach 1. ohne Schwindel (vielleicht 0, da auch
spontan leichter Nyst. nach 1. besteht), ohne Vorbeizeigen. Links prompte
Reaktion. Gehör beiderseits normal. Wohlbefinden.
Pat. verließ am 26. I. das Sophienspital and blieb in ambulatorischer
Beobachtung. Der Zustand änderte sich insofern, als anfangs der Kopf¬
schmers immer heftiger wurde, so daß Pat. sehr viel liegen mußte und
arbeitsunfähig war. Mehrfach vorgenommene Ohruntersuchungen ergaben
denselben Befund wie oben.
31. III. 1922. Subjekt. Besserung. Wenig Kopfschmerzen. Gutes Aus¬
sehen. Pat. muß nicht mehr konstant liegen. Kalor. Prtlfung ergibt r. deut¬
liche, wenn auch geringere Reaktion als 1. Spontan etwas Nyst. I. Grades
beidersseits, 1. > r.
21. VI. 1922. Aufnahme auf die Klinik für Hals-, Nasen- und Ohren-
krankheiten (Prof. H a j e k). Ende April erwachte Pat. mit Kopfschmerzen,
Schwindelund Erbrechen, Benommenheit. Pat. blieb liegen. Angeblich konnte
sie beim*Aufstehen aus dem Bette die umgebenden Personen nicht erkennen.
In den letzten Tagen wieder Besserung.
Status praesens: Erbrechen, allgemeine Schwäche. Psychisch klar.
Keine Kopfschmerzen.
N eurolog. Befund: (Klinik Prof. Wagner-Jauregg,
Assist. Dr. D i m i t /.): Klopfempfindlichkeit beiderseits am Jochbogen, 1. > r.
Rechter Mundast des Facialis schwächer. Fibrilläre Zuckungen in der Zunge-
Grobe Kraft beiderseits mäßig. Reil, der ob. Extr. beiderseits pos. Intentions¬
tremor 1. angedeutet, vielleicht auch r. Sensibilität Überall intakt (auch tiefe).
B. D. R. r. = 1. pos. Unt. Extr.: Spurweise Spasmen bei brüsker passiver
Bewegung nachweisbar. P.S.R., A. S.R. r. = I. -f—|-,Plantarrefl. beiderseits -J-,
B a b i n s k i beiderseits -+- K. H. Versuch ohne Ataxie, jedoch vielleicht
mit Intentionstremor. Gang schwankend. Romberg-f- ohne bestimmte Fall¬
richtung. Hartnäckige Obstipation, keine Blasenstörung.
Diagnose: Multiple Sklerose.
Augonbefund (Klinik Prof. Meller, Assist. Dr. Sei dl er,:
Fundus und Gesichtsfeld vollkommen normal.
Wassermann im- Blut und Liquor negativ.
Ohrbefund: 24. VI. 1922. (In den nächsten Tagen mehrfach nach-
geprüft.) Trommelfell, Gehör-, Stimmgabelbefund vollkommen normal. Vesti¬
buläre Erregbarkeit für alle Proben (auch galvanisch) beiderseits voll¬
kommen erloschen. Spront. Nystagmus I. Grades horiz. -j- rotat. I. r. Kein
Schwindel, kein Vorbeizoigen, auch nach Drehen bzw. Kalor. nicht. Nur
bei der galvanischen Prüfung bekommt Pat. bei raschen Unterbrechungen
des Stromes am 1. Ohr (Anode und Kathode za. 6 MA.) etwas Schwindel
ohne Nystagmus.
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Vereins berichte (Ost. otol. Ges., Juni 1922).
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Epikrise: Kurz zusammengefaßt, handelt es sich hier also um
einen Fall von multipler Sklerose, bei welchem allmählich beide Vesti¬
buläres ausgeschaltet wurden. Dieser Fall unterscheidet sich wesentlich
von den seinerzeit von Beck mitgoteilten, bei denen es sich um rasch
und symptomlos auftretende und wieder verschwindende Ausschaltungen
des Vestibularis, meist unter Mitbeteiligung des Kochlearis gehandelt hat.
Als pathologisch-anatomisches Substrat müssen wir uns am ehesten skle¬
rotische Plaques der N. vestibuläres (etwa analog der Neuritis optica)
Vorstellen, welche — was allerdings bei dieser Erkrankung in diesem
Stadium sehr merkwürdig ist — die Leitungsfähigkeit des Nerven voll¬
kommen aufgehoben haben.
Das Krankheitsbild ist noch nicht abgeschlossen und darum eine
weitere Erörterung ohne Zweck. Wir werden über den Fall gelegentlich
wieder berichten.
Diskussion.
J. Fischer: Ich habe hier vor 2 Jahren einen unter dem Bilde eines
Akustikustumors verlaufenden Fall von multipler Sklerose vorgestellt. Die Pat.
war auf einer Seite taub und vestibulär und hatte Störungen im Trigeminus usw.
Bei der wegen angenommenen Kleinhirnbrückenwinkeltumor ßpäter vorgenommenen
Operation ergab sich m. Sklerose. Auch hier bestand Ausschaltung des Vesti-
bularis. Ob sie auch zurückgegangen wäre, wenn Pat. nicht operiert worden
wäre, läßt sich heute nicht mehr konstatieren. Hervorheben möchte ich, wie
schwer die Differentialdiagnose zwischen Akustikustumor und multipler Sklerose
sein kann.
0. Beck: Don von Herrn Fischer eben erwähnten Fall hatte auch ich
Gelegenheit, vor und nach der Operation durch längere Zeit zu beobachten und
öfters zu untersuchen. Es wird immer Fälle geben, und das ist ja bereits
bekannt, bei denen die Difterentialdiagnose zwischen Akustikustumor und einer
bulbären Form der multiplen Sklerose sehr schwierig ist. Ich erlaube mir nur
darauf zu verweisen, daß ich vor zirka 10 Jahren in der „Wiener medizinischen
Wochenschrift 11 eine Anzahl von Fällen zusammengestellt habe, teils von mir,
teils von anderen untersucht, die mit der Diagnose Akustikustumor zur
Operation kamen und bei denen kein Tumor gefunden wurde. Erst nach mehr
oder minder langer Zeit nach der Operation traten noch andere Symptome auf,
welche die Diagnose einer multiplen Sklerose außer Frage stellten. Auch in dem
von Fischer zitierten Fall traten, soweit ich mich jetzt erinnere, zwei bis
drei Monate nach der Operation Intontionstremor der Extremitäten und skandierende
Sprache auf, welche die Diagnose bestätigten. Bei nicht eindeutigen Fällen
wird aber die Diagnose erst durch längere Beobachtung festgestellt werden
können.
IV. H. Neu mann: Durch Galvanokaustik geheilte Parotis-
flstel.
Ich erlaube mir, den Pat. noch einmal zu demonstrieren, den ich
in der letzten Sitzung mit einer postoperativen Parotisflstel hinter dem
Ohrläppchen nach Radikaloperation gezeigt habe. Ich habe die Fistel in
Lokalanästhesie kauterisiert; sie ist jetzt, nachdem Pat. ein Ekzem über¬
standen hat, glatt verheilt.
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Vereinsberichte (österr. otol. Ges., Juni 1922).
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V. H. N e u m a n n: Weitgehende Blntsnffasion nach Kiefer*
höhlen Operation.
Bei diesem Pat. wurde eine einfache Radikaloperation der
Kieferhöhle gemacht, welche ganz glatt ohne Besonderheiten verlief.
Ein kleines Knochengefäß, welches vor Beendigung der Operation spritzte,
stand bald von selbst. Die Wunde wurde in der üblichen Weise ver*
sorgt. Nach der Operation trat eine Schwellung der Wange auf, die
immer mehr zunahm, eine Schwellung der Ober- und Unterlippe, von
suffundiertem Blute blaurot verfärbt, eine ebensolche Schwellung um
das rechte Auge herum, die den Nasenrücken überschreitend, auch auf
die linke Augengegend Übergriff. Nach abwärts reichten die Suffusionen
weit über die Klavikula. Die Schleimhautnähte haben gehalten. In der
Kieferhöhle befand sich ein kleines Koagulum, eine wesentliche Blntung
war nicht nachzuweisen. Eine Erklärung für diese Blutungen in das
Gewebe, welche längs der Muskelscheiden und Faszien sich erstreckt
haben, kann ich nicht geben, ich finde nur eine Analogie in den von
Kriegschirurgen berichteten Verblutungen in das Gewebe z. B. bei Ober-
schenkelschüssen, ohne daß dabei eine Blutung nach außen zu sehen
gewesen war. Wegen der Seltenheit des, Phänomens habe ich Ihnen den
Pat. gezeigt.
VI. Cemach: Hämatogene Vermittlung einer Mittelohr¬
tuberkulose.
17jähriges Mädchen vom Lande, bis zum 15. Lebensjahr angeb¬
lich gesund gewesen. Die Mutter soll vor der Geburt der Pat. viel gehustet
haben. Vor 2 Jahren, im Anschlüsse an Kontusion Schwellung und „Ver¬
eiterung“ des linken Ellbogens, trotz Behandlung bis jetzt anhaltend.
Seit 2 Wochen mäßige Schwerhörigkeit links, kein Ohrfluß, niemals
Schmerzen. Sonst Pat. beschwerdefrei, hustet nicht (ihre Lunge soll bei
wiederholter Untersuchung gesund befunden worden sein).
Befund (Mitte März): Zart, anämisch. Fungus des 1. Ellbogens mit
2 Fisteln. Nase, Rachen ohne pathol. Befund. Links Hörschärfe mäßig
herabgesetzt. Otoskopisch: graues, im hinteren und unteren Abschnitt
rötlich-gelb verfärbtes Trommelfell (exsudativer Katarrh?). Lufteintreibung
ohne Einfluß. Weber nach links, Rinne neg., Schwabach kaum
verlängert. Kein spontaner Nystagmus.
Pat. blieb nun aus und erschien wieder Mitte Juni. Anfangs April
soll das Gehör ziemlich plötzlich noch mehr abgenommen haben, Pat.
habe wiederholt leichten Stichschmerz im Ohr verspürt und einige Tage
darauf eitrige Absonderung bemerkt. Seither fließe das Ohr ununter¬
brochen, Gehör verschlechtere sich zusehends. Seit einer Woche links¬
seitiger Kopfschmerz, bisher kein Schwindel. Das Ohr wurde vom
Gemeindearzt mit „Tropfen“ und Spülungen behandelt.
Befund am 16. IV.: Im 1. Gehörgang eitriges, leicht fötides Sekret.
Trommelfell gerötet, geschwollen, vorn oben ulzeriert. Große rand-
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Vereinsberichte (österr. otol Ges., Juni 1922).
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ständige Perforation im hint. ob. Quadranten, ans der ein Polyp hervor¬
ragt. Zwischen der Öffnung und der erwähnten Ulzeration stecknadel¬
kopfgroße Granulation am Trommelfell. Gehör: akz. Fitlstersprache a. c.,
laute Sprache 2 bis 2*5 m. Schalleitungsstörung mit starker Herab¬
setzung der oberen Tongrenze. Kleinschlägiger Ny ( 1 ) 0 * Labyrinth normal
erregbar. Nase, Mund, Kehlkopf, Rachen und Ostium der 1. Tube intakt.
Am Schädel keine Anhaltspunkte für Tbc. Lunge klinisch und radio-
logisch ohne pathol. Veränderungen, Halsdrtisen nicht vergrößert. Mastoidal-
drüsen 1. erbsengroß, hart. Am 1. Ellbogen st. idem. — Histologischer
Befund: Der größere Polyp besteht aus unspezifischem Granulationsgewebe,
dagegen finden sich in der kleinen Granulation und dem mitexzidierten
Trommelfellstückchen reichlich Epitheloidtuberkel mit Riesenzellen. Im
Sekret Much sehe Granula, keine Bazillen.
Da Lunge und Luftwege frei von Tbc. sind, auch am Schädel in
unmittelbarer Nähe des Ohres keine tuberkulösen Herde gefunden wurden,
kann man sich die Entstehung des Mittelohrprozesses wohl nur durch
direkte Zufuhr der Erreger auf dem Blutwege vom kranken Ellbogen
derselben Seite erklären. Der Fall gewinnt dadurch erhöhte Bedeutung
für das Studium der Pathogenese der Mittelohrtuberkulose.
Obwohl mehrere Autoren seit jeher die Anschauung vertreten haben,
daß Tuberkelbazillen auch dem Mittelohr im Wege der Blutbahn zuge¬
führt werden können, kann diese Frage noch bis jetzt nicht als gelöst
gelten und Brieger faßte seine diesbezüglichen Ausführungen in
Stuttgart 1913 dahin zusammen, daß diese Anschauungen lediglich eine
auf prinzipiellen Unterlegungen und Analogieschlüssen beruhende, aber
durch keine speziell für die Mittelohrtuberkulose geltenden Tatsachen
gestützte Hypothese sei, weshalb „nach den gegenwärtigen Feststellungen
nicht mehr als die prinzipielle Möglichkeit dieses Infektionsmodus“ fest¬
stehe. Mein Fall kann wohl als Stütze der bestrittenen Anschauung
gelten, deshalb habe ich mir erlaubt, ihn vorzustellen.
Diskussion.
H. Neumann: Der von Cem&ch demonstrierte Fall ist sehr inter¬
essant und unterscheidet sich im Prinzip gar nicht von dem von mir vor mehr
als einem Jahre vorgestellten Fall, zu dem Kollege Cemach selbst das Wort
.ergriffen hat. Es handelt sich um einen achtjährigen Jungen, der wegen einer
Appendizitis operiert wurde; die Wunde zeigte gar keine Tendenz der Heilung,
einige Wochen nachher bekam Pat. Ausfluß aus dem linken Ohr, die Unter¬
suchung ergab eine erbsengroße Granulation in der Tiefe des Gehörganges, die
histologische Untersuchung eine typische Epitheloidtuberkulöse bei absolut
negativem Lungenbefund. Der Pat., der auch jetzt noch in unserer Beobachtung
steht, hat eine sehr langwierige und komplizierte Krankengeschichte, von der
ich nur Vorbringen möchte, daß er radikal operiert werden mußte, das Labyrinth
nachher in seiner Funktion vernichtet wurde. Zur selben Zeit bekam Pat. eine
Erkrankung am bisher gesunden rechten Ohr unter dem Bilde einer akuten
Otitis. Der Warzenfortsatz mußte eröffnet und der Sinus freigelegt werden.
Knochenstücke aus dem Warzenfortsatz ergaben histologisch typische
Tuberkulose, im Laufe der Nachbehandlung traten periaurikuläre Drüsen¬
sehwellungen von spezifischem Charakter auf.
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Juni 1922).
VII. £. Schiander: Postanginöse Sepsis mit beiderseitiger
akuter Hitttelohreiternng einhergehend.
Patientin H. F. wurde am 14, Mai 1922 mit beiderseitiger akuter
Mittelohrentzündung, welche vor vier Tagen im Verlaufe einer Angina
auftrat, atifgenommen. Parazentese beiderseits, Fieber bis 40°.
Befund bei der Aufnahme: R. 0. Trf. gerötet, Details nicht
erkennbar; h. u. Parazenteseöffnung. Keine Sekretion. Keine Senkung. Wf.
nicht druckempfindlich. L. 0. Reichliche eitrige Sekretion; Perforation ▼. u.
Wf. nicht druckempfindlich. Konversationssprache beiderseits 1Flüster¬
sprache beiderseits ] / 2 m. Weber im Kopf, Rinne beiderseits negativ. Pat.
blaß, Zunge belegt, trocken. Beide Tonsillen gerötet, belegt. Intern leichte
Bronchitis. Cor o. B.
Am 2ö. Mai Temp. 39 5 I. Immunvollvaccine intramusc. Tags darauf
Parazentese rechts, Allgemeinbefinden besser, Temp. 39'1. II. Vakzine. Im
Armvenenblut: Diplostreptokokken in Reinkultur. Am 28. und 29. Mai
III. und IV. Vakzine. Beiderseits starke Sekretion. Am 5. Juni Temp. bis
38*5. Schmerzen im rechten Ohr. Neuerliche Parazentese rechts fördert
dicken schleimigen Eiter zutage. Täglich Vakzine. Der interne Befund
ergibt: Bronchitis, systolisches Geräusch Uber der Mitralis. Milz vergrößert.
Anisokorie, langsame Pupillenreaktion. Kernig? Am 9. Juni im Armvenen¬
blut Diplostrepkokken. Die am 10. Juni ausgeführte Operation ergab:
R. 0. Wf. diploetisch, pneumatisch. Schleimhaut geschwollen. Im Antrum
Eiter unter Druck. Sinus breit freigelegt, normal. L. 0. Sinus vorgelagert.
Im Antrum Eiter unter Druck. Freilegung des Sinus, normal. Beiderseits
Tamponade, Klammern. Am fünften Tage werden die Tampons entfernt.
Die Operationshöhlen sezernieren mäßig, granulieren rein. Aus dem Mittel¬
ohr faßt keine Sekretion. In den folgenden Tagen Temperaturen anhaltend
bis 38'5, im Armvenenblut Streptokokken. Am 23. Juni r. 0. mäßige
Sekretion 1. 0. trocken. Ab 24. Juni fieberfrei. Am 28. Juni Schwellung
in der rechten Kniegelenksgegend, die unter Umschlägen nach zwei Tagen
zurilckgeht.
Im Verlaufe einer lakunären Angina entwickelt sich bei der Pat.
eine beiderseitige Mittelohreiterung. Das Krankheitsbild läßt zunächst an
eine otogene Sepsis denken, jedoch mit Rücksicht darauf, daß im Verlauf
der Eiterung alle otiatrischen Eingriffe (beiderseitige Parazentese, beider-'
seitige Trepanation) auf das Verhalten der Temperatur ohne Einfluß
blieben, das Fieber sich jeweils entsprechend dem Tonsillarbefunde ver¬
hielt, ist die Annahme einer postanginösen Sepsis mit einhergehender
beiderseitiger Mittelohrentzündung gerechtfertigt.
VIII. E. Urbantschitsch: Dreifache traumatische Ruptur
des linken Trommelfelles infolge Zerreißung des Gewehres durch
eine Ekrasitpatrone.
Der vorgestellte Pat. wollte am 24. Mai 1922 auf einen Bock
schießen. Durch Beimischung von Ekrasit zum Pulver kam dieses zur
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Bücherbesprechungen.
665
Explosion and das ganze Gewehr wurde hierdurch zerissen; das Fernrohr
des Gewehres wurde später in einer Entfernung von 50 Schritten anf-
gefnnden. Infolge einer schwereren Verletzung der linken Hand des Pat.
und des Chokes beachtete Pat. die Hörstörung zunächst nicht, ent am
nächsten Tage trat diese ebenso wie Ohrensausen mehr in den Vordergrund.
Der allerdings erst nach zwei Wochen erhobene Ohrenbefund ergab
ein normales rechtes Gehörorgan bei einer dreifachen Rnpturierung des
linken Trommelfelles nnd einer Hörweite von v = a.c. Keine Vestibularis¬
störung. Im Laufe von weiteren zehn Tagen vereinigten sich zwei nur
durch eine schmale Brücke getrennte Perforationen, so daß derzeit nur
mehr zwei Perforationen zu sehen sind, von denen die große den ganzen
hinteren unteren und einen Teil des hinteren oberen Quadranten umfaßt,
die kleine großstecknadelkopfgroße sich im vorderen unteren Quadranten
befindet. Am restlichen Trommelfell Blutkrnsten. Das AmboßsteigbUgel-
gelenk liegt frei. Das Gehör ist, trotzdem inzwischen fünf Wochen ver¬
strichen sind, anverändert schlecht.
Bücherbesprechungen.
Diagnostische nud therapeutische Irrtümer und deren Verhütung. Ohren¬
heilkunde. Herausgegeben von Prof. Dr. J. Schwalbe, Geh.. San.-Kat in
Berlin. Erstes Heft: Krankheiten des äußeren und mittleren
* Ohres. Von Prof. Dr. Alfred Brüggemann, Direktor der Universitäts¬
klinik für Ohren-, Nasen- und Halskranke in Gießen. Mit 16 Abbildungen und
3 Kurven. Leipzig 1922, Georg Thierae. (Preis M 33.)
Verf. bespricht das Thema nach folgenden Gesichtspunkten: Ohr¬
schmerzen, Ohreiterungen, Ohrblutungen, Pfropfbildungen im Gehörgange,
Fremdkörper im Gehörgange, Schwellungszustände der Ohrmuschel, Ent¬
zündungen des äußeren Gehörganges, Neubildungen, Irrtümer bei Beur¬
teilung des normalen und krankhaft veränderten, nicht entzündeten
Trommelfelles (Residuen), Tubenabschluß und seine Folgen, Allgemeines
über Mittelohrentzündungen, akute Mittelohrentzündung und chronische
Mittelohrentzündung. Boi jedem Kapitel werden zuerst die diagnostischen,
hierauf die therapeutischen Irrtümer erörtert.
Das 86 Seiten umfassende Bändchen ist wohl in erster Linie für
den allgemein praktizierenden Arzt, der auch Kenntnisse in der Otologie
besitzt, bestimmt; es wird aber auch von dem jungen Otologen mit Vor¬
teil benutzt werden. Die Darlegungen sind ebenso instruktiv wie präzis
und sind öfters durch charakteristische Beispiele sowie gute Abbildungen
illustriert. Die für den Praktiker so außerordentlich wichtige Mucosus-
Otitis ist leider nicht gewürdigt; ebenso wenig die Tubeneiterung, deren
Diagnose nach der vom Ref. angegebenen „Alkohol-Methode“ auch vom
Nicht-Facharzt so außerordentlich leicht zu stellen und die doch für
Prognose wie Therapie von so großer Bedeutung ist.
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<366
Bücherbes prechungen. — Corrigenda.
Die Arbeit des Verf. bedeutet jedenfalls eine wertvolle Bereicherung
der Bibliothek des praktischen Arztes und erscheint in hohem Grade
berufen, diesem in ihm unklaren Fällen ein treuer Berater zu sein. Die
Ausstattung ist erstklassig. £. U.
Der praktische Hals-Nascn-Ohrecarzt* Von Rudolf Panse, Dresden. Mit 8 Ab¬
bildungen im Text. Leipzig 1922, Kurt Kabitzsch.
Das Buch unterscheidet sich von allen bisher erschienenen Ausgaben
äußerlich ähnlicher Art vor allem dadurch, daß es für den Facharzt, und
zwar nur für diesen, geschrieben ist, nicht etwa für den allgemein
praktischen Arzt, der sich gelegentlich auch spezial ist isch betätigen
will oder muß. Wir finden hier alles, worauf der Autor in der Praxis Wert
legt, woran er bei Stellung der Diagnose denkt, welche Mittel er bei der Be¬
handlung verwendet usw. Er räumt der Schilderung des Ordinationszimmers,
<ler Sprechstunde, Buchführung, Bezahlung, den Fachschriften, Instrumenten,
A- und Antisepsis einen verhältnismäßig breiten Raum in seinen Darlegungen
ein. Dann bespricht Verf. die wichtigsten Krankheiten des Mundes, des Rachens,
der Nase und der Nebenhöhlen, des Kehlkopfes, des Gehörorgans und die Folge¬
krankheiten der Ohreiterungen, es ist aber nicht etwa eine kurze Abhandlung
-der einzelnen Krankheiten, vielmehr bringt Verf. in Schlagworten die wichtig¬
sten Gesichtspunkte derselben. „Aus der Werkstatt des Facharztes für Hals-,
Nasen-, Ohrenkrankheiten“ könnte es heißen, „Aus der Werkstatt von Rudolf
Panse“ sollte es heißen; denn das Buch bietet ein lebendiges Bild der
praktischen Tätigkeit des Autors. Hauptsächlich von diesem Gesichtspunkt
ist es für den Oto-rhino-larvngologen besonders wertvoll. Die individuellen
Ansichten werden anschaulich durch die Bemerkungen illustriert, daß für
Aufmeißelungen „natürlich“ 1 ) ein Metallhammer mit Bleiknopf zur
Verwendung kommt (vielfach werden von anderen gerade Holzhämmer
bevorzugt), daß „für seltene 1 ) Fälle“ Knochenzangen ganz angenehm
sind (die doch von vielen sehr häufig verwendet werden), daß der Autor die
Michel sehen Klammern bald wieder auf gegeben hat (die sich an anderen
Stationen ausgezeichnet bewährt haben) u. dgl. m. Ref. führt diese Be¬
merkungen nicht etwa an, um einen Gegensatz mit anderen Stationen, sondern
nur, um das ganz persönliche Moment der Darlegungen zu beleuchten. E. U.
1 ) Im Origin \\ nicht gesperrt gedruckt.
Corrigenda.
In Heft 6 dieses Jahrganges soll es auf S. 451, 4. Zeile von unten, statt
Brunner: Brenner und in der Fußnote dieser Seite statt III.: II, Jahresver¬
sammlung heißen.
Für den wissenschaftlichen Teil Yerant wörtliche Redakteure: Dr. E. UrbtaUchitsoh, Dr. H. Marsohlk.
Herausgeber, Eigentümer und Verleger: Urbaa 4 8otlwarzeaberg.
Druck R. Spiee & Co. Wien V.
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ohres, der Stirn- und Kieferhöhlen, der Hoden, Nebenhoden und
Prostata, bei Angina, Katarrhen des Rachens und der Nase, bei
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Organ der österreichischen otologischen Gesellschaft
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CHIARI, GRUBER, JURASZ, RUDINQER. VOLTOLINI, WEBER-LIEL
L. v. SCHRÖTTER, V. URBANTSCHITSCH, E. ZUCKERKANDL
Uour Mitwirkung tob
Prof. Dr.F. ALT( Wien), Prof. Dr.R.B.Ä.R.Ä.NY (Upsala), Dr.S.BELINOFF (Sofia), Prir.-Do*. Dr.O. BECK (Wien),
Prof. Ur A.B1NG (Wien), Prir.-Doa. Dr.G.BONDY( Wien), Prof. Dr G. BRÜHL (Berlin), Prof. Dr.H. BÜRGER
(Amsterdam), Prof. D. DKMBTRIADES (Athen), Prof. Dr. J. FEIN (Wien), Prof. Br. H. FREY (Wien),
Prir.-Doi Br. E. KRÖSCHBL8 (Wien), I)r V. FRÜHWALD (Wien), Priv -Do*. Br. S. GATSCHER (Wien),
Prof. Br. E. GLAS (Wien), Prof. Br. B. GOMPERZ (Wien), Prof. Br. M GROSSMANN (Wien),
Prof. Br. V. HAMMERSCHLAG (Wien), Br. HEINZE (Leipzig), Prof. Br. HEYMANN (Berlin), PriT.-
Dos. Br. G. HOFER (Wien), Prof. Br. R. HOPFMANN (Dresden), Prof. Br. HOPMANN (Köln), Prof. Br.
O. KAHLER (Freiburg i. Br ), Prir.-Dor.. Dr. J. KATZENSTEIN (Berlin), Dr. KELLER (Köln), Hofru*
Dr. KIRCHNER (Würzbunr), Prir.-Do*. Dr. K. KOFLER (Wien), OStA. Dr. 8. LAWNER (Wien),
Prof Br. LICHTENBERG (Budapest), Br. L. MAKLER (Kopenhagen), Prof. Dr. H. NEUMAYER (München),
Dr. Max RAUCH (Wien) Prof. Br. L. RETHI (Wien), Dr. Ed. RIMINI (Triest), Dr. F. RODE (Trieft),
Prir.-Dox. Dr E RUTTIN (Wien), Prof. Br. J. SAFRANEK (Budapest), Dr. F. SCHLEMMER (Wien),
Prof. Br. A. SCHÖNEMANN (Bern), Rfg.-Rat Br. H. SCHRÖTTER (Wien), Br. M. SEEMANN (Prag),
Dr A. 6IKKKL (Haag). Br. SPIRA (Krakau). Prir.-Boz. Br. H. STERN (Wien), Br. M. 8UGAR (Badepest),
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herausgegeben ron
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für Ohrenheilkunde:
Ernst Urbantschitsch
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für Laryngo-Rhinologie:
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56. Jahrgang, 9. und 10. Heft
(September - Oktober)
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FRIEDRICHSTRASSE 106 b MAHLERSTRASSE 4
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Monatlich erscheint 1 Heft von etwa 6 Bogen Umfang.
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die Tschechoslowakei 6. K 50, für Ungarn ung. K 1000, für Polen
poln. M 4000, für Jugoslawien Dinar 80.— , für Italien Lire 20, für
Rumänien Lei 100, für alle übrigen Länder West-, Süd- und Nord-Europas
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Einzelne Hefte kosten d.-ö. K 7000, $. K 20, Schw. F 4.
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A Schwarzenberg, Wien l 9 Mahlerstraße 4, und Berlin N 24« Friedrich¬
straße 106 b, entgegen.
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Inhaltsverzeichnis.
OriginaUArtikel
Gustav Alexander, Wien: Über die Endigung des Cortischen Organs am
Vorhofblindsack / nebst Bemerkungen über Bau und Funktion des peri¬
lymphatischen Gewebes. (Mit 10 Figuren auf Taf. I bis V und 1 Textfigur) 667
Prof. Dr. W. Brock, Erlangen: Drei neue Fälle von persistierender Arteria
stapedia beim Menschen. (Mit 1 Figur).683
Dr. Leo Deutsch, Wien: Über Lidcdem bei Erkrankungen des Ohres . . . 686
Dr. Josef Schniercr, Wien; Klinische Untersuchungen über die Verwend¬
barkeit von Hörapparaten.701
Martin Sugär, Budapest: Bemerkungen zu dem Artikel: ,.Bäräny und die
Wiener Universität“ . ,. 1 .712
Prof. Dr. H. Marschik, Wien: Beiträge zur Chirurgie der oberen Luftwege.
(Mit 4 Figuren). 722
Dr. Fritz Hutter, Wien: Bemerkungen zu Hanszels Artikel: ,.Ostitiö fibrosa
Recklinghausen einer Oberkieferhöhle“ und zur Hyperostosis maxillarum 731
Vereinsberichte
Wiener laryngo-rhinologisohe Gesellschaft. Sitzungen v. 5. April, 3. u. 16. Mai 1922 743
Bttcherbesprechungen
Die Anginöse. Von Professor Dr. Johann Fein .783
Anleitung zur Diagnose und Therapie der Kehlkopf-, Nasen- und Ohrenkrank-
heiten. Von Dr. Richard Kayser .784
Die Therapie der Nasentuberkulose. Von Dr. Walter Stupka ..* 785
Diagnose und Therapie der Ohrenkrankheiten. Von Dr. Conrad S t e i n . . . . 786
Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres und der oberen Luftwege. Von
L. at z und F. Blumenfeld .. . . . 787
Personalien nnd Notizen
Ernannt. Verliehen. Gestorben. Gewählt. Medizinisch-literarische Zentralstelle.
Acta otolaryngologica. .. 791
□llllllllllllllllllllllllllllli
lg Farbwerke vorm. Meister Lucius & Brüning, Hoechst a. M. m
l Suprarenin i
-- (o-DloxyphenylSthanolmethylamin) =
= Hochwirksames
J Adstringens Hämostatikum Cardiotonikum jjj
= Eigenschaften: =
= Chemisch rein, gut haltbar, zuverlässig, konstant wirksam. =
1 Indikationen und Dosierung: 1
= Injektionen: Als Zusatz zu Lokalanästheticis; bei Blutungen, toxischer ====
= Blutdrucksenkunp, Kollaps, Asthma, Osteomalazie. OOö— 1 ccm der =
= Solutio 1 :1000—10000. =
= Intern: Bei internen Blutungen, bazillärer Dysenterie, Vomitus gravidarum, =
= Pertussis, Urticaria usw. =
= 1—4 ccm der Solutio 1 :1000, bezw 1—4 Tabletten zu 1 mg. =
— r Extern: Bei lokalen Blutungen und Entzündungen, Pruritus, Ekzemen usw. =
1 : 1000—10 000 als Lösung, Salbe, Pulver, Zäpfchen usw. =
Ü Originalpackungen: 1
== Lösung 1:1000. Flaschen mit 6, 10 und 25ccm. =
■=r= Schachteln mit 10 Ampullen zu 0*5, bezw. 1 ccm. =
= Tabletten 1 mg. Röhrchen mit 20 Stück. ==
== Ärzten stehen Literatur und Proben zur Verfügung durch Hl
§§ Hoechiter Farbwerke <l«s. m. b. H., Wien VIII/2, losefstädterstr. 82 =
□iMiiiiüuiigiaioiiuiviiiiüaHnuaiiuuiueMflinuiiaiesinuiiiiia
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MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LARYNGO-RHINOLOGIE
SB. Jahre. 1922. 9./1». Heft.
Nachdruck verboten.
OriginalsArtikel.
Über die Endigung des Cortischen Organs
am Yorhofblindsack nebst Bemerkungen über Bau
und Funktion des perilymphatischen Gewebes.
Von
Gustav Alexander, Wien.
(Mit 10 Figuren auf Tafel 1 bis Y und 1 schein. Texttigur.)
Mit der Aufdeckung von im Ohrlabyrinth typisch vorkommenden
epithelialen Knospen, Leisten usw. und in der Diskussion darüber,
ob dieselben rudimentären Nervenendstellen entsprechen, oder nicht,
haben diejenigen Regionen des häutigen inneren Ohres an Interesse
gewonnen, die normalerweise histologisch zwischen dem Nervenepithel
und der einfachen epithelialen Wand stehen: die Randgebiete der
Nervenendstelien. Im folgenden wird an einer Serie von Schnitten
gezeigt, unter welcher architektonischen Umformung die Papilla
basilaris cochleae im Vorhof blindsack ausstreicht.
Gelegentlich vergleichend anatomischer Untersuchungen über
das Labyrinthpigment (Arch. f. mikr. Anatomie u. Entwicklungs¬
geschichte Bd. 58, 1901) ist mir der durchgreifende Unterschied im
Bau des perilymphatischen Gewebes der Pars superior und desjenigen
der Pars inferior aufgefallen. Ich habe schon in dieser Arbeit hervor¬
gehoben, daß ein festgefügtes Bindegewebspolster nur im Bereich
der Pars inferior angetroffen wird, andrerseits die aus einem zarten
Bindegewebsnetz bestehende intermediäre Schichte des peri¬
lymphatischen Gewebes eine Eigentümlichkeit der Pars superior
darstellt. Auch habe ich bereits damals eine von der Umrandung
der knöchernen sagittalen Ampulle nach oben und außen streichende
Bindegewebsplatte beschrieben, die die innere Begrenzung der
Cysterna perilymphatioa vestibuli bildet und in der Ansicht vom
Vorhoffenster den Siuus utricularis inferior verdeckt (S. 140).
Diese Bindegewebsplatte strahlt seitlich in die endostale Schichte
des perilymphatischen Gewebes der nächsten Umgebung aus und
schließt die Cysterna perilymphatica vestibuli nach innen und oben ab.
Monatsschrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-Rhin. 56. Jahrg. 44
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668
G. Alexander.
Seither haben mich wiederholt klinische und anatomische Befunde
von der Wichtigkeit, den feineren Verlauf und die Anordnung des
perilymphatischen Gewebes beim Menschen genau festzustellen,
überzeugt. An einem großen Serienmaterial von inneren Gehörorganen
Normaler und Kranker suchte ich folgende Fragen zu beantworten:
1. Besteht ein durchgreifender Unterschied in der Anordnung
des perilymphatischen Gewebes der Pars superior gegen die der
Pars inferior?
2. Welche sind die konstanten perilymphatischen Wände (Septa) ?
welchem Zwecke dienen sie?
3. Welche Anteile des perilymphatischen Gewebes zeigen variable
Ausbildung ?
4. Zu welcher Auffassung gelangen wir auf Grund der Anordnung
des perilymphatischen Gewebes in bezug auf die Frage des gegen¬
seitigen Zusammenhanges der perilymphatischen Räume?
5. Welche Bedeutung hat die Anordnung des perilymphatischen
Gewebes und der perilymphatischen Räume für die physiologische
Funktion des inneren Ohres? Welche Anhaltspunkte lassen sich
hieraus gewinnen für den Weg der Reizleitung bis an das Sinnesepithel?
6. Welche Bedeutung kommt dem perilymphatischen Gewebe
bei Erkrankungen des inneren Ohres zu?
An die Untersuchung der menschlichen Serien schloß ich die
Durchsicht von Serien der verschiedensten Säuger, um festzustellen,
ob sich hier die Anordnung des perilymphatischen Gewebes mit der
beim Menschen deckt bzw. um Verschiedenheiten in der Anordnung
aufzudecken.
Das perilymphatische Gewebe besteht aus drei Zonen. Die
endostale liegt den Knochenwänden der Innenohrkapsel an und
besteht aus einer einfachen Lage von Bindegewebe. Die subepitheliale
Zone umkleidet das epitheliale Weiehteilinnenohr und dient stellen¬
weise unter Zwischenschiebung einer hyalinen Schichte der Wand¬
verstärkung des memb ranösen inneren Ohres. Eine besondere Ausbildung
erreicht das perilymphatische Gewebe im Bereich der endostalen und
subepithelialen Schichte nur in der Schnecke, indem es die tympanale
Belegschichte liefert (Koelliker), möglicherweise auch an der Bildung
der unteren Schichte der Basilarmembran teilnimmt. In der tympanalen
Belegschichte handelt es sich um die Anhäufung einer kernreichen
dichten Schichte an der tympanalen Fläche der Membrana basilaris.
Im übrigen verhalten sich aie subepitheliale und die endostale Schichte
des perilymphatischen Gewebes in der Ausdehnung des gesamten
inneren Ohres gleich. Die intermediäre Schichte zeigt dagegen ein
verschiedenes Verhalten: Im Bereich der Pars superior finden sich
zarte Bindegewebsnetze und dünne Bindegewebsplatten (Scheidewände,
Grenzmembranen, Septa), im Bereiche der Pars inferior dichte Binde-
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Die £ndigung des Cortischen Organs am Vorhofblindsack.
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gewebszüge and dicke Bindegewebspolster. Der Unterschied wird
dadurch verstärkt, daß in der Pars superior nur die eine, in der
Pars inferior nur die andere Gattung des perilymphatischen
Gewebes vorkommt.
Um den Verlauf der erwähnten Bindegewebswände in der Pars
superior festzustellen, und um zu untersuchen, welche unter ihnen
in Lage und Auftreten konstant' sind, reicht die Untersuchung von
Serien von Erwachsenen nicht aus. Ursprünglich glaubte ich annehmen
zu können, daß die gefäßführenden, perilymphatischen Wände in
Ausdehnung und Lage konstant sind. Dies trifft aber nicht zu. Einen
besseren Aufschluß ergibt die Untersuchung von Serien älterer
Embryonen (vom 5. Fötalmonat aufwärts). Bereits an einem 5 monat¬
lichen menschlichen Fötus läßt sich innerhalb des in diesem Stadium
noch sehr reichlich entwickelten perilymphatischen Gewebes wahr¬
nehmen, daß dasselbe in bestimmten Gegenden zu Wänden verdichtet
verlauft, ln diesem Stadium lassen sich drei solche Membranen
Septa) unterscheiden:
1. Eine perilymphatische Membran, die von der äußeren Um¬
randung der sagittalen knöchernen Ampulle entspringt, nach oben
außen gegen den Utrikulus, nach vorn gegen das perilymphatische
Gewebe des Sakkulus, nach hinten in das der hinteren Vorhofswand
ausstreicht.
2. Eine Membran, die vom hinteren Rand der Gegend der
Crista vestibuli entspringend, sich bis an die hintere Zirkumferenz
des Vorhofs erstreckt. Sie deckt den Utrikulus und die Ampulla
horizontalis gegen die VorhofszySterne jenseits der Macula utriculi
bzw. des Recessus utriculi.
3. Eine Grenzmembran findet sich an der vestibulären Mündungs¬
stelle des Aquaeductus vestibuli. Diese Grenzmembran wird vom
Ductus endolymphaticus durchzogen.
Die drei erwähnten Bindegewebsplatten sind in ihrer Lage
konstant, in ihrer Ausdehnung jedoch variant. In manchen
Fällen sind nämlich die beiden Vorhofsmembranen so weit gegen¬
einander fortgesetzt, daß sie sich unter dem Utrikulus treffen,
wobei sie allerdings im mittleren Teile der unteren Wand des
Utrikulus angeschlossen verlaufen. In diesem Falle ist also der
perilymphatische Spaltraum zwischen der hinteren Wand des Utrikulus
und der hinteren Wand des Vorhofes gegen die Vorhofszysterne
vollständig geschlossen. Weiters wird mitunter die Grenzmembran
am Aquaeductus vestibuli beim Erwachsenen unvollständig getroffen.
Im Bereiche der Pars inferior findet sich lediglich ein dichtes
Bindegewebslager. Auf ihm ruhen der Sakkulus, der Ductus reuniens
und der Vorhofsblindsack, und es findet in Form des Ligamentum
spirale eine bis in die Schneckenspitze reichende Fortsetzung. Das
Bindegewebslager des Sakkulus, des Ductus reuniens und des
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G. Alexander.
Vorhofsblindsacks besteht im normalen Zustande aus dichten Binde-
gewebszügen. Aufhellungen bedeuten hier stets eine pathologische
Veränderung. Variant ist dagegen die Lagerung der Binde-
gewebszüge im Ligamentum spirale. Auch in normaler Weise
sind die Randzonen des Ligamentum in der Nähe des Endosts des
knöchernen Schneckenkanals und der Stria vascularis und an der
Prominentia spiralis dichter als in den übrigen Teilen. Typisch
kernlos und faserreich ist das Ligamentum an der Inserationsstelle
der Membrana basilaris. Der Körper des Ligamentum spirale selber
gibt sehr verschiedene Bilder. Der Substanzreichtum schwankt.
Überaus häufig finden sich Aufhellungsbezirke, nicht unähnlich hyalin
degenerierten Partien, in das Ligament eingetragen. Solche Auf¬
hellungsbezirke müssen aber entsprechend ihrem Vorkommen als
Varietäten im Bereiche der Norm angesehen werden.
Durch die beschriebenen perilymphatischen Grenzwände ist,
falls dieselben ideal ausgebildet sind, ein vollständiger Abschluß der
Oysterna perilymphatica vestibuli gegen die Pars superior des
inneren Ohres gegeben. Denn der Recessus utriculi, der nach
abwärts nicht von einer perilymphatischen Membran überzogen ist,
wird beim vollentwickelten Individuum durch das vorspringende
Ende der Crista vestibuli und durch die auf ihrem Zuge von der
Macula utriculi flächenhaft konvergent verlaufenden Nervenfasern
gegen die Vorhofzysterne gedeckt. In diesen Fällen kommuniziert
die Cysterna perilymphatica vestibuli bloß mit der Scala vestibuli.
Reichen die vestibulären perilymphatischen Septa weniger weit,
dann kann ein Zusammenhang der Cysterna perilymphatica vestibuli
mit den perilymphatischen Spalträumen um den verjüngten medialen
Anteil des Utrikulus und von da mit den perilymphatischen Räumen
im Bereich der Sinusenden der Bogengänge bestehen.
Es kommen somit Fälle vor, in welchen die Cysterna peri¬
lymphatica vestibuli mit den perilymphatischen Räumen der Pars
superior des inneren Ohres keinerlei direkten Zusammenhang
besitzt. Aber auch in Fällen von unvollkommener Ausbildung der
Grenzmembranen ist nur eine spaltförmige und feine Kommunikations-
Öffnung im Bereiche des medialen verjüngten Anteiles des Utrikulus
gegeben.
E. R u 11 i n (Zur normalen und pathologischen Anatomie des
Utrikulus und der Cysterna perilymphatica vestibuli, Acta oto-
laryngologica, Vol. III., Fase. 3, 1922) hat Serien von normalen und
pathologischen Fällen untersucht und das Septum an der sagittalen
Ampulle gleichfalls in allen Fällen ausgebildet gefunden.
H. M. de Burlet (Der perilymphatische Raum des Meer¬
schweinchenohres, Anatomischer Anzeiger, Bd. 55, Nr. 12, 13, 1920)
hat den perilymphatischen Raum des Meerschweinchenohres unter¬
sucht. Meine eingangs erwähnte Arbeit ist ihm entgangen. Er gelangt
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T)i<- Elidierung des (.'ortisehen Organs am Vorliofhlindsaek.
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zur Bestätigung der aus meiner vergleichenden Arbeit folgenden
Tatsachen. Die Grenzmembranen zeigen beim Meerschweinchen
dieselbe topographische Lage wie beim Menschen. Varietäten in der
Ausbildung des perilymphatischen Gewebes sind nur zu fiiylen in
bezug auf die Größenausdehnung der vestibulären Septa nach hinten.
Der Ductus utriculo-saccularis liegt mitunter innerhalb, mitunter
außerhalb der Cysterna perilymphatica vestibuli.
Die einzelnen perilymphatischen Spalträume der Pars superior
stehen untereinander in kontinuierlichem Zusammenhänge, der aller¬
dings durch die reichlich vorhandenen Bindegewebsnetze im Bereiche
der Ampullen und der Sinus utriculares beeinträchtigt wird. Der
Aquaeductus vestibuli erscheint bis zu einem gewissen Grade gegen
die perilymphatischen Räume des Labyrinthes isoliert.
Dagegen besteht ein freier im normalen Zustand stets unein¬
geschränkter Zusammenhang der Cysterna perilymphatica vestibuli
und der Scala vestibuli.
Dieser Typus der perilymphatischen Räume gilt auch für alle
höheren Säugetiere. Eine Ausnahme macht nur der Hund, bei
welchem normalerweise im blinden Ende der Scala tympani, nahe
dem sekundären Trommelfell, ein zartes weitmaschiges Bindegewebs-
netz angetroffen werden kann.
Die Fixation der membranösen Wände der Pars superior wird
durch die Bindegewebsnetze der intermediären perilymphatischen
Zone besorgt. Man braucht nicht anzunehmen, daß die erwähnten
perilymphatischen Membranen der Fixation der membranösen Wände
dienen. Es ist daher auch richtig, diese Bindegewebsplatten als
perilymphatische Septa zu bezeichnen und nicht als Ligamente.
Denn sie erfüllen lediglich die Aufgabe, einzelne
perilymphat. ische Abschnitte des inneren Ohres
gegen die Umgebung abzuschließen.
Nach Lage und Ausbildung des perilymphatischen Gewebes
und der Topographie der Nervenendstellen läßt sich in bezug auf
die Funktion folgendes feststellen: Im Bereich der gesamten Pars
superior und im Bereich des Sakkulus vermag eine Bewegung der
Perilymphe nicht unvermittelt bis zu den die Nervenendstellen
tragenden häutigen Wandteilen vorzudringen. Die Macula utriculi
selbst ist gegen die Zysterne des Vorhofs durch die unter ihr durch
Bindegewebe verstärkt hinwegziehenden Nervenfasern gedeckt, die
häutigen Ampullen und die Cristae ampulläres durch die oben erwähnten
Septa. Der Sakkulus kehrt seine freie Wand der Vorhofzysterne zu.
Eine Bewegung der Perilymphe wird daher unvermittelt lediglich
zu einer Bewegung der freien Wand führen und nicht direkt bis
an die vordere, auf dem Biudegewebspolster ruhende, die Makula
tragende Wand vorzudringen vermögen. Die periphere
Sakkuluswand hat hier die Funktion, die im
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G. Alexander.
übrigen inneren Ohr die p e r i 1 y m p h a t i s c h e n
Septa des Vorhofes erfüllen. Die Funktion der
Grenzmembranen an der Pars superior ist hier
von der freien Sakkuluswand selbst übernommen
und in der Ausbildung dieser Membranen ist
somit ein Mechanismus zu erblicken, welcher
die labyrintären Nervenendstellen von Bewe¬
gungen der Perilymphe nicht direkt beeinflußbar
halten soll.
Einem gänzlich anderen Typus ist die Unterbringung des
Cortischen Organes gefolgt. Jede Bewegung der Perilymphe
in der Scala tympani muß hier unvermittelt zu einer
Bewegung der Basilarmembran führen. Die Nerven-
endstelle in der Schnecke ist den Bewegungen der
Perilymphe direkt erreichbar. Die perilymphatischen Septa
(Grenzmembranen) ergehen eine fast vollständige Absperrung der
Nervenendstellen der Pars superior gegen die direkte Einwirkung
von Bewegungen der Perilymphe, die von der Vorhofzysteme oder
der Schnecke kommen. Das Widerspiel dieses Verhaltens zeigt sich
in der durch die Enge des Ductus reuniens gegebenen Isoliertheit
des Ductus cochlearis gegen Bewegungen der Endolymphe im Bereich
des Labyrinths.
In bezug auf die funktionelle Bedeutung sind
somit die perilymphatischen Grenzmembranen des
Vorhofes zu vergleichen mit der Einengung des endo¬
lymphatischen Zusammenhanges durch den Ductus
reuniens zwischen Sakkulus und Ductus cochlearis.
Im großen und ganzen sind die Wandteile der Pars superior
des inneren Ohres dicker als die der Pars inferior. Auch hierfür
bildet das perilymphatische Gewebe die Ursache, von dem wohl
größtenteils die homogene subepitheliale Schichte der Pars snperior
stammt. Die Funktion des perilymphatischen Gewebes am Sakkulus
ist von der Funktion verschieden, die dieses Gewebe in der
Schnecke zu erfüllen hat. Im gesamten Labyrinth, d. h. im Bereiche
der Pars superior samt dem' Sakkulus, dient das perilymphatische
Bindegewebsnetz der Fixation der häutigen Wandteile und der un¬
verrückbaren Erhaltung der normalen Form der Pars superior.
Im Ductus cochlearis dagegen werden durch das perilymphatische
Gewebe die beiden Hauptwände des häutigen Schneckenkanals in
einer elastischen Spannung erhalten. An der oberen Fläche der
elastisch gespannten Basilarmembran liegt die Nervenendstelle
selbst. Sie ist frei über der Scala tympani untergebracht.
Es ist interessant, dieses Verhältnis am Vorhofende des
Schneckenkanals genau zu verfolgen.
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Die Endigung des Oortisehen Organs am Vorhofblindsaek.
673
Die Objekte, welche ich dieser Darstellung zugrunde lege, stammen von
einem erwachsenen Kaninchen.
Die Schnittrichtung ist so gewählt, daß an ein und demselben Schnitt
Sakkulus, Ductus reuniens und Vorhofsblindsack im Zusammenhänge zu sehen
sind. Ich darf also annehmen, den Ductus reuniens in Längsschnitten, den Vor¬
hofsblindsack und den Vorhofsabschnitt der Schnecke in Querschnitten zu sehen,
im idealen Querschnitt freilich nur die Teile an der Mündungsregion, jedoch
bleiben auch die Schnitte der nächsten Umgebung, infolge der Krümmung des
Vorhofsabschnittes und des Vorhofsblindsackes um einen verhältnismäßig großen
Radius, als Querschnitte verwendbar.
Scharf vom Sakkulus durch eine Knickung der freien Wand ist der Ductus
reuniens getrennt, die dem Knochen zugekehrte Wand des Ductus reuniens
ändert ihre Verlaufsrichtung am Übergang in den Ductus reuniens nicht. Vom
Haupttei) des Sacculus aus erstreckt sioh unter den Sinus utricularis anterior
bin der Processus utricularis sacculi (Tafelfig. 7).
Unter der Macula sacculi finden wir eine breite bindegewebige Schicht,
eine Art flächenhaft ausgebreitetes Ligament, das den Sakkulus im Recessus
sphaericus fixiert. Im Bereiche der Makula wird die Schichte von Nervenfasern
durchzogen. Die bindegewebige Lage setzt sich, an Dicke etwas abnehmend,
entsprechend der dem Knochen zugewendeten Wand des Ductus reuniens nach
ab- und vorwärts gegen den Ductus cochlearis und den Vorhofsblindsack fort.
Die freie Wand des runden Säckchens ist aus platten, polygonalen Epithelzeilen
zusammengesetzt. Eine ähnliche Struktur zeigt die freie, äußere Wand des Ductus
reuniens. Ein eigentümliches Verhalten zeigt jedoch die dem
Knochen zugekehrte Wand des Ductus reuniens.
Es ist bekannt, daß die Struktur der epithelialen Säckchenwand in der
direkten Umgebung der Nervenendstelle ein ganz charakteristisches Aussehen
bietet. Schwalbe sagt hierüber unter Berücksichtigung des menschlichen
Labyrinthes folgendes: „Das Epithel des Utrikulns und Sakkulus ist überall, ab¬
gesehen von den Nervenendstellen, den Maculae acusticae, ein niedriges Pflaster¬
epithel, welches im Utrikulus und Sakkulus bei 12 bis 21p Breite nur 3 bis 4 p
hoch gefunden wird. Es ist also stark abgeplattet und zeigt bei Flächenansichten
polygonale Umrisse der einzelnen Zellen. In der nächsten Umgebung der Maculae
acusticae nehmen die Zellen an Höhe zu (9 bis 10 p) und erscheinen nun¬
mehr kubisch um dann rasch unter Streckung zu Zylinderzellen sich in das
charakteristische Nervenepithel der Makula umzuwandeln u .
In der Umgebung des oberen Randes der Macula sacculi finde ich an
meinen Präparaten das von Schwalbe beschriebene Verhalten. Die Zelleiber
werden größer, höher, die Kerne erscheinen rund, dicht angeordnet und endlich
in mehreren Reihen übereinander. Die Breite dieser Zone beträgt in der Mittel¬
linie der Makula 80 p. Im Anschluß an den unteren Rand der Makula finden wir
eine einfache Schichte eines kubischen Epithels mit großen, runden Kernen.
Dieser Epithelstreifen liegt im Ductus reuniens, er bildet die Makula¬
wand desselben, ist in der Mittellinie 213p lang und hört im Ductus reuniens
mit scharfer Grenze gegen das umgebende Plattenepithel hin auf (Tafelfig.ö bis 7).
Die bindegewebige Unterlage ist hier schmäler als in der Gegend der
Makula, doch dichter gefügt (Tafelfig. 6, 7, 8).
Die Höhe deB Sakkulus und Ductus reuniens bis zur peripheren Wand des
Schneckenkanals oder Vorhofsblindsackes beträgt 2*25 mm, der Durchmesser des
Ductus reuniens inkl. Wanddicke am Abgang vom Sakkulus 67p, an der engsten
Stelle vor der Mündung in den Canalis cochlearis 34p, die Weite des LumenB
an den bezüglichen Stellen 50p bzw. 16*6p. Der Ductus reuniens ist nach Schnitt¬
messung 700 p lang; der nach abwärts vom kubischen Epithel liegende Teil der
dem Knochen zugekehrten Wand wird von Plattenepithel gebildet (Tefelfig.6,7,8).
Der Vorhofsblindsack ruht auf einer dicken bindegewebigen Schichte,
die der Struktur nach dem Ligamentum spirale und dem bindegewebigen Lager
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674
G. Alexander.
des Sakkulus und deB Ductus reuniens gleicht. Der Bau der oberen Wand deckt
sich mit dem der Reissn er sehen Membran. Am Übergang des LumenB des
ßlindsackes in das des Ductus reuniens verbindet sich die obere Wand des
ersteren mit der treien Wand des letzteren in einer Linie, welche dem oberen
Teil der Zirkumferenz des unteren Endes des Ductus entspricht.
Die Struktur der oberen Wand bleibt bis in den Fundus des Blindsackes
ungeändert, wo sie unter allmählicher Abnahme an Breite nach hinten innen ver¬
laufend endet.
Die baBale Wand erstreckt sich mit ihrer Unterlage unter Verschmälerung
bis in den Fundus des Blindsackes und verschmilzt schließlich mit der oberen
Wand. Das Lumen erscheint im Fundus spaltförmig und endet rundlich ab¬
geschlossen. Das perilymphatische bindegewebige Lager setzt sich ungefähr in
einer Länge von 140 ^ über das blinde Ende des Vorhofsblind sack es hinaus nach
hinten und innen auf den Boden des Vestibulum fort. In der Umgebung finden
wir eine größere Zahl teils in teils auf dem Knochen verlaufender Blutgefäße.
Nach vorne geht der Vorhofsblindsack in den Ductus cochlearis über.
Sowohl bindegewebige Anteile des Ductus cochlearis als auch Bestandteile der
Papille haben sich im Laufe der Entwicklung sekundär mehr wenig tief in den
Blindsack fortgesetzt. Verfolgen wir die einzelnen Schnittbiider vom Ductus
cochlearis gegen den Vorhofsblindsack, so ergibt sich folgendes:
In einem Querschnitt des Ductus cochlearis in der Nähe des Vorhofsblind-
sackes (Tafelfig. 1) (M. VI. 16) sind alle epithelialen Elemente vorhanden, ebenso
Ganglion spirale und Nervenfasern. Die Lamina spiralis ossea ist im Querschnitt
langgestreckt. Die Scala vestibuli ist bereits in das Vestibulum übergegangen,
die Scala tympani klein, nach abwärts durch den dünneren Teil der Membrana
tympani secundaria geschlossen. Ich möchte hier erwähnen, daß ich an einer
Reibe von Säugetieren die Membrana t.ympani secundaria von der des Menschen
wesentlich verschieden gefunden habe. Es mag dies durch die relative und ab¬
solute Vergrößerung des runden Fensters bei diesen Tieren, bei welchen das
Promontorium mehr vorspringt, höher gelegen ist, bedingt sein. Die Membran in¬
seriert eine Strecke weit an der Lamina spiralis ossea (Tafelfig. 2], von dieser zieht
ein oberer Teil gegen die Unterseite der Lamina spiralis ossea secundaria, ein
unterer gegen den Contur de6 runden Fensters. Nach vorn verliert die Membran
ihre Ansatzlinie an der Lamina spiralis, nach hinten gabelt sich die Linie, an
der peripherwärts gelegenen entspringt der obere, an der zentralen der untere
Abschnitt der Membran, beide enden allmählich schmäler werdend, getrennt von¬
einander durch Näherung ihrer Insert.onspunkte. Bei diesen Tieren
nimmt also an der Begrenzung des runden Fensters auch
die Lamina spiralis ossea teil.
Das Ligamentum spirale erscheint infolge der Verkleinerung der Scala
tympani und des Vorhandenseins der Lamina spir. oss. sec., welche das Liga¬
mentum spirale nach unten begrenzt, knrz und breit.
Verfolgen wir die Schnittbilder gegen den Blindsack hin, so sehen wir
zunächst das Ganglion spirale schwinden. Die Membrana basilaris wird schmäler,
der Limbus spiralis kürzer, die Membrana tectoria verflacht (Tafelfig. 3). Die
Prominentia spiralis ändert sich gleichmäßig mit dem Limbus, Sulcus spiralis
internus und externus verschwinden allmälig.
Mit der Verschmälerung der Membrana banilaris schiebt sich der kernlose Teil
des Ligamentum spirale immer weiter axial unter die Basilar-Membran (Tafelfig. 3),
er bildet endlich den Boden für die Stützzellen (Tafelg. 4, 5). Die Membrana basilaria
verdickt sich, die Cortigchen Pfeiler werden kleiner (Tafelfig. 4), steiler ge¬
stellt, der Tunnelraum ein vertikaler Spalt (Tafelfig. 5). Der Hen Bensche
Bogen und der Nuelsche Raum werden breiter. In der Substantia propria der
verdickten Basilarmeml ran treten reichliche Kerne auf.
Damit haben wir das Ende des Ductus cochlearis erreicht und der
folgende Schnitt der Serie trifft bereits den Vorhofsblindsack im Querschnitt
(Tafelfig. 6).
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Dii* Endigung dis Cortisolu*» Organs am Vorhol blindsark.
675
Die Übergangsregion hat eine Länge von 60 bis 80 p. Sie ist nun dadurch
als Ganzes charakterisiert, daß sie keine normale Scala tympani mehr besitzt.
An der unteren Lefze der Lamina spiralis ossea entspringt eine Knochenlamelle,
die am folgenden Schnitt (M VI4) (Tafelfig. 4) an Ausdehnung gewonnen hat
und mit der Lamina spiralis ossea secundaria verschmilzt (Tafelfig. 4, 5).
Das nunmehrige Fehlen der Scala tympani ist das
wichtigste Merkmal des Vorhofsblindsackes (Tafelfig. 1 bis 6).
Im folgenden Schnitt (Tafelfig. 6) hat sich der glashelle Abschnitt des Liga¬
mentum spirale, der sich schon früher an der Unterseite des Kanals befand, vollends
daruntergeschoben und sich mit dem Bindegewebslager des Ductus reuniens ver¬
schmolzen (Tafelfig. 6), das ganze Lager ruht auf der Knochenplatte, welche aus der
Verbindung der beiden Laminae spiralis osseae resultiert (Tafelfig. 6). Noch am
vorhergehenden Schnitt fanden wir zwischen dem Bindegewebe und der Knochen¬
platte den oberen Abschnitt der Scala tympani, hier sind beide miteinander verbunden,
der obere Abschnitt der Skala ist nicht mehr vorhanden. An die Knochenplatte
schließt sich nach abwärts ein fibröser Teil, der Rest der Membrana tympani
secundaria. Fanden wir zwischen dieser und der oben beschriebenen Knochen¬
lamelle früher einen Raum (Tafelfig. 3, 4, 5), den unteren Abschnitt der Scala
tympani, so sehen wir jetzt, daß auch hier die beiden Teile in volle gegen¬
seitige Verbindung geraten sind. Die Scala tympani hat somit inr Ende erreicht.
Weiter basalwärts finden wir den Vestibulumboden, auf welchem nun der Blind¬
sack ruht.
Im Blindsack finden wir die ganze Reihe der äußeren Stützzellen, die
H e n s e n Beben und Böttcher sehen Zellen (Tafelg. 6, 7), als flache Erhabenheit
gegen den Ductus reuniens hin den Rest des Limbus spiralis. Zwischen beiden
sehen wir eine Lücke: Cortische Pfeiler und D e i t e r s’sche Zellen sind weg¬
gefallen. Der obere Contur des Limbus spiralis Restes ist von einer Reihe
platter Epithelzellen bedeckt, nach außen finden wir kubische Zellen, welche
den Zellen des nicht mehr vorhandenen Sulcus spiralis internus vollständig
entsprechen.
Der axiale Teil der Lamina spiralis ossea ist im Vestibulumboden auf¬
gegangen, der periphere, mit welchen die Nervenfasern an die Papille gelangen,
ist mit den Nerven verschwunden (Tafelfig. 3 bis 7).
An der Lücke zwischen inneren und äußeren Zellresten der Papille tritt
das platte Epithel der unteren Wand des Blindsackes seihst zutage (Tafelfig. 6).
An der Außenseite finden wir als flache kaum sichtbare Erhabenheit die Pro-
minentia spiralis, basal von ihr, nur angedeutet, den Sulcus spiralis externus
sowie sein Epithel: kubische Zellen mit großen, runden Kernen und wenig Proto¬
plasma. An den peripheren Contur des Blindsackes schließen sich das Liga¬
mentum spirale und die Stria vascularis an.
Die Knochenplatte ist mit dem Vestibulumboden nahezu vollkommen
vereinigt (Textfigur). Unter ihr ist nur eine ganz kleine Menge von Bindegewebe
als Rest der Membrana tympani secundaria zu sehen (Tafelfig. 6). Der glashelle
Teil der Unterlage ist stellenweise kernhaltig, an der früher durch Ausfall der
Sinneszellen leeren Gegend des Papillenquerschnittes sehen wir kubische Zellen,
welche von der Gruppe der axial gelegenen Zellen zu kommen scheinen und
sich bis zu den äußeren Stützzellen erstrecken; die Zahl und Höhe dieser hat
abgenommen. Im übrigen hat sich das Bild nicht geändert.
M V 16 (Tafelfig. 7). Die Knochenmasse, auf welcher der Blindsack ruht, ist
in den Boden des Vestibulum übergegangen, der nunmehr die Unterlage des
Caecum bildet (Tafelfig. 7). Der Rest des Limbus spiralis und Prominentia
spiralis sind nahezu geschwunden.
Die Teile der Papille, welche sich noch bis dahin im Querschnitt des
Caecum finden, werden an den folgenden Schnitten kleiner und an Zahl geringer,
und am drittfolgenden Schnitt (M V 13) (Tafelfig. 8), einer Entfernung von un¬
gefähr 60 p entsprechend finden wir einen leeren VorhoLblindsack, dessen
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676
G. Alexander.
c d
Fig. I ( a —/). Verstreichen der Scala tympani ara Vorhof.
a - Knochengerüst der Basalwindung.
b = Knochengerüst des Vorhofteiles des Schneckenkanals.
c - Annäherung der Lamina spiralis ossea secundaria (Lsps) in die untere Lefze
der Lamina spiralis ossea (Lspo), die eine kleine, gegen die Lamina spiralis
ossea secundaria gerichtete Leiste (Lspo) aufweist.
d ~ Lamina spiralis ossea secundaria und Lamina spiralis ossea (Lspo) sind mit¬
einander verschmolzen ( a ) und gehen (e) in den Vorhofboden über.
e --■; unter dem Vorhofboden ein Rest der Sepia tympani.
f solider Vorhof boden (a) ohne Skalenrest.
Erklärung de
Cg Canalis ganglionaris
Fc Fenestra eochleae
Lspo Lamina spiralis ossea (primaria)
Lsps Lamina spiralis ossea secundaria
Abkürzungen.
Sf Scala tympani
V Vorhof
v Vorhofboden.
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Die Endigung des Cortischen Organs am Vorhofblindsack.
677
Wand aus einem niedrigen Epithel zusammengesetzt ist, der im Bau der ein¬
gangs beschriebenen Form gleich ist. Wir sehen ein niedriges Epithel mit
runden, dunkel gefärbten Kernen, an der Außenseite die Stria vascnlaris.
Das bindegewebige Polster, das den Kanal unten und peripher umgibt, gleicht
dem der übrigen Teile der Pars inferior.
Der Blindsack ruht zum größten Teile auf dem Vestibulumboden, in dem
als Kecessus cochlearis Reichert bezeichneten Grübchen, nur eine ganz
schmale, an den Ductus cochlearis angeschlossene Zone liegt auf den ver¬
einigten Spiralblättern an deren Übergang in den Vorhofsboden an einer Stelle,
wo eine Scala tympani nicht mehr vorhanden ist (Tafelfig. 6).
In das Lumen des Biindsackes setzen sich in geringe Tiefe vom Ductus
cochlearis her Limbus spiralis und Prominentia spiralis in nicht mehr
charakteristischer Gestalt fort, weiters von epithelialen Gebilden die inneren und
die äußeren Stützzellen, die Zellen des Sulcus spiralis internus und externus.
Zunächst verstreichen die Erhabenheiten vollständig, sodann die inneren und
endlich durch Schwund an Zahl und Größe die äußeren Stützzellen. Der übrige
Teil des Blindsacklumens ist von Papillenresten frei (Tafeliig. 10).
Die Grenze des Caecum gegen den Ductus cochlearis ist scharf aus¬
gebildet.
Der die Papille tragende Wandabschnitt liegt nicht dem Knochen an,
sondern ist frei zwischen zwei Knochenplatten ausgespannt; zwischen der
Lamina spiralis ossea primaria und dem peripheren Contur der Schnecken-
kapsel. Das Vorhandensein einer Scala tympani und einer
charakteristischen Nervenende teile sind der Schnecke eigen¬
tümlich und bei phylogenetischen Untersuchungen als Merk¬
male der Schnecke von einziger Bedeutung.
Der Vorhofsblindsack ist non dadurch vom Ductus cochlearis zu unter¬
scheiden, daß an ihn keine Nervenfasern gelangen, daß der die Nervenfasern
gegen die Papille hinleitende Abschnitt der Lamina spiralis, die beiden Lefzen
derselben, die Sinnesepithelien (Haarzellen, Cor tische Pfeiler mit den Boden¬
zellen, Deiters sehe Zellen) und die Scala tympani nicht vorhanden sind: indem
die genannten Teile im gleichen Querschnitt, mit scharfer Grenze unvermittelt
schwinden, ist eine scharfe Grenze des Caecum gegen den Ductus cochlearis
auch am erwachsenen Individuum gegeben.
Der Ductus cochlearis, im besonderen die Basilarmembran besitzen einen
gewissen Grad von Beweglichkeit: eine z. B. von der Fenestra cochleae her sich
tortpflanzende Welle der perilymphatischen Flüssigkeit wird sich bis zur Mem¬
brana basilaris fortsetzen und eine Bewegung derselben hervorrufen.
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678
G. Alexander.
Der Vorhofsblindsack, auf welchen sich ein von unten
her kommende Perilymphbewegung infolge des Fehlens
der Scala tympani nicht fortsetzen kann, and der Ductus
cochlearis, welcher eine Bewegung speziell seiner die
Neryenendstelle tragenden Wand zulSfit, grenzen unmittel¬
bar aneinander.
Durch die besondere Form des Ligamentum spirale wird die
ausgespannte Basilarmembran der perilymphatischen Lymphwelle
geradezu entgegengehalten.
Im radialen Querschnitt reicht das funk¬
tionsfähig ausgebildete Cortische Organ ebenso¬
weit gegen denVorhof als die Membrana basilaris
frei über der Scala tympani zwischen der binde¬
gewebigen Decke der Lamina spiralis ossea
und dem Ligamentum spirale ausgespannt ist.
Gegen den Vorhofblindsack fließen diese
beiden Bindegewebslager ineinander und
in dem gleichen Querschnitt, in welchem der
häutige Schneckenkanal durch dieses Binde¬
gewebslager gegen dieScala tympani hin isoliert
erscheint, so daß nun die Basilarmembran nicht
mehr elastisch ausgespannt verlauft, sondern
ähnlich den medialen Wänden desDuctus reuniens
und des Sacculus auf dem B i n d e g e w e b sp o 1 s t e r
fixiert erscheint, in diesem selben Querschnitt
hört auch das funktionierende C o r t i s c h e 0 r g a n
auf. Von da an finden sich bis zum völligen Verstreichen der
Papille im Vorhofsblindsack nur Stützelemente der Papille,
aber keine Siuneszellen.
Die Ausbildung der Grenzmembranen entspricht somit einer
durch die physiologische Funktion gegebenen Notwendigkeit. Es
scheint, daß die kochleare Nervenendstelle ebenso
notwendig den perilymphatischen Lymph-
bewegungen ausgesetzt sein muß, wie die laby-
rintheren Nervenen d s te11en von einer direkten
Einwirkung der Bewegungen der Perilymphe ge¬
schützt bleiben müssen.
Zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangt auch de Burlet.
Er erblickt jedoch im Spatium perilymphaticum inferius des Säugers
die freie Bahn nach dem C o r t i sehen Organ und (meines Erachtens
nicht richtigerweise) auch nach den Maculae acusticae. Die letzteren
sind ja, wie ich oben dargelegt habe, gegen das Spatium peri¬
lymphaticum inferius ebenso isoliert wie die Cristae ampulläres.
De Burlet hält die Grenzmembranen für umso wichtiger, je
windungsreicher die Schnecke ist, wodurch besonders einem En¬
ergieverlust in der Auswirkung des Reizes vorgebeugt wird. Voll-
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Die Endigung des Cor'tischen Organs am Vorhofblindsack.
679
ständig wird die Isolierung der perilymphatischen Räume nicht in
allen Fällen erreicht. Dies folgt schon aus der Tatsache der Varianten
Ausbildung der medialen Anteile der beiden Grenzmembranen im
Vorhof, wonach beim Menschen in manchen Fällen die Vorhofs-
zysterne gegen die perilymphatischen Räume der Pars superior ab¬
geschlossen ist, in anderen nicht. Andrerseits hindert die Grenz¬
membran einen Energieverlust bei den dem Kochlearorgan zukommenden
Reizen (d e B u r 1 e t) und schützt nicht bloß, wie de fi u r 1 e t meint,
die Cristae ampulläres, sondern auch die Maculae des Vorhofs gegen
einen nicht adäquaten Reiz.
Gehen wir von der Tatsache aus, daß die Nervenendstellen des
inneren Ohres in Bewegungen der das innere Ohr erfüllenden Flüssig¬
keit ihren adäquaten Reiz erhalten, so ist aus der Anordnung des peri¬
lymphatischen Gewebes ersichtlich, daß der kochleare Apparat
vor allem durch Lageverschiebungen der Perilymphe,
die labyrinthären Nervenendstellen dagegen vor
allem durch Lageverschiebungen der Endolymphe
angesprochen werden. Nur die Hauptwände des häutigen
Schneckenkanals (Membrana basilaris und Membrana verstibularis)
sind sehwingungsfähig untergebracht, die die labyrinthären Nerven¬
endstellen tragenden Wandteile der Pars superior sind dagegen in
ihrer Lage durch Bindegewebe fixiert. Am meisten fixiert sind die
auf dem Bindegewebepolster fest ruhende Macula sacculi, fast ebenso
sehr die auf den unter ihr ausgebreiteten Nervenfaserzügen ruhende
Macula utriculi und endlich auch die durch Bindegewebswände iso¬
lierten, im übrigen durch sternförmig verästelte Bindegewebeetze
fixierten- Cristae ampulläres.
In pathologischer Beziehung ist das Vorhandensein der Grenz¬
membranen nicht ohne Bedeutung. Es kann hierdurch ein Er¬
krankungsprozeß auf die perilymphatischen Spalträume im Bereich
der Pars superior beschränkt bleiben. Eine erhebliche Widerstands¬
fähigkeit kommt den erwähnten Membranen jedoch nicht zu. Es
wird von einem Beschränktbleiben nur dort die Rede sein können,
wo der pathologische Prozeß von vornherein keine besondere Neigung
zu einer weiteren aktiven Ausbreitung zeigt.
Im tierischen inneren Ohr findet man mitunter frische peri¬
lymphatische Blutungen. Sie treten besonders beim Äthertod auf und
sind als agonale Blutungen anzusehen. Diese Blutungen zeigen
häufig eine Begrenztheit nach der durch die perilymphatischen Septa
gegebenen Ausdehnung. Die mechanische Widerstandsfähigkeit der
Septa spielt jedoch hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Es handelt
sich hier eben um agonale Blutaustritte, wobei eine weitere Aus¬
breitung der Blutungen nicht so sehr durch die Septa, als den ein¬
tretenden Tod gehindert wird. Doch hat de Burlet umschriebene
perilymphatische Labyrinthblutungen an zentrifugierten Versuchs-
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680
G. Alexander.
tieren gefunden, wobei sich zeigte, daß sich das Blut hinter der
Grenzmembran staute und dieselbe teilweise aufbauscht.
Eine größere mechanische Widerstandsfähigkeit kommt
wohl nur der Grenzmembran vor der sagittalen Ampulle zu, be-
besonders dahingehend, daß eine Erkrankung im Gebiet der Vorhof-
zysterne längere Zeit beschränkt gehalten wird. Aber auch hier
dürfte es sich nur um Prozesse handeln, die an sich überhaupt
keine oder nur eine geringe Neigung zur weiteren Ausbreitung
zeigen. Bei foudroyanter Labyrinthentzündung, bei akuter lympho¬
matöser Labyrinthblutung u. f. f. macht der pathologische Prozeß
für längere Zeit kaum jemals an den Grenzmembranen halt. Be¬
sonders bei leukämischen Labyrinthblutungen findet man nicht
selten die perilymphatischen Septen ebenso zerrissen, wie manche
Wandteile des membranösen inneren Ohres, so besonders die Mem¬
brana vestibularis.
Der Unterschied in der Ausbildung des perilymphatischen
Gewebes der Pars superior und der Pars inferior und der Unter¬
schied in der Widerstandsfähigkeit der häutigen Wände selbst
äußert sich auch in Fällen von Erkrankung. Bei allen Er¬
krankungen, bei welchen sich Veränderungen ergeben, die den
Ausgangspunkt für einen endolymphatischen Überdruck bilden, kann
man beobachten, daß sich sehr rasch weitgehende Ektasien der
Pars inferior entwickeln, während die Pars superior in denselben
Fällen keine oder nur eine geringe Erweiterung (meist fast lediglich
im Ausmaße des flaschenhalsförmigen Teiles des Utrikulus) zeigt.
Die höchstmögliche Ektasie der. Pars superior ist nach ihrem ge¬
ringen Grade mit den typisch hochgradigen Ektasien der Pars
inferior und der Schnecke gar nicht vergleichbar. Diese letzteren
können an Lumen so bedeutend gewinnen, daß durch die endo¬
lymphatischen Anteile die der Pars inferior entsprechenden Hohl¬
räume der Innenohrkapsel gänzlich ausgefüllt werden, außerdem sich
noch unregelmäßig verlaufende Divertikel bilden und die Zysterna
perilymphatica vestibuli vollständig aufgegeben erscheint. So hoch-
g r a d i g e E r w e i t e r u n g e n kommen im Bereich der
Pars superior niemals vor und diese Tatsache i3t
zu erklären aus der verhältnismäßig bedeutenderen
Dicke und der diffusen Fixation der Wandteile
derPars superior g e g e n d i e Wa n d d ü n n e unddie
elastische Freispannung der Hauptwände der
Pars inferior. Gerade die vollständige Fixation der medialen
Wand des Sakkulus, des Ductus reuniens und des Vorhofblindsacks
führt dazu, daß die völlig freistehende dünne periphere Wand sich bis
zur Bildung hochgradiger Ektasien und Divertikel ausbilden kann.
Auch bei akuten Blutungen in das innere Ohr lassen sich Ver¬
schiedenheiten in der Reaktion der häutigen Wände auf die ein-
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Die Endigung des Cortischen Organs am Vorhofblindsack.
681
strömende Blutwelle feststellen, die ans der Anordnung des peri¬
lymphatischen Gewebes folgen. In Fällen von hämorrhagischer
Diathese, im Verlaufe von Lymphomatösen kommt es mitunter zu
apoplektiformen Blutungen ins innere Ohr. Im Verlaufe dieser
Blutungen kommt es gewöhnlich im Bereich der Pars inferior zu
einem Einreißen der elastisch gespannten häutigen Wände, besonders
oft der peripheren Sacculuswand und der Membrana vestibularis,
seltener der Membrana basilaris. Im Bereiche der Pars superior
werden dagegen Zerreißungen fast nie angetroffen, dagegen
häufig Kompressionen, namentlich im Gebiete der Bogengänge nach
der Zerstörung des perilymphatischen Bindegewebenetzes durch die
Blutungen. Man findet daher häufig bei akuten Blutungen in das
innere Ohr die Wände der Pars superior normal erhalten oder durch
die perilymphatischen Blutungen bis zur Obliteration der endo¬
lymphatischen Bäume komprimiert, die Wände der Pars inferior
dagegen gerissen oder gedehnt.
Einer auffallenden Tatsache sei noch Erwähnung getan. Ent¬
wickeln sich im Zuge der Ausheilung einer Entzündung des inneren
Ohres bindegewebige, später verknöchernde Schwarten, so findet
man nur höchst selten, daß diese in der Flucht der labyrinthären
Grenzmembranen gelegen sind. Ein nach seiner Lage geradezu als
typisch auffallendes Septum nach Ausheilung von Entzündungen ist
an einer Stelle gelegen, an welcher normalerweise nicht das ge¬
ringste intermediäre perilvmphatische Gewebe zu finden ist. Es ist
das in Fällen von ausgeheilter Labyrinthentzündung ziemlich häufig an¬
getroffene bindegewebige, teilweise oder ganz verknöcherte Septum
vestibulo-cochleare. Dieses führt, am Übergang der Zysterna
perilymphatica vestibuli in die Scala vestibuli gelegen, je nach
seiner Ausdehnung zu einer teilweisen oder vollständigen Trennung
des Vorhofes gegen die Schnecke und entwickelt sich typisch an
einer Stelle, an der normalerweise der freieste Zusammenhang zwischen
Vorhof und Schnecke besteht.
Zusammenfassung.
1. In der Anordnung des perilymphatischen Gewebes der Pars
superior und der Pars inferior besteht ein grundlegender Unterschied.
Das perilymphatische Gewebe der Pars superior dient der Wand¬
verstärkung und der Fixation der Wände. An der Pars inferior
dagegen wird eine elastische Spannung der freien Wände gegenüber
einer durch solide Bindegewebelager vollständigen Fixation der dem
Knochen nahen Wände erzielt.
2. Die großen zusammenhängenden perilymphatischen Räume
im Bereiche der Pars inferior sind durch Scheidewände (Grenz¬
membranen) gegen die spaltförmigen perilymphatischen Bäume der
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682 G. Alexander. Die Endigung des Cortisehen Organs am Vorhoflilindsaek.
Pars superior getrennt. Die Trennung läßt in manchen Fällen einen
geringen Zusammenhang übrig, in anderen besteht ein Zusammen¬
hang überhaupt nicht.
3. Es besteht auch meist kein Zusammenhang zwischen dem
Aquaeductus vestibuli und den perilymphatischen Rämen der Pars
inferior, da auch an seiner Abgangsstelle sich zumeist ein Septum
findet.
4. Das am meisten konstante Septum findet sich vor der sagit-
talen Ampulle, ein zweites lateral und nach hinten von der Crista
vestibuli.
5. Durch die normale Abgrenzung der perilymphatischen
Räume der Pars inferior und der Pars superior und durch die be¬
sondere Lagerung der Macula sacculi wird die Tatsache illustriert,
daß das Endorgan in der Schnecke primär durch Bewegungen
der Perilymphe, die Endorgane im Labyrinth durch Bewegung der
Endolymphe ihren adäquaten Reiz erhalten.
6. Die perilymphatischen Septa sind in gewissem Sinne ein
Schutzapparat, der verhindert, daß perilymphatische Wellen, die
auf das Endorgan der Schnecke zu wirken haben, einen Labyrinth¬
reiz verursachen.
7. Die Enge des Ductus reuniens hat zur Folge, daß durch die
endolymphatischen Bewegungen bzw. Strömungen, dem ädaquaien
Reiz für das Labyrinth, nicht der Kochlearapparat in Erregungs¬
zustand versetzt wird.
8. Die mehr diffuse Fixation der Pars superior hat zur Folge,
daß die häutigen Wände der Pars superior in Krankheitsfällen ihre
Lage behalten oder nach Lösung der Ligamente durch Kollaps der
Wände oder Kompression das endolymphatische Lumen zu bestehen
aufhört. Dagegen hat die umschriebene aber an diesen Punkten sehr
feste Fixation der Wandteile der Pars inferior und die Wanddünne
der freien Teile zur Folge, daß bei endolymphatischer Druck¬
steigerung die dünnwandige Pars inferior zur Ektasie neigt und bei
apoplektiformen Blutungen wie auch bei Traumen leicht Einrisse an
den frei ausgespannten Wandteilen auftreten.
9. Ein physiologisch funktionierendes C o r t i sches Organ ist
im Ausmaße des Schneckenkanals nur so weit zu finden, als die
Membrana basilaris frei Über der Scala tympani ausgespannt ist.
Mit der Unterschiebung des soliden Bindegewebelagers im Bereiche
des Vorhof blindsacks schwinden die Haarzellen des C o r t i sehen
Organs.
* *
•*
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Tafel I
Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 9./10. Heft
n. Alexander. Die Endigung des Cortischen Organs am Vorhoftilindsaek.
Verlag von Ibeti:, Berlin und Wien
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Druck R. Spirs & Co. Wien V
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k
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 9./10. Heft Tafel II
G. Alexander. Die Endigung des Oortischen Organs am Vorhofblindsaek.
Lspo
Fig. 3.
Fig. 4.
Verlag von
Berlin und Wien
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UNivMfr
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 9./10. Heft
Tafel III
vögi 1 «# to.GkQiugl£ R ,
Berlin und Wien
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UNIVflWffl 6 ÖW.flFöftmÄ
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 9.10. Heft Tafel IV
G. Alexander. Die Endigung des Cortischen Organs am Vorhofblindsaek.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 9 ./ 10 . Heft Tafel V
O. A 1 o x a n (l 0 r. Die Endigung des Cortiselien Organs am Vorhofblindsack.
Original ffom
U l\l IV E RStT RWftft v
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W. Brock. Drei neue Fälle von persistierender Arteria stapedia. 683
Erklärung der Abkürzungen der Tafelflguren.
a Stelle des Ineinanderflusses der
beiden knöchernen Spirallamellen.
Csp Crista spiraiis.
Cv Caecuni vestibuläre.
De Ductus cochlearis.
Dr Ductus reuniens.
Dri Fixierte Wand des Duct. reun.
Fc Fenestra cochleae.
Gsp Ganglion spirale.
Gvi Ganglion vestibuläre inf.
Lsp Ligamentum spirale.
Fspo Lamina spiraiis ossea.
Lsps Lamina spiraiis ossea secundaria.
Ms Macula sacculi.
Mt Membrana tectoria.
Mto Membrana tympani sec und.
Mv Membrana vestibularis.
P Promontorium.
Pbc Papilla basilaris cochleares.
Rs Ramulus sacculi.
S Sacculus.
S\ Freie Wand des Sacculus.
St Scala tympani.
Stv Stria vascularis.
V Vorhof.
v Vorhofboden.
Aus der Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten
in Erlangen (Prof. Dr. Scheibe).
Drei neue Falle von persistierender Arteria stapedia
beim Menschen.
Von Prof. Dr. W. Brock, Oberarzt der Klinik.
(Mit 1 Figur.)
Gelegentlich der Untersuchung von Tanbstummenlabyrinthen
fand ich in 3 von 2 Individuen stammeuden Felsenbeinen in der
Pauke ein sonst beim Menschen nicht vorkommendes Gefäß, das
wegen seines Verlaufes durch die Steigbügelschenkel den Namen
Arteria stapedialis oder Arteria stapedia erhalten hat.
Präparat Nr. 1 (s. Fig.) stammt von einem in frühester Jugend
nach Genickstarre ertaubten Jungen, den ich in der Nürnberger
Taubstummenanstalt genau zu untersuchen Gelegenheit gehabt habe.
Der Junge war absolut taub, kalorische und Drehreaktion war erloschen;
Trommelfell, wie überhaupt die Mittelohrräume, waren normal. Man
sieht auf. dem Schnitt durch die Fenstergegend der Pauke (s. Fig.) das
Gefäß über das Promontorium nach oben, durch die Steigbügel¬
schenkel hindurch und in den Fallopischen Kanal ziehen. Wie sich
an Hand der Serienschnitte verfolgen läßt, verlänflt das Gefäß im
Fallopischen Kanal weiter bis in die Gegend des Ganglion geniculi.
Noch vor demselben verläßt das Gefäß den Fallopischen Kanal wieder,
tritt in einem eigenen Knochenkanal ein und zieht nun schräg nach
lateral und vorn, um in der Gegend der Fissura petro-squamosa den
Knochen zu durchbrechen und in die Dura der mittleren Schädel-
grobe einzutreten. Seinen Ursprung nimmt das Gefäß, wie sich eben¬
falls an der Hand der Serienschnitte nachweisen läßt, aus der Carotis
interna während ihres Verlaufes durch das Felsenbein. Eine begleitende
Vene hat die Arterie nicht.
Monatsschrift f Ohrenheilk u. Lar«-Rhin. 66 . Jaltrg. 45
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Die beiden anderen Felsenbeine, in denen ich diese Arterie
gefunden habe, stammen von einem gleichfalls in der Jugend im
Anschluß an Genickstarre ertaubten 45jährigen Mann, der in der
hiesigen Chirurg. Klinik den konsumptiven Wirkungen eines Rektum¬
karzinoms erlegen ist. Auch bei diesem Falle nimmt das Gefäß seinen
Ursprung aus der Carotis interna; wendet sich sofort nach seinem
Abgang aus derselben scharf nach medial und hinten, durchbricht
den Boden der Eustachischen Röhre bzw. der Paukenhöhle und zieht
nun über das Promontorium, eingeschlossen in einen Knochenkanal
Fazialis
Arterin
stapedia
Steigbügel¬
köpf ehen
Steigbügel-
fußplatte
Promon
torium
Schnitt durch die Fenster. Salfuor R.
nach oben, durchsetzt die Steigbügelschenkel und tritt gleichfalls in
den Fallopischen Kanal ein. Der weitere Verlauf ist der gleiche wie
bei dem ersten Falle. Während bei dem Jungen das Gefäß sich nur
auf der einen Seite vorgefunden hat, findet es sich im 2. Falle auf
beiden Seiten.
Es handelt sich, wie ich nochmals besonders betonen möchte,
in den beiden Fällen nicht etwa um eine auf Entwicklungs¬
störung zurückzuführende Taubstummheit, sondern wie sowohl aus
der Anamnese als auch aus den Labyrinthveränderungen hervorgeht,
mit Sicherheit um erworbene, und zwar nach Abschluß der Ent-
Original frorn
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Drei neue Fülle von persistierender Arteria stapedia.
685
wicklung erworbene Taubheit. Irgend eine andere Entwicklungstörung
im Labyrinth oder in der Paukenhöhle als diese Arteria stapedia ist
nicht vorhanden.
Eine Arteria stapedia beim Menschen ist immerhin eine Selten¬
heit; bis jetzt sind in der Literatur erst 4 solche Fälle veröffentlicht:
2 von Hyrtl, 1 von Alexander und 1 von Lewin. (Genauere
Beschreibung meiner Fälle unter Berücksichtigung der einschlägigen
Literatur siehe bei Paul Gens: Inaugural-Dissertation. Drei neue
Fälle vonpersistierender Arteria stapediabeim Menschen, Erlangen 1921.)
Der 1. Fall Hyrtls weicht insofern von allen anderen ab als
hier die Steigbügelarterie nicht aus der Carotis interna, sondern aus
der Maxillaris interna entspringt. In allen anderen Fällen inklusive
der meinigen geht die Steigbügelarterie von der Carotis interna ab.
Auf die entwicklungsgeschichtliche und vergleichend anatomische
Bedeutung dieses Gefäßes näher einzugehen, würde zu weit führen.
Es sei hier nur erwähnt, daß es sich nach den Untersuchungen
Tandlers um das Fortbestehen eines Gefäßes handelt, das wie bei
den meisten Säugern so auch beim Menschen im Embryonalzustand
angelegt ist und bei einer großen Zahl von Säugern auch im post-
embryonalen Leben bestehen bleibt. Beim Menschen verschwindet
die Arteria stapedia bald wieder; normaler Weise beim menschlichen
Embryo von 70 mm Nacken-Steißlänge; Teile von ihr werden znm
Aufbau wichtiger Kopfarterien verwendet.
Es sei noch kurz erwähnt, daß die typische Form des Säuge¬
tierstapes, nach der er ja benannt ist, die Steigbügelform zurück¬
zuführen ist auf diese Arteria stapedia oder genauer gesagt auf das
Verhalten des embryonalen Stapes-Blastem, das sich rings um diese
Arteria stapedia anlegt.
Litoratnr: Hyrtl: Vergleichende anatom. Untersuchungen über daa
Gehörorgan des Menschen und der Säugetiere. Prag 1845. — Ders. : Neue
Beobachtungen aus dem Gebiet der menschlichen und vergleichenden Anatomie.
Med. Jahrb. des österr. Staates. Wien 1836. — Tandler: Zur vergleichenden
Anatomie der Kopfarterien des Menschen. Denkschrift d. k. Akad. d. Wissensch.
in Wien. Bd. 67, 1898. — Alexander: Ein Fall von Persistenz der Arteria
stapedia beim Menschen. Mschr. f. Ohrenhlk. 1893, Nr. 7. — Lewin: Das Vor¬
kommen von Persistenz der Arteria stapedia beim Menschen und die vergleichende
anatomische und entwicklungsgeschichtliche Bedeutung dieses Phänomens. Arcb. f.
Ohrenhlk. Bd. 70.
45*
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686
Leo Deutsch.
Aus der Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten
(Vorstand: Prof. Dr. Heinrich N e u m a n n).
Über Lidödem bei Erkrankungen des Ohres.
Von Dr. Leo Deotseh, Aspirant der Klinik.
• Das Lidödem als Komplikation entzündlicher Ohrerkrankungen
wurde bisher fast gar nicht einer eingehenden Darstellung gewürdigt,
wenn auch Friedenberg in seinen Erörterungen über den diagnosti¬
schen und prognostischen Wert der Augensymptome bei otitischen Er¬
krankungen einen Abschnitt dem „Lidödem“ widmet. Ferner geben
U t h o f f und Hölscher statistische Daten über das Vorkommen
von Lidödem bei der Thrombose des Sinus cavernosus an. Schließlich
beschäftigt sich Kümmel mit diesem Symptom anschließend an die
Publikation zweier Fälle von Sinusthrombose. Im allgemeinen jedoch
begnügen sich die Autoren (Politzer, Brieger, Jansen, Körner,
Urbantschitsch u. a.) bei Besprechung der von Lidödem be¬
gleiteten OhrafEektionen auf das in Rede stehende Symptom hinzuweisen.
Der diagnostische Wert dieses vieldeutigen Symptoms, die Ursache des
Auftretens und der Entstehungsmechanismus wurden bisher nicht
systematisch erörtert.
Das otogene Lidödem kann zwei voneinander grundsätzlich ver¬
schiedene Typen zeigen:
а) den Typus des kollateral entzündlichen Ödems,
б) den Typus des Stauungsödems bei behindertem Abflüsse des
Blutes aus der Orbita.
Das kollateral entzündliche ödem kann seine engere Ursache
haben in:
1. einer Entzündung des Gehörganges (Otitis externa diffusa
oder tiefsitzender Furunkel),
2. einem vom Ohre ausgehenden Erysipel vor Auftreten der Rötung
der Haut,
3. einer ödematösen Schwellung am Warzenfortsatz (Periostal¬
abszeß).
4. einer Zygomatizitis,
5. einer Retention nach einer Operation am Warzenfortsatz bei
primären W r undschluß und Wundinfektion,
6. kommen schließlich osteomyelitische Prozesse der Schädel¬
kapsel als ganz seltene Ursache in Betracht.
Keine Schwierigkeiten wird die Erkennung des Zusammenhanges
zwischen Lidödem und Ohr bieten, wenn sich die am Planum mastoideum
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Über Lidöclcm bei Erkrankungen des Ohres.
687
oder sonst in der Ohrgegend etablierte Schwellung kontinuierlich auf
das Lid fortsetzen. Häufig jedoch, besonders in beginnenden Fällen,
besteht zwischen der Schwellung in der Gegend des Ohres uiid der des
Auges ein freies unbeteiligtes Spatium. Dann allerdings müssen — bevor
das Ohr als Ursprungsherd angenommen wird — andere Ursachen aus¬
geschlossen und weitere Momente ins Auge gefaßt werden, die ein Lid¬
ödem hervorrufen können. Es können ja neben der Ohrerkrankung
vorliegen:
a) eine lokale Augenerkrankung bzw. lokale Hautinfektion,
b) eine Nephritis,
c) ein Q u i n k e sches Odem,
d) eine Nasennebenhöhlenaffektion,
e) eine Zahnperiostitis.
Differentialdiagnostisch ist hierzu zu bemerken: die Entzündung
einer Nebenhöhle der Nase (es handelt sich hauptsächlich um den Sinus
frontalis oder ethmoidalis) setzt ihr ödem meist am Oberlide. Das ödem
tritt nur im Verlaufe jener schweren akuten bzw. akutexarzerbierten
Fälle auf, wo die subjektiven Symptome (Schmerzen, Druckempfindlich¬
keit, Klopfempfindlichkeit) ohnehin auf die Lokalisation der Erkrankung
hinweisen. Abgesehen davon wird eine rhinologische Untersuchung in
den meisten Fällen Klarheit in die Diagnose bringen. Ein Lidödem, das
seine Ursache in einer Zahnperiostitis hat, wird diagnostisch kaum
Schwierigkeiten machen. Das Q u i n k e sehe ödem ist fast ausnahmslos
beiderseitig, sehr flüchtig, oft nur Stunden andauernd, ferner sehr häufig
syndromal mit Urtikaria. Die Nephritis macht zuerst ödem des Unter¬
lides — analog dem beginnenden Erysipel. Es wird also besonders ein
beginnendes Erysipel die Diagnose „Nephritis“ verschleiern können
und vice versa eine Nephritis Anlaß zur Fehldiagnose: vom Ohre aus¬
gehendes Erysipel geben. Für beide Erkrankungen ist ja das Auftreten
des Lidödems am Unterlide charakteristisch, dort, wo die außerordent¬
liche Schlaffheit des Unterhautzellgewebes, oberhalb der Wangenlid¬
furche Ödemen gestattet, sich sehr leicht auszudehnen. In den meisten
Fällen wird jedoch dem Untersucher gelingen, die Nephritis wegen ihrer
distinkteren sonstigen Symptome auszuschließen bzw. zu diagnostizieren.
Es muß eben nur an die Niere als eventuelle Ursache gedacht werden,
um keine Fehldiagnose zu begehen.
Die Möglichkeit derartiger Fehldiagnosen besteht besonders dort,
wo schon a priori das Interesse auf ein bestimmtes Gebiet konzentriert
ist, also in der fachärztlichen Tätigkeit. Hier kann eine einseitige Ein¬
stellung, wenn sie durch vorgefaßte Meinung verstärkt ist, besonders
leicht Fehldiagnosen obiger Art zeitigen.
Vielleicht tut man am besten daran, das Symptom „Lidödem“
zuerst so ins diagnostische Kalkül zu fassen, als ob keine Ohrerkrankung
vorläge. Erst nach Beurteilung aller Eventualitäten, denke man an die
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688
Leo Deutsch.
otogene Ursache, um nicht eine vorhandene andere Veranlassung der
Lidschwellung zü übersehen.
Größere Schwierigkeiten bezüglich der Erkennung der Ursache
können sich ergeben, wenn es im postoperativen Verlaufe nach Operationen
am Warzenfortsatz zur Bildung eines Lidödems kommt. Ein derartiger
Zwischenfall ereignet sich besonders bei primärem Wundschluß, wenn
unter der Naht Retention eintritt, die zu einer Temperatursteigerung
und zur Ausbildung eines kollateral entzündlichen Lidödems Anlaß gibt.
Diese Symptome isoliert betrachtet, müssen uns an die Komplikation
von seiten des Venenapparates (Blutleiter Vena facialis) denken lassen,
da ja Lidödem, plötzlicher Temperaturanstieg, Kopfschmerz usw.,
Symptome einer entzündlichen Affektion des Venenapparates sind.
Eine genauere Beobachtung des Falles, oft nur die Revision der Wunde
und Entfernung der Nähte wird den Operateur von einer Wundinfektion
oder Retension überzeugen und eventuell vor einem übereilten Eingriff
Abstand nehmen lassen. Meist wird dem erfahrenen Kliniker schon der
äußere Aspekt des Patienten (Fehlen der Facies septica, feuchte
Zunge usw.) auf die richtige Diagnose bringen.
Eine ganz seltene und nur der kasuistischen Vollständigkeit halber
liier angeführte Ursache des entzündlichen Ödems sind osteomyelitische
Prozesse der Schädelkapsel. Der auf der Klinik Prof. Dr. H. Neumann
beobachtete Fall einer derartigen Osteomyelitis Zeigte folgenden
Krankheitsverlauf:
F. D., 16 Jahre alt. Am 27. April 1920 Aufnahme auf die Klinik N e u m a n n.
(Vorgestellt in der Österreichischen otologisehen Gesellschaft. Sitzung vom Mai 1920
durch Doz. Beck.)
Als Kind Masern und Scharlach. Seither Ohrfluß, der aber durch Jahre
sistiert war. Vor 2 Jahren am 1. O. neuerlich Auf flackern der Eiterung. Vor 4 Tagen
starke Schmerzen und heftiger Ohrfluß links; gestern und heute Schüttelfrost und
Erbrechen. Temperatur bei der Aufnahme 39‘2.
L. O.: Sehr mächtige fötide Sekretion. Cholesteatom. Perforation im h. o.
Qa idranten. Druckschmerzhaftigkeit über dem ganzen Warzenfortsatz, die fast
gegen die Medianlinie nach hinten, bis in die Höhe des oberen Ohrmuschelrandes
nach oben, halben Halshöhe nach unten reicht. Großes ödem hinter der Ohrmuschel.
R. O.: Normal.
Gehör 1. V = a. c. Einige Schläge Einstellungsnystagmus bei Linksblick.
Kein Fistelsymptom. Kalorische Reaktion: typisch.
Operation (Doz. Beck). Totalaufmeißelung. Der Knochen des W. F,
grünschwarz verfärbt, in den Zellen freier Eiter. Äußerst fötider Geruch. Im Mittel -
ohr und Attik verjauchtes Cholesteatom. Gehörknöchelchen nicht zu finden, Dura
im Bereich der Radikaloperationshöhle freigelegt. Freilegung des Sinus, der von
mißfärbigen, eingeschmolzenen Knochen bedeckt ist. von nahe dem Bullus bis
zirka 4cm oberhalb des Petrosuswinkels. Seine Wand verfärbt, eitrig belegt, an
manchen Stellen grünlich. Gegen den Bulbus zu wird keine gesunde Sinuswand
erreicht. Die dem Sinus anliegende Dura im Bereiche der mittleren Schädelgrube,
sowohl medial als auch lateral vom Sinus, stark paehymeningitisch verändert, so
daß an der Außenfläche des Kleinhirns die Grenze zwischen Sinus und Dura nicht
zu erkennen ist. Torkularwärts wird anscheinend gesunde Sinuswand erreicht,
rnterbindung der Vena jugularis interna. Am vorderen Rande der Musculus sterno-
cleido liegt eine sein breite blutgefüllte, von der Tiefe gegen die Haut wangenwärts
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Über Lidödem bei Erkrankungen des Obres.
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ziehende Vene, die beim Präparieren nach uüten in die Verna facialis communis
einmündet. Letztere geht aber sehr tief in die Jugularis und sendet einige ziemlich
breite Venen gegen die Xackengegend, die die Jugularis int. kreuzend, dieser direkt
auf liegen. Die Vena facialis communis selbst teilt sich 1 cm oberhalb der Ein¬
mündungsstelle in die Jugularis. Unterbindung dieser Venen. Oberes Jugularisende
wenig bluthältig. Die Jugularis wird an der Haut fixiert. Inzision des Sinus ergibt
Blutung. Ein Thrombus wird nicht gefunden und auch ein solcher nicht mit dem
Blutstrom herausgesehleudert gesehen. Vom oberen Sinusende Blutung in vollem
Strahl. Tamponade. Blutversorgung.
Bakteriologischer Befund: Blut aus dem Sinus: Staphylo¬
kokken und ein kurzer Streptokokkus. Blut aus der Armvene: steril.
In den nächsten 2 Tagen Schüttelfrost. Temperatur bis 40*2. Verbandwechsel:
Ohei es Jugularisende bluthaltig. Die den Sinus deckenden Tampons riechen aas¬
haft. Umgehende Weichteile nekrotisch. Aus dem unteren Inzisionsende des Sinus
Blutung. Der Knochen grün, äußerst fötid. Oberes Sinusende bluthaltig.
Augenbefund: Keine Stauungspapille. Normaler Befund.
1. V. Deutliches ödem des linken Oberlides. Die Kon¬
junktiven normal. Keine Protrusio bulbi. Patient schwer besinnlich. Links leichte
Fazialisparese im Mundast. Augenast wegen des Ödems, Stirnast wegen des Ver¬
bandes nicht prüfbar. V. W.: Aus dem Bulbus Blut, jedoch in geringer Menge. Mit
dem Löffel wird aus dem Bulbus ein Thrombus entfernt. Aus dem zentralen Ende
der Jugularis dunkles, tintenfarbenes Blut. Vom oberen Ende des Sinus Blut in
vollem Strahl. Weicht eil und Knochennekrose. Der nekrotische Knochen wild
mit der Lu er sehen Zange abgetragen. Im Thrombus reichlich Staphylokokken.
Kiekt ragolintra venös.
2. V. Seit gestern abends ist Patient schwer benommen. V. W.: Durchspülung
des Sinus von der Jugularis gelingt leicht. Vom oberen Sinusende gute Blutung.
Die Nekrose des Knochens und der Weichteile schreitet fort. Knochennekiose mit
der L u e r sehen Zange wieder abgetragen. Das obere Augenlid und die Konjunktiva
bulbi sind stark ödematos, doch keine Protrusio bulbi. Seit der Operation täglich
Temperatur von 37 bis 4Ü°. V*8 Uhr abends Exitus.
Obduktion (Prof. W i e s n e r). Diffuse Osteomyelitis des linken Scheitel-
und Stirnbeines und des Anfangteiles der Hinterhaupt schuppe sowie der rechten
Hälfte des Stirnbeines. Osteomyelitis der Sehädelbasiskncehen in der linken
mittleren und vorderen Schädelgrube. Thrombophlebitis der ein- und ausmündenden
Emissäre. Ferner bestand eine eitrige Konvexitätsmeningitis und eine Pacby-
meningitis externa und interna der mittleren Schädelgrube. Blander Thrombus
im rechten Sinus transversus. Jauchige Periostitis über dem linken Scheitelbein und
phlegmonöse Entzündung des Musculus temporalis.
Es ist wahrscheinlich, daß es sich hier um ein rein entzündliches
ödem infolge Ostitis und Periostitis des Scheitelbeines und phlegmonöse
Entzündung des Musculus temporalis handelte. Ob eventuell die Unter¬
bindung der Vene facialis communis und der Jugularis interna für die
ödematöse Schwellung am Lide mitverantwortlich zu machen sind, ist
kaum zu entscheiden. Am Krankenbette war die Deutung des Lid¬
ödems in diesem Falle nicht möglich.
Es w r urde eingangs betont, daß das entzündliche ödem und
das Stauungsödem zwei voneinander grundsätzlich verschiedene Typen
darstellt. Diese strenge Trennung kann wohl nur in bezug auf die Ent¬
stehung aufrecht erhalten werden. Klinisch betrachtet, wird sich das
entzündliche Lidödem in seinem Aussehen kaum vom sogenannten
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Leo D e u t s c h.
Stauungsödem unterscheiden lassen, besonders wenn das Odem des
Entzündungsherdes nicht kontinuierlich auf das Lid übergegrilfen hat.
Es wurde bei Besprechung des Lidödems im postoperativen Verlauf
bei primärem Wundschluß erwähnt, daß sich in diesen Fällen häufig
die Erkennung der Ursache des Ödems mit der Differentialdiagnose:
Komplikation oder nicht, deckt.
Das dort Gesagte gilt mutatis mutandis für alle Fälle, wo zwischen
Stauungsödem und entzündlichem ödem entschieden werden muß. Der
Untersucher wird, vor diese Aufgabe gestellt, sich nicht auf das eine
Symptom „Lidödem“ beschränken können, sondern wird erst mit Berück¬
sichtigung des gesamten Krankheitsbildes dies eine Symptom deuten
können. Die otogene Konvenienz des Lidödems vorausgesetzt, wird
die Entscheidung: kollaterales ödem oder Stauungsödem auf Grund
einer Thiombose.deninach oft nur nach Stellung obenerwähnter Differential¬
diagnose zu treffen sein.
Bevor auf die näheren Umstände, unter denen ein solches Stauungs¬
ödem am Lide entsteht, eingegangen wird, mögen die in Betracht
kommenden anatomischen Verhältnisse dargelegt werden. In eingehender
Weise sind die Venen des - Lides von Langer und Fuchs, die Anasto-
mosen der Orbital- und Gesichtsvenen von Gurwitsch studiert
worden. Ferner beschäftigt sich Sesemann, Merkl und G u r-
witsch mit der Frage, welche Richtung der Blutstrom in der Ophthal-
mika habe. Unter den Otiatern glaubt Hansen auf Grund seiner
otölogisehen Erfahrungen eine Entscheidung in dieser Frage treffen
zu können. Nachfolgenden anatomischen Darstellungen liegen obige
Arbeiten zugrunde.
Die Venen des Lides tauchen etwas oberhalb des freien Lidrandes
als sehr zarte Ästchen auf, vereinigen sich zu einigen Stämmehen, die
mehr oder weniger gerade nach oben ziehen; 3 bis 5mm oberhalb des
freien Lidrandes vereinigen sie sich zu einem groben Netzwerk, um
schließlich als Vena palpebralis interna bzw. externa das aus Haut, dem
Musculus orbicularis oculi, dem Tarsus nebst Tarsaldrüsen und aus dem
freien Lidrande gesammelte Blut den Venen des inneren bzw. äußeren
Augenwinkels zuzuführen. In die Venae palpebrales münden Gefäße
(Conjunctivales anteriores), die das Blut aus dem Tarsalteil der Kon-
junktiva, der Konjunktiva der Übergangsfalte und dem größten Teil der
Skleralbindehaut abführen. Ein kleiner, die Hornhaut umgebender Teil
der Skleralbindehaut sendet sein Blut durch die Venae conjunctivales
posteriores in die vorderen Ziliarvenen, d. h. in das System der Ophthal -
mika.
Die Venae palpebrales münden, wie oben bereits erwähnt, im
äußeren bzw. inneren Augenwinkel in die abführenden Gefäße. Die Ein-
nnindungsstellen sind Venenknotenpunkte, und zwar vereinigen sich
am inneren Augenlid die Venae frontalis, supraorbitalis, angularis
(Anfangsteil der Vena facialis) und die Vena ophthalmica. Am äußeren
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Über Licbxlein bei Erkrankungen des Ohres.
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Augenwinkel befindet sich der Kommunikationspunkt für die Vena
temporalis superficialis, media und den anastomosierenden Ast der
supraorbitalis. Diesen zwei Vereinigungspunkten streben die Venen
des Lides zu.
Die Vena angularis stellt eine der Verbindungen der Gesichtsvenen
mit den Orbitalvenen dar. Außer dieser Anastomose werden dadurch,
daß der Plexus pterigoideus und die ophthalmofacialis (W alter) die
Vena facialis mit der Vena ophthalmica inferior verbinden, weitere
kollaterale Abflußwege geschaffen. Ferner bestehen zahlreiche Ver¬
bindungen zwischen den Venen des äußeren und inneren Augenwinkels
durch die Lidvenen selbst und weitere Anastomosen sind durch die Vena
frontalis gegeben, die die Venen der einen Gesichtsseite mit denen der
anderen Seite verbindet.
Die Frage, ob die Gesichtsvenen ihr Blut in die Orbita entleeren,
ferner, ob die Vena ophthalmica ihr Blut in den Sinus cavernosus oder
in die Venen des Gesichtes schickt, ist vielfach diskutiert worden. Fest¬
stehend und außer Diskussion scheinen folgende anatomische Details.
An der Einmündungsstelle der Angularis in die Ophthalmika finden
sich Klappen. Die Vena ophthalmica selbst ist klappenlos, der Blutstrom
in der Ophthalmika also an keine bestimmte Strömungsrichtung
gebunden.
Die Ansicht, daß der Abfluß aus der Vena ophthalmica in die
Schädeldecke erfolgt, scheint besser fundiert zu sein und wird damit
begründet, daß sämtliche Zuflüsse der Ohpthalmika in einem nach hinten
gerichteten spitzen Winkel einmündend, die Richtung des Abflusses
angeben. Gegenteiliger Ansicht ist Sesemann, der aus einer Ver¬
engung der Ophthalmika an ihrer Einmündungsstelle in den Sinus
cavernosus schließt, daß das ganze Blut der Orbita in die Vena facialis
ströme. Wenn nun auch die reichen Anastomosen der Gesichtsvenen mit
den Orbitalvenen hauptsächlich die Bedeutung haben, dem Blut der
Orbita für alle Fälle einen Ausweg zu sichern, so wird doch andrerseits
von prominenter Seite bemerkt, daß wohl nicht das ganze Blut der Wange,
Stirne und der Augenlider in das Augeninnere, aber doch ein Teil dahin
abfließen könne, so daß also bei etwaigem Verschluß und insuffizienten
Kollateralwegen das Blut der Augenlider und des Gesichtes a u c h i n
die Orbita abgeführt werden kann.
Bei so reichlich vorgesehenen Abflußmöglichkeiten scheint es bei
theoretischer Überlegung unwahrscheinlich, daß ein bloßer Verschluß
eines einzigen Abflußweges ohne Mitbeteiligung der Lidvenen schon
Lidödem herbeiführen könne. Nun führt aber Brieger einen Fall von
Lidödem auf die Thrombose des Sinus petrosus allein zurück, unter der
zwar selten gegebenen, aber durch Angabe Merkels immerhin unter¬
stützten Voraussetzung, daß die Ophthalmika mit dem Sinus petrosu
in direkter Verbindung steht. Im Gegensatz zu Brieger behauptet
N a v r a t i 1, daß die Thrombose des Sinus petrosus superior symptomlos
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Leo Den t 8 c h.
verlaufe und auch Kramm und Beyer berichten in demselben Sinne.
Dennoch erscheint die Erklärung B r i e g e r s akzeptabel, da, obige
anatomische Varietät angenommen, die Möglichkeit des Übergreifens
des phlebitischen Prozesses auf die Orbitalvenen nicht von der Hand
zu weisen ist. Sehr problematisch dagegen scheint die Erklärung
Mann s für das Auftreten des Lidödems bei einer in betreff auf den
Sinus unkomplizierten Otitis media acuta. Er sagt nämlich: Durch
kollaterales ödem vom Mittelohr bzw. vom Kuppelraum aus, war der
Plexus caroticus verschlossen und die Stauung habe sich von hier auf
den Sinus cavernosus und die Orbitalvenen fortgesetzt.
Es ist schwer vorstellbar, daß eine so geringe Rückstauung schon
genügen sollte, um ein Lidödem hervorzurufen, zumal da Tierexperimente
von Ferrari vorliegen, der nach völliger Verstopfung selbst des Sinus
cavernosus keine Stammgserscheinungen provozieren konnte. Allerdings
schaffen Experimente nicht immer dieselben Bedingungen, wie die Er¬
scheinungen am Krankenbette. Es fehlen vor allem die gefäßschädigende
Komponente der Sepsis und die eventuelle Mitbeteiligung des peri¬
vaskulären Gewebes an den entzündlichen Vorgängen.
Nach K ü in m e 1 soll die Sepsis allein durch bloße Gefäßwand-
Schädigung imstande sein, ein Lidödem zu verursachen. Toxinämi als
alleinige Ursache des Lidödems gibt Kümmel bei Besprechung seines
Falles III. an. Diese Erklärung ist natürlich eine hypothetische. Wir waren
nie veranlaßt, bei unseren Fällen eine derartige Ursache als dominierende
herbeizuholen. Die Deutung des Lidödems ergab sich zwanglos aus der
Tlirombophletitis der Vene, d. h. es wurde die mechanische
Behinderung des Abflusses kombiniert mit ent¬
zündlichen Vorgängen als Ursache des Lidödems
a n g e ii o m men.
Drei Fälle von Lidödem bzw. ödem der Wange bei Thrombo-
phletitis der Vena facialis, die an der Klinik Prof. Dr. Neu mann
beobachtet wurden, seien hier angeführt:
Fall I. (Vorgestellt in der Österreichischen otologischen Gesellschaft. Juni 1020
durch Assistenten Dr. Sehl a n d e r.)
Maria H.. 14 Jahre alt, am 5. V. 1020 auf Klinik aufgenommen. Am 6. V.
wegen akuter Mastoiditis des rechten Ohres operiert. Die bereits 2 Tage vor der
Operation bestandenen Fiebertemperaturen von J9 bis 30*4 gehen nach der Aus¬
räumung des W. F. zur Norm und bleiben normal durch 10 Tage. Am 2. Tage nach
der Operation Fieberanstieg bis 38*9 mit* Schwindel, Erbrechen und Kopfschmerzen.
Objektiv zeigte die Patientin einen großen rotatorischen Nystagmus zur gesunden
Seite, schwächeren zur operierten Seite. Weber im kranken Ohre, v (m. L. A.)
hört Patientin durch den Verband durch. Fieberkurve pyämisch bis 39*8. Zu den
Lahvrinthsymptomen, die unverändert bleiben, gesellen sieh am dritten Tage
heftige Schluekbesehwerden bei vollkommen normalem Halsbefunde. Heim V. W.
wird der nekrotisch aussehendc Sinus sigmoideu.s inzidiert und erweist sich als
thrombosiert. Ligatur der thrombotischen Vena iugularis unterhalb der Vena
facialis communis. Diese selbst wird doppelt ligiert und durchtrennt. Ausräumung
des Ninusbulbiisjugularisthmmhosus. Zwischen dem vorderen Sinusrande und der
Hogengangpromisnenz erweichter Knochen, der entfernt wird. Nach der Operation
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Über Lidödem bei Erkrankungen de« Ohres.
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lieljort Patientin weiter pyämisch. Am dritten Tag nach der Jugularisligatnr trit t
unter prodromalen 8 e h in erze u und 8 t e e h e n i n d e r r e c h t e n
G es ichtshälfte u n d im rechten Auge ei n a u s g e d e h n t e s
Ödem der rechten G e s i e h t s h ä 1 f t e und des rechten O b e r-
1 i d e s auf. Bulb usbewegungen und Visus nicht gestört. Das
Odem klingt nach .sechstägigein Bestände zur ^orm ab, Temperatur subtehril.
8 Tage nach Abklingen des ersten Ödems stellt sich abermals unter heftigen
Augenschmerzen und leichter Temperatursteigerung bis 379 ein Lid ödem ein,
begleite t von s t a r k e r V h e m o s i s. Der rechte Bulbus scheint nach außen
verdrängt, ist jedoch während der ganzen Dauer des Ödems frei beweglich. Keine
•Sehstörungcn. Nach 4 Tagen bildet sieh das Ödtun wieder völlig zurück.
Xaeh 3 hesehwerdetreien Tagen, nochmaliges Ödem des rechten Oberlides,
das nach 2 Tagen wieder verschwindet. Patientin seither beschwerdefrei, afcbril.
Operationswunde granulierend.
Die Ursache des Lidödems liegt in diesem Falle nicht allein in der
Abflußbehinderung, sondern auch in der Thrombophletitis der Vena
facialis und der Lidvene. Denn das Moment der mechanischen Be¬
hinderung des Abflusses kann unmöglich allein Schuld an der Ödem¬
bildung sein, da in so zahlreich an der Klinik operierten Fällen mit Unter¬
bindung: der Vena facialis kein Lidödem auftritt. Die schief durch das
Zellgewebe der Wange verlaufende Vene zeichnet sich durch eine große 1
Neigung zu thrombotischen Prozessen, zu eitrigem Zerfall und zu
throinboembolischen Metastasen aus (Hüte r). Die Unterbindung des
Gefäßes wird bei der bestehenden Disposition der Vene für das Entstehen
derartiger Prozesse ein unterstützendes Moment abgeben. Daß es sich
im obigen Falle nicht bloß um ein ödem infolge einer mechanischen
Behinderung des Abflusses handelte, sondern vor allem auch die Ent¬
zündung für das Auftreten des Ödems mitverantwortlich zu machen sei,
beweisen die subjektiven Beschwerden der Patientin, die die Vermutung
einer Phlebitis der Vena facialis rechtfertigen. Das nach Abklingen der
Erscheinungen zweimalige Wiederauftreten des Ödems deutet auf ein
Aufflackern des Prozesses hin, die begleitende Chemosis läßt auf eine
Mitbeteiligung der Konjunktivalvenen an der Entzündung schließen.
Die leichte Verdrängung des Bulbus nach außen, kann dahin gedeutet
werden, daß im inneren Augenwinkel das ödem infolge der zahlreicher
als überall vorhandenen Venen daselbst am stärksten war und den Bulbus
nach außen verdrängte. Nicht zu vergessen ist, daß in diesem Falle auch
die Vena jugularis interna unterbunden war, was zweifellos auf die
Bildung eines Ödems infolge Rückstauung in den Sinus cavernosus
fördernd wirkte. Wir hielten an der Diagnose Thrombose der Vena
facialis fest, trotz gegenteiliger Ansicht des Ophthalmologen, der aus der
Verdrängung des Bulbus auf eine Cavernosus thrombose geschlossen
hatte, wobei von unserer Seite angenommen war, daß eine Cavernosus
thrombose infolge retrobulbären Ödems eine bedeutendere Bewegungs-
einschränkung des Bulbus hätte zur Folge haben müssen.
Fall II. Johanna L., IT» Jahn» alt. Aufnahme am 14. IX. 1920.
4 Wochen alte akute Otitis links.Seit 3 Tagen Fieber. Aufnuhm.stemperatnr 40*2.
Kopfschmerzen. Erbrechen.
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Leo I) eu t s e l:.
L. O.: Äußere Teile normal, Senkung und ödematöse Schwellung der h. o.
Gehörgangswand. Behinderung des Tiefenblickes. W. F. an seinem hinteren Rande
druckempfindlich.
R. O.: o. B. Links v = 1 m. Weber ins kranke Ohr. Rinne negativ.
Schwabach verlängert. Typische kalorische Reaktion.
15. IX. starke Druckempfindlichkeit des W. F. an seinem hinteren Rande
und an der Spitze. Starke, nicht fötide Sekretion. Obere Gehörgangs wand gesenkt.
Trommelfell gerötet. Details und Perforation nicht sichtbar. Hohe Kontinua
bis 40*1. Kein Schüttelfrost.
Operation (Doz. R u 11 i n) am 15. IX.: L Antrotomie. An der Spi tze
eitererfüllte Zellen. Aus dem Antrum eitrigschleimiges Sekret. Sinusschale stellen¬
weise erweicht. Freilegung des Sinus gegen den Bulbus zu bis zirka I cm oberhalb
des oberen Knies. Peribulbärer Abszeß. — II. Freilegung der Vena jugularis am
Halse. Dieselbe ist bis zur Mitte zwischen Kieferwinkel und Apertur thrombosiert.
Unterbindung derselben im Gesunden. — IIL Exzision eines Stückes der Sinuswand.
Ausräumung eines roten Thrombus.
16. IX. Temperatur von 36*2 bis 39.
17. IX. Beim ersten Verband bereits Durchspülung des Bulbus. Temperatur
38*7 bis 37*3.
19. IX. Temperatur 40*4. Durchspülung und Lüftung des Tampons am oberen
Ende. Volle Blutung.
20. IX. bis 24. IX. Typisch pyämischer Verlauf. Interner Befund: Bronchitis.
Augenbefund: o. B.
24. IX. bis 1. X. keine Veränderung.
1. X. Temperatur etwas niedriger, intern: Bronchitis. Subjektives Be¬
finden gut.
2. X. Ödematöse Schwellung des linken oberen und
unteren A u g e n 1 i d c s. Temperatur 39*3.
3. X. Ödematöse Schwellung der linken Augenlider
u n d W a n g e, keine Chemosis, Temperatur 40*2. Am linken Unterarm ein Furunkel
seit zirka 8 Tagen bestehend, seit heute jedoch größer und schmerzhafter.
5. X. Temperatur 39. Augenbefund: Fundi normal. Lidödem von einer Ent¬
zündung der Tränendrüse herrührend. ( ? !)
6. X. Das Lidödem geht zurück, der Furunkel am Arm fluktuiert. Pneu¬
monische Herde im linken Lungenunterlappen.
Bis zum 18. bestehen noch hohe Temperaturen, dann entfiebert Patientin
ziemlich plötzlich und wird am 13. XI. geheilt entlassen.
Auch hier läßt sich konform mit Fall I das Lidödem auf eine
Thrombose der Gesichtsvene zurückführen. Die Vermutung auf eine
metastatische Entzündung der Tränendrüse dürfte kaum zutreffend
gewesen sein. Auch hier abermals Wange und Lid von ödem betroffen,
allerdings bei fehlender Chemosis.
Fall III. (Vorgestclit in der österr. otologischen Gesellschaft, Jänner 1921,
von Doz. Ruttin.)
Rudolf H., lljähriger Knabe, erkrankte angeblich erst am 14. XII. 1920
mit Fieber, Schüttelfrost, Schmerzen und Ausfluß aus dem linken Ohre. Bei der
Aufnahme am 29. XII. 1920 wurde die Parazentese gemacht und 2 Tage darauf
wiederholt. Wegen andauernd intermittierenden Fiebers und Druckschmerzhaftigkeit
cm W. F. Operation (Doz. Ruttin, 23. XII. 1920). Der W. F. erweist sich als
frei, nur über der Sinusschale einige wenige mit Eiter erfüllte Zellen. In der Sinus¬
sehaie eine kleine Fistel aus der flüssiger Eiter kommt. Freilegung, Eröffnung und
Ausräumung des thrombosiert eil Sinus, bis Blutung von oben und vom Bulbus
erreicht wird. Unterbindung der Jugularis und eines Trunkus, der die Fazialis
enthält.
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Über Lidödem bei Erkrankungen des Obres.
Am 26. XII. V. W. Dabei reißt das periphere Jngularisende ab und muß
neuerlich, höher oben, unterbunden werden.
Am 28. XII. ödem der linken unteren Gesicht «hälfte, ziemlich scharf an der
linken Wange abschneidend. V. W. Neuerliches Abreißen des morschen peripheren
.Jugularisendes und neuerliche Ligatur hoch oben. In den nächsten Tagen Zunahme
der erwähnten Schwellung im Gesichte. Langsames Zurückgehen derselben.
Heilung.
R u t t i n führt das ödem auf Thrombose und Rüekstauung in den Gesichts¬
venen zurück.
Die Nebeneinanderstellung der 3 Fälle ergibt eine Art Abstufung
in der Ausdehnung des Ödems.
Im ersten Falle: starke Schwellung der Wange mit Mitbeteiligung
der Lider und Chemosis.
Im zweiten Falle: Schwellung der Wange und der Lider. Fehlende
Chemosis.
Im dritten Falle: Schwellung der Wange, fehlende Chemosis und
fehlendes Lidödem.
Die Erklärung hierzu liegt möglicherweise darin, daß in den Fällen II
und III doch ein Teil der Vene wegsam blieb und die Kollataralen das
Blut aus diesem Teil der Vena facialis abführen konnten, während die
unter stürmischen subjektiven Symptomen einhergehende schwere Form
des Falles 1 die ganze Vene und die Lidvenen mitergriffen hat. Fall I
und II zeigen das Gemeinsame, daß die Thrombose bei der Unterbindung
sich bereits bis in die Jugularis erstreckte, also eine Infektion der Vena
facialis per continuitatem erfolgte, während bei Fall III die Vena facialis
erst infolge retrograder Verschleppung des infektiösen Materials auf dem
Blutwege erkrankte. Allen 3 Fällen gemeinsam ist das Auftreten von
ödematösen Schwellungen im Gesichte infolge Thrombose der Vena
facialis bei unterbundener Venia jugularis interna.
Welche Bedeutung haben wir dem Symptom des Lidödems bei der
Thrombose des Sinus cavernosus beizumessen ?
U t h o f f betrachtet das Lidödem als absolutes, d. h. immer vor¬
handenes Symptom der Sinus cavernosusthrombose. Er ist der Meinung,
daß ausgesprochenes einseitiges Lidödem auch ohne Exophthalmus
schon zur Diagnose einer Thrombophlebitis des Sinus cavernosus mit
Beteiligung der Orbitalvenen ausreiche. Immerhin scheint ein solches
Vorkommen von Exophthalmus ohne Lidödem nach Ansicht dieses
Autors, selten zu sein. Bei dem zusammengestellten Bew r eismaterial handelt
es sich in 4 Fünftel der einschlägigen Fälle um Exophthalmus und Lid¬
ödem, in einem Fünftel der Fälle um Lidödem allein. Körner findet,
daß die Entzündung eines anderen Sinus niemals diesen Symptomen-
komplex mache, ja nicht einmal eines der äußeren wahrnehmbaren
Symptome, sondern höchstens Stauungserscheinungen am Augenhinter-
grunde. H e s s 1 e r dagegen gelangt auf Grund seiner Beobachtungen
zu dem Resultate, daß w f eder die Doppelseitigkeit, noch das gleichzeitige
Auftreten von Exophthalmus für die Diagnose Siniiscavernosusthrombose
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696
Leo D e u tscli.
entscheidend sei. Er sah derartige Symptome auch bei bloßer Thrombose
des Sinus transversus. Es sei hier auch nochmals an den Fall Briege rs
erinnert, der das Lidödem bei freiem Sinus cavernosus auf eine Thrombose
des Sinus petrosus zurückführte. Schließlich führt Kümmel das Auf¬
treten des Lidödems auf eine Thrombose des Sinus longitudinalis zurück.
In dem von ihm angeführten Fall 8 stütze sich die Diagnose auf das von
Gradenigo beschriebene Symptom des Auftretens einer Schwellung
an Stelle des Emmissarium parietale und auf die Dilatation der Venen
der behaarten Kopfhaut (Lermoyez).
Betreffs der Häufigkeit des Auftretens von Lidödem bei Sinus
cavernosusthrombose sei folgendes bemerkt:
Hölscher referiert über 44 Fälle von Sinus eavernosusthrom-
bosen. Von diesen 44 Fällen zeigten
26 Fälle vollen Symptomenkomplex,
7 Fälle einzelne Symptome,
11 Fälle verliefen symptomlos.
Von den 7 Fällen mit einzelnen Symptomen waren mir die Kranken¬
geschichten von 4 Fällen zugänglich. 3 Fälle verliefen mit Lidödem,
1 Fall (B a a r, Zbl. f. Ohrenhlk., Bd. 32) kam 2 Tage nach Auftreten
der ersten allgemeinen auf Thrombose deutenden Symptome ad exitum.
Von den 11 Fällen ohne Symptome habe ich die Krankengeschichten
von 7 Fällen nachlesen können. Von diesen sind nur zwei für eine
Statistik einwandfrei verwendbar. Nur in diesen Fällen stellte der Ob¬
duzent eine Thrombose des Sinus cavernosus fest; am Krankenbette
fehlten jedoch Symptome einer solchen vollkommen.
Es bestand also in 32 für die Statistik verwertbaren Fällen 29mal
Lidödem. In 3 Fällen fehlte das Symptom des Lidödems, wobei der Fall
B a a r s eingerechnet wird, der aber so rasch verlief, daß es kaum zur
Ausbildung von Symptomen kommen konnte.
Jansen berichtet über 9 Fälle von Cavernosus thrombose. 7mal
trat Lidödem auf. N a v r a t i 1 publiziert Fälle von Cavernosus throm¬
bose ohne Lidödem und auch Körner teilt mit, daß bei der Sinus
cavernosus-Thrombose nicht selten alle Symptome fehlten. In den sonst
in der Literatur diagnostizierten Fällen von Cavernosus thrombose bestand
ausnahmslos Lidödem (Brat, Boonacker, Johnsen, Lodge,
Lombard usw.).
Resümierend kann also hervorgehoben werden:
Das Lidödem fehlt bei der Thrombophlebitis des Sinus cavernosus
selten. In Fällen, wo nur ein Teil der Symptome zutage tritt, ist unter
den vorhandenen das Lidödem das häufigste Symptom. Meist ist das
Lidödem eines der ersten Symptome am Auge. Das frühe Auftreten des
Lidödems bei fehlenden Zeichen der Stauung in der Orbita ist darauf
zurückzuführen, daß eine venöse Sta.se sich an den äußeren Gefäßen
infolge Prädisposition des lockeren Unterhautzellgewebes zur ödematösen
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Über Lidödem bei Erkrankungen des Obres.
697
Schwellung schon zu einer Zeit manifestieren wird, wo in das dichte
Gefüge, des in eine starre Kapsel eingeschlossenen Orbitalinhalts noch
kein Austritt von Blutflüssigkeit stattfand.
Das Symptom „Lidödem" ist jedoch nicht beweisend für die
Diagnose einer Sinus cavernosusthrombo.se, welch letztere nur bei Gegen¬
wart der Mehrzahl der Symptome gestellt werden kann. Ein wichtiger
Anhaltspunkt ist hierbei die Beiderseitigkeit des Auftretens der Symptome,
also auch die Beiderseitigkeit des Lidödems.
