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Mc- RAPniEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND
* PSYCHIATRIE
HERAÜSGEGEBEN VON
M. l^ANDOWSKY-BERLIN UND K. WILMANNS-HEIDELBERQ
HEFT 13
DIE PARANOIA
EINE MONOGRAPHISCHE STUDIE
VON
Db. HERMANN KRUEGER
«
MIT 1 TEXTABBILDUNG
BERLIN
VERLAG VON JULIUS SPRINGER
1917
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen,
Vorbehalten.
Copyright 1917 by Julius Springer in Berlin.
Inhaltsyerzeichnis,
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Seite
Gesoliiclitlioher Überblick. 1
BegrifFsbestimmiing. 7
Die paranoische Konstitution. 9
Die Entwicklung der Paranoia .16
Die Krankheitserscheinungen.23
a) Die Paranoia combinatoria. 25
b) Die Paranoia halluoinatoria.48
c) Die Paranoia querulatoria.. . • • • 61
Der Krankheitsausgang. 74
Die Behandlung.85
Gerichtliches .92
Differentialdiagnose .94
,,Akute Paranoia*^ und milde und abortiv verlaufende Paranoiafalle.94
Psychosen bei Degenerierten.98
Pseudoquerulanten.100
Manisch-depressives Irresein.101
Dementia praecox.103
Paraphrenien.106
Chronischer Alkoholismus.106
Syphilitische wahnbildende Psychosen.108
Amentia. 108
Senile Wahnsinnsformen.109
literaturverzeichms.110
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L.
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Geschichtlicher Überblick.
Die Geschichte der Paranoia umfaßt einen Zeitraum von etwa 50 Jahren
und weist den Werdegang auf, der der Entwicklung psychischer Krankheits¬
gruppen bis auf den heutigen Tag eigentümlich ist: Nach der Heraushebung
eines Kernes zusammengehöriger E^rankheitsfälle und seiner festeren Umschrei-
bimg wird das Krankheitsgebiet immer mehr und mehr ausgedehnt, immer
neue, an sich nur lose und äußerlich mit den ursprünglich gemeinten Erkrankungen
zusammenhängende Zustandsbilder werden ihm angereiht, schließlich wird die
Krankheitsgruppe zu dem großen Topf, in den alles, was bisher noch nicht seinen
sicheren Platz in der psychiatrischen Systematik hatte, hineingezwängt wird,
bis er überläuft und nun die Reaktion erfolgt, die überall Teile loslöst, bis von
der einstigen Größe und Herrlichkeit nichts oder fast nichts übrigbleibt; dieses
wenige wird ihr von manchen Seiten auch noch streitig gemacht, während andere
Bemühungen den mühsam gewonnenen Kern der ICrankheit zu erhalten suchen
und ihr geben wollen, was ihr Recht ist. Die Entwicklung des Paranoiabegriffes
ist ein klassisches Beispiel für diesen Vorgang, der auch heute noch nicht ab¬
geschlossen ist.
Es soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden, die Entwicklimgsgeschichte
der Paranoia in ihren Einzelheiten zu verfolgen. In der Monographie Werners,
dem klassischen Paranoiareferat Cramers, sowie in der neueren Arbeit Schni-
zers ist der Gang der Entwicklung nachzulesen. Nur wenige Etappen, die
Meilensteine auf dem Wege seien näher beleuchtet als Einleitung zu der Um¬
grenzung des Paranoiabegriffes, auf dem diese Arbeit fußt.
Bis zu der Zeit, wo Snell, Westphal, Sander Ausgangs der sechziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts für die Anerkennung der Paranoia als einer
primären Erkrankung eintraten, hatte man besonders entsprechend de^ Lehre
Griesingers als Verrücktheit den ungünstigen Ausgang vorangegangener
krankhafter Störungen des Gemütslebens bezeichnet, sie also als Zustandsbild
von Päychosen angesehen, die nach damaliger Anschauung mit einer melancho¬
lischen Phase begannen, der nacheinander, sofern die Erkrankungen nicht früher
oder später zur Heilung kamen, ein manisches Stadium, ein Stadium der Ver¬
rücktheit, der Verwirrtheit, endlich der Blödsinn folgte. Die Verrücktheit wurde
demgemäß stets als eine sekundäre angesehen. Nachdem sie nunmehr, besonders
durch Westphals Lehre als eine selbständige Krankheit des Verstandes neben
solche des Gemütes gestellt war, gab Griesinger im Jahre 1887 in Änderung
seiner früheren Ansicht eine Umschreibung ihres Wesens, die der Definition der
neuesten Autoren sehr nahe kommt. Er hob unter dieser Bezeichnung Krank¬
heitszustände h^aus, „wo die beiden Hauptarten der Primordialdelirien sich
gehr langsam nebeneinander entwickeln, wo bei dieser Langsamkeit, die sich
Krueger. Die Pannois. 1
2
Geschichtlicher überblick.
über eine Reihe von Jahren erstreckt, die sich widerstrebenden Vorstellungen
(Größen- und Verfolgungswahn) Zeit haben, sich allmählich zusammenzuordnen,
zu durchdringen und zu festen Gedankenverbindungen, zu einem sog. System
von Wahnvorstellungen aufs engste zusammenzuwachsen.“
Im Gegensätze zu der Betonung der Langsamkeit der Entstehung und
Fortentwicklimg der Paranoia, wie sie sich bei Griesinger findet, erkannte
Westphal auch eine akute Entwicklung und einen akuten Verlauf der Krank¬
heit, ebenso wie abortive Formen derselben an. Es wurde dadurch dem größten
Teile der psychischen Erkrankungen, soweit bei ihnen nicht Störungen der Affekte
offenkundig im Vordergründe standen und soweit Wahnvorstellungen überhaupt
eine Rolle spielten, der Anschluß an die neu erblühende Eirankheitsgruppe er¬
möglicht. Westphal zog auch die Kahlbaumschen Fälle von Katatonie in
ihren Bereich; Werner sprach direkt von einer Paranoia catatonica. Als be¬
zeichnend sei noch erwähnt, daß Scholz sogar in den protrahierten Formen
des Delirium tremens das typische Bild eines primären halluzinatorischen Wahn¬
sinns sah.
Zwar suchten schon früh einsichtsvolle Forscher, Meynert an der Spitze,
dem Treiben Einhalt zu tun und die akuten Wahnsinnszustände, die mit höher-
gradiger Verworrenheit einhergingen, als Verwirrtheit von der Paranoia prinzipiell
zu scheiden; doch die Unmöglichkeit, derartige kurz verlaufende Fälle von Amen-
tia, wie Meynert sie nannte, die an sich auch nichts einheitliches darstellen,
von den interkurrenten Aufregungs- und Verwirrtheitszuständen, wie sie in
Fällen von sonst in allem den Westphal - Griesingerschen Anforderungen
entsprechender Paranoia beobachtet wurden, nach dem augenblicklichen Zu¬
standsbilde zu trennen,^ ließ diese Anschauung lange Zeit nur vereinzelte An¬
hänger finden. Neben Meynert lehnten vor allem v. Krafft - Ebing und
Hitzig den Begriff der akuten Paranoia ab.
Das Paranoiareferat Cramers, das das Jahr 1892 brachte, zeigte so recht
das Chaos völlig verschieden gestalteter und verlaufender Krankheiten, die die
gemeinsame Bezeichnung „Paranoia“ damals umschloß. Gramer faßte die
Resultate seiner Untersuchungen folgendermaßen zusammen:
„Wir haben gesehen:
1. Daß Verwirrtheit (Amentia), Wahnsinn und Verrücktheit klinisch und
genetisch eine Reihe wichtiger Erscheinungen gemeinsam haben.
a) Die Grundsymptome, Sinnestäuschungen, Wahnideen und Inko¬
härenz sind genetisch nahe miteinander verwandt.
b) Das prädominierende Symptom der Verwirrtheit, des Wahnsinns
und der Verrücktheit ist die Erkrankung der Verstandestätigkeit.
c) Bei der Verwirrtheit, bei dem Wahnsinn und der Verrücktheit
spielen die Affekte nur eine sekundäre Rolle.
d) Verwirrtheit (Amentia) kann symptomatisch sowohl beim Wahn¬
sinn als bei der Verrücktheit Vorkommen.
2. Daß die differentialdiagnostischen Momente, welche geltend gemacht .
werden, um die Verwirrtheit, Wahnsinn und Verrücktheit zu trennen,
die erwähnte gemeinsame Grundlage der drei Krankheitsbilder nicht
erschüttern können.
Geschichtlicher Überblick.
3
3. Daß die Gruppe der einfachen, nicht komplizierten funktionellen Psycho¬
sen neben den Stimmungsanomalien, den Erkrankungen des Gemütes
als zweite große Hauptform die Paranoia, die Erkrankungen des Ver¬
standes, enthält.
4. Daß die Paranoia sich scharf von den Stimmungsanomalien und den
komplizierten Psychosen trennt.
5. Daß demnach die Definition der Paranoia lauten muß: die Paranoia
ist eine einfache funktionelle Psychose. Sie ist charakterisiert dm*ch
eine Erkrankung der Verstandestätigkeit, wobei die Affekte nur eine
sekundäre Rolle spielen.“
In der angeschlossenen Diskussion wurde wohl von einzelnen die Amentia
von der Paranoia prinzipiell geschieden, in der Annahme einer akuten Form
der Paranoia neben einer chronischen war man sich jedoch im wesentlichen
einig.
Mit Cramers Definition hatte die Paranoia ihren Kulminationspunkt
durchschritten; mehr und mehr wurde ihr Gebiet eingeschränkt. So definierte
Hitzig die Paranoia 1895 als eine Geisteskrankheit von chronischem Beginne
und ungünstiger Prognose, welche sich durch fixierte, häufig systematisierte
Wahnideen charakterisiert, zu Anfang und häufig überhaupt ohne Verwirrtheit,
vielmehr scheinbar mit vollkommener Luzidität, manchmal ohne, häufiger mit
Halluzinationen und regelmäßig ohne ausgesprochene primäre affektive Er¬
regung verläuft. Nicht zum wenigsten aber ist eine schärfere Umgrenzung des
Begriffes der Paranoia imter der verdienstvollen Führung Kraepelins erreicht
worden, vor allem durch den Ausbau der Krankheitsgruppen der Dementia
praecox und des manisch-depressiven Irreseins, von denen erstere berufen wurde,
die Paranoia in ihrer Stellung als Sammelbecken klarer und besonders unklarer
psychiatrischer Fälle abzulösen. Beide nahmen besonders die akuten und peri¬
odischen Paranoiafälle in sich auf, wenngleich einzelne Forscher, an der Spitze
Ziehen, Siemerling, Tbomsen auch heute noch an dem Bestehen einer
akut entstehenden und akut verlaufenden, dabei zum Teil heilbaren Paranoia
festhalten, das auch Stransky nicht ausschließen will.
War zu Anfang auch in der Systematik Kraepelins und seiner Anhänger
für die Paranoia neben der Dementia paranoides noch ein zwar recht bescheidener,
so doch wohl umgrenzter Platz, so wurde die letztere, anerkannt als Verlaufsform
der Dementia praecox auf Kosten der Paranoia besonders dadurch mehr und
mehr erweitert, daß alle Krankheitsfälle, die Wahnbildungen auf Grund oder
unter dauernder Begleitung und wesentlichem Einflüsse von Sinnestäuschungen
zeigten, ihr ohne weiteres zugerechnet wurden. Andere Autoren gingen noch
weiter. So schließt Klipstein, daß die Paranoia überhaupt nur eine Verlaufs¬
form der Dementia praecox sei; Bleuler hält es ebenfalls für möglich, daß die
Paranoia eine ganz chronisch verlaufende Schizophrenie sei, bei der der Krank-
heitsprozeß gerade noch zur Wahnbildung führte, um so mehr, als der Mechanis¬
mus der Wahnbildung bei beiden Erkrankungen der gleiche ist. Die Bedeutung
der Halluzinationen und Illusionen in der Genese und dem Verlaufe der Paranoia
hat von jeher eine große Bolle in dem Kampfe um ihr Bestehen gespielt und die
Mehrzahl der Untersucher zur Aufstellung einer der Paranoia simplex gleich¬
geordneten Paranoia hallucinatoria geführt. Kraepelin und seine Schule wiesen
1*
4
Geschichtlicher Überblick.
nun im Gregensatze zu namhaften Forschern, an deren Spitze Ziehen stand,
diese letztere aus dem Bannkreise der Paranoia hinaus, lange Zeit zur I^mentia
paranoides, in neuester Zeit aber zusammen mit einer Anzahl phantastischer
Wahnbildungen einer neuen Gruppe von angeblich zusammengehörigen wahn¬
bildenden Psychosen mit neuem Namen, den Paraphrenien, zu, indem sie diese
als eigentliche Krankheitsprozesse im Gegensätze zu den ihre besondere klinische
Gestaltung allerdings erst im Kampfe mit dem Leben gewinnenden psychischen
Mißbildungen, wie sie der Paranoia (im neuesten Kraepelinschen Sinne) zu¬
grunde liegen sollen, ansprachen.
Eine weitere Gefahr entstand der Paranoia aus den Bestrebungen, die,
angeregt durch die Lehren Magnans und seiner Nachfolger, die auf dem
Boden der psychischen Entartung entstehenden wahnbildenden Erkrankungen
von der echten Paranoia abtrennten. Mag na n stellte dem Delire des persöcutions
Lasdgues, dem D61ire chronique Falrets eine Gruppe der I>6gen6r6s h^r^taires
gegenüber, bei der die Krankheitssymptome bis in die Kindheit zurückzuverfolgen
waren, körperliche Entartungszeichen bestanden, psychisch „irrögularit4, dis-
harmonie, des^quilibrement“ nachzuweisen waren, imd in unvermitteltem Aus¬
bruch gleichzeitig oder regellos neben und nacheinander alle möglichen Formen
der Wahnbildung meist abheilend und von kurzer Dauer bei vollem Bewußtsein
bestanden. Neben diesen Zuständen erkannte Magnan noch ein etwa unserer
heutigen Paranoia (Paranoia completa) entsprechendes Krankheitsbild, das
Dälire chronique k Evolution systematique progressive (folie chronique r£gulidre
Camuset) an, bei dem einer Periode der Inkubation ein Stadium der Verfolgungs-
dann der Größenideen folgte und schließlich eine Periode des Schwachsinns,
d. h. der allmählichen Abschwächung der Urteilskraft, des Sinkens des geistigen
Niveaus bei unverändertem Fortbestehen der alten Vorstellungen das Leiden
beschloß. Auch in diesen Fällen kann zwar nach Magnans Anschauung wie bei
jeder Geistesstörung eine erbliche Belastung vorhanden sein, sie ist es aber nicht
in dem Maße, wie es bei den folies des deg6n6r^ h4r6ditaires die Regel ist.
Von den deutschen Autoren beobachtete schon v. Krafft - Ebing die
Paranoia nur bei Belasteten, Schüle rechnete die originäre Verrücktheit und
den Querulantenwahn zu den hereditären Irreseinszuständen, Kirchhoff gibt
an, daß die Verrücktheit ausschließlich bei Belasteten vorkomme. Nach Fried-
mann ist für die Konsolidierung des Wahnes immer eine durch die präexistente
spezifische geistige Veranlagung des Individuums bewirkte Gedankenrichtung
von einseitig affektiver Form maßgebend. Die Abgrenzung der Wahnbildungen
bei Degenerierten gegenüber der echten Paranoia ist aber besonders durch die
Schriften Wilmanns, Bonhöffers, Sieferts und vor allem durch Birn¬
baumsgrundlegende Arbeit zur allgemeinen Anerkennung gelangt. Sie haben ge¬
lehrt, daß auf dem Boden schwerer erblicher Belastimg, die sich meist in einer
Häufung körperlicher und psychischer Entartungszeichen kundgibt, unter stark
affektbetonten äußeren Verhältnissen mit Wahnbildungen einhergehende Krank¬
heitszustände entstehen können, die der Paranoia wohl im Zustandsbilde sehr
ähnlich sind, die sich jedoch von ihr durch einzelne Symptome, vor allem aber
durch Verlauf und Ausgang prinzipiell unterscheiden.
Versuchte so Kraepelin und seine Schule, die Paranoia in der Dementia
praecox auf gehen zu lassen, zweigten andere nach dem Vorgänge Magnans
Geschichtlicher Überblick.
5
die ausgesprochen degenerativen Wahnbildungen von ihr ab, so suchte Specht
den verbleibenden Rest dem manisch-depressiven Irresein zu sichern, ausgehend
von seinen wertvollen Forschungen über die Genese der Wahnbildungen aus
affektiven Störungen heraus. Während im Anschlüsse an Westphal die Mehr¬
zahl der Untersucher die Paranoia als einen abnormen Vorgang im Vorstellen,
eine Störung der Vorstellungssphäre (v. Kr afft - Ebing), als Verstandesirre¬
sein in bewußten Gegensatz zu den Gemütskrankheiten brachten, auch Gramer
sie noch als eine Erkrankung der Verstandestätigkeit, wobei die Affekte nur eine
sekundäre Rolle spielen, definierte, betonte Moeli die ursprüngliche Beteiligung
der Gefühle und Empfindungen in einzelnen Fällen von Paranoia, nachdem bereits
Ganser die plötzliche oder allmähhche Entstehung der Wahnvorstellungen aus
Stimmungen hervorgehoben hatte. Ebenso wurde von Friedmann und an¬
deren die Bedeutung der einseitig affektiven Form der Gedankennchtung für
die Wahnrichtung und Konsolidierung und zum Teil ein primärer, anhaltender,
starker, einseitiger Affekt für die Konzeption der Wahnideen angeschuldigt.
Auch Sandberg, Wernicke, Kirchhoff und Siemerling maßen dem Af¬
fekte eine führende Rolle in der Wahnentstehung bei. Specht kam nun zu der
Ansicht, daß die manisch-depressive Geistesverfassung, die leichte Lockerung
der assoziativen Vorgänge imd die assoziative Plusleistung, wie sie das Charakte¬
ristikum der hypomanischen Veränderung darstellten, zusammen mit dem
pathologischen Grundaffekt die krankhafte Wahnfixierung des Paranoikers zu¬
stande brächten. Darnach war eine prinzipielle Scheidung der Paranoia von der
chronischen Manie für Specht nicht mehr möglich, und er mußte die Paranoia
im manisch-depressiven Irresein aufgehen lassen. Ennen bestätigte diese An¬
schauung, während andere, Margulies, Pick, Linke, Stransky, Krueger
trotz aller Anerkennung der grundlegenden Bedeutung des pathologischen Af¬
fektes für die Genese der Paranoia den letzten Schlüssen Spechts nicht zu folgen
vermochten. *
Es war natürlich, daß sich in einer Zeit der Komplexforschung der Sauer¬
teig Breuer - Freudscher Ideen auch der Paranoia zu bemächtigten suchte,
um so mehr, als sich die Lehre von der affektiven Genese der paranoischen Vor-
stellimgen gerade allgemeinere Anerkennung zu vei*schaffen begann. Vor allem
die Züricher Schule (Bleuler, Maier) suchte Komplexe an der Wurzel der
Wahnbildung bei der Paranoia, ein Bestreben, das von anderer Seite für die
Entstehung der einzelnen Wahnideen teilweise anerkannt, für die Krankheits¬
entstehung als solche jedoch abgelehnt wurde (Kraepelin, Krueger).
Die neuesten Arbeiten über Paranoia beginnen, soweit sie nicht, wie die
V. Hoesslins, Moravcsiks, Hübners völlig auf dem Boden Kraepelinscher
Anschauungen stehen und zwischen Paranoia und Dementia paranoides liegende
besondere Krankheitsgruppen annehmen, die Paranoia wieder zu erweitern, vor
allem durch Anerkennung der Zugehörigkeit derjenigen chronischen wahn¬
bildenden Erkrankungen sonst tj^isch paranoischer Art zu ihr, die dauernd
mit zahlreichen Sinnestäuschungen einhergehen und durch besonders lebhafte
Affekte, auch durch einige Eigenarten der Symptomatik und des Verlaufes
eine besondere Varietät der Paranoia darstellen.
Außer von Kraepelin und seiner Schule ist das Vorkommen auch zahl¬
reicherer Sinnestäuschungen im Verlaufe der Paranoia wohl allgemein anerkannt
6
Geschichtlicher Überblick.
worden. Ein Teil der Autoren steht dabei sogar auf dem Standpunkte, daß es
wohl kaum einen Fall von Paranoia gäbe, der nicht in seinem Verlaufe zu irgend¬
einer Zeit Sinnestäuschungen aufweist (s. Neisser, Pilcz, Berger, Krueger).
Vereinzelte Trugwahmehmungen sind allerdings auch für Kraepelin kein
Hinderungsgrund, die Diagnose Paranoia zu stellen. Ihm gegenüber sei auf
Stransky hingewiesen, der sich nicht entschließen kann, „einen Fall von Para¬
noia bloß, weil er reichlicher halluziniert und reichlicher Wahngebilde produziert,
darum schon nicht Paranoia zu nennen.“
Von den neueren Schriften ist hier vor allem der Arbeit Kleists über die
Involutionsparanoia zu gedenken, dessen Krankheitsbilder als der Paranoia
halluzinatoria zugehörig von den jüngsten Autoren (abgesehen natürlich Krae-
pelin und seine Schule) durchweg anerkannt wurden, dessen weiteren Deduk¬
tionen, sofern sie die im Klimakterium beginnenden Paranoiaerkrankungen als
besondere, von der Paranoia prinzipiell zu trennende darstellen wollen, die sich
autochthon, d. h. aus inneren Ursachen heraus aus einer angeborenen, schon
früh weiter entwickelten „hypoparanoischen“ Konstitution unter dem Ein¬
flüsse der klimakterischen Veränderungen herausbilden, jedoch die allgemeine
Anerkennung mit Recht versagt blieb. Banse, Krueger, Berger beschrieben
gleichartige Erkrankungen, in denen die Sinnestäuschungen einen hervorragenden
Platz in der Genese bzw. der Ausbildung des Wahnes einnehmen. Krueger
setzte sich besonders mit der neuen Paraphreniegruppe Kraepelins ausein¬
ander, die er als nicht einheitlich erkannte, die er zum Teil für die Paranoia in
Anspruch nahm, zum TeU (Paraphrenia phantastica und einen Teil der Para-
phrenia confabulatoria) der Dementia paranoides zuwies. Berger suchte mit
Erfolg die Zusammengehörigkeit der Paranoia hallucinatoria und der Paranoia
Simplex besonders durch den Nachweis von Übergangsformen, in denen die
Sinnestäuschungen erst spät im Krankheitsbild einer sonst typisch verlaufenden
Paranoia simplex auf traten, zu erweisen.
Zum Schlüsse noch einige Bemerkungen über die Geschichte des
Querulantenwahnsinns. Die querulierende Form der Verrücktheit galt seit
Beginn der Paranoiaforschung als der Prototyp der Erkrankung, weil an ihr
die langsame, stetige, kombinatorische Verrückung der Stellung des Individuums
zu seiner gesamten Umgebung, die Systematisierung des Wahnes neben der dauern¬
den Erhaltung der psychischen Persönlichkeit und dem Ausbleiben einer Ver¬
blödung am deutlichsten hervortrat. Bald aber mußten diese Krankheitsfälle,
die auf den ersten Anblick so weitgehende Zusammengehörigkeit zu zeigen schienen,
die Abzweigung einzelner Gruppen erleiden, vor allem, soweit Traumen, Apo¬
plexien, Alkoholismus, Senium als ätiologische Momente eine Rolle spielten
(Koppen). Letzthin hat jedoch auch der Querulantenwahnsinn sich gefallen
lassen müssen, wenigstens in der Kraepelin sehen Sj^tematik aus der Paranoia
ganz zu verschwinden und in die Gruppe der psychogenen Psychosen eingereiht
zu werden, ,,in die Nähe jener anderen, ebenfalls querulatorische Züge annehmen¬
den Krankheitsformen,“ weil die Anknüpfung der Wahnbildiing an einen be¬
stimmten äußeren Anlaß, an die gemütlich stark erregende, wirkliche oder ver¬
meintliche rechtliche Benachteiligung ihn von den ihm sonst ähnlichen Paranoia¬
formen* unterscheiden soll. Er ist damit in die nächsten Beziehungen zu den
Gefängnispsychosen und den Unfallneurosen gesetzt worden. Es soll gleich
Begriffsbestimmung.
vorweg genommea werden, daß diese jüngste (1915) Verrückung der psychia¬
trischen S3n9tematik durch Kraepelin als keineswegs berechtigt anerkannt
werden kann, schon, weil sich bei den in Frage stehenden Fällen von queru¬
latorischer Verrücktheit stets noch andere, nach demselben Schema, aber unter
der Form des Beziehungswahnes in die Erscheinung tretende Beeinträchtigungs¬
ideen nachweisen lassen (Hitzig), andererseits nach der Dauer und dem Fort¬
schreiten des Krankheitsprozesses eine nähere Zusammengehörigkeit z. B. mit
den Gefängnispsychosen nicht bestehen kann. Daß auch die letzteren wie viele
andere „psychogene“ E^ankheitszustände das Symptom des Querulierens zeigen
können, steht damit nicht im Widerspruch.
Überblickt man die Geschichte der Entwicklung und der Schwankungen
des Paranoiabegriffes, so zeigt sich, wie schon erwähnt, daß die Umgrenzung
des Begriffes wieder etwa zum Ausgangspunkte zurückgekehrt ist. Wohl ist
unsere Ansicht von der Entstehung der Wahnideen, von ihrer affektiven Genese
eine andere geworden, wohl kennt unsere heutige Auffassung einen sekundären
Blödsinn nicht mehr, — auch in dieser Frage besteht noch keine Einigkeit (s. z. B.
Ziehen) — aber der größte Teil der neuesten Autoren hat sich doch, im wesent¬
lichen unabhängig voneinander, auf einem Boden zusammengefunden, der der
Griesingerschen Definition des Paranoiabegriffes sehr nahe kommt. Wenn
auch der Entwicklungsgang der Erkrankung selbst heute noch nicht abgeschlossen
ist, so verlohnt es sich doch, eine Beschreibung der Paranoia zu geben, wie sie,
fußend auf Kraepelins älterer Auffassung, doch getrennt von ihm durch die
weitere Entwicklung, die sich in divergierenden Richtungen vollzogen hat, in¬
sofern Kraepelin zu einer fortgesetzten Einschränkung, andere Autoren zu
einer Erweiterung des Begriffes gelangt sind, sich heute darstellt.
Begriflfsbestimmimg.
Die Paranoia ist charakterisiert durch die Ausbildung eines Systems von
Wahnvorstellungen der Beeinträchtigung und der Selbstüberschätzung, das
logisch auf gebaut und weiterentwickelt wird, im wesentUchen aus dem Rahmen
normaler Möglichkeiten nicht heraustritt und bei unbegrenzter Dauer die psy¬
chische Gesamtpersönlichkeit des erkrankten Individuums bis zu dessen Tode,
abgesehen von einer, durch die mehr oder minder weitgehende Einengung des
Interessenkreises hervorgerufenen Einbuße an psychischer Anpassungsfähigkeit,
nur im Sinne des Wahnes verändert, ohne daß es auf außerhalb des wahnhaften
Vorstellungskreises liegenden Gebieten bei Fehlen von Komplikationen zu be¬
ständigen Störungen kommt. Das Leiden ist ein ausgesprochen chronisches,
das aus inneren Ursachen heraus auf dem Boden einer eigenartigen psychischen
Veranlagung, der paranoischen Konstitution, unter allmählich zu krankhafter
Höhe sich entwickelnden Affekten oder meist eigenartigen Affektmischungen
zu einer schleichend beginnenden, langsam fortschreitenden Verrückung des
Persönlichkeitsbewußtseins gegenüber der Umwelt führt, wobei dasselbe trotz
der im Laufe der Erkrankung sich ausbildenden starken egozentrischen Ein¬
engung doch die höheren ethischen Gemeinschaftsgefühle, wie sie das Verhältnis
zur Familie, zu den Mitmenschen darstellen, nur in Ausnahmefällen verliert.
Gelegentlich kommt es zu kurzdauernden transitorischen Zuständen von Er¬
regung (auch mäßiger Verworrenheit?), meist unter dem Einflüsse besonders
8
BegrifFsbesti mmung.
zahlreicher und intensiver Sinnestäuschungen. Die Wahnvorstellungen, deren
Grundidee in ihrem Kern absolut stabil, sich höchstens im Sinne des weiteren
Ausbaues fortschreitend verändert, wozu mannigfache ausschmückende und
erklärende Vorstellungen in häufigerem Wechsel, im Anschlüsse an äußere län-
drücke, zum Teil unter dem Einflüsse von Erinnerungsfälschungen oder Sinnes¬
täuschungen, treten können, haben für den Kranken absoluten Realitätswert;
sie beherrschen sein Denken und Handeln, soweit nicht alteingewurzelte, im
vorpsychotischen Individualcharakter festgegründete Strebungen, mit denen
aber bald eine innige Verbindung hergestellt wird, dem entgegen wirken. Zu
einer völligen Umwandlung oder gar Zerrüttung der Persönlichkeit kommt es
niemals. Die formale Ordnung und Klarheit des Denkens, Wollens und Handelns
bleibt erhalten, da weder das Gedächtnis noch die Urteilskraft an sich geschädigt
werden. Inhaltlich wird ein großer Teil des Denkens von den dominierenden
Wahnvorstellungen in Anspruch genommen und demgemäß auch das Wollen
und Handeln in die Richtung des herrschenden Wahnes abgedrängt. Auf dem
einmal eingeschlagenen Wege schreitet aber sowohl das Denken für lange Zeit
in einer auch für den Geistesgesunden verständlichen, logischen Weise weiter,
als auch bleiben die daraus entspringenden Willensäußerungen mit den ihnen
folgenden Handlungen durchaus geordnet und durchsichtig. Ebenso erleidet
die Affektivität keine prinzipielle Änderung gegenüber dem vorpsychotischen
Zustande, wenn auch entsprechend den pathologischen Vorstellungen, besonders
aber den häufigen krankhaften Sinneswahmehmungen eine stärkere Labilität
der Affekte wie stets eine abnorme Höhe derselben sich findet. Sinnestäuschungen
sind wohl in jedem Falle von Paranoia vereinzelt vorhanden; in einer Anzahl
von Pallen beherrschen sie das Krankheitsbild, üben einen wesentlichen Einfluß
auf dessen Weiterentwicklung aus, können die Wahnbildung auch einleiten.
Den Ausgang des unkomplizierten Leidens, das durch den Tod an Alters¬
schwäche oder diurch interkurrente Erkrankungen geendigt wird, bildet ein
eigenartiges psychisches Siechtum, das durch die immer stärkere Verrückung
der Stellung des Individuums zur Umgebung und die den Wahnvorstellungen
entsprechend sich ausbildende Einengung der Interessensphäre sich charakteri¬
siert, ohne daß es zu wirklicher intellektueller Einbuße, affektiver Stumpfheit
oder ethischem Verfalle kommt. Nachdem er jahrzehntelang seinen Verfolgern
gewehrt, die Verwirklichung seiner Größenideen erstrebt, für sein Recht ge¬
stritten hat, läßt der Paranoiker, zermürbt dimch den steten Kampf, unter dem
Einflüsse meist früh und stark auftretender Alterserscheinungen, an Spannkraft
nach, ohne seine Ideen, die er unverändert vorbringt, zu korrigieren, ohne ge¬
mütliche oder intellektuelle Verblödung, bis der Tod seinem Fürchten und
Hoffen ein Ziel setzt.
Aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen wird dieses, in sich geschlossene
Krankheitsbild im folgenden in drei Untergruppen zerlegt, die als Paranoia com-
binatoria, Paranoia hallucinatoria und Paranoia querulatoria zu bezeichnen
sind. Die halluzinatorische unterscheidet sich dabei von der rein kombinatori¬
schen Form durch die große Zahl, die Stärke und besonders durch den beherr¬
schenden Einfluß, den die Trugwahmehmungen verschiedenster Art und der
verschiedensten Sinnesgebiete auf die Entstehung und Weiterentwicklung des
Wahns ausüben. Eine prinzipielle Scheidung beider Formen besagt diese Ein-
l>ie paranoische Konstitution.
9
teilung nicht; bei der Paranoia combinatoria sind wohl stets im Verlaufe der
Jahre mindestens vereinzelte Sinnestäuschungen nachzuweisen, die Paranoia
hallucinatoria kann eine rein kombinatorische Genese der Wahnvorstellungen
zeigen, Übergangsformen aller Art führen von der einen zur anderen Form
hinüber. Die dritte Untergruppe, die Paranoia querulatoria endlich umfaßt eine
Anzahl von Krankheitsbildem, die die eigenartige Richtung des Grundwahnes
kennzeichnet, bei der aber stets auch andersartige Beziehungsideen, sowohl der
Beeinträchtigung wie der Selbstüberschätzung im Verlaufe der Erkrankung
nachweisbar werden. Gemeinsam ist allen drei Formen die Ätiologie, das Heraus¬
wachsen aus einer speziellen psychischen Konstitution, die Krankheitsentwicklung
und der Krankheitsausgang, die deshalb zusammen besprochen werden.
Die paranoische Konstitution.
Die Paranoia entsteht aus einer eigenartigen seelischen Veranlagung
heraus, die auch in der vorpsychotischen Zeit die Grundzüge des späteren Wahnes
mehr minder ausgeprägt widerspiegelt; der Paranoiker wird geboren. Schon
Sander fand, daß seine originäre Verrücktheit, die zwar sehr verschiedenartige,
von der Paranoia im oben umgrenzten Sinne abweichende Krankheitszustände
umschloß, in der Kindheit stille, zurückhaltende Individuen beträfe, durch deren
Neigung zu phantastischen Träumereien Gedankenreihen entständen, die dem
späteren Wahne die charakteristische Färbung gäben. In ihren späteren Lebens¬
jahren entwickelten sie sich zu isolierten, affektierten, empfindsamen, reizbaren,
im Verkehr scheuen, dabei schwärmerischen, idealistischen, energielosen, pedan¬
tischen Menschen, die leicht exaltiert, leicht verzweifelt, Sonderbarkeiten und
bizarre Launen zeigten. Werner rechnete zu den für die Paranoia disponierten
„einen großen Teil derjenigen Menschen, die, wie Maudsley sagt, an einer
mangelhaften und unbeständigen Konstitution der Nervenelemente litten“, die
durch plötzliche sonderbare und triebartige Kapricen charakterisiert sind, Men¬
schen, die man gewöhnlich eigentümlich oder verschroben nennt, bei denen man
in vielen Fällen als Grund der Exzentrizitäten, die sie im Handeln, Fühlen und
Denken zeigen, eine geistige Abnormität annimmt. Der Zänkische, Streitsüchtige
wird Querulant, der Mißtrauische bekommt Verfolgungs-, der Hochmütige
Größenideen, der Frömmler religiösen, der Erotische sexuellen Wahn. Fried-
mann sah die spezifische Geistesanlage des Paranoikers darin, daß dieser von
früh auf Sklave seiner psychischen Erregbarkeit und seiner Affekte ist, daß er
nicht lernt, sein Aifektleben, sein Affekturteil hinreichend durch Gedanken¬
gänge in Perioden ruhiger Reflexion zu rektifizieren. Es handele sich um Men¬
schen mit ernsthaftem Wesen und Zielen, dabei sehr empfindliche, stets mit sich
beschäftigte Charaktere, die oft durch Mißgeschick verbittert, ein einsiedlerisches
Leben führen und, zeitlebens verschroben, eine Schwäche der altruistischen
Gefühle trotz normaler Urteils- und Denkkraft zeigen. Tiling fand, daß Hoch¬
mut, Empfindlichkeit, Leichtverletzlichkeit, Reizbarkeit und Rachsucht zum
Querulanten, Hochmut verbunden mit Selbstvertrauen, Entschlossenheit, Ehr¬
geiz und Rücksichtslosigkeit zum Megalomanen disponieren. Gau pp hält von
jeher gutmütige und bescheidene, wenig selbstsichere, ängstliche, bis zur
Skrupulosität gewissenhafte, reflektierende, kritische Naturen für besonders zum
paranoischen Wahne veranlagt. Eine spezielle lebhafte Art der Affektivität
10
Die paranoische Konstitution.
neben einem gelockerten Zusammenhang der Assoziationen oder eine Mischung
von beidem fand Maier, eine angeborene Affektstörung auch Lehmann bei
Individuen, die später der Paranoia anheimfallen.
Besonders eingehend hat sich Dieckhoff mit der von ihm als „Paranoesie“
bezeichneten Denkweise dieser Gruppe von Psychopathen beschäftigt. Er fand
eine Unfähigkeit, die äußeren Eindrücke i mm er in entsprechender Weise und in
richtiger Wertschätzung zu verarbeiten, eine Mangelhaftigkeit der gegenseitigen
Korrektur der einzelnen Empfindungen und Sinneseindrücke untereinander,
daneben Verdrehtheiten, Neigung zu schiefen und einseitigen Urteilen und
paradoxen Behauptungen, sprunghaften Gedankengang. Die Individuen sind
von jeher phantastisch, träumerisch oder skeptisch, dünkelhaft, zaghaft, ängst¬
lich, verschlossen, zur Einsamkeit geneigt, sonderbar, schwer verständlich;
zu ihnen gehören die Sonderlinge, Originale, verdrehten Menschen mit ihren
schiefen Auffassungen, barocken Ansichten und Urteilen, ihren bizarren
Handlungen.
Kleist beschrieb eine „hypoparanoische Konstitution“ als Gnmdlage der
Involutionsparanoia, die zu der großen Gruppe abnormer Konstitutionen ge¬
höre. Seine Kranken trugen meist schon in der vorpsychotischen Zeit den Stempel
der späteren seelischen Veränderung in abgeschwächter Form an sich. In vieler
Beziehung wertvolle Persönlichkeiten, tätige, gewissenhafte Menschen von un¬
ermüdlichem Fleiße, sparsam, aufopferungsfähig, gewandt, waren sie anderer¬
seits stets von sich eingenommen, eigenwillige, dabei häufig empfindsame, reizbare
und mißtrauische Menschen. So mannigfach später in der ausgebildeten Psychose
die Affektmischung jedes einzelnen Falles schillerte, so verschiedenartig nuanciert
war die Affektkonstitution in der früheren Persönlichkeit, und auch die besondere
Eigenart jeder paranoischen Psychose entsprach der persönlichen Färbung d^
vorpsychotischen Temperamentes, eine Übereinstimmung, die ebenso die nicht
affektiven Eigenschaften betraf. Nirgends bedeutete die Psychose einen völligen
Bruch mit der früheren Persönlichkeit. Im Gegensätze sei die frühere Ansicht
Neissers erwähnt, die jede Verwandtschaft zwischen Individualität und Paranoia
bestritt.
Nach Kraepelin kann von einer einheitlichen paranoischen Veranlagung
vorderhand nicht die Rede sein, wenngleich die Kranken vielfach von vorn¬
herein deutlich persönliche Eigentümlichkeiten boten, wie reizbares, aufgeregtes,
bisweilen rohes, gewalttätiges Wesen, oder aber Mißtrauen, Eigenwillen, Aber¬
glauben, Ehrgeiz, Unstetigkeit, Willensschwäche, alles Eigenschaften, die ihnen
die Einfügung in das Gemeinschaftsleben wesentlich erschweren müssen.
Köppen endlich fand mit Bezug auf den Querulantenwahnsinn, daß es
sich in einem Teile der Fälle um von Jugend auf mit verbrecherischen Neigungen
behaftete, vielfach vorbestrafte, rechthaberische Individuen handelte, die stets
Lust am Skandal, am Denunzieren und Hetzen, Neigung, an anderen Fehler
aufzudecken, zeigten. Daneben fand sich ein ausgesprochener Mangel konse¬
quenter Lebensführung und damit die Unfähigkeit, eine feste Lebensstellung
zu erringen und sich zu erhalten. Im Gegensätze dazu ergab nach Kraepelin
die Vorgeschichte nur in wenigen Fällen, daß die an querulierender Paranoia
Erkrankten bereits vor der Psychose streitsüchtig gewesen waren; meist war
der die Krankheit auslösende Rechtsstreit der erste im Leben des Individuums,
Die paranoische Konstitution.
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das nicht selten als im gewöhnlichen Verkehr ganz verträglich, wenn auch viel¬
leicht etwas sonderbar bezeichnet wurde.
Nach den Schilderungen, die uns von dem Charakter der Paranoiker in
ihrer vorpsychotischen Zeit gemacht werden, befällt die Paranoia meist intel¬
lektuell nur mäßig begabte, dabei sehr tätige, fleißige Persönlichkeiten, deren
Gemütsleben bereits früh Zeichen abnormer konstitutioneller Veranlagung an
sich trägt. Es handelt sich um eine besondere Gruppe aus dem großen Kreise
der psychischen Degenerationen, deren Glieder in der Quantität und Intensität
der Einzelerscheinungen wohl ihre persönliche Note erhalten, wobei im Anfänge
aber noch nicht zu erkennen ist, wohin die krankhafte Anlage steuert. Allmählich
bildet sich aus dem „allgemeinen degenerativen Grundmyzel“ (Alzheimer),
wesentlich aus inneren Ursachen, unter dauernder Einwirkung äußerer Momente
(Erziehung, häusliche Verhältnisse, Berufsstellung, Lebensschicksale usw.) die
spezielle Tendenz zur paranoischen Denkweise heraus.
Die Unausgeglichenheit der gemütlichen Funktionen pflegt schon in jungen
Jahren eine sehr große zu sein und sich auch im späteren Alter nicht zu vermindern.
Es sind Individuen, die den Extremen zuneigen, die aber nicht, wie es man bei
den zum manisch-depressiven Irresein Veranlagten findet, dauernde starke
Schwankungen des Gemütslebens zeigen, sondern bei denen sich schon früh eine
starke einseitige Denk- und Gefühlsrichtung ausbildet, die sich dafür um so mehr
konsolidiert. Der Wandelbarkeit des Denkens, der Labilität der Affekte des
Zyklothymen steht die dem einseitigen Extrem zuneigende, mehr solide Ge¬
müts- und Charakterausbildung der paranoischen Konstitution gegenüber. Die
einen Individuen sind von Jugend auf hochmütig, überlegen, rechthaberisch,
herrisch, ehrgeizig, zeigen große gemütliche Reizbarkeit, Launenhaftigkeit und
erhöhtes Selbstbewußtsein, vertragen keinen Tadel. Die anderen sind stets gut¬
mütig und bescheiden, sehr empfindsam, furchtsam und schüchtern, dabei
meist träumerisch und phantastisch. Wieder andere sind mißtrauisch, sehr emp¬
findlich im Ehrgefühl, dabei eigenwillig und selbstbewußt, neigen zu strenger
Kritik ihrer Mitmenschen. Andere sind religiös, bigott-fromm, grüblerisch,
asketisch, abergläubisch. Viele zeigen schon frühzeitig einen Hang zur Einsam¬
keit, sind verschlossene, schwer verständliche Naturen, mit denen sich in ge¬
mütlichen Kontakt zu setzen unmöglich ist, fast allen ist ein sehr geringer Grad
von Selbstsicherheit trotz starker Betonung des Ichbewußtseins eigen. In
sexueller Beziehung erscheinen sie meist äußerlich frigide oder aber unent¬
schlossen in der Wahl, anspruchsvoll und sprunghaft in ihren Neigungen.
Es sind demnach Individuen, die schon von Jugend auf sich in den Rahmen
des Gesellschaftskreises, in dem sie stehen, nicht einzufügen vermögen, sei es,
daß sie über ihn hinausstreben, sei es, daß angeborene Eigenschaften ihnen den
Verkehr mit den Mitmenschen überhaupt erschweren bzw. unmöglich machen.
Bei den meisten findet ferner das Ichgefühl eine besondere Betonung, insofern
dasselbe über Gebühr in den Vordergrund tritt; die Sehnsucht nach Hohem und
Großem, das geheime Drängen nach kühner Betätigung (Kraepelin) muß
schon frühzeitig zu Konflikten mit der Umgebung, meist schon gelegentlich
der Erziehung führen, die für die weitere Ausbildung der einseitigen Affektivität
und Denkweise von größter Bedeutung ist. Gelingt es den nächsten Angehörigen
aber vielleicht noch, sich in gemütlichen Rapport mit dem Kinde zu setzen und
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Die paranoische Konstitution.
mildernd auf dessen eigenartiges Auffassungs- und Gemütsleben einzuwirken,
so tritt die Krisis ein, sobald das Individuum des häuslichen Schutzes entbehren
und auf eigenen Füßen stehen muß. Es vermag sich nicht anzupcissen, das für
das Gemeinschaftsleben dringend notwendige Abschleifen der Einzelglieder an¬
einander ist ihm unmöglich, die Konflikte mit der Umgebung mehren sich, eine
starke Verdrossenheit und Verbitterung tritt ein; es kommt zu äußerlicher
Zurückgezogenheit, Einkapselung in die eigenen Ideen, damit zur Verstärkung
der ursprünglichen Gefühls- und Charaktereigenschaften, deren durch die Um¬
welt ungehinderte Ausbildung eine Hypertrophie derselben mit sich bringt^
Damit sind die Möglichkeiten gegeben, die die paranoische Denkweise zur Paranoia
werden lassen, die aus dem natürlichen, angeborenen Charakter des Individuums,
in dem sie bereits präformiert liegt, herauswächst. Die Individuen werden zu
phantasievollen Träumern, mißtrauischen Kleinigkeitskrämern, Hagestolzen,
ekstatischen Frömmlern, Leuten mit übertriebenem Rechtsgefühl und dabei
stark ausgeprägtem Persönlichkeitsbewußtsein, mit anderen Worten zu Sonder¬
lingen imd Originalen, die schon der Laie als verdrehte Menschen bezeichnet,
die durch ihr schrullenhaftes Wesen, ihre schiefen Ansichten und Urteile, ihre
schwer verständlichen, aus dem Rahmen des gewöhnlichen herausfallenden
Handlungen, durch ihre eigenartigen Neigungen in positiver wie negativer
Richtung auf fallen.
Ein nach den eigenen Erfahrungen verhältnismäßig kleiner Prozentsatz
der Paranoiafälle entsteht auf der Grundlage eines geringen bis mäßigen ange¬
borenen Schwachsinns. Die Annahme Hitzigs, daß die Kritiklosigkeit des
Paranoischen gegenüber den eigenen Wahnideen ein Ausdruck „intellektueller
Schwäche“ sei und daß, da dieselbe die Ursache der Wahnbildung darstellt, die
Paranoia stets ein Ausdruck von Geistesschwäche ist, wenigstens stets auf dem
Boden einer zerebralen Invalidität entstände, die Jung, Salgo, Schneider
mehr weniger bestätigten, ist sicher zu weit gegangen, selbst wenn man dem
Begriffe der geistigen „Schwäche“ eine außerordentlich weite Umgrenzung gibt.
Der Ausdruck Geistesschwäche muß für die intellektuellen Minderwertig¬
keiten Vorbehalten bleiben, die sicherlich nur bei einer geringen Anzahl von
Paranoikern nachzuweisen sind, während ein anderer Teil gerade zu den intelli¬
genteren Menschen gehört. Auf diese Frage wie auf die Schwierigkeiten, die
dem Nachweis einer zerebralen Invalidität bei der Paranoia entgegenstehen,
soll weiter unten gelegentlich der Besprechung des Ausganges der Erkrankung
näher eingegangen werden.
Aus den obigen Ausführungen geht bereits die große Bedeutung hervor,
die die Affektivität in der paranoischen Konstitution und ihrer Weiterbildung
besitzt. Schon Ganser zeigte, daß Wahnvorstellungen plötzlich oder allmählich
aus Stimmungen entstehen können; besonders begünstigt nach seiner Ansicht
der Affektzustand der unbestimmten Unruhe, des Mißtrauens und Verdachtes,
das Gefühl der Insuffizienz, Angst, Ratlosigkeit, Erregung, gespannten Er¬
wartung die depressive Wahnbildung. M o e 1 i fand häufig einen primär veränderten
Affektzustand wie Unruhe, Mißtrauen und Empfindlichkeit im Beginne der
Paranoia. Nach Sandberg entsprechen die Wahnideen dem Affekte, aus dem
sie geschlossen werden; die Kleinheitsidee der Depression, die GröBenidee der
Euphorie und die Verfolgungsidee dem Mißtrauen. Im Gegensätze dazu sprach
Die paranoische Konstitution.
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sich Linke dahin aus, daß der Affekt der gespannten Erwartung, „der objektlose
Erwartungsaffekt“ die primäre Gefühlsstörung im Beginne der Paranoia bilde,
ein Affekt, der als ein physiologischer anzusehen sei^ solange er ein Objekt hat
und die Höhe des Affektes dem Werte des Objektes entspricht, der aber zum
pathologischen werde, sobald das den Affekt hervorrufende Objekt bedeutungslos
ist oder aber überhaupt fehlt. Dabei tritt die Wahnidee in dem Momente hervor,
wo der Mensch das Bewußtsein der primären Natur der ihn beherrschenden
Spannung verliert. Zunächst ist nur das lästige spannende Gefühl, daß etwas
in der Luft liegt, vorhanden; der Paranoiker kämpft in dieser Periode noch gegen
die Annahme einer Veränderung der Außenwelt. Allmählich wird dann der Affekt
auf die Außenwelt projiziert. Wer nicke nahm an, daß seine zirkumskripten
Autopsychosen oder fixen Ideen aus überwertigen Vorstellungen, Eigenbeziehung
und gesteigerter affektiver Erregbarkeit bei intaktem Bewußtsein entstehen.
Specht trat für die Entstehung der Paranoia aus dem Mischaffekte des Mi߬
trauens ein. Pick hält dagegen ähnlich wie Linke nicht einen besonderen
Affekt, sondern die unbestimmte Unruhe oder, allgemeiner ausgedrückt, den
Erwartungsaffekt für die Grundlage der krankhaften Eigenbeziehung. Das
Bestehen einer mißtrauischen Verstimmung im Beginne der Paranoia fanden
auch Störring und Margulies, die letzterer aus dem Affekte der unbestimmten
Unruhe entstehen läßt. Nach Kleist sind die Wahnvorstellungen in ihrer ganz
überwiegenden Mehrzahl an krankhafte Veränderungen des Affektlebens geknüpft;
die Stimmungslage ist dabei eine zusammengesetzte, wie bei Ängstlichkeit, Arg¬
wohn, Mißtrauen, Zorn, Entrüstung, Erbitterung, Rachsucht, Eifersucht. Eine
krankhafte Affektüberfülle, wie sie sich bei psychisch Minderwertigen findet,
nimmt Schneider für die Ursache der Urteilstrübung, aus der paranoische
Ideen entstehen können, in Anspruch; auf die Beeinträchtigung der Fähigkeit
zu sachlichem Abwägen durch gemütliche Spannungen weist Kraepelin hin.
Schnitze meint, daß dem Affektreichtum auch der Ideenreichtum entspräche.
Von den neueren Autoren hält nur Moravcsik den affektiven Faktor in der
Genese der paranoischen Ideen für sekundär.
Alles, was von den Autoren als für die Paranoia grundlegender Affekt
angesprochen worden ist, ist eigentlich gar kein Affekt, sondern ein Gemüts¬
zustand mit intellektuellen Komponenten, der seinerseits von Affekten, meist
einer Affektmischung, die an sich wieder mannigfach zusammengesetzt sein kann,
begleitet wird. Für das Mißtrauen hat Bleuler das nachgewiesen. Dasselbe
gilt aber auch für den „Affekt“ der gespannten Erwartung, der allgemeinen
inneren Unruhe u. a., die als grundlegende Stimmungsanomalien aufgefaßt
wurden. Allerdings pflegen diese Zustände von derartig starken Affekten be¬
gleitet zu sein, sie sind so wenig denkbar ohne diese starke Affektbetonung, daß
derselben überragende Bedeutung an ihrem Zustandekommen beigemessen
werden muß, so daß in letzter Linie doch der Affekt, der die genannten seelischen
Zustände hervorbringt und begleitet, als die Stimmungslage, das Denken, Wollen
und Handeln des Paranoikers in der Zeit vor der Wahnbildung und während der
Wahngenese beherrschend angesehen werden muß.
Von den genannten psychischen Zuständen ist in der Tat in vielen Fällen
ein starkes, mehr minder begründetes Mißtrauen schon das Hauptzeichen der
paranoischen Konstitution; noch häufiger wird es in der Zeit vor der Konzeption
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Die paranoische Konstitution.
der ersten Wahnidee durch den Paranoiker als Begleiterscheinung der sich heraus¬
bildenden krankhaften Eigenbeziehung angetroffen. Der Grad dieses Mißtrauens
schwankt; meist steigert es sich von einem noch als normal anzusehenden zu
pathologischer Höhe in langsamer Progression. Mit ihm wächst der begleitende
Affekt, in dem die Unlustkomponente bei weitem überwiegt, wenn es sich auch
nicht um einen reinen Unlustaffekt handelt. Im Anschluß an Situationen, in denen
ein gewisses Mißtrauen berechtigt ist, in Lebens Verhältnissen, die mit großer
Spannung des Selbstbewußtseins wenigstens subjektiv ungenügende äußere An¬
erkennung einhergehen lassen (z. B. Gouvernanten, Lehrer), kommt es zur Aus¬
breitung desselben auf die gesamte Außenwelt, zur Irradiation des begleitenden
Unlustaffektes, und in diesem Momente ist die Entwicklung von Beeinträchtigungs¬
ideen nur noch eine Frage der Zeit.
Bei den geschilderten hochmütigen, selbstbewußten, rechthaberischen,
ehrgeizigen Naturen birgt die egozentrische Charakterausbildung eine besondere
Affektbetonung aller Ereignisse, die jeder Mensch im Lichte seines derzeitigen
Affektzustandes sieht, in sich. Diese Individuen befinden sich in dauernder
Oppositions- und Kampfesstimmung; eine zornige, stets angriffsbereite Reiz¬
barkeit ist vorherrschend. Die Kampfesstimmung ist meist von einem Misch¬
affekt der Lust und Unlust begleitet, letztere entstanden infolge der darin ent¬
haltenen, zum Teil unbewußten Abwehr geheimer aus dem Erwartungszustande
sich ergebender Befürchtungen. Es pflegen sich auch bei diesen Individuen,
sofern die paranoische Konstitution zur Paranoia wird, Verfolgungsideen zu
entwickeln, die sich aber sofort oder doch bald mit Größenvorstellungen innig
verbinden. Zur Entstehung der Wahnideen führt hier die Ausbreitimg der
krankhaften Affektmischung auf alle psychischen Vorgänge und meist eine
weitere Steigerung der Betonung des Ichbewußtseins.
Daß bei den religiösen, bigott-frommen, grüblerischen, zur Ekstase neigen¬
den Personen ein Affekt grundlegend und ausschlaggebend ist, bedarf keiner
weiteren Erörterung. Unsere ganze Religion wendet sich ja nicht an die Intelligenz
des Menschen, sondern an sein Gefühlsleben, an seine Affektivität; verstandes¬
mäßig ist nichts davon zu begreifen außer der Hoffnung des Menschen auf ein
besseres Jenseits nach der Not und Trübsal dieses Lebens imd seinem Streben
danach. Schon darin liegt wieder die außerordentlich starke und wirksame
Lustkomponente des religiöse Dinge begleitenden Affektes, die zum religiösen
Größenwahn disponiert. Nur in selteneren Fällen überwiegt der Unlustaffekt
infolge der Besorgnisse wegen der eigenen Sündhaftigkeit, der zu entsprechenden
Ideen der Versündigung führt. Es zeigt sich hier wieder, daß dieselbe Veranlagung
je nach der Affektbetonung zu entgegengesetzten Wahnvorstellungen führen
kann, ein weiterer Beweis für die ausschlaggebende Rolle, die die Affektivität
in der paranoischen Konstitution und ihrer Weiterbildung zur Paranoia spielt.
Noch weniger als eine Erörterung der Bedeutung der Affektivität bei den
religiösen Schwärmern ist eine solche für die Sexualität des Menschen notwendig.
