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Full text of "Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie 13.1917"

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Mc- RAPniEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND 
* PSYCHIATRIE 


HERAÜSGEGEBEN VON 

M. l^ANDOWSKY-BERLIN UND K. WILMANNS-HEIDELBERQ 

HEFT 13 


DIE PARANOIA 

EINE MONOGRAPHISCHE STUDIE 

VON 

Db. HERMANN KRUEGER 

« 

MIT 1 TEXTABBILDUNG 




BERLIN 

VERLAG VON JULIUS SPRINGER 
1917 



Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, 

Vorbehalten. 

Copyright 1917 by Julius Springer in Berlin. 










Inhaltsyerzeichnis, 


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Seite 

Gesoliiclitlioher Überblick. 1 

BegrifFsbestimmiing. 7 

Die paranoische Konstitution. 9 

Die Entwicklung der Paranoia .16 

Die Krankheitserscheinungen.23 

a) Die Paranoia combinatoria. 25 

b) Die Paranoia halluoinatoria.48 

c) Die Paranoia querulatoria.. . • • • 61 

Der Krankheitsausgang. 74 

Die Behandlung.85 

Gerichtliches .92 

Differentialdiagnose .94 

,,Akute Paranoia*^ und milde und abortiv verlaufende Paranoiafalle.94 

Psychosen bei Degenerierten.98 

Pseudoquerulanten.100 

Manisch-depressives Irresein.101 

Dementia praecox.103 

Paraphrenien.106 

Chronischer Alkoholismus.106 

Syphilitische wahnbildende Psychosen.108 

Amentia. 108 

Senile Wahnsinnsformen.109 

literaturverzeichms.110 


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Geschichtlicher Überblick. 

Die Geschichte der Paranoia umfaßt einen Zeitraum von etwa 50 Jahren 
und weist den Werdegang auf, der der Entwicklung psychischer Krankheits¬ 
gruppen bis auf den heutigen Tag eigentümlich ist: Nach der Heraushebung 
eines Kernes zusammengehöriger E^rankheitsfälle und seiner festeren Umschrei- 
bimg wird das Krankheitsgebiet immer mehr und mehr ausgedehnt, immer 
neue, an sich nur lose und äußerlich mit den ursprünglich gemeinten Erkrankungen 
zusammenhängende Zustandsbilder werden ihm angereiht, schließlich wird die 
Krankheitsgruppe zu dem großen Topf, in den alles, was bisher noch nicht seinen 
sicheren Platz in der psychiatrischen Systematik hatte, hineingezwängt wird, 
bis er überläuft und nun die Reaktion erfolgt, die überall Teile loslöst, bis von 
der einstigen Größe und Herrlichkeit nichts oder fast nichts übrigbleibt; dieses 
wenige wird ihr von manchen Seiten auch noch streitig gemacht, während andere 
Bemühungen den mühsam gewonnenen Kern der ICrankheit zu erhalten suchen 
und ihr geben wollen, was ihr Recht ist. Die Entwicklung des Paranoiabegriffes 
ist ein klassisches Beispiel für diesen Vorgang, der auch heute noch nicht ab¬ 
geschlossen ist. 

Es soll an dieser Stelle darauf verzichtet werden, die Entwicklimgsgeschichte 
der Paranoia in ihren Einzelheiten zu verfolgen. In der Monographie Werners, 
dem klassischen Paranoiareferat Cramers, sowie in der neueren Arbeit Schni- 
zers ist der Gang der Entwicklung nachzulesen. Nur wenige Etappen, die 
Meilensteine auf dem Wege seien näher beleuchtet als Einleitung zu der Um¬ 
grenzung des Paranoiabegriffes, auf dem diese Arbeit fußt. 

Bis zu der Zeit, wo Snell, Westphal, Sander Ausgangs der sechziger 
Jahre des vorigen Jahrhunderts für die Anerkennung der Paranoia als einer 
primären Erkrankung eintraten, hatte man besonders entsprechend de^ Lehre 
Griesingers als Verrücktheit den ungünstigen Ausgang vorangegangener 
krankhafter Störungen des Gemütslebens bezeichnet, sie also als Zustandsbild 
von Päychosen angesehen, die nach damaliger Anschauung mit einer melancho¬ 
lischen Phase begannen, der nacheinander, sofern die Erkrankungen nicht früher 
oder später zur Heilung kamen, ein manisches Stadium, ein Stadium der Ver¬ 
rücktheit, der Verwirrtheit, endlich der Blödsinn folgte. Die Verrücktheit wurde 
demgemäß stets als eine sekundäre angesehen. Nachdem sie nunmehr, besonders 
durch Westphals Lehre als eine selbständige Krankheit des Verstandes neben 
solche des Gemütes gestellt war, gab Griesinger im Jahre 1887 in Änderung 
seiner früheren Ansicht eine Umschreibung ihres Wesens, die der Definition der 
neuesten Autoren sehr nahe kommt. Er hob unter dieser Bezeichnung Krank¬ 
heitszustände h^aus, „wo die beiden Hauptarten der Primordialdelirien sich 
gehr langsam nebeneinander entwickeln, wo bei dieser Langsamkeit, die sich 

Krueger. Die Pannois. 1 



2 


Geschichtlicher überblick. 


über eine Reihe von Jahren erstreckt, die sich widerstrebenden Vorstellungen 
(Größen- und Verfolgungswahn) Zeit haben, sich allmählich zusammenzuordnen, 
zu durchdringen und zu festen Gedankenverbindungen, zu einem sog. System 
von Wahnvorstellungen aufs engste zusammenzuwachsen.“ 

Im Gegensätze zu der Betonung der Langsamkeit der Entstehung und 
Fortentwicklimg der Paranoia, wie sie sich bei Griesinger findet, erkannte 
Westphal auch eine akute Entwicklung und einen akuten Verlauf der Krank¬ 
heit, ebenso wie abortive Formen derselben an. Es wurde dadurch dem größten 
Teile der psychischen Erkrankungen, soweit bei ihnen nicht Störungen der Affekte 
offenkundig im Vordergründe standen und soweit Wahnvorstellungen überhaupt 
eine Rolle spielten, der Anschluß an die neu erblühende Eirankheitsgruppe er¬ 
möglicht. Westphal zog auch die Kahlbaumschen Fälle von Katatonie in 
ihren Bereich; Werner sprach direkt von einer Paranoia catatonica. Als be¬ 
zeichnend sei noch erwähnt, daß Scholz sogar in den protrahierten Formen 
des Delirium tremens das typische Bild eines primären halluzinatorischen Wahn¬ 
sinns sah. 

Zwar suchten schon früh einsichtsvolle Forscher, Meynert an der Spitze, 
dem Treiben Einhalt zu tun und die akuten Wahnsinnszustände, die mit höher- 
gradiger Verworrenheit einhergingen, als Verwirrtheit von der Paranoia prinzipiell 
zu scheiden; doch die Unmöglichkeit, derartige kurz verlaufende Fälle von Amen- 
tia, wie Meynert sie nannte, die an sich auch nichts einheitliches darstellen, 
von den interkurrenten Aufregungs- und Verwirrtheitszuständen, wie sie in 
Fällen von sonst in allem den Westphal - Griesingerschen Anforderungen 
entsprechender Paranoia beobachtet wurden, nach dem augenblicklichen Zu¬ 
standsbilde zu trennen,^ ließ diese Anschauung lange Zeit nur vereinzelte An¬ 
hänger finden. Neben Meynert lehnten vor allem v. Krafft - Ebing und 
Hitzig den Begriff der akuten Paranoia ab. 

Das Paranoiareferat Cramers, das das Jahr 1892 brachte, zeigte so recht 
das Chaos völlig verschieden gestalteter und verlaufender Krankheiten, die die 
gemeinsame Bezeichnung „Paranoia“ damals umschloß. Gramer faßte die 
Resultate seiner Untersuchungen folgendermaßen zusammen: 

„Wir haben gesehen: 

1. Daß Verwirrtheit (Amentia), Wahnsinn und Verrücktheit klinisch und 
genetisch eine Reihe wichtiger Erscheinungen gemeinsam haben. 

a) Die Grundsymptome, Sinnestäuschungen, Wahnideen und Inko¬ 
härenz sind genetisch nahe miteinander verwandt. 

b) Das prädominierende Symptom der Verwirrtheit, des Wahnsinns 
und der Verrücktheit ist die Erkrankung der Verstandestätigkeit. 

c) Bei der Verwirrtheit, bei dem Wahnsinn und der Verrücktheit 
spielen die Affekte nur eine sekundäre Rolle. 

d) Verwirrtheit (Amentia) kann symptomatisch sowohl beim Wahn¬ 
sinn als bei der Verrücktheit Vorkommen. 

2. Daß die differentialdiagnostischen Momente, welche geltend gemacht . 
werden, um die Verwirrtheit, Wahnsinn und Verrücktheit zu trennen, 
die erwähnte gemeinsame Grundlage der drei Krankheitsbilder nicht 
erschüttern können. 



Geschichtlicher Überblick. 


3 


3. Daß die Gruppe der einfachen, nicht komplizierten funktionellen Psycho¬ 
sen neben den Stimmungsanomalien, den Erkrankungen des Gemütes 
als zweite große Hauptform die Paranoia, die Erkrankungen des Ver¬ 
standes, enthält. 

4. Daß die Paranoia sich scharf von den Stimmungsanomalien und den 
komplizierten Psychosen trennt. 

5. Daß demnach die Definition der Paranoia lauten muß: die Paranoia 
ist eine einfache funktionelle Psychose. Sie ist charakterisiert dm*ch 
eine Erkrankung der Verstandestätigkeit, wobei die Affekte nur eine 
sekundäre Rolle spielen.“ 

In der angeschlossenen Diskussion wurde wohl von einzelnen die Amentia 
von der Paranoia prinzipiell geschieden, in der Annahme einer akuten Form 
der Paranoia neben einer chronischen war man sich jedoch im wesentlichen 
einig. 

Mit Cramers Definition hatte die Paranoia ihren Kulminationspunkt 
durchschritten; mehr und mehr wurde ihr Gebiet eingeschränkt. So definierte 
Hitzig die Paranoia 1895 als eine Geisteskrankheit von chronischem Beginne 
und ungünstiger Prognose, welche sich durch fixierte, häufig systematisierte 
Wahnideen charakterisiert, zu Anfang und häufig überhaupt ohne Verwirrtheit, 
vielmehr scheinbar mit vollkommener Luzidität, manchmal ohne, häufiger mit 
Halluzinationen und regelmäßig ohne ausgesprochene primäre affektive Er¬ 
regung verläuft. Nicht zum wenigsten aber ist eine schärfere Umgrenzung des 
Begriffes der Paranoia imter der verdienstvollen Führung Kraepelins erreicht 
worden, vor allem durch den Ausbau der Krankheitsgruppen der Dementia 
praecox und des manisch-depressiven Irreseins, von denen erstere berufen wurde, 
die Paranoia in ihrer Stellung als Sammelbecken klarer und besonders unklarer 
psychiatrischer Fälle abzulösen. Beide nahmen besonders die akuten und peri¬ 
odischen Paranoiafälle in sich auf, wenngleich einzelne Forscher, an der Spitze 
Ziehen, Siemerling, Tbomsen auch heute noch an dem Bestehen einer 
akut entstehenden und akut verlaufenden, dabei zum Teil heilbaren Paranoia 
festhalten, das auch Stransky nicht ausschließen will. 

War zu Anfang auch in der Systematik Kraepelins und seiner Anhänger 
für die Paranoia neben der Dementia paranoides noch ein zwar recht bescheidener, 
so doch wohl umgrenzter Platz, so wurde die letztere, anerkannt als Verlaufsform 
der Dementia praecox auf Kosten der Paranoia besonders dadurch mehr und 
mehr erweitert, daß alle Krankheitsfälle, die Wahnbildungen auf Grund oder 
unter dauernder Begleitung und wesentlichem Einflüsse von Sinnestäuschungen 
zeigten, ihr ohne weiteres zugerechnet wurden. Andere Autoren gingen noch 
weiter. So schließt Klipstein, daß die Paranoia überhaupt nur eine Verlaufs¬ 
form der Dementia praecox sei; Bleuler hält es ebenfalls für möglich, daß die 
Paranoia eine ganz chronisch verlaufende Schizophrenie sei, bei der der Krank- 
heitsprozeß gerade noch zur Wahnbildung führte, um so mehr, als der Mechanis¬ 
mus der Wahnbildung bei beiden Erkrankungen der gleiche ist. Die Bedeutung 
der Halluzinationen und Illusionen in der Genese und dem Verlaufe der Paranoia 
hat von jeher eine große Bolle in dem Kampfe um ihr Bestehen gespielt und die 
Mehrzahl der Untersucher zur Aufstellung einer der Paranoia simplex gleich¬ 
geordneten Paranoia hallucinatoria geführt. Kraepelin und seine Schule wiesen 

1* 



4 


Geschichtlicher Überblick. 


nun im Gregensatze zu namhaften Forschern, an deren Spitze Ziehen stand, 
diese letztere aus dem Bannkreise der Paranoia hinaus, lange Zeit zur I^mentia 
paranoides, in neuester Zeit aber zusammen mit einer Anzahl phantastischer 
Wahnbildungen einer neuen Gruppe von angeblich zusammengehörigen wahn¬ 
bildenden Psychosen mit neuem Namen, den Paraphrenien, zu, indem sie diese 
als eigentliche Krankheitsprozesse im Gegensätze zu den ihre besondere klinische 
Gestaltung allerdings erst im Kampfe mit dem Leben gewinnenden psychischen 
Mißbildungen, wie sie der Paranoia (im neuesten Kraepelinschen Sinne) zu¬ 
grunde liegen sollen, ansprachen. 

Eine weitere Gefahr entstand der Paranoia aus den Bestrebungen, die, 
angeregt durch die Lehren Magnans und seiner Nachfolger, die auf dem 
Boden der psychischen Entartung entstehenden wahnbildenden Erkrankungen 
von der echten Paranoia abtrennten. Mag na n stellte dem Delire des persöcutions 
Lasdgues, dem D61ire chronique Falrets eine Gruppe der I>6gen6r6s h^r^taires 
gegenüber, bei der die Krankheitssymptome bis in die Kindheit zurückzuverfolgen 
waren, körperliche Entartungszeichen bestanden, psychisch „irrögularit4, dis- 
harmonie, des^quilibrement“ nachzuweisen waren, imd in unvermitteltem Aus¬ 
bruch gleichzeitig oder regellos neben und nacheinander alle möglichen Formen 
der Wahnbildung meist abheilend und von kurzer Dauer bei vollem Bewußtsein 
bestanden. Neben diesen Zuständen erkannte Magnan noch ein etwa unserer 
heutigen Paranoia (Paranoia completa) entsprechendes Krankheitsbild, das 
Dälire chronique k Evolution systematique progressive (folie chronique r£gulidre 
Camuset) an, bei dem einer Periode der Inkubation ein Stadium der Verfolgungs- 
dann der Größenideen folgte und schließlich eine Periode des Schwachsinns, 
d. h. der allmählichen Abschwächung der Urteilskraft, des Sinkens des geistigen 
Niveaus bei unverändertem Fortbestehen der alten Vorstellungen das Leiden 
beschloß. Auch in diesen Fällen kann zwar nach Magnans Anschauung wie bei 
jeder Geistesstörung eine erbliche Belastung vorhanden sein, sie ist es aber nicht 
in dem Maße, wie es bei den folies des deg6n6r^ h4r6ditaires die Regel ist. 