Von den in den letzten 3 Jahren an der Klinik Prof. Neuman n
beobachteten Fällen von Sinus cavernosusthrombosen verlief einer völlig
syniptomlos. Bei 2 Fällen konnte auf Grund des vorhandenen Symptomen-
komplexes die Diagnose intra vitam gestellt werden. Nachfolgend
Krankengeschichten der ? Fälle, über welche wegen der vorhandenen
Augensymptome berichtet wird:
Johanna B., 12 Jahre alt.
Erste Aufnahme am 23. VIII. 1920. Beiderseits Otitis media chronica mit
zeitweisem Auftreten von Schwindelat tacken. Konservative Behandlung. Temperatur
während derselben, mit Ausnahme einer Zacke bis auf 38, immer noirnal.
Zweite Aufnahme am 2. X. 1920.
In der Anamnese Schwindel, Kopfschmerzen, Erbrechen und Fieber. Kein
Schüttelfrost. Es besteht (»ine beiderseitige Otitis media chronica, links akut ex-
arzerbiert. Spontannystagmus III. Grades, vorwiegend zur gesunden Seite.
Kocblear- und Vestibularapparat ansprechbar. Neurologisch: Babinski links
positiv, rechts Oppenheim positiv.
Operation am 3. X. 1920 (Doz. Bec k). Große Zerstörungen im Warzen¬
fortsatz bis an den Sinus und an die Dura der mittleren Schädelgrube heranreichend.
Pachymeningitis externa. Extraduraler und perisinuöser Abszeß.
Lumbalpunktat klar.
Nach der Operation Temperaturen bis 39°. Am 3. X. Augenuntersuchung:
Fundi normal.
Am 6. X. Temperatur 39*5.
Am 7. X. Unterbindung der Jugularis am Halse*.
Der weitere Verlauf bietet das Bild einer Sepsis mit charakteristischen
Temperaturen.
Am 18. X. tritt am linken O b e r 1 i d e ein ödem auf. Der Augenbefund
lautet: An beiden Augen Papillen rötlicher, Venen eine Spur breiter, an der Gabelung
zweier Venen unterhalb der Papille des rechten Auges eine kleine Hämorrhagie.
Peripheriewärt8 daran anschließend ein halbpapillengroßer retinitischer Exsudat¬
herd mit leichtem ödem der Retina längs der Gefäße. Linkes Auge sonst negativ.
20. X. Ödem auch des rechten Oberlides. Die Konjunktiva
normal. Ophthalmoskopisch beiderseits unverändert.
21. X. Die Schwellung beiderseits besteht weiter fort. Die Konjunktiven
beiderseits unverändert. Keine Protrusio bulbi. Die Wangen beiderseits machen
einen pastös ödematösen Eindruck.
22. X. Wegen Thrombosierung des oberen Endes des Sinus und dabei be¬
stehender Temperatur wird der Sinus beiderseits bis zum Torkular freigelegt.
24. X. Die Ödeme scheinen im Rückgang begriffen. Am darauffolgenden
Tage Exitus.
Obduktionsbefund: Thrombose des linken Sinus transversus bis zum
Torkular des linken Sinus sigmoidcus, petrosus inferior. Cavernosus sinister und
der linken Jugularis. Eine kleine Vene im linken Tentorium mündet frei in den
linken Sinus transversus ohne thrombosiert zu sein.
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698
Leo Deutsch.
Emmerich L., 12 Jahre, Aufnahme am 3. III. 1921.
Beiderseitige, seit zirka einem Jahre bestehende Otitis media chronica.
Rechts seit einer Woche akut exarzerbiert, bei bestehenden Kopfschmerzen und
seit 3 Tagen bestehenden Anschwellung hinter dem Ohr. Schüttelfrost. Schwindel
und Erbrechen. Mundsperre. Rechts V = 20cm. Stimmgabelbefund spricht für
ein Schalleitungshindernis mit Mitergriffensein des schallempfindenden Apparates.
Vestibularapparat ansprechbar.
Opera tion (Ass. Rauch) am 3. III. 1921. Entleerung eines periostalen
Abszesses, der bis gegen Jochfortsatz reicht. Auch die Außenfläche der Kiefer¬
gelenkkapsel vom Eiter umspült. Antrotomie. Perisinuöser Abszeß. Der Sinus durch
Granulationen verändert, Freilegung desselben bis ins Gesunde. Radikaloperation.
Freilegung der Dura der mittleren Schädelgrube. Dieselbe fibrinös auf gelagert.
Punktion des Sinus ergibt Blut.
4. III. Temperatur bis 37*9. Subjektives Befinden gut.
5. III. Temperaturbewegung zwischen 36*6 und 39*3. V. W.: Sinus blut-
haltig.
6. III. Unterbindung der Jugularis unterhalb der Fazialis sowie Unterbindung
der letzteren.
7. III. Temperaturbewegung zwischen 37*9 und 40*1.
11. III. ödem der rechten Gesichtshälfte.
12. III. Auffallende Schlafsucht, ö d e m im Gesichte zugenommen.
Mäßige Prottusio bulbi rechts und Chemosis. Abduzensparese. Kernig
positiv. Mäßige Nackensteifigkeit, Kniereflexe nicht auslösbar.
V. W.: Die mediale Sinuswand zeigt etwa in der Mitte des Sinus sigmoideus
eine 1 cm lange Kontinuitätstrennung, durch welche verfärbte und erweichte Gehirn¬
masse sichtbar ist.
13. III. Protrusio bulbi links keine Chemosis. Patient verbringt die ganze
Zeit somnolent zu. Lumbalpunktat trüb. Vaguspuls.
14. III. Patient ist vollkommen bewußtlos. Urinretention. Zyanose des
Gesichtes.
15. III. Exitus.
Obduktion (Dr. N o r e r). Eitrige Pachymeningitis der hinteren Schädel¬
grube, übergreifend auf den rückwärtigen Anteil der mittleren Schädelgrube. Eitrige
Leptoineningitis besonders an der Basis. Vereiterte Thrombophlebitis des Sinus
sigmoideus, Petrosus superior und inferior sowie des Sinus cavernosus und inter-
cavernosus.
Die bei der Sinus cavernosusthrombose zu beobachtenden Krank¬
heitserscheinungen ähneln sehr dem Bilde der Panophthalmitis meta-
statica, eine Art der Metastase, die bei otogener Pyämie selten zur
Beobachtung kommt. In der Literatur sind bisher 5 Fälle bekannt:
1 Fall von M i 11 i g a n, 1 Fall von Hinsberg, 1 Fall B o n d y s,
1 Fall von M e r k e n s und 1 Fall Becks. Letzterer wurde an der Klinik
Prof. N e u m a n n beobachtet. Die Krankengeschichte eines zweiten
an obiger Klinik beobachteten Falles sei nachfolgend bekanntgegeben:
Hermine H., 13 Jahre. Aufnahme am 21. XI. 1921.
10 Tage akute Otitis media rechts, 5 Tage alte akute Otitis media links. Am
Vortag der Aufnahme Temperatur 38*2, starke Kopfschmerzen und Schmerzen in
beiden Ohren.
Während am rechten Ohr die Otitis einen unkomplizierten Verlauf nimmt,
bildet sieh auf der linken Seite eine Mastoiditis aus. Antrotomie (Dr. G u m p e r t z)
am 7. Xll. Die Erkrankung des W. F. reicht bis an den Sinus, der in 1 cm Länge
freigelegt wird.
8. XU. bis 12. Xll. Temperaturen bis 38. Am letzten Tage Temperatur
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Über Liclödem bei Erkrankungen des Ohres.
699
bis 38*9. V. W. Punktion des Sinus, derselbe bluthaltig. Weitere Freilegung des
Sinus, Freilegung der Dura der mittleren Schädelgrube.
15. XII. Morgenteraperatur 39*4. Zunge belegt. Somnolenz. V. W.: Punktion
des Sinus ergibt kein Blut. Inzision des Sinus zeigt Thrombosierung.
Operation (Doz. Ruttin) am 15. XII. Freilegung der Jugularis am
Halse, die Wand graurot verdickt, entzündete Drüsen perivaskulär. Unterbindung
der Jugularis und derFazialis communis. Die Jugularis erwies sich als thrombosierfc.
Weitere Freilegung des Sinus weit über das obere Knie bis an den Bulbus. Entfernung
grauroter Thromben.
17. XII. Durchspülung der Jugularis gelingt. Im Blute Streptokokken.
40*1 Temperatur.
18. XII. bis 23. XII. Intermittierendes Fieber bis gegen 40° ansteigend, Klage
über Kopfschmerzen, Apathie und Somnolenz bei freiem Sensorium.
24. XII. V. W. (Doz. Ru ttin). Freilegung der Jugularis bis gegen die Pleura¬
kuppe in Lokalanästhesie. Das freigelegte Venenlumen leer.
25. XII. Schmerzen bei Bewegungen der linken Hand.
27. XIL Gesamthabitus seit gestern stark verschlechtert. Große Somnolenz.
Augenlid geschwollen. Hornhaut getrübt.
Augenbefund (Dr. Birnbacher). Chemosis der Bindehaut. Paren¬
chymatöse Hornhauttrübung. Trübung des Kammerwassers. Die Irisstruktur ver¬
waschen. Die Iris grünlich verfärbt. Die Pupille rund weit. Ophthalmoskopisch
trübe Medien. Diffuses rotes Licht ohne Details erkennen zu lassen.
28. XII. bis 30. XII. Temperaturen meist über 39°. Klagen über Gelenk¬
schmerzen, Eiterpusteln an Händen und Füßen.
31. XII. Patientin reagiert nicht auf Fragen, Grimassiercn und Unruhe.
1. L 1922. Exitus.
Obduktion am 2. I. 1922. Eitermetastasen auf der Decke des Kleinhirns.
Hyperämie und ödem des Gehirns. Thrombose des linken Sinus transversus. Frische
ausgebildete verruköse Endekarditis an der Mitral- und Aortenklappe. Hochgradige
Lobulärpnoumonie in beiden Unterlappen. Septische Blutungen der Pleura, an
der Dura mater längs des Klivus. Septischer Infarkt im subakuten Milztumor.
Hochgradige parenchymatöse, teilweise fettige Degeneration der Niere mit mehreren
kleinen Abszeßchen und vereinzelten Infarkten. Pyarthros des linken Fußes und
Kniegelenks.
Bakteriologisch: Streptokokken in kurzen Ketten.
Auch bei der Ophthalmie können wir also das Auftreten
des Lidödems beobachten. Die charakteristischen Symptome der
Ophthalmie am Auge selbst (Hypopyon, Trübung der Hornhaut be¬
gleitende Iritis) werden die Diagnose sichern und geben zugleich die
wichtigsten differentialdiagnostischen Kennzeichen gegenüber einer
Thrombose des Sinus cavernosus und einer Thrombose der Vena facialis.
Obige Erörterungen versuchten klarzulegen, welche Erkrankungen
des Ohres mit dem Symptom „Lidödem“ einhergehen können. Als ein
ins Auge springendes Symptom verlockt das Lidödera den Untersucher,
dasselbe isoliert zur Diagnosestellung heranzuziehen, sozusagen intuitiv
auf dieses Symptom allein die Diagnose aufzubauen, ohne dabei zu be¬
denken, daß die Stellung der Diagnose als auch die Wertung des Symptoms
nur im Rahmen des gesamten Symptomenkomplexes erfolgen kann.
W r enn nun auch bei näherer Betrachtung das in Rede stehende Symptom
wegen seiner Vieldeutigkeit an pathognomonischer Prägnanz verliert,
so wohnt demselben doch ein diagnostischer und prognostischer Wertinne.
Monattsohrifk f. Ohrenheilk. n. Lar.-Rhin. 66. Jahrg, 46
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700 Leo Deutsch, Über Lidödem bei Erkrankungen des Ohres.
Literatur. O. Beck: österr. otologische Gesellschaft. Mai 1920. —
Ders.: Österr, otologische Gesellschaft. 31. Oktober 1921. —- Bondy: österr.
otologische Gesellschaft. 31. Oktober 1921. — Boonacker: Thrombose des Sinus
cavernosus. Niederländische Gesellschaft für Hals-, Nasen- und Ohrenärzte 1913. —-
Brat: Thrombose des Sinus cavernosus nach Scharlach otitis. — Brieger:
Die pyämische Allgemeininfektion nach Ohreiterungen. Zschr. f. Ohrenhlk. B. 29. —
Beyer: Sinus petrosus thrombose isoliert. Passow-Schäfer. Bd. IV. H. 6. —
Friedenberg: Über den diagnostischen und prognostischen Wert der Augen¬
symptome bei den otitischen Erkrankungen des Hirns. Arch. f. Ohrenhlk. Bd.74. —
Fuchs E.: Zur Anatomie der Blut- und Lymphgefäße der Augenlider. Arch. f.
Ophthalmologie. Bd. 24. Abt. 3. S. 1—58. — Gradenigo: Über ein charakte¬
ristisches Symptom der eitrigen Thrombose des Sinus longitudinalis superior.
Arch. f. Ohrenhlk. Bd. 66— Groenouw: Handbuch der Augenheilkunde Graefe
Saemisch. — Gurwitsch: Über die Anastomosen zwischen Gesichts- und
Orbitalvenen. Arch. f. Ophthalmologie. Bd. 29. — Hansen: Über das Verhalten
des Augenhintergrundes bei den otitischen interkraniellen Erkrankungen. Arch.
f. Ohrenhlk. Bd. 53. — Hausmann: Ein Beitrag zur Beurteilung von Augen¬
hintergrundveränderungen bei Ohrkranken. Arch. f. Ohrenhlk. Bd. LXXX. —-
H e s s 1 e r: Otogene Pyäiüie. Jena (Fischer) 1906. — Hinsberg: Ein Fall von
otogener metastatischer Ophthalmie, zitiert nach U1 h o f f (Handb. v. Graefe
Saemisch. Bd. XL Kap. XXII. Teil II. — Hölscher: Die otitische Thrombose
des Sinus cavernosus. Sammelref. im Zbl. f. Ohrenhlk. Bd. 2. — H. R. Johnson:
The Laryngoscope Vol. 23 Februar 1913, zitiert nach Arch. f. Ohrenhlk. Nr. 91. —
Jansen; Über Hirnsinusthrombose bei Mittelohreiterungen. A. f. Ohrenhlk.
Bd. 35, — K r a m in: Sinus petrosus thrombose. Zschr. f. Ohrenhlk. Bd. 14. —
Kümmel: Über die vom Ohre ausgehenden septischen Allgemeinerkrankungen.
Supp.-Bd. der Grenzgebiete der Chirurgie. Nr. 3. — Körner: Die otitischen Er¬
krankungen des Hirns, der Hirnhäute und der Blutleiter. — Langer: Blutgefäße
des Augenlides. Med. Jahrbücher, redigiert von Stricker 1878. — Lombard:
Phlebite supper6e des sinus caverneux de origine otique sans thrombophlebite du
sinus lateraL Annal.des maladi^e de l'oreille 1902, zitiert nach A. f. Ohrenhlk. Bd. 58.
— Macewen: Die infektiös eitrigen Erkrankungen des Gehirns und Rücken¬
marks. — Mann: Versammlung deutscher Naturforscherärzte in Dresden.
Sitzungsber. vom 17. IX. 1907. — Merckens: Deutsche Zschr. f. Chir. Bd. 59. —
M i 11 i g a u; Ein Fall von otogener metastatischer Ophthalmie, zitiert nach Ulhoff.
— Navratil: Cas. lek. cesk. 1920. Nr. 35—37. — Politzer: Lehrbuch der
Ohrenheilkunde, 1901. — Ru 11 i n: österr. otologische Gesellschaft. Jänner 1921.—
Schiander: Österr. otologische Gesellschaft. Juni 1920. — U t h o f f: Handbuch
der Augenheilkunde von Graefe Saemisch. — V. Urbant-schitsch: Lehrbuch
der Ohrenheilkunde, 5. Au fl. 1910.
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Josef Schniercr. Verwendbarkeit von Hörapparaten.
701
Aus der Ohrenabteilung der Wiener Allgemeinen Poliklinik
(Vorstand: Prof. Dr. Gustav Alexander).
Klinische Untersuchungen über die Verwendbarkeit
von Hörapparaten.
Von Dr. Josef Schalerer, Assistenten der Abteilung.
Da die bisher erschienenen Arbeiten über Hörapparate (Z w a a r-
demaker 1 ),Bart h 2 ), Nadoleczny 8 ) usw.) sich vorwiegend mit
den akustischen Eigenschaften der Apparate beschäftigten, ohne ihrer
praktischen klinischen Verwendung größere Aufmerksamkeit zu schenken,
habe ich es mir auf Anregung meines Chefs, Prof. Alexander, zur
Aufgabe gemacht, zwischen den der Schwerhörigkeit zugrundeliegenden
einzelnen Krankheitsformen und der Verwendungsmöglichkeit der ver¬
schiedenen Hörapparate gewisse Beziehungen festzustellen, die praktisch,
therapeutisch und prognostisch zu werten wären. Da mir das gesamte
Krankenmaterial der Beratungsstelle für Schwerhörige und der damit
zusammenhängenden Prüfungsstelle für Hörapparate an der Ohrenabteilung
der allgemeinen Poliklinik zur Verfügung stand, hatte ich Gelegenheit,
160 Schwerhörige zu untersuchen und die Verwendbarkeit der Hör¬
apparate bei ihnen zu prüfen.
Bei der Untersuchung Schwerhöriger ließ ich es nicht dabei be¬
wenden, den klinischen Befund zu erheben und die Hörweite (Flüster¬
stimme und Konversationsstimme) für das freie und mit den einzelnen
Typen von Hörapparaten bewaffnete Ohr festzustellen, sondern ich be¬
strebte mich, bei einer möglichst großen Anzahl von Fällen dem Hör¬
relief des schwerhörigen Ohres die durch die verschiedenen Hörapparate
modifizierten Hörreliefs gegenüberzustellen, um durch den Stimmgabel¬
befund ein mehr oder minder objektives Bild der Hörverbesserung zu er¬
halten und um festzustellen, wie weit die Veränderung des Hörreliefs mit
der erzielten Hörverbesserung zusammenhängt und ob diese überhaupt
eine Erweiterung des Hörreliefs zur Voraussetzung hat. Daß die lang¬
wierige Untersuchungsmethode für viele Patienten oft sehr ermüdend
war, war leider nicht zu umgehen und bildete die Hauptschwierigkeit
einer exakten Hörprüfung. Um dieselbe so einheitlich wie möglich zu
gestalten und zu vereinfachen, habe ich sämtliche Untersuchungen nur
mit drei Typen von Hörapparaten vorgenommen, mit einem Hörschlauch,
1 ) H. Zwaardemaker: Über Hörapparate. Archiv für Ohren-, Nasen-
und Halskrankheiten, ßd. 104, 1919.
2 ) A. B a r t h: Elektrische Hörapparate für Schwerhörige. Archiv für Ohren-,
Nasen- und Halskrankheiten. Bd. 105, 1920.
3 ) M. Nadoleczny: Untersuchungen mit Bezolds Tonreihe über die
Leistung von Hörapparaten. Passows Beiträge. Bd. 16, H. 4/6.
46*
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702
Josef Schnierer.
dem parabolischen Höhrrohr und einem elektrischen Apparate, die später
beschrieben werden sollen. Andere Apparate, wie sie der Gruppe 1 und
3 der Einteilving Zwaardemakers entsprechen, z. B. das Audiphon
oder das Megaphon, habe ich schon aus dem Grunde nicht erprobt, weil
ihre praktische Verwendung ein Ding der Unmöglichkeit wäre. An dieser
Untersuchungsform hielt ich bei sämtlichen Untersuchungen fest, aber
auch in dieser vereinfachten Form war es selten möglich, die Unter¬
suchung in einer Sitzung durchzuführen; das labile Gehör schwerhöriger
Patienten, wie es ganz Besonders Otosklerotiker zeigen, führte sehr rasch
zur Ermüdung, weshalb die Untersuchung erst in der zweiten oder dritten
Sitzung zu Ende geführt werden konnte. Aus demselben Grunde mußten
viele Fälle nachgeprüft werden, wobei ich jedoch zur Überzeugung kam,
daß die Resultate im Durchschnitte keine ins Gewicht fallenden Ver¬
schiedenheiten aufwiesen.
Ohne auf die physikalischen Charakterzüge der einzelnen Hör¬
apparate näher einzugehen, möchte ich nur eine Beschreibung derselben
geben und die Art ihrer Wirksamkeit kurz erwähnen: Der Hörschlauch
verstärkt nach Barth in keiner Weise Töne oder Geräusche, schwächt
sie vielmehr eher ab; seine Wirkungsweise besteht hauptsächlich darin,
daß er den Mund des Sprechenden bzw. produzierte Töne dem Ohr quasi
nahe bringt. Ich habe einen Schlauch von l 1 /, m Länge, 15 mm sich all¬
mählich bis 5 mm verjüngendem Schlauchkaliber und einem Schall¬
trichter von 5 cm Durchmesser verwendet. Auch bei den Apparaten,
welche durch Resonanz fördernd auf das Gehör wirken, konnte ich mich
nicht darauf einlassen, eine Auswahl unter den Apparaten zu treffen,
welche das dem Patienten • fehlende bzw. abgeschwächte Tonbereich
durch ihre Resonanz in der betreffenden Tonlage verstärken; ich nahm
vielmehr zu einem Apparate Zuflucht, dessen Resonanz im Sprach-
bereich, also zwischen a x und e s gelegen ist und der durch die Größe
seines Resonanzkörpers auch in hohen Graden von Schwerhörigkeit seine
Wirkung übt. Diesen Anforderungen entspricht in vollem Maße das von
mir verwendete parabolische Hörrohr mit einem Durchmesser von 9 cm.
Über die störende Wirkung des Nachhalles, wie sie Zwaardemaker
besonders beim Pleophon hervorhebt, wurde von den von mir unter¬
suchten Schwerhörigen bei Verwendung des parabolischen Hörrohres
kaum jemals geklagt. Auch möchte ich mich der Ansicht Nadolecznys
anschließen, welcher der von Zwaardemaker festgestellten
Modifikation in der Abschwingungsart der Stimmgabeln durch die Nähe
des Hörapparates keine große Bedeutung beimißt. Sie kommt praktisch
ganz bestimmt nicht in Betracht, da ich beim Ablauschen der Stimm¬
gabel vor der Mündung des parabolischen Hörrohres durch ein Normalohr
keinen Unterschied gegenüber der frei schwingenden Gabel feststellen
konnte. Auch über den Nachteil der stoßweisen Verstärkung von Tönen
durch den parabolischen Apparat, wie er nach Zwaardemaker
bie Resonanzapparaten häufig ist, hörte ich nicht klagen.
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Verwendbarkeit von Hörapparaten.
703
Die elektrischen Apparate wirken nach der Definition Z w a a r-
demakers dadurch: „daß sie die Transformation des Schalles in eine
andere Energieform und deren Zurücktransformierung in Schall bewirken“.
Ich verwende einen Apparat mit zwei Mikrophonen, der den Fabriks¬
namen „Akustikapparat“ führt und der ähnliche Eigenschaften besitzt,
wie die von Barth beschriebenen Apparate, d. h. er besteht aus Schall¬
empfänger (Mikrophon), Schallgeber (Telephon) und einer Kapsel, welche
die elektrische Batterie enthält. Mikrophon- und Telephonmembran sind
auf denselben Ton gestimmt (bei meinem Apparat h,); dieser Ton ertönt,
wenn man Mikrophon und Schallgeber mit der offenen Seite zueinander
parallel hält. Er ist bei unserem Apparat auf eine Distanz von 9 cm bei
Entfernung voneinander und von 3 cm bei Annäherung aneinander zu
hören. Stellt man beide Teile auf eine Unterlage, ist der Ton bis 18 cm
hörbar. Barth nennt diese Distanz Reaktionsstrecke. Eine zweite, oder
gar mehrfache Reaktionsstrecken auf weitere Entfernungen konnte ich
bei dem von mir erprobten Apparat nicht beobachten, trotzdem genügte
er allen Anforderungen bezüglich Schallverstärkung. Leider habe ich mit
dieser Verstärkung dieselbe Erfahrung machen müssen wie Barth,
nämlich daß nicht so sehr die mit dem Quadrate der Entfernung ab¬
nehmende Schallintensität als vielmehr die bedeutend rascher abnehmende
Deutlichkeit der Töne und des gesprochenen Wortes ungemein störend
wirken. Die Schallverstärkung, welche bei dem Normalen unangenehm,
ja direkt schmerzhaft wirkt, macht sich bei Schwerhörigen lange nicht
in diesem Maße geltend, wohl aber machen sich die Nebengeräusche auch
bei diesen sehr störend bemerkbar, ja bei akustischer Hyperästhesie
(besonders in Fällen beginnender Otosklerose) wirkt sie im ersten Moment
so abschreckend, daß es energischen Zuredens meinerseits bedurfte,
um den Apparat überhaupt erproben zu können; an eine Verwendung
war in solchen Fällen überhaupt nicht zu denken.
Der Meinung Barths, daß bei Personen, die beim Telephon noch
auffallend gut verstehen, im voraus anzunehmen sei, daß sie von einem
elektrischen Apparat befriedigt sein werden, kann ich nur bedingt bei¬
pflichten, da ich wiederholt Otosklerosen beobachtet habe, die ein tele¬
phonisches Gespräch noch zu führen vermochten und doch, hauptsächlich
infolge der starken Schallverstärkung und der störenden Nebengeräusche
nur eine geringe oder gar keine Besserung durch den elektrischen Hör¬
apparat hatten. Andrerseits habe ich selbst (mit meinem rechten, hoch¬
gradig schwerhörigen Ohr) und mehrere meiner Patienten die Erfahrung
gemacht, daß sie bei Verwendung des Akustikapparates ein Telephon¬
gespräch noch lückenlos führen können, was ihnen mit dem unbewaffneten
Ohr nicht mehr gelingt. Es wird hierbei das Mikrophon des Hörapparates
auf den Schallgeber des Telephons gelegt und der Schallgeber des elek¬
trischen Apparates an das Ohr geführt. Im allgemeinen läßt sich fest¬
stellen, daß fast alle Patienten mit dem Akustikapparat besser hören,
aber nicht besser verstehen. Barth hat bereits die Ansicht ausgesprochen,
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704
Josef Schnierer.
daß eiu Schwerhöriger sich durch Arbeit und Gewöhnung eine „Versteh¬
verbesserung“ aneignen könne, das hat sich auch bei zahlreichen der von
mir Untersuchten bewahrheitet. Sie haben es mit der Zeit gelernt, von
den Nebengeräuschen zu abstrahieren und ein besseres Wortverständnis
zu erwerben. Die Hörprüfung wird stets monaural vorgenommen; selbst¬
verständlich deckte sich die Hördistanz für unzusammenhängende Worte
niemals mit der für zusammenhängende Sprache, letztere war stets kürzer.
Um die Untersuchung aber zu vereinfachen, und um dem Kombinations-
Vermögen der Patienten nicht Vorschub zu leisten (was bei der zusammen¬
hängenden Sprache entschieden geschieht), wurde nur mit unzusammen¬
hängenden Worten geprüft. Der Ansicht Zwaardemakers, daß
sich die Verwendung eines Hörapparates erst bei einem Gehör von unter
05 m für Flüstersprache empfiehlt, kann ich mich nicht anschließen, da
diese und selbst größere Hördistanzen für Flüstersprache nicht selten mit
einem Gehör für Konversationssprache von nicht über 3 m verbunden
sind, eine Entfernung, die unbedingt die Verwendung eines Hörapparates
noch angezeigt erscheinen läßt. Erwähnenswert wäre ferner, daß manche
Patienten bei Verwendung eines Hörapparates häufig nicht auf größere
Distanzen hören als mit freiem Ohr, daß sie aber doch im Hörbereich mit
Hilfe von Apparaten rascher und präziser nachsprechen als ohne die¬
selben. Es hat vielfach auf mich den Eindruck gemacht, als ob diese
Patienten nicht eigentlich besser hören, sondern infolge der Verwendung
des Hörapparates unwillkürlich ihre Aufmerksamkeit anspannen und
dadurch eine bessere zerebrale Verwertung der Hörempfindung erzielt
wird. Um mich über die Dauerresultate äußern zu können, ist die Zeit
meiner Beobachtungen (ein halbes Jahr) noch zu kurz. Ich habe mit Aus¬
nahme eines Falles nicht die Beobachtung gemacht, daß die Patienten
von den ihnen verordneten Apparat wieder ablassen. Ich habe auch
niemals über Gehörschädigung infolge der Verwendung eines Hörapparates
klagen gehört, ohne daß man deswegen behaupten dürfte, daß die im
Wesen des Leidens begründete Progredienz der Schwerhörigkeit dadurch
gehemmt würde. Über die Verwendungsmöglichkeit der Hörapparate
gehen die Meinungen der Schwerhörigen eigentlich bei sämtlichenApparaten
auffallend wenig auseinander. Das parabolische Hörrohr wird wegen
seiner weniger gefälligen Form und seiner geringen Handlichkeit selten
spontan begehrt. Es bedurfte häufig meines Zuredens, damit ihn der
Patient als den in diesem Falle wirksamsten Apparat akzeptiert. Alle
drei Arten von Apparaten werden gerne und häufig bei Zwiegesprächen
in der Nähe benutzt. Schon bei geringen Entfernungen versagt der Hör-
schlanch. Am ehesten leistet das parabolische Hörrohr auf größere
Distanzen noch brauchbare Dienste, im Gegensatz zum Akustikapparat,
dessen Deutlichkeit meistens schon von 6 m ab rapid abnimmt, so daß
er bei Sitzungen und Vorträgen ausnahmslos versagt. Musik wird durch
den parabolischen Apparat im allgemeinen reiner wieder gegeben, wobei
nur die Erscheinung des Nachhalles manchmal störend wirkt. Beim
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Verwendbarkeit von Hörapparaten.
706
Akustikapparat kommt die Singstimme meistens noch am besten weg,
während Soloinstrumente nur mangelhaft gehört werden. Vom Orchester¬
klang wird das Blech am deutlichsten, der Streicherklang erst beim Forte
deutlich gehört.
Es wurden im ganzen 160 Fälle untersucht, darunter 60 Fälle von
Folgezuständen nach chronisch-katarrhalischen und eitrigen Mittelohr¬
prozessen, 39 Fälle von Otosklerose, 25 Fälle von Innenohraffektionen,
25 Fälle von Altersschwerhörigkeit und 11 Fälle von Ohrlues.
Von den 60 Fällen der ersten Kategorie waren 28 Folgezustände
nach chronischen Mittelohreiterungen mit trockenen Perforationen,
Narben oder trockener Totaldestruktion, 4 Radikaloperierte und 28 Fälle
von chronischem Adhäsivprozeß. Von diesen zeigten 36 Fälle beträcht¬
liche Hörverbesserungen bei Benützung des parabolischen Höhrrohres,
in 7 Fällen konnte mit dem Akustikapparat und dem parabolischen
Hörrohr der gleiche Erfolg erzielt werden; in 2 Fällen erwies sich der
Akustikapparat wirksamer als das parabolische Hörrohr und in
5 Fällen konnte ausschließlich mit dem Akustikapparat eine Hör¬
verbesserung erzielt werden. In einem Falle wirkte der Hörschlauch
allein hörverbessemd, in einem anderen Hörschlauch und parabolisches
Rohr in gleicher Weise und endlich reagierte ein Fall auf alle 3 Arten von
Hörapparaten gleich gut. In 7.Fällen konnte mit keinem der 3 Hörapparat¬
typen eine Hörverbesserung erzielt werden. Interessant ist, daß sowohl
in den 2 Fällen, in denen der Akustikapparat eine bessere Wirkung als das
parabolische Rohr übte, als auch in 4 von den 5 Fällen, in denen nur mit
dem Akustikapparat eine Hörverbesserung erzielt werden konnte, eine
Mitbeteiligung des Innenohres nachgewiesen werden konnte. Bemerkens¬
wert ist ferner das Versagen oder die nur geringe Hörverbesserung mittels
des parabolischen Hörrohres bei den untersuchten Fällen von Radikal¬
operation. Bei Verwendung der Hörapparate weist das Hörrelief aus¬
nahmslos eine wesentliche Beeinträchtigung der tiefen Töne der B e z o 1 d-
schen Stimmgabelreihe auf, während sich die hohen Töne bis c 4 ver¬
schieden verhalten, bald länger, bald gleich lang perzipiert werden. Die
letzten zwei Stimmgabeln (g 4 und c 8 ) weisen allerdings immer eine Be¬
einträchtigung auf. Überzeugend ist die Verbesserung der Stimmgabel¬
perzeption in der Sprachenzone a x bis e 3 . Sie tritt, wenn auch nicht im
gleichen Maße, bei allen Hörverbesserungen auf und hält fast stets mit
dem Grade der Verbesserung Schritt. Manchmal ließ diese Regel im
Stich, dann war aber stets die Ermüdung der Patienten infolge der lang¬
wierigen Untersuchung schuld und bei einer wiederholten Untersuchung
am ausgeruhten Ohr stellte sich die erwähnte Beziehung wieder ein.
Nur in einem einzigen Falle wurde für den Akustikapparat ein auffallend
weiteres Hörrelief gefunden als für den parabolischen Apparat, trotzdem
beide gleich gute Wirkung hatten. Ähnliche Erscheinungen wurden schon
von NadolecZny festgestellt, der dies damit erklärte, daß mit den
elektrischen Apparaten wohl eine beträchtliche Zunahme der Hördauer
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706
Josef Schnicrer.
in der zwei-drei-gestrichenen Oktave gefunden wird, ohne daß sich die
Hörweite für Sprache bessern müsse, da die Voraussetzung einer fast
normalen oberen Hörgrenze fehle, letztere im Gegenteil bisweilen durch
den Apparat selbst oder durch die Erkrankung wesentlich eingeschränkt
sei. Darum hören die Kranken mit elektrischem Apparat oft noch schlechter
als mit einem einfachen Hörrohr oder, wie in unserem Falle, mit dem
parabolischen Rohr. In einigen wenigen Fällen von hochgradiger Schwer¬
hörigkeit konnte allerdings der Parallelismus zwischen Hörrelief und
Hörverbesserung für Sprache im Stiche lassen, was wohl darauf zurück¬
zuführen ist, daß die Stimmgabeln selbst bei Verwendung von Hör¬
apparaten nicht die nötige Intensität hatten, während z. B. Pfeifen besser
gehört wurden.
Hördistanzen zwischen 6 und 10 m Konversationssprache zeigten,
fast ausnahmslos keine ins Gewicht fallende Besserung, weder mit dem
Hörschlauch, noch mit dem parabolischen Hörrohr, noch mit dem
Akustikapparat, häufig sogar eine Beeinträchtigung der normalen Hör¬
distanz. Ganz besonders hervorzuheben ist noch das Versagen des Hör¬
schlauches in fast sämtlichen Fällen mit nur wenigen Ausnahmen. Ich
kann mich daher dem von Zwaardemaker geäußerten Lob des
Hörschlauches nicht anschließen, trotzdem der von mir benutzte Apparat
allen von Zwaardemaker aufgestellten Postulaten in bezug auf
Länge, Kaliber usw. entspricht. Spontanes Hören der Konversations¬
sprache über 6 m oder sehr hochgradige Schwerhörigkeit waren die Haupt¬
faktoren für das vollkommene Versagen der Hörapparate in 7 Fällen.
Wir erzielten also bei den Fällen katarrhalischer und eitriger Prozesse
des Mittelohres mit dem parabolischen Hörrohr in 60% der Fälle, mit
dem Akustikapparat in 12% (diese wiesen zum größten Teil Innen¬
ohrschädigungen auf), in 12% mit dem Akustikapparat und dem para¬
bolischen Apparat Hörverbesserungen. Bloß 4% der Fälle ergaben eine
erhöhte Wirksamkeit des Hörschlauches, während bei 12% sämtliche
Hörapparate versagten. Anschließend 2 kurze Krankengeschichten.
H. Z., 30 Jahre, Schriftsetzer. Residuen nach beiderseitigem eitrigem Mittel¬
ohrprozeß. v (Flüsterstimme) bds. 0, V (Konversationssprache) r. V 2 m, 1. */ 4 in,
S (Schwabach) bds. verlängert, Vestibularapparat normal. Hörschlauch und Akustik¬
apparat haben keine oder nur geringfügige Hörbesserung zur Folge, während mit
dem parabolischen Hörrohr v 1. am Rohr, V bds. 4 m gehört wird.
F. M., 28 Jahre, Lehrer. Nach traumatischer Ruptur beider Trommelfelle
im August 1917 infolge Granatschuß beiderseitige anhaltende Ohreiterung, besonders
links. Ist im Lehrberuf gestört, R. O.: Trockene Perforation hinten unten, Verkalkung.
L. O.: Totaldestruktion und fötide Sekretion, v r. 2 m, 1. 3 / 4 m, V r. + 8 m, L 6 m.
S bds. verl., Vestibularapparat normal. Alle 3 Hörapparate geben für V die gleiche
Hörbesserung beiderseits, nämlich + 10 m, während v am ehesten durch das para¬
bolische Hörrohr (r. 3 \' 2 , 1. 2 y 2 m) verstärkt wird. Die Stimmgabelkurve zeigt mit
allen 3 Apparaten zwischen G und c 4 deutliche Verbreiterung.
In 39 Fällen von Otosklerose wurde ebenfalls in der Mehrzahl der
Fälle mit dem parabolischen Hörrohr ein ganz wesentlicher Erfolg erzielt.
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Verwendbarkeit von Hörapparaten.
707
lind zwar bei 23 Fällen = 60%, 8 Fälle = 20% ergaben für den Akustik-
apparat lind das parabolische Hörrohr dieselbe Hörverbesserung und in
3 Fällen = 8 % wurde mit dem Akustikapparat der größere Erfolg erzielt.
Nur in 2% der Fälle ließ sich mit dem Hörschlauch eine dem parabolischen
Rohr gleiche Wirkung erzielen. In 4 Fällen = 10% ergab keine der drei
Hörapparattypen eine Hörverbesserung. Diese Fälle wiesen eine sehr
hochgradige Schwerhörigkeit von lauter Konversationssprache ad concham
oder gar nur differenzierendem Vokalgehör auf. Sämtliche Fälle bis auf 5
hatten eine verlängerte Kopfknochenleitung. Von diesen 5 Fällen reagierten
3 auf den Akustikapparat besser als auf das parabolische Hörrohr. Der
erstere bewirkte in diesen Fällen auch eine stärkere Erweiterung des Hör¬
reliefs in der Sprachzone und in den hohen Stimmgabeltönen als das
letztere. Die Einschränkung der tiefen Stimmgabeltöne durch die Hör¬
apparate ist im allgemeinen eine weitergehende als in der ersten Gruppe.
Die erzielte Hörverbesserung geht auch hier bei der Mehrzahl der Fälle
streng parallel mit einer Verbesserung der Stimmgabelperzeption in der
Sprachzone, aber auch im Bereiche der hohen Stimmgabeln über g 3 ,
so daß man selbst geringe Differenzen der Hörverbesserung zwischen
rechtem und linkem Ohr an dem Hörrelief ablesen konnte. Wie bei den
Fällen der ersten Gruppe, so hat sich auch bei der Otosklorese die Er¬
scheinung wiederholt, daß sich der Hörschlauch nur in wenigen Ausnahms¬
fällen den anderen Hörapparaten überlegen gezeigt hat. In der Mehrzahl
der Fälle hatte er sogar, wie in der früheren Gruppe, eine wesentliche
Gehörsbeeinträchtigung zur Folge. Auf die Schwierigkeiten der Unter¬
suchung gerade bei Otosklerotikern habe ich schon hingewiesen. In kaum
einem Falle konnte die Untersuchung in einer Sitzung beendet werden.
M. L., 25 Jahre, Private. Nach Infektionskrankheit (ohne Eiterung) seit
9 Jahren bestehende Otosklerose, erblich belastet. Nervöse Aternbesehwerden und
Kopfschmerzen. Otosk.: müßige Trübung und Retraktion mit rötlichem Promon-
torialschimmer beiderseits, v bds. 0, V r. 1 m, 1. 30 cm. 8 bds. verl., Vestibularapparat
normal. Hörschlauch zeigt keine Hörverbesserung, Akustikapparat wird wegen
seiner Nebengeräusche von Patientin nicht vertragen. Parabolisches Hörrohr v bds. 0,
V r. 4 m, 1. 1 y 2 m. Das Hörrelief zeigt n u r r. mit dem parabolischen Hörrohr eine
Verbreiterung der Kurve zwischen e und g s .
K. W., 30 Jahre, Polizeibeamter. Mit 12 Jahren Eiterung links. Seit 1915
rapide Gehör Verschlechterung ohne äußere Veranlassung. Mutter hochgradig schwer¬
hörig. Otosk.: rötlicher Promontorialschimmer bds. v bds. ad coneh. V. bds. 1 m.
S verl. (bds.), Gellä bds. negativ. Vestibularapparat normal erregbar. Hör¬
schlauch: v bds. 0, V bds. 5m, Akustikapparat v bds. 0, V r. 1 1/ 2 m,
1. 3 m. ParabolischesHörrohr: v bds. ad Appar. V r. 1 1 o in, 1. 6 m. Eine
ausgesprochene Verbreiterung des Hörrelicfs im Sprachgebiet mit Hörschlauch und
parabolischem Hörrohr. *
F. B., 45 Jahre, Staatsbeamter. Seit 20 Jahren langsam abnehmende
Gehör. Zahlreiche Familienmitglieder schwerhörig. War nie ohrenkrank. Otoskop«
Befund: Rötlicher Promontorialschimmer bds., v bds. ad conch. V bds. }< 2 m, S bds«
verl. Vestibularapparat normal. Hörschlauch bewirkt keine Hörbesserung,
parabolischesHörrohr v bds. ad App., V bds. 2 m. Akustikappara t
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Josef Schnierer.
v bds. ad App., V r. 4 m, 1. 3 m. Patient lernt gleichzeitig Ablesen, was ihm die Be¬
nutzung des Akustikapparates wesentlich erleichtert. Der Akustikapparat er¬
möglicht ihm auch das Telephonieren, welches ihm ohne denselben unmöglich ist.
In Versammlungen und im Konzertsaal versagt der Apparat. Das Hörrelief zeigt
weder mit dem parabolischen Hörrohr noch mit dem Akustikapparat bemerkens¬
werte Abweichungen.
Unter 25 Fällen von Innenohrerkrankung (7 Fälle ohne bestimmte
Ätiologie, 6 Fälle von auf das Innenohr übergreifenden Mittelohrprozessen,
3 traumatische Innenohraffektionen, 3 Fälle von hereditärer, degenerativer,
progressiver Schwerhörigkeit, 2 Gewerbeschädigungen, 2 Fälle von Inn en -
ohrschädigungen nach Infektionskrankheiten, 1 Bleiintoxikation und eine
Taubstummheit nach Meningitis) wiesen 14 Fälle = 56% eine aus¬
gesprochene Hörverbesserung durch den Akustikapparat auf. In 5 Fällen
= 20% erwies sich das parabolische Hörrohr als wirksamer; diese letzteren
Fälle hatten auch schwere Mittelohrprozesse. In einem Falle (Taubstumm¬
heit nach Meningitis) =4% ergab der Hörschlauch die bessere Wirkung.
5 Fälle =20% zeigten sich gegen alle Hörbehelfe refraktär. Auch diese
Fälle wiesen eine hochgradige Schwerhörigkeit von lauter Konversations¬
sprache ad concham oder differenzierendem Vokalgehör auf. Bemerkens¬
wert ist also bei den Fällen nicht spezifischer Innenohraffektion die über¬
wiegende Wirksamkeit des elektrischen Apparates.
B. L., 51 Jahre, Agent. Seit 10 Jahren im Anschluß an einen Schlag mit
einem Pferdehuf stets zunehmende Schwerhörigkeit. Patient war nie ohrenkrank.
Vener. Aff. negiert. Wassermann negativ. Otosk. Befund: bds. weißliche Trübung
und leichte Retraktion, v. bds. 0, V r. 20 cm, 1. nur diflerenz. Vokalgehör. S bds. verk.
W nach r. R r. +, 1. —. Vestibularapparat normal. Hörschlauch: v bds.
0, V bds. 0. Parabolisches Hörrohr v bds. 0, V r. 40 cm, 1. ad App.
Akustikapparat: v bds. 0, V r. 5 m, 1. 1 m. Hörrelief weist in den hohen
Tönen bis c 4 mit dem Akustikapparat eine Verbreiterung auf.
R. K., 62 Jahre, Offizier. Seit 5 Jahren nach mehrmonatlicher Kanonade
in belagerter Stadt zunehmende Schwerhörigkeit und hohe klingende Ohrgeräus3he.
Vener. Aff. negiert. Otosk. Bef. ohne Besonderheiten. Leichte Arteriosklerose. Wasser¬
mann negativ; v bds. 0, V r. 2 m, 1. iy 2 m, S bds. verk. Vestibularapparat normal.
Hörschlauch v bds. 0, V bds. ad App. Parabolisches Hörrohr:
v bds. 0, V bds. 2 m. Akustikapparat: v bds. 0, V r. 4, 1. 3*4 ni. Die Neben¬
geräusche werden absolut nicht störend empfunden. In den mittleren und hohen
Tönen bis g 4 Verbreiterung des Hörreliefs mittels des Akustikapparates.
B. W., 65 Jahre, Rentnerin. Nach Scharlach und Typhus in der Jugend
keine Eiterung, jedoch Schwerhörigkeit, die seit 6 Jahren besonders zugenommen
hat. Mann an Paralyse gestorben. Selbst nie ohrkrank, 2 Kinder ohrgesund.
Wassermann negativ. Otosk. Befund: r. leichte Retraktion, 1. normal, S bds.
verk. Bds. nur di fierenzierendes Vokalgehör ad conch. Mit Hörschlauch und
parabolischem Hörrohr keine Hörverbesserung. Akustikapparat : v bds. 0, V bda.
+ Vz ni.
Bei 25 Fällen von Altersschwerhörigkeit erwies sich das para¬
bolische Hörrohr in 12 Fällen = 48% als wirksam. 8 Fälle =22% blieben
refraktär gegen alle Hörapparate. In 2 Fällen = 8% konnte mit dem
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Verwendbarkeit von Hörapparaten.
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Hörschlauch eine größere Hörverbesserung erzielt werden, in einem Falle
— 4 % mit dem Hörschlauch und dem parabolischen Hörrohr. In einem
Falle = 4% waren Hörschlauch und parabolisches Rohr von gleicher
Wirksamkeit und nur in einem Falle (4%) war der Akustikapparat aus¬
schließlich wirksam. In einem Falle = 4% entfalten Akustikapparat und
parabolisches Hörrohr die gleiche Wirkung. Hervorzuheben wäre noch,
daß der Hörschlauch in 5 weiteren Fällen neben dem parabolischen Hör¬
rohre, wenn Jauch nicht in demselben Maße, wirksam war.
Die Altersschwerhörigkeit ist also die einzige Krankheitsgruppe,
in welcher der Hörschlauch eine größere Wirksamkeit entfaltet. Be¬
merkenswert ist ferner die geringe Wirkung des Akustikapparates im
Gegensatz zur früheren Gruppe, trotzdem mit Ausnahme von 3 Fällen
alle weit fortgeschrittene Innenohrschädigungen aufwiesen.
J. H., 78 Jahre, Eisenbahner i. R. Seit 7 Jahren pulsierende Geräusche
und rasch abnehmendes Gehör, besonders rechts. Otosk. Befund normal. Arterio¬
sklerose, r. nur differenzierendes Vokalgehör. 1. vad conch., V 2 m. S bds. mäßig verk.,
W nach 1., R bds. neg. Vestibularapparat normal. Hörschlauch keine Hör¬
verbesserung. Akustikapparat: v r. 0, 1. ad App., V r. 1 m, 1. 2 m. Para¬
bolisches Hörrohr: v r. 0, 1. ad App., V r. 20cm, 1. 3m. Hörrelief zeigt
mit Akustikapparat und parabolischem Hörrohr in den tiefen Tönen eine Einengung,
in den mittleren und hohen Tönen keine wesentliche Änderung.
Im allgemeinen wiesen die Fälle von Innenohrschwerhörigkeit in
ihren durch die Hörapparate modifizierten Hörreliefs keine besonderen
Merkmale gegenüber der Mittelohrschwerhörigkeit auf, außer, daß aus¬
giebige Hörverbesserungen stets mit einer Erweiterung des Hörreliefs
in den hohen Tönen c* bis c^ einhergehen.
Besonders bemerkenswert ist das Resultat in 11 Fällen von Lues
des Innenohres. (Ein Fall wies rezente Erscheinungen kongenitaler Lues
auf, 3 Fälle älterer Lues congenita, 7 Fälle akquirierter luetischer Innenohr¬
affektion). Sämtliche Fälle verhielten sich gegen Hörapparate aller Typen
mehr oder weniger refraktär. 8 Fälle =73% reagierent überhaupt nicht.
2 Fälle = 18 % zeigten mit dem parabolischen Hörrohr, 1 Fall =9%
mit dem Akustikapparat eine minimale Hörverbesserung.
J. G., 63 Jahre, Hilfsarbeiter. Vor 40 Jahren bds. kurzdauernder Ohren¬
fluß. Damals Lues. Vor 3 und 2 Jahren spez. Ausschlag, der nach antiluetischer Kur
verschwand. Wassermann Anfang Jänner 1922 und derzeit -f. Schwerhörigkeit
besteht seit 30 Jahren, hat sich aber in den letzten Jahren wesentlich verschlimmert.
Kurz dauernde Schwindelanfälle (die jedoch nicht als Drehsehwindel beschrieben
werden). Otosk. Befund: r. Narbe vorne unten, 1. trockene Perf., 8 bds. stark verk.
v bds. 0, V r. ad conch., 1. m. Sp. N. nicht vorhanden. Labyrinth kalor. über¬
erregbar (bds. mit 3 cm 3 15° Wassers nach 3 8ek. Latenzzeit Ny st. II. Grades von
130 Sek. Dauer unter Schwindel und Brechreiz). Mit allen 3 Hörapparaten ist nicht
die geringste Hörbesserung zu erzielen.
F. R., 22 Jahre. Bürstenbinder. Bis zum 12. Lebensjahre normal. Im
13. Jahre beiderseits Keratitis, infolge deren das r. Auge einige Jahre später enukleiert
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.Josef Schnierer.
werden mußte. Mit 14 Jahren r. plötzlich nach einer Verkühlung starke Schwer¬
hörigkeit mit Ohrgerüuschen, die innerhalb weniger Tage bis zu fast völliger Er¬
taubung des Ohres führte; 1. nach einigen Monaten ebenfalls Schwerhörigkeit, die
aber stabil blieb. 2 jüngere Geschwister gesund, 2 gestorben. Vater negiert Lu., die
zweite Frau hat 2 Kinder beim Partus verloren und wiederholt abortiert. Wasser¬
mann -f. Otoskopischer Befund: Trübung und Retrakt. bds., 1. Narbe,
r. Auge Prothese, 1. Narben der Kornea, Pupille verzogen, v r. 0,1. 10 cm, V r. ad C,
I. 5 ui. S bds. verk. R bds. neg. Kochleopalpebralreflex r. nicht auslösbar, 1. +.
Das 1. Auge zeigt in Mittelstellung vertikalen, in den Endstellungen grobschlägigen,
langsamen O Sp. N. I. Grades. Kal. N. r. mit 20 cm 3 , 35 Sek. Latenzzeit, 50 Sek.
Nyst.-Dauer, 1. normale Erregbarkeit. Hörschlauch v bds. 0, V r. 0, 1. 4 m.
Parabolisches Rohr vr. 0, 1. \' 2 m, V r. ad App., 1. 5 m. Akustik¬
apparat v lxls.__0, V r. 0,1. y 2 m. Hörrelief zeigt außer Einengung der hohen und
tiefen Töne keine Änderung.
Wenn man die gewonnenen Resultate überblickt, so fällt vor allem
das Überwiegen der Wirksamkeit des parabolischen Hörrohres in allen
Fällen reiner Mittelohrerkrankungen auf, und zwar in 60% der Fälle,
seien diese nun Folgezustände nach katarrhalischen und eitrigen Mittelohr¬
prozessen oder Otosklerose. Bemerkenswert ist bei diesen ferner der ge¬
ringe Prozentsatz versagender Wirkung der Hörapparate überhaupt
(12 und 10%) sowie die geringe Wirkung des Akustikapparates (in 12
bzw. 8%). Noch bedeutend geringer war die Wirkung des Hörschlauches.
Diese Ergebnisse lassen sich zwanglos damit erklären, daß durch die
Mittelohrprozesse die für den Hörakt so wichtige Resonanz der Mittelohr¬
räume stark leidet und daß diese durch die Resonanzapparate zum Teil
ersetzt bzw. erhöht wird.
Im Gegensatz dazu wirkt bei Innenohraffektionen der Akustik¬
apparat in einem hohen Prozentsatz der Fälle (56%). Relativ hoch ist
hier auch der Prozentsatz der Unwirksamkeit der Hörapparate über¬
haupt (20%), wobei es sich allerdings zum großen Teil (12%) um hereditär
degenerative, progressive Schwerhörigkeit handelt und in den übrigen
Fällen um sehr hohe Grade von Schwerhörigkeit. Zur Erklärung der
Wirksamkeit, gerade des elektrischen Apparates, ließe sich die Tatsache
des Eigentones dieser Apparate heranziehen. Sie beweist uns, daß die
beiden schwingenden Platten des Mikrophons und Schallgebers nicht
nur durch die Drahtleitung miteinander in Verbindung stehen, sondern
einander auch auf dem Wege durch die Luft beeinflussen und daß dadurch
gewissermaßen ein Ring geschlossen wird. (Siehe auch Barth.) Man
könnte sich die Wirkung des Akustikapparates also so vorstellen, daß das
Gehörorgan bzw. der Nervus acust. in einen Stromkreis eingeschaltet wird
und daß dadurch eine erhöhte Leistungsfähigkeit der Nerven (eine Art
Kochlearisreaktion nach Brenner) zustande käme. Da aber der Eigen¬
ton lediglich eine Folge der gegenseitigen Beeinflussung der beiden
schwingenden Membranen durch Luftschwingungen ist, kann von einem
geschlossenen Stromkreis nicht die Rede sein und muß zur Erklärung
der Wirkung des Akustikapparates die Verstärkung und Verbreiterung
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Verwendbarkeit von Hörapparaten.
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der Kopfknochenleitung durch das Anlegen des Mikrophons an die Ohr¬
muschel herangezogen werden.
Schwieriger wird die Erklärung der geringen Wirksamkeit des
Akustikapparates (4%) bei den mit Innenohrschädigung verbundenen
Fällen von Altersschwerhörigkeit. Es ließe sich vielleicht aus der großen
Anzahl von Fällen, bei denen Hörapparate überhaupt versagen (32%),
der Schluß ziehen, daß eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Nervus
acusticus durch Verstärkung der Kopfknochenleitung bei Alters¬
schwerhörigkeit nicht mehr möglich ist. Andrerseits läßt sich mit Be¬
stimmtheit behaupten, daß eine Verbesserung der Luftleitung bzw. eine
Erhöhung der Resonanzfähigkeit des Mittelohres in einer großen Anzahl
von Fällen möglich ist, was aus dem hohen Prozentsatz der Wirksamkeit
des Hörschlauches und des parabolischen Hörrohres (48%) hervorgeht.
Endlich ist das Verhalten von Luetikern gegenüber Hörapparaten
ganz besonders interessant. Man kann eigentlich durchwegs von einem
Versagen derselben sprechen. Ich möchte als Erklärung für dieses Ver¬
halten, gestützt auf einen von Koenigstein und Spiegel erhobenen
Befund (Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychol. 1920), das Vorhanden¬
sein meningealer luetischer Erscheinungen oder malazischer bzw. hyper¬
plastischer Herde im Gehirn bzw. den Hintersträngen heranziehen, durch
welche die Verwertung der Gehörseindrücke gestört wird.
Meine Resultate und besonders die Befunde bei Innenohr¬
schwerhörigkeit rufen in mir die Überzeugung wach, daß neben den rein
akustischen Problemen bei der Herstellung und Auswahl von Hör¬
apparaten es hauptsächlich physiologisch-physikalische Probleme anderer
Natur sind, die uns einen Fortschritt in der Herstellung und Anwendung
von Hörapparaten bringen können.
Das Instrumentarium des Otologen ist nicht vollständig, wenn
sich darin nicht eine Anzahl von Hörapparaten befindet, welche es dem¬
selben ermöglichen, zumindest für die oben erwähnten Krankheitsformen
und für die verschiedenen Intensitätsgrade der Schwerhörigkeit, den
passenden Hörbehelf festzustellen. Ich möchte, gestützt auf meine Er¬
fahrungen raten, für die Untersuchung Schwerhöriger folgende Hör¬
apparate bereitzuhalten. Einen Hörschlauch von 0‘75 und einen solchen
von l'5m Länge, mindestens 2 Größen parabolischer Hörrohre von 5
und 9 cm Durchmesser, endlich 2 bis 3 elektrische Apparate mit 1 bis
3 Mikrophonen und womöglich verschiedenem Eigenton. Mit dieser
relativ geringen Zahl von Hörapparaten wird es wohl in der Mehrzahl
der Fälle bei nicht zu hohen Graden von Schwerhörigkeit gelingen, die
Möglichkeit einer Hörverbesserung festzustellen.
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712
Martin S u g a r.
Bemerkungen zu dem Artikel: „Bäräny und die
Wiener Universität“
der Herren H. Burger (Amsterdam), A. af Forselles (Helsingfors),
G. Holmgren (Stockholm), E. Schmigelow (Kopenhagen),
V. Uchermann (Kristiania)
(Acta Oto-Laryngologica, Stockholm, 1922, Vol. III, Fase. 4).
Von Martin Sugär, Budapest.
Die akademischen Bürger der Universität Upsala nahmen
seinerzeit gegen den Unfug der Virtuosenvergötterung Stellung, indem
sie den berühmten Oie Bull bei seiner Ankunft statt des von ihm
erwarteten Fackelzuges, Pferdeauspannens und der Blumenkränze, eine
Tracht Ehrenprügel zukommen ließen, eine wahrhaft nordische Sürprise,
über die uns die deutsche Literatur berichtet (1).
Auch in der Wissenschaft gebührt der Vergötterung kein Raum,
vielmehr gelten für mich die Worte Leasings, daß das Suchen der
Wahrheit größere Befriedigung gewährt als der Besitz derselben.
Nach meiner wiederholten Polemik mit B ä r £ n y (Upsala) im Inter¬
esse der Priorität weiland Andreas H ö g y e s’, zuletzt im Oktoberhefte 1921
dieser Monatsschrift (2), kann es wohl nicht als Unbescheidenheit gedeutet
werden, wenn ich in dieser Kontroverse mit der Wiener Universität,
seit jeher eine feste Burg otiatrischer Forschung, das Wort ergreife.
Sprechen doch die obigen nordischen Forscher wegen der Ablehnung
der Professur Bäränys von einer wahren „Kampagne“ gegen Bäräny
und vielleicht halten dieselben auch mich für ein „Instrument“ derselben,
indem sie wörtlich hervorheben, daß B ä r ä n y s „Feinde und Neider
nicht schweigen, weshalb sie auch gegen die im Verborgenen üppig
wuchernde Verleumdung öffentlich einschreiten“.
Die wissenschaftliche Kontroverse mit Bäräny interessiert bereits
nachgerade die Fachkollegen aller Herren Länder, deshalb erkläre ich
feierlich und mit vollem sittlichen Ernste an dieser Stelle, daß ich
niemandens Schachfigur bin und meine wissenschaftliche Fehde mit
Bäräny von keiner Seite beeinflußt wurde.
Ich kämpfe lediglich für die Anerkennung der Verdienste unseres
H ö g y e s*, das war und bleibt das Alpha und Omega meiner Polemik
und vielleicht die auslösende Ursache vieler berechtigter und unberechtigter
Anschuldigungen gegen Bäräny, möglicherweise auch die Causa movens
obigen Artikels.
Meinen Standpunkt Bäräny gegenüber will ich in folgendem Satze
präzisieren: Man kann große Geister nicht schöner ehren, indem man
ihre Mängel ebenso gewissenhaft wie ihre Tugend beleuchtet. Und
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B a r a n y und die Wiener Universität.
713
Breuer, dem wir so vieles zu danken haben, würdigt in seiner Arbeit
„Über Bogengänge und Raumsinn“ das Verdienst de C y o n s mit fol¬
genden schönen Worten: „Dieses Verdienst wird nicht geringer dadurch,
daß der Gedanke nahe liegt und gewiß auch anderen sich aufgedrängt
hat. Darin hegt ja das Überraschende jedes Apercus, daß so nahe liegt,
was doch bis dahin niemand ausgesprochen hat. Sage etwas, das sich
von selbst versteht, zum ersten mal und du bist unsterblich“ (Ebner) (3).
Nicht der kleinliche Neid, den der kleine Tambour-Maitre gegen
den großen Tambour-Major empfindet, leitet mich daher gegen B ä r ä n y,
wenn ich mm punktweise auf den Artikel unserer nordischen Kollegen
eingehe und zunächst die Frage aufwerfe, hatBdrdny den kalo¬
rischen Nystagmus tatsächlich entdeckt?
Ich muß obigen nordischen Autoren beipflichten, daß die schöp¬
ferischen Grundgedanken des kalorischen Nystagmus weder von Ewald
noch von Breuer herrühren, da letzterer übrigens selber die Priorität
ablehnte, im Werke des an erster Stelle genannten Autors aber hierzu
tatsächlich keine Stütze zu finden ist. Vor dem wissenschaft¬
lichen Forum der ganzen Welt beanspruche ich
aber diese Priorität für unseren Högyes auf Grund
seiner bereits aus dem Jahre 1879 stammenden
experimentellen Arbeiten ,,Ü ber den Nerve n-
mechanismus der assoziierten Augenbeweg u n g e n“,
die von mir mit einem längeren Vorwort versehen, mit Subvention der
ungarischen Akademie der Wissenschaften in das Deutsche übertragen,
in dieser Monatsschrift erschienen sind (4) und deren Sonderabdruck
in 216 Seiten umfassender Buchform von mir fast sämtlichen Universitäts¬
bibliotheken Europas, so auch der Wiener Universitäts- und der Hof¬
bibliothek, eingesandt wurde.
In dieser seiner Arbeit macht Högyes des Auftretens des ther¬
mischen Nystagmus, nach seiner Versuchsreihe zur Erzeugung des
rotatorischen, postrotatorischen und galvanischen Nystagmus, als etwas
Selbstverständlichem Erwähnung, ja er korrigiert die Auffassung H i t z i g s,
daß beim Einbringen von Eisstückchen in die fossa mastoidea nicht
der Flocculus, sondern die Bogengänge gereizt wurden (S. 100).
Wohl findet sich schon einige Jahre früher bei Bornhardt (5)
die experimentelle Angabe, daß der Vestibularapparat auf thermische
Reize reagiert, speziell daß man durch Anwendung von Wärme und Kälte
die entgegengesetzte Wirkung beobachten kann. Die Bemerkung des
durchaus wahren und edlen Gelehrtencharakters, unseres Högyes’,
daß er nämlich seine Reizungs- und Zerstörungsversuche am Labyrinthe
und die hierdurch erscheinenden eigentümlichen bilateralen Augen¬
bewegungen schon zu einer Zeit beobachtet hat, bevor er die Versuche
anderer Autoren gekannt hat (S. 106), verdient jedoch volles Vertrauen.
Wie oben ersichtlich, kommentiert Högyes sehr richtig selbst
Hitzig und, wenn die obigen nordischen Autoren behaupten, daß
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714
Martin S n g a r.
Hitzige Versuch „in der Tat noch heute ungeklärt ist“ (S. 392 des
Sonderabdruckes), finden sie die bequeme Erklärung eben bei Högyes.
Aber auch anderes finden sie im H ö g y e a sehen Werke, das Martin
B a r t e 1 s in seinem Werke (6) folgenderweise zusammenfaßt: 1. H ö g y e s
hatte zuerst einen ständigen Einfluß des Labyrinthes auf die Augen¬
muskeln angenommen. Ewald ging nur in seinen Fußstapfen weiter
und baute diese Lehre vom „Labyrinthtonus“ für die Körpermuskulatur
(ein reflektorisch bedingter mittlerer Kontraktionszustand) aus. 2. H ö g y e s
stellte zuerst fest, daß nach Zerstörung beider Labyrinthe oder nach
Durchschneidung beider Hömerven die kompensatorischen Augen¬
bewegungen völlig fehlen. 3. H ö g y e s klassifizierte zuerst genauer
die einzelnen kompensatorischen Bewegungen beim Kaninchen und
benannte sie, wies ferner nochmals gegen Baginsky und Andere nach,
daß ihre Ursache im Labyrinthe zu suchen sei. 4. Uber den Verlauf der
einschlägigen Bahnen in der Medulla und höher hinauf sind wir wenig
unterrichtet; dies trifft besonders für physiologische Experimente zu.
Nur H ö g y e s hat bis jetzt solche angestellt. 5. Durch sorgfältige Durch¬
schneidungsversuche hat H ö g y e s supranukleäre Zentren zu begründen
versucht und bekanntlich verlegt auch B ä r ä n y die Entstehung der
schnellen Phase des Nystagmus in ein Zentrum oberhalb des Reflex¬
bogens für die langsame Bewegung. 6. Högyes fand zuerst, daß
jedes Labyrinth mit jedem Augenmuskel eines jeden Auges verbunden
ist, wie er dies durch Erforschung der nervösen Bahnen erwies und übrigens
Ewald nur ergänzte, daß jedes Labyrinth hauptsächlich eine Bewegung
beider Augen nach der Gegenseite bewirkt, welche (Jegenbewegung der
langsamen Phase des Nystagmus entspricht.
Bartels hätte bei der Abfassung seiner experimentellen Arbeit
noch viel mehr Verdienste von Högyes entdeckt, wenn ihm nicht nur
das kurze deutsche Referat der ursprünglich nur in ungarischer Sprache
erschienenen Werke Högyes’, auf die er wohl durch meine bereits im
Jahre 1909 im Archive f. 0. erschienene erste Arbeit über Högyes (7)
aufmerksam gemacht wurde, sondern auch die von mir im Jahre 1912
übertragenen und in sechs Heften dieser Monatsschrift erschienenen
Originalwerke Högyes zur Verfügung gestanden wären. Dann würde
er unter anderem auch nicht behaupten (S. 45), daß wir noch gar nichts
über den Einfluß des Utrikulus und Sakkulus auf die Augenstellung
und eventuell auf die Richtung des Nystagmus wissen.
Nach Högyes (8) gehen vom Utrikulus und Sakkulus ständig
funktionierende, reflexinnervierende Ströme zu sämtlichen Muskeln,
insbesondere zu jenen des Auges, Kopfes, Halses, Rumpfes und. der
Extremitäten aus und diese bilateralen Reflexströme erhalten den Körper
iiu Ruhezustände, die an beiden Körperhälften befindlichen synergisch
und antagonistisch wirkenden Muskeln in labilem, bilateralem Gleich¬
gewicht, welch labiles Gleichgewicht eine Veränderung erfährt, wenn
die Körperbewegungen unter Willenseinfluß oder in Folge anderer Reflex-
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B & r ä n y und die Wiener Universität.
715
Wirkungen zu aktiven sich modifizieren und die sogenannten assoziierten
bilateralen Augen- und Körperbewegungen in die Erscheinung treten.
Aber auch Ino K u b o (9) hätte Belehrung aus Högyes* Werken
schöpfen können, daß die Exstirpation des Großhirnes bei Kaninchen
ohne Einfluß auf das Auftreten des Nystagmus bleibt, was H ö g y e s
bereits anderthalb Jahrzehnte vorher auf S. 88 und 208 seines Werkes
experimentell feststellte und was für den Beweis der labyrinthären Ent¬
stehung der langsamen Phase des Nystagmus heute herangezogen wird.
Ebenso fand Högyes bereits viele Jahrzehnte vor de Kleijn
und Magnus durch seine Exstirpationsversuche, daß dem Kleinhirne
keine direkte Rolle beim Zustandekommen der assoziierten Augen¬
bewegungen gebührt, daß beide Vestibularapparate mit den Extremitäten-
muskeln Zusammenhängen, wodurch wir heute eine sichere Erklärung
für die Erfahrungstatsache besitzen, daß sich das „Vorbeizeigen“ im
Allgemeinen seltener beobachten läßt als „Fallneigung“, weil eben eine
Kompensation durch die bilaterale Versorgung leichter eintritt, während
die der Fallneigung vorstehende Rumpfmuskulatur nur mit einem
Labyrinthe zusammenhängt, somit schwerer eine Kompensation statt¬
haben kann (10).
Die Lehre über die zahlreichen Verbindungen des Bogengang¬
apparates mit dem Kleinhirn, den Weg der Akustikusbündel zum Klein¬
hirn und von da zu den Zentren der Großhirnhirnde, dessen Entdeckung
B ä r ä n y dem spanischen Forscher Ramon y Cajal zuschreibt,
die Lehre über bestimmte Lokalisationen für bestimmte Muskelgruppen
im Kleinhirn, deren Entdeckung B ä r ä n y dem holländischen Anatomen
Louis B o 1 k vindiziert, finden sich samt und sonders schon bei
H ö g y e s begründet (11).
: »Schon auf Grund des oben erwähnten kurzen deutschen Referates
über die Werke Högyes erklärt auch Ewald bei der Schilderung
der Etappen der Labyrinthforschung, daß den Drehschwindel wohl
Purkinje und Mach sorgfältig untersuchten, aber erst Högyes
bewies die Abhängigkeit des Drehschwindels
vom Labyrinthe (E w a 1 d, Kapitel XV, S. 309) und das ist
das Punktum s a 1 i e n s der Frage, wie ich hinzufügen muß,
wodurch Högyes der Labyrinthforschung unvergängliche Dienste
erwies (12).
Purkinje glaubte noch, daß der Augenschwindel bedingt sei
durch einen „Kampf bewußtloser unwillkürlicher Muskelaktionen und
willkürlicher bewußter nach der entgegengesetzten Richtung“ (13).
Mach nahm an, daß das bloße Drehungsmoment, „der Druck des
Bogeninhaltes ohne merkliche Drehung auf den Nerven wirkt, so wie
etwa der Druck die Tastnerven erregt“, er negierte daher die Endo¬
lymphströmung als auslösende Ursache des Augenschwindels (14).
Nebenbei bemerkt, fand diese Theorie jüngst eine merkwürdige
Auferstehung in den Arbeiten der hiesigen Kollegen Lorenz und
Monatsschrift f. Ohrenbeilk. u Lar.-Rhin. 56. Jahrg. 47
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716
Martin Sug&r.
R e j t ö, die ebenfalls den Druck der Endolymphe, sohin nicht die Endo¬
lymphströmung für das auslösende Moment des Vestibularreizes be¬
trachten (15). Und Hitzig entdeckte bereits im Jahre 1870 den gal¬
vanischen Augenschwindel, doch blieb ihm der Gedanke ganz fern, die
Augenbewegungen auf das Labyrinth zurückzuführen, ja, merkwürdiger¬
weise, trotzdem er folgende Bemerkung machte: „Ich will nicht von dem
eigentümlichen Zusammenhang der halbzirkeliörmigen Kanäle mit der
Erhaltung des Gleichgewichtes reden“ (16).
Erst H ö g y e s, der hier mit seinem von ihm konstruierten Magnet¬
induktor experimentierte (S. 99), führte auch den galvanischen Schwindel
einwandfrei auf das Labyrinth zurück.
Gewiß irrig und unhaltbar ist es daher, wenn das erste, indeß auf¬
gehobene Urteil des Wiener akademischen Senates gegen B ä r & n y
behauptet, daß Hitzig der Entdecker des kalorischen Nystagmus sei,
was der Artikel obiger nordischer Autoren richtig beanständet (S. 392),
und man B ä r ä n y deshalb verbot, sich als Entdecker des kalorischen
Nystagmus zu gerieren. Richtig ist vielmehr Folgendes, wie dies Bartels
sehr eingehend erörtert.
Augenbewegungen beim Ausspritzen des Ohres waren schon lange
bekannt; am Menschen untersuchte dieselben aber zuerst weiland
Viktor Urbantschitsch mit seiner selten scharfen Be¬
obachtungsgabe, indem er die laut Angabe der Pat. nach Wasser¬
ausspritzung des Ohres auftretenden Scheinbewegungen prüfte, ohne
aber, wie Bartels meint, eine Erklärung dieses Phänomens zu geben.
In diesem Punkte muß ich Bartels widersprechen, denn die ein¬
schlägigen Verdienste Viktor Urbantschitsch’s habe ich
bereits vor Bartels in meiner im Jahre 1909 erschienenen ersten
Arbeit über H ö g y e s (7) gewürdigt, indem ich betonte, daß
Urbantschitsch schon von einer „thermischen Reflexeinwirkung“
auf das Labyrinth sprach (17). Urbantschitsch war daher auf
der richtigen Spur, leider waren ihm die damals nur in ungarischer Sprache
publiziert gewesenen Werke H ö g y e s* unbekannt, sonst hätte er den
thermischen Nystagmus erfinden müssen! Die allseits bekannte Gründ ich-
keit weiland Viktor Urbantschitsch’s erhellt auch daraus, daß
er betont, eine kalte Ausspritzung des Ohres ruft eher Schwindel hervor
als eine warme. Heute ist es uns bereits allen geläufig, daß die Anwendung
von heißem Wasser bei der kalorischen Prüfung des Vestibularapparates
beim Menschen in der Praxis unzuverlässig ist, oft versagt, während
kaltes Wasser sicher Nystagmus nach der entgegengesetzten Seite bei
intaktem Labyrinthe hervorruft.
Auch Bartels hebt dies hervor und fand bei einseitiger Durch¬
schneidung eines Akustikus und Kältereizung des anderen Labyrinthes
entgegen von Bornardt, der da meinte, daß die Kälteanwendung
ebenso wirke wie die Akustikusdurchschneidung, noch immer deutlich
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ß & r ä n y und die Wiener Universität.
717
Nystagmus auftreten, welche Beobachtung man übrigens gegen Baranys
Theorie der Endolymphbewegung ins Treffen führt (S. 46).
Seitdem übrigens K o b r a k gezeigt, daß zur Auslösung der
kalorischen Reaktion eine geringe Wassermenge (5 cm 3 mittels kleiner
Rekordspritze) genügt, scheint mir die Theorie der Endolymphbewegung
Breuer-Bäränys erschüttert, so daß wir der Auffassung Bartels
von einer Reizung bzw. Herabsetzung der Tätigkeit des Nervenend-
apparates unabhängig von Endolymphströmungen zuneigen.
Nun kam B ä r ä n y mit seinen Aufsehen erregenden Untersuchungen
am Menschen und der historischen Gerechtigkeit schulden wir es, wenn
wir konstatieren, daß er tatsächlich zuerst systematisch den verschiedenen
Einfluß von Wärme und Kälte auf die Richtung des Nystagmus fest¬
gestellt und die Augenerscheinungen klinisch unanfechtbar auf Temperatur¬
differenzen zurückgeführt, zuerst kalorischen Nystagmus benannt hat.
Im eigentlichen Sinne des Wortes kann von einer
Entdeckung des thermischen Nystagmus durch ihn nicht
die Rede sein, denn Ewalds trefflicherer, vielleicht etwas outrierter
Satz fällt mir ein, der über die Funktion des Labyrinthes handelnd,
sagt, daß man das Labyrinth schon für alles Erdenkbare verantwortlich
gemacht hat, so daß von der Priorität einer neuen Ansicht eigentlich
nicht mehr die Rede sein könne (S. 309, Kapitel XV). Bedenkt man aber,
daß bis B ä r 4 n y auf diesem Gebiet keinerlei Fortschritt zu verzeichnen
war, daß wir wohl grundlegende Experimente von Högyes, Breuer,
Cum Browne, Mach, Urbants c h i t s c h hatten, aber klinisch
noch keiner vor ihm die Resultate derselben verwertete, sie zur Dignität
einer exakten Diagnose der Labyrintherkrankungen erhob, so dürfen
wir B 4 r 4 n y unsere Anerkennung nicht versagen.
Die Umkehr der Bewegungsrichtung des Nystagmus bei Ver¬
änderung der Kopfstellung um 180° und die Abhängigkeit des Nystagmus
von der Kopfstellung überhaupt, ist zwar ebenfalls zuerst von Högyes
experimentell begründet worden (18), doch hat B ä r 4 n y zuerst auch
diese Angaben beim Menschen klinisch verwertet.
Heinrich Heine beweist in seinen prosaischen Schriften, daß „in
der Kirnst kein Vorwurf des Plagiates, kein siebentes biblisches Gebot
existiert, der schaffende Künstler kann überall zugreifen, wo er Material
zu seinem Werke findet und selbst ganze Säulen mit ausgemeißelten
Kapitälem darf er sich zueignen, w r enn nur der Tempel herrlich ist, den
er damit stützt“ (19). Baräny hat aber das wirklich imposante Gebäude
der Labyrinthdiagnose errichtet, zur Ehre der Wiener Schule, der er
entstammt, uns zur Freude, denen er wenigstens seinen Namen nach
an gehört 1
Wenn wir uns mit seinen Werken viel beschäftigen, muß ich
B 4 r ä n y, mir gleichzeitig zur Rechtfertigung, an die Worte des deutschen
Philosophen Johann Gottlieb Fichte erinnern: „Wisse,
daß jedes Werk, das da wert war, zu erscheinen, sogleich bei seiner
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7J8
Martin S u g a r.
Erscheinung gar keinen Richter finden kann; es soll sich erst sein Publikum
erziehen und einen Richterstuhl für sich bilden. Findet ein Buch sogleich
bei seiner Erscheinung seinen kompetenten Richter, so ist dies der
treffende Beweis, daß dieses Buch ebensowohl auch ungeschrieben hätte
bleiben können“.
B ä r ä n y s Werke aber waren wert zu erscheinen und überdauern
eine mir fernliegende hämische Kritik 1
Ich komme nun zur Beantwortung der Frage, hat Bäräny
das Naturgesetz der Abhängigkeit der Fäll¬
richtung von der Kopfhaltung bei vestibulären
Reizen tatsächlich entdeckt?
Der Artikel obiger nordischer Forscher gibt zu, daß B ä r ä n y
am Budapester Kongresse 1909 und später sich selbst die
Entdeckung dieses Gesetzes zugeschrieben hat. Am VIII. internationalen
Kongresse für Otologie in Budapest im Jahre 1909 trat ich zuerst an¬
läßlich einer Diskussion gegen Bäräny auf, als dieser seinen Vortrag:
„Ein neues vestibuläres Symptom bei Erkrankungen des Kleinhirnes“
hielt (10). Leider sind meine Bemerkungen durch den Redakteur dieses
General berichtes, den Sekretär des gleichzeitig stattgefundenen XVI. inter¬
nationalen Kongresses für Medizin und Kinderärzte, Dozent Franz von
T o r d a y, nicht ganz entsprechend zum Abdrucke gebracht worden,
doch so viel gellt aus denselben noch heute hervor, daß ich an dieser
Stelle zuerst die Priorität unseres H ö g y e s 1 wahren wollte.
Mir mißfiel die Art und Weise B ä r ä n y s, die den ganzen
labyrinthogenen Nystagmus als seine Domäne und Erfindung darstellte,
so daß ich mich bereits im Herbste desselben Jahres veranlaßt fand,
meinen Standpunkt des Näheren im Archiv f. Ohrenheilk. zu entwickeln (7).
Bäräny erklärte in obigem Vortrage, das von ihm angeblich gefundene
Gesetz in Kürze wie folgt: „Besteht ein Nystagmus rotatorius vestibulären
Ursprunges nach links, so fällt Pat. beim Rombergschen Versuch nach
rechts, dreht man ihm den Kopf 90° nach rechts, so fällt er nach rückwärts,
dreht man ihm den Kopf 90° nach links, so fällt er nach vorne“ (S. 554) und
war bestrebt, seine Beobachtung theoretisch durch den Verlauf der
vestibulären Fasern im Hirne bzw. Rückenmarke zu erklären.
Wenigstens hier habe ich es erwartet, daß Bäräny unseres von
ihm stets totgeschwiegenen Högyes endlich gedenkt, da wie auch
der oben zitierte Bartels betont, ausschließlich Högyes physio¬
logische Experimente über den Verlauf der einschlägigen Bahnen in
der Medulla oblongata und höher hinauf anstellte. Was wir über den
Verlauf der Nervenbahnen wissen, haben wir ausschließlich Högyes
zu danken 1 Die vestibulären Fasern ziehen zum D e i te rs’schen Kerne,
von hier am Wege des hinteren Längsbündels zu den Augenmuskel¬
kernen und machen Nystagmus, andererseits vom Deiter s-Kerne zu
den Vorderhörnern des Rückenmarkes und bewirken die vestibulären
Gleichgewichtsstörungen, während aufsteigende Fasern aus dem Zervikal-
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Bäräny und die Wiener Universität.
719
mark den Einfluß der Stellung des Kopfes auf die Richtung der Gleich¬
gewichtsstörungen vermitteln. Bdräny wirft die Frage auf. wo diese
Beeinflussung vor sich gehe, in dem D e i t e r s-Kerne oder Kleinhirn
und vermutet, daß wahrscheinlich im Kleinhirne, in das ja zahlreiche
Fasern vom D e i t e r s-Kerne ausziehen. Klar und deutlich geht aus
dem Högyes sehen Werke (S. 199) hervor, daß dies nur im Kleinhirne
erfolgen kann, denn die zentripetalen Bahnen gelangen jenseits der
Akustikusganglien alle zuerst in das Kleinhirn und nur unter Vermittlung
desselben ziehen sie zum Großhirne. Das Verständnis für Gleichgewichts¬
störung und Fallrichtung haben wir auch in den experimentellen Arbeiten
H ö g y e 8* gefunden. Mit logischer Konsequenz folgt dies aus dem Befunde
Högyes’ über Umkehr der Bewegungsrichtung des Nystagmus bei
Veränderung der Kopfstellung um 180° und der Abhängigkeit des
Nystagmus von der Kopflage überhaupt, da ja die vestibulären Fasern
nicht nur Nystagmus, sondern auch Gleichgewichtsstörungen bewürben.
Die Abhängigkeitsbeziehung zwischen Fallrichtung und Kopf¬
haltung stammt nach allgemeiner Anerkennung von Breuer (21), ist
daher keinesfalls B ä r ä n y s Erfindung, ergibt sich aber auch aus den
Högyes sehen Befunden.
Auch bei Ewald finden w r ir die wörtliche Angabe (S. 287), daß
,,die Zentralteile für die nicht akustischen Oktavusfunktionen wohl in
dem Kopfmarke (Kleinhirn) zu suchen sein werden; jedenfalls müssen
von ihnen aus zahlreiche Verbindungen zu allen Muskeln vorhanden
sein, wie Ewalds Versuche über Beziehungen zwischen Muskulatur
und Labyrinth lehren“. Ich habe mich oben auf Bartels berufen, daß
diese Beziehungen zuerst Högyes konstatierte. Schon der große Gräfe
fand, daß die Augenrollbewegungen beim Kaninchen durch Kopf¬
bewegungen um die Längsachse der Obliqui stattfinden, die letzteren
Augenmuskeln durchschnitten, wieder aufhören (22).
Aber selbst das Genie eines Alfred Gräfe kam nicht auf die Idee
Högyes* daß diese Rollbewegungen vom Ohrapparate abhängen könnten!
Den Einfluß der Wendung des Kopfes um die
vertikale Achse auf den Romberg hat dagegen
tatsächlich nur Bäräny untersucht, mit seltener heuris¬
tischer Gabe durch Modifikation des Gräfe sehen Tastversuches den
diagnostisch wichtigen ,,Z e i g e v e r s u c h“ angegeben, er hat durch
Modifikation einer Methode des Physiologen Trendelenburg
durch Abkühlung der Haut über dem freiliegenden Kleinhirne die dar¬
unterliegende Partie desselben temporär gelähmt und derart auch
experimentell „Vorbeizeigen“ erzeugt, schließlich auf diese Weise in
fünf Bezirken an der Kleinhirnhemisphäre Zentren für die Bewegungen
der oberen Extremitäten in den verschiedenen Richtungen des Raumes
angegeben. Wer dies alles unparteiisch prüft, muß neidlos zugestehen,
Bäräny hatte w r ohl Vordermänner, insbesondere Högyes und
Breuer, vielleicht ließ er sich auch — menschlich begreiflich — von
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720
Martin S n g & r.
der Sucht verführen, eigenes großes Verdienst auf Kosten des Fremden
zu vergrößern, er gehört jedoch zweifellos zu jenen intuitiven Naturen,
denen Kant das „spontaneische Begreifen der Dinge in ihrer Totalität“
zuschreibt, im Gegensätze zu uns gewöhnlichen „analytischen Naturen,
die wir erst durch ein Nacheinander und durch Kombination der Einzel¬
teile die Dinge zu begreifen wissen“.
Den inkulpierenden Ausdruck des Wiener akademischen Senates
„Verdunklung“ der Verdienste anderer, im speziellen unseres Andreas
H ö g y e s* durch B ä r ä n y, habe ich in meinem ersten Angriffe gegen
B & r ä n y im Archiv f. Ohrenheilk. gebraucht. Ich selber wollte mit
Nachdruck auf die unsterblichen Werke H ö g y e s* hinweisen, an¬
erkenne aber gerne die klinischen Verdienste B & r ä n y s.
Wenn endlich seitens unserer nordischen Kollegen strikte wider¬
sprochen wird (S. 385), daß laut Urteil des Wiener Senates der Schluß
vom Tierversuch auf den Menschen die Regel sei und sohin im gegebenen
Falle von einem Verdienst B ä r ä n j s nicht die Rede sein könne, erwähnt
H ö g y e s allerdings auf S. 136, daß seine Folgerungen auch auf das
menschliche Auge übertragbar seien. Die Beantwortung dieser Frage
ist aber nicht so einfach, denn die meisten experimentellen Beobachtungen
wurden an Tieren mit seitlich stehenden Augen gemacht, deren Deviatio
vertikalis diagonalis (H e r t w i g-Magendi e sehe Schielstellung, id
est, das eine Auge nach oben, das andere nach unten abgewichen) beim
Menschen nicht vorkommt, wie dies richtig auch Bartels betont
(S. 51).
Ich eile zum Ende meiner Betrachtungen, mit denen ich den Beweis
erbringen wollte, daß noch auf Jahrzehnte die von mir bekannt gemachten
Werke H ö g y e s* eine Fundgrube der Labyrinthforschung sein werden.
Bei der Hervorhebung derselben schwebten mir die Worte eines unserer
größten Geister, des unsere Nation beim Friedensschlüsse in Trianon
bei Paris vertretenen Grafen Apponyi vor: „Unsere Armut macht
uns bereits den Anschluß der heimischen Wissenschaft mit jener der
übrigen Kulturvölker unmöglich. Nicht von Weiterentwicklung der
heimischen Wissenschaft spricht unser Notschrei, nur von Rettung und
Bergung des bislang Erworbenen 1“ (23).
Und deshalb erlahme ich nicht, das zu retten, was uns und der
Menschheit iür ewige Zeiten Högyes bot!
Für Robert B ä r ä n y aber, dem in Wien erzogenen, ehemaligen
Wiener Privatdozenten, gelten die Worte Heinrich Heines: „Die
Gesellschaft ist eine Republik. Wenn der Einzelne emporstrebt, drängt
ihn die Gesamtheit zurück.Keiner soll tugenhafter und geistreicher
sein als die übrigen. Wer aber durch die unbeugsame Gewalt des Genies
hinausragt über das banale Gemeindemaß, diesen trifft der Ostrakismus
der Gesellschaft., so daß er sich endlich zurückziehen muß in die
Einsamkeit seiner Gedanken.“ (24).
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Baräny und die Wiener Universität.
721
Von dieser nicht alltäglichen Gedankenwelt Baranys, bar
einer jeden Erbitternng, erwarten wir noch vieles im Interesse der uns
allen am Herzen liegenden wissenschaftlichen Disziplin!
Literatur: (1) Heinr. Heines sämtliche Werke, bei Campe (Hamburg)
1890. X. Bd. S. 264 bis 265. — (2) Mart. Sug&r: Labyrinth und Nystagmus.
Mschr. f. Ohrenhlk. 1921. H. 10. — (3) Jos. Breuer: Über Bogengänge und Raum¬
sinn. Pflügers Arch. 68. Bd. 1897. S. 603. — (4) Andreas H ö g y e s - Mart. Sug&r:
Über den Xervenmechanism. der assoc. Augenbew. Mschr. f. Ohrenhlk. XLVII. Jahrg.
1912. — (5) B o r n a r d t: Exper. Beiträge zur Physiol. der Bogengänge des Ohr¬
labyrinthes. Pflügers Arch. Bd. XIL 1875. S. 471. — (6) Mart. Bartels: Über
Regul. der Augenstellung durch den Ohrapp. Gräfes Arch. Bd. 76 bis 78. 1910 bis 1911.
— (7) Mart. 8 u g & r: Labyrinth u. Nyst. ,,In Memoriam Prof. Andr. Högyes“. Arch.
f. Ohrenhlk. Bd. 81. Jahrg. 1909. — (8) Andr. Högyes: Neue Untersuchungs¬
methode zum Stud. der Funktion des N. vestibul., Orvosi Hatilap 1902, Nr. 27 und
Akad. d. Wiss. III. Abt. 1902. 16. Juni. Pflügers Arch. 98. Bd. — (9) Ino Kubo:
Über die vom N. acust. ausgelöste Augenbeweg. Pflügers Arch. Ed. CXIV. 1906. —
II Mitteil. Ebenda. Bd. CXV (zitiert bei Bartels. Gräfes Arch. Bd. 76). — (10) De
Kleijnu. Magnus: Zitiert bei Sug&r. Mschr. f. Ohrenhlk. 1921. H. 10. Früheres
Werk. — (11) A. Högyes: Zitiert bei Sug&r wie oben ebenda. — (12) J. Rieh.
E wald: Physiol. Untersuch, über das Endorgan des N. octavus (Bergmann. Wies¬
baden) 1892. — (13) PuTkinje: Mitteil, über Scheinbewegungen. S. Aubert:
Phys. Studien über die Orientierung. Tübingen 1888. Abdruck daselbst. — (14) Ernst
Mach: Grundlinien der Lehre von den Bewegungsempfindungen. Leipzig 1875
(Engelmann). Zitiert bei Bartels. — (15) Hugo Lorenz: Über die phys. Funktion
des X.vestibul. Referiert von Mart. Sug&r. Mschr. f. Ohrenhlk. 1920. XII. H. S. 1156;
Alex. R e j t ö: Überdie Gleichgewichtsfunktion der Bogengänge. Mschr. f. Ohrenhlk.
LXVIII. Jahrg. Siehe obiges Referat ebenda. — (16) Hitzig: Über die beim
Galvanisieren des Kopfes entsteh. Störungen derMuskelinnervation und der Vor¬
stellungen vom Verhalten im Räume. Du Bois Arch. 1871. Zitiert bei Bartels. —
(17) Viktor Urb an tsch itsch: Lehrbuch. IV. Aufl. 1901. S. 105; Wr. klin.
Wschr. 1896. Nr. 1. Zitiert bei Sug&r. Arch. f. Ohrenhlk. Bd. 81. Jahrg. 1909; Über
die Beeinflussung subjektiver Gesichtsempfindung. Pflügers Arch. Bd. XCIV. 1903.
S. 362. — (18) Högyes: Pflügers Arch. 98. Bd. S. 285 und Orvosi Hetilap 1902.
Nr. 27. — (19) Heinr. Heine: 1. c. X Bd. S. 197 über Alexander Dumas. —
{20) Rob. B&r&ny: Ein neues vestibul. Symptom bei Erkrank, des Kleinhirnes.
Cornpterendu de Vllle Congres intern. D‘Otologie Budapest Aofit-Sept. 1909. pag. 554
und Martin Sug&r: Proc&s-Verbaux. Pag. XXXII. — (21) Jos. Breuer: Über
die Funktion der Bogengänge des Ohrlabyrinthes. Med. Jahrb. d. Gesellsch. d. Ärzte.
Wien 1874. S. 25. — (22) Alfr. Gräfe: Beitrag zur Phys. u. Path. der schiefen Augen¬
muskeln. Arch. f. Ophthalm. Bd. I. S. 1. 1854. — (23) Graf Albert Apponyi:
Eröffnungsrede an der Enquete des Vereins für Hochschulbildung im Prunksaale
der Akad. d. Wiss. am 18. Juni 1922 in Budapest. — (24) Heinr. Heine 1. c. XIL Bd.
S. 64. Vermischte Schriften.
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722
H. M a r s c h i k.
Aus der laryngologischen Abteilung der Wiener Allgemeinen
Poliklinik.
Beiträge zur Chirurgie der oberen Luftwege ')•
Von Professor Dr. H. Marschik.
(Mit 4 Fi traren.)
A. Tracheotomie oder Tracheostomie?
Seit Gluck auf Grund seiner Tierversuche das einzeitige Ver¬
fahren bei den Eeblkopfresektionen eingeführt hat, hat der Kampf
in dieser Frage nicht aufgehört. Nun schreibt ja Gluck der Aspira¬
tion wahrend oder nach der Operation die alleinige Schuld an den
postoperativen Lungenkomplikationen zu, und hat auf den Ergeb¬
nissen seiner diesbezüglichen eindeutigen Tierexperimente seine
Methode der Radikaloperation aufgebaut. Andrerseits aber wird
auch (C h i a r i u. a.) für das zweizeitige Verfahren geltend gemacht,
daß die Luftwege sich an den Ausfall der Vorwärmung, Reinigung
und Durchfeuchtung der Atemluft durch die Nasenatmung vermittelst
einer unvermeidlichen reaktiven Bronchitis erst gewöhnen müßen,
und diese Bronchitis gefährlicher sei, wenn der Patient durch den
schweren Operationschock einer Totalexstirpation geschwächt ist. Die
Wahrheit dürfte auch nach meinen Erfahrungen in der Mitte liegen:
Beide haben Recht. Lungenkomplikationen können jedenfalls auch
als reine Erkaltungsschaden durch die kalte Außenluft hervorgerufen
werden. Andrerseits laßt sich auch bei strikter Einhaltung der
Gluck sehen Methodik die Aspiration nicht mit Sicherheit ver¬
meiden, vielleicht eher bei der Operation, schwieriger aber schon
bei der Nachbehandlung, wenn, was ja oft genug passiert, doch am
Rande des Tracheostomas kleine Dehiszenzen auftreten, die sich
belegen und eine gewiße Zeit lang infektiöses Sekret produzieren,
das auch mit sorgfältigster Abdichtung nicht mit Sicherheit von dem
Hinabrinnen in die tieferen Luftwege abzuhalten ist. Sind nun
diese durch die erste Reizbronchitis nach der Eröffnung, wenn auch
nur leicht, geschädigt, so können wenige Tropfen dieses Sekrets
genügen, um eine Bronchopneumonie hervorzurufen. Gluck hat ja
nun durch mustergültige Einrichtung seiner Klinik die Gefährdung
durch Erkaltung und Austrocknung der einzeitig eröffneten Trachea
auf ein Mindestmaß reduziert. Der Operierte befindet sich vermittelst
verschiedener Zerstaubungsapparate, sorgfältiger Temperierung der
Krankenzimmertemperatur, sowie allseitiger Umstellung des Kranken-
J ) Nach einer Demonstration in der Wiener laryngo-rhinologischen Gesell¬
schaft.
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Beiträge zur Chirurgie der oberen Luftwege.
723
bettes mit Schirmen von feuchter und warmer Leinwand konstant in
einer Treibhausatmosphäre, die dem wahren Zustand der in die
Trachea gelangenden Atmungsluft beim Gesunden möglichst nahe
kommt. Die Expektoration der auch von Gluck selbst zugegebenen
vermehrten Bronchialsekretion während der ersten Zeit nach der
Operation wird durch fortwährende Atemübungen, Anhaltung und
Unterstützung des Patienten zu kräftigem Aushusten in Gang er¬
halten, und ich glaube, daß unter solchen Umständen das einzeitige Ver¬
fahren seine Berechtigung und auch seine Vorteile hat. "Wenn aber jene
Einrichtungen nicht in so idealer Weise zur Verfügung stehen, wenn,
wie es leider auf meiner Abteilung an der Allgemeinen Poliklinik
bei den teilweise dürftigen Spitalseinrichtungen und der bekannten
Kohlennot der letzten Jahre in Wien der Fall war, jene Treibhaus¬
atmosphäre nicht herstellbar ist, dann dürfte sich doch das zwei¬
zeitige Verfahren empfehlen. Es wird also immer wieder Fälle und
Orte geben, wo dieses zweckmäßig in Anwendung kommt. In
neuerer Zeit ist Hajek diesem Verfahren wieder nähergetreten und
hat die präliminäre Einnähung der Trachea nach Gluckscher
Manier versucht. Ich halte dieses Verfahren, welches übrigens auch
Chiari seinerzeit erprobt hat, insofern als nicht empfehlungswert, als
die nachfolgende Radikaloperation dadurch gehemmt wird. Um das
Operationsterrain der Larynxexstirpation ausgiebig und vor allem
mit Aussicht auf radikale Exstirpation freilegen zu können, wird wohl
meist nichts anderes übrig bleiben, als die Einnähung wieder zum
größten Teil zu lösen, und demnach doch die einfacheTracheo-
tomie vorzu/iehen sein, diese möglichst hoch, eventuell so-
garim Ri ngknorpel nach entsprechender Exzision des
vorderen Bogens anzulegen sein, damit dann für die Tracheo-
plastik ein genügender Abschnitt der Halspartie der Trachea zur Ver¬
fügung steht und kein so großer Zug ausgeübt zu werden braucht. Da
aber die einfache Tracheotomie eine Sekundaheilung bedingt, während
der es ja, was man nie voraussehen kann, immer zu einer gewißen
Infektion und Eiterung der Wunde von verschiedenem Grade der
Schwere und Ausdehnung kommt, so wird der Zeitpunkt der Radikal¬
operation, die man ja eigentlich erst nach vollkommener Über¬
häutung machen kann oder sollte, oft ungebührlich lange hinaus
gerückt. Aber selbst dann ist nach den Erfahrungen der neueren
Pathologie noch mit der Anwesenheit von Bakterien in dem einst
phlegmonös entzündeten Gewebe zu rechnen, die dann bei der Radi¬
kaloperation eine Sekundärinfektion der Totalexstirpationswunde
herbeitühren und die Trachealplastik gefährden können.
Ich habe daher in neuerer Zeit die von mir schon vor zehn
Jahren an der Klink Chiari begonnenen Versuche mit der Tra-
cheostomie wieder aufgenommen, i. e. der primären, voll¬
kommenen und dauernden Versorgung der Tracheo-
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H. Marschik.
tomiewunde. Dieses Verfahren, das in primärer Vernähung der
Haut mit den Tracheotomierändern besteht, hat eine ehrwürdige Ver¬
gangenheit. Schon Diefenbach, Marshall Hall n. a. haben es
angegegehen, nm die Kanüle entbehrlich zu machen. Es ist dann
weiterhin hauptsächlich von amerikanischen Chirurgen (Roberts,
Lee, v. Don khoff u. a.) angewendet worden. Immer wieder wurde es
aufgenommen und verworfen. In nenerer Zeit ist es von Lejars für
Fremdkörper der Luftwege für die nächste Zeit nach deren Ent¬
fernung angegeben, nm für den Fall eines Glottisödems ein Sicher¬
heitsventil zn haben. Die metallische Trachealkanüle bildet leider
trotz aller Technik und Vorsichtsmaßregeln, wie Wechsel der Kanülen¬
form und Krümmung, häufigeres Weglassen, sorgfältige Beobachtung
und Nachbehandlung der Trachealschleimhaut, eine stete Gefahr
für den Patienten. Jeder, der viele Tracheotomien gemacht und sorg¬
fältig nachbehandelt and beobachtet hat, wird die Erfahrung gemacht
haben, daß der Dekubitus an irgendeiner Stelle fast die Regel ist,
und gewiß ist manche postoperative Pneumonie auch nach einfacher
Tracheotomie durch Aspiration des hinabfließenden Sekrets aus
einem Dekubitalgeschwür entstanden. T h o s t, der sich viel mit den
Mängeln der heute üblichen Technik der Tracheotomie beschäftigt
hat, empfiehlt die D u r h a m sehe Kanüle, die mehr rechtwinkelig
gebogen ist, deren Trachealschenkel daher gerade in der Achse der
Trachea verläuft, gegenüber der in einfachem Kreisbogen verlaufenden
L u e r sehen Kanüle. Der Wunsch der Chirurgen aber, die Tracheal¬
kanüle entbehrlich zu machen, hat zu allen Zeiten bestanden. Gewiß
verläuft, wie ich mich selbst überzeugen konnte, auch die unver¬
meidliche Bronchitis nach der Eröffnung des Luftrohrs leichter.
Andrerseits ist auch die Aussicht auf eine Primaheilung der Tracheal-
naht sicherer, wenn nicht die Kanüle drückt.
Die TracheoStornie ohne Kanüle, so oft immer wieder auf¬
genommen, konnte sich aber bisher nicht einbürgern, weil die starre,
aus verschiedenartigem Gewebe, nämlich dem harten Knorpel und den
weichen Zwischenbändern bestehende, dünne Trachealwand zu wenig
Fläche bietet, um mit den Hautlefzen primär zu verwachsen. Es
kommt immer zur Dehiszenz, dann aber auch sehr leicht zur Peri-
chondritis der so empfindlichen eröffneten Perichondriumscheiden
der Trachealringe, mit Fortsetzung eventuell bis an die hinteren
Enden des Knorpelbogens, Sequestration usw., danach Striktur oder
wenigstens dauernde Schwellung der Trachealwand und Einengung
des Lumens. Das chirurgische Problem ist also nur zu befriedigen¬
der Lösung zu bringen, wenn es gelingt, die starre Trachealwand
der weichen äußeren Haut adäquat zu machen. Ich habe dies er¬
reicht durch subperichondrale Auslösung der Trachealknorpel, eine
Technik, die schon Ko schier bei der zirkulären Trachealplastik
nach Totalexstirpation behufs Erzielung einer genügend breiten
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Beiträge zur Chirurgie der oberen Luftwege.
725
Manschette nahtfähiger Trachealschleimhaut mit Erfolg anwendete
und mit der auch ich bei der Totalexstirpation immer zufrieden
gewesen bin. Es gelingt damit, die ganze Trachealöffnung mit den
Hautlefzen primär zu vereinigen und jede Wunde primär zu decken.
Ich habe diese Methode nun bei verschiedenen Fällen von
Tracheotomie versucht, namentlich dann, wenn die Kanüle voraus¬
sichtlich dauernd zu tragen war. Verläuft die ganze Operation
aseptisch — und wir erreichen dies durch möglichst anämisches
Operieren, vorbereitende Morphin-Atropininjektion, wodurch die
Sehleimsekretion nnd der Hustenreiz unterdrückt wird, sowie die
endotracheale Kokain - Adreualininjektion unmittelbar vor Eröffnung
der Luftröhre —, so kommt es zu primärer Heilung, damit zur
Vermeidung jeder Sekundärinfektion oder Eiterung. Die Bedin¬
gungen für die Radikaloperation sind wesentlich günstiger geworden,
sie kann auch viel früher, eventuell schon in acht Tagen ange-
schlossen werden. Die Tracheostomie ist auch besonders bei Tbc.
laryngis von Vorteil, da sie die Sekundärinfektion der Tracheotomie¬
wunde mit tuberkulösem Sputum verhindert, eine bekanntlich höchst
unangenehme Komplikation, die die Wunde mit der Zeit in ein zer¬
fallendes, immer weiter werdendes tuberkulöses Geschwür mit allen
üblen Eigenschaften desselben verwandelt.
Wird nun nach dieser künstlichen Erweichung der Tracheal-
wand diese einfach oder kreuzweise gespalten und mit der Haut
vernäht, so muß dann natürlich eine Kanüle eingelegt werden. Wird
aber, wie ich dies schon vor zehn Jahren an der Klinik eingeführt
habe, nach dem Vorschläge T h o s t s ein entsprechendes Stück aus
der Vorderwand ausgeschnitten, um der so häufig beobachteten
Drucknekrose der Knorpelringe zu entgehen, dann bleibt nach be¬
endeter Naht eine der gewöhnlichen Kanüle entsprechende, voll¬
kommen trockene und keinerlei Verband benötigende Lücke in der
Luftröhrenvorderwand übrig, die dauernd offen bleibt und solcher
Art die Kanüle ganz entbehrlich macht. Um die äußeren Hautlefzen
an die Trachealwunde heranzubringen, ist nötig, alle Zwischen¬
gewebe, also insbesondere den Isthmus der Schilddrüse zu resezieren.
Meine Erfahrungen in einer Reihe von Tracheostomiefällen
haben nnn ergeben, daß die postoperative Schwellung doch schlie߬
lich bald so groß wird, daß die ursprünglich hinreichend weit er¬
scheinende Öffnung sich mehr und mehr verengt und zur Einführung
der Kanüle zwingt, insbesondere tritt dies bei fettreichen Hälsen
ein, wenn die Trachea tief gelagert ist. Auch die gegen die Mittel¬
linie zn wieder zusammendrängenden Resektionsstümpfe des Isthmus
und die Mm. sternohyoidei und Sternothyreoidei schwellen an und
pressen die beiderseitigen Hautränder gegeneinander. Es muß daher
der prätracheale Raum bis zur Haut von allem Zwischengewebe,
also insbesondere Schilddrüse und Fett, in weiterem Umfange ge-
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726
H. Marsch ik.
säubert werden. Ferner kommt es auch bei exaktester, vollkommener
Naht im Anfang immer zur unvermeidlichen Nachblutung, dann zu
leichter Wundsekretion, wie Übrigens bei jeder anderen primären
Naht. Diese Sekretion, bei anderen primären Nähten sofort in den
schützenden Deckverband aufgenommen. der dann einen dauernden
Schutz gegen Sekundärinfektion bietet, bleibt hier, soweit sie nicht
in die Trachea hinabfließt und ausgehustet wird, an der Naht kleben
und bildet mit dem ausgehusteten Schleim bald eine zähe, zu Krusten
eintrocknende, sich mit Bakterien anreichernde Masse, die einerseits
die Öffnung verlegt, andrerseits auch aspiriert werden und Lungen -
komplikationen hervorrufen kann. Ja, ich kann mich des Eindruckes
nicht erwehren, als würde dieses gerade an der Nahtstelle ein¬
trocknende Sekret zur Retention und Sekundärinfektion der Naht
mit nachfolgender Dehiszenz beitragen. Es dürfte sich also doch
empfehlen, wenigstens in den ersten 4 bis 6 Tagen, bis die Naht
vollständig trocken geworden ist, eine mit Jodoformgaze gut ge¬
polsterte, die Naht in keiner Weise drückende Kanüle einzulegen,
weshalb die Tracheostomieöffnung genügend breit und besonders
auch lang, in Form eines Ovals, anzulegen ist. Ein weiterer Um¬
stand, der gegen die Tracheostomie ohne Kanüle spricht, liegt in der
erschwerten Expektoration in gewissen Fällen. Der Luftstrom des
Hustenstoßes führt nämlich ursprünglich in der Achse der Trachea,
also gegen den Larynx hinauf, namentlich dann, wenn das Luftrohr
nach oben nicht vollständig abgeschlossen ist Das Sekret wird da¬
her zum größten Teil in dem Luftrohr hinaufgehustet und wieder
aspiriert, anstatt, wie es bei liegender Kanüle geschieht, durch die
tiefer liegende Tracheostomieöffnung herausgeschleudert zu werden.
Es geben auch die meisten Patienten diesen Umstand als belästigend
an. Nur bei vollkommenem Verschluß nach oben führt der Luftstrom
ziemlich geradewegs nach außen.
Die Operation ist weiters, worauf schon Chiari in seinem,
die Tracheotomie ohne Kanüle behandelnden Abschnitt seines Buches
der Chirurgie des Kehlkopfes und der Luftröhre (Neue deutsche
Chirurgie) aufmerksam gemacht hat, bei Patienten mit tief liegen¬
der Trachea, also mit kurzem und dickem Hals ungeheuer er¬
schwert oder ganz unmöglich. Dennoch aber möchte ich sie, in den
geeigneten Fällen und mit richtiger Technik ausgeführt, empfehlen.
Diese Technik ist also die folgende: Querer oder longitudinaler
Hautschnitt. Ich habe mich an anderer Stelle bereits über die Vor¬
teile des queren Hautschnittes als einzig brauchbaren Überrestes
der in neuerer Zeit wieder aus der Vergessenheit hervorgeholten
queren Tracheotomie ausgesprochen. Der Nachteil des queren Haut¬
schnittes ist, daß man die Wunde nicht beliebig nach unten oder
oben verlängern kann und bei größerem Isthmus das Arbeiten un¬
bequem werden kann, doch ist die Halshaut meist so dehn- und
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Boiträge zur Chirurgie der oben n Luftwege.
727
verziehbar, daß bei entsprechender Erweiterung nach den Seiten die
untere Lefze leicht bis ins Jugulum mobilisiert werden kann, even¬
tuell kann sie durch einen Medianschnitt nach unten gespalten
werden, wodurch ein dreieckiges Hautloch entsteht. Ich erinnere
übrigens daran, daß heute die Struma jeder Größe fast nur mit
querem Hautschnitt operiert wird. Die Trachea wird in weitem Um¬
fang freigelegt, der Isthmus stets reseziert, sodann im Ausmaß eines
Ovals von za. D /2 bis 2V* cm Vertikaldurchmesser, d. i. meist drei
Ringe, das äußere Perichondrium der für die Inzision passendsten
Trachealringe inzidiert und mit einem F r e e r sehen Septumraspa-
torium die Knorpel ausgelöst. Es folgt die Eröffnung der Trachea
nach vorheriger endotrachealer Kokain-Adrenalininjektion mittels
Ausschneidung eines entsprechend kleineren Ovals, aus der nun des
Stützgerüstes beraubten Stelle der Vorderwand, so daß allseitig eine
ringförmige, bloß aus den Perichondriumscheiden und Tracheal-
schleimhaut bestehende weiche Manschette von mehreren Millimetern
Breite für die Adaptierung der Hautlefzen zur Verfügung steht.
Fi«. 1.
Fig. 2.
Die Halshaut ist nun in der Regel, wie oben bemerkt, so dehn¬
bar, daß sie ohne besondere Spannung, namentlich bei abgemagerten
Leuten, wo die Trachea meist ganz oberflächlich liegt, mit der
Sehleimhautmanschette sich vereinigen läßt. Doch ist zu bedenken,
daß diese einfache Haut-Schleimhautnaht, wenn auch viel zugfester
als mit den starren Knorpelringen, besonders in der ersten Woche
p. o. durch den unvermeidlichen Hustenreiz, die Schluckbewegun¬
gen usw. einer recht erheblichen Belastung ausgesetzt is. Es ist
daher, wie ich es bei der Trachealplastik nach Totalexstirpation
schon seit jeher übe, empfehlenswert, die Naht durch Fixations¬
und Situationsnähte zu stützen und damit ruhig zu stellen. Auch ist
zu erwarten, daß durch die postoperative Schwellung und die all-
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728
H. M a r s c h i k.
gemeine Tendenz der Halsorgane an dieser Stelle, besonders auch
durch die Wirkung der Halsmuskeln, zunächst der beiden nur
während der Operation durch die Haken auseinander gehaltenen
Mm. sternohyoidei und sternothyreoidei, weiterhin aber auch der
beiden Sternocleidomastoidei die Fistel mehr und mehr zu einem
Lftngsspalt wieder verengt wird. Die Hautränder werden daher
zweckmäßig durch subkutane Nähte in der Umgebung, und zwar
am Bingknorpel und an der seitlichen Trachealwand festgelegt und
dann erst die Haut-Schleimhautnaht ausgeführt. Außerdem empfiehlt
sich, die die Trachea vorn bedeckenden, äußeren Kehlkopfmuskeln
durch entsprechende, schlingenartige Nähte nach außen zu verlagern;
am einfachsten dürfte ihre Fixation an die Sternokleidomastoidei
sein. Die tiefen Nähte werden mit Katgut oder Seide, die Schleim¬
hautnähte mit feinster Seide oder (nach Gluck) Aluminium-Bronze¬
draht angelegt.
Ist die Operation mit geringer Blutung einhergegangen, die
Naht exakt angelegt und sind darnach keine toten Räume ent¬
standen, in denen sich Blut oder Exsudat ansammeln könnte, so ist
eine Drainage nicht nötig. Andernfalls, es ist das besonders bei
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Beiträge zur Chirurgie der oberen Luftwege.
729
stark ausgebildetem Isthmus und tiefliegender Trachea zu erwarten,
empfiehlt sich, in den ersten Tagen einen Jodoformgazedocht in den
unteren Mundwinkel, fern der Trachealnaht einzulegen, bei querem
Hautschnitt durch ein unterhalb eigens angelegtes Knopfloch. (Fig. 3.)
Nun wird aus den oben angeführten Gründen für die ersten
sechs Tage eine Kanüle eingelegt, die so klein gewählt wird, als
irgend angängig, was namentlich für die nicht kompletten Stenosen
und die vorbereitende Tracheotomie beim Larynxkarzinom gilt, und
ausgiebig gepolstert ist. Besonders wichtig ist die Polsterung der
unteren Umrandung, die den meisten Druck auszuhalten hat, und
wo anch die meisten Dehiszenzen zustande kommen.
B. Zum Hautschnitt bei der Totalexstirpation
des Kehlkopfes.
Bei der Totalexstirpation geschieht die Versorgung des Tracheal-
stumpfes im zweizeitigen Verfahren in der Regel in der Weise, daß
die Tracheotomie Umschnitten und nach erfolgter Abtrennung des
Larynx die Trachea unterhalb quer durchtrennt und der frische
Schnittrand zur Plastik nach Gluck verwendet wird. Die Erfahrung
aber bei den aus irgendwelchen Gründen schon längere Zeit vorher
Tracheotomierten und daher eine vollständig ttbernarbte Fistel
tragenden Patienten hat ergeben, daß dann durch Schonung bzw.
Verwendung des mit der Haut bereits verwachsenen unteren
Tracheostomarandes die Haut viel sicherer an der Trachea hält und
das gefürchtete Hinabsinken, wenn die Nähte aufgehen, mit Sicher-
. heit verhütet ist. Die Hautnaht hat in der vorderen festen Narbe
eine wertvolle Stütze, ein Vorteil, den seinerzeit Gluck bei seiner
präliminaren Einnähung und in letzter Zeit Hajek bei Wieder¬
aufnahme der alten Gluck sehen Methode, die aber heute von
Gluck bereits aufgegeben ist, verwendet hat. Es wäre also beim
zweizeitigen Verfahren der untere Rand der Traoheostomie möglichst
intakt zu erhalten. Da aber bei der Totalexstirpation, namentlich
bei querer Pharynx-Larynxresektion mit Drüsenausräumung eine
umfangreiche Freilegung des Operationsterrains und damit auch
der Trachea unumgänglich ist, entschied ich mich ebenfalls für den
von Hajek bei seiner Trachealplastik verwendeten Hautschnitt in
H-Form, so daß die untere Lefze des Tracheostomas in der Breite
von 2 bis 3 cm mit der Trachea in Verbindung bleibt, mit ihr ab¬
gelöst wird und somit die Abtrennung der Trachea in der Höhe der
Mitte des präliminären Tracheostomas erfolgt. Daher empfiehlt sich
auch, bei der Anlegung der Tracheostomie den etwa nötig werden¬
den Vertikalschnitt nach unten nicht median, sondern seitlich an¬
zulegen. In derselben Linie wird auch der Vertikalschnitt bei der
Totalexstirpation gemacht, dabei zweckm
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730
H. Marschik.
Teil des Medianschnittes bis zum Zungenbein ebenfalls extramedi&n
ausgefllhrt, was den Vorteil hat, daß die Pharynxnaht nicht
durch die äußere Naht gedeckt wird. Dies wurde schon
von Gluck durch Bildung eines einzigen Türflügellappens zu er¬
reichen versucht, in neuester Zeit von M o u r e wieder aufgenommen.
Mit Gluck aber, dem ich in dieser Beziehung wohl die größte
Erfahrung zubilligen möchte, glaube ich, daß man doch beim alten
Medianschnitt bleiben soll, da ein einseitiger Türflügellappen, nament¬
lich bei ausgedehnten Resektionen der Halsorgane — auch hei der
einfachen Totalexstirpation wird ein gewissenhafter Chirurg die
beiderseitige Drtlsenausräumung nie verabsäumen — in der Er¬
nährung gefährdet ist, auch die Drainageverhältnisse ungünstig
werden. Dagegen verschlägt es nichts, wenn man den Medianschnitt
um einige Zentimeter nach der Seite verschiebt, am besten nach
der Seite des Tumors, weil dort immer die ausgedehntere Weich-
teilresektion stattfindet und demnach auch der kürzere, in der Er¬
nährung weniger gefährdete Türflügellappen dort angelegt wird. Dem¬
nach gestaltet sich die Operation beim Larynxkarzinom wie folgt:
1. Bei zweizeitigem Verfahren präliminare Tracheostomie:
Querer Hautschnitt in der Höhe der Tracheostomie, eventuell mit
T-Schnitt nach unten, seitlich der Trachea, bis zum Jugulum, und
zwar auf der Seite des Tumors. Drainage im unteren
Winkel des Vertikalschnittes oder durch ein Knopfloch. Der End¬
effekt ist der H a j eksehen Operation sehr ähnlich, doch bleibt
es bei der einfachen Tracheotomie ohne Freilegung
und Abtrennung. (Fig. 4.)
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Ost itis fibrosa Recklinghausen einer Oberkieferhöhle.
731
2. Totalexstirpation: Der Vertikalschnitt beginnt sub¬
mental genau median, vom Zungenbein an weicht er gegen die
Seite des Neoplasmas ab und führt dann im Vertikalscbnitt der
Tracheostomie bis zum Jugulum. Die oberen Querschnitte führen
in der Höhe des Zungenbeines in leichtem Bogen nach außen und
aufwärts bis hinter den Unterkieferwinkel. Beim Hypopharynx¬
karzinom müssen die oberen Querschnitte wegen der voraussicht¬
lichen Gluck sehen Ösophagusplastik bei Männern an der unteren
Bartgrenze angelegt werden. Die kurzen unteren Querschnitte fallen
in die Höhe des Tracheostomas, und zwar von der Mitte der seit¬
lichen Umrandung mit Umschneidung des oberen Randes bis zum
Außenrand des M. sternocleido. Erweist sich die ausgiebige Frei¬
legung der Trachea, etwa wegen der Arbeit an der Schilddrüse
auch auf der anderen Seite als nötig, dann mag auch hier im
gleichen Abstand von der Mittellinie ein Vertikalschnitt bis zum
Jugulum hinzugefügt werden, so daß unter allen Umständen
ein mehrere Zentimeter breiter Hautlappen mit der
unteren Hälfte des Tracheostomas in ungestörter Verbindung bleibt.
Bemerkungen
zu Hanszels Artikel: „Ostitis fibrosa Becklinghausen
einer Oberkieferhöhle 44 und zur Hyperostosis
maxillarum.
Von Dr. Fritz Hutter.
In der Festschrift Hajek dieser Monatsschrift schildert
Hanszel einen Fall von knöcherner Auftreibung des linken Ober¬
kiefers, die bei einem jungen Mädchen nach Scharlach sich all¬
mählich entwickelte. Der endonasale Befund war dabei normal, das
Röntgenbild zeigte deutliche Verschattung der linken Kieferhöhle;
die erste Operation 1913 ergab weiche krümelige Massen, deren
mikroskopische Untersuchung (Dr. Löwenfeld) folgenden Befund
lieferte: „Spongiöses Knochengewebe mit fibröser
Markumwandlung ohne entzündliche Veränderungen,
vereinzelt kleine Nekrosestellen — also das Bild
einer Ostitis fibrosa Recklinghausen.“ Während einer
weiteren 8jährigen Beobachtungszeit blieb der Prozeß auf den
Oberkiefer beschränkt, der die Kieferhöhle allmählich ganz aus¬
füllende (bei Röntgen verdunkelnde) Knochen zeigte bei mehreren
nachfolgenden Eingriffen zunehmende Verhärtung, histologisch
erwies er sich nunmehr von normaler Struktur (Prof. Störk).
MonatMohrift f. Ohrenheilk. u. Lar.-RhLn. 66. Jahrg. 43
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732
Fritz Hutter.
Da Hanszei in der weiteren Besprechung seines Falles nun mich zitiert,
dabei aber zu einer mißverständlichen Auffassung eines der Schlußsätze in meiner
von ihm angeführten Arbeit gelangt, sehe ich mich vorerst veranlaßt, dieses
Mißverständnis aufzuklären: 1914 habe ich in dieser Monatsschrift die Arbeit:
„Über Hyperostosen der Gesichts* und Schädelknochen und
die „Hyperostosis maxillarum u veröffentlicht, worin der genauen
klinischen Beschreibung zweier Beobachtungen von Oberkieferhyperostose und
der Beschreibung des mikroskopischen Befundes des erkrankten Knochens eine
Studie über ähnliche und solche Fälle der Literatur angeBchlossen war, die
unberechtigter Weise alle miteinander vermengt werden. Es kamen dabei
Leontiasis ossea, diffuse Gesichts- und Schädelhyperostosen, Ostitis deformans,
Ostitis fibrosa und die diesen Namen und Begriffen entsprechenden klinischen
wie histologischen Bilder zur Sprache. Mein, als Ergebnis dessen von Han s z e 1
angeführter ersten Schlußsatz lautete: „Bockenheimers Annahme, die
diffusen Hyperostosen der Gesichts- und Schädelknochen
seien nichts anderes alsOstitis deformans, erscheint dnrch
die bisnun vorliegenden histologischen Befunde nicht er¬
wiesen, denn nur in einem Teil der Fälle fand sich Ostitis
fibrosa als m i k r o s k o p i s c h e s Bi 1 d des erkrankten Knochens 44 .
Hierzu bemerkt Hanszei . • . „daß Ostitis deformans und Ostitis
fibrosa in den sicher maßgebenden Lehrbüchern von Kauf¬
mann undAschoff denn doch als gleichartige Krankheits¬
bilder bezeichnet werden". Nun, ich habe nichts anderes sagen wollen
und die richtige Auffassung meines obigen Satzes, dessen Passus „ein Teil der
Fälle“ sich auf „diffuse Hyperostosen“ bezieht, zeigt ja eben, daß ich dabei in der
Ostitis fibrosa das histologische Korrelat für Ostitis
deformans erblicke. Dies geht auch aus einer anderen Stelle deutlich hervor,
wo ich von einem von Recklinghausen als pathologisch-histologisches
Charakteristiken der Ostitis deformans bezeichneten Befund spreche und sage:
„R. nannte diese pathologische Knochenveränderung
Ostitis fibrosa“. Soviel zur Richtigstellung, und nun nochmals zu Hanszels
Fall: „Ostitis fibrosa einer Oberkieferhöhle“.
Was verstehen wir unter Ostitis fibrosa? Reckling¬
hausen gelangte zu dieser Bezeichnung auf Grund von Unter¬
suchungen, deren Resultat seither für den Begriff maßgebend ist.
Die der Bezeichnung entsprechenden Befunde konnte er in einer
Reihe von Fällen feststellen, die ausgedehnte Erweichung, Auf¬
treibung und Deformation des Knochensystems gemeinsam hatten
und größtenteils den Krankheitstypus der Ostitis deformans Paget
darstellten. Es würde den Rahmen und Zweck dieser Ausführungen
überschreiten, wollte ich auf die Histologie der Ostitis fibrosa hier
allzu sehr eingehen, folgendes ist aber zum Verständnis meiner
nachfolgenden Ausführungen nötig:
R. beschreibt einen chroniscbentzündlichen Knochenprozeß, der immer
vom Knochenmark in Gestalt bindegewebiger Proliferation des letzteren ausgeht
(daher auch Osteomyelitis fibrosa). Das Markgewebe wandelt sich in faseriges,
zellreicheres oder ärmeres Bindegewebe um, innerhalb dessen sich Arterien und
auffallend weite Venen finden, während Pigmentzellen von stattgehabten Blutungen,
Lücken und größere zystenartige Bäume von regressiven Vorgängen zeugen.
Daneben sieht man aber noch einerseits die Produktion jugendlichen Knochens
als osteoides Gewebe, andrerseits die Ein^chmelzung des alten Knochens in Form
lakunären Abbaues und haufenweise auftretender Osteoklasten usw. Dies im
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Ostitis fibrosa Recklinghausen einer Oberkieterhühle.
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großen and ganzen die wichtigsten Merkmale des in verschiedenen Stadien sich
natürlich verschieden darstellenden histologischen Bildes. Das Untersuchnngs*
material lieferten ihm Leichen von älteren oder senilen Individuen, deren Knochen-
sjstem sich bei makro- und mikroskopischer Betrachtung in ausgedehntem Maße
befallen zeigte.
Gemäß dieser Erörterung Balte ich es nun für unzureichend,
wenn sich in Hanszels Fall die Diagnose „Ostitis fibrosa“ ledig¬
lich auf die Konstatierung der fibrösen Markumwandlung und ver¬
einzelter kleiner Nekrosen stützt. Denn, um zur sichern Diagnose
dieser Knochenveränderung zu gelangen, müßte man außerdem doch
noch den Befund einiger der andern angeführten Merkmale vor
sich haben. Ich kann natürlich selbst kein sicheres Urteil über die
histologische Natur von Hanszels Fall abgeben, glaube aber, daß
der zitierte histologische Befund einfach mit der Annahme einer
Proliferation spongiösen Knochengewebes genügend erklärt wäre.
Hingegen, wo immer ich das Bild der Ostitis fibrosa beschrieben
finde, begnügen sich die Autoren, z. B. Frangenheim, Amers¬
bach, nicht mit der Angabe der bloßen Markfibrose. Letztere lag
auch in meinen beiden und Kahlers Fall isolierter Oberkiefer¬
hyperostose vor, doch konnte der die Knochen schnitte begutachtende
Gewährsmann (Erdheim) mangels sonstiger Hinweise nicht zur
Diagnose Ostitis fibrosa gelangen. Es ist auch darauf hinzuweisen,
daß z. B. beim Osteom die Marksubstanz häufig ebenfalls derb¬
faserigen fibrösen Bau zeigt. (Dürck, pathol. Histologie). Mir
ist überhaupt nur ein klinisch ähnlicher Fall aus der Literatur
bekannt, wo der histologische Befund des erkrankten Knochens
diese Diagnose zu gestatten scheint, und zwar von Grünwald
als Osteofibromatosis maxillaris beschrieben. (In Amers¬
bachs Fall, wo die Diagnose zwischen Ostitis fibrosa und Osteoid¬
fibrom-, bzw. -sarkom schwankte, war nebst dem Oberkiefer auch
das Stirnbein ergriffen). Grünwald knüpft an die Beschreibung
die Mahnung, das Bild der fibrösen Knochenentartung nur in rein
semiotischen Sinn, d. h. als identisches Symptom sonst ganz ver¬
schiedener Prozesse aufzufassen, wie Paget, dieser meist jenseits
der Vierzigerjahre auftretenden Erkrankung, diffuser Gesichts¬
und Schädelhyperostosen oder streng lokaler Prozesse, wie am
Oberkiefer. Er warnt vor dem unitarischen Standpunkt Bocken-
heimers und ich möchte mich dieser Warnung anschließen. Dies
hat insofern praktische Bedeutung, als selbst der einwandfreie
Befund im Sinne einer Ostitis fibrosa bei isolierter Affektion des
Oberkiefers uns noch nicht berechtigen würde, an den Beginn
einer Erkrankung des Knochen Systems zu denken. Hanszels
Beobachtung zeigt nun neuerdings, daß in gewissen Fällen
innerhalb vieljähriger Kontrolle das primäre Ausbreitungs¬
gebiet der Erkrankung nicht überschritten wird, ich betrachte die-
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Fritz Hutter.
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selbe in Übereinstimmung mit dem Autor als weiteren Beweis für
die Richtigkeit meiner zweiten Schlußfolgerung in oben zitierter Arbeit:
„Es gibt Formen von Hyperostosen des Oberkiefers,
die anatomisch und klinisch eine Erkrankungsform
für sich vorstellen und von den diffusen Gesichts-und
Schädelhyperostosen (Leontiasis ossea) zu trennen
sind.
Die Frage scheint mir nun wichtig genug, um sie nochmals,
selbst unter Wiederholung von bereits früher gesagten, zu be¬
sprechen, da Bich mir für die Beurteilung einige neue Gesichts¬
punkte ergeben haben und ich 2 weitere Beschreibungen gleich¬
artiger Fälle aus der Literatur anführen kann. Mit diesen und dem von
Hanszel beschriebenen sind es im ganzen 12 Fälle, deren Vergleich
gewisse, ihnen gemeinsame Merkmale zeigt. Vor allem die bereits er¬
wähnte Beschränkung auf den Oberkiefer, der meist beiderseitig, wenn
auch nicht immer gleichzeitig ergriffen wird. Wir finden Intervalle
bis zu 17 Jahren dazwischen. Weiters der Beginn der Erkrankung
im jugendlichen Alter, und zwar zumeist im zweiten Jahrzehnt; nur
Grünwalds Fall beginnt erst im 34. Lebensjahr. Operativ
angegangen scheint der Prozeß mehr oder weniger lange Zeit still¬
zustehen; Zeigt sich ein Rezidiv der Knochenwucherung, so tritt
dasselbe wieder nur im Bereich des Oberkiefers auf. Auch bei dem
von mir 1912 bis 1913 beobachteten Fall (9), wo damals der rechte
Oberkiefer befallen war, zeigte sich acht Jahre später unter 0. H i r s c hs
Beobachtung rechts wieder nur dieser Knochen, hingegen nun auch
die linke Seite symmetrisch ergriffen. Äußerlich tritt die Affektion in
Form diffuser Anschwellung der Wange bzw. der fossa canina,
anfänglich oft unter umschriebenen Auftreibungen seitlich der Nase
(proz. frontalis) in Erscheinung. In der überwiegenden Mehrzahl
der Fälle sind die entsprechenden Nasenhöhlen durch Vortreibung
von lateraler Wand und Boden verengt, mitunter total verlegt, und
letztere Beschwerden sind es, die manchen Fall zu allererst in
rhinologische Beobachtung führen. Das Wachstum nach innen zu,
gegen die Kieferhöhle, wird durch die Operation oder durch
Röntgen erkannt. Immer erwies sich die betreffende Kieferhöhle
verengt oder gänzlich obliteriert. Nur im Falle Grünwalds ist
hierüber keine Angabe zu finden. Bemerkenswert ist die bei der
operativen Abtragung häufig gefundene weiche morsche Konsistenz
umschriebener oder ausgedehnter Partien des die Kieferhöhle sub¬
stituierenden Knochengewebes. Dementsprechend ergab dann die
histologische Untersuchung dieser erweichten Massen den Befund
von fibrösem Mark oder die Angabe: Bindegewebswucherung
zwischen Knochenbälkchen. Zur bessern Veranschaulichung des
Gegenstandes bringe ich nochmals die Tabelle aus meiner mehrfach
zitierten Arbeit, ergänzt durch die drei neuen Fälle, zum Abdruck.
Gck igle
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Ostitis fibro.su Recklinghausen einer Oberkieferhohle.