Auch hier wird es je nach der Affektkomponente, die in der Sexualität der zur
Paranoia disponierten Individuen überwiegt, zu Beeinträchtigungsideen, speziell
dem Eifersuchtswahn, oder zu erotischen Selbstüberschätzungsvorstellungen
kommen. Daß dabei im ersteren Falle, wie besonders nach den Erfahrungen,
die an andersartigen Kranken, den Alkoholikern, gemacht sind, wahrscheinlich
Die paranoische Konstitution.
15
tatsächliche Veränderungen der geschlechtlichen Funktionen, Abnahme der
sexuellen Potenz trotz großer Begehrlichkeit, bzw. eine beginnende Frigidität zu¬
grunde liegen, ist unwesentlich. Die auf die lebhafte Sexualität gerichtete indi¬
viduelle Anlage mit ihrer außerordentlich starken Affektbetonung ist doch als
das Ausschlaggebende zu betrachten; die Rolle, die der Alkohol mit seiner das
Gemütsleben besonders reizenden Wirkung beim Eifersuchtswahn des Trinkers
spielt, gibt bei dem Paranoiker die angeborene pathologische Affektlage ab.
Das Gemütsleben der bescheidenen, empfindsamen, schüchternen, dabei
träumerischen und phantasiereichen Naturen ist von einem Gemisch von Lust-
iind XJnlustaffekten begleitet. Es ist jedoch gewöhnlich, daß diese Individuen
trotz der vielen Enttäuschungen, die sie infolge ihrer gänzlichen Unfähigkeit,
sich und ihrer Tätigkeit die Anerkennung zu verschaffen, die ihnen gebührt,
erleben, nicht dem Beeinträchtigungswahn sondern dem primären Größen¬
wahn zutreiben. Besonders ein großer Teil der krankhaften Erfinder geht aus
dieser Gruppe paranoischer Konstitutionen hervor, die jahrzehntelang still für
sich ihren Ideen nachhängen, sie ausarbeiten und zu vervollkommnen suchen,
unbekümmert um zahlreiche Enttäuschungen, um die Sorge um das tägliche
Brot an ihren Stern und ihr Talent glauben, oft, ohne daß es bis zu ihrem Ende
zu dauernden Beeinträchtigungsideen kommt.
Ein Mischaffekt beherrscht die Individuen, die zur querulierenden Ver¬
rücktheit disponiert sind, mit ihrer aus Mißtrauen, Kleinlichkeit und Verbohrt¬
heit, Eigenwilligkeit und Selbstbewußtsein gepaart mit großer Empfindlichkeit
des eigenen Ehrgefühls zusammengesetzten Charakteranlage. Bei dieser Art
von krankhafter Veranlagung ist die unlustbetonte Affektseite die überwiegende;
es pflegen sich deshalb neben dem Gefühle der Kränkung des eigenen Rechtes
stets noch andere Beeinträchtigungsideen herauszubilden, während die ver¬
borgenen Selbstüberschätzungsvorstellungen erst in späteren Stadien des Leidens
hervortreten.
Die paranoische Konstitution wächst sich so unter dauernder Führung
der Affekte aus den Zeichen der allgemeinen degenerativen Psychopathie in der
Kindheit aus und macht die Menschen, denen sie anhaftet, mit der Zeit zu aso¬
zialen Individuen, die für das Gemeinschaftswesen unbrauchbar, einsiedlerisch
dahinleben, keinen Verkehr, häufig nicht einmal mit den nächsten Angehörigen
pflegen, in ihrer Beschäftigung versimpeln, auch wenn sie auf diesem einseitigen
Gebiete, oft gerade durch das völlige Sichversenken in die spezielle Materie,
zu dem sie durch ihre Veranlagung geneigt sind, hervorragendes leisten, zu Sonder¬
lingen, Originalen werden, ohne daß sie zu den Geisteskranken zu zählen wären.
Eingekapselt in sich selbst, behütet von irgendeinem alten Faktotum, das ängst¬
lich jede Störung von außen abzuhalten sucht, dabei sich oft auf dem Wege
der psychischen Induktion die Denkart des Herrn zu eigen macht, vielfach die
liebe und Freundschaft, die sie den Mitmenschen versagen, auf ihre Haustiere
übertragend, stets beschäftigt mit ihren Lieblingsideen, ihrem Lieblingsstudium,
ihren Sammlungen, ihren Erfindungen, nehmen sie an ihrer Umgebung, die sie
mit äußerstem Mißtrauen beobachten, keinen Anteil und werden so infolge der
persönlichen Färbung ihrer Beziehungen zur Außenwelt einseitig und schief
in Ansichten und Urteilen, eigenartig in ihren Gefühlen, bizarr in ihren Hand¬
lungen. Derartige Individuen sind verhältnismäßig nicht selten; sie zeigen den
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Die Entviicklung der Paranoia.
höchsten Grad der paranoischen Konstitution, sie stehen ein Leben hindurch
auf des Messers Schneide zwischen psychischer Gesundheit und Krankheit, be¬
finden sich sozusagen ihr ganzes Leben lang auf dem Wege zur Paranoia, so daß
oft schwer zu entscheiden ist, wo die Sonderbarkeit aufhört, wo die Paranoia
beginnt.
Doch nur ein Teil derartiger Individuen bleibt auf dieser erträglichen
Stufe paranoischer Denk- und Handlungsweise stehen; in einem anderen kommt
es zur Entstehung von eigentlichen Wahnvorstellungen und damit zur Paranoia.
In weiterer Ausbildung der der paranoischen Konstitution eigentümlichen
Reaktionsweise, die den Beziehungsideen den Boden bereitet, tauchen Ideen
der Beeinträchtigung, der Größe auf, oder aber es kommt zu den eigenartigen,
als querulierende Paranoia bezeichneten Beeinträchtigungsvorstellungen auf
rechtlichem Gebiete verbunden mit andersartigen Beziehungsideen.
Die Entwicklung der Paranoia.
Nachdem durch jahrelange, schleichend fortschreitende Weiterentwicklung
der paranoischen Konstitution ohne eigentliche Umwandlung der Persönlichkeit,
ohne daß es an einer Stelle zu einem Bruche mit den indi viduellen Charaktereigen¬
schaften, die jedoch oft karikaturenhaft verzerrt werden, kommt, sondern nur
durch eine Verrückung des Standpunktes der im Kern unveränderten Gesamt¬
persönlichkeit zur Umwelt unter dauernder Begleitung und Führung sehr leb¬
hafter Affekte der krankhafte Gemütszustand und die abnorme Denkweise eine
gewisse Höhe überschritten hat, bildet sich langsam eine pathologische Affekt¬
höhe heraus, die jedes Erlebnis, jede Empfindung, ja die eigenen Gedanken in
dem besonderen Lichte dieses Affektes erscheinen läßt. Die Entstehung der
ersten Wahnidee aus diesem gespannten Gemütszustände und damit der Be¬
ginn der paranoischen Erkrankung erfolgt meist wieder unter Verhältnissen, die
eine große Einwirkung auf die Affektivität haben, in denen innere oder häufiger
äußere Ursachen die schon gegebenen Affekte noch verstärken bzw. einen
Affektsturm verursachen. Die Lebensschicksale spielen dabei eine große Rolle,
sie geben dem Wahne den Inhalt, während die Wahnform in der paranoischen
Anlage begründet liegt (Friedmann). Dahin gehört die materielle Sorge und
Not, die die Kranken vidleicht schon der der krankhaften Anlage entsprossenen
eigenartigen Handlungsweise zu verdanken haben, die sie über ihren religiösen
Grübeleien, ihren Basteleien, der Verfolgung ihrer Rechtsstreitigkeiten das Not¬
wendigste versäumen läßt. In dem Augenblicke, in dem der Konkurs unab¬
wendbar ist, der Gerichtsvollzieher zur Pfändung erscheint, wird der Wahn
offenbar. Ein weiteres auslösendes Moment ist die Strafhaft mit ihrer überaus
starken Affektbetonung, die eventuell Delikte zur Grundlage haben kann, die
durch die selbstherrliche, überenergische, keine Autorität anerkennende Ver¬
anlagung verschuldet sind. Das Berufsleben, besonders Konflikte in Stellungen,
in denen das Individuum sich nicht wohl fühlt (Gouvemantenwahn), Unglücks¬
fälle, die dem Kranken unter Umständen zugleich den letzten Halt nehmen
(Tod der Eltern u. a.), schreckenerregende Ereignisse (Eisenbahnzusammen¬
stöße, Erdbeben), enttäuschte Liebeshoffnungen, die an sich bereits einer krank¬
haft gesteigerten Erotik entstammen, haben die gleiche Wirkung. Daß auch
der Unfall das Bestehen einer Paranoia offenbaren kann, wobei dann neben
Die Entwicklung der Paranoia.
17
ilun als auslösendem Moment die Psychopathie berücksichtigt werden muß,
betont Tintemann. Dem Querulanten gibt der erste wirkliche Rechtsstreit,
der schon durch die abnorme Konstitution bedingt sein kann, der zu seinen Un¬
gunsten verläuft, der vielleicht wirklich einen Rechtsirrtum bedeutet, mit seiner
starken affektiven Komponente den Anlaß zur Bildung wahnhafter Beeinträch¬
tigungsideen. Schließlich dürfte auch ganz andersartigen Einflüssen, wofern
sie nur die Affekte in besonders starker Weise in Mitleidenschaft ziehen, eine
auslösende Rolle bei der Entstehung der ersten Wahnidee zuzuschreiben sein,
wie z. B. einer kurz dauernden Periode extremen Alkoholgenusses. An dieser
Stelle ist auch des Einflusses plötzlich aufschießender Sinnestäuschungen zu
gedenken, die ihrerseits auf dem Boden der krankhaften paranoischen Veran¬
lagung entstehen, die aber als erstes wirkliches Krankheitszeichen den Verfol-
gxmgs- oder Größenideen den Eintritt ins Bewußtsein ermöglichen.
Nicht immer ist eine derartige auslösende Ursache zu ermitteln; es gibt
Fälle, in denen die erste Wahnidee sich anscheinend schleichend entwickelt,
ohne daß es möglich wäre, außer der langsamen psychopathischen Umwandlung
der Denk- und Handlungsweise nachträglich ein wirksames Moment herauszu¬
finden. Ganz abgesehen davon, daß die Vorgeschichte auch in dieser Beziehung
oft im Stiche läßt, daß zwischen dem auslösenden Ereignis und dem sichtbaren
Hervortreten der ersten Wahnidee eine größere Spanne Zeit liegen kann, wie
das Merklin häufig fand, ist anzunehmen, daß innere Affektstürme, die infolge
der eigenartigen Gedankenreihen derartiger Individuen auf tauchen, die gleiche
Wirkung haben wie äußere affektive Einflüsse. Die Entstehung der ersten Wahn¬
idee aus Sinnestäuschungen und ekstatischen Zuständen (Ergriffenheit, Ziehen)
heraus würde den Übergang zu den äußeren veranlassenden Momenten dar¬
stellen. Daß die Ursache der ersten Wahngenese zuweilen eine ganz unbedeutende,
zu ihren Folgen in keinerlei Verhältnis stehende sein kann, erklärt sich daraus,
daß es bei der allgemeinen krankhaften Höhe der Affektivität und der krank¬
haften Veranlagung des ganzen Gemütslebens oft nur eines kleinen Anstoßes
bedarf, um das seelische Gleichgewicht völlig zu stören und zur „katath 5 nnen“
(Maier), d. h. durch Wunsch- und Angsteffekte oder ambivalente Strebungen
im Zusammenhänge mit bestimmten Vorstellungskomplexen bewirkten Wahn¬
bildung zu führen. Maier unterscheidet deshalb zwei Gruppen von zur Paranoia
disponierten Individuen; einmal solche mit angeboren unklaren Vorstellungen,
über die die Affekte leicht überwiegen können, andererseits solche mit normaler
Intelligenz, die aber eine angeborene sehr lebhafte Affektivität mit großer Tena-
zität haben. Mangelhaftigkeit der Verstandestätigkeit und krankhafte Affekt¬
anlage stehen so in bestimmtem gegenseitigen Verhältnis und können sich bei
der Vorbildung des zur Wahngenese geeigneten Bodens wie bei dieser selbst bis
zu einem gewissen Grade ergänzend vertreten. Interessant ist in diesem Zusam¬
menhänge die Ansicht Kreusers, daß für die chronische Paranoia nur kleine
Ursachen wirksam wären, da sonst ein Sturm im Bewußtsein oder in den Affekten
entstehen würde, der zu einem ganz anderen Krankheitsbilde führen müßte;
auch Kraepelin schreibt den letzten entscheidenden Anstoß zur Anerkennung
des Wahnes nicht selten an sich ganz unbedeutenden Vorgängen zu. Auf Grund
dieser ersten wahnhaften Störung der Vorstellungssphäre verliert das Individuum
mehr weniger die Fähigkeit, neu erworbene Vorstellungen mit den älteren har-
Krueger, Die Paranoia. 2
18
Die Entwicklung der Paranoia.
monisch zu verbinden, weil die krankhafte Idee „überwertig“ ist, das ganze
Denken beherrscht, so daß neue, besonders der wahnhaften Vorstellung ent¬
gegenstehende Erfahrungen nicht aufgenommen werden und damit eine Kor¬
rektur der Wahnideen unmöglich wird. Eine solche Bedeutung können nur Vor¬
stellungen erlangen, die sich an ein stark affektbetontes Ereignis anschließen, wie
auch Förster betont. Ähnliches nehmen auch Bleuler und Maier an, wenn sie
die Bedeutung der „Komplexe“ in der Paranoia hervorheben; allerdings sind der¬
artige Komplexe keineswegs Ursache der Paranoia an sich, sondern nur Kristalli¬
sationspunkte der einzelnen Wahnvorstellungen, die allein ja das Wesen der Er¬
krankung nicht ausmachen, sondern nur ihr hervorstechendstes Symptom darstellen.
Daß durchaus nicht immer gefühlsbetonte Komplexe an der Wurzel der
paranoischen Wahnideen sich finden, betont auch Berze, der dabei allerdings in
der Störung der Affektivität bereits einen Folgezustand der Einwirkungen der
krankhaften Vorstellungen sieht, die ihrerseits einem Versagen der Apperzeption,
also des Vorganges, „durch welchen irgendein psychischer Inhalt zu klarer Auf¬
fassung gebracht wird,“ ihre Entstehung verdanken, so daß das psychische
Leben des Individuums sich mehr in einem unterbewußten oder halbbewußten
Zustande abspielt. Daß eine derartige Störung mit ihrer Steigerung des Gefühles
des Erleidens, des widerstandslosen Hingegebenseins an fremden Einfluß und
Willen, aus dem der Wahn des „Geschädigtseins“ und weiter der Beziehungs¬
und Verfolgungswahn entstehe, für die Paranoia pathognomonisch sei, ist aller¬
seits bestritten worden.
Die Affektrichtung, die diese stark gefühlsbetonten Ereignisse zeigen, ist
für die Richtung des durch sie ausgelösten Wahnes anscheinend völlig bedeutungs¬
los. Stark unlustbetonte Momente können sowohl die Ursache von Verfolgungs-
wie von Größenideen werden, der Tod geliebter Personen, die Strafhaft wie
ein freudiges Ereignis können zum Ausbruch des Größen- wie des Verfolgungs¬
wahnes führen. Es kommt nur auf den Eintritt einer Gemütserschütterung,
eines AHektstoßes an sich an, von dessen Richtung aber die Richtimg des Wahnes
unabhängig ist. Die letztere ist nur in der vorpsychotischen paranoischen Ver¬
anlagung mit der ihr eigentümlichen Affektrichtung begründet, sie entwickelt
sich aus den schlummernden Leidenschaften des Ichkomplexes heraus (Tiling).
Wenn aber im Beginne der Wahngenese dennoch durch die überwältigende
Stärke der den Wahn auslösenden Gemütserschütterung diese auf die Wahnfabel
einen geringen Einfluß erlangt, so ist derselbe stets ein vorübergehender und
macht in kurzem unter Abblassen der entstandenen Beziehungsideen dem in
der Konstitution verborgen gelegenen Wahne Platz.
Es geht aus den obigen Ausführungen hervor, daß bei dem Ausbruch der
Paranoia psychogene Momente als auslösende Ursache anzuschuldigen sind, und
es sei deshalb an dieser Stelle die Frage erörtert, ob wir es bei der Paranoia mit
einer eigentlichen Krankheit, d. h. mit einem zu irgendeinem Zeitpunkte des
Lebens einsetzenden krankhaften Prozesse, der in das psychische Leben zer¬
störend und verzerrend eingreift und etwas Neues im psychischen Geschehen
darstellt, zu tun haben, oder ob es sich niu* um die folgerichtige Weiterbildung
einer abnorm veranlagten, eigenartigen Persönlichkeit, die unabwendbar ist,
und um deren Reaktion auf die verschiedenen, im Laufe des Lebens sie treffenden
psychogenen Insulte handelt.
Die Entwicklung der Paranoia.
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Schon Tiling nahm an, daß die chronische Paranoia fast ohne das Hinzu¬
treten eines fremden, neuen Momentes aus dem natürlichen angeborenen Charakter
des Individuums herauswachse. Jelgersma rechnet die Paranoia zu der Gruppe
der Keimpsychosen, die bei einer von Anfang an defekten Anlage entstehen,
deren Ausbruch aber durch ungünstige Lebensverhältnisse in ihrem Auftreten
beschleunigt, in ihrer Intensität erhöht werden können. Die Symptome fügen
sich in das Schema der normalen psychischen Prozesse, sind quantitativ, nicht
qualitativ von den normalen Geisteszuständen verschieden, zeigen alle möglichen
Übergänge zur Norm und einen mehr weniger psychogenen Charakter. Die
psychogene Entstehung der paranoischen Ideen auf endogenem Boden betont
auch Schnizer. Die Heidelberger Schule, an der Spitze Wilmanns, betrachtet
die echte Paranoia und den Querulantenwahn nicht als Erkrankungen im engeren
Sinne, sondern vielmehr als „die auf ein mehr oder weniger affektbetontes Er¬
lebnis hin einsetzende Verirrung der Entwicklung bestimmter Degenerations¬
formen“. Auch Bo ege möchte die Paranoia in die Gruppe der konstitutionellen
Psychopathien einordnen. Kraepelin schreibt ebenfalls der Paranoia in ge¬
wissem Sinne eine psychogene Entstehungsweise zu, insofern bestimmte Lebens¬
erfahrungen einen maßgebenden Einfluß auf die Gestaltung des Wahnsystems
gewinnen können. Er glaubt dabei, daß es zur paranoischen Wahnbildung infolge
von durch teilweise Entwicklungshemmungen bedingten Unzulänglichkeiten der
Verstandesarbeit komme, die gewisse ursprüngliche Denkgewohnheiten, die
sonst mit der Reifung der geistigen Persönlichkeit mehr und mehr überwunden
würden, dauernd fortbestehen lassen und bei entsprechender gemütlicher Ver¬
anlagung allmählich jene Verfälschung der Lebensanschauungen bedingen, die
die Paranoia kennzeichnet. Er schließt, daß ein ausschlaggebender Grund für
die Annahme eines Krankheitsvorganges als Ursache der Paranoia nicht vor¬
handen ist, daß es sich bei derselben vielmehr um die natürlichen Umwandlungen,
denen eine psychische Mißbildung unter dem Einflüsse der Lebensreize unter¬
liegt, handelt. Er weist auf die vielen gemeinsamen Züge hin, die die Wahn¬
bildung des Paranoikers mit dem unentwickelten Denken des Kindes bzw. der
auf tieferer Kulturstufe stehenden Völkerschaften hat.
Daß die Paranoia eine exquisit degenerative Geistesstörung ist, ist bereits
wiederholt betont worden; ebenso ist auseinandergesetzt, daß die degenerative
Veranlagung, die als paranoische Konstitution bezeichnet wurde, in langsamer
Steigerung bis zu dem Punkte sich entwickelt, auf dem mit der ersten Wahnidee
die Paranoia entsteht. Wenn trotzdem die Paranoia als ein selbständiger Krank¬
heitsprozeß aufzufassen und von der allgemeinen psychischen Degeneration zu
trennen ist, so geschieht das, weil einmal die Denkweise des ausgebildeten Para¬
noikers von der des Geistesgesunden doch durch eine tiefe Kluft getrennt ist,
die in der Entwicklung der Paranoia an der Stelle liegt, wo die erste wirkliche
Wahnvorstellung auftaucht, andererseits dieses Auftauchen wirklicher Wahn¬
vorstellungen aus den allgemeinen Beziehungsideen heraus wohl stets mehr
minder plötzlich erfolgt^ daß äußeren Umständen in der Mehrzahl der Fälle
ein entscheidender Einfluß auf die erste Wahngenese zuerkannt werden muß.
Auch die Haftpsychosen, auf die vielfach zum Vergleiche hingewiesen worden
ist, sind schließlich echte, vorübergehende Krankheitsprozesse, nach deren Ab¬
lauf wieder der psychische Status quo ante erreicht wird, auch wenn dieser bereits
2 *
20
Die Entwicklung der Paranoia.
eine abnorme seelische Verfassung bedeutet. Die ausgebildete Paranoia einfach
als eine psychische Mißbildung zu betrachten, geht nicht an; eine psychische Mi߬
bildung ist die paranoische Konstitution, der paranoische Keim, mit dem viele
Individuen ein Leben lang behaftet sind, aus der die Krankheit Paranoia aber
nur in vereinzelten Fällen heraus wächst. Aus demselben Grunde ist es auch nicht
angängig, eine Paranoia der Degenerierten von einer solchen nicht degenerierter
Individuen zu unterscheiden, worauf schon Mercklin hinwies. Die Paranoia
ist demnach ein Krankheitsprozeß, der mit der Bildung wahnhafter Vorstellungen
beginnt, der die Berichtigung dieser falschen Ideen verhindert, häufig auch die
normale Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt und unter dem dauernden Ein¬
fluß des Wahnes die Denkweise und das Fühlen des erkrankten Individuums
fortschreitend verändert; erwachsen ist er auf der Grundlage einer angeborenen
psychischen Mißbildung, aus der die Erkrankung unter der Einwirkung gemüt¬
licher Erschütterungen, also äußerer psychogener Momente sich entwickeln
kann, ohne daß das eine Naturnotwendigkeit wäre. Daß infantile Züge (Dro-
mard) im Bilde der Paranoia erscheinen, entspricht dem Vorhandensein der
seelischen Entartung, die stets mit ihrer schwärmerischen, idealistischen Welt¬
auffassung, ihrem sprunghaften Denken, ihrem wechselvollen Wollen und Han¬
deln, ihrer Ablenkbarkeit und geringen Konzentrationsfähigkeit dem Denken,
Fühlen und Handeln des Kindes nahe steht. Diese kindlichen Züge der psycho¬
pathischen Konstitution legt die ausgebildete Paranoia besonders in dem Punkte
der Unbeständigkeit und des Mangels an Konzentrationsfähigkeit ab, die der
einseitigen Verbohrtheit in die eigenen Ideen, der Stabilität der VorsteUungen,
der starken egozentrischen Konzentration Platz machen. Diese letzteren Züge,
die Starrheit des Wahnes der Paranoiker, der Starrsinn, mit dem einmal ge¬
bildete wahnhafte Ideen festgehalten werden, der Mangel psychischer Schmieg¬
samkeit kann andererseits gerade mit den Erscheinungen des beginnenden Alters
in Parallele gesetzt werden; auch im Beginne des Seniums ist eine starke ego¬
zentrische Einengung der Persönlichkeit, Neigung zu Unbelehrbarkeit, Mi߬
trauen und Rechthaberei nachzuweisen, kurz eine allgemeine Erstarrung der
psychischen Funktionen zu konstatieren, die sich in dem Festklammem an den
alten eingewurzelten Vorstellungen, der Unfähigkeit, neue Eindrücke mit den
alten zu verbinden, von den eigenen abweichende Gedankengänge zu verstehen
und zu beurteilen, verbunden mit vagen Ideen der Zurücksetzung äußert. Genau
dieselben psychischen Erscheinungen finden sich in ausgesprochenem Maße bei
der Paranoia, besonders deren kombinatorischer und querulierender Form.
Daß auf diese Ähnlichkeit der paranoischen Gedankengänge mit denen des
Seniums großes Gewicht zu legen ist, wird gelegentlich der Besprechung des
Ausganges des Paranoia und der bei ihr erhobenen klinisch-körperlichen und
pathologisch-anatomischen Befunde besonders hervorgehoben werden.
Die Weiterbildung zur Paranoia nimmt die paranoische Konstitution nur
selten. Die in der Literatur darüber niedergelegten Zahlen schwanken ent¬
sprechend der Verschiedenheit der Begriffsfassung der Paranoia in weiten Grenzen.
Mercklin fand unter 200 Anstaltsaufnahmen einen Paranoiafall, Weygandt
konnte unter 3000 Aufnahmen nur dreimal die Diagnose Paranoia als vorläufig
zutreffendste stellen, während v. Hoeßlin bei Durchsicht von 16 000 Kranken¬
geschichten keinen Fall von Paranoia fand, auf den Kraepelins neueste Schil-
Die Entwicklung der Paranoia.
21
derung zutraf. Im allgemeinen ist in etwa 1% der Anstaltsaufnahmen die Dia¬
gnose Paranoia im oben umgrenzten Sinne zu stellen: doch wäre es verfehlt,
daraus einen Rückschluß auf die wirkliche Häufigkeit der Erkrankung zu machen,
da ein großer Teil der Paranoiker nie der Anstaltspflege bedarf, sondern sich trotz
seiner Krankheit das ganze Leben hindurch in der Freiheit zu halten vermag.
Es sind das Fälle, in denen der Wahn nicht gerade vitale Interessen des Indi¬
viduums oder seiner Umgebung betrifft, in denen der Kranke deshalb vor ernsteren
Zusammenstößen mit derselben, die meistens den Grund für die Einlieferung
in die Anstalt abgeben, geschützt werden kann. In hohem Grade abhängig ist
die Frage der Notwendigkeit der Anstaltspflege natürlich von der sozialen Lage
des Individuums. Wenn in den Irrenanstalten trotzdem weit mehr derartige
Kranke verpflegt werden, als dem obigen Prozentsätze entspricht, so ist das der
Langlebigkeit dieser Patienten zuzuschreiben, die die große Masse der Para¬
lytiker wie einen großen Teil der Schizophrenen und Epileptiker überleben.
Was die Häufigkeit der Beteiligung der Geschlechter an der Erkrankung
betrifft, so kann der einzelne Beobachter bei der relativen Seltenheit der Fälle
für seine Zahlen keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Kraepelin fand,
daß fast 70% seiner Kranken Männer waren; Berger konstatierte ebenfalls
die Paranoia simplex häufiger beim männlichen, die Paranoia hallucinatoria
dagegen häufiger beim weiblichen Geschlechte. Letztere Beobachtung, die von
Samt bestätigt wird, führt er auf die größere Irritabilität der Rindenzentren
bei den weiblichen Individuen zurück. Nach eigenen Erfahrungen dürfte ganz
cdlgemein die Erkrankung des weiblichen Geschlechtes an der Paranoia im oben
umgrenzten Sinne überwiegen; dabei kommt die Paranoia combinatoria bei
beiden Geschlechtern etwa gleichmäßig häufig vor, die Paranoia hallucinatoria
ist überwiegend beim weiblichen Geschlechte anzutreffen (3:1), während der
Querulantenwahnsinn naturgemäß mehr dem männlichen Geschlechte Vorbe¬
halten ist. Dieses Überwiegen der Erkrankungsziffer des weiblichen Geschlechtes,
vor allem an der Paranoia hallucinatoria, dürfte neben dem von Berger an¬
gegebenen Grunde in engem Zusammenhänge mit dem Zivilstande der Erkrank¬
ten, besonders der erkrankten Frauen, stehen. Von den letzteren waren über
80% ledigen oder verwitw^eten Standes, etwa verwitwet. Die bereits oben
erwähnten Umstände, durch die die Weiterentwicklung der paranoischen Kon¬
stitution angeregt wird, die Unsicherheit der sozialen Position, oft materielle
Not, vielleicht auch eine aus unbefriedigter Sexualität entspringende gemütliche
Verstimmung als Hilfsursache dürften dieses Überwiegen der Frauen in der
Erkrankungsziffer verschulden.
Die Paranoia ist vorzugsweise eine Erkrankung des späteren Lebensalters,
eine Eigenschaft, die sie mit allen durch ausgedehntere Wahnbildung begleiteten
Psychosen teilt. Die Ausbildung von wahnhaften Vorstellungskreisen bedarf
anscheinend eines erheblicheren Vorstellungsschatzes, einer Summe von Lebens¬
erfahrungen, deren krankhafte Verarbeitung möglich ist. Selbstverständlich
ist das kein Dogma; der individuellen Eigenart und den äußeren Verhältnissen,
die manchen Menschen bereits in jungen Jahren ausgedehnte Lebenskenntnisse
erwerben lassen, entsprechen auch in der Paranoia Fälle, in denen das Leiden
in verhältnismäßig frühem Lebensalter beginnt, wenngleich derartigen Fällen
gegenüber stets große Skepsis am Platze ist. Eine Schwierigkeit bei der Fest-
22
Die Entwicklung der Paranoia.
Stellung des Erkrankungsalters li^ weiter darin, daß es bei einem Leiden, das
sich schleichend aus einer eigenartigen Geistes- und Gemütsverfassung entwickelt,
schwer ist, den Beginn des eigentlichen Krankheitsprozesses zu bestimmen.
Kraepelin gibt für seine Fälle an, daß 2/3 derselben nach dem 30. Lebensjahre
erkrankten, verhältnismäßig häufig zwischen dem 30. und 40. Jahre, daß sich
in vereinzelten Fällen aber die Spuren der Krankheit bis ins 16. und 18. Lebens¬
jahr verfolgen ließen. Nach Kleist fällt der Beginn der von ihm Involutions¬
paranoia genannten Fälle ins 40. bis 52. Lebensjahr. Nach einer eigenen Zu¬
sammenstellung, die allerdings eine große Anzahl halluzinatorischer Paranoia¬
erkrankungen in sich faßt, beginnt nur ein ganz geringer Prozentsatz der Er¬
krankungen vor dem 30. Lebensjahr, der Kulminationspunkt findet sich zwischen
dem 40. und 45. Lebensjahre, doch erkrankt eine Reihe von Individuen noch
in dem nächsten Lebensjahrzehnt. Jedenfalls ließ sich der Beginn sicherer
krankhafter Erscheinungen in 75% der Fälle in die Zeit zwischen das 40. und
55. Lebensjahr verlegen (s. Fig. 1 ).
Die Häufigkeit der Erkrankung in diesem
Zeitraum, in den das Klimakterium fällt, hat
Kleist dazu geführt, diese Fälle als eine be¬
sondere Krankheit, die Involutionsparanoia,
anzusprechen, „die nicht etwa eine Unterform
der wohlbekannten, eigenartigen, auf allen
Lebensstufen vorkommenden Krankheit ,Para-
noia' ist,*' sondern die eine besondere Gruppe
wesensgleicher Krankheitsfälle, welche den
Namen Paranoia, und in Hinsicht auf das E3r-
krankungsalter Involutionsparanoia verdient, zu¬
sammenfaßt. Die,,Frühparanoia“ (Kraepelins
Paranoia) wäre durch den stets schleichenden
vefane | -ä? I -J5 I - 4 ^ i -v5 i -so i -55 | Verlauf und eine viel enger begrenzte Sympto-
j matologie von der Involutionsparanoia zu unter¬
scheiden. Kleist nimmt dabei an, daß die
Steigerung der auch von ihm gefundenen paranoischen („hypoparanoischen“)
Konstitution zur Involutionsparanoia aus inneren Gründen, nicht durch äußere
Erlebnisse oder an diese geknüpfte Wünsche erfolge, vielleicht durch inner¬
sekretorische Veränderungen, die durch den Nachlaß und das Auf hören
der Funktion der Geschlechtsorgane bewirkt werden, hervorgerufen. Von
seinen Patienten erkrankten sechs in den dem endgültigen Ausbleiben der Menses
unmittelbar vorausgehenden Jahren, eine war noch menstruiert, bei einer be¬
standen zur Zeit des Ausbruches der Krankheit schon klimakterische Symptome,
bei einer fiel der Beginn der Erkrankung in die Wechseljahre. Von Interesse
ist vielleicht besonders ein Fall, der ein Jahr nach einer durch Kastration herbei¬
geführten künstlichen Menopause paranoisch erkrankte. Die Bedeutung der
Wechseljahre für die Paranoia hallucinatoria betont auch Samt. Von Bergers
Fällen fiel dagegen nur in zweien von achtzehn der Beginn der psychischen
Veränderung annähernd mit dem Einsetzen der Menopause zusammen, in vier
Fällen bestand dieselbe bei Eintritt der Psychose bereits längere Zeit, oft schon
mehrere Jahre lang, in elf Fällen war die Periode bei Beginn der Erkrankung
Die ELrankheitserscheinungen.
23
noch regelmäßig, meist noch viele Jahre hindurch. Berger kommt daher zu
dem Schlüsse, daß die als klimakterisch zu betrachtenden Fälle nur die alte
Angabe bestätigten, daß die chronische Paranoia nicht selten im Klimakterium
ausbricht, wodurch ihm aber die Annahme einer besonderen Involutionsparanoia
nicht gerechtfertigt erscheint. Diesem Schlüsse Bergers ist durchaus beizu¬
pflichten, vor allem im Hinblick auf die immerhin nicht seltenen Fälle, in denen
die Paranoia in einem Alter ausbricht, wo von einer Involution, und sei sie auch
eine vorzeitige, noch keine Rede sein kann, dabei die Symptomatologie, der
Verlauf und der Ausgang der Erkrankimg von den zur Zeit des Klimakteriums
beginnenden in keiner Weise abweicht, andererseits auch im klimakterischen
Alter rein kombinatorisch entstandene Paranoiaerkrankungen, wie sie Krae-
pelins Forderungen entsprechen würden, sich finden.
Über die erbliche Belastung der Paranoiker sind ebenso wenig sichere An¬
gaben zu machen wie in betreff der übrigen allgemeinen Verhältnisse, einmal
wegen der Seltenheit der Fälle, dann aber auch, weil bei dem späten Erkrankungs¬
alter und dem noch späteren Alter des Eintrittes in die psychiatrische Beobachtung
objektive Nachrichten über die Familiengeschichte sehr selten zu erhalten sind.
Nach Kraepelin wird in etwa einem Viertel der Fälle Geisteskrankheit bei
den Eltern angegeben. Hübner fand dabei in der Aszendenz von Paranoikern
häufiger Psychopathen als ausgesprochene Geisteskranke. Die eigene Nach-
forschimg ergab, daß in 50% der Fälle eine erbliche Belastung aus der Ver¬
schrobenheit, Geisteskrankheit (25%), Selbstmord oder Trunksucht der Eltern
oder nächsten Anverwandten sicher gestellt werden konnte. Auffallend häufig
fand sich dabei das Suicid in der Aszendenz, doch waren auch die Geschwister
nicht frei davon. Es dürfte, besonders im Hinblick auf die vorpsychotische,
von Jugend auf bestehende abnorme Veranlagung der Paranoiker, anzunehmen
sein, daß der angegebene Prozentsatz bei weitem nicht an die wirkliche Belastung
heranreicht: die Paranoia gehört zu den vorzugsweise degenerativen Psychosen.
Die Krankheitserscheinungen.
Das grundlegende Symptom der Paranoia ist die Entwickelung eines Systems
von Wahnvorstellungen. So mannigfach die Charaktere, so eigenartig die Denk¬
richtung, so verschieden die Einflüsse der Elrziehung, des Berufes imd des Lebens,
so verschieden ist der Wahn der Paranoia. Alles, was in der vorpsychotischen
Zeit das Streben des Individuums anstachelte, alles, was richtunggebend für sein
Denken, Wollen und Handeln war, wird in die Psychose hinübergenommen.
So ist es natürlich, daß einmal kein paranoischer Wahn ganz dem anderen gleicht,
daß der Eigentümlichkeiten des Wahninhaltes zahllose sind, andererseits aber
auch, daß die Hauptrichtungen menschlichen Denkens und Strebens, die uns
allen gemeinsam sind, um die sich auch beim psychisch Gesunden die individuellen
Oiaraktereigenschaften gruppieren, im Wahne durch Bildung bestimmter Wahn¬
richtungen zum Ausdrucke kommen. Zwei im Grunde einander diametral ent-
g^enstehende Richtungen sind es, auf die die Wahnbilder der Paranoia wie
aller anderen wahnbildenden Psychosen zurückgeführt werden können. Einmal
wird die krankhafte Eigenbeziehung im feindlichen Sinne gedeutet und es kommt
zu Beeinträchtigungsideen, das andere Mal dient sie dem Selbstbewußtsein als
Bestätigung und Reizmittel, was zu Größenideen führt. Beide, im Prinzip ent-
24
Die Krankheitserscheinungen.
gegengesetzten Wahnformen pflegen sich in mannigfacher Weise zu verbinden,
sei es, daß die eine aus der anderen auf dem Wege logischen Schlusses entsteht,
sei es, daß beide bereits von Anfang an nebeneinander sich entwickeln. Eine
eigentümliche Form der Verbindung dieser beiden Wahnrichtungen bietet die
Paranoia querulatoria, eigentümlich durch die Besonderheit der Reaktion, die
die Ideen krankhafter Eigenbeziehung hervomifen, nach der die Gruppe auch
ihren Namen trägt. Innerhalb des Beeinträchtigungs- wie des Größenwahnes läßt
sich wieder eine Reihe von kleineren Gruppen zusammenfassen, die bestimmten
Denkrichtungen und Charaktereigentümlichkeiten entsprechen.
Während in einem Teile der Paranoiafälle die Wahnentwicklung und
-Weiterbildung rein kombinatorisch erfolgt, die Sinneswahmehmungen dagegen
nur gelegentliche krankhafte Veränderungen zeigen, sind die letzteren in einem
anderen Teile in hohem Grade und dauernd alteriert. Bei den Trugwahmeh-
mungen handelt es sich in der Mehrzahl um unter dem Einflüsse des bestehenden
Wahnes erfolgende illusionäre Verfälschung normaler Sinneseindrücke, während
wirkliche unvermittelte Halluzinationen selten sind. Sehr schwierig, ja häufig
unmöglich ist es bei der durch Erinnerungsverfälschungen bewirkten retrograden
Umwandlung aller Erlebnisse zu Bestandteilen des herrschenden Wahnes, diese
von wirklichen Trugwahmehmungen irgendwelcher Art zu scheiden, vor allem
bei denen auf den Gebieten des Gefühles, Geruches und Greschmackes. Was in der¬
artigen Fällen nur wahnhafte Ausdeutung wirklicher Schmerzen, Geruchs- oder
Geschmacksstörungen ist, was als echte Sinnestäuschung betrachtet werden
kann, ist häufig nicht sicher zu analysieren; sicher ist aber, daß vor allem auf
dem Gebiete des Gehörs, doch auch auf den übrigen Sinnesgebieten Trugwahr¬
nehmungen oft massenhaft und dauernd entstehen, die entweder im Sinne
der herrschenden Wahnfabel gewertet, oft auch durch sie modifiziert werden,
oder aber die weitere Ausgestaltung der letzteren beeinflussen. Daß sie in
selteneren Fällen auch an der Spitze der krankhaften psychischen Vorgänge
stehen und die erste Wahnbildung anregen oder erleichtern können, mithin die
auslösende Ursache der Paranoia zu werden vermögen, ist bereits oben be¬
tont worden.
Die letzteren Fälle sind sicherlich selten. Meist sind die Sinnestäuschungen,
wie Jelgersma es ausdrückt, die bildliche Wiedergabe von einfaehen oder zu¬
sammengesetzten Geistesprozessen; sie setzen eine bestimmte psychische Ver¬
fassung voraus, deren kurzen Inbegriff sie darstellen. Sie neigen in hohem Grade
dazu, den pathologischen Geisteszustand, auf dem sie erwachsen, zu verstärken
und dienen dem Kranken zur Bestätiguug der Richtigkeit seines krankhaften
Geisteszustandes. Sie finden stets, wie auch die Wahnideen, in ihm ihre Ursache
und stimmen mit dem allgemeinen Inhalt des Denkens überein, selbst wenn sie
gegen den Willen des Individuums sich in das Bewußtsein drängen. Es ist deshalb
sehr erklärlich, daß bei den überwertigen Wahnvorstellungen der Paranoiker
Sinnestäuschungen sehr leicht auftreten, eine große sinnliche Kraft besitzen und
ihrerseits von größtem Einflüsse auf die Weiterentwickelung des Wahnes sind.
Daß daneben gelegentlich auch Sinnestäuschungen auftreten, die mit dem Wahn¬
system in keinem sichtbaren Zusammenhänge stehen (meist handelt es sich um
Illusionen dabei), gleichwohl aber mit der Wahnfabel nachträglich verknüpft
werden, worauf auch Hübner hinweist, ist zuzugeben, stellt immerhin ein sehr
Die Paranoia combinatoria.
25
seltenes Vorkommnis dar und gibt keinen Grund zu einer Abtrennung derartiger
Fälle von der Paranoia.
Zwischen der reinen oder fast reinen kombinatorischen Form der Paranoia
und den mit zahlreichen Trugwahmehmungen einhergehenden Paranoiafällen
gibt es fließende Übergänge, die die Zusammengehörigkeit beider Formen be¬
weisen, sei es, daß vereinzelte Sinnestäuschungen bei sonst kombinatorisch sich
entwickelnden Erkrankungen von Anfang an Jahre hindurch in steter Wieder
kehr auf treten, sei es, daß in Fällen, die lange Zeit hindurch rein kombinatorisch
sich entwickelten, plötzlich oder allmählich Halluzinationen oder Illusionen in
die Erscheinung treten, die zum hervorstechendsten Bestandteile der Krankheit
werden. Wenn daher die Paranoia zweckmäßig als Paranoia combinatoria und
Paranoia hallucinatoria neben der Paranoia querulatoria beschrieben wird, so
ist daran festzuhalten, daß zwischen diesen Formen kein prinzipieller Unter¬
schied besteht, daß zahlreiche fließende Übergänge zwischen beiden Formen
sich finden, daß eine Erkrankung, die zu Anfang die Bezeichnung Paranoia com¬
binatoria verdiente, später mit Auftauchen zahlreicher Sinnestäuschungen zur
Paranoia hallucinatoria werden kann, während andererseits nach längerem Ver¬
laufe der Erkrankung bestehende Sinnestäuschungen an Zahl abnehmen, an
Sinnfälligkeit schwächer werden können, so daß die Krankheitsbezeichnung der
halluzinatorischen Paranoia nicht mehr berechtigt ist, daß der Inhalt der Wahn¬
ideen beider Formen der Verrücktheit der gleiche ist, daß endlich querulatorische
Züge der Mehrzahl der Paranoiker eigen sind, während andererseits die Paranoia
querulatoria auch außerhalb der rechtlichen Begriffe Beeinträchtigungsideen,
wie auch stets solche der Selbstüberschätzung aufweist.
Die Paranoia combinatoria.
Unter der Bezeichnung Paranoia combinatoria fassen wir diejenigen Para¬
noiafälle zusammen, in denen die Wahngenese und -Weiterentwicklung aus der
paranoischen psychopathischen Konstitution mit ihrer parakritischen Denk¬
weise und ihrer krankhaften Affektivität lediglich auf dem Wege formalrichtiger
Trugschlüsse und des infolge der krankhaften Voraussetzungen zustande kommen¬
den Abgleitens der Assoziationsvorgänge in die durch die paranoische Denk¬
weise entstandenen Nebengleise sich vollzieht, während den Trugwahmehmungen
keinerlei wesentliche Bedeutung zukommt. Diese kombinatorische Form be¬
ginnt häufiger im früheren Lebensalter als die halluzinatorische Abart * sie wächst
stets schleichend aus der paranoischen Konstitution heraus, zeigt besonders
schön die langsame, dabei unaufhaltsam fortschreitende Verrückung der Stellung
des Individuums zur Umwelt. Aus einer noch in den Bereich der Norm fallenden
eigentümlich einseitigen Denkweise, wie sie oben beschrieben ist, unter dauernder,
sich stets verstärkender und ausbreitender affektiver Hochspannung, entsteht
unter dem Einflüsse einer exogenen gemütlichen Einwirkung als auslösenden
Momentes die erste Wahnfabel, meist der Gruppe der Beeinträchtigungs-, seltener
den Größenideen zugehörig. Stets von ihrer gefühlsmäßigen, ihnen selbst un¬
erklärlichen, deshalb um so unangenehmer empfundenen Unruhe bedrückt, in
ängstlicher Erwartung des kommenden Guten oder Bösen, imfrei gegen die Außen¬
welt, unfrei besonders gegen sich selbst, empfinden diese Individuen das Auf¬
tauchen ihres Wahnes, auch wenn er ihnen im Grunde Unheil bringt, als eine
26
Die Krankheitserscheinungen.
Erlösung von der Pein ängstlicher Erwartung, die sie bis dahin beherrachte.
Es kommt zum teilweisen Abreagieren des krankhaften Affektes, nachdem der
Paranoiker den wenn auch wahnhaften Grund für sein Mißtrauen gefunden,
die Bestätigmig seiner selbstbewußten, gehobenen Stimmung erhalten zu haben
glaubt.
Mit dem Aufschießen der ersten ausgebildeten Verfolgungsidee weicht
deshalb ein Teil der psychischen Spannung vom Paranoiker, den dafür seine
krankhaften Vorstellungen mehr und mehr in Anspruch nehmen, die sein Denken
erfüllen, sein Wollen und Handeln bestimmen, seine Affekte beherrschen. Der
Kranke ist in stetem Kampfe mit seinen Verfolgern, in dauernder Abwehr der
Bedrohungen an Leib und Leben, in unaufhörlicher Verteidigung seines Rechtes
begriffen. Im übrigen ist der Inhalt der Verfolgungsideen ein sehr verschiedener.
Während ein Teil der Paranoiker während der ganzen Krankheitsdauer in der
Hauptsache nur Ideen allgemeiner Beeinträchtigung äußert, wie sie wohl bei
allen Kranken im Beginne der Wahnbildung zu finden sind, leiten dieselben in
einer großen Anzahl von Fällen später in gewisse, typisch wiederkehrende Wahn¬
gruppen hinüber, die als physikalisch-chemischer Vemichtungswahn, als eroti¬
scher Beeinträchtigungs- oder Eifersuchtswahn, endlich als hypochondrischer
Wahn bezeichnet werden können. Von diesen ist der Wahn der Verfolgung
mittels physikalischer und chemischer Einwirkungen der häufigste. Die dem
Kranken meist nur ungenau bekannten, deshalb von einem geheimnisvollen
Dunkel umgebenen Mächte der Elektrizität, des Magnetismus, der Maschinen
einerseits, die wunderbare Wirkung der Chemikalien und Gifte, die in winzigen
Mengen des Menschen Sinne umnebeln, ihn schädigen bzw. töten können, anderer¬
seits sind es, die als Quelle der ungeheuerlichen Nachstellungen und Quälereien
beargwöhnt werden. Es ist überhaupt der Schleier des Geheimnisvollen, des
Mystischen, der diese zum Teil halbgebildeten, dabei lernbegierigen Individuen
anzieht. Daher auch die Häufigkeit, mit der die Hypnose, die Suggestion, der
Spiritismus, die Telepathie, das Gesundbeten, die oft schon im vorpsychotischen
Leben derartiger Individuen eine verhängnisvolle Rolle spielen, das Material
zur Wahnbildung abgeben. Die Häufigkeit des Eifersuchtswahnes ergibt sich
aus der großen Bedeutung der sexuellen Triebe im menschlichen Leben, b^nders
auch in der Klasse der Psychopathen, aus der sich die Paranoiker rekrutieren.
Der hypochondrische Wahn endlich, der an sich ein besonderes Maß egozentrischer
Verarbeitung allerWahmehmimgen erfordert, findet sich bei der Paranoia nicht
in dem Umfange und der Häufigkeit, wie man ihn bei der ausgesprochenen Art,
wie sich diese Kranken mit dem eigenen Ich beschäftigen und wie sie alles mit
dem eigenen Ich in Verbindung bringen, erwarten sollte. Ein reiner hj^pochon-
drischer Wahn kommt bei Paranoikern wohl überhaupt nicht vor, dagegen finden
sich in einem großen Teile der Fälle einzelne hypochondrische neben anders¬
artigen Ideen. Der Grund für diese merkwürdige Tatsache ist in dem Umstande
zu suchen, daß die meist recht scharf beobachtenden Kranken nie die Fähigkeit
verlieren, sich über die eigene Person, die ihnen das zugänglichste ist, zu orien¬
tieren, daß sie sich von der Absmdität maßloser hypochondrischer Ideen, wie
sie der Melancholische, der senil Demente, der Schizophrene, der Paraljdiker
hervorbringen, zu überführen vermögen, wenngleich sie zufällige wirkliche
körperliche Beschwerden im Sinne ihrer wahnhaften Beeinträchtigungsvor-
Die Paranoia combinatoria.
27
Stellungen hypochondrisch ausdeuten. So hält der Kranke seine rheumatischen
Beschwerden für die Einwirkungen elektrischer Ströme, die gegen ihn entsandt
werden, Anginen für die Folge von Vergiftungsversuchen; Augenentzündungen
entstehen ihm durch das Überspringen elektrischer Funken von der Starkstrom¬
leitung, die durch sein Zimmer gelegt ist, Furunkel werden ihm mittels Brenn¬
spiegels von seinen Verfolgern erzeugt. Häufig wird man von den Erklärungen,
die hypochondrische Vorstellungen solcher Kranken bei der Autopsie finden,
überrascht, wo etwa eigenartigen Unterleibssensationen ein unerkannt gebliebenes
Gebärmutter- oder Mastdarmkarzinom entspricht. Dieselben Ursachen liegen
zwar den hypochondrischen Klagen oft auch bei andersartigen Erkrankungen
zugrunde; der weitere Ausbau derselben zu ausgesprochenen hypochondrischen
Wahnsystemen aber, die Irradiation gerade der hypochondrischen Vorstellungen
auf alle Körpergebiete in maßloser Form fehlt bei der echten Paranoia, weil
eben der Paranoiker kraft seiner ungeschwächten Beobachtungsgabe sich von
der Gesundheit der meisten seiner Organe dauernd zu unterrichten vermag.
Es ist natürlich, daß, je mehr der Paranoiker sich mit seinem Ich und den
Angriffen auf dasselbe beschäftigt, je mehr die eigene Person in den Vorder¬
grund des Interesses gedrängt wird, je länger alle Versuche seiner Gegner, ihn
zu schädigen, wenn sie ihm auch manche schwere Stunde bereiten, ihm Schmerzen
zufügen usw., trotz der aufgewandten Mühe und Machtmittel im Gnmde doch
fruchtlos an ihm abprallen, in ihm der Gedanke aufsteigt, daß er über seinen
Gegnern stehe, daß er ihnen an Geist und Tatkraft überlegen sei, daß sie nicht
an ihn heranreichen könnten. Die meist schon verborgene Anlage zur Selbst¬
überschätzung führt so zuerst zu einem gehobenen Selbstbewußtsein, zur Über¬
schätzung der eigenen Person und Fähigkeiten und langsam zu ausgesprochenen
Größenvorstellungen, wobei letztere zum Teil auch das Resultat der Suche nach
dem Zwecke aller Verfolgungen und Quälereien sind. Auf der anderen Seite
wird der Größenwahnsinnige durch den dauernden Widerstand, den er überall
findet, der ihn an der Verwirklichung seiner Pläne hindert, der ihn um die Fruchte
seiner Erfindungen zu bringen droht, zur Annahme ihm bewußt entgegenstreben¬
der, feindseliger Machte, d. h. zum Verfolgungswahne gedrängt.
Wenn diese Ansicht von einem Übergange beider Wahnformen ineinander
auf dem Wege mehr oder minder bewußter Überlegung damit bestritten wird, daß
bei anderen mit Wahnbildung einhergehenden Krankheiten eine derartige Ent¬
wicklung häufig ausbleibt, so ist zu erwidern, daß es sich bei diesen Krankheiten
entweder um solche handelt, die mit zunehmender Verblödung einhergehen
(z. B. Dementia paralytica, Dementia senilis), wo also die logische Ausbildung
eines Wahnsystems überhaypt unterbleibt, oder aber um solche, wo die Wahn¬
vorstellungen durch einen beherrschenden einseitigen Affekt dauernd unterhalten
und nach einer Richtimg hin entwickelt werden (z. B. Melancholie, Manie),
während bei der Paranoia weder eine Abnahme der intellektuellen Fälligkeiten,
noch ein dauernder, richtunggebender, primärer krankhafter A&ekt vorliegt, die
bestehenden Affekte wohl immer Mischaffekte sind, wenn auch meist die positive
oder negative Komponente überwiegt, dabei die Willensäußerungen jahrelang
eine direkte Steigerung der Stärke auf weisen. Es ist deshalb mit Sicherheit an¬
zunehmen, daß die Widerstände, die der Größenwahnsinnige bei der Umsetzung
seiner wahnhaften Willensstrebungen in die Tat findet, für die Ausbildung des
28
Die Krankheitserscheinungen.
anschließenden Beeinträchtigungswahnes als Hauptursache anzuschuldigen sind,
daß andererseits als logische Folgerung aus dem Verfolgungswahn VorsteUungen
der Selbstüberschätzung resultieren. Eine dritte, gerade bei der Paranoia häufig
beobachtete Entstehung der Kombination beider Wahnrichtungen ist die, daß
sie sich nebeneinander, in stetem Zusammenhänge miteinander, gleichzeitig
entwickeln, daß sie der Reaktionsweise derartiger Individuen, die das gesteigerte
Selbstbewußtsein einer innerlich haltlosen oder doch unsicheren Persönlichkeit
bedingt, der Mischung im Grunde widerstrebender Affekte, die sie beherrscht,
ihren Ursprung verdanken.
Es ist sicher, daß die Entwicklung eines Größenwahnes dem geistesgesunden
Menschen viel unverständlicher ist als das Auftreten von Beeinträchtigungs¬
ideen, daß das Auf schießen von Größen Vorstellungen eine viel stärkere Lockerung
der Assoziationsvorgänge, eine viel intensivere Störung der Affekte notwendig
erfordert. Die noch in die Gesundheitsbreite fallenden vagen Beeinträchtigungs¬
ideen sind viel weiter verbreitet und viel häufiger als derartige Selbstüberschätzungs¬
vorstellungen, auch hat die Gesundheitsbreite bei ihnen einen viel größeren
Umfang. Paranoische VerfolgungsVorstellungen pflegen demgemäß sich viel
leichter graduell aus den noch als normal anzusehenden Beeinträchtigungs¬
gefühlen zu entwickeln als krankhafte Größenideen aus dem allgemeinen Gefühl
hoher Einschätzung der eigenen Körper- und Geisteskräfte. Es zeigt sich das
besonders in dem Umstande, daß die Kranken ihr Verfolgungssystem meist
formal logisch begründen, daß sie seine Entwicklung häufig außerordentlich
gut beschreiben können und eine Beobachtung aus der anderen ableiten. Anders
beim Größenwahn: Hier ist das plötzliche Aufschießen der Idee oder wenigstens
eine sehr erhebliche Sprunghaftigkeit in der Entwicklung die Regel. Zu ihrer
Begründung und zur Herstellung der der Logik des Kranken notwendigen Ver¬
knüpfung werden viel häufiger außerhalb der normalen Wahrnehmung liegende
Zustände angenommen, sei es, daß Erinnerungsfälschungen bei dem Wahne
hoher Abstammung die Kluft zwischen Wirklichkeit und Wahn überbrücken
müssen, sei es, daß ekstatische Zustände meist traumhafter Art bei dem reli¬
giösen Größenwahn die auch dem Kranken fühlbare Lücke im logischen Aufbau
seines Systems ausfüllen müssen, sei es, daß der Ursprung der Größenideen auf
Sinnestäuschungen zurückführt. Die Größenideen, vor allem die primär ent¬
standenen, sind meist viel maßloser als die Beeinträchtigungsvorstellungen;
sie beeinflussen das Handeln des Individuums in viel stärkerem Grade, rufen
viel eher den Eindruck des geistigen Defektes hervor. Sn eil hält deshalb den
Verfolgungswahn für das wesentliche Symptom der Paranoia; Selbstüber¬
schätzungsideen fehlen nach seiner Ansicht entweder ganz, oder sie treten zu¬
gleich mit Verfolgungsvorstellungen auf, bzw. folgen den letzteren. Reinen Größen¬
wahn ohne Beeinträchtigungsideen fand er nur bei Schwachsinnszuständen. Ebenso
erklärt Lehmann, daß die echte Paranoia sich nur auf den Beeinträchtigungs- und
Verfolgungswahn erstrecken könne, Größenideen dagegen ihre Wurzel in anderen
Substraten haben müßten als in den Gefühlen, denen der erstere entspringt.