Von den deutschen Autoren beobachtete schon v. Krafft - Ebing die 
Paranoia nur bei Belasteten, Schüle rechnete die originäre Verrücktheit und 
den Querulantenwahn zu den hereditären Irreseinszuständen, Kirchhoff gibt 
an, daß die Verrücktheit ausschließlich bei Belasteten vorkomme. Nach Fried- 
mann ist für die Konsolidierung des Wahnes immer eine durch die präexistente 
spezifische geistige Veranlagung des Individuums bewirkte Gedankenrichtung 
von einseitig affektiver Form maßgebend. Die Abgrenzung der Wahnbildungen 
bei Degenerierten gegenüber der echten Paranoia ist aber besonders durch die 
Schriften Wilmanns, Bonhöffers, Sieferts und vor allem durch Birn¬ 
baumsgrundlegende Arbeit zur allgemeinen Anerkennung gelangt. Sie haben ge¬ 
lehrt, daß auf dem Boden schwerer erblicher Belastimg, die sich meist in einer 
Häufung körperlicher und psychischer Entartungszeichen kundgibt, unter stark 
affektbetonten äußeren Verhältnissen mit Wahnbildungen einhergehende Krank¬ 
heitszustände entstehen können, die der Paranoia wohl im Zustandsbilde sehr 
ähnlich sind, die sich jedoch von ihr durch einzelne Symptome, vor allem aber 
durch Verlauf und Ausgang prinzipiell unterscheiden. 

Versuchte so Kraepelin und seine Schule, die Paranoia in der Dementia 
praecox auf gehen zu lassen, zweigten andere nach dem Vorgänge Magnans 



Geschichtlicher Überblick. 


5 


die ausgesprochen degenerativen Wahnbildungen von ihr ab, so suchte Specht 
den verbleibenden Rest dem manisch-depressiven Irresein zu sichern, ausgehend 
von seinen wertvollen Forschungen über die Genese der Wahnbildungen aus 
affektiven Störungen heraus. Während im Anschlüsse an Westphal die Mehr¬ 
zahl der Untersucher die Paranoia als einen abnormen Vorgang im Vorstellen, 
eine Störung der Vorstellungssphäre (v. Kr afft - Ebing), als Verstandesirre¬ 
sein in bewußten Gegensatz zu den Gemütskrankheiten brachten, auch Gramer 
sie noch als eine Erkrankung der Verstandestätigkeit, wobei die Affekte nur eine 
sekundäre Rolle spielen, definierte, betonte Moeli die ursprüngliche Beteiligung 
der Gefühle und Empfindungen in einzelnen Fällen von Paranoia, nachdem bereits 
Ganser die plötzliche oder allmähhche Entstehung der Wahnvorstellungen aus 
Stimmungen hervorgehoben hatte. Ebenso wurde von Friedmann und an¬ 
deren die Bedeutung der einseitig affektiven Form der Gedankennchtung für 
die Wahnrichtung und Konsolidierung und zum Teil ein primärer, anhaltender, 
starker, einseitiger Affekt für die Konzeption der Wahnideen angeschuldigt. 
Auch Sandberg, Wernicke, Kirchhoff und Siemerling maßen dem Af¬ 
fekte eine führende Rolle in der Wahnentstehung bei. Specht kam nun zu der 
Ansicht, daß die manisch-depressive Geistesverfassung, die leichte Lockerung 
der assoziativen Vorgänge imd die assoziative Plusleistung, wie sie das Charakte¬ 
ristikum der hypomanischen Veränderung darstellten, zusammen mit dem 
pathologischen Grundaffekt die krankhafte Wahnfixierung des Paranoikers zu¬ 
stande brächten. Darnach war eine prinzipielle Scheidung der Paranoia von der 
chronischen Manie für Specht nicht mehr möglich, und er mußte die Paranoia 
im manisch-depressiven Irresein aufgehen lassen. Ennen bestätigte diese An¬ 
schauung, während andere, Margulies, Pick, Linke, Stransky, Krueger 
trotz aller Anerkennung der grundlegenden Bedeutung des pathologischen Af¬ 
fektes für die Genese der Paranoia den letzten Schlüssen Spechts nicht zu folgen 
vermochten. * 

Es war natürlich, daß sich in einer Zeit der Komplexforschung der Sauer¬ 
teig Breuer - Freudscher Ideen auch der Paranoia zu bemächtigten suchte, 
um so mehr, als sich die Lehre von der affektiven Genese der paranoischen Vor- 
stellimgen gerade allgemeinere Anerkennung zu vei*schaffen begann. Vor allem 
die Züricher Schule (Bleuler, Maier) suchte Komplexe an der Wurzel der 
Wahnbildung bei der Paranoia, ein Bestreben, das von anderer Seite für die 
Entstehung der einzelnen Wahnideen teilweise anerkannt, für die Krankheits¬ 
entstehung als solche jedoch abgelehnt wurde (Kraepelin, Krueger). 

Die neuesten Arbeiten über Paranoia beginnen, soweit sie nicht, wie die 
V. Hoesslins, Moravcsiks, Hübners völlig auf dem Boden Kraepelinscher 
Anschauungen stehen und zwischen Paranoia und Dementia paranoides liegende 
besondere Krankheitsgruppen annehmen, die Paranoia wieder zu erweitern, vor 
allem durch Anerkennung der Zugehörigkeit derjenigen chronischen wahn¬ 
bildenden Erkrankungen sonst tj^isch paranoischer Art zu ihr, die dauernd 
mit zahlreichen Sinnestäuschungen einhergehen und durch besonders lebhafte 
Affekte, auch durch einige Eigenarten der Symptomatik und des Verlaufes 
eine besondere Varietät der Paranoia darstellen. 

Außer von Kraepelin und seiner Schule ist das Vorkommen auch zahl¬ 
reicherer Sinnestäuschungen im Verlaufe der Paranoia wohl allgemein anerkannt 



6 


Geschichtlicher Überblick. 


worden. Ein Teil der Autoren steht dabei sogar auf dem Standpunkte, daß es 
wohl kaum einen Fall von Paranoia gäbe, der nicht in seinem Verlaufe zu irgend¬ 
einer Zeit Sinnestäuschungen aufweist (s. Neisser, Pilcz, Berger, Krueger). 
Vereinzelte Trugwahmehmungen sind allerdings auch für Kraepelin kein 
Hinderungsgrund, die Diagnose Paranoia zu stellen. Ihm gegenüber sei auf 
Stransky hingewiesen, der sich nicht entschließen kann, „einen Fall von Para¬ 
noia bloß, weil er reichlicher halluziniert und reichlicher Wahngebilde produziert, 
darum schon nicht Paranoia zu nennen.“ 

Von den neueren Schriften ist hier vor allem der Arbeit Kleists über die 
Involutionsparanoia zu gedenken, dessen Krankheitsbilder als der Paranoia 
halluzinatoria zugehörig von den jüngsten Autoren (abgesehen natürlich Krae- 
pelin und seine Schule) durchweg anerkannt wurden, dessen weiteren Deduk¬ 
tionen, sofern sie die im Klimakterium beginnenden Paranoiaerkrankungen als 
besondere, von der Paranoia prinzipiell zu trennende darstellen wollen, die sich 
autochthon, d. h. aus inneren Ursachen heraus aus einer angeborenen, schon 
früh weiter entwickelten „hypoparanoischen“ Konstitution unter dem Ein¬ 
flüsse der klimakterischen Veränderungen herausbilden, jedoch die allgemeine 
Anerkennung mit Recht versagt blieb. Banse, Krueger, Berger beschrieben 
gleichartige Erkrankungen, in denen die Sinnestäuschungen einen hervorragenden 
Platz in der Genese bzw. der Ausbildung des Wahnes einnehmen. Krueger 
setzte sich besonders mit der neuen Paraphreniegruppe Kraepelins ausein¬ 
ander, die er als nicht einheitlich erkannte, die er zum Teil für die Paranoia in 
Anspruch nahm, zum TeU (Paraphrenia phantastica und einen Teil der Para- 
phrenia confabulatoria) der Dementia paranoides zuwies. Berger suchte mit 
Erfolg die Zusammengehörigkeit der Paranoia hallucinatoria und der Paranoia 
Simplex besonders durch den Nachweis von Übergangsformen, in denen die 
Sinnestäuschungen erst spät im Krankheitsbild einer sonst typisch verlaufenden 
Paranoia simplex auf traten, zu erweisen. 

Zum Schlüsse noch einige Bemerkungen über die Geschichte des 
Querulantenwahnsinns. Die querulierende Form der Verrücktheit galt seit 
Beginn der Paranoiaforschung als der Prototyp der Erkrankung, weil an ihr 
die langsame, stetige, kombinatorische Verrückung der Stellung des Individuums 
zu seiner gesamten Umgebung, die Systematisierung des Wahnes neben der dauern¬ 
den Erhaltung der psychischen Persönlichkeit und dem Ausbleiben einer Ver¬ 
blödung am deutlichsten hervortrat. Bald aber mußten diese Krankheitsfälle, 
die auf den ersten Anblick so weitgehende Zusammengehörigkeit zu zeigen schienen, 
die Abzweigung einzelner Gruppen erleiden, vor allem, soweit Traumen, Apo¬ 
plexien, Alkoholismus, Senium als ätiologische Momente eine Rolle spielten 
(Koppen). Letzthin hat jedoch auch der Querulantenwahnsinn sich gefallen 
lassen müssen, wenigstens in der Kraepelin sehen Sj^tematik aus der Paranoia 
ganz zu verschwinden und in die Gruppe der psychogenen Psychosen eingereiht 
zu werden, ,,in die Nähe jener anderen, ebenfalls querulatorische Züge annehmen¬ 
den Krankheitsformen,“ weil die Anknüpfung der Wahnbildiing an einen be¬ 
stimmten äußeren Anlaß, an die gemütlich stark erregende, wirkliche oder ver¬ 
meintliche rechtliche Benachteiligung ihn von den ihm sonst ähnlichen Paranoia¬ 
formen* unterscheiden soll. Er ist damit in die nächsten Beziehungen zu den 
Gefängnispsychosen und den Unfallneurosen gesetzt worden. Es soll gleich 



Begriffsbestimmung. 


vorweg genommea werden, daß diese jüngste (1915) Verrückung der psychia¬ 
trischen S3n9tematik durch Kraepelin als keineswegs berechtigt anerkannt 
werden kann, schon, weil sich bei den in Frage stehenden Fällen von queru¬ 
latorischer Verrücktheit stets noch andere, nach demselben Schema, aber unter 
der Form des Beziehungswahnes in die Erscheinung tretende Beeinträchtigungs¬ 
ideen nachweisen lassen (Hitzig), andererseits nach der Dauer und dem Fort¬ 
schreiten des Krankheitsprozesses eine nähere Zusammengehörigkeit z. B. mit 
den Gefängnispsychosen nicht bestehen kann. Daß auch die letzteren wie viele 
andere „psychogene“ E^ankheitszustände das Symptom des Querulierens zeigen 
können, steht damit nicht im Widerspruch. 

Überblickt man die Geschichte der Entwicklung und der Schwankungen 
des Paranoiabegriffes, so zeigt sich, wie schon erwähnt, daß die Umgrenzung 
des Begriffes wieder etwa zum Ausgangspunkte zurückgekehrt ist. Wohl ist 
unsere Ansicht von der Entstehung der Wahnideen, von ihrer affektiven Genese 
eine andere geworden, wohl kennt unsere heutige Auffassung einen sekundären 
Blödsinn nicht mehr, — auch in dieser Frage besteht noch keine Einigkeit (s. z. B. 
Ziehen) — aber der größte Teil der neuesten Autoren hat sich doch, im wesent¬ 
lichen unabhängig voneinander, auf einem Boden zusammengefunden, der der 
Griesingerschen Definition des Paranoiabegriffes sehr nahe kommt. Wenn 
auch der Entwicklungsgang der Erkrankung selbst heute noch nicht abgeschlossen 
ist, so verlohnt es sich doch, eine Beschreibung der Paranoia zu geben, wie sie, 
fußend auf Kraepelins älterer Auffassung, doch getrennt von ihm durch die 
weitere Entwicklung, die sich in divergierenden Richtungen vollzogen hat, in¬ 
sofern Kraepelin zu einer fortgesetzten Einschränkung, andere Autoren zu 
einer Erweiterung des Begriffes gelangt sind, sich heute darstellt. 

Begriflfsbestimmimg. 

Die Paranoia ist charakterisiert durch die Ausbildung eines Systems von 
Wahnvorstellungen der Beeinträchtigung und der Selbstüberschätzung, das 
logisch auf gebaut und weiterentwickelt wird, im wesentUchen aus dem Rahmen 
normaler Möglichkeiten nicht heraustritt und bei unbegrenzter Dauer die psy¬ 
chische Gesamtpersönlichkeit des erkrankten Individuums bis zu dessen Tode, 
abgesehen von einer, durch die mehr oder minder weitgehende Einengung des 
Interessenkreises hervorgerufenen Einbuße an psychischer Anpassungsfähigkeit, 
nur im Sinne des Wahnes verändert, ohne daß es auf außerhalb des wahnhaften 
Vorstellungskreises liegenden Gebieten bei Fehlen von Komplikationen zu be¬ 
ständigen Störungen kommt. Das Leiden ist ein ausgesprochen chronisches, 
das aus inneren Ursachen heraus auf dem Boden einer eigenartigen psychischen 
Veranlagung, der paranoischen Konstitution, unter allmählich zu krankhafter 
Höhe sich entwickelnden Affekten oder meist eigenartigen Affektmischungen 
zu einer schleichend beginnenden, langsam fortschreitenden Verrückung des 
Persönlichkeitsbewußtseins gegenüber der Umwelt führt, wobei dasselbe trotz 
der im Laufe der Erkrankung sich ausbildenden starken egozentrischen Ein¬ 
engung doch die höheren ethischen Gemeinschaftsgefühle, wie sie das Verhältnis 
zur Familie, zu den Mitmenschen darstellen, nur in Ausnahmefällen verliert. 
Gelegentlich kommt es zu kurzdauernden transitorischen Zuständen von Er¬ 
regung (auch mäßiger Verworrenheit?), meist unter dem Einflüsse besonders 



8 


BegrifFsbesti mmung. 


zahlreicher und intensiver Sinnestäuschungen. Die Wahnvorstellungen, deren 
Grundidee in ihrem Kern absolut stabil, sich höchstens im Sinne des weiteren 
Ausbaues fortschreitend verändert, wozu mannigfache ausschmückende und 
erklärende Vorstellungen in häufigerem Wechsel, im Anschlüsse an äußere län- 
drücke, zum Teil unter dem Einflüsse von Erinnerungsfälschungen oder Sinnes¬ 
täuschungen, treten können, haben für den Kranken absoluten Realitätswert; 
sie beherrschen sein Denken und Handeln, soweit nicht alteingewurzelte, im 
vorpsychotischen Individualcharakter festgegründete Strebungen, mit denen 
aber bald eine innige Verbindung hergestellt wird, dem entgegen wirken. Zu 
einer völligen Umwandlung oder gar Zerrüttung der Persönlichkeit kommt es 
niemals. Die formale Ordnung und Klarheit des Denkens, Wollens und Handelns 
bleibt erhalten, da weder das Gedächtnis noch die Urteilskraft an sich geschädigt 
werden. Inhaltlich wird ein großer Teil des Denkens von den dominierenden 
Wahnvorstellungen in Anspruch genommen und demgemäß auch das Wollen 
und Handeln in die Richtung des herrschenden Wahnes abgedrängt. Auf dem 
einmal eingeschlagenen Wege schreitet aber sowohl das Denken für lange Zeit 
in einer auch für den Geistesgesunden verständlichen, logischen Weise weiter, 
als auch bleiben die daraus entspringenden Willensäußerungen mit den ihnen 
folgenden Handlungen durchaus geordnet und durchsichtig. Ebenso erleidet 
die Affektivität keine prinzipielle Änderung gegenüber dem vorpsychotischen 
Zustande, wenn auch entsprechend den pathologischen Vorstellungen, besonders 
aber den häufigen krankhaften Sinneswahmehmungen eine stärkere Labilität 
der Affekte wie stets eine abnorme Höhe derselben sich findet. Sinnestäuschungen 
sind wohl in jedem Falle von Paranoia vereinzelt vorhanden; in einer Anzahl 
von Pallen beherrschen sie das Krankheitsbild, üben einen wesentlichen Einfluß 
auf dessen Weiterentwicklung aus, können die Wahnbildung auch einleiten. 