735
Es wurde seinerzeit von mir auch darauf hiogewiesen, daß Paget und
Stanley als „Osseons prowths in the upper jaw“, Schuh unter der Be¬
zeichnung „primäre Osteoide des Oberkiefers u anscheinend die gleiche Erscheinung
beschrieben haben, indes könnte es sich hierbei doch auch um echte Tumoren
gehandelt haben, z. B. um Osteofibrome des Oberkiefers. Letztere, von 0. Hilde¬
brand und Uyeno beschrieben, treten gleichfalls im jugendlichen Alter auf,
verdrängen die Kieferhöhle, scheiden sich aber nach der Beschreibung schon
äußerlich durch tumorartige Form und enorme Dimensionen von der mehr
diffus flächenhaft und in bescheidenerem Ausmaß sich haltenden „Hyperostosis
maxi Harum u .
Daß auch in einzelnen Fällen der Tabelle (z. B. F. 2 u. 8) wirklich Osteome
bestanden, ist wohl möglich. Im allgemeinen gilt ja die Abgrenzung der Osteome
gegenüber umschriebenen Knochenhyperplasien als schwierig. In der weitaus
überwiegenden Zahl der angeführten Reihe schließt schon der diffuse Charakter
diese Benennung aus, die sich den betreffenden Beobachtern weder aus dem Aus¬
sehen noch aus dem Befund bei der Operatiou ergab. Auch unterscheiden sich
die Osteome, ob sie nun von der Wandung oder der Höhle des Oberkiefers aus-
gehen, durch aggressiveres Wachstum, das mitunter zur Perforation der Orbital wand
und Schädigung des Auges führt.
Wichtiger noch als diese Frage der Nomenklatur erscheint mir
eine Erörterung über den primären Ausgangspunkt der Knochen¬
wucherung, umsomehr als wir von der Klärung dieser Frage erwarten
können, dem Verständnis des Prozesses überhaupt näher zu kommen.
Ist derselbe periostalen bzw. enostalen Ursprungs oder haben wir
es hier mit einer Entwicklung von innen heraus, d. h. von der
Kieferhöhle ausgehend, zu tun? Keine dieser Entstehungsarten ist
mit Sicherheit anzunehmen oder auszuschließen, wenngleich die land¬
läufige Auffassung in solchen Fällen einfach von chronisch-periosti-
tischen und ostitischen Vorgängen als Ursache der Hyperostosen zu
sprechen pflegt. Aus den Operationsbefunden ist diesbezüglich kein
sicherer Anhaltspunkt zu gewinnen. Hingegen scheint mir die Ent¬
stehung aus dem Innenperiost der Kieferhöhle das Wahrscheinliche,
was ich in folgendem zu begründen versuchen will.
Schon Girald^s, später Zuckerkandl und H a j e k
betonen die große plastische, d. h. knochenbildende Fähigkeit der
tiefen periostalen Schicht der Kieferhöhlenschleimhaut.
Zuckerkandl spricht von der im Gefolge des chronischen Katarrhs der
Kieferhöhlenschleimhant häufig entstehenden Periostitis, die entweder kleinere
und größere lose Knochenstücke bilden kann, in denen er die Vorstufe der freien
Osteome der Kieferhöhle erblickt, oder die mitunter zur Hyperostose nnd
Wulstung der Kieferwände führt. Auch im Kapitel über die Knochen¬
neubildungen des Oberkiefers werden Exostosenbildungen im Innern der Kiefer¬
höhle beschrieben, die sich von Entzündungen der Kieferhöhlenauskleidung her¬
leiten lassen, z. B. ein Fall, wo die obere und äußere Wand des sin. maxillaris
verdickt und mit ausgebreiteten Lagen verschiedenartigst geformter und geflecht¬
artig untereinander verbundener Knochenbildungen (Osteophyten) besetzt ist. Es
wird zwar von Z. kein Fall angeführt, in dem die Kieferhöhle sich nahezu oder
gänzlich durch derartige Bildungen ausgefüllt zeigte, es ist aber sehr wohl
möglich, daß eine Steigerung solcher osteoplastischer Vorgänge zu Befunden führt,
wie sie in den verschiedenen Operationsbefunden der Tabelle angegeben Bind.
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Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
736
Fritz Hutter.
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Isolierte Hyperostosen
Autor,
Datum der
Publikation
Vermutete
Ätiologie
Beginn
Verlauf und äußere
Symptome
Beobach t.-
Dauer
Rhinologischer Befund |
(Röntgenbefund) ,
Stanley
Zahnreis
9.
Beständig wachsender
6
Die knöcherne Auf-
1849
J.
Tumor derPars nasalis
J.
treibung erstreckt
des ? Oberkiefers ohne
sich bis in den Na- |
1.
Auftreibung d.Wange
sengang j
Poiseon
Trophische
16.
Anschwellung unter
26
Totale Obliteration!
1890
Störung
J.
recht inneren Augen-
J.
beider Nasenhöhlen
neuro-
Winkel, nach 1 Jahr
2.
pathischen
Verengung d. rechten
Ursprungs?
Nasenlamen6, nach
14 Jahr. Beginn links,
endlich knöcherneTu-
i
moren beiderseits der
i
Nase, rechts hilhner-
i
eigroß, diffuse Hyper-
ostose beider Ober-
1
kiefer
Forgue-
_
12.
Geschwulst beiderseits
4
_
Gui enes
J.
der Nase, links boh¬
J.
1903
nengroß,rechts größer.
Nach 2 Jahren stär¬
! 3-
keres Wachstum, Ver.
legung der Nase; Tu¬
1
j
moren von Talergröße
| B. Fr an kel
Bajonett Ver¬
21.
Beginn wie Tränen¬
28
Nasenhöhlen völlig
1906
letzung der
J.
sackleiden, Auftrei¬
J.
verlegt.Infolgezahl-
|
rechten
bung des rechten Proc.
reicher endonasaler
4.
Wange im
nasalis, von dem ein
Eingriffe narbige
20. Lebens-
Stück abgemeißelt
Verwachsung zwi-
Jahre
wird. Nach 17 Jahren
sehen Septnm und
linke Seite befallen
Muscheln. Radiol.
mit Tränen u. nasaler
Befund: Highmors-
Obstruktion. 4 Jabre
höhlen verengt
i
später V orwölbnng des
rechten Gaumens
Wa 11 i c zek
Zahnreiz ?
21.
Knöcherne Auftrei¬
6
R.: Verengung des
1907
(Caries den-
J.
bung unter d. rechten,
J.
Meatus communis
tium)
3 Jahre später unter
und inferior.
O.
Wassermann
dem linken Augen¬
L.: Partielle knö-
—
winkel. Verengung der
eherne Obliteration.
inneren Nase. Aus¬
Röntgenbild: Kie-
füllung beider foss.
ferhöhlen andeut-
canina
lieh sichtbar
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ostitis fibrosa Recklinghausen einer Oberkieferhöhle.
737
des Oberkiefers.
Therapie (Operationabefund)
Histologischer Befand
Anmerkung
Resektion des Oberkiefers; Die
erkrankten Partien bestehen ans
soliden Knochenmassen, High*
morshöhlen, von Knochenge-
webe aasgefüllt
Tod nach 9 Tagen an
Erysipel
Inzision, beiderseits am inneren
Augenwinkel beginnend, bis
znm Nasenflügel reichend. Ex¬
stirpation der sehr zerreib*
liehen Knochenmassen, die
sich ohne Meißel entfernen
lassen. Sin. Highm. obliteriert
Rareflzierende
Ostitis
Exstirpation der resistenten
Kn ochenm aasen
Autoren bezeichnen
Tumoren als Osteome
Arsenkur
Laut brieflicher Mit¬
teilung seit 1909 unter
Beobachtung
T-förmiger Schnitt: median längs
des Dorsum nasi, rechts und
links entlang dem oberen Orbi¬
talrand. Knochen graurötlich,
| von rauher Oberfläche, im Be¬
reich des rechten Proc. alveol.
erweicht, sonst hart Rechte
Kieferhöhle auf Haselnußgröße
verengt
Laut brieflichem Be¬
richt (Septemb. 1912)
sind 6 Jahre nach der
Operation die Hyper¬
ostosen nicht wieder
aufgetreten
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738
Fritz Hutter.
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Autor,
Datum der
Publikation
Vermutete
Ätiologie
|
Beginn
Verlauf und äußere
Symptome
Beobacht.- j
Dauer
,
Rhino logischer Befund j
(Röntgenbefund) (
-1
Kahler
1910
6.
Wassermann
Fehlerhafte
Anlage
12.
J.
Schwellung d. rechten
Gesichts*, Verbreite¬
rung der rechten Na¬
senhälfte, V erlegung
der nasalen Atmung;
nach 5 Jahren Vor¬
wölbung der rechten
Fossa canina, 2 Jahre
später Prominenz des
linken Prozess, naso-
frontalis
7
J.
Vorwölbung der
lateral. Nasenwand,
unt. Muschel gegen
Septum gedrängt.
Radiologisch: ent¬
sprechend d.Schwel-
lungen Schatten von
Knochendichte
Grünwald
1911
7.
y
34.
J.
Beginn mit Auftrei¬
bung ober dem linken
oberen Eckzahn, nach
Abmeißeln rapides
Wachstum. Operation,
nach welcher jahre¬
lang kein Fortschreiten
bemerbar
16
J.
f
i
1
Hutter
1914
8.
1
j
Wassermann
+
20.
J.
Beginn mit Auftrei¬
bung unter d. rechten
inneren Augenwinkel
(Proc. front.), Vorwöl¬
bung d. rechten Fossa
canina, Verlegung der
rechten Nase
37,
J.
i
i
Knöcherne Auftrei¬
bung im rechten un¬
teren Nasengang
Hyperostose der
unteren Muschel,
links kleinere Hy¬
perostose. Radiolo¬
gisch : Kieferhöhlen
sehr klein |
Hutter-
Hirsch
1914—1921
9.
i
i
i
i
Kongenitale
Lues?
Wassermann
+
12.
J.
V erstopfung d. rechten
Nase; leichte Auftrei¬
bung d. recht. Wange
Hyperostose oberhalb
des Proc. alveolaris
i
17,
J.
i
i
j
i
!
Knöcherne Auftrei-.
bang im rechten un
teren Nasengang. 1
Radiolog.rSchatten-1
gebende Masse im i
Bereich der rechten |
Nasen- und Kiefer¬
höhle
i
!
i
1 !
i
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ostitis fibrosa Recklinghausen einer Oberkieferhöhle.
739
Therapie (Operationsbetund) Histologischer Befund
AntiluetiBche Behandlung er* Spongiöser Knochen,
I folglos. Operat.:. Schnitt nach fibröses Mark, spär-
| Rouge in der Übergangsfalte lieh Osteoblasten,
am Proc. alveol. Hinaufpräpa- Keine Ostitis fi-
rieren der Gesichtsmaske. Kno- b r o s a
chen rot, porös, sehr weich.
, Kieferhöhle beiderseits oblite-
riert. Entfernung der hyperosto¬
tiseben Partien.
Operat.: Knochen so inorsch, j Knocheninseln zwi-
daher ausgelöffelt wer- 1 sehen derbem Faser-
den kann gewebe. Reichlich
Osteoblasten, laku-
! näre Kesorption und
I Osteoklasten
(Ostitis fibVosa)
' Antiluetische Therapie ohne Spongiöser Knochen,
Effekt. Operation: Freilegung mit fibrösem Mark,
der rechten Fossa canina nach vereinzelt 0 81 e o-
Apertura piriformis. Periost an- Masten. Keine
haftend, Knochen von rauher Ostitis fibrosa
Oberfläche, stellenweise
blutreich und morsch, i
leicht auszulöffeln. Rechte
Kieferhöhlespaltförmig verengt,
Abtragung der Hyperostose
Antiluetische Therapie erfolg- Dicht gebauter Kno-
los. Operation: Freilegung der chen, gegen die
Fossa canina und Apertura Markräume viel
i piriformis rechts. Ausmeißeln Osteoblasten, selten
| der eshr harten Knochen- Howshipsche Ea-
partien kunen und Osteo¬
klasten. Fibröses
1 Mark. Keine
Ostitis fibrosa
Anmerkung
1 Jahr nach der Ope¬
ration rezidivfrei. Juli
1912 lokales Rezidiv
Verfasser nennt Pro ,
zeß:Osteofibromatosis. j
Nach 16 Jahren zeigen j
sich andere Teile des '
linken und rechten
Oberkiefers er-
grilfen
Nach 3V2 Jahren ge¬
ringe Zunahme der |
Auftreibung am Proc.
frontalis konstatiert
Nach V 2 Jahr: Be¬
fund unverändert.
8 Jahre später Ver¬
legung beider Nasen¬
höhlen durch Hyper¬
ostosen, Auftreibung
beider Wangen (bzw.
Fossa canina). Ope¬
ration (19200. Hirsch):
Diffuse hyperost.Ver¬
dickung beider
Oberkieferknochen,
Fossa canina beider¬
seits konvex; histol.:
Hyperostose
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740
Fritz Hutter.
Autor.
Datum der
Publikation
Vermutete
a
Verlauf und äußere
rj ©
M_ES
)
Rhinol ogischer Befand
Ätiologie
tc
©
CQ
Symptome
X «ö
oQ
©
ca
(Röntgenbefund)
Silber-
Caries
?
Resistente,den ganzen
Röntgen: Starker ^
berg
dentium.
l. Oberkiefer einneh-
Schatten an Stelle
1911
Trauma.
mende Geschwulst
der 1. Oberkiefer- |
an 22j. Individ.
höhle
10
Hecht
Wassermann
Vor
Dezemb. 17, von außen
2
V ertreibnng der hy-
1919
+
dem
tastbarer Tumor des
J.
peroemnischen unt.
15.
r. Oberkiefers, beide
Muscheln durch
11
J.
fossae caninae vorge-
harte Vorwölbung
trieben.
d er later. Nasenwand
u. des Nasenbodens. 1
Punktionsnadel ge¬
langt in keine Höhle.
l
i
1
i
l
1 :
!
Röntgen 17: Un-
regelmäß. Verdich¬
tung eines Teiles
des rechten Ober¬
•
1
i
kiefers u. beider
Kieferhöhlen im
|
untern Teil
i 11 ansze l
Scharlach
M
©
i Im Anschluß an Re-
7
Rhinoshop. normal.
1921
4->
"flÖ
konvalesc. nach
J.
Röntgen: deutl. Ver¬
30
©
Scharlach eintret.
schattung der 1.
12
r O
a
Schwellung des 1.
Kieferhöhle
5
Oberkiefers. 1918
1
CM
halbkugelig bis In¬
i
i
i
s
1
1
I
fraorb. Rand und
oszypomat. reichend.
Innerh. 7 J. die
Grenzen des Oberk.
nicht überschreitend.
i
1
1
I
1
i
j
i
i
i i
Dieser Gedankengang im Anschluß an die zitierten Be¬
merkungen und Befunde legte mir, wie bereits gesagt, die Ver¬
mutung nahe, daß die Hyperostosis maxillarum vom Innenperiost
der Kieferhöhle ihren ursprünglichen Ausgang nimmt. Ich bin mir
wohl bewußt, damit nur eine Hypothese aufzustellen, die erst noch
zu beweisen wäre, und zwar müßte man das Verhalten der Kiefer¬
höhle in den Frühstadien des Prozesses und durch genaue Operations¬
befunde bzw; anatomisch-histologische Untersuchung der innersten
Schichten die eigentliche Matrix festzustellen suchen, von der die
Knochenproliferation ausgeht.
Ein ziemlich genauer Operationebefund liegt von Seiten Walliczeka vor:
er fand nach Entfernung erweichter Knochemnassen die ganz verengte Kiefer-
Digitizetf by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Ostitis fibrosa Recklinghausen einer Oberkieferhöhle.
741
Therapie (Operationabetund)
Histologischer Befand
Anmerkung
Exstirpation des i. Oberkiefers.
Höhle von dichter Masse erfüllt
Zwischen den Knochen -
h&lkchen erheblich ge¬
wuchertes vascularis.
Bindegewebe.
Autor b< den Fall
vielleicht für
Ostit. fibrös ; andere,
die ihn sahen, für
Osteofibrom.
i
Auf antiluet. Kur im J. 17 Rück¬
gang der äußern Auftreibung;
im J. 19 antiluet. Kur erfolglos.
Zunahme d. nasalen Auftreibung
rechts.
j
Oper.: Entfernung d. weichen,
die 1. Kieferhöhle ganz aus¬
füllenden Knochenmassen mit
schart. Löffel. Haupterweichungs¬
herd gegen Orbitalboden. Bei
späteren Eingriffen zunehmende
Verhärtung.
Spongiöses Gewebe m.
fibr. Markumwandlung
ohne entzündl. Ver¬
änderungen, vereinzelt
kleine Nekrosen, Ostitis
fibrosa. Reckl ingh (?)*
1920: normales Kno¬
chenbild.
i
höhle von stark bis zu 5 mm verdickten Wänden umgeben. Diese verdickten
innersten Schichten stellen jedenfalls die älteren, die erweichten die jüngeren
Partien der Knochenwucherung vor, woraus der Schluß gerechtfertigt erscheint,
daß hier der Prozeß von innen nach außen fortgeschritten ist.
Einiges laßt sich zugunsten dieser Anschauung auch vom
klinischen Standpunkt aus an führen. Vor allem die bereits hervor¬
gehobene starke Verengung oder gänzliche Obliteration der Kiefer¬
höhle, die fast in allen Fällen erwähnt wird. Dieses Symptom ist
also das konstante, die Innenwand der Kieferhöhle anscheinend
immer ergriffen. Die anderen Symptome wie die Verlegung des
Naseninnern durch Auftreibung der lateralen Wand, die Prominenz
*) Im Original ohne Fragezeichen.
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
742
Fritz Hnttt*r.
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des proz. frontalis und die Vorwölbung der fossa canina finden sich
nicht ganz so häufig angeführt. Ich möchte aber letzterem Moment
mit Rücksicht auf die Ungenauigkeit und Unsicherheit mancher
Angaben nicht so hohe Bedeutung beimessen als dem Umstand, daß
die Kieferhöhle in den Fällen, wo es zur Operation kam, sich hoch¬
gradig verengt, ja meist schon völlig von knöchernem Gewebe aus¬
gefüllt fand. Hieraus geht hervor, daß der osteoplastische Prozeß
gegen das Innere der Kieferhöhle sehr frühzeitig beginnen muß,
und die Annahme, daß er vom inneren Periostblatt ausgeht, gewinnt
damit an Wahrscheinlichkeit. Wenn das äußere Symptomenbild der
Erkrankung häufig mit der Auftreibung des proz. nasalis (unter dem
inneren Augenwinkel) beginnt, so läßt sich dies mit der Verjüngung
der Kieferhöhle gegen den Nasenfortsatz bzw. mit dessen mitunter
bestehenden Aushöhlung (Infraorbitalbucht) erklären. In diesem
raumbeschränkten Ausläufer der Kieferhöhle kommt es rascher zur
Obliteration und nachfolgenden Auftreibung durch Expansion oder
Übergreifen des hyperostos. Prozesses auf die Corticalis. Mit der
Erkrankung von innen, von der Kieferhöhle heraus, fände auch die
auffallende Erscheinung ihre Erklärung, daß der Prozeß immer an
den Grenzen des Oberkiefers Halt macht und z. B. gegen das
os nasale auch nach Jahren nicht fortschreitet. Bei einer vom äußeren
Periost und vom Knochen selbst ausgehenden Erkrankung wäre
dies minder leicht zu verstehen. Gemäß dieser Annahme würde das
Symptomenbild und die Entwicklung des Prozesses ganz von den
Dimensionen und der Gestaltung der Kieferhöhle sowie vom Zeit¬
punkt des operativen Einschreitens abhängen. Es ist damit auch
erklärlich, daß es nicht immer zu nasalen Erscheinungen kommt
und der Prozeß sich, wie im Falle Hanszel, auf die Umrandung
der Kieferhöhle, beschränkt, d. h. er ist noch nicht Uber die zentralen
Partien, den Körper des Oberkiefers hinaus vorgeschritten. Ich
stelle mir also die Hyperostosenbildung derart vor, daß dieselbe,
von der Innenwand der Kieferhöhle als Zentrum ausgehend, zur
partiellen oder gänzlichen Substituierung derselben führt und
zugleich konzentrisch um sich greifend auf die Wandung übergeht,
die nun an verschiedenen Stellen aufgetrieben werden kann. Diese
Auftreibungen sind demnach gleichsam das Relief der inneren
Vorgänge.
Man kann nun ein wenden, daß der supponierten Erkrankung
des Innenperiosts die der eigentlichen Schleimhaut vorangehen und
sich in den entsprechenden bekannten Erscheinungen bemerkbar
machen müßte. Einerseits könnten nun derartige Erscheinungen den
osteoplastischen Vorgängen vorausgehen, ohne vom Pat. beachtet zu
werden, andrerseits letztere, ob nun von der Schleimhaut, hämatogen
oder von außen induziert, sich latent abspielen, gleichwie dies bei
Polypen oder Zystenbildung der Kieferhöhle möglich ist. Schließlich
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Vemnsberichti* (Wiener lar.-rhinol. Ges., April 1922).
743
handelt es sich hier um Vorgänge von noch ungeklärter Ätiologie;
meine Auffassung läßt sich aber mit den verschiedensten ätiologischen
Faktoren der einzelnen Beobachter in Einklang bringen, ob diese nun
vorausgegangene Infektionen, ein gegen die Wange gerichtetes Trauma,
Zahnreiz oder eine kongenitale Anlage anftthren. Manches spricht
für letztere, so das häufige Befallenwerden beider Seiten und das
jugendliche Alter. Auch Kahler ist dieser Meinung, ebenso Perthes
bezüglich der nahestehenden Osteome des Oberkiefers. Mit der ge¬
schilderten Annahme würde der kardinale Gegensatz zu den diffusen
Gesichts- und Schädelhyperostosen, die eine Erkrankung des Knochen¬
systems darstellen, erst offenbar und die Ausscheidung der Hyper-
ostosis maxillarum als eines separaten nicht nur durch zufällige
Lokalisation bedingten Krankheitsbildes gerechtfertigt.
Ich hoffe, daß meine Darstellung die Anregung gibt, sich mit
dieser Frage an dar Hand einschlägiger Fälle noch weiter zu
befassen.
Literatar:Amersbach: Zur Frage der diffusen Hyperostosen des Gesichts¬
und Schadelknochens. Verhandlungen des Vereines Deutscher Laryngologen 1914. —
Frangenheim: Die Ostitis fibrosa (cy st.) des Schädels. Bruns’ Beitr., 1914. —
Hanszel: Ostitis fibrosa Recklinghausen einer Oberkieferhühle. Mschr. f. Obrenhlk.
Festscbr. Hajek 1921. — Hajek: Pathologie und Therapie der entzündlichen
Erkrankung der Nebenhöhlen. — Hecht: Sitzung der Münchner lar.-otol. Gesell¬
schaft, Dezember 1919, Mschr. f. Ohreublk. 1920. — Hirsch O.: Wiener lar. Gesell¬
schaft, Demonstrationen November 1920 und Juli 1921, Mschr. f. Ohrenhlk. —
v. Recklinghausen: Fibröse oder deform. Ostitis. Virchows Festschrift
1891. — Silberberg: Ein Fall von sogenannter Hyperostose des Oberkiefers.
Breslauer chir. Gesellschaft, Berliner klin. Wschr. 1911.— Uyeno: Das Osteo¬
fibrom des Oberkiefers, eine typische Geschwulst. Beitr. zur klin. Chir., f>9. —
Zuckerkandl: Norm .und Pathologische Anatomie der Nasenhöhle u. pneum.
Anh. Bd. I. — Hutter: Über Hyperostose des Gesichts- und Schädelknochens und
die Hyperostosis maxillarum. Mschr. f. Ohrenhlk. 1914; ibidem die übrige Literatur.
V ereinsber ichte.
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft.
81 liung vom 5. April 1922.
Vorsitzender: Hansz e 1.
Schriftführer: W. We i ß.
Hajek beantragt:
1. Der Vortragende soll das Referat gleich zur Sitzung mitbringen und ab¬
geben.
2. Diskussionsbtmeikungen sollen sofort nach stattgehabter Diskussion nieder
geschrieben und dem Schriftführer abgegeben werden. (Angenommen.)
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Difitized by
744 Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., April 1922).
Marschik (Sekretär) berichtet über die Vorbereitungen zur Fahrt
nach Wiesbaden zur Gesellschaft deutscher Hals-, Nasen- und Ohrenärzte
und nimmt Anmeldungen hierzu entgegen.
Wissenschaftliche Sitzung.
I. Kofi er: 1 . Zweigeteilte Kieferhöhle. (Sektionspräparat.)
Ich zeige hier ein an der Leiche gewonnenes Präparat* das Ihnen eine
beinahe vollständige Zweiteilung der Kieferhöhle vor Augen führt. Diese
Zweiteilung ist einerseits durch ein sehr hohes Dissepiment, andrerseits durch
eine große, lateralwärts sich ausbuchtende vordere und untere Siebbeinzelle
gegeben. Die Kommunikationsöffnung zwischen beiden Kieferhöhlenräumen
war ursprünglich sehr klein, ist aber jetzt durch die schrumpfende Wirkung
der Aufbewahrungsflüssigkeit größer geworden. Man kann sich nun ganz leicht
vorstellen, daß diese Öffnung entweder durch eine noch stärkere Ausbildung
des Dissepiments oder durch eine noch bedeutendere Ausbuchtung einer
solchen Siebbeinzelle bei gleichzeitiger Verschwellung infolge akuter Ent¬
zündung oder durch Ventilwirkung bei Vorhandensein von Polypen in der
Nähe derart verschlossen werden kann, daß Phänomene einer faktischen
Zweiteilung klinisch in Erscheinung treten können.
Aussprache:
Ha jek: Dis Präparat von Kotier ist interessant; es repräsentiert eine
besondere Form von Nischenbildung an einer seltenen Stelle.
Kotier (Schlußwort): Dieses Präparat wurde gelegentlich eines Operaticns-
kurses an der Leiche gewonnen.
2. Rezidiv nach Kieferhöhlenoperation wegen chronischer Eiterung.
Die 27jährige Pat., welche ich Ihnen hier vorstelle, wurde vor 6 Jahren
an der Klinik weiland 0. Chi ari wegen doppelseitiger chronischer Eiterung
der Kieferhöhle nach Caldwell-Luc operiert und war bis Mitte Jänner
dieses Jahres vollkommen beschwerdefrei. Um diese Zeit bekam sie bohrende
Schmerzen im linken Proc. alveol. sup. und in den restlichen 3 oberen Zähnen
(2 linke und 1 rechter Schneidezahn). Die Schmerzen nahmen an Intensität
zu und wurden der Pat. unerträglich. Angeblich soll 4 Wochen lang etwas
Eiter in der leeren Alveole des Augenzahnes zum Vorschein gekommen, hernach
ein kleiner Abszeß etwas oberhalb spontan aufgebrochen sein, worauf dieser
Prozeß abheilte, aber dafür die Nase eitrig zu fließen begann. Bei der ersten
Untersuchung sah ich nur wenig schleimig-eitriges Sekret im unteren Nasen¬
gange und am Nasenboden links. Da in diesem Falle wegen der voraus¬
gegangenen Radikaloperation sowohl die Transillumination als auch die
Röntgenuntersuchung naturgemäß keinen diagnostischen Aufschluß geben
konnte, entschloß ich mich zur Probeeröffnung der schon einmal operierten
Höl le. Ich fand nun zu meiner Überraschung einen mit Eiter und Polypen
erfüllten Rezessus zygomaticus, der nasalwärts durch Narbengewebe so ab¬
geschlossen war, daß der Eiter förmlich unter Druck sich entleerte. Ich reinigte
sorgfältig den erkrankten Rezessus und schuf wieder eine breite Kommuni-
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Vereinsberichtc (Wiener lur.-rhinol. Ges., April 1922).
745
kation mit der Nase; auf besonderen Wunsch der Pat. extrahierte ich auch
die restlichen Zähne des Oberkiefers. Jetzt ist die Pat. von ihren Beschwerden
vollkommen befreit.
Aussprache:
Emil Glas fragt an, ob in diesem Falle sein Stimmgahelversuch gemacht
worden sei. da es ihm wahrscheinlich erscheint, daß man mittels des G 1 a s scheu
Stimmgabelversuches (bei intaktem Ohre) das Vorhandensein eines eitergefüllten
größeren Rezessus durch Literalisation der median aufgesetzten Stimmgabel nach
der erkrankten Seite hätte mutmaßen können.
3. Störung der Nahrungsaufnahme durch die bei der Laryngektoiiiie
zurückgelassene gesunde Epiglottis.
Der 59jährige Pat., den ich Ihnen hier vorstelle, wurde von mir im
Juli 1921 wegen eines umschriebenen, zirka bohnengroßen, der pharyngealen
Oberfläche des r. Aryknorpels aufsitzenden „verhornenden Plattenepithel¬
karzinoms“ operiert, und zwar zweizeitig, zuerst tracheotomiert, worauf
2 Wochen später der Larynx und die linksseitigen Halslymphdrüsen entfernt
wurden; die gesunde Epiglottis und ein kleiner, unterer Anteil der gesunden
Ringknorpelplatte wurden zurückgelassen, der letztere zur Erzielung eines
schönen, weiten Tracheolaryngostoma bestimmt. Pat. überstand die Operation
sehr gut, die Heilung verzögerte sich indessen, weil der zurückgelassene Rest
der Ringknorpelplatte zu einer Fisteleiterung Veranlassung gab, die erst nach
zirka 2 Wochen abheilte. Heute sind fast 9 Monate seit der Operation ver¬
strichen, die Wunde ist schön geheilt, das Tracheolarvngostoma geradezu
ideal, so daß Pat. nie eine Kanüle benötigt, von einem Rezidiv ist nichts zu
sehen, nur klagte Pat. ständig darüber, daß er seit der Operation nicht essen,
im besten Falle nur dünne Flüssigkeiten zu sich nehmen könne. Er gab an,
er habe beim Essen das Gefühl gehabt, als ob eine Klappe sich auf die Speise¬
röhre lege, welche die Speisen nicht hinunterlasse, und als ob er ersticken
müsse, so daß das Genossene wieder heraus mußte. Pat. wurde deshalb fast
nur mittels Schlundsonde ernährt. Die Einführung derselben w r ar jedoch mit
einer gewissen Schwierigkeit verbunden, indem man zuerst auf ein Hindernis,
eine Stufe, stieß, nach deren Überwindung man dann allerdings mühelos in
die Speiseröhre gelangen konnte. Anfänglich dachte ich, daß das Hindernis
im Speiseröhreneingange durch eine Perichondritis des zurückgelassenen
Ringknorpelplattenrestes bedingt wäre, später glaubte ich, daß eine narbige
Verengerung nach Abheilung dieser Perichondritis vorliege, ja sogar an eine
Metastase dachte ich schon, bis eine Röntgenaufnahme endlich die wahre
Ursache dieser Störung aufdeckte. Der vom Zentralröntgeninstitut Professor
Holzknecht ausgestellte Befund von Pharynx und Ösophagus lautete:
„Beim Schlucken von Flüssigkeit sowohl als von Paste bildet sich unterhalb
des Zungengrundes ein länglicher, mehr als pflaumengroßer, an der unteren
Wand gekerbter, dem Ösophagus sich vorlagernder Sack aus, der sich dann
beim Schlucken nach hinten in den Ösophagus allmählich entleert. Der Öso¬
phagus selbst erscheint überall normal weit und glatt konturiert.“
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Die beigegebenen zwei Skizzen, die Sie hier sehen, zeigen, daß sich die
Kontrastmasse in dem Raume zwischen Zungengrund und Epiglottis an¬
sammelt, bei weiterer Zufuhr diesen Raum ausdehnt und den Kehldeckel
nach hinten niederdrückt, so daß er sich wie ein Ventil auf die Ösophagus^
mündung legt. Die Ösophagoskopie zeigte normale Verhältnisse.
Diese Ernährungsstörung konnte somit nur durch die bei der Total¬
exstirpation zurückgelassene gesunde Epiglottis bedingt sein, es war also
zu erwarten, daß eine nachträgliche Entfernung derselben die Störung beheben
würde. Die Epiglottis wurde denn auch entfernt und das Resultat bestätigte
vollauf unsere Erwartung. Fat. kann nunmehr alles essen und braucht keine
Bongie mehr.
Eine Ernährungsstörung dieser Art und von dieser Intensität wurde
bisher nirgends beschrieben und konnte bis jetzt in keinen der zahlreichen,
an der Klinik ausgeführten Fällen von Totalexstirpation beobachtet w r erden,
obwohl die gesunde Epiglottis fast nie mitentfernt worden war. Allerdings
befürworteten schon ältere Autoren die Entfernung der überflüssig gewordenen
gesunden Epiglottis und gaben hierfür teils einen Grund, teils keinen an.
Maas riet schon im Jahre 1876 gelegentlich seines zw r eiten Falles von
Laryngektomie, die Epiglottis immer zu entfernen, weil sie das Schlingen
nicht erleichterte. Andere Operateure machten ähnliche Erfahrungen, indem
sie beobachteten, daß die Epiglottis nachher manchmal ein Hindernis für die
Einlegung des künstlichen Kehlkopfes bildete und manchmal der Ausgangs¬
punkt eines Rezidivs war. B i 11 r o t h und S e b i 1 e a u messen dieser Frage
keinerlei Bedeutung bei, übergehen sie sozusagen, während Gluck die
Epiglottis immer mitentfernt. Nur F ö d e r 1 nimmt in dieser Frage einen
eigenen Standpunkt ein, indem er die Erhaltung der Epiglottis für besonders
zweckmäßig bei Anwendung seiner Methode der Laryngektomie ansieht.
Der demonstrierte Fall lehrt also, daß wir in
jedem Falle von Totalexstirpation die gesunde Epi¬
glottis als überflüssig gewordenes Organ mitent-
entfernen sollen. Eine Ausnahme bilden nur jene
wenigen Fälle, bei denen wir wie bei der Methode
von F öd er 1 oder zu plastischen Zwecken ein spezielles
Interesse an deren E r h a 11 u n g haben.
A u s s p r a c h e.
G. Hofer: Klinisch war das leichtere »Schlucken von Flüssigkeiten, das
schwerere Schlucken von breiigen lügestis auffallend.
Marse hik: Die Entfernung der gesunden Epiglottis ist von Ohiari
und seinen Assistenten an der Klinik wohl in der größeren Anzahl der Fälle, nament¬
lich in letzterer Zeit, ausgeführt worden, schon weil hei der Abtrennung des Schild-
knorpels von der Membrana hyothyreoidea die Epiglottis am Schildknorpel bleibt
und man ganz typisch mit der Scheere immer in die Vallekula kommt. Doch habe
ich in mehreren Fällen die zurückgebliebene Epiglottis mit Erfolg zur Ausfüllung
der Pharynxlücke benutzt und damit meines Wissens zweimal die postoperative
Pharynxfistel vermeiden können. Die Plastik geschah in der Weise, daß die Epiglottis
herabgebogen und die nun nach außen, also wundwärts sehende laryngeale Fläche
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durch Abschaben ihres Schleimhautüberzuges beraubt wurde. Nun fügte sie sich sehr
geschickt in die dreieckige Lücke der Pharynxschleimhaut ein. Jedenfalls möchte
ich mit Kotier die Belassung der Epiglottis als überflüssig erklären.
Was die von Hofer erwähnte, auch röntgenologisch festgestellte Divertikel-
bildung an der Vorderwand betrifft, so ist sie nicht verwunderlich, wenn die ganze
hintere Sjhleirahautbekleidung des Kehlkopfes belassen und zur Pharynxnaht ver¬
wendet worden ist. Diese hintere Schleimhaut = vordere Hypopharynxschleimhaut
ist nämlich, wie man sich an jedem Kadaver überzeugen kann, in eigenartige Quer¬
falten gelegt, d. h. also in der Vertikalen entfaltbar und verlängerbar. Dies ist nötig,
um dem Kehlkopf die so wichtige Beweglichkeit beim Schluckakt zu verleihen, wo
er ja Exkursionen Von 3 bis 4 cm in die Höhe macht. Während sich diese Schleim¬
haut also bei vorhandenem Kehlkopf während des Schluckaktes streckt und der
Hvpopharvnx einen geraden Trichter bildet, bleibt die Entfaltung nach der Total¬
em xsiirpition mehr weniger aus und es kommt zur Divertikelbildung und Schluck¬
st örun gm daselbst. Ich reseziere daher prinzipiell nach Entfernung des Kehlkopfes
von der Hypopharynxschleirahaut, wenn sie vollständig erhalten werden kann, in
der Mitte einen dreieckigen Zipfel, bis sie ohne Spannung vollkommen entfaltet ist.
Es ist überhaupt für die Pharynxplastik, worauf auch Killian in letzter Zeit auf¬
merksam gemacht hat, nur vorteilhaft, alle überflüssigen Schleimhaut- und Weich¬
teile, die ja nur für die Topographie des eingebauten Kehlkopfes und der Grenz¬
scheide zwischen Luft- und Speisewegen Bedeutung haben, mitzuentfernen, mag
auch das Neoplasma weit von ihnen entfernt sein.
II. Hirsch: GaJIertkarzinom des Unken Siebbeines. Radikaloperation
des Tumors und sämtlicher Nebenhöhlen in Lokalanästhesie.
Der 52jährige Pat., den ich Ihnen heute vorstelle, kam zum Kollegen
Dr. R. R e i s s wegen Nasenverstopfung. Dr. R e i s s fand Polypen, die bei
Berührung leicht bluteten und nach der Operation rasch rezidivierten, weshalb
er eine histologische Untersuchung vornahm. Diese ergab, daß es sich um ein
Gallertkarzinom handelt. Dr. Reiss überwies mir den Pat. zur Radikal¬
operation.
Ich fand die linke Siebbeingegend und den hinteren Abschnitt des
Septums bedeckt mit Polypen, die mit zähem Schleim überzogen waren.
Nachdem ausgiebige endonasale Eingriffe und wiederholte histologische Unter¬
suchungen mit dem Befund des Kollegen übereinstimmten, nahm ich am
2. Dezember 1921 die Radikaloperation in Lokalanästhesie vor.
Das Röntgenbild ergab Verschattung aller Nebenhöhlen der linken
Seite, daher mußte ich erwarten, daß alle Höhlen von dieser Seite vom Tumor
erfüllt sind und eröffnet werden müssen.
Morphiuminjektion. Infiltration des Septums, der lateralen Nasenwand
und des Nasenbodens mit Schleich scher Lösung, Leitungsanästhesie -
der fazialen Oberkieferfläche mit 1% Novokain. Injektion der gleichen JLösung
in die Orbita entsprechend den Austrittstellen der Nervi ethmoidales, des Nervus
supraorbitalis und Umspritzung der Stirn-, Nasenrücken- und Oberkiefer-
fortsatzgegend.
Es wurde die linke Stirnhöhle nach Killian operiert, das ganze
Siebbein und das Keilbein ausgeräumt, das linke Nasenbein und der Processus
frontalis und der hintere Abschnitt des Septums abgetragen und zum Schluß
auch die Kieferhöhle weit eröffnet. Die Knochen des Schädels waren außer-
Monatsschrift f. Ohrenheilk. a. Lar.-Rhin. 56. Jahr?. 49
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ordentlich blutreich, jedoch wurde in der Stirnhöhle und in der Kieferhöhle
trotz positiven Röntgenbefundes nur düsterrote Schleimhaut, aber kein Tumor
gefunden. Die Operation dauerte 2% Stunden, die Anästhesie mit eingerechnet.
Die Heilung erfolgte ohne Zwischenfall und das kosmetische Resultat ist ein
sehr schönes.
Ich stelle diesen Fall vor wegen Seltenheit eines Gallertkarzinoms in der
Nase, wegen Seltenheit eines so großen Eingriffes in Lokalanästhesie, wegen
des positiven Röntgenbefundes bei negativem Befund in der, Stirn- und Kiefer¬
höhle und wegen des Befundes einer sphenoidalen Siebbeinzelle. Bisher ist
kein Zeichen einer Rezidive. Eine Radiumbestrahlung wurde bisher nicht
vorgenommen.
Aussprache:
G. Hofer: Die Lokalanästhesie ist an der laryngologisehen Klinik seit
mehreren Jahren die Regel. Die Radiumbestrahlung wäre in dem Falle von Karzinom
für alle Fälle in Form der Dauerbestrahlung am Platze gewesen.
Glas fragt, ob sich ermitteln ließ, von wo (Siebbein?) der Tumor seinen
Ausgang genommen habe und fragt weiter, ob der Sinus frontalis frei war.
Marschik: Die Lokalanästhesie der Nebenhöhlen ist an der Klinik nicht
seit einigen, sondern schon seit 12 Jahren eingeführt, zu welcher Zeit M. die ersten
Stirnhöhlen in Lokalanästhesie operiert hat. Es ist auch in dieser Gesellschaft darüber
berichtet worden.
Hirsch (Schlußwort): Herren Hofer und Marschik möchte ich er¬
widern, daß Radikaloperationen sämtlicher Nebenhöhlen in einer Sitzung mit aus¬
gedehnten Resektionen in Lokalanästhesie zu den selteneren Vorkommnissen ge¬
hören, doch habe ich deswegen allein den Fall nicht vorgestellt. Jedenfalls ist es mir
nicht bekannt, daß in den letzten 8 Jahren hier solche Fälle vorgestellt wurden,
wenn ich auch weiß, daß solche Operationen gemacht wurden. Es war mir darum
zu tun, die Vorzüge der Lokalanästhesie bei Operationen des Gesichtes berver-
zuheben, ganz besonders: die geringe Blutung, das freie, vom Narkotiseur nicht
eingeschränkte Operationsfeld, der Wegfall der Folgezustände einer langen Narkose.
Eine Radiumbestrahlung ist beabsichtigt.
III. Tschiassny: Stomatitis aphtosa.
Der Fall erscheint deshalb besonders interessant, weil er die ver¬
schiedenen Studien der Affektion nebeneinander vergesellschaftet aufweist.
Neben den typischen, grauweiß belegten, mit einem entzündlichen Hof um¬
gebenen Aphten am weichen Gaumen und am linken vorderen Gaumenbogen
sieht man auch Bläschen und geplatzte Bläschen, die Initialformen der
Affektion. Am Zungenrücken überdies eine größere oberflächliche Geschwürs¬
fläche.
Aussprache:
G. Hofer hält die Affektion für Herpes.
Glas: Der jetzige Aspekt der Schleimhaut spricht für dieseminierte Herpes-
effloreszenzen. Die Lokalisation der Effloreszenzen (Gaumen befallen, Wangenschleim¬
haut frei) sowie die Form derselben und das typische Dekollement sind für Herpes
charakteristisch. Hierzu kommen die subfebrilen Tempere tvren im Sinne einer In«
fektion. An einzelnen Stellen sieht die Affektion jenen Bildern gleich, die in die
Gruppe als Erythema multiforme exsudativum Einreihung finden.
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Hutter: Bezüglich der Therapie derartiger Fälle möchte ich eintn Wim; eh
mit Urotropin anempfehlen. Bei einem vor kurzem beobachteten Fall von Herpes
pharyngis et laryngis sah ich die reichlich ausgebildeten, bereits länge ie Z<it 1 e-
stehenden Effloreszenzen auf Urotropin bzw. Hexamethylentetramin innerlich linnn
2 Tagen schwinden.
Tschiassny (Schlußwort): Ich habe den Fall erst seit 2 Tagen in Be¬
obachtung. Die Möglichkeit, daß es sich um Aphten handelt, die auf Basis eines
Schleimhautherpes entstanden sind, will ich daher nicht von der Hand weisen.
IV. Schrötter: Vortrag: Über Sklerom.
Demonstration von Bildern und Karten aus eigener Sammlung. (Fort¬
setzung aus der Märzsitzung. Bericht nicht eingelangt.)
V. Hutter: Neuralgiforme Reflex neu rose der Nase nach Grippe.
Besserung durch Trichloressigsäure an den Reizpunkten*
Ich stelle eine Patientin vor, die seit einer im Jänner 1921 durch-
gemachten angeblich grippeartigen Erkrankung, in deren Verlauf kurzer,
sehr heftiger Schnupfen auftrat, an rechtseitigem Stirrkopfschmerz von
wechselnder Intensität, unregelmäßigem Auftreten und andauernd dumpfem
Gefühl im Kopf leidet. Sie ist hierdurch auch geistig und psychisch alteriert,
klagt über zunehmende Gedächtnisschwäche, Unmöglichkeit, Musik an¬
zuhören usw. Aus der Anamnese ist noch hervorzuheben, daß sie im Alter
von 16 bis 17 Jahren an ,,Krämpfen“ gelitten hat. Pat. stand durch ein Viertel
Jahr in neurologischer Behandlung und wurde elektrisiert, ohne mehr als
vorübergehende Besserung. Pulver vertrug sie nicht. Die von einem Neurologen
eingeholte Diagnose lautete auf neurasthenischen Kopfschmerz, eventuell
im Zusammenhang mit der durchgemachten Grippe. Bezüglich der Kon¬
stitution der Patientin w^eist neben dem allgemeinen Habitus eine enorme
Steigerung der Patellarreflexe auf die Neurasthenie hin. Der regionäre und
rhinoskopische Befund, wie er sich als Resultat einer Reihe von Unter¬
suchungen ergab, ist folgender: Sehr starke Druck- und Klopfempfindlichkeit
über der rechten Stirnhöhle. Hyperalgesie der Haut daniber gegenüber links
bei Prüfung mit Nadelspitze. Rhinoskopisch beideiseits weder pathologische
Schleimhautschw r ellung, Hypertrophie, Spina oder Crista, noch jemals ab¬
norme Sekretion zu beobachten, die auf eine nasale bzw. Nebenhöhlenursache
der Kopfschmerzen bind« Uten würden. Um letztere noch sicherer auszuschließen,
wurden die Diaphanoskr pie und Durchleuchtung vorgenommen, die beide
ein absolut negatives Resultat gaben. Eine Ausspülung der Nebenhöhlen
erwies sich aus Gründen der nun zu erwähnenden Uberempfindlichkeit als
kaum durchführbar. Das von Anbeginn nämlich bei der rhinologischen Unter¬
suchung auffälligste Symptcm war die enoime Hyperästhesie der rechten,
und zwar nur der rechten Nasenhöhle, die sich schon bei Einführung des Nasen¬
spiegels stets zu erkennen gab, mehr noch bei Berülrnng der Mukosa lateral
und am Septum mit der Nasensonde, ja schon mit dem Kr.izcmeter (Faden¬
sonde). Dabei zeigte sich eine Zunahme der Hyperästhesie nach hinten zu,
die sich bei Berührung bestimmter Stellen zu so heftigen Sei merzen steigert,
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., April 1922).
daß Pat. mitunter zu wimmern anfängt. Den Höhepunkt erreicht sie an
2 Stellen, und zwar an einer kleinen Zone am Septum in halber Tiefe der
Nasenhöhle und in der Höhe des mittleren Nasenganges, zweitens an der dem
Septum zugewandten Fläche der mittleren Muschel entsprechend ihrem
hinteren Abschnitt. Die Berührung dieser Stellen erzeugt Schmerzen an der
Glabella, r. Stirn- und Scheitelgegend, löst mitunter sogar klonischen Masseteren-
krampf aus. Kokain, mit dem Pinsel eingebracht, reizt vor allem durch
die Berührung und läßt eine Anästhesie schwer erzielen; Kokainbäuschchen,
in das vordere oder hintere Sensibilitätsgebiet oder an die Hauptreizpunkte
appliziert, beheben den Kopfschmerz und befreien vom Druckgefühl nach
wenigen Minuten, wie sich einigemale konstatieren ließ, nur die Empfindlich¬
keit der Stirngegend bleibt bestehen. Diagnostisch und therapeutisch wichtig
erscheint mir die Wirkung der Verätzung. Während Trichloressigsäureätzung
der zwei von K i 11 i a n empfohlenen Punkte (Tub. septi und vorderes Ende
der unteren Muschel) erfolglos bleibt, schwindet nach Ätzung der früher ge¬
nannten Hauptreizstellen der Stirnschmerz und ein freieres Gefühl im ganzen
Kopf stellt sich ein. Letzteres hat in den letzten Tagen wieder nachgelassen,
im großen und ganzen fühlt sich aber Pat. bedeutend besser wie zuvor. Die
Empfindlichkeit der äußeren Stirngegend ist geblieben. Durch interne Mittel,
wie Arsen, Brom, Akonitin, die Pat. vorher von mir erhielt, ließ sich keine
erwähnenswerte Besserung erzielen.
Fassen wir die Haupterscheinungen zusammen: Rechtseitiger Stirn¬
schmerz und gleichseitige Hyperästhesie der nasalen Schleimhaut, Auslösen
der Beschwerden auf Berührung, Schwinden bzw. Abschwächung nach Kokaini-
sierung oder Verätzung bestimmter Stellen, so gestatten dieselben wohl,
hier von einer nasalen Reflexneurose zu sprechen, die sich diesmal in Er¬
scheinungen aus der sensiblen Sphäre präsentiert. Bekanntlich hat schon
Hack u. a. auch auf solche Formen hingewiesen, man ist aber mit Recht
seinen zu weit gehenden Annahmen gegenüber skeptisch geworden. Zum Teil
auch deshalb, da man sich solche Erscheinungen als reflektorische Vorgänge
nicht so gut vorstellen kann wie das Überspringen auf zentrifugale Bahnen.
In letzter Zeit haben aber wieder Killian, Sluder, Amersbach u. a.
uuf den reflexneurotischen Charakter mancher neuralgiformer und migräne¬
artiger Zustände aufmerksam gemacht und besonders Amersbach hat
2 Fälle einwandfrei beschrieben, wo lange Zeit Nebenhöhlenschmerz bestand
und nach Ätzung bestimmter Stellen der Mukosa verging. Auch der heutige
Fall täuscht eine Stirnhöhlenaffektion vor und scheint besonders prägnant
durch die Kombination mit motorischen Erscheinungen, die sich auslösen
lassen. Therapeutisch käme, wenn die Schmerzen wieder zunehmen, eine
Wiederholung, eventuell stärkere Ätzung oder Alkoholinjektion in vorderes
oder hinteres Sensibilitätsgebiet in Betracht, um eine größere Zone auf einmal
auszuschalten. Ich habe noch 2 andere derartige Fälle beobachtet, deren einer
dem hier vorgestelltem Fall besonders ähnelt. Hier bestand nach im letzten
Sommer durchgemachter heftiger Rhinitis konstant Scheiteldruck. Nasal fand
sich beiderseits bedeutende Hyperästhesie der Schleimhaut, die Erscheinungen
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gingen auf Kokain temporär, auf einmalige Ätzung der 4 Punkte dauernd
zurück. Wahrscheinlich spielt die Grippe bei Entstehung dieser Fälle eine
Rolle. Vortr. bittet denselben Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es handelt sich
um ein Grenzgebiet zwischen Neurologie und Rhinologie. Aber um diese Fälle
der Heilung zuzuführen, bedarf es rhinologischer Behandlung.
Aussprache:
Hajek: Die Untersuchungen Hutters sind interessant in klinischer
Beziehung, insofern bisher die nasalen Trigeminusäste hinsichtlich ihrer Beteiligung
an der Neuralgie nicht genügend gewürdigt worden sind. Auf das therapeutische
Gebiet mag ich ihm jedoch nicht zu folgen, da der Ziisammenhang zwischen Neuralgie
und dem therapeutischen Effekt nach der Kauterisation mir durchaus nicht ein¬
leuchtet.
G 1 a 8 fragt, ob eine gewisse Abhängigkeit der Kopfschmerzen von der Men¬
struation nachweisbar war und betont den neuropathischcn Habitus der Patientin.
Er fragt nach Ovarie, Korneal- und Uvulareflex. Von diesem Befunde hängt es ab,
ob dieser Fall in die Gruppe der Fl i e ß - H a a g sehen Fälle einzureihen sei oder
als postgrippöse Affektion zu deuten ist.
Hutter (Schlußwort): Auf die Anfrage von Prof. Glas: Über das Ver¬
halten der Kopfschmerzen bei Pat. zur Menstruation ist mir nichts bekannt. Im
allgemeinen treten die Kopfschmerzen bei ihr ziemlich unregelmäßig auf, nur in bezug
auf die Tageszeit am häufigsten Vormittag, um Nachmittag abzuklingen, was an das
Auftreten bei Nebenhöhlenaffektionen erinnert. Prof.H a j e k gegenüber betone ich,
daß der Neurologe nicht die Diagnose auf Neuralgie stellte. Man kann übrigens, we nn
man will, von einer Neuralgie der Nasennerven sprechen, wobei sich der Stirnsei:in rz
damit erklären läßt, daß ein Ästchen des N. ethmoid. die Stirnhöhle versorgt. Be¬
züglich der therapeutischen Wirkung habe ich mich«sehr bemüht, objektiv zu bleiben
und konnte konstatieren, daß nur die zweite Ätzung der Hauptreizpunkte Erfolg
brachte. Daß in derartigen Fällen aber die Suggestion eine große Rolle spielt, will
ich gerne zugeben.
VI: Marschik: 1 . Totalexstirpation wegen Ca. laryngis mit Haut-
schnitt nach Million.
Bekanntlich hat Killian im Jahre 1920 einen neuen Hautschnitt
angegeben, bestehend in zwei seitlichen bogenförmigen Schnitten entlang
dem Vorderrand der beiden Sternokleido. Dadurch wird erreicht, daß Pharynx-
und Hautnaht sich nicht decken, wodurch einerseits die primäre Heilung der
beiden Nähte gefördert wird, aber auch für den Fall als die Pharynxnaht
aufgeht, es nicht zur dauernden Pharynxfistel kommt, da sie noch immer
durch die mediane genügend breite Hautbrücke gedeckt ist und die granu¬
lierenden Flächen endlich miteinander verkleben.
Ich stelle heute einen nach dieser Methode operierten Fall von
Ca. laryngis vor. Es kam hier überhaupt nicht zur Ausbildung einer Pharynx¬
fistel, die Pharynxnaht heilte primär und der Fall scheint tatsächlich die
Brauchbarkeit der Methcde zu bestätigen. Der Tracheaistrmpf wird in ein
eigens angelegtes medianes Knopfloch eingenäht. Auch diese Naht heilte
primär. Ich stellte dieses Knopfloch mittels eines Y-förmigen Einschnittes
her, wodurch die Spamiungsverhältnisse der Haut der Form der Trachea
nämlich einer hinteren, gerade ausgespannten Fläche und des Bogens der
Seiten- und Vorderwand mehr angeglichen werden. Sie sehen den vor 4 Wochen
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operierten Patienten mit allseitig verheilten Wunden und ^inem dauernd
weit und offen bleibenden Tracheostoma. Entsprechend meiner Methode,
die untere Drainage am hinteren Sternokleidorand anzulegen, empfehle ich
die beiden seitlichen Hautschnitte von der Gegend des Warzenfortsatzes zuerst
leicht nach unten und innen geneigt bis in die Gegend des oberen Schildknorpel-
hornes, dann mehr gerade oder leicht nach außen gewendet über den unteren
Anteil des Sternokleido zu führen, so daß die unteren Winkel am äußeren
Rand des Muskels zu liegen kommen. Der einzige Nachteil dieses Schnittes
scheint mir die mangelhafte Verschieblichkeit für den Fall, als mehr reseziert
werden muß als nur der Kehlkopf, z. B. Zungenbein, Zungengrund o. dgl.
und insbesondere die Festlegung auf die reine Kehlkopfexstirpation und
den vollkommenen Pharynxverschluß. Falls auch der Hypopharynx reseziert
werden muß, dürfte die Plastik nach Gluck, wenn nicht unmöglich, so doch
sehr erschwert sein. Es ist also, falls diese Operation beabsichtigt ist, mit
allen diagnostischen Mitteln, besonders Hypopharyngoskopie, die Eignung
des Falles für diese Methode vorher festzustellen.
Ich habe in diesem Fall auch noch eine andere sehr bemerkenswerte,
durch Killian eingeführte Verbesserung angewendet. K. fragte sich, was
eigentlich die Ursache des so häufigen Aufgehens der Naht sei und kam zum
Schluß, daß neben der Spannung vor allem die Ernährungsstörung durch
ausgedehnte Abhebung der Pharynxschleimhaut von der ernährenden Unter¬
lage schuld sei, und befürwortete daher in seinemVortrag auf der Naturforscher¬
versammlung 1920 in Nauheiifi, auf der er auch über den neuen Hautschnitt
berichtete, die Präparation, Gefäßunterbindungen usw. bei der Total¬
exstirpation auf das Mindestmaß zu beschränken. So läßt sich auf der ge¬
sunden Seite meist sehr viel vom Gewebe erhalten, äußere Muskulatur, ja
auch das äußere Perichondrium. Auch von der Unterbindung der Art. laryng.
sup., die Gluck als typische Phase fordert, rät er ab, welchem Vorschlag
ich mich allerdings nicht anschließen möchte. Auch in meinem Fall habe ich
das äußere Perichondrium der gesunden Schildknorpelhälfte sowie die vorderen
Kehlkopfhalsmuskeln erhalten. Die Erhaltung dieser hat ja auch Schlemmer
zur Sicherung der Pharynxnaht empfohlen. Die typische Kehlkopfexstirpation
erhält durch dieses Vorgehen immer eine gewisse, im Einzelfall wechselnde
Atypie, die allerdings große Erfahrung erfordert, soll das Prinzip der Radikal¬
operation intakt gewahrt bleiben. Der ausgedehnten Resektion der Seite des
Neoplasmas bei der Drüsenausräumung und Kehlkopfresektion entspricht
weitgehender Konservativismus auf der gesunden Seite. Die Gefahr der
Ernährungsstörung wird dadurch gegenseitig verringert.
Aussprache:
G. Hofer: Der K i 1 1 i m n sehe Bniekenlappen hat schon Vorläufer. H. er¬
innert an Versuche der Klinik 1917 bis 1919, sodann als solche von Prof. H a j e k,
die Lippenbildung durch 1. extramedianen L ippen, 2. durch Hängelappen mit Basis
kinnwürts usw. zu verbessern; gegen alle diese Versuche ist neben Marsch iks
Einwänden noch hinzuzufügen, daß bei den gewöhnlich älteren Individuen die Er¬
nährung des Lappens leiden kann und zweitens die regelmäßig vorhandene Suppu-
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ration dann ganz gegen die Gefäßscheiden abgelenkt wird. Hierfür sprechen die
wenig günstigen Erfahrungen der Klinik.
Mayer: Der Erfolg in dem von Marschik vorgestellten Falle ist jeden¬
falls sehr schön. Der Einwand, daß die Drainage nicht ausreichend gemacht werden
könne, ist wohl nicht stichhältig, weil man ja das Sekret seitwärts ableiten kann.
Schwerwiegender ist> der zweite, von Herrn Hofer gemachte Einwand, daß der
Lappen nekrotisch werden könne. Tatsächlich hat schon Gluck aus diesem Grunde
den einseitigen großen Türflügellappen abgelehnt. Durch die Bildung des
Kil Manschen Lappens wird es vermieden, daß die Pharynxnaht durch die
Hautnaht gedeckt wird, womit eine wichtige Forderung erfüllt ist; die zweite
Forderung ist aber die, daß die Bildung einer großen Höhle zwischen Pharynxnaht
und Haut vermieden wird, denn wenn eine solche Höhle besteht, so ist nicht
nur die Gefahr eines Platzens der Pharynxnaht und einer Infektion der Höhle
gegeben, sondern es ist dann überhaupt eine Heilung per priman ausgeschlossen,
weil diese Höhle nur per granulationem ausheilen kann. Ich möchte fragen, wie
sich die Sache in dem von Herrn Marscliik vorgestellten Falle verhalten hat.
Ich habe gemeinsam mit meinem Assistenten Schwarz an der Leiche
Versuche gemacht und habe einerseits durch extra-medianen Hautschnitt das Decken
von Hautnaht und Pharynxnaht vermieden und zweitens unter Weglassung der
Naht im Bereiche des unteren Wundrandes die Hautlappen auf die darunter liegende
Pharynxwand auf gelagert. Die Trachea wurde in einen nach unten verlängerten
median geführten Schnitt eingenäht. Es liegt dann auf eine ziemliche Strecke die
äußere Wand des nicht eröffneten Pharynx bloß. Dieser Teil der Wunde kann sich
entweder per granulationem schließen, oder man kann ihn durch eine Plastik mit
Entnahme von Hautlappen aus der Sternalgegend decken.
Marschik (Schlußwort): Ich beabsichtige heute nicht, mich in eine Dis¬
kussion über die Technik der Totalexstirpation überhaupt einzulassen. Ich wollte
nur einen nach K i 11 i a n operierten Fall und die Vorteile der Methode zeigen. Herrn
Mayer erwidere ich, daß tatsächlich der Lappen von der Unterlage sich wieder
abhob und eine längere (aber nur subkutane) Eiterung und Fistelung entstand. Es
kommt aber ebenso auch bei den anderen Schnittmethoden vor. Herrn Hofer
möchte ich bemerken, daß bei der Breite der oben und unten liegenden Basis des
Brückenlappens eine Ernährungsstörung wohl nicht wahrscheinlich ist. Bei den
Fällen Killians kam sie jedenfalls nicht vor, sonst hätte dieser darüber berichtet.
Der Wert der Methode kann jedenfalls nur durch weitere Anwendung derselben am
Lebenden erwiesen werden, was ich auch angelegentlichst empfehle.
2 . Partielle Kehlkopfresektion wegen Ca. laryngis. Das technische Problem
des Kehlkopfeinganges.
Wie ich gelegentlich der Demonstration eines Falles von Zungen-
Kehlkopfresektion bei vorgeschrittenem Epiglottiskarzinom vor kurzem in
der Gesellschaft der Ärzte ausgeführt habe, bestehen die Schwierigkeiten der
Resektion von Teilen des Kehlkopfeinganges bei beginnendem Ca., wenn die
Intaktheit des Kehlkopfinnern vor allem von Stimmlippen und Stimme die
Erhaltung dieses Organs indiziert, in den funktionellen Störungen, vor allem
in der steten Gefahr des Verschluckens. Von den Gebilden des Kehlkopf¬
einganges ist die Epiglottis, der sogenannte Kehldeckel gew f iß von der ge¬
ringsten Bedeutung, was schon die Erfahrung ihrer Amputation bei Tbc.
beweist. Weit wichtiger ist die Intaktheit des Reflexmechanismus sow r ie des
muskulären Ringes um den Aditus, der sich, bevor ein Fremdkörper in den
Kehlkopf kommt, besonders aber beim Schluckakt kontrahiert und den Kehl¬
kopf hermetisch abschließt. Da nun bei Ca. dieser Gegend so häufig größere
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Vercinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., April 1921).
Teile dieses Ringes wegfallen müssen, wird der Yerschlußmechanismus mehr
weniger undicht, und nun kommt es dazu, daß ein größtenteils erhaltener,
ganz gesunder Kehlkopf für den Patienten nicht nur funktionell unbrauchbar,
sondern geradezu eine ständige Gefahr geworden ist. Der Patient muß dauernd
seinen Kehlkopf tamponiert tragen. Denn nicht nur die Speisen, auch der
Speichel fließt unablässig hinab und es bleibt dann nichts anderes übrig, als
einen ganz gesunden Kehlkopf zu opfern, um das Leben des Patienten zu retten.
Der heute von mir gezeigte Fall bildet ein instruktives Beispiel für
das soeben Gesagte. Der 65jährige Pat. wurde vor 2 Jahren an anderer Stelle
wegen beginnendem Ca. des 1. Aryknorpels radikal operiert. Es wurde (mittels
Thyreotomie) nur ein Stück des Aryknorpels mitsamt der Umgebung (ary-
epiglottische Falte und Hypopharynxschleimhaut weggenommen. Pat. befand
sich bisher wohl, doch war die Entfernung der Kanüle wegen perichondritischer
Schwellung nach der Tracheotomie nicht möglich. In letzter Zeit Zunahme
der Kehlkopfschwellung und Schluckbeschwerden links. Die Laryngoskopie
ergab undifferenzierbare Schwellung der 1. Seite mit Fixation des Aryknorpels.
Die vor 3 Monaten von mir vorgenommene Operation ergab den Aryknorpel
und Umgebung links wohl ödematös, aber geheilt und frei von Karzinom.
Dagegen hatte sich gegenüber an der Vorderhand des Laryngopharynx id est
linker Epiglottisrand und vordere Pharynxwand ein szirrhöses Ca. entwickelt.
Es ergab sich die Notwendigkeit der Resektion von zwei Dritteln der Epi-
glott is und der angrenzenden Teile der vorderen Pharynxwand sowie der
linken Hälfte der Membrana hyothyreoidea samt oberem Teil der 1. Schild¬
knorpelplatte, deren äußeres Perichondrium erhalten werden konnte. Natürlich
mußte auch der ganz in dem Tumor aufgegangene Nervus laryngeus superior
fallen. Nach erfolgter Heilung ergab sich der heutige Befund: Sie sehen ein
weit offenes Laryngostoma, das für gewöhnlich mit einem Tampon ab¬
geschlossen ist. Die linke Wand desselben führt in einer
glatten Schleimhautnarben fläche ohne Absatz in den
Pharynx hinauf. Dieser unvermittelte Übergang von Pharynx und
Larynx, diese glatte, direkte Straße leitet alle Speisen, Flüssigkeiten und
Speichel geradewegs in den Larynx. Dazu kommt, daß gerade an diesem
kritischen Punkte infolge der Resektion des Nerv. lar. sup. (der übrigens
schon vor der Operation ausgeschaltet gewesen sein dürfte) auch die Sensi¬
bilität erloschen ist, so daß auch kein Hustenreiz dem Pat. die Fremdkörper¬
aspiration anzeigt und zur rechtzeitigen Ausstoßung verhilft. Der Pat. konnte
nun bisher über dem Larynxtumpon, der einzig die ständige Aspirationsgefahr
zu bannen vermag, leidlich schlucken, er ist aber immer von Flüssigkeiten
und Speichel durchnäßt, die Expektoration ist immer sehr reichlich, wir
müssen täglich den Ausbruch einer Pneumonie befürchten. Die Gefahr wird
so lange nicht beseitigt sein, als nicht ein dauernder gewebsdichter Abschluß
der Luft von den Speisewagen geschaffen w T ird. Man könnte dies einfach durch
typische Totalexstirpation des durch den ganz und gar unerläßlichen Tampon
ohnehin für Atmung und Sprache untauglich gewordenen Kehlkopfes er¬
reichen; einfacher aber erscheint mir die von mir schon einmal in einem ähn-
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., April 1922).
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liehen Fall erfolgreich ausgeführte und auch hier demonstrierte K e h 1 k o p f-
ausschaltung zu sein, bestehend in subperichondraler Resektion der
beiden Schildknorpelplatten, Mobilisierung der hierdurch der Befestigung
beraubten Innen weichteile des Kehlkopfes, Anfrischung und Naht. Das
Laryngostoma im Ringknorpel bleibt dabei zugleich als Tracheostoma be¬
stehen. Diese Operation ist bei unserem Fall in nächster Zeit beabsichtigt.
Aussprache:
Hajek: Auch nach meiner Erfahrung ist die halbseitige Exstirpation oft
nicht zufriedenstellend. Liegen überdies die Verhältnisse so, daß man auch viel von
dem Kehlkopfeingang entfernen muß, dann ist es besser, sich für die Totalexstirpation
zu entscheiden, da das Schlucken unmöglich ist.
VII. Kellner: 1. Laryngitis ulcero-membranacea ?
Vortr. demonstriert aus dem Ambulatorium des Doz. Hirsch eine
44jährige Frau, bei welcher im Anschlüsse an eine hoch fieberhafte Grippe
mit Pneumonie Schluckbeschwerden mit heftigen, gegen die Ohren aus-
strahlenden Schmerzen auftraten. Laryngologischer Befund:
Linsengroßes, scharfrandiges, isoliertes Ulkus am Rande der Epiglottis mit
weißem Belag. Im Abstrich aus dem Geschwür Spirochaeta refringens und
Bacillus fusiformis. Wenn diese Bakterien auch häufig saprophytisch Vor¬
kommen, so glaubt Vortr. doch, daß man in diesem Falle auch an die von
Hirsch beschriebene Laryngitis membranacea denken müsse.
Aussprache:
Menzel macht darauf aufmerksam, daß in der näheren und weiteren Um¬
gebung des Geschwüres kleine gelbe Knötchen sichtbar sind, welche im Zusammen¬
halte mit der Infiltration der oberen Epiglottishälfte eher für die Diagnose einer Tbc.
der Epiglottis zu sprechen scheinen.
Fein ist der Ansicht, daß es sich bei dem vorgestellten Fall um irgendeine
mykotische Ulzeration handelt, bei der der Befund von fusiformen Bazillen nur
eine saprophy tische Bedeutung hat. Er fragt den Vortragenden, ob denn
nicht auch andere Bakterien gefunden wurden.
2. Rhinolith. Entfernung mittels Denkers jOperation.
35 Jahre alter Herr, bei dem ein über wallnußgroßer Rhinolith aus der
linken Nasenseite auf dem Wege der Denker sehen Operation entfernt
wurde, da die Entfernung per vias naturales nicht oder nur mit erheblichen
Läsionen möglich gewesen wäre. Bemerkenswert ist, daß der große Stein
keinerlei Beschwerden machte und nur entdeckt wurde, weil Pat. an einem
sekretorischen Mittelohrkatarrh erkrankte.
VIII. Menzel: 1. Gefäßreiches Kavemom des Recessus piriformis.
Entfernung mit der kalten Schlinge. Heilung.
Vortr. demonstriert eine 56jährige Frau, die vor 14 Tagen in seiner
Ambulanz erschien, mit der Klage, seit 3 Wochen Schluckschmerzen von
großer Intensität auf der rechten Halsseite zu haben.
Einige Tage vor ihrem Erscheinen sei ihr etwas im Halse aufgebrochen,
wobei sie eine große Menge Blutes aushustete.
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JVereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., April 1922).
Die laryngoskopische Untersuchung zeigte ein leichtes ödem der rechten
Aryknorpelschleimhaut und an der Grenze zwischen hinterer Fläche der
hinteren Larynxwand und medialer Wand des Sinus piriformis einen haselnuß-
großen, graugrünlich verfärbten, breit aufsitzenden Tumor mit höckeriger
Oberfläche.
Nach dem klinischen Befund müßte jeder Untersucher ein Ca. des
Sinus pirif. diagnostizieren. Vortr. entfernte mit der kalten Schlinge einen
großen Teil der Geschwulst behufs histologischer Untersuchung. Dieselbe
ergab eine Überraschung: der von Prof. Sternberg stammende Bericht
lautet: ,,Sehr gefäßreiches kavemomähnliches, oberflächlich exulzeriertos
Gewebe, offenbar Granulationsgewebe. Das Oberflächenepithel — soweit
erhalten — verdickt, aber kein Karzinom.“
10 Tage nach der Exzision sah man noch einen linsengroßen breit auf-
sitzenden Tumor im Sinus piriformis. Die Reaktion war geschwunden. Derzeit
zeigt die laryngoskopische Untersuchung nur mehr einen etwa hanfkom-
großen, roten, im Niveau der umgebenden Schleimhaut liegenden Fleck an
der betreffenden Stelle des Sinus pirif. Die anamnestischen Daten könnten
die Entstehung des exulzerierten Granuloms in der Weise erklären, daß ein
vielleicht traumatischer Abszeß an der betreffenden Stelle zum Durchbruch
kam und daß sich auf der Basis der Fistel das Granulom entwickelte.
Der Fall hat diagnostisches Interesse wegen der Ähnlichkeit mit dem
klinischen Bilde eines Ca.
2. Tonsilla pendula-Präparat.
Ferner zeigt Menzel ein durch Operation gewonnenes Präparat,
darstellend eine Tonsille, welcher ein weißer, walzenförmiger Tumor von
4 cm Länge und 6 mm Breite gestielt aufsitzt, eine Art Tonsilla pendula.
Nach der von Prof. Sternberg vorgenommenen histologischen
Untersuchung besteht der walzenförmige Tumor aus aufgelockertem Binde¬
gewebe, in dessen Randpartien einzelne kleine Lymphfollikeln sitzen. Ober¬
flächlich eingeschichtetes regelmäßiges Plattenepithel. Der Tumor reichte
bis an die Epiglottis und rief bei Berührung derselben Würgreflexe hervor.
Daher mußte er entfernt werden.
3. Zum Schlüsse berichtet Menzel noch über das in der letzten
Sitzung der Gesellschaft demonstrierte pathologisch-anatomische Präparat
eines Ca. des L&rynx und des Ösophagus. Die histologische Untersuchung
hat ergeben, daß das Ca. des Larynx tatsächlich eine Meta¬
stase des Oesoph.-Ca. darstellt. Die histologischen Befunde des
pathologisch-anatomischen Institutes (Assistent Di. F eil er) lauten:
1. Schnitt aus dem Primärkarzinom des Ösophagus:
Große Krebsnester vom Typus des Basalzellenkarzinoms mit ausgedehnten
zentralen Nekrosen. Sehr zellreiches medulläres Karzinom mit reichlichen Ex¬
ulzerationen gegen die Schleimhaut Oberfläche. Während an einzelnen Stellen schon
fast der Typus eines Plattenepithelkarzinoms vorliegt, sehen andere Stellen wie
Oa simplex aus, wenn auch an solchen der Zellcharakter nicht sicher erkennbar ist.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., April 1922).
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W ihrscheinlich handelt es sich in diesen Nestern um jüngere Gebilde, an denen die
Differenzierung noch nicht soweit vorgeschritten ist.
2. Schnitte aus den lymphogenen Schleimhautmetastasen im Ösophagus
oberhalb des primären Tumors:
Ebenfalls große Krebsnester mit breiten zentralen Nekrosen. Der Basalzellen¬
typus und der Übergang in Plattenepithelkarzinom viel mehr ausgesprochen. An
mehreren Stellen Hornperlen.
3. Schnitt aus der Larynxmetastase. Typisches Plattenepithelkarzinom, teil¬
weise mit beginnender Verhornung.
Somit scheint ein einheitliches Karzinom vorzuliegen, das teilweise mehr
den Typus des Basalzellenkrebses zeigt, teilweise den des Plattenepithelkrebses,
wobei jedoch Übergänge des einen Typus in den anderen zu finden sind*“
J u r a s z hat im Handbuch von Heymann nur 4 Fälle von meta-
statischem Ca. des Larynx aus der Literatur zusammenstellen können.
Menzel hebt nochmals die Besonderheit des laryngoskopischen Bildes
in dem in Rede stehenden Fall hervor, indem das Ca. nicht tumorartig ins
Larynxlumen hineinwucherte, sondern Taschenband und Stimmband in¬
filtrierte, wie man es bei der Tuberkulose so oft sieht.
Aussprache:
H a j c k: Die Genese des Falles 1 ist nicht geklärt.
Menzel (Schlußwort): glaubt an einen vorausgegangenen Abszeß.
IX. Marschik: Multiple Metastasen nach €a. mammae. Multiple
Hiranervensehädigung. Röntgen- und Radiumbestrahlnng. Tracheotomie.
E xitag. Sektionspräparat.
Eine 53jährige Frau war 1912 wegen Ca. mammae sin. radikal operiert
worden. 1918 erschienen die ersten Rezidiven in der Haut der Operationsstelle
und des ganzen Körpers, auch am Scheitel, die sich aber durch Röntgen¬
bestrahlung zumeist günstig beeinflussen oder zum Verschwinden bringen
ließen. 1920 zeigten sich die ersten Hirnnervenstörungen, und zwar V/ 1? VI,
Diabetes insipidus, Schwäche und Ataxie der Beine. Nach Röntgenbestrahlung
der Hypophysengegend soll der Diabetes damals wieder verschwunden sein.
Seit einem halben Jahr bestand auch Hustenreiz, manchmal Erstickungsanfälle
und Heiserkeit, Knoten am Hals. Anfang Februar d. J. wurde ich zum ersten¬
mal zu der Pat. ans Krankenbett gerufen, die damals nicht mehr fähig war
zu gehen und zu stehen. Es bestanden zumeist geschrumpfte vereinzelte Knoten
am Stamme, an den Armen und am Scheitel, lentikuläre Metastasen im
Operationsgebiet, typische Rekurrensstimme und inspiratorisches Kehlkopf¬
schnarchen. Die Untersuchung ergab Dämpfung über der ganzen 1. Lunge
(wahrscheinlich karzinomatöse Pleuritis), eine teils knotige, teils diffuse derbe
Infiltration im Bereich der Schilddrüse um den Kehlkopf herum, am Hals
verstreute derbe Lymphknoten, V- und VI-Lähmung links, laryngoskopisch
beidseitige Rekurrenslähmung, die 1. Stimmlippe nahe der Mittellinie fixiert,
die r. ganz w r enig beweglich, Glottisspalt höchstens 2 mm breit.
Uber Wunsch des Hausarztes und der Pat. wurde in der Annahme, daß
vielleicht das Rezidiv in der Schilddrüse die Rekurrensschädigung bewirke,
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
eine Radiumbestrahlung derselben besonders auf der 1. Seite versucht. Es
kam zu 3 Bestrahlungen mit zirka 500 mg St. Wie zu erwarten, trat bald
Reaktion im Kehlkopfinnem auf, die den engen Glottisspalt zum völligen
Verschluß brachte und die Tracheotomie nötig machte. 4 Tage darauf unter
Herzschwäche und Lungenödem Exitus. Die Obduktion (Prof. Sternberg)
ergab: Multiples metastatisches Karzinom des Großhirnes, Kleinhirnes, der
Haut, der Leber, der zervikalen und mediastinalen Lymphdrüsen, pleuritisches
serofibrinöses Exsudat, Verfettung und Konkretio des Herzens, Atelektase
des 1. Unterlappens, kroupöse Pleuropneumonie (graue Hepatisation) des
1. Oberlappens, Cholelithiasis und Cholecystitis purulenta chronica, Zyste in
der r. Niere.
An dem Fall ist zunächst die lange Pause zwischen der Radikal¬
operation und dem Auftreten der ersten Rezidive bemerkenswert, die die jetzt
geltende Respektfrist für Radikalheilung von 5 Jahren erheblich überschreitet,
ferner der ungemein langsame Verlauf des Rezidivstadiums, die günstige
Beeinflussung durch Röntgen, endlich das multiple, von der gewöhnlichen
Lokalisation abweichende Auftreten der Rezidive, weiters fiel auf, daß obwohl
anscheinend schon im Hirn und an der Schädelbasis Rezidive bestanden,
von den letzten Hirnnerven nur die beiden Vagi ergriffen zu sein schienen.
Die beiderseitige Rekurrenslähmung ließ auf den zentralen Prozeß
schließen, möglicherweise war die karzinomatöse Schilddrüse daran beteiligt.
Die Obduktion deckte nun den w r ahren Sachverhalt dahin auf, daß weder
zentral noch ganz peripher, sondern in der Mitte ihres Verlaufes die Ursache
der beiderseitigen Schädigung zu suchen war. Der Spezialbefund lautete
nämlich: Der linke Nervus vagus verläuft in der Höhe des unteren Randes
der Schilddrüse durch ein Schwielengewebe. Seine äußeren Schichten sind
hier stärker durchfeuchtet, leicht gelblich. Am Aortenbogen ist er innig an
denselben fixiert, kaum isolierbar.
Am rechten Nervus vagus findet sich entsprechend der Art. anonyma
die gleiche Veränderung, allerdings geringeren Grades. Auch hier ist der Nerv
in Schwielen eingebettet.
Wir haben somit den seltenen Fall beiderseitigerRekurrens-
lähmung aus endot horakaler Ursache vor uns, bei gleich¬
zeitigem, aber belanglosem Befund von pathologischen Prozessen im übrigen
zentralen und peripheren Vagusverlauf.
Sitzung am 3. Hai 13ÄÄ.
( Of fl ziel 1 e Ver h a ndlu n gssch r if t.)
Vorsitzender: G 1 a s.
Schriftführer: Schwarz.
Marsch ik berichtet über die Vorbereitungen zur Tagung der
Gesellschaft deutscher Hals-, Nasen- und Ohrenärzte in Wiesbaden — An¬
meldungen zu den Vorträgen sind bis längstens 15. V. ihm einzusenden —
und fragt an, ob die obige Gesellschaft zur nächsten oder zweitnächsten Tagung
nach Wien oder Österreich eingeladen werden soll.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
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H a j e k beantragt, daß die Sitzung nächstes Jahr in Wien stattfinden
soll. Der Antrag wird angenommen und Sekretär Marse hik beauftragt,
die Verhandlungen darüber aufzunehmen. •
Marschik ersucht, daß die Verhandlungsberichte nur auf einer
Sute und nicht im Telegrammstil, sondern druckfähig, d. h. ohne Abkürzung
und orthographisch geschrieben werden mögen.
I. Aussprache über den Vortrag Kneuckers: Über die Verwendung
der 4%igcn Novokain-Adrenalinlosiing in der Zahnchirurgie. (Sitzung vom
1. IT. 1922).
Fein: Es war ein epochemachendes Ereignis, als Schleich zeigte, daß
man durch Injektion von Lösungen, die nur ganz geringe Mengen von Kokain ent¬
hielten, eine vorzügliche lokale Anästhesie hervorrufen könne. Man hat sich später
bemüht, einerseits die Menge des verwendeten Giftes noch weiter herabzusetzen,
andrerseits das Kokain durch weniger giftig wirkende Substanzen zu ersetzen. So
sind wir allmählich zu der jetzt allgemein in Gebrauch stehenden schwachprozentigen
Novokainlösung gelangt. Nun meint Kneuc ker, daß diese schwache Lösung für
gewisse Operationen der Zahnchirurgie nicht ausreiche, schlägt die Anwendung von
höherprozentigen Lösungen vor und empfiehlt diese stärkeren Lösungen auch für
Hals- und Nasenoperationen. Dieser Empfehlung möchte ich nicht das Wort reden.
Die Zahnoperationen spielen sich auf einem sehr kleinen Territorium ab und es mag
da wirklich harmlos sein, wenn eine etwas stärkere Lösung verwendet w ird, weil das
verbrauchte Gesamtquantum der Lösung und des darin enthaltenen Giftes ja ein
sehr geringes ist. Anders bei unseren Eingriffen. Bei größeren Kehlkopf- und bei den
Nebenhöhlenoperationen werden recht große Mengen von Flüssigkeiten injiziert, so
daß es durchaus nicht gleichgültig erscheint, w r enn die Menge des Novokains ver¬
vielfacht wird. Unser Streben muß es vielmehr sein, die Lösungen, ohne ihre Wirkung
zu beeinträchtigen, eher zu verdünnen, als sie konzentrierter zu machen.
Ein zweiter Punkt betrifft die Anwendung der Nebennierenpräparate.
Kneucker scheint hier eine übergroße Vorsicht walten zu lassen wollen; denn er
warnt vor Verdichtung der Lösungen mit Bruchteilen von Zentigraden. Diese
Ängstlichkeit ist w r ohl überflüssig. Die Anwendung der Nebennierenpräparate in der
jetzt allgemein üblichen Konzentration ist bei herz- und gefäßgesunden Personen
wohl ganz ungefährlich und könnte sicher ohne Schaden auch mit stärkeren Lösungen
geschehen. Denn wir sehen ja alltäglich, daß z. B. bei Asthmaanfällen die Injektion
der Originalpräparate (1:1000) in Mengen von 1 cm 3 ohne den geringsten Schaden
vertragen werden.
Ich glaube also, daß für die Operationen in der Laryngorhinologie eine 4%ige
Novokainlösung in der Norm nicht angewendet werden soll, daß hingegen ein Zusatz
von einigen Tropfen von Adrenalin o. dgl. zur 1 bis 2%igcn Novokainlösung voll¬
kommen harmlos ist. Die leichten Intoxikationserscheinungen, die Kneucker
nach seinen Injektionen manchmal gesehen hat, dürften viel wahrscheinlicher auf
das Novokain als auf das Adrenalin zurückzuführen sein.
Marschik schließt sich im allgemeinen den Ausführungen F e i n s an.
Das Gebiet der hochprozentigen Novokainlösungen wird in der Rhino-Laryngologie
immer klein bleiben, weil man bei den größeren Eingriffen im ganzen zu viel
Anästhetikum braucht und die Grenze der Toleranz dann überschritten würde.
Die neuere ausgedehnte Erfahrung mit der Lokalanästhesie, w r ie sie speziell in der
Debatte in der Wiener Chirurgenvereinigung vor kurzem zum Ausdruck gekommen
ist, hat gezeigt, daß auch das Novokain ein, wenn auch schwacher wirkendes Gift
ist und auch da eine Grenze besteht, über die man nicht hinausgehen darf, die bei
den einzelnen Individuen in den einzelnen Lebensaltern und auch bei verschiedenen
Ernährung»- und Krankheitszuständen verschieden ist. Man ist heute in der
Chirurgie eher geneigt, die Konzentration der Lösungen noch mehr herabzusetzen.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922),
»So wird bei großen Eingriffen, geschwächten alten Personen schon mit 0*25%igen
Lösungen gearbeitet. Was die Intoxikationserscheinungen anbelangt, so ist da
zwischen Adrenalin- und Novokainwirkung zu unterscheiden. Wenn auch Herrn
Kneucker zuzugeben ist, daß die Nebenerscheinungen meist durch Adrenalin
bedingt sind, so sind andrerseits auch schon Novokainintoxikationen beobachtet.
Daß sie so selten sind, verdanken wir eben der Mischung mit Adrenalin, über deren
Bedeutung nicht weiter gesprochen werden soll, da darüber bei Braun und
Härtel nachzulesen ist. Während die Adrenalinüberdosierung, wie sie namentlich
bei Injektion in eine Vene eintritt, durch maximale Gefäßkontraktion im
peripheren Aortenkreislauf, Blässe der Schleimhäute, Angstgefühle und die be¬
kannten Herzpalpitationen, die bis zum zeitweiligen Herzstillstand führen können,
sich kundgibt, ist beim Novokain das Bild ein ganz anderes. So beobachtete
ich bei einer Totalexstirpation, wo die seitliche Abmauerung des Plexus cervicalis
versehentlich mit 2%iger anstatt mit l%igcr Lösung gemacht wurde, Zyanose,
Erbrechen, Unruhe bis zu deliriumartigen Zuständen, bei endonasalen Eingriffen,
namentlich bei Injektion in die Muschel mehrmals ein ganz eigenartiges Symptomen-
bild: Zyanose, Unruhe, heftigste Kopfschmerzen, die die Patienten zum Schreien
bringen, eigenartiges Kältegefühl, Ameisenlaufen, auch Schmerzen die Wirbelsäule
entlang, Zustände, die sich glücklicherweise in allen Fällen nach 5 bis 10 Minuten
gaben. Immerhin ist der Zustand so eigenartig und beunruhigend, daß ich von In¬
jektionen giftiger Medikamente in die Schwellkörper überhaupt abraten möchte.
Während in dem ersten Fall (Totalexstirpation) sicher auch die Menge im ganzen
zu groß war, ist in den anderen Fällen die Konzentration und Gesamtmenge nicht
überschritten worden. Wenn also schon bei gewöhnlicher Konzentration solche
Zufälle möglich sind, wieviel mehr dann bei 4%iger Lösung. Es muß also noch
weiterer Erprobung anheimgestellt werden, ob die 4%ige Lösung auch bei Eingriffen
in der Nase, die immerhin ein Gebiet von anderer Empfindlichkeit als die Gingiva
darstellt, zulässig ist.
Hutter hat im letzten Jahr sehr oft Novokaininjektionen endonasal zur
Herstellung einer Leitungsanästhesie bei Operationen an der lateialen Nasenwand
ausgeführt. Man spritzt zweckmäßig ein: Vorn hoch oben an der lateralen Wand
ins Ethmoidalis, hinten im mittleren Nasengang ins sphenopalatine Gebiet und
erzielt so gute Anästhesie der entsprechenden Partien, erspart dabei dem Pat. die
langwierige, oft schmerzhafte Prozedur des Einpinselns mit Kokain. Dieses Ver¬
fahren empfiehlt sich für tiefer in den Knochen greifende Operationen, wie endo-
nasale Kieferhöhlen- oder Siebbeinercffnung, einseitige Eingriffe an unterer und
mittlerer Muschel usw. Die hintere Injektion scheint auch zur schmerzlosen Aden¬
otomie beim Erwachsenen, wie zur Eröffnung der Keilbeinhöhle geeignet. Dies nur
beiläufig. Angeregt durch Kneuckers Vortrag hat Hutter in letzter Zeit
nun auch 4%ige Novokainlösung versucht, da ja nur sehr geringe Mengen, zirka
y 2 cm 3 pro Injektion, gebraucht werden und konnte damit noch oessere Resultate
verzeichnen. Gewisse unangenehme Erscheinungen nach Novokain - Adrenalin-
Injektionen schreibt er auch der leichten Zersetzlichkeit des Adrenalins zu und ver¬
wendet neuerdings gern Algolysin, welches das Adrenalin immer unzersetzt erhält.
K o f 1 e r: Die anästhesierende Wirkung des Novokains hängt nach Braun
nicht nur von der Höhe der Konzentration der Lösung, sondern auch davon ab, daß
man der Lösung genügend Zeit läßt, die Gewebe zu durchtränken; das geschieht
durchschnittlich in ungefähr 20 Minuten. Es ist ein Fehler, den viele Chirurgen machen,
daß sie, anstatt diese Zeit abzuwarten, sofort mit der Operation beginnen. Was die
Höhe der Konzentration der Lösung anlangt, glaube ich, wie meine beiden Vor¬
redner, daß wir dort, wo wir viel Lösung brauchen, niedriger konzentrierte Lösungen,
wie y 2 bis 1%, und dort, w r o wir wenig Lösung brauchen, höherprozentige anwenden
sollen. Mehr als 2%ige Lösungen habe ich jedoch bisher nicht anwenden müssen,
weil ich mit dieser Höchstkonzentration (2%) stets gut ausgekommen bin. Ich möchte
nur noch erwähnen, da ß ich an der Klinik weiland O. C h i a r i zwei Fälle von Novokain
Vergiftung gesehen habe, sicherlich verursacht durch direkte Injektion in eine Vene.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
7G1
ln beiden Fällen, in dem einen handelte es sich um eine Resectio Tracheae partialis
wegen Sarkom, in dem anderen um eine Strumektomie, wnirde eine l%ige Lösung
verwendet. Bald nach der Injektion wurde Pat. ganz blaß, kalter Schweiß trat auf
die Stirne; hochgradige Zyanose der Lippen, Asphyxie und Dysarthrie, ln beiden
Fällen verschwanden die Symptome der Novokainvergiftung nach einigen Minuten
spurlos.
Schlemmer: Auf die interessanten Ausführungen des Kollegen Kne ucker
möchte ich bemerken, daß ich es in den letzten 10 Jahren bei Operationen im Bereiche
des Gesichtsschädels niemals beobachtet habe, daß die Lokalanästheise wegen der
von mir immer bevorzugten schwachen Konzentrationen der verwendeten Novokain¬
lösungen insuffizient gewesen wäre oder gar versagt hätte. Ich bin der Meinung, daß
man mit den schwachen Lösungen dann den gleichen Effekt wie mit den starken
Konzentrationen erzielen kann, wenn man größere Flüssigkeitsmengen verwendet.
Was meine im Felde gewonnenen Erfahrungen anlangt, kann ich sagen, daß
ich namentlich in den letzten 2 Kriegsjahren wiederholt bei Operationen am Ober¬
kiefer 10 (zehn) cm 3 und mehr von einer 2%igen Novokainlösung gegen das Foramen
rotundum bzw. ovale injizierte. Während meiner langen Assistentenzeit an dieser
Klinik habe ich ferner bei einer Anzahl von Oberkieferresektionen oder bei temporären
Unterkiefer durchtrennungen zur radikalen Entfernung von Tonsillartumoren stets
nur die l%ige Novokainlösung verwendet und niemals Gelegenheit zu einer Klage
gehabt. Aus diesem Grunde bin ich der Meinung, daß es sich gleich bleiben dürfte,
ob schwache Konzentrationen in großer Flüssigkeitsmenge, oder wenige Kubikzenti¬
meter einer stärkeren Lösung Anwendung finden. Ich bevorzuge aber das erstere
Verfahren, weil es mir eine größere Sicherheit namentlich bei langdauernden Ein¬
griffen für absolute Schmerzfreiheit bis zum Ende der Operation zu gewährleisten
scheint. Das Plus an Flüssigkeit ist für die Pari nach meinen Erfahrungen völlig
unschädlich.
Stern: Die von Kollegen K o f 1 e r erwähnten Dysarthrien sind in solchen
Fällen nicht bulbären Ursprunges, sondern gehen vom Cortex aus. Meist bestehen
zugleich mehr oder minder schwere Erscheinungen asphyktischer Natur.
Kneucker (Schlußwort): Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei betont,
daß die 4%ige Novokain-Adrenalinlösung nur dort zur Verwendung kommen soll,
wo man mit einer besonderen Hyperästhesie zu rechnen hat und wo man mit nur
geringen Injektionsmengen (höchstens 3 cm 3 ) auskommt. Es ist nicht gleichgültig,
in welchen Mengen Adrenalin angewendet wird, da wir ja mit der Summierung der
Wirkung der beiden Medikamente (Novokain und Adrenalin) zu rechnen haben.
Ein besonderer Vorteil der 4%igen Lösung ist der, daß man die Wartezeit, bis man
die Operation vornehmen kann, ungefähr auf die Hälfte herabsetzen kann. Es ist
natürlich, daß man bei großen Operationen, wie etw^a bei der eines Sarkoms der
Trachea, unbedingt zu den nieder dosierten Lösungen greifen muß — wie ja das die
Chirurgen bekanntlich tun — da dabei sehr große Mengen injiziert werden müssen.
II. M a r s c h i k: Zur Behandlung des Peritonsülarabszesses. (Der Vor¬
trag erscheint ausführlich in dieser Monatsschrift.)
Redner spricht über die Behandlung des Peritonsülarabszesses im
Entstehen, über die Stauungs- und Aspirationsbehandlung, die schon F1 a t a u
und C h i a r i gemacht hat, und empfiehlt, die Saugung häufiger zu machen.
Die Erfolge der Serumbehandlung seien nicht sehr versprechend. Henke
injiziert polyvalentes Streptokokkenserum in die Umgebung des Abszesses
und berichtet über einige günstige Erfolge, die aber nicht so günstig seien,
wie die Stauungs- und Aspirationsbehandlung. Marschik empfiehlt die
Behandlung mit Pyozyanase, deren biologische Wirkung allerdings nicht ganz
geklärt sei. Eine Reihe von Autoren enukleieren die Tonsillen im akuten Sta-
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
dium während des Abszesses. Le vinger macht die Tonsillektomie nur des
oberen Pols, die untere Hälfte wird stehen gelassen. Kraus macht gegen "
die Methode geltend, daß es mit der Lokalanästhesie nicht gehe, die Enukleation
im akuten Stadium und im ödem sei schwierig, oft gestatte das Ankylostoma
den Eingriff nicht. Marsch ik hat seit 2 Jahren die Killiansche
Methode versucht. Er ist damit so zufrieden, daß er sie allein jetzt an¬
wendet. Die Inzision soll deshalb nicht abgeschafft werden. In über 50 Fällen
hat M a r s c h i k nur Killian gemacht. In 8 Fällen war die Eröffnung negativ,
aber wenn auch kein Eiter kam, ging die Peritonsillitis doch zurück. Die Er¬
öffnung wird mit der Nasenpinzette gemacht. Die Inzision möge nur dort
gemacht werden, w t o die Killian sehe Methode versagt. Demonstration
der Zange für „stumpfe“ Inzision (Apostymatom) von Metzianu.
Hajek beantragt die nächste Sitzung für Mittwoch, den 14. VI.,
und verliest das untenstehende Schreiben Schrötters, worin die Gesell¬
schaft aufgefordert wird, die Bearbeitung der Rhinoskleromfrage anzugeben,
und fordert auf, wenn jemand über Rhinosklerota etwas Material habe, es
ihm bis 1. VII. d. J. mitzuteilen. Das Schreiben lautet:
,,Im Verfolge der hierortigen Bestrebungen, die zur Abhaltung einer
Internationalen SJcleromkonferenz in Wien not¬
wendigen Vorbereitungen in gesicherte Bahnen zu leiten, gestattet sich der
Unterzeichnete, den Mitgliedern der Wiener laryngologischen Gesellschaft
die nachfolgende Bitte durch deren Präsidenten zu unterbreiten:
In Rücksicht darauf, ein möglichst breites Beobachtungs- und
Erfahrungsmaterial vor legen zu können, auf Basis dessen dann eine nähere
Einteilung des Arbeitsprogrammes erfolgen kann, wmrde die geplante
Konferenz nunmehr für den Herbstbeginn 1922 in Aussicht ge¬
nommen und wird den P. T. Mitgliedern demgemäß das Ersuchen unter¬
breitet, diese, für die medizinische Forschung der Wiener Schule ehrens
volle Tagung durch die Beibringung eines möglichst erschöpften Material-
unterst iitzen zu wollen.
In diesem Sinne wird an Sie die besondere Bitte gestellt, sich gütigst
der, und zwar möglichst eingehenden Bearbeitung, sei es der ganzen Frage
oder eines Ihnen besonders zusagenden Kapitels, gemäß des etwa bei-
stelienden Arbeitsprogrammes unterziehen zu wollen und dem
Gefertigten gütigst bis Anfang Juli Ihr geschätztes Referat nebst
den von Ihnen gewünschten Beilagen zuzusenden, damit an der Hand des¬
selben auch die, unterdessen seitens des Auslandes einlaufenden Berichte
einer näheren Gruppierung zugeführt und der Stoff für die weitere Be¬
arbeitung bzw. Drucklegung vorbereitet w r erden kann. Im besonderen
erschiene es wertvoll, w r enn die einzelnen Herren Veranlassung nehmen
könnten, den etwa in Wien beobachteten und daselbst lebenden Fällen
hinsichtlich ihrer familiären Verhältnisse nachzugehen. und bezügliche
Familienmitglieder, die schon durch längere Zeit im innigen Kontakte mit
dem Erkrankten leben, auf das Vorhandensein skleroinatöser Veränderungen
zu untersuchen.
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Original fro-m
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Es wird noch die besondere Bitte gestellt, ehemöglichst an den
Gefertigten bekanntgeben zu wollen, über welches Thema der eine
oder der andere der Herren zu referieren geneigt wäre und in welchem
Umfange etwa sein Bericht gedacht ist.
*
Einteilung des Arbeitsgebietes b z w. der Referate.
1. Geschichte, Vorkommen und Verbreitung des Skleroms, Statistik,
Topographie und Ethnographie desselben, bezügliche Karten.
2. Klinik der Erkrankung, Form des Auftretens, Verlauf u, a., wo¬
möglich Photogramme und Abbildungen.
3. Begriffsbestimmung der Erkrankung, . Biologie des Erregers,
pathologische Anatomie und experimentelle Pathologie (womöglich Kulturen
(Stämme) und bezügliche Präparate).
4. Beziehungen des Skleroms zu anderen Infektionskrankheiten, im
besonderen zur Ozaena.
5. Übertragungsmodus und Kontagiosität der Erkrankung.
6. Therapie des Skleroms: a) mechanische und physikalische;
b) spezifische, Immuntherapie (serologische Erfahrungen).
7. Prophylaktische und sozialhygienische Maßnahmen.
8. Bildung eines permanenten Komitees zum weiteren Studium der
Erkrankung und der Schaffung entsprechender Maßnahmen, um das
epidemische Auftreten derselben zum Erlöschen zu bringen.
? Dr. Hermann Schrotte r.
III. Schlemmer: Weitere Bemerkungen zum Tonsillarproblem.
(Der Vortrag erscheint ausführlich in der Wiener klinischen Wochenschrift.)
Der Vortr. erläutert an der Hand von 19 Abbildungen zunächst den
Lymphabfluß aus der Nase und dem Pharynx mit Bezug auf die tonsillären
Lymphbaknen; dann die Richtung des Lymphstromes in den Tonsillen und
endlich die Lymphwege in den Tonsillen selber. Die Schlußfolgerungen wurden
bereits im Heft 11 (Suppl. II) der Monatsschr. f. Ohrenhlk. 1921, S. 1567 ff.
mitgeteilt. Der Vortr. bespricht nun unter Zugrundelegung seiner Unter¬
suchungsergebnisse die von Fein 1921 erschienene Arbeit ,,Die Anginöse“.
Er führt den Nachweis, daß Fein manches in seiner Publikation behauptet,
was einer ernsten Kritik deshalb nicht standhalten kann, weil es sich dabei
um Schlüsse handelt, die aus falschen Prämissen gezogen werden. Es wird
das Verdienst F e i n s hervorgehoben, der die herkömmliche Symptomatologie
der chronischen Tonsillitis auf ihre Stichhaltigkeit geprüft und zum Teil als
unrichtig nachgew iesen hat. Der Vortr. teilt die Ansicht F e i n 8 nicht, daß
bei der Angina (Anginöse) die lymphadenoide Substanz der Mundrachen¬
höhle immer gleichzeitig und gleich heftig miterkranken müsse. Er beleuchtet
insbesondere die Momente, die das von Fein aufgestellte Krankheitsbild
der Anginöse als unnötig, ja sogar als unrichtig erweisen.
Weil beantragt eine außerordentliche Sitzung nur für die Aussprache zum
Vortrag Schlemmer und Marschik.
MonatMchrift f. Ohreuheilk. o. Lar.-Hhin. ßC. Jahrg. 50
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rliinol. Ges., Mai 1922).
Nach längerer Wechselrede der Herren Fein, Marschik, Hirsch und
H a j e k wird der Antrag Weil, daß Dienstag, den 16 Mai, y 2 7 Uhr, eine Sitzung
nur für die Aussprache zu den Vorträgen Marschik und Sehlem in e r und
die nächste Sitzung am 14. Juni stattfinden soll, angenommen.
AnBerordentllehe Sitzung am IC. Mal 1932.
(Offizielle Verhandlungsschrift.)
Vorsitzender: H a j e k.
Schriftführer: Schwarz.
I. Aussprache zum Vortrag des Herrn Marschik: Zur Behandlung
des Perltondilarabszesses.
Hanszel: Kann auf Grund seiner klinischen Versuche, die von
Marschik erwähnten Vorteile der stumpfen Sondierung bei Angina phleg¬
monosa nach K i 11 i a n nicht bestätigen, denn erstens kann man den Verlauf
der Phlegmone dadurch nicht abkürzen, gegenüber den durch Inzision Be¬
handelten, und zweitens ist die stumpfe Sondierung auch recht schmerzhaft.
Durch die Infiltration der Tonsillar-Peritonsillargegend ist es oft nicht be¬
stimmt zu sagen, ob man in der Prädilektionsstelle K i 11 i a n s oder
Marse hiks sondiert. Ich sehe im allgemeinen keinen Vorzug der stumpfen
Sondierung bei Angina phlegmonosa gegenüber der Inzision.
Hein dl: Was die Prophylaxe des Peritonsillarabszesses an belangt,
empfiehlt Redner neben der Anwendung der Pyozyanase die Allgemein-
Desinfektion der Blutbahn durch innerliche Gaben von 3 bis 4mal täglich
1*0 Salophen, deren ausgezeichnete Wirkung auf die doppelte Wirkung der
Salizylsäure und der des Phenols, bezogen werden muß. Was die Technik
der Eröffnung anbelangt, so macht Redner aufmerksam, daß er 4 Arten, was
die Lokalisation des Abszesses anbelangt, beobachtete. 1. den typischen Abszeß
am oberen Pole der Tonsille, II. lateral hinter der Tonsille, hinter dem
vorderen Gaumenbogen. Dieser ist besonders gefährlich, weil er frühzeitig
Ankylostoma erzeugt und gern in das Gefäßdreieck ausw r eicht. III. der
Abszess, der sich unter dem unteren Pole entwickelt hat, ebenfalls Ankylostoma
erzeugt und gern zur Larynxphlegmone führt. Die I. Sorte ist nach Methode
C h i a r i und K i 11 i a n leicht erreichbar, letztere Methode ist aber schmerz¬
haft. Die II. Sorte kann lateral durch den vorderen Gaumenbogen erreicht
werden (Vorsicht wegen der großen Gefäße) häufig aber auch so wie die
III. Sorte hinter dem vorderen Gaumenbogen oder durch die Tonsille mit
einem Sichelmesser. Eine IV. Sorte ist die, welche ebenfalls von dem oberen
Pole der Tonsille ausgehen und sich hinter die Tonsille senken. Diese erzeugen
gern besonders bei den Kindern, die retropharyngealen Abszesse und sind
durch Ödeme der hinteren Gaumenbogen erkennbar. Diese Sorte eröffnet
Redner an der tiefsten Stelle mit einem Siehelmesser, von unten nach oben
gellend, zwischen Kapsel und hinterem Gaumenbogen. Jedoch das wichtigste
ist bei Behandlung eines Tonsillarabszesses, eine womöglich tägliche Beob¬
achtung des Arztes, wenn es möglich ist, um die Richtung, nach welcher
der Abszeß sich entwickelt, feststellen zu können und sich über seine
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
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Lokalisation klar zu werden. Der Arzt läßt sich häufig durch die Ungeduld des
Patienten verleiten, zu früh chirurgisch einzugreifen, bevor noch der Abszeß
sich lokalisiert hat. Feuchte Wärme von innen angewandt, wird diesen Vorgang
beschleunigen und das Bild des Abszesses aufhellen.
Kofi er: Ich habe die Erfahrung gemacht, daß zirka 30% aller be¬
ginnenden Peritonsillarabszesse auf warme Behandlung zurückgehen. Ich
erlaube mir nun die Frage an Kollegen Marschik zu richten, ob er die
Pyozyanasebehandlung allein oder in Kombination mit warmer Behandlung
durchführt; in letzterem Falle könnte die Besserung ja auch auf die warme
Behandlung zurückzuführen sein. Ich kann mir nicht recht vorstellen, daß
durch bloßes Aufsprayen von Medikamenten ein Rückgang des Abszesses
zu erzielen wäre. Was den Vorschlag mancher Autoren anlangt, bei Peri-
tonsillarabszessen den oberen Pol der Tonsille zu exstirpieren, so möchte ich
diesen Vorschlag zurückweisen, denn ohne Narkose operieren, verursacht
zu gToße Schmerzen, gebraucht man aber eine Narkose, so besteht die erhöhte
Gefahr der Aspiration sehr septischen Materials in die tieferen Luftwege.
Hirsch: Es kommt bei der Angina phlegmonosa nicht so sehr auf
die Methode der Eröffnung, als auf den Zeitpunkt an.} Der Abszeß muß „reif“
sein. Dies ist nicht nur die Erfahrung der Larvngologen, sondern auch der
Chirurgen aller Zeiten.
Die stumpfe Eröffnung ist überdies schmerzhaft. Ich möchte auf einen
kleinen Behelf bei der Inzision aufmerksam machen. Nicht der Schnitt ist das
Schmerzhafteste, sondern der Druck des eindringenden Messers. Deshalb
benutze ich seit Jahren, ähnlich wie M. Schmidt, für diesen Zweck ein
Gräfe sches Messer, das sehr spitz, schmal und scharf ist und ohne be¬
sonderen Schmerz in das Gewebe eingestochen werden kann. Ich kann die
Technik der Eröffnung aufs wärmste empfehlen.
Weil: Seit mehr als 30 Jahren eröffne ich die peritonsillären Absezesse
analog einer damals von G e r s u n y geübten Methode mit einer scharf zu¬
gespitzten Drainzange.Diese wird nach vorheriger Palpation und Kokainisierung
in geschlossenem Zustande 1 bis 2 cm tief eingestochen, und auf 1 mm ge¬
lüftet; erscheint zwischen den Branchen Eiter, dann werden sie im gleichen
Momente ad maximum geöffnet und damit die Wunde auf etwa 3 cm stumpf
erweitert. Die Spreizung von Metzianu ist also schon etwas altes; die
Sporne, die er in 2% cm Distanz von der Spitze angebracht hat, sind für
den Geübten entbehrlich, für den Anfänger immerhin recht zweckmäßig.
Der größte Vorteil bei meinem Verfahren besteht aber in der Möglichkeit
der Operation im Frühstadium, wo oft noch eine dicke Schichte infiltrierten
Gewebes zu durchtrennen ist, aus dem es nach Durchschneidung oft zu ge¬
fährlichen Blutungen kommt, wogegen es nach dem Einstiche mit der Drain¬
zange niemals nennenswert blutet; man kann also, wenn man nach der leichten
Spreizung keinen Eiter sieht, ruhig an einer zweiten und dritten Stelle suchen,
ohne den Kranken irgendwie zu schädigen, denn die kleine Stichwunde verklebt
sofort wieder.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
Fein: Es ist mit Freude zu begrüßen, daß in einer Zeit, in der die
bizarrsten Einfälle zur Verbesserung der Behandlung des Peritonsillarabszesses
empfohlen werden, — ich erinnere an Le vingers Vorschlag zur Tonsill¬
ektomie noch während der Abszeßbildung, an Menzels Empfehlung der
Einführung seines Knopfes und anTschiassnys Idee von der Drainage, —
daß in einer solchen Zeit sich wieder einmal eine Stimme erhebt für die gute,
alte, einfache und so vollkommen ausreichende Inzision.
Marschik hat zwar der Eröffnung des Abszesses nach Ki 11 ian,
in der Fossa supratonsillaris, die ich nur für besondere Fälle empfehlen möchte,
das Wort geredet; immerhin bleibt er dabei, daß man einen durch Tage und
Nächte von Schmerz gequälten, durstenden, hungernden und fiebernden
Kranken, der kaum imstande ist, den Mund zu öffnen und oft der Erstickung
nahe ist, mit einem einfachen, wenige Sekunden dauernden Eingriff, wie mit
einem Schlage von seinen Qualen befreit und nicht mit umständlichen, schmerz¬
haften — und ich muß sagen — überflüssigen Manipulationen quäle. Nur in
einem Punkte erscheinen mir seine Ausführungen unvollkommen. Er hat nur
von der Methode des Eingriffs gesprochen, hat aber kein Wort über den Zeit¬
punkt gesagt, wann die Inzision auszuführen ist; und dieser ist nach meiner
Ansicht von ungeheurer Wichtigkeit. Ich gehöre nicht zu den Ärzten, die sich
und den Kranken, wenn ein frustraner Schnitt gemacht wurde, damit trösten,
daß die Entspannung Erleichterung verschaffen werde, oder der Eiter nun
leichter durchbrechen könne. Das ist eine Fabel. Ein solcher Schnitt mag
vielleicht in der ersten halben Stunde als Erleichterung empfunden werden;
nach dieser Zeit klopft und tobt der Schmerz unvermindert weiter und wird
noch durch den Wundschmerz und die Wundschwellung vergrößert. Um
sich vor einem solchen, für beide Teile höchst peinlichen Vorfall zu schützen,
gibt es nur eine Regel: Man mache die Inzision—Ausnahmsfälle ausgenommen—
nicht vor dem 5. Tage seit Beginn der Schmerzen an derselben Seite. Das Aus¬
sehen der Abszeßgegend ist in den ersten Tagen oft sehr täuschend, eine
Schwellung des Gaumenbogens ist oft von einer Vorwölbung nicht zu unter¬
scheiden, Fluktuationsgefühl ist ebenso täuschend; und wer von uns hat es
nicht oft erlebt, daß er in vollstem Vertrauen auf das Aussehen der Geschwulst
den Einschnitt gemacht hat und nicht auf den Eiter gekommen ist, weil der
Abszeß eben noch in der Tiefe saß. Am 5. Tage kann man die Inzision selbst
dann mit Aussicht auf Erfolg vornehmen, wenn die Vorwölbung nicht exzessiv
ist, weil dann der Abszeß schon ziemlich ausgedehnt und leicht erreichbar ist.
Das Abwarten bis zum 5. Tage hätte nur dann eine Gefahr, wenn sich
der Prozeß gegen den Larvnx zu aus breiten sollte. Diese Gefahr besteht nun
außerordentlich selten und wird nach meiner Erfahrung gewöhnlich nur dort
künstlich hervorgerufen, wo durch das so beliebte intensive Gurgeln, oder
durch Husten, aufgeregtes Räuspern oder ähnliche mechanische Insulte das
ödem vergrößert wird.
Wenn man den Patienten auf die Zeit vertröstet, bis der Abszeß reif
zur Inzision geworden ist und ihn vor starken Gurgelungen warnt — gegen
das Hinhalten heißer Flüssigkeiten ist ja nichts einzuwenden — wartet er
gern und geduldig.
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Vereinsberickte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
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Eine zu früh vorgenommene, frustrane Inzision hat aber noch einen
anderen großen Nachteil. Sie verwischt das Bild derartig, daß nachher auch
der erfahrenste Arzt keinen sicheren Anhaltspunkt für den richtigen Ort der
Inzision — der C h i a r i sehe Punkt ist ja nur ein Orientierungspunkt —
finden kann; während, wenn gewartet worden wäre, am 5. Tage die prominente
Stelle sich deutlich dargeboten hätte, wird sie bei verfrüht vorgenommenem
Schnitt ganz verdeckt, d. h. reaktive Schwellung ist von Vorwölbung nicht
zu unterscheiden, man tappt im Finstern, macht eine Inzision nach der anderen
und das geht so fort, bis der Eiter an einer unsichtbaren Stelle spontan
perforiert. Es wird also der höchst leidensvolle Krankheitsprozeß durch eine
verfrühte Inzision um viele Tage verzögert anstatt abgekürzt. Ich warte
daher mit der Inzision — Ausnahmsfälle ausgenommen — prinzipiell bis
zum 5. Tage, weil dann durch die sichere Erleichterung und die rasche Heilung
die ein- bis zweitägige, schmerzliche Wartezeit reichlich aufgewogen erscheint.
Hutter: hat das von M a r s c h i k empfohlene Verfahren zwar
nicht bei ausgebildeten Abszessen, hingegen in solchen Fällen erprobt, wo
der Abszeß erst im Werden ist, was sich durch die beginnende Vorwölbung
des vorderen Gaumenbogens zu erkennen gibt, ohne daß von einer Inzision
an typischer Stelle eine Erleichterung zu erwarten wäre. Hier pflegt er mit
einer starken, am Ende seitlich abgebogenen und im Spiegelgriff fest¬
geschraubten Knopfsonde oder mit dem Tonsillenschlitzer zwischen oberem
Tonsillenteil und vorderem Gaumenbogen, in den sogenannten Recess.
prätonsill. und die obere Gipfelbucht (Recess. palat. sup.) einzugehen und
die Adhäsionen daselbst zu lösen. Dies ist mit 1 bis 2 Zügen zu bewerkstelligen
und damit sind die erwähnten Buchten, bzw. der peritonsilläre Raum inedial-
wärts eröffnet, das eventuell bereits angesammelte Sekret findet einen
natürlichen Abfluß. Man kann auf diese Weise dem Patienten meistens das
schmerzhafte Ausreifen des Abszesses überhaupt ersparen, wenigstens hat
Redner stets diese Erfahrung gemacht und möchte daher vor allem für die
Anwendung des Verfahrens im Frühstadium der Angina phlegmonosa ein¬
tret en.
Menzel konstatiert mit Bedauern, daß Marschik in seinem
Vortrage von der 1912 im Archiv für Laryngologie erschienenen Arbeit
Menzels über die Behandlung des Peritonsillarabszesses keine Notiz ge¬
nommen hat. Er kann deshalb einige schon darin enthaltene und auch noch
heute von ihm als zu Recht bestehend erkannte Tatsachen nicht unerwähnt
lassen, welche mit Marschiks Ausführungen in Widerspruch stehen.
Menzel ist nicht der Meinung, daß man den Eiter in dem Abszeß
nicht tasten kann und daß man- deshalb eine typische Linie als Richtschnur
für die Inzision wählen soll. Vielfache Erfahrungen haben ihm gezeigt, daß
man nahezu in jedem Falle den Sitz des Eiters durch Palpation feststellen
kann. Es entspricht der Ort der derbsten Infiltration, w T enn nicht bereits
Fluktuation eingetreten ist, jener Stelle, unter welcher der Eiter sich befindet
und wo auch die Inzision zu machen ist. Die Grundsätze der allgemeinen
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
Chirurgie stimmen mit diesen Erfahrungen überein. Wir wissen zur Genüge,
daß diese Stelle nicht immer der C h i a r i sehen Linie entspricht, da sich
häufig der Abszeß lateral oder unterhalb der Tonsille entwickelt, namentlich
kommt dies vor in Fällen von Rezidiven des Peritonsillara bszesses. Menzel
kann sich auch der Behauptung Marschiks nicht anschließen, daß die
Eröffnung eines Abszesses mit stumpfen Instrumenten chirurgischer ist, als
mit scharfen, bei welchen ja Quetschungen, Zerrungen und Zerreißungen des
Gewebes wegfallen, deren Heilung immer länger dauert, als die einer glatten
Inzision.
Gefährliche Blutungen bei der Eröffnung von Peritonsillarabszessen
hat Menzel trotz radikalen Vorgehens bisher noch nicht erlebt und kann
aus diesem Grunde auch in der Anwendung von scharfen Instrumenten keine
Gefahr erblicken. Übrigens haben Dr. Weleminsky und Menzel
während ihrer Assistentenzeit bei H a j e k die von Marschik bzw. K i 11 i a n
angegebene Methode in einer größeren Anzahl von Fällen systematisch ver¬
sucht und haben sich hierbei eines zu diesem Zwecke konstruierten, der Fläche
nach abgebogenen Messerchens bedient. Man muß sagen, daß die Resultate
nichts weniger als ermutigend waren, weshalb die Methode von Vortr. auch
wieder aufgegeben wurde. In den meisten Fällen konnte der Abszeß auf
diesem Wege nicht eröffnet werden, abgesehen von den starken Schmerzen,
die diese Inzisionsmethode den Kranken bereitete. Es zeigt ja auch die von
Marschik angeführte Statistik, daß die Methode nicht sehr gut ist, da
es ihm ja unter 50 Fällen nur in Fällen gelungen ist, den Eiterherd frei¬
zulegen.
Wenn man damit die Resultate der Inzision von vorn nach vorheriger
Palpation vergleicht, bei welcher es nahezu immer bei der ersten Inzision
gelingt, den Eiter zu entleeren, so kann man über die vorzuziehende Methode
w f ohl nicht im Zweifel sein. Es entspricht auch nicht unserer Erfahrung, daß
ein größerer Prozentsatz der Abszesse, bei denen der Eiter nicht entleert
wurde, spontan zurückgeht und es ist deshalb auch nicht einzusehen, warum
Abszesse, welche von der Mandelbucht aus ohne Erfolg inzidiert wurden,
einen günstigeren Verlauf nehmen sollten, als andere. Bei der Schmerzhaftigkeit
sowohl des Leidens an sich, als auch der Inzision geht es auch nicht an, nur
dort durch den vorderen Gaumenbogen zu inzidieren, wo die K i 11 i a n sehe
Methode versagt hat. Es ist vielmehr unsere Pflicht, sofort jene Methode
anzuwenden, welche erfahrungsgemäß die größtmögliche Sicherheit bietet.
Menzel kann diese Gelegenheit einer Diskussion der Behandlung
des Peritonsillara bszesses nicht vorübergehen lassen, ohne nachdrücklich auf
die Zweckmäßigkeit der von ihm empfohlenen Drainage nach der Inzision
mittels des sei bst haltenden Drains hinzuweisen. Er hat seither die Methode
in vielen hunderten von Fällen angewundet und kann nur auf das Tiefste
bedauern, daß dieselbe viel zu wenig geübt wird.
H o f e r: An der Klinik haben wir bisher 4mal die peritonsillärenAbszesse
nach K i 11 i a n operiert. Bis auf einen Fall konnten wir gute Resultate erzielen.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges.« Mai 1922).
769
Doch ist die Schmerzhaftigkeit des Eingriffes einmal nicht abzuleugnen. Was
den Zeitpunkt betrifft, so wird meiner Ansicht nach, immer noch zu wenig
als Richtlinie die absolute Starre des weichen Gaumens herangezogen. Ich
inzidiere nur bei absoluter Starre des weichen Gaumens bei Phonation und
bin mit diesem Symptom als Anhaltspunkt für die Inzisionsreife immer gut
ausgekomraen.
Ha j e k: Ich kann mich nicht zu einem unbedingten Anhänger einer
. einzigen Methode bekennen, da meines Erachtens auch hinsichtlich der
Eröffnung der peritonsillären Abszesse ein individualisierendes Vorgehen an¬
gezeigt ist. Die meisten Abszesse sind wohl um den oberen Pol der Tonsille
herum gelegen, so daß ihre Eröffnung vom C h i a r i sehen Punkte aus, zum
Ziele führt. Aber auch die Methode nach K i 11 i a n ist zuweilen sehr praktisch,
wenn bei der Sondierung einer Lakune ohne weitere Läsion schon der Eiter¬
herd getroffen wird. Diesfalls wäre jeder andere Vorgang komplizierter und
schmerzhafter. Bei Senkung des Abszesses in den hinteren Gaumenbogen,
muß der Abszeß von dieser Stelle aus eröffnet werden. Des weiteren stimme
ich mit Fein überein, daß die frühzeitigen Inzisionen zu vermeiden sind; sie
sind sehr schmerzhaft und verlängern den Krankheitsprozeß. Ich bin ent¬
schieden dagegen, daß man, wie Weil es tut, den Versuch macht, an ver¬
schiedenen Stellen einzudringen und den Abszeß förmlich zu suchen, das
sind überflüssige Quälereien. Bei einiger Übung trifft man bei dem Abtasten
doch die fluktuierende Stelle, wo der Eiterherd sitzt. Daß man gerade am
5. Tage den Abszeß eröffnen soll, wie es Fein meint, kann ich nicht un¬
bedingt einstimmen, da ja der Verlauf doch verschieden ist.
Marschik (Schlußwort): Ich betone noch einmal, wie ich schon in
der Einleitung zu meinemVortrag gesagt habe, daß ich nicht die K i 11 i a n sehe
Methode als Standard gegenüber der Inzision durch den vorderen Gaumen¬
bogen hindurch hinstellen, sondern nur auf Grund eigener zweijähriger Er¬
fahrung zu einer neuerlichen Prüfung auffordern wollte. Ich habe mir ja
auch in meinem Vortrag ein abschließendes Urteil versagt und nur die Vor-
und Nachteile beider Methoden gegeneinander abzuwägen erlaubt. Ich müßte
nicht Schüler C h i a r i s sein, um nicht die Methode stets verfochten und
ausgeübt zu haben, die C h i a r i immer gelehrt hat. Trotzdem stehe ich nicht
an, von anderen Methoden das anzunehmen, was Vorteil bringt. Die von
Hanszel erwähnten Versuche mit der G r ü n w a 1 d-K i 11 i a n sehen
Methode an der Klinik C h i a r i sind mir bekannt, ebenso wie die damals
gefundene Schmerzhaftigkeit des Eingriffs, was ja auch dazu führte, sie wieder
aufzugeben. Ich glaube aber, daß dies durch strikte Befolgung der Killianschen
Vorschrift, mit einer starken dicken Sonde zu perforieren, bedingt ist. Es ist
klar, daß dies meist nur unter großem Kraftaufwand und Schmerzen vor sich
geht. Ich habe deshalb eine etwas zugespitzte Nasenpinzette empfohlen,
mit der man leicht auch durch eine dickere Tonsillarkapsel durchkommt.
Die von Weil schon seit 30 Jahren gebrauchte zugespitzte Kornzange ist
gewiß auch ausgezeichnet, es fällt mir nicht ein, auf irgendein gewisses oder
besonderes Instrument das Hauptgewicht zu legen. Auch das Apostymatom
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770
Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
von Metzianu habe ich nur gezeigt, weil es für beide Methoden gleich
brauchbar, vor kurzem in der Festschrift für H a j e k veröffentlicht worden ist.
Für die Darstellung des verschiedenen Sitzes der Abszesse durch H a j e k und
besonders die Einteilung des He i n d 1 sind wir zu Dank verpflichtet, und
ich bin mit ihren Ausführungen durchaus einverstanden. Es ist nicht weiter
zu erörtern, daß der alte Grundsatz u b i pus i b i evacua auch mit Betonung
der Präposition nach wie vor zurecht besteht. Auch ich bin für das Indivi¬
dualisieren. Doch aber müssen dem Studenten und besonders dem praktischen
Arzt, der ja doch die meisten Peritonsillarabszesse zur Behandlung bekommt,
gewisse Richtlinien an die Hand gegeben werden, um so mehr als, wie ich
im Gegensatz zu M e n z e 1 betonen möchte, der genaue Sitz des Eiterherdes
meist nicht oder nur sehr spät zu ermitteln ist. Auch könnte der Praktiker
in den Fehler des anderen Extrems verfallen zu glauben, es sei ganz gleich¬
gültig, wo man einsteche. Daß dem nicht so ist, weiß jeder von uns und be¬
weisen die zahlreichen, auch in meinem Vortrag erwähnten Fälle schwerer
oder tödlicher Blutung nach peritonsillärer Inzision. Da ist nun die Erfahrung
von Wichtigkeit, daß eben die weitaus größte Anzahl der Abszesse sich an
einer ganz typischen Stelle entwickelt, nämlich außen und oben von der Tonsille,
in dem sogenannten Spatium pharyngo-maxillare, wofür eben C h i a r i seinen
typischen Inzisionspunkt angegeben hat, der somit für die meisten Abszesse
der richtige ist, aber auch am ehesten gefährliche Blutungen vermeidet. Daß
sich der Abszeß gelegentlich weiter außen, unt erhalb oder im hinteren Gaumen¬
bogen entwickeln kann und dann auch dort inzidiert werden muß, hat weder
C h i a r i noch sonst jemand je in Abrede gestellt. Die ganz unvergleichliche
Bevorzugung dieser Gegend ist nun nicht so auffallend, wenn man den Bau
der Tonsille in Betracht zieht mit ihrer meist, wie ich ja gezeigt habe, bis
hart an die Kapsel herantretenden obersten Lakune bzw. Fossa tonsillaris
superior. Sicher gehen von dort wegen der engen Nachbarschaft des peri¬
tonsillären Gewebes die meisten Infektionen aus und diese Erfahrung hat
ja auch K i 11 i a n und Grünwald veranlaßt, den Weg, den die Natur
nicht nur bei der Ausbildung des Abszesses, sondern auch bei der spontanen
Entleerung und Heilung geht, mit ihrer Methode zu beschreiten. Gewiß ist
dies der kürzeste und sozusagen physiologische Weg. Er vermeidet aber auch
die üblen Zufälle bei der Inzision am Chi arischen Punkt oder anderswo
mit Sicherheit. Ich möchte hier übrigens bemerken, daß ich seit jeher diese
letztere Inzision so übe und lehre, wie man etwa eine Phlegmone am Unterarm
inzidiert: Nur die Schleimhaut, die dem stumpfen Vordringen zu großen
Widerstand leistet, ist einzuschneiden, der Abszeß w r ird stumpf mit der Korn-
zange eröffnet. Die K i 11 i a n sehe Inzision vermeidet weiter die störenden
Narben. Bezüglich der Rezidive nach dieser Methode kann ich nur wiederholen*
daß ich solche in bisher zweijähriger Erprobung nicht beobachtet habe. Sicher
scheinen sie nicht häufiger zu sein als bei der Inzision durch den weichen
Gaumen, daß sie aber vielleicht sogar seltener sein können, zeigt die
Levin ge r sehe Statistik, der auf Grund der oben erwähnten Erfahrung
seine Methode ausgearbeitet und in 7 Jahren noch kein Rezidiv gesehen hat!
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
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Bezüglich des von den Herren Hirsch und Fein herangezogonen
Zeitpunktes der Inzision gebe ich zu, daß der Abszeß um so größer ist, man
um so leichter auf Eiter stößt, je länger man wartet. Doch möchte ich nicht
so strikte auf der Spätinzision erst am fünften Tag oder später bestehen.
Meine Erfahrung zeigt, in Übereinstimmung mit Herrn Hutter, daß auch
schon am zweiten oder dritten Tag, wenn die Inzision noch keinen Eiter
ergeben hat, die durch sie erzeugte Depletio sanguinis und Änderung des'Saft¬
stroms ausreichen kann, eine Peritonsillitis ohne Eiterung zur Rückbildung
zu bringen. Ich muß dabei von der geehrten Gesellschaft voraussetzen, daß sie
mir glaubt, daß es sich in diesen Fällen auch wirklich um echte Peritonsillitis
gehandelt hat. Die mir zustimmende Beobachtung Herrn H e i n d 1 s be¬
züglich der Pyozyanose verzeichne ich mit Befriedigung. Ihre Wirkung in
die Tiefe wird von den Pathologen, wie dies auch Herr K o f 1 e r tut, geleugnet;
sie ist gewiß noch nicht ganz geklärt, aber die Promptheit, mit der sie oft
eintritt, nachdem alle anderen Methoden versagt haben, kann nicht anders als
zauberhaft genannt werden. Herrn K o f 1 e r möchte ich übrigens bemerken,
daß ich bei der Peritonsillitis neben der Pyozyanase immer auch Wärme von
innen und außen angewendet habe, und daher der Anteil der ersteren an den
Erfolg in diesen Fällen gewiß zweifelhaft ist. Doch habe ich die oft schlagartig
eintretende Wirkung der Pyozyanase auch sonst bei den regionären Schmerzen
und Beschwerden bei subakuter und chronischer Tonsillitis beobachtet. Das
Präparat hat mir besonders auch in der Kinderpraxis wertvolle Dienste ge¬
leistet. Die Drainagemethode Menzels, sowie Brünings und
T schiassnys habe ich zu besprechen vergessen, weil ich vom Präsidium
wegen Zeitmangels zu kurzer Fassung gedrängt wurde. Mein Schlußwort ist,
daß ich die weitere Nachprüfung der Killian-Grünwald sehen Methode
den Herren nur dringend empfehlen kann.
II. Aussprache zum Vortrag Schlemmers: Weitere Bemerkungen
mm TonsiUarproblem.
F ein: Der Vortrag Schlemmers besteht aus zwei Abschnitten.
Der erste Abschnitt ist der Feststellung seiner anatomischen Untersuchungs¬
ergebnisse gewidmet, während sich der zweite Teil nur mit der Wider¬
legung meiner in der Monographie „D ie Anginöse“ niedergelegten
Anschauungen beschäftigt.
Wenn man in Betracht zieht, welch ein Wust von wiedersprechenden
und nicht fundierten Ansichten über das TonsiUarproblem in unseren Köpfen
herumspukt und w T ie wenige gut und wissenschaftlich begründete Tatsachen
uns über diese Frage bekannt sind, so muß man mit Freude eine Arbeit be¬
grüßen, durch die nach zielbewußtem und exaktem Studium ein neuer trag¬
fähiger Baustein geliefert wird, der es ermöglicht, das Gebäude unseres
Problems zu stützen und zu erweitern.
Schlemmer hat nun im ersten Abschnitt seines Vortrages zweifellos
einen solchen Baustein herbeigeschafft. Er ist, vorausgesetzt, daß die Ergebnisse
seiner Untersuchungen durch Nachprüfungen werden bestätigt werden, zu
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772
Yereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
dem wichtigen Ergebnis gekommen, daß der lymphatische Rachen¬
komplex keine zuführenden Lymphgefäße besitzt
und daß die Lymphbahnen im Pharynx, wie auch anderswo, blinde
Endigungen besitzen.