Auch der Größenwahn der Paranoia nimmt, soweit es sich nicht um die
allgemeinen Selbstüberschätzungen handelt, wie sie sich im Anfangsstadium
zuweilen finden, seine Entwicklung nach bestimmten Richtungen, die in mehr
oder minder ähnlicher Form stets wiederkehren und den Wünschen und Strebungen
Die Paranoia combinatoria.
29
des Menschen je nach seiner ihm eigentümhchen Individualanlage ihren Ur
Sprung verdanken. Die einen suchen ihre Überlegenheit auf intellektuellem Ge¬
biete darzutun, sei es, daß sie als Weltverbesserer und Volksbeglücker ihren
notleidenden Mitmenschen helfen, die Prinzipien der Freiheit, Gleichheit, Brüder¬
lichkeit zum Siege führen, Ackerbau, Viehzucht, Industrie ergiebiger gestalten,
der Pflege, Gesunderhaltung und Erziehung des Menschengeschlechtes neue
Bahnen weisen wollen, sei es, daß sie durch epochemachende Erfindungen, die
eine völlige Umwälzung der Technik auf den mannigfachsten Gebieten hervor-
rufen sollen, die die Schätze der Luft, des Erdbodens, des Wassers nutzbar zu
machen bestrebt sind, der Menschheit, aber nicht zuletzt auch sich selbst zum
Glück und Wohlstand zu verhelfen suchen. Ein weiterer, recht erhebhcher
Teil der Größenwahnsinnigen sucht der Menschheit Besserung und Heil auf
reUgiösem Grcbiete zu bringen. Die Macht, die die mit mystischen Geheimnissen
und Wundem überreichlich ausgestatteten biblischen Personen und ihre legen¬
dären Taten seit Jahrtausenden auf das menschliche Gemüt auszuüben vermögen,
wirkt besonders stark auf di^e affektübererregbaren, oft klausnerisch zurück¬
gezogenen, grüblerischer Betrachtung zuneigenden, zu allem Übernatürlichen
hingezogenen, phantasiereichen Individuen, so daß der Wahn, Prophet, der
erwählte Bußprediger, der Sohn Gottes, der andere Messias zu sein, ein recht
häufiger bei dieser Art von Kranken ist. Gerade diese Häufigkeit des religiösen
Größenwahnes mit seinem ausgesprochen altruistischen Gepräge (wenn daneben
auch egoistische Triebe stets eine Rolle spielen), wo häufig ein armseliges Leben
der Büßpredigt dieser trotzdem Größenwahnsinnigen entspricht, ist typisch für
den Größenwahn und das Krankheitsbild der Paranoia.
Ein anderer Teil der Größenwahnsinnigen sucht seinem geheimen Streben
nach Überlegenheit in mehr äußerUcher Weise zu genügen durch den Wahn
hoher Abstammung oder durch wahnhafte Liebesbeziehungen oder eheliche
Verbindungen mit hochgestellten Persönlichkeiten, wobei die Haupttriebfeder
menschUcher Handlungen, die Sexualität, daneben zu ihrem Rechte kommt.
Gerade diese wahnhaften AbkömmUnge alter Adels- imd Fürstengeschlechter
sehen sich gezwungen, zwischen der armseligen Wirkhchkeit und ihren Wahn¬
ideen auf dem Wege der Erinnerungsfälschung oder der Sinnestäuschung einen
Zusammenhang herzustellen, während bei den erotischen Größenwahnsinnigen
die wahnhafte Ausdeutung von allerlei Zufälligkeiten oder ebenfalls von Sinnes¬
täuschungen zur Begründung des Wahnes und seiner Konsequenzen herhalten muß.
Die Einzelheiten des Paranoikerwahnes sind innerhalb der angedeuteten
Gruppen sehr verschieden. Kein Wahnsystem gleicht völlig dem anderen ; nur
die Grandideen kehren wieder, die Art der Ausgestaltung und Ausschmückung
des Wahnes hängt einmal ab von der individuellen Charakteranlage, der Er¬
ziehung und dem Bildungsgrade, der gesellschaftlichen Stellung und sozialen
Lage des Kranken, andererseits von zufälligen Begebenheiten, Konflikten mit
der Umgebung, Begegnungen, Lektüre, endhch von den Sinnestäuschungen, die
wohl jeden Paranoiker vereinzelt im Laufe der Erkrankung heimsuchen. Die
Schilderung der Verfolgungs- und Größenwahnsysteme, der Wahnausgestaltung
und des Wahnverlaufes, wie sie im folgenden gegeben wird, ist nur als eine sche¬
matische zu betrachten, die in ihrem Rahmen so zahlreiche Einzeltypen umfaßt,
als es Paranoiker gibt.
30
Die Krankheitserscheinungen.
Zu Anfang des Verfolgungswahnes sind die Beeinträohtigungsvorstellungen
unbestimmt, wechseln auch an Stärke und Lebhaftigkeit der Gefühlsbetonung.
Der Kranke hat ein Gefühl allgemeiner Zurücksetzung und Bedrückung. Er
fühlt sich über Gebühr beachtet, sucht und findet in allem imd jedem Beziehungen
zu seiner Person. Man will ihm nicht wohl, ist nicht mehr so freundlich wie
früher gegen ihn, ändert sein Benehmen, zieht sich von ihm zurück, will nichts
mehr mit ihm zu tun haben, geht ihm aus dem Wege. Der Kranke hat das pein¬
liche, dabei sichere Gefühl, daß um ihn henun etwas vorgeht, „daß ein Gewitter
im Anzuge ist“, daß „ein Geheimnis ihn umwebt“, hinter das er nicht kommen
kann. „Ich fühlte es mehr, als ich es beweisen konnte.“ Ihm droht Gefahr^
Prüfungen stehen ihm bevor, es besteht „eine unheimliche Spannung“, deren
Entladung der ICranke erwartet und fürchtet, ohne daß er Art und Richtung
kennt, sich davor schützen oder sie ab wenden kann.
Allmählich „lichtet sich das Dunkel“, „schließt sich der Ring enger“,
kommt es ihm klar zum Bewußtsein“, daß man ihm planmäßig entgegenarbeitet,,
daß „das Spiel abgekartet“ ist. Man geht darauf aus, ihn zu kränken, ihn unmög¬
lich zu machen, an Gesundheit und Ehre zu schädigen, seine ehelichen, seine Ver¬
mögensverhältnisse zu zerrütten, seine Stellung zu untergraben. Überall wird
er schikaniert, wird auf ihn gescholten, wird er hinausgebissen. Man überwacht
ihn, belauert ihn, spioniert ihn aus. Man steckt die Köpfe hinter ihm imd über
ihn zusammen. Man sieht ihm höhnisch und verächtlich nach, betrachtet ihn
von oben bis imten. Wildfremde Menschen speien vor ihm aus, lachen hinter ihm her,
stoßen ihn an, treten ihn, pfeifen ihm grinsend ins Gesicht, wenn er vorbeigeht,
suchen ihn zu ärgern. Selbst die Kinder haben keine Achtung mehr vor ihm, schneiden
ihm Grimassen, stecken ihm di^ Zunge aus, höhnen lachend hinter ihm her. Über¬
all sucht man ihn durch offene oder versteckte Bosheiten zur Wut zu reizen.
Der Kranke sieht sich seine Umgebung immer genauer an. Er bemerkt,
daß seine Nachbarn ihn beobachten, sich viel vor seiner Wohnungstür aufhalten,
wahrscheinlich, um durch das Schlüsselloch zu sehen; tritt er dann plötzlich
aus seiner Türe, so sind sie verlegen und gehen mit scheuen Seitenblicken in
ihre Wohnungen. Die Wände haben Ohren. Die Kameraden und Freunde
zischeln über ihn, sehen sich bedeutungsvoll an, brechen ihr Gespräch ab, fcmgen
ein Gelächter an, sobald er ins Zimmer tritt. Der Pfarrer, der sich sonst nie
um ihn gekümmert hat, besucht ihn, um herumzuschnüffeln und ihn auszufragen.
Polizeibeamte verfolgen ihn auf Schritt und Tritt, lassen ihn nicht aus den Augen,
fragen nach ihm in seiner Wohnung unter irgendeinem Vorwände, man be¬
stellt ihn aus nichtigen Gründen auf das Polizeirevier. Spitzel, Detektivs folgen
ihm in allen möglichen Verkleidungen, beobachten ihn, wahrscheinlich, um Mate-
rial gegen ihn zu sammeln. „Es ist, als ob man unter Polizeiaufsicht stände“;
„der gemeinste Verbrecher kann nicht mehr beobachtet werden“. Selbst die
eigene Familie beteiligt sich an dem Treiben, die Verwandten besuchen ihn unter
Vorwänden, lassen ihn nicht aus den Augen, wiegen bedauernd den Kopf oder
sehen ihn spöttisch und verächtlich an; der eigene Ehegatte ist in seinem Wesen
verändert und steckt anscheinend mit den übrigen unter einer Decke; die Kinder
sind weniger zärtlich, ziehen sich scheu zurück, werden still und verlegen, sehen
ihn mit großen Augen an. „Alles war verändert“, „ich wurde ganz ratlos“, „so
konnte es nicht mehr lange weiter gehen, oder ich wäre verrückt geworden“.
Die Paranoia combinatoria.
31
Endlich, früher oder später, plötzlich oder langsamer, wird es ihm klar,
was man von ihm will, warum alle diese Quälereien, diese Nachstellungen in¬
szeniert sind. Man will seine Stellung untergraben, sein blühendes Geschäft
vernichten, seine Ehe stören, seine Existenz ruinieren. Man will ihm die Ge¬
schlechtsehre rauben, ihn .um Hab und Gut bringen, will ihn mit seiner Familie
entzweien, seine Frau, seine Kinder verderben; man will ihn ins Gefängnis bringen,
dem Wahnsinn in die Arme treiben, man trachtet ihm nach Gesundheit und
Leben.
Auch die Gründe all dieser Nachstellungen werden ihm klar. Man will
ihn aus seiner Stellung verdrängen, um seinen Posten einem anderen, dem Sohne
oder Schwiegersöhne des Vorgesetzten, einem guten Freunde zu geben; „die
Vetterschaft ist zu mächtig“. Seinem Geschäfte will der Konkurrent Abbruch
tun, weil er es im ernsten Wettbewerb nicht mit ihm aufnehmen kann. Man
beneidet ihm sein glückliches Familienleben, seine wohlerzogenen Kinder. Man
will ihn vernichten, weil er vor Jahren seine Stimme bei einer Wahl für den
Sozialdemokraten abgegeben hat, ihn verführen oder an seiner Geschlechtsehre
schädigen, um nachher über ihn red^n, ihn verspotten zu können, um die eigenen
Fehler zu verdecken, oder, weil er einst einen derartigen Antrag zurückgewiesen
hat. Man will ihm endlich an Leib und Leben, um seinen Platz einzunehmen,
um ihn nicht mehr fürchten zu müssen, um ihn zu beerben, um seine Frau ehe¬
lichen zu können, um sich zu rächen.
Schließlich weiß der Kranke auch, von wem alle diese Verfolgungen aus¬
gehen, wer dahintersteckt, wem er sie zu danken hat. Der Bürgermeister, die
Voi^esetzten, die Kollegen, der Reichskanzler, der ungetreue Geliebte, die ver¬
lassene Braut, die geschiedene Ehefrau suchen ihn zu verderben. Die Polizei,
die Beamten, Richter, Geistliche, Ärzte stecken hinter den Nachstellungen.
Er hat es mit den Sozialdemokraten, den Welfen, Juden, Antisemiten, Katho¬
liken, Jesuiten, den Freimaurern, Spiritisten, Anarchisten, Nihilisten, den Elek¬
trikern verdorben. Der Frauen-, der Krieger verein, der Klub wollen ihn ruinieren.
Ein „Fanatiker“ stellt dem Kranken nach, „5 Dirnen und 5 Männer, deren Zu¬
hälter“ quälen ihn auf Anstiften des ,,Dr. Ostermann“. Die Verwandten trachten
nach seinem Gelde, die „Familie Rüter und Stecher“ wollen sich rächen, „Fürst
Bismarck mit einem von den niedrigsten bis in die höchsten K^ise reichenden Kom¬
plott“ will ihn aus dem Wege schaffen.
Der Eireis seiner Verfolger wird immer größer. Alle Welt steht mit ihnen
im Bunde. Die Ärzte werden bestochen, das Pflegepersonal, die Mitkranken
werden auf gehetzt, die Hausgenossen, die Angestellten, die Freunde, oft selbst
die eigene Familie möchten ihn los sein. Von der Kanzel herab predigt der Geist¬
liche über ihn, hält ihm öffentlich seine Sünden vor, sucht ihn anzuschwärzen;
in Volksversammlungen, im Reichstage wird über seine Angelegenheiten gespro¬
chen. Jedermann weiß von ihm, kennt ihn, ist über ihn unterrichtet; er wird
bei Ortswechsel vorher angemeldet, Gerüchte werden über ihn ausgestreut,
man erwartet ihn am neuen Orte bereits, belauert ihn schon auf dem Bahnhofe,
folgt ihm auf Schritt und Tritt. In den Tageszeitungen, in den Witzblättern
wird er verhöhnt; selbst in Büchern, auch solchen, deren Verfasser lange Zeit
vor ihm gelebt haben, findet er Anspielungen auf sich xmd seine Verfolgungen.
Niemand meint es gut mit ihm. Die Art der Verfolgungen wird immer heftiger,
32
Die Krankheitserscheinungen.
offener und zahlreicher. Die Nachbarn bohren Löcher in die Wände, um ihn
beobachten zu können; man legt Telephon durch seine Wohnung, um ihn aus¬
zuhorchen. Die Post, die Anstaltsleitung öffnet seine Briefsachen, um belastendes
Material zu finden, unterschlägt für ihn gesandtes Geld, für ihn ankommende
Pakete, oder man übergibt sie ihm verspätet, in verdorbenem, zerrissenem, be¬
schmutztem Zustande. Man läßt Kohlensäure, schlechte Luft in seine Wohnung,
wodurch ihm „so sonderbar zu Sinne“ wird, um ihn toll zu machen, oder, um ihn
einzuschläfem und ihn dann um so sicherer bestehlen, seine Sachen um so un¬
gestörter dmchstöbem zu können. Man hypnotisiert ihn, macht ihm Suggestionen,
versetzt ihn in Somnambule, behext ihn. Man verleumdet ihn, will ihn zum Trin¬
ker, Ehebrecher, Onanisten, Päderasten stempeln, gibt ihn für syphilitisch,
nervenkrank aus. Man vergewaltigt die Tochter, unterzieht die Ehefrau einer
Oi)eration, an der sie zugrunde geht, bringt die Kinder in eine Erziehungsanstalt,
wo sie nachher erhängt auf gefunden werden, durch den Verlust der Eltern zum
Selbstmord getrieben. Durch das Temperaturmessen wird dem Ejranken un¬
erträgliches Herzklopfen gemacht, die Volkszählung ist nur dazu da, um ihn zu
schädigen, eine Borste ist ins Brötchen gebacken, ein Haar in der Suppe, um ihn
zu ärgern. Kurz, überall stößt der Kranke auf eine planmäßig, angelegte Schä¬
digung seiner Ehre und seiner Person, auf eine Bedrohung seiner und seiner Fa¬
milie Leben und Gesundheit.
In einer Gruppe von Fällen kommt es vorzugsweise zu Vorstellungen, die
man als physikalisch-chemischen Vemichtungswahn bezeichnen kann. Der
Kranke wird elektrisiert, magnetisiert, mit allen möglichen Maschinen bearbeitet.
Unter dem Zimmer, im Keller, unter der Erde, auf dem Boden sind Apparate
aufgestellt, mittels derer er gequält wird. Elektrische Drähte durchziehen das
ganze Haus, Ströme werden hindurchgeschickt, lun ihn willenlos zu machen.
Durch das Überspringen von elektrischen Funken entsteht bei ihm eine Augen¬
entzündung, Furunkel werden ihm von seinen Verfolgern mittels Brennspiegels
erzeugt. Der Unterleib, die Gebärmutter, die Geschlechtsteile werden elektrisiert,
Schmerzen werden ihm mit elektrischen Maschinen gemacht, ein Zucken von
elektrischen Einwirkungen geht durch den ganzen Körper, Spannung und Angst¬
gefühl in der Brust treten danach auf. Die Gedanken des Kranken werden
durch Apparate enträtselt, mit Röntgenstrahlen werden die Vorgänge in seiner
Wohnung beobachtet. Der Frauenverein sendet ihm galvanische Ströme zu,
von denen er zuerst annimmt, daß sie zu seinem Besten dienen sollen, die aber
dadurch, daß die dazu verwandten Maschinen schlecht, mit Grünspan überzogen
sind, einen schädigenden Einfluß ausüben. Das Bett wird durch unterirdische
Maschinen in Vibration, das Haus in Schwankungen versetzt. Besondere Apparate
dienen dazu, dem Kranken ekel-, schreckenerregende, obszöne Vorkommnisse
in Wort und Bild vorzuführen, zu „photophonieren“. Man treibt Physik mit
dem Kranken. Andere Kranke sollen vergiftet, durch Pulver toll gemacht werden,
damit die Angehörigen, die Ärzte sie beerben können. Die Pflegerin gibt der
Kranken Pulver ein, um sie geschlechtlich zu reizen, um die eigene Schwanger¬
schaft auf sie zu übertragen. Medikamente dienen dazu, um das Zahnfleisch zu
lockern. Man impft dem Kranken Syphilis, Schwindsucht, den Wahnsinn ein.
Eine weitere Gruppe ist durch das Hervortreten von Eifersuchtsideen
neben anderen Beeinträchtigungsvorstellungen charakterisiert. Der Ehemann
Die Paranoia combinatoria.
33
ist verändert, sieht so sonderbar aus, begehrt die Frau nicht mehr, ist weniger
freundlich zu ihr. Vorübergehende weibliche Personen sehen ihn so eigentümlich
mit einem höhnischen Seitenblick auf sie an, geben ihm Zeichen, grüßen ihn,
werden rot. In der Mädchenkammer hört sie ein verdächtiges Klopfen, das
ihrem Gatten gilt; dieser ölt die Türen, damit alles geräuschlos vor sich gehen
kann. Er geht öfter als früher aus, kommt erst spät nachts nach Hause, hat
einen Parfümgeruch an sich, vernachlässigt sie. Er gibt plötzlich viel auf sein
Äußeres, macht allein Spaziergänge, schilt mit ihr, ist barsch und unfreundlich
gegen die Kinder. Er gibt sich mit Dirnen, dem Dienstmädchen, der Nachbarin
ab, betrügt sie mit der Freundin, der Schwägerin, mit ihrer eigenen Mutter,
treibt Blutschande mit der leiblichen Tochter, vergeht sich an seinen Schülerinnen.
Die Frau geht viel zu ungewöhnlicher Stunde aus, bleibt lange fort, ist verlegen,
abgehetzt, zerzaust, müde, wenn sie heimkommt. Sie ist weniger zärtlich, streit¬
süchtig, verschwenderisch, gibt viel Geld für ihren Putz aus, um ihn zum Bankerott
und ins Zuchthaus zu bringen und dann um so ungestörter mit dem Liebhaber
betrügen zu können. Männliche Personen fragen nach ihr, die Bekannten er¬
kundigen sich in so auffälliger Weise bei ihm nach seiner Frau, machen Anspie¬
lungen, geben ihm zum verstehen, „daß sie ihm ein Geweih aufsetzt“. Die Frau
bricht ihm die Treue, treibt sich mit all und jedem herum, hält sich einen Lieb¬
haber, verkehrt mit dem Schlafburschen, dem Zimmerherrn, dem Freunde,
dem Bruder, dem eigenen Sohne. Die Kinder sind Bastarde, denen man am Ge¬
sichte ansieht, daß sie nicht von ihm stammen. Die Frau trachtet ihm nach
dem Leben zusammen mit dem Geliebten. Die Polizei ist mit der Frau im Bunde,
wahrscheinlich, weil sie sich auch mit den Beamten eingelassen hat. Sie hat es
schon von jeher so getrieben; bereits während der Brautzeit hat sie ihn betrogen,
sie war bei der Verheiratung nicht mehr Jungfer, hat bereits vor der Ehe geboren,
die Frucht beseitigt; ein uneheliches Kind von ihr begegnet ihm auf der Straße.
Selten und gegen die übrigen Beeinträchtigungsvorstellungen zurück¬
tretend sind h 3 rpochondrische Ideen. Sie dienen nur zur Illustration der durch
die Nachstellungen gesetzten körperlichen und seelischen Qualen. Der Kranke
leidet unerträgliche Schmerzen, kann die Beine kaum noch bewegen, das Blut
stockt, der Herzschlag setzt aus; er muß Blut spucken, die Nahrung geht un¬
verdaut wieder ab. Die Rückenmarksschwindsucht, die Gehirnerweichung, der
Wahnsinn beginnt; er merkt es am Ziehen im Rücken, der Abnahme des Ge¬
dächtnisses, dem Kopfschmerz. Der ganze Körper ist durch Gift ruiniert.
Nach kürzerem oder längerem Bestehen der Beeinträchtigungsvorstellungen
treten meistens Ideen der Selbstüberschätzung hervor, Ideen, die in gleicher Form
auch primär oder zugleich neben den Beeinträchtigungsideen auftauchen. Man.
will den Kranken vernichten, weil man ihn fürchtet: seine Konkurrenz, seine
hervorragende Begabung, seine Fähigkeiten, seine rechtliche Gesinnung, seine
hohen Verbindungen, durch die er im Wege ist, weil man ihm seinen Reichtum
und seine Aussichten neidet. Die Kranken rühmen ihre Geisteskraft, ihr feines
Betragen, das sie in den höchsten Kreisen gern gesehen macht, ihre Sprachfertig¬
keiten, die allgemeines Aufsehen erregen, die Kraft ihrer Stimme, die Größe
ihrer Überzeugungskraft. Sie machen große Ansprüche, geben über ihre Ver¬
mögensverhältnisse Geld aus, leben in Saus und Braus, haben hochfliegende
Heiratspläne.
Kraeger, Die Paranoia.
3
34
Die Kranklieitserscheinutigen.
Allmählich entwickelt sich auch das Größenwahnsystem mehr und mehr
in einer Richtung. Je nach der vorpsychotischen Persönlichkeit und nach äußeren
gestaltenden Einflüssen werden die verschiedenen Richtungen menschlicher
Wünsche und menschlichen Strebens in krankhafter Weise kopiert, sei es, daß
die Kranken sich intellektuell auf überragender Höhe fühlen (Weltverbesserer,
Volksbeglücker, Erfinder), sei es, daß sie sich berufen fühlen, in religiöser Be¬
ziehung die Menschen zu bessern, sie auf den rechten Weg zu führen und ihnen
die ewige Seligkeit zu verschaffen, sei es, daß sie infolge ihrer Abstammung aaf
den Höhen der Menschlichkeit zu wandeln glauben. Eine letzte Gruppe der
Selbstüberschätzungsideen entspricht wieder der Erotik; sie ist häufig mit den
übrigen Formen verknüpft.
Die Kranken arbeiten Pläne aus, die die soziale Lage der Menschheit von
Grund auf bessern sollen. Das Sparsystem, die Verteilung der Abgaben, die Art
der Ackerbebauung, die Ausbeutung der Bodenschätze muß nach völlig anderen
Prinzipien geregelt werden. Bei allgemeiner Gleichheit hat jeder Mensch nur
ein Minimum von Arbeit zu leisten; Pläne zu Lotterien, bei denen jedes Los
gewinnt, werden ausgearbeitet. Eine gleichmäßige Verteilung des Besitzes liegt
anderen Ideen zugrunde. Für die Ernährung der Säuglinge, die Erziehung der
Kinder, eine Reform des Schulunterrichtes, die Kräftigung des Volksstammes
werden allgemein gültige Methoden und Regeln aufgestellt. Alle diese Probleme
werden in umfangreichen, schwülstigen Schriftstücken ausgearbeitet, die ent¬
weder als Flugschriften und Bücher herausgegeben oder aber der Regierung, dem
Reichstage, dem Kaiser zur Erprobung und Ausführung übersandt werden.
Andere derartige Kranke werden mit einem Schlage berühmt werden und
ungemessene Reichtümer erwerben durch die Ausbeutung von Erfindungen, die
sie gemacht haben oder zu machen im Begriffe sind, an denen ihnen oft nur
eine winzige Kleinigkeit fehlt. Ohne die geringsten Vorkenntnisse machen sie
sich an die schwierigsten Probleme heran, wollen das Perpetuum mobile, das
lenkbare Luftschiff, das Unterseeboot erfinden, elektrisch vom Lande aus zu
leitende Schiffe, Torpedos, Kriegsmaschinen aller Art konstruieren, Metalle ver¬
edeln, Gold machen. Pläne, die Kräfte des Niagara, des Rheins, der Gebirgs¬
bäche auszunutzen, die Sonnenwärme durch Spiegel aufzufangen und nutzbar
zu machen, die Elektrizität der Luft zur Straßenbeleuchtung zu verwerten,
werden mit durch keinerlei Sachkenntnis getrübtem Vorurteil ausgearbeitet.
Mit durchaus unzulänglichen Mitteln gehen sie an die Verwirklichung ihrer Pläne;
ihre Zeichnungen, ihre schriftlichen Ausarbeitungen werden immer abenteuerücher,
ihre Modelle immer verwickelter, ungeheuerlicher und unverständlicher. Aus
allen möglichen Abfällen von Holz und Metallteilen setzen sie mit großem Auf¬
wand von Draht und Bindfaden Maschinen zusammen, die das Prinzip ihrer
Erfindungen auch dem Ungläubigen sofort klar machen sollen, Zeit tmd Geld
opfern sie für ihre hochfliegenden Pläne, bemühen sich um Patente, suchen für
die Verwertnng ihrer Erfindungen, die ganz zweifellos berufen sind, eine Um¬
wälzung auf allen Gebieten menschlichen Könnens herbeizuführen, Geldleute
zu interessieren. Sehen sie dann, daß ihre vermeintlichen Erfindungen bereits
von anderen seit Jahren gemacht und vervollkommnet sind, so hat man ihnen
ihre Pläne abgelauscht, ihre Zeichnungen, ihre Modelle entwendet, ihre Patente,
oft auch ihre Gedanken entzogen. Maßlos sind ihre Hoffnungen, die sie an un-
Die Paranoia combinatoria.
35
bedeutende wirkliche Erfindungen knüpfen, die sie für epochemachend halten,
von denen sie Millionenerwerb erhoffen und sei es auch die Erfindung eines Patent¬
hosenknopfes. Unerschütterlich glauben sie an ihre Erfindungen und deren
Zukunft, unverzagt arbeiten sie Jahrzehnte hindurch weiter an deren Vervoll¬
kommnung, opfern jeden Pfennig ihres Besitzes dafür, bis sie schließlich am Bettel¬
stab sind. Aber auch dann ist ihr Mut noch nicht gebrochen: ihre Erfindung
wird ihnen in kurzer Zeit alles wieder einbringen, die Ausbeutung ihrer Patente
wird Millionen abwerfen, man bemüht sich schon darum. Sie werden in ihren
Ansprüchen um so maßloser, je unbegründeter dieselben sind und fordern von
der Allgemeinheit, vom Staate Unterstützung ihrer Bestrebungen.
Den Weltverbesserern nahe stehen die Religions- und Sektenstifter, die
Propheten und Bußprediger. Der Kranke ist der Auserwählte Gottes, der andere
Messias, Gottes Sohn, sein Prophet, der Papst der Päpste, der verheißene Erlöser.
Mit ausgedehnter Bibelkenntnis, reichlichen Zitaten aus religiösen Schriften,
den Resultaten religiöser Grübeleien, den Erzählungen traumhafter ekstatischer
Erlebnisse weiß er seine „Lehre“ auszuschmücken und eindringlich zu machen.
Allwissend, von Gott selbst mit der Gewalt über Leben und Tod ausgestattet,
als Erlöser der Menschheit, die tief im Sündenpfuhl steckt, geweiht, gereinigt
durch den heiligen Geist, der in Gestalt einer Taube zu ihm herabgekommen ist,
verkündet er den rechten Glauben, sucht er die Menschheit zu bekehren, kommt
er als Vorbote des jüngsten Gerichtes, um die Schafe von den Böcken zu sondern.
Er allein weiß die heilige Schrift richtig auszulegen, er hat die Kraft der Wunder¬
heilung, sein Gebet vermag Blinde sehend und Lahme gehend zu machen, der
Tod hat ihm gegenüber keine Macht. Er hat Kämpfe mit dem Teufel zu bestehen,
der leibhaftig zu ihm kommt, den er durch sein Gebet überwindet, so daß er durch
den Schornstein entweicht; er steht mit Gott im Bunde und bewirkt, daß Krieg,
Not und Tod aus der Welt verschwinden, daß die Irrenhäuser leer werden. Er
hat im nächsten Weltkrieg eine entscheidende Rolle zu spielen, wie Gott sie
ihm bestimmt hat, dem deutschen Kaiser zum Siege zu verhelfen, England vom
Erdboden verschwinden zu lassen. Er muß gegen den schlechten, den lutherischen
Glauben kämpfen, hat seine Mission von Gott selbst erhalten, will aUe Welt
in den Schoß dej katholischen Kirche zmückführen. Die Internierung in der
Anstalt ist eine Prüfung, Gottesschickung, dient zu seiner Läuterung, damit
er das Elend dieser Welt besser kennenlemt und den Kelch .des Leidens ganz
leert. Gott wird ihn, wenn seine Zeit erfüllt ist, selbst wieder herausführen.
Wie Christus 40 Jahre alt war, als er gekreuzigt wurde, so wird auch seine Zeit
in 40 Jahren erfüllt sein; er wird als König der Ehren in Neu-Jerusalem einziehen
und die Menschheit glücklich machen.
Nach längerer Zeit der Vorbereitung erhält der Kranke dann von Gott
den Befehl, seine Sendung zu erfüllen. Er beginnt, Buße zu predigen, dabei meist
die berufenen staatlichen Diener der Kirche anzugreifen, seine göttliche Sendung
zu verkündigen. Gelingt es solch einem Propheten, eine kleine Gemeinde Gläu¬
biger um sich zu scharen, die seinen Worten vertraut, seinen Geboten folgt,
— und das ist häufig der Fall — so greift sein Größenwahn auf alles Weltliche
über; er fühlt sich als der Beherrscher der wahrhaft Gläubigen, erkennt keine
weltliche Autorität mehr an, kommt in ständigen Konflikt mit den weltlichen
Machthabern, setzt Könige und Kaiser ab, entthront den Papst, spricht öffentlich
3*
36
Die Krankheitserscheinungen.
gegen den Bischof, glaubt die Welt regieren zu können unter Hinweis auf die
zahlreiche, über die ganze Erde verbreitete Gemeinde seiner Anhänger, die in
Wirklichkeit aus einigen schwachsinnigen Alten, hysterischen Prauenzimmem,
von der Arbeit zermürbten, stark suggestiblen Individuen besteht. Gerade
diese Art von Wahnvorstellungen geht mit zahlreichen Erinnerungsfälschungen,
traumhaft-ekstatischen Erlebnissen und Sinnestäuschungen einher.
Eine noch größere Bedeutung haben die wahnhaften Erinnerungsver¬
fälschungen bei der nächsten Gruppe von Größenwahnsinnigen, wo die Idee
hoher Abstammung in den Vordergrund des Wahnes tritt, den „Genealogen“ der
französischen Autoren. Der Kranke hat zu Anfang das Gefühl, daß seine Über¬
legenheit von der Umgebung mehr und mehr anerkannt wird. Die Leute drehen
sich auf der Straße nach ihm um, stoßen sich an, sobald er vorbeigeht, tuscheln,
sehen ihn bedeutungsvoll an, machen ihm ehrerbietig Platz. Er fängt im Vorüber¬
gehen Bemerkungen auf, daß er adelig, gefürstet, aus königlichem Blute sei;
fremde Menschen grüßen ihn respektvoll. In seiner Gegenwart unterhält man
sich von einem Prinzen. Angehörige des Fürstenhauses begegnen ihm auffallend
oft auf seinen Spaziergängen, danken ihm immer sehr höflich für seinen Gruß,
sehen sich nach ihm um. Der Herzog erkundigt sich im Vorüberfahren nach
ihm, er hört zufällig seinen Namen aussprechen und den Herzog fragen: Ist er
denn auch würdig ? Ein Lakei des Fürsten X. folgt ihm längere Zeit in geringem
Abstande. Hochgestellte Damen können den Blick nicht von ihm wenden,
seufzen, wenn sie ihn sehen, ziehen in bedeutungsvoller Weise das Taschentuch.
Er hört, wie die Umstehenden von ihm sagen: er ist aus altem Adel, ein unehe¬
licher Sohn des Königs. Der König erhebt ihn im Vorbeifahren in den höheren
Adelsstand. Sein Bild wird als das des Prinzen Y. in allen illustrierten Zeit¬
schriften gebracht. Er merkt, wie seine Eltern, die eigentlich ja nur seine Pflcge-
eltem sind, im Nebenzimmer flüstern, ihn bei seinem Eintreten besonders ernst¬
haft grüßen oder verlegen anschauen. Beim Besichtigen der Bilder in der Kunst¬
ausstellung, im Königlichen Schlosse wird ihm mit einem Male aus der Familien¬
ähnlichkeit klar, daß er aus einer alten Adelsfamilie, aus dem Königshause stammt,
daß er der außereheliche Sohn eines Prinzen, der rechtmäßige Thronerbe ist.
Er hat gehört, wie seine Pflegeeltem sich im Nebenzimmer unterhielten, daß
er als Kind aus dem wunderschönen Garten seiner Eltern von Zigeunern geraubt
wurde, oder, daß seine Pflegeeltern ihn im Walde verirrt gefunden und als ihr
eigenes Kind erzogen haben; er wird von ihnen zurückgehalten, um ein großes
Lösegeld zu erpressen, weil er um die ihm zustehende Erbschaft betrogen werden
soll, auf Anordnung des Bruders, der ihm den Thron rauben will. Seine eigent¬
lichen Eltern sind ohne Nachricht von ihm, sie inserieren nach ihm in den Zei¬
tungen, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren, haben die Polizei, Scharen von
Detektivs mit Nachforschungen beauftragt; doch die Pflegeeltem haben ihn
geschickt verborgen gehalten, haben schließlich, als ihnen das Messer an der
Kehle stand, seine Aufnahme in die Irrenanstalt durchgesetzt, um ihr Verbrechen
zu verdecken. Der Kranke tut endlich Schritte, um zu seinen Gütern, seinem
Gelde, seiner gesellschaftlichen Stellung zu gelangen: er wendet sich schriftlich
an seine vermeintlichen wahren Eltern, droht seinen Vergewaltigern, versucht
Liebesbeziehungen mit hochgesteUten Persönlichkeiten anzuknüpfen, unter¬
schreibt sich als adelig, als Fürst, als Prinzessin, belästigt schließUch seine ver-
Die Paranoia combinatoria.
37
meintlichen Eltern und Verwandten auf der Straße, wird tätlich gegen seine
Pflegeeltem, ruft die Hilfe der Behörden an. Andere derartige Kranke verüben
Hochstapeleien, bis sie endlich in der Irrenanstalt stets anspruchsvoll und an¬
maßend, in stetem Kampfe mit ihren Mitkranken, die sie nach Möglichkeit zu
tyrannisieren suchen, in stetem Kampfe mit den Ärzten, oft in teilweiser illusio¬
närer Verfälschung ihrer Umgebung ihr Dasein beschließen.
Der Wahn hoher Abstammung leitet hinüber in den erotischen Größen¬
wahn. Ein feingekleideter, anscheinend hochgestellter Herr sieht die Kranke
auf der Straße so eigentümlich an, schaut sich nach ihr um, folgt ihr, um zu sehen,
wo sie wohnt. Wenige Tage später trifft sie ihn wieder, eine rote Rose im Knopf¬
loch; er lächelt sie an, winkt ihr zu, deutet auf seine Rose. Er lädt sie durch
Zeitungsannoncen zum Stelldichein, erklärt ihr durch die Zeitung seine Liebe,
gibt ihr zu verstehen, daß er ohne sie nicht leben kann. Sie geht zum Stelldichein
und findet niemand, der sie erwartet. Aber schon am nächsten Tage trifft sie
ihn wieder; er gibt ihr zu verstehen, daß seine Verwandten gegen seine Liebe
sind und seine Pläne zu durchkreuzen suchen. Sie merkt, daß alle Welt von
ihrer liebe weiß, daß es ein sehr hochgestellter Herr sein muß, der um sie wirbt.
Man spricht davon in Andeutungen, wenn sie vorübergeht; die Zeitungen bringen
Gerüchte über eine in Aussicht stehende Verlobung eines Prinzen, des verwit¬
weten Landesfürsten: da merkt sie, daß er es ist, der ihr in Verkleidung folgt,
daß sie die Auserkorene ist, daß sie dem Fürsten zur linken Hand angetraut
werden soll. Am anderen Tage steht es auch schon in der Zeitung, unter der
Chiffre der Anfangsbuchstaben ihres Namens findet sie die Aufforderung zur
Verlobung. Sie beeilt sich, entweder auf dem gleichen Wege oder schriftlich
oder gar mündlich ihre Zustimmung zu geben. Doch die Gegnerschaft der Ver¬
wandten, der Hofgesellschaft, der Mätresse des Fürsten ist zu mächtig; sie wird
ins Irrenhaus gesperrt. Aber auch hier liest sie täglich aus den Inseraten der
Zeitung, wie tief der Geliebte sie bedauert, wie er kein Mittel unversucht läßt, sie
zu erlösen und heimzuführen. Täglich liest sie, daß sie sich nur noch kurze Zeit
gedulden solle, daß ihr bald die gebührende Genugtuung für ihre Leiden werden
solle; um sie wenigstens zu sehen, besucht der angebliche Liebhaber sie verkleidet
in der Anstalt.
In ganz ähnlicher Weise fühlt der männliche Kranke die Blicke einer hoch¬
stehenden Dame, einer Gräfin, der Prinzessin auf sich ruhen. Auch er findet
täglich in der Zeitung, an der Litfaßsäule Auffordenmgen zu einem Zusammen¬
treffen, zu Fensterpromenaden, aus seiner Zurückhaltung herauszutreten, bis
er sich schließlich zu weiteren Schritten entschließt, wirklich Fensterpromenaden
macht, die Dame auf der Straße belästigt, sie anspricht, ihr liebeglühende Briefe
schreibt. Aus dem Gespräche Fremder, aus der Zeitung entnimmt er endlich,
daß sie ihn in ihrer Wohnung erwartet; er läßt sich bei ihr melden, gesteht ihr
seine liebe, erfährt die verdiente Abweisung, läßt sich aber dadurch nicht be¬
irren, wird zudringlich und endet ebenfalls im Irrenhause, wo er sefne erotischen
Ideen weiter pflegt, alles Mißgeschick als Prüfung seiner Liebe auffaßt und den
Tag zu erkämpfen sucht, der ihm die Freiheit und die Erfüllung seiner liebes-
hoffnungen bringen soll. Zur Erreichung ihrer ehrgeizigen Pläne wenden der¬
artige ICranke ihr ganzes Vermögen auf; für Zeitungsinserate geben sie Un¬
summen aus, ebenso für Geschenke, für einen weit über ihre Verhältnisse hinaus-
38
Die Krankheitserscheinungen.
gehenden Kleiderluxus, um standesgemäß gekleidet zu sein. Sie reisen den ge¬
liebten Personen nach, vernachlässigen ihren Beruf, kommen schließlich zu
keiner geordneten Beschäftigung mehr, müssen in der Anstalt auf Armenkosten
verpflegt werden.
Die in der obigen schematischen Beschreibung in bunter Reihe aufgezählten,
teilweise lose aneinandergereihten Vorstellungen der Beeinträchtigung und der
Größe kombinieren sich in der mannigfaltigsten Weise. Gerade die formal logische
Verknüpfung der Ideen untereinander, wie sie oft nur angedeutet werden konnte,
die langsame Entstehung von Verfolgungs- und Größenideen auseinander auf
dem Wege des logischen Schlusses ist eines der Kennzeichen des paranoischen
Wahnes. Der Erfinder schließt, da er seinen pekuniären Ruin vor Augen hat,
daß feindliche Mächte ihn um die Früchte seiner Arbeit bringen, die Geliebte
des Herzogs schließt, weil sie ihr Ziel, die Vereinigung mit der geliebten Person,
nicht zu erreichen vermag, daß die Hofkamarilla ihr entgegenarbeitet, der Messias
ist sich über die Verfolgungen von seiten der ungläubigen Mitmenschen im
klaren, hält sie für Gottesschickung, der entführte Prinz glaubt an unlautere
Motive, die seine Pflegeeltem bestimmen, ihn seinen wirklichen Eltern vorzu¬
enthalten. Der Kranke verarbeitet sowohl die äußeren Eindrücke wie seine
eigenen Überlegungen im Sinne seiner krankhaften Grund Vorstellungen, er läßt
sich nicht als Spielball augenblicklich auftauchender Vorstellungen und nor¬
maler oder krankhafter Sinneseindrücke bald in diese bald in jene Wahngruppe
drängen.
Der Paranoiker baut sich eben ein Wahnsystem auf, d. h. aus der all¬
gemeinen Grundrichtung seiner wahnhaften Vorstellungen heraus entwickelt er
in der skizzierten Weise aus äußeren oder inneren Gründen eine spezielle Wahn¬
form, mit der alle weiter entstehenden Einzelheiten logisch verknüpft werden,
in deren Sinne alle Wahrnehmungen gedeutet, der alle Vorstellungen unter¬
geordnet werden, die derart langsam vervollständigt wird. Dieses Wahnsystem
ist fixiert, d. h. in seiner Ideenrichtung unverrückbar; dagegen kann es durch
die Art des Ausbaues zu einer großen Verschiedenheit der im Grunde gleichen
Systeme kommen. Der Entwicklungsreihen, die der gleiche Grund wahn nehmen
kann, gibt es so viele als Paranoiker. Im Sinne des Individualcharakters, der
durch die Erziehung eingeimpften Voraussetzungen, der durch die Schulbildung
erworbenen Kenntnisse, besonders der im Kampfe ums Dasein gewonnenen
Lebenserfahrungen entwickelt sich in der durch die paranoische Veranlagung
gegebenen allgemeinen Richtung das Wahnsystem zu einer individuellen Ein¬
heit, deren Einzelheiten äußere Momente wohl auslösen können, ohne daß es
ihnen aber möglich wäre, einen wesentlichen Einfluß auf ihre Art, Richtung
und Stärke zu gewännen. Der Ausbau des Wahnsystems erfolgt logisch, soweit
es möglich ist. Sobald dem Paranoiker in der Kette wahnhafter Vorstellimgen,
die sein individuelles System bilden, eine Lücke erscheint, seine Befürchtungen,
Wünsche und'Hoffnungen den bisherigen wahjjhaften Verfolgungs- oder Größen¬
ideen zu weit vorausgeeilt sind, ergänzt er dieselben auf dem Wege der Kom¬
bination, wonach diese Unterform der Paranoia ja auch ihren Namen führt.
Wird diese Lücke jedoch zu groß, um auf dem Wege rein kombinatorischer Vor¬
stellungsreihen überbrückt zu werden, so sucht er die logische Verknüpfung
seiner Vorstellungen, die Einheit seines Wahnsystems dadurch zu erhalten.
Die Paranoia combinatoria.
39
daß er Erinnenmgsfälschungen einschiebt, soweit ihm nicht Trugwahmehmungen
zu Hilfe kommen. Der Nachweis einer individuell bedingten Einheit des Wahn¬
systems bzw. des unausgesetzten Strebens danach ist unerläßlich für die An¬
nahme einer Paranoia combinatoria.
Die Wahnideen des Paranoikers behalten meist bis in die letzten Stadien
der Erkrankung ein erträgliches Maß von Möglichkeit, in den früheren Zeiten
pflegen sie auch dem Geistesgesunden in ihren Gedankengängen stets verständ¬
lich zu sein, weswegen es dem Kranken häufig gelingt, seine Umgebung von der
Richtigkeit seiner Wahnideen zu überzeugen und selbst femerstehenden kri¬
tischen Naturen, häufig selbst dein Irrenarzte ist es im Anfänge des Beeinträch-
tigungs-, des Eifersuchtswahnes, ebenso des Wahnes krankhafter Erfinder,
erotischer Größenideen, vor allem aber im Anfänge des Querulantenwahnes,
schwer oder unmöglich zu erkennen, ob es sich um ein paranoisches Wahngebilde
handelt, ob hinter den Erzählungen wenigstens ein wahrer Kern steckt, ob end¬
lich die Erzählungen völlig der Wahrheit entsprechen. Die Wahnideen des Para¬
noikers fallen lange Zeit aus dem Rahmen des wirklichen Geschehens und nor¬
maler Möglichkeiten nicht heraus.
Eines dürfte aus der Skizzierung paranoischer Wahnformen noch hervor¬
gehen: die völlig divergierende Auslegung, die dieselben Simieseindrücke, die¬
selben Geschehnisse in der Außenwelt durch den Paranoiker erfahren können
je nach der beherrschenden Vorstellungsrichtung oder, nach den früheren Aus¬
führungen, besser noch nach der vorpsychotischen Denkrichtung. Das geheimnis¬
volle Flüstern, die eigentümlichen Blicke der Umgebung, eine gewisse Verlegen¬
heit Nahestehender bei plötzhchen Begegnungen bedeuten dem verfolgungs¬
wahnsinnigen Paranoiker, daß die Personen mit seinen Verfolgern unter einer
Decke stecken, daß sie von den Nachstellungen, denen er ausgesetzt ist, wissen,
eventuell sogar, daß sie ihn wegen der Untreue seiner Frau, wegen der ihm noch
drohenden Verfolgungen bedauern, dem Größenwahnsinnigen, daß sie in ihm
etwas Höheres sehen. Was dem einen Ausdruck höchster Mißachtung oder größten
Bedauerns ist, erscheint dem anderen als Zeichen der Ehrerbietung und des
Neides. Dabei kann die tatsächliche Grundlage der falschen Vorstellungen
eine durchaus richtig aufgefaßte sein; die Leute werden häufig dem Kranken
ein erhöhtes Interesse, eine größere Aufmerksamkeit schenken, eben weil sie
merken, daß sie einen Geisteskranken vor sich haben, den sein scheues Betragen,
sein mißtrauisches Gesicht, vielleicht seine eigenartige Tracht, andererseits
seine erhabene, hochmütige Miene, sein erotisches Gebahren, seine stutzerhafte
Kleidung als solchen auch für den Laien erkennen lassen.
Die Sinneswahmehmungen des Paranoikers sind zum größten Teile völlig
richtige, sie werden nur falsch gewertet und zwar im Sinne des herrschenden
Wahnes. Daß dabei arge Verzerrungen der tatsächhchen Bedeutung der wahr¬
genommenen Vorgänge gewöhnlich sind, daß vor allem bedeutungslosen Wahr¬
nehmungen größte Wichtigkeit beigemessen wird, ist bei der Überwertigkeit
der Vorstellungen und der Stärke der Affekte des Paranoikers erklärlich. Von
manchen Seiten ist deshalb eine Art Hypervigilität, eine Steigerung der Beobach-
tungsga^, ja direkt eine Schärfung des Verstandes, vor allem der Aufmerksam¬
keit und des Gedächtnisses während des Verlaufes der paranoischen Erkrankung
angenommen worden unter Hinweis auf die häufige Beobachtung, daß die Kranken
40
Die Krankheiteerscheinungen.
weit zurückliegende Situationen mit allen Einzelheiten reproduzieren, daß sie
in jedem Augenblicke logisch zusammenhängend, sinnlich lebhaft und mit an¬
scheinend großer Treue fern liegende Ereignisse schildern, Gespräche usw. wört¬
lich wiederholen können.' Wenn auch nicht zu bestreiten ist, daß das Gedächtnis
der Paranoiker für Situationen, denen sie für sich und ihren Wahn Wichtigkeit
beimessen, tatsächlich oft staunenswert ist, erklärlich durch die intensive Kon¬
zentration des gesamten Denkens auf den Wahn und die mit ihm in Zusammen¬
hang tretenden Vorgänge, so ist doch derartigen Hypermnesien gegenüber größte
Vorsicht am Platze, da in fast allen Fällen bald häufiger, bald seltener Erinnerungs-
fälflchungen die Reproduktionstreue zu vermindern pflegen. Die Häufigkeit
solcher Konfabulationen ist gelegentlich eine so große, daß man mit Neisser
von einer „konfabulierenden Paranoia“ sprechen könnte. Oft ist es schwer zu
entscheiden, was an den Erzählungen der Blanken Wahrheit, was hinzugedichtet
ist, was endlich auf wirklichen Sinnestäuschungen beruht, da Wahrheit und
Dichtung sich innig durchflechten, die Kranken beides logisch verknüpfen, wie
die Erdichtungen überhaupt meistens dem unbewußten Verlangen der Banken
nach Logik entspringen, um Lücken in der Beobachtungs- und Vorstellungs¬
reihe auszufüllen. Aus diesem Gnmde ist es sicherlich falsch, das Bestehen von
Konfabulationen an sich schon als den Ausdruck einer (Jeistesschwäche des
Paranoikers zu betrachten, wie es von einigen Autoren geschehen ist; die Ent¬
stehung von Konfabulationen zeigt vielmehr, daß die logische Verknüpfung,
die bei den Geistesgesunden alle Wahrnehmungen und Geschehnisse finden müssen,
auch für den Paranoiker Naturnotwendigkeit bleibt, da eine Abnahme der Merk¬
fähigkeit leicht auszuschließen ist. In der Mehrzahl der Fälle von Verfolgungs¬
wahn handelt es sich um nachträgliche Verfälschung wirklicher Erlebnisse;
seltener ist die freie Erfindung angeblicher Erinnerungsbilder. Letztere Art
von Konfabulationen ist zahlreicher im Zusammenhänge mit Größenideen. Der
Wahn hoher Abstammung vor allem zwingt zu derartigen Verfälschungen des
gesamten Vorlebens bis in die Kindheit hinein, aber auch der religiöse, der ero¬
tische Größenwahn, wie von den Beeinträchtigungsideen besonders der Eifer¬
suchtswahn geht vielfach mit frei erfundenen Erinnerungsfälschungen neben
nachträglich umgewerteten einher. Der in der frühesten Kindheit erfolgte Raub
aus dem Eltemhause durch Zigeuner oder gedungene Banditen, das Verirren
im Walde und Auffinden durch die vermeintlichen Pflegeeltern, das unsere
Opemliteratur in so hervorragendem Maße befruchtete, einerseits, konfabulierte
Kämpfe mit dem Teufel, Erscheinungen Gottes und seiner Heiligen, konfabulierte
Begegnungen mit der geliebten Person andererseits müssen den Zusammenhang
im Wahngebäude herstellen. Nachträglich wird ein Zusammenhang zwischen
den Handlungen der angeblich ungetreuen Ehefrau hergestellt, wird der Be¬
weis für die Verfolgungen aus angeblichen Äußerungen Angehöriger oder Fremder
geschmiedet. Oft läßt in derartigen Fällen das völlig passive Verhalten des
Kranken sowie das blinde Fünvahrhalten derartiger Situationserinnerungs¬
fälschungen diese als solche erkennen.
Noch schwieriger als die Entscheidung, ob es sich um wirkliche oder er¬
dichtete Erlebnisse handelt, ist häufig die, ob eine Konfabulation oder eine
Sinnestäuschung vorliegt. Es gibt sicher nur wenige Fälle kombinatorischer
Paranoia, deren Geschichte nicht zu irgendeinem Zeitpunkte vereinzelte Sinnes-
Die Paranoia combinatoria.
41
täuschungen auffinden läßt. Besonders treten dieselben in den Stadien be¬
schleunigten Vorstellungsablaufes verbunden mit allgemeinen Unruheerschei¬
nungen und stärkerer affektiver Betonung der intensiver hervortretenden Wahn¬
ideen hervor, wie sie als interkurrente Erregungszustände das einförmige Bild der
Paranoia gelegentlich zu unterbrechen pflegen. Es handelt sich in der Mehrzahl
der Fälle um vereinzelte Gehörstäuschungen von der Art der Illusionen, seltener
um Täuschungen auf einem der übrigen Sinnesgebiete. Gelegentlich kommen
aber auch kürzere oder längere Perioden lebhafter bis massenhafter Trugwahr¬
nehmungen vor, die mit Erregungszuständen lebhafterer Art einhergehen; die¬
selben sind jedoch wohl nie so stark, daß sich psychische Zustände entwickeln,
die man als halluzinatorische Verwirrtheit bezeichnen könnte. Vereinzelte
Sinnestäuschungen werden häufig von den ICranken dissimuliert, weil dieselben
einmal ihre Trugwahmehmungen von den normalen Wahrnehmungen zu unter¬
scheiden wissen, wenngleich sie ihnen dieselbe Realität beimessen, weil sie sich
andererseits sagen, daß derartige, ihnen selbst eigenartige Wahrnehmungen
von ihrer Umgebung, das heißt ihren Feinden, noch weniger verstanden, dem¬
gemäß als Zeichen geistiger Störung ausgelegt werden, was sie zu vermeiden
suchen. In Zuständen interkurrenter Erregung enthüllt sich dann oft, daß der
Kranke bereits seit Jahren halluziniert hat, wie der infolge seiner Veranlagung
verschlossene, mißtrauische Paranoiker, worauf Gerlach hinweist, überhaupt
häufig erst in einem Zustande gesteigerter Affektivität mit ihrer verminderten
Hemmung sein Innenleben preisgibt. Es ist deshalb anzunehmen, daß die Para¬
noiker, die während ihrer Erkrankung anscheinend keine Trugwahmehmungen
aufweisen, diese, die vielleicht sehr selten bei ihnen auftreten, nur geschickt
zu dissimulieren verstehen; dabei scheinen diejenigen Fälle, die die geringsten
Intensitätsschwankungen zeigen, auch am seltensten von Sinnestäuschungen
heimgesucht zu werden, was aus der Häufigkeit einer affektiven Genese der
letzteren erklärlich ist, andererseits zur Erklärung des viel schwankenderen und
lebhafteren Verlaufes der halluzinatorischen Paranoiaformen herangezogen wer¬
den muß.
Die Sinnestäuschungen sind häufig mit den Erinnerungsfälschungen innig
verbunden, so daß der wirklich illusionäre und der erdichtete Anteil an ihnen
nicht sicher zu trennen ist. Wesentliche Bedeutung erhält dieser Umstand bei
der halluzinatorischen Form der Paranoia, wo näher darauf eingegangen werden
soll. Illusionen und Erinnerungsfälschung haben ja auch in ihrer psychologischen
Genese nahe Berührungspunkte.