Den Ausgang des unkomplizierten Leidens, das durch den Tod an Alters¬ 
schwäche oder diurch interkurrente Erkrankungen geendigt wird, bildet ein 
eigenartiges psychisches Siechtum, das durch die immer stärkere Verrückung 
der Stellung des Individuums zur Umgebung und die den Wahnvorstellungen 
entsprechend sich ausbildende Einengung der Interessensphäre sich charakteri¬ 
siert, ohne daß es zu wirklicher intellektueller Einbuße, affektiver Stumpfheit 
oder ethischem Verfalle kommt. Nachdem er jahrzehntelang seinen Verfolgern 
gewehrt, die Verwirklichung seiner Größenideen erstrebt, für sein Recht ge¬ 
stritten hat, läßt der Paranoiker, zermürbt dimch den steten Kampf, unter dem 
Einflüsse meist früh und stark auftretender Alterserscheinungen, an Spannkraft 
nach, ohne seine Ideen, die er unverändert vorbringt, zu korrigieren, ohne ge¬ 
mütliche oder intellektuelle Verblödung, bis der Tod seinem Fürchten und 
Hoffen ein Ziel setzt. 

Aus äußeren Zweckmäßigkeitsgründen wird dieses, in sich geschlossene 
Krankheitsbild im folgenden in drei Untergruppen zerlegt, die als Paranoia com- 
binatoria, Paranoia hallucinatoria und Paranoia querulatoria zu bezeichnen 
sind. Die halluzinatorische unterscheidet sich dabei von der rein kombinatori¬ 
schen Form durch die große Zahl, die Stärke und besonders durch den beherr¬ 
schenden Einfluß, den die Trugwahmehmungen verschiedenster Art und der 
verschiedensten Sinnesgebiete auf die Entstehung und Weiterentwicklung des 
Wahns ausüben. Eine prinzipielle Scheidung beider Formen besagt diese Ein- 



l>ie paranoische Konstitution. 


9 


teilung nicht; bei der Paranoia combinatoria sind wohl stets im Verlaufe der 
Jahre mindestens vereinzelte Sinnestäuschungen nachzuweisen, die Paranoia 
hallucinatoria kann eine rein kombinatorische Genese der Wahnvorstellungen 
zeigen, Übergangsformen aller Art führen von der einen zur anderen Form 
hinüber. Die dritte Untergruppe, die Paranoia querulatoria endlich umfaßt eine 
Anzahl von Krankheitsbildem, die die eigenartige Richtung des Grundwahnes 
kennzeichnet, bei der aber stets auch andersartige Beziehungsideen, sowohl der 
Beeinträchtigung wie der Selbstüberschätzung im Verlaufe der Erkrankung 
nachweisbar werden. Gemeinsam ist allen drei Formen die Ätiologie, das Heraus¬ 
wachsen aus einer speziellen psychischen Konstitution, die Krankheitsentwicklung 
und der Krankheitsausgang, die deshalb zusammen besprochen werden. 

Die paranoische Konstitution. 

Die Paranoia entsteht aus einer eigenartigen seelischen Veranlagung 
heraus, die auch in der vorpsychotischen Zeit die Grundzüge des späteren Wahnes 
mehr minder ausgeprägt widerspiegelt; der Paranoiker wird geboren. Schon 
Sander fand, daß seine originäre Verrücktheit, die zwar sehr verschiedenartige, 
von der Paranoia im oben umgrenzten Sinne abweichende Krankheitszustände 
umschloß, in der Kindheit stille, zurückhaltende Individuen beträfe, durch deren 
Neigung zu phantastischen Träumereien Gedankenreihen entständen, die dem 
späteren Wahne die charakteristische Färbung gäben. In ihren späteren Lebens¬ 
jahren entwickelten sie sich zu isolierten, affektierten, empfindsamen, reizbaren, 
im Verkehr scheuen, dabei schwärmerischen, idealistischen, energielosen, pedan¬ 
tischen Menschen, die leicht exaltiert, leicht verzweifelt, Sonderbarkeiten und 
bizarre Launen zeigten. Werner rechnete zu den für die Paranoia disponierten 
„einen großen Teil derjenigen Menschen, die, wie Maudsley sagt, an einer 
mangelhaften und unbeständigen Konstitution der Nervenelemente litten“, die 
durch plötzliche sonderbare und triebartige Kapricen charakterisiert sind, Men¬ 
schen, die man gewöhnlich eigentümlich oder verschroben nennt, bei denen man 
in vielen Fällen als Grund der Exzentrizitäten, die sie im Handeln, Fühlen und 
Denken zeigen, eine geistige Abnormität annimmt. Der Zänkische, Streitsüchtige 
wird Querulant, der Mißtrauische bekommt Verfolgungs-, der Hochmütige 
Größenideen, der Frömmler religiösen, der Erotische sexuellen Wahn. Fried- 
mann sah die spezifische Geistesanlage des Paranoikers darin, daß dieser von 
früh auf Sklave seiner psychischen Erregbarkeit und seiner Affekte ist, daß er 
nicht lernt, sein Aifektleben, sein Affekturteil hinreichend durch Gedanken¬ 
gänge in Perioden ruhiger Reflexion zu rektifizieren. Es handele sich um Men¬ 
schen mit ernsthaftem Wesen und Zielen, dabei sehr empfindliche, stets mit sich 
beschäftigte Charaktere, die oft durch Mißgeschick verbittert, ein einsiedlerisches 
Leben führen und, zeitlebens verschroben, eine Schwäche der altruistischen 
Gefühle trotz normaler Urteils- und Denkkraft zeigen. Tiling fand, daß Hoch¬ 
mut, Empfindlichkeit, Leichtverletzlichkeit, Reizbarkeit und Rachsucht zum 
Querulanten, Hochmut verbunden mit Selbstvertrauen, Entschlossenheit, Ehr¬ 
geiz und Rücksichtslosigkeit zum Megalomanen disponieren. Gau pp hält von 
jeher gutmütige und bescheidene, wenig selbstsichere, ängstliche, bis zur 
Skrupulosität gewissenhafte, reflektierende, kritische Naturen für besonders zum 
paranoischen Wahne veranlagt. Eine spezielle lebhafte Art der Affektivität 



10 


Die paranoische Konstitution. 


neben einem gelockerten Zusammenhang der Assoziationen oder eine Mischung 
von beidem fand Maier, eine angeborene Affektstörung auch Lehmann bei 
Individuen, die später der Paranoia anheimfallen. 

Besonders eingehend hat sich Dieckhoff mit der von ihm als „Paranoesie“ 
bezeichneten Denkweise dieser Gruppe von Psychopathen beschäftigt. Er fand 
eine Unfähigkeit, die äußeren Eindrücke i mm er in entsprechender Weise und in 
richtiger Wertschätzung zu verarbeiten, eine Mangelhaftigkeit der gegenseitigen 
Korrektur der einzelnen Empfindungen und Sinneseindrücke untereinander, 
daneben Verdrehtheiten, Neigung zu schiefen und einseitigen Urteilen und 
paradoxen Behauptungen, sprunghaften Gedankengang. Die Individuen sind 
von jeher phantastisch, träumerisch oder skeptisch, dünkelhaft, zaghaft, ängst¬ 
lich, verschlossen, zur Einsamkeit geneigt, sonderbar, schwer verständlich; 
zu ihnen gehören die Sonderlinge, Originale, verdrehten Menschen mit ihren 
schiefen Auffassungen, barocken Ansichten und Urteilen, ihren bizarren 
Handlungen. 

Kleist beschrieb eine „hypoparanoische Konstitution“ als Gnmdlage der 
Involutionsparanoia, die zu der großen Gruppe abnormer Konstitutionen ge¬ 
höre. Seine Kranken trugen meist schon in der vorpsychotischen Zeit den Stempel 
der späteren seelischen Veränderung in abgeschwächter Form an sich. In vieler 
Beziehung wertvolle Persönlichkeiten, tätige, gewissenhafte Menschen von un¬ 
ermüdlichem Fleiße, sparsam, aufopferungsfähig, gewandt, waren sie anderer¬ 
seits stets von sich eingenommen, eigenwillige, dabei häufig empfindsame, reizbare 
und mißtrauische Menschen. So mannigfach später in der ausgebildeten Psychose 
die Affektmischung jedes einzelnen Falles schillerte, so verschiedenartig nuanciert 
war die Affektkonstitution in der früheren Persönlichkeit, und auch die besondere 
Eigenart jeder paranoischen Psychose entsprach der persönlichen Färbung d^ 
vorpsychotischen Temperamentes, eine Übereinstimmung, die ebenso die nicht 
affektiven Eigenschaften betraf. Nirgends bedeutete die Psychose einen völligen 
Bruch mit der früheren Persönlichkeit. Im Gegensätze sei die frühere Ansicht 
Neissers erwähnt, die jede Verwandtschaft zwischen Individualität und Paranoia 
bestritt. 

Nach Kraepelin kann von einer einheitlichen paranoischen Veranlagung 
vorderhand nicht die Rede sein, wenngleich die Kranken vielfach von vorn¬ 
herein deutlich persönliche Eigentümlichkeiten boten, wie reizbares, aufgeregtes, 
bisweilen rohes, gewalttätiges Wesen, oder aber Mißtrauen, Eigenwillen, Aber¬ 
glauben, Ehrgeiz, Unstetigkeit, Willensschwäche, alles Eigenschaften, die ihnen 
die Einfügung in das Gemeinschaftsleben wesentlich erschweren müssen. 

Köppen endlich fand mit Bezug auf den Querulantenwahnsinn, daß es 
sich in einem Teile der Fälle um von Jugend auf mit verbrecherischen Neigungen 
behaftete, vielfach vorbestrafte, rechthaberische Individuen handelte, die stets 
Lust am Skandal, am Denunzieren und Hetzen, Neigung, an anderen Fehler 
aufzudecken, zeigten. Daneben fand sich ein ausgesprochener Mangel konse¬ 
quenter Lebensführung und damit die Unfähigkeit, eine feste Lebensstellung 
zu erringen und sich zu erhalten. Im Gegensätze dazu ergab nach Kraepelin 
die Vorgeschichte nur in wenigen Fällen, daß die an querulierender Paranoia 
Erkrankten bereits vor der Psychose streitsüchtig gewesen waren; meist war 
der die Krankheit auslösende Rechtsstreit der erste im Leben des Individuums, 



Die paranoische Konstitution. 


11 


das nicht selten als im gewöhnlichen Verkehr ganz verträglich, wenn auch viel¬ 
leicht etwas sonderbar bezeichnet wurde. 

Nach den Schilderungen, die uns von dem Charakter der Paranoiker in 
ihrer vorpsychotischen Zeit gemacht werden, befällt die Paranoia meist intel¬ 
lektuell nur mäßig begabte, dabei sehr tätige, fleißige Persönlichkeiten, deren 
Gemütsleben bereits früh Zeichen abnormer konstitutioneller Veranlagung an 
sich trägt. Es handelt sich um eine besondere Gruppe aus dem großen Kreise 
der psychischen Degenerationen, deren Glieder in der Quantität und Intensität 
der Einzelerscheinungen wohl ihre persönliche Note erhalten, wobei im Anfänge 
aber noch nicht zu erkennen ist, wohin die krankhafte Anlage steuert. Allmählich 
bildet sich aus dem „allgemeinen degenerativen Grundmyzel“ (Alzheimer), 
wesentlich aus inneren Ursachen, unter dauernder Einwirkung äußerer Momente 
(Erziehung, häusliche Verhältnisse, Berufsstellung, Lebensschicksale usw.) die 
spezielle Tendenz zur paranoischen Denkweise heraus. 

Die Unausgeglichenheit der gemütlichen Funktionen pflegt schon in jungen 
Jahren eine sehr große zu sein und sich auch im späteren Alter nicht zu vermindern. 
Es sind Individuen, die den Extremen zuneigen, die aber nicht, wie es man bei 
den zum manisch-depressiven Irresein Veranlagten findet, dauernde starke 
Schwankungen des Gemütslebens zeigen, sondern bei denen sich schon früh eine 
starke einseitige Denk- und Gefühlsrichtung ausbildet, die sich dafür um so mehr 
konsolidiert. Der Wandelbarkeit des Denkens, der Labilität der Affekte des 
Zyklothymen steht die dem einseitigen Extrem zuneigende, mehr solide Ge¬ 
müts- und Charakterausbildung der paranoischen Konstitution gegenüber. Die 
einen Individuen sind von Jugend auf hochmütig, überlegen, rechthaberisch, 
herrisch, ehrgeizig, zeigen große gemütliche Reizbarkeit, Launenhaftigkeit und 
erhöhtes Selbstbewußtsein, vertragen keinen Tadel. Die anderen sind stets gut¬ 
mütig und bescheiden, sehr empfindsam, furchtsam und schüchtern, dabei 
meist träumerisch und phantastisch. Wieder andere sind mißtrauisch, sehr emp¬ 
findlich im Ehrgefühl, dabei eigenwillig und selbstbewußt, neigen zu strenger 
Kritik ihrer Mitmenschen. Andere sind religiös, bigott-fromm, grüblerisch, 
asketisch, abergläubisch. Viele zeigen schon frühzeitig einen Hang zur Einsam¬ 
keit, sind verschlossene, schwer verständliche Naturen, mit denen sich in ge¬ 
mütlichen Kontakt zu setzen unmöglich ist, fast allen ist ein sehr geringer Grad 
von Selbstsicherheit trotz starker Betonung des Ichbewußtseins eigen. In 
sexueller Beziehung erscheinen sie meist äußerlich frigide oder aber unent¬ 
schlossen in der Wahl, anspruchsvoll und sprunghaft in ihren Neigungen. 