Man muß ihm Recht geben, wenn er sagt, daß durch diese Fest¬
stellungen die bisher vielfach verbreitete Vorstellung, daß das adenoide
Gewebe des Pharynx in seiner Funktion den Lymphdrüsen gleiche, sich als
unrichtig erwiesen hat. Er ist aber irriger Ansicht, wenn er glaubt — und
damit gelangen wir bereits zum zweiten Abschnitte seiner Besprechungen —
mit dieser Feststelluug das Fundament meiner Auffassung der Anginöse
erschüttert zu haben.
Eine der wichtigsten Stützen meiner Lehre von der Anginöse beruht
auf der Annahme, daß die Infektion des tonsillaren Rachenkomplexes nicht
von der Oberfläche her, sondern auf endogenem Wege erfolge. Ich komme
später noch auf die Kritik Schlemmers in diesem Punkte zurück. Für
den Augenblick will ich nur teststellen, daß es den Tatsachen durchaus nicht
entspricht, wenn Schlemmer behauptet, daß ich diese meine Annahme
allein auf die als unrichtig nach gewiesenen Lehren von F r ä n k e 1,
Schönemann, Lenart und Henke gestützt habe. Denn erstens
ist ihre Unrichtigkeit nur zum Teil nachgewiesen und ihre Richtigkeit in
anderen Teilen feststehend, und zweitens legte und lege ich dem Umstand, daß
die endogene Infektion gerade auf dem Wege der Lymphbahnen er¬
folgen könne, nur eine ganz nebensächliche Bedeutung bei. Ich habe überall
nur von ,,Blut- oder Lymphbahnen“ gesprochen und damit die Entscheidung
dieser Frage als weniger belangvoll für spätere Zeiten offen gelassen.
Wenn uns mm Schlemmer zeigt, daß das lymphatische System
des Rachens keine zuführenden Gefäße besitzt und daher eine zentrifugale
Beeinflussung des tonsillaren Komplexes unmöglich ist, — die unwahrschein¬
liche Annahme einer retrograden Bewegung in den Lymphräumen wollen wir
außer Betracht lassen — so sind wir ihm für diese Feststellung dankbar und
nehmen nunmehr zur Kenntnis, daß es, wenn die endogene Infektion zu
Recht besteht, die Blutbahnen sein müssen, die die Noxe dem Rachen zu¬
führen. Die Existenz von zuführenden Blut gefäßen wurd er wohl zugeben.
Welche sind denn nun die wuchtigsten Gründe, auf die wir die Annahme
der endogenen Infektion des Rachens stützen ? In erster Linie die Beob¬
achtungen von Fällen, die Fränkel als Angina traumatica
beschrieben hat, die aber auch in der allgemeinen Chirurgie und in der
Geburtshilfe Analoga besitzen. Diese Beobachtungen sind so fest¬
stehend und so kennzeichnend, daß sie nicht übergangen werden können und
daß sie uns veranlassen müssen, nach einer einwandfreien und zwanglosen
Erklärung für ihre Entstehung zu suchen. Jeder Larvngologe hat wiederholt
Fälle beobachtet , bei denen, um es kurz zu sagen, einige Tage nach Eingriffen
in der Nase, besonders wenn dieselbe tamponiert wurde, nach einem kurzen
fieberhaft eil Vorstadium eine sogenannte Angina auftrat, mit allen klassischen
Symptomen. Nach kürzerer oder längerer Zeit Ablauf der Erscheinungen,
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manchmal unter Zurücklassung von Temperaturerhöhungen, die eine Zeit
lang andauerten, oder von sogenannten Komplikationen in anderen Organen
(Exantheme, Gelenkentzündungen, Nephritis, Endokarditis usw.).
In der Zeit vor Frankel wurde das als ein Zufall angesehen,
F r ä n k e 1 selbst hat sich vorgestellt, daß die Infektionserreger auf dem
Lvmphwege von der Nase in den Pharynx gelangen, und meine Erklärung
geht dahin, daß es sich in diesen Fällen um eine von der Nase ausgegangene
Sepsis handelt, deren erste deutliche Manifestation die sogenannte Angina
vorstellt.
Bei chirurgischen Operationen in anderen Körpergegenden und bei
den Zufällen im Puerperium verhält es sich ebenso. Zunächst Fieber, eventuell
auch Schüttelfrost. Im Bereiche des Operationsgebietes keine Ursache nach¬
zuweisen. Nach einigen Stunden kommt die Erklärung — eine Angina tritt
in die Erscheinung. Alles atmet nun erleichtert auf. Ein zufälliges
Zusammentreffen, das keinen Zusammenhang mit der Operation hat, wird
angenommen. Nur der erfahrene und denkende Chirurg weiß, daß es sich
hier nicht um eine gewöhnliche Angina, sondern um eine Sepsis handle, deren
erstes auffälliges Symptom die Angina vorstellt. Häufig auch hier Ausgang
in Heilung, manchmal Auftreten der vielgestaltigen sogenannten Nach¬
krankheiten, über die wir hier nicht ausführlicher sprechen wollen.
Diese Fälle, die jeder von uns erlebt hat, sind wohl für die endogene
Infektion vollkommen beweisend. F r ä n k e 1 hat sie als erster beschrieben
und sich damit ein großes Verdienst erworben, er hat nur in dem Punkte
geirrt, daß er sie auf regionärem lymphogenem Wege entstanden
auffaßte.
Der zweite wuchtige Faktor, auf dem die Annahme einer endogenen
Infektion des Rachenkomplexes fußt, liegt in folgender Beobachtung, die
ich als Regel formuliert habe: Der anginöse Prozeß ergreift
alle Teile des lymphatischen Rachenkomplexes so
gut w r ie gleichzeitig.
Schlemmer meint nun, daß diese Äußerung nicht überall Zu¬
stimmung finden dürfte. Ich bin mir bewußt, daß es einer langjährigen, direkt
daraufhin gerichteten systematischen Untersuchung aller Anginenfälle
bedarf, um eine Bestätigung meiner Beobachtung zu finden. Es muß jeder
Fall, auch wenn die Gaumentonsillen das Bild der Angina noch so deutlich
beherrschen, auch in allen Teilen des Epi- und Hypopharynx untersucht
werden. Man wird dann finden, daß nicht nur die Gaumentonsillen, sondern
alle lymphatischen Lager dieselben Zeichen der Entzündung in größerem
oder geringerem Ausmaße zeigen. Sie zeigen Röte oder vermehrte Sukkulenz,
oder geschwellte Follikel, oder mit Detritus gefüllte Krypten.
Für die Fälle von F r ä n k e 1 scher Angina gilt dieses Gesetz
ausnahmslos. Bei den Anginösen mit unbekannter Einbruchspforte, die
nicht so fondroyant einsetzen, können manchmal Verhältnisse vorliegen, die
ein Abweichen von dieser Regel Vortäuschen. Es können kleine Zeitdifferenzen
von Stunden in der Intensität der Ausbildung vorliegen, es können an einer
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Stelle die Detrituspfröpfe zu sehen sein, während sie an anderen Stellen aus
anatomischen Gründen, wie ich dies in meiner Monographie ausführlich aus¬
einandergesetzt habe, gar nicht zur Ausbildung gelangen. Auch das kommt
vor, daß bei Kindern, die eine große Rachenmandel, aber wenig entwickelte
lymphatische Lager im Mesopharynx besitzen, die Entzündungserscheinungen
im Epipharynx prävalieren, weil sie größere Störungen verursachen. Für mich
steht es aber fest, daß eine akute Entzündung, die nur eine Seite oder
nur einen Abschnitt des lymphatischen Rachenkomplexes betrifft, aus
diesem einzigen Symptom allein, in der Diagnose als
Angina ausgeschaltet werden kann. Nach 1 bis 2 Tagen wird die
Bestätigung immer klar. Nur die Zungentonsille macht tatsächlich manchmal
eine Ausnahme, sie bleibt manchmal — nicht immer — von den Zeichen
der Entzündung verschont. Ich habe dafür noch keine plausible Erklärung
und kann nur, natürlich ganz hypothetisch, annehmen, daß vielleicht die
anatomische Gefäßanordnung dem Zufließen der Noxe ungünstig ist.
Aber selbst wenn es richtig sein sollte, daß es Ausnahmen von dieser
Regel gibt, kann niemand leugnen, daß, wenn auch nicht alle, so doch die
allermeisten Fälle von follikulärer und lakunärer Angina so verlaufen,
daß alle lymphatischen Lager der Rachenschleimhaut gleichzeitig von der
Entzündung ergriffen werden. Ich glaube mich nicht zu irren, daß H a j e k
nach dem Vortrage meiner vorläufigen Mitteilung über die Anginöse am
26. März 1920 in der Gesellschaft der Ärzte mir mündlich mitteilte, daß
ihm diese Beobachtung schon seit langem geläufig sei, daß er sie auch in seinen
Vorlesungen erw T ähne, daß er ihr aber nicht diese weittragende Bedeutung
geben möchte, wie ich dies getan habe.
Wie ließe sich nun die Entstehung dieser Fälle anders erklären, als
durch endogene Zuführung der Noxe?
Die Erklärung, die Schlemmer versucht, die dahin geht, daß
im Augenblicke, als die Vorbedingungen, die das Eindringen der Bakterien
überl aupt ermöglichen können, erfüllt sind, dieses Eindringen von allen
Schleiml autstellen des Pharynx aus ganz gleichzeitig erfolgen soll, diese
Erklärung ist weder originell — ich besprach sie schon in meiner Arbeit —
noch wahrscheinlich, vor allem aber nicht „frei von Spekulation“ wie er
behauptet. Denn sie gründet sich überhaupt nur auf Spekulation
und ist durch keine Tatsache irgendwie gestützt.
Und gerade das ist es, was ich angestrebt habe.
Ich wollte eine nicht nur auf Spekulation beruhende Erklärung für die
obenerwähnte regelmäßige Beobachtung finden; dieAnnahme der endogenen
Infektion erklärt diese Erscheinung ungezwungen.
Schlemmer meint, daß ich, um den Verhältnissen, die durch den
von ihm geleugneten, von innen nach außen gerichteten „Saftstrom“ bedingt
zu sein schienen, Rechnung zu tragen, genötigt w T ar, auf einem Umweg zu
dem Krankheitsbilde der Anginöse zu gelangen und die Angina als
sekundären Prozeß zu erklären.
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Das Umgekehrte ist der Fall. Um mir die Tatsache des
gleichzeitigen Befallenseins des ganzen Rachens zu erklären, zog ich unter
anderem auch den Saftstrom in den Kreis der Betrachtung.
Wenn nun Schlemmer ihn nicht anerkennt, wird dadurch meine
Lehre, da ich die Frage, Lymph- oder Blutbahnen, wie erwähnt, offen gelassen
hatte, durchaus nicht erschüttert, sondern nur geklärt; es sind eben die
Blut bahnen die zuführenden Wege und nicht die Lymphwege.
Im übrigen muß ich ohne Berücksichtigung dieses Umstandes meine
Behauptung, daß der von den Autoren nachgewiesene Saftstrom — ob w r ir
ihn nun so oder „die nach außen gerichtete Wanderung von Leukozyten“,
die auch Schlemmer zugibt, nennen — für das Eindringen von Bakterien
eher als hindernd, denn als fördernd zu betrachten ist, aufrechthalten. Eine
darauf fußende Verteidigung der Abwehrtheorie, die mir Schlemmer,
ich weiß nicht aus welchen Gründen, imputiert, lag mir schon aus dem Grunde
fern, weil ich an sie ebensowenig glaube, wie an die Infektionstheorie.
Daß Schlemmer mir Inkonsequenz vorwirft, weil ich noch immer
von „Funktion der Tonsillen“ spreche, wiewohl diese zu dem ganzen lym¬
phatischen System gehören, muß ich als Haarspalterei bezeichnen. Findet
er doch auf fast jeder Seite meines Buches den nachdrücklichen Hinweis,
daß ich alle Anhäufungen lymphatischen Gewebes im Rachen als ein
zusammengehöriges, mit gleichen anatomischen,
physiologischen und pathologischen Eigenschaften
ausgestattetes System aufgefaßt wissen will. Er rennt auch offene
Türen ein, wenn er mir gegenüber betont, daß der lymphatische Rachen¬
komplex einen integrierenden Bestandteil der Schleimhaut bilde — er sagt
dasselbe mit anderen Worten, mag sein deutlicher, was ich immer und immer
wieder auseinandergesetzt habe.
Hierher gehört endlich auch Schlemmers Vorhalt, daß man, wenn
man das in der Rachenschleimhaut eingelagerte lymphatische System als
ein Ganzes ansieht, ja auch noch den imDarm befindlichen lymphatischen
Apparat hinzunehmen müsse und diese Gesamtheit als ein einziges System
ansprechen müsse. Diese Auffassung entspricht vollkommen meiner An¬
schauung, und es finden sich auch diesbezügliche Andeutungen in meiner
Arbeit. Daß ich nicht direkt darauf hingewiesen habe, daß bei der Anginöse
auch der lymphatische Apparat des Darmes beteiligt sei, hat seinen Grund
darin, daß ich mit den Erkrankungen dieses Organs zu wenig vertraut bin,
und nur hypothetische Vermutungen über die Vorgänge natürlich nicht Vor¬
bringen wollte.
Nun komme ich auf einen Punkt zu sprechen, der allerdings mit der
„Anginöse“ nicht viel zu tun hat, dennoch aber eine sehr große Wichtigkeit
für das ganze Tonsillarproblem besitzt. Es ist die Frage der sogenannten
„chronischen Tonsillitis“. Schlemmer will wissen, ob ich
überhaupt die Existenz dieses Zustandes ablebne, oder nur ihre Sympto¬
matologie. Ich habe es in meiner Schrift als allerdings wahrscheinlich
bezeichnet, daß es „eine chronische Entzündung des lymphatischen Gewebes
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Mai 1922).
im allgemeinen Sinne überhaupt nicht gibt“. Aus den Arbeiten, die bisher
vorliegen, muß man den Eindruck gewinnen, daß die der chronischen Ent¬
zündung zugeschriebenen histologischen Kennzeichen nicht charakteristisch
sind und sich einerseits bei allen noch in lebhafter Lebenstätigkeit befind¬
lichen und andrerseits bei akut entzündeten tonsillaren Lagern finden, ob
sie mm mächtig entwickelt sind oder klein, zerklüftet oder glatt, von Pfropfen
durchsetzt sind oder nicht. Ich räume ein, daß da noch lange nicht das letzte
Wort gesprochen ist und gebe Schlemmer vollkommen recht, wenn er sagt,
daß da die klinische Beobachtung allein nicht ausreicht. Er
selbst führt aber an, daß derzeit keine exakten Befunde vorliegen, die beweisen,
ob und wodurch sich das chronische entzündete lymphatische Gewebe der
Schleimhaut von dem normalen unterscheidet. Erst dann — meint er —
wenn gründliche Beobachtungen und exakte Färbungen mit dem spezifischen
Blutfärbemethoden in größerer Anzahl vorliogen werden, werden sich die
obigen Fragen beantworten lassen. Es wird, wie ich glaube, der wichtigste
Teil unseres Problems sein, diese Frage vom histologischen Standpunkt aus
einer Lösung zuzuführen, und ich habe bereits vor geraumer Zeit die Anregung
hierzu gegeben, daß dieses Kapitel auf dem Boden eines reichen Materials
von pathologisch-anatomischer Seite aus bearbeitet werde. Die Ergebnisse
stehen derzeit noch aus und ich muß mich daher vorläufig der Existenz der
,,chronischen Tonsillitis“ gegenüber, wenn auch nicht absolut
ablehnend, so doch sehr skeptisch verhalten.
Was nun die Symptomatologie dieses Zustandes betrifft, so
halte ich nach wie vor an ihrer strikten Ablehnung fest.
Eine große Genugtuung empfinde ich dabei, daß Schlemmer
meiner immer und immer wieder betonten Anschauung, daß die als klinischen
Merkmale der ,,chronischen Entzündung“ allgemein geltenden Symptome
(Mächtigkeit der Entwicklung, stärkere Rötung, Zerklüftung der Tonsillar-
oberfläche) keine pathologischen, sondern Normalbefunde vorstellen, rück-
1)altslos zustimmt. Ich gehe daher weiter auf diese Punkte nicht ein.
Wenn aber von den ,,Pfropfen“ die Rede ist, kann ich von meiner
Ansicht, daß es sich da um ganz banale und bedeutungslose *
Befunde handelt, nicht abgehen.
Schlemmer sagt: ,,Richtig ist wohl, daß fast alle Menschen
Tonsillarpfröpfe haben, aber weil nur verhältnismäßig wenige davon Be¬
schwerden haben, darf man noch immer nicht sagen, daß es sich deshalb
um einen Normalbefund handelt“. Diese Darstellung Schlemmers ist
unrichtig. Ich habe die Bedeutungslosigkeit der Pfropfe nicht nur aus dem
Mangel an Beschwerden deduziert, sondern ausführlich die Entstehung der
Pfropfe dargelegt und es geht nicht an, da nur einen Faktor herauszugreifen
und die Sache so darzustellen, wie wenn die Beweisführung nur auf diesem
Punkt ruhen würde. Im übrigem hinken seine Vergleiche mit anderen patho¬
logischen Zuständen (Hernie, Struma, kariöse Zähne, tuberkulöse Herde),
die manchmal ebenfalls beschwerdelos herumgetragen werden können, so
deutlich, daß es sich füglich erübrigt, sie ausführlich zu entkräften.
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Merkwürdig ist es auch, daß Schlemmer sich schon deshalb, wie
er sagt, nicht entschließen kann, von einem Normalbefund zu sprechen, weil
es Fälle von widerlichem Fötor der Tonsillarkonkremente gibt. Ja, ist etwa
z. B. das Smegma praeputii, das man vielleicht am besten mit dem Krypten¬
inhalt vergleichen kann und das in zersetztem Zustande wohl auch nicht zu
den gut duftenden Substanzen gehört, ein pathologischer Befund von be¬
sonderer Bedeutung, weil es auf Zersetzung hinweist ? Schlemmer gibt
zu, daß die Pfropfe aus Detritus bestehen, behauptet aber, daß sie m a s s e n-
h a f t pathogene Bakterien enthalten. Abgesehen davon, daß diese Behauptung
fast allen Angaben anderer Autoren widerspricht, die nur selten und ver¬
einzelt pathogene Keime gefunden haben, muß doch die Tatsache berücksichtigt
werden, daß nach gewiesenermaßen allüberall in Nase und Mund, Rachen usw.
bei vollkommen gesunden Personen derartige Keime vereinzelt gefunden
werden. Wie sollte nicht der Detritus solche Keime vereinzelt enthalten?
Schlemmer sagt, daß „diese massenhaft vorhandenen pathogenen Bak¬
terien aus irgendwelchen Gründen, die hier gar nicht näher besprochen werden
sollen, keinen Schaden stiften“. Das heißt wohl, meine Herren, sich die Sache
sehr leicht machen! Welches sind die Gründe, die hier nicht näher besprochen
werden sollen ? Kennt er sie ? Sie wären, wenn sie bekannt wären, so bedeutungs¬
voll, daß wohl darüber zur Klärung des Sachverhaltes sehr ausführlich ge¬
sprochen werden müßte.
Was schließlich das klinische Bild betrifft, das Schlemmer
als sogenannte „chronische Tonsillitis“ beschreibt, kann ich nur
meine Verwunderung darüber aussprechen, daß derart vage und unbestimmte
Symptome, von denen jedes einzelne die verschiedensten Deutungen zuläßt
und die man noch aus der früheren Zeit einer weniger kritischen Beurteilung
mitführt, daß derartige Symptome noch immer herangezogen werden, um
ein angeblich gut umrissenes Krankheitsbild zu schaffen; und zwar rein nur
aus dem Grunde, weil man sich nicht vorstellen will, daß große, zerklüftete
oder mit Einschlüssen versehene Mandeln normale Befunde sein können;
es ist außerordentlich bequem, sie für alle erdenklichen Beschwerden ver¬
antwortlich zu machen.
Das von Schlemmer skizzierte Krankheitsbild mag vielleicht in
einzelnen Fällen oberfläch liehen Entzündungsprozessen umschriebener
Schleimhautpartien entsprechen, mit der sogenannten „chronischen Ton¬
sillitis“ hat es nichts zu tun.
Ich halte daran fest, daß die gemeinhin für die chronische
Entzündung der Mandelsubstanz als kennzeichnend
geltenden Merkmale (Mächtigkeit der Entwicklung,
Färbung, Zerklüftung, Pfropfbildung) als normale
Befunde anzusehen und für die Diagnose „krank“
nicht verwertbar sind.
Es ist unmöglich, im Rahmen dieser kurzen Bemerkungen auf alle
Einzelheiten der Schlemmer sehen Einwände einzugehen. Müßte ich
doch, um beispielsweise seine mir zugeschriebenen Ansichten über die Ton-
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sillektomie richtigzustellen oder ihn über die Richtigkeit meines Vergleiches
mit den septischen Prozessen, die von der Haut ausgehen, aufzuklären, so
weit zurückgreifen, daß ich Ihre Geduld allzulange in Anspruch nehmen
müßte. Die wichtigsten Momente habe ich hervorgehoben.
Das Tonsillarproblem enthält eine solche Fülle von Einzelproblemen,
daß im Augenblicke, da man sich mit dem Studium des einen beschäftigt,
ein Dutzend neuer Fragen anatomischer, physiologischer und pathologischer
Art auftauchen, deren Lösung nicht minder wichtig und nicht minder
schwierig ist.
Zu einem gedeihlichen Ergebnis können wir nicht kommen, wenn wir
einfach die unbewiesenen, aus der Tradition übernommenen Anschauungen,
ohne sie mit strenger Kritik auf ihre Richtigkeit zu prüfen, nur deshalb
weiterschleppen, weil wir nichts Besseres wissen.
Es ist viel ersprießlicher zu sagen: „Diese alte Anschauung ist un¬
richtig, sie muß verworfen werden, auch wenn ich derzeit noch keine bessere
Erklärung kenne“, als immer und immer wieder die alten unbewiesenen
Fiktionen aufrechtzuhalten und vorzubringen.
Der Weg, den Schlemmer in der Haj eksehen Festschrift ein-
geschlagen hat, ist der einzig richtige. Er hat auf anatomischer und biologisch-
experimenteller Grundlage versucht, bestimmte Tatsachen festzustellen.
Das ist ihm zweifellos gelungen. Er hat uns, wie er im ersten Abschnitt seines
Vortrages mit Erfolg auseinandergesetzt hat, in der Beleuchtung des
Tonsillai problems um einen positiven Schritt vorwärtsgebracht.
Ob ihm aber auch die spekulative Kritik meiner bescheidenen Arbeit,
die er im zweiten Abschnitt seines Vortrages mit viel Emphase und mit großem
Stimmenaufwand vorgebracht hat, ebenso restlos geglückt ist und ob er damit
die Klärung des Tonsillarproblems auch nur um eine Spur gefördert hat,
dies zu entscheiden überlasse ich getrost dem Urteile Anderer.
Weil: Ich möchte auf zwei Beobachtungen zu sprechen kommen.
Vor vielen Jahren, als die Galvanokaustik die herrschende Methode war,
haben wir sowohl nach Muschelamputationen als nach Kauterisation der
Schleimhaut sehr häufig Anginen gesehen; da ich mich jetzt- seit mehr als
25 Jahren ausschließlich der kalten Schlinge und der Trichloressigsäure
bediene, sind sie sehr selten geworden. Wir stellten uns vor, daß die galvano-
kaustischen Wunden mit ihrer heftigen Reaktion einen günstigen Nähr¬
boden für die infizierenden Bakterien bilden. Die wenigen Anginen aber, die
wir noch nach emlonasalen Eingriffen sehen, treten fast immer auf der Seite
der Operation früher auf (bleiben sogar in seltenen Fällen auf diese beschränkt)
und gehen erst nach 1 bis 2 Tagen auf die andere Seite über; das stimmt nicht
mit Fei ns Hypothese. Ferner: Ich nehme im Ambulatorium wegen
Mangel der hausärztlichen Nachbehandlung und der unkontrollierbaren,
meist schlechten Beschaffenheit der Wohnungen niemals die Entfernung
aller drei Mandeln auf einmal vor, sondern immer in zw r ei Sitzungen, zwischen
welchen Wochen und Monate, manchmal auch Jahre vergehen. Ich habe nun
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systematisch den Verlauf beobachtet, wenn man zuerst die Tonsillen oder
die Adenoiden entfernt hat, und folgendes gefunden: Die Entfernung der
Gaumenmandeln bleibt ohne jeden Einfluß auf die Adenoiden; umgekehrt
werden die Tonsillarwunden durch die fort best eli ende Eiterung der Vege¬
tationen niemals infiziert. Wenn aber diese zuerst entfernt werden, sieht man
häufig die Tonsillen, mitunter sogar recht rasch zurückgehen, so daß ihre
Entfernung dann nicht mehr indiziert erscheint. Auffallend war mir aber in
mehreren Fällen das völlige Ausbleiben der vorher häufig rezidivierenden
Anginen nach alleiniger Adenotomie. Auf Grund beider Beobachtungsreihen
mußte man annehmen, daß die Tonsillen die Lymphdrüsen für die Nase
und den Nasenrachenraum bilden; die ausgezeichnete Arbeit von Schlemmer
widerlegt diese Anschauung, vermag uns aber die Erklärung für die an¬
geführten Erscheinungen ebensowenig zu geben, als F e i n s Theorie.
Von den Mandelpfröpfen meine ich im Gegensatz zu Schlemmer,
daß sie zwar oft pathologische Erscheinungen veranlassen können, aber selbst
nicht pathologisch sind — trotz des Fötors. Ich vergleiche sie mit den Schmutz¬
ansammlungen zwischen den Zehen, wie sie bei mangelhafter Reinigung der
Füße zu finden sind.
Der Hinweis auf den Mangel von Ausfallserscheinungen nach Tonsillo¬
tomie erscheint mir nicht beweiskräftig. Ich erinnere daran, daß Kocher
schon sehr viele Strumektomien gemacht hatte, bis er durch ein zufälliges
Gespräch mit einem französischen Chirurgen auf die Erscheinungen der
Cachexia strumipriva aufmerksam wurde; und erst viele Jahre später gelang
es, die Tetanie als selbständiges Krankheitsbild mit den Epithelkörperchen
in Verbindung zu bringen. Setzen wir nun den Fall, daß die Ausfalls¬
erscheinungen nach der Tonsillotomie, z. B. auf dem Gebiete der Verdauung
oder der sexuellen Funktionen liegen würden, dann wäre es selbst bei
systematischer Forschung beinahe unmöglich, den Zusammenhang festzustellen.
Hajek: Wenn wir den großen technischen Fortschritt unseres
Spezialfaches betrachten, müssen wir mit Bedauern konstatieren, daß wir
in der Erkenntnis der klinischen und ätiologischen Probleme weit im Rück*
stand sind. Diese Lücken auszufüllen, ist niemand eher geeignet, als die
wissenschaftliche Laryngologie. Diese Worte w r aren meine Antrittsrede bei
"Übernahme der Klinik im intimen Kreise meiner Assistenten. Nur zu lange
hat man sich auch hinsichtlich der Ätiologie der Anginen mit defekten
Hypothesen abgefunden und es gereicht mir zu besonderer Genugtuung, daß
die Frage der Angina in ernster Weise zuerst bei uns in Wien angegangen
wrurde. Nach meiner Ansicht ist für die wissenschaftliche Erforschung der
Angina am zweckmäßigsten, wenn wir das Problem der Angina von drei
Gesichtspunkten aus an gehen. 1. von der Anatomie des am meisten beteiligten
Organs, des adenoiden Gewebes, 2. von der klinischen Beobachtung aus,
3. von der ätiologischen Seite aus.
Die Anatomie der Tonsille geht voran: denn man muß zuerst das Organ
genau kennen, dessen Pathologie man mit Ei folg studieren soll; darum war
Monatsschrift f. Ohrenheiik. u. Lar.«Rhin. 66. Jahrg. 51
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es mir so überaus wichtig, daß ich von meiner Klinik einen Herrn beauftragte
diese Sache einmal, soweit es mit den heutigen Methoden möglich ist, zur
Lösung zu bringen. Die Arbeit Schlemmers hat die wichtige Erkenntnis
der Lymphwege gebracht, eine unentbehrliche Grundlage jeder möglichen
Diskussion.
Der zweite Standpunkt ist der klinische. Seit jeher beobachten wir die
Angina als typische Infektionskrankheit, ohne daß es uns bisher, trotz aller
anerkennenswerten Studien, gelungen wäre, die Bedeutung der Erkrankung
in ihrem ganzen Umfange zu erkennen. Fein gebührt das Verdienst, die
Klinik der Angina von einem zweiten Gesichtspunkte aus zu studieren. Man
könnte seine Resultate kurz bezeichnen: Die Angina sei eine Systemerkrankung
des adenoiden Gewebes der oberen Luftwege. Ich muß zugeben, daß
Schlemmer mit Unrecht diese Möglichkeit bestritten hat, denn seine
anatomischen Untersuchungen berechtigen ihn hierzu nicht. Was ich gegen die
allgemeine Formulierung F eins einzuwenden habe, ist vor allem, daß meine
Beobachtungen mit den seinigen nicht übereinstimmen. Ich kann nicht
zugeben, daß die objektive Betrachtung der adenoiden Lager bei Angina
die gleichzeitige Beteiligung aller adenoiden Anhäufungen ergibt. Ich finde
vielmehr, daß die Rachenmandel häufig gar nicht erkrankt aussieht trotz
der Angina der Gaumenmandel, sowie andrerseits es eine regelmäßige Er¬
fahrung beim Drüsenfieber der Kinder ist, daß oft genug nur die Rachen¬
mandel entzündet ist, während die Gaumentonsillen und die Follikeln des
Rachens allem Anscheine nach ganz unbeteiligt bleiben. Ich sage allem
Anscheine nach, da ich das Gegenteil nicht ausschließen kann. Es ist jedoch
nicht meine Sache, das Gegenteil auszuschließen, da immer derjenige, der
behauptet, auch den Beweis erbringen muß. Auch Fei ns letzte Arbeit,
über die Entzündung der Larynxtonsille, spricht durchaus nicht für seine
Ansicht, denn sicher ist die Larynxtonsille bei der Angina zumeist unbeteiligt,
die Kehlkopfsymptome sind bei Kindern gewöhnlich so auffallend, daß wir
dieselben ad not am nehmen müssen.
Was mir an F e i n s klinischen Untersuchungen am meisten einleuchtet,
das ist die Idee, daß die Angina tonsillaris bereits der Ausdruck einer all¬
gemeinen Infektion ist. Ich kann diese Behauptung nicht beweisen, aber auch
nicht widerlegen; ebenso wenig, wie sie F e i n bewiesen oder Schlemmer
widerlegt hat. Beides ist möglich. Man muß sich hüten, allzuviele Hypothesen
aufzustellen; es ist besser zu sagen, wir wissen nichts. Mir z. B. ist die Vor¬
stellung aus verschiedenen hypothetischen Gründen äußerst sympathisch,
daß die Angina lacunaris ein Exanthem darstellt, analog dem Exanthem bei
Morbilli oder bei Variola. Ich könnte viele Analogien anführen, aber keine
zwingenden Beweise. Ich habe schon einigemale erwähnt, daß man eine
Gleichung, wo nur unbekannte Ziffern sind, nicht lösen kann, also forschen wir
w'eiter, bis wir einiges wissen.
Der dritte und wichtigste Gesichtspunkt für die Erforschung der
Angina endlich ist die Äticlogie. Von dieser haben wir, kurz gesagt, nicht
die geringste Ahnung. Es wird doch kein denkender Mensch seine Befriedigung
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darin finden, daß die allgewärtigen Staphylokokken und Streptokokken die
Angina induzieren. Die erwähnten Bakterien spielen bei der Angina allem
Anscheine nach nur die Rolle einer sekundären Infektion, wie bei Skarlatira,
Diphtherie usw. Hier muß der Laboratoriumsforschung die weitere Rolle zur
Festigung des Anginenproblems zugesprochen werden.
Glas: Macht darauf aufmerksam, daß er wiederholt auf den wichtigen
Zusammenhang aller Teile des lymphoiden Rachenapparates hingewiesen
habe, zuletzt in einer in der Wiener klinischen Wochenschrift erschienenen
Arbeit „Das Lymphgewebe des W a 1 d e y e r sehen Schlundringes als Ursache
der Temperatursteigerungen“, in welcher chronische Entzündungen der
Lymphknötchen der hinteren Rachemvand als Ursache subfebriler Tem¬
peraturen bezeichnet wuirden. In diesem Punkte könne manF ein beistimmen,
die Tonsille als Teil eines Ganzen zu bezeichnen und auch die Wahrnehmung,
daß manchmal (nicht aber immer) auch andere Teile des Schlundringes mit¬
erkranken, ist richtig. Gegenüber der Auffassung, daß es sich bei der Angina
um eine endogene Infektion handelt, führt Glas folgendes an: Der Zusammen¬
hang zwischen Tonsillarerkrankung und gewissen septischen Prozessen wird
kaum von irgendeiner Seite geleugnet. Die Zahl der Beobachtungen, wo nach
ausgeführten Mandelausschälungen ein lange Zeit vorhandener septischer
Prozeß beseitigt wurde, ist groß und jeder Operateur, der eine größere Zahl
solcher Fälle beobachtet hat, wird ad oculos die Richtigkeit dieser Annahme
bestätigt finden (siehe Glas: Mandeloperationen bei Sepsis). Wenn also in
den Tonsillen die Quelle septischer Infektionen liegt — und wie wären die
vielen günstigen Operationsresultate anders zu deuten, als daß mit der Ent¬
fernung der Tonsillen gleichzeitig die Quelle des septischen Prozesses beseitigt
wird — warum soll man bei einer Allgemeinerkrankung, die wir Angina oder
meinetwegen mit Fein Anginöse heißen, die Tonsille als Eintrittspforte
der Infektion ausschalten, um eine entferntere Quelle der Infektion (auch
Fein weiß darüber nichts zu sagen) anzunehmen ? Klingt (vom rein
logischen Standpunkte) bei Unterstreichung dieser Parallele die Annahme
F e i n s von einer endogenen Infektion nicht paradox, zumal da er für diese
seine Hypothese keinerlei einwandfreie Bew^eismomente erbracht? 1 )
*) Ich habe in der Diskussion darauf hingewiesen, daß Fein den kausalen
Zusammenhang zwischen Tonsillarerkrankung und Allgemeinerkrankung leugnet
bzw. zu negieren sucht, was Fein als nicht richtig bezeichnet hat. Da ich die Arbeit
Fe i n s nicht zur Hand hatte, kann ich erst hier jene Sätze anführen, die für die
Richtigkeit meiner Annahme sprechen. (Aus Fein» Arbeit: Die Anginöse 1921):
„Zunächst wissen wir, daß es sich bei der Ausführung der tonsillaren Operationen
in derartigen Fällen um ein Ultimum Refugium handelt, d. h., daß der Eingriff erst
zu einer Zeit unternommen wird, zu welcher die mit den Tonsillen in Zusammenhang
gebraehte Krankheit schon lange bestanden hat, somit die Wahrscheinlichkeit einer
schließlichen Spontanheilung groß ist. (Gerade vrr gekehrt ! Anmerkung des Schreibers.)
Es fällt demnach gewiß häi fig spontane Heilung und Eingriff zufällig zusammen.
Zweitens lehrt die Erfahrung, daß es sich sehr oft gar nicht um Dauererfolge handelt,
sondern um Erfolge, wie sie so ziemlich nach jeder eingreifenden Änderung thera¬
peutischer Maßnahmen auftreten. (Nicht richig. Anmerkung des Schreibers.) Nach
einiger Zeit kehren die früheren Zustände W'kder usw.“ (Seite 44, 45.) Diese Sätze
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H. Neu mann: Diese Debatte wäre geeignet, bei so manchem den
Eindruck zu erwecken, als wäre die Tonsillektomie so wie überhaupt die
Abtragung ein überflüssiger Eingriff. Es wird jeder Operateur doch viel
häufiger gesehen haben, daß die Anginen nach der Entfernung viel seltener
werden als das Gegenteil. Denn selbst die Tonsillotomie, eine partielle Ent¬
fernung der Mandeln, hat in sehr vielen Fällen diesen Erfolg gezeitigt. Und
so scheint mir doch trotz der sehr hübschen Hypothese Feins der bisher
allgemein geübte Standpunkt vorläufig als gerechtfertigt.
Fein: Die Beobachtung Weils, daß die im Anschluß an Nasen¬
operationen vorkommende Angina manchmal nur an der operierten Seite
auftritt, kann ich nicht bestätigen. Herrn Glas gegenüber sei bemerkt, daß
es ein großer Unterschied ist, ob von einer Tonsille aus oder von der ganzen
Oberfläche des Tonsillarkomplexes eine Sepsis ausgehen soll. Das letztere
halte ich für unmöglich; das erstere kann, wie von jeder Körperstelle aus,
wenn die Bedingungen dazu vorhanden sind, geschehen. Das ist aber keine
Anginöse. Herr N e u m a n n fragt, wozu wir die Tonsillen abtragen, wenn
sie nicht die Einbruchspforte vorstellen. Er entfernt sie, weil nacher keine
Anginen mehr auftreten. Dieser letzteren Bemerkung kann durchaus nicht
zugestimmt werden. Es treten wohl ab und zu auch noch nachher Anginen auf,
aber sie haben einen außerordentlichen milden Verlauf, weil ihr Hauptsitz
entfernt wurde. Aus meinen Beobachtungen, die ich in meiner Schrift
medergelegt habe, ging nämlich auch noch ein zweites wichtiges Gesetz
hervor. Die Intensität des lokalen anginösen Prozesses ist — ceteris pari-
bus — proportional dem Volumen des vorhandenen tonsillaren Gewebes. Wenn
die drei großen Tonsillen entfernt sind, verläuft die Anginöse außerordentlich
leicht, weil sie nur in den Granulis der Rachenhinterwand und eventuell
in der Larynxtonsille ihren Sitz hat. Sie wird dann fälschlich als akuter
Rachenkatarrh angesprochen. Mit Herrn H a j e k s Ansicht, daß das
Studium der Angina nur durch Tatsachen gefördert werden könne und noch
gründlichsten Studiums bedarf, stimme ich voll überein. Auch ich habe betont,
daß Kliniker, pathologischer Anatom und Bakteriolog werden Zusammen¬
arbeiten müssen, um zu einem Ziele zu gelangen.
Schlemmer (Schlußwort). Nicht eingelangt.
aus Feins Arbeit zu in Nachweis der Richtigkeit meiner Behauptung, daß Fein
auch diesen sonst anerkannten Zusammenhang zwischen Tonsillarerkrankung und
Allgemeinaffektion bekämpft.
Gck igle
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Bücherbesprechungen.
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Bücherbesprechungen.
Die Anginöse« Kritische Betrachtungen zur Lehre vom lymphatischen Rachenring.
Von Professor Dr. Johann Fein, Wien. 76 Seiten. Wien-Berlin 1921. Urban und
Schwarzenberg.
Eine Streitaxt hat Fein mit seiner Broschüre ausgegraben, die wohl
nicht sobald zur Ruhe kommen dürfte. Wenn auch vieles davon den Wider¬
spruch der engeren und weiteren Fachgenossen hervorrufen dürfte und auch
schon hervorgerufen hat, so ist doch in dem Werke eine ganze Reihe von
Bemerkungen und Folgerungen enthalten, deren zwingender Logik sich
keiner entziehen kann, der ehrlich denkend, sich mit dem ganzen Komplex
der Tonsillenfrage befaßt hat, und wenn selbst der größte Teil der Fein sehen
Thesen sich mit der Zeit als nicht stichhältig erweisen sollte, müßte ihm die
Wissenschaft auf immer Dank wissen, daß er mutig den Stier bei den Hörnern
gepackt und es unternommen hat, mit viel altera, überkommenem und
gedankenlos übernommenem Gerümpel von Lehrsätzen und Anschauungen
aufzuräumen — ich nenne hier nur die Bedeutung der sogenannten zer¬
klüfteten Mandeln und der „Eiterpfropfe“, die, vielleicht weniger bei den
Laryngologen als bei den Internisten und praktischen Ärzten, heute noch
allgemein als sichere Kennzeichnen von Erkrankung der Tonsillen angesehen
werden —, daß er den alten Erfahrungssatz wdeder ins Gedächtnis gerufen
hat, daß noch so fest gefügte und plausible Theorien vor der Gefahr des
einstigen Zusammenbruches nicht sicher sind, daß er eine neue Epoche der
Tonsillenforschung angeregt und in die in letzter Zeit allerdings stagnierende
und im Technischen verflachende Frage frisches Leben gebracht hat. Es
ist nun wohl hier nicht der Ort, sich mit dem Verfasser über seine Anschauungen
auf Grund eigener Erfahrung und Überlegung auseinanderzusetzen, und ich
glaube, es ist vielleicht auch nicht die rechte Zeit hierfür. Zu viel Teilfragen
bedürfen noch eingehender experimenteller Forschung und klinischer Nach¬
prüfung. So mag sich annoch jeder für sich seinen Teil dabei denken. Nur
die von manchen Gelehrten schon angedeutete (K i 11 i a n) und manchem
wissenschaftlich denkenden Arzt gewiß schon unbewußt aufgetauchte Hypo¬
these der Fein sehen Broschüre, die Lehre von der Anginöse, der Angina
als einer endogen entstandenen, allgemeinen akuten Infektionskrankheit,
von der die als Angina bezeichnete Erkrankung des lymphatischen Rachen-
rmges nur ein Anfangssymptom, etwa w T ie das Exanthem bei anderen akuten
Infektionen, darstellt, sei hier verzeichnet. In fünf Abschnitten bespricht
der Verf. das bisher Gültige an Anschauungen und wissenschaftlichen Ergeb¬
nissen sow y ie die demgegenüber eingenommene eigene Stellung bezüglich
des lymphatischen Rachenkomplexes, der akuten Angina, der chronischen
Entzündung, der „Anginöse“ und der Indikationen für operative Eingriffe.
Das Werk kann nicht nur dem Laryngologen, sondern ebenso sehr auch dem
Internisten und praktischen Arzt als das'eigene Nachdenken und das kritische
Literaturstudium anregend angelegentlich empfohlen werden.
M a r s c h i k.
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Büoherbesprechungen.
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Anleitung sur Diagnose und Therapie der Kehlkopf-, Nasen- und Ohrenkrankheiten*
Vorlesungen, gehalten in Fortbildungskursen für praktische Ärzte von Dr. Richard
Kayser, Breslau. 11. und 12. Auflage. Mit 136 Abbildungen. 236 Beiten. Berlin 1921,
S* Karger.
Es kann dem bekannten Buche wohl nichts Besseres zum Lobe gesagt
werden, als daß von ihm seit 1900 nun schon die 12. Auflage erscheint. Der
Umfang ist auf das Doppelte des früheren angewachsen und längst hat der
Verf. eingesehen, daß nichts so sehr zum Verständnis und gedächtnismäßigen
Festhalten geeignet ist, wie gelegentliche Abbildungen und Skizzen. Wie in
dem Vorwort zur 1. Auflage betont, will das Buch keine kurze Ausgabe einer
umfassenden Lehre der Kehlkopf-, Nasen- und Ohrenkrankheiten sein, sondern
nur von dem in letzter Zeit enorm ausgebreiteten Gebiet das für den prak¬
tischen Arzt Wichtige und Zugängliche ausführlich und sorgfältig behandeln,
alles dem Spezialisten zu Überlassende aber nur andeuten. Es will uns niin
allerdings scheinen, als wäre dieses richtige Prinzip doch stellenweise durch¬
brochen. So verweilt der Autor wohl mit etwas zu großer Liebe beim Kapitel
Untersuchung. Eine Anzahl von Seiten ist den Errungenschaften der neueren
direkten endoskopischenUntersuchungsmethoden gewidmet, mit ihren modernen
Apparaten und Verbesserungen, die, so interessant sie auch für jeden sein
mögen, immer dem Spezialisten reserviert bleiben dürften und wohl auch
sollen. Dieselbe Ausführlichkeit bezüglich der modernen Apparate und
Instrumente vermissen wir hinwiederum beim Kapitel Ohr. Wenn auch augen¬
scheinlich der Text ziemlich unmittelbar die Wiedergabe des in den Ärzte¬
kursen des beliebten Lehrers Gesprochenen darstellt, so w'äre dem viel¬
begehrten Buch, das so rasch eine Auflage der anderen folgen läßt, doch eine
Revision des Stoffes und der Einteilung zu wünschen, vor allem mit Rück¬
sicht auf die in dem Vorwort zur 1. Auflage niedergelegten Prinzipien. Ins¬
besondere gilt dies von den Abbildungen. Wenn auch in der heutigen Zeit
aus der dürftigen Ausstattung, dem minderwertigen Papier und den meist
armseligen Abbildungen dem Verlag kein Vorwurf gemacht werden soll,
möchten wir doch zu bedenken geben, daß ein so begehrtes Buch, das es in
kurzem zur 12. Auflage gebracht hat, zu einer größeren Sorgfalt der Bilder
nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, um so mehr, als es haupt¬
sächlich für den praktischen Arzt bestimmt und damit zu rechnen ist, daß
es für viele Ärzte das einzige Hilfs- und Nachschlagewerk aus dem Gebiet
der Oto-Laryngologie bleiben dürfte, bei den heutigen, so enorm verteuerten
Gestehungskosten des ärztlichen Inventars. So halten wir in allen Kapiteln
passende instruktive Übersichtsbilder der Anatomie, wie sie uns in den ver¬
schiedenen anatomischen und spezialistischen Lehr- und Handbüchern in
Unmenge und sorgfältiger Ausführung längst zur Verfügung stehen, nicht
mir für ratsam, sondern für unerläßlich. Entbehrlich dagegen manche der
A bbildungen, so z.B. die Skizze der drei Phasen der Einführung des Brüning-
sehen Autoskopiespatels, eines Fremdkörpers im Gehörgang u. a. m. Besonders
vermissen wir die anatomischen aufklärenden Abbildungen im Kapitel Ohr,
wie dieses uns überhaupt im allgemeinen am meisten stiefmütterlich behandelt
erscheint. Daß bei schematischen Skizzen immer die einfachere die bessere
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Bücherbeeprechiingen.
785
ist, geben auch wir ohne weiteres zu und ich halte z„ B. das Bild der nervösen
und funktionellen Versorgung des Kehlkopfes auf S. 43 trotz seiner groben
Schematik für ganz vorzüglich. Dagegen sind die meisten sonstigen Bilder
mit ihren zuweilen an die naiven Holzschnitte der mittelalterlichen Primitiven
erinnernden Vernachlässigung von Perspektive und Größenrelation von gar
zu großer, befremdender Dürftigkeit, hinsichtlich dessen, was man sonst aus
dem Verlag S. Karger zu sehen gewohnt ist, einer Dürftigkeit, die weit eher
geeignet ist, Verwirrung als Aufklärung den Lesern zu bringen. Am besten
sind noch die von dem Autor gebrachten photographischen Reproduktionen.
Warum hat er nicht, wenn es schon in dem Werk zu 136 Abbildungen gekommen
ist, diese Zahl zugunsten weniger, aber klarer und hinreichend großer Photo-
typien reduziert ? Einer auffallenden Reichhaltigkeit beim Kapitel Endoskopie
der oberen Luftwege steht eine ebenso auffallende Leere im otologischen Teil
gegenüber. Warum sind dort nicht auch das Otoskop nach H a i k e, die
verschiedenen Lupen und insbesondere das so wertvolle und gegenüber dem
abgebildeten Pharyngoskop, das nur ein Luxusinstument ist, wirklich prak¬
tische Salpingoskop gebracht ? Auch im Kapitel endokranielle Komplikationen
wäre wenigstens ein anatomisches Ubersichtsbild dringend erwünscht. Viele
Bilder sind verkehrt (Kehlkopfbilder, Nasenrachenraum, Trommelfelle), die
Bilder aus derselben Kategorie sehr ungleichmäßig, obwohl uns eine Reihe
von gleichartigen Bildersammlungen zur Verfügung steht usw. Wenn wir
somit zum Schluß dem Verf. noch einmal eine Revision seines Buches bei
der nächsten Auflage bezüglich der angeführten Mängel ans Herz legen
möchten, so geschieht dies nur deshalb, w r eil wir dem Werk wegen seiner
sonstigen Vorzüge, vor allem des leichtflüssigen Stils und der für den Praktiker
so geeigneten, von gelehrten Hypothesen, Streitfragen und Fremdwörtern
sich freihaltenden Ausdrucksweise, die weiteste Verbreitung und weitere,
rasch aufeinanderfolgende Auflagen wünschen. Marschik.
Die Therapie der Nasentaberkulose. Von Dr. Walter 8 t u p k a, Innsbruck. ö9 Seiten.
Leipzig 1921, C. Kabitzsch.
Die Übersicht über ein größeres Material eigener Beobachtung aus
der Klinik Herzog in Innsbruck (25 Fälle) gibt dem Verf. Gelegenheit,
sich über ein Thema ausführlicher zu äußern, das heute vielleicht zu Unrecht
etwas vernachlässigt erscheint. Nach einem sehr sorgfältigen Literaturreferat
erscheinen die Fälle St.s in extenso angeführt, jeder mit einer sachlichen
Epikrise versehen, die sich in der Beurteilung der Erfolge den strengsten
Maßstab anlegt, im allgemeinen erst nach mindestens sechsmonatlicher
Beobachtung von Heilung zu sprechen wagt. Aus Literaturübersicht und
eigener Erfahrung geht hervor, daß die Einteilung der Nasentuberkulose
sich hauptsächlich auf zwei Formen, die ulzeröse und die proliferative, be¬
schränken darf, wobei die klinische Sonderstellung des Lupus auch der inneren
Nase vorderhand noch beibehalten w r erden soll. Für die Behandlung
hat sich ein gewisser Radikalismus, die Exzision im Gesunden, wie er von
O. Körner eingeführt werden ist, als die aussichtsreichste Methode er-
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Bücherbespreehungen,
wiesen, die aber nur ausnahmsweise den früher von Chirurgen oft versuchten
Weg von außen zu beschreiten braucht. Am günstigsten sind die proliferativen
(Tumor-) Formen. Für die flächenhaften, mukösen Formen ist Chemo- und
Strahlentherapie vorzuziehen. Auf die sehr gewählte, von dem landläufigen
wissenschaftlich-journalistischen Stil sich möglichst freihaltende Ausdrucks¬
weise glauben wir noch besonders hinweisen zu dürfen. Marschik.
Diagnose und Therapie der Ohrenkrankheiten* Ein Hilfsbuch für den praktischen
Arzt. Von Dr. Conrad Stein.
Schon in der erklärenden Beifügung gibt der Verfasser die dem Buche
zugrunde liegende Tendenz kund, mit der dieses Buch abgefaßt ist und welche
in dem Vorwort weiter ausgeführt wird: Es soll ein Buch sein nicht für den
vollkommen geschulten Spezialisten, es soll ein Lern- und Nachschlagebuch
sein für den praktischen Arzt, besonders für den Praktiker, dem nicht die
Hilfsmittel der großen Kliniken und die Konsiliarärzte der Großstadt zur
Verfügung stehen, der vielmehr, auf sich allein angewiesen, gezwungen ist,
Ohrenkranke zu behandeln.
Während seiner langjährigen Lehrtätigkeit hatte der Verfasser Ge¬
legenheit, den Werdegang der dem Studium des Ohrenfaches sich zuwendenden
Praktiker zu verfolgen und hat den Wert einer wenn auch kurzen Ausbildung
wohl zu würdigen, aber auch die Gefahren, die eine unvollkommene Schulung
für den Patienten bergen, richtig einzuschätzen gelernt. In der richtigen
Erkenntnis der Grenzen, welche dem Praktiker bei dem Studium eines Spezial¬
faches gestellt sind, will Verfasser mit seinem Buche dem Arzt die Möglichkeit
geben, Ohrenkranke (mit gutem Erfolge) selbst zu behandeln und ihn auf¬
zuklären — und dies ist ein nicht genügend hoch einzuschätzender Punkt —,
wann die Grenzen seiner Behandlung beginnen und er den Facharzt zurate zu
ziehen verpflichtet ist.
Hierbei verfolgt Stein einen ganz originellen, von den bisherigen
vollkommen abweichenden Weg.
Mit Verzicht auf die Wiedergabe zusammenhängender klinischer
Krankheitsbilder, die für den Nichtspezialisten nur verwirrend wären, gibt
er jedem Kapitel als Überschrift den Namen eines Symptomes, welches bei
Ohrenerkrankungen vorkommt, und behandelt in diesem Kapitel erschöpfend
alle Möglichkeiten otogener und nicht otogener Natur, welche dieses Symptom
auslösen können. Durch die Zusammenfassung mehrerer, vom Patienten an¬
gegebener Symptome wird es auch dem weniger Geübten ermöglicht, sich
ein Urteil über den Charakter der Erkrankung zu machen.
Der ganze Stofl ist dementsprechend in folgende Kapitel geteilt:
1. Oh re nsch merzen, 2. Ohrenfluß, 3. Schwerhörigkeit, 4. Subjektiv« Hör¬
empfindungen, 5. Hörstörungen anderer Art, 6. Schwindel und Gleich¬
gewichtsstörungen, 7. Schwellung der Weicliteile der Ohrgegend, 8. Fieber,
9. Kopfschmerzen, 10. Zerebrale Krankheitserscheinungen, 11. Otogene
Fazialislähmung, 12. Otogene Abduzenzlähmung, 13. Sprachstörungen.
Für die zu ergreifenden therapeutischen Maßnahmen findet der Arzt,
in dem zweiten Teil des Buches Aufklärung, welches in dem ersten Teile
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Bücherbesprechungen.
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analoge Kapitel zerfällt, so daß z. B. dem Kapitel 1 (Ohrensch merzen)
des I. Teiles Kapitel 1 (Therapie der Ohrenschmerzen) des
H. Teiles entspricht. Die Vorteile einer derartigen Anordnung für den Nicht-
spezialisten sind ohne weiteres einleuchtend.
Es ist nicht möglich, in dem Rahmen dieser Besprechung jedes einzelne
Kapitel zu würdigen, deren jedes von der reichen Erfahrung und dem klinisch
geschulten, kritischen Blick des Verfassers beredtes Zeugnis ablegt. Doch
möchte ich das 1. Kapitel „Ohrenschmerzen“ als für den Praktiker besonders
wichtig speziell hervorheben. AJs häufigstes und meistens erstes Symptom
wird vom Patienten Klage über Ohrenschmerzen geführt und in der richtigen
Erkenntnis der Wichtigkeit, in der Wertung dieses Symptoms hat Verfasser
dieses Symptom besonders ausführlich behandelt und von allen Seiten be*
leuchtet. A. Ohrenschmerzen infolge von Ohrenkrankheiten, B. Ohren¬
schmerzen infolge von pathologischen Zuständen in den Nachbarorganen des
Ohres, C. Ohrenschmerzen als Begleiterscheinungen und Folgeerscheinungen
von Allgemeinerkrankungen.
Besonders erwähnen möchte ich noch den Absatz über den Gleicli-
gewichtsapparat, der in besonders übersichtlicher und leichtverständlicher
Weise auch dem weniger Geschulten Einblick in die komplizierten Verhältnisse
und Reaktionserscheinungen dieses Sinnesorgans gewährt.
Ist somit dieses Buch ein unentbehrliches Studien- und Nachschlagewerk
für den Praktiker, so wird auch der Facharzt manches Neue und Wissenswerte
darin finden und mit Interesse Bestätigung eigener Beobachtungen und An¬
regung zu weiteren Forschungen suchen.
Nicht unerwähnt will ich die einwandfreie, in jeder Beziehung gefällige
Ausstattung des Buches lassen, wofür der bekannte A. Marcu s- und
E. Webe r-Verlag (Dr. jur. Albert Ahn) in Bonn vollste Anerkennung
verdient.
Das Buch kostet broschiert M 48, gebunden M 55. B en es i.
Handbuch der speziellen Chirurgie des Ohres and der oberen Luftwege. Von L. Katz
und F. Blumenfeld. 3. Auflage. Bd. 4. 831 Seiten mit 250 Abbildungen und
63 Tafeln. Leipzig 1922. Curt Kabitzsch.
Dem ersten Bande der dritten Auflage, der vor etwa 3 / A Jahren erschien,
ist nun der vierte Band gefolgt. Er enthält im wesentlichen die Operationen
an und im Halse, woran sich dann die Darstellung der direkten Untersuchungs¬
methoden, der Tracheobronchoskopie und der Ösophagoskopie anschließen
Die Aufsätze sind im wesentlichen in denselben bewährten Händen geblieben,
nur an Stelle des San.-Rat H a n s b e r g ist Priv.-Doz. Dr. Ernst Seifert
getreten. Wenn es gestattet ist, ein gemeinsames Urteil abzugeben, so kann
ich nur betonen, daß auch im vierten Teile die dritte Auflage fast überall
einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der zweiten Auflage darstellt. Die
einzelnen Abschnitte sind nicht nur alle erheblich überarbeitet, sondern
namentlich in den ersten Abschnitten haben die Autoren sogar eine gründliche
Umarbeitung für notwendig gehalten. Somit bringt auch der vierte Band
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Bücherbesprechungen.
überall eine Darstellung der betreffenden Gebiete, die den neuesten Erfahrungen
und Forschungen entspricht.
Noch eine allgemeine Vorbemerkung. Es scheint mir nicht ganz logisch
zu sein, daß die Laryngofissur und dieTracheotomie von den anderenOperationen
am Halse abgetrennt ist, und es wäre nach dem Rücktritte des Herrn Hans-
b e r g vielleicht empfehlenswert gewesen, auch dieses Kapitel den Herren
Gluck und Soerensen zu übergeben. Es soll das aber etwa kein
wertverminderndes Urteil über die Arbeit des Herrn Ernst Seifert be¬
deuten, sondern nur eine Bemerkung für die redaktionelle Einteilung, durch
die notgedrungene Wiederholungen nicht zu umgehen waren, die sich bei der
Bearbeitung in einer Hand wenigstens teilweise hätten vermeiden lassen.
Gerade die wichtige Aufstellung der Indikationen für die verschiedenen
Operationen hätte einheitlicher gestaltet werden können, w r enn dieselbe nicht
von verschiedenen Seiten eine verschiedene Darstellung hätte erfahren müssen.
Mehr als ein Dritteil des Bandes nehmen die von Gluck und Soeren¬
sen bearbeiteten und fast völlig umgearbeiteten Abschnitte über Kehlkopf¬
exstirpation, über Operationen am Pharynx und am Ösophagus, an der
Trachea, an der Mandibula, an der Zunge, der Karotis, der Schilddrüse und
dem Thymus ein. Im Interesse der Darstellung sind die einzelnen Abschnitte
mehr selbständig behandelt wie in voriger Auflage. Es ist ganz unmöglich,
die zahllosen Verbesserungen, neuen Vorschläge und interessanten Ergebnisse
im einzelnen zu berichten, welche die so ideenreichen Autoren der neuen
Darstellung einzufügen imstande waren. Haben doch Gluck und Soeren¬
sen wohl von allen Operateuren auf diesem Gebiete die umfangreichsten
und mannigfachsten Erfahrungen. Es sei gestattet, nur einiges aus der großen
Fülle der Fortschritte und des Neuen hervorzuheben. Wohl die fundamentalste
Änderung und Verbesserung ist, daß Gluck und Soerensen alle diese
Operationen, selbst die Resektion des Kehlkopfes, meist unter Lokalanästhesie
ausführen, während sie früher — noch in der zweiten Auflage — eine All¬
gemeinnarkose für wünschenswert oder erforderlich hielten. Sie anästhesieren
durch Einspritzungen von 1 / 4%iger Novokainlösung und wenden eine Kom¬
bination von Leitungs- und Infiltrationsanästhesie an. Bemerkenswert ist,
daß sie ohne Zusatz von Adrenalin arbeiten und Wert darauf legen, jedes
Gefäß auf das exakteste zu unterbinden. Die anämisierende Wirkung der
Nebenniere erschwert das Auffinden der kleinen blutenden Gefäße. — Auch
die Schnittführung hat sich etwas geändert; sie wenden bei der Exstirpation
des Kehlkopfes jetzt einen Bogenschnitt mit oberer Basis an und legen
Gewicht darauf, daß die Nahtlinien, welche die Hautschnitte vereinigen, und
die des Pharynx und des Ösophagus sich nicht decken, damit prima intentiv
zustande kommen kann. Völlig neu dürften die angegebenen Methoden sein,
Ösophagusdivertikel zu operieren. Der erweiterte Ösophagus wird freigelegt
und auf beiden Seiten durch ,,Raffnähte“ verengt. — Ebenso neu, wenigstens
für das Handbuch, die vorliegenden Fälle liegen nach dem Erscheinen der
zweiten Auflage, sind die Erfahrungen über die Totalexstirpation der krebsig
erkrankten Luftröhre und kutaner Rekonstruktion derselben.
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Bücherbesprechungen.
789
Es sind dies wenige Proben, mit welcher Sorgfalt und mit welchem
unendlichen Fleiße die beiden Autoren praktisch und theoretisch an den
Fortschritten der Chirurgie der von ihnen dargestellten Gebiete gearbeitet
haben. Wenige Proben; eine wirkliche Darstellung der Fortschritte, welche
seit dem Erscheinen der zweiten Auflage errungen wurden, dürfte mehrere
Bogen füllen.
Nur noch ein Wort über die Erfolge; Gluck und Soerensen
haben zu berichten über mehrere Serien von Totalexstirpation des Kehl¬
kopfes mit nur 2% Mortalität. Die große Verbesserung der Methodik und
die Erweiterung der Erfahrungen haben notwendigerweise auch zu einem
größeren Umfange der Arbeit und einer Vermehrung der Abbildungen geführt.
Hervorheben möchte ich übrigens, daß wenigstens in dem mir zugänglichen
Exemplar des Buches der Druck der Abbildungen ganz besonders gut ist
und nicht hinter der zweiten Auflage zurücksteht.
Das Kapitel „Laryngofissur“ hat an Stelle von Hansberg Ernst
Seifert bearbeitet. Er hat mit großer Sorgfalt die Hansberg sehe Ein¬
teilung und den Hansberg sehen Text soweit möglich zu wahren gesucht,
aber überall merkt man, daß die Darstellung von S. doch im wesentlichen
auf eigenen Erfahrungen beruht , welche durch eine ganz besonders ausgedehnte
Kenntnis der Literatur auch der fremdländischen unterstützt w r ird. — Somit
ist die Arbeit von Seifert als eine durchaus selbständige aufzufassen,
die auch in vielen Punkten von der Hansberg sehen abzuweichen sich
nicht scheut. Er plädiert ganz besonders für die Operation in Lokalanästhesie,
er empfiehlt regionäre subkutane Umspritzung und Leitungsanästhesie der
Zervikalwurzeln nach Braun; ist Allgemeinnarkose nicht zu umgehen
(benommene Erwachsene und Kinder), rät er zur ,,Halbnarkose
mit Chloroform“. Während Hansberg noch in der zweiten Auflage es
als Regel hinstellt, der Laryngofissur die Tracheotomie vorangehen zu lassen,
tritt Seifert dafür ein in den meisten Fällen, die Operation einzeitig zu
machen und die Tracheotomie w T enn möglich überhaupt zu vermeiden. Sehr
ausführlich ist die Beschreibung der Operation selbst. — Bedauern möchte
ich, daß die dritte Tafel Hansberg s, welche namentlich die anatomischen
Verhältnisse besonders schön darstellte, fortgefallen ist. Auch die Methoden
der Nachbehandlung usw r . sind mit besonderer Sorgfalt behandelt. Natürlich
haben auch die Erfahrungen des Krieges gebührende Berücksichtigung gefunden.
In den nun folgenden vier Abschnitten hat sich eine so vollständige
Umarbeitung w 7 ie in den Arbeiten von Gluck und Soerensen und von
Seifert nicht als notwendig erwiesen, es genügte im wesentlichen ein
Überarbeitung und Hinzufügung etwaiger neuer Erfahrungen. Waren doch
z. B. für die von Felix Blumenfeld dargestellten „endolaryngealen
Operationen“ sowohl die Operationsmethodik als auch die pathologische
Auffassung der in Frage kommenden Krankheiten schon bei dem Erscheinen
der früheren Auflagen soweit ausgearbeitet, daß in den fraglichen Jahren wohl
zahlreiche Einzelheiten, aber kaum eine irgend grundlegende Änderung oder
Erweiterung stattgefunden hat. Der Abschnitt ist aber von dem Autor auf
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Bücher besprechu ngen.
das Sorgfältigste durchgearbeitet und an sehr zahlreichen Stellen finden sich
Erweiterungen und Zusätze, so daß die Darstellung Blumenfelds auch
in der dritten Auflage bezeichnet werden kann als durchaus auf der Höhe
der Zeit stehend und den Gegenstand völlig erschöpfend.
Etwa ähnlich dürfte das Werturteil über die drei folgenden Arbeiten
„die Tracheotomie von Bockenheimer, die Tracheobronchoskopie von
Mann und die Ösophagoskopie von S t a r c k“ ausfallen. Beim Vergleichen
findet man in der dritten Auflage unter wesentlicher Erhaltung des früheren
Textes zahlreiche Verbesserungen und Erweiterungen. Am Schlüsse des
Bockenheimer sehen Aufsatzes findet sich ein kurzer, aber sehr lehr¬
reicher Abschnitt über Erfahrungen im Kriege und eine Erörterung darüber,
ob in jedem Falle von Kehlkopfverletzung die prophylaktische Tracheotomie
gemacht werden solle; er ist in Übereinstimmung mit Franz dafür, „denn
eine prophylaktische Tracheotomie ist im Gegensatz zu einer Notoperation
ein einfacher Eingriff“. Andrerseits aber unterläßt er auch nicht, dem Zweifel
von I m h o f e r gegen die wahllose Tracheotomie Ausdruck zu geben. Das
Literaturverzeichnis hat erhebliche Ausdehnung erfahren.
Was Mann veranlaßt hat, bei seiner Neubearbeitung die Schwebe-
laryngoskopie ganz fortzulassen, ist mir nicht ganz erfindlich gew f esen; die
beiden Fälle von Trachealkarzinom, die von mir und von Soerensen
veröffentlicht w r orden sind (1914 und 1915), scheint der Autor übersehen zu
haben. In beiden Fällen war die Diagnose durch das Tracheoskop gestellt
und auch in meinem Falle auf diesemWege durch eine Abtragung der Geschwulst
eine vorübergehende Besserung erreicht worden. — Sehr interessant und
sehr wichtig ist in der neuen Auflage der Hinweis auf die Bedeutung des
klinischen Bildes und namentlich der Anamnese bei Fremdkörperaspiration.
Der Aufsatz von S t a rc k „Ösophagoskopie“ steht auf der Höhe der
zahlreichen Arbeiten des renommierten Autors auf diesem Gebiete. Die neue
Auflage bietet sehr zahlreiche Verbesserungen und Erweiterungen. Neben der
großen persönlichen Erfahrung Starcks ist namentlich die sorgfältige
Benutzung der Literatur hervorzuheben. Zu bedauern ist, daß St arck in
seinem Literaturverzeichnis nur die größeren benutzten Werke anführt, die
zahlreichen Einzelaufsätze zwar gewissenhaftest, aber ohne Ortsangabe anführt.
Ich möchte mit denselben Worten w r ie die Besprechung des Bandes I
schließen, daß auch Band IV einen wesentlichen Fortschritt darstellt zur
Ehre deutscher Wissenschaft und deutscher Arbeit. Auch der Leistungen
des Verlages muß rühmend gedacht werden. P. H e y m a n n.
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Personalien und Notizen.
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Personalien und Notizen.
Ernannt: Die a. o. Professoren Dr. Bernhard Heine (Ohrenheilkunde) in
München und Dr. P. Manasse (Laryngo-Ehino-Otologie) in Würzburg zu
ordentlichen Professoren. — Professor Dr. Oppikofer zum Vorstand der Klinik
für Ohren- und Kehlkopfkrankheiten in Basel.
Verliehen: Dem Privatdozenten für Otologie Dr. Erich Buttin in Wien
der Titel eines a. o. Professors. — Dem Privatdozenten für Oto-Rhino-Laryngo-
logie Dr. W. Kl es t ad t in Breslau die Dienstbezeichnung a. o. Professor.
Gestorben: Der a. o. Professor der Laryngo-Otologie Dr. Jakob Katzen¬
stein in Berlin.
Gewühlt: Professor Dr. Manasse zum Dekan der medizinischen Fakultät
in Würzburg.
Medizinisch-literarische Zentralstelle. Der bisherige Leiter, Herr Oberstabsarzt
a. D. Berger, hat aus Gesundheitsrücksichten die Leitung der ,,Medizin.-literar.
Zentralstelle“ niedergelegt. An seine Stelle ist deren langjähriger Mitarbeiter, Herr
Dr. M. Schwab, Berlin, getreten, der auch die Veiwaltung der ,,Sonderdruck¬
zentrale“ übernommen hat. — Alle Zuschriften nur an: Dr. M. Schwab, Berlin W 15,
Pariserstraße 3.
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pathologischen Anatomie des Utriculus und der Cysterna perilymphatica. A. d e
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Personalien und Notizen.
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legung der Fallreaktion in zwei Komponenten. P. H. G. van Gilse (Haarlem):
Zur Diagnostik der Fremdkörperstenose im Bronchialbaum. G. Portmann
(Bordeaux): Contribution k l’4tude de l‘ulc6re perforant de la cloison nasale. R. B 4 -
r4ny (Upsala): Das Fischersche und Kisssche Vorbeizeigen bei Seitenwendung der
Augen. A. P1 u m (Copenhague): Les affections de l’oreüle moyenne dans le lupus
vulgaire. Th6rapeutique pratique. Analyses. — H. 2. R. B4r4ny (Upsala):
J. R. Ewald f. G. Riehl (Wien): Erwiderung auf den Artikel: „B4i4ny und die
Wiener Universität 4 '. Mit redaktioneller Antwort! E. Schmiegelow (Copen¬
hague): Contributions cliniques k la localisation des centres de coordination du
cervelet. J. Karlefors (Upsala): Pointing reaction weaker outwards, stronger
inwards. A general Symptom of intra-cranial pressure produced from the side of
the cerebellum. D. J. Jonkhoff (Utrecht): Beiträge zur Pharmakologie der
KörpersteJlung und der Labyrinthreflexe. II. Strychnin. H. M y g i n d (Copenhagen):
The Surgical Complications of Acute Middle-Ear Suppuration in 1000 Cases of
Mastoid Operation. J. Kragh (Copenhague): La r6action vestibulaire de la tete
R. Lund (Copenhague): Deux chas d'affection des canaux semi-circulaires et de
4 appareil otolotique. R. B 4 r 4 n y (Upsala): Bemerkungen zur Arbeit von J. Fischer.
Hirntumor und Gehörorgan, in der Monatschr. f. Ohrenheilkunde 1921. A. H o f v e n-
dahl (Stockholm): Die Bekämpfung der Kokainvergiftung. Praktische Ratschläge.
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Die in der letzten Zeit eingetretene ungeahnte Geldentwertung,
verbunden mit den ständig wachsenden Herstellungskosten, Papier¬
preisen und sonstigen Unkosten hat auch die Fachschriften ganz emp¬
findlich in Mitleidenschaft gezogen. — Der Mitte Mai für das III. Quartal
festgesetzte Bezugspreis entsprach nicht annähernd unseren Eigenkosten,
immerhin haben wir von einer begründeten größeren Erhöhung für das
abgelaufene Vierteljahr Absland genommen.
Unter dem Drucke der wirtschaftlichen Verhältnisse sehen wir
uns nun gezwungen, den Bezugspreis für das IV. Quartal zu erhöhen,
bemerken jedoch ausdrücklich, daß auch der neue Preis unsere Kosten
nicht deckt, doch wollen wir unseren geschätzten Abonnenten auch weiter¬
hin ein möglichst billiges Fachblatt bieten. —
Der Bezugspreis für das IV. Quartal 1922 beträgt: für Deutsch¬
land und Deutschösterreich: ö. K. 20.000' —, für Ungarn: ung. K 1000'— ,
für die Tschechoslowakei: e. K 50* —, für Polen: poln. M 4000' —, für
Jugoslawien: Dinar 80' —, für Rumänien: Lei 100' —, für Italien:
Lire 20'—, für das übrige Ausland Schw\ Fr.: 10' — exklusive Porto.
Die Verlagsbuchhandlung.
Verleger, Herausgeber und Eigentümer: Urban & Schwarzenberg, Verlagsbuchhandlung in
Wien I, Mahleratraüe 4 (verantwortlich: Karl Urban in Wien IV, Brucknerstraße 8). — Verantwort¬
liche Schriftleiter: Für den otologiechen Teil: Dr. E. U r b a n t s c b i t s c h in Wien I. Schottenring 24;
für den larvngoloKiifbon Teil: Prof. Dr. H. Marschik in Wien IX, Severingasse la; für den
übrigen Teil: Karl Urban in W r ien IV, Brucknerstraße 8 . — Druok B. Spiee A Co. in Wien V,
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Prof. Dr. F. A LT (Wien), Pro f. Dr. R. BÄBJLnY (UpaaIa) , Dr.S.BELINO FF (Sofie), Prir.-Do*. Dr. O.BKCK (Wien).
Prof. i>r A. BING (Wien), Priv.-Do*. Dr.G. BONDY (Wien), Prof.Dr G.B BÜHL (Berlin), Prof. Dr.H. BURG KB
(Amsterdam), Prof. D. DBMBTBIADES (Athen), Prof. Dr. J. FEIN (Wien), Prof. Dr. H. FREY (Wien),
PrW.-Doe. Dr. E. FBÜSCHELS (Wien), Dr. V. FRÜHWALD (Wien), Prir-Dos. Dr. ß. GATSCHER (Wien).
Prof. Dr. E. GLAS (Wie»), Prof. Dr. B. GOMPERZ (Wien), Prof. Dr. M GROSSMANN (Wien),
Prof. Df. V. HAMM ERSCHLAG (Wien), Dr. HEINZK (Leipzig), Prof. Dr. HEYMANN (Berlin), Prir..
Do*. Dr.G. HOFER (Wien), Prof. Dr. R. HOPFMANN (Dreeden), Prof. Dr. HOPMANN (Köln), Prof. Dr.
O. KAHLER (Freiburg i. Br ), Prir.-Doi. Dr. J. KATZKN8TEIN (Berlin), Dr. KELLER (Köln), Hoffet
Dr. KIRCHNER (Wümbura). PrW.-Do*. Dr. K. KOFLER (Wien), OStA. Dr. 8. LAWNER (Wien),
Prof. Dr. L1CHTENBKBG (Btfdapaat), Dr. L. MAHLER (Kopenhagen), Prof. Dr. H. NEUMAYER (Mönchen),
Dr. Ma* RAUCH (Wien) Prof. Dr. L. RÄTHI (Wien), rDr. Kd. RIM1NI (Triest), Dr. F. RODE (Trieit),
Prir.-Do*. Dir. E RUTTIN (Wien), Prof. Dr. J. SÄFRANEK (Budapast), Dr. F. SCHLEMMER (Wien),
Prof. Dr. A-SCHÖNEMANN (Bern), Reg.-Bat Dr. H. SCHRÖTTKR (Wien), Dr. M. SEEMANN (Prag),
Dr. A. BIKKKL (Haag), Dr. SPIRA (Krakau). Prir.-DoE.Dr. H. STERN (Wien). Dr. M. 8UGAR (Budapest),
Prof. Dr. A. THOST (Hamburg), Dr. WEIL (Stuttgart), Dr. M. WEIL (Wien», Dr. K. WODAK (Prag)
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Redakteure:
für Larjngo-Bhinologie:
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56. Jahrgang, 11. Heft
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Orxgxnalbeiträge, Rezensionsexemplare usw. otologischen Inhaltes bitten wir,
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largngologischen Inhaltes an Prof. Dr. 1 ET. Marschik , * Wien , IXfa Severingasse 1,
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dm Bogen zu 16 Seiten. Sonder ab drücke von Originalien werden zum Selbstkostenpreise
berechnet. Für Bücherbesprechungen geht das betreffende Buch als Honorar in den
Besitz des Besprechers über. Redaktion und Verlag .
Inhaltsverzeichnis.
OriginalsArtikel
Dr. Rahcl Pilpel: Persistenz des Canalis cranio-pharyngeus mit Rachendach-
hypophyse und Kephalokelc. (Mit 2 Figuren).793
Professor .Dr. Hei mann Marschik, Wien: Neue Kanülen. (Mit 4 Figuren). . 802
Dozent Dr. Oscar Beck, Wien: Über die Behandlung breiter Synechien der
Nase. 807
Dr. Hans Brunner, Wien: Über einen Fall von Pagetscher Krankheit. (Mit
8 Figuren auf Taf. I bis IV) .... ....810
Dr. Ernst Wodak, Prag: Neue Beiträge zur Funktionsprüfung des Laby¬
rinthes. (Mit 6 Figuren).828
Vereinsbericbte
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft. Sitzungen vom 14. Juni und 5. Juli 1922 860
Personalien
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Ärzten stehen Literatur und Proben zur Verfügung durch ^
§H Hoechster Farbwerke des. m.b.H., Wien VIII/2, losefstädterstr. 82 =
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UNiVERSITY 0F CALIFORNIA
MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LA R YN GO-RHJ NOLOGIE
56. Jahrg. 1922. 11. Heft.
Nachdruck verboten.
OriginaUArtikfel.
Aus dem Leopoldstädter Kinderspitale (Primarius: Dr. Fritz Passini).
Persistenz des Canalis cranio-pharyngeus mit Rachen¬
dachhypophyse und Kephalokele.
Von
Dr. Kabel Pllpel, Assistentin.
(Mit 2 Figuren.)
Zu den häufigsten Resten des embryonalen Entwicklungsganges
der Hypophyse gehört ein das Keilbein durchbohrender Kanal, der
Canalis cranio-pharyngeus. Derselbe zeigt den Weg an, den der Drüsen¬
anteil der Hypophyse genommen hat, seine Ausmündung liegt an der
höchsten Partie der Sattelgrube. An der Stelle, die dem ursprünglichen
Ende des Canalis cr.-phar. ventralwärts entspricht, findet sich beim
Menschen, und zwar ausschließlich bei diesem, ein Gebilde, die Rachen¬
dachhypophyse. Sie ist ein abgesprengtes Stück des Darmteiles der
Hypophyse, das den Schädel nicht durchwandert hat. Sie wird von derbem
Bindegewebe umschlossen, welches die Schleimhaut des Rachendaches
mit dem Periost der Unterfläche des Keilbeinkörpers verbindet. Als
erster beschrieb die Rachendachhypophyse Kilian, der sie bei 5 von 11
untersuchten Föten vorfand, ihr jedoch keine Bedeutung zuschrieb.
Später fanden sie auch E r d h e i m, ferner A r a i. Alle diese Autoren
aber glaubten, die Rachendachhypophyse verschwinde im extrauterinen
Leben, bis C i v a 1 e r r i sie zum ersten Male auch bei Erwachsenen
vorfand, und zwar in 8 von 11 untersuchten Leichen. Ferner fand Lung-
h e 11 i n i die Rachendachhypophyse bei 4 Frauen. C i t e 11 i, der um¬
fassende Untersuchungen über die Rachendachhypophyse bei Kindern
jeden Alters anstellte, da er ihrem Vorhandensein eine wichtige Bedeutung
zuschrieb, fand dieselbe in 18 von 25 untersuchten Kinderleichen. Es
gelang ihm auch, in allen diesen Fällen nachzuweisen, daß die Blutgefäße
einen Zusammenhang vermitteln zwischen Rachendachhypophyse,
Schleimhaut, Mandeln, Periost, Basisphenoid bis zur Sella turcica und
zentraler Hypophyse, welche Gefäße bei Entzündungen im Nasenrachen¬
raum sämtlich kongestioniert erscheinen. Es können sich also nach der
Ansicht von C i t e 11 i entzündliche Erscheinungen im Nasenrachen-
Monatfeehrlfk f. Ohrenheilk. u. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 52
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794
Rahel P i 1 p e 1.
raume auf die Rachendachhypophyse fortpflanzen und in der Zeit der
Entwicklung des Blindes den Entwicklungsprozeß der Hypophyse und
des ganzen Organismus stören. Damit erklärt auch C i t e 11 i, warum
nach der Entfernung von Adenoiden oft eine überraschende Entwicklung
des Skelettes erfolgt. Auch P o p p i schreibt die günstigen Erfolge nach
Entfernung der Adenoide der wahrscheinlichen Unterbrechung anomaler
Gefäßkommunikationen Zwischen hyperplastischen Tonsillen und Rachen¬
dachhypophyse und durch eventuelle Reste des Canalis cr.-phar. mit
der Zentralen Hypophyse zu, die in irgendeiner Weise die Funktion der
Hypophyse beeinträchtigen sollen. Dagegen glaubt Christelli, der
31 mal bei menschlichen Leichen die Rachendachhypophyse vorfand,
sie sei ein rudimentäres Organ, dessen Funktion im Haushalt des Gesamt¬
organismus keine erhebliche Rolle spielt.
Das Vorhandsensein des Canalis cr.-phar. ist nicht an das der
Rachendachhypophyse gebunden, er kommt auch viel seltener als letztere
vor, doch kann sich in einen offen gebliebenen Canalis cr.-phar. die Rachen¬
dachhypophyse fortsetzen. Ebenso können sich in demselben Drüsen¬
reste, ja sogar der ganze Darmteil der Hypophyse vorfinden, dessen nor¬
maler Aufstieg in die Schädelhöhle ausgeblieben ist.
Die Angaben über persistierenden Canalis cr.-phar. in der Literatur
sind sehr zahlreich. Haberfeld Zählte 73 Fälle auf, S o k o I o w
stellte fest, daß der Prozentsatz des Canalis cr.-phar. bei Säuglingen
größer ist als bei Erwachsenen. Die Erklärung für das Vorhandensein
des Canalis cr.-phar. ist bei den einzelnen Autoren eine verschiedene.
So halten Sokolow, Le Double usw. die Persistenz des Canalis
cr.-phar. für Atavismus, E x n e r spricht die Störung im Bereiche des
Canalis cr.-phar. als das Primäre an, der sekundär hinzugetretene Hydro¬
zephalus erweitert ihn und macht Raum für eine Kephalokele. Ettore
L e v i glaubt an eine Persistenz des Canalis cr.-phar. in allen Fällen
von Akromegalie und schließt daraus auf die schon im frühesten
Embryonalstadium stattfindende Störung der Hypophysenentwicklung
bei dieser Anomalie. Während E r d h e i m in einem Falle von Akro¬
megalie den Canalis cr.-phar. vorfand, konnte Haberfeld einen
derartigen Befund bei den von ihm untersuchten Schädeln von Akro-
megalen niemals erheben. Bei einem Anen 'ephalus fand der letztgenannte
Autor einen Canalis cr.-phar. ausgefüllt von der stark deformierten Hypo¬
physe, die mit ihrem oberen Ende — dem Hinterlappen — ins Schädel¬
innere hineinragte, während das untere Ende in Form eines Polypen,
mit Rachenschleimhaut überzogen, in den Rachen hineinhing. Die
Hypophyse war normal angelegt und ausgebildet, doch war der Aszensus
unkomplett, während der Kontakt mit dem Infundibulum normal erfolgt
war, wie der normale Hinterlappen bewies. Haberfeld stellte auch
bei weiteren fünf Anenzephalen bei gleichzeitig vorliegenden Mißbildungen
anderer Art (doppelseitige Gaumenspalte und Hasenscharte, Hydro¬
zephalus internus usw.) den persistierenden Canalis cr.-phar. fest.
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Persistenz des Canalis cranio-pharyngeus.
795
Bei den systematischen Untersuchungen von 256 Schädeln von
Erwachsenen und 30 Schädeln von anatomisch normalen Neugeborenen
und Föten, konnte dieser Autor kein einziges Mal einen durchgängigen
Canalis cr.-phar. nachweisen. Das veranlaßte Haberfeld zur Ansicht,
daß die Angaben anderer Forscher auf einem Irrtum beruhen dürften,
den er dahin aufklärte, daß sich am mazerierten Schädel die Synchrondrosis
intersphenoidalis, die in vivo mit Knorpel ausgefüllt ist, als Kanal prä¬
sentiert. Auch C i t e 11 i, dessen Untersuchungen in die gleiche Zeit
fallen wie die von Haberfeld, fand bloß viermal bei 25 Kinderleichen
einen Canalis cr.-phar. vor und schreibt demselben eben wegen dieser
Seltenheit des Vorkommens keine weitere Bedeutung zu. Schultz
untersuchte 800 Menschenschädel und fand nur viermal einen ganz
erhaltenen, 71mal einen unvollständigen Canalis cr.-phar.
Erwähnenswert ist die Angabe von Suchanek über einen
Befund von persistierendem Canalis cr.-phar. bei einem 4 Jahre alten,
an Diphtherie verstorbenen Mädchen. Vier Millimeter oberhalb der nor¬
malen Rachentonsille war eine Einsenkung im Rachendach, in der ein
Gebilde von 3 y 2 mm Durchmesser lag. Im histologischen Präparate fand
sich der vordere und hintere Keilbeinkörper durch die bis in die Rachen¬
schleimhaut reichende Hypophyse getrennt, dieselbe war von der Dura
umgeben. Suchanek deutete diesen Fall als persistierenden Canalis
cr.-phar. Von besonderem Interesse erscheint der von P r i e s e 1 be¬
richtete Fall bei einem 91 Jahre alten Zwerge. Eine Lücke in der Sella
turcica führte in eine Höhle im Keilbeinkörper, die sich in einen Canalis
cr.-phar. fortsetzte, der hinter dem Vomer mündete. Die Höhle war aus¬
gefüllt von einem sehr dünnwandigen Säckchen von Haselnußgröße,
mit Liquor gefüllt, das am oberen Pol gegen das Dorsum sellae zu ver¬
dickt war. Es setzte sich nach oben in einen 0-5 mm dünnen Stiel fort,
der weiter hinaufzu dicker wurde und in ein 5 mm in Durchmesser
haltendes Gebilde überging, das dem Infundibulum bzw. Tuber cinereum
zu entsprechen schien. Die histologische Untersuchung ergab, daß das
beschriebene Gebilde die nicht veränderte Neurokypophyse darstellte,
für deren Verweilen an dieser Stelle ein mangelhafter Deszensus schuld¬
tragend ist. An ihrer vorderen Fläche und auf die Seitenteile übergreifend
fand sich ein dünnes Lager von Vorderlappenzellen, welches kontinuierlich
in den dünnen Stiel überging und auch eine sehr dünne Lage in der Wand
des Säckchens bildete. P r i e s e 1 erklärt seinen Fall als Ossifikations¬
störung im Keilbeinkörper, vielleicht hervorgerufen durch abnorm langes
Persistieren des Hypophysenganges. Als die normale Ossifikation ausblieb,
und Mesenchym und Knorpelmasse im Basissphenoid schwand, rückte
unter intrakraniellem Druck der Vorderlappen der Hypophyse in die
Höhle. Die an sich durch mangelhafte Verbindungen mit der Neuro¬
kypophyse schlechten Zirkulationsverhältnisse wurden noch schlechter
und es kam zur Rarifizierung des Vorderlappenparenchyms. Es sei
erwähnt, daß ein fehlender Deszensus der Neurohypophyse, wenn auch
62 *
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796
Rahel P i 1 p e 1.
selten, ohne sonstige Anomalie vorkommt, wofür derzeit eine Erklärung
fehlt.
Weiters hat Mauksch 9 Fälle von Kranioschisis untersucht
und fand in 5 Fällen einen zum Teil erhaltenen Canalis cr.-phar., der
immer Bindegewebe enthielt, welches bei noch nicht erfolgtem Verschluß
einerseits mit dem Bindegewebe der Sella turcica, andrerseits mit dem
des Rachendaches in Verbindung stand. Die gesetzmäßig vorhandenen
Gefäße des Canalis cr.-phar. kommunizierten mit den Gefäßen der Schädel¬
basis und des Rachendaches und stellten die Verbindung des extra-
und intrakraniellen Kreislaufes dar. Diese Gefäße lassen sich nach
M a u k s c h vielleicht als Ursache für das Offenbleiben des Canalis
cr.-phar. auffassen. Die durch die Cranioschisis bedingten schweren
Zirkulationsstörungen scheinen starke Überfüllung der Gefäße an der
Schädelbasis zu bewirken, die dann teilweise Abfluß durch die Gefäße
des Canalis cr.-phar. finden können. Er fand in 7 seiner 9 Fälle nur einen
Vorderlappen, nur 2 hatten alle 3 Lappen, wobei der Hinterlappen
Zu Gunsten des Mittellappens stark zurückgeblieben war. Nie war ein
Mittellappen bei fehlendem Himanteil der Hypophyse zu sehen. Daraus
schließt dieser Autor, daß die Ausbildung des Mittellappens eng an das
Vorhandensein des Hinterlappens gebunden ist.
Zu den oben genannten Fällen gehört in ausgesprochenem Maße
der nunmehr Zu beschreibende, der sowohl in klinischer als in anatomischer
Hinsicht besonderes Interesse zu wecken geeignet erscheint. Es handelt
sich um ein 3 Jahre altes Kind, Maria R., das am 18. Juli d. J. 1920 in
das Leopoldstädter Kinderspital eingeliefert wurde.
Der Aufnahmsstatus ergab: Ein kleines, sehr mageres, blasses Kind,
bewußtlos, schreit bei Berührung auf, reagiert jedoch nicht auf Anrufen.
Weite, ungleiche Pupillen, starker Trismus, hochgradige Nackenstarre,
Opisthotonus, Kernig +, Reflexe gesteigert. Innerer Befund o. 'B. Aus
der Anamnese war folgendes zu entnehmen: Das Kin d kam mit einer
intrafötal ausgeheilten Hasenscharte zur Welt, überstand als einzige
Kinderkrankheit Masern und entwickelte sich bis zur jetzigen Erkrankung
geistig normal, körperlich war es etwas zurückgeblieben. Wegen seit
längerer Zeit bestehenden Schnarchens und Offenhalten des Mundes
wurde die Patientin 6 Tage vor der Spitalsaufnahme anderenorts an
„Wucherungen“ operiert. In der Nacht nach der Operation trat Fieber,
Erbrechen und Benommenheit auf. Seit 3 Tagen besteht Nackenstarre,
das Kind liegt immer auf der Seite, nimmt keine Nahrung zu sich.
Die sofort nach der Aufnahme ausgeführte Lumbalpunktion lieferte
eine langsam abfließende, sehr trübe Flüssigkeit. Im gefärbten Präparat
fanden sich reichlich Eiterzellen, große und kleine Kokkenformen und
verschiedene Arten von Stäbchen.
Am 19. Juli nachts Exitus letalis. Die Diagnose lautete: Meningitis
purulenta. Aus dem zeitlichen Zusammenhänge und aus dem bakterio¬
logischen Befunde wurde gefolgert, daß durch die Operation die Bakterien
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Persistenz des Canalis cranio-pharyngeus.
797
der Rachenflora in die Meningen inokuliert worden waren. Der Weg,
auf dem dies geschah, war unklar.
Eine ganz überraschende Erklärung gab nun der Obduktionsbefund.
Derselbe bestätigte zunächst die klinische Diagnose, indem sich eine
eiterige Entzündung der Gehirnhaut vorfand mit besonderer Beteiligung
der Himbasis, ferner bestand Empyem der Ventrikel.
Bei der Untersuchung der Schädelbasis nach der Herausnahme
des Gehirnes fiel sofort ein großer Defekt im Bereich des Keilbeinkörpers
auf, indem an Stelle der Sella turcica ein längsovales Loch sich vorfand,
in welches ein Hirnanteil hineinragte. Es wurde der Keilbeinkörper unter
Abtragung der Alae magnae und parvae herausgemeißelt. Die beigegebene
Abbildung zeigt klar die auffallenden Verhältnisse am Keilbeinkörper.
Keilbeinkörper von oben gesehen. Die Alae magnae und parvae knapp
am Körper abgetragen. Ap Ala parva, Cp Oanali cranio-pharyngeus, Ds
Dorsum sellae, Pca Processus clionoideus ant., Se Spina ethmoidalis,
X Spalte im Knochen, wahrscheinlich bei der Präparation entstanden.
(Natürliche Größe.)
Man sieht ein mächtiges Loch, dessen Durchmesser in medianer Richtung
21 mm und in frontaler 14 mm beträgt und das von Weichteilen erfüllt
w T ar, die zur mikroskopischen Untersuchung herausgeschält wurden.
Das Loch nimmt die gesamte Sella turcica ein und reicht nach vorn
bis knapp an die Spina ethmoidalis, so daß von einem Tuberculum sellae
sowie vom Sulcus chiasmatis nichts zu sehen ist. Seitlich reicht es an die
Wurzeln der Keilbeinflügel und nach rückwärts ist es vom Dorsum sellae
mit dem Processus clinoideus posterior begrenzt. Es fehlt jedweder
knöcherne Boden zu dieser Partie, Keilbeinhöhlen sind nicht vorhanden,
die Flügelfortsätze zeigen nichts besonderes.
Bei der Entnahme des Gehirnes konnte dieses nicht in seiner
Kontinuität erhalten werden, die Hypophysengegend wurde teilweise
zerstört. Das übrige Gehirn war in seinem Baue normal.
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Rahel P i 1 p e 1.
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Der Keilbeinkörper mitsamt den Weichteilen und dem entsprechenden
Stücke des Pharynxdaches wurde zum Zwecke der mikroskopischen
Untersuchung in Alkohol fixiert. Die aus dem Loche an der Schädelbasis
herausgeschälten Weichteile wurden in Zelloidin eingebettet und in den
verschiedenen Richtungen geschnitten. Die Färbung erfolgte in Delafillds
Hämatoxylineosin. Die histologische Untersuchung ergab folgendes
(s. Abbildung).
Weich teile des Canalis cranio-pharyngeus am medianen Längsschnitt.
B Boden des Canalis cr.-phar., D Drüsen des Pharynxdaches, E unteres
Ende der Adenophpophyse, Ep Epithel des Pharynxdaches, F Fett¬
gewebe, G Gehirnstückchen, Gr Gerinnsel von Leukozyten durchsetzt.
H Hinterlappen ?, Uh Hirnhäute, K und K l Kontinuitätstrennung
durch die Operation gesetzt , P Periost, VI Vorderlappen der Hypophyse.
(Fast 5fache Vergrößerung.)
Den größeren Teil des Knochendefektes nimmt ein Hohlgebilde
ein, in dem verhältnismäßig spärliche Fetzen von Hirnhäuten mit größeren
Gefäßen, die sämtlich eitrig infiltriert erscheinen (HL) sowie Stückchen
von Hirnsubstanz (G) liegen. Periost (P) und Hirnhäute scheinen die
Begrenzung dieser Höhle nach rückwärts zu bilden, während die vordere
Wand von der wie zusammengedrückt erscheinenden Hypophyse (VI)
gebildet wird. Nach unten (rachenwärts) ist der Knochendefekt durch
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Persistenz des Canalis cranio-pharyngeus.
799
eine derbe, bindegewebige Haut ( B) abgeschlossen, die ohne scharfe
Grenze in die Schleimhaut des Rachendaches, in der auch Drüsen ( D )
und Fettgewebsläppchen ( F) nachgewiesen sind, übergeht und seitwärts
und nach oben ihre Fortsetzung in das Periost findet. Welche Beziehung
diese die Höhle rachenwärts abschließende Bindegewebsplatte zu den
Gehirnhäuten eingenommen hat, kann man — da das Präparat bei der
Herausnahme eine teilweise Zerstörung erlitt — nicht feststellen. Auch
sie Zeigt herdweise zum Teil diffuse Infiltrierungen, die Gefäße und
Spalten sind reichlich mit Eiterzellen erfüllt. An der oberen Fläche dieser
Platte liegen mächtige Balken von außerordentlich stark von Eiterzellen
durchsetztem Gerinnsel. Aus demselben Grunde ist auch die hintere
und seitliche Begrenzung des Keilbeindefektes nicht klar zu erkennen.
An einzelnen Stellen der hinteren Zirkumferenz (in der Gegend von P)
scheint bindegewebige und nervöse Substanz gemengt vorhanden zu sein.
Besonderes Interesse erfordert die vordere Wand der Höhle, die
von Periost (P) und der darauf liegenden Hypophyse (Fl und H) gebildet
wird. Von der Hypophyse ist vor allem der Vorderlappen zu erkennen,
der wie angepreßt an die vordere Wand erscheint. Sein Durchmesser
von vorn nach hinten gemessen beträgt 1*/« mm. Von oben nach unten
kann er nicht gemessen werden, nachdem das obere Ende abgerissen ist,
während nach unten zu die Hypophyse ohne scharfe Grenze in die
Rachenschleimhaut übergeht. Das auf dem Schnitte vorhandene Stück
mißt in der genannten Richtung, so weit sich die Hypophyse kompakt
begrenzt, 9 mm.
Hinsichtlich des feineren Baues dieses Vorderlappens kann fol¬
gendes erhoben werden: Vom derben Periost, welches eine mäßige Zell¬
vermehrung — vorzüglich durch lymphoide Zellen — zeigt, ist er scharf
abgegrenzt. Die Drüsenzellen zeigen eine Anordnung in Strängen und
Haufen, zwischen welchen eng anliegende Gefäße zu sehen sind, so daß
das normale Bild des Vorderlappens ziemlich gut wiederzuerkennen ist.
Die Gefäße klaffen teilweise und sind dann mit Blut gefüllt. Die Drüsen¬
zellen sind teils oxyphile, teils chromophobe, basophile können nicht
festgestellt werden. Im allgemeinen Überwegen die oxyphilen Zellen,
besonders sind sie nach oben zu stark vertreten. Es wäre noch zu erwähnen,
daß einerseits bezüglich der Kerne bedeutende Größenunterschiede zu
erkennen sind, andrerseits, daß die kleineren Kerne stellenweise pyknotisch
erscheinen, wie solche Befunde auch an normalen Hypophysen erhoben
werden können. Neben den beschriebenen Zellen sind auch allenthalten
Lymphozyten in mäßiger Zahl zu sehen.
Das obere Ende der Hypophyse ist wie erwähnt weggeschnitten.
Die nach hinten gegen das Lumen der beschriebenen Höhle zeigende
Fläche ist im oberen, größeren Teil scharf abgesetzt und zeigt daselbst
größere Haufen eitrig infiltrierten Gewebes und von Eiterzellcn durch¬
setzte Gerinnsel. Der untere Teil dieser hinteren Fläche geht in ein Binde¬
gewebe ( H) über, in dem sich anfänglich noch einzelne Drüsenstränge
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Rahel P i 1 p e 1.
800
verlieren. Weiter nach rückwärts erscheint dieser bindegewebige Anhang
der Hypophyse reichlich von Eiterzellen infiltriert und endet in den früher
erwähnten eitrigen Gerinnseln und Gewebsmassen. Nach unten gegen
die Rachenschleimhaut zu setzt sich das Drüsengewebe lockerer werdend,
ohne scharfe Grenze fort. Man sieht da zunächst noch Zellstränge und
Haufen, durch reichliches Bindegewebe voneinander getrennt, die immer
kleiner werdend, zuletzt nur noch als einzelne oder ganz kleine Gruppen
sicherer Drüsenzellen in lockerer Verteilung weit, bis fast in die Rachen¬
schleimhaut hinein zu finden sind.
Auffallend ist noch, daß von diesem unteren Rand des Vorder¬
lappens (bei E) ein schmaler Strang von Drüsenzellen nach vom in das
periostale Bindegewebe eine Strecke weit hinauf verfolgt werden kann.
Die Schleimhaut ist in den peripheren Partien des Präparates von einem
mehrreihigen flimmernden Zylinderepithel besetzt und weist auch reichlich
Wanderzellen auf. Die mittleren Partien der Oberfläche erscheinen zum
Teil frei von Epithel [K), zum Teil mit geschichtetem Plattenepithel {Ej>)
überzogen, das eine papillentragende Schleimhaut bedeckt. Die eptihellosen
Partien sind begrenzt, zum größten Teil stark zellig infiltriert und teil¬
weise von nekrotischen Gewebsfetzen und Gerinnsel bedeckt.
Typisch adenoides Gewebe der Schleimhaut ist im größten Teil
nicht aufzufinden, nur ganz peripher ist das Schleimhautepithel von
Lymphozyten durchsetzt. Auch Drüsen und Fettgewebsläppchen
(Dr und F) sind zu sehen.
Gegen den vorderen Rand zu sieht man im Bereich einer epithellosen
Schleimhautpartie eine Kontinuitätstrennung ( K ), nach oben (K 1 ) ins
Gewebe verfolgbar und von einer reichlich von Eiterzellen durchsetzten
Gerinnselmasse erfüllt. Sie setzt sich durch das ganze Gewebe hindurch
fort, welches den Boden des Canalis cr.-phar. bildet und stellt auf diese
Weise dessen Kommunikation mit der Rachenhöhle dar. In der Um¬
gebung dieser Kontinutitätstrennung erscheint das Gewebe besonders
stark zellig infiltriert, gegen die Schleimhautoberfläche zu stellenweise
nekrotisch.
Aus dem osteologischen sowie aus dem histologischen Befund
ergibt sich nun wohl mit Sicherheit, daß der die Sella turcica ersetzende
Defekt im Keilbeinkörper als Canalis cr.-phar. von gewaltiger Größe
bezeichnet werden darf, denn als ein wichtiger Bestand seines Inhaltes
wurde die bis in die Rachenschleimhaut sich fortsetzende Hypophyse
nachgewiesen. Doch nimmt die Hypophyse selbst nur einen kleinen Teil
des Canalis cr.-phar. ein, während den Hauptanteil am Inhalt der zystische
Hohlraum hat, der nach der oben gegebenen Beschreibung wohl als
Kephalokele zu bezeichnen ist (eine sichere Entscheidung ist jedoch
infolge der durch die Präparation geschaffenen ungünstigen Verhältnisse
nicht zu treffen).
Damit schließt unser Fall an die Befunde Erdheim-Haber¬
feld und E x n e r s an. Hinsichtlich der Hypophyse ist zu betonen,
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Persistenz des Canalis oranio-pharyngeus.
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daß nur ein Vorderlappen nachgewiesen werden konnte, von einem
Zwischenlappen war keine Spur zu finden. Die von der hinteren Fläche
der Hypophyse sich fortsetzende Bindegewebsmasse (in der Abbildung
mit H bezeichnet) konnte histologisch nicht als Hinterlappen identifiziert
werden. Mit dem Nichtvorhandensein des Hinterlappens stimmt auch
das Fehlen eines Zwischenlappens überein, wie aus Befunden von M a u k s c h
hervorgeht. Ob, wie P r i e s e 1 bei seinem Fall beschreibt, höher oben
ein Hinterlappen, der mit der Adenohypophyse nicht in Berührung kam,
vorhanden war, konnte nicht entschieden werden, da diese Partien:
Infundibulum usw. bei der Entnahme des Präparates zerstört wurden.
Demnach können wohl bezüglich der die Mißbildung bedingenden
Ursachen aus obigen Befunden keine sicheren Schlüsse gezogen werden.
Es liegt aber, ähnlich wie bei den Befunden E x n e r s, nahe, auch hier
die abnormale Lagerung der Hypophyse als das Primäre und die
Kephalokele als das Sekundäre, durch den intrakraniellen Druck bedingte,
anzusehen.
Hinsichtlich der ärztlichen Praxis läßt sich hinzufügen, daß, wenn
auch Fälle wie der beschriebene zu den größten Seltenheiten gehören
dürften, sie doch zu äußerster Vorsicht bei der Feststellung und Operation
der adenoiden Wucherungen mahnen. Ob es sich in unserem Falle tatsäch¬
lich um adenoide Vegetationen handelte, die eine Operation erheischten,
ist höchst zweifelhaft, da bei der histologischen Untersuchung der Rachen¬
schleimhaut kaum eine Spur von adenoiden Wucherungen nach gewiesen
wurde. Andrerseits muß bezweifelt werden, daß bei der Operation die
so vollständige Entfernung eventuell vorhanden gewesener Wucherungen
gelungen ist.
Wir können vielmehr annehmen, daß die sich bis in die Rachen¬
schleimhaut fortsetzende Hypophyse an der Stelle das Rachendach
vorgewölbt hat, wodurch sie dem Auge und dem tastenden Finger den
Eindruck von „Wucherungen“ machen konnte und auch Anlaß zu dem
Schnarchen des Kindes und den anderen klinischen Symptomen von
adenoiden Vegetationen gab. Ob eine Pulsation vorhanden war, läßt
sich nur vermuten.
Der Eingriff nun, der den vermeintlichen adenoiden Wucherungen
galt, hatte die Eröffnung der oben beschriebenen • Zyste zur Folge, die
den großen Teil des Canalis cr.-phar. ausfüllte; die unmittelbare Folge
der Eröffnung war die Infektion mit den Mundbakterien und die eitrige
Gehirnhautentzündung.
Ein solcher Fall mahnt zur Vorsicht und es wird von Nutzen sein,
insbesondere bei gleichzeitig bestehender anderweitiger Anomalie des
Kopfes (die Hasenscharte in unserem Falle) vor einem operativen Eingriff
an die Möglichkeit einer Rachendachhypophyse und eines Canalis cr.-phar.
zu denken.
An dieser Stelle will ich mir erlauben, dem Assistenten des histo¬
logischen Institutes der Universität in Wien, Herrn Dr. Josef L e h n e r
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Hermann M a r s c h i k.
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meinen herzlichsten Dank für seine Liebenswürdigkeit auszusprechen,
mit der er mich bei der Herstellung der histologischen Präparate sowie
bei der Untersuchung und Deutung derselben mit seinen fachmännichen
Kenntnissen unterstützt hat.
Literatur. Stendal: Die Hypophysis cerebri in Oppels Lehrbuch
der vergleichenden mikroskop. Anatomie der Wirbeltiere. VIIL Teil, 1914. —
Haberfeld: Zur Pathologie des Canalis er. phar. Frankfurter Zschr. f. Path.
Bd. 4, 1910. — Priesel A.: Ein Fall von hypophysärem Zwergwuchs. Zieglers
Beiträge Bd. 67, S. 220. — Mauksch H.: Das Verhalten der Hypophyse und
des Canalis er. phar. in neun Fällen von Kranioschisis. Anat. Anzeiger Bd. 54,
S. 248/264, 1921. — Citeili: L’Hypophyse pharyngee dang la premifcre et la
deuxi^me enfanec. leg rapports avec la muqueuse pharyngee et hypophyse central.
Annales des maladies de Poreille et du larynx Tome XXVI, Nr. 11. — Poppi:
L*ipcfisi cerebrale, faryngea e la glandola pineale in Patologia. Bologna. Tip.
Paoli Neri 1911, S. XII, 214. — Chris telli: Die Rachendachhypophyee des
Menschen unter normalen und pathologischen Verhältnissen. Inaug.-Dissertation
1914, Berlin. — Schultz (Zürich): Der Canalis cranio-phar. persistens beim
Menschen und Affen. Gegenbaurs morphol. Jahrb., Bd. 50, S. 417, 1917. *—
Lunghettini: 1915: Dimenstrazione di preparati dipofisi faringea. Atti della
R. Accademia dei fisiocritici N. 7. Siena.
Aus der laryngologischen Abteilung der Allgemeinen Poliklinik
in Wien.
Neue Kanülen.
Von
Professor Dr. Hermann Marschlk.
(Mit 4 Figuren.)
1. Dilatationskanüle für die Totalexstirpation.
Bei der Totalexstirpation des Kehlkopfs kommt es leider sehr
häufig zur Dehiszenz der Trachealplastik, die dann per secundam
wieder heilen muß. Die Folge ist ein Ring von Granulationsgewebe
mit nachfolgender Narbenstriktur und das ideale Ziel der Gluck-
schen Operation — die Entbehrlichkeit der Kanüle — wird unerreichbar,
die Kanüle muß dauernd getragen werden. In den verschiedenen
Arbeiten Glucks über die Technik seiner Methode sind einzelne,
allerdings nicht sehr ausführliche Angaben enthalten, wie die Tracheal-
naht gesichert werden kann. Ich habe an verschiedenen Stellen über
die an der Klinik Chiari eingeführte und auch heute von mir
angewendete Methodik dieser Sicherung berichtet. Sie besteht im
wesentlichen in der Anlage von drei Situationsnähten zwischen
Trachealvorder- und -seitenwand einerseits und Subkntis und Faszie
der das Tracheostoma umsäumenden Hautlefzen andererseits, hei
tiefliegender Trachea and za gewärtigender starker Spannung
außerdem noch je eine Bi rch er sehe Naht an die Sternalansätze der
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Neue Kanülen.
803
Sternokleido, ferner in der Herstellung einer hinreichend breiten
Manschette weicher Trachealwand vermittelst subperichondraler Resek¬
tion des obersten Knorpelringes (Koschier), worüber ich in einer
früheren Arbeit schon gesprochen habe. In letzter Zeit sind weitere
Vorschläge zu diesem Thema von Hajek (Verhandlungen d. Ges.
deutsch. Hals-, Nasen- und Ohrenärzte 1921) Hirsch (Mschr. f.
Ohrenhlk. 1921) und Hofer (Mschr. f. Ohrenhlk. 1920) erschienen.
Die Erreichung eines dauernd weit und atemfähig bleibenden Tracheo¬
stomas ist jedenfalls häufig unmöglich, so daß viele Chirurgen von
vornherein darauf verzichten, was gerade auch nicht das Richtige
ist. Abgesehen davon, daß die dauernd getragene Kanüle in der
Trachea Dekubitus, Perichondritis, Fremdkörperwucherungen machen
kann, wie 1921 Ko fl er einen sehr instruktiven Fall in der Wiener
laryngo-rhinologischen Gesellelschaft vorgestellt hat, überhaupt die
Trachealschleimhaut mit der Zeit im Sinne der äußeren Haut verändert,
zum Schwund der Drüsen führt, stört sie anch durch das vordringende
metallische Atemgeräusch bei der Betätigung der Pharynxstimme.
Nur die wenigstens lernen nämlich wirklich die ideale Pharynx-
stimme nach Gutzmann mit völliger Ausschaltung jeder Atmung,
gewöhnlich ist jede ösophageale Luftausstoßung mit einem unwill¬
kürlichen Exspirationsstoß aus den Luftwegen verbunden. Meines
Erachtens nach ist aber diese Art der Pharynxstimme sogar die bessere
Form, weil Bie viel eher einer Modulation der Tonhöhe fähig ist, als die
reine, mehr „passive“ ösophagusstimme Gutzmanns, wo die Luft
wie aus einer unbelebten Maschine gleichmäßig ausströmt. Ich erinnere
mich aus den Tagen des HI. intern. Laryngologenkongresses in
Berlin 1911, als Gluck und Sörensen uns eine größere
Reihe von ihren geheilten Kehlkopfexstirpierten vorführten, daß
einige, die wirklich eine ideale Gutzmann sehe Pharynxstimme
hatten, mir durch den eigenartigen, traurig toten, modulationsarmen
Klang ihrer Stimme auffielen.
Nun ist aber auch die Verwirklichung des Ideales, d. h. eines
Tracheostomas von der Weite der normalen Trachealrichtung, wenn
es also zn einer vollkommenen Primaheilung kommt, für den Patienten
weder nötig noch erwünscht. Wir ersehen an dem Bau des normalen
Kehlkopfs, daß eine relative Verengerung am Ausgang der Luft¬
wege das Natürliche und auch der gleichkalibrigen Öffnung überlegen
ist, vor allem wird dadurch die Expektoration erleichtert, da der
Bronchialinhalt nach dem Gesetz der in Röhren strömenden Medien
durch die Verengerung mit viel größerer Gewalt und Geschwindigkeit
hinausgetrieben wird. Wenn es daher im weiteren Verlauf nach der
Trachealplastik wieder zu einer mäßigen Verengerung auf Glottis¬
kaliber oder noch etwas weniger kommt, so kann uns das für den
Patienten nur erwünscht sein. Die Kanüle bleibt auch da entbehrlich.
Leider aber ist die strikturierende Tendenz des narbigen Ringes am
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804
Hermann Marechik.
Tracheostoma meist so stark, daß es zum völligen Verschluß kommen
würde, wenn der Patient nicht die Kanüle trüge. Wenn es nun aber
gelingt, durch progressive Dilatation den Narbenring bis auf das
Kaliber der normalen Trachea zu dehnen, dann ist, wenn das Tracheo¬
stoma längere Zeit in gedehnten Zustand gehalten wird, zu hoffen,
daß nach Weglassen der Kanüle es sich nunmehr so weit wieder
kontrahieren werde, als dem Lumen einer Kanüle Nr. 4 oder 5
entspricht. Durch Verwendung einer konischen Kanüle, welche
infolge des Nachgebens der Narbe immer mehr und mehr in die
Trachea eindringt, ist die ununterbrochene Dilatation möglich, welche
eben dadurch auch wieder auf die beste und richtigste Art ausgeübt
werden kann, nämlich zart und ununterbrochen. Eine solche
konische Kanüle besitzen wir bereits in der Gersuny sehen.
Jedoch ist sie für unsere Zwecke nicht brauchbar: Sie ist zu stark
gekrümmt, gegenüber dem fast geradlinigen Verlauf der bei der
Totalexstirpation eingenähten Trachea. Sie ist sowohl am inneren
als am äußeren Ende zu schmal, da sie hauptsächlich für Stenosen
bei Kindern konstruiert ist. Endlich hat sie den Nachteil, daß ihre
innere Kanüle gleich der äußeren konisch ist, also die äußere
Mündung bedeutend größer als die innere. Dies bedingt, daß nach
dem obigen Gesetz die Expektoration immer mangelhaft und erschwert
ist, denn der Schleim bleibt in der immer weiter werdenden inneren
Kanüle beim Aushusten liegen, da die Strömungsgeschwindigkeit
sich vermindert, wenn das Medium aus dem engeren ins weitere
Kaliber fließt, ein Umstand, der auch bei den tiefen Stenosen der
Luftröhre für die Expektoration von schwerwiegender Bedeutung ist.
B’ig. 1. Fig. 2.
Fig. 3.
Die von mir angegebene konische Dilatationskanüle vermeidet
all diese Nachteile. Sie hat eine sehr schwache Krümmung, das
Kaliber der inneren Öffnung entspricht ungefähr Nr. 4/5 der ge¬
wöhnlichen Kanülen, das der äußeren ungefähr der Traeheallichtung
eines großen erwachsenen Mannes. Wesentlich unterscheidet sie sich
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Neue Kanülen.
805
aber dadurch, daß die innere Kanüle gleichkalibrig, also nicht
konisch ist, natürlich vom Kaliber der engeren inneren Öffnung
(Fig. 1). Damit füllt die Erschwerung der Expektoration fort, für
den Patienten bedeutet die Kanüle nicht mehr und nicht weniger
als eine gewöhnliche Kanüle Nr. 4 oder Nr. 5, obwohl zugleich die
Trachea kontinuierlich damit dilatiert wird. Diese Dilatation ist so
gedacht, daß die Kanüle mit sanftem Druck in das Tracheostoma
eingeführt, der Raum zwischen äußerem Schild und Haut entsprechend
stark unterpolstert wird. In dem Maße, als der Narbenring mehr
und mehr nachgibt, tritt die Kanüle mehr und mehr in die Trachea
ein und wird die Polsterung verringert. Wie jede progressive Dila¬
tation bei Narbenstenosen muß auch diese mit äußerster Geduld
und Vorsicht geschehen. Die Polsterung verhindert eine zu energische
Dehnung.
2. Entwöhnungskanüle für relative Stenosen.
In einer anderen Publikation habe ich über das Problem der
relativen Stenosen gesprochen, sowie über die Schwierigkeiten und
Gefahren, die jeder Tracheotomie anhaften und die in neuerer Zeit
zur Wiederaufnahme der Versuche führten, durch Tracheostomie, i. e.
Anlegung einer ohne Kanüle offenbleibenden überhäuteten Fistel
jene entbehrlich zu machen. Die technische Frage ist nun allerdings
derzeit noch durchaus nicht als gelöst zu betrachten und es bleibt
daher noch immer die gewöhnliche Tracheotomie mit der dauernd
getragenen Kanüle der einfachste, auch dem praktischen Arzt
zugängliche Weg. Nur gibt es eine Reihe von relativen Stenosen—
und die doppelseitige Postikuslähmung ist eine der häufigsten dieser
Art —, die sich an die Einengung des Atemquerschnittes soweit ge¬
wöhnt haben, daß sie die Kanüle untertags vollkommen entbehren
und nur des Nachts zufolge der während des Schlafes bestehenden,
erhöhten Atemtätigkeit, aber auch wegen des die Umgebung störenden,
unerträglich lauten inspiratorischen Geräusches, des „Stimmband-
schnarchens“ ihrer bedürfen. Atmung, Phonation und Expektoration
wäre bei solchen Patienten am Tag nach oben ganz frei. Sie werden
aber bis zu einem gewißen Grad durch die lange, mehr weniger tief
in die Trachea hinabreichende Kanüle behindert, von den Unannehm¬
lichkeiten abgesehen, die eine Kanüle sonst mit sich bringt (siehe
sub 1). Es sind daher schon seit langem für diese Fälle als Ersatz
der gewöhnlichen Kanülen Atrappen konstruiert worden, sogenannte
Entwöhnungkanülen, bei denen der in das Trachealinnere reichende
Teil möglichst klein gealten ist. Die Erfahrung zeigt nun aber, daß
das Gewebe um solche kleine Fortsätze gern infolge des Horror
vaoui naturae reaktive Wälle, Granulatiouswucherungen usw. bildet,
die einerseits neuerdings Reizerscheinungen machen (und zur Wieder¬
einführung der gewöhnlichen, zufolge des allseitig glatten Rohres
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Hermann Marschik. Neue Kanülen.
diese Erscheinungen vermeidenden Kanüle zwingen), andrerseits
die Entwöhnungskanüle nach und nach aus der Fistel herausdrängen.
Auch sonst kommt es wegen des innen nur wenig vorstehenden
Kanülenrand bei den Bewegungen des Halses, beim Husten
usw. leicht zum Herausgleiten desselben vor den inneren Rand der
Fistel, der sich dann wie ein elastischer Ring sofort dahinter schließt
und die Wiedereinführung verhindert. Die Befestigung der Kauüle
mit einem straff angezogenen Bändchen und dergleichen kann diese
Übelstände nicht beseitigen, nur die Befestigung an Ort und Stelle.
Fig. 4.
Ich habe dies nun durch Anbringung einer leichten, ringförmigen
Anschwellung an der äußeren Kanüle zu erreichen gesucht. Diese
Anschwellung kommt gerade in den Fistelkanal zu liegen und führt
infolge der strikturierenden Elastizität des Kanales zur Ausbildung
einer korrespondierenden Rinne (das Gewebe wächst um sie herum),
welche die Kanüle elastisch aber sicher auch bei allen Bewegungen an
derselben Stelle festhält. Der in die Trachea hineinragende Teil der
Kanüle ist bis auf einen schmalen, zungenförmigen Fortsatz der
unteren Wand, der zugleich als Induktor dient, reduziert. Die ganze
Kanüle ist nur so lang, daß sie, vollständig eingefübrt, mit ihrem
inneren Ende den inneren Rand der Tracheotomiefistel eben noch
etwas überragt. Dazu gehört eine innere Kanüle von derselben Form
und Größe, deren innere Lichtung durch eine ihrer Form sich
anpassende Platte verschlossen ist. Dadurch ist vermieden, daß bei
Expektoration der Schleim in der Kanüle liegen bleibt. Der äußere
bewegliche Ring ist, um dem Wäschekragen nicht hinderlich zu sein,
möglichst niedrig gehalten. Damit ist einerseits die Kontinuität und
Dichtigkeit des Trachealrohrs wieder vollständig hergestellt, ohne
Beeinträchtigung der inneren Lichtung, andrerseits der Patient
jederzeit in der Lage, das Luftrohr wie bei der gewöhnlichen Tracheo-
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Oscar Beck. Behandlung breiter Synechien der Nase.
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tomie za öffaen. Die Anfertigung einer solchen Kanüle, deren Dimen¬
sionen aaf Millimeter genaa der Form and Länge des Fistelkanals und
seiner inneren Öffnung sich anpassen, ist natürlich erst möglich
und gestattet, wenn diese Form sich nicht mehr ändert, wenn also
alle Schwellungen, Enzündungen, Granulationswucherungen usw. ver¬
schwunden sind und ein vollständig überhäuteter, vernarbter Fistel¬
kanal sich ausgebildet hat, was in der Kegel erst nach Ablauf von
einem Jahr nach der Tracheotomie zustande kommt.
Aus der Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrank¬
heiten (Vorstand: Professor Dr. H. N e u m a n n).
Über die Behandlung breiter Synechien der Nase.
Von
Dozent Dr. Oscar Beck, Assistent der Klinik.
Ein verschwindend kleiner Teil von Synechien im Innern der
Nase sind angeboren (Z u c k e r k a n d 1). Die überwiegende Mehr¬
zahl von strangartigen oder flächenhaften Verwachsungen sind die
Folge ausgeheilter Ulzerationen oder sie stellen einen Folgezustand
von operativen Eingriffen im Naseninnern dar. Die vorderen Synechien
nahe dem Naseneingang sind in der Regel durch bindegewebige
Schrumpfungen bedingt, und zwar nach ulzerösen Prozessen im
Anschluß an Lupus, Syphilis, seltener Rhinosklerom; auch eine Peri-
chondritis oder Periostitis des Nasenskelettes kann in vereinzelten
Fällen mit der Bildung vorderer Synechien abheilen.
Die überwiegende Mehrzahl der mittleren Synechien repräsentiert
sich als mehr oder minder breite Verwachsung zwischen der Nasen-
scheidewand und der unteren oder mittleren Muschel. Sie entsteht
dadurch, daß zwei ihres Epithels beraubte Schleimhautpartien mit¬
einander in Berührung kommen und längere Zeit in Berührung
bleiben. Die Ursache sind meist Entzündungsvorgänge und reaktive
Schwellungen; daher kommt der Kaustik eine ganz besondere Be¬
deutung in der Ätiologie der mittleren Synechien zu. Denn trotz
der größten Vorsicht und trotz genauester Kokainisierung bzw.
Adrenalisierung im Operationsgebiet ist die Verletzung gegenüber¬
liegender Stellen bei der Galvanokaustik zuweilen unvermeidlich.
Die Bildung solcher Synechien hat die kaustische Behandlung derart
in Mißkredit gebracht, daß sie von manchen Rhinologen prinzipiell
gemieden wird.
Eine Indikation zur operativen Behandlung von Synechien ist
nur dann gegeben, wenn durch dieselben Beschwerden, vor allem
eine verminderte Luftdurchgängigkeit der Nase bewirkt wird.
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808
Oscar Beck.
Die schonendste Methode ist die Elektrolyse, die an die Geduld
des Arztes and des Kranken gleich große Ansprüche stellt. Sie wird
aber nur bei verhältnismäßig kleinen Verwachsungen zum Ziele
führen. Nicht minder mühevoll und langwierig ist die Nachbehandlung
von Synechien nach Durchschneidung mit dem Konchotom oder
einer Nasenschere, eventuell nach Durchtrennung mit der Spitz¬
säge nach Beckmann. Hat man durch regelmäßige Abkokaini-
sierung und Einlegen von gefetteten Gazen die Wiederverwachsung
der durchtrennten Stellen durch einige Zeit hintangehalten, so treten
doch häufig schon nach kurzem AuBsetzen der isolierenden Einlagen
neue Verklebungen bzw. neue Verwachsungen im durchtrennten
Gebiete auf, die den bisher erreichten Erfolg vernichten. Bei breiteren
Synechien wurde auch die Entfernung eines Teiles der verwachsenen
Muschel empfohlen, ferner Einlagen von Hartgummiplättchen nach
Ö r t e 1. Alle diese und noch andere Methoden, deren relativ große
Anzahl schon dafür spricht, daß keine einzige in ihrem Erfolg ver¬
läßlich ist, sind aber nur dann anwendbar, wenn die Verwachsung
sich in jenen Grenzen hält, wie wir sie — wenn ich so sagen darf —
in der Friedensnase gesehen haben. Während des Krieges und auch
jetzt, wo viele Kriegsbeschädigte Heilung suchen, kommen Synechien
zur Beobachtung, wie sie im Frieden in solcher Ausdehnung kaum
gesehen wurden. Meist sind es fiächenhafte Verwachsungen des zu¬
weilen zertrümmerten Septums mit mehr oder minder großen Partien
der lateralen Nasenwand. Diese Art von Synechien ist derart zustande
gekommen, daß ein größeres Sprengstück am Nasenrücken ein¬
gedrungen, entweder in der Nase stecken blieb und später entfernt
wurde, oder daß das Sprengstück durch die Nase seinen Weg nach
außen genommen hat. Da die Nachbehandlung häufig nicht von
Spezialisten vorgenommen wurde, sind solche breite Synechien die
Folge derartiger Verletzungen, bei denen zuweilen Eiterungen der
Nebenhöhlen als Folgezustand gefunden werden. Durchschüsse von
Gewehr- oder Schrapnellkugeln haben ebenfalls ausgedehnte
Synechien zur Folge. Eine der vorher genannten Methoden bei
solchen breiten Adhäsionen anzuwenden, schien von vornherein nicht
Behr aussichtsvoll, wovon sich jeder Rhinologe wohl des öfteren
überzeugt hat. Deshalb habe ich über Anregung und nach dem Vor¬
schlag von Professor N e u m a n n vor sieben Jahren im Garnisons¬
spital Nr. 1 breite Synechien in folgender Weise operiert, die
sich seit langer Zeit bestens bewährt hat: Zuerst wurde eine
breite und ausgiebige submuköse Septumresektion ausgeführt,
wobei darauf Bedacht genommen wurde, daß an der der Synechie
entsprechenden Stelle der Knorpel bzw. der Knochen in breitem
Umfang abgetragen wurde. Nach beendeter Septumresektion wurden
die Adhäsionen mit einer Nasenschere oder einem Skalpell durch¬
trennt und hernach zwischen lateraler Nasenwand und dem nun
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Behandlung breiter Synechien der Käse. 809
gut verbiegbaren Septum genügend gefettete Gaze eintamponiert. Da
durch die Entfernung von Knorpel und Knochen das Septum sich
gut zur Seite drangen laßt, ist genügend Platz für die Tamponade
und eine entsprechend weite Distanz zwischen den beiden früher
verwachsenen Flachen geschaffen.
Sind in der Nase die Synechien auf beiden Seiten, so werden
erst auf der Seite der breiteren Verwachsung die Synechien gelöst
und nach definitiver Heilung dieser Seite die Synechien der anderen
Seite mit Schere oder Skalpell durchtrennt und bei der darauf¬
folgenden Tamponade das Septum nach der bereits geheilten Seite
abgedrängt. Es entspricht dieses Verfahren im Prinzip jenem, das
von v. Eiken zur Behandlung von Choanalatresien angegeben wurde,
v. Eiken entfernt bei der Septumresektion ein großes Stück der
Lamina perpendicularis und den ganzen Vomer. Hernach wird die
den knöchernen Choanalabschluß bedeckende Schleimhaut abpräpariert
und der darunter liegende Knochen, der die Choanalatresie bildet,
abgemeißelt; daraus resultiert eine häutige Synechie, welche mit
einem Konchotom in entsprechender Größe durcntrennt wird, so daß
man von vorn einen breiten Einblick in den Nasen-Rachenraum
gewinnt. Die Nachbehandlung erfolgt durch Einlagen von mit Fett
bestrichenen Gazetampons. Nach der früher skizzierten Methode habe
ich im ganzen acht Fälle operiert, von denen drei doppelseitige
Synechien aufwiesen. Bei fünf Fällen war der Erfolg ein vollständiger.
Bei den wegen doppelseitiger Synechien Operierten hatte sich bei
einem Fall auf der Seite der größeren Verwachsungen neuerlich
eine allerdings nur schmale Verwachsung zwischen der mittleren
Muschel und dem Septum gebildet. Die Ursache war darin gelegen,
daß ich offenbar zu früh an die Operation der zweiten Seite ge¬
schritten bin und die zuerst operierte noch nicht vollständig aus¬
geheilt war. Bei zwei Fällen (ein Fall mit einseitiger Synechie und
einer mit doppelseitiger) heilten mit einer Perforation des Septums.
Bei dem Kranken mit doppelseitiger Verwachsung perBistierte die
Perforation in der Höhe der mittleren Muschel, die mit der Lamina
perpendicularis flächenhaft verwachsen war. Bei einem Fall mit
einseitiger Verwachsung bestand rechts eine breite Synechie entlang
der unteren Muschel, links eine Btark ausladende Krista im hinteren
Anteil. Da die Krankengeschichten der nach dieser Methode operierten
Fälle nichts besonderes bieten, wird von deren Wiedergabe Abstand
genommen.
Bei der Durchsicht der Literatur fand ich eine Arbeit von*
Kahler und Amersbach, aus der hervorgeht, daß diese beiden
Autoren bei breiten Verwachsungen in analoger Weise operiert
haben: „Sehr häufig waren wir genötigt, zur dauernden Beseitigung
der Verwachsungen, die sich mit Vorliebe zwischen ja meist in
geringerem oder stärkerem Maß bestehenden Kristen des Septums
Monatsschrift f. Ohrenhsilk. m. Lar.-Rhin. 66. Jahrg, 58
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Hans Brunner.
and den anliegenden Muschelabschnitten zu bilden pflegen, die snb-
muköse Septumresektion als einleitende Operation oder nach Durch-
trennung der Synechien vorzunehmen. Es geschah dies unter 25 Fallen
von Synechie neunmal".
Die submuköBe Septumresektion erst nach Durchtrennnng der
Synechien auszufahren erscheint weniger vorteilhaft, weil dadurch
die Bildung einer Perforation leichter zustande kommt und die durch
die Durchschneidung der Synechie entstehende Blutung die Aus-
fbhrung der Septumresektion unnötig stört.
Aus der Ohrenabteilung der Allgemeinen Poliklinik in Wien
(Vorstand: Prof. Dr. G. Alexander).
Über einen Fall von Pagetscher Krankheit 1 )*
Von Dr. Haas Brunner.
(Mit 8 Figuren auf Taf. I bis IV«)
Während die durch die Paget sehe Erkrankung hervorgerufenen
Veränderungen im Skelettsysteme des Menschen seit den grundlegenden
Untersuchungen von Recklinghausens vielfach untersucht worden
sind, hat erst 0. Mayer auf die häufige Beteiligung des Felsenbeines
an dieser Erkrankung hingewiesen. Mayer hat das anatomische
Krankheitsbild an der Hand von 6 eigenen Fällen in ausgezeichneter
Weise entworfen, so daß Nager, welcher später einen derartigen Fall
beschrieben hat, die Angaben von Mayer im wesentlichen bestätigen
konnte. Es sind also im ganzen 7 Fälle von Paget scher Erkrankung
des Felsenbeines bekannt. Von diesen 7 Fällen konnten aber nur 2 klinisch
und anatomisch untersucht werden. Es erscheint daher gerechtfertigt,
dieser spärlichen Kasuistik einen weiteren klinisch und anatomisch unter¬
suchten Fall hinzuzufügen.
Für die Überlassung der Krankengeschichte dieses Falles danke
ich Herrn Doz. Dr. Bauer, für die Überlassung des Präparates Herrn
Prof. Sternberg ganz ergebenst.