Der Besprechung der ErinnerungsVerfälschungen und der Trugwahrneh¬
mungen ist der Hinweis auf die vor allem bei der religiösen, aber auch der eroti-
tischen Form des Größenwahnes häufigen ekstatischen Zustände anzuschließen,
das heißt der Zustände über das Maß der Norm hinausgehender Ergriffenheit,
die sich bis zur Verzückung mit Absperrung gegen jede äußere Wahrnehmung
und jede vernünftige Überlegung steigern kann. Von altersher hat die religiöse
Betrachtung am meisten zu derartigen ekstatischen Zuständen disponiert, wes¬
halb auch der religiöse Größenwahn unter den Wahnformen der Paranoia am
häufigsten derartige Zustände hervorruft. Ihr Vorkommen geht in den meisten
Fällen mit entsprechenden Sinnestäuschungen einher oder wird durch solche
gekrönt, beides aus dem gemeinsamen Boden der krankhaften Affektivität ent
42
Die Krankheitserscheinungen.
springend, wobei die Tnigwahmehmung des die Ekstase beherrschenden Vor-
stellungskomplexes durch die Steigerung der Gefühlsbetonung infolge des krank¬
haften Zustandes selbst in letzter Linie ausgelöst wird. Derartige Kranke sehen
den Himmel offen, Gott inmitten seiner Heerscharen; die Sonne neigt sich vor
ihnen, Gottes Stimme, der Engel Jubilieren, die Sphärenmusik wird ihnen ver¬
ständlich.
Die Affekterregbarkeit des Paranoikers pflegt entsprechend der großen
Bedeutung, die die wahnhaften Vorstellungen für den Kranken haben, eine
krankhaft erhöhte zu sein, auch nachdem der primäre pathologische Affekt
durch die erste Wahnbildung, mit der der Kranke den Grund für seine mi߬
trauische Gemütsverfassung, für die ihm unheimliche Verändenmg der gesamten
Umgebung, für seine innere Unruhe und Spannung gefunden, die Bestätigung
seiner inneren Gehobenheit erhalten zu haben vermeint, abreagiert ist. Wie
die Vorstellungen der Paranoiker, vor allem in den späteren Stadien der Krank¬
heit, über das Maß der Norm mehr weniger hinausschießen, so zeigen auch die
sie begleitenden Gefühlstöne je nach der Art des Wahnes in positiver oder nega¬
tiver Richtung größere Ansprechbarkeit, als sie die gewöhnlichen Vorstellungen
des Geistesgesunden begleitet. Diese gesteigerte Lebhaftigkeit pflegt sich einmal
darin kundzugeben, daß die Kranken ihren Vorstellungen ein erheblich größeres
Interesse widmen, als d^er Geistesgesunde auch für ihn nahe berührende Vor¬
stellungskomplexe übrig hat, andererseits besonders darin, daß selbst leichte
äußere Affektstöße über das Maß der Norm weit hinausgehende Erregungen
hervorrufen können, die ihrerseits wieder die entsprechenden Handlungen aus-
lösen. Schon der geringste Zweifel an der Richtigkeit der geäußerten Beeinträch¬
tigungsideen, der leiseste Widerstand gegen die aus den Größenideen entspringen¬
den Handlungen, ein unbedachtes Wort aus dem Munde des Arztes kann zu
Zornesausbrüchen lebhaftester Art führen, gelegentlich schwere Verbrechen
auslösen. Die Höhe der Affekterregbarkeit gibt bei der Paranoia combinatoria den
wichtigsten Impuls für die Handlungen des Kranken ab.
Diese Handlungen entsprechen den die Paranoiker beherrschenden Vor¬
stellungsreihen. Während der Paralytiker die schwersten Verfolgungs- oder
Versündigungsideen lächelnden Angesichts zu äußern vermag, die wildesten
Größenvorstellungen mit völlig uninteressierter Miene äußert, während der
paranoid Demente teilweise in völliger Gleichmütigkeit seinen wahnhaften Vor¬
stellungen gegenübersteht, zur Realisierung derselben nichts unternimmt, stellt
das Leben des Paranoikers einen steten Kampf um seinen Wahn dar, da er in
allen Einflüssen des Lebens ihm entgegenstrebende Mächte erkennt, gegen die
er sich in Abwehrzustand setzt. Mit äußerster Konsequenz, unbekümmert um
Fehlschläge, die ihm im Gegenteil nur zum Ansporn zu noch weiterer, mit zähester
Energie geführter Verteidigung gegen seine Verfolger, weiteren Versuchen, seine
Selbstüberschätzungsideen zu verwirklichen, dient, strebt er, seine Ziele zu er¬
reichen. Seinen Verfolgern sucht er zuerst durch häufigen Wechsel seiner Stellung,
seines Wohnortes, durch Reisen zu entgehen; er verbarrikadiert sich in seiner
Behausung, schließt sich von der Außenwelt nach Möglichkeit ab, erfindet alle
möglichen, zum Teil mehr oder minder komischen Schutzmaßregeln, läßt sein Haus
von Hunden bewachen, verläßt nie unbewaffnet seine Wohnung. Allmählich
geht dieser Zustand des passiven Schutzes gegen seine Widersacher in den des aktiven
Die Paranoia combinatoria.
43
Angriffs über. Er verlangt Hilfe bei der Polizei, erhebt Anklage vor Gericht,
es kommt zu Beschimpfungen seiner vermeintlichen Gegner, öffentlichen Be¬
leidigungen, ernsthaften Drohungen, endlich unter Umständen zu einer Gewalt¬
tat. Der Eifersuchtswahnsinnige sucht ebenso wie der geistesgesunde Eifer¬
süchtige zuerst den ungetreuen Gatten zu überraschen, ihn zu entlarven; später
kommt es auch hier zu wörtlichen und tätlichen Beleidigungen schlimmster Art,
der Gattenmord bzw. sein Versuch pflegt der nicht seltene Ausgang zu sein,
sofern der Kranke nicht vorher in der Irrenanstalt Aufnahme gefunden hat.
Die Konsequenz, mit der der Größenwahnsinnige in langsamer Steigerung der
angewandten Mittel seine Ziele zu erreichen sucht, ist bereits oben geschildert
worden. Diese Konsequenz pflegt stets den Stempel der Verbohrtheit zu tragen,
die im Verlaufe der ICrankheit mehr und mehr zunimmt. Unbekümmert um
die Folgen verläßt die vermeintlich betrogene Ehefrau den Gatten; ohne an die
Zukunft zu denken, weist die Geschäftsfrau Kunden, von denen sie annimmt,
daß sie ihr zur Schikane von der Konkurrenz gesandt sind, aus ihrem Laden;
um den Verfolgern zu entgehen, geben die Kranken Lebensstellungen auf, wenn
sie danach auch dem Nichts gegenüber stehen. Im Beginne der Erkrankung
hält sich die Reaktion auf die Wahnvorstellungen noch in leidlichen Grenzen,
entspricht im großen und ganzen den von Geistesgesunden unter ähnlichen tat¬
sächlichen Verhältnissen einzuschlagenden Wegen, so daß sie nur deshalb als
pathologisch zu bezeichnen ist, weil sie auf dem Boden krankhafter Ideen er¬
wächst; nicht selten findet der Paranoiker dazu die Unterstützung seiner Um¬
gebung oder der Behörden. Im weiteren Verlaufe wird sie ständig maßloser,
bis es schUeßhch auch zu Handlungen kommen kann, die dem Geistesgesunden
auf den ersten Anblick völlig unverständlich erscheinen, die sich aber bei Ver¬
folg des paranoischen Gredankenganges doch bis zu einem gewissen Grade ver¬
stehen lassen. Nie kommt es zu wirklich unsinnigen Handlungen, wenngleich
die Kranken nach jahrelangem Bestehen der Erkrankung oft auf eigenartige,
schief und komisch wirkende Mittel, um dem für sie unerträglichen Zustande
ein Ende zu machen, verfallen. Die normalen Hemmungen pflegen auch in den
letzten Stadien dem Paranoiker nicht vollkommen verloren zu gehen; zu Kapital¬
verbrechen kommt es viel seltener als bei Geistesstörungen, die mit den gleichen
Wahnideen eine Abschwächung der intellektuellen Funktionen verbinden, z. B.
ist der Gattenmord im Eifersuchtswahne der Paranoia viel seltener als bei dem
auf dem Boden des alkoholischen Schwachsinns entstandenen gleichen Zustande.
Ein allgemeiner Bruch mit der Welt, ein gänzliches Zurückziehen in den eigenen
Wahn pflegt im Endstadium der Paranoia einzutreten.
Neben diesen dem Wahne an sich entspringenden Handlungen pflegt die
allgemeine Arbeitsfähigkeit des Paranoikers nur insoweit zu leiden, als er von
seinen krankhaften Ideen in Anspruch genommen wird. Er vermag lange Jahre,
selbst bis zum Tode umfangreichen Geschäften vorzustehen, klar zu disponieren,
Ämter zu verwalten, vor allem auch seine persönlichen Angelegenheiten ohne
Schwierigkeit zu versehen, seinen Lebensunterhalt zu erwerben, wenn auch die
Ausdauer häufig zu wünschen übrig läßt. In der Irrenanstalt gehören die Para¬
noiker mit vorherrschenden BeeinträchtigungsVorstellungen zu den arbeit¬
samsten Insassen. Etwas anders verhält es sich mit den Größenwahnsinnigen,
von denen stets eine gewisse Auswahl der ihnen zugemuteten Beschäftigung
44
Die Krankheitsersclieinungen.
ausgeübt oder aber jede Arbeit außer der für die eigene Person abgelehnt wird.
Diese Paranoiker sind jedoch mit der Bearbeitung der sie selbst und ihre Wahn¬
vorstellungen betreffenden Dinge vollkommen beschäftigt, so daß man ein be¬
schäftigungsloses Herumstehen, eine dauernde Untätigkeit auch bei ihnen kannn
findet. Dem normalen Drange nach Beschäftigung pfl^en nicht nur die Ver¬
folgungswahnsinnigen, sondern auch die Kranken mit Selbstüberschätzungs¬
ideen nicht zu widerstehen. Bei der ersteren Gruppe ist das nicht weiter ver¬
wunderlich, zumal die Kranken bald merken, daß eine intensive Beschäftigung
ihre beängstigenden Wahnideen zurücktreten läßt; eigenartiger berührt es, wenn
der vermeintliche Millionär sich als fleißiger Bureauarbeiter, der neue Mfessias
als Gärtner, die Fürstentochter als Näherin betätigt. Stets wird von den Kranken
aber auch eine derartige Beschäftigung motiviert, bzw. läßt die Art, wie sie
ihre Tätigkeit ausüben, oder die aus derselben entspringende Vergünstigung
dieselbe verstehen. Wenn der zukünftige Millionär bei seiner Tätigkeit Grelegen-
heit findet, seine umfangreichen Schriftstücke, die seine Ansprüche beweisen
sollen, zu schreiben und hinauszuschmuggeln, die Fürstentocher in der Näh¬
stube über andere Einfluß zu gewinnen und auszuüben vermag, so ist das eine
verständliche Erklärung für die Tatsache ihrer Betätigung; der vermeintliche
Messias erklärt sie daraus, daß der erste Christus ebenfalls einfache Arbeit getan
habe, daß in der Bibel geschrieben stehe, daß man dem Nächsten dienen solle,
daß seine Gartenarbeit die Vorbereitung auf die Bebauung des himmlischen Gar¬
tens sei. Es versteht sich von selbst, daß derartige Kranke meist nicht imstande
sind, ihren Lebensunterhalt zu erwerben, sobald sie auf eigene Füße gestellt sind,
daß sie nach Aufzehren etwaigen Vermögens, sofern nicht vorher die Entmün¬
digung bzw. die Anstaltsaufnahme erfolgt ist, der Armenpflege anheimfallen.
Es ist oft merkwürdig, wie wenig im Verlaufe der Paranoia trotz der starken
egozentrischen Einengung des Gesichtskreises die altruistischen Gefühle leiden.
Das Gefühl für die Familie, selbst für die Mitmenschen pflegt in den meisten
Fällen durchaus erhalten zu bleiben, eher werden die Familienangehörigen als
die unschuldig unter den Verfolgungen Mitleidenden angesehen als in den Kreis
der Verfolger einbezogen, wenn es auch vorübergehend infolge des Widerstandes,
den die Angehörigen dem Kranken in manchen Dingen zu leisten gezwungen
sind, zu einem Bruche mit ihnen kommt. Auch in späteren Stadien des Leidens
pflegen weibliche Kranke sich um ihre Mitpatienten hilfreich zu bekümmern
und sich dabei oft mit feinem Gefühl gerade die bedauernswertesten und hilf¬
losesten unter denselben auszuwählen. Auch die übrigen ethischen Gefühle
bleiben in den ruhigen Zeiten stets erhalten; wo sich in Wort oder Tat in er¬
regteren Stunden leichte Lockerungen der ethischen Gefühle erv'eisen, sind
dieselben aus der Stärke der einstürmenden Verfolgungen, der Massenhaftigkeit
der Sinnestäuschungen, der Intensität der begleitenden Affekte immerhin noch
erklärlich; nie kommt es zu wirklich schamlosen unmotivierten Worten, noch
weniger zu derartigen Handlungen.
Äußerlich kann man die Wahnrichtung des Paranoikers in vielen Fällen
bereits aus seiner Haltung, seinem Gange, seiner Kleidung, seinem Wesen schlie¬
ßen, kurz ihm seinen Wahn vom Gesichte ablesen. Die einen sind verschlossen,
mürrisch, lehnen jede Unterhaltung, besonders jedes Eindringen in ihre wahn¬
haften Gedankenkreise ab, wittern in jedem Eindringling einen neuen Feind;
/
Die Paranoia combinatoria.
45
clie anderen sind lebhaft, prahlen mit ihren Erfindungen, ihrem Reichtum, ihren
hochfliegenden Plänen, ihrer Zukunft, suchen ihrer Umgebung zu imponieren;
wieder andere sind unnahbar, herablassend gegen jedermann; noch andere schrei¬
ten ernst einher, den Blick in die Feme gerichtet, gemessen in ihrer Haltung
wie in ihren Bewegungen. Doch auch bei den verschlossenen, ablehnenden
Kranken kommt es nie zu einem völligen Abschluß, einem kritiklosen Zurück¬
ziehen in sich selbst, wie es in der Schizophrenie häufig ist; sie haben trotz allem
den normalen Drang, sich irgend jemand anzuschließen, sich gelegentlich aus¬
zusprechen, sich wenigstens schriftlich in Konnex mit ihrer Umgebung zu setzen.
Die Ausdrucksmittel, Sprache wie Schrift, haben für den Paranoiker eine
große Bedeutung. Mit rednerischer Gewandtheit, ohne zu stocken, da er die¬
selben Gedankengänge, dieselben Wahrnehmungen, dieselbe logische Verknüpfung
beider bereits ungezählte Male sich selbst und anderen widerholt hat, verblüfft
er durch die Sicherheit und Lückenlosigkeit, mit der er sein Wahnsystem ent¬
hüllt und scheinbar begründet. Ebenso weiß er seine schriftlichen Auslassungen
stilgerecht abzufassen, auch wenn die Orthographie wegen geringer Schulbildung
zu wünschen übrig läßt. In den späteren Stadien des Leidens pflegt die Freude
am Niederschreiben der Wahnideen zuzunehmen, das letztere zum Zweck an
sich zu werden; man kann beobachten, daß es dem Kranken Befriedigung bereitet,
daß eine Verringerung seiner Affektspannung w^enigstens für kurze Zeit eintritt,
sobald er sich seine Leiden oder seine Pläne von der Seele heruntergeschrieben
hat, ebenso wie ihm eine ruhige Aussprache w^ohltut, wenn es natürlich auch
dadurch nicht gelingt, seine krankhaften Vorstellungen zu korrigieren oder ihm
auch nur zweifelhaft zu machen. Sprachlicher Ausdruck wie Schrift erfahren
dabei allmählich eine Neigung zu gezierter Ausdrucksw eise, zu größerer Sch wülstig-
keit, Langatmigkeit, zu schnörkelhaften Umschreibungen, sie werden bilder¬
reicher, pathetischer, eigenartig betont, was sich in der Schrift durch veränderte
Buchstaben, häufige Unterstreichungen, Gebrauch der Anführungs-, Ausrufungs¬
und Fragezeichen äußert, schließlich in selteneren Fällen auch zur Bildung eigener
Worte für die eigenartigen Quälereien und Sensationen, die ihnen selbst etwas
Rätselhaftes sind, das sich mit keinem der gebräuchlichen Ausdrücke einiger¬
maßen treffend bezeichnen ließe, führt. Derartige Wortneubildungen sind
meistens auch dem Geistesgesunden ohne weiteres verständlich, oder sie werden
es durch die Erklärungen der Kranken; nie findet sich Sprachverwirrtheit. Es
gibt Paranoiker, die sich nur schriftlich über ihre Wahnideen auslassen, dem¬
gemäß bei jedem ärztlichen Besuche ein Schriftstück überreichen ; es ist nicht
festzusteUen, ob es sich immer nur um eine Marotte der Kranken handelt, oder
ob nicht auch, wie es wahrscheinlich ist, der Wunsch, dem Nächsten die Vor¬
stellungen und Wahrnehmungen klarer und lückenloser zu erklären, mündlichen
Erörtenmgen über peinliche, ihren ethischen Begriffen widerstrebende Dinge
aus dem Wege zu gehen, mitspielt.
Wie das Handeln zeigt auch der formale Ablauf der Denkvorgänge keine
wesentlichen Abweichungen von der Norm. Bei dauernder völliger zeitlicher
und örtlicher Orientierung bis in die letzten Stadien der Ejrankheit hinein, bei
ungestörtem Gedächtnisse und ungeschwächter Merkfähigkeit zeigt die Urteils¬
kraft eine zunehmende Einbuße entsprechend den vorherrschenden Wahnideen,
während sie auf außerhalb derselben liegenden Gebieten keine Störimgen zeigt.
46
Die Krankheitserscheinungen.
Auf die Ansichten mancher Autoren, die die Entwicklung eines Schwachsinns
bei der Paranoia annehmen, wird gelegentlich der Besprechung des Krankheits-
ausganges noch zurückzukommen sein.
Besondere Störungen des Willens, soweit solche nicht der Ausfluß der
überwertigen Wahnvorstellungen sind, bestehen bei der Paranoia nicht. Schon
aus der Besprechung der Handlungen des Paranoikers geht hervor, daß die Willens-
strebimgen formal von denen des geistesgesunden Menschen im Grunde nicht
abweichen, wenn sie auch ein verzerrtes Bild der normalen darstellen. Was die
allgemeine Willensfreiheit betrifft, so erscheint dieselbe nach den Äußerungen
der Kranken in einer Reihe von Fällen eingeschränkt, insofern sie aus der Un¬
fähigkeit, ihrem Selbstbewußtsein entsprechende Leistungen zu vollbringen,
schließen, daß ein anderer ihnen die Aktionsfreiheit behindere, oder aber insofern
sie den Einfluß, den andere auf ihren Körper und Geist haben, aus den krank¬
haften Wahrnehmungen abstrahieren, die gerade in den Fällen mit ,,Beein¬
flussungswahn“ die Kranken heimzusuchen pflegen; das Symptom ist deshalb
auch bei der halluzinatorischen Form der Paranoia häufiger als bei der hier
besprochenen. Nie handelt es sich bei dem Kranken um die Überzeugung, daß
er „der unfreie Spielball unmittelbarer Einwirkungen durch andere (Kraepelin)“
sei, sondern durch logische Überlegung, durch Abwägen der ihn treffenden Ver¬
folgungen, der ihn belästigenden (Trug-) Wahrnehmungen, diueh das Forschen
nach den Gründen der Unfähigkeit, seine Pläne zu verwirklichen, kommt er
zu dem Schlüsse, daß ihm feindliche Gewalten sein Wollen imd Handeln lähmen,
daß ein Zwang auf ihn ausgeübt wird, gegen den er als seiner unwürdig mit allen
Mitteln sich wehrt, dem er auf alle Weise zu entgehen sucht. Nie bildet der Be¬
einflussungswahn den Hauptbestandteil des Systems, sondern er ist stets nur
eine vorübergehend geäußerte Vorstellung, die meist nur undeutlich auftaucht,
oft nur als ein Ausdrucksmittel für das peinigende Gefühl innerer Ratlosigkeit
dient, ohne daß der Kranke an eine wirkliche geheimnisvolle Macht, die andere
Menschen über ihn auszuüben vermöchten, glaubt.
Der Verlauf der Paranoia combinatoria ist ein ausgesprochen chronischer.
Fälle, in denen die Erkrankung 20 oder 30 Jahre besteht, sind keine Seltenheiten^).
Bei einem Teile der Paranoiafälle mehren sich die krankhaften Vorstellungen
in langsamer, doch stetiger Progression, nimmt die einseitige psychische Um¬
wandlung des Individuums unaufhaltsam seinen Fortgang, ohne daß stärkere
Schwankungen im Denken und Fühlen sich einstellen. In der Mehrzahl der Fälle
jedoch wird die Ruhe der Krankheitsentwicklung gestört durch interkurrent
eintretende Zustände von mehr minder langer Dauer, in denen eine plötzlich
oder langsamer eintretende Verstärkung der Beschwerden die Eintönigkeit des
Krankheitsverlaufes unterbricht. Anlaß zu derartigen akuteren Krankheits¬
vorgängen, die ein mehr schubweises Fortschreiten des Prozesses verursachen,
geben meist äußere Anlässe, die die Affekterregbarkeit steigern, wie gemütliche
Erregungen infolge widriger Ereignisse, ungeeignete Behandlung durch Ange¬
hörige, Pfleger oder Mitkranke, die zu Zusammenstößen mit der Umgebung
^) Unter 43 Fällen von Paranoia verschiedener Formen fand sich eine Krankheiis-
dauer von
über 5 10 lö 20 25 30 35 40 Jahren
in 8 10 8 3 3 5 1 2 Fällen.
Die Paranoia combinatoria.
47
führen, getäuschte Hoffnungen, versagte Wünsche, kurz alles, was geeignet ist,
das mühsam erhaltene gemütliche Gleichgewicht des Kranken zu stören. Die
Art, wie der Paranoiker auf derartige gemütliche Eindrücke reagiert, braucht
sich nur wenig über das Maß der beim Geistesgesunden natürlichen Reaktion
zu erheben, kann aber auch eine zu der auslösenden Ursache in keinem Verhält¬
nisse stehende sein. In den gemäßigten Erregungszuständen kommt es zu stärkerer
Betonung der Wahnideen, zur Produktion neuer ausschmückender Vorstellungen,
zur Ausdehnung des Kreises der Verfolger, zum Ausspinnen der megalomanen
Hoffnungen. Äußerlich entspricht dem eine mehr minder starke motorische
Unruhe, Vielgeschäftigkeit und Geschwätzigkeit. Die sonst zurückhaltenden
Kranken schließen sich an andere, oft nicht die besten Elemente an, laufen rastlos
umher, erzählen jedermann von ihren Verfolgungen, ihren hohen Positionen,
ihrem Reichtum, ihren Fähigkeiten, vertrauen ihnen ihre Wünsche, Hoffnungen
und Befürchtungen an, die sie sonst ängstlich hüteten; sie schreiben gegen ihre
Gewohnheit viel, alles in eigentümlich überschwenglicher Weise. Je nach der
Art ihres Wahnes kommt es zu einer Verstärkung der Affekte, ohne daß unter
der ganzen Veränderung der innere Zusammenhang der Persönlichkeit wesentlich
leidet. Während derartiger Zustände kommt es besonders häufig auch im Ver¬
laufe rein kombinatorischer Paranoiafälle zu vereinzelten Sinnestäuschungen,
vor allem solchen des Gehörs, seltener des Gesichtssinnes. Nach Stunden, meist
nach wenigen Tagen, seltener nach einigen Wochen khngt der Erregungszustand
ab, um dem vorherigen Zustande wieder Platz zu machen, der aber meist um
einige ausschmückende neue Wahnideen oder um Variationen der schon be¬
stehenden bereichert wird.
Die Zustände stärkerer Erregung, wie sie sich gelegentlich bei Fällen von
Paranoia combinatoria finden, entwickeln sich in der Regel ziemlich schnell,
nachdem einige Tage oder Wochen eine leichtere seelische Verstimmung der
eben beschriebenen Art vorausgegangen ist. Die Kranken werden unruhiger,
der Schlaf wird schlechter, zahlreichere Sinnestäuschungen treten auf, um das
ursprüngliche Wahnsystem schießen in üppiger Blüte weitere Ideen maßloserer
Art auf, besonders komplementäre Größenideen treten stärker hervor, werden
gegebenenfalls in einem derartigen Zustande auch erst gebildet; unter Ver¬
stärkung der Lebhaftigkeit der entsprechenden Affekte kommt es zu häufigen
Zusammenstößen mit der Umgebung, lebhaftem Querulieren, Schimpfereien,
Durchstechereien, Ausbruchsversuchen. Nach Tagen, häufiger nach einer oder
mehreren Wochen klingt der Zustand langsam ab, der Schlaf bessert sich, das
etwas zurückgegangene Körpergewicht wird wieder normal, die Sinnestäuschungen
nehmen an Lebhaftigkeit und Zahl ab, um endlich ganz aufzuhören, die akzes¬
sorischen Wahnvorstellungen verblassen, soweit sie nicht dem Grundwahne sehr
eng verwandt waren und ihm angegliedert werden. Der Kranke nimmt seine
gewohnte Beschäftigung, zu der er während des Erregungszustandes nicht zu
bringen war, wieder auf und geht ohne intellektuelle Einbuße, doch mit etwas
ausgebautem Wahnsystem wieder in das ruhige Fahrwasser paranoischer Welt¬
veränderung ein.
In einem kleinen Teile soll es auch bei Paranoikern zu Zuständen kommen
können, in denen unter massenhaftem Einstürmen von Sinnestäuschungen und
entsprechend lebhafter Bildung oft nm* wenig oder gar nicht zusammenhängender,
48
Die Krankheitserscheinungen.
maßloser wahnhafter Vorstellungen eine mäßige Verworrenheit eintritt. Der¬
artige hochgradige Erregungszustände müssen immer zu einer strengen Revision
der Diagnose veranlassen, sie sind an sich so wenig mit dem sonstigen Krankheits¬
bild der Paranoia im beschriebenen Sinne vereinbar, daß in den Fällen, in denen
sie nicht nur episodenhaft ein oder wenige Male auftreten, ohne daß durch sie
der bestehende Grundwahn an Bedeutung einbüßt, die Annahme einer sehr
schleichend verlaufenden paranoiden Erkrankung sichergestellt ist. Besonders
sind derartige schwerere Erregungszustände als Einleitung der eigentlichen
paranoischen Erkrankung beobachtet worden in Fällen, in denen das auslösende
affektive Erlebnis sehr stark und im Verhältnisse zur Stärke der paranoischen
Veranlagung von überlegener Bedeutung zu sein schien. Aus der plötzlichen
Einwirkung überwältigender psychischer Verstimmungen auf ein paranoisch
veranlagtes Individuum wäre ein derartiger Verworrenheitszustand allenfalls
noch verständlich. Eine andere Frage ist, ob derselbe dann noch zur Paranoia
an sich zu rechnen ist, oder ob man nicht vielmehr annehmen soll, daß es sich
um einen Amentiafall bei einem Menschen handelt, der sich gerade auf dem Wc^e
zur Paranoia befand, die nach dem Abklingen der akuten Geistesstörung
ausgebildet hervortritt. Jedenfalls ist Fällen mit derartigem akutestem
Beginne, noch mehr aber solchen mit interkurrenten Verworrenheitszuständen
gegenüber stets größte Skepsis betreffs ihrer Zugehörigkeit zur Paranoia
am Platze.
Die Häufigkeit des Eintrittes derartiger interkurrenter Erregungszustände
im Verlaufe der Paranoia combinatoria ist außerordentlich verschieden. Von
Individuen, die ein Menschenalter hindurch ihr Wahnsystem langsam und stetig
ohne merkliche Schwankungen entwickeln, gibt es alle Übergänge zu solchen,
die mehrmals jährlich Zustände der beschriebenen Art durchmachen. Ja, es
gibt sicher Fälle, in denen eine gewisse Periodizität im Auftreten akuterer Krank¬
heitserscheinungen zu herrschen scheint; vor allem pflegt sich bei manchen
weiblichen Kranken zur Zeit der Menstruation eine leichte Steigerung der Er¬
scheinungen regelmäßig nachweisen zu lassen. Die Erregbarkeitssteigenmg, die
auch das geistesgesunde Weib in diesen Zeiten befällt, führt eben beim para¬
noischen Weibe zu einer vorübergehenden Steigerung der krankhaften Symptome.
Aus derartigen Fällen mit ihrem scheinbar periodischen An- und Abschwellen
schließen zu wollen, daß die Paranoia mit dem manisch-depressiven Irresein
eins wäre, ist nicht berechtigt.
Die Paranoia hallucinatoria.
Die halluzinatorische Form der Paranoia ist charakterisiert durch das
dauernde Auftreten zahlreicher sinnlich lebhafter Trugwahrnehmungen, die in
engster Verknüpfung mit den Wahnideen, von absolutem Realitätswert für den
Patienten, das Krankheitsbild beherrschen, von ausschlaggebender Bedeutung
für die Ausgestaltung des Wahnes und die ihn begleitenden Affekte sind, in ein¬
zelnen Fällen auch für die Wahnentstehung verantwortlich gemacht werden
müssen. Daneben finden sich stets noch Züge, die auf eine kombinatorische
Weiterentvdcklung, oft auch Entstehung des Wahnsystemes deuten, damit auf
die nahe Verwandtschaft der halluzinatorischen mit der rein kombinatorischen
Form der Paranoia hinweisen, die durch die zahlreichen übergangsfälle, in denen
Die Paranoia hallucinatoria.
49
eine Zuweisung zu einer der genannten Untergruppen schwierig oder unmöglich
ist, gesichert wird.
Die halluzinatorische Paranoia beginnt fast ausnahmslos im späteren Alter.
Vor dem 40. Lebensjahre ist die Erkrankung überaus selten, seltener als die
Paranoia combinatoria; der Lebensabschnitt während und nach der Involution
stellt den größten Prozentsatz (etwa 75%) an Erkrankungen. Von den Ge¬
schlechtern ist, wie bereits oben ausgeführt, das weibliche erheblich stärker
beteiligt (3 weibliche auf 1 männlichen Kranken). In der paranoischen Ver¬
anlagung weichen die an halluzinatorischer Paranoia Leidenden nicht von den
Konstitutionen ab, w ie sie allgemein als der Paranoia zugrunde liegend gefunden
wurden, nur scheinen die Kranken auch in der vorpsychotischen Lebensperiode
sehr lebhaft erregbar zu sein und eine üppige Phantasie zu besitzen.
Was die Art des Beginnes anlangt, so läßt sich in einem recht erheblichen
Prozentsätze der Fälle von Paranoia hallucinatoria eine akute oder subakute
Entstehung des Wahnes imd damit der eigentlichen Erkrankung nachweisen.
Während bei der kombinatorischen Verrücktheit der Übergang aus der kon¬
stitutionell paranoischen Geistesverfassung zur ausgebildeten Krankheit meist
langsam sich vollzieht, eine schleichende Wahngenese gewöhnlich, der Zeitpunkt
des Beginnes der Erkrankimg demgemäß häufig nur schwer oder gar nicht fest¬
zustellen ist, läßt sich der Riß, den der Ausbruch der Paranoia hallucinatoria
im psychischen Leben des Individuums schafft, meist deutlich nachweisen,
vor allem in den Fällen, in denen den Sinnestäuschungen nicht nur die Weiter¬
entwicklung des Wahnsystems und die Unterhaltung seiner lebhaften Affekt¬
betonung zugeschrieben werden muß, sondern in denen der Anstoß zur Erhebung
der Wahnideen in das Bewußtseinsfeld auf Sinnestäuschungen zurückgeht. Es
sind das Fälle, in denen im Anschlüsse an eine Gemütserschütterung, an ein
stark affektbetontes Erlebnis mit einem Schlage oder doch in wenigen Tagen
odpr Wochen unter massenhaften, lebhaften Trugwahrnehmungen ein weit¬
verzweigtes, festgelegtes, unerschütterliches Wahnsystem bei einem Individuum
erwächst, das früher wohl schon die Zeichen seiner paranoischen Veranlagung
aufwies, bei dem aber Züge wiiklicher Wahnbildung nicht nachweisbar waren.
Derartige Fälle sind auch in der Paranoia hallucinatoria nicht übermäßig häufig,
auch ist bei der oft vorhandenen Mangelhaftigkeit der Anamnese die Entscheidung
darüber, ob vor Auftreten der Sinnestäuschungen das Vorstellungsvermögen sicher
keine pathologischen Erscheinungen außer etwa der Tendenz Zu Beziehungs¬
ideen darbot, oft ebensowenig möglich wie die Entscheidung darüber, ob nicht
der Paranoiker seine Wahnideen bereits jahrelang dissimuliert hat und erst
das Einstürmen massenhafter Trugwahrnehmungen seine Selbstbeherrschung
soweit herabsetzte, daß er seine wahnhaften Vorstellungen preisgab, so daß
der Satz von 33%, den eigene Erfahrungen für den Beginn der Paranoia hallu¬
cinatoria mit Sinnestäuschungen ergeben, nicht als feststehend anzusehen ist^).
Als sicher ist aber zu betrachten, daß die halluzinatorische Verrücktheit auf
äußere psychogene Anreize hin unter massenhaftem Auftauchen von Sinnes-
Von Bergers 18 Fällen schienen in 5 Sinnestäuschungen und Wahnideen* an¬
nähernd gleichzeitig aufgetreten zu sein, in 2 Fällen bestanden die Sinnestäuschungen
sohon vor dem Auftauchen von Wahnideen, in 11 Fällen gesellten sich die Sinnes¬
täuschungen zu dem schon bestehenden Wahnsystem hinzu.
Erueger, Die Paranoia.
4
50
Die ELrankheitserscheinungen.
t&uschungen und in kurzer Zeit erfolgender Bildung eines ausgedehnten Wahn-
Systems entstehen kann, worauf die Weiterentwicklung in langsamem Fort¬
schritt oder öfter schubweise teils unter der Einwirkung vonTrugA/^^ahrnehmungen,
teils rein kombinatorisch erfolgt.
In einer anderen Gruppe von halluzinatorischen Paranoiafällen pflegt die
erste Wahnentstehung nicht von dem bei der Paranoia combinatoria beschriebenen
Modus abzuweichen. Allmählich treten jedoch Sinnestäuschungen auf, immer
häufiger und sinnlich lebhafter stürmen die Trugwahrnehmungen auf den Kranken
ein, bis schließlich die letzteren das Krankheitsbild beherrschen, auch den Pa¬
tienten selbst seine krankhaften Wahrnehmungen weit mehr belästigen als seine
wahnhaften Vorstellungen; in diesen Fällen führen die Sinnestäuschungen dem
Kranken seine Hoffnungen und Befürchtungen „gleichsam dramatisch“ vor.
Die weitere Entwicklung des Krankheitsbildes kann entweder unter einer dauern¬
den Fülle von Trugwahrnehmungen ihren Fortgang nehmen, oder es tritt auch
hier nach kürzerer oder längerer Zeit eine mehr kombinatorische Weiterent¬
wicklung des Leidens ein, die von Trugwahrnehmungen dauernd begleitet,
modifiziert oder bestätigt wird. Da die Priorität in der Entstehung der einzelnen
Symptome naturgemäß bei einem schleichend und langsam verlaufenden Leiden
wie der Paranoia oft nicht zu entscheiden ist, so imponiert eine Anzahl von Fällen
als eine innige Verbindung von zugleich entstandenen und im gleichen Schritte
vermehrten und lebhafter gewordenen Wahnideen und Sinnestäuschungen. Auch
in diesen Fällen wird die weitere Entwicklung des Wahnes, seine Ausschmückimg
und Fixierung von Trugwahrnehmungen unterhalten beziehungsweise begleitet.
Die Sinnestäuschungen gehören den verschiedensten Arten an; nicht immer
ist sicher zu entscheiden, welche derselben vorliegt. Die Mehrzahl der Trug-
wahmehmungen gehört in die Klasse der Illusionen im weitesten Sinne, die
auch Kleist in allen seinen Fällen fand und die er treffend als Zwischenglied
zwischen Mißdeutungen und Halluzinationen betrachtet. Es handelt sich um
illusionäre Wahrnehmungen bzw. nachträgliche illusionäre Verfälschung an
sich richtig wahrgenommener und entsprechend aufgefaßter Dinge. Im vorigen
Abschnitte ist bereits an entsprechender Stelle auf die großen Schwierigkeiten
hingewiesen worden, derartige Illusionen von Erinnerungsfälschungen an sich
zu scheiden. Sicherlich werden in einer Reihe von Fällen anscheinende Sinnes¬
täuschungen, vor allem solche, deren Eintritt schon weiter zurückliegt, vor¬
getäuscht durch die mangelhafte Reproduktionstreue bzw. durch nachträgliche
wahnhafte Auslegung wirklicher Wahrnehmungen. Zwischen diesen Vorgängen
bestehen auch keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich ihrer psychologischen
Entstehung. In beiden Fällen findet eine Umwertung tatsächlicher Sinnesem-
pfindungenim Geiste desherrschenden Wahnesstatt; nur daß diese Umwertung und
damit die Umbildung der Empfindung bei den eigentlichen Illusionen im Augen¬
blicke der sinnlichen Wahrnehmung selbst erfolgt, während sie bei den illusionären
Erinnerungsverfälschungen erst später, oft nach langer Zeit stattfindet. In
gleicher Weise sind auch die wirklichen Halluzinationen zu bewerten, die wesent¬
lich, seltener (etwa in der Hälfte der Fälle) bei der Paranoia hallucinatoria auf-
treten, bei denen die wahnhafteh Vorstellungen so starke sinnliche Eindrucks¬
kraft auf den Kranken selbst haben, daß sie die entsprechenden Sinnesempfin¬
dungen auslösen können, die eine bildliche Wiedergabe der herrschenden Denk-
Die Paranoia hallucinatoria.
51
richtung mit allen ihren Strebungen darstellen. Hierher gehören auch diejenigen
Fälle, in denen ein Lautwerden der eigenen Gedanken eintritt, eine Erscheinung,
die besonders klar die Entstehung derartiger Wahmehmungsfälschungen aus dem
eigenen Denken beweist. Die Sinnestäuschungen sind eben der Inbegriff der das
Individuum beherrschenden Vorstellungen, ihrerseits aber, wie Jelgersma
ausführt, in hohem Grade dazu geeignet, den pathologischen Geisteszustand
dadurch zu verstärken, daß der Kranke seine Halluzinationen als Bestätigung
der Richtigkeit seines psychischen Zustandes hinnimmt.
Ebensowenig zweifelhaft wie die Entstehung von Sinnestäuschungen aus
Wahnvorstellungen ist deshalb die Auslösung der letzteren durch Trugwahr¬
nehmungen. Daß infolge dauernder Belästigungen durch beschimpfende Gehörs¬
täuschungen, imangenehme szenenhafte Gesichtshalluzinationen, haptische Miß-
empfindungen, Geschmacks- und (Jeruchsstörungen Vorstellungen der Beein¬
trächtigung im Kranken aufkommen müssen, ist durchaus erklärlich; die Ver¬
folgungsideen pflegen deshalb häufiger ihren Ursprung in Trugwahmehmungen
zu haben als die Größenideen. Aber auch den letzteren können Sinnestäuschungen
zugrunde liegen, vor allem des Gesichts- und Gehörssinnes, wenngleich diese
Art der Entstehung des Größenwahnes aus Störungen der Sinnesempfindungen
heraus erheblich seltener ist und eher die wahnhaften Größenvorstellungen ihrer¬
seits zu entsprechenden Halluzinationen führen. Die Wichtigkeit der Sinnes¬
täuschungen für die Entstehung von Wahnideen erhellt sich besonders aus anders¬
artigen Krankheitszuständen, die viele Berührungspunkte mit der Paranoia
hallucinatoria haben, in vielen Fällen ihr angehören, den Psychosen bei Schwer¬
hörigen, bei denen aus einfachen Ohrgeräuschen allmählich unangenehme Gehörs¬
illusionen werden und sich im Zusammenhänge mit diesen Verfolgungsideen
ausbilden können, wenngleich auch hier sicher rein kombinatorische Momente
mitspielen.
Die Trugwahmehmungen können sich auf alle Sinne erstrecken, pflegen
aber bestimmte Gebiete zu bevorzugen. Nach eigenen Erfahrungen, die dmch
Berger bestätigt wurden, betreffen sie in allen Fällen den Gehörssinn, in der
Mehrzahl der Fälle übertreffen die (Jehörstäuschungen an Häufigkeit und Leb¬
haftigkeit die aller anderen Siniie. Aus allgemeinen Geräuschen, wie Sausen und
Klingen in den Ohren, Pfeifen, Glockenläuten, Mißtönen entwickelt sich all¬
mählich ein Flüstern, das der Kranke aber noch nicht versteht, dann werden
abfällige Redensarten, Scheltreden, Drohungen, unflätige Beschimpfungen
dfiu'aus. Die Leute auf der Straße, die Nachbarn, Kollegen, Mitkranke rufen
dem Kranken Verwünschungen zu, enthüllen öffentlich seine Geheimnisse; aus
der Zimmerecke werden Mitteilungen aus seinen Familienpapieren gemacht,
seine geschäftlichen Beziehungen verraten. Man nennt ihn verrückt, impotent,
Onanist, Ehebrecher, Mörder. Vom Boden herab, aus dem Keller, im Neben¬
zimmer hört er die Stimmen seiner Gegner, die sich über ihn unterhalten, auf
ihn schelten, über neue Peinigungen beraten, die Stimmen seiner Angehörigen,
die in dör Anstalt gefangen gehalten werden. Er hört Kinder imter dem Hause
wimmern, die in die „Blutloge“ verschleppten Angehörigen klagen, seine Feinde
hohnlachen. Er erkennt seine einzelnen Verfolger an der Stimme, den einen an
seinem Tenor, den anderen an seinem Baß. Er hört die leibliche Schwester
vor sich hinmurmeln, daß sie ihn vergiften, „unter die Decke bringen“ wolle;
4*
Die Krankheitserscheinungen.
">2
aus dem Schlafzimmer des Bruders hört er, daß derselbe ihn umzubringen ge¬
denkt. Das Pflegepersonal höhnt, daß die Wirtschafterin des Kranken von ihm
schwanger sei, überall sprechen die Leute über ihn Schlechtes; häßliche Worte
werden ihm von Mitkranken zugerufen. Die Kinder höhnen hinter der Kranken
her, daß sie auf offener Straße einen Mann geküßt habe, die Venii^andten wün¬
schen ihr, daß ihr die Glieder abfaulen möchten. Ein eigentümliches Klopfen
belästigt sie des Nachts, von einem ,,Mordinstrument“ herrührend, sie hört das
Arbeiten der Elektrisiermaschine, mittels derer sie gequält wird; Unterschla¬
gungen werden ihr vorgehalten, es wird ihr mitgeteilt, daß ein Gerichtsverfahren
gegen sie schwebe, man munkelt, daß sie ihre Eltern unter die Erde gebracht,
ihre Kinder vergiftet habe. Unsittliche, schmutzige Geschichten werden dem
Kranken durch unsichtbare Telephone zugetragen, Schweinereien über seine
Frau werden ihm zugerufen, die Hilferufe seiner gemarterten und entehrten
Angehörigen dringen aus dem Garten zu ihm herauf.
Durch ein unsichtbares Sprachrohr werden den Kranken große Schenkungen,
wird ihnen die Ankunft von Geld und Paketen gemeldet; bei der Arbeit sagt
man ihnen: Sie brauchen überhaupt nicht mehr zu arbeiten. Sie sind in den
höheren Adelsstand erhoben. Der Minister, der Papst, der Kaiser spricht mit
ihnen „durch Flug“, sie können sich mit den Angehörigen, dem Richter, dem
Staatsminister durch drahtlose Telephone unterhalten. Ihr feines G^hör schützt
sie vor ihren Verfolgern und macht ihnen deren Pläne offenbar, schafft ihnen
über Personen, die sie am neuen Orte verfolgen, sofort Aufklärung. Sie hören,
wie der Landesfürst sich nach ihnen im Vorüberfahren erkundigt, sie als Kinder
anerkennt, ihnen Millionen schenkt, ihnen Orden und Ehrenstellen verleiht.
Sie hören die Stimme Gottes, des Herrn Jesus Christus, der Jungfrau Maria, der
Heiligen, erhalten Befehle, zu beten, zu fasten, eine Gemeinde um sich zu sammeln,
Buße zu predigen, die Menschheit zur Seligkeit zu führen. Feine kleine Stimmen,
wie Mädchenstimmen, sprechen zumICranken, wenn er mit Gott „denkt“; spricht
jemand zu ihm, so hört er Beistimmen aus der Luft, „das sind die Gedanken,
die andere oben gedacht haben imd die sich in der Luft bilden.“ Er hört den
Schall der himmlischen Posaunen, das Jammern der in der Hölle Schmachtenden,
der Engel Gesang, der Sonne Tönen, die Sphärenmusik.
Erheblich seltener schon sind im Krankheitsbilde der Paranoia hallu-
cinatoria die Gesichtstäuschungen, unter denen wieder die Personenverkennungen
einen großen Raum einnehmen. Die Kranken sehen ihre längst verstorbenen
Eltern und Geschwister am Fenster vorübergehen, auf dem Hofe, im Garten
stehen, sie verfälschen ihre ganze Umgebung illusionär, sehen in Mitkranken
ihre Verwandten, im Arzte den längst verstorbenen Bräutigam, in den Abbil¬
dungen illustrierter Zeitschriften erkennen sie ihre Angehörigen oder Bekannten
wieder. Während eines Spazierganges sieht der Kranke drei Personen von denen,
die ihn belästigen, auf einer Bank sitzen; bei dem Scheinbegräbnis des Ehemannes
sieht die Eifersuchtswahnsinnige den angeblich Toten mit ihren Söhnen im Ge¬
folge eines anderen Leiohenzuges. „Unanständige Bilder, die sich bewegen“,
werden der Kranken vorgezeigt, Bilder nackter männlicher Körper, steifer
Geschlechtsteile belästigen sie; nackte Frauengestalten, die sich ihm verführerisch
nahen, die neben ihm im Bette liegen, suchen den männlichen Kranken geschlecht¬
lich zu reizen. Gestohlene Sachen werden ih m im Klde vorgeführt, er sieht die
Die Paranoia hallucinatüria.
53
Mitkranke morgens in schwarzem, mittags in rotem, abends in grauem Haare.
Die Menschen auf der Straße erscheinen dem Paranoiker plötzlich in scheußlichen
Veränderungen, haben lange, unförmliche^Nasen, das Blut fließt ihnen in Strömen
aus Mund und Nase, andere erscheinen ihm kahlköpfig, so daß er gar nicht mehr
hinschauen mag; alle möglichen Tiere, Schlangen, Kröten, Schweine sieht der
Kranke in seinem Zimmer, auf den Speisen sieht er ein gelbes Gift.
Wesentliche Bedeutung haben die Gesichtstäuschungen im Bilde des reli¬
giösen Größenwahnes, wo sie besonders als die Krönung ekstatischer Zustände
auftreten. Der Teufel kommt leibhaftig zum Kranken, um ihn zu versuchen,
in der Stubenecke hockt er mit großen Hörnern; um die eben angeztindete Lampe
fliegen kleine glühende Männer. Ein Engel erscheint ihm im weißen Gewände;
er sieht Gott im langen gelben Barte, die Jungfrau Maria im Fenster stehend.
Die Heiligenbilder lächeln ihn an, neigen ihr Haupt, strecken die Hand aus,
um ihn zu segnen; der Heilige Geist kommt in Gestalt einer weißen Taube zu ihm
herab. Sonne und Sterne kommen auf sein Geheiß zu ihm, bleiben fünfzig Schritte
vor ihm stehen, um sich dann wieder zmückzuziehen.
Seltener sind szenenhafte Gesichtstäuschungen, in denen die halluzinierten
Personen zugleich sprechen. Als „Phothophonieren“ bezeichnete ein derartiger
Kranker seine Trugwahmehmungen, in denen ihm nihilistische Verbrechen, die
gegen hohe Persönlichkeiten geplant waren, ekel- und schreckenerregende Er¬
eignisse, besonders aber viele geschlechtliche Vorkommnisse in Wort und Bild
„vorgeführt“ wurden. Sie trugen sämtlich szenenhaften Charakter und wurden
mit den nötigen Erklärungen versehen; zu Hunderten schrieb er derartige
Sinnestäuschungen nieder.
Häufig an Zahl, lebhaft gefühlsbetont, demgemäß von stärkstem Einfluß
aiif die Wahnbildung imd vor allem auf die Handlungen des Individuums sind
die haptischen Täuschungen. Körperhche Leiden, besonders, wenn sie als un¬
gerechtfertigte Eingriffe in das eigene Wohlbefinden empfunden werden, pflegen
den Menschen auf das höchste zu erregen, dementsprechend ist die gefühlsmäßige
Betonung haptischer Trugwahrnehmungen eine außerordentlich intensive. Die
Kranken suchen für ihre Schmerzen und Mißempfindungen, die zum Teil tat¬
sächliche Unterlagen haben, Erklärungen und verfallen gerade bei dieser Art
von Trugwahmehmungen auf die Heranziehung der ihnen nur halb verständlichen
Einflüsse geheimnisvoller Kräfte. Sie fühlen sich mit elektrischen Maschinen
bearbeitet und empfinden quälende Sensationen dabei. Sie fühlen, daß man
ihnen mittels elektrischer Ströme im Magen, Kopf, Rücken, in den Gliedern
Schmerzen macht; sie können die Stelle der Elektrisationen genau angeben. Der
Strom fließt durch ihren Körper, der Boden schwankt unter ihren Füßen, das
Bett wird durch elektrische Ströme in Vibration versetzt, elektrisch wird ihnen
ein Hitzegefühl erzeugt. Überall empfinden sie die heftigsten Schmerzen, sie
fühlen sich am ganzen Körper gezwickt, ein Zucken und Reißen von elektrischen
Einwirkungen geht durch ihre Glieder, Angst und Spannung auf der Brust treten
darnach auf. Geheimnisvolles Herzklopfen befällt sie, ein eigentümliches, mit
Angstgefühl verbundenes Zittern des ganzen Körpers tritt ein. In gleicher Weise
werden magnetische Einflüsse gespürt, so daß die Kranken blaue Flecke davon
bekommen. Durch unterirdische Maschinen werden ihnen Schmerzen bereitet,
wird ihnen Kopfschmerz gemacht. Die Nachbarn suchen den Kranken mit
54
Die Krankheitsersclieinungen.
„Stich-, Knuff- und Schneidegiften“ zu verderben, die ihm Schmerzen in den
Gliedern bereiten; er fühlt, wie die „Zieler“, die auf ihn gerichtet sind, ihm das
Blut aus dem Körper treiben. Durch „Suggestionen“ wird ihnen ein Ziehen
und Sichblähen im Unterleib, in den Beinen gemacht. Spinnen kriechen ihnen
über den Röcken, Juckpulver verspüren sie im Bett, sie fühlen einen „moos¬
grünen“ Belag auf der Zunge. Sexuelle Belästigungen finden durch die Pflegerin,
die ihr Hurenpulver eingibt, dmch den Arzt, den sie mit anderen Männern im
Keller wähnt, statt, der auf ihre Gebärmutter drückt, der bewirkt, daß sie eine
Zeitlang ohne zu atmen auf dem Stuhle sitzen muß. Die Kranken fühlen ge¬
schlechtliche Angriffe, geschlechtlichen Mißbrauch des Nachts, eine Hand f€^t
plötzlich unter ihre Bettdecke, an ihre Genitalien.
Geschmacks- und Geruchstäuschungen sind häufig, entsprechend der
Häufigkeit, mit der Ideen der Vergiftung in Begleitung des Beeinträchtigungs¬
wahnes auftreten. Das Essen schmeckt nach Gift; Arsenik, ungelöschter Kalk,
Quecksilber, Strychnin sollen dem Kranken beigebracht werden, was „seine
gute Zunge“ ihm verrät. Eine schädliche Substanz, die einen Zuckergeschmack
hat, ist in die Speisen gemengt. Der Kaffee schmeckt nach Petroleum. „Huren¬
pulver“ schmeckt die Kranke aus den Speisen heraus. Die Butter schmeckt
nach Hundefett. Das Essen wird „präpariert“, „Katzen- und Hundefleisch“
wird ihr angeboten, was sie deuthch herausschmeckt; das Bier hat „Fett¬
geschmack“, der Käse ist „Katzenmilchkäse“, die Suppe, der Kaffee schmecken
nach dem hineingetanen Schlafpulver. Im Munde tritt ein bitterer, brennender
Geschmack infolge der durch den Körper geschickten elektrischen Ströme auf,
vergiftete Speisen werden dem. Kranken gereicht. Das Essen schmeckt ,,nach
gekochten Rattenfellen“. Heftiges Brennen in Kehle und Magen, Anschwellen
des Zahnfleisches, Lockerwerden der Zähne nach dem Genuß beweisen ihm, daß
er recht hatte, als er Gift im Brote schmeckte; nach dem Genüsse der Sx)eiBen
spürt der Kranke ,,eine Wirkung auf das Gemüt“.
Das Essen stinkt aber auch, Giftdünste steigen von ihm auf. Üble Gerüche,
Schweiß, Branntwein, Tabaksqualm, Arsenik, Bleizucker, Chlorkalk, Schwefel,
Salmiak, Essig, Giftkräuter, Urin, Menstrualblut, Kot verpesten die Luft. Durch
die Wand werden Löcher gebohrt, durch die Kohlensäure hindurchgeblasen
wird, selbst im Theater wird der Kranke diueh den Gteruch der Kohlensäure
belästigt. Ein betäubender Dunst ist im Zimmer, so daß die Kranke fortwährend
das Taschentuch vor den Mund halten muß. Die Zimmergenossinnen haben
„einen unangenehmen Geruch“ an sich, von der Kleidung geht ein „eigentüm¬
licher Schwefelgeruch“ aus, der ganze Körper dünstet eigenartige Riechstoffe
aus, im Zimmer ist ein sonderbarer Dunst. Der durch das Gebet des Kranken
überwundene Teufel hinterläßt einen Schwefelgeruch in der Wohnung.
Aus der Skizzierung der Sinnestäuschungen geht bereits hervor, daß die¬
selben sich nur in sehr seltenen Fällen auf ein Sinnesgebiet beschränken, daß
sie meistens auf mehreren oder allen zugleich auftreten, sich miteinander ver¬
knüpfen, einander bestätigen oder ergänzen. Der Kranke hört, wie seine szenen-
haften Gesichtstäuschungen ihm erklärt werden, er hört, wie die „Zieler“, die
gegen ihn entsandt wurden, die ihm Schmerzen bereiten, mit dumpfem Getöse
herankommen, er hört das Arbeiten der Elektrisiermaschine, des Mordinstrumen¬
tes, mit dem er gequält wird. Er sieht das Gift auf den Speisen, das sich ihm auch
Die Paranoia hallucinatoria.
55
durch den Geschmack verrät, er sieht Gott, dessen Stimme ihm Aufträge erteilt,
er sieht den Teufel zum Schornstein entweichen und riecht zugleich den Schwefel¬
geruch, den jener hinterläßt. Er hört, daß er vergiftet werden soll, sieht das
Gift im Brote, schmeckt es deutlich heraus, fühlt nach dem Genuß das Brennen
im Munde und Magen, das die erste Giftwirkung darstellt. Besonders innig
sind Geschmacks- und Geruchstäuschungen verbunden, wie ja beide Sinnes-
gebiete überhaupt ineinander übergehen. Unter den Trugwahmehmungen sind
jedoch in der Regel solche eines Sinnesgebietes überwiegend. Meist haben die
Gehörstäuschungen diese überragende Bedeutung, doch können auch die Ge-
sichtstäuschimgen, vor allem aber die krankhaften Gefühlswahrnehmungen die
größere Intensität zeigen. Ein Wechsel der Sinnesgebiete, auf denen die Trug¬
wahmehmungen hervortreten, findet meist nicht statt. Bei dem halluzinierenden
Paranoiker, der von Anfang an vorwiegend unter Gehörstäuschungen leidet,
pflegen dieselben auch weiterhin lebhaft zu sein, während bei besonderem Hervor¬
treten der haptischen Täuschungen diese das fernere Krankheitsbild beherrschen.
Bis zu einem gewissen Grade ist dieses vorwiegend betroffene Sinnesgebiet ab¬
hängig von der Art des Wahnes, bzw. richtet sich die spezielle Wahnfabel nach
dem vomehnJich von den Trugwahrnehmungen betroffenen Sinnesgebiete.