Es sind demnach Individuen, die schon von Jugend auf sich in den Rahmen 
des Gesellschaftskreises, in dem sie stehen, nicht einzufügen vermögen, sei es, 
daß sie über ihn hinausstreben, sei es, daß angeborene Eigenschaften ihnen den 
Verkehr mit den Mitmenschen überhaupt erschweren bzw. unmöglich machen. 
Bei den meisten findet ferner das Ichgefühl eine besondere Betonung, insofern 
dasselbe über Gebühr in den Vordergrund tritt; die Sehnsucht nach Hohem und 
Großem, das geheime Drängen nach kühner Betätigung (Kraepelin) muß 
schon frühzeitig zu Konflikten mit der Umgebung, meist schon gelegentlich 
der Erziehung führen, die für die weitere Ausbildung der einseitigen Affektivität 
und Denkweise von größter Bedeutung ist. Gelingt es den nächsten Angehörigen 
aber vielleicht noch, sich in gemütlichen Rapport mit dem Kinde zu setzen und 



12 


Die paranoische Konstitution. 


mildernd auf dessen eigenartiges Auffassungs- und Gemütsleben einzuwirken, 
so tritt die Krisis ein, sobald das Individuum des häuslichen Schutzes entbehren 
und auf eigenen Füßen stehen muß. Es vermag sich nicht anzupcissen, das für 
das Gemeinschaftsleben dringend notwendige Abschleifen der Einzelglieder an¬ 
einander ist ihm unmöglich, die Konflikte mit der Umgebung mehren sich, eine 
starke Verdrossenheit und Verbitterung tritt ein; es kommt zu äußerlicher 
Zurückgezogenheit, Einkapselung in die eigenen Ideen, damit zur Verstärkung 
der ursprünglichen Gefühls- und Charaktereigenschaften, deren durch die Um¬ 
welt ungehinderte Ausbildung eine Hypertrophie derselben mit sich bringt^ 
Damit sind die Möglichkeiten gegeben, die die paranoische Denkweise zur Paranoia 
werden lassen, die aus dem natürlichen, angeborenen Charakter des Individuums, 
in dem sie bereits präformiert liegt, herauswächst. Die Individuen werden zu 
phantasievollen Träumern, mißtrauischen Kleinigkeitskrämern, Hagestolzen, 
ekstatischen Frömmlern, Leuten mit übertriebenem Rechtsgefühl und dabei 
stark ausgeprägtem Persönlichkeitsbewußtsein, mit anderen Worten zu Sonder¬ 
lingen imd Originalen, die schon der Laie als verdrehte Menschen bezeichnet, 
die durch ihr schrullenhaftes Wesen, ihre schiefen Ansichten und Urteile, ihre 
schwer verständlichen, aus dem Rahmen des gewöhnlichen herausfallenden 
Handlungen, durch ihre eigenartigen Neigungen in positiver wie negativer 
Richtung auf fallen. 

Ein nach den eigenen Erfahrungen verhältnismäßig kleiner Prozentsatz 
der Paranoiafälle entsteht auf der Grundlage eines geringen bis mäßigen ange¬ 
borenen Schwachsinns. Die Annahme Hitzigs, daß die Kritiklosigkeit des 
Paranoischen gegenüber den eigenen Wahnideen ein Ausdruck „intellektueller 
Schwäche“ sei und daß, da dieselbe die Ursache der Wahnbildung darstellt, die 
Paranoia stets ein Ausdruck von Geistesschwäche ist, wenigstens stets auf dem 
Boden einer zerebralen Invalidität entstände, die Jung, Salgo, Schneider 
mehr weniger bestätigten, ist sicher zu weit gegangen, selbst wenn man dem 
Begriffe der geistigen „Schwäche“ eine außerordentlich weite Umgrenzung gibt. 
Der Ausdruck Geistesschwäche muß für die intellektuellen Minderwertig¬ 
keiten Vorbehalten bleiben, die sicherlich nur bei einer geringen Anzahl von 
Paranoikern nachzuweisen sind, während ein anderer Teil gerade zu den intelli¬ 
genteren Menschen gehört. Auf diese Frage wie auf die Schwierigkeiten, die 
dem Nachweis einer zerebralen Invalidität bei der Paranoia entgegenstehen, 
soll weiter unten gelegentlich der Besprechung des Ausganges der Erkrankung 
näher eingegangen werden. 

Aus den obigen Ausführungen geht bereits die große Bedeutung hervor, 
die die Affektivität in der paranoischen Konstitution und ihrer Weiterbildung 
besitzt. Schon Ganser zeigte, daß Wahnvorstellungen plötzlich oder allmählich 
aus Stimmungen entstehen können; besonders begünstigt nach seiner Ansicht 
der Affektzustand der unbestimmten Unruhe, des Mißtrauens und Verdachtes, 
das Gefühl der Insuffizienz, Angst, Ratlosigkeit, Erregung, gespannten Er¬ 
wartung die depressive Wahnbildung. M o e 1 i fand häufig einen primär veränderten 
Affektzustand wie Unruhe, Mißtrauen und Empfindlichkeit im Beginne der 
Paranoia. Nach Sandberg entsprechen die Wahnideen dem Affekte, aus dem 
sie geschlossen werden; die Kleinheitsidee der Depression, die GröBenidee der 
Euphorie und die Verfolgungsidee dem Mißtrauen. Im Gegensätze dazu sprach 



Die paranoische Konstitution. 


13 


sich Linke dahin aus, daß der Affekt der gespannten Erwartung, „der objektlose 
Erwartungsaffekt“ die primäre Gefühlsstörung im Beginne der Paranoia bilde, 
ein Affekt, der als ein physiologischer anzusehen sei^ solange er ein Objekt hat 
und die Höhe des Affektes dem Werte des Objektes entspricht, der aber zum 
pathologischen werde, sobald das den Affekt hervorrufende Objekt bedeutungslos 
ist oder aber überhaupt fehlt. Dabei tritt die Wahnidee in dem Momente hervor, 
wo der Mensch das Bewußtsein der primären Natur der ihn beherrschenden 
Spannung verliert. Zunächst ist nur das lästige spannende Gefühl, daß etwas 
in der Luft liegt, vorhanden; der Paranoiker kämpft in dieser Periode noch gegen 
die Annahme einer Veränderung der Außenwelt. Allmählich wird dann der Affekt 
auf die Außenwelt projiziert. Wer nicke nahm an, daß seine zirkumskripten 
Autopsychosen oder fixen Ideen aus überwertigen Vorstellungen, Eigenbeziehung 
und gesteigerter affektiver Erregbarkeit bei intaktem Bewußtsein entstehen. 
Specht trat für die Entstehung der Paranoia aus dem Mischaffekte des Mi߬ 
trauens ein. Pick hält dagegen ähnlich wie Linke nicht einen besonderen 
Affekt, sondern die unbestimmte Unruhe oder, allgemeiner ausgedrückt, den 
Erwartungsaffekt für die Grundlage der krankhaften Eigenbeziehung. Das 
Bestehen einer mißtrauischen Verstimmung im Beginne der Paranoia fanden 
auch Störring und Margulies, die letzterer aus dem Affekte der unbestimmten 
Unruhe entstehen läßt. Nach Kleist sind die Wahnvorstellungen in ihrer ganz 
überwiegenden Mehrzahl an krankhafte Veränderungen des Affektlebens geknüpft; 
die Stimmungslage ist dabei eine zusammengesetzte, wie bei Ängstlichkeit, Arg¬ 
wohn, Mißtrauen, Zorn, Entrüstung, Erbitterung, Rachsucht, Eifersucht. Eine 
krankhafte Affektüberfülle, wie sie sich bei psychisch Minderwertigen findet, 
nimmt Schneider für die Ursache der Urteilstrübung, aus der paranoische 
Ideen entstehen können, in Anspruch; auf die Beeinträchtigung der Fähigkeit 
zu sachlichem Abwägen durch gemütliche Spannungen weist Kraepelin hin. 
Schnitze meint, daß dem Affektreichtum auch der Ideenreichtum entspräche. 
Von den neueren Autoren hält nur Moravcsik den affektiven Faktor in der 
Genese der paranoischen Ideen für sekundär. 

Alles, was von den Autoren als für die Paranoia grundlegender Affekt 
angesprochen worden ist, ist eigentlich gar kein Affekt, sondern ein Gemüts¬ 
zustand mit intellektuellen Komponenten, der seinerseits von Affekten, meist 
einer Affektmischung, die an sich wieder mannigfach zusammengesetzt sein kann, 
begleitet wird. Für das Mißtrauen hat Bleuler das nachgewiesen. Dasselbe 
gilt aber auch für den „Affekt“ der gespannten Erwartung, der allgemeinen 
inneren Unruhe u. a., die als grundlegende Stimmungsanomalien aufgefaßt 
wurden. Allerdings pflegen diese Zustände von derartig starken Affekten be¬ 
gleitet zu sein, sie sind so wenig denkbar ohne diese starke Affektbetonung, daß 
derselben überragende Bedeutung an ihrem Zustandekommen beigemessen 
werden muß, so daß in letzter Linie doch der Affekt, der die genannten seelischen 
Zustände hervorbringt und begleitet, als die Stimmungslage, das Denken, Wollen 
und Handeln des Paranoikers in der Zeit vor der Wahnbildung und während der 
Wahngenese beherrschend angesehen werden muß. 

Von den genannten psychischen Zuständen ist in der Tat in vielen Fällen 
ein starkes, mehr minder begründetes Mißtrauen schon das Hauptzeichen der 
paranoischen Konstitution; noch häufiger wird es in der Zeit vor der Konzeption 



14 


Die paranoische Konstitution. 


der ersten Wahnidee durch den Paranoiker als Begleiterscheinung der sich heraus¬ 
bildenden krankhaften Eigenbeziehung angetroffen. Der Grad dieses Mißtrauens 
schwankt; meist steigert es sich von einem noch als normal anzusehenden zu 
pathologischer Höhe in langsamer Progression. Mit ihm wächst der begleitende 
Affekt, in dem die Unlustkomponente bei weitem überwiegt, wenn es sich auch 
nicht um einen reinen Unlustaffekt handelt. Im Anschluß an Situationen, in denen 
ein gewisses Mißtrauen berechtigt ist, in Lebens Verhältnissen, die mit großer 
Spannung des Selbstbewußtseins wenigstens subjektiv ungenügende äußere An¬ 
erkennung einhergehen lassen (z. B. Gouvernanten, Lehrer), kommt es zur Aus¬ 
breitung desselben auf die gesamte Außenwelt, zur Irradiation des begleitenden 
Unlustaffektes, und in diesem Momente ist die Entwicklung von Beeinträchtigungs¬ 
ideen nur noch eine Frage der Zeit. 

Bei den geschilderten hochmütigen, selbstbewußten, rechthaberischen, 
ehrgeizigen Naturen birgt die egozentrische Charakterausbildung eine besondere 
Affektbetonung aller Ereignisse, die jeder Mensch im Lichte seines derzeitigen 
Affektzustandes sieht, in sich. Diese Individuen befinden sich in dauernder 
Oppositions- und Kampfesstimmung; eine zornige, stets angriffsbereite Reiz¬ 
barkeit ist vorherrschend. Die Kampfesstimmung ist meist von einem Misch¬ 
affekt der Lust und Unlust begleitet, letztere entstanden infolge der darin ent¬ 
haltenen, zum Teil unbewußten Abwehr geheimer aus dem Erwartungszustande 
sich ergebender Befürchtungen. Es pflegen sich auch bei diesen Individuen, 
sofern die paranoische Konstitution zur Paranoia wird, Verfolgungsideen zu 
entwickeln, die sich aber sofort oder doch bald mit Größenvorstellungen innig 
verbinden. Zur Entstehung der Wahnideen führt hier die Ausbreitimg der 
krankhaften Affektmischung auf alle psychischen Vorgänge und meist eine 
weitere Steigerung der Betonung des Ichbewußtseins. 

Daß bei den religiösen, bigott-frommen, grüblerischen, zur Ekstase neigen¬ 
den Personen ein Affekt grundlegend und ausschlaggebend ist, bedarf keiner 
weiteren Erörterung. Unsere ganze Religion wendet sich ja nicht an die Intelligenz 
des Menschen, sondern an sein Gefühlsleben, an seine Affektivität; verstandes¬ 
mäßig ist nichts davon zu begreifen außer der Hoffnung des Menschen auf ein 
besseres Jenseits nach der Not und Trübsal dieses Lebens imd seinem Streben 
danach. Schon darin liegt wieder die außerordentlich starke und wirksame 
Lustkomponente des religiöse Dinge begleitenden Affektes, die zum religiösen 
Größenwahn disponiert. Nur in selteneren Fällen überwiegt der Unlustaffekt 
infolge der Besorgnisse wegen der eigenen Sündhaftigkeit, der zu entsprechenden 
Ideen der Versündigung führt. Es zeigt sich hier wieder, daß dieselbe Veranlagung 
je nach der Affektbetonung zu entgegengesetzten Wahnvorstellungen führen 
kann, ein weiterer Beweis für die ausschlaggebende Rolle, die die Affektivität 
in der paranoischen Konstitution und ihrer Weiterbildung zur Paranoia spielt. 

Noch weniger als eine Erörterung der Bedeutung der Affektivität bei den 
religiösen Schwärmern ist eine solche für die Sexualität des Menschen notwendig. 
Auch hier wird es je nach der Affektkomponente, die in der Sexualität der zur 
Paranoia disponierten Individuen überwiegt, zu Beeinträchtigungsideen, speziell 
dem Eifersuchtswahn, oder zu erotischen Selbstüberschätzungsvorstellungen 
kommen. Daß dabei im ersteren Falle, wie besonders nach den Erfahrungen, 
die an andersartigen Kranken, den Alkoholikern, gemacht sind, wahrscheinlich 



Die paranoische Konstitution. 


15 


tatsächliche Veränderungen der geschlechtlichen Funktionen, Abnahme der 
sexuellen Potenz trotz großer Begehrlichkeit, bzw. eine beginnende Frigidität zu¬ 
grunde liegen, ist unwesentlich. Die auf die lebhafte Sexualität gerichtete indi¬ 
viduelle Anlage mit ihrer außerordentlich starken Affektbetonung ist doch als 
das Ausschlaggebende zu betrachten; die Rolle, die der Alkohol mit seiner das 
Gemütsleben besonders reizenden Wirkung beim Eifersuchtswahn des Trinkers 
spielt, gibt bei dem Paranoiker die angeborene pathologische Affektlage ab. 