P. J., 58 Jahre alt, Geschäftsreisender.
Im Jahre 1912 wurde Patient nach einer Influenza plötzlich schwerhörig.
Seitdem leidet er an Schwindel und Kopfschmerz. Eine Zeit lang häufiges Er¬
brechen. Vor einigen Tagen traten allgemeine Ödeme auf.
1915 war Patient wegen Gallensteine in Karlsbad. Nach Gebrauch der Kur
verschwanden die Ödeme.
Sonst war Patient immer gesund. Familienanamnese belanglos. Keine Nieren¬
erkrankung durchgemaeht. Patient gibt an, daß er beim Gehen taumle, so daß er
den Eindruck eines Betrunkenen mache.
x ) Auszugsweise vorgetrngen auf der IL Jahresversammlung deutscher
Hals-, Nasen-, Ohrenärzte in Wiesbaden 1922.
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Status praesens (11. VII. 1921): Mittelgroß, Muskulatur und Panni-
culus adiposus gut entwickelt. Gesichtsfarbe blaß. Ödeme der Augenlider, der Beine,
des Scrotum und ad sacrum.
Pupillen etwas entrundet. Lichtreaktion erhalten. Hochgradig schwerhörig,
so daß eine Verständigung mit dem Patienten nur schriftlich möglich ist. Über der
Lunge hinten beiderseits von der Spina scapulae nach abwärts gedämpfter Per¬
kussionsschall, respiratorische Verschieblichkeit vermindert.
Cor: Grenzen rechts Sternalrand, nach links, etwas außerhalb der Medio-
klavikularlinie. Systolische Geräusche an der Spitze am stärksten, leiser über der
Basis. II. Aortenton ein wenig akzentuiert. Aszites. Flankendämpfung. Vorbeizeigen
nach links mit der rechten Hand beim Fingernasenversuch. Keine Adiadochokinese.
Taumelnder Gang. Keine Retropulsion. Beim Flankengang nach rechts hat Patient
die Tendenz, nach rückwärts zu gehen. Kein Babinsky.
9. VII.: Oh r bef und: Chronischer Mittelohrkatarrh beiderseits. Labyrinthe
übererregbar. Schon nach 40 bis 50 cm 3 Wassers zirka 1 Minute dauernder Ny
stagmus höchsten Intensitätsgrades und Schwindel.
13. VII.: Im Harn reichlich Albumen. Im Sedimente Leukozyten, vereinzelte
Erythrozyten und Zylinder.
23. VII.: Fingernasen versuch: Links vorbei, rechts gut. Kniehackenversuch
gelingt. Schwindel geringer.
29. VII.: Ohrenbefund: Trommelfelle beiderseits getrübt und retra-
hiert. Links taub, rechts werden ins Ohr geschriene Worte verstanden. Weber
nicht zu prüfen. Weder hohe noch tiefe Töne werden durch Luftleitung perzipiert.
Durch Kopfknochenleitung wird die a 1-Gabel links etwa 3 bis 4", rechts etwa 10 /#
perzipiert. Romberg nicht zu prüfen. Kein spontaner Nystagmus. Nach
3 Spritzen (je 100 cm 3 ) kalten Wassers ins rechte Ohr ganz geringer Nystagmus
nach links (5 bis 6 Schläge). Kein Schwindel. Nach 6 Spritzen kalten Wassers ins
linke Ohr zirka 2 bis 3 Nystagmusschläge nach rechts, kein Schwindel.
Diagnose:Affectio auris internae bei Nephritis, links
in höherem Grade als rechts. Unerregbarkeit der Laby¬
rinthe:
16. VIII.: Diurese 1400 cm*
1. IX.: Keine Diurese.
5. IX.: Ödempunktion am rechten Unterschenkel.
10. IX: Erysipel am rechten Unterschenkel.
24. IX: Große Mattigkeit, hie und da Benommenheit. Erysipel breitet
sich gegen den Oberschenkel aus.
26. IX : Links hinten unten ziemlich kompakte Dämpfung.
14. X: y 2 6 Uhr früh Exitus
Klinische Diagnose: Nephritis, Erysipel.
Obduktion (Prof. Dr. Sternberg): Arteriosclerosis arteriarum coro-
nariarum subsequente myocarditide fibrosa. Hypertrophia excentrica ventriculi
sinistri cordis. Hyperaemia mechanica viscerura. Pneumoma lobularis lobi inferioris
dextri. Oedema extremitatum sup. et inf. Hydrocephalus chronicus. Hyperostosis
diffusa gravis cranii.
Makroskopische Beschreibung der Schläfebeine.
Rechtes Gehörorgan: Äußerer Gehörgang anscheinend
etwas verlängert. Das ganze Ohr erscheint in der Richtung der Längs¬
achse der Pyramide etwas länger als sonst, vornehmlich durch die Ver¬
dickung der Schuppe und des Warzenfortsatzes. Die Dicke der Schuppe
beträgt an ihrem oberen Rande ungefähr 15 mm, sie wird dann gegen
die Basis der mittleren Schädelgrube dünner und ist am dünnsten über
dem Ursprung des Processus zygomaticus, woselbst ihre Dicke ungefähr
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4 mm mißt. Die Dipioe des Knochens ist durch einen von feinen Poren
siebartig durchsetzten Knochen ersetzt. Der Knochen ist relativ blutarm.
Auffallend ist das geringe Gewicht der Schädelknochen (Fig. 1).
Soweit die Schnittfläche reicht, sieht man nur pathologischen,
makroskopische Hohlräume nicht enthaltenden Knochen.
Der Bulbus der Vena jugularis reicht stark nach aufwärts und
hinten bzw. gegen die Trommelhöhle und gegen die Hinterfläche der
Pyramide.
An der E u s t a c h sehen Ohrtrompete, die nur im Querschnitt
unweit des Beginnes der knöchernen Tube erhalten ist, nichts Abnormes.
Innerer Gehörgang imverändert.
Eröffnung des Tegmen: Dasselbe zeigt sich von kleinen, pneumati¬
schen Hohlräumen durchsetzt, hat eine Dicke von 3 mm. Antrum ohne
Veränderungen.
Eröffnung des Scheitels des oberen Bogenganges: Knochen auf¬
fallend weich.
Linkes Ohr: Derselbe Befund wie rechts.
Mikroskopische Untersuchung.
Schläfebeinschuppe: Die Schuppe besteht durchaus aus
Knochen von einem der Spongiosa ähnlichen Aufbau. Nur gegen das Periost
hin findet sich eine kontinuierliche Knochenlamelle, welche jedoch an
einzelnen Stellen von breiten Bindege webssträngen durchbrochen wird,
welche vom Periost in das Knochenmark einstrahlen. Die Knochen-
bälkchen enthalten zahlreiche Knochenzellen, die besonders an den nach
5 c h m o r 1 gefärbten Präparaten mit ihren Fortsätzen deutlich hervor¬
treten. Diese Knochenzellen sind meist vollkommen unregelmäßig an¬
geordnet. Nur selten findet man in den Knochenbälkchen Lamellen¬
bildung und noch seltener typische H a v e r s’sche Systeme. Hingegen
sind die Bälkchen von zahlreichen, vollkommen unregelmäßig ver¬
laufenden Kittlinien durchzogen, welche auf den lebhaften An- und
Abbau hinweisen, der in diesem Knochen stattgefunden hat. Zeichen
dieses lebhaften An- und Abbaues findet man auch an den Rändern
der Bälkchen, die manchmal in Form gerader Linien, häufiger jedoch
mit buchtenförmigen, gegen das Knocheninnere konkaven Einkerbungen
an das Mark angrenzen.
Die Ränder der Knochenbälkchen sind meist mit Osteoblasten¬
säumen besetzt, manchmal findet man aber auch an diesen Stellen osteoide
Säume mit frisch eingelagerten, fortsatzarmen oder fortsatzlosen
Osteozyten. An anderen Stellen wieder haben Osteoklasten Lakunen
in den Knochen gegraben oder es liegen Osteoklasten in unmittelbarer
Nähe eines Knochenbälkchens frei im Marke.
Das Mark ist an allen Stellen ein Fasermark, doch ist es nicht
überall in gleicher Weise zusammengesetzt. An den meisten Stellen bilden
die Bindegewebsfasern ein lockeres Maschennetz, in das spindelförmige
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Bindegewebszellen, „Wanderzellen“ (M a x i m o w) oft in reicher Anzahl
sowie freie Erythrozyten eingelagert sind. Daneben findet man in dem
Marke aber auch Blutgefäße, die mit roten Blutkörperchen prall gefüllt
sind. Weiße Blutkörperchen findet man in den Gefäßen nur selten.
An anderen Stellen treten aber die Bindegewebsfasern viel mehr
in den Vordergrund, während die übrigen Bestandteile des Marks nur
in sehr geringer Menge zu sehen sind. Man findet dann dichte Bindegewebs-
bündel mit den zugehörigen Zellen. Während sich nun die Bindegewebs¬
fasern mit Eosin nur schwach rot färben, nehmen sie manchmal in der
Nähe der Knochenbälkchen eine rosarote Farbe an, in derselben Weise
wie die osteoide Substanz. In der Tat sieht man auch an manchen Stellen
diese rosaroten Bindegewebsfasern mit ihren Zellen direkt in die osteoiden
Säume übergehen. Es handelt sich hier nicht um eine metaplastische
Verknöcherung von Bindegewebe, sondern um Einbeziehung von Binde¬
gewebsfasern in die durch Zelltätigkeit gebildete Knochensubstanz, ein
Vorgang, den auch Schaffer bei der „direkten Knochenbildung“,
wie sie bei der Entwicklung der platten Schägelknochen in der Regel
auftritt, beschreibt. Noch deutlicher ausgebildet ist dieser Vorgang in
der Labyrinthkapsel.
Linkes Ohr.
Labyrinthkapsel undFenstergegend: Der Knochen
ist zum weitaus größten Teile in einen der Spongiosa ähnlichen Knochen
umgewandelt, der im wesentlichen dieselbe Struktur zeigt, wie sie beim
Knochen der Schläfebeinschuppe beschrieben wurde. Die Knochen¬
bälkchen bestehen auch hier größtenteils aus geflechtartigem Knochen,
zum geringeren Teil aus lamellärem Knochen. Typische Haver s’sche
Systeme sind selten. Auch hier sind die Knochenbälkchen von zahlreichen
Kittlinien durchzogen. Dieser neugebildete Knochen dringt an manchen
Stellen bis an das Endost der Labyrintbhohlräume. An diesen Stellen
hat der Knochen dann nicht mehr die spongiöse Struktur, sondern bildet
eine Kompakta, die besonders um die Querschnitte der Bogengänge
oft eine beträchtliche Dicke erreicht. Man sieht dann, wie gleichsam von
diesem kompakten Kerne die Bälkchen der Spongiosa nach allen Seiten
ausstrahlen. Ein besonders umfangreicher Herd von kompakten Knochen
findet sich in dem Raume zwischen dem frontalen Bogengänge und der
Dura der hinteren Schädelgrube.
In Übereinstimmung mit den Befunden von Mayer muß bemerkt
werden, daß auch dieser kompakte Knochen zum größten Teile aus
geflechtartigem, also unreifem Knochen besteht, der auffallend wenige
Zellen enthält. An einzelnen Stellen findet man jedoch auch hier Lamellen¬
bildung und hie und da ist es sogar zur Bildung von Haver s’schen
Systemen gekommen.
Die kleinen Markräume, welche dieser Knochen enthält, bestehen
aus ziemlich dichtem, relativ zellenarmem Bindegewebe und grenzen
sich manchmal gegen den Knochen durch blaue Kittlinien ab.
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Das Mark in den spongiösen Anteilen ist im wesentlichen gleich
gebaut wie in dem Knochen der Schläfebeinschuppe. Es handelt sich hier
also um ein zeilig-fibröses, osteoplastisches Mark, in welchem vor allem
zwei Bestandteile auffallen. Erstlich findet man häufig in dem lockeren
Bindegewebe strotzend gefüllte Blutgefäße, in einzelnen Markräumen
sogar gelbbräunliche Pigmentschollen, offenbar Reste alter Blutungen.
Diese Stauung in den Gefäßen kann man aber auch in den bindegewebigen
Anteilen der Schleimhaut finden, welche die pneumatischen Zellen in
der Nähe der schädelwärts gerichteten Flächen des Felsenbeines aus¬
kleidet; man findet aber diese Stauung auch in den Gefäßen der Dura,
welche die Felsenbeinflächen überzieht. Zweitens fällt auf, daß sich in
den Markräumen häufig statt des lockeren Gewebes ein dichtes, rot ge¬
färbtes Bindegewebe findet, das an einzelnen Stellen einen homogenen
Eindruck macht und einige geblähte Zellen enthält. Es handelt sich hier
um die Bildung von geflechtartigem Knochen im Bindegewebe, wie dies
auch v. E b n e r beschreibt und wie ich dies auch in Fällen von Knochen¬
bildung in alten Hirnnarben gefunden habe. Das Resultat dieses Prozesses
scheint die Umwandlung des spongiösen Knochens in kompakten, durch
Ausfüllung der Mark räume mit Knochen zu sein.
Wie schon erwähnt, läßt sich an einzelnen Stellen der alte Knochen
nachweisen, und zwar am häufigsten in der unmittelbaren Nachbarschaft
des Endostes im Bereiche der allerdings etwas substanzarmen Knochen¬
spindel und in den Maculae cribrosae (Fig. 2). Der alte, im Hämatoxylin-
Eosinpräparate bläulich gefärbte Knochen setzt sich gegen den neuen,
eosinrot gefärbten Knochen stets scharf in Form einer buchtigen Linie ab,
deren vorspringende Buckel stets gegen den alten Knochen gerichtet sind.
Sehr schön ließ sich der Abbau des alten Knochens durch vordringende
Markräume, sowie die Bildung des neuen Knochens von den Markräumen
her an dem Septum zwischen Basalwindung und Vorhofsteil der Schnecke
verfolgen.
Auffallend ist das Vorkommen von Frakturen im Bereich der
Schneckenspindel, wie dies auch M a y e r in seinen Fällen beobachtet hat
(Fig. 3). Die Bildung größerer Markräume im Knochen, wie sie M a y e r
in einzelnen seiner Fälle gefunden hat, habe ich nicht gesehen.
Von Interesse sind die Verhältnisse in der Fenstergegegnd. Unter¬
sucht man den Knochen vor Beginn des ovalen Fensters zwischen
Sakkulus und Fazialiskanal, so findet man in ihm große Markräume,
die mit dichtem Bindegewebe ausgefüllt sind, das in relativ großer Zahl
stark gestaute Gefäße enthält.
Die „Knorpelfuge“ (M a y e r) besteht aus dichtem Bindegewebe,
welches sich vom Endost des Sakkulus bis zur Mittelohrschleimhaut
unterhalb des Fazialiskanals zieht. In diesem Bindegewebesstreifen,
welcher in unmittelbarer Nachbarschaft des Knochens blau gefärbte
Kalkkrümel zeigt, erscheint zunächst, wenn man die Serie von vom nach
hinten verfolgt, ein zystenförmiger Hohlraum, der von plattem Epithel
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ausgekleidet ist und daher nichts mit den Rissen zu tun hat, welche sich
im Felsenbeine bei Ostitis deformans nachweisen lassen (M a y e r).
Dieser zysten förmige Holhraum ist zuerst gegen die Mittelohrschleimhaut
durch einen dünnen Knochenbalken getrennt, welcher jedoch zahlreiche
lakunäre Resorptionsräume enthält. Dieser Knochenbalken verschwindet
bald und der zystenförmige Hohlraum öffnet sich zur Nische des ovalen
Fensters.
Vor dem Auftreten des Stapes findet man ein dickes Bindegewebs-
lager im Vorhoffenster (Fig. 4). Das Bindege webslager ist gegen das
Mittelohr mit kubischem Epithel bedeckt. Gegen das Labyrinthinnere
zu ist das Bindegewebe mit dem äußeren Pole des Utrikulus verlötet. Der
Stapes ist durchaus normal und zeigt auch den normalen Knorpelbelag.
Sein unterer Schenkel ist durch einen bindegewebigen Strang mit dem
Promontorium verbunden. Zwischen seinem oberen Schenkel und dem
Knochen des oberen Fensterrahmens befindet sich ein zartes Fibrinnetz.
Der obere Fensterrahmen enthält in den vorderen Partien des
Fensters seinen normalen Knorpelbelag. Dieser Knorpel grenzt nach
unten an das straffe Ringband, lateralwärts an den neugebildeten
Knochen, mcdialwärts an den alten Knochen des Labyrinthes, der selbst
wieder in direktem Zusammenhänge mit dem Knochen der Macula
cribrosa sacculi steht, und nach oben an einen großen Markraum, in
welchem sich lockeres Bindegewebe befindet, das reichlich Pigment¬
schollen und Reste des neugebildeten, geflechtartigen Knochens enthält.
Kommt man in der Serie weiter nach hinten, so sieht man, daß
der Knorpel sowohl von medial her durch den alten Labyrinthknochen
als auch von lateral her durch den neugebildeten Knochen verdrängt
wird. Insbesondere sieht man, daß der alte Labyrinthknochen mit
buchtigen, gegen den Knorpel zu konvexen Rändern in das Knorpel¬
innere vordringt und bald bemerkt man zwischen den Knorpelzellen blau
geränderte Gefäße (perforierende Kanäle), umgeben von einer schmalen
Schichte von Knochengewebe, die sich durch ihre im Hämatoxylin-
Eosinpräparate leicht bläuliche Färbung als Reste des alten Labyrinth¬
knochens zu erkennen geben. Gleichzeitig wird aber die aus altem
Labyrinthknochen bestehende Spange durch einen Bindegewebsstreifen,
welcher mit dem erwähnten, großen Markraume im Zusammenhänge
steht, unterbrochen, so daß nun dieser Markraum mit einem Ausläufer
bis an das Endost des Vorhofes reicht.
Nach lateral hin geht der Knorpel mit unscharfen Grenzen in eine
eosinrot gefärbte Substanz über, die Knorpelzellen wandeln sich in läng¬
liche, mehr spindelförmige Zellen um, die jedoch auch hier in einer deut¬
lichen Höhle liegen. Diese Bilder sind aber nicht sehr lange zu sehen,
denn kommt man etwas weiter nach hinten, so sieht man, wie von dem
oberhalb des Knorpels gelegenen Markraume aus neugebildeter Knochen
in den Knorpel vorwächst, der sich zunächst mit buchtigen Rändern
gegen den Knorpel und den in diesem befindlichen alten Labyrinth-
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knochen abgrenzt. Der neu gebildete Knochen breitet sich immer mehr
aus, bis schließlich von dem Knorpel nur ein schmaler Saum übrig bleibt,
an dem sich das Ringband ansetzt.
Ähnliche Verhältnisse finden sich am unteren Fensterrahmen.
Auch hier sieht man zunächst, wenn man die Serie von vom nach hinten
verfolgt, einen ausgedehnten Knorpelbelag am Promontorium. Auch
hier ist der Knorpel von Anteilen bläulich gefärbten, alten Labyrinth¬
knochens in Form von perforierenden Kanälen durchsetzt, der sich zum
Teil mit buchtigen Kittlinien vom Knorpel absetzt, zum Teil ganz
unscharf vom Knorpel abgrenzt. Der neugebildete, spongiöse Knochen
setzt sich hier stets scharf von dem Knorpel ab. In den vorderen Partien
des ovalen Fensters treten in dem neugebildeten Knochen große Mark¬
räume auf, welche sowohl den Knorpel, als auch den alten Labyrinth-
knochen, als auch schließlich den neugebildeten Knochen abgebaut
haben. Man erkennt das sehr deutlich an den Lakunen, welche sich an
den Rändern dieser Bestandteile des Fensterrahmens befinden. An den
Präparaten selbst sind jedoch keine Resorptionsvorgänge mehr zu sehen,
hier findet man vielmehr unter Anhäufung von Osteoblasten die Bildung
neuen Knochens, der an manchen Schnitten weit in den Knorpel ein¬
dringt. Weiter nach hinten zu nimmt jedoch der alte Labyrinthknochen
immer mehr an Ausdehnung zu, auf Kosten des neugebildeten Knochens,
um schließlich hinter dem ovalen Fenster durch einen weitporigen,
spongiösen, neugebildeten Knochen ersetzt zu werden.
Der Stapes ist nirgends mit der Labyrinth¬
wandknöchern verwachsen.
Die Membrana tympani secundaria setzt nicht am neugebildeten
Knochen des Promontoriums ab, sondern an einer Schichte eosinrot
gefärbter, zellarmer Knochensubstanz, welche bald durch eine ziemlich
breite Schichte grober Kalkschollen, bald durch eine Kittlinie von dem
neugebildeten Knochen begrenzt ist.
Der gegenüber liegende Ansatz dieser Membran erfolgt ebenfalls
nicht an dem neugebildeten Knochen, sondern am alten geflechtartigen
Labyrinthknochen, der mit der Macula cribrosa inferior in direktem
Zusammenhänge steht. Dieser alte Labyrinthknochen setzt sich hier sehr
scharf von dem neugebildeten Knochen ab, der gerade an dieser Stelle
sehr schöne Lamellensysteme bildet. Weiter hinten wird der alte Knochen
wieder durch Markräume, welche aus dem neuen Knochen kommen,
abgebaut, und schließlich hinter dem runden Fenster vollkommen durch
neugebildeten Knochen ersetzt. Doch ist bemerkenswert, daß die
Membrana tympani secundaria nirgends an neu¬
gebildetem Knochen inseriert.
Häutiges Innenohr: An der Schnecke fällt zunächst die
mächtige Ektasie des endolymphatischen Lumens auf. Die Membrana
vestibularis ist in allen Teilen der Schnecke gegen die Scala vestibuli
stark ausgedehnt (Fig. 2). Der Ektasiegrad ist an der Schneckenbasis und
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Paget Bche Krankheit.
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der Schneckenspitze am größten, am geringsten im unteren Teil der
Schnecken Windung. Im Vor hofan teil hat die Ausdehnung des D. cochlearis
einen solchen Grad erreicht, daß die Membrana vestibularis in der Bucht
der knöchernen Skalenwand verläuft, nur durch einen schmalen Spalt
von ihr getrennt. Noch höhergradig ist die Ektasie am oberen Ende des
Schneckenkanals. Hier füllt der Dl cochlearis die gesamte Scala vestibuli
aus und entsendet noch eine durch das Helikotrema reichende Aussackung
nach abwärts in die Scala tympani. Im oberen Teil der Basalwindung
und in der Mittelwindung hat die Ektasie einen solchen Grad erreicht,
daß die Scala vestibuli auf etwa ein Drittel ihres normalen Lumens verengt
ist. Im unteren Teil der Basalwindung ist die Ektasie nicht so hochgradig;
das nach der Verlagerung der Membrana vestibularis übrigbleibende
Lumen beträgt 2 Drittel des normalen Lumens. Diese 2 Drittel werden
aber stark eingeengt durch Aussackungen der Membrana vestibularis.
Diese Blindsäcke ragen von einer verhältnismäßig eng begrenzten Basis,
weit ausgedehnt gegen die Spitze und gegen den Vorhofteil des Schnecken¬
kanals, so daß man Querschnitte findet, in welchen runde, vollkommen
geschlossene Dissepimente der Membrana vestibularis angetroffen werden.
Vereinzelte solche Aussackungen finden sich aber auch in der Mittel¬
windung.
Die Lamina basilaris ist vorhanden, nicht geknickt, die tympanale
Belegschichte dürftig. Das C o r t i sehe Organ ist an keiner Stelle
normal. Es ist ziemlich stark kadaverös verändert, trotzdem läßt sich
aber mit Bestimmtheit behaupten, daß die Sinneszellen ausgefallen,
während die Pfeiler- und Stützzellen erhalten sind. Die C o r t i sehe
Membran verläuft gerade gestreckt peripheriewärts, steht mit der Papille
nur an der Spitzenwindung in direktem Zusammenhänge. Im Vorhofteil
ist die C o r t i sehe Membran auf die Oberfläche der Crista spiralis zurück¬
geschlagen und hier bindegewebig eingeschlossen. Die Zellen des Sulcus
spiralis internus und externus, sowie die Crista spiralis sind gut erhalten.
Das Lig. spirale ist ziemlich substanzreich. An manchen Stellen
ist das Gewebe aufgelockert, an manchen Stellen wieder verdichtet.
Die Stria vascularis ist im Vorhofabschnitt sowie im unteren Teil der
Basalwindung hochgradig kadaverös verändert, im oberen Teil der
Basalwindung ist die Stria histologisch normal, nur ist sie im ganzen
etwas verschmälert. In der Mittelwindung nimmt die Verschmälerung
zu, in der Spitzen Windung ist nur mehr ein Rest der Stria vorhanden.
Hier ist auch offenbar infolge des endolymphatischen Druckes das Lig.
spirale zu einem soliden Bindegewebslager komprimiert.
Der Schneckennerv ist hochgradig degeneriert, desgl. das Ganglion
spirale (Fig. 3). Der Faserzerfall und die Verringerung der Ganglien¬
zellen erscheint am weitesten vorgeschritten an der Schneckenbasis,
bei Weigert - Färbung zeigt sich jedoch, daß auch die Ganglienzellen
und die Faseranteile der höher oben liegenden Region, die quantitativ
besser erhalten sind, zum Teil degeneriert sind. Zwischen den Bälkchen
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der Spindel, durch welche die Nervenfasern hindurch ziehen, sieht man
ringsum die Bälkchen der Spindel osteoides, rosarot gefärbtes Gewebe.
Der Ramus cochleae im inneren Gehörgang ist deutlich verschmälert.
Hier befinden sich auch reichlich Sandkörperchen. Das Endost des inneren
Gehörganges ist normal.
Der Vorhof teil des Schneckenkanals ist hochgradig erweitert, und zwar
bis zum Kontakt mit dem ebenfalls hochgradig erweiterten Sakkulus .
(Fig. 4). Der D. reuniens ist deutlich nachweisbar, lumenhältig, aber
nicht wesentlich weiter als normal. Der Canalis utriculo-saccularis ist
mächtig erweitert, ebenso ist der Utrikulud besonders gegen das Vorhof¬
fenster zu erweitert; ein taschenartiger Anteil ist durch Bindegewebe
mit dem oben erwähnten pathologischen Gewebe im Vorhoffenster ver¬
bunden. Die Cysterna perilymphatica ist durch diese Ektasie des Vorhof¬
inhalts eingeengt, stellt einen spaltförmigen Raum zwischen Utrikulus
und Sakkulus dar, der nicht direkt an das Vorhoffenster heranreicht.
Die Macula sacculi ist bis auf einen spärlichen Epithelrest ver¬
kümmert. Sinneszellen und Otolithen fehlen. Die Macula utriculi ist
kleiner als normal, jedoch stark kadaverös verändert. Otolithen fehlen
auch hier. Der N. utricularis atrophisch. Der D. endolymphaticus etwas
erweitert. Der Aquaeductus cochleae ist bindegewebig verschlossen und
enthält Sandkörperchen (Fig. 5).
Die Cristae zeigen ziemlich hochgradige, kadaveröse Veränderungen,
doch läßt sich auch hier mit Sicherheit der fast komplette Ausfall der
Sinneszellen feststellen. Nur ganz wenige solcher Zellen sind zu sehen.
Hingegen sind die Stützzellen zum größten Teile vorhanden. Die Cupulae
fehlen. Die Bogengänge sind normal.
Mittelohr: Das Trommelfell ist diffus verdünnt und zeigt
eine auffallend niedrige Epidermislage. Mittelohrräume sind leer.
Knochenwucherungen im Epitympanon besonders vom Fazialis und
Tensor tympani nach außen. Der Attik wird dadurch sehr stark ein¬
geengt. Den Fazialis scheint der wuchernde Knochen vor sich her¬
geschoben zu haben, er liegt viel weiter von den Labyrinthräumen ent¬
fernt als normal und im Schnitte über dem Tensor tympani. Der letztere
ist hochgradig degeneriert, enthält sehr viel Bindegewebe, zentral Fett
und nur wenige Muskelfasern (Fig. 4). Die Knochenwucherungen um¬
schließen auch die Chorda tympani. Die Nische des Vorhoffensters ist
verengt, ebenso hat die pathologische Knochenwucherung zu einer Ver¬
längerung der Nische des Schneckenfensters geführt.
Rechtes Ohr. Labyrinthkapsel: Der Knochen der
Labyrinthkapsel verhält sich genau so wie auf der linken Seite, ebenso
sind die Verhältnisse am ovalen Fenster die gleichen wie links. Die Ver¬
änderungen an der Nische des runden Fensters werden unten besprochen.
Häutiges Innenohr: Die Schneckenhohlräume sind normal
gestaltet, es fehlt die Ektasie. Sonst verhalten sich die einzelnen Teile
des Schneckenganges, die Skalen sowie die nervösen Anteile des Schnecken-
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körpere genau so wie links. Auffallend ist der reiche Pigmentgehalt im
Modiolus. Auch die Vorhofgebilde sind nicht ektasiert, mit Ausnahme
des medialen Anteiles des Utrikulus, der ein wenig erweitert ist. Die
beiden Wasserleitungen sind durchgängig, der D. endolymphaticus etwas
erweitert (Fig. 6). Die Maculae sind kadaverös verändert, es läßt sich
daher ein sicherer Befund bezüglich der Sinneszellen nicht feststellen. An der
Macula sacculi sind die Zellhaare zu einem Büschel zusammengesintert,
die Otolithen fehlen zum größten Teile, an der Macula utriculi fehlen
Sinneshaare und Otolithen vollständig. An der medialen Wand des
Utrikulus eine atypische Epithelstelle (Fig. 7). DieCristae der Ampullen
zeigen wohl auch postmortale Veränderungen, es läßt sich jedoch
hier mit Sicherheit der Ausfall des größten Teiles der Sinneszellen
feststellen. Auch hier fehlen die Cupulae. Die nervösen Anteile zeigen
eine mäßige Atrophie.
Mittelohr: Es liegen hier die gleichen Verhältnisse vor wie
auf der linken Seite. Auffallend ist hier nur 1. die Verdickung der Tensor¬
sehne und 2. die Veränderung am Boden der Paukenhöhle. Es ist nämlich
hier die Nische des runden Fensters noch mehr verlängert und verengt
durch die pathologische Knochenwucherung als auf der linken Seite.
Ferner ist aber die für den Bulbus der Vena jugularis bestimmte Knochen¬
grube in einem solchen Maße ektasiert, daß der Bulbus an einer Stelle
nur durch eine Schleimhautschichte von der Paukenhöhle getrennt ist
und daß weiter der knöcherne, sagittale Bogengang arrodiert wurde,
wodurch der häutige, sagittale Bogengang freigelegt wurde (Fig. 8).
Heben wir aus der vorangegangenen Beschreibung die haupt¬
sächlichsten Punkte hervor, so ergibt sich folgendes:
1. Ersatz des normalen Knochens der Labyrinthkapsel durch
einen spongiösen, stark vaskularisierten Knochen, der zum Teil aus
geflechtartigem, zum Teil aus lamellärem Knochen aufgebaut ist, unter
vollständiger Erhaltung des alten Labyrinthknochens im Bereiche der
Cristae vestibuli, im Bereiche der beiden Labyrinthfenster,in der Schnecken¬
achse und in den Skalensepten des Schneckenkörpers.
2. Frakturen im alten Knochen im Bereiche des Schneckenkörpers.
3. Der pathologische Knochen hat nach Schwund des alten
Knochens zum größten Teil das Endost der Labyrinth hohlräume er¬
reicht, ausgenommen hiervon sind jedoch einzelne Teile der knöchernen
Schnecke und des knöchernen Vorhofes.
4. Der Aquäductus vestibuli beiderseits frei, der Aquäductus
cochleae links durch Knochenwucherung und Bindegewebe obliteriert.
5. Die Gestalt der Pars superior des Innenohres beiderseits bis
auf eine Ektasie des medialen Utrikulusanteils normal.
6. Die Pars inferior ist links hochgradig ektasiert, unter teilweiser
Erweiterung des endolymphatischen Kanals bis an die Knochenwand
und Ausbildung umschriebener blindsackförmiger Ausstülpungen.
7. Die Stria vascularis ist links atrophiert.
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Hane Brunner,
8. Der N. cochlearis und das Ganglion spirale beiderseits rnittel-
gradig atrophiert; der Atrophiegrad ist am stärksten an der Schnecken¬
basis, nimmt gegen die Spitze kontinuierlich ab.
9. Der N. octavus im inneren Gehörgang ist mittelgradig atrophiert;
die Atrophie ist stärker ausgesprochen im Kochlearanteile des Nerven
als im Labyrinthanteile.
10. Sämtliche Neuroepithelstellen des Innenohres zeigen einen
Defekt der Sinneszellen. In ihrer Form ist am besten die Papilla basilaris
cochleae infolge der Intaktheit der Stützzellen erhalten. Diese letztere
zeigt die typische Querschnittsgestalt bzw. Papillenform. Die Cristae
ampulläres sind etwas niedriger als normal. Die Macula utriculi ist beider¬
seits scheinbar gleichmäßig von dem Rande her der Fläche nach ver¬
kleinert, die Macula sacculi ist links hochgradig verkleinert, überhaupt
nur auf wenigen Schnitten in Form eines topographisch der Makula ent¬
sprechenden Stützzellenhaufens nachweisbar. Rechts ist die Macula sacculi
hochgradig kadaverös verändert. Vestibularganglien mittelgradig atrophisch
11. Von den kutikularen Auflagerungen ist vollständig erhalten
die Membrana tectoria in der Schnecke, die Statolithenmembran der
Macula sacculi ist links vollständig geschwinden, rechts ist sie in ge¬
ringem Ausmaße vorhanden, die der Macula utriculi ist links in Resten
vorhanden, doch infolge von postmortalen Veränderungen nicht mehr
als Membran, sondern in Form von unregelmäßigen Auflagerungen aüf
der Macula utriculi zu sehen, rechts fehlt sie. Die Cupulae sind nicht
zu sehen, dagegen findet man in den Cristae sowie übrigens auch in den
Maculae noch vereinzelte Haarfortsätze. Die Stützzellen in den Cristae
haben zum Teil ihre normale Topographie bewahrt, so daß im Neuro-
epithel die aus dem Schwund der Haarzellenkörper folgenden Lücken
zu sehen sind, zum Teil aber erscheinen die Stützzellen zu einem ge¬
schlossenen, stellenweise zylindrischen, stellenweise unregelmäßigen,
mehrschichtigem Epithel zusammengeschlossen.
12. Die perilymphatischen Räume in der Pars inferior sind links
auf Reste beschränkt, die teilweise untereinander nicht mehr Zusammen¬
hängen. Die Cysterna perilymphatica ist links bis auf einen kleinen Rest
durch die Ektasie des Sakkulus verlegt. Die perilymphatischen Räume
in der Pars superior sind annähernd normal, verkleinert, nur durch die
mittelgradige, umschriebene, beiderseitige Ektasie des medialen Anteils
des Utrikulus.
13. Der Pigmentgehalt des Labyrinths ist normal.
14. Beiderseits findet sich im ovalen Fenster vor dem Auftreten
des Stapes ein Bindegewebspolster.
15. Die Nische des runden Fensters ist beiderseits verengt, rechts
mehr als links.
16. Die Knochengrube für den Bulbus der Vena jugularis ist rechts
bedeutend ektasiert, so daß zum Teil der Boden der Paukenhöhle und
der knöcherne, sagittale Bogengang arrodiert wurde.
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Paget sohe Krankheit.
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17. Der M. tensor tympand ist beiderseits hochgradig degeneriert.
Die Sehne des Muskels ist rechts verdickt.
Aus der Menge der Einzelbefunde, welche die histologische Unter¬
suchung der Felsenbeine dieses Falles ergeben hat, folgt die Notwendigkeit,
die Lösung folgender 2 Fragen zu versuchen: 1. Ist es möglich, die ver¬
schiedenen histologischen Befunde in primäre und sekundäre Ver¬
änderungen zu unterteilen und so ein Bild der Genese des ganzen Krank¬
heitsbildes zu gewinnen ? 2. Läßt sich nach dem Stande unserer jetzigen
Kenntnisse der in diesem Falle erhobene, funktionelle Befund vollkommen
durch den histologischen Befund erklären oder nicht?
Wenn man den Zusammenhang der einzelnen histologischen
Befunde sich erklären will, so muß man davon ausgehen, daß die wichtigste
Veränderung in der Erkrankung der Labyrinthkapsel zu erblicken ist.
Die genauen histologischen Verhältnisse, die sich dadurch ergeben,
wurden von Mayer, Nager und in der obigen Schilderung dargelegt.
Das Wesen des Prozesses ist imbekannt. Auch v. Recklinghausen
konnte diese Frage nicht mit Sicherheit beantworten. Ebenso unbekannt
ist es, wann und wo der Beginn des Prozesses anzusetzen ist, da Anfangs¬
stadien von Paget scher Erkrankung des Felsenbeines ' nicht be¬
schrieben wurden. Nur dies eine steht fest, daß diese Erkrankung nicht
von den periostalen Überzügen des Felsenbeines oder von der Mittelohr¬
schleimhaut ausgeht, daß es sich auch hier vielmehr um eine primäre
Erkrankung der Labyrinthkapsel im Sinne von Politzer handelt.
Der Knochen der Labyrinthkapsel wird also resorbiert und durch
pathologischen Knochen ersetzt. Dabei bleiben aber in der Mehrzahl
der Fälle noch Reste des alten Labyrinthknochens bestehen, und zwar
auch dann, wenn man den Beginn der Erkrankung mit Recht schon auf
lange Zeit zurückverlegen muß. Es ist nun ganz charakteristisch, daß
man diese Reste des alten Labyrinthknochens vor allem im Bereich der
Schneckenspindel, der Skalensepten und der Maculae cribrosae findet,
also vor allem an jenen Stellen, an denen der Labyrinthknochen durch
„primäre Verknöcherung“ nach v. Ebner entsteht. Es wäre aber ver¬
fehlt, anzunehmen, daß in der Histogenese der erwähnten Teile der
Labyrinthkapsel der Grund dafür zu suchen ist, daß sie von dem Er¬
krankungsprozesse verschont bleiben, was schon daraus hervorgeht, daß
ja stets auch Teile der enchondralen bzw. endostalen Labyrinthkapsel un¬
verändert gefunden wurden. Der Grund für die erwähnte Beobachtung
scheint mir vielmehr in zwei anderen Momenten zu liegen: Erstlich
liegen die erwähnten Knochenpartien am meisten zentral in der Labyrinth¬
kapsel. Nimmt man nun an, daß der Knochenprozeß von der Peripherie
des Felsenbeines gegen das Zentrum vorschreitet, so ist es erklärlich,
daß die am meisten zentral gelegenen Knochenpartien am spätesten
von der Erkrankung ergriffen werden müssen. Daß nun wirklich der
Knochenprozeß in der Peripherie des Felsenbeines, speziell an seinen
dem Endokranium zugewendeten Flächen, seine stärkste Intensität
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822
Hans Brunner.
erreicht, darauf deutet der Umstand hin, daß in diesem Bereiche der
Labyrinthkapsel niemals Reste von altem Labyrinthknochen gefunden
werden, zweitens die Verlagerungen, welche die Dura in einem Falle
von Mayer oder der Fazialis in meinem Falle durch die pathologische
Knochenwucherung erfahren haben. Dazu kommt noch folgendes: Die
Knochenpartien, welche in der Labyrinthkapsel bei der Paget sehen
Erkrankung am längsten frei bleiben, stellen durchaus zarte Knochen¬
spangen dar, und es ist sehr wahrscheinlich, daß diese zarten Knochen¬
spangen nicht genügend Raum für die Ausbreitung des Erkrankungs¬
prozesses bieten. Darin mag vielleicht auch der Grund liegen, daß bis
jetzt in allen beschriebenen Fällen die Gehörknöchelchen frei gefunden
wurden. Ob bezüglich der Intaktheit der Gehörknöchelchen auch onto-
genetische Momente eine Rolle spielen, muß dahingestellt bleiben.
Aus all dem ergibt sich folgendes Bild in bezug auf das Fortschreiten
der Paget sehen Erkrankung im Felsenbeine. Der Krankheitsprozeß
erreicht in der Nähe der endokraniellen Begrenzungsflächen des Felsen¬
beines seine größte Intensität, er führt hier vor allem zu einerVergrößerung
der Labyrinthkapsel und dadurch in manchen Fällen zu einer Verlagerung
der Dura oder des Fazialis. Von hier aus schreitet der Krankheitsprozeß
gegen den Labyrinthkern fort, den der wuchernde pathologische Knochen
von allen Seiten hufeisenförmig umgibt.
Aus dieser Darstellung geht hervor, daß es infolge der pathologischen
Knochenwucherung zu einer Erhöhung der Gewebespannung im Innern
der Labyrinthkapsel kommen muß. Auf diesen erhöhten Gewebedruck
möchte ich 2 Veränderungen zurückführen, die im obigen sowie in anderen
Fällen von Paget scher Erkrankung des Felsenbeines gefunden wurden:
Erstlich die Frakturen im Bereich der zarten Knochen der Spindel, die
unter dem von allen Seiten wirkenden Druck des rasch wachsenden
Knochens brechen, zweitens die Atrophie der Nerven. Was speziell den
letzterwähnten Punkt betrifft, so darf man nicht vergessen, daß die Äste
des N. octavus, welche in engen Knochenkanälen zu ihrem Endorgane
verlaufen, den schädlichen Wirkungen des erhöhten Gewebedruckes
besonders ausgesetzt sind, weil sie eben nach keiner Seite ausweichen
können. Es darf hier vielleicht daran erinnert werden, daß auch in
vielen Fällen von Otosklerose eine Erhöhung des Gewebedruckes statt¬
finden muß, wodurch sich dann die Beteiligung des nervösen Apparates
im Innenohr an dem otosklerotischen Prozesse ohne weiteres erklären
ließe. Diesbezügliche Untersuchungen stehen aber noch aus. In unserem
Falle wurde diese schädliche Druckwirkung im Bereiche der Schnecken¬
nerven noch vermehrt durch das periostale (osteiode?) Gewebe, welches
die Innenfläche der Nervenkanäle innerhalb der Schneckenspindel be¬
kleidete.
Es ist eine selbstverständliche Folge, daß die Atrophie des Nerv-
Ganglienapparates im Innenohre einen Ausfall der Sinneszellen in dem
peripheren Sinnesorgane nach sich gezogen hat. Dazu kommt aber noch
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Paget sehe Krankheit.
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auf der linken Seite die mächtige Ektasie der Pars inferior. Wir möchten
diese Ektasie in Übereinstimmung mit Habermann, Alexander,
Nagern, a. auf die Verlegung des Aquäductus cochleae Zurückführen.
Gegen diese Annahme wurden vor allem von Panse und Wittmaack
Bedenken erhoben. Panse behauptet, daß man sich durch Verlegung
des Aquäductus cochleae wohl das Auftreten eines Kollapses des endo¬
lymphatischen Lumens infolge von Überdruck in den perilymphatischen
Räumen, niemals aber die Entstehung einer Ektasie des Schnecken¬
ganges vorstellen könne. Dieser Einwurf trifft nicht ganz zu, denn die
Endolymphe ist durchaus nicht streng von der Perilymphe abgesondert,
es besteht vielmehr, wie dies erst jüngst Wittmaack gezeigt hat,
die Möglichkeit der Diffusion zwischen diesen beiden Flüssigkeiten.
Damit ist aber gleichzeitig gesagt, daß der Abfluß der Perilymphe durch
den Aquäductus cochleae nicht nur die Druckverhältnisse in den peri¬
lymphatischen Räumen, sondern auch die Druckverhältnisse im endo¬
lymphatischen Kanäle beeinflußt. Es ist nun Panse wohl zuzustimmen,
daß bei Behinderung des Abflusses der Perilymphe durch den Aquädukt
ein Überdruck zuerst in den perilymphatischen Räumen des Schnecken¬
kanals auftreten wird, es ist aber zu bedenken, daß dieser Überdruck
mikroskopisch nachweisbare Folgen zuerst in dem endolymphatischen
Raume erzeugen wird, da dieser Kanal im Querschnitte weitaus kleiner
ist als die perilymphatischen Räume. Es muß daher ein erhöhter Druck,
der in den perilymphatischen Räumen noch ohne weiteres ausgeglichen
werden kann, im endolymphatischen Kanäle sehr bald zu einer Erweiterung
des Lumens führen.
Wittmaack hat gelegentlich die Meinung ausgesprochen, daß
die Ektasie des Schneckenkanals dadurch zustande komme, daß die
durch den Knochenumbau in der endostalen Labyrinthkapsel frei
werdenden chemischen Agentien in die Labyrinthflüssigkeit hinein
diffundieren und die Stria zu erhöhter Liquorproduktion anregen. Daß
diese Erklärung nicht zutrifft, beweist unser Fall recht gut. Denn hier
findet auf beiden Ohrseiten der Knochenumbau in der nächsten Nähe
der Labyrinthhohlräume statt, trotzdem ist es zur Ektasie nur auf der
einen Seite gekommen, auf welcher der Aquäductus cochleae verlegt
war. Die Angabe Wittmaack s, daß der Aquädukt sehr häufig verlegt
angetroffen wird in Fällen, wo von einer Ektasie nicht die Rede ist, bedarf
der Bestätigung. Jedenfalls stimmt diese Angabe mit den Erfahrungen
von Alexander nicht überein.
Mit dem histologischen Befunde in der Schnecke stimmt der
klinische Hörbefund wohl überein, denn es ist klar, daß ein Patient mit
derartigen Veränderungen im C o r t i sehen Organe und dessen Nerv¬
ganglienapparate praktisch taub sein muß. Auffallen muß nur, daß der
Patient auf der rechten Seite die a 1-Gabel 10“ lang durch Kopfknochen¬
leitung perzipierte. Falls es sich hier nicht um eine falsche Angabe von
seiten des Patienten handelt, so wäre die bessere Hörfähigkeit des Patienten
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Hans Brunner.
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auf der rechten Seite mit dem Fehlen der Ektasie auf dieser Seite zu
erklären. Unter Berücksichtigung derselben Fehlerquelle wäre aus dem
Umstande, daß der Patient trotz Erkrankung der Labyrinthkapsel und
trotz des Ausfalles der Sinneszellen im C o r t i sehen Organe, sowie der
Atrophie im Nervganglienapparate der Schnecke eine mittlere Stimm¬
gabel durch Kopfknochenleitung 10" lang perzipierte, abzuleiten, daß
erstlich die Umwandlung des kompakten Labyrinthknochens in einen
spongiösen Knochen die Kopfknochenleitung nicht in ungünstigem
Sinne beeinflußt, zweitens, daß es möglich ist, bei Ausfall der Sinnes¬
zellen im C o r t i sehen Organe und bei Atrophie des Nervganglien¬
apparates in der Schnecke noch mittlere Töne durch Kopfknochen¬
leitung zu perzipieren, eine Möglichkeit, die bekanntlich schon von
Wätzmann und Wittmaack erwogen wurde.
Während sich also der klinische Hörbefund mit dem histologischen
Befunde in der Schnecke unschwer in Übereinstimmung bringen läßt,
liegen die Verhältnisse bezüglich der Sinnesstellen im Vorhofe und in den
Bogengängen komplizierter. Kurz zusammengefaßt ergab die histologische
Untersuchung hier folgendes: Umwandlung der linken Macula sacculi
in einen kleinen Stützzellenhaufen, an den übrigen Sinnesstellen den
gleichmäßigen Befund des hochgradigen, aber nicht kompletten Aus¬
falles der Sinneszellen und Schwund der kutikularen Gebilde (Cupulae,
Otolithenmembranen), mäßige Atrophie des zugehörigen Nerven. Diesem
histologischen Befunde entsprach der klinische Befund einer beider¬
seitigen hochgradigen Untererregbarkeit, die einer Unerregbarkeit schon
sehr nahe kam. Man könnte nun zunächst annehmen, daß die Sinnes¬
endstellen des Vorhofes und der Ampullen in ähnlicher Weise wie die
Sinnesendstellen in der Schnecke allmählich infolge der Atrophie des
Nervganglienapparates zugrunde gegangen sind. Gegen diese Anschauung
spricht jedoch schon der Umstand, daß die geringgradige Atrophie der
Vorhofs- und Bogengangsnerven die hochgradigen, degenerativen Ver¬
änderungen an den zugehörigen Sinnesendstellen nicht erklären können.
Vor allem spricht aber gegen diese Anschauung die klinische Beobachtung.
Denn 9 Tage, bevor bei dem Patienten die kalorische Untererregbarkeit
konstatiert worden war, hatte der Patient eine kalorische Übererregbarkeit
gezeigt. Da der vorliegende histologische Befund jedoch, wie schon er¬
wähnt, einer kalorischen Untererregbarkeit, wahrscheinlich sogar einer
kalorischen Unerregbarkeit Zugrunde liegt, so ergibt sich daraus der
Schluß, daß sich entweder ein Teil oder alle Veränderungen an den
Sinnesendstellen des Vorhofes und der Ampullen in den 9 Tagen
zwischen der ersten und der zweiten Untersuchung entwickelt haben.
Damit stimmt es auch vollständig überein, daß die Veränderungen an
dem Nervganglienapparate des Vorhofes und der Ampullen gegenüber
den Veränderungen des Nervganglienapparates der Schnecke viel zu
gering waren, um die Defekte in den zugehörigen Sinnesendstellen zu
erklären.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., n. Heft
Hans Brunner. Über einen Fall von Pagctschcr Krankheit
Tafel I
Fig. 1: Sägoschnitt durch den Schädel. Die Sägeflächen zeigen die außerordentliche
Dicke des Schädels.
Fig. 2: Achsenschnitt durch die Schnecke. M = Mittelohr, T. t. = M. tensor
tympani, a = diese Stelle ist in Fig. 3 in stärkerer Vergrößerung wiedergegeben.
Der Schnitt zeigt die Umwandlung des Felsenbeinkncchens in den Paget knochcn,
der nur zum Teil in den endostalen Partien den alten Labyrinthknochen nicht ver¬
drängt hat. Ferner zeigt der Schnitt die mächtige Ektasie des Ductus cochlearis.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 11 . Heft
Hans Brunner. Über einen Fall von Pagetscher Krankheit
Tafel II
Fig. 3: Die in Fig. 2 mit a bezeichnete Stelle bei stärkerer Vergrößerung. Bei X
eine Fraktur im Knochen, zum Teil durch Bindegewebe ausgefüllt. Auffallende
Armut an Nervenfasern in den Knochenkanälen und an Zellen im Ganglion cochleare
des Vorhofteiles der »Schnecke. Jf. ». = Meatus auditorius internus.
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Fig. 4: M. = Mittelohr, T. t. M. tcnsor tympani, dessen Muskelfasern größten¬
teils fettig degeneriert sind, F = X. facialis, B = Bindegewebs polst er im ovalen
Fenster, verwachsen mit der Wand des ektasierten Sacculus, P. = Promontorium,
F. c. = stark verlängerte Nische des runden Fensters, S = mächtig erweiterter
Sacculus, zum Teil verwachsen mit der Reisnerschen Membran des ebenfalls
htig erweiterten Vorhofteiles der Schnecke.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56. Jahrg., 11. Heft
Hans Brunner. Über einen Fall von Pagetscher Krankheit
Tafel III
Fig. 5: D. c. = Ductus cochlearis (Vorhofsabschnitt), S. t. = Scala tympani,
k = Artefakt, A = Aquaeductus chochleae bindegewebig verschlossen. Im Lumen
des Kanals Kalk und Sandkörperehen. 8 = Sacculus.
Fig. '6: Schnitt durch die erweiterte Übergangsstelle des Ductus endolymphaticus
t in die Vorhofsäcke.
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Monatsschrift für Ohrenheilkunde und Laryngo-Rhinologie, 56 . Jahrg., 11 . Heft
Ha 11 s Brunner. Über einen Fall von Pagetseher Krankheit
Tafel IV
Fig. 7: Atypische EpitheLstelle an der medialen Utrikuluswand.
Fig. 8: M = Mittelohr, J = Amboß, Tr. = Trommelfell, A = Attik, St = Stapes-
platte-im ovalen Felis
Digit h. ^ ri> ötpRr
vollkommen fÖgrleg
'enster, F. c. = rundes Fenster mit Membrana tympanisecunj
Bogengang, U. = Utriculus, 8. B. = sagittalcr Boge
gt durch den stark vorgewölbten Bulbus l
'IFORNIA
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Paget sehe Krankheit.
825
Untersucht man von diesem Gesichtspunkte aus die Veränderungen
an den betreffenden Sinnesendstellen und bedenkt man, daß der Patient
nach der zweiten Untersuchung nach etwa 3 Monate gelebt hat, so liegt
keine Schwierigkeit vor, anzunehmen, daß sich der größte Teil der Ver¬
änderungen an den betreffenden Sinnesendstellen wirklich erst nach der
ersten Ohruntersuchung eingestellt hat. Eine Ausnahme hiervon macht
nur die hochgradige Verkümmerung der linken Macula saceuli, die viel
schwerer degeneriert ist als die" übrigen Maculae und Cristae. Diese Aus¬
nahmsstellung der linken Manila sacculi läßt sich jedoch durch den
hohen Druck erklären, unter dem diese Macula zu leiden hatte, worauf
ja mit Sicherheit der außerordentlich stark ektasierte linke Sacculus
hin weist. Wenn man nun von der linken Macula sacculi absieht, so muß
die Gleichartigkeit der histologischen Bilder an den übrigen Sinnes¬
endstellen des Vorhofes und der Bogengänge auffallen. Diese Gleich¬
mäßigkeit spricht dafür, daß erstlich die Ursache dieser Veränderungen
dieselbe war und daß die Erkrankung beiläufig zu derselben Zeit auf
beiden Seiten eingesetzt hat. Nun hat aber der Patient in der kritischen
Zeit vom 9. VII. bis 29. VII. keine Krankheit durchgemacht, welche
etwa durch toxische Einflüsse das Sinnesepithel im Labyrinthe hätte
schädigen können. Hingegen hatten sich in dieser Zeit infolge der zu¬
nehmenden Herzschwäche allenthalben am Körper hochgradige Ödeme
entwickelt und schon daraus ergibt sich die Möglichkeit, daß auch das
Gehirn nicht verschont geblieben ist. Für die Annahme eines Hirnödems
sprechen auch die Kleinhirnsymptome, die der Patient bei der Aufnahme
gezeigt hat, die man, da der Obduzent eine Erkrankung des Kleinhirns
nicht nachweisen konnte, auf die allgemeine Hirndrucksteigerung zurück¬
führen muß. Zieht man nun noch weiter in Betracht, daß die Obduktion
einen chronischen Hydrozephalus ergeben hat, so ist die Möglichkeit
eines akuten Nachschubes infolge der Herzschwäche durchaus nahe¬
gerückt. Ob es sich nun um ein Hirnödem bei chronischem Hydrozephalus
oder um einen akuten Hydrozephalus gehandelt hat, mag dahingestellt
bleiben, sicher ist nur, daß bei dem Patienten eine Steigerung des Him-
druckes bestanden hat, die in diesem Falle umso eher Symptome aus-
lösen mußte, als der Binnenraum des Schädels durch die pathologischen
Knochen Wucherungen verkleinert war.
Zur Erklärung der Veränderungen an den Sinnesendstellen des
Vorhofes und der Ampullen in beiden Labyrinthen könnte man nun
annehmen, daß es durch diese akute und sehr bedeutende Steigerung
des Himdruckes zu einer Kompression des Saccus endolymphaticus
an die hintere Felsenbeinfläche und damit zur Drucksteigerung vor allem
in der Pars superior labyrinthi gekommen ist. Einen Hinweis hierauf
erblicken wir in der beiderseitigen Erweiterung des medialen Utrikulus-
anteils sowie in der beiderseitigen Erweiterung der Mündungsstellen
des D. endolymphaticus. Während wir also die Veränderungen an dem
Co rti sehen Organe auf einen langsam fortschreitenden, primär am
MonatMohrift f. Ohranheilk. u. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 54
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826
Emst W o d a k.
Nervganglienapparate einsetzenden Krankheitsprozeß zurückführen, liegt
den Veränderungen an den Sinnesendstellen des Vorhofes und der
Ampullen ein akut einsetzender, primär am Neuroepithel angreifender
Krankheitsprozeß zugrunde. Mit dieser Anschauung stimmen die histo¬
logischen Bilder und der funktionelle Befund gut überein.
Aus dem physiologischen Institute der deutschen Universität in Prag
(Vorstand: Prof. Dr. A. Tschermak).
Neue Beiträge zur Funktionsprüfüng des Labyrinthes.
Von Dr. Ernst Wodak.
(Mit 6 Figuren.)
Die Untersuchungen über die Labyrinthreaktionen, die ich Beit
mehreren Jahren zum größten Teile gemeinsam mit M. fl. Fischer
anstellte, haben eine Reihe neuer Ergebnisse gebracht, die es viel¬
leicht nicht unangebracht erscheinen lassen, sie einmal in einer
hauptsächlich für den Kliniker bestimmten und verwertbaren Form
zusammenzufassen. Daß unsere Kenntnisse über die Labyrinth¬
physiologie, speziell des Menschen, in den letzten Jahren — von
wenigen Arbeiten abgesehen — gewissermaßen auf einen toten
Punkt angelangt waren und die neuere Literatur sich hauptsächlich
auf eine wohl reichhaltige und in ihrer Art sicher nützliche
Kasuistik beschränkte, darauf haben wir ja schon an anderer Stelle
(Verhandlung der Gesellschaft deutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte,
Wiesbaden 1922) hingewiesen. Hier scheint es am Platze, nur noch¬
mals zu betonen, daß man die Ergebnisse der ausgezeichneten
Arbeiten der Magnus sehen Schule (de Klejn u. a.), die
durch Versuche am Tiere gewonnen sind, nicht ohne weiteres auf
den Menschen übertragen kann und darf, worauf ja erst kürzlich
wieder unter andern Kölln er aufmerksam machte. Einen Fort¬
schritt auf dem so spröden Gebiete der menschlichen Labyrinth¬
physiologie können nur experimentelle Arbeiten bringen und da
sieb öperative Experimente am Menschen von selbst verbieten,
dürfte wohl in der beschränkten Experimentiermöglichkeit der
Grund für den Stillstand unserer Erkenntnisse liegen. Als wir daher
— einer Anregung A. Tschermaks folgend — daran gingen,
die subjektivistischen Untersuchungsmethoden, die sich in der Optik
vorzüglich bewährt und die Grundlage neuer Ergebnisse abgegeben
hatten, auf die Labyrinthphysiologie anzuwenden, so betraten wir
damit einen seit Johann Evangelista Purkinjes Zeiten so
gut wie gänzlich unbegangen gebliebenen Weg. Es muß gleich hier
betont werden, daß unsere Art zu experimentieren große Schulung
erfordert, so daß es unberechtigt wäre, wenn ein ungeübter Be-
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Neue Beiträge zur Funktioneprüfung des Labyrinthes.
827
obachter beim Nachprüfen unserer Ergebnisse vielleicht anf Grand
einiger negativen Erfahrungen unsere Angaben bestreiten wollte.
Es handelt sich ja bei unseren subjektivistischen Untersuchungs¬
methoden um überaus feine Beobachtungen, so etwa wie bei der
Schwachreizmethode Kobraks, die ja ebenfalls ein überaus
empfindliches Verfahren darstellt und von jedem, der sich damit
befaßt, ein tiefes „Sichversenken in die Materie“ verlangt.
Wir teilen die Labyrinthreaktionen in subjektive und
objektive Effekte ein (siehe Tabelle in der Verhandlungsschrift der
deutschen Hals-Nasen-Ohrenärzte, Wiesbaden 1922) und möchten
heute aus der großen Zahl der Reaktionen einige herausgreifen, bei
denen wir durch unsere empfindungsanalytischen Untersuchungen
neue Erfahrungen beibringen können.
Subjektive Effekte: Objektive Effekte:
1. a ) Schwereempfindungsände- Änderung des Skelettmuskel¬
rung. tonus (ATR).
b) Temperaturempfindungsän- Änderung der Gefäßfüllung bzw.
derung. der Hauttemperatur.
c) — Änderung des Äugenmnskeltonus
(Hertwig - Magendiesche
Schielstellung).
2. Änderung der Richtungsvor- Bärdnyscher Zeigeversuch.
Stellung.
3. Empfindung unwillkürlicher Abweichreaktion.
Stellungsänderung der Arme.
4. Drehempfindung. —
5. — Vestibulärer Pupillennreflex.
6. — Nystagmus.
Ich möchte hier nur nochmals bemerken, daß die Neben¬
einanderstellung von subjektiven und objektiven Effekten der
Vestibularisbeeinflussung keineswegs besagen soll, daß dem
subjektiven stets ein paralleler objektiver Effekt entsprechen müsse
und umgekehrt, sondern wir wollen damit nur die nach unseren
Erfahrungen zwischen beiden Effekten bestehenden Beziehungen
aufzeigen.
1. a) Änderung der Schwereempflndnng (ATR).
A. Allgemeines.
M. H. Fischer und ich haben vor einiger Zeit zum ersten¬
mal den Nachweis erbracht, daß es durch Beeinflussung, des Laby¬
rinthes bzw. des N. Vestibularis zu ganz bestimmten Änderungen
der subjektiven Schwereempfindung auf beiden Körperhälften
kommt. Wir haben damals auch versucht, die Gesetze dieses von
uns als Armtonusreaktion (ATR) bezeichneten Phänomens, das
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Emst W o d ft k.
je nach Art der Beeinflussung des N. Vestibularis verschieden ist,
zn studieren und unsere Erfahrungen darüber kurz veröffentlicht.
Seitdem sind bereits von einigen Seiten teils mündliche Berichte
[Sittig 1 ), Charousek 2 ), O. Beck*), Goldmann 3 ) u. a.],
teils Publikationen (J. Junger: Mschr. f. Ohrenhlk. 1922, H. 5)
erschienen, die sich mit unserer ATR befassen. Wenn ich diese
vorliegenden Berichte zusammen fasse, so haben alle Autoren
die ATR gesehen, wenngleich sie z. B. bei der Galvanisation
(Junger) selten gefunden wurde und nach O. Beck unter zirka
25 Normalen nur etwa 5mal vorkomme. Bezüglich der Häufigkeit
der ATR bei Normalen habe ich bereits andernorts (Wies¬
baden) Verschiedenes hervorgehoben und möchte hier nur das
Notwendigste wiederholen:
Es geht nicht an, eine so empfindliche Reaktion vielleicht in
der Weise zu prüfen, daß man die Versuchsperson dreht oder kalt
spült, nachher die Arme ausstrecken läßt und, falls nicht sofort oder
nach etwa 1 j i bis 1 Minute eine Differenz zu sehen ist, den Fall
als negativ erklärt Die Prüfung auf ATR soll vielmehr nach
unseren Erfahrungen ungefähr folgendermaßen vorgenommen
werden: Zunächst muß man selbstverständlich vor jeder Beein¬
flussung des N. Vestibularis das Ausgangsverhalten genau prüfen,
das heißt nachsehen, oh nicht spontane Differenzen in der Höhen¬
lage der beiden ausgestreckten Arme bestehen. Es zeigt sich nun,
daß normale Individuen in der Regel, auch wenn man die Arme
2 bis 3 Minuten — und das ist notwendig! — ausgestreckt halten
läßt, die Arme gleich hoch halten, hzw. Differenzen —
speziell bei Ermüdung — zeigen, die höchstens 1 bis 2 Querfinger¬
breiten betragen. Derartige Differenzen möchte ich als in den
Rahmen des Normalen fallend ignorieren. Zeigt sich jedoch ein
größerer Höhenunterschied beider Arme, und zwar bei wieder¬
holter Prüfung stets im selben Sinne, so möchte ich darin
nicht, wie O. Beck es tut, einen Gegenbeweis gegen die ATR
erblicken, sondern im Gegenteil meiner Meinung dahin Ausdruck
geben, daß in einem solchen Falle der Tonus der
Skelettmuskulatur beider Körperhälften nicht im
Gleichgewicht steht. Es scheint ganz gut möglich, daß auch
bei anscheinend normalen Personen gewisse Differenzen in der
Tonisierung beider Körperhälften bestehen, die uns mit den bis¬
herigen Methoden nicht nachweisbar waren und die eben die —
wie wir wissen — sehr empfindliche ATR prompt anzeigt.
Ist nun auch bei lange ausgestreckt gehaltenen Armen spontan
keine deutliche Differenz nachweisbar, dann schreiten wir an die
x ) Prager deutscher Ärzteverein, 8. III. 1922.
*) Verhandlung der Gesellschaft deutscher Hals-Nasen-Ohrenirzte In
der Tschechoslowakischen Republik, 2. IV. 1922.
*) Verhandlung der deutschen Hals-Nasen-Ohrenärzte, Wiesbaden 1922.
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Neue Beiträge zur Funktionsprüfung des Labyrinthes.
829
experimentelle Auslösung der ATR. Die Beeinflussung des N. Vesti-
bularis kann entweder durch Drehung (wohl hier am leichtesten
auslösbar) oder auch durch Kalorisation bzw. Galvanisation erfolgen.
Wenn wir den einfacheren Fall der Drehung annehmen, so kann
man, wenn man will, schon während der Rotation die Arme aus¬
gestreckt halten lassen und siebt dann in vielen Fällen Bchon nach
wenigen Umdrehungen eine deutliche Differenz. Zweckmäßiger
jedoch wird man bis nach Beendigung der Üblichen 10 Umdrehungen
warten und dann die Arme ausstrecken lassen. Hier zeigt sich nun
tatsächlich in einem relativ geringen Prozentsatz der Fälle sofort
nach dem Anhalten eine deutliche ATR, so daß man wirklich, falls
man hier die Prüfung abbricht, der Meinung sein könnte, die ATR
stelle eine verhältnismäßig selten nachweisbare Reaktion dar. Diese
Meinung ist aber irrig. Denn man muß nach dem Anhalten
in vielen Fällen länger — bis 3 Minuten und darüber
— zuwarten, bevor sich eine Differenz nachweisen
läßt, die allerdings dann vielfach immer deutlicher
und deutlicher wird. Wir dürfen eben nicht vergessen, daß die
ATR einerseits relativ sehr lange (15 Minuten und länger) dauert
und daß es andrerseits möglich ist. daß geringe Differenzen, die
durch die Vestibularisbeeinflussung in der Tonisierung beider Körper¬
hälften (Arme) entstehen, erst dann ausgesprochen zum Vorschein
kommen, wenn die Arme ermüdet sind. Man kann auch manchmal
den Kunstgriff anwenden, die Arme supinieren zu lassen, weil
in dieser schwieriger zu haltenden Lage die Ermüdung früher ein¬
zutreten pflegt und dadurch die ATR oft rascher deutlich wird,
doch muß man sich in jedem Falle vor der Beeinflussung des
Vestibularapparates überzeugen, ob nicht auch spontan durch
Supination eine Höhendifferenz beider Arme ausgelöst wird. Prüft
man in der eben geschilderten Weise, indem man sich mit jedem
einzelnen Fall Zeit läßt und Mühe gibt, so wird man zu wesentlich
anderen Resultaten gelangen. Es ist ja nur selbstverständ¬
lich, daß die ATR nicht in allen Fällen nachweisbar
sein wird, daß es also sicherlich normale Individuen
mit negativer ATR auch bei sorgfältigster Unter¬
suchung geben wird. Das ist nicht zu verwundern, da
wir das gleiche ja bei allen Reaktionen finden und
Reaktionen doch biologischen und nicht physikalischen
Gesetzen unterworfen sind.
Ich habe im ganzen zirka 120 normale und pathologische
Fälle auf ATR geprüft, und zwar zirka 100 davon nur mittels
Rotation, den Rest außerdem auch kalorisch und teilweise galvanisch.
Meine Ergebnisse lassen sich ungefähr folgendermaßen zusammen¬
fassen: Von den normalen Versuchspersonen (normal in bezug auf
das Gehörorgan!) zeigten zirka 20°/ 0 spontan ein Sinken eines
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830
Ernst Wodak.
Armes, also eine spontane ATR. Allerdings konnte ich einen Teil
aus äußeren Gründen nur einmal untersuchen, weshalb nach den
oben stehenden Ausführungen auch diese Zahlen noch als zu hoch
bezeichnet werden müssen. Meine zahlenmäßigen Ergebnisse weichen
gegenüber den Angaben O. Becks, der das spontane Sinken eines
Armes in der „Überzahl“ fand, wesentlich ab und gestatten meines
Erachtens höchstens den Schluß, daß man in Fällen von spontaner
(wiederholt nachgewiesener) Differenz der Höhenstellung beider
Arme den Ausfall der experimentellen ATR nicht so verwerten
könne wie in normalen Fällen. Denn, wie ich nochmals betonen
möchte, solche Patienten mit spontaner ATR können —
streng genommen — nicht mehr als völlig normal be¬
zeichnet werden, da in der Tonisierung beider Körper¬
hälften offenbar kein Gleichgewicht besteht, und man
maß weiter darauf achten, ob sich die spontane Höhendifferenz
beider Arme durch die entsprechende Beeinflussung des N. Vesti-
bularis ändert oder nicht. Bezüglich der Häufigkeit der Auslösbar¬
keit der experimentellen ATR bei Normalen zeigen meine
Untersuchungen, daß man in der weitaus überwiegenden Mehrzahl
der Fälle (zirka 90°/o) imstande ist, durch die rotatorische Reizung
ATR hervorzurufen, daß es aber — trotz Anwendung aller erforder¬
lichen Kunstgriffe — in zirka 10°/o der Versuchspersonen nicht
gelingt. Selbstverständlich ist mein Material zu klein, um endgültige
Folgerungen zu ziehen; diese bleiben der Nachprüfung an einem
entsprechend großen Material Vorbehalten. Weiters wird noch zu
prüfen sein, ob die ATR häufiger vielleicht nach der Drehung als
nach der Kalorisation und Galvanisation auftritt (wofür unsere Er¬
fahrungen sprechen), kurz, es sind die maßgebenden statistischen
Daten zu liefern, auf Grund'deren dann entschieden werden kann, was
die experimentelle ATR für die Praxis zu leisten imstande ist.
B. Gesetzmäßigkeit der ATR.
In unserer vorläufigen Mitteilung haben wir auch versucht, die
Gesetze, denen die ATR je nach der Art der erfolgten Beeinflussung
des N. Vestibularis unterworfen ist, zu ermitteln. Damals fanden
wir, daß bei Kaltspülung in der Regel der gleichseitige, bei Warm¬
spülung der kontralaterale Arm sinkt, daß während einer Rechts¬
drehung im allgemeinen der linke Arm heruntergeht (nach dem
Anhalten umgekehrt) und daß schließlich bei der Galvanisation sich
die Seite der Kathode wie eine Warmspülung zu verhalten pflegte.
Alle diese Daten haben aber, wie weitere Untersuchungen ergaben,
durchaus nicht für alle Fälle Geltung. Es zeigt sich vielmehr bei
manchen Individuen gerade das umgekehrte Verhalten, ja, gelegent¬
lich können Befunde erhoben werden, die in gar kein Schema
passen und sich vorderhand überhaupt nicht erklären lassen. So gab
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831
es eine Reihe von Fällen, bei denen eine experimentell erzeugte
ATR r. J (rechter Arm tiefer), hervorgerufen z. B. durch eine Kalt-
spülung rechts, selbst, nachdem man zirka 15 bis 20 Minuten zuge¬
wartet hatte, durch eine Kaltspülung links nicht beeinflußt werden
konnte. Statt der zu erwartenden ATR 1. f blieb die ATR r. J
deutlich bestehen oder trat wieder auf, falls sie vor der Kaltsptllung
links vielleicht schon verschwunden war. Diese Befunde stellen ein
Analogon zu ähnlichen Befunden Kobraks bei seiner Schwach¬
reizmethode dar. Der Autor sagt an einer Stelle (Beitrag zur Lehre
von den statischen Funktionen des menschlichen Körpers, S. Karger,
1922, Seite 10) darüber folgendes: „Überhaupt gewann man immer
mehr die Ansicht, daß die Schwachreize, selbst von peripher laby-
rinthär antagonistischem Charakter, von denen man also nach
der bisherigen Auffassung gewohnt war anzunehmen, daß ihre
Wirkung sich mehr oder weniger aufhebt, zentral oft recht deutlich
additiv zu wirken scheinen.“ Es ist auch bei der ATR nicht aus¬
geschlossen, daß es durch die vorangegangene Kaltspülung des
rechten Ohres mit folgender ATR r. J zu einer zentral bedingten
charakteristischen Einstellung des Tonusverhältnisses beider Körper¬
hälften kommt, die durch den entgegengesetzt gerichteten Reiz der
Kaltspülung des anderen Ohres nicht umgestoßen werden kann.
C. Phasen der ATR.
Nachdem M. H. Fischer und ich nachgewiesen hatten, daß
nicht nur die Drehempfindungen, sondern auch die anderen Vesti-
bularisreaktionen wie Nystagmus, Fall-, Zeigereaktionen usw. in
rhythmischen Phasen ablaufen, war es naheliegend nachzusehen, ob
diese Rhythmik auch für ATR Geltung habe. Tatsächlich ließen sich
auch für die ATR Phasen nachweisen, die je nach der Art (Temperatur)
des verwendeten Wassers bei der Kalorisation verschieden sind.
Diese ATR-Phasen fallen zeitlich mit den Phasen der subjektiven
Drehempfindung zusammen, wodurch also auch hier wieder die
gemeinsame Abhängigkeit beider von der vorauBgegangenen Vesti-
bularisbeeinflussung ersichtlich ist. Bei Verwendung von kaltem
Wasser scheint der Phasenablauf ein langsamerer zu sein als bei
Spülung mit warmem Wasser. Inwieweit die Art des Phasenablanfes
später Anhaltspunkte praktisch-diagnostischer Natur abgeben wird,
entzieht sich heute — bei der Mangelhaftigkeit unserer Kenntnisse
darüber — jeder Betrachtung.
Meine Untersuchungen an klinischen Fällen zeigten, daß man
derartige Phasen grob klinisch verhältnismäßig selten nachweisen
kann. Doch konnte man in einzelnen Fällen neben dem objektiv
sichtbaren Umschlag auch spontane Angaben Uber den Wechsel
der subjektiv schwereren Seite bekommen.
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D. Extralabyrinthäre Beize, die ATR auslösen.
In erster Linie sind hier Kopfstellungsänderungen za nennen.
Versache an normalen Individuen ergeben, daß jede Kopfstellungs-
änderang in gesetzmäßiger Weise eine Änderung der Höhenstellung
beider Arme zueinander zur Folge hat. So bedingt jede Linkswendung
(und auch Neigung zur linken Schulter) des Kopfes Steigen des rechten
Armes, jede Rechtswendung (Neigung) ein Steigen des linken Armes.
Allerdings sahen wir auch von dieser Regel Ausnahmen, und zwar
gegensätzliches Verhalten, dessen Ursachen uns bisher unbekannt
blieben. Die Kopfneigung nach vorn unten und hinten unten zieht
eine gleichsinnige wohl teilweise mechanisch bedingte Verlagerung
beider Arme nach sich, ohne Höhendifferenzen beider Arme unter¬
einander.
Überhaupt kann man auch auf andere Weise — ohne vestibuläre
Beeinflussung — der ATR ähnliche Differenzen auslösen. Es gelingt
dies, worauf wir ja schon seinerzeit hingewiesen haben, durch jede an
irgendeiner Stelle ansetzende und längerdauernde Muskelkontraktion.
Am deutlichsten läßt sich das Phänomen durch den bekannten Ver¬
such demonstrieren, der darin besteht, daß man den gestreckten Arm
feBt gegen die Wand durch zirka 1 bis 2 Minuten preßt. Prtlft man
dann auf ATR, so Binkt der vorher in Tätigkeit gewesene Arm
deutlich. Alle diese ohne labyrinthäre Beeinflussung erzeugten Höhen¬
differenzen haben aber das gemeinsam, daß sie relativ schwach sind
und nur 1 bis 2 Minuten dauern, wodurch sie sich von der echten
ATR mit Sicherheit unterscheiden lassen.
Eingehender befaßte sich mit diesem Problem an unserem
Institute B. Mittelmann, der nachwies, daß es bei aktiver Tätigkeit
gewisser Muskelgruppen auch in anderen Teilen der Skelettmuskulal ur
zu bestimmten Beeinflussungen komme.
E. ATR bei Taubstummheit.
Unsere Versuche an Taubstummen ergaben, daß Fälle mit
absolut (kalorisch und rotatorisch) unerregbarem Labyrinth keine
experimentell auslösbare ATR zeigten, während bei Taubstummen
mit erhaltener vestibulärer Erregbarkeit ATR fast durchwegs zu
erzielen war. Junger fand bei 4 von 19 taubstummen Kindern die
ATR bei Galvanisation und betont, daß von diesen 19 Fällen
13 kalorisch und rotatorisch normal erregbar waren, während der
Rest alle Grade der Untererregbarkeit vom leichtesten bis zum
schwersten zeigte. Totale Unerregbarkeit bestand
aber in keinem dieser Fälle. Bei unerregbaren Fällen
fand er jedoch die Fallreaktion, also eine andere tonische Reaktion
der Skelettmuskulatur, deutlich nachweisbar und erklärt diesen
auffallenden Befund damit, daß „die Stammuskulatur auch schwächste
labyrinthäre Einflüsse sicherer erkennen läßt als die Augenmuskulatur“.
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Diese Erklärung könnte auch für unsere Fälle von ATR bei schwach
erregbarem Vestibularapparat in Betracht kommen; sie würde sich
mit unseren Anschauungen Uber die außerordentliche Empfindlichkeit
der ATR decken.
F. Objektiver Nachweis der ATR durch das
Experiment.
Wir versuchten auch experimentell nachzuweisen, daß es bei
ATR im sinkenden Arm tatsächlich zu einer Gewichts- (Volums-)
Vermehrung kommt. Die Versuchsanordnung bestand — grob skizziert
— in folgendem: Eine Holzwanne von zirka 60 cm Länge und
entsprechender Breite wurde mit Gips halb ausgegossen, sodann mit
Quecksilber teilweise gefüllt, auf welches nach dessen Erwärmung 4 )
auf zirka 37° C die Versuchsperson den entblößten Unterarm auflegte.
Die Exkursionen des Armes, der durch seitlich am Oberarm an¬
gebrachte gepolsterte Stutzen fixiert wurde, ließen sich mittels Luft¬
transmission auf ein ganz langsam rotierendes Kymographion
übertragen. Dann wurde mittels des R u 11 i n sehen Spülapparates
das gleichseitige Ohr kaltge&pült (100 cm 3 H 2 O von zirka 12° C
Temperatur) und die Bewegungen des Armes registriert. Selbst¬
verständlich ließ man vor der Spülung eine Zeitlang die spontanen
Armbewegungen aufschreiben, die — nach entsprechender Schulung
— immer geringer wurden, bis es uns gelang, selbe fast völlig
auszuscbalten. Erst dann, sobald der Arm völlig zur Ruhe gekommen
war, wurde die Spülung vorgenommen. Die Versuche bestätigten
nun die subjektive Beobachtung des Schwererwerdens des Armes,
indem der Arm schon gegen Ende der Spülung und auch noch
nachher tatsächlich in das einsank. Weiters konnte man auch
die subjektiv und objektiv beobachteten Phasen an der Kurve naeh-
weisen. Nahm man statt der Kaltspülung eine Warmspülung vor,
bo war der Phasenablauf auch hier in Übereinstimmung mit unseren
früheren Befunden in der Regel ein rascherer. Die Gewebszunahme
des Armes rührt offenbar zum größten Teile von einer vermehrten
Blutzufuhr her, eine Annahme, die sich mit dem Befund der
Empfindung von erhöhter Temperatur im sinkenden Arme deckt,
worauf wir noch zurückkommen werden.
G. Beziehung des subjektiven Effektes der ATR
zum objektiven.
Zunächst sei bemerkt, daß eine ganze Reihe untersuchter
Patienten spontan angab, die eine Hand schiene schwerer als die
andere. Als selbstverständlich muß ich vorausBchicken, daß es streng
vermieden werden muß, durch eine diesbezügliche Frage die Auf-
*) Die Erwärmung durch heißes Wasser erwies sich als notwendig, weil die
durch das kalte Hg erfolgte Abkühlung des Armes den Versuch störte.
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merksamkeit des Patienten nach dieser Richtung zu lenken bzw.
vielleicht suggestiv zu wirken. In den meisten Fällen stimmt die
subjektiv schwerere Seite mit der objektiv tieferen Seite überein,
doch konnte ich auch eine Reihe von Fällen beobachten, wo der
Befund ein anderer war. Die Abweichung von der Regel besteht
meist in folgendem: Erhält man z. B. durch Kaltspülung rechts ATR r. J
mit dem entsprechenden subjektiven Äquivalent (Gefühl des Schwerer-
sein des rechten Armes), so kann man, wenn man später durch
Kaltspülung links ATR 1. J erzeugte, manchmal das zugehörige
subjektive Äquivalent (Schwerersein des linken Armes) vermissen:
Pat. gibt nach wie vor — trotz Tieferstehens des linken Armes
— an, der rechte Arm sei schwerer. Es mögen hier zentrale
Faktoren mitbestimmend sein, die in manchen Fällen eine Art
Nachdauer der Erregung auf einer bestimmten Seite
hervorrufen — sei es nun im subjektiven oder objektiven Effekt
der ATR — welche Nachdauer auch durch peripher entgegengesetzt
wirkende Reize nicht oder sehr schwer korrigiert werden kann.
Neben dieser Art von Diskrepanzen zwischen subjektivem und
objektivem Äquivalent der ATR kommen aber auch alle anderen
Möglichkeiten vor: also subjektiv Schwerersein des objektiv höheren
Armes, Fehlen eines subjektiven Unterschiedes bei objektiv deutlicher
ATR und umgekehrt — Daten, die wir bislang nicht erklären
können. In manchen Fällen lassen gewisse Faktoren, wie schwere
körperliche Arbeit mit einem Arme oder eine krankhafte Veränderung
in demselben (Rheumatismus, Parese usw.), daran denken, daß darin
vielleicht die Ursache für das subjektive Schwerersein dieses Armes
zu suchen ist.
Interessant ist auch die Erscheinung, auf die wir ja schon
wiederholt hingewiesen haben, daß der subjektive Umschlag der
ATR im allgemeinen etwas später als der objektive in Erscheinung
tritt; man sieht objektiv schon lange ein deutliches Sinken des
früher höher stehenden Armes, während die sich genau beobachtende
Versuchsperson nur fühlt: „Es gehe etwas in ihr vor“. Erst wenige
Sekunden später kann sie exakt angeben, sie verspüre den Umschlag.
F. Spontane ATR.
Damit seien spontane Differenzen in der Höhenstellung beider
Arme bezeichnet, sofern diese deutlich ausgesprochen
und auch bei wiederholter Untersuchung stets
in derselben Weise nachweisbar sind. Hier haben
wir, wie wir schon an anderer Stelle betont haben, zu unterscheiden
zwischen spontaner ATR, die experimentell unbeeinflußbar bleibt,
und solcher, bei der es gelingt, die spontane Höhendifferenz beider
Arme durch die entsprechende vestibuläre Beeinflussung zum Ver¬
schwinden zu bringen bzw. zu überkorrigieren. Wir hatten Ge-
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legenheit, bereits an einer größeren Anzahl pathologischer Fälle,
die teilweise durch Autopsie erhärtet wurden, die spontane ATR
zu studieren, teils wurde auch von anderer Seite über Fälle mit
spontaner ATR berichtet (Sittig, Charousek, Goldmann u. a.).
Wir fanden die spontane ATR zunächst bei einer Reihe von
Affektionen des Zentralnervensystems, die entweder im Kleinhirn
lokalisiert waren (Tumoren, Abszesse o. dgl.) oder durch ihre Lage
in nächster Nähe einen Druck auf das Kleinhirn ausübten. Diese
Fälle gehörten auch durchwegs der ersten Gruppe der spontanen
ATR an, d. h., sie waren durch vestibuläre Reizung unbeeinflußbar.
Einer dieser Fälle 5 ) ist folgender: Die 21jährige J. M. erkrankte
unter Hirndrucksymptomen und zeigte unter andern Hypotonie sowie
Adiadochoktinese rechts, ferner spontanes Vorbeizeigen im rechten Arm
nach außen. ATR spontan r. f, keine Störung der Gewichtsschätzung.
Kalorische Reaktion rechts gesteigert (nach 5 cm 3 20° H 2 0 sofort er¬
setzender Schwindel und Erbrechen). Klinische Diagnose: Kleinhirn¬
tumor. Bei der Sektion fand sich im rechten Schläfelappen ein
Melanosarkom mit zahlreichen Blutungen in den hinteren Partien des
Schläfelappens. Die Kleinhirnsymptome können hier — nach Ansicht
der Neurologen — auf Grund des gegenseitigen topischen Ver¬
haltens von Tumor und Blutungen so erklärt werden, daß der Tumor
in der Richtung gegen das Kleinhirn einen Druck ausübte.
Im zweiten Falle 5 ) handelte es sich um den Patienten H. K.,
der rechts herabgesetztes Hörvermögen und kalorische Reaktion,
Facialisparese in allen drei Ästen sowie Parese des rechten Armes
zeigte. Die Prüfüng auf spontane ATR fiel folgendermaßen aus:
Erst Sinken des rechten Armes, der allmählich die Mediane über¬
schreitet, dann Ansteigen, bis der rechte Arm höher als der linke
steht; also wohl Phasenwechsel. Spontanes Vorbeizeigen im rechten
Arm nach innen. Die klinische Diagnose wird auf wahrscheinlichen
Kleinhirnabszeß (Sittig) gestellt und durch die Sektion bestätigt
Wir haben also in beiden Fällen eine spontane Höhendifferenz
beider Arme mit Sinken des Armes auf der Seite der Erkrankung,
und zwar das eine Mal bei einer bestehenden, das andere Mal bei einer
supponierten Kleinhirnaffektion, wo die spontane ATR neben einer
Reihe von Kleinhirnsymptomen vorkommt. Leider wurde in beiden
Fällen der Versuch einer Beeinflussung der spontanen ATR durch
Labyrinthreizung nicht unternommen, so daß wir nichts darüber
&) Beide Fälle lagen auf der hiesigen Ohrenklinik (Vorstand: Prof. Dr.
Pi f fl) und wurden konsiliariter von dem Chef der hiesigen psychiatrischen
Klinik Prof. Dr. Poetzl sowie den Herren dieser Klinik (Doz. Dr. Sittig,
Dr. B. Fischer) untersucht. Ich möchte an dieser Stelle sämtlichen Genannten,
insbesondere den Vorständen beider Kliniken, für die freundliche Erlaubnis der
Einsichtnahme in die Krankengeschichten und ihrer Publizierung meinen wärmsten
Dank aussprechen.
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aassagen können, welcher der beiden genannten Groppen von
spontaner ATE diese Fälle angehören. Beide Patienten hatten wohl
auch Paresen des tiefer stehenden Armes, doch ist aas dem Ver¬
halten des zweiten Falles (Ansteigen des paretischen Armes später
über den nicht paretischen) wohl klar, daß hier der Ausfall der
spontanen ATE nicht die alleinige Folge der Parese ist, sondern
auch aas anderen Gründen erfolgt. Dies finde ich in einem anderen
Falle bestätigt, den ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Dr.
B. Fischer verdanke, wo auf einer Seite im paretischen Arme
Vorbeizeigen nach oben bestand, während derselbe Arm bei
Prüfung auf spontane ATE sank.
Schon früher haben andere Autoren (Mendl, Lothmar)
bei Kleinhirnerkrankungen Fehler in der Gewichtschätzung und
gelegentlich auch Sinken eines Armes beim AusBtrecken beider
Arme beobachtet, ohne aber speziell diesem letzteren Phänomen
näher nachzugehen.
Mehr otologisches Interesse verdienen aber diejenigen Fälle,
bei denen es offenbar infolge peripherer Affektion des N. Vestibularis
zur spontanen ATE kommt. Hier konnten wir an einer stattlichen
Anzahl von Fällen die Verhältnisse eingehender untersuchen.
Ohrenkranke überhaupt (ohne Spezifizierung ihres Leidens)
zeigten in zirka 60% (!) spontane Differenzen der Höhenlage beider
Arme, also um zirka 40% mehr als Normale, was ja nicht zu ver¬
wundern ist, da bereits feine, durch die Ohrenerkr&nkung bedingte
Unterschiede in der Tonisierung beider Körperhälften genügen, um
die überaus empfindliche ATE auszulösen. Bei näherer Betrachtung
der einzelnen Gruppen der Ohraffektionen ersieht man, daß die
spontane ATE um so häufiger anzutreffen ist, je näher an das
Labyrinth die Erkrankung heranreicht. So zeigen z. B. Fälle von
M e n i e r e schein Symptomenkomplex oder auf das Labyrinth tiber¬
greifende Otitiden spontane ATE in der erdrückenden Mehrzahl
(zirka 80% [!]). Wenn wir nun die einzelnen Gruppen gesondert
vornehmen, so zeigt sich folgendes:
Die erste Gruppe waren einfache (akute und chronische)
Mittelohreiterungen ohne jeden Anhaltspunkt für irgendeine Kom¬
plikation. Von den untersuchten Fällen zeigte etwa die Hälfte spontan
keine ATE. von den restlichen positiven Fällen batten zirka 40%
Sinken des dem kranken Ohre gleichseitigen Armes, etwa 10% des
entgegengesetzten Armes. Man könnte vermuten, daß in den Fällen
von spontaner ATE auf der kranken Seite einfach eine Beeinträchtigung
des labyrinthogenen Dauertonus auf die Skelettmuskulatur der gleichen
Seite besteht. Doch dürften die Verhältnisse viel komplizierter sein,
als es auf den ersten Blick scheint. Man muß an die Möglichkeit
des Prävalierens des Labyrinthes der gesunden Seite und einer
konsekutiven Hemmung des Tonuseffektes der anderen Seite denken.
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Die zweite Gruppe umfaßte jene (akuten und chronischen)
Mittelohreiterungen, bei denen es bereits zu irgend welchen Kom¬
plikationen, sei es in Form von Mastoiditis, Labyrinthitis oder von
Seiten des Sinus, der Dura o. dgl. gekommen war bzw. eine
solche Komplikation nach dem ganzen Befund unmittelbar bevor¬
stand. Hier konnten wir in allen Fällen bis auf einen, der noch
einer eingehenderen Erörterung bedarf, stets eine spontane ATR
feststellen. Und zwar pflegte meist der dem kranken Ohre entgegen¬
gesetzte Arm zu sinken, so daß wir darauB den Schluß zogen, daß
es sich auf dem erkrankten Ohre um einen Reizzustand handeln
durfte. Wir sind auf Grund dieses ziemlich häufigen Befundes mit
K o b r a k der Ansicht, daß der zum kranken Ohre schlagende
Nystagmus oder mit anderen Worten der Reizzustand des Laby¬
rinthes auf der erkrankten Seite viel öfter vorkommt als allgemein
angenommen wird. Nur ist dieser Zustand eben in der Regel von
kurzer Dauer, weshalb er der Beobachtung leicht entgehen kann.
Einen Beweis dafür glauben wir in folgendem Falle gefunden zu
haben, den ich hier kurz skizzieren will: Ein 30jähriger Mann mit
einer seit 8 Wochen bestehenden akuten Otitis links erkrankt
plötzlich des nachts unter Erbrechen und heftigen Schwindelanfällen.
Die sofort vorgenommene Untersuchung stellt r\ Nystagmus nach
links beim Bewegen des Kopfes nach der linken Seite fest. Bei
Ruhelage des Kopfes und bloßer ßlickwendung nach links ganz
schwacher Nystagmus r\ nach links. Vorbeizeigen in der rechten
Hand etwas nach außen. Spontane ATR r. f über Handbreit. Rechter
Arm auch subjektiv schwerer. Einige Stunden später der gleiche
Befund. 14 Stunden später, unmittelbar vor der Operation, ist die
ATR fast gänzlich geschwunden, höchstens noch angedeutet. Von
da ab nach der Operation weder ATR noch spontanes Vorbeizeigen
auslösbar, auch subjektiv keine Differenz zwischen beiden Armen
mehr. Nystagmus verschwand erst 2 Tage nach der Operation.
Hier bestand offenbar ein ganz frischer Reizzustand des linken
Labyrinthes (rotatorischer Nystagmus zur kranken Seite und ATR
r. J), der — nach der ATR zu schließen — rasch verschwand.
Hierzu möchte ich nur bemerken, daß der Reizzustand des Laby¬
rinthes nicht zwangsläufig vielleicht mit einer vestibulären Über-
erregbarkeit verbunden sein muß, es kann im Gegenteil normale, ja
verminderte Erregbarkeit bestehen.
In vielen Fällen geht die ATR, wenn ich so sagen darf, Hand
in Hand mit dem BärAny sehen Vorbeizeigen nach außen, d. h.,
daß das Tieferstehen oft am gleichen Arm nachgewiesen werden
kann wie das Vorbeizeigen nach außen. Doch beobachtetet wir auch*
zahlreiche Fälle, in denen bei bestehender spontaner ATR spontanes
.Vorbeizeigen fehlte und umgekehrt. Weiters sahen wir z. B. ATR
r. J kombiniert mit Vorbeizeigen des linken Armes nach außen
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o. s. f. Kurz, es gibt alle möglichen Kombinationen nnd sichere Fälle 1
von Dissoziiernng beider Reaktionen, was bei der Verschiedenheit I
beider Phänomene a priori anzunehmen ist.
Wenn wir nnn das Resnltat der Prüfung auf ATR bei den I
verschiedenen einfachen and komplizierten Mittelohreiterungen über- <
blicken, so hat es den Anschein, als würde man immer dort eine '
spontane ATR finden, wo sich ein schwerer Prozeß abspielt oder |
wenigstens vorbereitet. Dafür sprechen nicht nur die Zahlen, sondern
auch ganz besonders das eigenartige Verhalten zweier spezieller '
Fälle: Der eine war eine chronische, rezidivierende Mittelohreiterung (
links mit randständiger Perforation und Granulationsbildung, die
schon öfter bei mir wegen auftretender Schwindelerscheinungen, |
Kopfschmerzen, Brechreiz usw. behandelt worden war und bei der
alle diese Erscheinungen unter Ruhe, Umschlägen u. dgl. prompt (
zurückgegangen waren. Zum Zeitpunkte der Untersuchung auf ATR (
ging es dem Patienten seit vielen Monaten ganz ausgezeichnet, die
Sekretion war fast völlig geschwunden, Granulationen bestanden keine f
und auch Zeichen irgendwelcher Komplikation fehlten vollständig.
Daher reihte ich Patienten damals in die Gruppe der nicht kom- (
plizierten Mittelohreiterungen ein. Bei der Prüfung auf spontane I
ATR zeigte er jedoch konstant ein Sinken des rechten Armes. Der ’
zweite Fall stellte nach gewisser Hinsicht das Gegenteil dar: Ein
lOjähriges Mädchen mit linksseitiger chronischer granulierender
Otitis, die angeblich in der letzten Zeit appetitlos war, häufig Brech¬
reiz und Kopfschmerzen hatte und auch schlecht aussah, bekam, als
ich sie untersuchte, Schwindel, Erbrechen und einen OhnmachtB-
anfall. Temperatur37®. Warzenfortsatz frei. ATR spontan negativ.
Kein Spontannystagmus, kein Vorbeizeigen, Vestibularapparat normal
erregbar. Auf Grund dieser Symptome entschloß ich mich zur (
Radikaloperation, die außer Granulation und etwas Eiter im Antrum .
nichts besonderes zu Tage förderte. Speziell Dura und Sinus er- '
wiesen sich als normal. Diese beiden Fälle bestärkten uns in dem I
Glauben, daß das Auftreten einer spontanen ATR im Verlaufe einer |
akuten oder chronischen Mittelohreiterung nicht ohne Bedeutung sei. (
Es drängt sich der Gedanke auf, daß die spontane ATR in solchen <
Fällen vielleicht ein Hinweis dafür sein könnte, in der Beurteilung •
eines einfach scheinenden Falles eine gewisse Vorsicht walten zu i
lassen. Es scheint möglicherweise die spontane ATR eine Art j
Indikator für die Schwere des betreffenden Falles zu sein. Unter ^
diesem Gesichtswinkel betrachtet, würden beide eben zitierten Fälle ,
verständlich sein 6 ).
6) Die Ansicht wurde in letzter Zeit durch einen charakteristischen Fall
sehr gefestigt: Bin 30jähriger Patient erkrankte an einer linksseitigen akuten
Otitis, die von Anfang an mit profuser Sekretion einherging, ohne daß andere I
auf eine Komplikation deutende Symptome vorhanden gewesen wären. Spontane
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Viel weniger einheitlich ist das Bild bei den (luetischen,
traumatischen and sonstigen) Affektionen des Stammes des N. Oktavns.
'Wahrend z. B. bei einzelnen Fallen die spontane ATR auf dem Arme
eintritt, der sich — nach dem sonstigen Befunde wie spontaner
Nystagmus zu schließen — auf der'Seite der Hemmung befindet,
können wir an anderen Fällen wieder das Gegenteil und auch das
Fehlen der spontanen ATR bei sicherer Labyrintherkrankung finden.
Letzteres Verhalten konnten wir speziell bei einer Reihe alter Luetiker
nachweisen, wo wir nebst den bekannten Anomalien des Zeige-
▼ersuches und einseitig stark untererregbarem Vestibularapparat voll¬
kommen normale ATR beobachten konnten. Allerdings lag die Lues¬
infektion bei allen diesen Fällen sehr weit zurück, ebenso auch die
Vestibularisaffektion und wir wissen ja nicht, wie lange nach er¬
folgter Schädigung des Vestibularapparates die doch offenbar ein¬
tretende spontane Korrektur von der gesunden Seite aus erfolgt,
d. h. eine etwa positiv gewesene ATR wieder verschwindet. Theoretisch
wäre diese Möglichheit ohne weiteres zuzugeben. Andererseits könnte
aber gerade das von uns beobachtete Fehlen der ATR für Lues
möglicherweise charakteristisch sein.
Wohl noch die klarsten Befunde geben nicht die spezifischen,
sondern die traumatischen Affektionen des N. Akustikus, wo wir
fast regelmäßig ATR spontan antrafen, und zwar bei wiederholter
Untersuchung stets in derselben Weise. Eine Korrektur dieser spon¬
tanen ATR durch Vestibularisbeeinflussung gelang nur ganz ver¬
einzelt.
Schließlich möchten wir noch auf eine Gruppe von Fällen ver¬
weisen, die über Schwindel klagten, ohne daß außer einer spontanen
ATR (mit ihrem subjektiven Äquivalente) sonst irgendein Symptom
einer Vestibulariserkrankung vorhanden gewesen wäre. So beob¬
achtete ich eine 20jährige, sehr intelligente Dame, die an Schwindel¬
anfällen beim Bücken usw. litt. Kein spontanes Vorbeizeigen, kein
Spontannystagmus, Vestibularapparat rotatorisch und kalorisch normal
erregbar, Kochlearis intakt. ATR spontan r. J, rechte Hand
subjektiv schwerer. Derselbe Befund bei vier, zeitlich durch
mehrere Tage getrennten Untersuchungen. Die spontane ATR war
experimentell zu beeinflussen. Zirka 3 Wochen später sistierte der
Schwindel unter entsprechender sedativer Behandlung. Gleichzeitig
ist auch die spontane ATR verschwunden; beide Arme scheinen
Patientin gleich schwer.
In einem anderen Falle handelte es sich um einen zirka 40jährigen
Advokaten, der an heftigen Schwindelanfällen litt, die sich regelmäßig
ATR fehlte. (Wurde täglich geprüft!) Erst als sich im Verlaufe von zirka fünt
Wochen allmählich eine schleichende Mastoiditis mit abendlichen Temperatur¬
steigerungen entwickelte, trat spontane ATR r. J auf. Hier ging ihr Auftreten-
ganz parallel mit der Zunahme der Erscheinungen.
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840
Ernst Wodak.
. im Gefolge jedes starken Schnupfens einstellten. A1b einziges objektiv
nachweisbares Symptom fand ich ATR spontan 1. J, welches Phänomen
mit den SchwindelerBcheinnngen nach einigen Tagen von selbst
verschwand.
In Fällen, wie die beiden eben erwähnten, hätte man allzu-
leicht die unbestimmten Schwindelanfälle ohne anscheinend nach¬
weisbares Substrat als neurophatisch (hysterogen) deuten und dem¬
entsprechend ignorieren können. Ich möchte aber— auf Grund unserer
Erfahrungen — in einem solchen Falle bei Auftreten einer spontanen
ATR dem Patienten die gleiche Aufmerksamkeit schenken, wie wenn
ich irgendein anderes bekannteres Symptom einer Vestibnlaris-
erkrankung bei ihm festgestellt hätte. Da wir, wie unsere experi¬
mentellen Untersuchungen zeigen, in der ATR eine überaus feine
Reaktion vor uns haben, ist es nicht auszuschließen, daß sie schon
derartig feine Differenzen in der Tonisierung beider Körperhälften
anzeigt, die uns mit den üblichen Methoden verborgen bleiben
mußten.
Wenn wir also die klinische Bedeutung der ATR nach unseren
heutigen gewiß noch mangelhaften Kenntnissen zusammen fassen
wollten, so scheint es, als ob die spontane ATR bei gewissen
Fällen von Mittelohreiterungen ein Memento sei, daß
sich hier möglicherweise eine Komplikation vorbe¬
reite. Bei anderen Fällen wieder, speziell mitSchwinde 1-
anfällen, wosiemanchmal das einzigeobjektiveSym-
ptom darstellt, kann sie uns ein Fingerzeigdafür sein,
daß der Vestibularapparat hier doch nicht völlig
intakt ist.
Sowohl bezüglich der experimentellen als auch der spontanen
ATR müssen natürlich Reihenuntersuchungen an großem Material
abgewartet werden, bevor wir ein definitives Urteil über den prak¬
tischen Wert dieser Reaktion werden abgeben können. Doch gestatten
die bisherigen Untersuchungen und Beobachtungen wohl den berech¬
tigten Schluß, daß das Ergebnis dieser Prüfungen für Otologie, Neuro¬
logie und Physiologie manches Brauchbare zutage fördern dürfte.
1. b) Änderung der Temperaturempfindung.
Auf den Zusammenhang zwischen Temperaturempfindung und
Labyrinth hat unseres Wissens zum erstemal Güttich aufmerksam
gemacht, der Störung des Temperaturempfindens bei Labyrinthlosen
nachwies. Bei unseren Versuchen über die ATR konnten wir wieder¬
holt die Beobachtung machen, daß der Arm der subjektiv schwereren
Seite auch als wärmer empfunden wurde. Ganz besonders gut gelang
diese Beobachtung manchmal, wenn man die (ermüdeten) Arme
ruhig entlang des Körpers herabhängen ließ, weil man in dieser Lage
genau verspürte, wie in den subjektiv schwereren Arm mehr Blut
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None Beitrüge zur Funktionsprüfung des Labyrinthes.
841
«inschoß als io den anderen und auch anscheinend der Puls auf
•dieser Seite kräftiger wurde. In vielen Fällen konnte auch der
Versuchsleiter durch Befahlen der Hände diese Temperaturdifferenz
•objektiv bestätigen. In der Folge schenkten wir diesen Beobachtungen
größere Aufmerksamkeit und konnten öfters spontane Angaben über
Differenzen der Temperaturempfindung von den Patienten erhalten.
Ja manchmal war das Gefühl der erhöhten Temperatur viel ausge¬
sprochener als das Gefühl des Schwererwerdens. In der Regel ist
die subjektiv schwerere Seite auch die subjektiv wärmere, doch
konnten wir auch hier Abweichungen hiervon konstatieren. Einen
Phasenablauf konnten wir nicht in derselben klaren Weise ermitteln
wie z. B. bei der ATR, höchstens ließ sich öfter feststellen, daß die
oben beschriebene charakteristische Empfindung für vermehrtes Ein-
«chießen von Blut synchron mit dem Umschlag der ATR wechselte.
Wir sind bestrebt, diese Temperaturdifferenzen in objektiver Weise
auf thermoelektrischem Wege zu messen.
1. c) Änderungen des Angenmuskeltonus (Hertwig-Magendlesche Schiel-
Stellung).
Während die Angaben Uber Änderungen des Extremitäten ton us
durch vestibuläre Beeinflussung im Sinne unserer ATR in der
Literatur Überaus spärlich sind — wir fanden eigentlich nur die
Berichte Manns am Kaninchen aber Höhendifferenzen beider Pfoten
bei Galvanisation —, liegen viel mehr Beobachtungen vor über
Änderung des Augenmuskeltonus bei vestibulärer Reizung: „Jedes
Labyrinth hat“ so sagt Köllner in einer Abhandlung Uber die
labyrinthäre Ophthalmostatik „die Neigung, das gleichseitige Auge
nach oben, das entgegengesetzte nach unten zu treiben . . . Die
Vertikalabweichung ist bei manchen Tieren sehr stark, aber auch
beim Menschen nachweisbar.“ Speziell Bartels und Ohm haben
sich damit in experimentellen Untersuchungen beschäftigt. Bartels
konnte sogar bei sich selbst im Verlaufe einer akuten Mittelohr-
«ntzttndung schnell vorübergehende vertikale Doppelbilder beobachten.
Auch beim Affen fand er beim Durchschneiden des N. oktavus
Vertikaldivergenz der Augen. Bei Pferd und Schaf fand Biebl ähn¬
liches Verhalten nach Vestibularisdurchschneidung 7 ).
Es lag nun nahe zu untersuchen, ob es nicht gelänge, beim
Menschen eine Vertikaldivergenz bei vestibulärer Beeinflussung
regelmäßig nachzuweisen.
7 ) Zuerst hat Hertwig, was Magen die bestätigte, diese Beobachtung
gemacht. Auf die schon vergessene Angabe hat später A.Tech ermak hingewiesen
und die Erscheinung als Hertwig-Magendiesche Scbielstellung bezeichnet. Er
beobachtete dieselbe speziell bei zwangsläufiger Seitenlage von Fischen, was
-ebenso Lee konstatierte.
Monatsschrift f. Ohrsoheilk. u. Lar -Rhin. 66. Jabrg. f>5
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Ernst W o d a k.
S42
Zum Studium dieser Erscheinungen wurde eine Einrichtung:
verwendet, deren sich M. H. Fischer 8 ) nach dem Vorschläge
A. Tschermaks zur Prüfung der Heterophorie bediente. Der Beob¬
achter fixiert seinen Kopf durch ein Beisbrettchen und sieht mit
dem einen Auge frei in bestimmter Entfernung ein leuchtende»
Kreuz (in schwarzes Papier eingeschnitten, von rückwärts durch eine
Lampe beleuchtet); vor dem anderen Auge steht lichtdicht abschließend
ein Momentverschluß. Derselbe muß so eingestellt werden, daß, wenn
er geöffnet wird, auch dieses Auge durch eine feine Öffnung (nebst
zwei Merkzeichen zur Charakterisierung dieses) das Kreuz sieht, das
Kreuz somit binokular sichtbar ist. Wird der Momentverschluß längere
Zeit unter Beibehaltung der Fixation des anderen Auges geschlossen
gehalten und dann geöffnet, so sieht der Beobachter charakteristische
Doppelbilder infolge Abwanderung des abgedeckten Auges. Die
Doppelbilderdistanz kann gemessen und somit Art und Ausmaß der
Heterophorie bestimmt werden. In gewisser Entfernung ist die Hetero¬
phorie, bei manchen Individuen, wenigstens für kurze Zeit (während
der Prüfung) konstant. Wird nun unter Einhaltung der ent¬
sprechenden Vorsichtsmaßregeln Spülung eines Ohres oder Kopf-
Quer-Galvanisation durchgeführt, so tritt eine meßbare Änderung
der Lage der Doppelbilder ein, die darauf hinzudeuten scheint, daß
die Augen nunmehr Vertikaldivergenzen im Sinne der Hertwig-
M a g e n d i e sehen Schielstellung aufweisen.
2. Änderung der Richtungsrorstellung. Bärinyscher Zeigerersuch*).
Die physiologischen Grundlagen des Bar äny sehen Zeige Ver¬
suches sind auch heute noch — wie Seng 10 ) kürlich in einem aus¬
gezeichneten Sammelreferat über diesen Gegenstand hervorhebt —
nicht völlig geklärt. Nooh immer steht es dahin, ob es sich beim
Zeigeversuch um eine Koordinationsstörung, wie Bär äny
anzunehmen scheint, oder um eine mehr psychisch bedingte Ange¬
legenheit handelt, indem die Versuchsperson „sich nur über die Lage
des Zieles täuscht, aber bezüglich dieser vermeintlichen Lage des
Zieles richtig zeigt“ (Seng 1. c.). In letzterem Falle würde also das
VorbeizeigendurcheineÄnderung der Richtungsvorstellung
bedingt sein (Brunner, Bondy), während Schilder wieder glaubt,
daß der Zeigeversuch sich in einer gewissen Abhängigkeit von der
gleichzeitig bestehenden Schwindelempfindung befinde, wie er
durch Versuche von suggeriertem Schwindel nachzuweisen sucht.
s ) M. U. Fischer. Beiträge und kritische Studien zur Heterophoriefrage
auf Grund systematischer Untersuchungen. V. Graefes Arch. f. Ophthal. 108.
251—284. 1922.
*) Vorgetragen auf der Deutschen Hatnrforsoherversammlung au Leipzig 1922.
1# ) Int. Centralbl. f. Ohrenhlk. Bd. 19.
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Neue Beiträge zur Funkt ion.sjuüfung des Labyrinthen.
843
Hier sind, wie Seng mit Recht betont, spekulative Untersuchungen
belanglos und einzig exakte Experimente entscheidend.
Wir haben nun versucht, dem Problem des Zeigeversuches
experimentell näher zu rücken und folgenden Versuch 11 ) angestellt:
Die Versuchsperson sitzt mit während des ganzen Versuches ge¬
schlossenen Augen vor einer schwarzen Tafel. Wichtig ist, daß so¬
wohl der Stuhl als auch der Körper (Kopf) der Versuchsperson be¬
ständig tadellos fixiert wird, was wir bezüglich des Kopfes am besten
mit unserem Beisbretthalter (Münch, med. Wschr. 1922. Nr. 11)
erreichten. Die Versuchsperson bestimmt nun abwechselnd mit der
rechten und linken Hand ihre subjektive Mediane, etwa in
Schulterhöhe. (Der Abstand der Tafel vom äußeren Augenwinkel
beträgt zirka 60 cm.) Diese subjektive Mediane wird von einer
normalen Versuchsperson mühelos und ziemlich gut übereinstimmend
mit der objektiven Mediane gefunden, die man sich eventuell
auch — allerdings in anderer Weise — bestimmen kann. Diesen
Versuch läßt man langsam mit jeder Hand zirka lOmal ausführen,
wobei der Versuchsleiter immer den Punkt der Wand, den die Ver¬
suchsperson mit den Finger berührt, mit Kreide in charakteristischer
Weise — mit verschiedenen Zeichen für jede Hand — festhält. Man
erhält so einen Zerstreuungskreis von bei verschiedenen Individuen
verschiedener Größe, der ein ziemlich gutes Abbild der subjektiven
Mediane der Versuchsperson gibt. Die Differenzen zwischen beiden
Armen sind gewöhnlich nicht bedeutend. — Sodann nahmen wir —
bei stets gleichbleibender Fixation des Kopfes — eine Kaltspülung
z. B. des rechten Ohres vor (100 cm 3 12° C H 2 0). Nach der Kalo-
risierung wurde nun die subjektive Mediane in der oben beschriebenen
Weise neuerlich bestimmt, wobei sich — wie zu erwarten stand — erwies,
daß jetzt mit beiden Händen nach rechts vorbeigezeigt wurde.
Die Zerstreuungskreise waren wieder etwa in den von früher her
bekannten Fehlergrenzen, nur um zirka 10 bis 15 cm nach rechts
verlagert. (Siehe Fig. 1.) Führte man nun aber z. B. den rechten
Zeigefinger der Versuchsperson auf einen Punkt der subjektiven
Mediane vor der Reizung (A in der Fig. 1) und forderte man die
Versuchsperson auf, diesen Punkt zu zeigen, so erfolgt das Zeigen
vollständig richtig. Dabei gibt die Versuchsperson jedoch an, sie
zeige um ein gutes Stück links an ihrer jetzigen Medianen vorbei.
Dieses Ergebnis mag gewiß verwunderlich sein, da es mit dem
Ausfall des Barany sehen Zeigeversuches eigentlich im Widerspruche
steht. Doch traf es bei unseren Versuchspersonen regelmäßig zu,
ähnlich wie im Selbstversuche Sengs nach der Rotation. Eine
Erklärung für den scheinbaren Widerspruch finden wir wohl in der
11 'l Der hier geschilderte Versuch stellt einen grob orientierenden Versuch
dar, die feinere Ausarbeitung ist im Gange.
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Ernst W o d a k.
Annahme, daß in den geprüften Fällen die hapto-kinaesthetiachen Ein¬
drücke sehr intensive waren und im Sinne meiner späteren Aus¬
führungen die geänderte Richtungsvorstellung korrigierten.
BOcm Baob.-Oist.
LA +
RA O
A
VOR
+ +o
0 0
Ir
4
* *
wnd. RECHTS-(ttj Phase
Whd. UNK5 - Phasa(I )
sofort noch SFÜLUJN6
Fig. 1.
Was lehrt uns dieser einfache Versuch?
Zunächst glauben wir, daraus schließen zu können, daß durch
die Kalorisierung keine Koordinationsstörung hervor¬
gerufen wurde, da die Versuchsperson ja jeden beliebigen Punkt
exakt zu zeigen imstande ist. Weiters, daß durch Kalorisierung eine
partielle Änderung im Körperfühlbilde, und zwar in der Vorstellung
der subjektiven Mediane eingetreten sein muß. Denn bei unserem
Versuche ließen wir ja die subjektive Mediane einzig und allein
auf Grund der räumlichen Vorstellung unterBenutzung
des sensomotorischen Muskelapparates zeigen, ohne
daß, wenigstens beim ersten Zeigen dazu noch irgend¬
welche Erinnerungsbilder sensibler hapto-kinaesthe-
tischer Eindrücke — hervorgerufen durch eine voran¬
gegangene Bewegung — hinzukämen.
Der Bdränysche Zeigeversuch hat im Wesen zwei Haupt¬
grundlagen, nämlich:
1. die Erinnerungsbilder aller sensiblen (hapto-kinaesthetischen)
Eindrücke, die die Versuchsperson infolge der geführten Bewegung
empfängt;
2. die daraus resultierende räumliche Vorstellung des zu
zeigenden Punktes.
Da nun bei unserer Versuchsanordnung diese sonst beim Zeige¬
versuch immer vorangehende geführte Bewegung der Hand weg¬
fällt und der Zeigeversuch daher bloß auf Grund der räumlichen
Vorstellung vorgenommen wurde, so konnten wir — wie wir glauben —
einwandfrei nachweisen, daß diese räumlichen Vorstellungen
hier gestört sind. Unser Zeigeversuch ist also durch den Weg¬
fall der beim BAränysehen Zeigeversuch hinzukommenden hapto-
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Neue Beiträge zur Funktiomq>rüliing des Labyrinthes.
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kinaesthetischen Erinnerungsbilder einfacher und unseres Erachtens
auch reiner geworden. Das Hinzutreten der sensiblen Eindrücke der
stattgehabten geführten Bewegung kann höchstens, wie ja der Selbst-
versuch Sengs (1. c.) zeigt, speziell bei Personen, die den sensiblen
Eindrücken von Haut, Muskeln und Gelenken eine besondere Auf¬
merksamkeit zuwenden, beim Zeigen eine Kompensation der durch
die Kalorisation gestörten Eichtungsvorstellungen vornehmen und so
das Bild des Zeigeversuches unklar gestalten: Sind die sensiblen
Eindrücke nämlich nicht intensiv, dann überwiegt die Störung der
Richtungsvorstellung und die Versuchsperson wird vorbeizeigen, sind
sie aber stark entwickelt, dann können Bie die geänderte Richtungs¬
vorstellung kompensieren und die Versuchsperson wird richtig zeigen.
Gegen unsere Beweisführung könnte man noch den Einwand
erheben, daß es durch die kräftige Kalorisierung des rechten Obres
zu einer Art Desorientierung käme, die im Sinne Schildere zum
Vorbeizeigen führe, also man könnte das Vorbeizeigen auf den
„Schwindelkomplex“ zurückführen. Zu diesem Zwecke modi¬
fizierten wir den Versuch, von folgenden Beobachtungen ansgehend:
Wenn man durch eine Versuchsperson dauernd einen galvanischen
Strom von zirka 2 MA schickt (beide polarisierten Elektroden
liegen am Warzenfortsatze an) so zeigt sich, daß nach wenigen
Minuten sowohl Nystagmus, als auch Drehempfindung schwindet,
während das Vorbeizeigen bestehen bleibt. Es scheint also für die
beiden ersten Reaktionen eine Art Adaptation einzutreten, selbst¬
verständlich auch für das im Anfänge des Versuches ausgesprochene
„Schwindelgefühl“ bzw. Drehempfindung, welches ebenfalls bald
sistiert. Führt man nun bei dieser „Dauer gal van isation“ den
oben geschilderten Versuch aus, so erhält man in bezug auf das
Zeigen der subjektiven Mediane vor und nachher ähnliche Resultate
wie bei der Kalorisierung. Es scheint also, als ob die Verlagerung
des Körperfühlbildes trotzdem bestehen bliebe. Wir können daher
unseres Erachtens den berechtigten Schluß ziehen, daß beim Zeige¬
versuch wohl hauptsächlich die Änderung der
Richtungsvorstellung das maßgebende ist.
Zusammenfassend möchte ich nur noch betonen, daß unser
Zeigeversuch und das B k r k n ysche Zeigen durchaus nicht identisch
sind: Bei unserem Versuche handelt es sich um die subjektive
Mediane, also um etwas primär Egozentrisches, bei Bdrdny
um etwas egozentrisch Bezogenes, das auf Grund des pri¬
mären Eindruckes in das egozentrische System eingereiht und
gedächtnismäßig festgehalten wird.
Unsere Probe reinigt sozusagen den Baranysehen Zeige¬
versuch von dem psychologischen Gedächtnismoment,
indem sie reinlich die primär - egozentrische Lokalisation, also
eigentlich ursprünglich etwas Physiologisches prüft.
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Ernst W o rl a k.
Diese eben beschriebenen Versuche worden von uns an einigen
normalen Versuchspersonen dnrchgeftthrt — stets mit dem gleichen
Resultat —, die Versuchsergehnisse an der Wand im Original ab¬
gepaust. Ein derartiges Versuchsergebnis stellt die Figur dar.
Interessant ist weiter, daß — analog Bäränys seinerzeitigen Be¬
obachtung über die „Nachreaktion“ und unseren Erkenntnissen über
die Rhytmik aller Vestibularreaktionen — auch hier dieses rhytmische
Verhalten deutlich nachweisbar ist. Denn — wie Figur zeigt —
nach einigen Minuten schlägt auch die Zeigereaktion um, d. h. die
Körpermediane, die bisher eine Verlagerung im Sinne der langsamen
Nystagmuskomponente erfahren hatte, zeigt jetzt eine solche Ver¬
schiebung nach der Gegenseite. Betonen möchten wir, daß gleich¬
zeitig damit auch die akustische Lokalisation, die ja nach
Frey zunächst ebenfalls im Sinne der langsamen Nystagmuskom¬
ponente sich verschiebt, in dieser Phase eine gegensätzliche Ver¬
schiebung erführt. Dem von uns gefundenen rhytmischen Verhalten
der Labyrinthreaktion ist eben auch die Änderung der Richtungs¬
vorstellung mit ihren Konsequenzen (Zeigeversuch — akustische
Lokalisation) unterworfen.
3. Empfindung unwillkürlicher Stellungsändemng der Arme — Abweich¬
reaktion.
Unter Abweichreaktion verstehen wir die von Bäräny be¬
schriebene Erscheinung, daß nach Vestibularisreizung der ruhig
ausgestreckte Arm langsam im Sinne der langsamen Komponente
des Nystagmus abweicht. Bäräny betonte damals ausdrücklich,
(Verhandlung der deutschen otol. Gesellschaft 1911), daß diese Ab¬
weichreaktion beim Menschen an eine willkürliche Bewegung ge¬
knüpft sein müsse. Auf diese Ab weichreaktion scheint auch Bär an y
zunächst den Zeigeversuch aufgebant zu haben. In der Folge sehen
wir nun, daß nicht nur Bäräny selbst, sondern auch seine Schüler
und fast alle Autoren den Ausdruck „Abweichreaktion“ synonym
mit Zeigeversuch oder Zeigereaktion (Reaktionszeigen) gebrauchen,
etwas, womit wir unB nicht einverstanden erklären können. Wir
möchten das von Bäräny gefundenen Phänomen des Abweichens
des ausgestreckten Armes streng scheiden vom eigentlichen Bäräny-
schen Zeigeversuch und nur für jenes Phänomen die Be¬
zeichnung „Abweichreaktion“ reserviert wissen. Ob
diese Erscheinung tatsächlich mit dem Zeigeversuch ursächlich zu
tun hat in dem Sinne, daß vielleicht das Vorbeizeigen auf der Ab¬
weichreaktion beruht, erscheint uns — speziell nach den oben er¬
örterten Versuchen über die Grundlagen des Bäräny sehen Zeige¬
versuches — sehr unwahrscheinlich.
Wir haben uns mit der Abweichreaktion eingehender beschäftigt
und wollten zunächst feststellen, ob denn tatsächlich ihr Auftreten.
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Neue Beiträge zur Funktionsprüfung des Labyrinthes.
847
beim Menschen an eine willkürliche Bewegung geknüpft sei, was
auch Bondy bezweifelt. Dagegen sprach zunächst der Umstand,
daß wir es hier doch mit einer vestibulären Reaktionsbewegung zu
tun haben, die sicher vom Willen im allgemeinen unabhängig ver¬
läuft, wenn sie auch vielleicht bewußt gehemmt werden kann.
Andrerseits schien es uns unwahrscheinlich, daß die Abweichreaktion
beim Tiere unwillkürlich, beim Menschen nur im Zusammenhänge
mit einer beabsichtigten Bewegung verlaufen solle. Die Versuche
•darüber waren vorderhand nur grob vorbereitender Art, doch ist
•eine Apparatur zur feineren Ausarbeitung im Bau. Wir machten
bei der Versuchsperson eine 10malige Umdrehung, sodann hob der
Versuchsleiter nach dem Anhalten einen Arm der Versuchsperson
und fixierte ihn so, daß jede willkürliche Bewegung der im übrigen
in üblicher Weise fixierten Versuchsperson auszuschließen war.
Hierauf beobachteten wir, ob eine Abweichreaktion eintrat. Nach
Baräny hätte dies hier — beim Fehlen jeder willkürlichen Be¬
wegung — nicht der Fall sein dürfen, in Wirklichkeit traf es aber
zu. Der Arm wich prompt und deutlich im Sinne der langsamen
Nystagmusphase ab, ja die Versuchsperson, die während des ganzen
Versuches die Augen geschlossen hatte, gab spontan an, daß sie
-deutlich ein Abweichen des Armes nach außen merke. Wir konnten
also hiermit feststellen, daß die Abweichreaktion nicht an
eine willkürliche Bewegung geknüpft ist, und andrer¬
seits, daß auch diese Reaktion ein subjektives Gegen¬
stück besitzt. Bei unseren weiteren Versuchen wird es sich vor
allem darum handeln, durch eine entsprechende Anordnung der
Apparatur jede willkürliche Bewegung der Versuchsperson mit
Sicherheit auszuschließen und die dann eintretenden Bewegungen
-des Armes graphisch zu registrieren.
Weiters konnten wir nachweisen, daß die Abweichreaktion
-durchaus nicht so flüchtig ist, wie allgemein angenommen wird,
sondern, sicher 5 bis 10 Min. lang besteht, allerdings sehr schwach.
Ebenso zeigt die Abweichreaktion, wie die anderen vestibulären
Reaktionen, rhytmischen Phasenablauf.
Schließlich ergaben weitere Untersuchungen, daß ähnlich wie
bei ATR auch andere Faktoren als die vestibuläre Beeinflussung
imstande seien, eine Abweichreaktion hervorzurufen. So gelang es,
durch den bei der ATR beschriebenen Versuch de6 Anpressens des
gestreckten Armes gegen die Wand in diesem eine deutliche Ab¬
weichreaktion auszulösen. Aber auch auf andere Weise läßt sich
eine Abweichreaktion erzielen: Läßt man z. B. eine geeignete Ver¬
suchsperson beide Arme bei geschlossenen Augen ausgestreckt halten,
so kann man gelegentlich sehen, wie beide Arme — ohne vor¬
hergehende Beeinflussung des N. vestibularis — nach entgegen¬
gesetzten Richtungen auseinander weichen, bis sie eine gewisse Ruhe-
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84H
Krnst VV o <1 a k.
läge erreicht haben. Es scheint, wie wenn sie der Mi ttelstellun gp
des Schultergelenkes zustreben wollten. Selbstverständlich ist
diese Erscheinung nicht bei jeder Versuchsperson zu beobachten
und individuell sehr verschieden. Haben die Arme diese Ruhelage¬
erreicht, die in einer etwas divergenten Stellung beider Arme be¬
steht, und wird dann z. B. rechts kalt gespült, so tritt in vielen
Fällen ein merkwürdiges Phänomen auf, das sich je nach Temperatur-
und Menge des verwendeten Wassers ändert. Hat man z. B. eine
Starkreizmethode verwendet, so tritt die bekannte Erscheinung des-
Abweichens beider Arme im Sinne der langsamen Nystagmus¬
komponente ein, wobei der gleichseitige Arm, wie ja schon G ütti cb
nachwies, die Bewegung nach rechts außen rascher und ausgiebiger
mitmacht als der kontralaterale. Nimmt man aber einen Schwach¬
reiz nach Kobrak, so kann man durch entsprechende Abbühlung^
der Spülflüssigkeit ziemlich gut den Grenzfall treffen, in dem z. B.
der rechte (schon spontan nach außen rechts der Mittelstellung zu¬
strebende) Arm durch den hinzutretenden im selben Sinne wirkenden,
vestibulären Reiz noch weiter nach außen getrieben wird (A d d i ti o n s-
effekt), während beim linken (spontan der Mittelstellung nach links-
außen zustrebenden) Arm sich der Effekt des hinznkommenden, den
linken Arm nach rechts außen treibenden vestibulären Reizes in
einem Stillstand dieses linken Armes bemerkbar macht (S u b-
traktionseffekt). Es kommt also stets zu einer algebraischen
Addition von vestibulärem Effekt (im Sinne der langsamen Kom¬
ponente des Nystagmus wirkend) und spontaner Abweichreaktion
(der Mittelstellung zustrebend). Nimmt man statt der Kaltspülung
eine Warmspülung vor, so tritt — wenn auch nicht so deutlich —
die entgegengesetzte Wirkung ein.
Ähnliche Effekte wie das Ausstrecken der Arme bewirken aueb
andere indifferente Reize, wie z. B. Spülung mit Wasser von Körper¬
temperatur. Hier bekommt man — wieder nur bei entsprechend
geeigneten Individuen — im Beginn der Spülung das oben be¬
schriebene Auseinanderstreben beider Arme in entgegengesetztem
Sinne. Bei anderen Fällen sind die Befunde jedoch nicht so klar,
sondern weitaus komplizierter.
Die Kenntnis dieser und wohl noch anderer Faktoren, die
ohne Labyrinthbeeinflussung eine Abweichreaktion hervorzurufen
vermögen, ist unseres Erachtens sehr wichtig, da es bei näherem
Studium vielleicht möglich sein wird, gewisse bisher unerklärliche
Formen der Abweichreaktion (und eventuell auch des Zeigeversuches)
einer Klärung näher zu bringen.
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Neue Beitrüge zur Piniktioiispiüfung den Labyrinthe*.
849
4. Drehempflndung bei geschlossenen Angen.
A. Bei ausgiebiger Drehung.
Schon auf der Nürnberger Tagung der deutschen Hals-
Nasen- und Ohrenttrzte (1921) hatten wir Gelegenheit, über unsere
Dreh versuche zu berichten: Die Drehempfindung ist mit der bisher
behannten, entgegengesetzt gerichteten Phase nach dem Anhalten
nicht beendet, sondern es setzt nach einer gewissen Pause der schein¬
baren Kühe wieder eine Empfindung von Drehung in der ursprüng¬
lichen Richtung ein, der noch eine Reihe abwechselnd der ursprüng¬
lichen realen Drehung gleich- und entgegen gerichteten scheinbaren
Drehungen folgt. Wir konnten also damals zum ersten Male den rhyt-
mischen Ablauf der Drehempfindungen nachweisen und bezeichneten
die dabei auftretenden Phasen als I. II. III. IV. ... negative (der
realen Drehung entgegengerichtete) und als I. II. III. IV. . . .
positive (der realen Drehung gleichgerichtete). Solche Phasen
stellen wir in zahlreichen exakten Untersuchungen bis zu 10 und
darüber fest, der Gesamtablauf erstreckte sich auf mehr als
15 Minuten. Damit war also zum ersten Male gezeigt, daß
auch für die Labyrintherregung in ähnlicher Weise
wie für dasSehorgan(farbloseundfarbigeNachbilder)
ein rhythmischer Ablauf Geltung habe. (Siehe Fig. 2A).
Zeit in Min.
0 1' 2'
D r. 1*
3' V
3*
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t* r
0* 9* 10'
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I-
I-
m-
v-
VI-
Fig. 2 A.
In weiteren Versuchen beschäftigten wir uns mit dem Einfluß
der Kopfstellungsäuderung auf die Qualität der Drehempfindung
also mit dem bekannten Purkinjeschen Gesetze, nach welchem
die Ebene der scheinbaren Drehung ihre Lage in bezug auf den
Kopf beibehält, d. h. sie wird bei jeder Kopfbewegung vom Kopfe
gewissermaßen mitgenommen. Als Ergebnis unserer Experimente
konnten wir dieses Gesetz bestätigen, allerdings mit der wesentlichen
Einschränkung, daß es nur für die einzige, Purkinje bekannte I. negative
Phase gelte, da Kopfstellungsänderungen in einer späteren Phase (von
der I. positiven angefangen) ohne jeden Einfluß auf die scheinbare
Drehbahn bleiben. Ein Beispiel möge dies erläutern: Wenn man die
Versuchsperson bei einer Kopfstellung, bei der rechter vorderer und
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Ernst W o d a k.