Der Vergiftungswahn wird vor allem mit Geschmacks- und Greruchstäuschungen
einhergehen, der Wahn ehelicher Untreue durch Gehörstäuschungen, seltener
durch Gesichtshalluzinationen unterhalten werden, während letztere bei dem
religiösen Größenwahn mit seinen ekstatischen Zuständen prädominieren.
Dieses Hervortreten der Trugwahmehmungen auf einem bestimmten
Sinnesgebiete durch längere Zeit, oft ein Menschenalter läßt die Rolle, die tat¬
sächlich bestehende Erkrankungen der betroffenen Organe spielen, im rechten
Lichte erscheinen. Es ist bereits auf die Häufigkeit der Gehörstäuschungen im
Bilde des Verfolgungswahnes der Schwerhörigen hingewiesen worden, die aus
den subjektiven Ohrgeräuschen sich langsam entwickeln. Othosklerotische
Prozesse, die derartige Geräusche verursachen können und damit Gehörstäu¬
schungen begünstigen, sind bei den an halluzinatorischer Paranoia Leidenden
nicht selten. Aber auch auf anderen Sinnesgebieten läßt sich oft eine derartige
Entstehung aus tatsächUchen Erkrankungen bzw. tatsächlichen Wahrnehmungen
schließen. So ist es sehr wahrscheinlich, daß der Kranke, der um die eben ent¬
zündete Lampe kleine glühende Männer schweben sieht, das auch dem Geistes¬
gesunden erscheinende Scotoma scintillans illusionär verfälscht hat, worauf das
Atiftreten der Erscheinung im Augenblicke des Anzündens des Lichtes mit
Sicherheit deutet. Rheumatische Beschwerden, Magen-, Darmstömngen, häufige
Herzerkrankungen mit stenokardischen Erscheinungen, Parästhesien in den
Genitalien während der Involution, Abstumpfung des Gemchs- und Geschmacks¬
sinnes sind ebenso bei derartigen Patienten, die sämtlich in vorgerückterem
Lebensalter stehen, häufig und geben die Grundlage für die besonders zahl¬
reichen haptischen Illusionen in ihrer mannigfachen Lokalisation, für Geschmacks¬
und Gerachstäuschungen ab. Wie schon ausgeführt, handelt es sich bei der
Paranoia hallucinatoria weit seltener um wirkliche Halluzinationen, die vor
allem beim religiösen Größenwahn Bedeutung haben, als um früher oder später
illusionär verfälschte wirkliche Wahrnehmungen.
Weiter geht aus der Beschreibung des Inhaltes der Sinnestäuschungen
56
Die Kranklleitserscheinungen.
hervor, daß die nachträglichen Erklärungen, die die Kranken aus dem bestehenden
Wahnsystem heraus ihren (Trug-) Wahrnehmungen geben, von den eigentlichen
Sinnestäuschungen oft nicht zu trennen sind als Bestätigung der früher bespro¬
chenen Ansicht von den engen Beziehungen, die zwischen Illusionen und Er¬
innerungsfälschungen bei der Paranoia bestehen. Im späteren Verlaufe ist die
Priorität zwischen Wahnvorstellungen und Trugwahmehmungen, deren Be¬
stimmung bereits im Beginne der Paranoia hallucinatoria oft Schwierigkeiten
bereitet, überhaupt nicht mehr zu entscheiden; es ist höchstens aus dem Ver¬
hältnisse der sinnlichen Lebhaftigkeit und der Anzahl der Halluzinationen
einerseits, dem Hervortreten der Wahnideen andererseits auf die das Krank¬
heitsbild beherrschende Bedeutung der einen oder der anderen Erscheinung zu
schließen. Die sinnliche Lebhaftigkeit der Trugwahrnehmungen pflegt die der
wahnhaften Vorstellungen zum mindesten zu erreichen, meist um ein erhebliches
zu übertreffen. Unsere Empfindungen sind ja als das wesentlich konkretere
auch in der geistigen Gesundheit stets stärker gefühlsbetont als die weit ab¬
straktere Vorstellungstätigkeit. Es läßt sich nun zwar denken, daß beim Para¬
noiker eine Verschiebung derart einträte, daß entsprechend der krankhaften
Erregbarkeit des VorstellungsVermögens die damit verbundenen Gefühlstöne
krankhaft erhöht werden und dadurch die die Empfindungen begleitenden über¬
wiegen, wie das für die Paranoia combinatoria sicher der Fall ist und die Berichti¬
gung der krankhaften Vorstellungen durch Sinnesempfindungen verhindert.
Aus der ihrerseits krankhaft erhöhten Gefühlsbetonung der Trugwahrnehmungen
des halluzinierenden Paranoikers ist andererseits wohl zu schließen, daß das
normale Verhältnis in der Gefühlsbetonung der Sinnesempfindiingen und Vor¬
stellungen in den meisten dieser Krankheitsfälle nicht wesentlich verschoben
ist, daß demgemäß die Affektbetonung der Trugwahmehmungen bei der Para¬
noia hallucinatoria überwiegt. Dieser Schluß w’ird durch den viel lebhafteren
Verlauf, den diese Form der Paranoia gegenüber der rein kombinatorischen
zeigt, bestätigt.
Die Häufigkeit der Trugwahrnehmungen schwankt von Fall zu Fall in
weiten Grenzen. Von Fällen, in denen stets vereinzelte Sinnestäuschungen auf-
treten, Fälle, die ihrerseits vdeder gegen die Paranoia combinatoria fließende
Übergänge zeigen, gibt es alle Übergangsstufen zu solchen, die dauernd in aus¬
gedehntestem Maße auf den verschiedensten Sinnesgebieten halluzinieren. Sehr
häufig schwankt die Zahl der Trugwahmehmungen auch im Einzelfalle, abhängig
von dem Gemütszustände, in dem die Kranken sich befinden bzw. ihrerseits
das psychische Gleichgewicht mehr w^eniger störend. Massenhaft pflegen die
Sinnestäuschungen in den interkurrenten Erregungszuständen zu sein, in denen
sie, wie oben ausgeführt, auch im Verlaufe sonst rein kombinatorischer Paranoia¬
fälle gehäuft auftreten können.
Die Sinnestäuschungen besitzen für den Kranken vollkommenen Realitäts¬
wert. Sie w^erden in demselben Grade als wirkliche SinnesAvahrnehmungen be¬
trachtet wie normale Sinneseindrücke, wenn sie auch gelegentlich von den letz¬
teren deutlich unterschieden werden; ihnen wird in den meisten Fällen sogar
noch eine größere Bedeutung als letzteren beigemessen. Den Kranken können
seine Gehörstäuschungen weit mehr fesseln als das wirkliche Gespräch, das er
bei Einsetzen der Trugwahrnehmungen plötzlich abbricht, um jenen unabgelenkt
Die Paranoia hallucinatoria.
57
zu lauschen. Entsprechend dieser großen Bedeutung, die der Kranke seinen
Sinnestäuschungen beilegt, haben dieselben auf sein Denken, Wollen und Handeln,
vor allem aber auf seine Affektrichtung und -Höhe den allergrößten Einfluß.
Sie beherrschen sein Denken und demgemäß seine wahnhaften Vorstellungen
völlig, soweit sie nicht der Ausfluß jener sind; jedenfalls sind sie auch dann ge¬
eignet, ihrerseits den Wahn zu verstärken, zu beleben, zu erweitern, zu festigen.
Die Fälle von halluzinatorischer Paranoia sind daher viel reicher an ausschmücken¬
den Wahnideen, die viel üppiger sprießen, viel stärker nuanciert sind, viel größere
Lebhaftigkeit zeigen. Damit ist allerdings auch ein etwas häufigerer Wechsel
der den Grundwahn umgebenden Ideen verbunden, da eine große Neigung be¬
steht, neue Beziehungsideen aus den Trugwahrnehmungen abzuleiten. Bei der
Paranoia hallucinatoria kommt es so auch viel eher zu befremdlichen wahnhaften
Vorstellimgen, zu Ideen, die keinerlei Verbindung mit dem Grundwahne auf¬
zuweisen scheinen, die der Kranke selbst nicht seiner Wahnfabel einzuordnen
weiß, die deshalb in kurzem in Vergessenheit geraten bzw. umgeformt werden.
Gerade diese schnell entstehenden, ebenso schnell wieder verschwindenden Wahn¬
vorstellungen sind aus den Sinnestäuschungen zu erklären, die, durch irgend¬
einen zufälligen äußeren Eindruck angeregt, auf tauchen, im Augenblick wahn¬
haft ausgedeutet, dann aber wieder verdrängt werden, weil das Individuum
nichts mit ihnen im Hinblick auf seine bisherige krankhafte Denkrichtung an¬
zufangen weiß. Die Zahl derartiger ausschmückender, lose untereinander und
mit dem Grundwahne zusammenhängender Ideen ist in etwa abhängig von der
Zahl und Stärke der Trugwahrnehmungen.
Für die Störungen, die Wollen und Handeln des halluzinierenden Para¬
noikers zeigen, gelten im wesentlichen dieselben Gesichtspunkte, die gelegentlich
der Besprechung der Paranoia combinatoria aufgestellt wurden. Des Kranken
Haltung, Wesen und Handlungen entsprechen den ihn beherrschenden Wahn¬
ideen und Trugwahmehmungen. Entsprechend der größeren Mannigfaltigkeit
beider im Bilde der halluzinatorischen Paranoia kommt es jedoch auch zu einem
größeren Wechsel der Strebungen, entsprechend der Eigenart der halluzina¬
torischen Belästigungen zu wesentlich eigenartigeren Ausdrucksmitteln für die
demselben Grunde entspringenden Vorstellungen. Dabei ist der Sinn der Mehr¬
zahl der Handlungen ohne weiteres verständlich; um den elektrischen Ein¬
wirkungen zu entgehen, wechseln die Kranken allnächtlich den Standort des
Bettes, zum Schutze gegen das Gift verlangen sie ihre besondere Küche, Fil¬
tration des Trinkwassers, um die giftigen Dünste zu vermeiden, sperren sie dauernd
die Fenster auf, halten sie das Taschentuch vor, anscheinend vergiftete Speisen
lassen sie chemisch untersuchen. Ein Teil der Willensäußerungen des hallu¬
zinierenden Paranoikers macht einen etwas grotesken Eindruck. Die Ma߬
regeln, die er zum Schutze gegen die Belästigungen anwendet, die eigenartigen
Rüstungen, durch die er sich gegen die feindlichen Angriffe zu schützen sucht,
die Schutzkappen, mit denen er ekel- und schreckenerregende Visionen abzu¬
halten sucht, die Apparate, die ihm die dauernden Drohungen und Beschimpfun¬
gen fern halten sollen, pflegen oft reichlich komisch zu sein; ihren Zweck zu
verstehen, bedarf es des sich Hineinversetzens in die Lage derartiger Kranker,
denen ihre Sinnestäuschungen weit mehr als ihre wahnhaften Beeinträchtigungs-
ideen, von den Größenvorstellungen nicht zu reden, die Lebensfreude rauben.
58
Die Krankheitsersclieinungen.
die sie den Selbstmord gelegentlich wenigstens ins Auge fassen lassen. Daß der¬
artige schwer verständliche Handlangen kein Zeichen geistiger Schwäche dar-
stellen, beweist das ganze sonstige Verhalten der Kranken. Stets geordnet,
zeitlich und örthch orientiert, mit ungeschwächtem Gedächtnis haben auch sie,
ebenso we es bei den Fällen kombinatorischer Paranoia beschrieben wurde,
nur das eine Bestreben, ihren Gegnern zu schaden, sich aus den Banden
ihrer Feinde zu befreien, ihren Gehörs- imd Gesichtstäuschungen entsprechend
sich vor den angedrohten Verfolgungen zu schützen, durch ihre Geschmacks¬
und Geruchstäuschungen gewarnt ihre Gesundheit zu erhalten, die in
den haptischen Täuschungen liegenden Belästigungen abzuwehren. Jedes
Mittel, das zur Erreichung ihres Zweckes dienen kann, ist ihnen recht;
auch hier pflegt einer Periode passiven Schutzes eine solche aktiven An¬
griffes zu folgen. Entsprechend dem lebhaften Unbehagen, das die Erduldung
von Schmerzen, die durch fremde Gewalt verursacht sind, mit sich bringt, in¬
folge der Angstgefühle, die die sinnlich lebhaft gehörte Androhung der ärgsten
Peinigungen hervorruft, infolge der höchsten Anspannung der Aufmerksamkeit,
die die intensive Abwehr der vermeintlichen, ihm durch entsprechende Sinnes-
wahmehmungen dauernd ins Bewußtsein gerufenen Vergiftungsversuche er¬
fordert, kommt es viel häufiger als bei der kombinatorischen Paranoia zu Angriffs¬
versuchen auf die Gegner von elementarer Gewalt; Schimpfereien, Drohungen,
tätliche Beleidigungen, auch Gewalttaten sind vor allem in den Zeiten vorüber¬
gehender Erregungszustände an der Tagesordnung. Die Affektivität des hallu¬
zinierenden Paranoikers ist stets viel labiler, viel stärker als in Fällen von Para¬
noia combinatoria, wo der mehr gleichmäßige Verlauf auch eine viel gleichmäßigere
Gefühlsbetonung mit sich bringt. Gerade die Fälle von Paranoia hallucinatoria
weisen aber auch darauf hin, daß während des ganzen Krankheitsverlaufes die
Ansprechbarkeit der Affekte, ihre innige Verbindung mit den Vorstellungen keine
Einbuße erfährt. Bis zum letzten Atemzug zeigen die Kranken eine äußerst
lebhafte, infolge des beunruhigenden Einflusses der Sinnestäuschungen krankhaft
erhöhte, dabei diesen und ihren Vorstellungen adäquate Affektivität, die zu kon¬
sequenter Handlungsweise anregt.
Die Art der Wahnvorstellungen des halluzinierenden Paranoikers weicht
im wesentlichen nicht von der der kombinatorischen Paranoia ab, wie das bei
ihrer Entstehung aus derselben psychopathischen Grundlage durch gleichartige
oder doch gleichwertige Mechanismen natürlich ist. Unter den Beeinträchtigungs¬
ideen nimmt der physikalisch-chemische Vernichtungswahn die erste Stelle ein,
da die Häufigkeit haptischer, Geschmacks- und Geruchstäuschungen gerade
dieser Art von wahnhaften Vorstellungen am meisten Vorschub leistet. Daneben
finden sich außerordentlich oft hypochondrische Einzelzüge, die aber auch hier
nie zu einem ausgesprochenen hypochondrischen Wahnsystem führen, die sich
vielmehr dem allgemeinen Schädigungswahn anfügen, ohne je eine beherrschende
Stellung einzunehmen. Nach den eigenen Erfahrungen scheint bei der Paranoia
hallucinatoria viel häufiger als bei der kombinatorischen Form der Erkrankung
der sekundäre Größenwahn auszubleiben. Während sich bei den früher beschrie¬
benen Fällen den primären Beeinträchtigungsvorstellungen auf dem Wege des
logischen Schlusses nach kürzerer oder längerer Zeit fast ausnahmslos Größen¬
ideen anzuschließen pflegen, sieht man unter den halluzinierenden Paranoikern
Die Paranoia hallucinatoria.
59
nicht allzu selten solche, bei denen nach jahrzehntelangem Bestehen der Er¬
krankung trotz massenhafter Beeinträchtigungsideen, trotz lebhafter Affektivität,
trotz im wesentlichen ungeschwächter Intelligenz Selbstüberschätzungsvor¬
stellungen gar nicht vorhanden sind oder doch nur verschwommen angedeutet,
wenig betont sich vorfinden. Diese eigenartige Tatsache ist wohl darauf zurück¬
zuführen, daß die Kranken durch die Menge der Sinnestäuschungen, die ihnen
kaum einen Augenblick Ruhe lassen, nicht die genügende Zeit zur Überlegung,
zur Ausbildung des Größenwahnes haben; die Verarbeitung der auf sie ein¬
stürmenden Trugwahrnehmungen, deren Einfügung in ihren Vorstellungskreis
ihnen oft große Schwierigkeiten bereitet, nimmt ihr ganzes Denken in Anspruch.
Unter den primären Größenideen überwiegen weitaus die aus dem religiösen
Grebiete entnommenen, unterstützt durch häufige Visionen und Gehörs¬
täuschungen,
Häufiger als bei den Fällen kombinatorischer Paranoia findet man bei den
halluzinierenden Paranoikern den Wahn der Beeinflussung durch fremde, ihm
übelwollende Mächte. Die Unfähigkeit des Kranken, sich selbst durch die ver¬
zwicktesten Maßnahmen gegen die tatsächlichen Eingriffe in sein Wohl¬
befinden, die seine haptischen, Geschmacks- und Geruchstäuschungen ihm
vorspiegeln, zu schützen, die Unmöglichkeit, seinen Gedankengängen frei
von den ihn störenden Gehörstäuschungen, die ihm häufig seine Pläne
durchkreuzen, nachzuhängen, die Unfähigkeit, sich dem Eindruck be¬
lästigender, ekelhafter, schreckenerregender, sexuell reizender Gesichtstäu¬
schungen zu entziehen, endlich die gelegentliche Erscheinung des Gedanken¬
lautwerdens muß viel eher als bei dem kombinatorisch sein Wahnsystem
entwickelnden Verrückten in ihm den Verdacht aufsteigen lassen, daß
er unfrei ist, daß ihm unbekannten Gewalten, fremden Menschen ein Einfluß
auf ihn, seinen Körper wie seine psychischen Funktionen möglich ist. Im wesent¬
lichen erstreckt sich dieses Gefühl der Beeinflussung auf die sensitiven Funktionen,
wie Banse beigestiramt werden kann, der deshalb die Bezeichnung „Schädigungs¬
wahn“ zur Abgrenzung gegen die echten Beeinflussungsideen, bei denen ein
wirkliches Eingreifen fremder Gewalten in die eigene psychische Persönlichkeit
vom Kranken angenommen wird, vorschlägt; aber in manchen Fällen wird doch
auch ein tiefer gehender Einfluß von außerhalb ihrer Person befindlichen Mächten
von derartigen Kranken angenommen. Diese Beeinflussung wird vom hallu¬
zinierenden Paranoiker stets aus seinen Trugwahmehmungen, die ihm sinnlich
lebhaft sind, gegen die er sich nicht zu schützen vermag, logisch geschlossen;
nie tritt das Gefühl psychischer Lähmung ein, wie es den paranoid Dementen,
den Schizophrenen überhaupt auf die Idee telepathischer Beeinflussung durch
transzendentale Mächte bringt. Die Beeinflussung hat bei dem halluzinierenden
Paranoiker stets noch ein Bindeglied, die Elektrizität, den Magnetismus, die
Hypnose, die Suggestion, das ihm die feindlichen Einflüsse übermittelt, aus dessen
Wirkung er die Beeinflussung erst erschließt, während bei dem Beeinflussungs¬
wahn des Schizophrenen (auch da nicht immer!) ohne alle Halluzinationen nur
aus der Unfähigkeit, sein Wollen und Handeln seinem Denken und Fühlen unter¬
zuordnen, das schädigende Eingreifen fremder Gewalten in das Getriebe der
eigenen Psyche erschlossen wird. Der Beeinflussungswahn des halluzinierenden
Paranoikers hat deshalb stets ein Subjekt, von dem er hergeleitet wird, Personen,
60
Die Krankheitserecheinungen.
die der Kranke beschreiben, oft mit Namen nennen kann, während der Schizo¬
phrene eine ihm unerklärliche, oft überirdische Gewalt für die Beeinflussungen
verantwortlich macht. Das Vorhandensein eines Beeinflussungswahnes an sich
kann deshalb nicht als unbedingtes differentialdiagnostisehes Moment angesehen
werden; sein Vorkommen im Bilde der halluzinatorischen Paranoia erklärt sich
aus der Summe unerhörter Belästigungen und Angriffe, die dem Kranken sinnlich
lebhaft zum Bewußtsein kommen, ihn nach seiner Meinung unverdient treffen,
gegen die er sich durch keine Maßnahme zu schützen vermag.
Der Verlauf der Paranoia hallucinatoria zeichnet sich gegenüber dem der
kombinatorischen Form durch viel erheblichere Schwankimgen aus. Eine ruhige,
langsame, aber stetige Weiterentwicklung des Wahnes, wie sie bei der Paranoia
combinatoria noch häufig ist, kommt wohl überhaupt nicht vor, der Verlauf
in mehr minder akuten Schüben ist der gewöhnliche. Die Sinnfälligkeit der ver¬
meintlichen Belästigimgen wirkt im Verein mit der durch sie mitbedingten leb¬
hafteren Affektivität erregend auf die Kranken, so daß leichter Schwankungen
der Intensität der Erscheinungen eintreten, die ihrerseits als Anreiz für die Ent¬
stehung neuer vermehrter Trugwahmehmungen dienen, die Affekterregbarkeit
verstärken und so Symptome erzeugen, die nun wieder die Entstehung von Er¬
regungszuständen begünstigen. Die Kranken pflegen auch schon außerhalb
derartiger interkurrenter Erregungszustände ein viel lebhafteres Gebahren an
den Tag zu legen als die einfachen Paranoiker. Lebhaft sprechen sie von ihren
Quälereien, klagen ihre Peiniger an, flehen um Schutz gegen ihre Belästigungen,
denen sie trotz aller Mühe, trotz alles aufgewendeten Scharfsinnes nicht zu ent¬
gehen vermögen. Entsprechend sind die oben beschriebenen stärkeren Störungen
des psychischen Gleichgewichtes bei der Paranoia hallucinatoria ungleich häufiger
und ausgeprägter als bei der kombinatorischen Verrücktheit, sie werden
auch durch das viel stärkere Hervortreten der Trugwahmehmungen viel bunter
und lebhafter affektbetont, führen zur Entstehung massenhafter ausschmücken¬
der Wahnideen, können auch mit Verworrenheit einhergehen, die der Unfähigkeit
des Kranken, seinen vielen Trugwahrnehmungen gegenüber sich das Persönlich¬
keitsbewußtsein zu erhalten, entspringt. Nicht imstande, in dem Chaos auf ihn
einstürmender, ihn peinigender und erregender Sinnestäuschungen sich zu orien¬
tieren, unfähig, die aus ihnen resultierenden krankhaften Ideen zu ordnen und
den Überblick über seine Vorstellungen und seine Willensstrebungen sich zu
bewahren, verwirrt sich dem Kranken sein Denken, seine Willensäußemngen
und demgemäß seine Handlungen werden zusammenhangsloser und ein mäßiger
Grad von Verworrenheit kann die Folge sein, der mit dem Nachlassen der Sinnes¬
täuschungen an Zahl, dem Schwächerwerden der Affektbetonung, der allmäh¬
lichen Ordnung der Gedankengänge und Vorstellungen schwindet, um das alte
Wahnsystem wieder in den Vordergrund treten zu lassen, in dem die wahnhafte
Ausbeutung des Verwirrtheitszustandes an sich schon eine Bereicherung dar¬
stellt. Derartig hochgradige Erregungszustände sind jedoch auch im Krankheits¬
bilde der halluzinatorischen Paranoia nicht häufig; dagegen sind solche mittleren
Grades, wie sie bei der Besprechung der kombinatorischen Form der Erkrankung
skizziert wurden, ein ziemlich häufiges Begleitmoment im Ablaufe der hallu¬
zinatorischen Verrücktheit.
Nach langjährigem Bestehen der Erkrankung, oft erst nach Jahrzehnten,
Die Paranoia querulatoria.
61
beginnen die Trugwahrnehmungen fast ausnahmslos mehr weniger zurückzutreten
oder doch an sinnlicher Lebhaftigkeit und damit an affektiver Stärke zu ver¬
lieren. Mit dem allgemeinen Nachlaß der psychischen Funktionen, den das
Alter, das bei diesen Kranken verhältnismäßig früh und intensiv einzutreten
pflegt, mit sich bringt, läßt die intrazerebrale Erregbarkeit der Sinneszentren
nach und unter unverändertem Fortbestehen des Wahnsystems, unter Nach¬
laß der Zahl und Stärke der Trugwahrnehmungen, demgemäß unter Verringerung
der Zahl der ausschmückenden Wahnideen tritt die Erkrankung in ein Stadium,
in dem das Erworbene unverrückt festgehalten wird, die Neuproduktion sowohl
von krankhaften Sinnesempfindungen wie krankhaften Auswüchsen des Vor¬
stellungsvermögens aber mehr weniger aufgehört hat.
Die Paranoia querulatoria.
Durch das Hervortreten von Ideen der Beeinträchtigung auf rechtlichem
Gebiete und den leidenschaftlichen Kampf gegen diese Rechtsirrungen, aus denen
bald vermeintliche Rechtsbeugungen werden, unterscheidet sich die querulato¬
rische von den übrigen Unterformen der Paranoia. Es sind freilich auch diesen
in einer großen Anzahl von Fällen querulierende Züge beigemischt, sei es, daß
sie der durch die Art des Wahnes oder äußere Umstände notwendig gewordenen
Internierung in einer Irrenanstalt oder der Einleitung und Dmchführung des
Entmündigungsverfahrens entsprungen sind, sei es, daß tatsächliche strafrecht¬
liche Verfolgungen, die die aus der Eigenart der Beeinträchtigungs- und Größen¬
vorstellungen resultierenden Handlungen dem paranoischen Individuum zu¬
gezogen haben, die Basis für sie schufen. Es ist in diesen Fällen oft unmöglich,
sie einer der besprochenen Unterformen zuzuteilen, bzw. kann die Einordnung
nur nach dem augenblicklichen Zustandsbilde geschehen, was auch hier wieder
die Zusammengehörigkeit der abgeteilten Unterformen der Paranoia beweist.
Daß im Bilde der vornehmlich querulatorischen Paranoia andersartige Beein¬
trächtigungsideen sowie vor . allem Selbstüberschätzungsvorstellungen einen
großen Raum einnehmen, bestätigt, wie die unkorrigierbare, verbohrte, eben
krankhaften Vorstellungen entspringende Art der querulatorischen Denk- und
Handlungsweise die obigen Ausführungen, dient andererseits zur Abgrenzung
der Paranoia querulatoria von andersartigen, querulierende Züge aufweisenden
psychopathischen Zuständen.
Die vorpsychotische Geistesverfassung, die zur Paranoia querulatoria
disponiert, zeigt bereits Züge, die beweisen, daß dem Individuum schon in jungen
Jahren unmöglich ist, rechtliche Begriffe ohne egozentrische Gefühlsbetonung
zu erfassen, sie auseinander zu halten, vor allem aber der eigenen Persönlichkeit
gegenüber in rechtlicher Beziehung die nötige Unparteilichkeit zu bewahren.
Ein Teil ist, wie Koe p pe n beizustimmen ist, von Jugend auf mit verbrecherischen
Neigungen behaftet; die ethischen Vorstellungen überhaupt, vor allem diejenigen,
die sich auf rechtliche Begriffe erstrecken, sind verkümmert, bereits früh macht
sich eine Lust am Skandalieren, am Denunzieren und Hetzen bemerkbar. Überall
tritt dabei die hohe Einschätzung hervor, die die Individuen ihren eigenen Fähig¬
keiten zuteil werden lassen, zugleich mit dem Gefühl absoluter Überlegenheit,
aus dem sie die Erlaubnis herleiten, sich über Rechtsansprüche ihrer Gegner,
ihrer Mitmenschen einfach hinwegzusetzen, sofern das ihrem Vorteile dient.
62
Die Krankheitsersclieinungen.
Aus den übel beleumundeten Kindern, die schon ihren Mitschülern durch Denun-
2 deren und Intrigieren verhaßt sind, die ihre Kameraden zu tyrannisieren suchen,
eigensinnig verlangen, daß sich alles ihnen fügt, werden Menschen, die durch ihr
hochmütiges, selbstgefälliges, überlegenes Wesen sich nie Freunde erwerben
können, die abstoßend, stets verletzt sich dauernd schlecht behandelt, übergangen
wähnen, dabei ihrerseits anderer Rechte nicht achten, oft gerade sich auf die
Seite derjenigen Individuen schlagen, denen das anerkannte Recht nicht zur
Seite steht, soweit nicht eigene Verfehlungen gegen die rechtlichen Bestimmungen
ihrem Drange nach Opposition Nahrung geben. Wenn Wer nie ke an der Wurzel
des Querulantenwahnes die irrige Vorstellxmg findet, daß es ein absolutes Recht
gäbe, das sich im einzelnen Falle unbedingt bewähren müsse, so ist das mit dem
Zusatze anzuerkennen, daß als dieses natürliche Recht von dergleichen Indi¬
viduen stets nur die den eigenen Strebungen entsprechenden Rechtsbegriffe
anerkannt werden, die dem meist vorhandenen Mangel an Konsequenz in der
Denkrichtung gemäß gelegentlichem Wechsel unterworfen sind. Es handelt sich
um starre, wenig schmiegsame Charaktere, deren geringe Einfügungsfähigkeit
in die bestehenden Rechts- und Gesellschaftsverhältnisse vielleicht noch durch
die Erstarrung, die die psychische Persönlichkeit im Alter erfährt, in vielen Fällen
gesteigert wird, um Leute, die durch die Fehlschläge, die ihnen ihre eigenartige, stets
mißvergnügte, von sich selbst überzeugte Art im Leben verursacht, die sie eine
feste Lebensposition sich zu erhalten unfähig macht, verbittert, zu verbohrtem
Festhalten der selbst gebildeten, mit den Gesetzesbestimmungen nicht überein¬
stimmenden Rechtsbegriffe kommen und diesen entsprechend zu Prozeßkrämem
werden, wodurch ihren falschen Auffassungen in rechtlicher Beziehung weiterer
Vorschub geleistet wird.
Die Vorgeschichte der in querulierende Paranoia verfallenden Individuen
weist also in der Regel bereits in der vorpsychotischen Periode ein streitsüchtiges,
rechthaberisches, anmaßendes, dabei leicht verletzliches Wesen auf, das die
Vorstellung eines ungewöhnlich entwickelten Gerechtigkeitssinnes widerspiegelt,
der ihnen das Hinwegsehen selbst über geringfügige ihnen widerfahrende Un¬
gerechtigkeiten als mit ihrer Natur nicht vereinbar unmöglich macht, ihnen
infolgedessen zahlreiche Streitigkeiten und Prozesse einträgt, die sie wiederum
zu immer intensiverer Beschäftigung mit den Gesetzesbüchern veranlassen, die
Einseitigkeit der Denkweise fördern, sie ihren ganzen Scharfsinn auf die peinliche
Ausführung der Gesetzesparagraphen, auf die Aufdeckung der geringsten Ver¬
fehlung dagegen, soweit sie anderen Personen zur Last gelegt werden kaim,
aufwenden lassen, während eigene Verstöße dagegen als unerheblich übergangen,
abgestritten oder’ doch beschönigt werden. Derartige Individuen verwickeln
sich nacheinander in eine Unzahl von Prozessen, die zum Teil einer aus dem anderen
folgen, die aber, sobald sie bis zur letzten Instanz durchgefochten sind, für ge¬
wöhnlich als erledigt aus dem Vorstellungsleben schwinden, um anderen ähn¬
lichen, vielleicht aus den ersteren resultierenden Platz zu machen.
Bei einem kleineren Teile der späteren querulierenden Paranoiker ist außer
einem verschrobenen, schrullenhaften, häufig in jeder Beziehung pedantischen
Wesen mit mehr minder starker Überschätzung der eigenen Geisteskräfte, der
Überlegenheit der eigenen ethischen Gefühle, unter meist starker Betonung der
altruistischen Empfindungen kein auf die sjÄtere Form der Erkrankung hinweisen-
Die Paranoia querulatoria.
63
des Moment aufzufinden, so daß der erste wirkliche Rechtsstreit den Kranken zum
paranoischen Querulanten zu machen scheint. Häufig mag das wohl daran liegen,
daß die Streitsucht und Rechthaberei des Individuums dank seiner sozialen
Stellung und der Gunst der Umstände vorher keinen Angriffspunkt für ihre
querulierende Tendenz findet, der sich unter besonders günstigen Verhältnissen
trotz stark ausgeprägter Veranlagung dazu das ganze Leben hindurch nicht zu
bieten braucht, so daß es auch nicht zur Auslösung der Erkrankung kommt.
Die querulierenden Paranoiker gehören fast ausschließlich zu den in¬
telligenteren Individuen. Die Beschäftigung mit den Rechts- und Strafbestim¬
mungen erfordert eine Summe von Gedächtnisleistungen, eine gewisse Urteils¬
kraft, vor allem aber eine derartige Konzentrationsfähigkeit und Intensität
der Willensleistungen, daß Individuen mit Schwachsinnszuständen sie nicht zu
leisten vermögen. Wo eine anscheinend querulatorische Paranoia auf dem Boden
eines leichten angeborenen Schwachsinns entsteht, handelt es sich meistens um
Fälle, in denen die querulatorischen Züge den Kranken induziert sind, der gleich¬
artig veranlagte, wenn auch vielleicht nicht paranoische Ehegatte oder sonst
eine einflußreiche Persönlichkeit den Kranken zum Querulieren aufhetzt, unter
Umständen für ihn die Schriftstücke usw. abfaßt, die jener nur unterschreibt.
Aus der zum Querulieren neigenden Geistesverfassung bildet sich die Para¬
noia querulatoria entsprechend den allgemeinen für die Entstehung der Paranoia
aus der paranoischen Konstitution angegebenen Gründen unter dem Einflüsse
eines äußeren psychogenen Momentes heraus. Dieses Moment wird stets durch
einen Konflikt mit einer gesetzlich eingeführten Behörde bezw. durch
einen gerichtlich anhängigen Rechtsstreit irgendwelcher Art gebildet. Während
es in einem verschwindend kleinen Teile der Fälle der erste \^drkliche Prozeß
ist, der diese Wirkung hat, ist es in der weitaus überwiegenden Mehrzahl eine
beliebige aus der Kette aufeinanderfolgender Rechtsstreitigkeiten, vor allem
eine solche, die dadurch eine besonders lebhafte Affektbetonung erhält, daß dem
Individuum in ihrem Verlaufe irgendein wirkliches Unrecht nicht nur nach seinen
eigenen Rechtsanschauungen, sondern auch nach dem bestehenden Gesetze
geschieht, sei es, daß tatsächlich ein Rechtsirrtum vorliegt, sei es, daß in irgend¬
einer Form ein Verstoß gegen die Strafprozeßordnung statthat, der später auch
als solcher anerkannt wird, dem der querulierenden Form der Paranoia zuneigen¬
den Individuum damit zur Quelle immer weiter ausgesponnener Beeinträchtigungs¬
vorstellungen auf rechtlichem Gebiete wird, auch wenn das tatsächliche Un¬
recht längst ausgeglichen oder aber bedeutungslos geworden ist, und damit unter
Irradiation der Beeinträchtigungsideen auf immer weitere Behördenkreise zur
Paranoia querulatoria sich auswächst. Dieses erste vermeintliche oder häufiger
tatsächliche Versehen der Behörden kann an sich für die rechtliche Beurteilung
des Streitfalles bzw. für die Bemt^ilung der an die Behörden gerichteten Ein¬
gabe völlig belanglos sein; die Ablehnung oder Unterlassung der Ladung eines
Zeugen, der vielleicht nichts Wesentliches zur Sache auszusagen vermag, ver¬
spätete Zustellung einer Anordnung oder Vorladung kann genügen, um die schlum¬
mernde Paranoia entstehen zu lassen. In einem Falle war es eine am Rande
eines Antrages gemachte Bleistiftnotiz, daß der Antragsteller eine Invaliden¬
rente bezöge, die den Anlaß zu endlosen Beschwerden und zum Ausbruche einer
querulatorischen Paranoia gab; ebenso genügt oft eine Bemerkung des Richters,
64
Die Krankheitserscheinungen.
des Vertreters der Anklage während der Verhandlung, die Erwähnung einer
Vorstrafe dazu, ja, die versehentliche Fortlassung des Wortes „Herr“ auf einem
Schreiben hat den Anlaß zum Ausbruche einer Paranoia querulatoria gegeben.
Häufig bedarf es aber nicht einmal eines wirklich erlittenen Unrechtes oder
wenigstens der Möglichkeit eines solchen, um paranoische Ideen entsprechender
Art aufkommen zu lassen; ein mit gutem Grunde zurückgewiesener Antrag ver¬
mag sie ebenso auszulösen wie ein nach den bestehenden Gesetzen verlorener
Prozeß. Selbst im Verlaufe eines tatsächlich zu seinen Gunsten ausge¬
gangenen Rechtsstreites gibt ein nach Ansicht des Individuums vorgekommener
Verstoß gegen irgendeine rechtliche Bestimmimg diesem den Anlaß zu stete
wachsenden Beschwerden und damit unter Umständen zm* querulatorischen
Paranoia.
Auch bei dieser Unterform der Verrücktheit ergibt sich wie bei den übrigen,
daß zu noch in den Bereich der Gesundheitsbreite faUenden psychischen Zu¬
ständen Übergänge insofern bestehen, als die Veranlagung, auf der die Krankheit
sich entwickelt, auf jedem Punkte haltmachen, der Ausbruch des eigentlichen
Krankeitsprozesses ausbleiben kann. Die Prozeßkrämer, die „Prozeßhansel“,
wie sie vor allem unter halbgebildeten Leuten mit engem Gesichtskreise, starkem
Überlegenheitsgefühl, herrischem, zornmütigem Wesen, stark erregbarer Affekti¬
vität sich finden, die ewigen Nörgler, die mit keiner Verordnung, keinem Gesetze,
keiner Autorität zufrieden sind, aus Prinzip opponieren, gehören zum Teil hierher.
Oft hält sich diese Neigung zum Querulieren solange in Grenzen, als das Indivi¬
duum selbst nicht direkt betroffen wird; durch die erste gesetzliche Bestimmung,
die es selbst in Mitleidenschaft zieht, kann die Ausbildung wahnhafter Beein¬
trächtigungsideen ausgelöst werden, doch braucht das nicht zu geschehen. Auch
bei der Paranoia querulatoria bedeutet der Ausbruch der Krankheit einen Riß
im psychischen Geschehen, der im wesentlichen gekennzeichnet ist durch die
Verbohrtheit, mit der die eigenen Ansichten festgehalten werden, die Unfähigkeit,
die vorliegenden Rechtsverhältnisse objektiv zu betrachten \md den gegnerischen
Standpunkt zu beurteilen, die Konzentration des ganzen Denkens auf den einen
Vorstellungskreis, der alle anderen, auch vitale Interessen in den Hintergnmd
drängt, die Unfähigkeit, von dem überwertigen Komplex loszukommen, Kenn¬
zeichen, die im Verein mit andersartigen späteren Symptomen zugleich die Son¬
derung gegen anderen psychischen Zuständen entwachsene Querulanten vorzu¬
nehmen gestatten.
Die Art des Wahnes, seine Weiterentwicklung, Ausbreitung, die ihm ent¬
springenden Handlungen, die ihn begleitenden Affekte pflegen sich meist täu¬
schend ähnlich zu sehen, nur, daß die Personen, gegen die er sich richtet, andere
sind. Die querulatorischen Vorstellungen haben ebenso wie die sonstigen Beein¬
trächtigungsideen die Tendenz, sich zuerst aus allgemeinen heraus zu speziali¬
sieren, später aber immer weitere Kreise zu ziehen. Aus der allgemeinen Be¬
kümmernis, daß ihm, obgleich er im Rechte ist, zahlreiche Prozesse verloren
gehen, daß er sein Recht nicht finden kann, steigen im Kranken Vermutungen
auf, daß das nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Bei der Rekapitulation
der mit den Rechtsstreitigkeiten verknüpften Einzelheiten findet er oft unter
Zuhilfenahme von Erinnerungsfälschungen vieles ihm Rätselhafte. Mit der Zeit
wird ihm klar, daß bei der Vernehmung dieses Zeugen, bei den Nachforschungen
Die Paranoia querulatoria.
G5
über jene Einzelheit ein Rechtsirrtum unterlaufen ist. Er sucht denselben in
einem umfangreichen Schreiben an das Gericht aufzuklären, wird aber von dort
eines Besseren belehrt oder es wird ihm kurz mitgeteilt, daß die Nachprüfung
seiner Angaben deren Unrichtigkeit ergeben habe. Die Ablehnung, die seine bei
ihm inzwischen immer tiefer eingewurzelten Ansichten finden, kann ihm nicht
genügen, ihn nicht beruhigen. Er verfolgt die Angelegenheit, seine Vorstellungen
rechtlicher Beeinträchtigung nehmen immer festere Gestalt an, er beschwert
sich über den ihm gewordenen Bescheid bei der höheren Instanz, sucht die Wieder¬
aufnahme des Verfahrens durchzudrücken. Oft kommt es schon in dieser Zeit
zu Vorwürfen gegen den Richter, daß er unfähig sei, daß er das Gesetzbuch nicht
zu lesen verstände, endlich, daß er voreingenommen, bestochen sei, nur für seine
Freunde sorge, daß er das Recht beuge. Seine Schreibereien und Beleidigungen
tragen dem Kranken neue Klagen und Bestrafungen ein, mit dem Erfolge, daß
er immer neue Zeugen zum Beweise seiner früheren Anschuldigungen beibringt,
daneben aber auch gegen das durch die neuen Strafen ihm angetane Unrecht
ankämpft. Da er mit seiner Ansicht nicht durchdringt, so beginnt er, die Zeugen
zu verdächtigen, die falsch aussagen, die bestochen sind, oder aber er wähnt,
daß die Protokolle über ihre Aussagen, ihre Unterschriften, die ganzen Akten
gefälscht oder vernichtet wurden. Immer weiter gehen seine Verdächtigungen,
vom einzelnen Richter gegen den Gerichtshof und schließlich den ganzen Richter¬
stand. Seine Anwälte stehen mit jenen im Bunde, wollen sie nicht bloßstellen,
verfechten seine Sache schlecht, wollen ihn nur aussaugen, ohne ihm zu helfen.
Gegen die Ungerechtigkeit des Richterstandes führt er Beschwerde bei den
Staatsbehörden, denunziert, intrigiert gegen ihn, sucht entsprechende Artikel
in die Tageszeitungen zu bringen, läßt Flugschriften drucken und verteilen, um
die Öffentlichkeit auf seine Angelegenheit aufmerksam zu machen, schreibt an
die Volksvertretung, das Ministerium, den Reichskanzler. Neue Strafen oder
doch die Abweisung neuer Eingaben erbittern ihn immer mehr, es kommt zu
maßlosen Beleidigungen des Juristen-, des Beamtenstandes. In diesem Stadium
trägt das Gebahren des Kranken meist so sehr den Stempel der Geistesstörung,
ist andererseits seine Lästigkeit so groß geworden, daß er der Irrenanstalt über¬
wiesen bzw. die Untersuchung seines Greisteszustandes angeordnet wird. Der Arzt,
der ihn ruhig anhört, wird zuerst als Freund, als der einzige mitfühlende Mensch
betrachtet, von ihm wird die Wendung der ganzen Angelegenheit erwartet.
Sobald derselbe aber die geringsten Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen
des Kranken, an der Berechtigung der maßlosen Angriffe, die derselbe ausspricht,
äußert, oder gar seine geistige Gesundheit in Frage stellt, sobald er überhaupt
nicht vorurteilslos auf seine Seite tritt, ist er sein ausgesprochener Feind, mit
seinen Gegnern im Bunde, nichtswürdig, ein bestochener Schurke. In der Irren¬
anstalt schreibt er ungeachtet aller Schwierigkeiten und Enttäuschungen weiter
seine Angriffe, seine Klageschriften nieder; unter zahllosen Eingaben an den
König, die oberste Staatsbehörde, das Parlament, in denen er immer und immer
wieder seine Darstellung von dem Rechtsirrtum, dem Justizmorde gibt, seine
ungeheuerlichen Verdächtigungen, die immer maßloser werden, ausspricht, sich
als den unschuldig Verurteilten, den unschuldig ins Irrenhaus gesperrten Märtyrer
seiner hervorragenden rechtlichen Überzeugung hinstellt, beschließt er sein
Dasein, wenn er nicht gar, wie ein Kranker Caspers, an den höchsten Richter
Kr n eg er, Die Paranoia.
5
66
Die Krankheitserscheiniingen.
im Himmel schreibt, und, nachdem ihm auch von dort her das Recht, das er
erwartete, versagt blieb, Gotteslästerungen ausstößt.
Im weiteren Verlaufe der Erkrankung kommt es stets zu stärkerem Hervor¬
treten von Selbstüberschätzungsideen und anderen in das Gebiet des Größen¬
wahnes gehörigen Vorstellungen. Prahlereien mit der Schärfe des eigenen Ver¬
standes, den eigenen Kenntnissen der Gesetzesbestimmungen, die er nur durch
sich selbst gewonnen habe, die dabei denen studierter Juristen weit überlegen
seien, verbinden sich meistens mit der Stellung immer größer werdender Ersatz¬
ansprüche, die er aus der vermeintlichen ungerechten Behandlung herleitet.
Nicht nur als Entschädigung für ungerecht verbüßte Strafen, sondern auch zur
Sühne des ungerechtfertigten Verdachtes, als Entschädigung für die erlittenen
Nachstellungen, den Ärger, die mit der Abwehr der Ungesetzlichkeiten zugebrachte
Zeit verlangen die Kranken Summen, die sich oft in angemessenen Grenzen halten,
oft aber auch unter allmählicher Steigerung schließlich in die Millionen gehen,
deren Geltendmachung und gerichtliche Einforderung ihrerseits das queru¬
latorische Gebahren des Kranken weiter unterhalten. In seltenen Fällen end¬
lich treten noch weitere Größenideen, daß der Kranke wegen seiner umfassenden
Rechtskenntnisse zu hohen Stellungen ausersehen sei, daß ihm für seine scharf¬
sinnigen Schriften der Titel eines Doktors der Rechtswissenschaften in Aus¬
sicht stände und ähnliche hinzu, haben aber in der Regel nur episodenhaftes
Gepräge.
Mag die Behörde, gegen die zu Anfang queruliert wird und demgemäß
der weitere Instanzenweg von dem eben skizzierten verschieden sein, der Gang
und Inhalt der Beschwerden, die Ausbreitung des Kreises der Gegner bleibt
dieselbe. Von allgemeinen, mehr unpersönlichen BeeinträchtigungsVorstellungen
gepeinigt, knüpft der Kranke seine wahnhafte Vorstellungstätigkeit an die
nächsten, mit dem den Wahn auslösenden Erlebnis eng zusammenhängenden
Persönlichkeiten an, dann wird die betreffende gesamte Beamtenkaste in die
Zahl der Gegner aufgenommen, hierauf alles, was Autorität heißt, zu ihnen ge¬
zählt, endlich die ganze Welt in den Kreis der Verfolger einbezogen, bis schließlich
gelegentlich auch das dem Kranken zur Herleitung seiner Verfolgungsideen
nicht mehr genügt. Dabei findet sich meistens, daß nicht jeder Angehörige
des einen oder des anderen Standes kritiklos zu den Feinden gezählt wird, sondern
daß in jedem Menschen zuerst nur das Beste gesucht A\ird, daß jedes neue, in
den Gesichtskreis des Kranken tretende Individuum als Freund, als Retter
angesprochen wird, dem er seine Lebens- und Leidensgeschichte anvertraut,
den er zu seiner Rettung ermuntert, den er aber in demselben Augenblicke,
in dem er sein Vertrauen nicht voll befriedigt findet, oft schon bei dem geringsten
Einwand gegen seine Ausführungen als seinen ärgsten Feind betrachtet; wer
nicht unbedingt für den Kranken ist, der ist wider ihn. So wird die Polizei, an
die er sich zuerst um Hilfe wendet, in kurzem zu einem Heer von Spionen und
Henkersknechten; die Zeugen, die durch Beeidigung der Wahrheit seiner Angaben
die erwartete Wendung in seiner Angelegenheit herbeiführen sollen, werden,
sobald sie seine Hoffnungen durch ihre Aussage enttäuschen, zu bestochenen,
meineidigen Schurken; der Verteidiger wird, sobald der Kranke bei ihm die
erwartete Hilfe nicht findet, zum unfähigen Strohkopf, der mit seinen Gegnern
im Bunde steht, seinen Amtsgenossen in die Hände arbeitet, dieser Bande von
Die Paranoia querulatoria.
67
Verbrechern, die ihre eigenen Fehltritte dadurch verschleiern wollen, daß sie
einen Unschuldigen bestrafen, oder die einen Justizmord vertuschen helfen,
um den Richterstand nicht zu blamieren; der Arzt endlich, von dem er die Be¬
scheinigung seiner geistigen Gesundheit sicher erwartet hat, wird zum Folter¬
knecht, zum bestochenen oder betrogenen Helfershelfer seiner Gegner bei dem
geringsten Zweifel an seiner geistigen Gesundheit. Hand in Hand mit großem
Mißtrauen geht so auf der anderen Seite wieder eine übergroße Vertrauens¬
seligkeit, die noch durch die Leichtgläubigkeit unterstützt wird, die derartige
Kranke meist an den Tag legen. Jedes Gerücht, das von ihren Gegnern Schlechtes
sagt, jeder Klatsch wird als lautere Wahrheit hingenommen, auf unbewiesene
Erzählungen werden schwerwiegende Schlüsse und Beweise aufgebaut, jedes
ihre Feinde kompromittierende Gerede wird ohne Prüfung geglaubt und, oft
noch in ihren Interessen angepaßter, veränderter Form, weiter verbreitet, auch
zum Gegenstände von Klagen und Beschwerden gemacht. Wissentlich falsche
Anschuldigungen sind deshalb ein häufiges Delikt beim unerkannt gebliebenen
querulierenden Paranoiker.
Im einzelnen werden die krankhaften Vorstellungen immer maßloser.
Unterschriften unter Protokolle werden verweigert, weil dieselben gefälscht
sind, Vorladungen werden nicht angenommen, weil der Kranke das Gericht,
von dem sie ausgehen, nicht anerkennt, jeder Gerichtshof wird wegen Befangen¬
heit abgelehnt. Akten werden von den Gegnern, von den Richtern unterschlagen,
Seiten daraus entfernt, heimliche Verhandlungen abgehalten, von denen er nichts
weiß, nur, um ihn mundtot zu machen und das Recht zu unterdrücken. Doku¬
mente werden unterschlagen, Urteile gefällt, ohne daß dem Kranken Gelegen¬
heit geboten wurde, sich zu verteidigen. Immer neue Zeugen werden beigebracht;
sagen auch sie nicht nach Wunsch aus, so erscheinen wieder andere, deren Aus¬
sage nun ganz bestimmt ihm zu seinem Rechte verhelfen wird, Sachverständige
über Sachverständige werden vorgeschlagen. Schließlich kommt der Kranke
zu Vorstellungen, daß das Gericht seine Zeugen, seine Sachverständigen über¬
haupt nicht lade oder ihre Aussagen bzw. die Protokolle darüber fälsche oder
vernichte.
Neben den spezifisch querulatorischen wahnhaften Vorstellungen finden
sich bei der Paranoia querulatoria stets noch andere Beeinträchtigungsideen.
Beide Arten sind meist so eng miteinander verbunden, daß sich nur eine künstliche
Scheidung herbeiführen läßt. Es handelt sich häufig um allgemeine Ideen der
Verfolgung, die sich an die querulatorischen Gedankengänge eng anschließen,
gelegentlich sind aber auch entferntere Vorstellungsgebiete betroffen. So ist
der Wahn ehelicher Untreue bei querulierenden Paranoikern neben ihren Ideen
rechtlicher Benachteiligung gefunden worden, hypochondrische Vorstellungen
sind nicht selten, Vergiftungsideen können dem Kranken als die letzte Möglich¬
keit erscheinen, ihn mundtot zu machen. Fast ausnahmslos werden auch diese
Ideen rein kombinatorisch gebildet, ebenso wie die mannigfachen Selbstüber¬
schätzungsvorstellungen, die stets die querulierende Paranoia zu begleiten pflegen.
Sie gehen aus von dem Gefühl eines erhöhten Gerechtigkeitssinnes, realisieren
das dem Kranken innewohnende Überlegenheitsgefühl über seine Gegner; nur
er hat die richtige Ansicht von Recht und Gesetz; er kann die Gesetzesparagraphen
viel besser ausdeuten als sämtliche Juristen; er weiß, wie man es machen muß.
68
Die Krankheitserscheinungen.
um das Recht ans Tageslicht zu bringen; nur er ist imstande, den Bedrängten
das Recht zu bringen, das ihnen von den treulosen Beamten genommen worden
ist. Diese Selbstüberschätzungsvorstellungen treten besonders bei einer Gruppe
von querulierenden Paranoikern hervor, deren Wahn einen stark altruistischen
Zug trägt, insofern sich seine querulierende Tendenz wenigstens zu Anfang in
der Hauptsache auf die Aufdeckung des fremden Personen zugefügten Un¬
rechtes erstreckt. Derartige Gedankengänge finden sich besonders häufig auch
im politischen Leben; sie verbinden sich wieder mit den Ideen der krankhaften
Weltverbesserer und Volksbeglücker, die bei Besprechung der Paranoia com-
binatoria geschildert wurden.
Die krankhaften Ideen des querulierenden Paranoikers sind im Gegensätze
zu den Vorstellungen des gewöhnlichen Querulanten von Anfang an unkorrigierbar.
Unzugänglich für Einwände weist er alle Belehrungen und Gegenbeweise meist
ohne Prüfung zurück, tut sie unter Umständen mit dem Hinweise auf die eigene
Glaubwürdigkeit ab. Alles seiner Ansicht Entgegenstehende wird für frech er¬
logen, für unsinnig erklärt. Es besteht völlige Unfähigkeit, die eigenen Ansichten
gegenüber den gegnerischen Gedankengängen abzuwägen, fremde, den eigenen
entgegengesetzte Ausführungen zu bewerten sowie die Größe des etwa erlittenen
Unrechtes abzuschätzen. Selbst das kleinste Unrecht wird über Gebühr auf¬
gebauscht, der leiseste Zwang als unerhörte Vergewaltigimg aufgefaßt, während
andererseits die übermäßige Entwicklung des eigenen Selbstgefühls ihm Jedes
Mittel in seiner Hand als gut und angemessen erscheinen läßt. Dabei fehlt jedes
Verständnis für die Nützlichkeit oder Nutzlosigkeit eines der angewandten
Mittel. Jeder Prozeß wird ohne Rücksicht auf die entstehenden Kosten oder
die Möglichkeit eines Erfolges bis zur letzten Instanz durchgefochten, jede An¬
gelegenheit bis zum Äußersten verfolgt. Stellung und Vermögen werden aufs
Spiel gesetzt und verschleudert. Einsichtslos setzt der querulierende Paranoiker
den Kampf um sein vermeintliches Recht fort, bis er am Bettelstab ist.
Abgesehen von dieser Verbohrtheit in seine Wahnvorstellungen bleibt der
Kranke während des ganzen Krankheitsverlaufes besonnen, im Denken ge¬
ordnet; Merkfähigkeit und Gedächtnis sind ungetrübt, die Urteilskraft zeigt
außerhalb des Wahnsystems keine Störung, in bezug auf die eigenen Wahnideen
jedoch stärkste Einschränkung. Die Sinneswahmehmungen sind kaum jemals
krankhaft verändert, Sinnestäuschungen kommen im Verlaufe reiner queru¬
latorischer Wahnsysteme wohl nicht vor, nur aus der Verbindung mit anders¬
artigen Beeinträchtigungs- oder den seltenen ausgeprägten Größenideen können
sie gelegentlich entstehen, ohne jedoch besondere Bedeutung zu erlangen. Die
Wertung an sich richtig aufgefaßter Sinneseindrücke ist häufig schwer im Sinne
der wahnhaften Vorstellungen verändert. Die Kranken vermögen oft keinen
Schriftsatz des Gegners oder des Gerichtes richtig zu verstehen; sie lesen gerade
das Gegenteil aus ihm heraus, sofern sich das mit ihren Ideen deckt.