Das Gemütsleben der bescheidenen, empfindsamen, schüchternen, dabei 
träumerischen und phantasiereichen Naturen ist von einem Gemisch von Lust- 
iind XJnlustaffekten begleitet. Es ist jedoch gewöhnlich, daß diese Individuen 
trotz der vielen Enttäuschungen, die sie infolge ihrer gänzlichen Unfähigkeit, 
sich und ihrer Tätigkeit die Anerkennung zu verschaffen, die ihnen gebührt, 
erleben, nicht dem Beeinträchtigungswahn sondern dem primären Größen¬ 
wahn zutreiben. Besonders ein großer Teil der krankhaften Erfinder geht aus 
dieser Gruppe paranoischer Konstitutionen hervor, die jahrzehntelang still für 
sich ihren Ideen nachhängen, sie ausarbeiten und zu vervollkommnen suchen, 
unbekümmert um zahlreiche Enttäuschungen, um die Sorge um das tägliche 
Brot an ihren Stern und ihr Talent glauben, oft, ohne daß es bis zu ihrem Ende 
zu dauernden Beeinträchtigungsideen kommt. 

Ein Mischaffekt beherrscht die Individuen, die zur querulierenden Ver¬ 
rücktheit disponiert sind, mit ihrer aus Mißtrauen, Kleinlichkeit und Verbohrt¬ 
heit, Eigenwilligkeit und Selbstbewußtsein gepaart mit großer Empfindlichkeit 
des eigenen Ehrgefühls zusammengesetzten Charakteranlage. Bei dieser Art 
von krankhafter Veranlagung ist die unlustbetonte Affektseite die überwiegende; 
es pflegen sich deshalb neben dem Gefühle der Kränkung des eigenen Rechtes 
stets noch andere Beeinträchtigungsideen herauszubilden, während die ver¬ 
borgenen Selbstüberschätzungsvorstellungen erst in späteren Stadien des Leidens 
hervortreten. 

Die paranoische Konstitution wächst sich so unter dauernder Führung 
der Affekte aus den Zeichen der allgemeinen degenerativen Psychopathie in der 
Kindheit aus und macht die Menschen, denen sie anhaftet, mit der Zeit zu aso¬ 
zialen Individuen, die für das Gemeinschaftswesen unbrauchbar, einsiedlerisch 
dahinleben, keinen Verkehr, häufig nicht einmal mit den nächsten Angehörigen 
pflegen, in ihrer Beschäftigung versimpeln, auch wenn sie auf diesem einseitigen 
Gebiete, oft gerade durch das völlige Sichversenken in die spezielle Materie, 
zu dem sie durch ihre Veranlagung geneigt sind, hervorragendes leisten, zu Sonder¬ 
lingen, Originalen werden, ohne daß sie zu den Geisteskranken zu zählen wären. 
Eingekapselt in sich selbst, behütet von irgendeinem alten Faktotum, das ängst¬ 
lich jede Störung von außen abzuhalten sucht, dabei sich oft auf dem Wege 
der psychischen Induktion die Denkart des Herrn zu eigen macht, vielfach die 
liebe und Freundschaft, die sie den Mitmenschen versagen, auf ihre Haustiere 
übertragend, stets beschäftigt mit ihren Lieblingsideen, ihrem Lieblingsstudium, 
ihren Sammlungen, ihren Erfindungen, nehmen sie an ihrer Umgebung, die sie 
mit äußerstem Mißtrauen beobachten, keinen Anteil und werden so infolge der 
persönlichen Färbung ihrer Beziehungen zur Außenwelt einseitig und schief 
in Ansichten und Urteilen, eigenartig in ihren Gefühlen, bizarr in ihren Hand¬ 
lungen. Derartige Individuen sind verhältnismäßig nicht selten; sie zeigen den 



16 


Die Entviicklung der Paranoia. 


höchsten Grad der paranoischen Konstitution, sie stehen ein Leben hindurch 
auf des Messers Schneide zwischen psychischer Gesundheit und Krankheit, be¬ 
finden sich sozusagen ihr ganzes Leben lang auf dem Wege zur Paranoia, so daß 
oft schwer zu entscheiden ist, wo die Sonderbarkeit aufhört, wo die Paranoia 
beginnt. 

Doch nur ein Teil derartiger Individuen bleibt auf dieser erträglichen 
Stufe paranoischer Denk- und Handlungsweise stehen; in einem anderen kommt 
es zur Entstehung von eigentlichen Wahnvorstellungen und damit zur Paranoia. 
In weiterer Ausbildung der der paranoischen Konstitution eigentümlichen 
Reaktionsweise, die den Beziehungsideen den Boden bereitet, tauchen Ideen 
der Beeinträchtigung, der Größe auf, oder aber es kommt zu den eigenartigen, 
als querulierende Paranoia bezeichneten Beeinträchtigungsvorstellungen auf 
rechtlichem Gebiete verbunden mit andersartigen Beziehungsideen. 

Die Entwicklung der Paranoia. 

Nachdem durch jahrelange, schleichend fortschreitende Weiterentwicklung 
der paranoischen Konstitution ohne eigentliche Umwandlung der Persönlichkeit, 
ohne daß es an einer Stelle zu einem Bruche mit den indi viduellen Charaktereigen¬ 
schaften, die jedoch oft karikaturenhaft verzerrt werden, kommt, sondern nur 
durch eine Verrückung des Standpunktes der im Kern unveränderten Gesamt¬ 
persönlichkeit zur Umwelt unter dauernder Begleitung und Führung sehr leb¬ 
hafter Affekte der krankhafte Gemütszustand und die abnorme Denkweise eine 
gewisse Höhe überschritten hat, bildet sich langsam eine pathologische Affekt¬ 
höhe heraus, die jedes Erlebnis, jede Empfindung, ja die eigenen Gedanken in 
dem besonderen Lichte dieses Affektes erscheinen läßt. Die Entstehung der 
ersten Wahnidee aus diesem gespannten Gemütszustände und damit der Be¬ 
ginn der paranoischen Erkrankung erfolgt meist wieder unter Verhältnissen, die 
eine große Einwirkung auf die Affektivität haben, in denen innere oder häufiger 
äußere Ursachen die schon gegebenen Affekte noch verstärken bzw. einen 
Affektsturm verursachen. Die Lebensschicksale spielen dabei eine große Rolle, 
sie geben dem Wahne den Inhalt, während die Wahnform in der paranoischen 
Anlage begründet liegt (Friedmann). Dahin gehört die materielle Sorge und 
Not, die die Kranken vidleicht schon der der krankhaften Anlage entsprossenen 
eigenartigen Handlungsweise zu verdanken haben, die sie über ihren religiösen 
Grübeleien, ihren Basteleien, der Verfolgung ihrer Rechtsstreitigkeiten das Not¬ 
wendigste versäumen läßt. In dem Augenblicke, in dem der Konkurs unab¬ 
wendbar ist, der Gerichtsvollzieher zur Pfändung erscheint, wird der Wahn 
offenbar. Ein weiteres auslösendes Moment ist die Strafhaft mit ihrer überaus 
starken Affektbetonung, die eventuell Delikte zur Grundlage haben kann, die 
durch die selbstherrliche, überenergische, keine Autorität anerkennende Ver¬ 
anlagung verschuldet sind. Das Berufsleben, besonders Konflikte in Stellungen, 
in denen das Individuum sich nicht wohl fühlt (Gouvemantenwahn), Unglücks¬ 
fälle, die dem Kranken unter Umständen zugleich den letzten Halt nehmen 
(Tod der Eltern u. a.), schreckenerregende Ereignisse (Eisenbahnzusammen¬ 
stöße, Erdbeben), enttäuschte Liebeshoffnungen, die an sich bereits einer krank¬ 
haft gesteigerten Erotik entstammen, haben die gleiche Wirkung. Daß auch 
der Unfall das Bestehen einer Paranoia offenbaren kann, wobei dann neben 



Die Entwicklung der Paranoia. 


17 


ilun als auslösendem Moment die Psychopathie berücksichtigt werden muß, 
betont Tintemann. Dem Querulanten gibt der erste wirkliche Rechtsstreit, 
der schon durch die abnorme Konstitution bedingt sein kann, der zu seinen Un¬ 
gunsten verläuft, der vielleicht wirklich einen Rechtsirrtum bedeutet, mit seiner 
starken affektiven Komponente den Anlaß zur Bildung wahnhafter Beeinträch¬ 
tigungsideen. Schließlich dürfte auch ganz andersartigen Einflüssen, wofern 
sie nur die Affekte in besonders starker Weise in Mitleidenschaft ziehen, eine 
auslösende Rolle bei der Entstehung der ersten Wahnidee zuzuschreiben sein, 
wie z. B. einer kurz dauernden Periode extremen Alkoholgenusses. An dieser 
Stelle ist auch des Einflusses plötzlich aufschießender Sinnestäuschungen zu 
gedenken, die ihrerseits auf dem Boden der krankhaften paranoischen Veran¬ 
lagung entstehen, die aber als erstes wirkliches Krankheitszeichen den Verfol- 
gxmgs- oder Größenideen den Eintritt ins Bewußtsein ermöglichen. 

Nicht immer ist eine derartige auslösende Ursache zu ermitteln; es gibt 
Fälle, in denen die erste Wahnidee sich anscheinend schleichend entwickelt, 
ohne daß es möglich wäre, außer der langsamen psychopathischen Umwandlung 
der Denk- und Handlungsweise nachträglich ein wirksames Moment herauszu¬ 
finden. Ganz abgesehen davon, daß die Vorgeschichte auch in dieser Beziehung 
oft im Stiche läßt, daß zwischen dem auslösenden Ereignis und dem sichtbaren 
Hervortreten der ersten Wahnidee eine größere Spanne Zeit liegen kann, wie 
das Merklin häufig fand, ist anzunehmen, daß innere Affektstürme, die infolge 
der eigenartigen Gedankenreihen derartiger Individuen auf tauchen, die gleiche 
Wirkung haben wie äußere affektive Einflüsse. Die Entstehung der ersten Wahn¬ 
idee aus Sinnestäuschungen und ekstatischen Zuständen (Ergriffenheit, Ziehen) 
heraus würde den Übergang zu den äußeren veranlassenden Momenten dar¬ 
stellen. Daß die Ursache der ersten Wahngenese zuweilen eine ganz unbedeutende, 
zu ihren Folgen in keinerlei Verhältnis stehende sein kann, erklärt sich daraus, 
daß es bei der allgemeinen krankhaften Höhe der Affektivität und der krank¬ 
haften Veranlagung des ganzen Gemütslebens oft nur eines kleinen Anstoßes 
bedarf, um das seelische Gleichgewicht völlig zu stören und zur „katath 5 nnen“ 
(Maier), d. h. durch Wunsch- und Angsteffekte oder ambivalente Strebungen 
im Zusammenhänge mit bestimmten Vorstellungskomplexen bewirkten Wahn¬ 
bildung zu führen. Maier unterscheidet deshalb zwei Gruppen von zur Paranoia 
disponierten Individuen; einmal solche mit angeboren unklaren Vorstellungen, 
über die die Affekte leicht überwiegen können, andererseits solche mit normaler 
Intelligenz, die aber eine angeborene sehr lebhafte Affektivität mit großer Tena- 
zität haben. Mangelhaftigkeit der Verstandestätigkeit und krankhafte Affekt¬ 
anlage stehen so in bestimmtem gegenseitigen Verhältnis und können sich bei 
der Vorbildung des zur Wahngenese geeigneten Bodens wie bei dieser selbst bis 
zu einem gewissen Grade ergänzend vertreten. Interessant ist in diesem Zusam¬ 
menhänge die Ansicht Kreusers, daß für die chronische Paranoia nur kleine 
Ursachen wirksam wären, da sonst ein Sturm im Bewußtsein oder in den Affekten 
entstehen würde, der zu einem ganz anderen Krankheitsbilde führen müßte; 
auch Kraepelin schreibt den letzten entscheidenden Anstoß zur Anerkennung 
des Wahnes nicht selten an sich ganz unbedeutenden Vorgängen zu. Auf Grund 
dieser ersten wahnhaften Störung der Vorstellungssphäre verliert das Individuum 
mehr weniger die Fähigkeit, neu erworbene Vorstellungen mit den älteren har- 
Krueger, Die Paranoia. 2 



18 


Die Entwicklung der Paranoia. 


monisch zu verbinden, weil die krankhafte Idee „überwertig“ ist, das ganze 
Denken beherrscht, so daß neue, besonders der wahnhaften Vorstellung ent¬ 
gegenstehende Erfahrungen nicht aufgenommen werden und damit eine Kor¬ 
rektur der Wahnideen unmöglich wird. Eine solche Bedeutung können nur Vor¬ 
stellungen erlangen, die sich an ein stark affektbetontes Ereignis anschließen, wie 
auch Förster betont. Ähnliches nehmen auch Bleuler und Maier an, wenn sie 
die Bedeutung der „Komplexe“ in der Paranoia hervorheben; allerdings sind der¬ 
artige Komplexe keineswegs Ursache der Paranoia an sich, sondern nur Kristalli¬ 
sationspunkte der einzelnen Wahnvorstellungen, die allein ja das Wesen der Er¬ 
krankung nicht ausmachen, sondern nur ihr hervorstechendstes Symptom darstellen. 

Daß durchaus nicht immer gefühlsbetonte Komplexe an der Wurzel der 
paranoischen Wahnideen sich finden, betont auch Berze, der dabei allerdings in 
der Störung der Affektivität bereits einen Folgezustand der Einwirkungen der 
krankhaften Vorstellungen sieht, die ihrerseits einem Versagen der Apperzeption, 
also des Vorganges, „durch welchen irgendein psychischer Inhalt zu klarer Auf¬ 
fassung gebracht wird,“ ihre Entstehung verdanken, so daß das psychische 
Leben des Individuums sich mehr in einem unterbewußten oder halbbewußten 
Zustande abspielt. Daß eine derartige Störung mit ihrer Steigerung des Gefühles 
des Erleidens, des widerstandslosen Hingegebenseins an fremden Einfluß und 
Willen, aus dem der Wahn des „Geschädigtseins“ und weiter der Beziehungs¬ 
und Verfolgungswahn entstehe, für die Paranoia pathognomonisch sei, ist aller¬ 
seits bestritten worden. 

Die Affektrichtung, die diese stark gefühlsbetonten Ereignisse zeigen, ist 
für die Richtung des durch sie ausgelösten Wahnes anscheinend völlig bedeutungs¬ 
los. Stark unlustbetonte Momente können sowohl die Ursache von Verfolgungs- 
wie von Größenideen werden, der Tod geliebter Personen, die Strafhaft wie 
ein freudiges Ereignis können zum Ausbruch des Größen- wie des Verfolgungs¬ 
wahnes führen. Es kommt nur auf den Eintritt einer Gemütserschütterung, 
eines AHektstoßes an sich an, von dessen Richtung aber die Richtimg des Wahnes 
unabhängig ist. Die letztere ist nur in der vorpsychotischen paranoischen Ver¬ 
anlagung mit der ihr eigentümlichen Affektrichtung begründet, sie entwickelt 
sich aus den schlummernden Leidenschaften des Ichkomplexes heraus (Tiling). 
Wenn aber im Beginne der Wahngenese dennoch durch die überwältigende 
Stärke der den Wahn auslösenden Gemütserschütterung diese auf die Wahnfabel 
einen geringen Einfluß erlangt, so ist derselbe stets ein vorübergehender und 
macht in kurzem unter Abblassen der entstandenen Beziehungsideen dem in 
der Konstitution verborgen gelegenen Wahne Platz. 