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linker hinterer vertikaler Bogengang annähernd wagrecht (also
optimal fQr die Reizung durch Drehnng) stehen, 10 mal im Sinne
des Uhrzeigers (von oben gesehen) dreht, so bekommt die Versuchs¬
person beim Anhalten das Gefühl einer intensiven scheinbaren
Horizontaldrehung (in bezug auf den Außenraum) entgegengesetzt
dein Sinne des Uhrzeigers. Richtet man nnn unmittelbar nach dem
Anhalten den Kopf der Versuchsperson auf (passiv!), bis beide ver¬
tikalen Bogengänge etwa lotrecht stehen, so schlägt die Horizontal¬
drehung augenblicklich in eine Raddrehungsempfindung um eine
wagrechte Achse um. Die Versuchsperson hat das Gefühl, von
rückwärts nach bauchwärts gedreht zu werden. Erfolgt jedoch die
Aufrichtung des Kopfes erst nach der I. negativen Phase, also z. B.
in der I. positiven Phase, sobald die Versuchsperson eine Horizontal¬
drehungsempfindung gleichsinnig mit der realen Drehung hat, so
findet keine Änderung dieser Horizontaldrehungsempfindung mehr
statt, sondern die scheinbare Drehbahn bleibt besteben und zeigt ihren
typischen Phasenablauf, wobei sämtliche Phasen reinen Horizontal-
«harakter beibehalten. Dabei zeigt es sich, daß. der durch die
Reizung der vertikalen Bogengänge gewonnene Phasen¬
ablauf wesentlich verschieden ist von jenem, der durch
Reizung der horizontalen B o g e n g ä n g e g e w o n n e n
wird, daß also scheinbar jeder Bogengangsart
ein bestimmter Phasenablauf entspricht. Dies
führte weiter dazu, aus der Art und Dauer der Phasen Rückschlüsse
auf die hierbei erregten Bogengänge zu ziehen. Das Ergebnis dieser
Versuche, speziell des Einflusses der Kopfstellungsänderung auf die
scheinbare Drehbahn ließ vermuten, daß dieLage der schein¬
baren Drehbahn von der Stellung der Bogengänge
im Raume nur so lange abhängig sei, als tatsäch¬
lich in dem Bogengang ein periphererErregungs-
vorgang abläuft (I. negative Phase). In den
späteren Phasen dürfte ein solcher Erregungs¬
vorgang peripherer Natur nicht mehr vorhanden
sein, sondern der Phasenablauf als zentral
bedingt auzufassen sein. Dementsprechend ruft — von der
I. positiven Phase angefangen — eine Kopfstellungsänderung keinen
Wechsel der zentral bedingten Drehbahn hervor. Die durch Aufrichten
des Kopfes im oben beschriebenen Versuche während der I. negativen
Phase gewonnenen Raddrehungsempfindungen haben ihrerseits wieder
einen Phasenablauf, charakterisiert durch typische Raddrehungs¬
empfindungen, während gleichzeitig die ursprünglich nach dem
Anhalten einsetzenden scheinbaren Horizontaldrehungen ebenfalls
ihren charakteristischen Ablauf in Horizontaldrehung zeigen. Wir
haben also zwei Arten von Drehungsnachbildern vor uns —•
horizontale und Raddrehungen —, die zum Teil gleichzeitig mit-
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Neue Beiträge zur Funktionsprüfung des Labyrinthes.
851
einander verlaufen und Interferenzen aufweisen. Sie lassen sich aber
vom geübten Beobachter ohne weiteres genau scheiden (Siehe
Fig. 2 B).
Zeit in Min.
Raddr. nach ?
vorne- unten'
Raddr. nach !
hinren-unten j
Aufrichtt*
das Kopfes
Fig. 2B.
B. Drehempfindungen bei kurzen Drehungen.
Die subjektive Wertung kurzer, wenig ausgiebiger Drehungen,
das heißt Drehungen bis zu einem Ausmaße von etwa 200° (die
Grenze ist natürlich individuell verschieden) weist gegenüber der
Wertung ausgiebiger Drehungen gewisse Verschiedenheiten auf, auf
die ich hier mit wenigen Worten eingehen möchte. Man muß
zunächst kurze Drehungen langsamer Art (Winkelgeschwindig¬
keit von zirka 50°) und schneller Art (Winkelgeschwindigkeit
mindestens 240°) unterscheiden. Während die ersteren den nor¬
malen typischen Phasenablauf der Drehungsempfindung, nur weniger
intensiv als ausgiebige Drehungen zeigen, verhalten sich die
schnellen Drehungen ganz anders. Ihnen fehlt, wie auch schon
andere Autoren (van Bossem) beschrieben haben, die I. negative
Phase: Nach dem Anhalten kommt es zu einem individuell ver¬
schieden langen Gefühl der Unsicherheit (5 bis 30 Sekunden), in
der die Versuchsperson außer Hin- und Herpendeln nichts Sicheres
aussagen kann, dann setzt eine äußerst intensive I. positive Phase
ein, also scheinbare Drehung in der Richtung der realen Drehung.
Diese I. positive Phase übertrifft an Intensität die sonst beobach¬
teten Formen der I. positiven Phase. Erst wenn die Drehung über
200° hinausgeht, pflegt sich langsam eine I. negative Phase
bemerkbar zu machen. Bei Drehungen von zirka 360° tritt dann
allmählich der normale Phasenablauf ein.
Wie läßt sich nun dieses auffallende Verhalten des Phasen¬
ablaufes bei den kurzen Drehungen erklären?
Bei raschen Sektorendrehungen kommt es an¬
scheinend durch die starke und lange Nachdauer der
Erregung zu einer algebraischen Summierung von
zentral bedingter Nachdauer und zum Teil peripher
entstandenem negativen Nachbild und zwar scheint
die im gleichen Sinne wie die reale Drehung
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852
Ernst Wodak.
gerichtete Nachdauer der Erregung das gegensinnige
negative Nachbild vollkommen aufheben, ja üher-
kompensieren zu können. Denn bei sehr raschen kurzen
Drehungen tritt oft nach ganz kurz (5 Sekunden) dauernder Un¬
sicherheit Drehungsgefühl in der Richtung der realen Drehung auf,
das an Stärke zunimmt. Ist die reale Drehung aber etwas lang¬
samer, dann dauert die Unsicherheit etwas länger (Kompensation
zwischen Nachdauer der Erregung und negativem Nachbild). Die
darauf folgende I. positive Phase ist jedoch stärker als sonst, da
die Nachdauer der Erregung zur normalen I. positiven Phase offen¬
bar verstärkend hinzutritt.
Bei langsamen Sektorendrehungen ist die Erregungsnach¬
dauer viel schwächer, daher erscheint eine, wenn auch durch die
entgegenwirkende Nachdauer etwas geschwächte, so doch deutliche
I. negative Phase.
Sehr interessante Aufschlüsse über die Vorgänge bei der
Drehung erhalten wir, wenn wir die oben erwähnten Kopfstellungs¬
änderungen bei den Sektoren drehungen näher studieren. Der Grund-
Versuch ist folgender: Rechter vorderer und linker hinterer verti¬
kaler Bogengang seien durch entsprechende Rechtsneignng des
Kopfes annähernd wagrecht, also im Optimum für die Drehung
eingestellt. Kurze rasche Rechtsdrehung im Ausmaße von zirka
120°; Aufrichtung des Kopfes unmittelbar nach dem Anhalten. Die
übrigen Versuchsbedingungen (Fixation des Kopfes, Dunkelzimmer
usw.) wie sonst: Die unmittelbar nach dem Anhalten bestehende
Rechtsdrehungsempfindung (kurze Drehung!) dauert trotz des Auf¬
richtens des Kopfes weiter (keine Raddrehung!) und zeigt typischen
Phasenablauf horizontaler Art. Nimmt man statt der raschen eine
langsame Rechtsdrehung vor, so bekommt man beim Aufrichten
des Kopfes prompt eine deutliche Raddrehung nach vorn unten,
also eine typische I. negative Phase.
Der Grund für dieses Verhalten liegt in folgendem: Nach
den früheren Ausführungen kommt es bei raschen Sektoren¬
drehungen zu keinem negativen Nachbild (I. negative Phase), weil
die zentral bedingte intensive Nachdauer der Erregung das Nach¬
bild, welches wesentlich peripher bedingt erscheint, nicht aufkommen
läßt. Da nun die Änderung der subjektiven Drehbahn bei Kopf¬
stellungsänderung nur so lange aufzutreten scheint, als im peripheren
Aufnahmsorgan noch etwas vorgeht (siehe oben!), so darf eine
Kopfstellungsänderung bei rascher Sektorendrehung unmittelbar
nach dem Abhalten infolge Überwiegens der zentralen. Nachdauer
der Erregung über den peripheren Vorgang keine Änderung
der subjektiven Drehbahn bewirken (siehe obigen Versuch
im selben Sinne!). Bei langsamen Sektorendrehungen hingegen,
wo schon ein negatives Nachbild nachweisbar ist, muß auch, wie
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Neue Beiträge zur Funktionsprüfung des Labyrinthes.
853
unser Versuch zeigt, das negative Nachbild in Form einer Rad-
direhung zum Ausdruck kommen.
Unser Versuch und die daran geknüpften Überlegungen
bestätigen aber wieder, daß die Bahnänderungen der scheinbaren
Drehung bei Kopfstellungsfinderungen gebunden erscheinen an Vor¬
gänge im Bogengangsapparat, also im peripheren Aufnahmsorgan.
Wenn wir nun zum eingehenderen Studium der auftretenden
Drehungsempfindungen den oben geschilderten Versuch dadurch
modifizieren, daß wir den Sektor der realen Drehung allmählich
von zirka 30° bis zur vollen Umdrehung anwachsen lassen, so
können wir folgende Zwischenstufen beobachten :
1. Ganz kurze rasche Sektorendrehung bis zirka
180° mit Aufrichtung des Kopfes unmittelbar nach
dem Anhalten: Es tritt überhaupt keine negative Phase (weder
horizontal noch Raddrehung) auf. Nach einer bestimmten Indifferenz¬
zeit, bedingt durch die algebraische Summierung von zentraler
Nachdauer der Erregung und peripherer I. negativer Phase, tritt
infolge der Erregungsnachdauer die I. positive Phase, (Horizontal¬
drehung) früher ein als sonst. (Siehe Fig. 3, Summierungskurve!).
Reiz
Fig. 3. Schema der algebraischen Addition von Erregungsnachdauer
und I. neg. Phase.
2. Ganz kurze rasche Sektorendrehung bis zirka
220°: Von zirka 180° angefangen tritt Raddrehung im Sinne der
I. negativen Phase auf, während die I. negative Phase der Hori¬
zontaldrehung noch fehlt. Es gelingt also, durch Aufrichten des
Kopfes nach dem Anhalten die peripher bedingte negative Phase
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{554
Ernst W o d a k.
der vertikalen Bogengänge (i. e. die Raddreh an gsempfindung) zur
Empfindung za bringen, weil diese und die Nachdauer der Erregung
(Horizontaldrehungsempfindung) jetzt in zwei zueinander senkrecht
stehenden Ebenen verlaufen und sich daher gegenseitig nicht mehr
aufheben können. (Dissoziierung!)
3. Ganz kurze rasche Sektorendrehung über 220^
hinaus: Hier bekommen wir schon die typischen negativen Phasen
sowohl der Raddrehung als auch der Horizontaldrehung in der
Weise, daß die Horizontaldrehung durch die Raddrehung anfänglich
zurückgedrängt wird.
Langsame Sektorendrehung mit Aufrichten des
Kopfes unmittelbar nach dem Anhalten:
1. Bis zirka 60°: Typisches horizontales negatives Nachbild
ohne Raddrehung, da der periphere Erregungsvorgang in den Bogen¬
gängen bei Aufrichten des Kopfes offenbar nicht genügt, um Rad¬
drehungsempfindung auszulösen.
2. Über 60°: Es sind Raddrehung und Horizontaldrehung
im Sinne eines typischen negativen Nachbildes (L negative Phase)
nachweisbar, wobei die Raddrehung die Horizontaldrehung eine
Zeitlang übertönt. Die Nachdauer der Erregung bewirkt hier offen¬
bar durch ihre geringe Intensität (langsame Drehung!) keine Auf¬
hebung, sondern höchstens nur Schwächung und Verzögerung des
horizontalen negativen Nachbildes. — Wichtig ist, daß bei diesen
Versuchen die Aufrichtung des Kopfes langsam geschehen muß,
weil die durch schnelles Aufrichten des Kopfes resultierende
neuerliche Reizung des Labyrinthes die Analyse der Empfindungen,
stören kann.
C. Drehungsempfindungen nach heterologer Reizung.
(Kalorisation — Galvanisation.)
Während wir bisher beim Studium der Drehempfindüngen
nach der adäquaten Rotation an bekannte Tatsachen angeknttpft
hatten, betreten wir mit den Untersuchungen über die Dreh¬
empfindungen nach Kalorisation wohl neue Wege. Es war ja bisher
nur bekannt, daß es sowohl nach der Kalorisation (speziell mit der
Starkreizmethode Bäränys), als auch nach kräftiger Galvanisation,
zu „Schwindel“ komme, während eine genaue Analyse der dabei
auftretenden Empfindungen fehlte.
Was zunächst die Kalorisation anbelangt, so verwendeten wir
als einzige in Betracht kommende Methode die Minimalreize nach
Kobrak und konnten dabei folgendes beobachten: (Die Versuchs¬
anordnung, insbesondere die Fixation des Kopfes, Dunkelzimmer,
geschlossene Augen, war die gleiche wie in den übrigen Versuchen.)
Spritzt man z. B. 5 cm 3 30°iges Wasser in den rechten Gehör-
gang, so hat die natürlich entsprechend geschulte Versuchsperson.
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Neue Beiträge zur Funktionsprüfung des Labyrinthes. §Ö5
nach einer gewiesen Latenzzeit von wenigen Sekunden die
Empfindung einer Horizontaldrehung nach links, die den gleichen
Fhasenablauf zeigt wie die nach Rotation auftretenden Drehungs¬
empfindungen. Vergrößert man die Menge des Spülwassers oder
erniedrigt man seine Temperatur, so bekommt man allmählich
statt der reinen Horizontaldrehungsempfindung eine Kombination
von Horizontal- und Raddrehnng, welch letztere ebenfalls ihren
charakteristischen und rhytmisohen Verlauf besitzt. Dabei ist die
Tatsache interessant, daß so wie bei den oben beschriebenen
Drehungen mit Kopfstellungsänderung die Raddrehungsempfindung
viel früher verschwindet als die Horizontaldrehungsempfindung, so
daß schließlich letztere nur allein nachweisbar bleibt. Falls endlich
die Spülmenge noch mehr vergrößert oder die Temperatur weiter
erniedrigt wird, so tritt dann ein Stadium ein, in dem die Versuchs¬
person nicht mehr imstande ist, die Empfindungen zu analysieren,
da Horizontal-, Raddrehungsempfindungen und auch Progressiv¬
bewegungen durcheinander verlaufen. Für dieses Stadium allein
möchten wir den Begriff des „Allgemeinschwindels“ gelten lassen.
Bei der Warmspülung eines Ohres ist der umgekehrte
Vorgang zu beobachten, also bei Warmspülung z. B. des rechten
Ohres Horizontaldrehungsempfindung nach rechts, ansonst dasselbe
Verhalten wie bei der Kaltspülung, höchstens, daß die Erscheinungen
nicht so ausgeprägt sind wie bei der Kaltspülung, da man bei der
Heißspülung nicht so starke Temperaturdifferenzen anwenden kann.
(Siehe Fig. 4.)
Fig. 4 .
Die Reizschwelle für das Auftreten von Drehempfindungen ist,
wie unsere Versuche weiter zeigten, sehr niedrig. Es gelang, schon
bei Wasser, das nur um wenige Zehntelgrade von der Körper¬
temperatur verschieden war, typische Drehempfindungeu auszulösen,
die je nachdem, ob die Temperatur des Wassers über oder unter
jener des Körpers lag, ihre charakteristische Richtung hatten. Diese
Experimente scheinen uns dafür zu sprechen, daß die Dreh¬
empfindung ein viel feineres Reagens für eine auf¬
tretende Labyrinthreizung darstellt als z. B. der
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Ernst Wod a k.
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Nystagmus, ja vielleicht als jede andere labyrinthäre
Reaktion. Wir möchten daher glauben, daß es auch für den
Praktiker von Wichtigkeit sein durfte, sich mit dem Studium dieser
Drehempfindungen mehr als bisher zu befassen.
Auch durch Galvanisation lassen sich — wie unsere Ver¬
suche ergaben — bei Verwendung von ganz schwachen Strömen
(Vj bis 1 MA) bei entsprechend geeigneten Individuen reine
Horizontaldrehungsempfindungen auslösen, so zwar, daß die Anode
sich wie eine KaltspUlung, die Kathode wie eine Warmspttlung
verhält. Doch spielt hier offenbar die Stellung der Elektroden eine
gewisse Rolle. Durch dahin gehende Versuche konnten wir fest¬
stellen, daß jeder Lage der Elektroden am Warzenfortsatze (Spitze,
planum mastoideum, linea temporalis usw.) eine ganz bestimmte
Stromstärke entspreche, die imstande war, Horizontaldrehungs¬
empfindungen hervorzurufen. Bei stärkeren Strömen (zirka 2 MA.)
traten kombinierte Drehungsempfindungen (Horizontal- -f- Raddrehung)
auf, die schließlich bei weiterer Steigerung der Stromstärke auf
Ober 3 MA in Allgemeinschwindel übergingen, analog den Verhält¬
nissen bei der Kalorisation. Daß die Drehempfindungen bei
Galvanisation auch typischen Phasenablauf besaßen, braucht wohl
nicht besonders betont zu werden.
Wichtig ist noch das Studium des Einflusses der Kopfstellungs¬
änderung auf die Drehungsempfindungen bei Kalorisation und
Galvanisation. Unsere bisherigen Versuche, die noch kein so
abschließendes Urteil wie bei der Rotation gestatten, zeigten nur,
daß die Verhältnisse hier weitaus komplizierter zu sein scheinen.
5. Papillenreaktlon.
Im Jahre 1919 beschrieb ich eine nach jeder Art von Vesti-
bularisreizung auftretende Pupillenerweiterung unter dem Namen
„vestibulärer P upi 1 len r e fl ex“. Vorher hatte bereits
Üdvarhelyi Pupillenerweiterung bei Kalorisation und Rotation
beobachtet, war dem Phänomen jedoch nicht weiter nachgegangen.
Spätere Untersuchungen, die ich speziell mit M. H. Fischer
an stellte und bei denen wir — einer Anregung A. Tschermaks
folgend — die Pupille entoptisch beobachten konnten (ein ent¬
sprechend gebauter Apparat [siehe Fig. 5] gestattete die Selbst¬
beobachtung der Pupille während der Rotation), ergaben nun, daß
die nach der Drehung auftretende Pupillenerweiterung nicht das
Primäre sei. Es stellte sich vielmehr heraus, daß die primäre
Reaktion in einer schon während der Drehung ein¬
setzenden, allmählich zunehmenden Verengerung der
Pupille besteht, die unmittelbar nach dem Anhalten
ihr Maximum erreicht, um dann plötzlich einer
starken Mydriasis Platz zu machen. Diese Mvdriasis selbst
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Neue Beiträge zur Funktiongprüfung deB Labyrinthes.
857
wieder klingt dann allmählich unter Hippus ab. Die Dauer des
Phänomens beträgt bis zu 30 Sekunden. In einer großen Reihe
teilweise recht mühevoller Untersuchungen studierten wir das
Fig. 5.
Pupillenphänomen näher, schalteten durch entsprechende Versuchs*
anordnung Fehlerquellen seitens der Beleuchtung 12 ) aus und unter-
M ) Nur bei einer gewissen Mittelstärke der Dauerbeleucbtung, welche die
Pupille in einen sogenannten „Eutonus“ versetzt, ist die Reaktion optimal nach*
Monatsschrift f. Ohrenheilk. a. Lar.-Rhin. 56. Jahrg. 50
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858
Ernst Wodak.
sachten die Papillenreaktion bei allen Arten von Vestihularisreizung.
Hiebei fanden wir die schon seinerzeit von mir ausgesprochene
Vermutung bestätigt, daß einzig und allein die bei Rotation
auftretende Pupillenreaktion als sicher vestibulär
bedingt anzusehen sei, da die bei Kalorisation
und Galvanisation zu beobachtenden Pupillenver-
änder ungen durch thermische, mechanische und
Schmerzreize verschleiert sind, Jcurz eher aU sensible
Pupillenreaktion zu deuten sind. Es geht daher nicht an,
die Papillenerweiterung bei Kalorisation und Galvanisation als rein
vestibulär zu bezeichnen. Bezüglich der bei Luftkompression im
äußeren Gehörgange auftretenden Pupillenerweiterung bestätigten
unsere Untersuchungen meine frühere Behauptung, daß diese nichts
mit dem vestibulären Pupillenreflex zu tun habe, sondern ebenfalls
in die Gruppe der sensiblen Pupillenreflexe gehöre, eine Behauptung,
die vor allem durch sorgfältige vergleichende Messung der Latenz¬
zeiten der verschiedenen Pupillenreflexe erhärtet werden konnte.
Schließlich mußten wir bei Berücksichtigung der so zahlreichen
den vestibulären. Pupillenreflex schädigenden und entstellenden
Faktoren zugeben, daß es nur bei allergrößter Sorgfalt
und Anwendung einer Reihe von Kadtelen möglich
sei, einen bei Rotation auftretenden Pupillenreflex
als Beweis für die Funktionsfähigkeit des N. vesti¬
bulär is zu betrachten, ein Umstand, der natürlich die prak¬
tische Verwertung dieses Reflexes erheblich herabsetzte.
Was den Weg des Pupillenreflexes anbelangt, so glauben wir,
daß derselbe via Okulomotoriuskerne geht, daß es sich also nicht,
wie Udvarhelyi meint, um eine Pupillenerweiterung auf
Sympathikusreizung handelt, sondern daß die primäre Pupillen¬
verengerung durch Okulomotoriusreizung zustande¬
komme. Die nachträgliche Erweiterung der Pupille sei dann als
eine Art Reaktion auf die vorangegangene Okulomotoriusreizung,
also nach dem Prinzip der reziproken Innervation, aufzu¬
fassen, wobei natürlich anzunehmen ist, daß gleichzeitig auch der
Dilatator pupillae mitgereizt wird.
6. Nystagmus.
Bezüglich des Nystagmus zeigten unsere Untersuchungen,
daß derselbe mit dem bisher bekannten „Nachnachnystagmus“
(Bariny, Buys) nicht beendet ist, sondern daß z. B. nach einem
Rotationsversuch auch in späteren Phasen gesetzmäßig Nystagmus
nachzuweisen ist, dessen schnelle Komponente stets in der Richtung
weisbar. Überstarke Belichtung bzw. Hypotonie des Sphinkter pupillae beein¬
trächtigen sie.
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Neue Beiträge zur 'Funktionsprüfung des Labyrinthes.
859
der scheinbaren Drehung schlägt Es wird sich daher
empfehlen, die bisherige Bezeichnung von Nach¬
nystagmus und „Nachnachnystagmus“ (entsprechend
dem Nystagmus in der I. negativen bzw. I. positiven
Drehungsphase) fallen zu lassen und praktisch von
einem Drehungsnystagmus sowie von einem 1., 2., 3.,
4. usw. Nachnystagmus zu sprechen. Selbstverständlich ist der
Nystagmus vom 2. Nachnystagmus angefangen nicht sehr stark und
wird immer schwächer, bis er schließlich nur aus vereinzelten
Schlägen besteht, speziell am Beginn der betreffenden Phase. Den
3. Nachnystagmus konnten wir noch sehen, den 4. und
5. durch die geschlossenen Lider hindurch palpieren. Vielleicht
werden wir ihn bei Gelegenheit später einmal auch objektiv nach-
weisen können. Eine praktische Bedeutung kommt den zahlreichen
von uns beobachteten Nystagmusphasen im allgemeinen wohl nicht
zu, höchstens könnte man daran denken, daß diese Phasen bei
einem Falle von Übererregbarkeit des Vestibularapparates gelegentlich
stärker ausgebildet und dann diagnostisch von Wert sein könnten.
Aus dem eben beschriebenen Verhalten des Nachnystagmus,
der von der Drehempfindung beträchtlich tiberdauert wird, kann
man den Schluß ziehen, daß die Drehempfindung vom
Nystagmus unabhängig ist. also die Bä ran y sehe Ansicht
der Abhängigkeit der Drehempfindung vom NystagmuB nicht zutrifft.
Schon Bondy und Neu mann nebst anderen Autoren sind —
allerdings auf anderem Wege — zu demselben Resultate gekommen.
Die Betrachtung von Nystagmus und Drehempfindung zeigt neuer¬
lich die Erkenntnis, daß die einzelnen vestibulären
Reaktionen —als solche sind ja Nystagmus und Dreh-
emfindnng anzusehen — voneinander in der Regel
unabhängig verlaufen.
Ich habe den Versuch gemacht, in gedrängter Form einen
Überblick über unsere seit mehreren Jahren betriebenen Unter¬
suchungen Uber die Labyrinthreaktionen zu geben, wobei die Reich¬
haltigkeit des Stoffes da und dort zur Kürze der Darstellung trieb.
Trotzdem glaube ich aber, gezeigt zu haben, wie unsere empfindungs-
analythische Betrachtungsweise der Labyrinthreaktionen uns wohl
hie und da einen Schritt nach vorn brachte. Jedenfalls bot sie
uns die Möglichkeit, bisher Bekanntes von einem neuen Gesichts¬
punkte zu betrachten und eröffnete so ungeahnte Perspektiven.
Literatur: (1) Bartels und Ziba: Die Regulier, der Augenstellung...
IV. Mitl. v. Graefe Arch. f. Ophtb. 80, 1911. S. 207. — (2) C. Biehl: Uber
die intrakranielle Durcbtrennung d. n. vestibul. u. deren Folgen. Sitzungsber.
der kais. Akademie der Wissenscb. Wien, math.-naturw. Klasse 109, Abt. 3,
ß. 324. — (3) Bondy: Zschr. f. Ohrenhlk. Bd. 80, 1920. — (4) Brunner: Wr.
klin. Wschr. 1917, S. 1199. — Ders.: Jahrb. f. Psych. u. Neurol. 1917. —
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860
Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juni 1922).
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(5) M. H. Fischer und E. Wodak: Münch, med. Wschr. 1922, Nr. 6. —
(6) H. Frey: Mschr. f. Ohrenhlk. 1912, S.^16. — (7) Güttich: Pa^sows Bei¬
träge 1919, Bd. 12. — (8)Köllner: Über labyrinthogene Ophthal mostatik.
Lehmann Verl. München 1920. — Ders.: Klin. Wscbr. 1922. — (9) Lee:
A. Stndy of the senae of Equilibrium in Fishea. Jonrn. of Physiol. XV n. XVII,
1894. — (10) Lotmar: Beitr. z. Path. d. Kleinhirns. Mschr. f. Psych. u. Neur.
1908, H. 8. — (11) L. Mann: Nenr. Zentralbl. 1912, S. 1356. — (12) Mendl:
Kriegsbeobachtungen. Neur. Zentralbl. 1916, S. 874. — (18) B. Mittelmann:
Über länger anhaltende (tonische) Beeinflussungen . . . Pflüg. Arch. 1922. —
(14) Ohm: Das Augenzittern der Bergleute. Berlin, Springer 1916. — (15) Van
Roaaem: Gewaarwordingen en Reflexen. — Utrecht 1907. — (16) Schilder:
Wr. klin. Wschr. 1918, Nr. 51, S. 1850. — (17) Seng: Int. Zentralbl. f. Ohrenhlk.
Bd. 19, Nr. 2 bis 4, S. 57. — (18) A. Tscbermak: Studien über das Bin-
okularsehen der Wirbeltiere. Pflüg. Arch. Bd. 91, 1902, S. 1. — Ders.: Wie die
Tiere sehen, verglichen mit Menschen. Vortr. d. Ver. z. Verbreit, naturw. Kennt¬
nisse, Wien. Jg. 54, H. 13, 1914. — (19) Udvarhelyi: Zachr. f. Ohrenhlk.
Bd. 67, 1913. S. 186. — (20) E. Wodak: Int Zentralbl. f. Ohrenhlk. Bd. 17,
1920, S. 169. — Ders.: Mschr. f. Ohrenhlk. Bd. 55, 1921, H. 7. — Ders. und
M. H. Fischer: Münch, m. Wschr. 1922, Nr. 11, und Paasows Beiträge 1922.
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft.
Sitzung am 14. Juni IMS.
(Offizielle Verhandlungsschrift.)
Vorsitzender: H a n s z e 1.
Schriftführer: W. Weisß.
I. Fremel: Ein Fall von SyringobnlMe mit Stimmbandlälimimg.
Zangennervlähmung and rotatorischem Nystagmus zur kranken Seite.
Die 31jährige Patientin steht seit mehr als 3 Jahren mit der Diagnose
Syringobulbie in Behandlung in verschiedenen Nervenstationen und trat
vor 2 Jahren wegen beiderseitiger chronischer Otitis ii* Behandlung der
Ohrenklinik. Damals wurde Pat. wegen ihres spontanen rotatorischen
Nystagmus, der im Sinne L e i d 1 e r s als durch Läsion der spinalen Akustikus-
wurzel in den Bogenfasern des kaudalsten Anteils bedingt angesehen wurde,
von Doz. Beck in der Otologischen Gesellschaft vorgestellt. Seither ist
das Leiden progredient gewesen. Patientin zeigt jetzt eine Atrophie der linken
Zungenhälfte, beim Würgen macht der Constrictor pharyngis nur in seiner
rechten Hälfte die Kontraktion mit, die linke Pharynxhälfte bewegt sich
nur wenig, das linke Stimmband steht in Postikusstellung, es besteht ein
kräftiger, rein rotatorischer Nystagmus nach links 3. Grades bei typischen
vestibulären Reaktionen, eine dissoziierte Empfindungslähmung in der linken
Gesichtshälfte, im Bereich der linken oberen Extremität und Brusthälfte.
Die Sensibilität der Pharynx- und Larynxsch imhaut ist intakt. Es ist auch
keine Geschmackstörung nachzuweisen. In welcher Reihenfolge die einzelnen
Symptome sich entwickelten, ist nicht bekannt vor 10 Wochen trat angeblich
eine Heiserkeit auf, weswegen sich Patientin in ehandlung zu Doz. Menzel
begab, dem ich die Überlassung des Falles verdanke. Dieses an und für sich
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juni 1922).
861
nicht sehr häufige Krankheitsbild entspricht den in der Literatur vielfach
beschriebenen Fällen von Syringobulbie mit Beteiligung des Vagus. Von
<len Autoren wird auch auf die Postikuslähmung als Anfangs- und Übergangs¬
stadium der Stimmbandlähmung hingewiesen und auf die Seltenheit der
Sensibilitätstörung der Schleimhäute. Das pathologisch-anatomische Substrat
dieser Erkrankung sind Gliawucherungen und durch Zerfall derselben ent¬
standene Spaltbildungen im Rückenmark und im verlängerten Mark, wo
der sogenannte laterale Spalt der typische ist. Je nach Verlaufsrichtung
und Ausdehnung des Spaltes werden verschiedene Hirnnerven geschädigt.
Seit den Arbeiten L e i d 1 e r s über Syringobulbie und Vestibularapparat
wissen wir, daß dieser Spalt sehr häufig die aus dem kaudalen Teil der spinalen
Akustikuswurzel kommenden Bogenfasern trifft und den auch im Tier¬
experiment gefundenen rotatorischen Nystagmus zur lädierten Seite erzeugt.
Dieser so lokalisierte Nystagmus ist bei diesem Falle und bei einer Reihe
in der Literatur beschriebener Fälle mit einer gleichseitigen Stimmband¬
lähmung kombiniert und ich möchte auf diesen Umstand besonders hin-
weisen, weil er uns einen Einblick in die Funktionsteilung des motorischen
Vago-Glossopharyngeuskernes gewährt. Über die Funktionsteilung der
Vaguskerne, speziell des Nucleus ambiguus, liegt eine große zum Teil polemische
Literatur vor. Aus deutschen Arbeiten (W allenberg) und besonders
aus Arbeiten der Wiener Schule geht hervor (Breuer, Marburg), daß
der zerebrale Anteil des Kernes das Gaumensegel innerviert, der mittlere
Teil die Schlingmuskulatur und der spinalste Teil, der in die Höhe des kaudalen
Teiles der spinalen Akustikuswurzel fällt, das Stimmband innerviert. Für
diese Funktionsteilung spricht auch dieser Fall. Wir müssen bei der Patientin
einen Spalt annehmen, der das Hypoglossusgebiet durchsetzt, lateral oder
ventrolateral zieht, die Bogenfasern aus der spinalen Akustikuswurzel trifft
und gleichzeitig die aus dem spinalen Teile des Nucleus ambiguus dorsal-
wärts aufsteigenden Vagusfasern und bis in die Gegend der spinalen Quintus-
wurzel reicht.
Aussprache.
W. Weiss: Ich habe in einer der letzten Sitzungen einen ähnlichen Fall
von Spaltbildung im verlängerten Mark vorgestellt, der sich vom vorliegenden
hauptsächlich durch die Doppelseitigkeit der Symptome unterscheidet und dessen
angekündigte ausführliche Publikationen bisher aus technischen Gründen unter¬
blieben ist, aber demnächst erfolgt.
II. Menzel: Chondroendotheliom des weichen Gaumens. Exstirpation.
Heilung.
Stellt eine 31jährige Sängerin vor, welche er vor zirka 2 Monaten wegen
eines Tumors der linken Hälfte des Gaumensegels operierte. Die Patientin
kam damals in die Ordination des Vortragenden mit der Klage, seit 4 Monaten
Stechen im linken Ohre und eine gewisse Schwierigkeit beim Schlucken und
Sprechen zu verspüren. Die pharyngoskopische Untersuchung der Patientin
zeigte eine kleinapfelgroße derbe Geschwulst von halbkugeliger Form, glatter
Oberfläche und normal roter Farbe am Gaumensegel der linken Seite. Die
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Geschwulst ragte mehr als 1 cm über das gesunde Schleimhautniveau in die
Mundhöhle vor.
Durch Palpation des Nasenrachenraumes konnte festgestellt werden,
daß die Geschwulst die hintere Fläche des Gaumensegels nicht vorwölbte
und nicht durchwuchert hatte.
Die histologische Untersuchung eines probeexzidierten Stückchens,
welche von Herrn Prof. Sternberg vorgenommen wurde, ergab das
Vorhandensein eines Chondroendothelioms, eines sogenannten Parotistumors.
Im Detail wurde folgender histologische Befund erhoben:
Der Tumor besteht aus schlauchförmigen und drüsenähnlichen Bildungen
sowie au8 großen plumpen Zellzapfen und Nestern, die durchwegs von ziemlich
großen epithelähnlichen Zellen mit zentral gelegenem, rundem oder ovalem Kern
und blaßrotem Protoplasma gebildet werden. Zwischen diesen Zellnestern finden
sich kleinere und größere Inseln hyalinen Knorpels, in welchem vereinzelt dünn¬
wandige Lymphgefäße gelegen sind. Das Endothel derselben ist stellenweise ver¬
größert, mitunter zweireihig und dann von denselben Zellen gebildet, die die be¬
schriebenen Zapfen und drüsenähnlichen Formationen zusarnmensetzen. Oft be
grenzen derartige Zellreihen einen schmalen Spalt, der einer Kapillare gleicht. Gegen
die Oberfläche zu erscheint der Tumor ziemlich scharf begrenzt.
Menzel hat den Tumor in Lokalanästhesie endopharyngeal entfernt,
wobei sich zeigte, daß die Geschwulst auf allen Seiten scharf begrenzt ist
und sich deshalb ganz glatt ausschälen ließ. Die hintere Wand des Gaumen¬
segels war nicht ergriffen. Die große Wunde wurde durch mehrere Seidennähte
bis auf Bohnengröße verkleinert, nach kaum 3 Wochen war die Wunde
geheilt.
Man sieht jetzt bei der Untersuchung der Patientin, daß das Gaumen¬
segel, wie sehr es auch durch Narbenzug asymmetrisch gestaltet ist, dennoch
tadellos funktioniert. Patientin hat keinerlei Funktionsstörung, weder beim
Sprechen, noch beim Schlucken oder Singen. Sie gibt im Gegenteil an, daß
ihre Stimme eher besser und kräftiger geworden sei.
Vortragender zeigt den Tumor, an welchem auch makroskopisch seine
Zusammensetzung aus Knorpel und weichem Gew r ebe wahrgenommen
werden kann.
Der Fall ist aus 3 Gründen interessant. Einerseits wegen seiner großen
Seltenheit, 2. weil er zeigt, daß der histologisch bösartige Tumor klinisch
sich wie ein gutartiger verhält und 3. weil aus ihm hervorgeht, daß trotz
asymmetrischer Verzerrung des weichen Gaumens und schwerer Narben¬
bildung in demselben eine etwa vorhandene Singstimme durchaus nicht
immer Schaden nehmen muß. Das stimmt ja auch gut überein mit den in
der letzten Zeit fest gestellten Beobachtungen, daß man bei Sängern die
Tonsillen nach irgendeiner Methode entfernen kann, ohne daß die Singstimme
notwendigerweise leiden müßte.
III. Kofi er: 1. Tränenkanalatresic nach Caldwell-Luc.
Ich zeige hier eine Patientin mit einer seltener vorkommenden Kompli¬
kation der Radikaloperation der Kieferhöhle nach Caldwell-Luc.
Vor 6 Jahren wurde Patientin zum erstenmale beiderseits radikal operiert
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juni 1922).
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und war bis zum Jänner d. J. beschwerdefrei. Um diese Zeit träten heftige
Schmerzen im linken Proc. alveol. sup. auf. Ich eröffnete die linke Kiefer¬
höhle zum zweitenmale und fand den Recessus zygomatieus erfüllt mit
Granulationen und Eiter, der unter gewissem Drucke stand. Kurze Zeit
nach der Operation verschwanden die genannten Beschwerden vollkommen,
jedoch trat 3 Wochen post operationem eine Schwellung der Tränensack¬
gegend derselben Seite auf. Patientin suchte eine Augenabteilung auf, wo¬
selbst eine Dakryozystitis konstatiert und der Tränensack exstirpiert wurde.
Im Anschlüsse daran entstand eine Phlegmone, die auf Umschläge und
stumpfe Eröffnung zurückging. Es handelt sich in diesem Falle also offenbar
um eine narbige Verengerung oder um einen narbigen Verschluß des unteren
Abschnittes des Ductus nasolacrymalis, entstanden bei der Anlegung der
Kommunikationsöffnung der Kiefer- mit der Nasenhöhle, und in der Folge
um eine Dilatation und Infektion des Sackes. Solche Komplikationen gehören
zu den Seltenheiten, ich habe seinerzeit an der Klinik C h i a r i nur noch zwei
derartige Fälle unter einer nach Hunderten betragenden Zahl von Radikal¬
operationen gesehen. Therapeutisch wäre hier so wie in anderen Fällen von
narbiger Verengerung oder von narbigem Verschluß des Ductus nasolacry-
malis nur die endonasale Eröffnung oder Resektion des Sackes, nicht
aber dessen Exstirpation von außen am Platze gewesen.
2. Fibroma durum tongillae.
Ich zeige hier das makro- und mikroskopische Präparat eines gut¬
artigen Tumors der rechten Gaumentonsille. Der makro- und mikroskopische
Befund (Prof. S t o e r k) lautet:
Aus dem etwa pflamnengroßen Tonsillenbereiche wölbt sich, wie kurz ge¬
stielt, eine harte, weißlichgraue Gewefcsmasse vor, von unregelmäßig ovoider Form,
mit den größten Durchmessern 3*9 x 2*4 X 1*6 cm. Ihre glatte Oberfläche zeigt
in ungleichmäßigen Abständen Einziehungen, so daß ein angedeutet hirnwindungen-
ähnliches Relief entsteht; tatsächlich scheint dieses Relief einer rudimentären
Lappung zu entsprechen. Auf einer zur Schonung des Objektes nur in geringe Tiefe
eindringenden Schnittebene zeigt das GeschwuIstparenchym milchweiße Färbung
und angedeutete Transparenz fast vom Aussehen von Knorpelgewebe.
Mikroskopisch zeigt sich ein derbfaseriges und kernarmes Gewebe,
etwa vom Aussehen eines Fibroma durum. Hie und da umschließt es Einsenkungen
von Plattenepithel, die zum Teil auch Mäntel von lymphoidem Gewebe tragen,
darum vielleicht als Reste ursprünglicher tonsillarer Krypten anzusehen sind. Die
mikroskopische Diagnose hätte also zu lauten: Fibroma durum ton-
8 i 11 a e.
Patient wußte von dem Vorhandensein der Geschwulst schon seit
längerer Zeit, wollte sich aber nicht operieren lassen, weil er nur geringe
Beschwerden davon hatte und auch militärfrei blieb.
Aussprache:
Marschik: Herrn K o f 1 e r kann man für die Demonstration nur dankbar
sein. Es kann nicht oft genug auf die Wichtigkeit der Schonung der Tränenwege
bei den Oberkieferoperationen hingewiesen weiden, umsomehr, als durch die In¬
fektion der Tränenwege auch das Auge gefährdet ist, welche Gefährdung mit der
Behandlung etwa einer harmlosen chronischen Kieferhöhleneiterung kaum im
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Vereinsberichte (Wiener laxvrhinol. Ges., Juni 1922).
richtigen Verhältnis steht. Ich habe in meiner Publikation über eine Modifikation
der Kieferhöhlenradikaloperation sowie in Nauheim 1920 in meinem Vortrage über
die partielle Oberkieferresektion zur Freilegung und Operation von Nasenrachen¬
tumoren die Wichtigkeit und die Methoden der Schonung der Tränenwege hervor¬
gehoben, in letzterer speziell die subperiostale Auslösung und das provisorische
Verlagern des Tränenkanals und Tränensacks nach oben.
Fein hat die Kranke vor einigen Wochen im Krankenhaus Wieden gesehen.
Sie wurde ihm von der Augenabteilung mit der Anfrage zugesendet, ob ein Zu¬
sammenhang zwischen der Tränensackeiterung und der Kieferhöhle bestehen dürfte.
Fein hat bei der Probespülung keinen Eiter in der Kieferhöhle gefunden und mit¬
geteilt, daß bei der zweiten Operation möglicherweise eine Verletzung und Infektion
des Tränensackes stattgefunden hat. Seither hat er die Patientin nicht mehr
untersucht.
H a j e k: Es kann der Tränensack direkt von der Kieferhöhle aus verletzt
worden sein, da bei großen Kieferhöhlen die trennende Wand gegen den Tränensack
sehr dünn sein kann. Ich habe u. a. einen Fall beobachtet, in welchem nach einer
allzu radikal ausgeführten Kieferhöhlenoperation der Tränensack verletzt und
nachher eitrig infiziert wurde, als weitere interessante Folge ergab sich eine In¬
fektion des Siebbeinlabyrinthes in der Keilbeinhöhle.
Nach operativer Entfernung des Tränensackes heilte das Siebbeinlabyrinth
in der Keilbeinhöhle spontan aus. Übrigens ist noch zu bemerken, daß schon
K u h n t des öfteren Ergriffensein der Tränensackes bei Kieferhöhlenerapyem
erörtert hat.
IV. Fein: Kongenitale inkomplette laterale Halsfistel.
Die äußere Öffnung, aus der Eiter in geringer Menge ausdrückbar ist,
befindet sich bei dem 14jährigen Knaben einwärts vom M. stemocleido-
mastoideus und oberhalb der Articulatio sternoclavicularis. Eine dünne
Sonde dringt 6 cm nach aufwärts und ins Innere, ohne den Rachen zu er¬
reichen. Die Einspritzung einer Zuckerlösung zur Prüfung der Durchgängigkeit
der Fistel ergibt ein negatives Resultat. Diese Fisteln entstehen durch
Persistenz des Ductus thymopharyngeus. Eine operative Entfernung erscheint
mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der Durchführung und die vollkommene
Beschwerdelosigkeit des Kranken kaum angezeigt.
V. Präsident Hajek hält den Nachruf für das verstorbene Mitglied
Dr. Siegfried Tenzer, Tenzer fiel einem Unfall in den Bergen zum Opfer.
Er war langjähriger Assistent Koschiers an der Allgemeinen Poliklinik,
später Marschiks.
Marschik: Ich fühle mich gedrängt und verpflichtet, dem unglück¬
lichen Kollegen Tenzer, der durch 2 Jahre, seit ich die laryngologische
Abteilung an der Allgemeinen Poliklinik leite, mein erster Assistent war,
einige Worte treuen Gedenkens nachzurufen. Ich brauche nicht zu betonen,
daß auch ich durch die Nachricht von dem beklagenswerten Unglück aufs
tiefste erschüttert war. Ich schätzte an dem Verstorbenen seine ausgezeichnete
laryngologische Ausbildung, seinen geraden, unbedingt verläßlichen Charakter
und seine uneigennützige Liebe und Ausdauer zur Arbeit, und werde ihm
stets wehmutsvolles und dankbares Gedenken bewahren.
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VI. R. Feuchtinger: 1 . Fall von Röntgenschädigung des Larynx.
Der Kranke war vor einem Jahr mit insgesamt 20 H/4 Filter wegen
Halslymphomen in 3 Serien bestrahlt worden. Vor einem halben Jahr stellten
sich Kehlkopfbeschwerden ein und vor etwa 3 Monaten mußte die Tracheotomie
bei ihm ausgeführt werden. Derzeit besteht eine harte, teils mit atrophischer,
mit Teleangiektasien bezeichnet er Haut, teils mit Fisteln und Narben be¬
deckte Schwiele um den Hals. Die in die Tiefe reichenden Fisteln mußten
seit der Tracheotomie zweimal wegen reichlicher Blutung gespalten und
tamponiert werden. Das Gesicht des Patienten ist mächtig geschwollen,
besonders links, der Kopf wird nach vorn und zur Brust gehalten. Bei der
indirekten Laryngoskopie, die wegen Ankvlostoma schwierig ist, sieht man
nur eine starke, geschwollene, blasse, kaum sich hebende Epiglottis und einen
kleinen Teil der ödematösen Hinterwand des Kehlkopfes. Beim Spiegeln
vom Tracheostoma aus sind blasse, bei der Phonation sich bewegende Wulste
subglottisch und der Höhe der Taschenbänder entsprechend, zu sehen. Die
Stimmbänder, gleichfalls verdickt und blaß, bewegen sich träge; die Glottis
ist nur etwa 3mm breit. Auffallend scheint mir das torpide, blasse
Aussehen der Schwellung. Es besteht keine Geschwürsbildung. Während
der letzten 3 Monate ist die Schwellung etwas zurückgegangen, sonst änderte
sich nichts. Derartige Röntgenschädigungen sind selten mitgeteilt, Mar¬
se li i k hat über einige Fälle in der Festschrift für Prof. H a j e k
berichtet.
2. Zwei Fälle von sehwerer Halsphlegmone nach Peritonsillitis.
Der erste Kranke kam, nachdem bereits zweimal vorher versucht
worden war, die Phlegmone nahe der Toasille vom Munde aus zu spalten,
ohne daß Eiter hierbei entleert wurde, in septischem Zustand an die Klinik.
Die gelbliche Hautfarbe, der fliegende Puls, die wechselnde Temperatur
zeigten den bedenklichen Zustand an. Es bestand eine schmerzhafte In¬
filtration von der rechten Halsseite bis ins Jugulum. Bei der sofort vor¬
genommenen Operation wurde vorerst das Mediastinum freigelegt und die
parapharyngealen und Gefäßräume rechts am Halse eröffnet und massenhaft
übelriechender Eiter entleert. Nach 2 Tagen mußte ein neuerlicher Abszeß
unter dem linken M. pectoralis inzidiert werden. Den Tag hierauf trat eine
Vorwölbung und Schmerzhaftigkeit im linken Auge auf, die sich rasch wieder
besserte. Dafür stellte sich eine linksseitige basale Pneumonie ein, die gegen¬
wärtig das Krankheitsbild beherrscht. Im zweiten Falle, von dem das patho¬
logisch-anatomische Präparat vorgezeigt wird, wurde gleichfalls durch
mehrere Tage die peritonsilläre Phlegmone durch Inzisionen vom Munde
her behandelt. Bei dem Patienten bestanden damals Okzipitalneuralgien,
hohes Fieber, Schüttelfröste, Pulsbeschleunigung über 120. Die Schwellung
am Halse war gering, die Schmerzhaftigkeit seitlich vom Larynx beiderseits
und im Jugulum sehr groß. Sofort nach der Spitalsaufnahme Operation
jn typischer Weise. Die Eiterung wird seitlich und insbesondere hinter dem
Pharynx, wo sie auf die zweite Seite übergegangen ist, angetroffen. Das
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Mediastinum ist frei. Neben der Drainage von vorn wird noch neben der
Wirbelsäule zwischen M. sealenus und longus colli eine Gegeninzision nach
hinten gemacht. Am Schlüsse der Operation muß die Tracheotomie gemacht
werden, da die schon bestehende Atemnot sich verschlimmert. Nach der
Operation subjektive und objektive Besserung. Doch tritt am dritten Tag
nach der Operation infolge Verschluckens eine basale Pneumonie auf, welcher
der Patient am fünften Tage erlag. Bei der Obduktion zeigt sich die Hals¬
phlegmone bereits im Rückgang, doch besteht noch, von der fortschreitenden
Phlegmone durch eine Faszienmembran getrennt, ein Abszeß außen und
hinten von der Tonsille.
Bemerkenswert ist, daß in beiden Fällen vergeblich von innen inzidiert
wurde, was wohl auf den gut gedeckten Sitz des Abszesses zurückzuführen
ist; es wäre meiner Meinung nach sofort die Freilegung mindestens des
oberen Poles der erkrankten Tonsille oder die totale Entfernung, wie
Uarschik in der letzten Sitzung vorgeschlagen hat, indiziert gewesen.
Beide Fälle sind zu spät zur Operation gekommen. In dem einen bestand
schon Pyämie, im zweiten ein Larynxödem, das die Tracheotomie nötig
machte und das Schlucken noch mehr erschwerte. Die Operation von außen
ist leicht auszuführen, bei ernsten Symptomen soll damit nicht gewartet
werden.
Aussprache:
Glas: So wenig gefährlich Hie gewöhnlichen Fälle von Peritonsillitis sind,
sind jene Fälle, welche mit pyämischen Erscheinungen einhergehen (Schüttelfrost,
hohes Fieber, Halsdrüsenschwelhmgen) sehr schlechter Prognose. Glas erwähnt zwei
Fälle, die er zu beobachten Gelege nheit hatte, wo im Anschluß an die peritonsilläre
Eiterung Halsphlegmonen auftraten, die in einem Falle trotz kollarer Mediastino¬
tomie (Dr. S u c h a n e k). im anderen noch vor der Operation ad exitum gekommen
sind. Der letztere, den Herr H a n s z e 1 einmal gesehen, hatte eine typische Angina
phlegmonosa, die dann von einem anderen Arzte eröffnet worden war (starker Eiter¬
abfluß) und trotzdem zur Phlegmone eolli geführt hat. Glas hält dafür, daß es Fälle
gibt, die auch durch rasche Mediastinomie mit Rücksicht auf die foudroyante Septico-
pyämie nicht mehr zu retten sind. Trot zdem muß in diesen Fällen der Außeneingriff
so schnell als möglich gemacht werden.
H a n s z e 1 hat den Patienten nur einmal, und zwar am zweiten Tag einer
sonst normal imi>onierendcn Angina phlegmonosa incipiens gesehen. Entsprechend
dem üblichen Verfahren wurde lediglich lokale Wärme empfohlen. Wegen Abreise
von Wien konnte Dr. H a n s z e 1 den weiteren Verlauf nicht verfolgen. Auffallend
war lediglich die ungewöhnliche Schmerzhaftigkeit, über welche der Patient klagte.
Fein: Es kommen allerdings auch bei Tonsillarabszessen Senkungen ins
Mediastinum und septische Prozesse vor. Viele solche Prozesse stammen aber nach
meiner Meinung in Wirklichkeit von Drüsenabszessen von der Seite der hinteren
Pharynxwand. Das lokale BUd ist manchmal täuschend ähnlich. Die Tonsille
und der Gaumen ist nicht, wie es den Anschein hat, durch den peritonsillären Abszeß,
sondern durch den dahinter liegenden retropharyngealen Abszeß, der sich nach
unten fortsetzt, vorgedrängt. Die beiden eben besprochenen Fälle dürften solchen
Prozessen entsprechen. Alle Erscheinungen derselben, die der Vortragende mit
Recht als ungewöhnlich und auffallend bezeichnet hat, sind dies nur dann, wenn
man von der Ansicht ausgeht, daß ein peritonsillärer Abszeß die Ursache ist. Wenn
man sie aber auf einen retrotonsillären Abszeß bezieht, was, wie ich glaube, gereeht-
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fertigt erscheint, sind sie natürlich und leicht erklärlich. Besonders das vorgezeigte
Präparat scheint mir deutlich für meine Auffassung zu sprechen.
H a j e k: Die Fälle begannen mit typischer peritonsillärer Phlegmone, die
infolge der nicht gelungenen Eröffnung oder der besonderen Virulenz des Eiters
extremere Formen angenommen haben. Bei raschem Fortschreiten kann eben auch
ein peripharyngealer und retropharyngealer Abszeß entstehen.
Glas: In beiden angeführten Fällen hat es sich um typische Peritonsillitiden
gehandelt, in beiden Fällen wurde durch typische Inzision viel übelriechender Eiter
entleert, die hintere Rachenwand war nicht vorgewölbt, es fanden sich keinerlei
für Retropharyngealabszesse sprechende Symptome.
Marschik: Die Demonstration Feuchtingers enthüllt wieder in
instruktiver Weise die Bedeutung der von mir schon vor 12 Jahren an der Klinik
C h i a r i eingeführten Methode der zervikalen Eröffnung und Abdichtung des
Mediastinums nach der Hacker sehen Mediastinotomie. Das Wesentliche meiner
Methode besteht in der Eröffnung und Abdichtung des Mediastinums an blander
Stelle, also unterhalb des entzündlich-infektiösen Prozesses, welche Methode mit
absoluter Sicherheit das gefährliche Abwärtssteigen solcher Prozesse in das thorakale
Mediastinum verhütet. Die Methode ist einfach, ungefährlich, auch bei entzündlichen
und phlegmonösen Prozessen in Lokalanästhesie durchzuführen, da die entzündliche
Infiltration wohl kaum je bis an die Querfortsätze der Halswirbelgäule sich aus¬
dehnt, wo die Leitungsanästhesie bekanntlich angelegt wird. Sie ist vor allem
ohne jede Organschädigung oder Verstümmelung durchführbar. Bedenkt man
andrerseits die lebensrettende Wirksamkeit der Methode, so ist klar, daß ihre Kenntnis
die weiteste Verbreitung verdient, nicht nur jeder Laryngologe und Chirurg, sondern
auch jeder praktische Arzt sollte ihr Wesen und ihre Indikationen kennen. Zu ihrem
Erfolg gehört ja, daß man frühzeitig eingreift, um noch blandes Mediastinum bei
der Operation zu erreichen. An den Arzt, der die ursprüngliche Erkrankung, meist
harmloser Natur, wie Angina lacunaris oder phlegmonosa behandelt, liegt es nun
rechtseitig die Diagnose der Ausbreitung des phlegmonösen Prozesses nach unten
und ins Mediastinum zu stellen. Bekanntlich geschieht dies durch die Palpation
des Mediastinumanfang am Hals, wobei besonders die absteigende Tendenz der
Druckempfindliehkeit an den bestimmten Stellen hauptsächlich neben der Trachea
für die Indikation maßgebend ist. Wenn nun auch manchmal bloß Entzündung der
an der Gefäßscheide liegenden Lymphdrüsen vorliegt, so verschlägt es bei der lebens¬
rettenden Bedeutung und der Harmlosigkeit nichts, wenn man einmal unnötiger¬
weise inzidiert. Bezüglich der Peritonsillitis, die den Ausgangspunkt der fatalen
Komplikation im Falle Feuchtingers bildet, möchte ich bemerken, daß in
letzter Zeit sowohl an der Klinik als auch von mir eine Reihe von ähnlichen Fällen
beobachtet worden ist, die alle zu schweren Allgemeinerkrankungen, Sepsis, Pyämie,
Thrombophlebitis, Sinusthrombose usw. geführt haben, wo die gewöhnliche Inzision
der Peritonsillitis den Abszeß entweder nicht getroffen oder nur unvollkommen
entleert hat. Ich möchte daher mit Feuchtinger auf die L e v i n g e r sehe
Methode hinweisen, die naturgemäß den peritonsillären Herd immer aufdecken
und breit eröffnen muß. Sie scheint mir also ihre Bedeutung weniger bei den
gewöhnlichen Peritonsillitiden als bei den subakuten Fällen zu haben und wäre
daher zu empfehlen, in allen Fällen, wo nach Peritonsillitis schwerere Allgemein¬
oder Fernerkrankung sich einstellt.
H e i n d 1 muß Herrn H a j e k zustimmend feststellen, daß er in seiner Kran¬
kenanstalt wiederholt Fälle kennen gelernt hat, welche an Mediastinitis, Sepsis usw.
zugrunde gegangen im Anschluß an einen Peritonsillarabszeß, der nicht erkannt
oder zu spät oder an falscher Stelle eröffnet worden war. Er macht abermals auf.
jene peritonsillären Abszesse aufmerksam, welche sich hinter den Tonsillen
zwischen ihr und dem hinteren Gaumenbogen oder außerhalb des unteren Poles
der Tonsille lokalisiert haben und natürlich für die Inzision an der typischen Stelle
am weichen Gaumen nicht erreichbar sind. Wenn dort die Inzision resultatlos, dann
ist der Eiter oft schon auf dem Wege längs der Gefäßscheide ins Mediastinum.
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868 Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juni 1922).
Weil fragt, ob die Pneumonie nicht zu vermeiden gewesen wäre, wenn
der Kranke per rectum ernährt worden wäre.
Feuchtinger (Schlußwort): Herrn Fein ist zu erwidern, daß die
Anamnese und der subjektive Befund eine primäre Tonsillarerkrankung in beiden
Fällen sicher machte.
VII. Weil: Ca laryngis, Heilung nach endolaryngealer Abtragung
und Tanninbehandlung.
Weil stellt einen im November 1919 und zuletzt im Juni 1921 hier
demonstrierten, jetzt 69 Jahre alten Mann mit Epitheliomalaryngis
abermals vor. Der Larynx sieht jetzt, vielleicht mit Ausnahme einer gering¬
fügigen Verdickung des linken Stimmbandes, völlig normal aus; auch Drüsen¬
schwellungen sind nicht nachweisbar. Die Behandlung besteht nach wie vor
in 1 bis 2mal wöhentlich vorgenommenen Tannineinblasungen.
Aussprache:
Glas: Das histologische Präparat Weil« ist jedenfalls einwandfrei. Aber
es gibt genügend Fälle in der Literatur, die durch endolaryngeale Eingriffe (auch
ohne Tannin) zur Ausheilung kamen. Es handelte sich eben in jenen Fällen
um beginnende langsam wachsende Epitheliome von besonderer Gutartigkeit.
Wieweit bei der Ausheilung dieses Falles das Tannin beteiligt ist, läßt sich wohl
kaum sagen.
Weil (Schlußwort). Nicht eingelangt.
VIII. Hajek: Chondrom des vorderen Ringknorpelbogens. Rezidiv.
Radikaloperation. Heilung. Präparat.
Ich zeige Ihnen hier eine etwa kleinnußgroße Geschwulst, welche
ich aus der Trachea eines 45jährigen Herrn entfernt habe. Derselbe wurde
bereits zweimal wegen desselben Leidens operiert: einmal vor 11 Jahren,
das zweitemal vor 1 Jahre. Nach der ersten Operation blieb der Kranke
10 Jahre hindurch rezidivfrei: Die mikroskopische Untersuchung ergab
damals: Spindelzellensarkom. Das zweitemal wurde die Operation nach Aus¬
sage des behandelnden Arztes selbst nicht besonders gründlich operiert und
es entstand bald wieder Rezidive. Der Kranke kam etwa vor 4 Wochen zu
mir mit ausgesprochenen Atembeschwerden. Laryngoskopisch ließ sich eine
an der Vorderwand des Larynx und der Trachea inserierende rundliche
Geschwulst erkennen, von glänzend weißer Farbe, an der Oberfläche mit
Gefäßramifikationen versehen. Der untere Rand der Ges* hwulst ließ sich
nicht bestimmen. Von der direkten Untersuchung wurde aus mehrfachen
Gründen Abstand genommen. Ich führte die Operation in lokaler Anästhesie
aus, in der Weise, daß ich zuerst sehr tief tracheotomierte, um sicher unter¬
halb der Geschwulst die Trachea zu eröffnen. Hierauf bestimmte ich die seit¬
liche Grenze der Geschwulst von der Trachealöffnung aus. Der Tumor entsprang
vom Ringknorpelring. Ich Umschnitt den Ringknorpel rechts und links von
der Geschwulst aus, nachdem ich früher den M. cricothyreoideus beiderseits
entfernt und das Perichondium seitlich abpräpariert hatte. Es gelang mir,
die Geschwulst ohne jede Verletzung samt dem anhaftenden vorderen Anteil
des Ringknörpels zu entfernen. Die Heilung ging nach kurzdauernder
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Vereineberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juni 1922).
869
Tamponade des Larynx und Trachealkanäle tadellos vonstatten und zu
meiner Überraschung ist bisher das Larynxlumen von einem tadellosen Um¬
fange und macht sich vorläufig keinerlei Stenose bemerkbar, was vielleicht
der Erhaltung des Perichondriums zu verdanken ist. Überraschend ist des
weiteren die tadellose Erhaltung der Stimme, trotzdem die beiden M. crico-
thyreoidei vollkommen entfernt wurden. Auch laryngoskopisch ist an den
Stimmbändern keinerlei Anomalie wahrzunehmen. Ich werde den Larynx
noch stroboskopieren lassen; vielleicht werden dadurch auch Anomalien
wahrzunehmen sein.
Aussprache:
Hugo Stern: Im allgemeinen nimmt man an, daß der Cricothyreoideus der
Regulator für die ganz besonders feinen Nuanzen der Stimme, für bestimmte Lagen
der Registerbildung usw. von Wichtigkeit ist. Es müßte also, meine ich, um in dem
vom Herrn Prof. H a j e k vorgestellten Palle sich über die Ausfallssymptome des
Cricothyreoideus dezidierter äußern zu können, die Sprache bzw. Stimme in den ver¬
schiedenen Registern, Stärkegraden, Höhenunterschieden und vor allem auch
stroboskopisch untersucht werden.
IX. Ma r s c h i k: 1. Stroma maligna, in den Kehlkopf elngewuehert.
Schwere Stenose, Radikaloperation mit halbseitiger Laryngotrachealresektion
and primärer Tracheostomle. Heilung. Präparat.
Die 50jährige Patientin, die schon vor 12 Jahren einmal strumektomiert
worden war, litt seit einem halben Jahr an zunehmender Atemnot und stand
seit April des Jahres in spezialistischer Behandlung. Wegen der in letzter Zeit
zunehmenden Beschwerden und Erstickungsanfälle Aufnahme an der Ab¬
teilung Marschik. Die äußere Untersuchung des Halses zeigte rechts vorn
einen vermöge seiner Derbheit, starren Verwachsung und mangelhaften
Differenzierbarkeit vom Kehlkopf als Struma maligna anzusprechenden
* Tumor. Die Diagnose wurde durch die Rekurrenslähmung derselben Seite
gestützt. Die direkte Tracheoskopie ergab hochgradige Stenose des Tracheal-
anfangs durch Infiltration und Vorwölbung der rechten und vorderen Wand,
sowie besonders durch einen beim Atmen etwas beweglichen, blassen, leicht
höckerigen, nicht ulzerierten Tumor, der das Lumen fast ganz verschloß.
Die Operation bestätigte die Diagnose und ließ in höchst anschaulicher Weise
die Ersetzung der rechten Larynx- und Trachealhälfte durch den Tumor
sowie Auftreibung der noch nicht zerstörten Trachealpartien von innen her
erkennen. Marschik konnte den substernal reichenden Tumor vollständig
aus dem Jugulum entwickeln und unter Resektion der rechten Laryngo-
trachealhälfte radikal exstirpieren. Vom Kehlkopf fiel der Ringknorpel,
vom Schildknorpel so viel weg, daß noch die obere Partie der rechten Stimm¬
lippe erhalten werden konnte. Die Wunde wurde primär mit den Hautlefzen
gedeckt, und ein permanentes Laryngotracheostoma angelegt. Bis auf einige
kleine Fisteln primäre glatte Heilung. 8 Tage nach der Operation konnte
die Kanüle weggelassen werden. An einen plastischen Verschluß des
Tracheostomas wird erst gedacht werden, wenn längere, mindestens einjährige
Beobachtung völlige Rezidivfreiheit ergeben hat. An dem demonstrierten
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juni 1922).
Präparat sieht man instruktiv die Auftreibung der ersten Trachealringe
durch den Tumor, sowie besonders an der rechten Wand am ersten Ring
einen polypenartigen, erbsengroßen, nur durch einen düimen Stiel mit dem
Haupttumor zusammenhängenden abgeschnürten Tumoranteil, als den
Hauptschuldigen an den schweren Erstickungsanfällen der letzten Zeit.
Ä. Zangen-Kehlkopfresektion wegen Ca der Epiglottis and des Zangen¬
grundes. Präparat.
Wie ich anläßlich einer Demonstration in der Gesellschaft der Ärzte
des näheren ausgeführt habe, haben sich die partiellen Kehlkopfresektionen,
bei denen es zu größeren Defekten am Kehlkopfeingang kommt, als ungangbar
erwiesen. Der zurückbleibende Kehlkopf ist, da der zuverlässig dichte Ver¬
schluß im Schluckakt nicht mehr möglich ist, nicht nur unbrauchbar, sondern
für den Patienten geradezu eine Lebensgefahr geworden. Es bleibt daher
nichts anderes übrig, als in solchen Fällen, will man anders den Patienten
von seinem Karzinom befreien und ihm das Leben erhalten, auf dieses für
die weitere Funktion untauglich gewordene Organ zu verzichten, und, wenn
auch schweren Herzens, einen fast ganz gesunden Kehlkopf vollständig zu
entfernen, kurz die Luftwege von den Speisewegen vollständig abzuschließen.
Ich demonstriere hier das Präparat eines vor kurzem mit Erfolg operierten
Falles von Karzinom des Zungengrundes und der Epiglottis. Der Tumor war
bereits so weit vorgeschritten, die Epiglottis fast vollkommen durchwachsen,
daß mit Sicherheit bei radikaler Exstirpation des Tumors die oben erwähnten
funktionellen Störungen und damit die vitale Gefährdung des Operierten
zu erwarten war. Ich habe daher die Totalexstirpation des Kehlkopfes und
Resektion der hintersten Zungenpartie ausgeführt. Glatter Verlauf, die
Pharynxnaht heilte ohne Fistel.
Bei Karzinomen, die mehr auf den Zungengrund beschränkt sind, wo
die Epiglottis noch nicht ergriffen ist, kann eine partielle Resektion aus¬
geführt werden, denn der Mechanismus beim Schlucken ist dadurch nicht
gestört. Ich erinnere dabei an die von H a j e k in letzter Zeit mit Erfolg
geübte Methode der temporären Zungenbeinresektion an Stelle der queren
Pharyngotomia subhyoidea. Bei allen vorgeschritteneren Fällen bleibt die
oben erwähnte Methode der einzige Weg.
Aussprache:
Ha j e k: Ich will jetzt nicht auf Details der Operation von Zungengrund¬
tumoren eingehen, und nur anführen, daß meine andernorts geschilderte Operation
unter dem Zungenbein sich nicht nur auf die Zungengrundtumoren, sondern auch
auf solche, wo gleichzeitig der freie Teil der Epiglottis ergriffen ist, sich erstreckt.
Wenn der maligne Tumor sich auf den freien Teil beschränkt, dann ist es nicht nötig,
den Larynx zu entfernen. Aus dem mittleren Teile der Zunge läßt sich eine neue
Zungenbasis bilden, welche das Schlucken gut ermöglicht. Nur wenn der Tumor
auch die aryepiglottische Falte ergriffen hat, muß der Larynx entfernt werden, da
diesfalls die N. laryngei superiores durchschnitten werden müssen, was selbst¬
verständlich das Schlucken unmöglich macht. Über die angeschnittene Frage der
partiellen Exstirpationen des Larynx soll ein andermal verhandelt werden.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges, Juni 1922).
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3. Ca laryngis, erfolglose endolaryngeale und extralaryngeale Radium
behandlung. Radikaloperation (halbseitige Thyreoidektomie).
Es handelt sich um den in den vorhergehenden Sitzungen wiederholt
gezeigten Fall von Karzinom der linken Stimmlippe, der auch von Weil
in seinem Vortrag über konservatives Verhalten der malignen Tumoren
verwendet erscheint. Die Radiumbehandlung wurde damals wegen des Wider¬
standes des Patienten gegen die Operation versuchsweise unternommen.
Die histologische Untersuchung der nach einigen Sitzungen entnommenen
Stückchen vom Stimmband hatte keine Beeinflussung der Karzinomzellen
durch Radium ergeben, doch schien es, als würde der Tumor nach und nach
kleiner, auch die Stimme und sonstigen Beschwerden besserten sich auffällig.
Da der Tumor in letzter Zeit aber wieder deutliches Fortschreiten zeigte,
hat sich Patient doch zur Operation entschlossen, die ich vor kurzem aus¬
geführt habe. Dabei zeigte sich ein bereits bis zum Knorpel vorgedrungenes,
taubeneigroßes Karzinom mit einem infolge des wallartigen oberen Randes
der Laryngoskopie bisher entgangenen tiefen Trichter, das zur Resektion
der Schildknorpelhälfte nötigte, mit samt dem äußeren Periehondrium.
Dennoch konnte ich insofern konservativ Vorgehen, als ich den oberen Schild¬
knorpelrand behufs Schonung des N. laryngeus superior, den hinteren Schild¬
knorpelrand behufs Schonung der Ansätze der Pharynxkonstriktoren und
den größten Teil der Taschenfalte belassen konnte.
X. Großmann: Larynxstenose infolge Durchbrach von Drüsen¬
metastasen eines Sarcoma uteri nach Heilung durch Resektion eines Ca
ventriculi vor 3 Jahren. Exitus. Präparat.
Ich zeige Ihnen hier das Sektionspräparat, welches von einer 68jährigen
Frau stammt, die im Jahre 1918 wegen eines Ca ventrikuli von Prof. Lorenz
operiert wurde. Es wurden damals der Magen, die Gallenblase und Darmteile
reseziert. Im August 1921 kam Patientin auf unsere Klinik wegen einer
Geschwulst an der linken Halsseite, Heiserkeit und Atembeschwerden. Bei
der Aufnahme fand sich eine über nußgroße Geschwulst an der linken Hals¬
seite, die Haut über derselben war normal, die Geschwulst haftete fest an
der Unterlage und stieg beim Schlucken mit dem Larynx aufwärts. Die
laryngoskopische Untersuchung ergab folgenden Befund: Rechte Larynx-
hälfte normal. Das linke Taschenband ist geschwollen und überdeckt
fast ganz das Stimmband, welches ohne scharfe Grenzen in eine subglottische
Schwellung übergeht. Die linke Larynxhälfte fast vollständig fixiert. Eine
Probeexzision aus der subglottischen Schwellung ergab einen negativen
Befund. Am 6. X. 1921 wurde Patientin von Prof. H a j e k operiert. Bei
der Operation erwies sich der Halstumor mit der Muskulatur, dem linken
Schilddrüsenlappen und der linken Schildknorpelplatte fest verwachsen,
der untere Rand der letzteren in hellergroßer Stelle usuriert und der Tumor
gegen das Larynxinnere gewuchert. Von einer radikalen Operation wurde
in Anbetracht dessen, daß der Tumor als Metastase angesehen wurde, ab¬
gesehen. Am nächsten Tage wegen hochgradiger Dyspnoe Tracheotomie.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juli 1922).
Die histologische Untersuchung des exstirpierten Tumors ergab den Befund
eines typischen kleinzelligen Spindelzellensarkoms. Mikroskopisches Präparat
eingestellt. Patientin begab sich später wegen eines eitrigen Fluor auf die
Klinik Kermauner, woselbst aus einem Probekurettement die Diagnose
Sarkoma uteri gestellt und Röntgenbehandlung eingeleitet wurde. Wegen
stärkerer Atembeschwerden wurde Patientin auf unsere Klinik rücktransferiert
und kam hier unter fortschreitender Kachexie, Durchfällen und Blutungen
aus dem Genitale zum Exitus.
Der Obduktionsbefund ergab ein verjauchendes Sarkom des Uterus
mit Perforation in die Blase und Flexura sigmoidea, eitrige Zystitis und
Pyelonephritis, Emphysem beider Lungen und den Befund einer alten
Gastroenteroanastomose zwischen unterstem Heum und Kolon transversum.
An den Halsorganen sehen Sie ein der Außenfläche der linken Larynxseite
aufsitzendes, aus zahlreichen erbsen- bis nußgroßen, untereinander ver¬
wachsenen, hökerigen, weichen, rötlichweißen Tumoren bestehendes Packet,
welches mit der Unterlage fest verwachsen ist und etwas über die Mittellinie
reicht. Der linke Schilddrüsenlappen ist atrophisch, der rechte etwas größer
mit einer Zyste im unteren Pol.
Entsprechend dem Tumor an der Außenseite des Larynx erscheint
im Larynxinnern die ganze linke Hälfte, besonders das Taschenband und
die subglottische Partie vorgewölbt, der Sinus Morgagni verstrichen,
der Schleimhautüberzug jedoch gut erhalten. Die rechte Larynxhälfte ist
normal. Die genauere histologische Untersuchung wird ergeben, ob der Tumor
durch die Schildknorpelplatte oder durch das Lig. crico thyreoideum gegen
das Innere des Larynx durchgebrochen ist.
Es handelt sich also in diesem Falle um das Auftreten multipler Tumoren
— eines Ca ventriculi und Ca uteri — und um Drüsenmetastasen des letzteren
an der Außenseite des Larynx mit Durchbruch gegen das Larynxinnere.
Aussprache:
H a j e k: Das Erscheinen erheblicher Schwellung in der Gegend des Taschen¬
bandes und Stimmbandes, sowie subglottisch, muß nicht das Durchwachsen der
Geschwulst in den Larynx bedeuten, da die Schwellung auf Stauungsödem allein
beruhen kann; allerdings ist das Symptom sehr verdächtig auf Malignität der Ge¬
schwulst und beruht darauf, daß dann die abführenden Venen kompromiert
worden sind.
Sltsang vom 5. Juli 1922.
(Offizielle Verhandlungsschrift.)
Vorsitzender: Glas.
Schriftführer: Wessel'y.
I. W i e t h e: Basalzellenkarzinom der Orbita and des Siebbeines durch
Radiumdauerbestrahlnng geheilt.
Vortragender stellt einen Patienten aus der Klinik H a j e k vor, den
er vor einem Jahre (Juli 1921) in dieser Gesellschaft mit einem Basalzellen¬
karzinom, von der Haut der Nasenwurzel ausgehend und in die Orbita und
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Verainsberiohte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juli 1922).
873
das Siebbein weiterwuchernd, demonstrierte. Der Patient wurde in 6 Sitzungen
mit über 10.000 Milligrammstunden Radium bestrahlt. Der Erfolg ist ein
vollkommener. Dieser Fall bestätigt Koschiers und Pfeifers Ansicht
von der relativen Benignität der Basalzellenkarzinome.
II. H e i n d 1: Ctobißphtte im Ösophagus, ösophagoskopteche Extraktion.
Heilung.
Zeigt eine 21jährige Patientin von grazilem Habitus, welche vor
14 Tagen die Hälfte ihres falschen Gebisses im Schlafe verschluckt hatte,
nachdem sie es, obwohl sie beim Essen fühlte, daß es gebrochen sei, vor dem
Schlafengehen nicht entfernt hatte. Der Fremdkörper stellt ein nach oben
halbmondförmig offenes Dreieck dar von einem dort 3 cm in der Breite
und 3 cm in Länge messendem Durchmesser, rechts mit einem künstlichen
Zahne und dahinter einem Metallhaken, links mit einem flügelförmigen End*
fortsatz aus Hartgummi. Die Nachbildung verdankt Redner der Güte des
Herrn Prof. Pichler von der Kieferstation Eiseisberg. Nachdem die
Anfertigung eines Bildes aus äußeren Gründen nicht möglich war, so konnte
der Fremdkörper auf dem Röntgenschirme bloß in der Höhe des 3. Brust¬
wirbels nur unklar als ein schief von rechts nach links unten verlaufender
schmaler Streifen mit dem Zahne und Haken nach rechts aufwärts ragend,
fest gest ellt werden.
Am 1. Tage war der Extraktions versuch in Lokalanästhesie wegen
der Unruhe der Patientin ergebnislos.
Am 2. Tag nach Vorbereitung zur eventuellen Tracheotomie und
Ösophagotomie abermals Extraktionsversuch in Narkose. Der Fremdkörper
hatte sich mit seiner palatinalen Krümmung in der Höhe des 3. Brustwirbels
an die Wirbelsäule derart angeschmiegt und verkeilt, daß das Rohr wiederholt
über ihn wegglitt und bis zur Kardia geführt wurde, weil der Eindruck er¬
weckt worden war, als wäre der Fremdkörper bereits in den Magen entwichen.
Mit der retrograden Ösophagoskopie, welche nicht versäumt wurde,
wurde er jedoch immer wieder an der alten Stelle festgestellt. Die Lockerung
gelang; jedoch nicht seine Drehung um die horizontale oder sagittale Achse.
Dabei mußte mit den Pinzetten immer wieder am Zahne und dem nächst-
liegenden Hartgummiteile angefaßt werden, wo sie abglitten, da auch alle
Versuche, durch Abdrängung der lateralen Wand andere Teile, wie den rechts
befindlichen Haken des Fremdkörpers freizulegen, erfolglos blieben. Endlich
konnte der Fremdkörper doch in die Ringknorpelenge gebracht und auch
die Pinzette in den hinter dem Zahne befindlichen Haken verankert
werden. Doch nun traten bedrohliche Suffokationserscheinungen ein, wie
sich später zeigte, durch Einbohren des linksseitig befindlichen Flügelfort¬
satzes in die hintere Kehlkopfwand, der erst an dem Fremdkörper nach
seiner Entfernung erkannt wurde und immer wieder die Abdrängung der
linkenösophaguswand mit dem Rohre verhindert hatte.Der Gebißzertrümmerer
von Kahler durfte hier in der Nähe des Kehlkopfeinganges, abgesehen
davon, daß er zu massig war, nicht verwendet werden, weil die Gefahr, daß
MonAtMchrift f. Ohreoheilk n. Ur.-Rhln. 56. ***. 57
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Vereinsbericht© (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juli 1922).
abgequetschte Stücke in der Narkose aspiriert werden könnten, nicht
heraufbeschworen werden durfte. Nach einigen energischen Wendungen und
Zug gelang die vollständige Entwicklung und Entfernung des Gebisses m i t-
und außerhalb des Rohres. Eine Nachuntersuchung ergab keine be¬
deutenden Verletzungen. Dauer der Operation Stunde, sie konnte in
allen Phasen den mitwirkenden Kollegen demonstriert werden. Da ein
verstellbarer Operationstisch nicht zur Verfügung stand und wegen Aspi*t
rationsgefahr der stets abfließenden Schleimmassen und Magensekrete bei
erhöhtem Unterkörper und hängendem Kopfe gearbeitet werden mußte,
so mußte der Operateur auch die ganze Zeit in kniender Stellung die
Arbeit vollbringen. Am selben Abend Temperatur 37’8. Am nächsten Tage
37, Eis, eisgekühlte Milch, auch am 3. Tage kein Emphysem, keine Ödeme.
Patientin wird am 4. Tage geheilt entlassen. Nahrungsaufnahme normal, ohne
Beschwerden.
Aussprach e:
Kotier: Wenn ich recht verstanden habe, hat der Vortragende erwähnt,
daß der Rand der Platte des Gebisses schwer zu sehen war und daß das Rohr zuerst
über den Fremdkörper hinweggeglitten sei, bevor derselbe entdeckt wurde. Wir
sehen häufig, daß Münzen oder Fremdkörper ähnlicher Beschaffenheit deshalb
schwer gesehen werden können, weil sie der Hinterwand des Ösophagus eng an-
geschmiegt sind und ihr oberer Rand durch die gewöhnlich geschwollene Schleim¬
haut verborgen wird. Ich habe in meiner Arbeit über Fremdkörper der oberen Luft-
und Speisewege für diese Eventualität einen Kunstgriff angegeben, der darin besteht,
daß man das Rohr um 180° dreht, wodurch die Lippe des Rohres nach hinten zu
liegen kommt und die Schleimhaut durch diese so niedergehalten wird, daß der
Rand des Fremdkörpers schön sichtbar wird.
H a j e k: Herrn H e i n d 1 ist die Entfernung des Fremdkörpers gelungen;
ich zweifle aber nicht, daß er selbst die Extraktion eingestellt hätte, wenn er Gewalt
hätte anwenden müssen, lieber auf die Extraktion verzichtet und zur Ösophago¬
tomie seine Zuflucht genommen hätte.
Glas schließt sich H a j e k s Ansicht an, nur ist es schwer zu sagen, wann
die Ösophagoskopie nicht mehr am Platze ist und die Ösophagotomie an deren Stelle
zu treten hat. So erinnert sich Glas an 2 Fälle (von Koschier beschrieben),
wo die bronchoskopische Extraktion von Fremdkörpern recht wohl gelang, die
ganze Manipulation aber fast 1 Stunde gedauert hatte und die Länge des Eingriffen
die Ursache des Schocks war, aus dem sich die beiden Kinder nicht mehr erholen
konnten. In solchen Fällen wäre die Tracheotomie vonnöten und die indirekte Broncho¬
skopie der lange dauernden direkten unbedingt vorzuziehen. (Siehe auch Paunz,
Bronchoskopie bei Kindern.)
H e i n d 1 (Schlußwort): Herrn Glas zur Erwiderung, daß es sich in dem
besprochenen Falle nicht um ein Kind, sondern um eine 21jährige Person handelte. —
Herrn Hajek gegenüber bemerkt Redner, daß, wie erwähnt, zur eventuellen
Tracheotomie und Ösophagotomie vor dem Eingriff vorbereitet war. — Herrn
Kofler muß erwidert werden, daß Re ner den Fremdkörper, aber nur den Teil
mit dem Zahne wohl gesichtet, aber in dem abfließenden Sekrete wieder verloren
hatte, gerade dadurch, daß bei Anwendung des Kunstgriffes der Drehung des Rohr»
dieses über die Platte des Gebisses hinausglitt. Der Flügelfortsatz aus Hartgummi,
von dessen Vorhandensein der Operateur erst an dem entfernten Fremdkörper
Kenntnis nahm, hatte die Abdrängung der lateralen Wand verhindert.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-riiinol. Ges.. Juli 1922).
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III. Hirsch: über eine klinisch vernachlässigte Form der Kiefer
MKlenentzündung und deren Beziehung zur Entstehung der Polypen.
Der Patient, den ich Ihnen heute vorstelle, wurde Ihnen vor einigen
Wochen von Herrn Dr. Kellner demonstriert. Es handelte sich um einen
ungewöhnlich großen Nasenstein von Daumengliedgiöße, der durch die
Nase nicht entfernt weiden konnte, den ich daher mittels Eröffnung der
Eossa canina herausbeförderte. Der Stein lag jahrelang in der Nase, hatte
-den unteren Nasengang ausgeweitet, ohne Polypen zu erzeugen. Die Schleim¬
haut der Kieferhöhle war bei der Eröffnung vollkommen normal, d. h. ganz
dünn und zart, von graurötlicher Farbe, ohne jedes Sekret. Heute sehen
Sie im unteren Nasengang einen fast kirschgroßen Polyp. Die Spülung der
Kieferhöhle ist negativ.
Gestatten Sie, daß ich diesen Fall zum Anlaß nehme. Ihnen einiges
über Kieferhöhlenentzündung und Polypen zu sagen.
Im letzten Jahre hatte ich Gelegenheit, 4 Kieferhöhlen zu eröffnen,
obschon deren Punktion vor der Operation negativ war. Die Operation nahm
ich aus dem Grunde vor, weil der Stiel der Polypen in die Kieferhöhle hinein¬
führte. In allen 4 Kieferhöhlen zeigten sich hochgradige entzündliche Ver¬
änderungen. Das war für mich überraschend, denn bisher haben wir nur dann
auf eine Kieferhöhlenentzündung geschlossen, wenn durch die Punktion
Eitor oder Sekret entleert wurde. Ich erinnerte mich, daß in Zucker¬
kandis Anatomie und H a j e k s Buch solche Entzündungen beschrieben
sind. Zuckerkandl unterscheidet eine katarrhalische und eine eitrige
Entzündung, beide können akut und chronisch sein. Die chronisch-katarrhali¬
sche Form finde ich folgendermaßen charakterisiert: ,,Beim chronischen
Katarrh erfolgt die Exsudation vornehmlich in die Substanz der inneren
Kieferauskleidung; nicht allein die Schleimhaut, sondern auch die tiefere,
als Beinhaut fungierende Schicht der Kieferhöhlenauskleidung erfährt eine
Lockerung ihres Gefüges, die Membran quillt in den höheren Graden der
Affektion aufs 10- bis löfache auf, ist serös infiltriert, ödematös, einer Sülze
ähnlich und an der freien Fläche mit großen, weingelben, hydropischen
Höckern versehen, deren Konvexitäten aneinanderstoßen. Der Drüsenapparat
entartet dabei zystös. Ist die ganze Sch leirtih aut bek leidun g in dieser Weise
-degeneriert, dann hat es den Anschein, als wäre der Sinus von Hydrops be¬
fallen.“ Diese Form entspricht den Befunden, die ich bei den 4 Operationen
erhoben habe. Auch in H a j e k s Buch fand ich diese Form ganz genau be¬
schrieben, doch keinen Hinweis, welche klinischen Symptome sie hervorruft
und wie sie zu diagnostizieren ist. H a j e k schreibt: ,,Es gibt nur e i n voll-
Trollkommen verläßliches Mittel, um die Diagnose des Kieferhöhlenempyems
sicherzustellen, und dieses ist: in die Kieferhöhle einzudringen und den
-eventuell vorhandenen pathologischen Inhalt derselben entweder durch
Ausspülung oder durch Aspiration herauszubefördern. Es gibt 2 Methoden,
welche diesen Zweck erreichen. Die Probeausspülung durch das Ostium
maxillare oder durch ein Ostium aceessorium und die Probepunktion,
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juli 1922).
:1. b. Eindringen in die Kieferhöhle durch eine künstliche Öffnung mit nach¬
folgender Ausspülung oder Aspiration des Kieferhöhleninhalts.“
Wir haben bei positiver Punktion die Kieferhöhle für krank, bei
negativer Punktion für gesund zu erklären gelernt. Wie es sich nun in diesen
4 Fällen zeigte, kommen wir damit nicht aus. Die chronisch-katarrhalische
Form wird unserer Diagnose auf diese Weise meistens entgehen. Nur
Uffenorde hat schon im Jahre 1912 und später in einer ausführlichen
Abhandlung im Jahre 1915 die Aufmerksamkeit auf diese chronische Form
gelenkt. Uffenorde wurde durch histologische Untersuchung der
operativ gewonnenen Nebenhöhlenschleimhaut zu der von Zuckerkandl
beschriebenen, klinisch aber vernachläßigten Form der Kieferhöhlen¬
entzündung geleitet. Er konnte die Angaben Zuckerkandis bestätigen,
daß bei einzelnen Formen die Nebenhöhlenschleimhaut sehr stark von Rund¬
zellen infiltriert ist, während bei anderen Formen die Rundzelleninfiltration
sehr gering ist, dagegen die ödematöse Auflockerung der Submukosa vor¬
herrscht.
Ich gelangte zur praktischen Kenntnis der chronisch-katarrhalischen
Form der Kieferhöhlenentzündung erst dadurch, daß ich mich für Ursprung
und Entstehung der Polypen zu interessieren begann.
Bei meinen Untersuchungen über die Entstehung der Choanalpolypen,
welche ich durch meinen Assistenten, Dr. Forschner, veröffentlichen
ließ, fand ich diese chronisch-katarrhalische Form der Kieferhöhlenentzündung r
ohne daß Sekret in den Kieferhöhlen vorhanden gewesen wäre. Von diesen
2 Fällen von Choanalpolypen konnte ich einwandfrei nach weisen, daß sie
durch Prolaps der Nebenhöhlenschleimhaut entstanden sind. Und auch in
2 Fällen von gewöhnlichen Polypen eröf tnet e ich die
Kieferhöhle von der Fossa canina aus, trotzdem die
Punktion negativ war, und fand die gleichen hoch¬
gradigen Veränderungen, wie ich sie bei den Fällen
von Choanalpolypen gefunden hatte, d. i. eine hoch¬
gradig ödematöse Schleimhaut ohne Sekretbildung.
Es drängte sich mir daher der Gedanke auf, daß alle Polypen durch Prolaps
der chronisch-katarrhalischen Kieferhöhlenentzündung entstehen könnten^
Diese Vermutung wird gestützt: 1. durch die 4 Fälle von Choanalpolypen
und gewöhnlichen Polypen, die ich eben erwähnt habe, und die mit einer hoch¬
gradigen Schwellung der Kieferhöhlenschleimhaut ohne Sekretbildung ver¬
bunden waren; 2. durch die Tatsache, daß die Polypen in den allermeisten
Fällen an den Ostien der Nebenhöhlen sitzen; 3. daß sie ausschließlich im
mittleren und oberen Nasengang Vorkommen, wo die Ostien der Nebenhöhlen
zu finden sind, während sie im unteren Nasengang nicht gefunden werden;
4. daß sie wohl im unteren Nasengang nicht vorhanden sind, sich aber bilden
können, wenn die Kieferhöhle eröffnet wird, wie der vorgestellte Fall
beweist. Zusammenfassend möchte ich sagen: Es gibt viel mehr Kieferhöhlen¬
entzündungen, als wir bisher mit der Probepunktion festzustellen gelernt
haben. Die eitrige Form der Kieferhöhlenentzündung ist uns geläufig und
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Vereinsberichte (Wiener Jar.-rhinoL Ges., Juli 1922).
877
-durch die Punktion leicht und mit Sicherheit festzustellen. Die chronisch-
katarrhalische Form wird meistens übersehen, da sie keinen Eiter bildet
und daher durch Probespülung nicht feststellbar ist. Diese Form wird solange
übersehen, solange wir der Probepunktion ausschließliche Bedeutung bei¬
legen. Ich fand sie in 4 Fällen vergesellschaftet mit Choanal- und gewöhnlichen
Polypen. Da ich für die von mir beobachteten Choanalpolypen den Beweis
erbracht habe, daß sie durch Prolaps der Kieferhöhlenschleimhaut entstanden
sind, liegt auch der Gedanke nahe, daß die anderen Polypen aui ähnliche
Weise entstehen. Dies konnte ich in 2 Fällen beweisen. Meine Anschauung
muI3 allerdings durch weitere Beobachtungen erhärtet werden.
Aussprache:
H a j e k: Der Polyp ist ein chronisches Entzündungsprodukt der Schleimhaut-
jurtie^j, welche zu Ödem neigen und infolge der lokalen Verhältnisse Stauungen
zeigen. Daß dieselben um die Ostia und Spalten der Nebenhöhlen herum entstehen,
ist seit Zuckerkandl bekannt. Daß es auch schwere Entzündungen in der
Kieferhöhle ohne Empyem gibt, ist auch seit Zuckerkandl bekannt, und ich
habe doch darauf hingewiesen, daß die Kieferhöhle voll von Polypen sein kann, mit
ununterbrochener Rezidivbildung ohne Empyem. Ich habe auch die Diagnosen-
- tellung begründet und darauf hingewiesen, daß die Verdunkelung der Kieferhöhle
nebst Polypenbildung in der Nase genügt, um die Diagnose der Polypen der Kiefer¬
höhle zu stellen. Daß im unteren Nasengang um die vernarbte Öffnung herum
Polypen entstehen können, ist bekannt, die Ursache ist vor allem die Anlage der
dort befindlichen Schleimhaut und die Stauung infolge der Narbenbildung.
Kotier: Der Vortragende sprach von hydiopischen Schwellungen der
Schleimhaut und Prof. Hajek erwähnte auch das Vorkommen von eitrigen Zysten
der Schleimhaut in der Kieferhöhle. Ich habe solche Befunde wiederholt am Kadaver
und einigemale auch am Lebenden erheben können, dabei war die übrige Schleimhaut¬
auskleidung völlig normal und kein Eiter im freien Raum zu sehen. Man kann sieh
nun ganz leicht vorstellen, daß eine Probepunktion das einemal negativ ausfällt,
ein andermal wieder positiv, wenn die Spitze der Nadel eine solche eitrige Schleim¬
haut zyste gerade ansticht. Deshalb kommt dieser letzteren Art von Zysten eine ge¬
wisse diagnostische Bedeutung zu.
Ruttin: Auf die Verallgemeinerung des Herrn Hirsch will ich nicht
cingehen, sondern nur zu dem Thema Choanalpolyp bemerken, daß ich eine Reihe
von Choanalpolypen behandelt und untersucht und auch solche Fälle radikal
operiert habe. Der letzte derartige Fall zeigte nun das interessante, daß der Choanal¬
polyp. wie es Hirsch hier mitteilt, vom Boden der Kieferhöhle ausging, aber es
war noch das weitere Interessante zu bemerken, daß die Schleimhaut nur im vordersten
Teil des Kieferhöhlenbodens verändert war, während schon der hintere Teil des
Kieferhöhlenbodens normal w r ar. Es scheint also, daß man das Gewicht darauf zu
legen hat, daß es sich bei den echten Choanalpolypen um eine zirkumskripte
Entzündung der Kieferhöhlensehleimhaut, vielleicht sogar an ganz bestimmter
Stelle handelt.
Hirsch (Schlußwort): Herrn Prof. Hajek erwidere ich, daß ich durch
meine Mitteilung beabsichtigte, auf eine Form der Kieferhöhlenentzündung auf¬
merksam zu machen, die anatomisch sowohl in Zuckerkandis als auch in
Hajeks Buch beschrieben ist, die aber in der Praxis keine Beachtung gefunden
hat, obgleich sie von großer Bedeutung ist.
Die Bemerkung in H a j e ks Buch, daß die Kieferhöhlenpunktion das sicherste
Mittel sei, die Erkrankung der Kieferhöhle festzustellen, bezieht sich wohl auf das
Kieferhöhlenempyem, d. h. auf die eitrige Form der Kieferhöhlenentzündung,
doch wird nicht hervorgehoben, daß trotz negativer Punktion hochgradige Ver¬
änderungen der Kieferhöhlenschleimhaut bestehen können.
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Vercinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Gee., Juli 1922).
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Der Zweck meiner Mitteilung war, zu zeigen, daß der Satz von der absolute»
Verläßlichkeit der Punktion einer Ergänzung insofern bedarf, daß trotz negativer
Punktion die schwersten Veränderungen in der Kieferhöhle gefunden werde»
können, wie ich dies in letzter Zeit in 4 Fällen bestätigt fand. Und da in alle»
4 Fällen die chronisch-katarrhalische Form der Kieferhöhlenentzündung mit Polypen»
verbunden war: zweimal Choanalpolypen, zweimal gewöhnliche Polypen, lag die
Vermutung nahe, daß die Polypen als Prolapse der chronisch-katarrhalischen Kiefer¬
höhlenschleimhaut aufzufassen sind, was für die von mir beobachteten Choanal-
polypm mit Sicherheit, für die anderen Polypen mit großer Wahrscheinlichkeit an¬
zunehmen ist.
IV. M e n z e 1: 1 . Tremor mercurialis der Stimmbänder.
Stellt aus der Abteilung des Herrn Hofrat Schlesinger einen
61jährigen Hutmachergehilfen mit Tremor mercurialis, und zwar der Extremi¬
täten sowie auch der Stimmbänder vor.
Der Mann ist seit seinem 16. Lebensjahre, also im ganzen 45 # Jahre r
in der Hutbransche tätig, einem Arbeitszweig, dessen Angehörige in ex¬
quisiter Weise der Gefahr der Intoxicatio mercurialis ausgesetzt sind. Das
Quecksilber findet bekanntlich in der Hutmacherei als salpetersaures Hg^
Oxydul Verwendung, und zwar zur Beizung der Hasen- und Kaninchen¬
haare, aus denen der Hut filz hergest ellt wird. Das Beizen geschieht in der
Weise, daß Quecksilberlösung mit einer Bürste auf die Felle gestrichen und
letztere nachher getrocknet werden. Dann werden die Felle geschoren; hierbei
entwickelt sich Hg-Staub, welcher entweder eingeatmet oder durch den
Genuß von Speisen mit verunreinigten Händen in den Magendarmkanal
gelangt (Schütte).
Vor 7 Jahren wechselte Patient seinen Posten und trat in eine neue-
hygienisch günstiger eingerichtete Fabrik ein, in welcher allerdings in der
gleichen Weise und mit gleichen Präparaten die Felle gebeizt wurden.
Ungefähr zurzeit des Arbeitsplatzwechsels, eine wiederholt beschriebene
Erscheinung, traten die ersten Symptome seiner Krankheit auf, die sich
hauptsächlich in Zittern äußerte, ein Zustand, der an Intensität immer zu¬
nahm, so sehr, daß Patient in den letzten Monaten kaum mehr die Nahrung
selbständig zum Munde führen konnte.
Die Untersuchung des Patienten ergibt einen vollständig negativen
internen Befund. Ebenso sind die Hirnnerven intakt und die Sensibilität
in allen ihren Qualitäten. Die Mobilität sowie die grobe motorische Kraft der
Extremitäten sind normal. Romberg negativ. Das hervorstechendste
Symptom ist der Tremor. In der Ruhe ist derselbe nur mäßig oder gar nicht
vorhanden, bei jeder Intention einer Bewegung tritt derselbe auf und ver¬
stärkt sich umso mehr, je länger die Bewegung intendiert wird. Manchmal
kann man bei der Ausführung einer Bewegung ein momentweises Aufhören
des Zitterns bemerken, das aber dann wieder umso stärker einsetzt-
(Demonstration).
Interessant ist nun seine Larynxfunktion. Ein kurzer Vokal wird
tadellos ausgesprochen, es gelingt dem Patienten jedoch nicht, einen Ton
längere Zeit zu halten. Hierbei tritt ein Stimmtremor auf, derart, daß jeder
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Vereinsbericht© (Wiener lar.-rhinol. Ges., Juli 1922).
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Ton sakkadiert erklingt und aus mehreren Teiltönen zusammengesetzt zu
sein scheint.
Die Untersuchung der Halsorgane zeigt einen grobschlägigen Tremor
des Gaumensegels, besonders der Uvula sowie der beiden Pharynxseiten¬
stränge, ferner einen grobschlägigen Tremor der beiden Stimmbänder, links
mehr als rechts, in der Weise, daß die Stimmbänder bei der Phonation zwar
zunächst anstandslos gegen die Mittellinie sich bewegen und schwingen,
jedoch beim Versuch, den Ton zu halten, rasch in ihrer Spannung und
Adduktion nachlassen, sich mehr weniger weit von der Mittellinie nach außen
entfernen, um sofort wieder richtig gespannt und bis zur Mittellinie adduziert
zu werden. Dieses Spiel wiederholt sich, solange der Ton gehalten werden soll.
Die respiratorische Ab- und Adduktion der beiden Stimmbänder
erfolgt jedoch ohne Zittern.
Differentialdiagnostisch kommen nur in Betracht die Paralysis agitans,
bei welcher jedoch der Tremor in der Ruhe vorhanden ist und bei Intention
eine Bewegung aufhört, ferner die multiple Sklerose, bei welcher spastische
und paretische Erscheinungen vorhanden sind, die in unserem Falle völlig
fehlen. Der merkurielle Stimmbandtremor ist recht selten beobachtet worden.
R e t h i führt in seiner Monographie über „die laryngealen Erscheinungen
bei multipler Sklerose“ im ganzen 4 Fälle, und zwar 2 selbst beobachtete
und 2 Literaturfälle an.
Der Stimmbandtremor war jedoch nur in 2 Fällen bei der Phonation
vorhanden, in einem Falle wurde nicht laryngoskopiert, im 4. Falle war der
Tremor nur bei der respiratorischen Bewegung der Stimmbänder zu sehen.
2. Afenll, lokal appliziert, bei Rhinitis vasomotoria und Heuschnupfen.
Menzel berichtet an der Hand eines Falles von Heuschnupfen, der
als Typus gelten kann, über den günstigen Einfluß der lokalen Applikation
von Afenil auf die Schleimhaut der Nase bei Rhinitis vasomotorica und Heu¬
schnupfen. Angeregt durch Weleminskys Empfehlung der lokalen
Applikation von Aqua calcis und ein Fünftel Kalkmilch in derartigen Fällen,
hat Menzel in einer Reihe von 6 Heuschnupfenfällen und 5 Fällen von
Rhinitis vasomotorica die lokale Applikation von in Afenil getränkten Watte¬
tupfern, und zwar jeden Tag bzw. jeden zweiten Tag versucht. Er läßt die
Wattetampons zirka 20 Minuten in der Nase liegen und tropft auch in Fällen
von Heuschnupfen mit Augenbeschwerden Afenil in den Konjunktivalsack
beiderseits ein. Das Afenil verordnet er der Billigkeit halber magistraliter,
und zwar in folgender Form:
Ureae pur.
Calcii chlor, cryst. aa 0*5
Aqu. dest. ad 10*00
Filtra et sterilisa.
Die unmittelbare lokale Reaktion ist gewöhnlich ziemlich groß, die
Augen tränen und die Nase tropft. Nach kurzer Zeit ist jedoch die Reaktion
vorüber und die Patienten fühlen sich außerordentlich wohl. In manchen
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Fällen sowohl von Rhinitis vasomotorica als auch von Heuschnupfen grenzte
die Wirkung ans Wunderbare: nach einer einzigen Applikation schwanden
wie mit einem Schlage die Beschwerden. Eine wesentliche Besserung konnte
in allen Fällen erzielt werden.
Die vorgestellte Patientin leidet bereits seit 6 Jahren an Heuschnupfen
mit allen klassischen Symptomen und Jucken in den Ohren, im Halse und im
Munde. Schon nach den ersten 3 Applikationen schwanden alle Symptome
nahezu vollkommen, so daß Patientin bereits beschwerdefrei wieder Land*
partien machen konnte.
Menzel glaubt auf Grund seiner Erfahrungen diese Behandlungs¬
methode den Fachkollegen wärmstens empfehlen zu dürfen.
Aussprache:
H e i n d 1 macht aufmerksam, daß er heuer wie auch andere Kollegen den
Eindruck bekommen hat, als ob die Heufiebererkrankungen im viel geringeren
Maße, wa« Intensität und Zahl anbelangt, auf getreten seien.
Zweitens, wie oft wurde die Afenüapplikation im Durchschnitt gemacht und
in welchen Intervallen ?
G. Hofer fragt, ob Vortragender Erfahrung über intravenöse Afenil-
injektionen hat.
Schrötter bespricht in wenigen Worten die Konstitutionsformel der
Chlorkalziumpräparate und berührt deren osmologische einer-, deren neurotonische
Wirkung andrerseits, die in therapeutischer Hinsicht in Betracht kommen.
Hutter frägt den Vortragenden, ob in den von ihm durch lokale Applikation
von A f e n i 1 geheilten Fällen nasaler Reflexneurosen sich andere Behandlungs¬
arten als wirkungslos erwiesen haben. Manchmal zeigt sich nämlich die schon von
M. Schmidt empfohlene einfache lokale Schleimhautmassage mit Kokain oder
Bormentholvaselin sehr wirksam, in anderen Fällen die Verätzung der 4 K i 11 i a n-
schen Punkte. In dem seinerzeit hier vorgestellten Falle, der sich gegen verschiedene
Methoden refraktär verhalten hatte, ist nach Alkoholinjektion seit nunmehr 9 Mo¬
naten Heilung eingetreten.
Glas betont die ausgezeichnete Wirkung der intravenösen Afenil-
injektion bei Heuschnupfen, die ja bereits zur Genüge bekannt ist, und fragt,
ob die lokale Applikation der intravenösen vorzuziehen sei. (Nebenbei sei angeführt,
daß Afenilinjektionen bei Blutungen gute Erfolge aufweisen.)
Menzel (Schlußwort): Menzel hat Erfahrungen über intravenöse
Afenilinjektionen, allerdings keine hervorragenden. In den berichteten Fällen w^aren
zum Teile bereits vielfache therapeutische Versuche vorher gemacht worden. Vortr.
glaubt eher, daß eine lokale Einwirkung vorliegt und nicht eine hämatogen bedingte.
* '■
V. E. Suchanek: Karzinom des rechten Bronchus nach radikal
exstirpiertem Kehlkopfkarzinom. Metastase? Demonstration mittels Tracheo-
skopie, sowie eines Radiumträgers für den Bronchus.
Der Patient wurde seinerzeit von meinem Chef, Prof. Marschik,
hier vorgestellt, da bei ihm wegen eines Carcinoma laryngis die Total¬
exstirpation des Kehlkopfes nach der ModifikationKillians mit mittlerem
Hautbrückenlappen ausgeführt wurde. Sie sehen, daß das Tracheostoma,
das bei dieser Methode in einem Knopflochschnitt angelegt wird, vollkommen
offen bleibt. Trotz des glatten Wundverlaufes erholte sich der Patient nicht
und zeigte eines Tages hämorrhagisches Sputum. Die Internisten stellten
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einen alten Spitzenprozeß fest. Bei der Tracheoskopie sah man nun vor
3 Wochen am Eingang in den rechten Bronchus einen zirka 3 Viertel des
Lumens ausfüllenden, blumenkohlartigen, hauptsächlich der vorderen und
mittleren Wand angehörenden Tumor, den ich mir hier mittels Tracheoskopie
zu zeigen erlaube. Die histologische Untersuchung ergab Karzinom.
Da das Auftreten von mehreren Karzinomen im Verlaufe der Luft¬
wege zu den größten Seltenheiten gehört, stelle ich diesen Fall vor, wobei
ich bemerken möchte, daß ich an das Vorhandensein einer karzinomatösen
Hilusdrüse, die auch den Bronchus ergriffen hat, denke.
Gleichzeitig gestatte ich mir, den Radiumträger zu demonstrieren,
welchen wir bei diesem Patienten in Anwendung bringen. Er ist zum Teil
dem untersten Stück des N e u m a n n sehen Larynxträgers nachgebildet,
besteht aus einem oben und unten verbreiterten Rohr, in welchem exzentrisch
die für die Aufnahme des Domini ci - Röhrchens bestimmte Kapsel ent¬
halten ist. Diese wird mittels einer Schraube verschlossen. Der Träger hat
auf diese Weise ein freies Lumen, durch das die Respirationsluft streichen
kann, und wird mittels einer Fremdkörperzange durch das Autoskopierohr
— oben ist der zum Fassen bestimmte Bügel — an die zu bestrahlende Stelle
im Bronchus gebracht, um dort frei schwebend — nur durch den Gewebs-
druck festgehalten — auf die Dauer der Bestrahlung liegen gelassen zu
werden.
VI. Weil: Ein merkwürdiger Fall von Narbendiaphragma des Larynv.
Die jetzt 44 Jahre alte Frau wurde schon in der Sitzung vom 4. November
1908 vorgestellt (genaue Krankengeschichte im damaligen Berichte). Sie
war vorher l l / 2 Jahre lang auf der Klinik Chiari mit Tbc. laryngis und
auf der Klinik Nothnagel mit Tbc. pulm. behandelt worden (Kreosot¬
pillen) und wurde nachher von Dr. Weil etwa 2 Jahre lang mit Antipyrin-
einblasungen und Milchsäure behandelt; jetzt kam sie nach 12 Jahren wegen
Heiserkeit und Atemnot wieder. Die damals bestandene tumorartige In¬
filtration des linken Taschenbandes und der Hinterwand ist geschwunden,
die Stimmbänder sind weiß und glatt, vom linken etwa die vordere Hälfte
sichtbar. Das Diaphragma erstreckt sich, in der Mitte etwa 5 mm breit, im
Bogen vom rechten Aryknorpel über die Hinterwand zum linken Taschen¬
band; der laterale Teil zeigt eine fächerförmige, strahlige Narbe, der mittlere
Teil sieht einer Schwimmhaut ähnlich, mehr wie eine dünne Schleimhaut-
duplikatur aus, welche sich beim Phonieren nach unten zusammenlegt. Ary¬
knorpel gut beweglich, starkes Stenosengeräusch; die Heiserkeit läßt sich
aus dem Spiegelbilde nicht erklären, wahrscheinlich erstreckt sich die Narbe
an der Hinterwand weit nach unten. An der Spitze der Epiglottis ein narbiger
Defekt. Das Körpergewicht, seinerzeit 58 kg, später bis 86 kg, jetzt 73 kg.
Apicitis noch nachweisbar. Es kann sich nur um eine ausgeheilte Tuberkulose
handeln. Dr. Weil will das Diaphragma so w r eit als möglich exzidieren und
Patientin dann wieder vorstellen.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges>, Juli 1922).
Aussprache:
Fein schließt sich der Ansicht an, daß es sich um einen abgelaufenen
Tbc.-Prozeß handelt, was besonders aus den charakteristischen Narben an der
Epiglottis hervorgeht. Einen operativen Eingriff würde er nicht empfehlen, weil
weder eine Besserung der Atmung, noch der Heiserkeit zu erwarten steht.
Heindl bemerkt, daß nach seiner Erfahrung tuberkulöse Prozesse nicht,
sondern nur luetische Prozesse mit solcher exzessiven Narbenbildung ausheilen.
Es könnte sich höchstens noch um eine Mischinfektion gehandelt haben.
Emil Glas fragt nochmals an, warum dieser Prozeß als Tbc. angesprochen
wird; Derzeit ist nur der Narbenprozeß an Epiglottis und hinterer Kehlkopfwand
(diaphragmaartig) vorhanden. Der Prozeß erscheint völlig ausgeheiit.
VII. Emil Glas: 1 . Ca der linken TonsUlengegend und positiver
Wassermann.
Der Tumor greift auf Uvula und Velum über. Histologischer Befund:
Ca. Wochenlange Jodbehandlung. Darauf Operation des Tumors. Derzeit
Rezidive am harten Gaumen. Patient wird der Radiumbestrahlung zu¬
geführt.
2 . Diffuse Tuberkulose der Epiglottis. Abtragung des Kehldeckels mittels
kalter Schlinge.
Der Kehlkopf ist in seinen übrigen Teilen frei. An der Lippe und
Wangenschleimhaut ist es zur Entwicklung tuberöser Infiltrate gekommen,
die, spezifischer Natur, klinisch gutartige Infiltrate zu sein scheinen. Glas
zieht die Ablatio epiglottidis mittels kalter Schlinge der durch galvano¬
kaustischen Draht vor.
VIII. G. Hofer: Fall von Totalexstirpation des Larynx mit querer
Pharynxösophagusresektion. Technische Modifikation. Gluckscber Trichter.
Entgegen dem konventionellen Verfahren der Wund Versorgung nach
obigem Eingriff, in dem durch mediane Vernähung der beiden türflügelförmigen
Hautlappen für die spätere Plastik die Hinterwand des künstlichen Pharynx
gebildet wird, wurde in diesem Falle ein offenes Pharyngostoma gebildet und
die prävertebrale Faszie nach Epithelisierung als Hinterwand belassen. Diese
Epithelisierung trat relativ rasch ein; die nun folgende Verschlußplastik
der Vorderwand des offenen Pharyngostomas gestaltet sich relativ einfach,
da die Hautumsäumung des kranialen Pharynxstumpfes bereits vorhanden
ist. Die Methode wird für geeignete Fälle, bei denen die seitlichen großen
Gefäße nicht zu sehr frei liegen, empfohlen.
Aussprache:
Marsch i k: Wegen der Retraktion des nach der queren Pharynxresektion ab¬
getrennten Pharynx- bzw. ösophagusstumpfes habe ich in den letzten Fällen die
typische Gluck sehe Operation in der Weise modifiziert, daß die gesunde Schleim¬
haut des kontralateralen Rec. piriformis als schmale Kontinuitätsbrücke erhalten
wird. Man muß sich nur hüten, zu nahe dem Tumor abzutrennen und die Radikalität
der Operation zu gefährden. Bei Sekundärheilung einer so ausgedehnten Pharynx-
wunde, wie im Fall Hofers, ist mit starker Narbenkontraktur des Pharynxrohres
zu rechnen, die wohl derzeit durch den Gluck sehen Trichter offen gehalten wird;
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ge?., Juli 1922).
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es wird sieh aber später nach Entfernung desselben zeigen, wie weit diese Kontraktur
fortechreitet.
IX. Hajek: Demonstration des Schluckaktes durch die Nase bei
äußerem Defekt.
Demonstriert an einem Patienten, dem wegen Ca der äußeren Nase
diese und das Septum entfernt werden mußte, den Schluckakt, behält sich
jedoch eine umfassendere Auseinandersetzung der Physiologie für einen
späteren Zeitpunkt vor.
Aussprache:
Marschikr Am Londoner internationalen Kongreß 1913 wurde ein
70jähriger Mann gezeigt mit ausgedehntem Defekt der einen Gesichtshälfte samt
Bulbus nach Radikaloperation eines Nascnnebenhöhlensarkoms, bei dem ebenfalls
durch den riesigen Defekt die Schluckbewegungen des Rachens und Gaumens
ausgezeichnet zu beobachten waren.
X. H. Neu mann: 1. Perichondritis des Petioius epiglottidis nach
Fremdkörper des Kehlkopfes
Ich demonstriere Ihnen eine 38jährige Patientin, deren Larynxbefund
schwer zu deuten ist. Man sieht eine gleichförmige Schwellung beider falschen
Stimmbänder, aus der vorderen Kommissur, dem Petioius entsprechend,
ragt zitzenförmig eine Granulation hervor, die wahren Stimmbänder stark
verdickt, beweglich. Das Bild hat sich abgeschwächt, die anfängliche Rötung
und Schwellung ist seither zurückgegangen. Ich demonstriere Ihnen eine
Bleistiftzeichnung, welche Ihnen eine ungefähre Vorstellung von dem
ursprünglichen Status gibt. Die Genese dieser Erkrankung ist unklar, alle
angestellten Untersuchungen, wie Wassermann, Probeexzisionen, fielen
negativ aus, so daß ich mir den Befund nur so erklären kann, wie er der
Anamnese vonseite der Patientin entspricht. Sie hatte vor 8 Monaten eine
Fischgräte verschluckt, Extraktionsversuche, die sie selbst und ein Spezial¬
arzt in Krakau unternahmen, waren ergebnislos. Sie hatte in der Folgezeit
Schmerzen, Erstickungsanfälle, wurde dann von einem Arzt gepinselt
und kam schließlich zu mir. Ich erkläre mir den Befund als einen durch eine
Reihe von Traumen entstandenen.
Aussprache:
G. Hofer erinnert an einen sehr ähnlichen Fall, den er vor etwa einem
Jahre in dieser Gesellschaft demonstrierte. Es war dies eine postgrippöse Peri¬
chondritis am Petiohis epiglottidis.
Emil Glas erwähnt jenen Fall, den er in seiner Fremd kör per ar beit be¬
schrieben hat, der auch Granulationen in großer Menge (vordere und hintere
Kommissur) zeigte,deren Ursache ein durch 9Monate getragener, median eingestellter
Fremdkörper (Hühnerknochen) war. Diese Granulationen verschwanden nach
Fremdkörperextraktion im Laufe von Monaten vollkommen und waren jedenfalls
durch die chronische Reizung von seiten des Fremdkörpers bedingt.
2. Weitgehende Blutsuffusion nach Radikaloperation der Kieferhöhle.
Bei dem 35jährigen Mann habe ich vor mehr als 2 Wochen eine Radikal-
öperation nach Luc der rechten Kieferhöhle wegen chronischer Eiterung
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aiisgeführt. Bei der Operation war kein bemerkenswerter Befund zu erheben.
Ein kleines spritzendes Knochengefäü stand bald von selbst. Nach der
Operation trat zunächst eine Schwellung der rechten Wange auf, die wir
zunächst für eine reaktive hielten. Die Schwellung aber nahm stündlich'zu,
erstreckte sich über beide Lippen, welche von dem suffundierten Blute blaurot
und dick geschwollen erschienen. Sie erstreckte sich nach abwärts bis Hand¬
breit über die Klavikula, sie ergriff Konjunktiva und die Umgebung des
rechten Auges, welche ebenfalls dick geschwollen und blaurot vom suf¬
fundierten Blute waren, überschritt den Nasenrücken und ergriff Konjunktiva
und Umgebung des linken Auges. Ich ent fernte die Schleimhaut nähte, welche
gut gehalten hatten. In der Kieferhöhle befand sich ein kleines Koagulum,
ein blutendes Gefäß war nirgends nachzuweisen. Die Schwellung nahm unter
Rot- und Gelbfärbung der suffundierten Stellen allmählich ab. Sie sehen
jetzt noch in den Konjunktiven und um die Augen herum gelbrote Verfärbung
von der Blutsuffusion. Eine Erklärung für diese Blutung kann ich nicht
geben, ich stelle mir vor, daß ein Gefäß in die Weichteile hineingeblutet hat,
so wie es nach Berichten von Kriegschirurgen Blutungen und Verblutungen
in die Weichteile hinein nach Schußverletzungen gibt.
Aussprache:
Hirsch: Solche Blutungen in die Weichteile des Gesichtes können Vor¬
kommen, wenn beim ersten Schnitt in der Übergangsfalte vorerst nur die Weichteile
zurückgeschoben werden, das Periost aber noch am Knochen bleibt. Wenn auch
später die Korrektur erfolgt und das Periost zurückgeschoben wird, bleibt zwischen
Periost und den übrigen Weichteilen ein Hohlraum, in den die Blutung erfolgen
kann. Molche hochgradige Blutungen, wie sie Prof. N e u m a n n beschreibt, habe
ich nie gesehen. Vielleicht spielt ein konstitutionelles Moment eine Rolle.
Kellner hat eine ähnliche Beobachtung, wenn auch nicht in so hoch¬
gradigem Maße wie» im vorgestellten Falle, nach einer Denkeroperation der Kiefer¬
höhle gemacht. Auftreten von Suffusionen oberhalb und unterhalb der Klavikula
der operierten »Seite*.
Weil fragt an, ob der Blutdruck erhöht gewesen sei.
H. N e u m a n n (Schlußwort): Herrn Doz. Hirsch möchte ich erwidern,
daß man ja manchesmal bei fest adhärentem Periost bei der Operation zwischen
Weichteil und Periost gerät, aber die dabei entstehenden Blutungen sind doch gering.
Eine eindeutige Erklärung kann ich auch nicht geben, ich nehme aber doch an, daß ein
blutendes Weichteilgefäß übersehen wurde und daß die Blutung aus diesem Gefäß
allmählich längs der Muskelseheiden nach abw'ärts um die Lippen herum, nach auf¬
wärts um die Äugen herum sich aiisgebreitet hat. Ich habe dieses Bild in einer Moulage
fixieren lassen und werde mir erlauben, nach Fertigstellung dieselbe zu demonstrieren.
XI. Ul 1 ma ii n: Experimentelle Überimpfung von LarynxpapiUomen.
Ich erlaube mir, Ihnen über hier noch nicht gezeigte Ergebnisse meiner
Papillomstudien zu berichten. Im Anschluß an die in einer früheren Sitzung
(Okt. 1921) demonstrierten gelungenen Obertragungsversuche von Kehlkopf¬
papillomen auf menschliche und tierische Haut und Schleimhaut, versuchte
ich, durch weitere Untersuchungen den Beweis für die Infektiosität der
Larynxpapillome zu erbringen. Zunächst wurden experimentelle Papillome
weiter verirapft, also ein Generationswechsel vollzogen, der deutlich zeigt.
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Personalien.
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daß hierbei die Inkubation, die ausnahmslos in den früheren Versuchen
zirka 3 Monate währte, auf 5 bis 6 Wochen herabgesetzt wurde und die
Virulenz beträchtlich sich steigerte. Es liegt also hier ein allen anderen über-
impfbaren Infektionskrankheiten analoges Verhalten vor. Wo aber war nun
das Virus zu suchen? Da vorerst im Mikroskop nichts gesehen wurde, was
als solches hätte angesprochen werden können, wurden in Kenntnis der Ver¬
suche Jadasohns über plane Warzen Experimente angestellt und mit
bakterienfreien Filtraten Übertragungsversuche gemacht. Auch diese er¬
gaben positive Impfresultate mit ungefähr derselben Inkubationsdauer,
womit wir einen Hinweis auf die Art des Virus gewonnen hatten. Bei richtigen
Färbungsmethoden konnten nun auch im histologischen Schnitt durch
experimentelle Papillome Gebilde nachgewiesen werden, die bei näherer Unter¬
suchung größte Ähnlichkeit mit den von Prowaczek beschriebenen Ein- *
schlußkörperchen bei anderen Infektionskrankheiten aufweisen. Es handelt
sich dabei keineswegs um die Darstellung irgendwelcher Parasiten, sondern
nur um die Reaktionsprodukte der Zelle auf ein unsichtbares, scheinbares
Virus. Bemerkenswert ist noch bei der raschen Epithelproliferation der Mangel
an mitotischen Teilungsfiguren, wogegen sich eine größere Anzahl amitotischer
Teilungen auffinden ließen, wie solche bei einigen in die Gruppe derChlamy-
dozoenerkrankungen gehörenden Erkrankungen (Variola, Herpes) als die
Regel beschrieben wurden. Demonstration von Lichtbildern. (Wird aus¬
führlich publiziert.)
Personalien.
Feier: Professor Dr. Wagenhäuser in Tübingen feierte seinen-
70. Geburtstag.
Gestorben: Nach schwerem Leiden Prof. Dr. A. Bing in Wien, der erste
Assistent der Ohrenklinik Politzer, im 74. Lebensjahre. — In Berlin Professor
Dr. Hermann Gutzmann, Vorstand der Abteilung für Stimm- und Sprach-
kranke an der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten.
Verleger, Herausgeber nnd Eigentümer: Urban & Schwarzenberg, Verlagsbuchhandlung in.
Wien I, Mahlerstrafle 4 (verantwortlich: Karl Urban in Wien IV, Bruokneretraße 8). — Verantwort«
liehe Schriftleiter: Für den otologisehen Teil: E. Urban teebitseh in Wien I. Sebottenring 24
für den laryngolosiechcn Teil: H. Mareohik in Wien IX, Severingasae 1; für den übrigen Teil:
Karl Urban in Wien IV, Brueknerstraße 8. — Druck B. 8pies A Co. in Wien V,StrauSengasse 14
verantwortlich: Rudolf Wielinger in Wien IV, Schlnifmühlgaese 7).
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plasie des Kleinhirnes. Von Prof. Dr. Gustav Alexander,
Wien (mit 4 Figuren auf Tafel 1 bis IV und 7 Figuren im Text).
Vasomotorische Phänomene am Vestibularapparat bei Lues und
Labyrinthfisteln. Von Prof. Dr. Robert B & r k n y, Upsala.
Zur Ätiologie der Retropharyngealabszesse. Von Dozent Dr. Oscar
Beck, Wien (mit 1 Figur).
Beitrag zu atypisch verlaufenden Larynxtumoren. Von Dr. J.
B e 1 e m e r, Wien (mit 1 Figur).
ZurJMethodik der Gluck sehen Totalexstirpation des Kehlkopfes.
Von Prof. Dr. Georg Boenninghaus, Breslau.
Beitrag zur Kasuistik der Fremdkörper des Nasenrachens. Von
Dr. J. Braun, Wien.
Eine gestielte Krebsgeschwulst des Kehlkopfes. Von Prof. Dr. H.
Burger, Amsterdam (mit 2 Figuren).
Der Kehlkopfspiegelbefund beim Asthma bronchiale. Von Dr. Georg
C a 11 i, Primararzt d. R. in Fiume.
Beiträge zur Ätiologie und Vakzinebehandlung der Ozaena. Von
Prof. Dr. Dem. Styl. Demetriades, Direktor der Ohren-,
Nasen- und Kehlkopfabteilung der Universitätspoliklinik
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rachenfibrome. Von Prof. Dr. Alfred Denker, Halle a. S.
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Prof. Dr. A. TH03T (Hamburg), Dr. WEIL (Stuttgart), Dr. M. WEIL (Wien), Dr. E. WODAK (Prag)
herausgegeben von
H. NEUMANN G. ALEXANDER
Wien M. HAJEK Wien
Wien
Redakteure:
für Laryngo-Rhinologie:
Hermann Marschik
Wien
für Ohrenheilkunde:
Ernst Urbantschitsch
Wien
56. Jahrgang, 12. Heft
(Dezember)
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Monatlich erscheint 1 Heft von etwa 6 Bogen Umfang.
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straße 105 b, entgegen.
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MONATSSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE
UND
LARYN GO-RHINOLOGIE
56. Jahrg. 1922. 12. Heft.
Nach druck verboten.
OriginaLArtikel.
^JBermani^Giitzman^j^J
(Nach der am 6. Dezember 1922 in der Wiener laryngologiachen Gesell¬
schaft gehaltenen Gedenkrede.)
Der 5. November 1922 wird für immerwährende Zeiten ein
Tranertag in der Geschichte der Phoniatrie bleiben; denn an diesem
Tage schloß Herrna'nn Gutzmann für immer seine guten Augen.
Besonders schmerzlich muß es uns berühren, zu wissen, daß die Euphorie,
die gerade besonders häufig an das Krankenbett des Arztes als tröstender
und Hoffnung verbreitender Engel tritt, ihm versagt blieb. Er war
sich der Hoffnungslosigkeit seines Zustandes bewußt. Mitte September
erkrankte er an einer Angina, die septischen Charakter annabm,
es folgten dann einige Intermissionen, die uns hoffen Hessen, daß er
die schwere Krankheit überstehen werde. Leider war dies nicht der
Fall, er erlag trotz aller aufopfernden Anstrengungen der ärztlichen
Kollegen und liebevollster Betreuung der Seinen am 5. November
der furchtbaren Septikämie.
Hermann Gutzmann wurde am 29. Jänner 1865 zu Bütow
in Pommern als Sohn des Taubstummenlehrers Albert Gutzmann
geboren. Dieser selbst war ein hochbegabter Mann, der schon früh¬
zeitig Arbeiten über die Verbesserung der Taubstummenbildung in
körperlicher und geistiger Hinsicht schrieb und nach dessen Angaben
eine Vorschule für kleine taubstumme Kinder eingerichtet wurde.
Aber mehr als das: Aus seiner eingehenden Beschäftigung mit der
Sprachphysiologie, der eigentlichen Grundlage für die sprachliche
Erziehung taubstummer Kinder, erwuchs sein Interesse für sprach-
gestürte Kinder überhaupt und schon 1879 publizierte er eine Arbeit
über das Stottern und dessen Behandlung. Zu einer Zeit, da noch
kein Dozent an irgendeiner Hochschule über Sprachstörungen
Vorlesungen hielt, hat Albert Gutzmann Ärzte und Lehrer in
diese Spezialdisziplin eingeführt. Die Familie übersiedelte dann nach
Berlin, wo er Direktor der städtischen Taubstummenschule wurde. In
diesem Milieu wuchs nun sein Sohn Hermann auf; schon während
Monatsschrift f. Ohronhailknnd« n. Lar.-Rhin. 66. Jahrg. 58
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Hugo Stern.
seiner Gymnasialjahre beschäftigte er sich, seinem Vater assistierend,
mit Taubstummen und sonstigen Sprachkranken und wurde 1887 nach
Absolvierung seiner medizinischen Studien cum laude zum Doktor pro¬
moviert Seine Dissertationsarbeit lautete: „Über das Stottern“.
1889 ließ er sich zunächst als praktischer Arzt nieder, — äußere
Verhältnisse erheischten es, daß er bald auf eigenen Ftlßen stehe —
aber er beschäftigte sich daneben intensiv mit der Erforschung und
Behandlung von Sprachstörungen und schon nach kurzer Zeit widmete
er sich dann ganz diesem Spezialfach. Gemeinsam mit seinem Vater
begründete er im Jahre 1890 die Medizinisch-Pädagogische Monats¬
schrift für die gesamte Sprachheilkunde. Unter ständiger Mitarbeiter¬
schaft getreuer Schüler und Freunde fand dieses Organ immer
weitere Verbreitung. G. selbst publizierte .die meisten seiner Arbeiten
in diesem Fachblatte, das er kurze Zeit nach dem im Jahre 1910
erfolgten Ableben seines Vaters, dann weiter gemeinschaftlich mit
dem ausgezeichneten Hamburger Phonetiker Prof. Dr. Panconzelli-
Calzia unter dem Titel „Vox“, Internationales Zentralblatt für
experimentelle Phonetik, herausgab.
Von den äußeren Lebensereignissen des Verblichenen erwähne
ich noch folgendes: Nachdem G. schon eine große Zahl grundlegender
Arbeiten geschaffen hatte und das Spezialfach durch ihn schon viel¬
fach auf festen wissenschaftlichen Tragbalken stand, gelang es ihm,
sich im Jahre 1905 auf Grund seiner Arbeit: „Über die Atmungs¬
störungen beim Stottern“ zu habilitieren. Da es vielfach nicht be¬
kannt ist, so gestatte ich mir an dieser Stelle darauf hinzuweisen,
daß G. für interne Medizin die Dozentur erhielt. Besonders
v. Leyden war es, der sich für ihn warm einsetzte und das
Professorenkollegium der medizinischen Fakultät in Berlin auf die
schon damals großen Verdienste Hermann Gutzmanns und die
wichtige Bedeutung einer wissenschaftlich basierten
Stimm- und Sprachheilkunde aufmerksam machte. Das
Thema seiner am 30. Jänner 1905 gehaltenen Antrittsvorlesung
war: „Die Sprachstörungen als Gegenstand des klinischen Unter¬
richts“, in welcher Vorlesung er auf die engen Beziehungen der
Sprachheilkunde fast zu der gesamten medizinischen Klinik hinwies.
Noch hatte G. keine Stätte gefunden, wo für weite und unbe¬
mittelte Kreise die Krankheiten der Sprache und Stimme behandelt
werden konnten; endlich, 1907, gelang es ihm auf Antrag des
preußischen Unterrichtsministeriums eine solche in den Bäumen des
Poliklinischen Institutes für interne Medizin (Direktor: Geheimrat
Prof. Dr. Senator) zu erhalten. Schon 4 Jahre nach seiner Habili¬
tierung erhielt er den Titel Professor. So dankbar er war, für sprach-
und stimmgestörte Patienten ein Ambulatorium gefunden zu haben,
befriedigt war er erst an jenem Tage, wo er auf die laryDgologische
Universitätsklinik, die eben Killian nach dem Tode B. Fränkels
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Hermann Gutzmann f.
889
übernommen hatte, tibersiedeln konnte- Ein lang gehegter Wunsch
war ihm damit in Erfüllung gegangen. Mit K i 11 i a n verbanden
ihn herrlich-freundschaftliche Beziehungen. Es wird mir unvergeßlich
bleiben, mit welch’ warmen Worten Prof. v. Eicken, der Nach¬
folger K i 11 i a n s, am Grabe G.’s dieser Beziehungen gedachte.
„K i 11 i a n u , so sagt er ungefähr, „hatte das lebhafteste Interesse für
das neue Fach, welches Interesse er dadurch bekundete, daß er viele
Monate hindurch zu Füßen G.'s als Bein Schüler saß. Ich hatte leider
nicht dieses Glück, da ich mit der Übernahme der Klinik als deren
neuer Direktor im ersten Jahre meiner Tätigkeit so beschäftigt war,
daß ich eben bis nun nicht dazu kam“.