Häufig handelt es sich dabei allerdings um Erinnerungsfälschungen, die
im Verlaufe der querulatorischen Paranoia eine große Rolle spielen. Die Kranken
sind nicht imstande, eigene Erlebnisse, die Geschichte ihres Rechtsstreites, die
Vorgänge während eines gerichtlichen Termines nach einiger Zeit vollkommen
wahrheitsgetreu zu reproduzieren. Umdichtungen aller Art, seltener frei er¬
fundene Vorstellungen, wie es sein oder werden könnte, werdeli für wahr gehalten,
Die Paranoia querulatoria.
69
dem Wahnsystem eingeordnet und als bewiesene Tatsachen weiter verwertet.
Dieselbe Bedeutung können plötzliche Einfälle haben, die erwünschte Vorgänge
dem Kranken vor Augen führen. Oft läßt sich nicht entscheiden, ob es sich um
wirkliche nachträgliche Erinnerungsfälschungen oder um Mißverständnisse
handelt, doch ist an der Häufigkeit der ersteren Vorgänge, besonders in den
vorgeschritteneren Stadien des Leidens nicht zu zweifeln. Die Begebenheiten,
die dem Kranken zu Anfang seiner wahnhaften Vorstellungstätigkeit noch frag¬
lich erschienen, werden immer mehr im Sinne der entstandenen Wahnideen um-
gedeutet und verfälscht, immer neue Einzelheiten tauchen in ihrer Verbindung
auf, so daß allmählich alle Vorgänge in logischer Weise auseinander folgen,
völlige Edarheit des querulatorischen Wahnsystems besteht, das der Kranke
eintönig in derselben Weise und entsprechender Reihenfolge vorbringt, an das
er selbst unerschütterlich glaubt. In das Gebiet der Erinnerungsfälschungen
gehört wohl auch der „Traum“ eines Patienten Hoppes, dem in seinem sieb¬
zehnten Lebensjahre im Schlafe ein Engel erschien, der ihm sein Schicksal, viele
Prozesse zu führen und dafür Gefängnisstrafen zu verbüßen, voraussagte.
Die Affekterregbarkeit des querulierenden Paranoikers ist auf das höchste
gesteigert. Die Vorstellung unschuldig erlittenen Unrechtes pflegt schon den
Geistesgesunden stark zu erregen, vielmehr noch den mit krankhaften Vorstel¬
lungen arbeitenden Paranoiker. Aus der Steigerung der gemütlichen Erregbar¬
keit ist sicher zum größten Teile der gänzliche Mangel an Objektivität, das Un¬
vermögen zu unvoreingenommener, sachlicher Beurteilung der Rechtslage, der
Mangel jeder Einsicht, die Unbelehrbarkeit, die Unfähigkeit zu ruhiger Über¬
legung, sobald das stark affektbetonte Gebiet der Rechtssätze angeschnitten
wird, zurückzuführen. Recht und damit im Zusammenhänge die Strafe gehören
zu denjenigen Begriffen, die mit ihrem ausgesprochenen Gleichheitsprinzip in¬
folge unserer Erziehung uns am lebhaftesten gemütlich erregen, in ihrer affektiven
Wirkung den bei Besprechung der Paranoia hallucinatoria hervorgehobenen
Eingriffen in das körperliche Wohlbefinden, die mit dem Strafbegriff eng ver¬
wandt sind, nahestehen. Stets sind es ausgesprochene Mischaffekte, die den
Kranken beherrschen, hergeleitet einmal aus dem Gefühle rechtlicher Beein¬
trächtigung, andererseits aus dem inneren Überlegenheitsgefühl, das die Kranken
beherrscht; zu Anfang überwiegt dabei die Unlustkomponente, während die¬
selbe in den späteren Stadien mit dem Stärkerwerden der Selbstüberschätzungs¬
vorstellungen, der Steigerung der Lust am Querulieren, zurückzutreten pflegt.
Das äußere Verhalten des Querulanten und seine Handlungen haben ihm
seinen Namen gegeben. Der Kampf um sein vermeintliches Recht, unbekümmert
um die Folgen, mit zäher Verbissenheit, ohne die geringste Nachgiebigkeit, ohne
die im menschlichen Verkehr gebotene Rücksichtnahme auf fremde Interessen
ist der Kern der Handlungen, um den sich das ganze Verhalten des Kranken
auf baut. Er kennt nur ein Gebiet, das ihn wirklich interessiert, er kennt nur
ein Thema, bei dessen Besprechung er mit ganzer Seele dabei ist, bei dessen Er¬
zählung er nicht müde wird, das die Bedürfnisse des Tages völlig zurücktreten
läßt: seine Rechtsstreitigkeiten. Diese intensive Hingabe an einen einzigen
Gedankenkreis, noch dazu von so überragender Bedeutung und lebhafter Affekt¬
betonung, dabei andererseits doch von enger Begrenzung muß im Laufe der
Jahre zu Eigentümlichkeiten führen, die den querulierenden Paranoiker aus
70
Die Krankheitserächeinungen.
seinem Wesen, vor allem aus dem Gebrauche der Äusdrucksmittel für seine
Vorstellungen, aus Sprache und Schrift, erkennen lassen. Schon rein äußerlich
zeigen die Kranken ein überlegenes, gemessenes, meist gewandtes Wesen, geben
viel auf ihr Äußeres und ihre Haltung. Sie sitzen über ihre umfangreichen Schrift¬
stücke gebeugt, sind häufig mit zahlreichen Gesetzbüchern beschäftigt, tragen
stets Aktenbündel mit sich herum, in die sie eifrig vertieft sind, Notizen machen.
Sie erscheinen im Verkehr zuerst lebhaft, schlagfertig, geben sich sichtlich Mühe,
jedem neuen Bekannten, vor allem auch dem Arzte zu imponieren. Sie sind
unermüdlich mit ihren Schreibereien, der Ausarbeitung ihrer Beschwerden, Ein¬
sprüche oder Klageschriften beschäftigt, verbrauchen eine Unmenge von Papier
und Tinte, deren Verweigerung zu den lebhaftesten Zomesausbrüchen führen
kann. Im Gespräch kommen sie meist in kürzester Zeit auf sich, ihre Lage, vor
allem auf ihre Rechtsstreitigkeiten. Unermüdlich, in nicht zu dämmendem Rede¬
fluß erklären sie haarklein auch dem fernstehenden Besucher den Verlauf ihrer
Prozesse, die Geschichte ihres Erbschaftsstreites, ihrer Pensionierung, sofern
die letztere wie häufig den Anlaß zur querulatorischen Paranoia gegeben hat,
ihre Ansprüche, die sich aus ihrer ungesetzlichen Behandlung ergeben haben,
meist durchsetzt mit ironisierenden Bemerkungen, beißendem Spott, daraus ab¬
geleiteten Lebensregeln. Die kleinsten, nebensächlichsten Einzelheiten werden
ausgekramt, Zeugenaussagen, die mit dem eigentlichen Thema gar keine Be¬
ziehungen aufweisen, wörtlich wiederholt, langatmige Beweisbeschlüsse, die Aus¬
führungen des Verteidigers, Sachverständigengutachten ausführlich erörtert.
Wo den Kranken sein anscheinend phänomenales Gedächtnis zu verlassen droht,
sucht er aus seinen umfangreichen Aktenbündeln, seiner Brieftasche die ent¬
sprechenden für ihn unersetzlichen Dokumente heraus, um aus ihnen und seinen
Abschriften die betreffenden Stellen vorzulesen, sucht er aus den Gesetzbüchern
die bezüglichen Paragraphen auf. Dabei kommt er vom Hundertsten ins Tau¬
sendste, verliert häufig den Faden, um so öfter, je mehr er sich in Affekt redet,
bringt mit der eigentlichen Rechtssache gar nicht oder nur lose in Zusammen¬
hang stehende Dinge vor, beachtet keine Unterbrechung, keine Zwischenfrage,
die ihn aus dem Konzept zu bringen droht, keinen Einwand, tut meist alles mit
dem Hinweis ab, daß das später noch komme, weiß auch nach stundenlanger
Besprechung kein Ende seiner Ausführungen zu finden. Dieselben Redewen¬
dungen, dieselben Beweisgründe werden oft wörtlich wiederholt, die Ausfüh¬
rungen weisen dadurch eine große Eintönigkeit auf; der Eindruck des Ein-
gelemten ist besonders in den späteren Stadien des Leidens unverkennbar. Da¬
bei beherrscht den Kranken das peinigende Gefühl, etwas vergessen zu haben;
immer wieder kommen sie, um an der Hand ihrer Aufzeichnungen noch etwas
besonders Wichtiges zu berichten. Die Ausdrucksweise ist weitschweifig, ge¬
künstelt, mit bombastischen Phrasen, Schlagworten, Zitaten, Sprichwörtern,
juristischen Ausdrücken reichlich durchsetzt. Die Redewendungen wieder¬
holen sich ständig; seine Gegner werden dauernd mit den gleichen Ehrentiteln,
denselben beleidigenden Ausdrücken belegt.
Eine noch größere Bedeutung als die Sprache hat die Schrift für den queru¬
lierenden Paranoiker. Ganze Aktenstöße, Berge von Papierfetzen werden mit
den schriftlichen Ausarbeitungen über seine Angelegenheiten gefüllt, jedes
Stückchen wird bekritzelt. Endlos, schließlich ohne rechten Zusammenhang
Die Paranoia querulatoria.
71
werden die Verdachtsgründe, die Beweismomente aneinander gereiht, durch¬
setzt mit Schmähungen gegen seine Gegner, den Gerichtshof, den Richterstand,
die Beamtenschaft, die Staatsordnung. Immer wieder kehren dieselben Aus¬
drücke, dieselben Floskeln, dieselben Unterstreichungen, dieselben Interpunk¬
tionszeichen. Die Schriftstücke wimmeln von Ausrufungszeichen, von Heraus¬
hebungen von Worten oder Sätzen durch lateinische Buchstaben oder Rund¬
schrift. Dichtgedrängt, mit winzigen Buchstaben werden die Seiten flüchtig
gefüllt, als ob die Fülle der Gedanken dem Kranken keine Zeit zu ruhiger Nieder¬
schrift ließe; auch der Inhalt bekundet meistens ein Überstürzen der Gedanken¬
gänge. Überall finden sich Verbesserungen, Zeichen, die auf nachträgliche Zu¬
sätze deuten, mit denen der freie Rand bekritzelt ist. Tagtäglich überreichen
derartige Kranke dem Arzte irgendeine 4—8 Seiten lange oder noch längere
Eingabe an die Anstaltsleitung, das Staatsministerium, den Herrscher, in der
sie in schwülstiger, weitschweifig^ Form ihre Anklagen, ihre Forderungen nieder¬
legen, oft am Schlüsse des Schreibens vergessen haben, weswegen sie es begannen.
Alle Schriftstücke werden durch Hinweise auf ihre Dringlichkeit („eilt sehr“,
„Gefahr im Verzüge“, „dringend“, ,,schleunigst“) gekennzeichnet.
Man hat den Eindruck, daß, besonders in den späteren Stadien der Er¬
krankung, der querulierende Paranoiker oft gar keine Antwort auf seine Schrift¬
stücke erwartet. Er erkundigt sich wohl gelegentlich, ob seine Eingabe auch
wirklich abgesandt, ob bereits eine Antwort darauf eingelaufen ist, beruhigt
sich aber bei entsprechender ausweichender Auskunft oder beschwert sich in
einem neuen Schriftsätze über die Zurückhaltung des vorhergehenden bzw.
seine langsame Erledigung. Auch diesen Kranken wird das Schreiben noch viel¬
mehr als den übrigen Paranoikern zum Zwecke an sich. Bei den querulierenden
Paranoikern findet sich auch häufiger als bei den übrigen Paranoiaformen die
Marotte, sich nur schriftlich zu äußern oder doch ihre mündlichen Auseinander¬
setzungen durch schriftliche zu unterstützen, sicherlich vor allem in der Absicht,
Auslassungen in ihren Beweisführungen zu vermeiden, und aus dem Grcfühl
der Unfähigkeit heraus, die tausenderlei Einzelheiten mündlich lückenlos zu
reproduzieren.
Abgesehen von dem ausgedehnten Gebrauche, den der querulierende Para¬
noiker von den Ausdrucksmitteln seiner krankhaften Vorstellungen macht,
gleicht sein Verhalten dem der übrigen Paranoiker. Wie schon oben beschrieben,
kennzeichnet sein Wollen und Handeln eine unkorrigierbare Verbohrtheit in
die eigenen Ansichten und die Unfähigkeit, andere, von den eigenen abweichende
Gedankengänge kritisch zu beurteilen oder auch nur dgn Versuch dazu zu machen.
Mit äußerster Konsequenz wird versucht, den eigenen Ansichten von Recht
und Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, jede Angelegenheit bis ins kleinste
auszufechten, jeden Rechtsstreit bis in die höchste Instanz zu verfolgen; es
ist ihm nicht möglich, sich bei einem sich mit seinen Ansichten nicht deckenden
Bescheide zu beruhigen, er queruliert auch nach Erschöpfung aller Rechts¬
mittel weiter, vermag nicht, aus seinem Vorstellungskreise derartige unfrucht¬
bare Vorstellungen zugunsten anderer wichtigerer zu verdrängen. Durch seine
Handlungsweise geht ein Zug von äußerstem krankhaftem Egoismus. Alle Mittel,
auch die unsittlichsten, sind in seiner Hand gut und erlaubt; die anständigsten
Mittel in der Hand des Gegners dienen zu rohen Vergewaltigungen seiner Person.
72
Die Krankheitserscheinungen.
Nicht immer bleibt der querulierende Paranoiker bei seinen immerhin noch
harmlosen Schreibereien, Beleidigungen, Drohungen und Anklagen stehen;
öffentliche Schmähimgen, tätliche Angriffe, die Mordwaffe stellen nicht selten
das letzte Mittel dar, durch das er seinen Rechtsbegriffen Geltung zu verschaffen
sucht. Nach seiner Verwahrung in der Irrenanstalt ist es meist der Kampf
gegen diese, ihm ungesetzlich erscheinende Internierung, dem ein großer Teil
seines Denkens und Wollens gilt, im Gegensätze zu den übrigen Paranoikern
mit Beeinträchtigungsideen, bei denen gegenüber den sonstigen Verfolgungen,
deren Vorstellungen mit ihren Konsequenzen zu der Anstaltsaufnahme geführt
haben, die Beeinträchtigung durch die Freiheitsbeschränkung selbst wenigstens
in der Regel zurücktritt; er nähert sich auch hierin dem Größenwahnsinnigen.
Einen gleichen, ebenso stark affektbetonten Anknüpfungspunkt bietet dem
Querulanten die Einleitung und Durchführung des Entmündigungsverfahrens,
ohne daß aber durch diese späteren Rechtsangelegenheiten die die Paranoia
querulatoria auslösende Streitsache völlig verdrängt wird. Bereits früh pflegt
der querulierende Paranoiker unfähig zu werden, für seinen Lebensunterhalt
zu ^rgen. Er vermag weder ein öffentliches Amt zu bekleiden noch einen pri¬
vaten Beruf auszuüben, da er in dem einen mit seinen krankhaften Rechts¬
anschauungen Anstoß erregt, zu privater Tätigkeit aber durch die Ablenkung,
die die Verfolgung seiner Rechtsstreitigkeiten bewirkt, unbrauchbar wird. Nie
kommt es jedoch zu einem untätigen Herumsitzen der Kranken, die meist sehr
beweglich mit der Ausarbeitung ihrer querulierenden Schriftsätze ihre Zeit voll¬
ständig auszufüllen vermögen.
Der Verlauf der querulatorischen Form der Paranoia ist im wesentlichen
ein langsamer, aber stetiger, ähnlich dem der kombinatorischen Verrücktheit
mit allmählicher Steigerung der Symptome der Quantität und Intensität nach.
Immer weitere Beamtenklassen werden in den Kreis der Gegner gezogen, immer
intensiver wird der Widerstand gegen die staatlichen Autoritäten, immer klarer
wird dem Kranken, daß ihm Unrecht geschehen ist und noch geschieht, auch,
warum es geschieht, immer verbohrter wird seine Ansicht von Recht und Ge¬
rechtigkeit. Immer weniger vermag der Kranke den Ansprüchen des Lebens zu
genügen, immer weniger außerhalb seiner Rechtsbegriffe liegenden Interessen
die nötige Beachtung zu schenken. Er vermag seinen Beruf nicht mehr zu ver¬
sehen, Ehe und Familie, Wohlstand und Ehre treten hinter dem seiner krank¬
haften Vorstellungstätigkeit entspringenden Zwange zum Querulieren zurück,
ohne daß die ethischen, besonders die altruistischen Begriffe gänzlich verloren
gehen, bis schließlich nach Erschöpfung der vorhandenen Rechtsmittel, nach
Durchlaufen aller Instanzen der Kranke zur Selbsthilfe greift, die ihn sicher
der Irrenanstalt zuführt, sofern er nicht bereits vorher dort Aufnahme und
Schutz gefunden hat.
So gleichmäßig der allgemeine Ablauf der Paranoia querulatoria ist, so
mannigfache Wellenbewegungen zeigt die Intensität der augenblicklich hervor¬
tretenden Erscheinungen. Jedes gemütserregende Moment bedingt bei diesen
äußerst affektlabilen Individuen eine Verstärkung der querulierenden Willens¬
strebungen. Vor allem die mit ihren Rechtsstreitigkeiten selbst in Verbindung
stehenden Dinge, gerichtliche Termine, Vernehmungen und Verurteilungen,
Abweisung von Eingaben, Zurückweisung von Schadenersatzforderungen, be-
Die Paranoia querulatoria.
73
sonders natürlich die Vollstreckung der Strafe schaffen Erregungszustände, in
denen neben vermehrtem Hervortreten der querulatorischen Handlungen, leb¬
hafteren mündlichen, reichlicheren schriftlichen Auslassungen, meist auch ver¬
mehrtem Auftreten von Erinnerungsfälschungen zahlreiche neue Beeinträchti¬
gungsideen sowohl auf rechtlichem wie auch auf ferner liegenden Gebieten ent¬
stehen, deren Verarbeitung ihrerseits zu vermehrter AHektspannung und Locke¬
rung der Haltung des Kranken führt, eine Vermehrung der Angriffe und Be¬
leidigungen gegen die alten, eine Hinzuziehung neuer Gegner, damit ein schnelleres
Fortschreiten des Krankheitsprozesses bedingt.
Während derartige leichtere Erregungszustände häufig eintreten, oft
dauernd vorhanden sind, sind stärkere Erregungen, wie sie besonders im Ver¬
laufe der Paranoia hallucinatoria geschildert wurden, seltener. Auch in dieser
Beziehung steht die Paranoia querulatoria der kombinatorischen Form dieser
Krankheit näher. In den seltenen höhergradigen Erregungszuständen kommt
es zu lebhaftem Hervortreten der querulatorischen Wahnideen neben anderen
Beeinträchtigungs- und Größenideen, deren lebhafte Affektbetonung wüste
Schimpfereien, Drohungen, Gewalttaten, kurz ein entschiedener aggressives
Verhalten der Kranken hervorruft, Schlaflosigkeit, mangelhafte Nahrungs¬
aufnahme, größere Sprunghaftigkeit, geringere Klarheit der schriftlichen und
besonders der mündlichen Auslassungen bedingt, bis nach kurzer Zeit, meist
nach wenigen Tagen, die frühere Ruhe wieder eintritt.
Die Paranoia querulatoria ist im ganzen eine seltene Krankheit. Der Satz
von ^/a% der Anstaltsaufnahmen, der von anderer Seite (Yennaropoulos)
angegeben ist, erscheint noch zu hoch gegriffen, sobald man gemäß der hier
vertretenen Ansicht eine scharfe Scheidung der paranoischen von den aus
andersartigen psychopathischen Zuständen entstandenen Querulanten vor¬
nimmt und zu den ersteren nur die Fälle rechnet, in denen Beeinträchtigungsideen
auf rechtlichem Gebiete, die eine querulatorische Tendenz in sich schließen,
auf dem Boden einer angeborenen psychopathischen (paranoischen) Konsti¬
tution im Anschlüsse an ein psychogenes Moment, meist einen Konflikt mit
einer gesetzlich anerkannten Behörde bzw. einen Rechtsstreit, oft ein tatsächlich
erlittenes, mehr weniger geringfügiges Unrecht entstehen, daneben auch andere
Beeinträchtigungs- sowie Selbstüberschätzungsvorstellungen auftauchen und
dieses unerschütterlich festgehaltene Wahnsystem unter Fortdauer der queru¬
lierenden Komponente mit äußerster Konsequenz bis zur Verbohrtheit aus¬
gebeutet wird, dabei Wollen und Handeln logisch, den Vorstellungen entsprechend
sind, die Affekte ansprechbar bleiben, die Intelligenz außer einer langsam zu¬
nehmenden Einschränkung der Urteilskraft gemäß der durch die Überwertigkeit
der Wahnideen bedingten, fortschreitenden Einengung des Gesichtskreises
normal bleibt. Von den Geschlechtern ist das männliche erheblich häufiger
von dieser Form der Paranoia betroffen. Kraepelin führt diesen Umstand
darauf zurück, daß die Männer mit ihrer verantwortlichen Lebensstellung und
ihrem stärkeren Selbständigkeitsgefühl wesentlich häufiger als die geschützteren
imd nachgiebigeren Frauen in die Lage zu Zusammenstößen auf rechtlichem Ge¬
biete kommen. Die Verschiedenheit der Erziehung der Geschlechter mit ihrer
grundverschiedenen Ausbildung des Persönlichkeitsbewußtseins, wie sie bis in
die Neuzeit Mode war, dürfte daneben von Einfluß sein. Auch die Paranoia
74
Der Kranklieitsaiiscanti.
querulatoria beginnt meist im späteren Alter. Vor dem 30. Lebensjahre sind
sichere Fälle dieser Krankheit extrem selten, auch bis zum 40. Jahre nichthäufig.
Die Zeit der Abnahme der Geisteskräfte, der Erstarrung des Charakters, des
Verlustes der Schmiegsamkeit der psychischen Persönlichkeit läßt den bereits
in der Veranlagung begründeten Mangel an Anpassungsfähigkeit und Unter¬
ordnung unter die bestehenden Rechtssätze intensiver hervortreten, verstärkt
andererseits die den zur querulatorischen Paranoia Veranlagten innewohnende
Tendenz zum Kampfe gegen jeden Zwang durch autoritative Bestimmungen
gemäß der im Alter eintretenden egozentrischen Einengung der Interessen und
Gefühlstöne. Beides gibt auch dem weiteren Verlaufe und dem Endzustands¬
bilde sein Gepräge.
Der Krankheitsaasgang.
Die Beschreibung der Unterformen der Paranoia lehrt bereits, daß d^en
Erscheinungen nach langjährigem Bestehen der Erkrankmig einander immer
ähnlicher werden. Die kombinatorische Wahnentwicklung läßt nach, die Trug-
wahmehmungen nehmen an Zahl und sinnlicher Lebhaftigkeit ab, querulierende
Züge treten, soweit sie nicht schon von Anfang an dem ICrankheitsbilde bei¬
gemischt waren, auch im Verlaufe kombinatorischer oder halluzinatorischer
Fälle auf, der Querulantenwahn hingegen geht häufig unter mehr minder deut¬
lichem Nachlaß der querulierenden Tendenzen in den Wahn mäßiger Selbst¬
überschätzung über. Bei allen Formen wird das alt eingewurzelte Wahnsystem
unverrückbar festgehalten, die Weiterbildung geht aber immer langsamer vor
sich, um in vielen Fällen endlich scheinbar zu sistieren, der Schmuck der den
Grundwahn umgebenden krankhaften Vorstellungen wird immer seltener und
eintöniger. Die Sinnestäuschungen lassen die frühere Buntheit vermissen; sie
belästigen noch den Kranken, ohne die überragende Bedeutung für ihn zu haben
wie in den früheren Krankheitsstadien. Der Kranke queruliert zwar noch, aber
auch hier läßt die Neuentwicklung von Vorstellungen nach; nur selten werden
neue Prozesse eingeleitet, werden neue Instanzen, die allerdings meist schon
sämtlich erschöpft sind, angerufen, nur die alten Streitigkeiten werden innerlich
verarbeitet und äußerlich weiter verfolgt.
Wann dieses Stadium der gleichmäßigen Pflege der fest wurzelnden Wahn¬
vorstellungen ohne bemerklichen Fortschritt im einzelnen Falle erreicht wird,
ist sehr verschieden; es dauert aber in der Regel Jahrzehnte, bis dieser Zustand
eintritt und der Krankheitsprozeß sich damit seinem Ausgange zuneigt. So
sehr jedoch die früher bis zum äußersten krankhaft erhöhte Vorstellungstätigkeit
nachläßt, nur in ganz seltenen Fällen hört sie anscheinend vollständig auf. Die
Kranken überraschen immer wieder durch einzelne neue wahnhafte Ideen oder
doch Veränderungen der alten, vor allem werden häufig auch noch in diesem
Stadium die Größenideen ausgebaut bzw. erst konzipiert. Immer wieder be¬
richten die Kranken auch von neuen krankhaften Sinneswahmehmimgen oder
suchen durch Erinnerungsfälschungen Bestätigimgen ihres Wahnsystems zu er¬
halten. Ansprechbar bleibt die Affektivität, dieser Maßstab für die Lebhaftigkeit
des psychischen Geschehens. Stets rege ist die Hoffnung auf Abwehr der Ver¬
folgungen, auf Erfüllung der krankhaften Größenvorstellungen, die Hoffnung,
durch die querulatorischen Handlungen doch noch das erstrebte Ziel, den ge-
Der Krankheitsausgang.
75
wünschten Entscheid zu erreichen. Daß dennoch eine Abnahme der Affekt¬
erregbarkeit stattgefunden hat, zeigt der Umstand, daß das Leiden in diesem Sta¬
dium viel gleichmäßiger und ruhiger verläuft, daß Affektstürme schwerer ausgelöst
werden, wenngleich sie nicht völlig schwinden, daß sie, einmal hervorgerufen,weit
geringere Intensität zeigen. Der Größenwahnsinnige geht überlegen lächelnd oder,
ohne ein Wort zu sagen, über die Nichtanerkennung seiner Rechte, seiner Stellung
hinweg, der Verfolgungswahnsinnige läßt Zweifel an der Richtigkeit seiner
krankhaften Vorstellungen oder Wahrnehmungen ohne Zornesausbruch hin¬
gehen, der Querulant hört gleichmütiger Einwände an, ohne allerdings ihren
Sinn zu erfassen. Dementsprechend nimmt auch der Kampfesmut des Para¬
noikers ab, die Angriffsfreudigkeit weicht der Duldermiene. Zermürbt durch
den steten Kampf mit seinen Gegnern, die ihm in jeder nur möglichen Weise
Schaden zugefügt haben und noch zuzufügen suchen, die ihn mit den raffinier¬
testen Mitteln peinigen, ihm Glück und Ehre geraubt, ihn um Vermögen und
Stellung gebracht haben, die ihm sogar sein Menschenrecht nehmen wollen,
die es erreicht haben, daß er trotz seiner hohen Abstammung, seiner hervor¬
ragenden Geisteskräfte, seiner hohen Berufung armselig im Irrenhause ein Leben
des Leidens beschließen muß, läßt der Paranoiker in der Stetigkeit, der Hart¬
näckigkeit seiner Handlungen nach, ohne indes von seiner Verbohrtheit zu
lassen, ohne die Hoffnung auf einen Umschwung in seiner Lage aufzugeben;
er läßt die Dinge gehen, wie sie eben gehen wollen, hofft auf einen Glückszufall,
der ihm zu seiner Zeit sein Recht bringen wird oder tut seinem Überlegenheits¬
bewußtsein in der Rolle des gepeinigten, verkannten Märtyrers, dem die ver¬
diente Anerkennung erst spät, vielleicht erst nach seinem Tode sicher zuteil
werden wird. Genüge. Irgendein Zweifel an der Richtigkeit seiner krankhaften
Ideen, der Realität seiner Trugwahrnehmungen läßt sich auch dann nicht auf¬
finden oder erwecken, nie besteht eine Andeutung wirklicher Krankheitsein¬
sicht. Nicht zu verwechseln ist mit der letzteren, daß die Kranken in manchen
Fällen auf Grund ihrer hypochondrischen Beschwerden zugeben, krank zu sein,
daß sie angeben, der Ärger, den ihnen der Kampf um ihre Größenvorstellungen,
die Aufregungen, die ihnen die Vertretung ihrer Rechtsansichten verursacht
habe, hätte sie nervenkrank gemacht oder dergleichen, Angaben, die Mercklin
wohl im Auge hat, wenn er von einer gewissen Krankheitseinsicht bei der Para¬
noia im Beginne und während akuter Exazerbationen der Erkrankung spricht.
Wenn der ICrankheitsprozeß auch in diesem Stadium erheblich gleich¬
mäßiger als in früheren Krankheitszeiten abläuft, so ist man doch nie sicher,
daß nicht auch noch nach längerer Zeit wieder lebhaftere Erscheinungen, ein
schubweises Fortschreiten eintritt. Zu jeder Zeit kann ein stärkeres Hervor¬
treten der Wahnideen, vor allem in den halluzinatorischen Fällen eine Vermehrung
und Verstärkung der Sinnestäuschungen stattfinden, die zu entsprechenden
Handlungen, zum mindesten zu stärkerem Querulieren gegen die Zurückhaltung
in der Irrenanstalt, die Entmündigung führt. Derartige Erregungszustände sind
nicht einmal in den selteneren Fällen sicher auszuschließen, in denen es nach
Jahrzehnten zu einer erheblichen Einförmigkeit der Erscheintmgen kommt.
Eintönig sind in diesen Fällen die Vorstellungen, die die Kranken, ohne ihr
System zu korrigieren, ohne auch nur einen Zweifel an seiner Realität zu hegen,
in alter Weise produzieren, eintönig sind die Sinnestäuschungen, deren sinnliche
76
Der Krankheitsausgang.
Lebhaftigkeit nachläßt, die die Kranken auch seltener belästigen; der Teufel,
der dem Kranken in früheren Zeiten drohte und die ärgsten Peinigungen ver¬
hieß, wird nur noch in der Ferne gehört, „als ob ein Hund ein bißchen bellt.“
Eintönig ist die Ausdrucksweise; in derselben Form, oft mit den gleichen Worten,
berichtet der Kranke Tag für Tag von seinen Wahnvorstellungen, in demselben
Klageton werden die Verfolgungen beschrieben, mit denselben Wendungen die
krankhaften Ideen zu beweisen gesucht. Es macht oft den Eindruck, als ob der
Kranke sich zu dem absoluten Bewußtsein durchgerungen hat, daß seine wahn¬
haften Vorstellungen unumstößlich richtig sind, so daß er sich nicht mehr die
Mühe zu geben braucht, darüber nachzudenken, daß jedes Wort zu ihrem Be¬
weise überflüssig ist. Den gleichen Mangel an Veränderung beweisen die schrift¬
lichen Auslassungen, die gelegentlich zum einfachen Abschreiben früherer Nieder¬
schriften werden; auch hier spiegelt sich das gleichförmige Bild einer auf der
Stelle tretenden Vorstellungstätigkeit wieder. Einförmig wird vor allem die
Handlungsweise. Von der Lebhaftigkeit der Affekte, die die Berührung der
überwertigen Vorstellungen in den früheren Stadien beim Paranoiker auslöst,
ist bei diesen langjährigen Kranken nichts mehr zu bemerken. Sie bringen ihre
Vorstellungen und Pläne nur noch auf Wunsch vor, verrichten sonst als fleißige
Arbeitstiere still ihre Tätigkeit, ohne das Symptom zu zeigen, das den Paranoiker
an sich kennzeichnet, den Mut und Willen zum Kampfe um seine Ideen.
Die Intelligenz zeigt bei den erstgenannten Endformen der Paranoia sicher
keine wesentliche Einbuße. Die Kranken sind in jeder Weise orientiert, Ge¬
dächtnis und Merkfähigkeit bleiben durchaus normal, was sowohl der Verkehr
mit den Kranken wie eine darauf gerichtete Prüfung einwandfrei feststellen lassen,
die ethischen Begriffe bleiben erhalten. Eine schwere Veränderung, die in den
Endstadien ihre höchste Entwicklung erreicht, zeigt schon im ganzen Verlaufe
der Erkrankung die Urteilskraft. Diese Störung wird hervorgerufen durch eine
fortschreitende Einschränkung der Interessensphäre im Sinne des den Kranken
beherrschenden Wahnes. Die stete Beschäftigung mit derart überwertigen Ideen,
wie sie die Wahnvorstellungen des Paranoikers darstellen, hindert die Verar¬
beitung aller oder doch nur eines großen Teiles der das Individuum treffenden
Sinneseindrücke, deren Aufnahme häufig noch an sich oder durch die Trugwahr¬
nehmungen gestört ist. Dieser Ausfall von das Denken, Fühlen und Wollen des
Geistesgesunden regulierenden Eindrücken und daraus ihre Anregung und Rich¬
tung erhaltenden normalen Vorstellungen muß einmal die Überwertigkeit der
wahnhaften Ideen steigern, andererseits aber auch das Individuum unfähiger
machen, sich über seine Umgebung, die ihn treffenden Eindrücke ein richtiges
Urteil zu bilden, soweit eine solche Urteilsbildung überhaupt statthat. Die
Einschränkung der Urteilskraft wird entsprechend der hohen Bedeutung, die
die Wahnvorstellungen des Paranoikers für seine Person haben, eine ausgesprochen
egozentrische sein, überall Beziehungen zur eigenen Person, vor allem zu den
eigenen wahnhaften Ideen schließen lassen, mithin in diesem Punkte eine Urteils¬
trübung, eine Unfähigkeit, mit den krankhaften Vorstellungen zusammen¬
hängende Tatsachen in ihrer Wertigkeit abzuschätzen, herbeiführen. Natur¬
gemäß gibt es nur verhältnismäßig wenige Dinge, die im Verlaufe der paranoischen
Erkrankung nicht mit dem Wahne in irgendeine Beziehung treten. Demgemäß
wird in den ersten Stadien der Paranoia die Urteilskraft eine relativ geringfügige
Der Krankheitsausgang.
77
Einbuße erleiden, mit der Ausbreitung der wahnhaften Vorstellungen stärker
eingeschränkt werden, in den Endstadien, in denen oft die ganze Umgebung
des Kranken in den Wahnkreis einbezogen ist, die schwersten Störungen zeigen.
Aber auch in diesen letzten Stadien tritt auf dem Wahne ferner liegenden Ge¬
bieten nie ein Versagen der Urteilskraft ein. Die Kranken vermögen in Dingen,
die ausgesprochene Beziehungen zu anderen Individuen haben, noch durchaus
zu sachgemäßer Prüfung und Abwägung fähig zu sein und selbst in Dingen, die
sie selbst imd ihren Wahn auf das engste berühren, kommt es nicht zu einem
Aufhören, einem gänzlichen Versagen der Urteilskraft an sich. Vom Standpunkte
seines Wahnes aus vermag der Paranoiker noch logisch zu urteilen und Schlüsse
zu ziehen. Er vermag nur nicht den Deduktionen Geistesgesunder in seinen
wahnhaften Angelegenheiten zu folgen, ebenso wenig wie wir es vermögen, von
unserem Standpunkte und unserer Auffassung der Dinge aus seine Urteile zu
verstehen. Die Welt, in der der Paranoiker lebt, sieht eben anders aus als die
des geistesgesunden Menschen, demgemäß sind auch seine Urteile anders. Es
ist also nicht ein Versagen der Urteilskraft schuld an den Falschurteilen des
Kranken, sondern ein Abirren seiner Urteile infolge der durch den Wahn be¬
wirkten Veränderung des Vorstellungsinhaltes, ebenso wie das Denken des Para¬
noikers nicht nachläßt und versagt, im Gregenteile zeitweise gegenüber der Lei¬
stungsfähigkeit in geistesgesunden Tagen eine wesentliche Steigerung erkennen
läßt, sondern nur in die durch den Wahn ausgefahrenen Geleise abgelenkt wird.
In den Fällen, in denen die beschriebene große Einförmigkeit alles psychi¬
schen Geschehens, der Vorstellungstätigkeit, des Denkens und Fühlens, des
Handelns eintritt, dürfte die Urteilsfähigkeit den höchsten Grad der Einschrän¬
kung aus dem Mangel an Aufnahmefähigkeit und Fähigkeit, die aufgenommenen
Eindrücke sinngemäß zu verarbeiten, erfahren haben, so daß der Paranoiker
sein System abschließt und nur ihm lebt, während er in den früheren Zeiten
stets eine Verbindung zwischen seinem Wahnsystem und der Außenwelt her¬
stellte oder doch nach Möglichkeit herzustellen versuchte, aus der er die ihn
treffenden Verfolgungen herleitete, in der er die Realisation seiner Größenideen
erhoffte.
Diese letzteren Fälle regen besonders zur Erörterung der Frage an, ob
es im Verlaufe der Paranoia immer oder doch in einzelnen Fällen zu einem Zu¬
stande kommt, den man als Schwachsinn bezeichnen kann bzw. ob der para¬
noische Krankheitsprozeß als solcher bereits einen Schwachsinnszustand dar¬
stellt ?
Die Frage ist von den verschiedenen Autoren in recht verschiedenem
Sinne beantwortet worden. Häufig, besonders bei den älteren Psychiatern mögen
daran die Unterschiede in der Begriffsumschreibung der Paranoia schuld sein,
auch die Verschiedenheit der Auffassung des Begriffes ,,Schwachsinn“ kann
die abweichenden Ansichten zum Teil erklären. So meinte Jung, der alle Ver¬
rückten himschwach oder himsiech nannte, zweifellos von den hier beschriebenen
ganz verschiedene psychische Erkrankungen, Flügge, der geistige Schwach¬
sinnszustände eigentümlicher Art als Ausgangspunkt der Paranoia ansah, be¬
schreibt anscheinend faselig verblödete Schizophreniefälle. Während West-
phal intellektuelle Schwäche, die er als Grundlage mancher Fälle von Paranoia
zugab, nicht als wesentliches Symptom der Krankheit anerkannte, v. Kr afft-
78
Der Krankheitsausgang.
Ebing einen Ausgang in Demenz abstritt, bezeicbnete Jastrowitz die von
ihm im Endstadium der Paranoia gefundene Intelligenzschwäche als Blödsinn,
als eine erworbene Geistesschwäche, bei welcher ein entstandener geistiger
Defekt durch einen qualitativ veränderten, fremdartigen Bestandteil ersetzt
wird, so daß dem inneren Wesen nach eine Inkongruenz mit dem übrigen Geistes-
rest entsteht. Sa Igo fand eine langsam ansteigende dauernde Verarmung des
Bewußtseinsinhaltes, einen Zustand, den er als Schwachsinn bezeichnen zu müssen
glaubte, als wesentlichen Bestandteil der Paranoia, über den auch die Erhaltung
der Denkform, die im übrigen auch gelegentlich gestört sei, nicht hinwegtäuschen
könne. Von einer „Vorstellungsschwäche“, besonders in den vorgeschritteneren
Stadien der Erkrankung, spricht Moeli, eine fortschreitende Schwäche auf dem
Gebiete des Wollens und Fühlens suchte Koch zu erweisen. Hitzig glaubte,
daß das Handeln der Paranoiker große Lücken in der Assoziationsbildung er¬
kennen lasse und daß im Terminalstadium eine wirkliche Demenz einträte.
Die derartigen Fällen beiwohnende Intelligenzstörung, die Kritiklosigkeit der
Kranken bedeutete ihm in klinischer Beziehung bestimmt, in anatomischer
Beziehung mit größter WahrscheinUchkeit ein dauerndes Ausfallssymptom: die
Ausschaltung einzelner oder vieler Hirnterritorien, von wenigen oder vielen
Leitungsbahnen, die darauf beruhende größere oder geringere Herabminderung
in der Zahl und Art der überhaupt möglichen Vorstellungen, mit einem Wort
einen mehr oder minder offenbaren Zustand geistiger Schwäche. Ziehen be-
zeichnete diesen Endzustand der Paranoia dagegen als Pseudodemenz. Neisser
konnte eine eigentliche Demenz ebenfalls nicht nachweisen, wenn er auch einen
psychischen Schwächezustand, dessen quantitative und qualitative Ausprägung
von der Symptomatologie und dem Verlaufe des Krankheitsprozesses sowie
von der individuellen Konstitution abhängig sei, oft, aber nicht immer als end¬
gültigen Ausgang der Paranoia sah. Während Sandberg an eine Intelligenz¬
schwäche des Paranoikers glaubt, nimmt Falkenberg an, daß man zur Er¬
klärung des Wahnes dieser Kranken der Annahme einer geistigen Schwäche
nicht bedürfe und denselben allein aus der Veränderung der Vorstellungen und
der damit zusammenhängenden Verfälschung des Urteils erklären könne. Für
den Querulantenwahn nahm Siemerling an, daß derselbe stets auf einem
geistigen Schwächezustande beruhe, Meschede widersprach dem; Koeppen
nahm eine vermittelnde Stellung ein, indem er abgesehen von den auf angeborener
geistiger Schwäche entstandenen Paranoiafällen der Ansicht ist, daß diese Er-
^ankung keine vollwertigen Menschen befalle, zuweilen auch törichte Wahn-
bildimgen hervorbringe, aus denen heraus man auf eine gewisse Intelligenz¬
schwäche schließen könne. Kraepelin sieht in der Existenz imd Unkorrigier-
barkeit der paranoischen Wahnideen an sich bereits einen Beweis psychischer
Schwäche; Kleist andererseits fand wohl, daß die mangelnde Produktivität des
Paranoikers gelegentlich den Eindruck von Demenz machen könne, da dadiuch
die Verstandesleistungen vermindert würden, daß aber ein Ausfall bestimmter
Leistungen sich nicht erweisen lasse, daß es nur zu einer Abartung der vorhandenen
komme. Auch Hübner beobachtete nie eine Demenz als Ausgang der Paranoia.
Unter Schwachsinn darf man nur den Ausfall von Leistungen auf einem
oder auf allen Gebieten unseres Intellektes verstehen, der entweder dadurch
hervorgerufen ist, daß Teile des Erfahrungsschatzes, mit denen er zu arbeiten
Der Krankheitsausgang.
79
gewohnt ist, verloren gehen (Gedächtnisschwäche), oder dadurch, daß er un¬
fähig wird, neue Erfahrungen anzusarameln (Merkfähigkeitsstörung), oder endlich
dadurch, daß er die Fäl^keit verliert, sie zu Schlüssen und Urteilen, demgemäß
zur Richtschnur für das Wollen und Handeln zu verwenden (Urteilsschwäche);
ferner muß ziun Bestehen einer Geistesschwäche gefordert werden, daß nicht
ein Ersatz für die eine verminderte intellektuelle Funktion durch eine andere
zustande kommt, die durch ihre Überwertigkeit die gesunde Entfaltung der
ersteren hindert und sie in die durch die falsch gewerteten Prämissen geschaffenen
Bahnen ablenkt. Nach der Beschreibung des die Paranoia charakterisierenden
Krankheitsverlaufes kann für uns kein Zweifel bestehen, daß ein solcher Defekt
auf keinem der verschiedenen Gebiete der menschlichen Intelligenz sich findet.
Auf den meisten Gebieten tritt uns beim Paranoiker in den frühen Stadien der
Erkrankung im Gegenteile eher eine gesteigerte Regsamkeit entgegen, in den
späteren dagegen findet eine Uberwucherung eines Teiles der psychischen Funk¬
tionen durch andere statt. Der Kranke sammelt eine Unzahl von Erfahrungen,
die allerdings mit denen Geistesgesunder nicht übereinstimmen, die er zum Teil
aus ganz anderen Sinneseindrücken schöpft, als sie dem Geistesgesunden zur
Verfügung stehen. Der Paranoiker behält ferner seinen Erfahrungsschatz un¬
geschmälert, derselbe erleidet nur in seiner Psyche eine Umwertung gegen früher
gemäß den krankhaften Vorstellungen; er bildet endlich aus seinen falsch ge¬
werteten Erfahrungen und Vorstellungen durchaus logisch folgerichtige Schlüsse,
nur daß dieselben, wie oben ausgeführt, entsprechend den wahnhaften Grund¬
lagen von denen geistesgesunder Individuen abweichen. Keine dieser Tätigkeiten
des Intellektes ist somit wirklich erheblich vermindert, manche derselben sicherlich
verstärkt; es handelt sich also nicht um einen Ausfall an Denktätigkeit, sondern
um eine Änderung ihrer Richtung, eine Ablenkung gemäß den beherrschenden
wahnhaften Eindrücken und Vorstellungen, Von einem Defekt ist nicht zu
sprechen, folglich auch nicht von einem Schwachsinn im gewöhnlichen, oben
definierten Sinne. Die Ersetzung des Ausdruckes Schwachsinn durch „Urteils-
schwäche“ gibt der krankhaften Seelentätigkeit des Paranoikers ebenfalls nicht
den richtigen Namen. Die Urteile an sich zeigen keine Schwäche; immer wieder
konnte in der Krankheitsbeschreibung die Logik des Paranoikers in seinen Ur¬
teilen, seinen Entschlüssen, seinen Handlungen betont werden. Formal sind
seine Urteile durchaus ähnlich oder gleich denen des geistesgesunden Menschen,
nur dadurch, daß die Vorstellungen wahnhaft, die Erfahrungen, mit denen der
Paranoiker arbeitet, falsch gewertet sind, kommt es zu einem Abgleiten der
Urteilsfähigkeit, die als solche keine sichtbare formale Störung zeigt. Dieselbe
Ablehnung gilt dem synonymen Begriffe der ,,Kritiklosigkeit“. Man hat auch
von „Vorstellimgsschwäche“ gesprochen, ein Ausdruck, der keinen präzisen
Begriff in sich schließt. „Schwach“ ist die wahnhafte Vorstellungstätigkeit des
Paranoikers keineswegs; im Gegenteil zeigt sie eine derartige Lebhaftigkeit und
Überwertigkeit, daß sie die denen des Geistesgesunden ähnlichen Vorstellungen
verdrängt und dadurch eine Korrektur ihrer selbst verhindert.
Unter der Einschränkung des ganzen Interessenkreises im Sinne des herr¬
schenden Wahnsystems, wie sie in den späteren Stadien der paranoischen Er¬
krankung sich fortschreitend findet, leidet naturgemäß die Sammlung neuer
Erfahrungen, die denen des geistesgesunden Individuums gleichen, erheblich.
80
Der Krankheitsausgang.
Eine Lücke dürfte aber dadurch nicht entstehen, da entsprechend der Abnahme
der allgemeinen Aufnahmefähigkeit für neue Erfahrungen eine immer stärkere
wahnhafte Vorstellungstätigkeit einsetzt. Als Schwachsinn dürfte aber immer
nur der unersetzte Ausfall von Verstandesleistungen zu betrachten sein, während
bei der Paranoia nur eine Einschränkung der großen Masse der Verstandes¬
leistungen zugunsten einer einzigen, auf dem Gebiete der Vorstellungstätigkeit
liegenden Leistung, die überwertig wird, stattfindet. Die Urteilsfähigkeit er¬
leidet auch in den späteren Stadien der Erkrankung nur eine naturgemäß immer
mehr ausgesprochene Einschränkung im oben angedeuteten Sinne. Es wäre
nun denkbar, daß in den Fällen, die sich im Endstadium durch die beschriebene
Einförmigkeit des ganzen psychischen Geschehens herausheben, diese Einschrän¬
kung aller psychischen Funktionen außer einer einzigen ihren höchsten Grad
erreichte, daß also auch hier kein unersetzter Ausfall der intellektuellen Tätig¬
keiten, sondern nur eine Verdrängung einzelner Gebiete durch ein einzige,
enorm überwertiges statthätte. Auch auf diese Fälle würde damit die Bezeichnung
„Schwachsinn“ nicht passen. Daß in einer Anzahl von Paranoiafällen wohl doch
eine tatsächliche Abnahme der intellektuellen Punktionen auf einer von dem
Krankheitsprozeß der Paranoia verschiedenen Basis eintritt, wird weiter imten
besprochen werden.
Es hat sich somit aus der Analysierung der psychischen Tätigkeit des
Paranoikers kein Anlaß ergeben, das Vorliegen oder Entstehen eines Schwach¬
sinnszustandes, erwachsen auf der Basis des Krankheitsprozesses an sich anzu¬
nehmen. In Übereinstimmung mit Kleist kann auch in einer mangelhaften
Produktivität in den späteren Stadien der Paranoia kein Zustand von Demenz
gesehen werden, sondern nur eine Abartung der psychischen Leistungen, deren
Einengung auf ein bestimmtes Gebiet.
Die Dauer der paranoischen Erkrankung ist, wie schon gelegentlich der
Besprechung der Paranoia combinatoria ausgeführt wurde, eine unbegrenzte.
Fälle, deren Ablauf 20, 30, ja 40 Jahre beobachtet wurde, sind nicht selten. Das
Leiden an sich verkürzt die Lebensdauer nicht, ebensowenig führt es an sich
zum Tode. Wie schon der Beschreibung des Krankheitsverlaufes zu entnehmen
ist, ist die Paranoia im Sinne der angegebenen Begriffsbestimmung als eine
unheilbare Erkrankung zu betrachten. Schon Schüle nannte die Paranoia
ein unheilbares, höchstens remittierendes Leiden, v. Krafft - Ebing und
Koch betonten die Seltenheit von Heilungen, die Kirchhoff nur für scheinbare
hielt. Auch Werner, Scholz, S nell bezeichneten den Ausgang der (chronischen)
Paranoia in Heilung als zum mindesten sehr selten, betonen aber zum Teil die
Häufigkeit von Besserungen und kurzen Remissionen. Zwar sind in der Literatur
Fälle von chronischer Verrücktheit mit dem Ausgange in Genesung beschrieben
worden, doch handelt es sich wohl in allen Fällen, wie z. B. in denen Kreusers
nicht mn einwandfreie Fälle von Paranoia im oben umgrenzten Sinne, sondern
meist um langgestreckte Degenerationspsychosen, manisch-depressive Wahn¬
bildungen usw. Auch die Fälle von Bartels und Freyberg sind nicht ein¬
wandfrei. Man kann deshalb mit Hübner feststellen, daß die Heilung eines
klassischen Falles von Paranoia noch nicht beobachtet wurde und muß eine
Unheilbarkeit der Erkrankung annehmen, wie es auch Kraepelin tut. Während
aber der Ablauf der Paranoia im wesentlichen ein progressiv dem Ende zu-
Der Krankheitsausgang.
81
eilender ist, kommen nicht allzu selten zeitweise Stillstände der Erkrankung oder
gar Remissionen der Krankheitsintensität vor. Es ist allerdings schwer, einen
derartigen wirklichen Nachlaß der Krankheitserscheinungen, vor aUem in den
Fällen kombinatorischer Paranoia von den Dissimulationsversuchen zu scheiden,
die diese Kranken zur Erreichung irgendeines Zweckes, der Aufhebung der
Entmündigung, der Wiedererlangung der Freiheit oder dergleichen unternehmen,
die sie besonders in den ersten Stadien des Leidens mit äußerster Gewandtheit
durchführen. Die Fälle kombinatorischer Verrücktheit pflegen wohl aus diesem
Grunde derartige Remissionen viel häufiger zu zeigen als die halluzinatorischen
Formen, bei denen Remissionen sehr selten sind. Stets pflegen diese Besserungen
nur von kurzer Dauer zu sein, die meist irgendein psychogenes Moment beschränkt.
Auf die Frage der milden und abortiv verlaufenden Wahnformen von paranoi¬
schem Gepräge ist zusammen mit der Frage nach einer akuten Paranoia unten
näher einzugehen.
Die Todesursachen der Paranoiker sind, wie schon gesagt, nicht in dem
Leiden selbst zu suchen, sondern in zufälligen Komplikationen, wie sie auch das
psychisch gesunde Individuum in dem Alter, in dem der größte Teil derartiger
Kranker stirbt, treffen, soweit nicht der aUgemeine senile Marasmus das Ende
herbeiführt. Schon während des Lebens weist nach eigenen Erfahrungen, denen
die Kleists und Bergers im wesentlichen entsprechen, ein großer Prozent¬
satz der paranoisch Erkrankten in den späteren Stadien des Leidens die Er¬
scheinungen komplizierender chronischer körperlicher Krankheiten auf. So
•werden Herzerkrankungen, sowohl solche des Herzmuskels wie Herzklappen¬
fehler nicht selten bei Paranoikern gefunden, ebenso chronische Nierenentzün¬
dungen; auch die Zuckerkrankheit kann eine Komplikation bilden. Vor allem
aber läßt sich in den meisten Fällen bereits während des Lebens eine Arterio¬
sklerose, die häufig recht erhebliche Grade erreicht, nachweisen, die zweifellos
in manchen Fällen -v^ieder für die Herzerschfeinungen, die Nierenerkrankungen
verantwortlich zu machen ist, ebenso wie sie die Grundlage für mannigfache
Erkrankungen der Sinnesorgane, vor allem in den Fällen halluzinatorischer
Paranoia abgibt; die otosklerotischen Prozesse, die keine Seltenheit bei Para¬
noikern sind, die Kataraktbildungen hängen jedenfalls meist mit den arterio¬
sklerotischen Veränderungen und ihren Folgeerscheinungen in anderen Organen
zusammen. Daß die überaus häufigen Residuen von Hirnblutungen bzw. throm-
bosen fast ausschließlich auf arteriosklerotischer Basis beruhen, ist selbstver¬
ständlich.
Dieser Häufigkeit der Vereinigung des paranoischen Sympt omenkomplexes
mit stärkerer Arteriosklerose sind wahrscheinlich diejenigen Endformen der
Paranoia schuld zu geben, bei denen sich eine so erhebliche Einschränkung des
psychischen Greschehens nachweisen läßt, daß ihre Erklärung nur aus der Über¬
wertigkeit der Vorstellungstätigkeit und der damit verbundenen Absperrung
der anderen intellektuellen Vorgänge eine gezwungene erscheint. Ein Teil der
in diesen Fällen nachweisbaren Symptome, so eine gewisse mehr minder große
Sprunghaftigkeit und Zusammenhangslosigkeit der zum Teil wirklichkeitsfremden
Wahnideen in diesen spätesten Stadien der Erkrankung, ein Teil der mangelnden
Produktivität, gelegentlich nachweisbare leichte Störungen der Merkfähigkeit,
die Verbindung von Denkerschwerung gemäß bestimmten Denkaufgaben mit
Krue er, Die Paranoia. 6
82
Der Krankheit^ausgang.
ideenflüchtiger Mehrleistung, auf die Kleist besonders hinweist, dürften der
die psychische Erkrankung komplizierenden Sklerose der Hirnarterien zur Last
zu legen sein. In diesen Fällen ist es berechtigt, von dem Bestehen eines Schwach-
ßinnszustandes zu sprechen, der aber, worauf bereits oben hingewiesen wurde,
nicht durch den paranoischen Krankheitsprozeß an sich, sondern als dessen
Komplikation durch die Arteriosklerose verursacht wd. Daß in ähnlicher
Weise die Erscheinungen der senilen Demenz komplizierend das Bild der Paranoia
in den Endstadien stören kann, ist bei dem Alter, in dem sich die Kranken häufig
befinden, ebenfalls erklärlich, doch scheint diese Komplikation in ausgesprochenem
Grade äußerst selten zu sein.
Von selteneren ^Komplikationen sei noch eine erwähnt, weil sie immerhin
einiges Interesse bietet und wiederholt beschrieben worden ist, nämlich die mit
Tabes dorsalis und progressiver Paralyse. Dem großen Teile derartiger Ver-
bindimgen beider Krankheiten gegenüber ist größte Skepsis am Platze, so in dem
Falle Richters, dessen Wahnideen phantastisch und unbestimmt waren, dessen
System recht verwaschene Grenzen zeigte, wo zu den Wahnideen bald die ersten
körperlichen Erscheinungen der Paralyse traten und etwa elf Jahre nach Beginn
der wahnbildenden Psychose unter apoplektiformen Anfällen der Exitus erfolgte.