Es geht aus den obigen Ausführungen hervor, daß bei dem Ausbruch der 
Paranoia psychogene Momente als auslösende Ursache anzuschuldigen sind, und 
es sei deshalb an dieser Stelle die Frage erörtert, ob wir es bei der Paranoia mit 
einer eigentlichen Krankheit, d. h. mit einem zu irgendeinem Zeitpunkte des 
Lebens einsetzenden krankhaften Prozesse, der in das psychische Leben zer¬ 
störend und verzerrend eingreift und etwas Neues im psychischen Geschehen 
darstellt, zu tun haben, oder ob es sich niu* um die folgerichtige Weiterbildung 
einer abnorm veranlagten, eigenartigen Persönlichkeit, die unabwendbar ist, 
und um deren Reaktion auf die verschiedenen, im Laufe des Lebens sie treffenden 
psychogenen Insulte handelt. 



Die Entwicklung der Paranoia. 


19 


Schon Tiling nahm an, daß die chronische Paranoia fast ohne das Hinzu¬ 
treten eines fremden, neuen Momentes aus dem natürlichen angeborenen Charakter 
des Individuums herauswachse. Jelgersma rechnet die Paranoia zu der Gruppe 
der Keimpsychosen, die bei einer von Anfang an defekten Anlage entstehen, 
deren Ausbruch aber durch ungünstige Lebensverhältnisse in ihrem Auftreten 
beschleunigt, in ihrer Intensität erhöht werden können. Die Symptome fügen 
sich in das Schema der normalen psychischen Prozesse, sind quantitativ, nicht 
qualitativ von den normalen Geisteszuständen verschieden, zeigen alle möglichen 
Übergänge zur Norm und einen mehr weniger psychogenen Charakter. Die 
psychogene Entstehung der paranoischen Ideen auf endogenem Boden betont 
auch Schnizer. Die Heidelberger Schule, an der Spitze Wilmanns, betrachtet 
die echte Paranoia und den Querulantenwahn nicht als Erkrankungen im engeren 
Sinne, sondern vielmehr als „die auf ein mehr oder weniger affektbetontes Er¬ 
lebnis hin einsetzende Verirrung der Entwicklung bestimmter Degenerations¬ 
formen“. Auch Bo ege möchte die Paranoia in die Gruppe der konstitutionellen 
Psychopathien einordnen. Kraepelin schreibt ebenfalls der Paranoia in ge¬ 
wissem Sinne eine psychogene Entstehungsweise zu, insofern bestimmte Lebens¬ 
erfahrungen einen maßgebenden Einfluß auf die Gestaltung des Wahnsystems 
gewinnen können. Er glaubt dabei, daß es zur paranoischen Wahnbildung infolge 
von durch teilweise Entwicklungshemmungen bedingten Unzulänglichkeiten der 
Verstandesarbeit komme, die gewisse ursprüngliche Denkgewohnheiten, die 
sonst mit der Reifung der geistigen Persönlichkeit mehr und mehr überwunden 
würden, dauernd fortbestehen lassen und bei entsprechender gemütlicher Ver¬ 
anlagung allmählich jene Verfälschung der Lebensanschauungen bedingen, die 
die Paranoia kennzeichnet. Er schließt, daß ein ausschlaggebender Grund für 
die Annahme eines Krankheitsvorganges als Ursache der Paranoia nicht vor¬ 
handen ist, daß es sich bei derselben vielmehr um die natürlichen Umwandlungen, 
denen eine psychische Mißbildung unter dem Einflüsse der Lebensreize unter¬ 
liegt, handelt. Er weist auf die vielen gemeinsamen Züge hin, die die Wahn¬ 
bildung des Paranoikers mit dem unentwickelten Denken des Kindes bzw. der 
auf tieferer Kulturstufe stehenden Völkerschaften hat. 

Daß die Paranoia eine exquisit degenerative Geistesstörung ist, ist bereits 
wiederholt betont worden; ebenso ist auseinandergesetzt, daß die degenerative 
Veranlagung, die als paranoische Konstitution bezeichnet wurde, in langsamer 
Steigerung bis zu dem Punkte sich entwickelt, auf dem mit der ersten Wahnidee 
die Paranoia entsteht. Wenn trotzdem die Paranoia als ein selbständiger Krank¬ 
heitsprozeß aufzufassen und von der allgemeinen psychischen Degeneration zu 
trennen ist, so geschieht das, weil einmal die Denkweise des ausgebildeten Para¬ 
noikers von der des Geistesgesunden doch durch eine tiefe Kluft getrennt ist, 
die in der Entwicklung der Paranoia an der Stelle liegt, wo die erste wirkliche 
Wahnvorstellung auftaucht, andererseits dieses Auftauchen wirklicher Wahn¬ 
vorstellungen aus den allgemeinen Beziehungsideen heraus wohl stets mehr 
minder plötzlich erfolgt^ daß äußeren Umständen in der Mehrzahl der Fälle 
ein entscheidender Einfluß auf die erste Wahngenese zuerkannt werden muß. 
Auch die Haftpsychosen, auf die vielfach zum Vergleiche hingewiesen worden 
ist, sind schließlich echte, vorübergehende Krankheitsprozesse, nach deren Ab¬ 
lauf wieder der psychische Status quo ante erreicht wird, auch wenn dieser bereits 

2 * 



20 


Die Entwicklung der Paranoia. 


eine abnorme seelische Verfassung bedeutet. Die ausgebildete Paranoia einfach 
als eine psychische Mißbildung zu betrachten, geht nicht an; eine psychische Mi߬ 
bildung ist die paranoische Konstitution, der paranoische Keim, mit dem viele 
Individuen ein Leben lang behaftet sind, aus der die Krankheit Paranoia aber 
nur in vereinzelten Fällen heraus wächst. Aus demselben Grunde ist es auch nicht 
angängig, eine Paranoia der Degenerierten von einer solchen nicht degenerierter 
Individuen zu unterscheiden, worauf schon Mercklin hinwies. Die Paranoia 
ist demnach ein Krankheitsprozeß, der mit der Bildung wahnhafter Vorstellungen 
beginnt, der die Berichtigung dieser falschen Ideen verhindert, häufig auch die 
normale Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt und unter dem dauernden Ein¬ 
fluß des Wahnes die Denkweise und das Fühlen des erkrankten Individuums 
fortschreitend verändert; erwachsen ist er auf der Grundlage einer angeborenen 
psychischen Mißbildung, aus der die Erkrankung unter der Einwirkung gemüt¬ 
licher Erschütterungen, also äußerer psychogener Momente sich entwickeln 
kann, ohne daß das eine Naturnotwendigkeit wäre. Daß infantile Züge (Dro- 
mard) im Bilde der Paranoia erscheinen, entspricht dem Vorhandensein der 
seelischen Entartung, die stets mit ihrer schwärmerischen, idealistischen Welt¬ 
auffassung, ihrem sprunghaften Denken, ihrem wechselvollen Wollen und Han¬ 
deln, ihrer Ablenkbarkeit und geringen Konzentrationsfähigkeit dem Denken, 
Fühlen und Handeln des Kindes nahe steht. Diese kindlichen Züge der psycho¬ 
pathischen Konstitution legt die ausgebildete Paranoia besonders in dem Punkte 
der Unbeständigkeit und des Mangels an Konzentrationsfähigkeit ab, die der 
einseitigen Verbohrtheit in die eigenen Ideen, der Stabilität der VorsteUungen, 
der starken egozentrischen Konzentration Platz machen. Diese letzteren Züge, 
die Starrheit des Wahnes der Paranoiker, der Starrsinn, mit dem einmal ge¬ 
bildete wahnhafte Ideen festgehalten werden, der Mangel psychischer Schmieg¬ 
samkeit kann andererseits gerade mit den Erscheinungen des beginnenden Alters 
in Parallele gesetzt werden; auch im Beginne des Seniums ist eine starke ego¬ 
zentrische Einengung der Persönlichkeit, Neigung zu Unbelehrbarkeit, Mi߬ 
trauen und Rechthaberei nachzuweisen, kurz eine allgemeine Erstarrung der 
psychischen Funktionen zu konstatieren, die sich in dem Festklammem an den 
alten eingewurzelten Vorstellungen, der Unfähigkeit, neue Eindrücke mit den 
alten zu verbinden, von den eigenen abweichende Gedankengänge zu verstehen 
und zu beurteilen, verbunden mit vagen Ideen der Zurücksetzung äußert. Genau 
dieselben psychischen Erscheinungen finden sich in ausgesprochenem Maße bei 
der Paranoia, besonders deren kombinatorischer und querulierender Form. 
Daß auf diese Ähnlichkeit der paranoischen Gedankengänge mit denen des 
Seniums großes Gewicht zu legen ist, wird gelegentlich der Besprechung des 
Ausganges des Paranoia und der bei ihr erhobenen klinisch-körperlichen und 
pathologisch-anatomischen Befunde besonders hervorgehoben werden. 

Die Weiterbildung zur Paranoia nimmt die paranoische Konstitution nur 
selten. Die in der Literatur darüber niedergelegten Zahlen schwanken ent¬ 
sprechend der Verschiedenheit der Begriffsfassung der Paranoia in weiten Grenzen. 
Mercklin fand unter 200 Anstaltsaufnahmen einen Paranoiafall, Weygandt 
konnte unter 3000 Aufnahmen nur dreimal die Diagnose Paranoia als vorläufig 
zutreffendste stellen, während v. Hoeßlin bei Durchsicht von 16 000 Kranken¬ 
geschichten keinen Fall von Paranoia fand, auf den Kraepelins neueste Schil- 



Die Entwicklung der Paranoia. 


21 


derung zutraf. Im allgemeinen ist in etwa 1% der Anstaltsaufnahmen die Dia¬ 
gnose Paranoia im oben umgrenzten Sinne zu stellen: doch wäre es verfehlt, 
daraus einen Rückschluß auf die wirkliche Häufigkeit der Erkrankung zu machen, 
da ein großer Teil der Paranoiker nie der Anstaltspflege bedarf, sondern sich trotz 
seiner Krankheit das ganze Leben hindurch in der Freiheit zu halten vermag. 
Es sind das Fälle, in denen der Wahn nicht gerade vitale Interessen des Indi¬ 
viduums oder seiner Umgebung betrifft, in denen der Kranke deshalb vor ernsteren 
Zusammenstößen mit derselben, die meistens den Grund für die Einlieferung 
in die Anstalt abgeben, geschützt werden kann. In hohem Grade abhängig ist 
die Frage der Notwendigkeit der Anstaltspflege natürlich von der sozialen Lage 
des Individuums. Wenn in den Irrenanstalten trotzdem weit mehr derartige 
Kranke verpflegt werden, als dem obigen Prozentsätze entspricht, so ist das der 
Langlebigkeit dieser Patienten zuzuschreiben, die die große Masse der Para¬ 
lytiker wie einen großen Teil der Schizophrenen und Epileptiker überleben. 

Was die Häufigkeit der Beteiligung der Geschlechter an der Erkrankung 
betrifft, so kann der einzelne Beobachter bei der relativen Seltenheit der Fälle 
für seine Zahlen keine allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Kraepelin fand, 
daß fast 70% seiner Kranken Männer waren; Berger konstatierte ebenfalls 
die Paranoia simplex häufiger beim männlichen, die Paranoia hallucinatoria 
dagegen häufiger beim weiblichen Geschlechte. Letztere Beobachtung, die von 
Samt bestätigt wird, führt er auf die größere Irritabilität der Rindenzentren 
bei den weiblichen Individuen zurück. Nach eigenen Erfahrungen dürfte ganz 
cdlgemein die Erkrankung des weiblichen Geschlechtes an der Paranoia im oben 
umgrenzten Sinne überwiegen; dabei kommt die Paranoia combinatoria bei 
beiden Geschlechtern etwa gleichmäßig häufig vor, die Paranoia hallucinatoria 
ist überwiegend beim weiblichen Geschlechte anzutreffen (3:1), während der 
Querulantenwahnsinn naturgemäß mehr dem männlichen Geschlechte Vorbe¬ 
halten ist. Dieses Überwiegen der Erkrankungsziffer des weiblichen Geschlechtes, 
vor allem an der Paranoia hallucinatoria, dürfte neben dem von Berger an¬ 
gegebenen Grunde in engem Zusammenhänge mit dem Zivilstande der Erkrank¬ 
ten, besonders der erkrankten Frauen, stehen. Von den letzteren waren über 
80% ledigen oder verwitw^eten Standes, etwa verwitwet. Die bereits oben 
erwähnten Umstände, durch die die Weiterentwicklung der paranoischen Kon¬ 
stitution angeregt wird, die Unsicherheit der sozialen Position, oft materielle 
Not, vielleicht auch eine aus unbefriedigter Sexualität entspringende gemütliche 
Verstimmung als Hilfsursache dürften dieses Überwiegen der Frauen in der 
Erkrankungsziffer verschulden. 

Die Paranoia ist vorzugsweise eine Erkrankung des späteren Lebensalters, 
eine Eigenschaft, die sie mit allen durch ausgedehntere Wahnbildung begleiteten 
Psychosen teilt. Die Ausbildung von wahnhaften Vorstellungskreisen bedarf 
anscheinend eines erheblicheren Vorstellungsschatzes, einer Summe von Lebens¬ 
erfahrungen, deren krankhafte Verarbeitung möglich ist. Selbstverständlich 
ist das kein Dogma; der individuellen Eigenart und den äußeren Verhältnissen, 
die manchen Menschen bereits in jungen Jahren ausgedehnte Lebenskenntnisse 
erwerben lassen, entsprechen auch in der Paranoia Fälle, in denen das Leiden 
in verhältnismäßig frühem Lebensalter beginnt, wenngleich derartigen Fällen 
gegenüber stets große Skepsis am Platze ist. Eine Schwierigkeit bei der Fest- 



22 


Die Entwicklung der Paranoia. 