An äußeren Ehrungen hat es G. nicht gefehlt. Er war Mitglied
des preußischen Landesgesundheitsrates, korrespondierendes Mitglied
vieler wissenschaftlicher in- und ausländischer Korporationen, Ehren¬
mitglied der österr. Ges. f. exper. Phonetik und Sekretär der Berliner
Laryngologischen Gesellschaft. In letzterer Stelle erblickte G., wie er
mir oft sagte, eine ganz besondere Auszeichnung, nicht nur für seine
Person, sondern vielmehr noch für das von ihm vertretene Fach,
für dessen Anerkennung die Berliner Kollegen in der Wahl G.’s als
Sekretär ihrer wissenschaftlichen Vereinigung so beredten Ausdruck
fanden.
Und nun möchte ich über die Lebensarbeit G.'s berichten
Fürwahr, keine leichte Aufgabe; denn zirka 300 Publikationen in
wenigen Zeilen gerecht zu werden, erfordert viel Nachsicht seitens
des Lesers dieses Nekrologes. Ich glaube das, was G.’s Namen zu
einem unvergänglichen in der Geschichte der Medizin gemacht
hat, in folgende Worte zusammenfaBsen zu können: Aus einzelnen
bis dahin erschienenen Abhandlungen, deren Ergebnisse noch daza
nicht immer einer Nachprüfung standhielten, und hauptsächlich
angeregt durch Kussmauls klassisches Werk: „Die Störungen
der Sprache" hat Gutzmann nicht nur die Fundamente einer
neuen Spezialdisziplin geschaffen, sondern dieselbe durch eine ganz
beispiellos intensive Tätigkeit derart ausgebaut, daß dieselbe als
selbständige Wissenschaft Aufnahme in die Gesamt¬
medizin gefunden hat. Glücklich der Arzt, dem eine so ruhmvolle
Laufbahn beschieden war, glücklich auch die medizinische Wissen¬
schaft, wenn ihr das Schicksal von Zeit zu Zeit Männer
von solchen Qualitäten schenkt! Und dieser Mann hatte ja
keine besondere Ausbildung genossen, war nur kurze Zeit
an mehreren Kliniken beschäftigt gewesen, war nie Assistent irgend
eines berühmten Lehrers — und wurde doch bahnbrechend. Allerdings
hatte er eine gute Basis für seine nachmaligen Forschungen in
der Arbeit bei seinem Vater gefunden, er hätte aber nie das werden
können, was er wurde, wenn er nicht in die Hilfswissenschaften der
Phoniatrie, in die Physiologie, Neurologie, Laryngo-Rhinologie, die
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890
Hugo Stern,
interne Medizin, die Psychologie und Physik usw. mit einem, wie
ich schon oben erwähnte, ganz einzig dastehenden Fleiß und inten¬
sivem Stadium eingedrangen wäre.
Nar der wichtigsten seiner Arbeiten sei an dieser Stelle ge¬
dacht. Vor allem war es das Stottern, das durch ihn in patho¬
genetischer, klinischer und therapeutischer Beziehung seine gründliche
Bearbeitung erfahr. Die über dasselbe im Jahre 1898 von ihm ver¬
öffentlichte Monographie darf wohl mit Recht als ein erstklassiges
Werk der medizinischen Gesamtliteratur bezeichnet werden. G. lehrt
uns die Atmungsanomalien des Stotterers in primäre und in sekundäre
zu klasifizieren, wir erfahren die Bedeutung der sogenannten „Mit¬
bewegungen“ und auch sonst die klinischen Symptome dieser Sprach-
affektion und er baut vor unserem Auge die Therapie derselben auf.
Dieselbe basiert vor allem auf physiologischen Grundgedanken, aber
sie ist zum großen Teile auch eine die psychische Seite des Stotterns
berücksichtigende Behandlungsmethode. Ganz unrichtig ist es, wie
dies auch jetzt noch häufig geschieht, dieselbe als „gymnastische“
Therapie zu bezeichnen. Die Seele der Gutzmannschen Heilmethode
beruht ja darauf, daß der Stotterer so lange bewußt richtig den
Stimmeinsatz, die Atmung und die Art der Artikulation lernt, bis
es ihm gelingt, auch unbewußt diese drei Komponenten des
Sprechaktes richtig zu koordinieren. Und damit sind auch die
Richtungslinien für die Behandlung der verschiedenen Formen des
Stotterns gegeben. Eine große Anzahl der Arbeiten G.’s sind der
Dysarthria articulatoria, dem Stammeln, gewidmet und
verdanken wir ihm auch eine ganze Reihe von Hilfsinstrumenten,
die den Zweck haben, die für die physiologische Bildung des Lautes
richtige Lage der Zunge unterstützen zu helfen. Außerordentlich viel
beschäftigte sich G. mit den verschiedenen Formen desNäselns, er
zeigte uns auch das Symptomenbild der bis dahin nicht bekannten
Rhinolalia mixta und gab uns damit die Indikationen bzw.
Kontraindikationen für rhinologische Eingriffe bei diesen Affektionen.
Der Neuauflage des vergriffenen und doch immer wieder begehrten
Werkes von Adolf Kussmaul fügte er einen Kommentar bei,
dessen Gediegenheit und Höhe wissenschaftlicher Forschungsarbeit
wohl nicht anders als eine dem Kussmaulschen Werke kongeniale
Arbeit bezeichnet werden kann.
Fanden so die Sprachstörungen in Gutzmann ihren großen
Baumeister, so wurden die Affektionen der Stimme als solcher nicht
weniger gründlich bearbeitet. Durch Untersuchungen an vielen
Tausenden von Schulkindern, deren Sprechtonhöhe und deren Ge¬
samtstimmumfang er prüfte, wies er auf die Schäden des Schul¬
gesanges und die Mittel, wie dieselben zu vermeiden seien, hin.
Andere Arbeiten beschäftigten sich mit der Stellung des
Larynx bei physiologischen und pathologischen
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Hermann Gutzmann f.
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Stimmvorgängen; er konnte feststellen, daß beim richtigen
Singen der Kehlkopf stets eine Indifferenzlage einzunehmen bestrebt
ipt, während beim nichtgeübten Sänger oder bei pathologischen
Stimmvorgängen starke Exkursionen des Kehlkopfes zu konstatieren
sind. Bei einem Teile der letztgenanten Publikationen hatte G. an
Prof. Dr.Th. S. Flat au einen vortrefflichen Mitarbeiter. Hervorragend
auch seine Arbeiten über habituelle Stimmstörungen,
über die Analyse künstlicher Vokale, Uber die Phonasthenie, über
die Sprache Schwerhöriger und Taubstummer, über den Einfluß
der Affekte auf Sprache und Stimme usw. Alle diese Erfahrungen
und Ergebnisse konnten aber nur auf Basis gediegener physiologischer
Kenntnisse und langjähriger Studien gewonnen werden, als deren
Frucht wir die „Physiologie der Stimme“ (1909) und
„Stimmbildung und Stimmpflege“ (1920) in Form von
gemeinverständlichen Vorlesungen von ihm besitzen. Wenn auch in
vielen seiner Arbeiten sich der tatsächliche Gedankeninhalt oft wieder¬
holt, immer weiß der Autor dem gestellten Thema wieder neue inter¬
essante Seiten abzugewinnen. Sein größtes Werk „Sprachheil¬
kunde“ hatte er eben zum dritten Male umgearbeitet (es erscheint
in wenigen Wochen), ein unerbittliches Schicksal nahm ihm für
immer die Feder, ach, zu frühzeitig aus der Hand . . .
Wenn ich über Gutzmann als Mensch, als Freund und
vor allem als Lehrer sprechen soll, so ist das eine noch viel
schwierigere Aufgabe als die Skizzierung seines Lebenswerkes. Ein
durch und durch vornehmer, jedem niedrigen Gedanken abholder
Charakter, ein tiefernster und dabei doch sonniger Mensch, ein
trotz seiner im Fache führenden Position bescheidener Gelehrter, ein
von Vorurteilen jeglicher Art freier, stets die Wahrheit suchender
und für Kunst und Wissenschaft gleich begeisterter und alle, die
ihm näher traten, begeisternder Mann, das war unser Gutzmann,
Wer, wie Schreiber dieser Zeilen, das Glück hatte, dem engeren
Kreise seiner Schüler angehören zu dürfen, der darf wohl ohne
Übertreibung sagen, daß ein derartig herzliches Band, wie es zwischen
G. und seinen Schülern bestand, nur selten, ganz selten zu finden
ist. Und weit über die engere Lehrzeit bei ibm blieb er ein treuer
Freund und Förderer seiner Schüler, die alle mit grenzenloser Ver¬
ehrung und Liebe an ihm und auch an seiner engeren Familie
hingen. Dankbar wollen wir dem Schicksal bei allem Weh und
Schmerz, der uns ob seines allzu frühen Hinscheidens erfüllt, sein,
daß es uns beschieden war, einen solchen Forscher, einen Mann
von derartig hervorragenden Herzens- und Charaktereigenschaften
unseren Lehrer nennen zu dürfen, dankbar dem Schicksal auch
dafür, daß es ihn erleben ließ, — wie freute er sich besonders
darüber! — daß eine Anzahl seiner engeren Schüler in den letzten
Jahren die Dozentur erlangte und daß die von ihm begründete Stimm-
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892
Oscar Beck und Emil Schiander.
and Sprachheilkunde immer stets größere Anerkennung in der
Gesamtmedizin findet.
Teurer Meister und Lehrer! Ihr Lebenswerk ist aere perennius
in den Annalen der Medizin eingegraben, aber ebenso unauslöschlich
die Dankbarkeit Ihrer Schüler. Bis zum letzten Atemzuge werden
wir uns bestreben, in den yon Ihnen gezeichneten Bahnen zu arbeiten,
uns bestreben, Jüngern der Wissenschaft, die sich für die Phoniatrie
interessieren, in den ron Ihnen uns ungezählte Male angegebenen
Intentionen die Lehre weiterzugeben, selbst weiter auszubauen, was
Sie so herrlich errichtet. Damit werden wir dem Manen Ihres
Geistes das schönste und hehrBte Totenopfer darbringen. Einziger,
Unvergeßlicher, ruhen Sie sanft, — sanft!
Hugo Stern.
Aus der Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrankheiten
(Vorstand: Professor Dr. H. Neumann).
Über eitrige Meningitis und Labyrinthoperation.
Von
Dozent Dr. Oscar Beek und Dr. Emil Sehlssder,
Assistenten der Klinik.
Es ist bisher unter den Otologen noch keine vollständige Einigung
erzielt, ob zur Diagnose einer eitrigen Meningitis eine pathologische Ver¬
mehrung der Lymphozyten bzw. das Vorhandensein von polynukleären
Leukozyten gehört oder ob außer diesen zellulären Elementen auch der
Nachweis von Bakterien im Lumbalpunktat erforderlich ist. Beide Stand¬
punkte haben Vertreter und jede dieser Meinungen stützt ihre Ansicht
auf klinische Erfahrung. Es ist aber andrerseits außer Frage, daß die
Gefahr, die über jeder eitrigen Labyrintitis schwebt, die Meningitis ist.
Wenn wir nun bei Fällen mit sicherer Ausschaltung beider Anteile
des Labyrinths im Anschluß an eine Mittelohreiterung und trübem
Lumbalpunktat bzw. einer erheblichen Vermehrung der Formelemente
des Liquors eine beginnende Meningitis annehmen, so erscheint diese
Annahme auch ohne Bakterienbefund im Liquor gerechtfertigt.
Nach Holger-Mygind ist das wesentlichste Kriterium für
die Diagnose einer Meningitis das trübe Lumbalpunktat.
Polynukleäre Leukozyten geben eine schlechtere Prognose als mono¬
nukleäre oder als abwechselnd monu- und polunukleäre und ein steriles
Punktat ist prognostisch günstiger als ein bakterienhaltiges.
Ebenso meint Denker, daß wir an der Diagnose einer Meningitis
nicht zweifeln dürfen, wenn auch keine Bakterien im trüben Punktat
gefunden werden. Das Fehlen von Bakterien spricht nach Barth nicht
unbedingt dafür, daß keine vorhanden sind, da sie, wenn nicht sehr zahl-
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Über eitrige Meningitis und Labyrinthoperation.
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reich, unter dem Einfluß der Leukozyten verschwinden können. Daher
legt er auf den Nachweis von polynukleären Leukozyten das Haupt¬
gewicht.
Konform mit Barth geht F 1 e i s c h m a n n, der ebenfalls bei
vorhandenen klinischen, meningitischen Symptomen den Nachweis für die
Diagnose Meningitis dann erbracht ansieht, wenn neben trübem Lumbal¬
punktat vermehrte Zellelemente vorhanden sind, wobei ein Bakterien¬
nachweis nicht unbedingt notwendig erscheint.
In seinem Sammelreferat zur Lehre der intrakraniellen Kom¬
plikationen verlangt Blau nach den Publikationen von H i n s b e r g,
Neumann, Schulze, Alexander, Ruprecht, Stade 1-
mann, Großmann, nicht nur trübes Lumbalpunktat, sondern auch
Bakteriennachweis für die Diagnose „diffuse Meningitis“.
Geht man daher der Sache auf den Grund, warum diese Meinungs¬
verschiedenheit bezüglich des Bakteriengehaltes herrscht, so ist sie wohl
darin begrüudet, daß, wie z. B. auch Alexander hervorhebt, sich
bei Extraduralabszessen, Hirnabszessen oder eitrigen Hirnsinusthrombosen,
die sehr nahe an den intrameningealen Raum heranreichen, trübes Lumbal¬
punktat mit Leukozytengehalt findet. Dem können wir noch hinzufügen,
und zwar auf Grund einer Anzahl genau beobachteter, klinischer Fälle,
daß nur bei jenen Hirnabszessen sich Liquorveränderungen finden, bei
welchen der Abszeß nahe an die Hirnrinde reicht oder bei welchen, wie
schon N e u m a n n hervorgehoben hat, die Ventrikelwand Erweichungen
zeigt. Allerdings ist diese Erweichung meist ein Vorstadium des Durch¬
bruchs. Während zur Zeit der Erweichung nur Leukozyten im Punktat
nachzuweisen sind, muß selbstverständlich nach erfolgtem Durchbruch
der Liquor bakterienhaltig werden. Es ist also ein Liquor mit vermehrten
zeitigen Elementen der Ausdruck einer beginnenden Infiltration der Hirn¬
häute, und zwar im speziellen des Subaiachnoidalraumes oder des Sub¬
duralraumes.
Finden wir also bei einem Kranken mit unbestimmten Hirn-
symptomen ein zellig vermehrtes Punktat ohne Bakterien, so kann die
Unterscheidung zwischen Hirnabszeß und beginnender Meningitis »auf
Grund desPunktates allein unmöglich sein. Besteht aber bei einem Kranken
eine klinisch festgestellte Ausschaltung des Gesaintläbyrinths und ein
pathologischer Liquor, so können die Liquorveränderungen der Aus¬
druck einer beginnenden, vom erkrankten Labyrinthe ausgehenden
Menigitis gedeutet werden 1 ). Unter die eben genannte Gruppe von Liquor¬
befunden sind fünf Fälle zu zählen, die in letzter Zeit an unserer Klinik
beobachtet wurden. Die Veränderungen im Punktat auf eine beginnende
labyrinthogene Meningitis zu beziehen, wird dadurch zur Gewißheit, daß
nach ausgeführter Labyrinthoperation alle Patienten geheilt wurden.
*) Wenn keine Anhaltspunkte fiir einen Kleinhirnabszeß vorhanden sind
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Oscar Beck und Emil Schiander.
Fall I: Die 20jährige Patientin I. W., aufgenommen am 22. V. 1920, leidet
seit dem 8. Lebensjahr an beiderseitigem Ohrenfluß, der zeitweilig sistierte und der
Patientin keine Beschwerden verursachte. 10 Tage vor der Spitalsaufnahme, am
12. V. 1920, stellte sich links stärkerer Ohrenfluß ein, der seither anhält. Seit 2 Tagen
ununterbrochen Übelkeiten und Schwindel. Kein ausgesprochener Kopfschmerz.
Angeblich nie Fieber.
Befund bei der Aufnahme: Rechtes Ohr: Große zentrale Perforation mit
granulierender Paukenschleimhaut, wenig Sekret. — Linkes Ohr: Totaldestruktion
des Trommelfells. Attik-Antrum Cholesteatom. Fötides Sekret.
Funktionsprüfung: Taubheit links (mit Hörschlauch geprüft).
Weber nach rechts, Rinne rechts negativ,linksoonegativ. Knoehenleitung rechts
verlängert, links verkürzt, c 4 , Ci rechts positiv. Stimmgabeln links nicht gehört.—
Rotatorischer, spontaner Nystagmus zweiten Grades nach rechts, spontanes Vorbei¬
zeigen nach links in beiden Armen. — Kalorisch rechts: Prompte Reaktion mit
typischen Fall- und Zeigereaktionen. Kalorisch links: Der Nystagmus zweiten
Grades verändert sich in einen dritten Grades. Verstärkung des spontanen Vorbei¬
zeigens nach links. Bei Spülung mit 48-grödigem Wasser wild der Nystagmus bei
Geradeblick schwächer, wobei die Zeigereaktionen nach links nicht deutlich zu
beeinflussen sind. Während der heißen Spülung Übelkeit und Brechreiz.
24. V.: In der Nacht Erbrechen, kein Fieber, Puls 60, Nystagmus wie früher.
25. V.: Beim Auf setzen im Bett Schwindelgefühl, spontaner Nystagmus
etwas schwächer, kein Erbrechen. Affebriler Augenhintergrund beiderseits normal.
31. V.: Temperatur: 37*5. Seit gestern Mittag Fazialparese links in allen
drei Ästen, wobei der Mundast am stärksten betroffen ist. Labyrinthprüfung links
ergibt sicher erhaltene Reaktion mit typischem Vorbeizeigen. Wegen der Fazial¬
parese Radikaloperation.
Operation: 31. V. Warzenfortsatz sklerotisch an der Spitze ein diploe-
tisches Nest. Antrum eng, nach hinten oben ausgebuchtet, im Attik und Antrum
spärliche Cholesteatomschuppen und Granulationen. Nur der Hammergriff er-
erhalten, in derbe Granulationen eingebettet, Bogengang normal, Zellen zwischen
den Bogengängen. An der Spitze entleert sich unter Druck aus einer retrofazial
gelegenen Zelle dicker Eiter. Sinus und Dura nirgends freigelegt. Plastik nach
N e u m a n n. Usuelle Wund Versorgung.
2. VI.: 38-7. Spontaner Nystagmus zur gesunden Seite, wie vor der Operation.
Fazialis im Mundast etwas stärker. Wundschmerzen, daher Verbandwechsel, bei
dem die Wundränder leicht entzündet und die Wundumgebung infiltriert erscheinen,
Lüftung der Nähte.
5. VI.: 39 # 3. Schmerzen in der Wunde. Spontaner Nystagmus nach beiden
Seiten.
6. VI.: 38. Wundschmerzen.
7. VI.: 38*1 Morgentemperatur.
Beim raschem Aufsetzen Schwindelanfälle. W e b e r im Kopf. Laute Sprache
links nicht gehört. Kein Fistelsymptom. Spontaner Nystagmus nach beiden Seiten
verstärkt.
7. VI.: Mittags Verbandwechsel. Komplette Taubheit. Vestibularapparat
unerregbar. Temperatur 39 # ö, Fazialis in allen drei Ästen, besonders im Mundast
gebessert. 11 Uhr abends Labyrinthoperation: Freilegung des
Sinus vom oberen Knie bis zum unteren, der Knochen in der Umgebung des Blut¬
leiters überall ostitiseh verändert und blutreich. An der Spitze in einer Zelle w’enig
Eiter. Sinus schlaff, seine Wand mit Auflagerungen bedeckt, nach oben und unten
wird gesunde Sinuswand erreicht. Sinus scheint bluthaltig zu sein. Durchführung
der typischen Labyrinthoperation nach N e u m a n n. Labyrinth hyperamisch.
Horizontaler Bogengang an der Ampulle angerauht (Fistel ?). Bei der Entfernung
der Granulationen und Splitter aus dem Mittelohr zuckt nach Meldung des
Narkotiseurs der Fazialis zweimal. Die Dura der hinteren Schädelgrube wird bis an
den Labyrinthkern zipfelförmig freigelegt, sie erscheint normal. Mittlere Schädel¬
grube nicht freigelegt.
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Über eitrige Meningitis und Labyrinthoperation.
895
^Lu mbalp u n k tion: Rasche Tropfenfolge, Liquor klar, 112 Zollen im mm 3 ,
meist polynukleare.
9. VI.: Puls 72, P. S. R. beiderseits gesteigert, links mehr als rechts, sonst
negativer Nervenbefund. Kein Schwindel, spontaner Nystagmus nach beiden Seiten,
Vorbeizeigen im linken Arm nach außen, rechts richtiges Zeigen.
Augenbefund: Im rechten Auge leichte Erweiterung der Venen.
13. VI.: Kein spontaner Nystagmus, Fazialparese im Rückgang.
Epikrise: Es handelt sich um eine 20jährige Patientin, die
seit ihrem achten Jahr an beiderseitigem Ohrenfluß leidet und bei der
10 Tage vor der Spitalsaufnahme ohne eine ihr bekannte Ursache ein akuter
Nachschub am linken Ohr aufgetreten ist. Fieber bestand nicht, dagegen
beherrschten Labyrinthsymptome das Krankheitsbild. Die Patientin war
am linken Ohre taub, klagte über Schwindelgefühl, litt an häufigem
Erbrechen und zeigte bei erhaltener Labyrinthfunktion links einen
spontanen Nystagmus nach rechts bei Blick nach rechts und geradeaus.
Während des Spitalsaufenthaltes entwickelte sich am neunten Tage eine
Fazialparese der linken Seite, die wohl alle drei Äste befiel, aber im Mundast
am stärksten war. Die zur Zeit der Fazialparese und wegen der Fazial¬
parese neuerlich vorgenommene Labyrinthprüfung ergab denselben Befund
wie bei der Aufnahme. Bei der wegen der Fazialparese sofort ausgeführten
Totalaufmeißelung fand sich eine retrofaziale, mit Eiter erfüllte Zelle.
Nach kurzem fieberlosen Verlauf stieg die Temperatur auf 38*7. Beim
Verbandwechsel zeigte sich eine Entzündung der Wundränder und
Infiltration der Wundumgebung. Trotz Lüftung und Dunstverband stieg
die Temperatur auf 30'3, sank dann auf 38, um am nächsten Tag 39'5 zu
erreichen. Es konnten also die lokalen Veränderungen der Wunde für
diese hohen Temperaturen nicht mehr verantwortlich gemacht werden,
um so mehr als schon 2 Tage nach der Lüftung der Nähte die Wunde
und deren Umgebung normal erschienen. Der Eindruck, den die Patientin
machte, die Fieberbewegung vor allem, der Mangel jeglicher labyriuthärer
Symptome, ferner der Umstand, daß bei der ersten Operation eine große,
retrofazial gelegene Zelle gefunden wurde, die mit Eiter erfüllt nach vorne
gegen den Sinus heranzureichen schien, machten die Annahme einer
Sinuserkrankung naheliegend.
Trotz dieser Annahme wurde eine neuerliche Labyrinthprüfung
vorgenommen, die komplette Taubheit und vestibuläre Unerregbarkeit
ergab. In der Annahme einer eventuellen Sinuserkrankung wurde bei
der nun vorgenommenen Operation der Sinus vom oberen bis zum unteren
Knie freigelegt. Der Sinus erschien auffallend schlaff und mit Auf¬
lagerungen bedeckt, machte jedoch nicht den Eindruck, als ob ein
Thrombus sich darin befände und auch das Aussehen des Sinus gab keine
Erklärung für die hohen Temperaturen. Es wurde daher die Labyrinth¬
operation vorgenommen. Die Labyrinthausschaltung zwischen der ersten
und zweiten Operation war symptomlos aufgetreten und hatte sich unter
dem Bild einer Sinuserkrankung entwickelt. Die im Anschluß an die
Operation vorgenommene Lumbalpunktion, die etwas erhöhten Druck
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896 Oscar Beck und Emil Schiander.
und erhebliche Zellvermehrung (112 Zellen), meist polynukleäre, ergab,
gab nun die Erklärung für jenes Fieber ab, das wir auf eine Sinuß-
erkrankung beziehen mußten.
Es bestand eine beginnende Meningitis. Daß die Meningitis, die
Fieberursache sein mußte, geht untrüglich aus dem weiteren fieberlosen
Verlauf und der vollständigen Heilung der Patientin hervor.
Fall D: K. H., 21 Jahre, Motorführer, auf genommen am 12. V. 1920. Seit
Jahren Ohrenfluß. Vor 3 Tagen Polypenextraktion außerhalb der Klinik. Vorher
bestanden Kopfschmerzen, von geringer Stärke. Nach der Entfernung der Polypen
wurden die Kopfschmerzen stärker, außerdem soll Fieber und intensiver Schwindel
auf getreten sein.
Kopfschmerzen, besonders in der Stirn- und Hinterhauptgegend, der Gang
ist schwankend, Brechreiz, so daß Patient seit 3 Tagen keine Nahrung zu sich nehmen
konnte.
Befund bei der Aufnahme: Fieber 37*3, Puls 62. Rechtes Ohr: normal.
Linkes Ohr: Reichlich übelriechendes Sekret, Gehörgang im Mittelohr von Chole-
steatonynasson erfüllt.
Funktionsprüfung: Rechtes Ohr: Hört und reagiert normal. Linkes
Ohr: Komplette Taubheit, vestibuläre Unerregbarkeit, spontaner Nystagmus
dritten Grades nach rechts. Starke Kopfschmerzen.
Xervenbef und: Kornealreflexe infolge der starken Lichtscheu nicht
zu prüfen. P. S. R., B. D. R., Cr. R. beiderseits lebhaft, sonst negativer Befund.
Sofortige Operation: Typischer Hautschnitt, Warzenfortsatz sklerotisch,
Antrum erweitert und mit Cholesteatommassen erfüllt. Typische Totalaufmeißelung.
Gehörknöchelchen nicht auffindbar. Die Sondierung des Promontoriums zeigte,
daß in der Gegend des ovalen Fensters ein Granulationspfropf sitzt und die Sonde
neben demselben mühelos ins Vestihulum eindringt. Freilegung des Sinus und der
Dura der hinteren Schädelgrube im T r a u t m a n n sehen Dreieck. Dura normal.
Labvrinthoperation nach N e u m a n n. Der Knochen der Labyrinthkapsel ist in
der hintersten, obersten Partie erweicht und graurot. Plastik. Verband.
Lumbalpunktion: Abfluß in rascher Tropfenfolge, Liquor trüb,
1200 polynukleare Leukozyten im Kubikzentimeter.
Normaler Wundverlauf ohne Temperaturen.
10 Tage nach der 0]>eration starke Kopfschmerzen, Puls 56. Normale
Temperatur. Leichte Fazialparese in allen drei Ästen, die bis zur vollständigen
Heilung der Operationswunde an Starke zunimmt und sich zu einer kompletten
Paralyse ausbildet. Der Kranke wurde am 13, Juli 1920 geheilt entlassen.
Epikrise: Bei einem 21jährigen Menschen besteht seit Jahren
eine chronische Eiterung. Drei Tage vor der Spitalaufnahme wurde eine
Polypenextraktion vorgenommen, bei der der Steigbügel luxiert,
bzw. entfernt wurde, da bei der Operation das ovale Fenster leer gefunden
wurde. Unmittelbar im Anschluß an diesen Eingriff traten die typischen
subjektiven und objektiven Symptome einer Labyrinthausschaltung auf.
Drei Tage nach Beginn dieser Erscheinungen wurde die Labyrinth*
Operation und im Anschluß an diese die Lumbalpunktion ausgeführt. Der
Liquor war trüb, stand unter erhöhtem Druck und hatte 1200 polynukleäre
Leukozyten im Kubikzentimeter. Als klinische Zeichen einer Meningeal-
reizung bestanden Lichtscheu, ausgesprochener Druckpuls und Steigerung
der Reflexe. Das Lumbalpunktat zeigte eindeutig meningitische Ver-
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Über eitrige Meningitis und Labyrinthoperation.
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änderunpen: trübe Farbe, Vermehrung der zellulären Elemente, erhöhten
Druck. Der Liquor war jedoch mikroskopisch und kulturell steril.
In beiden vorliegenden Fällen bestand eine akute Labyrinth¬
ausschaltung, bei dem einen Fall mit stürmischen Symptomen einhergehend,
bei dem anderen mit hohem Fieber und symptomloser Labyrinth¬
ausschaltung. Beide Fälle wurden wenige Tage nach der Ausschaltung
operiert und zeigten erhöhten Druck des Liquors, die zellulären Elemente
waren bedeutend vermehrt, das Punktat bakterienfrei. Der Befund von
polynukleären Leukozyten beweist, daß in beiden Fällen die Meningen
nicht bloß serös durchtränkt, sondern sicherlich schon eitrig infiltriert
waren. Der negative Bakterienbefund unserer Fälle ist vor allem auf
die kurze Dauer der Meningealinfektion zurückzuführen. Sie kamen also
zu einem Zeitpunkt zur Operation, in dem die Meningitis noch zu be¬
herrschen war. und zwar durch ausgiebige und rechtzeitige Eliminierung
des Labyrintheiterherdes.
Fall III: J. L.. 36 Jahre alt, Bauer, aufgenommen am 25. I. 1921. Seit
18 Jahren ununterbrochen Ausfluß aus dem rechten Ohr. Ende Dezember 1920
Verschlechterung des Leidens. Der Ausfluß sistierte durch 3Tage, während dieser Zeit
Kopfschmerzen. Drehschwindel und Erbrechen. Eine ähnliche Attacke 2 Tage vor
der Aufnahme' (am 23. I.) »Schwindel und Erbrechen bestehen noch bei der Aufnahme.
Rechtes Ohr: Obturierender, ziemlich derber Polyp, fötide Sekretion, Warzen¬
fort satz frei. Links: Katarrhalisch verändert. Temperatur 36*6, Puls 65.
Funktionsprüfung: Rechts taub (mit den üblichen Methoden ge¬
prüft) und vestibulär für alle Reize unerregbar. Weber nach links. Rotatorischer
Spontannystagmus zweiten Grades nach links. »Spontanes Vorbeizeigen nach rechts.
27. I. Bis heute ohne eigentliche Beschwerden, außer Schwindelanfällen,
besonders beim Aufsetzen. Heute heftige Kopfschmerzen, besonders im Hinterhaupt,
die nachts sich bis zur Unerträglichkeit steigern, geringe Nackensteifigkeit, Druck¬
empfindlich keit der Halswirbelsäule. P. »S. R. gesteigert.
27. 1. Operation: Typischer Hautschnitt, sklerotischer Warzenfortsatz,
weites geräumiges Antrum, darin und im Attik zerfallendes Cholesteatom; am
Tegmen antri Granulationen, nach deren Entfernung die Lamina vitrea gesund
aussicht. Defekt des Tuber umpullare. Der Bogengang liegt in zirka 4 mm Aus¬
dehnungfrei, die Bogengangsrinne bräunlich verfärbt. Zwischen die Bogengänge hinein
geht eine tiefe Bucht, in der sich Cholesteatom vorfindet. Im Mittelohr, besonders
in der »Stapesgegend, auffallend derbe Po1v|h*ii. Beim Abkratzen des Promontoriums
zuekt der Fazialis zweimal. Freilegung der Dura der mittleren Schädelgrube, starke
Spannung derselben, Eröffnung des Labyrinths naeh N e u m a n n, hintere
»Schädelgrube freigelegt, starke Hy]>erämie im Labyrinth, kein Liquorabfluß.
Lumbal]) u nkti o n: Trüber Liquor, hoher Druck, Pandy +,
Xonne-Ap p e 1 t +, 1226 Zellen im Kubikmillimeter, vorwiegend polynukleäre.
Kultur und Ausstrich steril.
28. I. Spontannystagmus unverändert, nachts unruhig. Kopfbewegung
etwas eingeengt, neurol. negativ.
29. I. Kopfschmerzen geringer, Druck am Scheitel, Nystagmus zur gesunden
Seite ersten Grades.
4. II.: »Subjektives Wohlbefinden, Nystagmus ersten Grades naeh links,
seit 1. IL fieberfrei,
7. III.: Geheilt entlassen.
E p i k r i s e: Bei diesem 36jährigen Patienten besteht seit ungefähr
18 Jahren eine Eiterung im rechten Ohr. Zur Zeit der Aufnahme bestanden
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Oscar Beck und Emil S c h 1 a n d e r.
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die Erscheinungen einer im Abklingen begriffenen akuten eiterigen
Labyrinthentzündung mit Nystagmus dritten Grades zur gesunden Seite,
Schwindel und Erbrechen. Die Funktionsprüfung ergab am rechten Ohre
eine komplette Ausschaltung beider Anteile des Labyrinths. Neurologisch
wiesen die Symptome auf Mitbeteiligung der Meningen hin. Deshalb
wurde auch bei der Labyrinthoperation die Dura der mittleren und
hinteren Schädelgrube vor der Eröffnung des Labyrinths breit freigelegt,
denn nur bei Vorhandensein meningitischer Erscheinungen legen wir
prinzipiell, auch wenn es technisch nicht notwendig erscheint, beide
Duren vor der Eröffnung des Vestibulums frei.
Im Lumbalpunktat, das anschließend an die Operation entnommen
wrurde, fanden sich 1226 vorwiegend polynukleäre Zellen im Liquor, in der
Kultur und im Ausstrich war die Spinalflüssigkeit steril. Weil nach der
Operation die Erscheinungen restlos abklangen, hielten wir uns nicht
für berechtigt, bloß zu wissenschaftlichen Zwecken eine neuerliche Lumbal¬
punktion vorzunehmen.
Fall IV: F. B., 28 Jahre alt, Beamter, aufgenommen an 20. V. 1921. Ohren¬
leidend seit Kindheit, Ausfluß aus dem linken Ohr seit dieser Zeit mit Unter¬
brechungen. Seit 14 Tagen stärkerer Ausfluß und Schmerzen, seit 10 Tagen kommt
Erbrechen ohne eigentliche Übelkeiten hinzu. Seit 3 Tagen bemerkt Patient, daß er
das linke Auge nicht schließen kann, und daß ihm beim Trinken das Wasser aus
dem linken Mundwinkel herausfließt. Schwindel bestand angeblich nie, augenblicklich
kein Fieber, kein Schüttelfrost.
Rechtes Öhr: Annäherd normal.
Linkes Ohr: Hochgradige Senkung der h. o. Gehörgangswand, auf der Senkung
erbsengroße Granulation, Cholesteatomdurchbrucb.
Fötide Sekretion, Fazialisparese links in allen drei Ästen.
““—M Ko “Ä;“sr he M«”»
«-«■ Weber
+ Rinne oo —
normal Schwabach verk.
+ Ci 0
-f c 4 0, kein Spontannystagmus
normale Reaktion Kalorisch und auf Drehung unerregbar.
Interner Befund negativ. Neurologischer Befund ohne
Besonderheiten mit Ausnahme der Fazialisparese. Temperatur bei der Aufnahme 36*2.
21. V.: Druckempfindlichkeit der oberen Halswirbelsäule, starke Kopf¬
schmerzen, angedeuteter Kernig, Babinski, Oppenheim negativ,
P. S. R. links gesteigert, Temperatur 37*4, Puls 84. Nachts öfter Eibrechen.
Augenbefund: Beiderseits ganz scharf begrenzte Papillen, nasal gut
gefärbt. Temporal beginnt schon nahe dem Rande die physiologische Exkavation,
die zentral zu einem tiefen Trichter sich entwickelt. Die Gefäße nicht eingescheidet,
Venen stark gefüllt, Zeichen einer Stauungspapille oder meningealer Papillitis be¬
stehen nicht (Dr. U r b a n e k).
21. V. Operation: Typischer Hautschnitt. Unter der Spina supra meatum
eine Fistelöffnung, aus der sich wenig übelriechender Eiter entleert. Kortikalis sehr
hart, unter dieser erscheint die Matrix eines Cholesteatoms, das den ganzen Warzen¬
fortsatz bis an die Kortikalis eingeschmolzen hat; die Zerstörungen reichen in der
Tiefe bis an den Labyrinthkern und Fazialis, der unterhalb des Bogenganges, in
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Über eitrige Meningitis und Labyrinthoperation.
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Granulationen eingebettet, freiliegt. Zuckung bei Berührung der Granulationen.
Radikaloperation, Dura der mittleren Schädelgrube und Sinus auf Linsen¬
größe freiliegend; der Bogengang zeigt eine breite Fistel. Oberhalb und unterhalb
dieser breiten Fistel sitzen breite Exostosen, die abgemeißelt werden. Labyrinth¬
operation nach Neumann gestaltet sich insofern etwas atypisch, als
die Fistel am horizontalen Bogengang mit dem glatten Ende des hinteren Bogen¬
ganges zu einem Lumen vereinigt wird, im Vestibulum und in der Kochlea
Granulationen. Plastik nach Neumann, Tamponade, Verband.
Lumbalpunktion: Erhöhter Druck, reichliche polynukleare Leuko¬
zyten (30 im Kubikmillimeter), spärlich Lymphozyten, Kultur steril. Nach der
Operation Temperaturanstieg auf 39*8 bei 90 Puls, Blasenkrampf. Sensorium frei,
Nackensteifigkeit, kein Nystagmus.
22. V.: Schmerzen in der Blasengegend, maximale Temperatur 35*6, Puls 72.
neurologisch keine deutlichen meningealen Symptome.
23. V.: Morgens relatives Wohlbefinden, klagt nur über Wundschmerzen,
37*5, Puls 84.
26. V.: Fortschreitende Besserung, keine meningealen Symptome, am Abend
38*3, Puls 84.
30. V.: Subjektives Befinden nicht schlecht, 38*7, neurologisch negativ.
31. V.: Verbandwechsel, starke Infiltration der Weichteile, Wunde speckig
belegt, Drüsen im Kieferwinkel stark druckempfindlich. N. M. 40°, Puls 120.
Erysipel.
1. bis 12. VI.: Erysipel, das sich über den Hals, Gesicht und Stirne erstreckt.
17. VI. Fieberfrei. Wunde stark sezernierend.
Zweitägiger V. W. 26. VI. wird hinter dem rechten Ohre ein großer Abszeß
inzidiert.
4. VII. Patient wird in ambulatorische Behandlung entlassen, die Operations-
höhie von Granulationen erfüllt, mäßige Sekretion,
E p i k r i s e: Bei diesem Kranken fehlen in der Anamnese schwere
Labyrinthattacken, wenn auch Erbrechen und etwas Übelkeit vom
Patienten angegeben wurden. Das Hervorstechendste war die komplette
Fazialparese der ohrkranken Seite. Otoskopisch fand sich ein Cholesteatom»
durchbruch, fötide Sekretion und komplette Ausschaltung des Kochlear-
und Vestibularapparates. Spontannystagmus war nicht vorhanden; neuro¬
logisch wiesen die Druckempfindlichkeit der Halswirbelsäule der an¬
gedeutete Kernig, die gesteigerten P. S. R. auf Mitbeteiligung der
Meningen hin. Diese mit geringen Symptomen einhergehende Labyrinth¬
ausschaltung ist dann auf Labyrinthnekrose bzw. auf Vorhandensein eines
Labyrinthsequesters um so verdächtiger, wenn sie mit einer Fazialis¬
parese derselben Seite kombiniert ist. Es zeigte sich auch bei der Operation,
daß das Labyrinth sequestiert war, der Bogengang eine breite Fistel
aufwies, deren beide Ränder durch Exostosen verdickt waren. An dieser
Stelle lag auch der Fazialis in Granulationen eingebettet frei. Da wir die
Labyrinthoperation nicht nach einem feststehenden Schema vornehmen,
sondern dieTechnik den anatomischenVerhältnissen und den pathologischen
Veränderungen im gegebenen Fall anpassen, wurde bei diesem Fall das
glatte Ende des horizontalen Bogenganges nicht mit der Ampulle des
sagittalen vereinigt, sondern weil es technisch leichter und den vorhandenen
Destruktionen entsprechend naheliegender war, wurde das arrodierte
Ürus commune mit dem glatten Ende des horizontalen Bogenganges
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Oscar Beck und Emil Schiander.
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vereinigt, um auf diesem Wege das Vestibulum von rückwärts her zu
eröffnen.
Die Lumbalpunktion ergab außer deutlich erhöhtem Druck reichlich
polynukleäre Leukozyten, spärliche Lymphozyten; kulturell waren keine
Bakterien nachzuweisen. Am 5. Tage nach der Operation waren die
menin gealen Erscheinungen bereits \ erschwunden; die Temperatur von 38 6
erklärt sich durch den Beginn eines von der Wunde ausgehenden Erysipels.
Auch bei diesem Kranken haben wir eine weitere Lumbalpunktion mit
Absicht nicht vorgenommen, da deren Durchführung vom Standpunkte
des Kranken nicht zu rechtfertigen gewesen wäre.
Fall V: A. F., 38 Jahre alt, Hilfsarbeiter, auf genommen an 20. X. 1920.
1003 wurden ihm dreimal Polypen aus dem rechten Ohr entfernt, ebne daß er von
einer vorausgegangenen Erkrankung etwas wußte; seither soll er auf dem rechten
Ohr schlecht hören. Im Mai 1920 bemerkte er plötzlich, daß er auch auf dem linken
Ohr schwerhörig wurde. Er suchte damals unsere Klinik auf. Das Ohr floß den Sommer
über, ohne daß er weitere Behandlung aufsuchte. Seit August hört er links merklich
schlechter. Ver einem Monat hatte er mehrere Male des Tages Schwindel. Vor 14 Tagen
heftige Schmerzen in der linken Gesichtshälfte mit einer Sei Wellung bis zu den
Augenlidern. Kein Fieber, kein Ohrensausen, seit 14 Tagen links Fazialispaicse.
Status: Temperatur 36*4.
Rechtes Ohr: Gehörgang durch einen fibrösen Polypen bis zum Eingang
verlegt. Im Gehörgang spärlich fötides Sekret.
Linkes Ohr: Maximale Senkung der oberen Gehöigangswand. Staike fötide,
schleimig-eitrige Sekretion. Das Sekret verdeckt auch den unteren Teil des gelöteten
Trommelfells. Etwas Druckschmerz am Warzenfortsatz, Spitze nicht empfindlich.
Fazialparese in allen drei Ästen.
[Funktionsprüfling: Rechtes Ohr: V = 30 cm, v = 0. Linkes Ohr;
Vokalgehör ? Weber nach rechts, Rinne rechts m gativ, links unendlich
negativ. Einstellungsnystagmus hei Blick nach links. Kalorische Reaktion
rechts erhalten, links negativ. Die Drehreaktion spricht für Ausschaltung des linken
Labyrinths.
Op erat io n: Dicke Kortikalis, Wai zenfortsatz diplot tisch. Sinus sehr
stark vorgelagert. R a d i k a 1 o p e r a t i o n. Im Mittelohr reichlich Granulationen.
Hammer, Amboß kariös. Der glatte Teil des horizontalen Bogenganges ist durch
Granulationen ersetzt. De r Fazialis liegt an der hinteren Pyn mieienfläche frei und
ist außerdem zwischen Beigengang und ovalem Fenster ergriffen. Das ovale Fenster
ist leer, das Promontorium erweicht. Der dem Sinus anliegenele Teil der Dura der
hinteren Sehädolgruhc etwas verändert. Beim Eingehen mit der Lahyrinthsonde
in eien horizontalen Bogengang fällt diese in das Labyrinth hinein. La byrinth-
Operation nach N e u m a nn. Das Vestibulum ist von rückwärts bereits
erweicht, mit Granulationen durchsetzt, der frontale Bogengang eröffnet. Erweiterung
des Vestibulums von rückwärts, die Sonde dringt unter dem Fazialis durch und
erscheint im ovalen Fenster.
Vom ovalen Fenster aus wird die erweichte Koehlea mit dem scharfen Löffel
eröffnet. Dura der mittleren Sehädolgruhc freigelegt, etw r as verändert. Zweilappen-
plastik. Verband.
Am Nachmittag geringer Nystagmus nach rechts und links. Erbrechtn bis
zum ersten Verbandwechsel, bei dem die Wunde normal befunden wurde, kein
Fieber. Neurologisch negativer Befund. Es besteht etwas Nystagmus nach
rechts und ein sehr deutlich rotatorischer Nystagmus nach links. In den Folgetagen
war der Patient auffallend schläfrig, klagte über keinerlei Schmerzen. Am Nystagmus
änderte sich nichts. Die Temperaturen stiegen bis 38°, am 31. X. auf 39°.
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Über eitrige Meningitis und Labyrinthoperation.
901
Am 3. XI. wurde bei völlig negativem Befund an den Nerven von
Dr. Bachstez festgestellt: Beide Papillen deutlich geschwollen, verwaschen,
Venen weit und geschlängelt. Papillitis beider Augen.
Lumbalpunktion am nächsten Tag trüb, Pandy ++, Nonne-
A p p e 11 +, das ganze Gesichtsfeld in der Kammer voller Zellen, unter denen die
mononukleären überwiegen. Kulturell gramnegative Bazillen. Vom 1. bis 4. XI.
erreichen die Temperaturen nicht 38°. Wegen Verdacht auf Hirnabszeß Nach¬
operation. Die bereits freiliegende Dura der mittleren Schädelgrube wird von
rückwärts bis gegen die Pyramidenspitze breit freigelcgt, sie ist kaum verändert,
dagegen stark vorgewölbt. Breite Freilegung der Dura der hinteren Schüdelgrube
vom medialen Sinusrand bis überden Labyrinthkern hinaus, nachdem der Knochen
der hinteren Pyramiden flache stark verdünnt und Teile des Labyrinths abgemeißelt
werden. WVgnahme der Pyramidenkante in ihrer ganzen Länge mit Ausnahme
des lateralsten Teiles, der auf zirka i/ 2 cm Lange am Petrosuswinkel stehen gelassen
wird. Dura der hinteren Sehädelgiube nicht wesentlich verändert. Punktion des
Schläfelappens und Kleinhirns negativ. Breite Inzision der Dura der mittleren
Schädelgrube, wobei ein Dura gef äß quer durchschnitten stärker blutet. Nach der
Inzision wölbt sich das Gehirn kaum vor. Inzision der hinteren Schädelgrube. Wund¬
versorgung. In den folgenden Tagen kein Nystagmus. Neurologisch negativ.
Augenbefund vom 8.XL : Beiderseitsfrisch ausgebildete Stauungspapille.
Niveaudifferenz 2 bis 3 D. Am 14. XI. Fieber 38°. Babinski, Oppenheim
links angedeutet, jedoch nicht sicher festzustellen. Keine Pulsverlangsamung.
Lumbalpunktion: Sehr zellreiches Sediment, in demselben vorwiegend
größere einkernige Zellen, zahlreiche Leukozyten, mikroskopisch i;nd kulturell
negativ.
17. XI.: 38*1, starke Schläfrigkeit, Puls 76, Inzision des Schläfelappens
in drei Richtungen negativ. Zwei Inzisionen dos Kleinhirns negativ. Durch die
Inzision im Schläfelappen wölbt sich sehr wenig Gehirn vor. Bis 19. XI. Status idem,
vielleicht weniger Schläfrigkeit.
A u g e n b e f u n d: Stauungspapille beiderseits prominenter und breiter
geworden (2 1 / 2 D). Papillen mehr grau. Venen deutlicher abgeknickt, kleine Blutungen
an der Papille rechts. Bis zum 4. XII. erholt sich Patient zusehends, die Schläfrigkeit
ist ganz verschwunden; neurologisch negativ. Er hat den Wunsch, aufzustehen und
herumzugehen. Wunde normal. Augenbefund vom 4. XII.: Stauungspapille
beiderseits ganz bedeutend zurückgegangen, keine Niveaudifferenz. Begrenzung
beiderseits temporal schon deutlich. Papilen noch deutlich rot gefärbt. Bis zum
heutigen Tag normale Temperaturen, normaler Puls. Neurologisch negativ. Patient
fühlt sich vollständig gesund.
Epikrise: Bei diesem Kranken bestand eine beiderseitige
chronische Mittelohreiterung, links mit Ausschaltung beider Anteile des
Labyrinths und einer seit 14 Tagen bestehenden Fazialislähmung; bei der
in derselben Sitzung vorgenommenen Radikal- und Labyrinthoperation
wurden die in der Operationsgeschichte beschriebenen Veränderungen
gefunden. Das Hervorstechendste im postoperativen Verlauf war eine
auffallende Schläfrigkeit. Das Wort Somnolenz würde sicher zuviel sagen.
Trotz des negativen neurologischen Befundes und des Mangels jeglicher
Klage des Patienten wurde eine Augenuntersuchung veranlaßt, die bei dem
Ergebnis einer Stauungspapille die Veranlassung zur Lumbalpunktion
abgab. Bei dieser und bei der folgenden Lumbalpunktion war das Punktat
trübe, enthielt reichlich Zellen, auch polynukleäre, war jedoch in beiden
Punktaten kulturell und mikroskopisch steril. Bei negativem neuro¬
logischen Befund war am 16. Tage post operationem die Stauungspapille
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Oscar Beck und Emil Schiander.
voll ausgebildet und erreichte am 27. Tage nach der Operation ihre größte
Prominenz. Der Verdacht auf Hirnabszesse wurde dadurch immer geringer,
da 5 Punktionen bzw. Inzisionen des Schläfenlappens und 3 des Klein¬
hirns keinen Eiter ergaben. Zirka 42 Tage nach der Operation war die
Stauungspapille im Abnehmen und bildete sich von dieser Zeit an spontan
zurück. Nur einmal im Verlaufe der Erkrankung hatte es den Anschein,
als wäre links ein B a b i n s k i und Oppenheim auszulösen. Es
waren aber diese Reflexe so undeutlich ausgeprägt, daß ihr Vorhandensein
nicht mit Sicherheit behauptet werden kann. Auch Pulsverlangsamung
war niemals vorhanden. Die letzte Augenuntersuchung am 8. I. 1921
zeigte, daß die Stauungspapille vollständig verschwunden ist.
Es handelt sich also um eine meningeale Reizung, bei der klinisch
als einziges Symptom, abgesehen von der Schläfrigkeit, die Stauungs¬
papille das klinische Bild beherrschte. Der Kranke steht bis zum heutigen
Tage iu Beobachtung der Klinik und ist trotz des großen Eingriffes und
der Punktionen bzw. der Inzisionen im Schläfenlappen und im Kleinhirn
imstande, als Schwerarbeiter in einer Betonfabrik seinen Dienst zu ver¬
richten.
Der Zeitpunkt zur Indikation der Eröffnung des Labyrinths wurde
besonders in früheren Jahren vielfach diskutiert. Manche Autoren nahmen
die Fieberbewegung als Indikator (L e i d 1 e r), wann zur Operation
geschritten werden soll, andere, wie z. B. Scheibe, lassen das akute
Stadium abklingen und begnügen sich mit vollständiger. Bettruhe des
Patienten und mit der Verabreichung von Narkotika. Wie gefährlich es
ist, mit der Ausräumung eines operationsreifen Labyrinths zuzuwarten,
zeigen die vorliegenden Fälle; denn der bei dem einen Fall schon nach
3 Tagen hochgradig veränderte Liquor, bei dem anderen die symptomlose
Ausschaltung und das hohe Fieber, das die Aufmerksamkeit auf den Sinus
lenkte, hätten bei nicht so radikalem Vorgehen Zeit verlieren lassen,
während welcher sich die Meningitis weiter entwickelt hätte. Hätte man
sich abwartend verhalten, so wäre man der Meningitis nachgelaufen.
Während in früheren Jahren immer nur statistische Daten in bezug
auf das Pro und Kontra der Früh- bzw. Spätoperation in ihrer Be¬
ziehung zur Meningitis angeführt werden konnten, sind wir jetzt durch
die im Anschluß an die Labyrinthoperation vorgenommene Untersuchung
des Liquors bei unseren fünf Fällen in der Lage, zu beweisen, daß die
Meningitis fast gleichzeitig mit der Labyrintitis eingesetzt hat. Es legt
dies den Gedanken nahe, daß man in vielen Fällen von Labyrintheiterungen
nicht von einer postoperativen Meningitis sprechen kann, sondern von
einer fast gleichzeitig mit der Labyrinthausschaltung aufgetretenen
Meningitis. Wir müssen daher die einzige Waffe, die wir gegen eine
labyrinthogene Meningitis haben, nämlich die Labyrinthoperation, so
früh als möglich ergreifen.
* *
4t-
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Über eitrige Meningitis und Labyrinthoperation.
903
Technik der Labyrinthoperation.
Die Labyrinthoperation wird stets nach Neumann retro¬
labyrinthär durchgeführt. Die Dura der hinteren Schädelgrube wird,
wenn auch nicht prinzipiell, so doch fast immer freigelegt: bei Verdacht
auf kranielle Komplikationen unbedingt, bei unkomplizierten
Labyrintheiterungen nur dann, wenn die Technik der Durchführung
der Operation es erfordert. Auch die Dura der mittleren Schädelgrube
wird bei der N e u m a n n sehen Methode von diesen Gesichtspunkten
aus geleitet, nur wenn notwendig, freigelegt. Die Eröffnung des Laby¬
rinths selbst geschieht mit einem schmalen Hohlmeißel, mit dem die
hintere Pyramidenfläche schichtweise abgetragen wird. Zunächst kommt
der hintere (sagittale) Bogengang erst als Hohlrinne zum Vorschein,
hernach präsentiert er sich durch zwei kreisrunde Öffnungen, welche
die Querschnitte dieses Bogenganges darstellen. Die obere Öffnung ist
das Crus commune. Die untere Öffnung entspricht dem ampullären
Ende des Bogenganges. Beim weiteren Meißeln erscheint eine dritte
Öffnung zwischen den beiden anderen gelegen. Sie ist quergestellt,
längsoval und entspricht dem eröffneten, horizontalen Bogengang. Durch
die Erweiterung dieser dritten Öffnung gelangt man in das Vestibulum.
Nach welcher Richtung hin diese Erweiterung stattzufinden hat, zeigt
am besten eine in diese Öffnung eingeführte Labyrinthsonde an, wobei
man das Gefühl hat, daß die Sonde in einen erweiterten Hohlraum
(Vestibulum) gleite. Bei alleu diesen Manipulationen muß man sich aber
stets vor Augen halten, daß eine Verletzung des Sinus petrosus superior
sowie die eines eventuell hochstehenden Bulbus der Vena jugularis durch
eine Blutung die Beendigung der Operation ungemein schwierig ge¬
stalten kann.
Dies wäre die Labyrinthoperation bei unkomplizierten Labyrinth¬
eiterungen.
Haben wir es jedoch, wie in den eben mitgeteilten Fällen, mit einer
labyrinthogenen Meningitis zu tun, so begnügen wir uns nicht mit dieser
einfachen Eröffnung des Labyrinths. Wir erweitern das Vestibulum,
um auf diese Weise die Abtragung der lateralen Begrenzung des inneren
Gehörgangs und dessen Eröffnung möglich zu machen. Eine Verletzung
der Dura der hinteren Schädelgrube ist bei dem Tiefergehen leicht möglich.
Sie ist aber nach unserer Erfahrung schon deshalb ohne wesentlichen
Belang, weil wir ja bei labyrinthogenen Komplikationen diesen Teil der
Dura inzidieren.
Wenn auch in der Mschr. f. Ohrenhlk. 1911 im Rahmen einer
Publikation „Über infektiöse Labyrintherkrankungen“ N e u m a n n
nicht alle Möglichkeiten in bezug auf die Technik seiner Labyrinth¬
operation besprechen konnte, so wollen wir an dieser Stelle festlegen,
daß die in der eben genannten Arbeit mitgeteilte Technik naütilich in
jedem Fall den anatomisch-topographischen Verhältnissen der Pyramide
MonatMchrift f. Obrenbeilk. n. LaxvRhin. 66. Jahrg. 59
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entsprechend angepaßt werden muß. So z. B. begnügen wir uns nicht
und haben uns auch niemals begnügt, selbst lange vor der Publikation
von Dr. A. Blume nthal (Mschr. f. Ohrenhla. 1922, Augustheft S. 595,
„Über die Bedeutung und Technik der Freilegung des inneren Gehör-
ganges bei labyrinthocener Meningitis“; mit der Eröffnung des Labyrinths
ausschließlich von der hinteren Pyramidenfläche. Wir haben
in allen derartigen Fällen die obere Pyramidenkante abgetragen. Schon
die intrakranielle Komplikation als solche erfordert die vorherige Frei¬
legung der mittleren Schädelgrube. Die Abtragung der oberen Pyramiden¬
kante führen wir derart durch, daß wir abwechselnd an der hinteren und
an der oberen Pyramidenfläche den Knochen wegmeißeln. Die Dura der
mittleren Schädelgrube wird in solchen Fällen schon vor Beginn der
eigentlichen Labyrinthoperation freigelegt.
Es repräsentiert sich daher bei den derart operierten Fällen das
Vestibulum nicht allein von hinten, sondern auch von oben her eröffnet.
Daher gestaltet sich auch die Eröffnung des inneren Gehörganges
wesentlich leichter. Der Vorschlag Blumenthals trägt hauptsächlich
in jenen Fällen zur leichteren Eröffnung des Gehörganges bei, wovon
wir uns schon längst vor seiner Publikation ihm überzeugen konnten, bei
denen die Pyramide um ihre Längsachse gedreht erscheint und die hintere
Pyramidenfläche stark nach unten zu gewendet ist. Bei derartigen anato¬
mischen Verhältnissen ist ja auch die einfache Eröffnung des Labyrinths aus¬
schließlich von der hinteren Pyramidenfläche her sehr schwierig und der
Zugang sehr beengt. Wenn auch N e u m a n n auf die hier mitgeteilten
Details der Technik nicht in jeder einzelnen Publikation, die sich mit
diesem Gegenstände befaßt, des genaueren eingegangen ist, so sind doch
die nötigen Variationen in der Technik aus der großen Zahl der an unserer
Klinik schob lange vor dem Erscheinen der Blumenthal sehen
Arbeit operierten Fälle und deren Operationsgeschichten sowie aus den
zahlreichen Demonstrationen in der österr. Otologischen Gesellschaft
ersichtlich. Wir begrüßen aber Blumenthals Vorschlag, der unser
seit Jahren geübtes Vorgehen bestätigt. Auch die Nachbehandlung derart
operierter Fälle gestaltet sich wesentlich leichter.
Beendet w’ird die Labyrinthoperation dadurch, daß auch das Pro¬
montorium von hinten oben nach vorn unten weggemeißelt wird, indem
der Meißel in der Gegend des ovalen Fensters am Promontorium an¬
gesetzt wird. Die Entfernung des Promontoriums muß so ausgiebig
geschehen, daß eine abgebogene Sonde, in das eröffnete Vestibulum ein¬
geführt, leicht und deutlich im Mittelohr erscheint. Es wird also gewisser¬
maßen der Fazialis mit seiner knöchernen Umgebung unterminiert. Auch
hier muß man betonen, daß man bei der Operation stets bedacht sein
muß, einen eventuell hochstehenden Bulbus der Vena jugularis nicht zu
verletzen. Die Verletzung des Sinus petrosus superior ist leichter zu ver¬
meiden, wenn man die Dura der mittleren und hinteren Schädelgrube
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Über eitrige Meningitis und Labyrinthoperation.
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freilegt, die zwischen beiden Düren liegende, den Sinus petrosus superior
führende Knochenspange vorsichtig schichtweise von der Dura abhebt.
Bei den vielen nach dieser Art operierten Fällen hat sich uns folgende
Technik am besten bewährt: Die Knochenspange wird vorn und rück¬
wärts durch Meißelhiebe markiert und das derart begrenzte Knochenstück
wird mit der Knochenzange durch hebelnde Bewegungen von der Dura
abgehoben. Man sieht dann sehr häufig den Sinus petrosus superior
bläulich durchschimmem. Aber selbst eine Blutung aus dem derart frei¬
gelegten Sinus petrosus superior ist durch .Tamponade leicht und rasch zu
beherrschen.
Nach Vollendung der Operation wird der kraniellen Komplikation
entsprechend die Dura der mittleren und hinteren Schädelgrube inzidiert.
Die retrolabyrinthäre Wundhöhle wird isoliert durch einen Jodoform¬
docht locker drainiert und dieser Docht wird getrennt von dem Docht
im Mittelohr nach außen geleitet.
Litera tur:Holge-rMygind, Otogene Meningitis. Statistik, Diagnose,
Behandlung. Zschr. f. Ohrenhlk. 72. — Denker, Zur Heilbarkeit der otogenen und
traumatischen Meningitis. Zschr. f. Ohrenhlk. 70.— Barth, Chirurgische Behandlung
der eitrigen Meningitis. Kongreß d. deutschen Ges. f. Chirurgie 1914. — Fleisch¬
mann, Zur Frage des diagnostischenWertes der Lumbalpunktion bei den zerebralen
Komplikationen der Mittelohreiterung. Arch. f. Ohrenhlk. 102. — Blau, Zur Lehre
der intrakraniellen Erkrankungen. Passow-Beitr. 10. — H i n s b e r g, Zur Therapie
und Diagnose der otogenen Meningitis. Zschr. f. Ohrenhlk. 38. — Neu mann, Zur
Klinik und Pathologie der otogenen Schläfelappenabszesse. Zsehr. f. Ohrenhlk. 49. —
Schulze, Beitrag zur Lehre von der otogenen Meningitis usw. Arch. f. Ohrenhlk.
57. — Alexander, Klinische Studien zur Chirurgie der otogenen Meningitis.
Arch. f. Ohrenhlk. 76. — Stadel rn a n n, Klinische Erfahrungen mit dem Lumbal¬
punktat. Deutsche med. Wschr. 97. — Großnunn, Kasuistisches zur Lumbal¬
punktion und Meningitis. Arch. f. Ohrenhlk. 64. — Leidler, Über die absolute
Indikation zur operativen Eröffnung des Labyrinths. Arch. f. Ohrenhlk. 93. -—
R u p p r e c h t: Ein unter der Form einer Meningitis zerebrospinalis verlaufener,
unkomplizierter otitischer Hirnabszeß mit eiterhaltiger Spinalflüssigkeit. Arch.
f. Ohrenhlk. 50.
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Original frnm
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Emil Schiander und Lothar Hoimann.
Aus der Universitätsklinik für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkranke
(Vorstand: Prof. Dr. H. Nenmann).
Ein Fall von postoperativer Spätmeningitis. Ein Bei¬
trag zur Pathologie der Mukosuslabyrinthitis.
Von
Dr. Emil Schlander; und Dr. Lothar Hofmann,
Assistent der Klinik, Aspirant der Klinik.
(Mit S Figuren.)
Zn den kritischesten Ereignissen, die im Verlaufe einer eitrigen
Otitis media eintreten können, gehört wohl das Übergreifen der
Eiterung auf das innere Ohr. Abgesehen von eventuellen diagnostischen
Schwierigkeiten, rollt ein solches Ereignis auch sonst eine Reihe
von Fragen anf, deren Beantwortung für die Beurteilung des Falles
von einschneidender BedentuDg ist. Art der Erreger, Ort des Ein¬
bruches, der Zustand des Individuums, der Verlauf der OtitiB und
noch zahlreiche andere Umstände kommen für die Dignität des
Falles im speziellen in Betracht.
Eine besondere Beurteilung erheischen jene Fälle, bei welchem
das Übergreifen durch ein Trauma, sei es operativer oder anderer
Natur, zustande kam.
Maßgebend für die Dignität solcher Fälle scheint nach Ansicht
der Autoren vor allem die Stelle der Verletzung zu sein. In dieser
Hinsicht werden Verletzungen und Eröffnungen der Fenster, vor
allem des ovalen, durch Zertrümmerung oder Luxation des Steig¬
bügels am ungünstigsten beurteilt. Die Folge eines Eitereinbruches
in die breit eröffnete Cisterna perilymphatica ist meist eine akut
einsetzende, diffuse eitrige Labyrinthitis, die binnen kurzem zur
tötlichen Komplikation führt (Politzer, Zange).
Günstiger liegen die Verhältnisse bei Bogengangsverletzungen.
Im Gegensatz zur weiten Cisterna perilymphatica haben wir es hier
mit engen Räumen zu tun, welche durch zartes perilymphatisches
Bindegewebe noch mehrfach gegeneinander abgeschlossen werden in
mehr minder dichter Art und Weise. So ist nach • Alexander
der Perilymphraum des horizontalen Bogenganges gut gegen die
Umgebung abgeschlossen, ebenso die Ampulla posterior, während
Cisterna perilymphatica und Vorhofstreppe breit miteinander
kommunizieren. Die engen Raumverhältnisse in den Bogengängen
sind natürlich leicht geeignet, einen eingedrnngenen Eiterungbprozeß
aufzuhalten und zu lokalisieren. Nach Goerke kommt es bei dem
engen Lumen des Bogenganges leichter und früher zu Abschnürungen
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Ein Fall von postoperativer Spätmeningiti».
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als in der weiten Cisterna perilymphatica, der Infektion wird durch
spontane Granulationen und Bindegewebsbildung ein natürlicher
Schutzwall entgegengestellt.
Entsprechend den geschilderten anatomischen Verhältnissen
lauten in der Tat die meisten Berichte über Verletzungen der
Bogengänge günstig. Politzer berichtet über 2 Fälle, welche
nach mehrere Tage dauernden Vestibularsymptomen ohne Gehör¬
störungen ausheilten; Jansen konnte 9 Fälle anführen, die alle
mit dem Leben davonkamen, in einem Fall bestand sogar Hör¬
verbesserung, in den übrigen bestand Hörverschlechterung, 2mal
war auch der Fazialis mitverletzt worden. Auch Hinsberg konnte
über ähnliche Fälle Mitteilung machen.
Die Heilungstendenz solcher künstlicher Bogengangs fisteln
scheint eine ausgezeichnete zu sein, indem es binnen kurzem zum
knöchernen Verschluß kommt. (Jansen, Zange).
Immerhin scheint ed Fälle zu geben, in welchen es, bedingt
durch ungünstige Umstände anderer Art, auch von den Bogengängen
her zur diffusen eitrigen Labyrinthitis kommt, welche zu einer
tötlichen Komplikation führen kann. Solche Umstände können, wie
weiter unten noch ausgeführt werden soll, vor allem durch die Art
der Infektion gegeben sein. Goerke hat bereits darauf hingewiesen,
daß es Fälle gibt, bei denen infolge der Schnelligkeit einer vor¬
dringenden Infektion die Zeit zur Granulationsbildung zu kurz sein
kann; ihnen stehen Fälle gegenüber, in welchen die Entzündung,
vielleicht auch zum Teil begünstigt durch die herabgesetzte Wider¬
standskraft des Individuums einen torpiden, aber ebenfalls unauf¬
haltsamen Verlauf nimmt, der zur letalen Komplikation führt.
Aus diesen einleitenden Bemerkungen erscheint uns der im
folgenden mitgeteilte Fall bemerkenswert, bei dem eine operative
Verletzung des Bogenganges anscheinend ohne besondere Beein¬
trächtigung vertragen wurde, bei dem aber 2 Monate nach der
Operation apoplektiform eine Meningitis manifest wurde, die in
wenigen Stunden letal endete.
A. D., Hilfsarbeiter, 65 Jahre, aafgenommen am 8. April 1920 auf die
Klinik N e u m a n n.
Patient gibt an, vor 5 Wochen Ohrenschmerzen bekommen zu haben,
unmittelbar darauf stellte sich Ohrenfluß ein, der 8 Tage vor der Aufnahme
sistierte. Hinter dem Ohre eine angeblich seit 4 Wochen bestehende Schwellung.
Halbseitige Kopfschmerzen, kein Schwindel, kein Erbrechen, kein Fieber.
Befund: Rechtes Trommelfell gerötet, leicht geschwollen, vorn unten
eine stecknadelgroße Perforation, fötide, eitrige Sekretion, Senkung der hinteren
oberen Gehörgangs wand, retroaurikuläre Schwellung und Rötung, Druckschmerz¬
haftigkeit über dem Warzenfortsatz.
Linkes Trommelfell retrahiert, glanzlos.
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Original fro-m
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908
Emil Schiander und Lothar Hofmann.
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R. L.
20 cm Konversationssprache 4 m
0 Flüstersprache D/ 2 m
Weber
— Rinne +
n. Knochenleitung vk.
0 Ci +
vk. + c 4 +
0 Schwindel 0
0 Spontaner Nystagmus 0
0 Fistelsymptom 0
Kalorisch typisch erregbar.
Operation am 9. April 1920. Typischer retroaurikulärer Hautschnitt.
Beim ersten Meißelschlag entleert sich dünnflüssiger, fadenziehender Eiter.
Warzenfortsatz pneumatisch. Gegen das Antrum zu werden die Zellen kleiner,
Knochen abnorm brüchig, Antrum hochgelagert, bei Erweiterung des letzteren
durch Abmeißeln der äußeren Wand hebt sich ein Stück Knochen der lateralen
Wand des horizontalen Bogenganges und des Facialkanals ab. Sinus vorgelagert,
schmierig belegt, in zirka 1 cm Ausdehnung freiliegend. Tamponade, Verband.
Bakterieller Befund: Im Warzenfortsatzeiter mikroskopisch und kulturell
Streptokokkus mucosus.
10. April: Morgentemperatur 37*9, Abendtemperatnr 38*9. Drehschwindel,
Nystagmus 2. Grades zur gesunden Seite, Facialisparese rechts. Weber ins
rechte Ohr. Verbandwechsel. Bei Druck auf die Bogengangfistel typisches Fistel¬
symptom. Konversationssprache geprüft mit Lärmapparat: 20 cm. Wenig Sekret
in der Operationshöhle.
11. April: Temperatur 36*4, Nystagmus viel schwächer, Weber ins
kranke Ohr.
12. April: Temperatur 36*0, kein Nystagmus, Facialis unverändert, sub¬
jektives Wohlbefinden.
13. April: Kein Fieber, kein Nystagmus, Weber ins kranke Ohr.
14. April: Status idem.
15. April: Kein Fieber, kein Nystagmus, Weber ins kranke Ohr, hört
auf dem rechten Ohr.
16. April: Status idem.
17. April: Geringer Nystagmus zur gesunden Seite. Weber nach rechts.
20. April: Sekret vom äußeren Gehörgang gering, auch rückwärts geringe
Sekretion.
22. April: Weber nach rechts, minimaler Nystagmus beim Blick nach links.
10. Mai: Web er nach rechts (?), taub für Sprache und Stimmgabel, unerregbar
auf Drehen und Kalorisation. Kein Fistelsymptom. Transferiert auf die Augen¬
klinik zur Tarsorhaphie.
Nach seiner Entlassung aus der Augenklinik fühlt sich Patient ganz wohl,
kam regelmäßig jeden 2. oder 3. Tag in die Ambulanz zur Kontrolle. Als er am
8. Juni nach Hause kam, klagte er über leichte Stirnkopfschmerzen und Sausen
im rechten Ohr, fühlte sich ansonsten wohl. Am 9. Juni ging er nachmittags
spazieren, kam abends nach Hause, weil er sich schlecht Fühlte. Nach Angabe
seiner Frau hatte er Schüttelfrost, Temperatur 39 5, klagte über starke Kopf¬
schmerzen, Steifheit und Schmerzen im Hals und Nacken. Um 9 Uhr abends
erbricht Patient zum erstenmal, die Nacht hindurch noch 5mal, läßt Stuhl und
Urin unter sich. Um 1 Uhr nachts hört er auf zu reden, reagiert nicht mehr
auf Anruf und erkennt niemand mehr. In diesem Zustand wird er am 10. Juni
nachmittags auf die Klinik gebracht.
Status präsens: Patient reagiert nicht auf Anruf, spricht nicht, kann nicht
mit den Augen fixieren, Pupillen reagieren träg. Nackensteifigkeit. Zeitweilig ist
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Ein Fall von postoperativer Spätmeningitis.
909
ein diagonaler Nystagmus zu konstatieren. Opisthotonus, Patellar und Achilles¬
sehnenreflex schwach erhalten. Kein Bauchdeckenreflex, Kernig beiderseits positiv,
Oppenheim links vorhanden, rechts fraglich. Temperatur 39*2, Puls 120. Patient
läßt unter sich.
Rechtes Ohr: Trommelfell verdickt, geringgradig injiziert, sonst ohne Befund.
Linkes Ohr: Normal.
Lumbalpunktion: Trüber, unter hohem Druck stehender Liquor.
Bakterieller Befund (11. Juni): Steptokokkus mucosus in Reinkultur.
Abends 7 Uhr Exitus.
Obduktion (Prof. Bartel): Serös eitrige Leptomeningitis an der
Basis und Konvexität des Gehirnes und Pyocephalus internus mäßigen Grades
(nach Ot. med dex. und Operation vor 2 Monaten. Eingezogene Narbe rechts
hinter dem Ohr, Deckglasbefund aus der Meningitis: Grammpositive Diplokokken,
zum Teil etwas länglich, in mäßig reicher Zahl. Ganz spärliche Kokken zu dritt
in einer Reihe und einzelne Degenerationsformen.
Das rechte Schläfenbein wird in Formol fixiert, in 5%iger
Salpetersäure entkalkt, in Zelloidin eingebettet und in 20 (i dicke
Schnitte senkrecht zur Pyramidenachse zerlegt. Färbung mit Hämalaun-
Eosin, zum Teil nach van Gieson.
Mikroskopischer Befund: Die Trommelhöhle zeigt die
Residuen einer abgelaufenen Entzündung. Die Schleimhaut ist verdickt,
ebenso das Trommelfell, von zahlreichen gut gefüllten Gefäßen
durchzogen. Reichliches Exsudat erfüllt die Trommelhöhle, zum Teil
ist es hyalin und klumpig, zum Teil organisiert und in Strängen
angeordnet, welche allenthalben die Mittelohrräume durchziehen. Die
Ossicula sind intakt ebenso ihre Verbindungen untereinander, doch
sind sie in dicke organisierte Exsudatmassen eingebettet.
Das Labyrinth weist das Bild einer schweren chronischen .
granulierenden Entzündung auf, die häutigen Anteile sind gänzlich
vernichtet, die Kapsel zeigt vielfache, auf den umliegenden Knochen
übergreifende Zerstörungen, an einzelnen Stellen findet sich auch
Knochenneubildung. Alle Labyrinthräume sind zum Teil von jungem,
zum Teil von älterem organisierten Granulationsgewebe erfüllt.
Die Bogengänge sind weitgehend verändert; am oberen Bogen¬
gang ist es /.u weitgehenden Zerstörungen des begrenzenden Knochens
gekommen, die Zerstörung reicht nahe bis an die obere Pyramiden¬
kante heran, ohne daß jedoch ein unmittelbares Übergreifen des
Entzündungsprozesses auf die Pyramidenfläche nachweisbar wäre.
Neben der Zerstörung ist im oberen Bogengang eine rege Knochen¬
neubildung zu beobachten, so daß das Bogengangslumen stellenweise
ganz von Knochenbälkchen durchsetzt wird (Fig. 1).
Im hinteren Bogengang ist die Entzündung etwas distal von
der Ampulle gegen die hintere Pyramidenfläche durchgebrochen und
hat hier eine Entzündung der Dura hervorgerufen. Dieselbe ist hier
stark entzündlich verdickt, dort, wo sie dem Knochen aufliegt, sieht
man lebhafte Osteophytenbildung in Form teils zarterer teils stärkerer
Knochenbälkchen.
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910
Emil Schiander und Lothar Hofmann.
Verhältnismäßig wenig verändert ist der horizontale Bogengangs
Man sieht noch deutlich die Stelle des Traumas in Form einer
scharfrandigen Fistel, welche durch organisiertes Exsudat verschlossen
wird. Unterhalb der Fistel ist der Nervus facialis freigelegt und
ebenfalls von altem Exsudat bedeckt (Fig. 2).
N.
Fig. 1.
Zeichenerklärung.
C Kochlea C. t. Cavum tympauicum
C. h. Canalis semicirc. horiz. N. VII Nervus facialis
C. 8. Canalis semicirc. super. M. a. i. Meatus acust. int.
A.p. Ampulla posterior ,1. Jncus
P. Ausbruch der Labyrinthitis
Das Vestibulum ist von organisiertem Granulationsgewebe
erfüllt, welches vielfach von Blutgefäßen durchzogen wird. Der Stapes
ist in situ und zeigt auch sonst keine wesentlichen Veränderungen.
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Ein Fall von postoperativer Spätmeningitis.
911
Das Ringband ist zerstört, an seiner Stelle findet sich altes organisiertes
Granulationsgewebe, das sich vom Vestibulum in die Paukenhöhle
zieht. Die mediale Vestibularwand weist starke Zerstörungen auf.
die tief in den Knochen reichen; die Zerstörung erstreckt sich an
einer Stelle bis an die Pyramidenhinterfläche und erreicht diese
Ch
Fig. 2.
etwas dorsal von der Durchbruchstelle des hinteren Bogenganges.
Ein Übergang des Ent'/.Undungsprozesses auf die Dura ist hier jedoch
nicht mehr nachweisbar, da sich an der Durchbruchstelle neuer
Knochen gebildet bat (Fig. 1).
Der Aquäductus vestibuli ist infolge der starken Knochen¬
zerstörung in seinem proximalen Anteil nicht mehr nachweisbar,
sein peripherer Teil sowie der Saccus endolymphaticus sind frei
von Exsudat.
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912
Emil 8 c blander und Lothar Hofmann,
ln der Kochlea hat die Entzündung ausgedehnte Zerstörungen
des Modiolus, des Tractus spiralis, sowie der Zwischenwände zwischen
den Windungen verursacht, von welchen Gebilden nur mehr einzelne
Bälkchen vorhanden sind. Während die basale Windung von
organisiertem Exsudat erfüllt ist, ähnlich wie wir es im Vestibulum
gesehen haben, ist die mittlere und Spitzenwindung von jungem
Granulationsgewebe erfüllt. Im Bereich der Mittelwindung haben
die Granulationen den Knochen durchbrochen und sind in den
Fazialkanal eingedrungen, dessen Periost stark verdickt ist und
augenscheinlich lange dem Durchbruch Widerstand geleistet hat, um
schließlich doch an einer zirkumskripten Stelle durchbrochen zu
werden (Fig. 3). Der Aquäductus cochleae ist an seiner Abgangs¬
stelle deutlich sichtbar und von Exsudat erfüllt. In seinem weiteren
Verlaufe ist er bindegewebig, schließlich knöchern verschlossen und
nicht weiter verfolgbar.
Die Schneckenfenstermembran ist noch teilweise erhalten, jedoch
in dicke Granulationen eingebettet, welche sich aus der Basalwindung
in die Paukenhöhle erstrecken.
Die Nerven zeigen bindegewebige Degeneration, ganz vereinzelt
ist das Nervengewebe als solches erkennbar. Im Nervus facialis
finden sich zentral von der Durchbruchstelle der mittleren Schnecken¬
windung streckenweise zeitige Infiltrationen. Auch im Fundus des
inneren Gehörganges sind zwischen den einzelnen Nerven kleinere,
interstitielle Eiterherde zu sehen, welche jedoch nicht bis an den
Porus acusticus internus heranreichen. Die Duraauskleidung des
inneren Gehörganges ist normal, gegen den Fundus zu vielleicht
etwas verdickt.
Bei der wegen einer Mukosus-Mastoiditis vorgenommenen
Antrotomie wird bei Erweiterung des Antrums der horizontale Bogen¬
gang eröffnet und der Nervus facialis bloß gelegt.
Wiewohl durch die plötzliche Schaffung einer breiten Einbruchs¬
pforte die Möglichkeit der Invasion der gesamten Labyrinthräume
gegeben war, brauchte es doch noch eine geraume Zeit, bis das
Innenohr vernichtet wird und seine Funktion erlischt. Dieses
Erlöschen der Labyrinthfunktion nimmt seinen Anfang mit der
Ausschaltung des Vestibularapparates; bereits am Tage nach der
Operation besteht Nystagmus zweiten Grades zur gesunden Seite,
der Vestibularapparat spricht nur mehr auf allerstärkste Reize an,
indem das Fistelsymptom bei Druck auf die Fistel auslösbar ist.
Die Kochlearfunktion bleibt zunächst unverändert erhalten, um dann
allmählich abzunehmen. Nach 4 Wochen ist das Ohr taub bzw.
unerregbar auf alle Reize. Zu dieser Zeit ist die Operationshöhle
mit Granulationen fast vollständig ausgefüllt, das Trommelfell
annähernd normal; Patient verläßt ohne subjektive Beschwerden, bei
Wohlbefinden das Spital, das er noch gelegentlich zwecks Kontrolle
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Ein Fall von postoperativer Spätincningitis.
913
aufsucht. Einen Monat nach seiner Entlassung also zirka 2 Monate
nach der Operation, wird er moribund eingeliefert, nachdem sich ganz
kurz vorher bedrohliche Erscheinungen einer schweren Meningitis
eingestellt hatten.
Fig. 3.
Angesichts der geschilderten Verhältnisse erhebt sich die Frage,
woran liegt es und wovon hängt es ab, daß ein derartiges operatives
Labyrinthtrauma, das zwar immer als ein unliebsames Ereignis, aber
doch als ziemlich harmlos gilt, wie die eingangs angeführten Statistiken
zeigen, zunächst auch hier gut verwunden wurde, um dann nach¬
träglich zur letalen Komplikation zu führen.
Weiter fragt es sich, warum im vorliegenden Falle, trotzdem
durch plötzliche Schaffung einer breiten Labyrinthfistel die Möglich¬
keit eines plötzlichen Einbruches gegeben war, dieses Ereignis nicht
eintrat, sondern vielmehr ein langsamer schleichender Prozeß ein-
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914
Emil Schlander und Lothar Hofmano,
setzte, der, abgesehen von der Ausschaltung und allmählichen Ertaubung,
symptomlos zur letalen Komplikation führte. Mit anderen Worten,
warum blieb der Prozeß nicht zirkumskript, wie er es auf Grund
der Symptome sicherlich anfangs war, sondern wurde allmählich zu
einem diffusen, destruierenden? Die zirkumskripte Labyrinthitis,
wie sie für gewöhnlich zu entstehen pflegt, nämlich dann, wenn eine
granulierende Ostitis oder Cholesteatom die knöcherne Labyrinth*
kapsel allmählich annagt, scheint meistens auszuheilen, wenn auch
oft mit mehr minder starker Mitbeteiligung des übrigen Labyrinthes.
Es kommt, wie dies Politzer, Goerke, Zange u. a. ausführlich
geschildert haben, bei solchen Arrosionsprozessen der Labyrinth¬
kapsel zu reaktiven Veränderungen des Endostes, bestehend in
zeitiger Durchsetzung und Wucherungen. Diese Granulationen sind
bestrebt um den eingedrungenen Entzündungsherd einen Wall zu
bilden und den Prozeß zu einem lokalen zu gestalten. Auch für die
Mehrzahl der operativen Labyrinthtraumen, die, wie wir hörten,
meistens zirkumskript bleiben und ausheilen, dürfen wir wohl solche
reaktive Abwehrmaßnahmen annehmen und postulieren.
Welche Momente wären nun im vorliegenden Falle für das
schleichende Vordringen des Entzüngsprozesses verantwortlich zu
machen? Zunächst wohl, wie schon oben erwähnt, die Lokalisation
der Eintrittspforte, indem der Weg vom Bogengang ins Labyrinth
sich wesentlich komplizierter, daher langsamer gestalten muß, als
ein unmittelbarer Übertritt in den breiten Vestibularraum. Ein weiteres
Moment bildet die Art des Erregers und der ihn charakterisierende
Verlauf der Entzündung. Wie bereits erwähnt, hat Goerke auf
das torpide, unaufhaltsame Umsichgreifen gewisser Entzündungen
hingewiesen, die, besonders bei herabgesetzter Widerstandskraft des
Individuums, zu weitgehenden Zerstörungen führt. Solche torpide
Entzündungsformen finden wir bei der Tuberkulose, aber auch
Kokken, und zwar vor allem die Kapselkokken, sind, wie vielfache
Beobachtungen lehren, imstande, in unaufhaltsamer, dabei oft nahezu
symptomloser Weise weitgehende Zerstörungen hervorzurufen, wie
es Neumann-Ruttin als erste beschrieben und nach ihnen viele
andere Autoren bestätigt haben. Im Warzenfortsatz als auch im
Lumbalpunktat wurden in unserem Falle Kapselkokken nachgewiesen.
Vom Warzenfortsatz dringen die Erreger durch die Eintrittspforte
ins Labyrinth ein und verursachen daselbst eine Entzündung, deren
Ablauf sich am histologischen Präparat zwanglos ergibt. Von der
Fistel aus schreitet die Entzündung allmählich schneckenwärts fort
und führt zunächst zur Vernichtung der ganzen Weichteile des
Labyrinthes. Dabei läßt sich deutlich nachweisen, daß derEntzündungs-
prozeß in der Kochlea jüngeren Datums ist, als der im Vestibulum
und in den Bogengängen. Wir sehen nämlich in der Schnecke junges
Granulationsgewebe, welches den Modiolus durchwuchert und weit-
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Ein Fall von postoperativer Spätmeningitis.
915
gehend zerstört hat sowie gleichzeitig in den Fazialkanal eingedrungen
ist. Im Vestibnlnm hingegen zeigt das Grannlationsgewebe als Aus¬
druck seines alteren Bestandes bereits deutliche bindegewebige
Umwandlung, noch weiter entwickelt und sicherlich noch älteren
Datums ist der chronische Entzündungsprozeß im Bereich der Bogen¬
gänge. So sehen wir im oberen Bogengang neben ausgedehnten
Zerstörungsprozessen reichliche Osteophytenbildung ausgehend vom
alten Knochen. Sicherlich älteren Datums ist auch der Herd an der
hinteren Pyramidenfläche, wo um die Ausbruchstelle aus der hinteren
Ampulle deutlich Osteophytenbildung und eine mächtige Verdickung
der Dura vorliegt. Die zweite Ausbruchstelle hinter der ersteren ist
* bereits durch neugebildeten Knochen verschlossen.
Da eine Überleitung des Prozesses auf allen anderen in Betracht
kommenden Wegen sicher nicht stattgefunden hat, müssen wir den
epiduralen Entzündungsherd an der Pyramidenhinterwand als Aus¬
gangspunkt für die unmittelbar tödliche Leptomeningitis ansehen.
Hiermit wird dieser Fall einem Postulate Zanges gerecht, der die
Annahme, „daß eine Labyrinthentzündung durch die knöcherne
Kapsel ausgebrochen ist und im Schädel in der Nachbarschaft des
Ausbruches einen Entzündungsherd erregt hat, nur dann statthaft
hält, wenn nachweisbar bodenständiges, im Labyrinth gewachsenes
Granulationsgewebe durch die Fistel in der knöchernen Kapsel mit
dem Entzündungsherd im Schädel in Verbindung steht und zugleich
der übrige vergleichende histologische Befund am ganzen Felsenbein
für diesen und keinen anderen Zusammenhang spricht“. Ähnliche
Befunde von Ausbrüchen durch die knöcherne Kapsel mit darauf¬
folgender endokranieller Komplikation berichten F riedrich,
Politzer, Grünberg, Hegener, Zange.
Nach einer Statistik Zanges bedingen derartige Durchbrüche
in der Labyrinthkapsel die Infektion des Endokraniums in 10'9°/ 0 .
Außer der subakuten Labyrinthentzündung (Kapselkokken), die durch
ihren vorwiegend wuchernden Charakter zu solchen Ausbrüchen
führt, mißt Zange auch der tuberkulösen Labyrinthentzündung,
soweit sie granulierend verläuft, die gleiche Bedeutung für das
Zustandekommen solcher Labyrinthausbrtiche bei.
Der Durchbruch der Eiterung in den Fazialkanal aus der
Schnecke kommt ih unserem Fall für die Überleitung außer Frage;
nach Zange sind Einbrüche einer Labyrinthitis in den Fazialkanal
und Weiterleitung der Infektion nach dem Schädelinnern nicht
beobachtet und daher praktisch bedeutungslos.
Was unseren Fall charakterisiert und was er mit anderen
durch den gleichen Erreger verursachten Ohrprozessen gemeinsam
hat, ist eine Inkongruenz zwischen dem klinischen Bild des sich
anscheinend bis kurz vor dem Tode wohlfühlenden Patienten einer-
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Original frorn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
916 Emil Schlünder u. Lothar Hof mann. Post operative Spätmeningitis.
seit», die tiefgreifenden, bis an das Endokranium heranreichenden
Zerstörungen andrerseits.
Die praktischen Folgerungen aus unserem Fall sind zunächst
die, daß die Verletzungen des horizontalen Bogenganges, so harmlos
sie sich auch nach den eingangs erwähnten Statistiken darstellen,
es sicher nicht sind bei einer Kapselkokkeneiterung. Während die
meisten Eiterungen, wenn sie ins Labyrinth eindringen, entweder
rasch den Weg ins Endokranium finden oder aber ausheilen, ver¬
halten sich Kapselkokken anders, sie rufen Entzündungen hervor,
„die iu gefährlichen versteckten Schüben entfachen und selbst nach
Wochen und Monaten noch in dieser Weise fortschreiten können"
(Z a n g e).
In unserem Falle ließen wir uns zunächst durch die Annahme
einer serösen Labyrinthitis — die Labyrinthfunktion erlöschte ja
allmählich — irreführen. Erst die apoplektiform einsetzende tödliche
Komplikation und der histologische Befund ließen uns die ganz
besonders gefährliche Art solcher Labyrinthentzündungen erkennen.
Daß in jedem Fall einer an eine Kapselkokkeneiterung sich an¬
schließenden Labyrinthentzündung unter Berücksichtigung des patho¬
logischen Vorganges ganz besondere Vorsicht notwendig ist, um mit
dem Eingriff, i. e. Labyrinthoperation, nicht zu spät zu kommen, ist
naheliegend.
Literatur. (1) Politzer: Labyrinthbefunde bei chronischen Mittelohr¬
eiterungen. Arch. f. Ohrenhlk. 65. — (2) Derselbe: Lehrbuch d. Ohrenhlk. 1908.
— (3) Alexander: Über chronisch umschriebene Labyrinth ei ter ungen. Zbl. f.
Ohrenhlk.61. — (4) Goerke: Die entzündlichen Erkrankungen des Labyrinthes.
Arch. f. Ohrenhlk. 80. — (5) Hinsberg: Über Labyrintheiterungen. Zbl. f.
Ohrenhlk. 40. — (6) Jansen: Über eine häufige Art der Beteiligung des Labyrinthes
bei Mittelohreiterungen. Arch. f. Ohrenhlk. 45. — (7) Lange: Beitrag zur patho¬
logischen Anatomie der vom Mittelohr ausgehenden Labyrinthentzündungen.
Passow Beiträge I. — (8) Zange: Pathologische Anatomie und Physiologie der
mittelohrentspringenden Labyrinthentzündungen. 1919. — (9)Neumann-Ruttin:
Ätiologie der akuten Mittelohreiterung. Arch. f. Ohrenhlk. 79. — (10) Hegener:
Labyrinthitis und Hirnabszefi. Passow Beiträge II. — (11) Grünberg: Beiträge
zur Kenntnis der Labyrintheiterung. Zbl. f. Ohrenhlk. 57 und 58.
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Friedrich H e s c h 1. Verhältnis zwischen Luft- und Knochenleitung. 917
Aus Professor Dr. H. Freys Abteilung für Ohrenkranke am Kaiser
Franz Josef-Ambulatorium und Jubiläumsspital in Wien.
Das Verhältnis zwischen Luft- und Knochenleitung
hei Erkrankungen des schallempfindenden Apparates.
Von
Dr. Friedrich Heschl, Assistent der Abteilung.
(Mit 1 .Figur.)
Seinerzeit habe ich in dieser Monatsschrift Uber die Ergebnisse
meiner Untersuchungen über das Verhältnis zwischen Luft- und
Knochenleitung bei Schalleitungshindernissen 1 ) berichtet. Ich hatte
mir damals die Aufgabe gestellt, zu untersuchen, wie sich bei akuten
Erkrankungen des Mittelohres die Verkürzung der Luftleitung zur
Verlängerung der Knochenleitung verhält und ob insbesondere im
Verlaufe der Heilung die Besserung der Luftleitung auch von einer
entsprechenden Abnahme der Verlängerung der Knochenleitung
begleitet ist.
Das Ergebnis lautete dahin, daß dies nicht der Fall ist; daß
zwar die Verkürzung der Luftleitung abnimmt, so daß sich diese
der Norm nähert, daß hingegen die Verlängerung der Knochenleitung
nicht in dem gleichen Maße zurückgeht und oft noch längere Zeit
hindurch fortbesteht. Es erschien mir daher nicht uninteressant, an
einigen Fällen auch das Verhältnis zwischen Luft- und Knochenleitung
bei Erkrankungen des schallempfindenden Hörapparates zu
prüfen. Gelegenheit hierzu gaben mir die Konstatierungen im Land¬
wehrspital in Graz im Jahre 1917. Ohne Auswahl, wie eben die
Fälle kamen, wurden sie untersucht; nach Erhebung des otoskopiBchen
Befundes und der anamnestischen Angaben über Dauer und Ursache
der Schwerhörigkeit wurde die Hörschärfe für Flüstersprache erhoben
und dann mittels der Stimmgabel g der Weber sebe und Rinne sehe
Versuch in der üblichen Weise angestellt. Hierauf wurde die
klingende Stimmgabel auf den Warzenfortsatz des untersuchten Ohres
aufgesetzt und nach Abklingen derselben auf jenen des normal¬
hörenden Untersuchers und mittels der Taschenuhr die Zeitdifferenz
zwischen der Knochenleitung des untersuchten kranken Ohres und
jener des normalhörenden Untersuchers festgestellt und als Knochen¬
leitungsdifferenz (Schwabach) notiert. Dann wurde die neuerlich
angeschlagene Stimmgabel vor den Gehörgang des untersuchten
Ohres und danach vor jenen des Untersuche» gebracht und so die
Luftleitungsdifferenz festgestellt.
Mechr. f. Ohrenhlk. 1918. H. 9.
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918
Friedrich H e s c h 1.
Bei der geschilderten Untersuchungsweise mit den einfachsten
Mitteln und der Art des verwendeten Untersuchungsmaterials von
sehr verschiedener Intelligenz mußte von vornherein mit einer Reihe
von Fehlerquellen gerechnet werden. Trotzdem läßt die Betrachtung
der angeschlossenen Tabelle und Kurve einen im großen und ganzen
ziemlich eindeutigen Schluß zu, so daß die immerhin möglichen
Fehler nicht allzu schwer ins Gewicht fallen.
Fortlaufende
Nummer
Körperseite
Flüstersprache
in Metern
Knochenleitungs¬
differenz
CG
ÖO N
g s
r
Perzeptionsdauer
für Knochenleitun
Kn
Perzeptionsdauer
für Luftleitung
LI
Verhältniszahl
Luftleitung zu
Knochenleitung
Anmerkung
50
110
2*2
Perzeptionsdaner des
1
Untersuche™
R.
2
-16
-40
34
70
2
Durch Mine verschüttet,
! 1
L.
1
— 8
-15
42
95
2-2
seither schwerhörig
2
L.
3
.
- 8
—20
42
90
21
R.
Vt
-20
-50
30
60
2
Rechts chronische Mittel- i
3
ohreiitzündung und An*
L.
6
- 6
—20
44
90
2-1
trnmeiterung. Weber
nach rechts
A
R.
1
-25
-25
35
85
2-4
Schon seit der Schulzeit
L.
i
—15
-30
35
80
2*2
schwerhörig
5
U.
Vs
-15
| —80
35
80
2 2
£
R.
l/o
—23
-30
27
80
2-9
Bei Oörz verschüttet, seit¬
O
L.
*/«
—14
—82
36
78
2-1
her schwerhörig
7
K.
3
—15
-40
35
70
2
Schlosser
8
L.
1
-20
-45
30
65
2*1
Intolge Scheibenschießens
schwerhörig
1 9
R.
V*
—22
—46
28
64
22
Seit Kindheit schwerhörig
10
R.
U/s
19
-47
31
63
2
11
R.
ad con-
cham
18
-50
32
60
12
L.
rar
! -25
-50
25
60
—
2-4
1 13
j L.
V*
-25
1 —65
25
45
1*8
14
L.
1
—25
-60
"25
50
2
Nach (ii&uatVerschüttung
schwerhörig
! 15
R.
7*
—25^
—60
25
50
2
Nacn Granat Verschüttung
s hwerhörig
16 ~
TT~
V«
1 —36
; —67
14
43
3
—
i 17
i
R.
1
28
-25
27
85
| 3-1
Bercai beiter; zweimal !
L.
1
1 1
- 7
1
—12
; 43
98
Typhus dnrchgemacht
Als charakteristische Merkmale einer Erkrankung des schall¬
empfindenden Hörapparates gelten: normaler Trommelfellbefund,
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Perzeptionsdauer für Luftleitung (gebrochene Linie) und Knochenleitung (ganze Linie)
Friedrich HeschL
*♦20
Lateralisation des Web ersehen Versuches nach dem besseren Ohr,
positiver Kinne und verkürzte Knochenleitung (Schwabach). Um
nun möglichst unkomplizierte Fälle zu erhalten, wurde das gewonnene
Beobachtungsmaterial nach diesen Kriterien gesichtet und nur solche
Fälle in die Tabelle aufgenommen, welche diesen voll entsprachen.
Eine einzige Ausnahme bildet der Fall 3, bei welchem rechts eine
chronische Mittelohrentzündung mit Antrumeiterung bestand, während
am linken Ohr ein fast normaler Trommelfellbefund mit fast normaler
Hörschärfe für Flüstersprache, positivem Kinne und leicht verkürzter
Knochenleitung erhoben wurde. Zwar bestand auch am rechten Ohr
positiver Kinne neben verkürzter Knochenleitung — als Symptome
einer Erkrankung des schallempfindenden Hörapparates infolge der
chronischen Mittelohreiterung; doch der Web ersehe Versuch schlug
nach dem schlechten Ohr aus. Alle übrigen Fälle entsprechen voll
den obigen Kriterien: normaler Trommelfellbefund, Weber nach
dem besseren Ohr, positiver Kinne und verkürzter Schwabach.
Durch die Stimmgabeluntersuchung wird die Differenz zwischen
der Knochen- bzw. Luftleitung des untersuchten und der Knochen-
bzw. Luftleitung des untersuchenden Ohres festgestellt. Es war nun
nötig, die Perzeptionsdauer des erkrankten Ohres selbst für Knochen-
und Luftleitung zahlenmäßig darzustellen. Zu diesem Zwecke verfuhr
ich so, daß ich die verwendete Stimmgabel nach maximalem Anschlag
auf meinen Warzenfortsatz aufsetzte bzw. vor meinen Gehörgang
brachte und die Zeit bis zum vollständigen Abklingen mit der Uhr
bestimmte. So fand ich, daß die eigene Perzeptionsdauer für Knochen¬
leitung 50 Sekunden, für die Luftleitung 110 Sekunden betrug. Durch
wiederholte Nachprüfung überzeugte ich mich, daß ich diese Zahlen
für mein Gehör und die verwendete Stimmgabel g als feststehend
betrachten könne. Wenn nun beispielsweise bei dem Fall 15 der
Tabelle gefunden wurde, daß die Knochenleitung um 25 Sekunden
verkürzt sei, so mußte die Perzeptionsdauer für die Knochenleitung
des kranken Ohres 50 — 25 = 25 Sekunden betragen; und wenn bei
demselben Falle die Luftleitung um 60 Sekunden verkürzt gefunden
wurde, so mußte die Perzeptionsdauer für die Luftleitung des kranken
Ohres 110 — 60 = 50 Sekunden betragen. Vergleicht man nun den
so gefundenen Zahlenwert für die Knochenleitung (25 Sekunden)
mit jenem für die Luftleitung (50 Sekunden), so erhält man die
Verhältniszahl (50:25) = 2; die Luftleitung ist also in diesem Falle
doppelt so groß als die Knochenleitung. (
Ein Blick auf die angefügte Kurve, welche so hergestellt ist,
daß auf der Ordinate die Perzeptionsdauer, auf der Abszisse die
einzelnen Fälle aufgetragen sind, zeigt, daß im großen und ganzen
dieses Verhältnis zwischen Knochenleitung (ganze Linie) und Luft¬
leitung (gebrochene Linie) auch bei allen übrigen Fällen eingehalten
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Verhältnis zwischen Luft- und Knochenleitung.
921
ist. Entsprechend der Verkürzung der Luftleitung ist auch die
Knochenleitung ungefähr im gleichen Maße verkürzt, und zwar derart,
daß in jedem Felde die Kurve für die Knochenleitung die Mitte
zwischen der Kurve für die Luftleitung und der Abszisse einhält.
In der angefUgten Tabelle gibt die letzte Ziffernkolonne Auf¬
schluß über das Verhältnis der Luftleitung zur Knochenleitung. Es
beträgt für das eigene Gehörorgan des normalhörenden Unter¬
suchers 2-2. Bei 19 von den 22 untersuchten Gehörorganen schwanken
die Verhältniszahlen zwischen 1‘8 bis 2-4. Nur bei dreien, und zwar
den Fällen 6,16 und 17, sind sie auffallend hoch, und zwar 2'9, 3 und 3T.
Da aber in den Fällen 6 und 17 für das gleichzeitig untersuchte
andere Ohr die Verhältniszahlen den normalen Wert 21 bzw. 2 - 2
aufweisen, so dürften wohl dort Beobachtungsfehler unterlaufen sein.
Die obigen Ausführungen berechtigen zu folgenden Schlüssen:
1. Bei Erkrankungen des schallempfindenden Hörapparates
nehmen Luft- und Knochenleitung entsprechend dem Grade der
Schwerhörigkeit parallel ab; 2. das Verhältnis der Luftleitung zur
Knochenleitung beträgt hierbei 2:1; 3. das konstante Verhältnis
zwischen Knochen- und Luftleitung bei Erkrankungen des schall¬
empfindenden Apparates gegenüber dem Mißverhältnis derselben bei
Erkrankungen des schalleitenden Apparates scheint dafür zu sprechen,
daß die Veränderung der Luft- und Knochenleitung in beiden Fällen
ursächlich verschieden gewertet werden muß. Bei den Erkrankungen
des schallempfindenden Apparates liegt offenbar der gleichmäßigen
Verkürzung der Luft- und Knochenleitung eine und dieselbe Ursache
zugrunde: Die Herabsetzung der Empfindlichkeit * im Gebiete des
Hörnerven. Bei den Erkrankungen des schalleitenden Apparates
dagegen müssen für die Verkürzung der Luftleitung und die Ver¬
längerung der Knochenleitung verschiedene Entstehungsursachen in
Betracht kommen, welche durch den Heilungsprozeß nicht gleichartig
beeinflußt werden, die uns aber gegenwärtig noch unbekannt sind.
60 *
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922
Ante Seroer.
Aus der Oto-laryngologischen Klinik der kgl. Universität in Zagreb,
Jugoslavien (Vorstand: Prof. Dr. D. MaSek).
Über das Vorkommen des Skleroms in Jugoslavien.
Von Dr. Ante Sereer, klinischer Assistent.
(Mit 1 Figur.)
Es sind in bisherigen Publikationen Skleromfälle beschrieben, die
aus Gegenden stammen, welche nunmehr Jugoslavien angehören.
Obwohl Sklerom in unseren Gegenden schon seit einigen Jahrzehnten
gekannt und genau registriert wurde, finden wir doch in der Weltliterattu:
keine genaueren Angaben darüber. Es blieben nämlich diese Kenntnisse
nur auf einen engen Kreis einheimischer Ärzte beschränkt, woran in
erster Linie die ungünstigen Verhältnisse schuld waren, in welchen sich
unsere Heimat vor dem Kriege befand.
Erst in den allerletzten Jahren, durch die Gründung einer kleinen,
aber leistungsfähigen oto-laryngologischen Klinik in Zagreb, wurden der
Skleromforsehung in Jugoslawien neue Wege gebahnt.
Es wurde so ermöglicht, die einschlägige Literatur zu sammeln und
nach Sichtung der Krankengeschichten des Spitales der barmherzigen
Schwestern in Zagreb, wo der jetzige Chef der oto-laryngologischen
Klinik seit Jahren alle aufgenommenen Skleromfälle beobachtete, der
Skleromfrage bei uns näherzutreten. Bald nach Eröffnung der Klinik,
d. h. im September 1921, erließ das Gesundheitsministerium in Beograd
auf Veranlassung der Kinik einen Aufruf an alle Kreisärzte, Mitteilungen
über Skier»»Inbeobachtungen direkt an die Klinik in Zagreb zu richten.
Der Widerhall war zwar ein allgemeiner, aber die Antworten waren fast
alle negativ, wed das Krankheitsbild den Kollegen meist nicht geläufig ist.
Außerdem sind seit dieser Zeit an der Klinik selbst elf neue
Skleromfälle beobachtet worden, so daß wir auf Grund dieses Materials
uns berechtigt fühlen, ein Bild über Skleromausbreitung in Jugoslavien
zu entwerfen. Zu diesem Behufe mußten wir auch die Arbeiten von
0. M a y e r und R 6 n a über die Ausbreitung des Skleroms in Steiermark
bzw. in Ungarn zu Rate ziehen, da darin Skleromfälle auch aus unseren
Gegenden beschrieben sind.
In den Jahren 1904 bis 1906 demonstrierte Prof. M a § e k in der
Zagreber Ärztegesellschaft Skleromfälle und forderte die Kollegen auf,
dieser bei uns keineswegs seltenen Erkrankung mehr Beachtung zu
schenken. Schon seit längerer Zeit erkannte er, daß sich die Sklerom-
kranken bei uns eigentlich aus zwei größeren Herden rekrutieren, imd
zwar aus der Umgebung der Stadt Bjelovar, welche ungefähr in der Mitte
der Provinz Kroatien liegt, und aus Zagorien, d. h. von der Grenze zwischen
Kroatien und Steiermark. Außer diesen zwei großen Skleromherden,
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Das Vorkommen des Skleroms in Jugoslawien.
923
aus welchen unaufhörlich neue Kranke zur Beobachtung kommen, sind
auch in anderen viel entfernteren Gegenden vereinzelte Fälle verzeichnet
worden.
In dem nun folgenden Verzeichnis geben wir nur solche Fälle
wieder, an deren Zuverlässigkeit wir nicht zweifeln können. Die meisten
davon sind histologisch, manche auch bakteriologisch untersucht worden.
Die Namen der Ortschaften bedeuten immer Aufenthaltsorte, was bei
unserer agrarischen Bevölkerung mit dem Geburtsorte ziemlich über¬
einstimmt.
In den letzten 13 Jahren bis zur Eröffnung der Klinik beobachtete
man im Spitale der barmherzigen Schwestern im ganzen 44 einwandfrei
festgestellte Fälle, wovon 23 Männer und 21 Frauen waren. In verschiedenen
Jahren wurden 1, 2 oder 3 Fälle beobachtet; im Jahre 1920 aber findet
man sogar 10 solche Patienten verzeichnet. Außerdem sind im städtischen
Krankenhause in Varaidin (Dr. M e i x n e r) in den letzten 20 Jahren
im ganzen drei histologisch festgestellte Fälle beobachtet worden. Aus
der Provinz sind uns weitere zwei Fälle mitgeteilt worden, und zwar je
einer aus Ogulin und aus Sid (Dr. Nenadovic). Seit der Eröffnung
der Klinik, also seit dem September des vorigen Jahres, hatten wir die
Gelegenheit, 9 Fälle in der Klinik zu behandeln und 2 Fälle in der Ambulanz
zu beobachten.
In Krain beobachtete man in diesem Jahre in der laryngologischen
Abteilung des Landeskrankenhauses (Dr. Pogaönik) 2 Fälle. Laut
Mitteilung des Gesundheitsamtes in Ljubljana sind in der letzten Zeit
etwa 20 einschlägige Fälle an der Grenze gegen Kroatien vorgekommen,
ohne daß man irgendwelche genauere Angaben darüber erhalten konnte.
Über das Vorkommen des Skleroms in Steiermark sind wir aus der
Arbeit von 0. Mayer unterrichtet, welcher das Beobachtungsmaterial
der Grazer Klinik bis zum Jahre 1906 veröffentlichte. Aus diesem
Material entfallen auf unsere Gegenden 15 Fälle, d. h. 9 Männer und
6 Frauen.
Aus der Arbeit R 6 n a s über das Vorkommen des Skleroms im
damaligen Ungarn entnehmen wir einen Fall aus Cakovec und außerdem
demonstrierte M o r e 11 i in der Budapester Ärztegesellschaft einen
Patienten, welcher zwar aus Novi-Sad in der Vojvodina gebürtig, aber
in Budapest längere Zeit wohnhaft war. Laut einer Mitteilung des
Gesundheitsamtes für Bosnien wurden im Kreise Bos.-Petrovac im
letzten Jahre sieben Skleromfälle bei der einheimischen Bevölkerung
beobachtet. In den übrigen Provinzen soll es unseren bisherigen Kennt¬
nissen zufolge kein Sklerom geben.
Somit wären im ganzen Jugoslavischen Reiche 86 Fälle beobachtet;
eine Zahl, welche dem Beobachtungsmaterial in Ungarn, Tschecho¬
slowakei, Oberschlesien und Mazuren nahe kommt und selbstverständlich
weit hinter demjenigen in Galizien und Rußland zurücksteht.
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924
Ante Sercer.
Nicht in allen Fällen gelang es, den Aufenthaltsort zu ermitteln,
so daß wir nur über 69 Fälle diesbezüglich berichten können. Geographisch
verteilte sich das Material wie folgt:
Steiermark oberhalb
der Drau.
Distrikt (Zupinaja)
Pozega:
Maribor u. Umgebung
4 Fälle Daruvar.1 Fall
Radkersburg u. Umgebung 4 „
Murberg-Neusalz .... 1 Fall
Slov. - Bistrica.1 „
Zusammen 10 Fälle
Medjumurje:
Cakovec u. Umgebung . 3 Fälle
Steiermark unterhalb
der Drau.
Konjice.1 Fall
Süßenheim .1 ,,
Ptuj u. Umgebung ... 2 Fälle
Zusammen 4 Fälle
Distrikt (Zupanija)
Zagreb:
Zagreb .2 Fälle
Jastrebarsko.2 „
Karlovac .1 Fall
Samobor .1 ,,
Sisak ..1 „
Zusammen: 8 Fälle
Nova Gradiska.1
Novska.1 ,,
Pakrac .1 ,.
Zusammen: 4 Fälle
Distrikt (Zupanija)
B j e 1 o v a r:
Bjelovar u. Umgebung . 8 Fälle
Öazma .4 „
Koprivnica .1 Fall
Kutina.1
GareSnica.1 ,,
Zusammen: 15 Fälle
Distrikt (Zupanija)
Modrus:
Ogulin .1 Fall
Distrikt (Zupanija)
S r i j e m:
Sid.1 Fall
Distrikt (Zupanija)
L i k a:
Perusir.
1 Fall
Distrikt (Zupan
Varaidin:
i j a)
Bosnien:
1 Fall
7 Fälle
Krapina.
Novi Marof.
2 Fälle
1 Fall
Prnjavor .
Bos. Petrovac.
Pregrada .
2 Fälle
Zusammen:
8 Fälle
Varazdin .
2 „
Krain:
Veliko Trgovistc . . . .
Lobor.
1 Fall
1 „
St. Jernej.
Metlika.
1 Fall
1 „
Ivanec .
Ludbreg.
1 „
1 „
Zusammen:
2 Fälle
Vinica.
1 „
Vojvodina:
Zusammen:
12 Fälle
Novi Sad.
1 Fall
Somit erscheint die Umgebung von Bjelovar am meisten verseucht
und in zweiter Linie der Distrikt Varazdin. In Steiermark scheint den
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Österreich
926
Ante Seroer.
Hauptherd die Umgebung des Ortes Radkersburg darzustellen, welche»
zwar* nicht unserem Staate angehört, jedoch alle vier Patienten, welche
Mayer in seiner Kasuistik anführt, waren aus der Umgebung von
Radkersburg und slowenischen Stammes. In der großen Ebene, wo Donau,
Tisza, Save und Drave zusammenfließen finden wir nur zwei Fälle ver¬
zeichnet; es ist jedoch sehr wahrscheinlich, daß sioh in jenen Gegenden
mehrere Skleromfälle vorfinden. In der nächsten Umgebung unserer
nordöstlichen Grenze sind von ungarischen Autoren Skleromfälle be¬
schrieben und es ist keineswegs glaubwürdig, daß die Krankheit an der
neuen politischen Grenze Halt gemacht hätte.
Der einzige Fall aus Bosnien, den wir an der Klinik beobachteten,
betrifft eine Ruthenin, was vom epidemiologischen Standpunkte besonders
wichtig ist. Es handelte sich um die 18jährige Frau eines Landwirtes,
welche in Bucacz in Galizien geboren, als Kind von vier Jahren nach
Bosnien kam und seitdem den Wohnungsort nicht wechselte. Ihr Mann,
ebenfalls einRuthene. kam auch als Kind in seine neue Heimat. Die Frau
litt an einem Rhino-laryngo-Sklerom, welches sich in flachen Infiltraten
offenbarte und an einer hochgradigen Bronchoblennorhoe. Ihr Mann
dagegen, auch an der Klinik untersucht, zeigte, abgesehen von einem
kleinen Polypen in der rechten Choane, der ihm keine Beschwerden
verursachte, keine pathologischen Veränderungen. Es drängt sich nun
die interessante Frage auf, ob dieser Skleromfall aus Ukraina nach Jugo-
slavien eingeschleppt wurde, oder ob er bei uns entstanden ist.
Wenn diese Patientin den Keim der Erkrankung aus Ukraina mit¬
gebracht hätte, so müßten wir supponieren, daß die Bazillen entweder
13 Jahre lang latent geblieben sind, oder daß sie so harmlose pathologische
Veränderungen hervorgerufen haben, die die Patientin durch Jahre nicht
behelligten. Ein solcher Krankheitsverlauf wäre beim Sklerom gar nicht
unwahrscheinlich. Es ist einerseits das außerordentlich langsame Fort-
schreiten des Prozesses bekannt und andrerseits geht aus einigen
Publikationen Wolkowitschs hervor daß der Anfang der Krankheit
in vielen Fällen in das früheste Kindesalter zurückgeht. Außerdem sind
in der Provinz Kroatien-Slavonien zwei Patienten, derjenige aus Novska
und derjenige aus Sid, ukrainischen Stammes. Auf Grund dieser ver¬
einzelten Fälle zu entscheiden, ob Sklerom in diesen Gegenden ein¬
heimisch vorkommt oder dortselbst eingeschleppt wurde, ist unmöglich.
Jedenfalls sehen wir in diesem Vorkommen einen wichtigen Weg¬
weiser für unsere weiteren Nachforschungen. Es gibt bei uns in ver¬
schiedenen Gegenden, wie bekannt, ganze Kolonien Ukrainer und Polen
und es w r äre sehr wichtig, diese Gegenden genauestens zu durchforschen.
Außerdem kämen in Betracht die an Rrbatien angrenzenden Gebiete
Bosniens, hauptsächlich ihre westlichen Gegenden, das sogenannte
türkische Kroatien. Bosnien ist ein Land, wo Lues außerordentlich ver¬
breitet ist und wo außerdem noch Leprafälle zu beobachten sind. Es ist
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Das Vorkommen des Skleroms in Jugoslavien.
927
sehr leicht möglich, daß unter diesen Erkrankungsformen auch mancher
Skleromfall unerkannt und unter falscher Diagnose registriert wird.
Auf der beigelegten geographischen Karte haben wir alle Ort¬
schaften, in welchen Skleromfälle vorgekoinmeu sind, mit schwarzen
Punkten angedeutet, und wenn in ihnen mehrere Fälle vorgekommen
sind, so ist dieser Umstand durch Kreise gekennzeichnet. Wenn man
einen Blick auf die Karte wirft, so sieht man, daß die anfänglich be¬
sprochenen drei Herde eigentlich durch vereinzelte Fälle vollkommen
ineinanderfließen, und daß auch die Beobachtungen aus Steiermark und
Krain ein homogenes Ganzes mit diesem einzigen großen Skleromherde
darstellen, welcher den ganzen nordwestlichen Anteil des Staates ein¬
nimmt. Von diesem Herde weit entfernt sehen wir ganz vereinzelte
Fälle in den gebirgigen Gegenden von Südkroatien (Peruäiö), vom nörd¬
lichen Bosnien (Prnjavor) und in der großen Ebene der Vojvodins
(Novi Sad).
Ob das Vorhandensein dieser zerstreuten Fälle ein reiner Zufall ist,
oder ob man darin einen Hinweis sehen dürfte, daß die Krankheit auch
die übrigen Gegenden schon verseucht hat, darüber werden die weiteren
Nachforschungen entscheiden.
Zur noch immer unentschiedenen Frage der Infektiosität
und Kontagiosität des Skleroms glauben wir einen interessanten
Beitrag liefern zu können. Gelegentlich des Vortrages von H. Schrötter
über das Sklerom in der Sitzung der Wiener laryngologischen Gesell¬
schaft vom März dieses Jahres sprach P e r e z den Gedanken aus, daß
es von Interesse wäre, festzustellen, ob die Armeen, welche während des
Weltkrieges die Hauptskleromherde in Polen durchquert haben, auch die
Skleromkrankheit in weitere Gegenden fortgeschleppt hatten. Ein an
unserer Klinik unlängst verstorbener Patient dürfte vielleicht zur Lösung
dieser Frage beitragen. Der 42jährige Landwirt T. J. wurde im Jahre 1917
am nördlichen Kriegsschauplätze gefangengenommen und lebte seitdem
in Rußland in S a r a t o w, wo er auch die ersten Beschwerden zu ver¬
spüren begann: Hustenreiz, Schmerzen im Halse und in der Nase, Heiser¬
keit. Nach dem Umstürze kehrte er in seine Heimat zurück, und zwar
in eine Gegend, wo bisher kein einziger Skleromfall beobachtet wurde
(Peruäiö in Lika). Bei der Aufnahme auf die Klinik, also etwa fünf Jahre
nach den ersten Krankheitszeichen, welche sich in der russischen Gefangen¬
schaft einstellten, wurde bei ihm ein hochgradiges Sklerom der Nase,
des Rachens, des Kehlkopfes und der Luftröhre konstatiert.
Es ist von mancher Seite, besonders aber von Seiten deutscher
Autoren, mit großem Nachdruck darauf hingewiesen, daß Polen, eigentlich
Galizien, die Quelle des Skleroms sei, und daß vom Osten dem ganzen
Westen die Gefahr drohe. Wir brauchen da nur auf die entsprechenden
Arbeiten von Gerber, Streit, Schrötter und Mayer hin¬
zuweisen. Auch J u r a c z, welcher in Lemberg ein enormes Beobachtungs¬
material (in 37 2 Jahren 200 Fälle) zur Verfügung hatte meint, Ostgalizien
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928
Ante Sercer.
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sei der ursprüngliche Herd, von welchem sich das Sklerom in der Richtung
gegen Preußen, Rußland, Ungarn und Österreich ausgebreitet hätte.
Wenn man sich die Ausbreitungsweise des Skleroms in ganz Europa
vergegenwärtigt, so erscheint diese Ansicht als vollkommen annehmbar.
Beim genauen Studium der einschlägigen Arbeiten von Schrotter,
Streit, Gerber, Mayer, Röna, Baurowitsch, Wolko-
witsch usw. kann man aber auch zu ganz anderen Schlüssen kommen.
Die Tatsache, daß M o r e 11 i in Budapest im Jahre 1886, also
viel später als die ersten Skleromfälle aus Polen bekannt wurden, den
ersten entsprechenden Fall in Ungarn diagnostiziert hatte, braucht man
absolut nicht als eine Propagation des Skleroms vom Norden nach Süden
deuten, genau so wenig wie die ersten, chronologisch etwas späteren
Beobachtungen von M a S e ks in Jugoslavien für eine Propagation aus
Ungarn in unsere Heimat sprechen w r ürden. Die Krankheit war schon
früher in beiden Ländern einheimisch, nur gab es eben früher niemanden,
der sie erkannt hätte. In dieser Anschauung bekräftigt uns auch die Fest¬
stellung, daß wir auf die Anfrage über das Vorkommen des Skleroms in
unserer Heimat sogar aus dem Hauptherde in Kroatien negative Ant¬
worten erhielten. Ebenso konnten wir aus den Publikationen von Gerber
und Streit nicht den Eindruck gewinnen, daß durch ihre häufigeren
Beobachtungen von Sklerom auch eine Propagation im gewesenen Ost¬
preußen erwiesen wäre, sondern daß in dieser Gegend die betreffenden
Autoren Skleromkranke eingehender registriert haben. Wir sind tief über¬
zeugt daß, wenn wir heute mit allen wissenschaftlichen Mitteln ausgerüstet,
eine Reise durch Jugoslavien, zwecKs Skleromerforschung unternähmen,
wir Skleromkranke in manchen Gegenden finden würden, die bisher als
skleromfrei galten.
Wenn man an der Ansicht einer fortwährenden Propagation des
Skleroms aus Polen festhält, dann kann man sich die Tatsache nicht
erklären, daß, obwohl von seiten des Deutschen Reiches gar keine nennens¬
werten Maßnahmen gegen die Ausbreitung dieser Krankheit aus den
ostpreußischen Herden nach Westdeutschland vorgenommen worden sind,
die Krankheit dennoch auf ihre ursprünglichen Gebiete beschränkt ge¬
blieben ist. Denn die sporadischen Fälle in Bremen, Schleswig-Holstein,
Hannover und Würzburg stehen mit den preußischen Herden wohl in
keinem Zusammenhang.
Es erscheint uns somit viel wahrscheinlicher, daß es sich beim
Sklerom um eine Erkrankung handelt, welche einst, das geben wir wohl
zu, aus Polen ihren Ausgang genommen, sich heute überall dort ent¬
wickeln kann, wo gewisse uns noch völlig unbekannte Bedingungen
vorhanden sind, welche die Pathogenität der Sklerombazillen erhöhen
und in einer speziellen Richtung beeinflussen. Diese Bedingungen können
wir weder in geologischen, noch in klimatischen, noch in Rasseeigentümlich¬
keiten sehen. Es folgt aus den Angaben in der Literatur, daß Sklerom
bei verschiedenen Rassen, in ebenen und gebirgigen, in kalten und heißen
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Das Vorkommen des Skleroms in Jugoslavien.
929
Gegenden Vorkommen kann. Es läßt sich auch aus dem Vorkommen
des Skleroms bei uns kein Zusammenhang mit geologischen und
klimatischen Verhältnissen feststellen. Nach unseren Beobachtungen
dürften die ungünstigen Zivilisationsverhältnisse einen fördernden Ein¬
fluß auf das Sklerom ausüben, jedoch nicht den entscheidenden, da uns
Fälle aus günstigen Verhältnissen bekannt sind.
Es steht schließlich die Art der Ausbreitung des Skleroms in
engster Beziehung mit der großen Frage seiner Ätiologie, oder genauer
gesagt mit der Frage von der Idendität der Sklerom-,Pneumo- und Ozaena¬
bazillen, welche unserer Ansicht nach bisher keineswegs gelöst ist. Wenn
wir uns jetzt zur
Klinik
des bei uns beobachteten Skleroms wenden, so bemerken wir vorerst,
daß soweit man feststellen konnte, von 83 verzeichneten Fällen
42 Männer und 41 Frauen waren, ein Verhältnis, welches von dem be¬
kannten in keiner Richtung abweicht. Der jüngste Patient war 12, der
ältetse 74 Jahre alt.
Das Vorkommen des Skleroms um das 12. oder 13. Jahr bildet
keine Seltenheit. Im 11. Jahre beobachtete es A 1 v a r e z bei einem
Mädchen aus Zentralamerika, im 8. Jurasz in Lemberg. Den jüngsten
Fall beschrieb wohl Juffinger in seiner Monographie. Es handelte
sich dabei um ein 7jähriges Mädchen aus Eckartsau in Niederösterreich,
mit Pharyngo-laryngo-Sklerom. Daß aber Sklerom auch im Alter über
70 Jahre Vorkommen kann, war uns bisher nicht bekannt. Es handelte
sich in unserem Falle um einen Patienten aus Zagreb, der längere Zeit
an einer Brochitis litt, welcher sich seit 6 Wochen Schmerzen im Kehl¬
kopfe hinzugesellten. Schließlich wurde er wegen Suffokationserscheinungen
ins Spital aufgenommen. Epiglottis und beide Arygegenden waren
ödematös verdickt und oberhalb des linken Lig. ventriculare befand sich
ein Tumor, aus welchem histologisch Sklerom diagnostiziert wurde. Der
Patient ist nie früher wegen irgendwelcher ähnlicher Beschwerden
behandelt worden. Es wurde dennoch später in Erfahrung gebracht,
daß er jahrelang anscheinend an einer chronischen Rhinitis sicca litt.
Es sind zwar Fälle bekannt, in welchen Sklerom durch zwei oder
drei Jahrzehnte von Ärzten bis in das späte Alter beobachtet wurde,
in unserem Falle aber kam die Krankheit erst in spätem Greisenalter
zur Erscheinung, was dafür sprechen würde, daß sie entweder jahr¬
zehntelang bestehen kann ohne irgendwelche subjektive Beschwerden
hervorzurufen, oder daß sie auch eist im späten Greisenalter zur Aus¬
bildung kommen kann. Der
Nationalität
nach waren unsere Skleromkranken sämtlich südslavischen Stammes
(abgesehen von den drei bereits erwähnten Fällen aus Ukraina), dem
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930
Ante Sercer.
Berufe
nach hauptsächlich Bauern, doch finden sich darunter, so weit man
feststellen konnte, zwei Beamte, eine Lehrerin und die Gattin eines
Stadtangestellten. Was die
Kontagiosität
anbelangt, so steht in unserer Beobachtung eine diesbezüglich interessante
Familie. Alle Familienmitglieder wurden von uns mitersucht, einige
zu wiederholten Malen. Beide Eltern und die älteste Tochter sind voll¬
kommen gesund. Der älteste Sohn, ein 23jähriger Beamter, wird schon
seit 5 Jahren wegen Rhino-laryngo-Sklerom behandelt, welchem sich vor
ungefähr einem Jahre auch ein Trachealsklerom hinzugesellte. Er wurde
vor 3 Jahren wegen Suffokation tracheotomiert. Die zwei Jahre jüngere
Schwester (M. S.. 21 Jahre alt) ist durch viele Monate hindurch wegen
einer ausgesprochenen Ozaena nasi et laryngis behandelt worden und
erst vor einem Jahre entwickelten sich sozusagen unter den Augen des
behandelnden Arztes (Dr. B 1 a § k o v i 6 ) subglottische Infiltrate, welche
bald als skleromatös erkannt wurden und eine Behandlung mittels
Schrötter scher Sonden erforderten. Die dritte, etwas ältere Tochter
(M. S., 28 Jahre alt) leidet seit langer Zeit an Borkenbildung in der Nase
und die vierte, d. h. die jüngste Tochter (A. S., 16 Jahre alt), ist schon
jahrelang die Trägerin einer typischen Ozaena mit charakteristischem Fötor.
Endlich der zweite Sohn (S. S.), ein Knabe von etwa 10 Jahren, litt
lange Zeit an einer Rhinitis cliron. purulenta, w'elche in der letzten Zeit
an der linken Seite die Tendenz zur Eintrocknung des Sekretes und zur
Borkenbildung, aber vorläufig noch keinen Fötor zeigt.
Auf das familiäreVorkommen des Skleroms hat zuerst Robertson
aufmerksam gemacht und mehrere solche Fälle sind dann später in ver¬
schiedenen Arbeiten publiziert worden. Abgesehen davon, daß diese
Familie einen neuen Beitrag zu dieser keineswegs reichlichen Kasuistik
darstellt, glauben wir aus den Erkrankungsformen ihrer fünf Mitglieder
noch einige für die Skleromfrage wichtige Hinweise ersehen zu können.
Bei dem jüngsten Knaben sehen wir eine einfache, hartnäckige,
eitrige Rhinitis sich langsam in eine Ozaena entwickeln, welche bei seiner
etwas älteren Schwester eine ausgesprochene Form annimmt. Die zweite
noch ältere Schwester leidet schon lange an derselben Erkrankmig und
erlebt in ihrem Kehlkopfe die tragische Umwandlung der Ozaena in
ein primäres Kehlkopfsklerom, welches sich bei ihrem Bruder trotz aller
Behandlung unter unseren Augen universalisiert. Wenn wir aber die
Anamnese dieses letzteren genauer durchmustern, so können wir in ihr
alle diese Erkrankungsformeu als verschiedene Entwicklungsstadien des
schließlich universalisierten Skleroms erkennen. Bei ihm begannen die
Beschwerden etwa um das fünfzehnte Jahr herum mit Erscheinungen
einer langdauernden eitrigen Rhinitis, welche durch starke Borken¬
bildung kompliziert war. Einige Jahre später begannen die Atem-
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Das Vorkommen des Skleroms in Jugoalavicn.
931
beschwerden, welche sich schließlich bis zu Suffokationserscheinungen
steigerten. Jetzt zeigt der Patient in der Nase das Bild eines vollkommen
vernarbten Rhinoskleroms, im Kehlkopfe eine Chorditis vocalis inf. hyper-
trophicans; viele Monate hindurch litt er an Zeichen einer ausgesprochenen
Störe kschen Blennorrhoe, welche jetzt durch frische Infiltrate, die sich
bis an die Bifurkation hinziehen, vervollständigt wird.
Wenn wir uns diese Familien- und Krankengeschichte vor Augen
halten, w’enn wir uns weiterhin an viele Fälle erinnern, in welchen eine
Ozaena der Entwicklung eines Skleroms vorangegangen ist oder an Vor¬
kommnisse, daß in derselben Familie Sklerom und Ozaena nebeneinander
vorgekommen sind, und wenn wir schließlich bedenken, daß der
Differenzierung der Kapselbazillen so viele Schwierigkeiten entgegen¬
stehen. welche sie eher identisch als different erscheinen lassen, so glauben
wir, daß der Gedanke nicht zu kühn sei, auch die altbekannte Ozaena
in einen näheren Zusammenhang mit dem Sklerom zu bringen. Dieser
Gedanke ist schon einige Jahrzehnte alt und man kann diese Frage nicht
so leicht und einfach lösen wie es von mancher Seite geschieht. Denn
durch Gegenüberstellung einer „Maladie hypertrophiante“, welche
Sklerom charakterisieren soll, mit der Ozaena, w r elehe ,,Essentiellement
atrophiante“ sein soll, wie das Löwenberg tat, tritt man der Lösung
dieser Frage keineswegs näher, weil die genannten Charakteristika weder
für das Wesen der einen noch das der anderen Krankheit zutreffen.
Es ist das ein Problem, dessen Lösung, glauben wir, mehr Mühe
wert wäre und die Sklerom- sowie die Ozaenaforschung wesentlich be¬
reichern würde. Über die
klinischen Formen,
welche bei uns beobachtet werden, möchten wir folgendes sagen: Meistens
kommen Fälle mit Sklerom der Schleimhaut zur Ansicht. Sklerome der
äußeren Haut (Nase und Mundlippen) sind bisher selten beobachtet
worden. Fast in allen Fällen wuirden flache, harte Infiltrate beobachtet,
welche von dem Bekannten in keiner Richtung abweichen. Von manchen
Seiten sind auch Sklerome in Tumoren- und Polypenformen beschrieben
worden (J u f f i n g e r, Glas, Lenart, P i e n i a z ek, Baracz),
welche bei uns wohl zu den größten Seltenheiten gehören.