Auch ein ähnlicher Fall Hougbergs, bei dem die Dementia paral^^ica nach
neunjährigem Bestehen einer mit Wahnbildung und Sinnestäuschungen einher¬
gehenden Erkrankung, die als Paranoia hallucinatoria angesprochen wurde,
diagnostiziert werden mußte, ist nicht einwandfrei. Der Fall Sommers, in
dem sich zu einer mehrere Jahre bestehenden wahnbildenden Psychose vom
Charakter der Paranoia eine Tabes und ii^ den letzten Lebensmonaten nach
mehrjährigem Bestehen dieser Verbindung auch paralytische Erscheinungen
hinzugesellten, ist schon eher für ein Nebeneinandervorkommen der genannten
Krankheiten zu verwerten. Als beweisend für die Komplikation der Paranoia
mit metasyphilitischen Erkrankungen sind vielleicht die nicht ganz seltenen
Fälle anzusehen, in denen eine Tabes allein die Wahnpsychose vom Charakter
der Paranoia begleitet oder eine paranoische Geistesstörung zu einer Tabes
dorsalis sich hinzugesellt, ohne daß bis zum Exitus ein paralytisches Symptom
sich zeigt. Ob in diesen Fällen die neuro- bzw. pyschopathische Konstitution
den Boden für die spezifische und die paranoische Erkrankung abgibt, sei da¬
hingestellt.
Der Tod erfolgt in den Fällen von Paranoia durch Versagen der meist
schon lange Zeit hindurch krankhaft veränderten Organe bzw. durch interkurrente
Krankheiten, wie sie auch dem geistesgesunden senilen Individuum gefährlich
werden. In einem Teile der Fälle macht die Hirnblutung oder ihre Folge dem
Leben des Paranoikers ein Ende, was durch die Häufigkeit arteriosklerotischer
Veränderungen bei diesen Kranken sich erklärt.
Der positiven Obduktionsbefunde, soweit sie anatomische Gehimver-
änderungen als die mutmaßliche Grundlage des paranoischen Krankheitsprozesses
aufweisen, sind nur sehr wenige. Außer in den Fällen Meynerts, der die Para¬
noia von einer Atrophie des Hirnstammes und des Kleinhirns abhängig machen
wollte, und Benedicts, der bestimmte Windungsanomalien des Gehirns mit
dem paranoischen Symptomenkomplex in ursächliche Verbindung brachte,
sind die Ergebnisse der makroskopischen wie mikroskopischen (z. B. Berger)
Der Krankheitsausgang.
83
Himimtersuchung bei dieser Erkrankung, die demgemäß zu den funktionellen
(Jeistesstörungen zu rechnen ist, negativ gewesen. Auch das Himgewicht in
Paranoia verstorbener Individuen bzw. sein Verhältnis zum Schädelrauminhalt
hält sich, wie eigene Untersuchungen ergaben, durchaus in den Grenzen der für
Geistesgesunde desselben Lebensalters gefundenen Größen. Die Ergebnisse der
Untersuchung mittels der Abderhalden sehen Methode waren, soweit solche
gemacht und veröffentlicht wurden, sämtlich negativ (z. B. Berger, Mayer).
Ein Fall von „akuter Paranoia“, in dem Gramer krankhafte Veränderungen
des Gehirnes fand, gehört nicht zur Verrücktheit im oben umgrenzten Sinne.
Allgemein wird deshalb die Ansicht ausgesprochen, daß spezielle anatomische
Veränderungen des Gehirns bei der Paranoia nicht bestehen. Abgesehen ist dabei
von einer Gruppe von Befunden, die fast immer erhoben werden können, den
Veränderungen arteriosklerotischer Natur. Starke Sklerose der Himgefäße,
Wandveränderungen bis zu den kleinsten Ästen, Erweichungsherde im Gehirn
oder doch die Residuen solcher, frische Hirnblutungen, die den Exitus herbei¬
führten, sind außerordentlich häufige anatomische Veränderungen, weit häufiger,
auch viel stärker und früher vorhanden, als sie bei anderen in psychischen Er¬
krankungen Verstorbenen oder gar bei Geistesgesunden sich finden. Anschließen
sich ihnen die mannigfachsten pathologischen Veränderungen in den übrigen
Körperorganen, die zum Teil ebenfalls arteriosklerotischen Ursprunges sind:
Herzmuskelentartung, Klappenfehler, starke periphere Arteriosklerose, Schrumpf¬
niere, Niereninfarkte usw.
Diese Erscheinungen sind so ausgesprochen, daß sie bereits von Seelert
zur Erklärung des paranoischen Krankheitsprozesses herangezogen worden sind.
Seelert schließt, daß im Hinblick auf die bei fast allen dieser Kranken in Er¬
scheinung tretenden zerebralen Symptome organischer Genese und unter Berück¬
sichtigung der bei vielen dieser Kranken nachgewiesenen abnormen psychischen
Konstitution mit Äußerungen auf affektivem Gebiete, sowie unter Berücksich¬
tigung der engen symptomatologischen Beziehungen zwischen dem Krankheits¬
bilde der Psychose und den abnormen Wesenszügen der endogenen Veranlagung
daran zu denken ist, daß die Symptomatologie dieser paranoiden Psychosen des
höheren Lebensalters eine endogen bedingte individuelle Reaktionsform auf
einen langsam verlaufenden zerebralen Prozeß darstellt, wobei er in erster Linie
an die Arteriosklerose denkt.
Es ist bereits an anderer Stelle auf die vielen gemeinsamen Züge hingewiesen
worden, die das Denken und Fühlen des Paranoikers mit dem des alternden Men¬
schen hat. Es wurde dort die Parallele gezogen zwischen der starken egozentri¬
schen Einengung des Interessenkreises und den daraus folgenden Veränderungen
der gesamten Persönlichkeit, wie sie sich im normalen Senium findet, und dem
gleichen Vorgänge in der Paranoia. Die Neigung zu Unbelehrbarkeit und Recht¬
haberei, die mangelnde Fähigkeit zur Korrektur einmal haftender Vorstellungen
durch neue Eindrücke, das Mißtrauen, das häufig durch die Abnahme der Funk¬
tionen der Sinnesorgane unterstützt wird, das Kleben an den alt erworbenen
Vorstellungskomplexen mit der damit zusammenhängenden Überschätzung
früherer Erfahrungen und vergangener Zeiten, kurz die langsam fortschreitende
allgemeine Erstarrung alles psychischen Geschehens, die die Unfähigkeit, neue
Eindrücke aufzunehmen, mit den alten zu verbinden und damit neue Erfah-
6 *
84
Der Krankheit^ausgang.
rungen dem Wissensschatze einzuverleiben, mit der Neigung zu dem Gefühl
der Ziuücksetzung, entsprungen aus einer gewissen Einsicht in die Abnahme
der psychischen Funktionen bei leicht gehobenem Selbstgefühl verbindet, gibt
dem alternden Individuum zu einer Zeit, wo bereits die psychische Lebendigkeit
nachläßt, die Stärke der Affekte abnimmt, das Gefühl des Schwdndens der kör¬
perlichen Kräfte den Menschen lähmt, Wesenszüge, die in ganz ähnlicher Form
dem Paranoiker noch auf der Höhe seiner intellektuellen Fähigkeiten und körper¬
lichen Kräfte, besonders im Vollbesitze der Ansprechbarkeit seiner Affektivität
eigen sind. Dem Festklammern an den alteingewurzelten Erfahrungen und
Vorstellungen des Seniums entspricht im Bilde der Paranoia die einseitige Ver¬
bohrtheit in die wahnhaften Ideen, die Neigung zum Gefühle der Ziuücksetzung
wird zum Verfolgungswahn, das Mißtrauen des Senilen führt beim Paranoiker
zu Beziehungsideen, die Rechthaberei wird zu Selbstüberschätzungsvorstellungen
und querulatorischen Tendenzen. Alle Erscheinungen entstehen in beiden Zu¬
ständen auf dem Boden einer starken Einschränkung des geistigen Horizontes,
die im egozentrischen Sinne vor sich geht.
Es scheint deshalb nicht, wie Kraepelin u. a. annehmen, ein krankhaftes
Verharren der Psyche auf der Stufe kindlicher Denkgewohnheiten, eine man¬
gelnde Reifung der geistigen Persönlichkeit, mit anderen Worten eine psychische
Mißbildung, die unter dem Einflüsse der Lebensreize bestimmte Umwandlungen
erfährt, dem paranoischen Eirankheitsprozeß zugrunde zu liegen, sondern im
Gegenteil ist die Paranoia als eine frühzeitige oder doch übermäßig stark ent¬
wickelte Alterserscheinung anzusehen, die der vorzeitige Aufbruch der Lebens¬
kräfte, die mangelhafte Regenerationsfahigkeit des Organismus zustande bringt.
Diese vorzeitige Abnutzung wieder ist nicht die Folge gesteigerter Lebensvor¬
gänge, wie sie wohl zum Teil für die pathologisch starke Ausprägung der senilen
psychischen wie körperlichen Erscheinungen verantwortlich gemacht werden
kann, sondern eine Folge der mangelhaften Anlage des Organes unserer Psyche,
wie sie bereits in jungen Jahren in der psychopathischen, speziell paranoischen
Konstitution sich kundgibt, die schon unter dem Einfluß normaler psychischer
Insulte, die der Kampf ums Dasein mit sich bringt, je nach der Stärke der i)sycho-
pathischen Veranlagung früher oder später eintreten kann. Eine solche Ab¬
nutzung ist bei diesen Individuen aber nicht nur auf dem Gebiete der psychischen
Funktionen, deren Sitz man in der Hirnrinde zu vermuten berechtigt ist, zu
konstatieren, sondern auf dem Gebiete aller oder der Mehrzahl der Körperorgane
deutlich, vor allem auch an den Gefäßen, deren sklerotische Veränderungen
wdeder aus einer kongenitalen mangelhaften Anlage des ganzen Systems zu er¬
klären ist, so daß die häufige, oft prämature Arteriosklerose und die paranoische
Erkrankung als einander parallel verlaufende Äußerungen der gleichen
angeborenen Mangelhaftigkeit der Anlage zu betrachten sind, nicht etwa die Arterio¬
sklerose die Grundlage für die Paranoia abgibt, wofür auch die Unterschiede, die das
psychische Bjankheitsbild, wie es reinen arteriosklerotischen Hirnveränderungen
entspricht, von der Paranoia aufweist, sprechen. Daß andererseits die heftigen Ge¬
mütsschwankungen, die den Verlauf der Paranoia kennzeichnen, ihrerseits ein ur¬
sächliches Moment für die Entstehung der Atherosklerose mit abgeben, ist nach
unserer Kenntnis von der Abhängigkeit stärkerer Gefäßdruckschwankungen von
psychischen Prozessen wohl möglich, genügt aber allein nicht zu ihrer Erklärung.
Die Behandlung.
85
Die Paranoia in der hier angenommenen Umgrenzung ist demnach als
eine prämature Alterserscheinung zu betrachten, entstanden durch eine mangel¬
hafte Fähigkeit des Organismus, den durch die gewöhnlichen Lebensvorgänge
entstandenen Aufbruch an Gehirnsubstanz durch regenerative Prozesse auszu¬
gleichen, die ihrerseits wieder auf einer angeborenen fehlerhaften Anlage des
Zentralnervensystems (wie sämtlicher Körperorgane), die eine geringere Wider¬
standskraft im Kampfe ums Dasein mit sich bringt, beruht.
Die Behandlung.
Die ausgebildete Paranoia muß, wie bereits oben gesagt, als ein unheil¬
bares Leiden betrachtet werden. Gemäß der angenommenen Ätiologie und der
Art des Krankheitsprozesses kann von einer medikamentösen usw. Behandlung
nichts erwartet werden. Neben der symptomatischen Behandlung und der Frage
nach der Zweckmäßigkeit der Unterbringung in einer offenen oder geschlossenen
Pflegeanstalt ist an dieser Stelle vor allem die Möglichkeit vorbeugender Ma߬
nahmen ins Auge zu fassen.
Die Forderungen einer Hygiene des Nervensystems können sich natur¬
gemäß nur auf Maßregeln erstrecken, die einmal eine psychische Abhärtung,
eine langsame Vorbereitung und Gewöhnung an die Einbrüche, die unserer
Psyche im Lebenskämpfe drohen, erstreben, andererseits eine Schonung der
psychischen Leistungsfähigkeit zum Zwecke haben. Für beide Punkte, besonders
den ersteren ist die Jugend des Individuums, die Lehrzeit im weitesten Sinne,
vor allem bereits die Kindheit, in der es noch im Schutze und unter der Aufsicht
des Elternhauses steht, am geeignetsten, in ihr muß es an das Gemeinschafts¬
leben, das später von ihm gefordert wird, gewöhnt, muß seinem Denken eine
Richtung gegeben werden, die ihm die Einfügung in das Getriebe des staatlichen
Gemeinwesens ermöglicht, muß es lernen, asoziale bzw. antisoziale Eigenschaften
zu unterdrücken und sich den sittlichen Anschauungen seiner Umgebung anzu-
passen. Die Wege, die dem Erzieher zur Erreichung dieses Endzweckes zur
Verfügung stehen, die Möglichkeiten, die Psyche des Kindes und Jugendlichen
zu stählen, decken sich mit den Lehren der psychischen Hygiene für die Erziehung
psychopathischer bzw. neuropathischer Individuen überhaupt, wie sie von be¬
rufenerer Seite aufgestellt wurden. Als für die Unterdrückung und Eindämmung
der paranoischen Konstitution an sich wichtig seien aber doch einige (Sesichts-
punkte im folgenden besonders hervorgehoben.
Der erste Punkt betrifft die Notwendigkeit, schon das Kind von der eigenen
Person abzulenken. Die egozentrische Einengung der Interessensphäre 'fanden
wir als vor allem die paranoische Konstitution kennzeichnend, ihre krankhafte
Ausbildung besonders die Erscheinungen der Paranoia als solcher vermittelnd.
Dieses Hervortreten des eigenen Ich unter teilweiser Verdrängung altruistischer
Gedankengänge ist nicht nur bei den hochmütigen, herrischen Naturen, den
empfindlichen, leicht verletzten, mißtrauischen, den grüblerischen, frömmelnden,
ebenso den verschlossenen, einsamen Menschen grundlegend, sondern es bildet
sich auch bei den schüchternen, bescheidenen Individuen heraus, bei denen der
Hang zur Träumerei und zum ungezügelten Walten der Phantasie der Beschäfti¬
gung mit dem eigenen Ich Vorschub leistet. (Jerade diese letzteren Wesenszüge
sind zweifellos vielen derartigen Individuen äußerst verderblich; sie müssen in
86
Die Behandlung.
späterer Zeit zu Konflikten mit der Umgebung, zu unangenehmen Lebenslagen
führen, sobald die soziale Position dem Individuum nicht eine dauernde Be¬
schäftigung nach seinem Sinne ohne den Zwang, für den eigenen Lebensunter¬
halt zu sorgen, gestattet. Die Bevorzugung einer egozentrische Gedankengänge
fördernden Beschäftigung, von Spielen, die die eigene Person zum Mittelpunkte
des Denkens und auch des äußeren ICreises machen, die zum Teil ja als physio¬
logischer Bestandteil der psychischen Leistungen des Kindes anzunehmen ist,
muß demnach mit allen Mitteln hintangehalten werden. Dazu gehört nicht zum
wenigsten, daß dem Kinde ausreichende Gelegenheit geboten wird, sich durch
den Verkehr mit Altersgenossen andere, von den eigenen abweichende Denk¬
richtungen zugänglich zu machen, daß unter Umständen auch durch Anwendung
eines gewissen Zwanges die dauernde Beschäftigung, das dauernde Spiel nur
mit sich selbst verhindert wird. Das Band, das mit Altersgenossen herumtollt,
sich auch einmal an weniger passende Elemente anschließt, hat viel mehr Gelegen¬
heit, sich für das Gemeinschaftsleben, das seiner wartet, vorzubereiten, ihm wird
die Anpassung an andere, oft unter Hintansetzung der eigenen Wünsche und
Strebungen, wesentlich erleichtert, es wird weniger egoistisch denken lernen,
ohne daß es darum seine Individualität gänzlich zu verlieren braucht. Vor allem
aber werden soviel Eindrücke aus den verschiedenen Gebieten, auch unange¬
nehmer Art auf sein Gemüt einstürmen, daß es zu einem träumerischen Sichein¬
spinnen in die eigenen Lieblingsgedanken, in die Produkte der eigenen Phantasie
nicht kommt, und, wenn ihm auch das Gefühl, das den Menschen zu seinesgleichen
treibt, nicht eingeimpft werden kann, so wird es doch die Sperrungen, die es
dem ihm innewohnenden dunklen Drange nach Geselligkeit entgegensetzt, über¬
winden, das Gemeinschaftsleben als ein unvermeidliches Übel betrachten und
ertragen lernen. Falsch ist es sicher, vom Kinde, vor allem auch vom Psycho¬
pathen alle peinlichen und unangenehmen Eindrücke femzuhalten, womit
immer eine Einseitigkeit des Urteils gezüchtet wird, die wieder einseitige Vor¬
stellungen von Gut und Böse, von der Umwelt hervorruft; durch die nach und
nach gesammelten Erfahrungen auch unangenehmerer Art in der Kindheit ab¬
gehärtet, werden die Individuen befähigt, die Summe der im späteren Leben
sicher eintretenden Konflikte mit der Umgebung zu verarbeiten und nicht da¬
durch erschreckt und verbittert in paranoische Denkrichtungen flüchten.
Die gleichen Gesichtspunkte haben natürlich in noch verstärktem Maße
für die spätere Kindheit, die Lernzeit, Geltung, für die Zeit, in der die ersten
Stürme des Lebens das der dauernden Obhut der Eltern entwachsende Indivi¬
duum treffen, in denen es gezwungen ist, mehr und mehr auf eigenen Füßen
zu stehen. Zugleich gibt während dieses Lebensabschnittes die Schule Gelegen¬
heit zu einseitiger Gedankenkonzentration, vor allem in einer Zeit, wo die Gefahr
besteht, daß halb- oder mißverstandene Begriffe auf die Denkvorgänge des
jugendlichen Psychopathen einen über Gebühr großen Einfluß gewinnen. Die
Ablenkung von zu intensiver Beschäftigung mit einem bestimmten Fache, aus
dem später das paranoische Lieblingsstudium, die paranoische Sammelwut
entsteht, aus dem die paranoischen Größenideen genommen werden, ist dringend er¬
forderlich, wobei ein Einblick auch in ferner liegende Gebiete menschlicher Tätigkeit,
Handwerke, Künste und dergleichen ein geeignetes Ablenkungsmittel und damit
einen Schutz gegen alle Einseitigkeit, die derartigen Individuen schadet, darstellt.
Die Behandlung.
87
Zu den wichtigsten Aufgaben der psychischen Hygiene gehört bei diesen
paranoischen Konstitutionen ferner die bereits frühzeitige Beeinflussung der
Affektivität, entsprechend der hohen Bedeutung, die der Gefühlsbetonung in
der Paranoia zuerkannt werden mußte. Ein mildernder Einfluß auf die Affekt¬
ausbrüche des Blindes in Güte oder auch mit Strenge am rechten Orte, die Er¬
ziehung zur Selbstbeherrschung, ohne dabei die affektive Spannung ganz zu unter¬
drücken, vor allem die Verminderung der affektiven Komponenten, soweit sie
mit dem eigenen Ich in Verbindung stehen, ist als das erstrebenswerte Ziel zu
betrachten. Auch hierbei hat die Erziehung schon in der frühesten Kindheit
zu beginnen, auch hier wird der Verkehr mit Altersgenossen vor allem mildernden
Einfluß ausüben, werden auch die das Individuum treffenden unangenehmen
Erfahrungen besonders wohltätig einwirken. Anzuschließen ist der Einwirkung
auf die Affektivität die Erziehung zur Selbständigkeit, mit der ein erhebliches
Maß von affektiver Gleichmäßigkeit notwendig verbunden ist.
Von größter Bedeutung ist für den Psychopathen überhaupt, die para¬
noischen Konstitutionen im besonderen schon in jungen Jahren die Regelung
der Lektüre. Alles, was geeignet ist, einmal Affektstürme im Kinde zu erregen,
andererseits die an sich lebhafte Einbildungskraft zu verstärken, zu Träumereien
und phantastischen Gedankengängen zu führen, endlich jede einseitige Lektüre
ist für derartige Individuen ungeeignet. Die Auswahl, die unsere Jugendschriften
bieten, ist eine so reichhaltige, daß es Eltern und Erziehern ein leichtes ist, gerade
das für das spezielle kindliche Gemüt Passende herauszufinden. Dieses Passende
liegt aber häufig nicht in dem, was das Kind sich wünscht, wonach es strebt;
eine einseitige Lektüre, wie sie derartige Kinder erstreben, kann nur berufen
sein, der angeborenen einseitigen Denkrichtung Stoff zu neuen Gedankengängen
zu geben und damit die Anlage zu verstärken. Das gilt sowohl von den auf
Märchenerzählungen, später auf Räuber- und Indianergeschichten erpichten
Kindern, wie den einseitig andere Gebiete unserer Literatur verschlingenden
Individuen. Hier sollte die Erziehung eingreifen, nicht blind den Wünschen
des Kindes folgen, sondern in verständiger Auswahl aus dem reichen Materiale
richtunggebend in den Geschmack des Kindes eingreifen, vor allem durch eine
größere Mannigfaltigkeit und größeren Wechsel der Art der Lektüre, die die
Geschichte und die verschiedenen Gebiete der Naturwissenschaft bereits früh
in den Gesichtskreis des Kindes einzuführen hat, der Einseitigkeit der Neigimgen
und Geschmacksrichtung Vorbeugen und so verhindern, daß gewisse Gebiete
im Vorstellungsleben, die durch die Anlage bereits zur Überwertigkeit neigen,
dauernd neue Nahrung erhalten, damit weiter ausgebildet und mit besonders
starken Affekten versehen werden. Daß dem Anschauungsunterricht mit seiner
lebhaften Anregung zur Sammlung der verschiedenartigsten Erfahrungen ein
hervorragender Platz im Unterrichte derartiger Individuen gebührt, ist leicht
erklärlich.
Die Erziehung solcher psychopathischen Kinder hat demnach im wesent¬
lichen eine ausgleichende Wirkung auszuüben, den in der Anlage begründeten
Strebungen andere entgegenzusetzen, die jene mildern und unschädlich machen.
Die größte Gefahr, der Paranoia zuzutreiben, liegt aber in der Zeit nach der
Kindheit, wo die Individuen in die Lage kommen, auf eigenen Füßen stehen,
ihren Lebensunterhalt erwerben, den Daseinskampf führen zu müssen. Für diese
88
Die Behandlung.
Zeit wird man ihnen in vielen Fällen noch einen Halt durch die Wahl eines ge¬
eigneten Berufes mitgeben können. Auch hierfür gelten die gleichen Gesichts¬
punkte, wie sie als für die Erziehung des Kindes maßgebend erörtert wurden.
Jeder Beruf, der die Neigung zur Einseitigkeit, zu grüblerischer Beschäftigung,
zur Anspannung des gesamten Denkvermögens in einer einzigen Richtung in
sich trägt, ist für diese Individuen unangebracht. Dahin gehört jede Tätigkeit,
die nicht ausgesprochen praktische Tendenzen verfolgt, in gewissem Grade
schon das Studium, mehr noch die gelehrten Berufe, rein wissenschaftliche Be¬
schäftigung, die zudem den Hang zur Einsamkeit mancher paranoischer Psycho¬
pathen unterstützt. Berufe, die das Individuum in einem dauernden Verkehr
mit der Mitwelt erhalten, dabei keine allzu große Verantwortlichkeit in sich
bergen, dürften die geeignetsten sein; vor allem kommen dabei die praktischen
Berufe in Frage. Andererseits ist die Anleitung zu einer regelmäßigen beruflichen
Beschäftigung mit einem bestimmten Kreise von Pflichten von größtem Nutzen,
wichtig auch für den weiblichen Teil derartiger Psychopathen, die, ungeeignet
zur Ehe, besonders in den besseren Ständen schon aus Mangel an der Ablenkung,
die die Berufsarbeit gewährt, zum grüblerischen Nachdenken über ihre Lage
und zum paranoischen Ausspinnen ihrer Verhältnisse kommen. Hierin, im Verein
mit der früheren eigenartigen Erziehungsform der weiblichen Jugend, die die
Unselbständigkeit direkt großzog, und in dem Falle, daß das Ziel dieser Erziehung,
die Ehe, derartigen Individuen versagt blieb, sie unbefriedigt, verbittert durch
das Mißgeschick der Ehelosigkeit einem altjüngferlichen, zimperlichen Wesen
mit Neigung zu Beziehungsideen und wirklichkeitsfremden Träumereien über¬
lieferte, ist auch der Grimd für das starke Überwiegen des Ledigenstandes unter
den weiblichen Paranoikern zu suchen.
Die Wahl des Berufes regt zur Besprechung der Forderung möglichster
psychischer Schonung derartiger Individuen an. Es ist für sie viel besser, wenn
ihr Wissen und Können mehr an der Oberfläche bleibt, die Intensität der Be¬
schäftigung mit den einzelnen Disziplinen nicht zu hohe Grade erreicht. Da¬
neben ist jede geistige Überanstrengung ebenso wie jede gemütliche Erschütterung
von Nachteil, da gemäß der gegebenen Theorie des Krankheitsprozesses als
vorzeitiger Alterserscheinung dem allzu raschen Auf brauch der psychischen
Kräfte nach Möglichkeit vorgebeugt werden muß.
Mit den skizzierten psychischen Vorbeugungsmaßregeln ist sicher nicht
in allen Fällen das Entstehen der paranoischen Erkrankung zu verhindern,
aber es ist doch anzunehmen, daß mit einer sachgemäßen Erziehung der großen
Masse unserer psychopathischen Kinder auch die ausgebildete Paranoia seltener
wird; es dürfte häufig doch gelingen, der paranoischen Konstitution soviel von
ihrer Eigenart zu nehmen, den Haushalt der psychischen Kräfte derart zu regeln,
daß das Individuum sich zum mindesten sein ganzes Leben hindurch auf einer
erträglichen Stufe paranoischer Eigenheiten hält, die ihm erlaubt, noch ein brauch¬
bares Glied der menschlichen Gesellschaft abzugeben.
Einer symptomatologischen Behandlung bedürfen im Krankheitsverlaufe
der Paranoia im wesentlichen nur die interkurrenten Erregungszustände. Meist
wird es gelingen, durch Bettruhe und größere Dosen Brom, die sich außerordent¬
lich zu bewähren pflegen, diese Zustände abzukürzen bzw. ihnen vorzubeugen.
Von den Brompräparaten hat das Sedobrol neben der prompten Bromwirkung
Die Behandlung.
89
den Vorzug, daß es dem Eiranken beigebracht werden kann, ohne daß durch den
Widerstand gegen das Einnehmen einer Medizin, die meistens mit der Begründung
der völligen Gesundheit abgelehnt wird, die Erregung hoch verstärkt wird,
bzw. zu den schon vorhandenen Beeinträchtigungsideen noch solche der Ver¬
giftung kommen, soweit nicht die schon bestehenden Vergiftungsvorstellungen
vermehrt werden. In den höhergradigen Erregungszuständen muß man Veronal
oder ein ähnliches Mittel geben, daneben Strenge Bettruhe, wenn möglich im
Einzelzimmer, die namentlich bei halluzinierenden Kranken durch den Mangel
äußerer Sinneseindrücke sehr günstig wirkt, anordnen. Auf die Bestrebungen
der Psychanalytiker, die Paranoia durch psychische Beeinflussung, durch die
Überredungskunst zu heilen, braucht unter Hinweis auf frühere Ausführungen
nicht eingegangen zu werden.
Nur in einem Teile der Paranoiafälle ist die Behandlung und Pflege in einer
Irrenanstalt notwendig. Ganz allgemein muß gesagt werden, daß die Unterbrin¬
gung in der geschlossenen Anstalt und die Zurückhaltung in ihr auf den Paranoiker
durchaus ungünstig einwirkt. Er erhält durch die Tatsache der Anstaltsinter¬
nierung selbst in den allermeisten Fällen den Grund zur Ausbildung neuer Be¬
einträchtigungsideen, die gemäß der einschneidenden Wirkung, die die Anstalts¬
aufnahme mit ihren gesetzlichen Folgen, vor allem der großen Beschränkung
des Selbstbestimmungsrechtes, die diesen Kranken völlig klar sind, bedeutet,
meist lebhafte Erregungszustände hervorrufen bzw. die Erregung, derentwegen
die Internierung erfolgen mußte, noch zu verstärken pflegen. Aber auch später
wirkt der Anstaltsaufenthalt absolut schädlich auf derartige Individuen ein;
es ist unvermeidlich, daß sie mit ihren Verfolgungs-, besonders aber mit ihren
Größenideen ihrer Umgebung lästig fallen, bei ihr Anstoß erregen oder ihren
Spott herausfordern, daß daraus mannigfache Konflikte resultieren, die geeignet
sind, das an sich schon stets sehr labile Gleichgewicht der Kranken zu stören.
Daß der notgedrungen enge Verkehr mit einer größeren Anzahl von Menschen
ebenfalls schädlich auf den Paranoiker einwirkt, ist verständlich. Die Beruhigung,
die der nivellierende Einfluß des gleichmäßigen Gretriebes einer Pflegeanstalt
auf die Kranken ausüben kann, vermag den Grund zu dauernder Erregung, der
in der wider den Willen des Individuums erfolgenden Zurückhaltung in ihr,
die wahnhaft ausgebeutet wird, liegt, nicht aufzuwiegen. Derartige Kranke stellen
deshalb meist die schwierigsten Elemente unserer Anstalten dar mit ihrem dauern¬
den Querulieren, ihrer Neigung zum Hetzen, ihren raffinierten Ausbruchsversuchen.
Die Anstaltsaufnahme wird je nach der Art des Wahnes früher oder später
in Frage gezogen werden müssen. Je nach dem Hervortreten, der Lebhaftigkeit
Tind der Affektstärke der Beeinträchtigungsvorstellungen wird das Individuum
kürzere oder längere Zeit sich in der Freiheit zu halten vermögen. Auch die
Wahnrichtung und -form ist oft ausschlaggebend. Der eifersuchtswahnsinnige
Ehegatte wird für seine Familie viel eher unerträglich werden als die allein¬
stehende Paranoikerin mit allgemeinen Verfolgungsideen für ihre Umgebung;
der Größenwahnsinnige wird im allgemeinen viel länger in der Freiheit zu er¬
tragen sein als der angriffsfreudige Verfolgungswahnsinnige, der persöcute
pera6cuteur Magnans. Der Querulant endlich wird mit seiner oft gegen die
Staatsgesetze und die staatliche Ordnung verstoßenden Handlungsweise weit
eher der polizeilichen Einweisung in die geschlossene Anstalt anheimfallen als
90
Die Behandlung.
der harmlose Verfolgungs- oder Größenwahnsinnige ohne querulierende Ten¬
denzen. Es ist deshalb in hohem Grade von der Art und Richtung des Wahnes
abhängig, ob sich das paranoische Individuum dauernd in der Freiheit zu halten
vermag, ob erst nach jahrelangem Fortschreiten der Erkrankung die Einweisung
in die Anstalt notwendig wird, ob endlich dieselbe bereits nach kurzem Bestehe
des Wahnes erfolgen muß. Ein weiteres Moment, das die Frage nach der Not¬
wendigkeit der Anstaltsinternierung oft entscheidet, ist die soziale Lage des
Kranken. Individuen, die gezwungen sind, sich trotz ihrer paranoischen Er¬
krankung ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, werden mit der Unfähigkeit
dazu, die ihrerseits wieder eine Summe von Wahnideen zu bedingen vermag,
der Armenpflege imd damit der Irrenanstalt verfallen, während andererseits
Individuen mit derselben Wahnform in entsprechender Vermögenslage, soweit
durch einsichtige Verwandte oder Pfleger die nötige Aufsicht und Sorge für sie
ausgeübt wird, bis an ihr Lebensende in der Freiheit *bzw. im offenen Sanatorium
gehalten werden können. Endlich wird die Notwendigkeit des Anstaltsaufent¬
haltes in etwa abhängig sein von dem Verlaufe der Erkrankung, besonders von
dem Auftreten oder Ausbleiben stärkerer Erregungszustände oder doch der
Häufigkeit derselben. Die größere Lebhaftigkeit, mit der die Wahnvorstellungen
sich in diesen interkurrenten Zuständen in den Vordergrund drängen, vor allem
die Neigung zu Affekthandlungen in ihnen, die bis zur Gewalttat gehen können,
geben in den meisten Fällen den letzten Anstoß zur Einweisung in die Pflegeanstalt.
Der letztere Umstand ist wohl auch der Grund dafür, daß die Kranken mit rein
kombinatorischem Wahnsystem sich durchschnittlich länger in der Freiheit zu
halten vermögen als diejenigen mit Halluzinationen oder auch die Querulanten, weil
in den beiden letzteren Gruppen, wie bei der Besprechung der Krankheitserschei¬
nungen ausführlicher geschildert wurde, weit eher Erregungszustände das ein¬
tönige Krankheitsbild zu imterbrechen pflegen, überhaupt die Affektivität eine
viel lebhaftere ist als bei den kombinatorischen Paranoikern. Diese Tatsache,
besonders daß halluzinierende Paranoiker weit früher der Irrenanstalt zugeführt
werden müssen als solche mit rein kombinatorischer Wahnbildimg dürfte auch
den Unterschied erklären, den die nachfolgende eigene Zusammenstellung über
die Dauer der Erkrankung bis zur Notwendigkeit der erstmaligen Anstaltsauf¬
nahme gegenüber der Kraepelins zeigt:
Kraepelin: Dauer 3 4 5 6 7 8 9 10 12 14 17 21 26 41 44 Jahre
"Fälle 61111123111111
Eigene Beobachtungen: Dauer 1 2 3 4 5 6 8 9 10 12 18 21 28 34 Jahref
Fälle 67522341 51 1 1 1 1
Wenn Kraepelin fand, daß die Hälfte der Kranken mehr als 9 Jahre
trotz ihrer Paranoia ungestört in der Freiheit leben konnte, so ergibt die eigene
Beobachtungsreihe, daß doch ein recht erheblicher Teil (fast die Hälfte) in den
ersten 3 Jahren nach dem feststellbaren Ausbruch der Erkrankung der Pflege
der geschlossenen Anstalt bedurfte. Daß Daten über den eigentlichen Krank¬
heitsausbruch oft schwer sicherzustellen sind, ist bereits oben wiederholt betont
worden. Immerhin ergibt sich aus beiden Zusammenstellungen, daß eine recht
erhebliche Anzahl von Paranoikern der Anstaltspflege erst nach langjähriger
Die Behandlung.
91
Erkrankung bedarf, wobei noch hervorzuheben ist, daß oft nicht die Unerträglich¬
keit des Wahnes bzw. der ihm entspringenden Handlungsweise für die Umgebung
den letzten Grund zur Einweisung in die Anstalt abgibt, sondern die sozialen
Momente, die Unfähigkeit zum selbständigen Broterwerb, der Mangel an Obhut
in der Familie usw. sie erzwingen.
Ein Teil der Paranoiker ist in beiden Beziehungen so gut gestellt, daß er
sich bis an sein Lebensende in der Freiheit zu halten vermag. Es gehört dazu
einmal eine günstige soziale Lage, andererseits ist es außer von der Wahnform
oft auch von äußeren Umständen, dem Verständnisse, das die Behörden, die
Richter dem Querulanten entgegenbringen, der Nachsicht, die die Polizeiorgane
üben, dem guten Willen mitleidsvoller Anwohner, vor allem dem Verständnisse
und der Sorgfalt der Angehörigen abhängig, daß ortsbekannte Verrückte vor
dem Irrenhause bewahrt werden. Diese Möglichkeit, derartige Kranke in sehr
vielen Pallen in Freiheit zu halten, sie oft auch in nutzbringender Tätigkeit zu
erhalten, allem Anscheine nach bei gleichmäßigerer Affektivität als es in der
geschlossenen Anstalt möglich kt, die vielen Reibungsflächen, die die letztere
bietet, zu vermeiden, gibt uns immer wieder für die Behandlung den Hinwek,
derartigen Kranken die Internierung nach Möglichkeit zu ersparen, bzw. wenn
sie aus irgendeinem Grimde unvermeidlich war, bei einigermaßen günstigen
Bedingungen zu versuchen, sie der Freiheit zurückzugeben und in ihr zu erhalten.
In vielen Fällen braucht der Anstaltsaufenthalt nur als eine Zeit der Erziehimg
angesehen zu werden, in der der Paranoiker, gewarnt und gewitzigt durch die
ihm äußerst peinliche Erfahrung, lernt, die Herrschaft über seine wahnhaften
Gedankengänge, die ihm verloren gegangen war oder verloren zu gehen drohte,
wiederzugewinnen imd sich unter mißlicheren und unangenehmeren Verhältnissen,
als die Freiheit sie ihm bot, zu erhalten. Daß der Paranoiker den Anstaltsaufent¬
halt häufig auch selbst so auffaßt, beweisen die vielfachen Dissimidationsversuche,
die er zur Wiedergewinnung seiner Freiheit in außerordentlich geschickter Weise
durchzuführen versteht. Die Wahnideen wird man auch durch einen längeren
Aufenthalt in der Anstalt keinem Paranoiker nehmen oder auch nur vermindern
und mildern können, nur die Beherrschung seiner krankhaften Vorstellungen
kann man ihm dadurch in vielen Fällen erleichtern.
Aus diesem Grunde ist es auch die Regel, daß halluzinierende und queru¬
lierende Paranoiker weit häufiger, weit eher und meist dauernd der Irrenanstalts¬
pflege anheimfallen. Bei ihnen kt durch die im Vergleiche mit der kombinatori¬
schen Form der Erkrankung viel größere Lebhaftigkeit der Affektivität, die bei
den einen durch die Trugwahmehmungen, bei den anderen durch die spezielle
querulierende Tendenz unterhalten wird, eine derartige Herrschaft des Indivi¬
duums über seinen Wahn viel seltener und später zu erwarten. Man wird ihnen
deshalb die Internierung in einer Anstalt weit seltener ersparen können, wird
auch viel seltener zu einer versuchsweisen Entlassung aus derselben und Zu¬
rücknahme in die Freiheit raten dürfen als bei den Fällen rein kombinatorkcher
Wahnentwicklung. Trotzdem kt auch hier ak Leitsatz für den Irrenarzt hinzu¬
stellen, daß die Einwekung in die geschlossene Anstalt und der Aufenthalt in
ihr auf den Paranoiker in jüngerem Stadium stets ungünstig einwirkt, daß man
alles versuchen soU, ihm die Einlieferung zu ersparen oder ihn doch nach mehr
minder langem Aufenthalt in der Anstalt der Freiheit zurückzugeben.
92
Gerichtliches.
Gerichtliches.
Konflikte mit dem Strafgesetz sind bei Paranoikern auch abgesehen von
der querulatorischen Form nicht selten. Einmal geben die wahnhaften Ver¬
folgungen gelegentlich Anlaß zu Beleidigungen, Verleumdungen der Gegner,
tätlichen Angriffen und Gewalttaten gegen sie, andererseits erwachsen auf der
Grundlage der Größenideen die mannigfachsten Delikte, Widerstand gegen die
Staatsgewalt, Majestätsbeleidigung, Religionsfrevel bis herab zur Hochstapelei
und zum Betrüge. Die Frage der Anwendbarkeit des § 51 RStGB. liegt sehr
einfach in den Fällen, in denen das Delikt eine Äußerung des Wahnes selbst
ist, im Wahne seine Begründung hat: der Paranoiker ist in diesem Falle als
geisteskrank im Sinne des Gesetzes zu erachten. Schwierigkeiten können unter
Umständen bei Straftaten entstehen, bei denen eine direkte Verbindung mit
dem Wahne nicht konstruierbar erscheint, gemäß des logischen, dem des Geistes¬
gesunden gleichen oder ähnlichen Urteils, das der Paranoiker in seinem Wahne
ferner liegenden Dingen in den früheren Krankheitsstadien aufzuweisen pflegt.
Der einwandfreie Nachweis, daß eine Paranoia in oben definierter Umgrenzung
vorliegt, dürfte auch dann genügen, die Anwendung des § 51 dem Gerichte zu
empfehlen, da die paranoische Veränderung der Vorstellungen eine Summe von
krankhaften psychischen Eindrücken dem Individuum zuführt, andererseits
eine Summe von normalen Erfahrungen verhindert, so daß ein wirkliches genaues
Abschätzen des verbliebenen, in die Gesundheitsbreite fallenden Geistesrestes
nicht mit Sicherheit möglich ist. Der Paranoiker im oben umgrenzten Sinne
ist deshalb für in die Zeit der offenbaren Krankheit fallende Straftaten stets
als geisteskrank im Sinne des § 51 RStGB. zu betrachten.
Schwieriger liegt die Frage nach der Anwendbarkeit des Paragraphen in
den Fällen, in denen die Frage gestellt ist, ob sein Schutz einem derartigen
Kranken nachträglich für Jahre zurückliegende Vergehen zuzubilligen ist, vor
allem in den Fällen, in denen wesentliche vermögensrechtliche Folgen diesen
Delikten anhängen. Die Schwierigkeit, den Zeitpunkt des sicheren Beginnes
der Paranoia, vor allem in den meist eine besonders schleichende Wahngenese
zeigenden kombinatorischen Fällen zu bestimmen, ist wiederholt betont worden.
Sofern nun in diesen Fällen die strafbare Handlung als ein Ausfluß des später
und besonders zur Zeit der psychiatrischen Beobachtung zweifelsfrei bestehenden
Wahnsystemes angesehen werden kann, ist die Frage noch verhältnismäßig
klar und bei Vorliegen einiger Anhaltspunkte für das Bestehen einer psychischen
Alteration zur Zeit der Straftat der Schutz des § 51 zuzubilligen. In den Fällen
aber, in denen die frühere Straftat mit dem späteren Wahne gar keine oder keine
genügenden Beziehungen hat, ist, sofern nicht aus anderen Gründen das Bestehen
einer ausgebildeten Geisteskrankheit zu damaliger Zeit sicher gestellt werden
kann, die Nichtanwendbarkeit des Paragraphen auszusprechen, beziehungs¬
weise die Entscheidung darüber offen zu lassen.
Der Beweis des Vorliegens einer Geisteskrankheit ist dem Richter durch
die Feststellung des Bestehens eines Systemen untereinander zusammenhängender,
unkorrigierbarer Vorstellungen der Beeinträchtigung oder der Größe zu führen ;
daneben ist deren Maßlosigkeit und die krankhafte Einschränkung des Interessen¬
kreises mit ihren Folgen zu betonen. In den Fällen halluzinierender Paranoia
Gerichtliches.
93
wird der Nachweis von Trugwahmehmungen den einleuchtendsten Beweis für
das Bestehen des Krankheitszustandes abgeben. Recht schwierig kann es sein,
dem Richter das Vorliegen einer querulierenden Paranoia in den früheren Stadien
zu beweisen. Die Kranken machen auf den psychiatrischen Laien einen derart
überzeugenden Eindruck geistiger Gesundheit, sie wissen sich so gewandt zu
verteidigen, sprachlicher und schriftlicher Ausdruck zeigen abgesehen von ge¬
legentlichen Übertreibungen, Beleidigungen der Gegner und einer gewissen Ein¬
tönigkeit des Inhaltes eine solche Summe intellektueller Fähigkeiten, daß die
Krankheit darunter völlig verschwindet, daß der Wahn sich dem Auge verbirgt.
Es ist deshalb die Regel, daß der Querulantenwahnsinn meist verhältnismäßig
spät erkannt und das Individuum erst spät dem Irrenarzte statt des Richters,
der Pflegeanstalt anstatt des Gefängnisses zugeführt wird. Die Scheidung des
querulierenden Paranoikers vom Geistesgesunden bzw. Psychopathen mit queru¬
lierenden Tendenzen ist vor dem Forum deshalb in den frühen Stadien des
Leidens eine recht undankbare Aufgabe. Koeppen meint, daß der Beweis
des Querulantenwahnes vor Gericht häufig nur durch die Feststellung zu führen
sei, daß die Deduktionen des Kranken der Begründung entbehren und daß un-
korrigierbare Irrtümer demnach Wahnideen geworden sind. Mittenzweig
legt das größte Gewicht auf die Entstehung des Wahnes und die quantitativen
Abweichungen, die die Vorstellungen des Paranoikers von denen des geistes¬
gesunden Individuums aufweisen, namentlich auf die wachsende Ausbreitung
des Verfolgungswahnes, durch die das Krankhafte der Beeinträchtigungsvor¬
stellungen gekennzeichnet w'erde. Neben dieser zweifellos sehr wichtigen Fest¬
stellung dürfte es aber wohl am dankbarsten sein, dem Gerichte die Verbohrtheit
in die eigenen Anschauungen, die Einseitigkeit des Urteils, die Unmöglichkeit,
von den eigenen abweichende Gedankengänge zu bewerten, die Unfähigkeit,
ergangene Entscheide und Urteile ihrer Tragweite nach, ohne egozentrische
Affekteinschränkung zu verstehen, vor Augen zu stellen, ihm den Nachweis
zu führen, daß meist seit Jahren alles Denken und Fühlen nur dem einen Kreise
von Rechtsangelegenheiten gilt, der das Individuum mehr und mehr unter seine
Herrschaft gebracht hat. Gelingt es daneben, andersartige Beeinträchtigungs¬
oder Größenideen aufzudecken, so ist das eine wertvolle Bereicherung der zum
Beweise der geistigen Störung zur Verfügung stehenden Mittel. Ist das Zu¬
standsbild einer querulatorischen Paranoia im oben umschriebenen Sinne zu
erweisen, so sind die Bedingungen des § 51 RStGB. selbstverständlich als gegeben
anzuerkennen.
Weit schwieriger als die rechtlichen Verhältnisse, soweit sie die Kriminalität
des Paranoikers zum Gegenstände haben, liegen diejenigen, die die Notwendigkeit
seiner Entmündigung betreffen, eine Schwierigkeit, die sich aus der wiederholt
erwähnten Tatsache ergibt, daß viele Paranoiker lange Jahre hindurch, oft
bis an ihr Lebensende auf Gebieten, die außerhalb ihres Wahnkreises liegen,
logisch zu urteilen, klar zu disponieren, in durchaus normaler Weise zu handeln
vermögen. Andererseits ist verständlich, daß unter der zunehmenden allgemeinen
Einschränkung des Interessenkreises, die die Überwertigkeit der paranoischen
Vorstellungen bedingt, die Fähigkeit, die eigenen Interessen sachgemäß zu ver¬
treten, oft schwer leiden muß. Im allgemeinen ist zu sagen, daß der Paranoiker
in den jüngeren Stadien in den allermeisten Fällen geschäftsfähig im Sinne des
94
Differentialdiagnose.
Gesetzes bleibt, besonders der mit vorherrschenden Beeinträchtigungsideen, die
ihn wohl oft vorsichtiger machen, seine Entschlußfähigkeit verzögern, aber die
letztere nicht völlig lähmen. Primäre Größenvorstellungen pflegen viel eher
das Individuum geschäftsunfähig zu machen, da sie sich weit schneller ausbreiten
und das Urteil in geschäftlichen, vor allem in pekuniären Dingen naturgemäß
weit mehr trüben. Abhängig ist die Entscheidung über Geschäftsfähigkeit oder
-Unfähigkeit in erheblichem Grade von der speziellen Form des Wahnes; nur
deren genaue Analyse im Einzelfalle läßt eine Beurteilung des Einflusses zu, den
die krankhaften Vorstellungen mit ihren in Liebe und Haß abirrenden Strebungen
auf die gesamte intellektuelle Tätigkeit, die Beurteilung der Lebens- und Rechts¬
lagen ausüben. Den Nachweis, daß die vorliegende Wahnrichtung und -form
im einzelnen Falle tatsächlich die Beurteilung der gegebenen Verhältnisse und
Geschäfte tiefergehend beeinflussen muß, wird der Richter in jedem Falle vom
psychiatrischen Gutachter fordern; allein der Beweis, daß eine unheilbare Geistes¬
krankheit vorliegt, genügt für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Paranoikers
noch weniger als für viele andere Geisteskranke. Häufig wird man, besonders
in den früheren Krankheitsstadien der Paranoia, mit der Anordnung einer Pfleg¬
schaft auskommen, doch scheitert dieser Versuch, dem ICranken die eigentliche
Entmündigimg zu ersparen, oft an der Unmöglichkeit, das gesetzlich verlangte
Einverständnis des Kranken mit dieser Maßnahme, gegen die oft unter Hinweis
auf die völlige geistige Gesundheit der heftigste Widerstand von seiten des
Individuums geleistet wird, zu erlangen. Von den einzelnen Formen der Para¬
noia wird man bei den kombinatorischen Fällen weit häufiger von der Ent¬
mündigung Abstand nehmen können als bei den mit Halluzinationen einher¬
gehenden, wo der Einfluß der krankhaften Ideen auf die gesamte Persönlichkeit
weit eher größeren Umfang erreicht. In den späteren Stadien des Leidens sind
Größenwahnsinnige wohl stets als geschäftsunfähig im Sinne des § 6 BGB. zu
etachten und auch Kranke mit Beeinträchtigungsideen zum mindesten der
Pflegschaft bedürftig. Am schwrierigsten gestaltet sich wieder die Beurteilimg
der querulierenden Paranoiker. Obgleich die Urteilskraft über dem Wahne
fernerliegende Dinge bei dieser Form der Paranoia lange Zeit hindurch verhältnis¬
mäßig am wenigsten zu leiden pflegt, bedingt die querulierende Tendenz einmal
in vielen Fällen eine so weitgehende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit, anderer¬
seits eine derartig große Gefahr der Verschleuderung vorhandenen Vermögens,
daß schon aus diesen Gründen die Entmündigung notwendig ist, ganz abgesehen
davon, daß der Schutz der staatlichen Autoritäten dieselbe oft zusammen mit
der Einweisung in eine Irrenanstalt als ratsam erscheinen läßt. Auch die Gefahr
der Wiederholung der gleichen kriminellen Handlungen, die bei den querulierenden
Paranoikern mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dürfte in zahl¬
reichen Fällen die Entmündigung der Freisprechung auf Grund des § 51 auf dem
Fuße folgen lassen, worauf Hitzig besonders hinweist.
Differentialdiagnose.
„Akute Paranoia‘‘ und milde und abortiy yerlaufende Paranoiafälle.
Seitdem Westphal den Begriff der akuten Paranoia in die psychiatrische
Systematik einführte, ist der Streit um die Anerkennung derselben als selbstän-
95
„Akute Paranoia“ und milde und abortiv verlaufende Paranoiafälle.
diger Krankheit nicht verstummt. Gemäß der immer weiteren Fassung des
Pfitranoiabegriffes überhaupt galt sie den meisten der älteren Psychiater als eine
Wiederholung der chronischen Paranoia in abgekürzter Form. Auch nachdem
die akuten Verwirrtheitszustände von ihr abgezweigt waren, blieb die akute
Paranoia doch noch, wenn auch an Umfang wesentlich eingeschränkt, bestehen,
wobei sie von einem Teile der Autoren, so Schüle, allerdings als die Umwandlung
einer ursprünglich affektiven Psychose in eine paranoische betrachtet wurde.
Allmählich mehrten sich die Stimmen, die in der akuten Paranoia keine Krank¬
heit an sich, sondern nur Äußerungen anderer psychotischer Prozesse sahen;
80 rechneten Schultze und vor allem Specht sie zum manisch-depressiven
Irresein, andere sahen in ihr gemäß dem D61ire d’emblee Mag na ns den Aus¬
druck einer degenerativen Anlage, den Ausfluß einer gewissen geistigen und
Gemütsschwäche (Jastro witz). Koeppen, der die Frage eingehend behandelte,
nahm ebenfalls das Bestehen einer akuten Paranoia als erwiesen an, fand dieselbe
aber am allerhäufigsten als Zustandsbild auf einer pathologisch veränderten
konstitutionellen Grundlage, so der Imbezillität, degenerativer Konstitutionen,
der Hysterie, Epilepsie, auch der Paralyse und des Senilismus. Er fand weiter,
daß das Krankheitsbild dem der chronischen Paranoia täuschend gleichen kann,
dann aber plötzlich abbricht. Es fehlt die strenge Systematisierung der Wahn¬
ideen, es besteht häufig eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber den eigenen krank¬
haften Vorstellungen. Akute Verwirrtheitszustände sind besonders zu Anfang
des Zustandes häufig, nach der Genesung besteht unter Umständen Erinnerungs¬
verlust für einzelne Pha^n des Leidens; hervorgerufen wird dasselbe durch
psychogene Momente. Zwischen akuter und chronischer Paranoia scheint Koep-
pen keine anderen Beziehungen anzunehmen, als daß das letztere Leiden häufiger
in akuten Schüben verläuft. Die Verbindung beider Krankheiten ist demnach
recht lose; die akute Paranoia ist ihm nichts anderes als ein Zustandsbild ver¬
schiedener psychischer Erkrankungen — unter Umständen auch der chronischen
Paranoia —, in dem sich mit lebhaften allgemeinen psychotischen Erscheinungen
Wahnvorstellungen, die für kurze Zeit im wesentlichen festgehalten werden,
verbinden.
In neuerer Zeit hat Thomson das Vorkommen einer akuten Paranoia
zu erweisen versucht. An der Hand einer größeren Reihe von E^ankengeschichten
glaubte er akute systematisierte, nach mehr minder langem Bestehen verblassende
und in Heilung ausgehende wahnbildende Psychosen absondern zu können,
die nicht bloße Teilerscheinungen oder ZustandsbUder anderer Psychosenformen
oder der chronischen Paranoia darstellen, sondern als selbständige, in sich ge¬
schlossene Geistesstörungen angesehen werden müssen. Kleist, der die Thom¬
son sehen 24 Fälle einer Kritik unterzog, konnte nur zwei davon als paranoische
Zustände gelten lassen, die er als Äußerungen des manisch-depressiven Irreseins
auffaßte. Er kommt weiter zu dem Schlüsse, daß eine Krankheitsart „akute
Paranoia“ durch Thomson nicht nachgewiesen sei; abgesehen von akut para¬
noischen Zustandsbildern als Erscheinungsformen verschiedener wohlcharakteri-
gierter Krankheitsarten (Paralyse, senile Gehirnerkrankungen, chronischer Alko¬
holismus und andere Gehimvergiftungen, Dementia praecox) könnten akute
paranoische Erkrankungen als Äußerungen zweier verschiedener abnormer Kon-
. stitutionen beobachtet werden, einmal als Reaktion der reaktiv-labilen Voran-
96 Differentialdiagnose.
lagung auf affektvolle Erlebnisse, andererseits als Äußerung der autochthor
labilen ‘Disposition.
Nach der Beschreibung der Krankheitserscheinungen und des Krankheit^
Verlaufes der (chronischen) Paranoia, wie sie oben skizziert wurde, stellt di
Erkrankung eine Einheit dar, die durch die fortschreitende Verrückung der ganze:
Persönlichkeit zur Umwelt, hervorgerufen durch ein im Grunde unwandelbare
System von Wahnvorstellungen, ihre Unheilbarkeit und das Ausbleiben eine
eigentlichen Verblödung, demgemäß das Erhaltenbleiben logischer Denkmeohanis
men und lebhafter Affekterregbarkeit, charakterisiert ist. Demnach versteht ©
sich schon von selbst, daß es unmöglich eine akute, schnell verlaufende unc
heilbare Form der Erkrankung geben kann, bzw. daß es ausgeschlossen ist
daß zAiidschen selbständigen akuten wahnbildenden Psychosen und der hier ah
Paranoia beschriebenen wohl umgrenzten Krankheit nähere Beziehungen, Über¬
gänge und dergleichen bestehen. Der Ausdruck: akute „Paranoia“ ist dem¬
gemäß, solange man die letztere durchaus passende Bezeichnung für das ur¬
sprüngliche Krankheitsbild, wie es auch hier gefaßt wurde, beibehalten will,
abzulehnen, und es ist Kraepelin durchaus beizustimmen, wenn er gegen das
Zusammenwerfen akuter Wahnsinnszustände und der Paranoia entschieden
Front macht.