Stellung des Erkrankungsalters li^ weiter darin, daß es bei einem Leiden, das 
sich schleichend aus einer eigenartigen Geistes- und Gemütsverfassung entwickelt, 
schwer ist, den Beginn des eigentlichen Krankheitsprozesses zu bestimmen. 
Kraepelin gibt für seine Fälle an, daß 2/3 derselben nach dem 30. Lebensjahre 
erkrankten, verhältnismäßig häufig zwischen dem 30. und 40. Jahre, daß sich 
in vereinzelten Fällen aber die Spuren der Krankheit bis ins 16. und 18. Lebens¬ 
jahr verfolgen ließen. Nach Kleist fällt der Beginn der von ihm Involutions¬ 
paranoia genannten Fälle ins 40. bis 52. Lebensjahr. Nach einer eigenen Zu¬ 
sammenstellung, die allerdings eine große Anzahl halluzinatorischer Paranoia¬ 
erkrankungen in sich faßt, beginnt nur ein ganz geringer Prozentsatz der Er¬ 
krankungen vor dem 30. Lebensjahr, der Kulminationspunkt findet sich zwischen 
dem 40. und 45. Lebensjahre, doch erkrankt eine Reihe von Individuen noch 
in dem nächsten Lebensjahrzehnt. Jedenfalls ließ sich der Beginn sicherer 
krankhafter Erscheinungen in 75% der Fälle in die Zeit zwischen das 40. und 

55. Lebensjahr verlegen (s. Fig. 1 ). 

Die Häufigkeit der Erkrankung in diesem 
Zeitraum, in den das Klimakterium fällt, hat 
Kleist dazu geführt, diese Fälle als eine be¬ 
sondere Krankheit, die Involutionsparanoia, 
anzusprechen, „die nicht etwa eine Unterform 
der wohlbekannten, eigenartigen, auf allen 
Lebensstufen vorkommenden Krankheit ,Para- 
noia' ist,*' sondern die eine besondere Gruppe 
wesensgleicher Krankheitsfälle, welche den 
Namen Paranoia, und in Hinsicht auf das E3r- 
krankungsalter Involutionsparanoia verdient, zu¬ 
sammenfaßt. Die,,Frühparanoia“ (Kraepelins 
Paranoia) wäre durch den stets schleichenden 
vefane | -ä? I -J5 I - 4 ^ i -v5 i -so i -55 | Verlauf und eine viel enger begrenzte Sympto- 

j matologie von der Involutionsparanoia zu unter¬ 

scheiden. Kleist nimmt dabei an, daß die 
Steigerung der auch von ihm gefundenen paranoischen („hypoparanoischen“) 
Konstitution zur Involutionsparanoia aus inneren Gründen, nicht durch äußere 
Erlebnisse oder an diese geknüpfte Wünsche erfolge, vielleicht durch inner¬ 
sekretorische Veränderungen, die durch den Nachlaß und das Auf hören 
der Funktion der Geschlechtsorgane bewirkt werden, hervorgerufen. Von 
seinen Patienten erkrankten sechs in den dem endgültigen Ausbleiben der Menses 
unmittelbar vorausgehenden Jahren, eine war noch menstruiert, bei einer be¬ 
standen zur Zeit des Ausbruches der Krankheit schon klimakterische Symptome, 
bei einer fiel der Beginn der Erkrankung in die Wechseljahre. Von Interesse 
ist vielleicht besonders ein Fall, der ein Jahr nach einer durch Kastration herbei¬ 
geführten künstlichen Menopause paranoisch erkrankte. Die Bedeutung der 
Wechseljahre für die Paranoia hallucinatoria betont auch Samt. Von Bergers 
Fällen fiel dagegen nur in zweien von achtzehn der Beginn der psychischen 
Veränderung annähernd mit dem Einsetzen der Menopause zusammen, in vier 
Fällen bestand dieselbe bei Eintritt der Psychose bereits längere Zeit, oft schon 
mehrere Jahre lang, in elf Fällen war die Periode bei Beginn der Erkrankung 





Die ELrankheitserscheinungen. 


23 


noch regelmäßig, meist noch viele Jahre hindurch. Berger kommt daher zu 
dem Schlüsse, daß die als klimakterisch zu betrachtenden Fälle nur die alte 
Angabe bestätigten, daß die chronische Paranoia nicht selten im Klimakterium 
ausbricht, wodurch ihm aber die Annahme einer besonderen Involutionsparanoia 
nicht gerechtfertigt erscheint. Diesem Schlüsse Bergers ist durchaus beizu¬ 
pflichten, vor allem im Hinblick auf die immerhin nicht seltenen Fälle, in denen 
die Paranoia in einem Alter ausbricht, wo von einer Involution, und sei sie auch 
eine vorzeitige, noch keine Rede sein kann, dabei die Symptomatologie, der 
Verlauf und der Ausgang der Erkrankimg von den zur Zeit des Klimakteriums 
beginnenden in keiner Weise abweicht, andererseits auch im klimakterischen 
Alter rein kombinatorisch entstandene Paranoiaerkrankungen, wie sie Krae- 
pelins Forderungen entsprechen würden, sich finden. 

Über die erbliche Belastung der Paranoiker sind ebenso wenig sichere An¬ 
gaben zu machen wie in betreff der übrigen allgemeinen Verhältnisse, einmal 
wegen der Seltenheit der Fälle, dann aber auch, weil bei dem späten Erkrankungs¬ 
alter und dem noch späteren Alter des Eintrittes in die psychiatrische Beobachtung 
objektive Nachrichten über die Familiengeschichte sehr selten zu erhalten sind. 
Nach Kraepelin wird in etwa einem Viertel der Fälle Geisteskrankheit bei 
den Eltern angegeben. Hübner fand dabei in der Aszendenz von Paranoikern 
häufiger Psychopathen als ausgesprochene Geisteskranke. Die eigene Nach- 
forschimg ergab, daß in 50% der Fälle eine erbliche Belastung aus der Ver¬ 
schrobenheit, Geisteskrankheit (25%), Selbstmord oder Trunksucht der Eltern 
oder nächsten Anverwandten sicher gestellt werden konnte. Auffallend häufig 
fand sich dabei das Suicid in der Aszendenz, doch waren auch die Geschwister 
nicht frei davon. Es dürfte, besonders im Hinblick auf die vorpsychotische, 
von Jugend auf bestehende abnorme Veranlagung der Paranoiker, anzunehmen 
sein, daß der angegebene Prozentsatz bei weitem nicht an die wirkliche Belastung 
heranreicht: die Paranoia gehört zu den vorzugsweise degenerativen Psychosen. 

Die Krankheitserscheinungen. 

Das grundlegende Symptom der Paranoia ist die Entwickelung eines Systems 
von Wahnvorstellungen. So mannigfach die Charaktere, so eigenartig die Denk¬ 
richtung, so verschieden die Einflüsse der Elrziehung, des Berufes imd des Lebens, 
so verschieden ist der Wahn der Paranoia. Alles, was in der vorpsychotischen 
Zeit das Streben des Individuums anstachelte, alles, was richtunggebend für sein 
Denken, Wollen und Handeln war, wird in die Psychose hinübergenommen. 
So ist es natürlich, daß einmal kein paranoischer Wahn ganz dem anderen gleicht, 
daß der Eigentümlichkeiten des Wahninhaltes zahllose sind, andererseits aber 
auch, daß die Hauptrichtungen menschlichen Denkens und Strebens, die uns 
allen gemeinsam sind, um die sich auch beim psychisch Gesunden die individuellen 
Oiaraktereigenschaften gruppieren, im Wahne durch Bildung bestimmter Wahn¬ 
richtungen zum Ausdrucke kommen. Zwei im Grunde einander diametral ent- 
g^enstehende Richtungen sind es, auf die die Wahnbilder der Paranoia wie 
aller anderen wahnbildenden Psychosen zurückgeführt werden können. Einmal 
wird die krankhafte Eigenbeziehung im feindlichen Sinne gedeutet und es kommt 
zu Beeinträchtigungsideen, das andere Mal dient sie dem Selbstbewußtsein als 
Bestätigung und Reizmittel, was zu Größenideen führt. Beide, im Prinzip ent- 



24 


Die Krankheitserscheinungen. 


gegengesetzten Wahnformen pflegen sich in mannigfacher Weise zu verbinden, 
sei es, daß die eine aus der anderen auf dem Wege logischen Schlusses entsteht, 
sei es, daß beide bereits von Anfang an nebeneinander sich entwickeln. Eine 
eigentümliche Form der Verbindung dieser beiden Wahnrichtungen bietet die 
Paranoia querulatoria, eigentümlich durch die Besonderheit der Reaktion, die 
die Ideen krankhafter Eigenbeziehung hervomifen, nach der die Gruppe auch 
ihren Namen trägt. Innerhalb des Beeinträchtigungs- wie des Größenwahnes läßt 
sich wieder eine Reihe von kleineren Gruppen zusammenfassen, die bestimmten 
Denkrichtungen und Charaktereigentümlichkeiten entsprechen. 

Während in einem Teile der Paranoiafälle die Wahnentwicklung und 
-Weiterbildung rein kombinatorisch erfolgt, die Sinneswahmehmungen dagegen 
nur gelegentliche krankhafte Veränderungen zeigen, sind die letzteren in einem 
anderen Teile in hohem Grade und dauernd alteriert. Bei den Trugwahmeh- 
mungen handelt es sich in der Mehrzahl um unter dem Einflüsse des bestehenden 
Wahnes erfolgende illusionäre Verfälschung normaler Sinneseindrücke, während 
wirkliche unvermittelte Halluzinationen selten sind. Sehr schwierig, ja häufig 
unmöglich ist es bei der durch Erinnerungsverfälschungen bewirkten retrograden 
Umwandlung aller Erlebnisse zu Bestandteilen des herrschenden Wahnes, diese 
von wirklichen Trugwahmehmungen irgendwelcher Art zu scheiden, vor allem 
bei denen auf den Gebieten des Gefühles, Geruches und Greschmackes. Was in der¬ 
artigen Fällen nur wahnhafte Ausdeutung wirklicher Schmerzen, Geruchs- oder 
Geschmacksstörungen ist, was als echte Sinnestäuschung betrachtet werden 
kann, ist häufig nicht sicher zu analysieren; sicher ist aber, daß vor allem auf 
dem Gebiete des Gehörs, doch auch auf den übrigen Sinnesgebieten Trugwahr¬ 
nehmungen oft massenhaft und dauernd entstehen, die entweder im Sinne 
der herrschenden Wahnfabel gewertet, oft auch durch sie modifiziert werden, 
oder aber die weitere Ausgestaltung der letzteren beeinflussen. Daß sie in 
selteneren Fällen auch an der Spitze der krankhaften psychischen Vorgänge 
stehen und die erste Wahnbildung anregen oder erleichtern können, mithin die 
auslösende Ursache der Paranoia zu werden vermögen, ist bereits oben be¬ 
tont worden. 

Die letzteren Fälle sind sicherlich selten. Meist sind die Sinnestäuschungen, 
wie Jelgersma es ausdrückt, die bildliche Wiedergabe von einfaehen oder zu¬ 
sammengesetzten Geistesprozessen; sie setzen eine bestimmte psychische Ver¬ 
fassung voraus, deren kurzen Inbegriff sie darstellen. Sie neigen in hohem Grade 
dazu, den pathologischen Geisteszustand, auf dem sie erwachsen, zu verstärken 
und dienen dem Kranken zur Bestätiguug der Richtigkeit seines krankhaften 
Geisteszustandes. Sie finden stets, wie auch die Wahnideen, in ihm ihre Ursache 
und stimmen mit dem allgemeinen Inhalt des Denkens überein, selbst wenn sie 
gegen den Willen des Individuums sich in das Bewußtsein drängen. Es ist deshalb 
sehr erklärlich, daß bei den überwertigen Wahnvorstellungen der Paranoiker 
Sinnestäuschungen sehr leicht auftreten, eine große sinnliche Kraft besitzen und 
ihrerseits von größtem Einflüsse auf die Weiterentwickelung des Wahnes sind. 
Daß daneben gelegentlich auch Sinnestäuschungen auftreten, die mit dem Wahn¬ 
system in keinem sichtbaren Zusammenhänge stehen (meist handelt es sich um 
Illusionen dabei), gleichwohl aber mit der Wahnfabel nachträglich verknüpft 
werden, worauf auch Hübner hinweist, ist zuzugeben, stellt immerhin ein sehr 



Die Paranoia combinatoria. 


25 


seltenes Vorkommnis dar und gibt keinen Grund zu einer Abtrennung derartiger 
Fälle von der Paranoia. 

Zwischen der reinen oder fast reinen kombinatorischen Form der Paranoia 
und den mit zahlreichen Trugwahmehmungen einhergehenden Paranoiafällen 
gibt es fließende Übergänge, die die Zusammengehörigkeit beider Formen be¬ 
weisen, sei es, daß vereinzelte Sinnestäuschungen bei sonst kombinatorisch sich 
entwickelnden Erkrankungen von Anfang an Jahre hindurch in steter Wieder 
kehr auf treten, sei es, daß in Fällen, die lange Zeit hindurch rein kombinatorisch 
sich entwickelten, plötzlich oder allmählich Halluzinationen oder Illusionen in 
die Erscheinung treten, die zum hervorstechendsten Bestandteile der Krankheit 
werden. Wenn daher die Paranoia zweckmäßig als Paranoia combinatoria und 
Paranoia hallucinatoria neben der Paranoia querulatoria beschrieben wird, so 
ist daran festzuhalten, daß zwischen diesen Formen kein prinzipieller Unter¬ 
schied besteht, daß zahlreiche fließende Übergänge zwischen beiden Formen 
sich finden, daß eine Erkrankung, die zu Anfang die Bezeichnung Paranoia com¬ 
binatoria verdiente, später mit Auftauchen zahlreicher Sinnestäuschungen zur 
Paranoia hallucinatoria werden kann, während andererseits nach längerem Ver¬ 
laufe der Erkrankung bestehende Sinnestäuschungen an Zahl abnehmen, an 
Sinnfälligkeit schwächer werden können, so daß die Krankheitsbezeichnung der 
halluzinatorischen Paranoia nicht mehr berechtigt ist, daß der Inhalt der Wahn¬ 
ideen beider Formen der Verrücktheit der gleiche ist, daß endlich querulatorische 
Züge der Mehrzahl der Paranoiker eigen sind, während andererseits die Paranoia 
querulatoria auch außerhalb der rechtlichen Begriffe Beeinträchtigungsideen, 
wie auch stets solche der Selbstüberschätzung aufweist. 

Die Paranoia combinatoria. 

Unter der Bezeichnung Paranoia combinatoria fassen wir diejenigen Para¬ 
noiafälle zusammen, in denen die Wahngenese und -Weiterentwicklung aus der 
paranoischen psychopathischen Konstitution mit ihrer parakritischen Denk¬ 
weise und ihrer krankhaften Affektivität lediglich auf dem Wege formalrichtiger 
Trugschlüsse und des infolge der krankhaften Voraussetzungen zustande kommen¬ 
den Abgleitens der Assoziationsvorgänge in die durch die paranoische Denk¬ 
weise entstandenen Nebengleise sich vollzieht, während den Trugwahmehmungen 
keinerlei wesentliche Bedeutung zukommt. Diese kombinatorische Form be¬ 
ginnt häufiger im früheren Lebensalter als die halluzinatorische Abart * sie wächst 
stets schleichend aus der paranoischen Konstitution heraus, zeigt besonders 
schön die langsame, dabei unaufhaltsam fortschreitende Verrückung der Stellung 
des Individuums zur Umwelt. Aus einer noch in den Bereich der Norm fallenden 
eigentümlich einseitigen Denkweise, wie sie oben beschrieben ist, unter dauernder, 
sich stets verstärkender und ausbreitender affektiver Hochspannung, entsteht 
unter dem Einflüsse einer exogenen gemütlichen Einwirkung als auslösenden 
Momentes die erste Wahnfabel, meist der Gruppe der Beeinträchtigungs-, seltener 
den Größenideen zugehörig. Stets von ihrer gefühlsmäßigen, ihnen selbst un¬ 
erklärlichen, deshalb um so unangenehmer empfundenen Unruhe bedrückt, in 
ängstlicher Erwartung des kommenden Guten oder Bösen, imfrei gegen die Außen¬ 
welt, unfrei besonders gegen sich selbst, empfinden diese Individuen das Auf¬ 
tauchen ihres Wahnes, auch wenn er ihnen im Grunde Unheil bringt, als eine 



26 


Die Krankheitserscheinungen. 