Andrerseits können wir über einen Fall berichten, bei welchem
Sklerom mit einer durch keinerlei Mittel, auch durch Alkoholinjektionen
nicht, zu behebenden Trigeminusneuralgie kompliziert war, so daß wdr
die Ansicht gewannen, daß die Infiltrate, welche den ganzen Epipharynx
durch Wucherung und Narbenzug verbildeten, auch an der Neuralgie
selbst schuld waren.
öfters wurde die Kombination mit einer Bronchoblennorrhoe beob¬
achtet. Eine dieser Kranken war in mancher Hinsicht besonders interessant .
Bei einer 29jährigen Bäuerin fanden sich im Kehlkopfe flache subglottische
Infiltrate vor, die an der hinteren Kommissur die Knotenform annahmen.
Dieselbe Patientin hustete täglich 2 bis 3 Schalen reinen Eiters, welcher nur
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Ante S e r c e r.
mit wenig Schleim vermischt war, aus. Die röntgenologische Unter¬
suchung ergab eine marmorierte Infiltration beider Lungenoberlappen
und eine beiderseitige Vergrößerung des Hilusschattens. Auf Grund
einer genauen physikalischen Untersuchung (Dr. L u s i c k y) wurde
die Diagnose auf Phthisis pulmon. fibrosa, densa bilateralis cum ad-
liaesionibus ad basin sin. neben einer Bronchitis diffusa und Peribronchitis
gestellt. Das Sputum hatte kein tuberkulöses Aussehen und es wurden
auch mit Antiformin keine Tuberkelbazillen nachgewiesen. Gegen eine
Kaverne oder Bronchiektasie sprach der Umstand, daß die Patientin
Tag und Nacht hindurch große Mengen Sputum aushusten konnte, bei
jedem künstlichen Reiz, was man bei einer Höhlenbildung in der Lunge
doch nicht erwarten konnte. Da die Patientin außerdem bei diesem
ganzen Zustande gar keine Temperaturerhöhungen zeigte, lag der Gedanke
nahe, neben einer skleromatösen Bronchoblennorrhoe auch ein Phthisis
pulmonum ebensolcher Natur vorauszusetzen. In dieser Meinung wurden
wir weiterhin durch den tracheoskopischen und mikroskopischen Befund
unterstützt. Mit großer Mühe konnte man den Tubus von 10 mm Durch¬
messer durch die verengte Glottis durchtreiben und dicht unterhalb
der Stimmlippen mußte man ein Einschieberohr an wenden, da die Trachea
allerseits hochgradig verengt war. Die flachen Infiltrate an mehreren
Stellen mit knotigen Erhabenheiten durchsetzt, zogen sich bis an die
Bifurkation hin. Ein Eingehen in die Bronchien war unmöglich, da die
beiden Zugänge durch mit grünen Krusten bedeckte Infiltrate außer¬
ordentlich verengt w r aren. Zweifellos erstreckten sich die Infiltrate noch
viel tiefer, so daß angesichts dieses Befundes neben dem sonstigen
klinischen Aussehen die Annahme einer skleromatösen bronchitischen
und peribronchitischen Infiltration, welche auch die Hilusdrüsen in Mit¬
leidenschaft gezogen hat, nicht unwahrscheinlich war.
Daß die regionären Lymphdriisen vom Sklerome befallen sein
können, hat zuerst R 6 n a bewiesen, und es wurde später dieser Umstand
auch von anderen Autoren bestätigt, so daß sich gegen ein Befallensein
der Hilusdrüsen vom theoretischen Standpunkte aus nichts einwenden
läßt. Im Sputum dieser Patientin fanden wir Zellen, welche mit den
sogenannten Mikulicz sehen Zellen außerordentliche Ähnlichkeit
zeigten und nicht anders zu deuten waren. Es handelte sich dabei um
große, stark vakuolisierte Zellen mit blaß gefärbtem Kerne, welche nicht
immer, aber doch meistens, einen bis mehrere Kapselbazillen in ihrem
Protoplasma eingeschlossen zeigten. Was die
Histologie
des Skleroms anbelangt, so möchten wir eines Befundes erwähnen, den
wir bei der früher erwähnten Patientin erhoben. In einem mittels des
Einschieberohres abgeschälten Infiltratstücke wurde eine außerordentlich
starke hyaline Degeneration des kranken Gewebes vorgefunden. Das
spezifische Granulationsgewebe war zum größten Teile in Bindegewebe
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Das Vorkommen des Skleroms in Jugoslawen.
933
umgewandelt, welches fast gänzlich der hyalinen Degeneration anheinifiel.
Nicht nur um die Blut- und Lymphgefäße, sondern auch überall, wo sich
Bindegewebe vorfand, sah man große, stark lichtbrechende, hyaline
Schollen, welche mit Gruppen blaßer Kerne durchsetzt waren. Das ganze
exstirpierte Stück bestand aus hyaliner Substanz.
Über die hyaline Degeneration im Skleromgewebe, besonders über
die Entstehung der hyalinen Kugeln und hyalinen Zellen besitzen wir
mehrere ausgezeichnete Arbeiten von Una, Mibelli, Marschalk 6,
Noyes usw., doch finden wir nirgends einer so hochgradigen Gewebs-
degeneration erwähnt, trotzdem eine hyaline Degeneration des Binde¬
gewebes sonst in spezifischen Granulationen als nichts auffallendes zu
betrachten ist. Drei Todesfälle (alle obduziert) bilden einen weiteren
Beitrag zur
Prognose
dieser Krankheit, welche wegen ihres langjährigen Verlaufes gewöhnlich
als quoad vitam ziemlich ungefährlich hingestellt wird. Es sind un¬
erwartete und schwer erklärliche Fälle plötzlichen Todes beim Sklerom
von mehreren Seiten besprochen worden, so von Catti, Pick und
neuerdings von K o 1 i s k o, welcher in Wien mehrere solche Fälle ge¬
richtlich obduzierte. Vor einigen Jahren wurde in die Prosektur des
Spitales der barmherzigen Schwestern (laut mündlicher Mitteilung des
Herrn Prof. J u r a k) die Leiche eines russischen, auf der Straße tot auf¬
gefundenen Gefangenen eingeliefert. Bei der Obduktion wurde ein
Sklerom des Kehlkopfes konstatiert ohne irgendwelche nachweisbare
Todesursache. Der zweite Patient, 'welcher in diesem Jahre an der Klinik
starb, litt einige Jahre lang an Sklerom der Nase, des Rachens, des
Kehlkopfes und der Luftröhre. Bei seiner Aufnahme in die Klinik zeigte
er keine schweren Stenoseerscheinungen, so daß man an eine Tracheotomie
vorläufig nicht zu denken brauchte. Nach fünftägigem Aufenthalte wurde
er plötzlich eines Tages ohne irgendwelche Prodromalerscheinungen
bewußtlos, die Atmung war von Cheyne-Stocke schem Typus, ohne
Zyanose, der Puls fadenförmig und weich, stark akzelleriert. Bald
hernach zeigte sich eine linksseitige Hemiparese und eine Stunde später
war der Patient trotz Anwendung von Kardiakis und Analeptizis, tot.
Die Obduktion ergab, außer der schon klinisch festgestellten Er¬
krankung nur ein chronisches ödem der weichen Hirnhäute und des
Gehirns.
Im dritten Falle handelte es sich um einen Steinmetz, welcher
ungefähr seit seinem 12. Lebensjahre an Rhinosklerom litt und bei welchem
sich mit der Zeit auch ein solches im Kehlkopfe und in der Trachea ent¬
wickelte. Der Tod erfolgte bei ihm schon im 20. Lebensjahre mit den
Zeichen schwerster Asphyxie, welche bei der Bronchoskopie sowie bei
der Autopsie ihre Erklärung in skleromatösen, fast das ganze Bronchien¬
lumen obturierenden Infiltraten fand. Trotzdem die Blankheit seit
früher Jugend datierte, zeigte sich dennoch ihr Verlauf als äußerst bös-
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934
Ante Seroer.
artig, da sie trotz aller Therapie nach fürchterlichen Qualen schon am
Ende des zweiten Dezenniums dem Leben ein Ende setzen konnte. In
diesem Falle waren die Infiltrate selbst am frühen Tode schuld. Manchmal
können wir die Ursache des plötzlichen Todes in einer akut einsetzenden
Bronchitis sehen, in anderen Fällen wiederum der Ansicht Ziemgens
und C a 11 i s beipflichten, welche eine Verlegung des ohnehin ver¬
engten Kehlkopflumens durch aus der Tiefe abgelöste Krusten als Todes¬
ursache annehmen. Es bleiben dennoch Fälle übrig, wie z. B. der erste
und zweite von uns angeführte, deren Ablauf uns ungelkärt verbleibt. Unsere
Therapie
bestand in chirurgischen Eingriffen, Kauterisation, Dilatation, Broncho¬
skopie, Pinselungen mit Chlorzinkglyzerin und sonstigen Medikamenten,
Röntgenbestrahlungen und schließlich auch in Vakzination. Es wurden
somit wohl alle Mittel verwendet, die seit jeher für die Behandlung
des Skleroms anempfohlen worden sind, ohne daß man sich davon über¬
zeugen könnte, daß irgendeinem dieser Mittel eine besonders aus¬
gesprochene Heilwirkung zukommen würde. Dennoch können wir mit-
teilen, daß in allen fünf bisher von uns mit Vakzination behandelten
Fällen deutliche Reaktionen und sogar ausgesprochene Besserungen zu
Verzeichnen waren. Wir sind aber überzeugt, daß eine lokale Behandlung
bsi Sklerom dringend indiziert ist. Was die Prophylaxe anbelangt, so
wird da wohl ein Erfolg lange auf sich warten lassen und inzwischen bietet
die Lokalbehandlung besonders in den Anfangsstadien doch einigen Nutzen.
Es handelt sich beim Sklerom um eine Krankheit, deren Kontagiosität und
Infektiosität, wie allgemein bekannt und nachgewiesen, als minimal zu
betrachten ist.
Den Vorschlag, die Skleromkranken vollkommen zu isolieren und
in Skleromheime einzuschließen, betrachten wir deswegen als übertrieben.
Es befinden sich zwischen diesen Unheilbaren doch so viele, welche voll¬
kommen arbeitsfähig sind, und deren Infektiosität unvergleichlich
kleiner ist als diejenige ungezählter mit Syphilis, Gonoorhoe, Tuber¬
kulose usw. infizierter Menschen, deren prophylaktische Behandlung
wir doch als unsere erste und dringendste Pflicht betrachten müssen.
Auf Grund dieser Überzeugung und guter Kenntnisse der jetzigen Ver¬
hältnisse in unserer^Heimat möchten wir folgende
Vorschläge
als bei uns nützlich und durchführbar anempfehlen.
1. Zuerst muß man die Tatsache berücksichtigen, daß die meisten
Ärzte Sklerom entweder mangelhaft oder überhaupt nicht kennen und
daß eine Orientierung auf diesem Gebiete aus der Literatur nur wenigen
möglich ist. Einheimische Beschreibungen des Skleroms besitzen wir
überhaupt nicht und die dürftigen, in einigen Lehrbüchern zu findenden
Angaben genügen keineswegs, um dem Leser eine Vorstellung über die
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Da« Vorkommen des Skleroms in Jugoshivien.
935
mannigfaltigen Formen dieser Krankheit zu ermöglichen. Deshalb be¬
trachten wir als erstes Gebot die Schaffung einer möglichst genauen,
mit Bildern ausgestatteten Darstellung dieser Krankheit, welche mit
Unterstützung des Gesundheitsministeriums wenigstens allen Kreis- und
Amtsärzten unentgeltlich zugestellt werden sollte.
2. Demselben Behufe soll die Verpflichtung dienen, bei allen Fort¬
bildungskursen, welche alljährlich bei uns stattfinden, einen Vortrag über
Sklerom einzuschalten, bei welchem sich die Teilnehmer theoretisch und
praktisch über den Gegenstand orientieren könnten.
3. Da die vom Staate vorzunehmenden Maßnahmen nicht nur von
der Tatsache abhängen, daß eine Infektionskrankheit im Reiche vor¬
handen ist, sondern auch davon, wie dieselbe verbreitet ist, und da andrer-.
seits die von den Kreisärzten künftig darüber zu machenden Angaben
voraussichtlich lange auf sich warten lassen werden, betrachten wir als
zweckmäßig, in den Gegenden, in welchen man voraussichtlich Sklerom
finden könnte, fachärztliche Untersuchungen zu veranstalten.
4. Alle bisher beobachteten und noch lebenden Skleromkranken
sollen dem Gesundheitsministerium angemeldet werden, w’ohin auch
alle weiteren diesbezüglichen Beobachtungen zu richten wären. Man soll
also eine allgemeine Anzeigepflicht auch für Sklerom einführen.
5. Alle zweifelhaften und verdächtigen Fälle, welche den Ärzten
in der Provinz Vorkommen, sollen, wenn sonst nicht möglich, auf öffentliche
Kosten zur genauen Feststellung an ein entsprechend eingerichtetes
Institut gesandt werden. Es wäre das auch vom prophylaktischen Stand¬
punkte aus sehr wichtig, denn in frühen Anfangsstadien, in welchen Sklerom
schwer diagnostizierbar ist, könnte man es vielleicht durch radikales
Eingreifen im Keime vernichten.
6. Solange noch Sklerom nur in westlichen Gebieten des Staates
gehäuft vorkommt, soll in Zagreb eine Zentralstelle für Skleromforschung
in Jugoslavien eingerichtet werden, und zwar in Anlehnung an die
medizinische Fakultät. Sie soll mit einem modernen Laboratorium für
histologische und bakteriologische Untersuchungen ausgestattet sein.
Dieser Zentralstelle sollen alle Mitteilungen über die Skleromkrankheit
im Staate zugesandt werden, und von hier aus müßten periodisch dem
Gesundheitsministerium Berichte über das Vorkommen und die Fluk¬
tuation der Krankheit unterbreitet werden. Selbstverständlich soll diese
Arbeitsstätte unaufhörlich mit allen ähnlichen Institutionen im Auslande
in Verbindung stehen, um bei der Förderung der Skleromfrage mit-
wirken zu können.
7. Ein besonderes Skleromheim zu gründen betrachten wir vor¬
läufig für nicht notwendig, wohl aber soll eine Aufnahme der hilfe¬
bedürftigen Kranken an der Klinik ermöglicht werden, wo auch für eine
sachgemäße Röntgenbehandlung vorgesorgt sein sollte. Zu diesem Behufe
soll man eine Abteilung mit einigen Betten einrichten, worin alle arbeits-
Mouata«chrift f. Ohrenheilk. u. L*r.-Bhio. 58. Jahrg.
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036
Ante S e r c e r. Das Vorkommen des Skleroms in Jugo.slavien.
unfähigen und hilfebedürftigen Kranken auf öffentliche Kosten unter¬
halten werden sollten.
8. Diese Abteilung nebst dem früher erwähnten Laboratorium soll
die sogenannte Zentralstelle darsteilen. Aus therapeutischen sowie aus
wissenschaftlichen Gründen wäre es zweckmäßig, dieselbe an die oto-
laryngologische Klinik anzugliedem.
Wenn es gelingen würde, die Erfüllung dieser Vorschläge zu er¬
reichen, dann glauben wir, wäre es möglich, erfolgreich dieser bisher schwer
zu heilenden Krankheit beizukommen, von welcher C o r n i 1 in einer
seiner diesbezüglichen Abhandlungen vor langer Zeit gesagt hatte:
„Le rhinosclörome, la maladie dont le nom est aussi dur que le tissu qui
le compose“. Trotzdem beinahe 40 Jahre seitdem verflossen sind, ist nur
der Name etwas kürzer geworden, das Wesen der Krankheit aber ist
genau so ungeklärt und hart geblieben, wie es damals gewesen ist.
Zum Schlüsse nehme ich Veranlassung, meinem hochverehrten Chef
für die gütige Durchsicht der Arbeit auch an dieser Stelle meinen auf¬
richtigsten Dank auszu sprechen.
Literatur: Baurowicz, Das Sklerom auf Grund der Beobachtung
von 100 Fällen. Arch. f. Lar. 1900. Bd. 10. — C a 11 i, Zur Kasuistik und Therapie
der Chorditis voc. inf. hypertr. Wr. med. Ztg. 1878. Nr. 30. — Comil et Babes,
Les Bacteries et leur role dans l'anatomie et l’histologie pathologique des maladies
infecieuses. Paris 1885. — Cornil et Alvarez, Sur le microorganismes du
rhinoskl^rome. Annales de dermatologie et syphiligraphie. Avril 1885. — Cornil
et Alvarez, Memoire pour servir ä l'histoire du rhinosklerome. Areh. de phys.
normale et path. 1885. Nr. 5. — Cornil et Ran vier, Histologie pathologique
I. Paris 1901. — Cornil, Le rhinoscterome. Le progr6s medical. 1883. Nr. 30.
S. 587. — Galli-Valerio, L’etat actuel de nos connaissances sur l’etiologie du
rhinosclerome. Zbl. f. Bakt. 1. Abt. Orig. 1911. Bd. 57. H. 6. S. 481. — Gerber:
Die Zunahme des Skleroms in Ostpreußen. Münch, med. Wschr. 57. Jahrg. Nr. 35. —
Gerber, Das Sklerom in russischen und deutschen Gebieten. Volkmanns Sammlung
klin. Vorträge. 1905. — Juffinger, Das Sklerom der Schleimhaut. Wien 1892. —
J u r a s z, Beiträge zur Pathologie und Therapie des Skleroms. Verhandl. Deutscher
Laryngologen 1910. — Loeweberg, Le microbe de l'ozaena. Annales de 1‘Institut
Pasteur 1894. Nr. 5. — M a ä e k, Sitzung der Zagreber Ärztegesellschaft vom
28. Obtober 1901. Lije6ni6ki vijesnik 1904. S. 383. — Maäek, Sitzung der Zagreber
Ärztegesellschaft vom 26. Oktober 1906. Ibidem 1906. S. 392. — Mayer, Die Ver¬
breitung des Skleroms in Steiermark. Arch. f. Lar. Bd. 18. H. 3. — Marschalk 6,
Zur Histologie des Rhinoskleroms. Arch. f. Dermat. Bd. 53 und Bd. 54. — M i b e 11 i,
Beiträge zur Histologie des Rhinoskleroms. Mheftef. prakt. Derm. 1889. Bd. 8. S. 531.
— Mikulicz, Über Rhinosklerom. Langenbecks Arch. Bd. 20. — N o y e s, Über
die kolloiden Zellen in Rhinoskleromgewebe. Mhefte f. prakt. Derm. 1890. Nr. 8. —
P a 11 a u f, Zur Ätiologie des Skleroms. Wr. klin. Wschr. 1891, Nr. 52 u. 63 und
1892. Nr. 1 u, 2. — Paltauf und Eiseisberg, Zur Ätiologie des Rhino¬
skleroms. Fortschritte der Medizin. 1886. Nr. 19 und 20. — Pick, Über Sklerom.
Verhandl. Deutscher Laryngologen. 1910. — R 6 n a, Über Rhinosklerom. Arch.
f. Derm. 1899. Bd. 49. — Stoer k,Die chronische Blennorrhoe der Nasen, Rachen-,
Kehlkopf- und Luftröhrenschleimhaut. Wr. med. Wschr. 1874. Nr. 48. — S c h r ö 11e r,
Skleromausbreitung. Wr. klin. Wschr. 1905. Nr. 25. — Streit, Über das Vor¬
kommen des Skleroms in Deutschland. Arch. f. Lar. 1903. Bd. 14. S. 257. — Unna,
Histologischer Atlas zur Pathologie der Haut. Voss, Hamburg 1910. —Wo 1 k o wi t s c h.
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Karl Bernfeld. Exzessive Größe der Bulla ethmoidalis.
937
Zur Statistik und dem Vorkommen des Skleroms in Rußland. Mschr. f. Ohrenhlk.
1911. S. 79. — W o 1 k o w i t s c h. Das Rhinosklerom. Langenbecks Arch. Bd. 38.—
Z i e m s e n, Handbuch der spez. Path. und Therap. Bd. 4. 1876. S. 203.
Aus der Abteilung für Rhino - Laryngo - Otologie des Allgemeinen
Krankenhauses in Lemberg (Vorstand: Primarius Dr. Spalke).
Exzessive Größe der Bulla ethmoidalis, latentes
Empyem des Siebheinlabyrinths.
Von Dr. med. Karl Bernfeld.
Patient, 21 Jahre alt, leidet seit 1 Jahre an Kopfschmerzen, Eingenommen*
«flein des Kopfes durch vollständigem Verschluß der 1. Nasenhälfte beim Atmen.
10. V. 1922 aufgenommen in Spitalsbehandlung.
Äußere Untersuchung ergab: Deutliche Vorwölbung der 1. lateralen
knöchernen Nasenwand in der Gegend des inneren Augenwinkels, keine Klopf¬
empfindlichkeit, keine spontane Schmerzäußerung.
Rkinoskopisch: Die 1. Nasenhälfte füllt dicht eine walnußgroße
Oeschwulst bis an den äußeren Naseneingang, dieselbe ist von einer glatten,
dünnen Schleimhaut überzogen, die über der Geschwulst deutlich verschiebbar
ist; pergamentähnliches Knistern der gespannten vorderen Wand nachweisbar;
Sonde läßt sich kaum von unten her vorschieben, dagegen weder von der 1., noch
von der r. Seite des Tumors. Das Septum cartilagineum nach der gesunden Seite
gedrängt, Deviatio septi patbologica. R. Nasenhälfte normal.
Operation (ausgeführt von Dr. Spalke): Gleich in der ersten Sitzung
wurde nach vorheriger Kokainisierung zur Inzision der sichtbaren, vorderen,
zirka 2 cm3 großen Fläche des Tumors mit nachfolgender Erweiterung der In-
zisionsöffnung von den Rändern aus geschritten. Auffallenderweise kam aus der
<eröffneten Höhle gar kein Inhalt zum Vorschein. Die 5 cm tiefe Sondierung in
der Richtung des 1. Siebbeinlabyrinths trifft auf die Orbitalwand, wobei Patient
im 1. Auge heftigen Schmerz äußert. Beim Herausziehen der Sonde merkt man
an ihr dicken Eiter. Erst die folgende Durchspülung mit der tief in die Höhle
eingeführten Kanüle brachte auf einmal massenhaft eingedickten Eiter in der
Menge von zirka 4 bis 5cm3. Nachdem die Ausspülung so weit war, daß man
keine Eiterretention mehr annehmen konnte und die geringe Blutung Stillstand,
konnte die hyperplastische Innenbekleidung der Höhle mit teilweise polypöser
Entartung der Schleimhaut aufs deutlichste besichtigt werden, wobei man mit
Bestimmtheit feststellen konnte, daß die entfernten Massen aus dem 1. Siebbein¬
labyrinth stammten.
Nächsten Tag fühlt sich Patient freier, Nasenatmung jedoch nicht ge¬
bessert, keine Sekretion, Höhlenschleimhaut deutlich abgeschwollen, hinter der
medialen schrumpendeu Wand des Tumors Bieht man das frei gewordene Septum,
dazwischen keine Muschel sichtbar.
In den nächsten Tagen wurden teils restliche Knochenstücke extrahiert,
teils polypös entartete Schleimhautpartien entfernt, bis schließlich die untere,
die mediale und obere Wand der Bulla fast vollkommen entfernt wurden, wobei
«nan die Deviatio septi cart. et ossei merkte. Die Sondierung der Sinus frontalis
*t Hig mori ergab negativen Befund. Aus dem Sinus ethmoidalis wurde kein
Eiter mehr ausgespült.
Atmung vollkommen gebessert. Patient gesund entlassen.
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938 H. Frey. Hof rat Prof. Dr. Heinrich Obersteiner f. — Vereinsberichte.
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|jHofra^rofe8so^Dr^Ieinricl^ber8telne^J\
Am 19. November 1922 ist Heinrich Obersteiner, Professor
filr Physiologie and Pathologie des Zentralnervensystems und Vor¬
stand des neurologischen Institutes der Wiener Universität, aus dem
Leben geschieden. Seine außerordentlichen Verdienste um die Er¬
forschung des Zentralnervensystems und um die Begründung der
wissenschaftlichen Basis der Neurologie sind allgemein bekannt und
ihre Würdigung muß anderen Stellen Vorbehalten bleiben. Aber auch
in diesen Blättern soll das Andenken dieses hervorragenden Menschen
und Gelehrten geehrt werden, dem die Wiener otologische Schule
so viel verdankt. Die Richtung, die unsere Wissenschaft in den
letzten zwei Dezennien eingeschlagen, hat sie in vielfältigste
Berührung mit Problemen der Anatomie, Physiologie und Pathologie
des Zentralnervensystems gebracht, und viele, besonders der jüngeren
Otologen, haben sich unter Obersteiners Leitung und in seinem
Institut, das er selbst begründet und stets mit freigebigster Hand
aus eigenen Mitteln ausgestaltet, der Bearbeitung von Themen aus
dem Grenzgebiete der Otologie und theoretischen Neurologie gewidmet.
Unvergessen wird jedem seiner Schüler sein Arbeitseifer, sein
jugendliches Interesse für alle neu auftauchenden Probleme, und vor
allem sein strenger, selbstkritischer Ernst in allen wissenschaftlichen
Fragen bleiben, gepaart mit der unendlichen Güte und dem Wohl¬
wollen eines begeisterten Lehrers und eines Mannes von höchster
Kultur des Geistes und Gemütes.
Die Erinnerung an seine Persönlichkeit wird in jedem seiner
Schüler wach bleiben, aber noch lange überdauert werden von dem
Ruhm seiner glanzvollen Leistungen auf dem Gebiete Beines Faches,
die unvergänglich sind. H. Frey.
Vereinsberichte.
Österreichische otologische Gesellschaft.
Sitzung Tom 26. Oktober 1922.
Vorsitzender: V. Hamm erschlag.
Schriftführer: E. Urbantsch itsch.
Der Vorsitzende bringt die Dankschreiben der zu korrespon¬
dierenden Mitgliedern der Österr. otol. Gesellschaft gewählten Herren
Prof, ßoenninghaus, Kümmel und Qu ix zur Verlesung.
Gck igle
Original frum
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Vereinsberichte (Ost. otol. Ges., Okt. 1922). 9C9
✓
I. F. A. Bridgett; Philadelphia: Zur Topographie des ab¬
steigenden Fazialis.
Entsprechend der Incisura mastoidea verläuft an der inneren und
nnteren Wand des Warzenfortsatzes regelmüßig eine Leiste, von dem
Autor als „Crista digastrica u bezeichnet. Da die Inc. mast, an der unteren
Fläche des Knochens zum Foramen stylomast, fuhrt, muß auch die Ver¬
folgung dieser Crista innen bis dorthin führen. Die Stelle, wo diese Crista
die hintere Gehörgangswand trifft, gibt das nntere Ende des Fazialis-
Verlaufes im Knochen an. Durch diese Tatsache ist die Orientierung über
den Fazialis bei operativen Eingriffen wesentlich erleichtert. (Erscheint
ausführlich in dieser Monatsschrift.)
Diskussi on:
G. Alexander: Ich sehe den Vorteil der B r i d g e 11 sehen Kon¬
struktion bei ausgedehnter Eiterung im großzelligen Proc. mast., wo die Gefahr
besteht, bei unvorsichtigem Kürettieren den Fazialis im absteigenden Teile zu ver¬
letzen. Es wird sich empfehlen, nunmehr als Vorakt der Ausräumung des Warzen¬
fortsatzes in solchen Fällen diese Linie rasch mit dem Meißel darzustellen, um so
einer Fazialisverletzung au * zu weichen. Das Ergebnis der Bridgett sehen Unter¬
suchungen ist schon deshalb sehr bemerkenswert, weil es überaus klar ist. Man muß
sich wundern, daß diese Frage der Topographie des Fazialis nicht schon längst der
Lösung zu geführt wurde.
Ruttin: Kollege Bridgett hat* mich gebeten, diese Befunde naeh-
zuprüfen und ich hatte Gelegenheit, diese Leiste wiederholt am Kadaver aus-
zupräparieren. Sie zeigt sich besonders bei pneumatischen Warzenfortsätzen sehr
schön und konnte tatsächlich einen wertvollen Anhaltspunkt für die Lage des Fazialis
in diesen Fällen bilden.
II. E. Ruttin: Labyrintheiterimtr, Meningitis, Sinusthrom¬
bose. Operation, Heilung.
Die 58jährige Frau M, W. leidet seit 10 Jahren an Ohrenfluß
rechts. Vor 4 Wochen neuerlich starker Ohrenfluß, Kopfschmerz, Er¬
brechen und Drehschwindel. Bei der Aufnahme am 31. Augnst 1922
zeigt sich der rechte Gebörgang mit Polypen erfüllt, der Warzenfortsatz
druckempfindlich, Fazialparese in allen drei Ästen. Taubheit und kalorische
Unerregbarkeit rechts und etwas spontaner Nystagmus nach beiden Seiten,
Temperatur 38, leichte meningeale Symptome (Nackensteifigkeit, Kernig
augedeutet). Lumbalpunktat trüb, das Gesichtsfeld von polynukleären Zellen
tibersät, mikroskopisch und kulturell steril. Operation (31. VIII. 1922):
Radikaloperation. Der horizontale Bogengang fehlt vollständig, an seiner
Stelle ein tiefes kraterförmiges Loch, aus dem flüssiger Eiter aus dem
Labyrinth hervorkommt. Der Fazialis liegt im horizontalen Teil frei. Das
ovale Fenster ist leer. Labyrinthoperation nach Neu mann. Die Dura
der hinteren Schädelgrube wird freigelegt und ist normal. 2. IX. Lumbal¬
punktion, weniger trüb, 800 polynukleäre Zellen. 4. IX. Lumbalpunktion;
700 Zellen, Pandy —f-. Augenhintergrund normal. 7. IX. Lumbal¬
punktion: 50 Zellen. Neurologischer Befund negativ. 9. IX. Lumbal¬
punktion: klar, 11 Zellen. Bis zum 9. IX. war die Temperatur sub-
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94(1
Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Okt. 1922).
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febril, außer den ersten 3 Tagen nach der Operation, vo die
Temperatur auf 38 8 ging. Am 9. IX. plötzlich 40° und Schüttelfrost.
Aber schon am nächsten Tage ging die Temperatur herunter und bewegte
sich in der nächsten Zeit zwischen 37 und 38°. Vom 22. bis 24. IX.
täglich Erbrechen, Kopfschmerz, Nystagmus nach beiden Seiten. Am
26. IX. 39 - 5°. Der Puls bewegte sich immer zwischen 90 und 100. Der
neuerliche Augenbefund war wieder normal.
Die Diagnose war in diesem Momente unklar. Die Meningitis war
abgeheilt, es konnte sich aber um einen Fall handeln, wie ihn, wie ich
glaube, Schmiegelow beschrieben hat, der, trotzdem das Lumbal¬
punktat klar wurde, an der Meningitis zugrunde ging, Oder es konnte
sich um einen Kleinhirnabszeß handeln und schließlich war auch Sinus¬
thrombose möglich.
Es wurde daher eine neuerliche Operation vorgenommen (25. IX. 1922):
Auskratzung der Granulationen, wodurch die Dura hinter dem Labyrinth
wieder zur Ansicht gebracht wird. Sie ist graurot, verdickt, nirgends
eitrig belegt. Punktion ins Kleinhirn mit der Spritze in verschiedenen
Richtungen negativ. Freilegung des Sinus, der graurot verdickt ist.
Probepunktion: Kein Blut. Jugularisunterbindung. Ausräumung des Sinus,
der zuin Teil zerfallene, zum Teil organisierte Thromben enthält. Lumbal¬
punktat klar: 230 polynukleäre Zellen.
Es handelte sich also in diesem Falle um eine diffuse eitrige,
latente Labyrinthitis mit Meningitis. Nach der Labyrinthoperation heilte
die Meningitis aus und am Tage des ersten klaren Punktates traten die
Symptome einer wohl schon bestehenden Sinusthrombose auf, die aber
sofort wieder in ein Latenzstadium traten und erst später wiederkamen.
Mit den manifesten Symptomen der Sinustbrombe trat wieder Zell¬
vermehrung im Punktat ein. *
III. E. Ruttin: Chronische Mittelohreiterung mit Zerstörung
der vorderen und unteren Gehörgangswand und Senkungsabszeß
in den Pharynx. Radikaloperation. Drainage vom Ohr in den
Pharynx. Heilung.
Der 53jäbrige J. S. wurde am 7. IX. 1922 in die Klinik au
genommen. Er hat wohl als Kind Scharlach durchgemacht, weiß aber
nichts von Ohrenfluß. 1917 und 1918 arbeitete er in einer Munitions¬
fabrik und wurde infolge von Explosionen schwerhörig. Vor 3 Jahren
verspürte er im linken äußeren Gehörgang ein Gewächs, welches beim
Fingerbohren leicht blutete. Vor 7 Wochen begann es zu schmerzen^
weshalb er die Klinik aufsuchte und ambulatorisch behandelt wurde. Bei
der Aufnahme zeigt sich der linke äußere Gehörgang vollständig mit
Granulationen erfüllt, an der unteren knöchernen Gebörgangswand mit
der Sonde eine rauhe Stelle tastbar. Die Parotisgegend zeigt eine teigige
nicht schmerzhafte Schwellung. Das linke Ohr ist für Sprache und
Stimmgabeln taub, kalorisch und auf Drehen erregbar. Leichte
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Okt. 1922).
1)41
Fazialparese. Wassermann negativ. Probeexzision ergibt nur fibröse Polypen.
Am 17. IX. bekam der Patient 38 3, Schmerzen im Halse und in der
Geschwulst, die auch an Größe zugenommen hat. Der linke Gaumen¬
bogen ist geschwollen und gerötet und bei Druck auf denselben entleert
sich Eiter aus dem Ohr. Erst am 21. IX. konnte die Operation vor¬
genommen werden: Radikaloperation. Knochen sehr sklerotisch. Bei Ent¬
fernung der den ganzen Gehörgang und die Trommelhöhle ausfüllenden
Granulationen starke Blutung, die aber durch Tamponade beherrscht
wird. Es zeigt sich nun die ganze vordere und zum Teil auch untere
knöcherne Gehörgangswand zerstört und in den Weichteilen vor und
unter dem knöchernen Gehörgang ein Abszeß. Geht man mit der Korn¬
zange in diesen Abzeß ein, so kann man bis in den Pharynx gelangen
und den weichen Gaumen links vorwölben. Es wird nun ein langes
Drainrohr vom Ohr in den Abszeß eingeschobon und durch eine
Inzisionsöffung im linken weichen Gaumen zum Munde herausgeleitet;
ferner wird ein kleiner, von dem erwähnten Abszeß unabhängiger Parotis-
abszeß eröffnet und drainiert. Der Patient ist bis auf eine schön
granulierende Iladikaloperationshöhle heute vollständig geheilt. Der Fall
hatte ganz das Aussehen eines Tumors, es war aber doch nur eine
chronische Otitis mit fibrösen, blutreichen Granulationen und einem
Durchbruch des Eiters in den Pharynx. Für diese Fälle ist wohl diese
Art der Drainage, die ich schon einmal vor Jahren hier vorgestellt habe,
wo sie möglich ist, die beste. In diesem Falle konnte die Drainage in
4s Stunden weggelassen werden und es war nur mehr der einfache
Verbandwechsel vom Ohre aus nötig.
IV. 0. Beck: Akute Otitis und Fazialparese vor Beginn
der Sekretion.
Die 57jährige Patientin war immer gesund. Hat 4 lebende Kinder,
3 Abortus. Bis zum 10. August dieses Jahres war sie stets ohrgesund.
An diesem Tage fühlte sie starke Schmerzen im rechten Ohre und eine
Herabsetzung des Hörvermögens, gleichzeitig trat starker Kopfschmerz
auf, geringe Temperatursteigerung. 2 Tage später wurde das Gesicht
schief; zuerst bemerkte sie die Fazialparese im Mundast, erst später im
Augenast. Nach 3tägigem Bestehen dieser Facialparese trat aus dem
rechten Ohr Ohrfluß auf. Dieser war nach Angabe der Patientin sehr
gering und dauerte nur 8 Tage. Es bestand niemals Schwindel, Gleich¬
gewichtsstörungen oder Erbrechen. Ich sah die Patientin das erstemal
einen Monat nach Beginn der akuten Otitis und es ergab sich folgender
Befund: R. 0. Trommelfell retrahiert, getrübt, das linke Ohr
normal. Das Gehör am rechten Ohr ist im Sinne eines typischen Schall¬
leitungshindernisses auf 3 m Konversationssprache und 1 m Flüstersprache
herabgesetzt. Kein spontaner Nystagmus, spontan kein Fehler in der
Zeigereaktion. Die kalorische Reaktion rechts ergab nach 60 Sek. Spülung
mit 18gradigem Wasser typischen Nystagmus mit typischem Vorbeizeigen
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Vereinsberichte (öst. otol. Ges., Okt. 1922).
9 12
in beiden Armen.— Drehreaktion: Kopf aufrecht: 10 mal r. 30 Sek.,
10 mal 1. 18 Sek.; Kopf vorgeneigt: 10 mal r. 16 Sek., 10 mal 1. 12 Sek.
Nach der Drehang immer typischer Nystagmus mit typischen Reaktions-
hewegungen in beiden Armen. Im weiteren Verlauf besserte sich unter
der usuellen Behandlung das Hörvermögen der rechten Seite. Derzeit ist
das Trommelfell glänzend, normal, vieleicht ein wenig retrahiert. Stimm¬
gabelbefund ergibt keine Anhaltspunkte mehr für ein Schalleitungshindernis,
die vestibulären Reaktionen sind ebenso wie früher. Neurologischer Befund
(Doz. Schacherl) ist negativ. Die elektrischen Erregbarkeitsverhält¬
nisse des Fazialis ergeben eine deutliche Untererregbarkeit für den
faradischen Strom und eine Übererregbarkeit für den galvanischen Strom,
also bereits Zeichen einer Entartungsreaktion. Dabei ist es auffallend,
daß der Augenast nicht nur klinisch, sondern auch elektrisch am wenigsten
von den Veränderungen betroffen ist. Wassermann negativ.
Es handelt sich also um eine Kranke, bei der 2 Tage nach dem
Auftreten der ersten Symptome einer akuten Otitis eine alle drei Äste
befallende Fazialparese aufgetreten ist. Erst 3 Tage nach dem Bestehen
der Fazialparese, also 5 Tage nach dem Beginn der ersten Ohrerscheinungen
tritt Sekretion aus dem Ohre auf. Eine bakteriologische Untersuchung des
Eiters konnte nicht vorgenommen werden, da ich die Patientin erst nach
<lem Sistieren des Ohrflusses das erstemal sah und man wird natürlich
aus der Art des Auftretens und des Verlaufes der Mittelohrerkrankung
eine Mukosusinfektion nicht ausschließen können. Aus dem Verhalten
des Fazialis aber muß man doch annehmen, daß der Nerv in seinem
epitympanalen Anteil betroffen ist, weil erfahrungsgemäß, wie wir aus
histologischen Schnitten wissen, häufige Dehiszenzen im Fallopischen
Kanal getroffen werden. Es handelt sich also bei dieser Kranken um eine
Läsion des Fazialis in seinem epitympanalen Verlauf, wobei das Auf¬
treten der Parese 3 Tage vor dem Beginn des Ohrflusses besonders
merkwürdig ist.
D i s k u s s io n:
G. Alexander: Ich habe einen solchen Fall gesehen, der lange im Spitale
lag, bei dem Diagnose und Prognose längere Zeit unklar blieben und später, nachdem
er wochenlang zu Hause gewesen war, plötzlich die Symptome einer akuten Menin¬
gitis zutage traten. Ich bin davon abgekommen, die Dehiszenzen so sehr für die
Fazialislähmung verantwortlich zu machen. Es gibt ja so viele Dehiszenzen und
so wenige Fazialislähmungen.
O. Be e k (Schlußwort): Der Einwand Alexanders ist gerechtfertigt.
Es sind uns die Dehiszenzen im epitympanalen Anteil des Fazialis gut bekannt, und
wir wissen, daß sie viel häutiger Vorkommen als man allgemein anniramt. Besonders
an dem Kindermaterial der Klinik konnten wir bei frischen akuten Otitiden Fazial-
paresen öfter beobachten. Bei Erwachsenen ist es aber ein recht seltenes Ereignis
und deshalb habe ich mir erlaubt, den Fall vorzustellen. Daß natürlich mehr Menschen
Dehiszenzen haben als Fazialjmresen bei akuten Otitiden auftreten, dürfte mit der
Versehiedenheit des Verschlusses dieser Dehiszenzen und noch von anderen uns
derzeit unbekannten Faktoren abhängen.
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Vereinsberklite (Ost. otol. Ges., Okt. 1922).
«Mo
V. J. Popper: Meningitis nach Extraduralabszeß der
hinteren Schädelgrube, Heilung.
Der 21jährige Patient wurde mit einer angeblich 2 Jahre alten,
akut exazerbierten chronischen Otitis des rechten Ohres in schwer krankem
Zustande an die Klinik N e u m a n n gebracht. Patient erbrach, war leicht
benommen und klagte ttber starke Kopfschmerzen. Der Kochlearbefund
war entsprechend dem Mittelohrbefunde, der Vestibularapparat typisch
reagierend, kein spontaner Nystagmus. Es bestand Nackensteifigkeit,
Kernig, kein B a b i n s k i, bei normalem Augenhintergrunde. Die
sofortige Totalaufmeißelung ergab ein mit Cholesteatom erfülltes Antrum
und Mittelohr; ein'Cholesteatomzapfen führte zur Dura der hinteren Schädel¬
grube. Diesem Wege folgend, wurde daselbst ein Extraduralabszeß er¬
öffnet. Die oben angeführten Symptome ließen an einen Hirnabszeß denken,
eingehendes Suchen nach einem solchen blieb jedoch erfolglos. Eine am
Schlüsse der Operation vorgenommene Lumbalpunktion ergab unter hohem
Druck stehendes, eitrig getrübtes Punktat. Eine Zählung der geformten
Elemente war nicht möglich, da das ganze Gesichtsfeld von Zellen über¬
schwemmt war. Temperatur und Puls waren in den ersten 3 Tagen nicht
korrespondierend, 37 bis 39*6 Temperatur bei 78 bis zirka 100 Puls,
das Allgemeinbefinden war in dieser Zeit ebenfalls ein schlechtes. Die am
vierten Tage ausgeführte Lumpalpunktion ergab etwas klareres Punktat,
mit 470 Zellen. Diesem Befunde - entsprechend hob sich auch auch das
Allgemeinbefinden, eine dritte Punktion ergab ungefähr dasselbe Resultat,
der Zustand des Patienten blieb ein ausgezeichneter. Nach 6wöchentlichem
Aufenthalte an der Klinik konnte er entlassen werden. Die Punktate
waren stets steril.
Ob es sich in diesem Falle um ein Übergreifen irgendwelcher Art
auf den Liquor als solchen handelt oder ob diesem Symptomenkomplexe
eine pathologisch-anatomische Schädigung der Meningen in der Hauptsache
zu Grunde liegt, kann ich natürlich nicht entscheiden, jedenfalls
handelt es sich hier aber um einen Fall jener Art, die in der Literatur
als „geheilte Meningitis“ beschrieben werden.
VI. H. H o f m a n n: Traumatische Atresie des linken Ge¬
hörgangs.
Vor 4 Jahren wurde der jetzt 12 jährige Patient von einem Wagen¬
rad erfaßt und erlitt dabei nebst einer Commatio cerebri einen teilweisen
Abriß der linken Ohrmuschel, die von einem Arzt wieder angenäht wurde
und anschließend per primam anheilte. Gegenwärtig zeigt Patient folgendes
Bild: Atresie des Ohreinganges; man hat den Eindruck, daß die Atresie
dadurch zustande kam, daß die Ohrmuschel beim Annähen zu weit nach
vorn verzogen wurde. Der Umstand, daß das Gehör ziemlich gut ist
(V 6 m, v 1 m), sowie der Röntgenbefund, der keinerlei Veränderungen
des knöchernen Gehörganges oder Mittelohres zeigt, sprechen dafür, daß
das Trauma seinerzeit sich nur auf das äußere Ohr beschränkt hatte.
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Vereinsberichte (Öst. otol. Ges., Okt. 1922).
944
VII. G. Hofer and K. L e i d 1 e r: Kongenitale Deformität
des linken Ohres (Klappolir), nach einer neuen Methode operativ
korrigiert.
Der 8jiihrige Knabe hatte beiderseits abstehende Ohren. Das linke
Ohr zeigte außerdem die als Klappohr bekannte Deformität, d. h. das
obere Drittel des Ohres war bis fast in das Niveau des äußeren Gehör¬
ganges nach unten und vorn umgeklappt. Das Relief der Vörderfläche
dieser Ohrmuschel war höchst mangelhaft, d. h. es bestand kein Antihelix,
so daß die ganze Vorderfläche in eine fast glatte Konkavität umgewandelt
war, die man am ehesten als eine bis an den (stark vergrößerten) oberen
Helixrand erweiterte Cymba conchae charakterisieren könnte. Es war
nun durch Eindruck des Fingers von der Hinterfläche der Ohrmuschel
leicht möglich, einen scharfrandigen Antihelix zu bilden und auf diese
Weise den ganzen oberen Teil der Ohrmuschel aufzurichten. Wir hatten
nun die Aufgabe, erstens mit möglichster Schonung des Materials den
Knorpel in diese Form zu bringen und zweitens durch eine sichere und
dauerhafte Fixierung so lange in dieser Lage zu erhalten, bis er verheilt war.
Dies wurde in folgender Weise ausgeführt: 5. IX. 1922. In Äther¬
narkose wurde von einer kleinen Einstichöffnung an der Hinterfläche der
Ohrmuschel aus subperichondrial der Knorpel entsprechend dem auf oben
beschriebene Weise gebildeten Antihelix bis an die Haut der Vorderfläche
(welche nirgends verletzt wurde) durchtrennt. Der Schnitt ging vom Helix
ascendeus bis zum Antitragus. Nun wurde an zwei Stellen (in der Höhe des
Helix und in der Höhe des äußeren Gehörgangs) durch beide nengebildete
Knorpelblätter, u. zw. durch den Knorpel und die Haut der Hinter- und
Vorderfläche, je eine zirka 12 cm lange Stahlnadel hindurchgestochen,
welche die Aufgabe hatte, den durchtrennten Knorpel in der neuen Lage
zu fixieren. Nach sehr sörgfältiger und ausgiebiger Polsterung der Nadeln
(zur Verhütung von Dekubitus) und der Ohrmuschel wurde über dem
Operationsfeld ein halbkugeliger kindlicher Narkosekorb durch einen
Blaubindenverband fixiert. Dieser hatte einerseits die Aufgabe, die Ohr¬
muschel gegen Traumen (Druck des Verbandes usw.) zu schützen, anderer¬
seits bot er die Möglichkeit, den Wundverlauf durch bloßes Lüften der
locker eingelegten Gaze zu kontrolieren, ohne den Verband zu wechseln.
Der Verlauf war ein ausgezeichneter. Der in den ersten Tagen sich aus¬
bildende leichte hämorrhagisch-seröse subperichondriale Erguß in der Um¬
gebung des Knorpelschnittes verschwand nach zirka 1 Woche vollkommen.
Nur an den Einstichöffnungen der Nadeln bildete sich eine kleine, nicht-
eitrige (sterile) Kruste. Nach 20 Tagen wurde die obere, nach 25 die
untere Nadel und nach 30 Tagen der Schutzkorb entfernt. Von da an wurde
die Ohrmuschel noch bis vor 8 Tagen mittels Heftpflastern und Kom¬
pressionsverbandes fixiert. Seit 1 Woche wird das Ohr vollkommen frei
getragen.
Der Erfolg ist, wie Sie sehen, ein ausgezeichneter. Die Ohrmuschel
zeigt ein ausgeprägtes Relief an der Außenfläche, das Klappohr ist behoben
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Vereinsberichte (Ö U*m. otol. Ges. Okt. 1922).
945
und nirgends sieht man irgendwelche Narben oder Reste einer Periclion-
dritis. Die Schnittwunde an der Hinterfiäche ist per primam geheilt. Ob
es noch in einem späteren Zeitpunkte notwendig sein wird, wegen des
Abstehens der Ohren eine von den üblichen Operationen vorzunehmen,
kann heute noch nicht entschieden werden. Jedenfalls stört das leichte
Abstehen der linken Ohrmuschel bei dem fast normalen Relief derzeit
gar nicht. Wir haben übrigens, seit wir uns mit dieser Frage beschäftigen,
beobachtet, daß ein Teil der abstehenden Ohren ebenfalls einen schlecht
ausgebildeten Antihelix zeigt, und daß es vielleicht gelingen wird, in
einer großen Zahl von solchen Fällen durch unsere Methode allein die
Deformität zu beheben, ohne die üblichen, jedenfalls eingreifenderen
Methoden zu verwenden.
Wenn wir somit zusammenfassen, so zeichnet sich unsere
Methode vor allem durch ihre Einfachheit und
dadurch aus, daß nichts vom Material der Ohr¬
muschel verloren geht. Außerdem ist die Infektions¬
möglichkeit dadurch auf ein Minimum reduziert, daß
nur minimale Kontinuitätstrennungen der äußeren Haut notwendig sind.
Demonstration des Patienten, seiner Photographien vor der Operation und
der Fixationsnadeln. Die aussührliche Publikation wird nach Sammlung weiterer
Fülle folgen.
Diskussion:
E. R u t t i n: In den meisten solchen Fällen geht es auch nach meiner Methode
ganz gut. wobei man den Vorteil hat. daß man am Knorpel nichts zu machen, also
auch ein Hämatom oder eine Infektion nicht zu befürchten hat. Wie ich sehe, ist
der springende Punkt die Bildung eines Antihelix, und das geht mit meiner Methode.
Da wird er sieh — bitte, sehen Sie meine Herren — von selbst ganz tadellos bilden.
Meine Fälle haben einen ganz schönen Antihelix bekommen. Ich glaube daher, daß
man mit der einfachen Exzision der Haut usw. nach meinem Verfahren auskommt.
H. Frey: Kollege Hofer hat Recht, daß es sich bei den abstehenden Ohren
nicht allein um Stellungsanomalien handelt; cs sind auch zu große Ohren. Die
Methode von Ru 11 in ist gewiß sehr gut. aber ganz natürlich schauen die Ohren
dann doch nicht aus, weil der Knorpel die Tendenz hat, zu federn. Und das scheint
mir das Wichtigste an der Methode Hofer-Leid ler, daß der Knorpel etwas
von seiner Elastizität verliert. Auf die Vermeidung der Lokalanästhesie wegen der
Angst vor der Infektion möchte ich nicht viel Wert legen. Der Knorpel ist einer
Infektion nicht so leicht zugänglich. Wenn Perichondritiden Vorkommen, so liegt
gewöhnlich ein Fehler in der Asepsis vor. Im Kriege habe ich sehr viele Ohrmusehel¬
verletzungen — Quetschungen, .Schnitte — gesehen und niemals dabei eine Peri-
chondritis.
R. L e i d 1 e r: loh weiß, daß R u t t i n s Methode sehr gut ist und habe sie
selbst angewandt, aber ich weiß nicht, wie viel Klappohren er damit operiert hat.
Hätte Patient nur abstehende Ohren gehabt, so hätten wir nicht nach einer neuen
Methode gesucht. Ich glaube nicht, daß hier das Ohr nach der Methode R u 11 i n s
so schön geworden wäre, weil ein herabhängendes Ohr durch eine einfache Exzision
der Haut nicht ein solches Relief bekommt. Es kommt nicht auf die Stellung, sondern
auf das Relief an. Es gilt Menschen, die ein normales Relief und abstehende Ohren
haben, für ein anderes Ohr kommt es sehr auf das Relief an. Es würde mich inter¬
essieren, wenn uns Ruttin einen Fall von Klappohr zeigen würde. Wir werden
noch weitere Fälle sammeln.
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1)46
Vereinsberichte (Üsterr. otol. Ges., Okt. 1922).
VIII. L e i d 1 e r and Ftemel: Über Schwindel bei Labyrinth-
erkranhungen. Vortrag. Erscheint ausführlich in dieser Monatsschrift.
Diskussion:
V. H ara merschlag: Es ist sehr wertvoll, in jedem Falle von Schwindel
die Patienten genauestens nach ihren subjektiven Empfindungen zu befragen. Ich
habe dieses Verfahren selbst seit Jahren mit Erfolg geübt. H. teilt hierauf zwei sehr
interessante diesbezügliche Beobachtungen mit.
R. L e i d l e r: Die erste Beobachtung Hammerschlags ist sehr inter¬
essant, weil sie uns auf das dritte Kapitel der Untersuchungen des Schwindels führt,
nämlich den Schwindel bei organischen Hirnerkrankungen. Ich arbeite schon seit
langem mit L ö w y an dieser Frage. Nun ist es interessant, daß der Patient
Hammerschlags eine Meningitis hatte und daß Pick in Prag vor nicht
langer Zeit eine analoge Beobachtung in I oder 2 Fällen einer komplizierten or¬
ganischen Hirnerkrankung gemacht hat. Der eine Patient Picks hatte auch un¬
gewöhnliche Schwindelwahrnehmungen, unter anderem auch, daß sein Bett oder
das seiner Umgebung vertikal vor ihm stand und sogar an der Wand sich bewogt hat,
also ungemein komplizierte visuelle Erscheinungen, w r ie sie bei einem rein Labyrinth-
kranken nicht beobachtet wurden. Zu halluzinatorischen Erscheinungen gehört auch
sicher eine Hiruerkrankung. Es wird notwendig sein, herauszuschälen, was für die
einzelnem Schwindelformen bei den einzelnen Erkrankungen charakteristisch ist.
Jin Prinzip bietet der Schwindel nirgends etwas anderes, beim Labyrinth- und
neurotisch Kranken subjektiv' eigentlich dasselbe Symptomenbild.
H. Brunner: Zu den wichtigsten Fragen, welche das Schwindelproblem
bietet-, gehört, wie ich glaube, die, welche der verschiedenen psychischen Phänomene,
die man gemeinhin als ,,Schwindel 4, zusammenfaßt, auf das Labyrinth bzw. dessen
Nerven zurückzuführen sind. Gerade von diesem Standpunkte aus ist es von Be¬
deutung, auf die weit zurückliegenden Untersuchungen von Purkinje zurück¬
zugreifen, der schon zu Beginn des vorigen Jahrhunderts den Labyrinthschw'ir.del
in einen ,,Augen- 44 und einen ,,Tastschwindel 44 unterteilt hat, wobei er unter Augen¬
schwindel die Scheinbewegung der im Sehraume, unter Tastschwindel die Schein¬
bewegung der im Ta st rau me befindlichen Gegenstände verstanden hat. Wenn wir
nun auch heute wissen, daß der labyrinthäre Drehschwindel durchaus keine reine
Folgeerscheinung des Nystagmus darstellt, so ist doch anzunehmen, daß der
Nystagmus zur Empfindung der Scheindrehung der Gegenstände beiträgt.
So klar nun auch die Verhältnisse bezüglich des Dreh schwindeis sowie be¬
züglich dessen Beziehung zum Labyrinthe liegen, so umstritten sind bis jetzt noch
die Phänomenologie und die Ätiologie des Ta«tschwindels. Wenn man in Abweichung
von der Definition Purkinjes unter der Bezeichnung ,,Tastschwindel 44 alle
die psychischen Vorgänge zusammenfaßt, welche während des labyrinthären
Schwindels auf dem Wege durch die Körpersensibilität ausgelöst werden, so lassen
sich bis jetzt vor allem zwei Typen des Tastschwindels hervorheben: erstlich die
Täuschungen über die Lage der im Tastraume befindlichen Gegenstände, zweitens
die Lateropulsion. Zu der ersten Gruppe von Erscheinungen gehören die Empfindung
der Schiefstelluug des Bettes, der Schiefstellung des Plafonds usw., Erscheinungen,
die man sow r ohl bei den vom Labyrinthe ausgelösten, endokraniellen Komplikationen,
aber auch bei leichtesten Graden von Labyrintherkrankungen (bei Otitis media
acuta, bei Adhäsionsprozessen usw.) antreffen kann. Hierher gehören auch die Er¬
scheinungen, über die der von Herrn Prof. Ham m erschlag erwähnte Patient klagte.
Die Lateropulsion, die schon seinerzeit Babinski und Nageotte be¬
schrieben haben, besteht darin, daß der Patient den unwiderstehlichen Zug, nach
einer Seite zu fallen, empfindet, meist nach rechts oder links. Daneben kann der
Patient auch Drehschwindel empfinden. Ich habe das Gefühl der Lateropulsion
besonders in Fällen gefunden, in denen eine Erkrankung des zentralen Vestibular-
svstems unzunehmen war. Bei otogenen, intrakraniellen Komplikationen wird das
Gefühl der Lateropulsion nicht angegeben.
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Vereinsberichte (Wiener lar -rhinol. Ges., Nov. 1922).
947
l)ii se Unterteilung des Labyrinth Schwindels in Dich- und Tastschwindel
erschöpft wahrscheinlich nicht die ganze Phänomenologie des labyrinthären
Schwindels, sie zeigt jedoch, daß das ganze Problem sich nicht so einfach gestalt et,
wie das allgemein gelehrt wird und bi stätigt insoferne die Anschauung L e i d 1 e r s.
E. Ruttin: Vielleicht sind die Fälle Hammerschlags, die diese
vertikale Empfindung hatten, auch in anderer Weise zu erklären. Denn da es sieh
uni Meningitisfülle handelt, wäre es auch möglich, daß bei einem Einbruch in den
Ventrikel ein vertikaler Nystagmus entstand und dadurch diese vertikale Schein-
liewegung hervorgorufen wurde.
L e i d 1 e r (ad Brunner): Es ist im großen ganzen das, was eigentlich
meine Absicht war, als ich vor Jahren das ThWia des Schwindels in Angriff nahm.
Das Schwindelgefühl ist ein psychisches Erlebnis. Jeder Mensch weiß, was er
empfindet, wenn er Schwindel hat oder hatte. Es handelt sich ja nur darum, auf
wissenschaftlicher Basis eine Definition dessen zu geben, was wir unter Schwindel
verstehen wollen. Es ist ein Wort. Nun werden wir ja selbstverständlich zum Resultate
kommen, daß wir Schwindel jenes Erlebnis zu nennen haben, das wir in seiner
klassischen Form bei der Labyrinthreizung erleben. Unsere Aufgabe ist es, heraus-
zuschälen, was davon zum Labyrinthschwindel gehört.
Wiener laryngo-rhinologische Gesellschaft.
Sitzung vom 8. November 1932.
Offizielles Protokoll.
Vorsitzender: H a j e k.
Schrift fühl ei: W e s s e 1 y.
I. Begrüßung der Versammlung durch den Vorsitzenden und Nachruf
für die Verstorbenen G u t z m a n n und Katzenstein. Die Versamm¬
lung erhebt sich zum Zeichen der Trauer von ihren Sitzen. Eine entsprechende
wissenschaftliche Würdigung der Verdienste erfolgt demnächst.
II. Marschik: Verengerung des Tracheostomas nach Totalexstir¬
pation durch zirkumskripte Perichondritis nnd peritracheale Striktur.
Der Fall bildet einen wichtigen Beitrag zur Chirurgie und Pathologie
der Trachea. In einer kürzlich erschienenen Arbeit habe ich Gelegenheit
genommen, Nieder einmal auf die Schäden hinzuweisen, denen die Tracheal-
wand durch den unnachgiebigen Fremdkörper der dauernd liegenden Kanüle
bei der gewöhnlichen Tracheotomie ausgesetzt ist, und über die Wieder¬
aufnahme von Versuchen berichtet, durch Tracheotomie, d. h. An¬
legung eines genügend breiten, die Kanüle primär entbehrlich machenden
Tracheostomas, ein altes Problem der Chirurgen, jenen Schäden aus dem
Wege zu gehen. Wie ich dort ausgeführt habe, ist es trotz aller Sorgfalt der
Operation und. Nachbehandlung, Wahl und Wechsel der Kanülen usw. in
einem guten Teil der Fälle nicht möglich, den Dekubitus in der Trachea
mit seinen Folgen, der Perichondritis, Sequestration oder Atrophie der
Knorpel, Jraeheomalazie, dauernde Verengerung usw. zu verhüten.
In dem vorgestellten Fall handelt es sich um eine 58jährige Frau,
bei der ich vor 3 K Jahren wegen Karzinom die Totalexstirpation nach Gluck
ausgeführt habe. Die Wundheilung erfolgte anstandslos ohne Fistel, auch das
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948
Wreinsbeiichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
Tracheostoma heilte glatt und blieb dauernd weit, wie Sie auch heute sehen.
Doch kam es auf der linken Seite nahe der Mündung zum Dekubitus durch
die Kanüle. Nach sorgfältiger Nachbehandlung heilte dieser endlich langsam
aus, aber die durch ihn erzeugte Perichondritis der Trachealknorpel auf
dieser Seite führte zu einer dauernden, auch heute noch sichtbaren Schwellung,
die in konvexem Bogen in das Lumen vorspringt, während die rechte Wand
die normale konkave Ausladung zeigt. Die dadurch bedingte Verengerung
der Lichtung ist nicht so hochgradig, daß sie die freie Atmung behinderte,
die Patientin trägt seit Jahr und Tag keine Kanüle und ist im übrigen auch
im Besitze einer vorzüglichen Pharynxstimme, die vollkommenen Ersatz
für den Defekt des Kehlkopfes bietet. Bei genauerer Betrachtung des un¬
regelmäßig nierenförmig gestalteten Tracheostomas fällt uns nun auf, daß
trotz der scheinbar perichondritischen Schwellung die Ringzeichnung deutlich
erhalten ist und man eher den Eindruck hat, als würde die linke Tracheal-
wand durch einen Tumor nach innen gedrängt. Längere Beobachtung und
Überlegung brachten mich zu der Ansicht, daß es sich hier um eine extra-
tracheale Striktur handelt, erzeugt durch Ausbildung von später
schrumpfendem entzündlichem Infiltrat und Bindegewebe infolge von Peri¬
chondritis externa, die in diesem Falle anscheinend gegenüber der
bald zur Ausheilung gekommenen Perichondritis interna im Vordergründe
der Erscheinung steht. Die an der Außenseite der Trachea
sich aus bildende Striktur hat zu einer Einstülpung
deranscheinendweniggeschädigtenKnorpelspangen
geführt.
Diesen extratrachealen Strikturen hat sich in letzter Zeit das Interesse
der Chirurgen, namentlich hei der Struma, zugewendet. Man hat empfohlen,
bei Tracheomalazie, die noch während der Strumaoperation festgestellt wird,
die Trachea mit einem Fettlappen zu umwickeln, um zu verhüten, daß durch
die peritracheale Operationsnarbe die erweichte Trachealpartie dauernd
verengt und damit das Resultat der Strumektomie zunichte gemacht wird.
Für uns Laryngologen haben diese Fälle insofern erhöhte Bedeutung, als sie
die ungünstigere Form der Verengerungen darstellen. Die Einwirkung jedes
dilatierenden Vorgehens kann nur indirekt erfolgen durch die mehr
weniger intakte Trachealwand hindurch, die also auch die normale Empfind¬
lichkeit gegenüber mechanischen Läsionen besitzt. Jede Art progressiver
Dilatation muß also bei solchen Formen von Strikturen mit besonderer Vor¬
sicht und Zartheit vor sich gehen, und um das Interesse und die Aufmerksam¬
keit der Laryngologen gerade auf diese wenig beachtete Form zu lenken,
habe ich mir erlaubt, diesen Fall heute hier vorzustellen.
, III. Hirsch: Über die chronisch-katarrhalische Kieferhöhlen
entzündung und ihre Beziehungen zu den Nasenpolypen.
1. In der letzten Sitzung der laryngologischen Gesellschaft* habe ich
über 4 Fälle berichtet, bei denen sich eine Art hochgradiger Entzündung der
Kieferhöhlenschleimhaut fand, die den Anatomen sehr gut bekannt war.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
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von den Klinikern aber nicht beachtet wurde. Es handelt sich um die chronisc h
katarrhalische Kieferhöhlenentzündung. Diese Kieferhöhlenerkrankung ist
charakterisiert durch eine hochgradige ödematöse Schwellung der Kiefer¬
höhlenschleimhaut, so daß die ganze Höhle mit hvdropischen Höckern erfüllt
ist. Sekret ist entweder gar nicht oder nur in geringer Menge enthalten.
In letzter Zeit habe ich drei weitere Fälle dieser Art gesehen und stelle
sie heute vor.
Die eine Patientin litt an wässerigem Schnupfen, der ganz besonders
im Winter kein Ende nahm. In der Nase fanden sich Polypen beiderseits,
die Punktion war beiderseits negativ. Da die Beschwerden hauptsächlich
rechts waren, machte ich rechts die Kieferhöhlenradikaloperation. Die Höhle
war mit dicker sulziger Schleimhaut ausgekleidet, keinerlei Sekret.
Die zweite Patientin steht seit 26 Jahren w r egen Nasenbeschwerden
in Behandlung, wurde wegen Polypen viermal operiert. Ihr Leiden besserte
sich, aber sie neigte stets zu Schnupfen. Vor zwei Jahren kam sie in meine
Behandlung und wurde auch von mir an Polypen operiert. Die Polypen
rezidivierten. Ich eröffnete daher das linke Siebbein, doch auch nach dieser
Operation rezidivierten die Polypen. Die Punktion ergab nur einen dünnen
Faden schleimigen Sekretes. Die ganze Kieferhöhle war erfüllt von ödematöser
Gescfnmlst, die sich als ödematös geschwollene Schleimhaut der medialen
Wand erwies. Als ich eine Woche nach der Radikaloperation die Polypen¬
rezidive operieren wollte, war nur ein schmaler Wulst, aber keine Polypen
mehr zu finden.
Der dritte Patient wurde voriges Jahr an Polypen operiert und kam
vor wenigen Wochen in meine Behandlung. Die linke Seite war voll von
Polypen. Punktion ergab wenig schleimiges Sekret. Bei der Radikaloperation
war ein sonderbarer Befund. Nach Eröffnung der lateralen Wand wölbte sich
die Schleimhaut wie eine Geschwulst vor und konnte wie ein Polyp vorgezogen
w erden. Bei näherer Untersuchung findet sich, daß von der lateralen Wand ein
trichterförmiger Zipfel zum Ostium maxillare quer durch die Kieferhöhle
zieht. Ein Ostium accessorium war gleichfalls vorhanden. Nach Beendigung
der Radikaloperation wollte ich an die Entfernung der Pohlen gehen, und
da ergab sich wieder eine Überraschung: Ein Teil der Polypen lag in der
Nasenhöhle ohne jeden Zusammenhang und konnte mit der Pinzette ohne
jeden Zug hervorgeholt w r erden. Ein anderer Teil konnte gleichfalls mit der
Pinzette entfernt werden, doch w r ar ein lockerer Zusammenhang vorhanden.
Auf gleiche Weise konnte ich noch eine Woche später Polypen aus dem mitt¬
leren Nasengang entfernen. Und 10 Tage später entfernte ich einen großen
Choanalpolypen, indem ich mit der gewöhnlichen Nasenpinzette ziemlich
kräftig am Stiel zog.
Die vorgestellten Fälle beweisen 1., daß die chronisch seröse Kiefer¬
höhlenentzündung eine häufigere Erkrankung ist, als wir bisher gewußt
haben, denn ich fand in meinem kleinen Material innerlralb eines halben
Jahres 7 Fälle; 2. diese Erkrankung w-ar in allen Fällen mit Polypen ver¬
bunden; 3. die Punktion war in allen Fällen bis auf einen negativ.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges.,- Xov. 1922).
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Die Punktion der Kieferhöhle ist ein verläßliches Auskunftsinittel
dafür, ob die Kieferhöhle ein pathologisches Sekret enthält, gibt uns aber
keinerlei Aufschluß, ob die Kieferhöhle krank oder gesund ist. Es können
bei negativer Punktion die hochgradigsten Veränderungen in der Kieferhöhle
vorhanden sein. Gerade deshalb, weil der Punktion eine zu weitgehende Be¬
deutung zugemessen wurde, war es möglich, daß durch Jahrzehnte diese Art
von Kieferhöhlenentzündung von den Klinikern übersehen wurde.
In allen von mir vorgestellten oder berichteten Fällen von Polypen
fand ich eine hochgradige Entzündung der Kieferhöhlenschleimhaut. Der
deutlichste Beweis des Zusammenhanges von Polypen mit der Kieferhöhle ist
der letzte Fall, wo nach Entfernung der Kieferhöhlenschleimhaut einzelne
Polypen den Zusammenhang mit der Basis verloren und als lose gewordenes
Gebilde aus der Nase mittels Pinzette entfernt werden konnten.
Ein weiterer Beweis ist der zweite Fall, wo nach mehrmaliger Operation
des Siebbeines die Polypen rasch rezidivierten, während nach Operation der
Kieferhöhle bisher keine Rezidive bemerkbar ist.
Ich will damit nicht sagen, daß das Siebbein nicht imstande ist,
Polypen zu bilden. Jede chronisch-katarrhalische Nebenhöhlenentzündung
kann zu Polypen führen, somit auch die des Siebbeines. Da jedoch in sämt¬
lichen Fällen von Polypen, die ich im letzten Halbjahr operierte, die Kiefer¬
höhle chronisch-katarrhalisch erkrankt war, und die Kieferhöhle von sämt¬
lichen Nebenhöhlen am häufigsten erkrankt, liegt der Schluß nahe, daß ent¬
gegen der jetzigen Anschauung die Kieferhöhlenentzündung eine häufige
Ursache der Polypen sein dürfte. Die Polypen sitzen wohl im Bereich des
Siebbeines, hatten aber in den von mir beobachteten Fällen mit einer Er¬
krankung des Siebbeines ebenso wenig zu tun, wie der Eiterstreifen, der
sonst bei der eitrigen Kieferhöhlenentzündung im Hiatus semilunaris, also
ebenfalls im Bereich des Siebbeines erscheint.
So wie der Eiterstreifen für die eitrige Kieferhöhlenentzündung charak¬
teristisch ist, so ist die chronisch-katarrhalische Kieferhöhlenentzündung
durch Polypen gekennzeichnet, deren Stiel ins Infundibulum führt.
Die Polypen sind entweder Prolapse der chronisch-katarrhalischen
Kieferhöhlenschleimhaut durch ein normales oder akzessorisches Ostium
oder entstehen auf die Weise, daß die chronisch-katarrhalische Entzündung
der Kieferhöhlenschleimhaut durch den Ausführungsgang sich in die Nase
fortsetzt und vorwiegend jene Teile der Nasenschleimhaut ergreift, die sich
in der Umgebung der Nebenhöhlenostien befinden und mit der Unterlage
nur locker verwachsen sind. Ich möchte noch bemerken, daß neben der eitrigen
und katarrhalischen Entzündung eine Kombination beider vorkommt.
Meine klinischen Untersuchungen, die von den Untersuchungen über
die Entstehung der Choanalpolypen ihren Anfang nahmen, führen zu den
gleichen Ergebnissen, zu denen Uffenorde durch seine histologischen
Untersuchungen kam.
Gck igle
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
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Aussprache:
Glas meint, daß die Punktion uns stets nur Aufklärung darüber gibt, ob
in der Kieferhöhle Eiter vorhanden ist oder nicht. Über den Zustand der Schleim¬
haut der Kieferhöhle (chronische, nicht eitrige Entzündung, ödem der Schleimhaut,
Polyposis) gibt die Punktion selbstverständlich keine Aufklärung. Das sind wohl
zum Teil jene Fälle, bei denen trotz negativer Punktion die Röntgen¬
durchleuchtung, die V o h 8 e n sehen Transillumination, der Glas sehe Stimm¬
gabelversuch auf Veränderungen der Kieferhöhle hinzuweisen scheinen. Glas
fragt an, ob Vortragender diesbezügliche Beobachtungen gemacht hat.
Fein will nur 2 Fragen an den Vortragenden richten: 1. Womit begründet
Hirsch seine Anschauung, daß, wenn polypöse Beschaffenheit der Kieferhöhle
und Polypen in der Nase gefunden werden, unbedingt die Polyposis der Kieferhöhle
der primäre Zustand und die Nasenpolypen die Folgeerscheinungen vorstellen müssen ?
Wir können uns auch vorstellen, daß beide Zustände durch eine gemeinsame Ursache
verursacht sein könnten.
2. Welche klinischen Symptome deuten, wenn wir in der Nase Polypen finden,
darauf hin, daß die Kieferhöhle das ursächliche Moment vorstelle, mit anderen
Worten, wodurch ist die Indikation zur Eröffnung der Kieferhöhle gegeben?
Kotier: Wie ich schon in einer dieser Sitzungen erwähnt habe, fand ich
öfters Veränderungen der Kieferhöhlenschleimhaut, wie sie Hirsch soeben gezeigt
hat, in an der Leiche eröffneten Kieferhöhlen bei gleichzeitigem Fehlen jeglichen
Sekretes in denselben. Ich glaube nur, daß es sich in diesen Fällen nicht um eine
primäre Erkrankung der Höhlenschleimhaut handelt, sondern um sekundäre, durch
mangelhafte Ventilation und negativen Druck entstandene Veränderungen. Diese
unzulängliche oder gänzlich aufgehobene Ventilation kann eben durch im mittleren
Nasengang befindliche Polypen hervorgerufen sein.
H. Neu mann: Ich erlaube mir die Anfrage, ob der Herr Vortragende bei
der Indikationsstellung zur Operation das Gewicht auf die Anwesenheit von ent¬
sprechenden Polypen in mehr minder großer Anzahl im mittleren Nasengang bei
Fehlen von Eiter legt oder ausschließlich auf das wiederholteRezidivieren
derselben in Massen. Denn wie mir, werden wohl allen Fälle bekannt sein, in denen
keinerlei Beschwerden außer mechanischer Obstruktion den Patienten zum Arzt
führen, sich kein Eiter findet, und wo die Entfernung von 2 oder 3 Polypen diese
Beschwerden dauernd behebt.
Braun: Die Beobachtung an einer Reihe von Choanalpolypen, deren Stil
aus dem erweiterten Ostium maxillare hervortreten, scheint für die Ansicht
Hirsch» zu sprechen.
O. Hirsch (Schlußwort): Herrn Glas erwidere ich, daß die von ihm zur
Feststellung der chronisch-katarrhalischen Kieferhöhlenentzündung empfohlenen
Methoden: Röntgenaufnahme, Vohsen sehe Durchleuchtung und sein Stimmgabel¬
versuch nicht durchgeführt wurden. Röntgen wegen der Kostspieligkeit, die anderen
Verfahren wegen ihrer Unverläßlichkeit. Denn wenn der Durchleuchtung und dem
Stimmgabel versuch eine besondere* diagnostische Bedeutung zukäme, hätte Herr
Glas uns schon solche Fälle zeigen können.
Herrn Fein erwidere ich, daß die Indikation zur Eröffnung der Kieferhöhle
die rezidivierenden Polypen abgaben. Daß die Polypen bei den vorgestellten Fällen
die Folge der Kieferhöhlenentzündung sind und nicht umgekehrt, davon kann man
sich überzeugen, wenn man den Polypen zu seinem Ursprungsort der Kieferhöhlen¬
schleimhaut, verfolgt. Daß man den großen Herd als Ursache und dessen Anhängsel
den Polypen, als Folge anzunehmen hat, ist logisch gerechtfertigt.
Auf die Anfrage des Herrn Hutter erwidere ich, daß nur bei einer
Patientin ein mäßiger Druck bei der Durchspülung mit Wasser notwendig war,
während bei dem Patienten, bei welchem die stärksten Veränderungen gefunden
wurden, die Spülung ganz leicht war; allerdings hatte dieser Patient ein Ostium
accessorium.
Moutuchrifl f. Ohretrfaeilk. u. Lar.•Rhin. 66. Jabrg. £2
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952
Yereinsberielite (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
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Daß es sich bei den vorgestellten Fällen nicht um Transsudate, wie Herr
Kotier meint, handelt, zeigten die vorgeführten histologischen Bilder, wo neben
der öderaatösen Durchtränkung der Schleimhaut auch Zeichen der Entzündung
vorhanden waren. Daß die chronisch-katarrhalischen Kieferhöhlenentzündungen
den Anatomen von den Sektionen her bekannt waren, habe ich in meiner ersten
Demonstration hervorgehoben.
1Y. 6 e n z: 1 . Karotisligatur wegen Nachblutung nach Tonsillektomie.
Der 28jährige Patient war am 19. V. d. J. wegen chronischer Tonsillitis
mit Fernbeschwerden und häufiger Angina tonsillektomiert worden. Da es
schon während und unmittelbar nach der Operation beiderseits aus dem
unteren Pol der Tonsillarnischen ziemlich profus blutete und ein Fassen der
blutenden Stellen nicht möglich war, legte ich jederseits eine allerdings ziemlich
tiefe Umstechung an. Der weitere Verlauf war normal und Patient wurde am
22. V. in häusliche Pflege entlassen.
Im weiteren Verlauf erfolgten dann noch in der Nacht des 24. V. und
am Morgen des 5. VI. ohne äußere Veranlassung heftige Blutungen aus der
rechten bzw. linken Tonsillarnische. Ich sah Patienten immer ganz kurze
Zeit nachher, konnte aber nur in der rechten bzw. linken Wundnische, die
im übrigen das Bild eines ganz normalen Heilungsvorganges zeigten, je ein
zirka stecknadelkopfgroßes Koagulum sehen. Da Patient an einer rechts¬
seitigen Apizitis leidet, hätte ich wohl überhaupt eher an eine Hämoptoe
gedacht, wenn er mir nicht berichtet hätte, daß er zuerst einen ,,festen
Brocken” ausgespuckt hätte und gleich darauf sei die Blutung erfolgt. Dies
ließ doch eventuell auf eine durch die Umstechung erfolgte Nekrose und
Arrosion eines Gefäßes denken.
Doch genügten in beiden Fällen Bettruhe, intravenöse Injektion,
hypertonische Kochsalzlösung und Eispillen, um eine weitere Blutung zu
verhüten. Am Abend des 6. VI., also 17 Tage post operationem erfolgt eine
neuerliche, angeblich ziemlich heftige Blutung und Patient wird von den
Angehörigen in die Poliklinik gebracht. Die Untersuchung ergab wieder ein
kleines Koagulum am unteren Pol des übrigens fast völlig verheilten Wund¬
bettes, doch keine momentane Blutung. Patient bekam Eispillen und wurde
zu Bett gebracht. Nachts erfolgte plötzlich eine so heftige Blutung aus der
linken Tonsillarnische, daß die Anlegung des Marschik sehen Kom-
pressoriums notwendig wurde. Daraufhin stand die Blutung. Nach zirka
1 Stunde wurde Patient plötzlich von einem raptusartigen Aufregungszustand
befallen und riß sich das Kompressorium aus dem Munde. Darauf erfolgte
eine enorme Blutung und Kollaps. Mit Mühe wurde dem Patienten das Kom¬
pressorium wieder eingelegt; subkutane Infusion von 21 physiologischer
Kochsalzlösung, Kampfer, 0 04 Morphium. Patient, der pulslos war, erholte
sich allmählich und schlief unter Morphiumwirkung ruhig. Mit Rücksicht
auf den gefahrdrohenden Allgemeinzustand und angesichts des Umstandes,
daß wir nach dem bisherigen Verlauf vor weiteren Blutungen keineswegs
sicher sein konnten, entschlossen wir uns am Morgen zur Ligatur der linken
Carotis externa. Die Operation wurde in Lokalanästhesie ausgeführt und
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
953
«lie Arterie zwischen dem Abgänge der Art. thyreoidea sup. und Art. lingualis
iigiert.
Patient hat den Eingriff gut vertragen und konnte nach 14 Tagen geheilt
entlassen werden. Ich sah den Patienten nach zweimonatiger Pause vor
einigen Tagen wieder zum erstenmal. Patient fühlt sich völlig w r ohl, klagt
aber über zeitweilig, namentlich bei kaltem Wetter auftretende Parästhesien
und Kongestionen. Patient berichtet über ein zeitweilig auftretendes, mit
starkem Herzklopfen verbundenes Hitzegefühl im Kopfe, das einige Minuten
anhalte. Ob diese Störungen mit der Karotisligatur Zusammenhängen, ist
angesichts des Umstandes, daß es sich nur um eine Ligatur der Carotis externa
handelt, fraglich, jedenfalls muß das Resultat der internen und neuro¬
logischen Untersuchung abgewartet werden.
Die Ursache dieser wiederholten Blutungen dürfte wohl in der Um¬
stechung zu suchen sein. Ob es sich um durch die Umstechung hervorgerufene
.Nekrosen, Abstoßung der nekrotischen Partie mit Arrosion eines Gefäßes
oder um Abszeßbildung und Arrosion gehandelt hat, vermag ich nicht zu
entscheiden. Das objektive Bild der Wundheilung wich jedenfalls keineswegs
vom normalen ab. Jedenfalls w r eist dieser Fall darauf hin, daß die Um¬
stechung hier keineswegs ganz gefahrlos ist und wir möchten der Vernähung
der Gaumenbögen über einem Tampon den Vorzug geben.
Aussprache:
Hajek: Ich akzeptiere das Positive, daß die Ligatur genügt bat, es soll
auch bei starken Blutungen Anwendung finden, nur nicht zu spat. Daß die Um¬
stechung die Ursache der starken Blutung war, ist reine Hypothese und nicht erwiesen.
Hutter erinnert an die Erfolge, die bei schweren parenchymatösen
Blutungen von der Röntgen-Tiefenbestrahlung der Milz gesehen wurden.
Glas hält es für wichtig, in Fällen, die ,,blutungsverdächtig“ sind, die Blut¬
gerinnungszeit zu bestimmen. Durch intravenöse Afenilinjektionen gelingt es nicht
selten, diese Zeit zu verkürzen. Von der Milzbestrahlung hat Glas bei stärkeren
Blutungen keinen Erfolg gesehen. (Im übrigen verweist er auf seine Arbeit: Über
Blutungennach Tonsillektomie, die vor einigen Jahren in der Wiener
klin. Wochenschr. erschienen ist.)
Marschik: Die Umstechung schafft neue Gewebsläsionen und Gefahr
der neuerlichen Infektion und Arrosion. Außerdem erzeugt sie, namentlich wenn
sie mehrfach ausgeführt wird, störende Narben und ist von deletärem Einfluß auf
die Architektur und Beweglichkeit des weichen Gaumens. Wenn irgend möglich,
sollte man sich auf die Tamponade in irgendeiner Form beschränken, gegebenenfalls
aber mit der absolut erfolgsicheren Karotisligatur nicht zu lange warten.
Weil: In solchen Fällen wende ich weder Klemmen noch Umstechung an,
um das lädierte Gewebe nicht noch mehr £u verletzen; ich bevorzuge das Einlegtn
eines Tampons aus Vioform- oder Xoviformgaze und Fixation desselben an beiden
Gaumenbögen mit Mic he Ischen Klammern; man kann ihn auch 5 bis 6 Tage
liegen lassen, ohne daß üble Folgen auftreten. Einmal sah ich noch 13 Tage nach
der Operation eine schwere Nachblutung, die ich durch Trichloressigsäure leicht
stillen konnte.
Hajek: Es ist doch eine theoretische Diskussion. Nach allen Methoden
hat man gute Erfolge gesehen, alle haben zuweilen versagt. Hauptsache ist, daß
man den Patienten nicht auabluten läßt und rechtzeitig die Carotis externa unter¬
bindet.
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104 Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Xov. 1922;.
Genz (Schlußwort): Die Verhältnisse wurden in unserem Falle dadurch
kompliziert, daß ich, abgesehen vom letzten Male, keine Blutung, sondern nur die
erwähnten ganz kleinen Koagula sehen konnte lind konservative Maßnahmen voll¬
ständig ausreichten, daher war kein Grund, die Karotisligatur früher vorzunehmen,
2 . Scleroma nasi et laryngis bei einem Kinde.
Der 10jährige Knabe, den ich Ihnen hier vorstelle, wurde vor einigen
Tagen von Angehörigen wegen Heiserkeit und angeblicher nächtlicher Atem-
not in unsere Abteilung gebracht. Aus der Anamnese wäre zu bemerken,
daß der im übrigen kräftige und gut entwickelte Knabe angeblich schon
seit seinem dritten Lebensjahre heiser ist, daß die Heiserkeit ganz langsam
zunahm und mit zirka einem halben Jahre die erwähnten Anfälle von Atem¬
not auftraten, während ursprünglich nur Beschwerden beim Atmen durch
die Nase bestanden. Die Eltern und Geschwister des Patienten sind gesund,
nur ein Bruder des Patienten soll einmal heiser gewesen sein, doch konnten
Warschauer Ärzte — das Kind stammt aus Russisch-Polen — nur einen ein¬
fachen Katarrh konstatieren, der auch tatsächlich bald geheilt war. Bei
unserem Patienten wurde nach Angabe einer Tante des Kindes von einem
Warschauer Spezialisten Rhinosklerom konstatiert und das Kind zur Be¬
handlung nach Wien gewiesen. Sow r eit unsere Informationen verläßlich sind,
soll in der Heimat des Knaben Rhinosklerom nicht Vorkommen.
Bei der Untersuchung finden wdr das Vestibulum nasi beiderseits kon¬
zentrisch verengt durch klare, rote, wulst-artige, ziemlich derbe Infiltrate,
die am Limes nasi beginnend, sich nach obenhin auf das Septum und
untere Muscheln fortsetzen und auch namentlich links entlang der unteren
Muschel nach rückwärts erstrecken. Mesopharynx und weicher Gaumen
erscheinen frei. Der Epipharynx scheint, soweit man sich ihn durch die hintere
Rbinoskopie ersichtlich machen kann, von Infiltration frei, ebenso die Choane.
Es bestehen mäßige adenoide Vegetationen.
Bei der Laryngoskopie sieht man das Larynxlumen von beiden Seiten
durch blaurote, subglottische Infiltrate bis auf einen ganz schmalen Spalt
verengt, der sich nur gegen die anscheinend gesunde Hinterwand zu etwas
erweitert. Die Infiltrate scheinen auch hier sehr derb zu sein, denn bei der
Respiration kann man trotz normaler Beweglichkeit der Aryknorpel keine
Erweiterung der Glottisspalte konstatieren. An der Diagnose Rhinosklerom
läßt sich angesichts des klinischen Bildes, des eminent chronischen Charakters,
des relativ guten Allgemeinbefindens nicht zweifeln. Ungewöhnlich ist nur
der enorm frühzeitige Beginn, denn w'ir müssen annehmen, daß die vor
8 Jahren einsetze^nde Heiserkeit schon den Beginn der Erkrankung darstellt.
Aussprache:
Fein kann nicht erkennen, aus welcher Erscheinungen die Diagnose
S k 1 e r o m in dem vorgestellten Falle gestellt werden kann, da auch nicht ein
einziges der gemeinhin als charakteristisch bezeichneten Symptome vorhanden ist.
Die Nase ist weich und nicht auf getrieben, die Wülste sind sehr blaß und mäßig
derb und begreifen nur die laterale Wand und bewirken keine konzentrische Ein¬
engung. Der Mundrachen ist ganz frei, das Velum ist weich und beweglich und zeigt
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Vereins berichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
955
nicht die charakteristische horizontale Falte, die Uvula ist nicht hinauf gezogen;
der Epipharynx zeigt nach Angabe des Vortragenden außer adenoiden Vegetationen,
-die bei Sklerom auch ein ungewöhnlicher Befund sind, nichts Auffälliges.
Die Hauptsache ist aber vom Larynx zu sagen. Die Wülste, die inan sieht,
idnd keine subglottischen Wülste, sondern es geht die Oberfläche der
Taschenbänder direkt in diese Wülste über. Man sieht weder die Konturen der
Taschenbänder noch die der Stimmbänder, von subglottischen Wülsten
kann nicht gesprochen werden, weil eben die Stimmbänder selbst in die Wülste
auf genommen sind. Außerdem zeigen diese blassen dicken Wülste gar nicht das
Aussehen von Sklerom Wülsten. Es ist ja nicht ausgeschlossen, daß das Sklerom
einmal unter diesem Bilde erscheint, es fehlt aber jedes bekannte klinische Symptom
für diese Diagnose. Die Tatsache, daß der Knabe aus Ostgalizien stammf, ist ebenso
wenig entscheidend, wie die Angabe, daß in seiner Umgebung kein Skleromfall
vorgekommen sein soll. Einzig und allein die histologische Untersuchung
kann hier maßgebend sein. Der Zustand in der Nase sieht wie Lupus aus, die Ursache
der Wülste im Kehlkopf läßt sich natürlich bei flüohtigerdJntersuchung nicht sofort
feststellen.
H e i n d 1 hält das blaue, starre Aussehen der Infiltrate im Larynx und am
Naseneingang, welche den Näsenboden heben, von außen derb anzufühlen sind, für
typisch für die Diagnose Rhinosklerom.
Glas: Ich halte diesen Fall für ein typisches Rhinosklerom.
wenn auch gewisse Symptome des Skleroms, zum Beispiel die Choanalverengung,
das Hinauf gezogensein der Uvula nicht, vorhanden ist. Es genügen die merkwürdigen
Infiltrate der Nase, von den Muscheln auf den Boden übergreifend, und die be¬
sonderen Wülste im Larynx, die von den Stimmbändern auf das subglottische Gebiet
übergreifen und zum Teil die vordere Kommissur besetzt halten. Auch ohne die
•Geburtsstätte des Patienten zu berücksichtigen, erscheint die Diagnose Sklerom
aus diesen klinischen Momenten gegeben.
Genz (Schlußwort): Ich möchte nur erwähnen, daß die Probeexzision und
histologische Untersuchung in den nächsten Tagen vorgenommen weiden wird
und ich werde dann über das Resultat berichten.
V. W i e t h e: Ein Fall von enormer Hyperplasie der Zungentonsille.
Der 36jährige Patient wurde wegen wiederholter Anginen und Drüsen¬
sehwellungen vor iy 2 Jahren tonsillektomiert. Trotzdem traten die Drüsen-
schwellungen immer wieder auf. Seit ungefähr 4 Wochen hat Patient Scbluck-
sehmerzen und Fremdkörpergefühl im Hals. Bei der Spateluntersuchung
sieht man beiderseits hinter den Papillae vallatae einen großen, granulären
Wulst in die Tonsillennischen hineinragen. Bei der Spiegeluntersuchung
erweisen sich diese Wülste, die bis an die Epiglottis reichen und sich in der
Mittellinie berühren, als enorm vergrößerte Zungentonsille, welche Er¬
scheinungen einer leichten Entzündung zeigt. Die Entstehungsursache der
Hyperplasie ist derzeit noch nicht festgestellt, doch läßt der negative Blut-
befund eine Leukämie ausschließen.
Aussprache:
P ö 11 h o f c r: Stück der Zungentonsille, die die Epiglottis kitzelte: Kitzel¬
gefühl beim Sprechen, geheilt durch Abtragung mit der Schlinge.
G. Hofer: Wir wiesen in diesem Falle nicht, ob eine entzündliche
Schwellung oder eine echte Hyperplasie vorhanden ist. Daß eine Regeneration
des adenoiden Gewebes nach Tpnsülektoigie vikariierend auftreten kann, so daß
manchmal sich förmlich zwischen die leeren Gaumenbögeiveine frische Tonsille
^inschiebt, ist bekannt. Ein Befund wie dieser mit großen lateralen Zimgenwülsten
hinab in die Vallekula bedeutet ein Unikum.
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H a j e k: Es kann sich auch um ein beginnendes Lymphosarkom der Zungen¬
tonsille handeln, das wird sich erst spater zeigen.
Dinolt: Hat einen ö2jährigen Mann beobachtet, der wegen beiderseitiger
Tonsillenvergrößerung und Gelenkschmerzen zur Tonsillektomie zugeschickt wurde.
Die gleichmäßige, nicht seit der Kindheit bestehende Hypertrophie der Tonsillen-
sowie einzelne Drüsen am Hals erweckten den Verdacht auf Leukämie. Der Blut¬
befund bestätigte diese Diagnose. Patient ging 8 Tage später an einer Hämorrhagie
ins rechte Kleinhirn zugrunde.
VI. E. Suchanek: 1. Ein IUI von intrUaryngealer Struma. Men¬
struelle Volumsänderung und Stenose.
Die 35jährige Patientin gibt an, seit ihrem 18. Lebensjahr an Husten
zu leiden. Vor 12 Jahren trat während der Wehen beim dritten Partus heftige*
Atemnot ein, welche nach dem Partus spontan schwand. Dann war Patientin
stets gesund, bis im Jänner dieses Jahres im Anschluß an einen Schnupfen
neuerliche Atomnot auftrat. Seither kehrt die Atemnot immer einige Tage
vor der Menses wieder, um bei ihrem Eintritt zu schwinden. Seit einigen
Jahren leichter „Blähhals”.
Die Laryngoskopie im April d. J., als Pat. die Abteilung Professor
M a r s c h i k s aufsuchte, ergab: Larynx und Bewegung der Stimmlippen
normal. Links hinten im subglottischen Raum eine Vorwölbung sichtbar.
Die direkte Tracheoskopie am 13. IV. ergab: Am Trachealanfang (Lig. coni-
cum?) erhebliche Stenose durch einen glatten, von anscheinend normaler
Schleimhaut bedeckten, halbkugligen, weichen Tumor der linken und hinteren
Wand. An der Kuppe des Tumors leicht höckerige ödematöse Schleimhaut^
Der Tumor läßt sich mit dem Tracheoskop leicht wegdrücken. Unterhalb
ist die Trachea frei, die Schleimhaut gerötet, teilweise mit Sekret bedeckt
(chronische Tracheitis).
Seither wurde Patientin genau beobachtet, und es zeigte sich, dal?
stets einige Tage ante menses die Vorwölbung größer war, um dann wieder
zu der heute sichtbaren Größe zurückzukehren.
Der Wechsel in der Ausdehnung dieser subglottischen Geschwulst
läßt differentialdiagnostisch ein Sarkom, Perichondritis, luetisches Infiltrat
ausschließen. Auch ein subglottisches Infiltrat bei Katarrh kommt hier w f egen
des konstanten Vorhandenseins einer Vorvvölbung nicht in Betracht, so dal?
man die Diagnose ,,intralaryngeale Struma” stellen muß, um so mehr als
bekanntlich häufig eine Anschwellung der Gland. thyreoidea ante menses
beobachtet wurde. Die Lage dieser Geschwulst spricht wohl für die P a 11 a u f-
sche Ansicht, daß es sich in solchen Fällen um ein Hineinwachsen von Schild-
drüsengewebe in den Larynx (durch das Lig. cricothyreoideum oder Lig.
ericotracheale) handelt, das meist durch ein Fehlen der Schilddrüsenkapser
an der Anheftungsstelle unterstützt wird. — Nach den heutigen Erfahrungen
kommt als Therapie nur die Exstirpation mittels Larynxfissur in Betracht.
2 . Ein Fall von kongenitaler Hyperostose des Schädels.
Der 56jährige Werkmann erschien mit der Klage über heftigen Kopf¬
schmerz, besonders beim Husten. Anamnestisch nichts besonderes. Rhino-
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skopisch außer etwas vergrößerten mittleren Muscheln beiderseits nichts
pathologisches. Die Probepunktion der Kieferhöhlen negativ. Wassermann¬
reaktion negativ. Der darauf erhobene Röntgenbefund lautete: Fehlen sämt¬
licher Nebenhöhlen. Da jedoch die Punktion, wie eben erwähnt, einwandfrei
durch geführt war, wurden neuerliche Röntgenbilder angelegt, wobei es sich
bei den ersten Aufnahmen schon herausstellte, daß eine auffallende Be¬
schaffenheit des Knochens vorhanden sein muß, da auch mit verlängerter
Expositionszeit kein deutliches Bild zu erreichen war. Erst als eine besonders
harte Röhre verwendet wurde, gelang es, die zwei hier demonstrierten Bilder
zu erhalten, welche einerseits eine auffallende Verdickung der Schädelknochen
mit Fehlen der Spongiosa, andrerseits teils fehlende, teils sehr kleine Neben¬
höhlen zeigen. Ob es sich um eine kongenitale Hyperostose oder prämature
Synostose handelt, läßt sich nicht entscheiden. Jedenfalls sind die Kopf¬
schmerzen durch diesen Befund erklärt, um so mehr, als beim Husten ein
erhöhter intrakranieller Druck vorhanden ist. Außerdem zeigt der Fall wieder,
wie vorsichtig man bei der Beurteilung von Röntgenbildern des Schädels
sein soll.
Aussprache:
Marschik hat 1911 auf dem Kongreß in Berlin mit A. Schüller einen
Fall von Defekt des Siebbeins aus der Klinik C h i a r i, verbunden mit Hyperostose
des Schädeldaches gezeigt, der bei einer Siebbeinoperation schon bei der ersten
Phase der Eröffnung der inneren Wand Orbitalemphysem bekam. Weist auf die
gar nicht seltenen Fälle derartiger Hyperostosen mit prämaturer Synostose des
Schädeldaches hin, die durch das wachsende Gehirn innerhalb der unnachgiebigen
Schädelkapsel Hirndruckerscheinungen bekommen. Hierfür hat Schüller die
sellare Trepanation vorgeschlagen, einen Weg, den die Natur mittels Ausbuchtung
der Schädelbasis speziell auch der Sella häufig selbst beschreitet; es kann in einem
solchen Fall zu den Erscheinungen eines Hypophysentumors kommen.
VII. Cemacb: Chronische Kieferhöhleneiterung Vohsen negativ,
Röntgen positiv.
Es zeigten sich beiderseits hellrote Felder, gleichmäßige Abnahme
der Lichtintensität bei Betätigung des Rheostaten, während im Röntgen¬
bild vollständige Verschattung der kranken Kieferhöhle gefunden wurde.
Das Durchleuchtungsbild änderte sich nicht nach Punktion und Ausspülung
der Höhle, die ein großes Quantum schleimigen Eiters ergab.
Aussprache:
H a j e k: Es kommt vor, daß bei sehr gut durchscheinender Kieferhöhle
nach Vohsen doch Eiter in der Kieferhöhle sein kann.
H a n s z e 1 hat von der Vohsen durchleuchtung hauptsächlich bei akuten
Empyemen der Oberkieferhöhle Aufschluß erhalten, bei chronischen Empyemen
läßt die Vohsen durchleuchtung manchmal im Stich.
Cemach (Schlußwort): Patient gibt an, daß die Beschwerden seit 2 bis
3 Jahren bestehen und sich darin äußern, daß in kurzen Abständen Reizerscheinung
in der rechten Nasenhälfte, verbunden mit rechtsseitigem Kopfschmerz auftraten
und nach 1 bis 2 Tagen ein gelb gefärbter Sch leim klumpen abgeht, worauf die Be¬
schwerden nachlassen. Auf die Anamnese hin habe ich mich für berechtigt gehalten,
ein chronisches, häufig exazerbierendes Empyem anzunehmen.
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VIII. Glas: 1 . RundzeUensarkom der rechten Tonstile.
67jähriger Mann klagt seit Wochen über mäßige Schluckbeschwerden.
Die rechte Tonsille zeigt eine unebene, an mehreren Stellen höckerige Be¬
schaffenheit; keine Ulzeration; Konsistenz mäßig derbe. Kleine submaxillare
nicht schmerzhafte Lymphdrüse. Das histologische Präparat ergibt die
Diagnose Rundzellensarkom (Dr. Koritschoner). Glas glaubt nach
präliminarer Carotis externa-Unterbindung und entsprechender Lymph-
drüsenausräumung die Ausschälung der erkrankten Tonsille vornehmen zu
sollen, um darauf Röntgenbestrahlung zu versuchen.
Aussprache:
Feuchtinger: Bei Sarkomen der oberen Luftwege, speziell bei klein -
zelligen Rundzellensarkomen, ist zuerst die Röntgenbehandlung zu versuchen. Der
Erfolg ist in vielen Fällen ein vollständiger. Der Befund blieb in der Beobachtungs¬
zeit bis zu einem halben Jahr ein vollständig normaler. In der nächsten Sitzung
werden entsprechende Fälle vorgestellt werden.
Glas (Schlußwort): Mit Rücksicht auf diese günstigen Erfahrungen mit der
Röntgenbestrahlung gerade bei Rundzellensarkomen der Tonsille, wie sie von
Feuchtinger mitgeteilt werden, werde ich Patienten jedenfalls vorher der
Bestrahlung unterziehen und in der Gesellschaft über den weiteren Verlauf berichten.
2. Tumor der rechten Halsseite. Branchiogenes Karzinom (?) der rechten
Halsseite mit Einbruch in den Kehlkopf.
47jähriger Mann. Über orangengroßer Tumor der rechten Halsseite
von derber, an einzelnen Stellen kalkharter Konsistenz. Der Tumor ist nach
der Tiefe nicht zu umgrenzen. Haut nirgends ulzeriert, keine Fluktuation,
keine Fistelbildung. Laryngologischer Befund: Schwellung des rechten
Taschenbandes, Schwellung der rechten aryepiglottischen Falte, Fixation
des rechten Stimmbandes. Bei der direkten Untersuchung kein besonderer
Tumor nachweisbar. Probeexzision aus infiltriertem Gebiet: Entzündetes
Gewebe. Diagnose: Entweder handelt es sich in einem solchen Falle um
chronische Entzündung (Tuberkulose, Lues, Aktinomykose) oder um einen
malignen Tumor (malignes Lymphom, Karzinom). Bei Tbc. würde der
Tumor kaum diese kalkharte Konsistenz zeigen, es wären Granulationen,
Fistelbildungen, Erweichungsherde vorhanden. Die Dysphagie würde im
Vordergründe der Symptome stehen. Gegen einen gummösen Prozeß
spricht die Farbe des Larynx, die Derbheit des Tumors, der Geschwürsmangel,
die negative Anamnese. Am ehesten wäre noch an Aktinomykose zu
denken. Aber auch hier spricht die Derbheit der Geschwulst dagegen, der
Mangel an Fisteln, das Fehlen von Fluktuation und Eiter, das Fehlen des
Tumors im Unterkieferbereiche, wo die Halsaktinomykose gewöhnlich
beginnt. Bleibt nur maligner Tumor übrig. Gegen Lymphona malignum
spricht das Fehlen anderer erkrankter Lymphdrüsen; für Ca die Konsistenz
des Tumors. Es fragt sich nur: Handelt es sich um einen primären Larynx-
tumor, der versteckt, von entzündetem Gew'ebe bedeckt,in der Tiefe des Kehl¬
kopfes wuchert, etwa im Ventriculus morgagni, oder ist der große derbe Tumor
der rechten Halsseite der primäre, welcher im Laufe des Wachstums die rechte
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Larynxhälfte in Mitleidenschaft gezogen hat? Auffallend sind drei Momente:
1. das Fehlen eines eigentlichen Tumors im Larynx; 2. der histologische
Befund der aus dem Kehlkopf entfernten Stückchen; 3. das relative Mi߬
verhältnis zwischen dem supponierten primären Larynxtumor und den
sekundären Halstumor. Aus diesen Gründen hält es Glas für möglich, daß
es sich in diesem Falle um einen jener Tumoren handelt, welche ihren Ursprung
aus der zweiten Kiemenspalte bzw. dem Sinus cervicalis nehmen und die
zuerst von Volkmann als branchiogene Karzinome be¬
zeichnet worden sind. (Bruns, Gussenbauer, Eigenbrodt.)
Vortragender wird jedenfalls eine kleine derbe isolierte Halsdrüse zwecks
histologischer Untersuchung exstirpieren, um zumindest den histologischen
Charakter des Tumors zu ermitteln. Der Fall scheint inoperabel und w ird der
Strahlentherapie zugeführt werden.
Aussprache:
Suchanek hat diesen Patienten an der Abteilung Prof. Marsch ik
vor 3 Monaten gesehen. Damals zeigte Patient die Erscheinungen akuter Entzündung
mit ödem des Larynxeinganges, das nach einigen Tagen auf Wärme und nach Er¬
öffnung eines im Rec. piriformis gelegenen Abszesses schwand. Wir haben damals
die Diagnose ,,Carcinoma laryngis“ gestellt, die Probeexzision ergab jedoch keine
einwandfreie Bestätigung. Patient entschwand dann unserer Beobachtung.
D i n o 11 sah vor 9 Jahren einen Fall, der dem oben vorgestellten frappant
ähnlich sah und der durch 2 Jahre unter allen möglichen Diagnosen ging. Bei einer
auswärts vorgenommenen Heißluftbehandlung kam es zu einer Abszedierung; im
Eiter fanden sich Aktinomyzeskörner, worauf der Fall auf Jodbehandlung prompt
ausheilte.
Hajek: Ich halte das für ein Karzinom des Ventrikels; kleine primäre
Herde mit sekundärer Drüsenschwellung sind in den oberen Luftwegen nicht selten.
IX. K. Kofi er: Magen-Darmstörungen infolge chronischer Ton¬
sillitis. Hellang nach Tonsillektomie.
Der Patient, den ich Ihnen hier vorstelle, begab sich seinerzeit w f egen
heftigen Sodbrennens und eines nach jeder Mahlzeit in der Gegend der Magen¬
grube auftretenden Druckes in Behandlung des Facharztes für Magen-Darm-
krankheiten, des Kollegen F. Seidl. Dieser fand einen positiven Blut¬
befund im Duodenalsafte, der auf eine Erosion daselbst schließen ließ. Da
die Beschwerden jeder Behandlung trotzten und jetzt die Frage zu entscheiden
war, ob diese Vagusneurose nicht vielleicht tonsillären Ursprunges wäre, eine
Frage, die in der nach Tonsillektomie erfolgten Heilung einiger früherer,
analoger Fälle ihre Berechtigung hatte, wurde mir der Patient zur Unter¬
suchung der Tonsillen zugeschickt, besonders auch deshalb, weil er an Foetor
ex ore litt. Ich fand eine ausgesprochene chronische Entzündung der Gaumen¬
tonsillen und entfernte sie daher radikal. Das äußerst quälende Sodbrennen
ließ schon in der zweiten Woche post operationem nach, um dann mit den
übrigen Beschwerden völlig zu verschwinden.
Dieser Fall ist nur einer aus einer Serie gleichartig verlaufener Fälle,
zwei weitere dieser Art stehen noch vor der Tonsillektomie; ich werde sie in
einer der nächsten Sitzungen dieser Gesellschaft vorstellen. Es handelt sich
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Xov. 1922).
also in allen diesen Fällen um eine Vagusneurose tonsillären Ursprunges, die
sich in Hypersekretion, in Hyperazidität und spastischen Erscheinungen,
und zwar in Form von Pylorusspasmus äußert, der dann sekundär zu Erosion
und Ulkus führt. Fast alle Patienten klagten außer über Sodbrennen und
über einen besonders nach der Mahlzeit im Epigastrium auftret enden Druck,
gleichzeitig auch über üblen Mundgeruch.
Aussprache:
Fein: Da Kotier die Vorstellung weiterer ähnlicher Fälle in Aussicht
stellt, behalte ich mir vor, erst dann zu dem vorgetragenen Thema Stellung zu
nehmen.
X. Hein dl: Wismuth- Stomatitis durch antiluetische Behandlung
mit Trepol.
Patient, bereits im Stadium der Abheilung der stomachalen Erkrankung
stehend, zeigte vor 14 Tagen noch mächtige Nekrosen der Wangen- und
Gaumenschleimhaut, auch der Gingiva mit blaugrau bis schwarzgrüner Ver¬
färbung der Umgebung, ähnlich wie bei Noma. Im Zentrum sehen wir dann
die blasenförmig abgehobene nekrotische, schmierig gelblich verfärbte
Schleimhaut, welche bald einem schmierig belegten Ulkus Platz macht. Die
Erkrankung beginnt immer an der Gingiva rings um die schadhaften oder
gangränösen Zähne, wie hier, wo wir einen dem Bleisaume ähnlichen Belag
auftreten sehen. Sehr bald breitet sie sich von hier auf die nächste Umgebung
und wie ein Abklatschgeschwür auf die gegenüberliegende Stelle der Wangen¬
schleimhaut aus, immer auf jener Seite, auf der der Patient schläft und welche
der verminderten mechanischen Reinigung ausgesetzt ist. Die Ursachen sind
dieselben wie bei der Quecksilberstomatitis: Vernachlässigung der Mund¬
pflege. Prof. Scherbe r, aus dessen Abteilung der Patient stammt, fand
in dem Belage immer fusiforme und vibrioförmige Bazillen und gramnegative
Spirochäten vom Typus der ,,Sp. buccalis” und hat darüber bereits in der
Arbeit „Nekrotisierende Stomatitiden” (Deutsche med. Wochenschr. 1906),
wie er mir mitteilt, geschrieben. Das Auftreten dieser Stomatitis darf nicht
als ein Nachteil der Trepolbehandlung angesehen werden. Denn es erkrankten
daran nur jene Individuen, welche vorher und während der Trepol¬
behandlung. wie hier, die Mundpflege vernachlässigen, wo also bereits das
Virus der genannten Bakterienarten sich lokalisiert hat. Andere nicht. Es
wird sich also empfehlen, vor einer antiluetischen Kur mit Trepol, sowie vor
einer solchen mit Mercur das Gebiß der Patienten durch Extraktion solcher
kariöser Zähne, wie sie hier zu sehen sind, in Ordnung zu bringen und auf
mehrmalige tägliche Mundreinigung zu dringen. Trepol ist weinsteinsaures
Wismuth präparat.
XI. Braun: Spontane Knorpelausstoßung nach Septumoperation
vor 2 Jahren. (Bericht nicht eingelangt.)
Aussprache:
Glas meint, es könnte sich wohl auch um ein mittels des K i 11 i a n sehen
Messerchens zur Zeit der Operation abgesprengtes Knorpelstückchen handeln, das
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Vereinsbericht (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
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längere Zeit reaktionslos in der Septumtasche lag, vielleicht in einem Winkel noch
mit dem Knorpelrcst zusammenhängend, das erst jetzt zur Abstoßung gelangt.
XII. Menzel: Zungenstruma. Radikale Exstirpation infolge histo¬
logischer Fehldiagnose (Peritheliom). Hypothyreose. Heilung durch Thyreoidea¬
tabletten.
Die 50jährige Patientin war von Menzel bereits in der Sitzung vom
April 1918 demonstriert worden. Sie zeigte damals einen über pflaumengroßen,
von normaler Schleimhaut bedeckten kugligen Tumor des Zungengrundes,
welcher seiner Unterlage breitbasig aufsaß, von derber Konsistenz war und
von dem betreffenden pathologischen Anatomen auf Grund seiner histologischen
Untersuchung als Peritheliom erklärt wurde.
Vortragender entfernte den größten Teil des Tumors vom Munde aus
mit dem Skalpell. Vor Abtragung des linken Tumordrittels kam es zu einer
heftigen arteriellen Blutung, welche eine Naht (Jes ganzen Wundbettes nötig
machte.
Infolgedessen mußte zunächst von der Vollendung der Operation
Abstand genommen werden. Vortragender beobachtete Patientin noch durch
1 Jahre, wobei sich stets das Vorhandensein des Tumorrestes im linken
Zungengrunddrittel zeigte, ohne daß er an Größe zugenommen hätte. Außer¬
dem aber zeigte Patientin schon damals myxödematöse Symptome, und
zwar ein gedunsenes, gelblich verfärbtes Gesicht, ödem an den unteren Lidern
sowie an den Beinen, ihre Intelligenz hatte wesentlich gelitten, sie konnte
schwer denken, sprach sehr w r enig und war außerordentlich schwerfällig.
Sie war auch nicht arbeitsfähig, weil sie sehr rasch ermüdete. Vortragender
hatte diesen Zustand als Folge des großen Blutverlustes während der Ope¬
ration und der schlechten Ernährungsverhältnisse der Patientin aufgefaßt,
also als eine Art von Hungerödem. Letztere Diagnose wurde auch von einem
zu Rate gezogenen Internisten bestätigt.
Vor etwa 4% Monaten nun, also 4 Jahre nach der Operation, erschien
Patientin wieder beim Vortragenden, wobei sich zeigte, daß keine Spur eines
Tumorrestes mehr vorhanden war. Es hatte sich der bei der letztmaligen
Untersuchung sicher konstatierbar gewesene Tumorrest
vollständig resorbiert, derart, daß nunmehr am Zungengrund
eine weißliche zarte, bei der Palpation sich weich anfühlende Narbe vor¬
handen war. Der myxödematöse Zustand bestand auch jetzt noch, wenn auch
in etwas gemildeter Form.
Der Lokalbefund am Zungengrund, der an die Eigentümlichkeit der
Riedel sehen Struma erinnerte, insofern als auch hierbei nach Exzision
eines Strumateiles sich unter Umständen die ganze Struma zurückbildet,
erweckte in Vortragendem den Verdacht, daß dem vermeintlichen Tumor
des Zungengrundes eine akzessorische Schilddrüse zugrundegelegen w r ar
und der postoperative Zustand einen echten Myxödem entsprach, um so mehr,
als keine Schilddrüse am Halse tastbar w T ar und eine auf Grund obiger Er¬
wägung sofort eingeleitete Behandlung mit Thyreoidintabletten den All¬
gemeinzustand derart besserte, daß Patientin nach wenigen Wochen nicht
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
mehr zu erkennen war. Sämtliche myxödematöse Symptome bildeten sich
zurück, Patientin wurde wieder arbeitsfähig und geistig wie körperlich wieder
normal.
Herr Prot. Sternberg hatte die Liebenswürdigkeit, den vor 4 Jahren
exstirpierten Tumor neuerlich zu wiederholten Malen zu untersuchen und ist
zu dem Endresultate gekommen, daß es sich tatsächlich um normales Struma¬
gewebe handelt. Der Befund Prof. Sternbergs lautet:
,,Die neuerliche Untersuchung des übersendeten Gewebsstückes zeigt
unterhalb des Epithels eine Einlagerung von zu Gruppen angeordneten
drüsenähnlichen Formationen, die von einem einreihigen Zylinderepithel
ausgekleidet sind und von welchen einzelne typisches Kolloid enthalten,
während die Mehrzahl dieser kleinen Hohlräume keinen Inhalt aufweist.
Größere Anteile dieser Bildung sind vollkommen hyalin umgewandelt. Auch
finden sich hier Kalkeinlagerungen im Gewebe. Die Drüsenbläschen ent¬
sprechen vollständig den Follikeln einer Schilddrüse, so daß es nach diesem
Befunde und im Zusammenhang mit dem klinischen Verlauf keinem Zweifel
unterliegen kann, daß es sich hier um eine Schilddrüse an der Zungenbasis
gehandelt hat.”
Zusammenfassend läßt sich demnach sagen: In einem Falle von Struma
accessoria des Zungengrundes, welche auf Grund einer unrichtigen histolo¬
gischen Diagnose als Peritheliom angesehen und zu 2 Dritteln operativ entfernt
wurde, kam es kurz nach der Operation zu einem Myxödem, das durch
Thyreoidintabletten innerhalb kurzer Zeit geheilt wurde.
Das letzte, nicht operativ entfernte Drittel der Struma resorbierte sieh
nach der Operation von selbst analog den Fällen von Riedel scher Struma.
Der Fall ist auch deshalb von Interesse, weil er die mitunter bestehenden
Schwierigkeiten der histologischen Diagnose und die Mißgriffe aufzeigt, die
dadurch zustande kommen können.
Aussprache:
Schlemmer: Bei der Operation von Zungcngrundstiumen ist es nicht
nur nicht fehlerhaft, sondern im Gegenteil erwünscht, einen Teil des Tumors in situ
zu belassen, namentlich dann, wenn Schilddrüsengew r ebe an normaler Stelle nicht
vorhanden ist. Wird in solchen Fällen radikal operiert, so treten natürlich Ausfalls¬
erscheinungen auf.
Suchanek berichtet über den seinerzeit vorgestellten, von Prof. Mar¬
se h i k operierten Fall von Zungenstruma. Die Patientin zeigte nach der Operation
eine Hypertrophie des belassenen Strumarestes mit leichten Ausfallserscheinungen
in Form von Müdigkeit, Haarausfall und Hautblässe. Eine vor 3 Monaten vor¬
genommene Implantation von Schilddrüsenstücken hatte nur insoweit einen Erfolg,
als die subjektiven Erscheinungen geringer wurden; der Strumarest vor der Epi¬
glottis jedoch ist noch etwas größer geworden.
M e nze 1 (Schlußwort): Da ich bei der Operation der Patientin nicht wußte,
daß es sich um eine Struma handle, sondern glaubte, ein Peritheliom vor mir zu
haben, trägt der Rat Herrn Schlemmers nicht der damaligen Sachlage Rechnung.
XIII. Hajek: Traeheostomie bei doppelseitiger Rekurrenslähmung.
Wie Ihnen durch wiederholte Demonstrationen bekannt ist, habe ich
bei nicht behebbaren Larvnxstenosen, zu welcher besonders die dauernde
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Vereinsberichtc (Wiener lar.-rhinoJ. Ges., Xov. 1922).
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Medianstenose der Stimmbänder gehört, die übernarbte Fistel der Trachea
angeführt. Da es nach der gewöhnlichen Tracheotomie noch Monate lang
dauern kann, ehe die Öffnung eine konstante Weite hat, hat sich das Problem
ergeben, gleich von vornherein eine derartige Plastik der Trachea vorzu¬
nehmen, daß die Öffnung sofort die nötige Kontur hat. Ich zeige nun hier
einen derartigen Fall von Mediastenose infolge doppelseitiger Partikus-
lähmung nach Strumektomie, wo mir dies gleich gelungen ist. Ich habe von
vornherein zwei bewegliche Lappen gebildet, einen oberen und unteren mit
entsprechenden Entspannungsschnitten, und die Sache ist tadellos angeheilt.
Der Kranke braucht, obwohl seit der Operation erst 14 Tage verflossen sind,
keine Kanüle; er atmet tadellos und spricht bereits gut. Durch weitere Übung
wird die Sprache sicherlich noch müheloser, d. h. mit geringerer exspiratorischer
Luftverschwendung vor sich gehen.
Aussprache:
K o f 1 e r: Bei den Tracheostomien konnte ich öfters die Erfahrung machen,
daß ein unmittelbar nach der Operation genügend weit aussehendes Stoma hinterher
.sich als zu eng erwies. Die Ursache lag in der Schilddrüse, die sich später vorwölbend,
die flach zur Trachea abfallenden Hautlappen steil auf stellte und dieserart das Stoma
vorübergehend oder sogar dauernd verengte. Dem Verhalten der Schilddrüse ist
also bei der Anlegung eines Tracheostoma besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Es wird öfters notwendig sein, die der Trachealöffnung benachbarten Partien der
Schilddrüsen zu resezieren.
M a r s c h i k erinnert an seinen Demonstrations vor trag über Tracheostomie
in der Märzsitzung, der in der heutigen Nummer der Monatsschr. f. Ohrenhlk.
erscheint. Seine Versuche datieren schon seit 14 Jahren. Wichtig ist, die Tracheal-
wand durch subperichondrale Exzision der Ringe weich und schmiegsam und somit
dem Hautlappen adäquat zu machen. Die Details sind in der obigen Arbeit nach¬
zulesen.
Hajek (Schlußwort): Ich habe ohne Resektion der Trachealringe dasselbe
erreicht, da man die Ringe nicht mitnähen muß. Es müssen noch weitere Erfahrungen
zeigen, welche Methode die wenigsten Versager hat.
XIV. G. Hofer: 1 . Exfollierendes Karzinom des Mundbodens.
Der 40jährige Patient verspürte vor 1 Jahre Schmerzen an der Zunge.
Eine Probeexzision von einer Stelle der Zunge, deren-näheres Aussehen uns
unbekannt ist, ergab Granulationsgewebe. Der Patient entzog sieb in der
Folge einer weiteren Behandlung, gibt aber nunmehr an, daß sieb von Zeit
zu Zeit kleine Teile im Munde losstießen. Vor 2 Monaten entstanden längs
des Unterkieferrandes kleine Schwellungen, die sich zu Fisteln erweiterten,
aus denen sich gelber dicker Eiter entleert.
Sie sehen derzeit an dem Patienten folgendes: Am Kinn und längs
des unteren Randes der Mandibula tiefe Narben unterbrochen durch mehrere
teilweise noch eiterentleerende Fisteln. Eine diffuse, mäßige Schwellung
und Rötung der Haut am Kinn and oberen vorderen Halsanteilen. In dem
durch partielle Kieferklemme mittel weit geöffneten Munde fehlt die
Zunge vollständig. Der Mundboden ist in eine große diffuse Ge¬
schwürsfläche verwandelt, die nach rückwärts bis an die vorderen Falten
des weichen Gaumens reicht. Die Affektion ist schmerzlos und indolent.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Xov. 1922).
Mein erster Gedanke bei der Untersuchung des Patienten war Aktino-
mykose oder ausgebreitetes Gumma des Mundbodens, aber beide Diagnosen
mußten infolge vollständig negativer einschlägiger Untersuchung fallen
gelassen werden. Eine Probeexzision ergab wieder unspezifisches Granulations¬
gewebe. Da entschloß ich mich zu einer tiefergreifenden Exzision am Mund¬
boden von verschiedenen Stellen, und nunmehr ergab die histologische Unter¬
suchung Karzinom, und zwpr wahrscheinlich Basalzellenkarzinom, von
reichlichem Bindegewebe durchsetzt.
Der Verlauf dieses Prozesses, die Narben- und Fistelbildung an der
Außenseite sind doch ein außerordentlich seltsamer Aspekt beim Karzinom
der Mundhöhle. Ich fand in der einschlägigen Literatur keinerlei ähnlichen
Fall. Nur in dem Buch von Kümmel findet sich Narbenbildung und par¬
tielle Abstoßung bei Karzinomen der Lippen erwähnt. Die Bildung von
äußeren Narben und Fisteln, das langsame Weiterkriechen von Karzinomen
am Mundboden mit Exfoliation so großer Partien von Weichteilen, hier also
der ganzen Zunge, ist in diesem Falle beinahe ein Unikum zu nennen.
2. Zwei Falle von Diphtheriestenose. Laryngotracheostomie.
Die Kinder sind schon vor mehreren Monaten hier gezeigt worden;
sie waren vor 9 Jahren nach der damals so sehr propagierten Methode der
Laryngostomie französischer Autoren behandelt worden.
Bei dem ersten Kind konnte trotz dieser Laryngostomie durch syste¬
matische Dilatation ein entsprechendes Tracheallumen erzielt werden. Der
Verschluß des Tracheolaryngostomas, so verlockend es wäre, erscheint uns
infolge Gefahr einer sekundären Stenose bei dem noch so sehr im Wachstum
befindlichen Individuum trotzdem noch nicht indiziert.
Das zweite Kind erläutert so recht sinnfällig die ganze Verwerflichkeit
der Laryngotracheostomie zur Behandlung narbiger Stenosen im Kindes¬
alter, denn der dadurch erzielte vollständige Wegfall der vorderen Wand des
Atemrohres hat trotz eingeleiteter Dilatation ein Kollabieren des Lumens
zur Folge. Hier ist derzeit jede Therapie nutzlos und wird mit einer späteren
Tracheoplastik wohl noch mehrere Jahre bei über das Alter maximalen Wachs¬
tums der Patientin gewartet werden müssen.
Aussprache:
Margchik rät mit H a j e k von jeder eingreifenden Behandlung bei
beiden Kindern derzeit ab und empfiehlt, bis zum Abschluß des Wachstums damit
zu warten, um nicht wieder Enttäuschungen zu erleben. Außerdem ist der Hinweis
Herrn Hofers auf die Schädlichkeit der Laryngostomie bei Kindern, der Ver*
letzung eines zarten, im W r achgtum befindlichen Kehlkopfes, dankenswert.
XV. Feuchtinger: 1 . Carcinoma recessus piriformis de x tri red-
divans Radikaloperation. Heilung.
Die Operation (Anfang Oktober 1922) erweist sich durch die Größe der in
den Ösophagus hinabreichenden Geschwulst und durch die Verwachsung mit der
Haut und der Gefäßscheide als schwierig. Die Wunde ist jetzt 1 Monat nach der
Operation verheilt, doch bleibt abzuwarten, ob ein Dauererfolg erreicht wurde.
Demonstration des Präparates.
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Vereinsberichte (Wiener lar.-rhinol. Ges., Nov. 1922).
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Aussprache:
Menzel berichtet über die Krankheitsgeschichte des Falles bis zur
Aufnahme an die Klinik H a j e k.
Der Fall ist identisch mit dem von Menzel in dieser Gesellschaft
zu Anfang 1922 vorgestellten, nach endolarvngealer Operation durch 1 Jahr
ohne Rezidive gebliebenen Falle von beginnendem Karzinom des rechten
Sinus piriformis.
4 bis 5 Monate später erschien Patient wieder in des Vortragenden
Ordination mit dem Symptomenbild einer akuten fieberhaften Perichon-
dritis des rechten Arygelenkes, dessen ödem sich auch auf den linken Arv-
knorpel und Arvfalte erstreckte. Die Symptome schwanden nach etwa
8 Tagen, um eine Woche später in der gleichen Weise wieder aufzutreten.
Die Temperatur stieg jedesmal auf 38 bis 38*6°. Diese Rezidive schwand nicht
vollkommen. Die Symptome bildeten sich aber bis zu einem gewissen Grade
wieder zurück, um noch ein drittesmal zu exazerbieren. Erst zum Schlüsse
zeigte sich der Beginn eines Tumors am rechten Sinus piriformis. Es lag also
eine offenbar auf dem Lymphwege entstandene regionäre Rezidive des Karzi¬
noms vor. — Die am Schlüsse von Menzels Demonstration ausgesprochene
Empfehlung der endolaryngealen Operation von beginnendem Karzinom
auch des Sinus pirif. erfährt durch den Verlauf dieses Falles eine wesentliche
Einschränkung.
Im übrigen erklärt das Präparat und der von Feuchtinger be¬
richtete weitere Verlauf der Erkrankung des vorgestellten Falles das wieder¬
holte attackenweise Auftreten des perichondritischen Symptomenkomplexes,
der in diesem Falle der Ausdruck eines im Sinus pirif. aufgetretenen Abszesses
war.
2. Ein Fall von idiopathischer Perichondritis des Schildknorpels durch
Inzision geheilt.
Gesunder Mann erkrankt unter Schüttelfrost und Schmerzen im Kehl¬
kopf. Nach 2 Tagen stellen sich Atembeschwerden ein und gleichzeitig tritt
am Halse vor dem Schildknorpel eine schmerzhafte Schwellung auf. Die
Symptome verschlimmern sich, bis plötzlich unter Husten reichlich Eiter
ausgespuckt wird. Kurz hernach kommt der Patient in unsere Beobachtung.
Er zeigt: fluktuierende, kleinapfelgroße Schwellung am Schildknorpel median
aufsitzend, im Larynx unter der vorderen Kommissur eine Eiter entleerende
Fistel. Ausgiebige Spaltung über den ganzen Abszeß, wobei sich besonders
die linke Schildknorpelplatte vom Eiter umspült zeigt; am unteren Rand
des Schildknorpels, der bereits angenagt, nekrotisierend sich erweist, führt
eine Fistel in den Larynx. Der sequestrierende Knorpel wird ausgeschnitten,
alles durch Gazestreifen offengehalten und die Tracheotomie angelegt. Darauf
in 3 Wochen vollständige Heilung unter Granulation. Der Larynxbefund
datiert normal. Die Erkrankung ist als idiopathische anzusehen, da keine
der gewöhnlichen Ursachen bestehen. Ob eine mit oberflächlicher Haut¬
eiterung einhergehende Skabies von ätiologischer Bedeutung war, ist nicht
festzustellen. Die bakteriologische Untersuchung des Abszeßeiters ergab die
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Personalien.
verschiedensten Bakterienartcn. Die Gefahr der Aspiration des Eiters und
der Halsphlegmone wurde vermieden. Die Erkrankung ist selten, wir haben
sie durch einige Jahre nicht an der Klinik gesehen.
XVI. E. Suchanek: Netastatisches Bronchuskarzinom nach Kehl¬
kopfe vstirpation wegen Carcinoma laryngis. Exitus. Präparat.
Das Präparat stammt von dem in der letzten Sitzung mit Broncho¬
skopie demonstrierten Patienten. Dieser wurde am 1. III. 1. J. wegen Larynx-
karzinom totalexstirpiert (Demonstration Prof. M a r s c h i k). Da sich in
, der Folge Hämoptoe einstellte, wurde bronchoskopiert und ein den Eingang
zum rechten Bronchus verengendes Karzinom festgestellt. Die histologische
Untersuchung ergab ebenso Plattenepithelkarzinom wie im Larynx. Es
wurde einerseits im Bronchus Radium eingelegt, andrerseits intensiv mit
Röntgen bestrahlt. Der im Mai aufgenommene Röntgenbefund ergab rechts
infraklavikulär einen rundlichen, apfelgroßen, ziemlich scharf konturierten
homogenen Schatten, der als Tumormetastase anzusprechen ist. Ein unscharf
konturierter Schattenherd links infraklavikulär hatte nichts für Neoplasma
charakteristisches. — In der Folge trat noch einige Male eine leichte Hämoptoe
auf und ging Patient an Kachexie zugrunde. Die vor 2 Tagen erfolgte Ob¬
duktion (Prof. Sternberg) ergab: Defektus laryngis et pharyngis post
exstirpationem propter carcinoma factam. — Carcinoma metastaticumglandul.
lymphat. bronchial, multiplex tendens ad lobum super, pulmonis utriusque
et infiltrans lobum super, dextr. et bronchium dextr. (juxta bifurcat. tracheae).
Carcinoma metastaticum hepatis, gland. suprarenal, sinist. Carcama
lob. super, pulmon. dextr.; pneumonia lobular, lobi infer. sinistr. Atrophia
brunea cordis. Marasmus, Tumor lienis chron.
Man sieht nun an dem Präparat einerseits die Stelle der seinerzeitigen
Pharynxnaht, die intakte Epiglottis, welche den Schluckakt gar nicht be¬
einträchtigte, andrerseits ist hier der K i 11 i a n sehe Brückenlappen mit dem
im Knopfloch angelegten Tracheostoma zu sehen. In den Lungen sieht man
den metastatischen Tumor der entlang der Bronchien sich weiter verbreitert
und an der Bifurkation ist der seinerzeit tracheoskopisch sichtbare Tumor
zu finden.
Personalien.
Verliehen: Dem a. o. Professor für Ohren-, Nasen- und Kehlkopfkrank¬
heiten in Erlangen A. Scheibe Titel nnd Rang eines o. Professors.
Ernannt: Prof. J. Zange, Jena, zum o. Professor für Ohren-, Nasen-
und Kehlkopfkrankheiten in Graz.
Verleger, Herausgeber nnd Eigentümer: Urban * 8 c h w a r s e n b e r g, F Verlagsbuchhandlung in
Wien I, MahlerstraQe 4 (verantwortlich : fcarl Urban in Wien IV, Brucknersträße 8). — Verantwort¬
liche Schriftleiter: Für den otologischen Teil: E. Urbantsohitsch in Wien I. Scbottenrlng S4;
für den laryugolosischen Teil: H. Marsohikin Wien IX, 8everingasse l; für den übrigen Teil:
Karl Urban in Wien IV, Brucknerstraße 8. — Druck R. Bpi es 6 Go. in Wien V,8traußengame 18
(verantwortlich: Rudolf Wielinger in Wien IV, Schleifmühlgasse 7).
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