Es gibt zweifellos Zustandsbilder geistiger Störungen, die in akuter oder
subakuter Weise entstehen, Wahnvorstellungen, die für kürzere oder längere
Zeit beibehalten werden, zeigen, bei denen ein gewisser Fortschritt ähnlich
dem bei der Paranoia beobachteten, wenn auch meist erheblich schneller und
fast immer unter lebhaften Sinnestäuschungen nicht zu verkennen ist, bei denen
keine oder doch nur vorübergehende Verwirrtheit und Bewußtseinstrübung be¬
steht, die nach kürzerer oder längerer Zeit langsam verblassen und anscheinend
unter allmählicher Korrektur der krankhaften Ideen in Heilung ausgehen. Der¬
artige psychische Krankheitsbilder sind einmal, wie allgemein anerkannt ist,
als vorübergehende Erscheinungen chronischer Geisteskrankheiten nicht selten.
Fast alle Psychosen können einmal für kurze Zeit unter ihrer Form verlaufen.
Die Dementia praecox zeigt sie, die Intoxikationspsychosen, vor allem der Alko¬
holismus verlaufen gelegentlich unter ihrer Maske, die senilen Psychosen, selbst
die Paralyse können einige Zeit hinter einer derartigen wahnbildenden Psychose
ihr wahres Gesicht verbergen. Besonders hervorzuheben ist natürlich, daß die
Paranoia, wie bereits oben auseinandergesetzt, akut oder subakut b^innen
und in der für die „akute“ Paranoia angegebenen Weise längere Zeit verlaufen
kann. Einzelne Beobachtungen machen es sogar wahrscheinlich, daß gerade
dem akuten Beginne eine teilweise, vielleicht auch gelegentlich eine völlige
Remission folgen kann, daß jedenfalls das Abflauen der akuten Erscheinungen
und die Erholung davon dem Individuum den eigentlichen Wahn weniger ins
Bewußtsein drängen. Weiter beobachtet man derartige akute wahnbildende
Psychosen mit raschem Ablauf und Ausgang in Heilung in einzelnen Fällen im
Beginne oder Verlaufe von Verwirrtheitszuständen, die unter den Begriff der
Amentia (Meynert) fallen, in denen die Verwirrtheit nur auf der Höhe der
Krankheitserscheinungen in mehr minder hohem Grade auftritt. Derartige Zu¬
stände erwachsen außer auf der Grundlage der Erschöpfung besonders auf dem
Boden der bereits erwähnten Gehimintoxikationen. Endlich kommen ganz ähn-
„Akute Paranoia“ und milde und abortiv verlaufende Paranoiafälle.
97
liehe Zustände in seltenen Fällen sicher auch alleinstehend vor, so daß man sie
zuerst als selbständige Krankheiten anzusprechen gezwungen ist. Die längere
Beobachtung derartiger Fälle ergibt jedoch, daß, sofern es sich nicht um den
akuten Ausbruch chronischer Psychosen (Paranoia, Dementia praecox) handelt»
diese Krankheitszustände zu einem Teile zu periodischer Wiederholung neigen,
oft so, daß die einzelnen Anfälle einander fast völlig gleichen; da in diesen Fällen
fidfektive Komponenten sich in den Vordergrund des Krankheitsbildes drängen,
rein affektive Zustände manischer oder melancholischer Färbung gelegentlich
mit ihnen abwechseln, so sind sie dem manisch-depressiven Irresein zuzuweisen.
Zu einem anderen Teile gehören diese Fälle in die Gruppe der degenerativen
wahnbildenden Psychosen. Auf die Differentialdiagnose aller dieser Zustände,
besonders, soweit es sich um langgestreckte Verlaufsformen handelt, und der
Paranoia im hier umgrenzten Sinne wird weiter unten näher einzugehen sein.
Wenn auch manche der erwähnten psychotischen Zustandsbilder zu der Paranoia
Beziehungen aufweisen, vor allem die Wahnbildungen auf dem Boden der De¬
generation, so sind doch die Chronizität des Prozesses, wie die Paranoia sie be¬
dingt, zusammen mit der Unverrückbarkeit des Wahnsystemes, dem Fort¬
schreiten des Prozesses und der Forderung der Unheilbarkeit der Krankheit
bei unberührter Intelligenz, vor allem aber die verbohrte Reaktion auf die krank¬
haften Ideen Symptome, die sie scharf von den akut und subakut verlaufenden
Wahnsinnszuständen scheiden, während die Art des Wahnes an sich kein differen¬
tialdiagnostisches Kriterium abgibt.
Eng zusammen mit der Frage nach akuten Formen der Paranoia hängt die
nach der Zugehörigkeit der milde und abortiv verlaufenden wahnbildenden.
Psychosen zu ihr. Friedmann sah in ihnen ein Aufflackern des Prozesses
aus relativ kleinen Anlässen bei subsistierender Veranlagimg, etwa so, wie das
bei der Hysterie und bei den hereditär Degenerierten schon länger bekannt sei.
Gau pp beschreibt eine abortive Paranoia auf der Grundlage eigenartiger de¬
pressiv-paranoischer Konstitutionen, bei der langsam schleichend der Wahn
krankhafter Eigenbeziehung entsteht. Zeitlich in engem Anschluß an affektvolle
Erlebnisse und bei einem gewissen psychischen lö:ankheitsgefühl entwickeln
sich Vorstellungen der Verfolgung, die sich gegen ganz bestimmte Personen oder
Berufe richten, die später immer präziser werden und deren Realität durch ge¬
legentliche Sinnestäuschungen verstärkt wird. Der Verlauf ist ein langjähriger,
remittierend-exazerbierender. Meist besteht ängstliche Verzagtheit, nur vorüber¬
gehend Empörung über die Verfolgungen und Neigung zur Abwehr derselben;
Größenideen fehlen stets, die Entwicklung eines Schwachsinns bleibt aus. Es
fehlt den abortiven Fällen besonders die kontinuierliche Progression des Wahn¬
bildungsprozesses, die mit Notwendigkeit zum starren Wahnsystem führt. Eine
Generalisation des Beziehungswahnes tritt nicht ein. Stransky kennt milde,
abortive Formen paranoischer Geistesstörung, die aus der Latenz des disponierten
Charakters herauswachsen, dazu neigen, sich nicht nur einmal im Leben zu zeigen
und dadurch das Aussehen einer rezidivierenden Psychose erhalten. Der Ver¬
lauf ist ein remittierend-exazerbierender; temporäre Heilbarkeit dieser Psychose
von pcuranoischem Zuschnitt ist möglich. Er betrachtet sie aber nicht als der
eigentlichen Paranoia zugehörig, sondern hält sie von den paranoiden Episoden
auf degenerativer Grundlage nicht für abtrennbar. Mit der Frage der periodischen
Ern eg er, Die Paranoia. 7
98
DifEerentialdiagnose.
Paranoia hat Boege sich besonders beschäftigt. Unter 26 bis 1908 in der Literatur
niedergelegten derartigen Beobachtungen sind seiner Ansicht nach nur 4 bisher
nicht zu bestreiten, während die übrigen zwanglos anderen bekannten klinischen
Krankheitsbildern (Degenerationen, Alkoholismus, manisch-depressivem Irre¬
sein usw.) eingefügt werden könnten. Obgleich er bestreitet, daß eine Krankheit
nur einen chronischen oder nur einen akuten Verlauf nehmen müsse, nimmt er
vermutungsweise doch an, daß es eine periodische oder akute Paranoia nicht
gebe, ohne daß er der apodiktischen Gewißheit, mit der Kraepelin das aus¬
spricht, beizustimmen vermag.
Es ist bereits bei der Schilderung der paranoischen Konstitution und des
Herauswachsens der Paranoia aus ihr betont worden, daß einmal die paranoische
Veranlagung eine recht hohe Stufe der Ausbildung von Eigenbeziehungen und
egozentrischer Einengung der Interessensphäre zeigen kann, bis mit der ersten
offenbaren Wahnidee die Paranoia beginnt. Es wurde dort der für das Gemein¬
schaftswesen unbrauchbaren Individuen gedacht, die, ohne mit der Umwelt
in Verkehr zu treten, in ihrer Tätigkeit versimpeln, zu Sonderlingen werden,
und, stets beschäftigt mit ihren Lieblingsideen, die sich in irgendeiner bestimmten
Bichtung imverrückbar zu konzentrieren pflegen, einseitig und schief in ihren
Ansichten und Urteilen, eigenartig in ihren Gefühlen, deshalb absonderlich in
ihren Handlungen werden und sich so ein Leben lang an der Grenze zwischen
psychischer Eigenart und geistiger Erkrankung befinden. Es ist natürlich reine
Formsache, ob man derartige Grenzzustände noch als psychopathische para¬
noische Konstitutionen in ihrer höchsten Ausbildung oder schon als milde ver¬
laufende Paranoiafälle ansprechen will. Gemäß der hier vertretenen Ansicht,
daß die Paranoia nicht als kontinuierliche Weiterbildung der ihr zugrunde Ulen¬
den Veranlagung, sondern als ein auf dieser erwachsener Krankheitszustand an¬
gesehen werden muß, der mit der ersten wirklichen Wahnvorstellung etwas
Neues in das psychische Geschehen bringt, was von da an unverrückbar fest¬
gehalten, weiterentwickelt wird und überragende Bedeutung für die Gesamt¬
persönlichkeit erlangt, muß die erstere Ansicht, daß diese Grenzzustände noch
der paranoischen Konstitution zuzuzählen sind, als die richtigere Auffassung
betrachtet werden.
Eine derartige Deutung ist aber schon schwieriger bei der Gruppe von
Fällen, wie sie Gaupp besonders hervorhebt, die Stransky mit Recht als
Formen der
Psychosen bei Degenerierten
angesprochen hat. Gemäß dem Umstande, daß wir als Grundlage der Paranoia
stets eine degenerative Konstitution fanden, .gemäß der psychogenen Auslösung
der Erkrankung als solcher ist es natürlich, daß bei dem Irresein der Degenerierten,
wie äußere Momente sie als interkurrente, mehr minder lange andauernde Epi¬
soden das Leben derartiger Individuen ein oder mehrere Male unterbrechen lassen,
viele der Paranoia ähnliche oder gleiche Züge sich finden. Dahin gehört abgesehen
von den auslösenden Ursachen die Neigung zu wahnhafter Veränderung der
eigenen Verhältnisse und der mit ihnen in Berührung tretenden Umwelt, häufig
begleitet von zahlreichen Sinnestäuschungen, die Ausspinnung dieser krank¬
haften Vorstellungen, die Verknüpfung miteinander bis zu einem gewissen Grade,
Psychosen bei Degenerierten.
99
mit anderen Worten die Bildung eines mehr minder ausgebauten Wahngebäudes;
es gehört dahin die Reaktion auf unangenehme Situationen mit Ideen, die das
erhoffte und erwünschte Gegenteil verkörpern, die illusionäre Verfälschung der
Wirklichkeit im Sinne der Wunschkomplexe.
Die Wahnideen derartiger Degenerierter zeigen jedoch ein Moment, das
sie von denen der Paranoia scheidet, eine mehr minder große Unstetigkeit und
Veränderlichkeit. Die Paranoia charakterisiert sich diesen Zuständen gegen¬
über durch das Symptom der Unerschütterlichkeit des Wahnsystems und der
Verbohrtheit in dasselbe. Auch Birnbaum sieht den Unterschied zwischen
den Wahnvorstellungen der Degenerierten und denen der echten Paranoia in
der Unzulänglichkeit und dem wechselnden Realitätswert, der Veränderlichkeit,
der Beeinflußbarkeit durch äußere Einwirkungen und der Unbeständigkeit der
ersteren. Es fehlt der konsequente Aufbau selbst in den Fällen, in denen die
Wahnideen bis zu einem gewissen Grade geordnet werden. Der Beginn der Er¬
krankung ist häufig ein akuter mit Bewußtseinstrübung, die Erkrankung dauert
meist nicht lange und ist weitgehend von den Einflüssen der Umgebung abhängig.
Nach dem Abklingen des Syndroms kommt es meistens zur Wiederherstellung
des vor der interkurrenten Erkrankung bestehenden Zustandes. Birnbaum
hat deshalb diese Wahnsinnszustände, die sich durch geringeren Realitätswert
und die Veränderlichkeit der Erscheinungen charakterisieren, die häufig durch
Hineindenken in phantastisch selbstgebildete Situationen entstehen, im grund¬
sätzlichen Unterschied zur Paranoia als „wahnhafte Einbildungen“ bezeichnet.
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal dieser degenerativen Wahnbildungen
von der Paranoia ist daneben sicher einmal die den ersteren fehlende unkorrigier¬
bare Verbohrtheit in die Wahnideen und der Wechsel der Affektbetonung, der
sich in diesen degenerativen Wahnsinnsformen im Gegensätze zu der einseitig
fixierten Gefühlsbetonung bei der Paranoia nachweisen läßt, der auch seinen
Teil zu den Schwankungen in der Intensität der Erkrankung, zu dem Auftauchen
zahlreicher mit den vorhergehenden in keiner Beziehung stehender wahnhafter
Einfälle abgibt.
Wenn auch die Zugehörigkeit derartiger Fälle zu den Formen des dege¬
nerativen Irreseins als sicher anzunehmen ist, so wäre immerhin möglich, daß
es fließende Übergänge zwischen diesen Zuständen und der Paranoia gibt. Die
Gauppschen Fälle scheinen darauf hinzudeuten, ebenso ein Hübnerscher
Fall, in dem eine rasch entstandene, bald wieder verblaßte Wahnbildung auf
degenerativer Grundlage anscheinend abheilte, nach l^/g Jahren aber eine Ver¬
schlechterung des Zustandes eintrat, bis schließlich ein richtiges unerschütter¬
liches chronisches Wahnsystem vorhanden war. Nach früheren Ausführungen
muß aber angenommen werden, daß es sich bei der ausgebildeten Paranoia um
einen besonderen, nicht der Rückbildung fähigen Krankheitsprozeß handelt,
der damit seine Eigenart dokumentiert. Da die Individuen, die von dieser eigen¬
artigen Erkrankung befallen werden, sämtlich Degenerierte sind, so wäre es
nicht verwunderlich, wenn ein Individuum in früherem Lebensalter bereits
eine akute degenerative Psychose durchmachte, in späteren Jahren aber an der
Paranoia erkrankte. In dem Hübnerschen Falle scheint es aber gar nicht zu
einer völligen Rückbildung aller Erscheinungen, zu einer völligen Korrektion
der wahnhaften Ideen und damit zur Heilung gekommen zu sein, sondern es
100
Differentialdiagnose.
scheint sich nur um eine weitgehende Remission gehandelt zu haben, wie wir
sie gerade bei den anscheinend akut entstehenden echten Paranoiafällen dem
stürmischen Beginne nicht allzuselten folgen sehen, so daß das Ganze als eine
akut beginnende echte Paranoia angesprochen werden kann. Die Paranoia,
wie sie hier umgrenzt wurde, mit ihrem unerschütterlichen, unveränderlichen,
stets weiter ausgebauten Wahnsystem, ihrer Intaktheit der affektiven und in¬
tellektuellen Geistesfunktionen und ihrer Unheilbarkeit ist eine derart häufige,
in fast gleicher Form wiederkehrende Erkrankung, daß an ihrer inneren Ein¬
heit auch gegenüber den langgestreckt verlaufenden wahnbildenden Psychosen
der Degenerierten festgehalten werden muß. Die Irreparabilität, die wir bei
ihr als erwiesen annehmen müssen, unterscheidet sie neben den angeführten
Momenten von diesen degenerativen Wahnsinnsformen. Daß andererseits die
als „akute Paranoiafälle“ beschriebenen Psychosen zum großen Teile zu dieser
KJasse geistiger Störungen gehören, wie schon v. Krafft - Ebing, der sie unter
den Psycho-Neurosen beschreibt, und Mendel und Laquer, die sie dem Zwangs¬
irresein zurechneten, meinten, ist ebenfalls sicher. Zu ihnen dürften auch die
von Thomson als „Hypoparanoia“ beschriebenen leichten, abortiven Wahn¬
sinnsfälle gehören, die auf emotiver Basis, im Anschluß an ein eingreifendes
seelisches Erlebnis sich akut entwickeln, Fälle, die keine Tendenz zu weiterer
Ausbreitung zeigen, entweder stabil bleiben oder (wohl fast immer) verblassen
und heilen.
Einer besonderen kurzen Besprechung bedürfen unter den der Paranoia
ähnlichen psychotischen Erscheinungen, wie sie auf dem Boden der degenerativen
Konstitution sich ausbilden, die als
Pseudoquerulanten
bezeichneten Individuen. Das vorpsychotische Gebahren, die querulierende
Tendenz, gleichen den Erscheinungen der querulatorischen Paranoia, ebenso das
Forttreiben der Prozesse von Instanz zu Instanz, die Unfähigkeit, die Gründe
der Gegner zu verstehen und zu würdigen. Aber andererseits fehlt dem Pseudo¬
querulanten „das subjektive Band, das alle die einzelnen Ereignisse zu einer
zusammenhängenden Kette aneinander schließt“ (Kraepelin). Die einzelnen
Geschehnisse, die zum Hervorkehren der querulierenden Tendenz führen, stehen
für sich da; sie verblassen, sobald alle Rechtsmittel erschöpft sind, werden ver¬
gessen und andere, vielfach mit den ersteren in irgendeinem Zusammenhänge
stehende Ereignisse treten an ihre Stelle und werden zu neuem Querulieren axis-
gebeutet. Auch hier fehlt das unerschütterliche Leitmotiv, das sich wie ein rotes
Band durch alle Vorstellungen und Handlungen des Paranoikers hindurchzieht,
das alle ihm widerfahrenden Geschehnisse miteinander in Beziehung bringt,
das einen inneren Zusammenhang zwischen ihnen konstruiert, den er als erwiesene
Tatsache annimmt. Es fehlt ferner die Neigung, den Kreis der Widersacher ins
Ungemessene fortschreitend zu erweitern, wie sie für die querulatorische Paranoia
als pathognomonisch gefunden wurde, es fehlt endlich die rücksichtslose Ver-
bortheit des Paranoikers in die eigenen Ansichten von Recht und Gesetz, der
stete Gedanke, daß ihm in jedem Augenblick, in jeder BKnsicht Unrecht geschieht,
kurz der spezifische Charakter der wahnhaften Beeinträchtigungsideen, der für
den querulierenden Paranoiker kennzeichnend ist.
Manisch-depressives Irresein,
101
Da die auslösenden Momente für Degenerationspsychosen das Individuum,
das die Disposition sein Leben hindurch mit sich herumträgt, mehrmals treffen
kann, so ist es natürlich, daß die Geistesstörung sich wiederholen und gelegentlich
den Eindruck einer rezidivierenden Wahnpsychose machen kann. Es ist auch
denkbar, daß ein überwertiger Gedankengang, wie er die degenerierte Psyche
häufig beherrscht, den einzelnen Attacken dieser Irreseinszustände ein gleiches
oder ähnliches Gepräge gibt, so daß der Eindruck einer periodischen Geistes¬
störung entsteht. Viel häufiger werden derartige periodische Wahnsinnszustände,
die zum Teil als periodische Paranoia beschrieben sind, sich als Äußerungen des
manisch-depressiven Irreseins
entlarven lassen. Auf seiner Grundlage kommt es nicht so selten zur Bildung
von Wahnvorstellungen, die der Richtung des Affektes entsprechend die ein¬
zelnen Anfälle der Erkrankung begleiten, sich oft mit photographischer Treue
bei gleicher Phase wiederholen und so den Eindruck eines akuten periodischen
Wahnsinnszustandes machen, dessen richtige Deutung jedoch durch das starke
Hervortreten der Affektstörung, durch dazwischenhegende oder aber vorange¬
gangene echte manische oder melanchohsche Episoden ermögUcht wird.
Seit der Erkenntnis, daß affektiven Einflüssen in der Genese der Wahn¬
ideen überhaupt, vor allem auch bei der Paranoia, eine wesenthche Bedeutung
zukommt, ist auch die Frage der Beziehungen der affektiven Psychosen und der
(chronischen) Paranoia erörtert worden. S pecht hielt eine prinzipielle Scheidung
zwischen Paranoia und chronischer Manie für unmöglich, weil gerade die manisch-
depressive Gteistesverfassung, die leichte Lockerung des assoziativen Gefüges
und die assoziative Plusleistung, wie sie der hypomanischen Veränderung eigen
ist, die Ergänzung, deren die pathologische Affektivität zur krankhaften Fixierung
des Paranoikerwahnes bedarf, abgibt. Er unterscheidet chronisch-manische
Formen, die der exaltativen Spielart der Verrücktheit entsprechen, periodisch¬
zyklische Formen und die typische Grundform mit einem allmählich anwachsen¬
den Verfolgungswahn. Ennen bestätigte auf Grund eigener Beobachtungen
diese Anschauungen. Es sind das Fälle, die zu einem Teile dem manischen und
melancholischen Wahnsinn Thalbitzers entsprechen, die vor allem auch
Brassert als „sekundäre (postmelancholische und postmanische) Paranoia“
beschreibt. Er will damit eine seltene Krankheit bezeichnen, zu der hereditär
belastete, wiederholt psychisch erkrankte, gemütlich nicht besonders starke,
körperlich reduzierte Personen prädisponiert sind, die gewöhnlich allmählich,
ausnahmsweise plötzlich beginnt, bei der nach längerem Bestehen der primären
Affektpsychose die sekundäre, durch Wahnvorstellungen gekennzeichnete Er¬
krankung zum Ausbruche gelangt. Die postmelancholischen Formen, die etwas
häufiger als die postmanischen sind, befallen vorzüglich das weibliche Geschlecht,
während die letzteren, die öfter akut einsetzen und schneller verlaufen, beide
Geschlechter gleich häufig befallen. Heilungen sind sehr selten, Ausgang in
Demenz muß nach Brassert fast als Regel angesehen werden.
Auf Grund eigener Beobachtungen konnten wir an anderem Orte Krank¬
heitsfälle beschreiben, die jahrelang unter dem Bilde einer typischen periodischen
Manie oder Melancholie verliefen, aus denen sich aber allmählich unter immer
stärkerem Hervortreten von Wahnvorstellungen Krankheitsbilder entwickelten.
102
Diff erentia Idi agnose.
die ohne Kenntnis der Vorgeschichte als Paranoiafälie imponieren konnten,
wenn auch einzelne abweichende Erscheinungen sich fanden. Es handelt sich
um Fälle, in denen unter langsamer Abnahme der Intensität und Dauer der
Affektstörungen in den späteren Anfällen d^ Leidens systematisierte Größen-
und Verfolgungsvorstellungen hervortreten, die Jahre hindurch unerschütterlich
und unverändert bestehen bleiben, die Ordnung im Denken, Fühlen und Handeln
im wesentlichen intakt lassen, wie es für die Paranoia verlangt wird. Es kam
dabei zum Teil sogar zu einer Änderung der krankhaften Affektlage, die in den
früheren Wiederholungen des Leidens in einer bestimmten Richtung bestand,
später aber einem Mischaffekte Platz machte, der leichte komplementäre Vor-
steUungen der entgegengesetzten Wahnrichtung ermöglichte. Andererseits kann,
worauf Stransky hinweist, eine beginnende oder zunächst unter dem Bilde
einer akuten Geistesstörung in die Erscheinung tretende Paranoia das Symptom der
gemütlichen Verstimmung stärker hervortreten lassen, so daß die Verwechslung
mit dem manisch-depressiven Irresein auch nach dieser Richtung hin möglich
ist. Endlich kann das querulatorische Gebahren mancher Maniaci zur vorüber¬
gehenden Verwechslung mit querulatorischer Paranoia führen.
Die Differentialdiagnose ist jedoch meist nicht allzu schwer zu stellen.
Vor allem ist das weit stärkere Hervortreten der affektiven Verstimmung in
jedem Augenblick auf jedem Gebiete der Psyche bei dem manisch-depressiven
Irresein als differentialdiagnostisches Kriterium gegenüber der Paranoia, bei
der der krankhafte Affekt nur ein eng umschriebenes Gebiet zu betreffen pflegt,
zu verwerten. Das gleiche gilt von den viel größeren Affektschwankungen, die
das manisch-depressive Irresein aufweist. An anderer Steile ist bereits ausgeführt,
daß bei der Paranoia, obwohl für die Wahngenese eine krankhaft erhöhte Affek¬
tivität ausschlaggebend ist, die dauernde primäre Störung der AHektlage, wie
sie das manisch-melancholische Irresein charakterisiert, überhaupt vermißt wird.
Ob die Art der Affektstörung eine Scheidimg beider Krankheiten zuläßt, sei
dahingestellt. Meyer hat ihre Verschiedenheit zu erweisen versucht, insofern
er fand, daß bei dem manisch-depressiven Irresein Affekte der Lust und Unlust
den gesamten Vorstellungsinhalt beherrschen, während bei der Paranoia eine
allgemein gesteigerte Affektivität besteht, aus der heraus die gerade in jener
Zeit auftauchenden oder schon vorhandenen, aber jetzt irgendwie hervortretenden
Vorstellungen, mit einem besonders lebhaften Affekt verbunden, zu überwertigen
Ideen ausgestaltet werden. Neben dem Wechsel in der Affektrichtung und den
Intensitätsschwankungen der Affektbetonung werden die manisch-melancho¬
lischen Wahnbildungen durch die Eigenart der krankhaften Vorstellungen, die
von den bei der Paranoia beobachteten mehr minder abweichen, gekennzeichnet.
Vor allem die an Melancholie sich anschließenden Wahnpsychosen zeigen wohl
ausnahmslos Gedankenreihen, die entweder hypochondrischer Natur sind, oder
aber in die Gruppe der Versündigungsideen gehören. Während der Paranoiker
stets gegen die vermeintliche Beeinträchtigimg und Verfolgung und gegen die
Personen, von denen er beides herleitet, mit äußerster Entschiedenheit und
Erbitterung sich zur Wehr setzt, die Anfeindungen stets als verbrecherisch und
unverdient betrachtet und danach mit äußerster Konsequenz handelt, beugt
sich der Melancholiker unter das ihm angetane Leid im Bewußtsein seiner Minder¬
wertigkeit, seiner Unwürdigkeit oder seiner Sündhaftigkeit und hofft nur, durch
Dementia praecox.
103
das demütige Ertragen der ihm auferlegten Strafe geläutert zu werden, woran
imter Umständen jene leichten komplementären Größenideen, die man bei der¬
artigen Kranken findet, anknüpfen. Das Fehlen von ausgesprochenem hypo¬
chondrischen und Versündigungswahn und der stete lebhafte Drang, sich gegen
die als ungerecht empfundenen Verfolgungen zu wehren, charakterisiert den
paranoischen Wahn gegenüber dem melancholischen neben dem Hervortreten
der depressiven Affektlage im ELrankheitsbilde des letzteren. Immerhin kann
bei Fehlen einer exakten Vorgeschichte die Differentialdiagnose beider Zustände
für den Augenblick schwierig sein.
Besonders schwer kann es sein, allein nach dem Zustandsbilde die DiKe-
rentialdiagnose zwischen chronischer Manie und querulatorischer Paranoia zu
stellen. Die Beziehungen zwischen beiden Zuständen sind in mancher Beziehung
sehr nahe, so daß Bumke glaubte, daß das manisch-depressive Irresein und die
Paranoia querulatoria nicht scharf voneinander zu trennen seien; beide Krank¬
heiten rechnete er im Verein mit der Hysterie und den Degenerationspsychosen
zur Gruppe der endogenen Erkrankungen. Eine Scheidung beider Zustände ist
jedoch trotz der bei beiden vorhandenen querulatorischen Tendenzen meistens
möglich. Es fehlt dem manischen Pseudoquerulanten das wahnhafte Moment
der Beeinträchtigungsideen auf rechtlichem Gebiete. Der Maniacus queruliert
aus Prinzip bei jeder sich bietenden Gelegenheit, während der Paranoiker im
wesentlichen nur einen bestimmten Kreis vermeintlicher rechtlicher Benach¬
teiligungen und mit ihnen in Verbindung tretender Ereignisse, Personen, Berufe
in langsam zunehmender Ausbreitung zum Gegenstände seiner querulatorischen
Angriffe meu^ht. Der Maniacus bleibt weit weniger konsequent in der Auswahl seiner
Feinde, gegen die er queruliert als der Paranoiker. Man merkt dem letzteren an, daß
es ihm mit seinem Kampfe um Recht und Gesetz heiliger Emst ist, während derselbe
für den chronisch Manischen eine augenblickliche Kaprize, eine Spielerei darstellt.
Dementia praecox.
Recht schwierig ist die Unterscheidung der Paranoia von manchen Fällen
wahnbildender Psychose, die nach unserer heutigen Auffassung als der Gruppe
der Schizophrenien zugehörig betrachtet werden müssen. Von der Dementia
praecox her ist die Paranoia auch am meisten eingeschränkt worden, soweit
sie sich nicht gefallen lassen mußte, ganz in ihr aufzugehen. So hält es Bleuler
für möglich, daß die Paranoia eine ganz chronisch fortschreitende Schizophrenie
sei, die so milde verläuft, daß sie gerade noch zur Wahnbilduug ausreicht, da
der Mechanismus derselben bei beiden Krankheiten der gleiche sei. Schneider
sieht in der Paranoid* keine Krankheit an sich, sondern nur einen S 3 rmptomen-
komplex, der teilweise auf psychopathischer Grundlage entsteht, zum Teil
aber auch das Produkt einer abgelaufenen oder pausierenden Krankheit, meist
der Dementia praecox ist. Klipstein endlich, der zahlreiche Sinnestäuschungen
und langdauernde Wahnbildungen, die für die Dementia praecox beweisend
sein sollen, bei langjährigen Kranken ohne erhebliche Einbuße der allgemeinen
Geistesfähigkeiten und ohne katatonische Erscheinungen gesehen hat, während
andere Fälle ohne jene eigentümlichen Willensstörungen rasch in deutliche geistige
Schwäche übergingen, schließt, daß die Paranoia stets eine Verlaufsform der
Dementia praecox darstelle.
104
Differentialdiagnose.
Die Frage der Umgrenzung der Dementia praecox zu besprechen, ist hier
nicht der Ort. Es genügt, auf die Hauptpunkte, die unseres Erachtens die Sonder^
Stellung der Paranoia beweisen und sie von der paranoid-dementen Form der
Schizophrenie unterscheiden, hinzuweisen. Wohl kommt es bei der Dementia
paranoides zur Bildung zahlreicher Wahnideen, wohl ist dabei der Mechanismus
der Wahnbildung im Grunde der gleiche als bei der Paranoia, insofern bei beiden
Erkrankungen psychogenen Momenten in der Wahngenese eine große Bedeutung
zukommt, wohl werden die wahnhaften Vorstellungen zum Teil geordnet und
wird so ein im Augenblick mehr minder stabiles Wahngebäude errichtet, doch
trennen die eigentlichen schizophrenen Symptome neben der Verschiedenheit
des Verlaufes und Ausgangs diese Krankheitszustände von der Paranoia wesent¬
lich. Neben den negativistischen Erscheinungen, den Manieren, kurz den kata¬
tonischen Symptomen, die die Fälle von Dementia paranoides meist schon im
Beginne der Erkrankung zeigen, geben die Störungen des Willens, die unabhängig
von den beherrschenden Vorstellungen und Affekten bestehen, die w'ertvollsten
differentialdiagnostischen Momente ab. Während bei der Paranoia das Handeln
der Kranken stets dem Wahne logisch entsprechend die an sich geistesgesunden
Motive der Abwehr der Beeinträchtigungen, der Realisation der Größenvor-
steUungen, des Kampfes um Recht und Gerechtigkeit leicht nachweisen läßt, die
zur Erreichung ihrer Zwecke getroffenen Maßnahmen Abbilder der dem Geistes¬
gesunden in ähnlichen wirklichen Lebenslagen zu Gebote stehenden Mittel dar¬
stellen, steht das Handeln des Paranoid-dementen mit den nachw^eisbaren augen¬
blicklichen Wahnvorstellungen meist nur zum kleinen Teile in Zusammenhang.
Der größere Teil der Willensstrebungen bleibt absonderlich, dem Geistesgesunden
unverständlich; undurchsichtig, wie ein großer Teil der Wahnideen sind auch
die Beweggründe für die Handlungen. Es fehlt die Kon.sequenz der Willens¬
strebungen. Während die Reaktionen des Paranoikers auf seinen Wahn die
Zeichen des ausgereiften Individuums an sich zu tragen pflegen, entsprechen
die des Paranoid-dementen häufig denen des Kindes. Man hat den Eindruck,
daß die Kranken selbst nicht an ihre wahnhaften Vorstellungen glauben; sie
sind nicht mit ganzer Seele dabei, die Affektbetonung ihrer Ideen ist entweder
wenig stark oder hat nicht die Richtung, die die Gefühlsbetonung ähnlicher nor¬
maler Vorstellungen des Geistesgesunden zeigt, schon früh entsteht meist eine
große Gleichgültigkeit gegen die Beeinträchtigungsideen. Weiter verursacht
das bei der Dementia paranoides stets vorhandene mehr minder starke Über¬
wiegen des Innenlebens über die äußeren Empfindungen, die autistische Denk¬
weise, schon frühzeitig eine Abnahme der geistigen Regsamkeit auf allen Gebieten,
von der die allmählich sich ausbildende Einengung der Interessensphäre bei der
Paranoia, die ein bestimmtes Gebiet überw^ertig werden läßt und nur dadurch
auf anderen Gebieten eine Minderleistung verursacht, scharf zu trennen ist.
Das Vorkommen wirklichkeitsfremder wahnhafter Vorstellungen, die im Er¬
fahrungsschätze des Individuums keine Begründung haben, das sich bei der
Dementia paranoides w^ohl stets nachweisen läßt, ist endlich ein besonders
wichtiges Unterscheidungssymptom. Die Mangelhaftigkeit der Aufnahme
neuer Erfahrungen, die die Vorstellungen regulieren, ist beiden Erkrankungen
eigen; während aber bei der Paranoia die entstehenden Wahnvorstellungen an
die vorhandenen Erfahrungen anknüpfen und durch weitere Erfahrungen kon-
Dementia praecox.
105
trolliert, bestätigt und weiter ausgebaut werden, stehen die wahnhaften Einfälle
des Paranoid-dementen zum großen Teile in keinerlei Beziehung zu tatsächlichen
Unterlagen, sind „kaum noch oder nicht mehr zu enträtseln“ (Kraepelin),
was besonders die häufigen grotesken hypochondrischen und Versündigungs¬
ideen, ebenso aber auch die überspannten Größenvorstellungen deutlich erkennen
lassen. Aber auch die in der ersten Zeit noch geordneten Wahnvorstellungs¬
reihen werden in kurzem zerfahrener, wechselnder und abenteuerlicher und
tragen den die Schizophrenie stempelnden Zerfall der psychischen Persönlichkeit
deutlich an sich. Es löst eben bei der paranoiden Demenz eine Wahngruppe die
andere in buntem Wechsel ab, bis schließlich dieser Wechsel ein derartig schneller
wird, daß nur noch rätselhafte, abrupte, oft unsinnige wahnähnliche Vorstellungen
von kurzer Dauer geäußert werden im (Jegensatze zu dem auch in späteren Stadien
von einem Leitmotiv beherrschten, lebenslang dauernden, im innersten Kern
sich gleichbleibenden, meist auch dem geistesgesunden Menschen verständlichen,
nie direkt unsinnigen Wahnsystem des Paranoikers. Ähnlich dem Fehlen logischer
Beziehungen zwischen Vorstellen und Handeln ist der Unterschied, den die sprach¬
lichen und schriftlichen Auslassungen des Paranoikers und des Paranoid-dementen
aufweisen. Die Zerfahrenheit und Faseligkeit der sprachlichen Äußerungen des
letzteren, die bis zur Sinnlosigkeit gehen können, seine karrikaturenhafte, ver¬
schrobene Schreibweise, die zudem häufig wechselt, unterscheidet ihn von dem
sich einer gewandten, wenn auch oft etwas gezierten Ausdrucksweise bedienenden
Paranoiker. Die sinnlosen Wortneubildungen, die Wortverstümmelimgen, die
die Paranoid-dementen oft mit den übrigen Schizophrenen gemein haben, für
die die Kranken meist nur einen noch größeren Wortsalat oder aber ein verlegenes
Lächeln als Erklärung haben, oder deren Erklärung die krausesten Wahnvor¬
stellungen nebeneinander enthüllt, sind auch von eigenartigen, zum Teil neu¬
gebildeten Ausdrücken, die der Paranoiker für seine eigenartigen Sensationen,
für die eine geläufige Bezeichnung nicht besteht, stets zu unterscheiden.
Daß zwischen beiden Erkrankungen tiefgehende Unterschiede bestehen,
beweist endlich der Ausgang. Während der Paranoiker noch nach Jahrzehnten
intellektuell auf der Höhe bleibt, wenn er auch infolge der Einschränkung des
geistigen Horizontes und der Verbohrtheit in sein Wahnsystem eigenartig im
Denken, Fühlen und Handeln wird, endet die Dementia paranoides, um Krae-
pelins Angaben zu folgen: am häufigsten in manierierte, etwas seltener in nega-
tivistische oder faselige Verblödung, in 12% der Fälle kommt es zu einem ein¬
fachen Schwachsinn, ebenso oft zu stumpfer Verblödung. Der Ausgang der
Erkrankung muß so die Richtigkeit der differentialdiagnostischen Momente
bestätigen, die nie in dem Auftreten gehäufter Sinnestäuschungen allein erblickt
werden dürfen, die nur selten in der Verschiedenheit der Wahnideen an sich
(hypochondrische, Versündigungsideen, überspannte, auf den ersten Blick
schwachsinnige Größenideen, allgemeiner, nicht von bestimmten Personen
hergeleiteter Beeinflussungswahn bei der Dementia paranoides) bestehen, da¬
gegen stets in den neben dem Wahnsystem selbständig vorhandenen Störungen
der Willensstrebungen, den gehäuften katatonischen Symptomen, dem Autismus,
endlich in der Abspaltung der affektiven und der intellektuellen Komponenten
und der dadurch bedingten Inkonsequenz der Handlungsweise zu erkennen sind.
Alle diese spezifisch schizophrenen Symptome fehlen der Paranoia.
106
Differentialdiagnose.
In der Groppe der Dementia paranoides ist unseres Erachtens ein großer
Teil der Krankheitsfälle enthalten, die Kraepelin neuerdings als
Paraphrenien
zusammengefaßt hat. Diese neueste E^nkheitsgruppe der Kraepelinsdien
Systematik, die v. Hoesslin und Moravcsik anerkannten, die er als der De*
mentia praecox nahestehend schildert und mit dem gemeinsamen Namen der
endogenen Verblödungen überschreibt, enthält wahnbildende Psychosen, die
sich zum Teil durch langsame kombinatorische, spater halluzinatorische Ent¬
wicklung eines fixierten Verfolgungs- und Größenwahnes ohne wesentliche
selbständige Störungen des Willens, ohne wesentliche Abnahme der gemütlichen
Ansprechbarkeit, ohne Entwicklung eines Intelligenzdefektes charakterisieren,
bis herab zu solchen, die mit massenhaften unsinnigen Verfolgungs- und Größen¬
vorstellungen, zahlreichen Sinnestäuschungen und Konfabulationen einhergehen,
zu Grimmassieren, überhandnehmenden Wortneubildungen und Verschroben¬
heiten und Abstumpfung des gemütlichen Verhaltens führen und nach mehr
minder langem Verlaufe eine deutliche geistige Schwäche zeigen. Während
Krambach die Ergebnisse seiner Untersuchungen dahin zusammenfaßt,
daß die Fälle, die der Paraphrenie Kraepelins entsprachen, kein Merkmal
im Verhalten des Intellektes aufwiesen, das sie grundsätzlich von den paranoiden
Formen der Dementia praecox unterschiede, daß sich in allen Fällen dieser Art
Symptome fänden, die für die Dementia praecox als spezifisch gelten, er nnit.hin
die Paraphrenien als Zustandsbilder protrahierter schizophrener Erkrankungen
ansieht, brachten uns eigene Untersuchungen zu dem Schlüsse, daß die Para-
phrenia systematica und expansiva oder doch der größte Teil dieser Fälle aus
dem Verbände mit der phantastischen und sicher auch der großen Masse der
konfabulatorischen Paraphrenie auszuscheiden seien. Letztere Formen sind
nach unseren heutigen Kenntnissen der Gruppe der Dementia paranoides zu¬
zuteilen, worauf die abenteuerlichen, zusammenhangslosen, einem dauernden
Wechsel unterworfenen, eben phantastischen Wahnideen, andererseits eine
ausgedehnte primäre konfabulatorische Umdeutung des ganzen Vorlebens, die
bei Fehlen einer hochgradigen Bewußtseinstrübung einen ausgedehnten Be-
wrußtseinszerfaU voraussetzt, ferner die zerfahrene, ziellose, in Maß und Art
stets wechselnde Reaktionsweise des Kranken auf seine Vorstellungen, die vielen
katatonen Symptome, der Ausgang des Leidens in meist hochgradige gemütliche
Stumpfheit, Sprachverwirrtheit, ethischen Niedergang und häufig auch mehr
minder starke intellektuelle Verblödung in Verbindung mit der Häufigkeit des
Beginnes im Pubertätsalter hinweisen. Die Paraphrenia systematica und expan-
fliva oder wenigstens ein sehr großer Teil der imter diesen Bezeichnungen zu¬
sammengefaßten Fälle gehören der Paranoia im hier umgrenzten Sinne an, so daß
für die Gruppe der Paraphrenien in Kraepelinscher Fassung nichts übrig bleibt.
Recht schwierig ist in manchen Fällen die Unterscheidung der Paranoia
von den wahnbildenden Psychosen, die auf dem Boden des
Chronischen Alkoholismus
erwachsen. Die Ähnlichkeit beider Zustände ist gelegentlich so groß, daß man
von einer Alkoholparanoia gesprochen hat. Vor allem gilt das für den Eifersuchts-
Chronischer Alkoholismus.
107
wahn der Trinker. Wie bereits oben ausgeführt wurde, entsteht der Wahn beim
chronischen Alkohnliamus und bei der Paranoia im wesentlichen aus dem gleichen
gemütlichen Zustande heraus, nur, daß die krankhafte Erhöhung der Affektivität,
die den ersten Wahn auslöst, beim Alkoholismus der Intoxikation zuzuschreiben
ist, während sie bei der Paranoia aus der paranoischen Konstitution schleichend
sich entwickelt, daß beim Alkoholismus die Intoxikation die Grundlage der
Psychose darstellt, die bei der Paranoia die spezielle degenerative Konstitution
abgibt, wenngleich degenerative Momente auch bei dem ersteren in vielen,
wohl in den meisten Fällen, wenn auch in geringerem Grade wirksam sind. Aus¬
schlaggebend müssen zu Anfang der Psychose die Erscheinungen sein, die der
Alkoholmißbrauch sonst im psychischen Geschehen und auf körperlichem Ge¬
biete mit sich bringt, wobei unter den ersteren S)nnptomen die moralische Ab¬
stumpfung, die sittliche Depravation vor allem den Gegensatz zu den
streng reflektierenden und hohe ethische Anforderungen an sich selbst und an
andere stellenden Paranoikern darstellt. Im weiteren Verlaufe prägt sich beim
chronischen Alkoholismus stets die emotive Schwäche und die Hemmungslosigkeit,
in den späteren Stadien auch die Einbuße des Trinkers an Urteilskraft aus. Der
eifersüchtige Paranoiker haßt das Objekt seiner Eifersucht schließlich von ganzer
Seele und nur die Furcht vor der gesetzlichen Strafe, die ihm wohlbekannt ist,
vermag ihn von einer Gewalttat zurückzuhalten und hält ihn auch meistens
davon zurück. Der eifersüchtige Trinker dagegen schreitet viel leichter zur
Gewalttat, weil bei ihm die normalen sittlichen Hemmungen, die dem Verbrechen
entgegentreten, gelockert sind, weil seine Urteilskraft soweit herabgesetzt ist,
daß er die Folgen seiner Tat für sich selbst nicht mehr abzuschätzen vermag.
Andererseits betont der Alkoholiker kurz nach der Tat, wie lieb er das Opfer
seiner Eifersucht hatte, wie weh es ihm tat, daß man ihn hinterging, daß er
deshalb dem Treiben habe ein Ende machen müssen, ja, er sucht gelegentlich
sich selbst und sein Opfer während der Tat von dem ethischen Werte derselben
zu überzeugen, die stets einen theatralischen Anstrich hat, die eben, wie die
ganze Handlungsweise des pcu^anoiden Trinkers mehr in der durch den Alkohol
bedingten sittlichen Verkommenheit und dem darin begründeten Verluste ethisch
begründeter Hemmungen ihren Ursprung hat, als in einem logisch aus den
erotischen Beeinträchtigungsideen erwachsenen Haß und der ins Extrem ge¬
steigerten Abwehr der vermeintlichen Beeinträchtigungen. Der Paranoiker,
der zur Gewalttat schritt, verteidigt dieselbe nachher mit aller Schärfe seines
Verstandes; er gibt zu, sich gegen das Gesetz vergangen zu haben, sucht sein
Verbrechen aber mit der Größe der ihm zu gefügten vermeintlichen Beeinträch¬
tigung zu erklären imd zu rechtfertigen. Der Trinker sucht schwachsinnig seine
Handlung als eine Wohltat für sein Opfer hinzustellen, er gefällt sich in der Maske
der verkörperten Gerechtigkeit. Die Vorgeschichte und die körperlichen Er¬
scheinungen des Alkoholismus müssen in manchen Fällen den differentialdiagnosti¬
schen Ausschlag geben, ebenso gelegentlich, besonders in jüngeren Fällen der
Erfolg einer Entziehungskur, die häufig, wenn auch nicht immer ein Abblassen,
nur selten ein völliges Verschwinden der wahnhaften VorsteUungen bei chro¬
nischem Alkoholismus zur Folge hat.
108
Differentialdiagnose.
Syphilitische wahnbildende Psychosen.
Die syphilitischen wahnbildenden Psychosen, die in seltenen Fällen, meist
nur vorübergehend an das Bild der Paranoia erinnern, unterscheiden sich von
der letzteren durch das Vorhandensein spezifischer organischer Krankheits-
erscheinungen von seiten des Gehirns oder Rückenmarks. Es fehlt bei den
meisten auf dem Boden der Lues entstehenden paranoiden Zuständen die dauernde
fortschreitende Systematisierung des Wahnes, es handelt sich bei ihnen in der
Regel um paranoide Zustände, die akut oder subakut entstehen und etwa dem,
was von manchen Autoren als „akute Paranoia“, wie oben besprochen, bezeichnet
wurde, entsprechen. Das Augenblicksbild kann unter Umständen dem der
Paranoia ähnlich sein, doch werden die körperlichen Symptome wie auch der
Wechsel der Wahnvorstellungen, ihre Unklarheit, deutlich schwachsinnige Züge
sowie die Inkonsequenz der Handlungsweise sie leicht von der Paranoia in der
hier gefaßten Umgrenzung unterscheiden lassen.
In seltenen Fällen kommen aber auch, wie bereits gelegentlich der Be¬
sprechung der Komplikationen der Paranoia erwähnt wurde, Verbindungen an¬
scheinend echt paranoischer psychotischer Syndrome, vor allem mit der Tabes
dorsalis vor, die zum Teil, soweit sich nach mehr minder langer Zeit sichere Er¬
scheinungen einer Dementia paralytica entwickeln, nur ein paranoides Vor-
staulium der letzteren bilden, in den Fällen jedoch, in denen die paralytischen
Erscheinungen bei jahrzehntelangem Bestehen der wahnbildenden Psychose bis
zum Lebensende ausbleiben, als echte Komplikationen der S 3 q)hilitischen Rücken¬
markserkrankung mit einer Paranoia, vielleicht beides auf der gemeinsamen
Grundlage der mangelhaften Anlage und des pathologischen Aufbrauchs des
Zentralnervensystems entstanden, aufgefaßt werden müssen.
Mit den in Anlehnung an Meynert als
Amentia
bezeichneten akuten Psychosen hat die Paranoia eigentlich außer dem allgemeinen
Symptom des Bestehens von Wahnvorstellungen nichts gemein. Eine Verwechs¬
lung beider Zustände ist weniger in der Hinsicht möglich, daß Amentiaformen
für eine Paranoia gehalten werden, als dadurch, daß eine akut entstehende Para¬
noia oder aber akute Schübe dieser Erkrankung irrtümlich als Amentia ange¬
sprochen werden, vor allem bei der Paranoia hallucinatoria, da auch bei ihren
akuten interkiurenten Episoden neben häufiger wechselnden ausschmückenden
Wahnideen, der stärkeren Störung der Affektivität, lebhafteren und vermehrten
Sinnestäuschungen eine, wenn auch wohl nie höhere Grade erreichende Ver¬
worrenheit eintreten kann, die zusammen mit den übrigen akuten Erscheinungen
den Gnmdwahn, das eigentliche Wahnsystem der Paranoia vorübergehend zu
verbergen vermag. Eine Verwechslung ist, wie schon daraus hervorgeht, einmal
in den Fällen möglich, in denen die Paranoia in akutester Weise beginnt, anderer¬
seits, soweit es sich um interkurrente Erregungszustände handelt, in den Fällen,
in denen jede Vorgeschichte fehlt. Die Fälle, die so der Stellung dieser Differential¬
diagnose Schwierigkeiten bereiten, sind sehr selten. Der weitere Verlauf nach
Abklingen der Erregung beseitigt bald jeden Zweifel. Wie bereits oben hervor¬
gehoben, ist aber derartigen Fällen von anscheinender Paranoia mit akutestem
Senile Wahnsinnsformen.
109
Beginne, noch mehr aber solchen mit akutesten, imter Verworrenheit verlaufenden
interkurrenten Erregungszuständen gegenüber größte Skepsis am Platze, da es
sich, auch wenn eine chronische Psychose vorliegt, weit häufiger um paranoide,
in die Gruppe der Schizophrenie fallende psychotische Zustände handelt als
um eine Paranoia.
SenUe Wahnsinnsformen.
Gemäß der theoretischen Erklärung der Paranoia als einer vorzeitigen
Alterserscheinung ist es erklärlich, daß häufig die Frage zu entscheiden ist, ob
eine Paranoia im hier umgrenzten Sinne oder aber eine wahnbildende Psychose
im Beginne der Dementia senilis vorliegt, vor allem der langgestreckten, schlei¬
chend verlaufenden, präsenil beginnenden Form, die Kraepelin wegen ihres
von der gewöhnlichen senilen Demenz abweichenden Beginnes und einzelner
Abweichungen in der Symptomatologie zur Aufstellung eines besonderen „prä-
senilen Beeinträchtigungswahnes“ veranlaßte. Die Gedankengänge, die die
Kranken beherrschen, sind bei beiden Psychosen gleicher Natur. Es ist bereits
an anderer Stelle der egozentrischen Einengung der Interessensphäre mit ihrer
Neigung zur Unbelehrbarkeit und Rechthaberei, des Klebens an den altein¬
gewurzelten Vorstellungen und der Neigung zu mißtrauischer Beargwöhnung
der Umgebung gedacht worden, die sich im Senium überhaupt und, krankhaft
übertrieben und verzerrt im Krankheitsbilde der senilen wahnbildenden Psychosen
wie auch in dem der Paranoia finden. Außer der allmählich eintretenden und
fortschreitenden Entwicklung einer höhergradigen Urteils- und Merkfähigkeits¬
schwäche läßt jedoch auch das senile Wahnsystem wesentliche Abweichungen
von dem der Paranoia erkennen. Vor allem tritt bei dem ersteren stets in frühen
Krankheitsstadien eine gewisse, sich progressiv steigernde Abenteuerlichkeit der
Beeinträchtigungsvorstellungen und das Überwiegen hypochondrischer Ideen
hervor. Es fehlt dagegen die Verbohrtheit in das eigene Wahnsystem, das weniger
streng konsolidiert ist als das der Paranoia, es kommt zur Preisgabe einzelner
Vorstellungen für kürzere Zeit oder für immer, zu einem Wechsel der Wahn¬
fabel. Endlich fehlt den senilen Wahnsinnsformen die Konsequenz der Hand¬
lungsweise und der Angriffsgeist der Paranoia. Der Paranoiker sucht sich gegen
die wahnhaften Beeinträchtigungen und Verfolgungen mit ganzer Kraft zu wehren
und wird dadurch bald mehr zum Angreifer als zum Verfolgten; der senile Wahn¬
sinnige fühlt sich als unschuldiges Opfer seiner Widersacher, ohne in seinem
Gefühle körperlicher und geistiger Ohnmacht seine Lage ändern zu könhen;
der melancholische Wahnsinnige erträgt die Beeinträchtigungen und Verfolgungen
geduldig im Bewußtsein seiner Schuld; der schizophrene Paranoid-demente
endlich betrachtet sie im wesentlichen als uninteressierter Zuschauer, ohne den
dem Greistesgesunden entsprechenden Anteil an den Eingriffen in sein Wohl¬
ergehen zu nehmen, ohne das Schuldgefühl des Melancholikers, ohne das Gefühl
der Ohnmacht des Senil-dementen und doch ohne den Willen, sie zu vermeiden
oder abzuwehren, der für den Paranoiker kennzeichnend ist.
Literatnryerzeichnis.
Banse: Zur ELlinik der Paranoia. 2^itschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 11 . 1912.
Bartels: Zwei bemerkenswerte Fälle von Paranoia. Allgem. Zeitschr. t Psych. 59. 1894.
Becker: Zur Diagnose paranoischer Zustände. Munch, med. Wochenschr. 1914.
Berger: Klinische Beiträge zur Paranoiafrage. Monatsschr. f. Psych. 94. 1913.
Berze: Über das Primärsymptom der Paranoia. Halle 1903.
Binswanger. — Siemerling: Psychiatrie. Jena 1911.
Birnbaum: Psychosen mit Wahnbildung und wahnhaften Einbildungen bei Degenerierten.
Halle 1908.
— Über vorübergehende Wahnbildung auf degenerativer Basis. Zentralbl. f. Nervenheil¬
kunde 1908.
— Über psychopathische Persönlichkeiten- Wiesbaden 1909.
— Zur Paranoiafrage. Zeitschr. f. d. ges. Neur. u. Psych. 99.
Bleuler: Affektivität, Suggestibilität, Paranoia. Halle 1906.
— Die Schizophrenie oder die Gruppe der Dementia praecox. Aschaffe nburgs Hand¬
buch der Psychiatrie.
Boedecker: Eeferat für Paranoia. Allgem. Zeitschr. f. Psych. S9. 1894.
— Schlußwort zur Diskussion. ADgem. Zeitschr. f. Psych. 51. 1895.
Boege: Die periodische Paranoia. Archiv f. Psych. 43. 1908. (Hier weitere Literatur.)
Brassert: Über sekundäre Paranoia. Allgem. ^itschr. f. Psych. 5t. 1906.
Bruns: Diskussionsbemerkung. Allgem. Zeitschr. f. Psych. 5t. 1906.
Buch: Fall von akuter primärer Verrücktheit. Archiv f. Psych. 11 . 18^.
Bumke: Über die Umgrenzung des manisch-depressiven Irreseins. ZentralbL f. Nerven-
heilk. 1909.
Gramer: Abgrenzung und Differentialdiagnose der Paranoia. Allgem. Zeitschr. f. Psych.
51. 1895.
— Pathologisch-anatomischer Befund in einem akuten Falle der Paranoiagruppe. Archiv
f. Psych, tt. 1897.
— Über krankhafte Eigenbeziehungen und Beachtungswahn. Allgem. Zeitschr. f. Psych.
59. 1902.
Dieckhoff: Die Psychosen bei psychopathisch Minderwertigen. Allgem. Zeitschr. f. PSych.
55. 1898.
Diskussion zum Referat Gramer - Boedecker: Allgem. Zeitschr. f. Psych. 51. 1894.
Ennen: Paranoia oder manisch-depressives Irresein? Zentralbl. f. Nervenheilk. 3t. 1909.
Falkenberg: Diskussionsbemerkung. Allgem. Zeitschr. f. Psych. 53. 1897.
Flügge: Über geistige Schwächezustände eigentümlicher Art als Ausgangsstadium der
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