Erlösung von der Pein ängstlicher Erwartung, die sie bis dahin beherrachte. 
Es kommt zum teilweisen Abreagieren des krankhaften Affektes, nachdem der 
Paranoiker den wenn auch wahnhaften Grund für sein Mißtrauen gefunden, 
die Bestätigmig seiner selbstbewußten, gehobenen Stimmung erhalten zu haben 
glaubt. 

Mit dem Aufschießen der ersten ausgebildeten Verfolgungsidee weicht 
deshalb ein Teil der psychischen Spannung vom Paranoiker, den dafür seine 
krankhaften Vorstellungen mehr und mehr in Anspruch nehmen, die sein Denken 
erfüllen, sein Wollen und Handeln bestimmen, seine Affekte beherrschen. Der 
Kranke ist in stetem Kampfe mit seinen Verfolgern, in dauernder Abwehr der 
Bedrohungen an Leib und Leben, in unaufhörlicher Verteidigung seines Rechtes 
begriffen. Im übrigen ist der Inhalt der Verfolgungsideen ein sehr verschiedener. 
Während ein Teil der Paranoiker während der ganzen Krankheitsdauer in der 
Hauptsache nur Ideen allgemeiner Beeinträchtigung äußert, wie sie wohl bei 
allen Kranken im Beginne der Wahnbildung zu finden sind, leiten dieselben in 
einer großen Anzahl von Fällen später in gewisse, typisch wiederkehrende Wahn¬ 
gruppen hinüber, die als physikalisch-chemischer Vemichtungswahn, als eroti¬ 
scher Beeinträchtigungs- oder Eifersuchtswahn, endlich als hypochondrischer 
Wahn bezeichnet werden können. Von diesen ist der Wahn der Verfolgung 
mittels physikalischer und chemischer Einwirkungen der häufigste. Die dem 
Kranken meist nur ungenau bekannten, deshalb von einem geheimnisvollen 
Dunkel umgebenen Mächte der Elektrizität, des Magnetismus, der Maschinen 
einerseits, die wunderbare Wirkung der Chemikalien und Gifte, die in winzigen 
Mengen des Menschen Sinne umnebeln, ihn schädigen bzw. töten können, anderer¬ 
seits sind es, die als Quelle der ungeheuerlichen Nachstellungen und Quälereien 
beargwöhnt werden. Es ist überhaupt der Schleier des Geheimnisvollen, des 
Mystischen, der diese zum Teil halbgebildeten, dabei lernbegierigen Individuen 
anzieht. Daher auch die Häufigkeit, mit der die Hypnose, die Suggestion, der 
Spiritismus, die Telepathie, das Gesundbeten, die oft schon im vorpsychotischen 
Leben derartiger Individuen eine verhängnisvolle Rolle spielen, das Material 
zur Wahnbildung abgeben. Die Häufigkeit des Eifersuchtswahnes ergibt sich 
aus der großen Bedeutung der sexuellen Triebe im menschlichen Leben, b^nders 
auch in der Klasse der Psychopathen, aus der sich die Paranoiker rekrutieren. 
Der hypochondrische Wahn endlich, der an sich ein besonderes Maß egozentrischer 
Verarbeitung allerWahmehmimgen erfordert, findet sich bei der Paranoia nicht 
in dem Umfange und der Häufigkeit, wie man ihn bei der ausgesprochenen Art, 
wie sich diese Kranken mit dem eigenen Ich beschäftigen und wie sie alles mit 
dem eigenen Ich in Verbindung bringen, erwarten sollte. Ein reiner hj^pochon- 
drischer Wahn kommt bei Paranoikern wohl überhaupt nicht vor, dagegen finden 
sich in einem großen Teile der Fälle einzelne hypochondrische neben anders¬ 
artigen Ideen. Der Grund für diese merkwürdige Tatsache ist in dem Umstande 
zu suchen, daß die meist recht scharf beobachtenden Kranken nie die Fähigkeit 
verlieren, sich über die eigene Person, die ihnen das zugänglichste ist, zu orien¬ 
tieren, daß sie sich von der Absmdität maßloser hypochondrischer Ideen, wie 
sie der Melancholische, der senil Demente, der Schizophrene, der Paraljdiker 
hervorbringen, zu überführen vermögen, wenngleich sie zufällige wirkliche 
körperliche Beschwerden im Sinne ihrer wahnhaften Beeinträchtigungsvor- 



Die Paranoia combinatoria. 


27 


Stellungen hypochondrisch ausdeuten. So hält der Kranke seine rheumatischen 
Beschwerden für die Einwirkungen elektrischer Ströme, die gegen ihn entsandt 
werden, Anginen für die Folge von Vergiftungsversuchen; Augenentzündungen 
entstehen ihm durch das Überspringen elektrischer Funken von der Starkstrom¬ 
leitung, die durch sein Zimmer gelegt ist, Furunkel werden ihm mittels Brenn¬ 
spiegels von seinen Verfolgern erzeugt. Häufig wird man von den Erklärungen, 
die hypochondrische Vorstellungen solcher Kranken bei der Autopsie finden, 
überrascht, wo etwa eigenartigen Unterleibssensationen ein unerkannt gebliebenes 
Gebärmutter- oder Mastdarmkarzinom entspricht. Dieselben Ursachen liegen 
zwar den hypochondrischen Klagen oft auch bei andersartigen Erkrankungen 
zugrunde; der weitere Ausbau derselben zu ausgesprochenen hypochondrischen 
Wahnsystemen aber, die Irradiation gerade der hypochondrischen Vorstellungen 
auf alle Körpergebiete in maßloser Form fehlt bei der echten Paranoia, weil 
eben der Paranoiker kraft seiner ungeschwächten Beobachtungsgabe sich von 
der Gesundheit der meisten seiner Organe dauernd zu unterrichten vermag. 

Es ist natürlich, daß, je mehr der Paranoiker sich mit seinem Ich und den 
Angriffen auf dasselbe beschäftigt, je mehr die eigene Person in den Vorder¬ 
grund des Interesses gedrängt wird, je länger alle Versuche seiner Gegner, ihn 
zu schädigen, wenn sie ihm auch manche schwere Stunde bereiten, ihm Schmerzen 
zufügen usw., trotz der aufgewandten Mühe und Machtmittel im Gnmde doch 
fruchtlos an ihm abprallen, in ihm der Gedanke aufsteigt, daß er über seinen 
Gegnern stehe, daß er ihnen an Geist und Tatkraft überlegen sei, daß sie nicht 
an ihn heranreichen könnten. Die meist schon verborgene Anlage zur Selbst¬ 
überschätzung führt so zuerst zu einem gehobenen Selbstbewußtsein, zur Über¬ 
schätzung der eigenen Person und Fähigkeiten und langsam zu ausgesprochenen 
Größenvorstellungen, wobei letztere zum Teil auch das Resultat der Suche nach 
dem Zwecke aller Verfolgungen und Quälereien sind. Auf der anderen Seite 
wird der Größenwahnsinnige durch den dauernden Widerstand, den er überall 
findet, der ihn an der Verwirklichung seiner Pläne hindert, der ihn um die Fruchte 
seiner Erfindungen zu bringen droht, zur Annahme ihm bewußt entgegenstreben¬ 
der, feindseliger Machte, d. h. zum Verfolgungswahne gedrängt. 

Wenn diese Ansicht von einem Übergange beider Wahnformen ineinander 
auf dem Wege mehr oder minder bewußter Überlegung damit bestritten wird, daß 
bei anderen mit Wahnbildung einhergehenden Krankheiten eine derartige Ent¬ 
wicklung häufig ausbleibt, so ist zu erwidern, daß es sich bei diesen Krankheiten 
entweder um solche handelt, die mit zunehmender Verblödung einhergehen 
(z. B. Dementia paralytica, Dementia senilis), wo also die logische Ausbildung 
eines Wahnsystems überhaypt unterbleibt, oder aber um solche, wo die Wahn¬ 
vorstellungen durch einen beherrschenden einseitigen Affekt dauernd unterhalten 
und nach einer Richtimg hin entwickelt werden (z. B. Melancholie, Manie), 
während bei der Paranoia weder eine Abnahme der intellektuellen Fälligkeiten, 
noch ein dauernder, richtunggebender, primärer krankhafter A&ekt vorliegt, die 
bestehenden Affekte wohl immer Mischaffekte sind, wenn auch meist die positive 
oder negative Komponente überwiegt, dabei die Willensäußerungen jahrelang 
eine direkte Steigerung der Stärke auf weisen. Es ist deshalb mit Sicherheit an¬ 
zunehmen, daß die Widerstände, die der Größenwahnsinnige bei der Umsetzung 
seiner wahnhaften Willensstrebungen in die Tat findet, für die Ausbildung des 



28 


Die Krankheitserscheinungen. 


anschließenden Beeinträchtigungswahnes als Hauptursache anzuschuldigen sind, 
daß andererseits als logische Folgerung aus dem Verfolgungswahn VorsteUungen 
der Selbstüberschätzung resultieren. Eine dritte, gerade bei der Paranoia häufig 
beobachtete Entstehung der Kombination beider Wahnrichtungen ist die, daß 
sie sich nebeneinander, in stetem Zusammenhänge miteinander, gleichzeitig 
entwickeln, daß sie der Reaktionsweise derartiger Individuen, die das gesteigerte 
Selbstbewußtsein einer innerlich haltlosen oder doch unsicheren Persönlichkeit 
bedingt, der Mischung im Grunde widerstrebender Affekte, die sie beherrscht, 
ihren Ursprung verdanken. 

Es ist sicher, daß die Entwicklung eines Größenwahnes dem geistesgesunden 
Menschen viel unverständlicher ist als das Auftreten von Beeinträchtigungs¬ 
ideen, daß das Auf schießen von Größen Vorstellungen eine viel stärkere Lockerung 
der Assoziationsvorgänge, eine viel intensivere Störung der Affekte notwendig 
erfordert. Die noch in die Gesundheitsbreite fallenden vagen Beeinträchtigungs¬ 
ideen sind viel weiter verbreitet und viel häufiger als derartige Selbstüberschätzungs¬ 
vorstellungen, auch hat die Gesundheitsbreite bei ihnen einen viel größeren 
Umfang. Paranoische VerfolgungsVorstellungen pflegen demgemäß sich viel 
leichter graduell aus den noch als normal anzusehenden Beeinträchtigungs¬ 
gefühlen zu entwickeln als krankhafte Größenideen aus dem allgemeinen Gefühl 
hoher Einschätzung der eigenen Körper- und Geisteskräfte. Es zeigt sich das 
besonders in dem Umstande, daß die Kranken ihr Verfolgungssystem meist 
formal logisch begründen, daß sie seine Entwicklung häufig außerordentlich 
gut beschreiben können und eine Beobachtung aus der anderen ableiten. Anders 
beim Größenwahn: Hier ist das plötzliche Aufschießen der Idee oder wenigstens 
eine sehr erhebliche Sprunghaftigkeit in der Entwicklung die Regel. Zu ihrer 
Begründung und zur Herstellung der der Logik des Kranken notwendigen Ver¬ 
knüpfung werden viel häufiger außerhalb der normalen Wahrnehmung liegende 
Zustände angenommen, sei es, daß Erinnerungsfälschungen bei dem Wahne 
hoher Abstammung die Kluft zwischen Wirklichkeit und Wahn überbrücken 
müssen, sei es, daß ekstatische Zustände meist traumhafter Art bei dem reli¬ 
giösen Größenwahn die auch dem Kranken fühlbare Lücke im logischen Aufbau 
seines Systems ausfüllen müssen, sei es, daß der Ursprung der Größenideen auf 
Sinnestäuschungen zurückführt. Die Größenideen, vor allem die primär ent¬ 
standenen, sind meist viel maßloser als die Beeinträchtigungsvorstellungen; 
sie beeinflussen das Handeln des Individuums in viel stärkerem Grade, rufen 
viel eher den Eindruck des geistigen Defektes hervor. Sn eil hält deshalb den 
Verfolgungswahn für das wesentliche Symptom der Paranoia; Selbstüber¬ 
schätzungsideen fehlen nach seiner Ansicht entweder ganz, oder sie treten zu¬ 
gleich mit Verfolgungsvorstellungen auf, bzw. folgen den letzteren. Reinen Größen¬ 
wahn ohne Beeinträchtigungsideen fand er nur bei Schwachsinnszuständen. Ebenso 
erklärt Lehmann, daß die echte Paranoia sich nur auf den Beeinträchtigungs- und 
Verfolgungswahn erstrecken könne, Größenideen dagegen ihre Wurzel in anderen 
Substraten haben müßten als in den Gefühlen, denen der erstere entspringt. 

Auch der Größenwahn der Paranoia nimmt, soweit es sich nicht um die 
allgemeinen Selbstüberschätzungen handelt, wie sie sich im Anfangsstadium 
zuweilen finden, seine Entwicklung nach bestimmten Richtungen, die in mehr 
oder minder ähnlicher Form stets wiederkehren und den Wünschen und Strebungen 



Die Paranoia combinatoria. 


29 


des Menschen je nach seiner ihm eigentümhchen Individualanlage ihren Ur 
Sprung verdanken. Die einen suchen ihre Überlegenheit auf intellektuellem Ge¬ 
biete darzutun, sei es, daß sie als Weltverbesserer und Volksbeglücker ihren 
notleidenden Mitmenschen helfen, die Prinzipien der Freiheit, Gleichheit, Brüder¬ 
lichkeit zum Siege führen, Ackerbau, Viehzucht, Industrie ergiebiger gestalten, 
der Pflege, Gesunderhaltung und Erziehung des Menschengeschlechtes neue 
Bahnen weisen wollen, sei es, daß sie durch epochemachende Erfindungen, die 
eine völlige Umwälzung der Technik auf den mannigfachsten Gebieten hervor- 
rufen sollen, die die Schätze der Luft, des Erdbodens, des Wassers nutzbar zu 
machen bestrebt sind, der Menschheit, aber nicht zuletzt auch sich selbst zum 
Glück und Wohlstand zu verhelfen suchen. Ein weiterer, recht erhebhcher 
Teil der Größenwahnsinnigen sucht der Menschheit Besserung und Heil auf 
reUgiösem Grcbiete zu bringen. Die Macht, die die mit mystischen Geheimnissen 
und Wundem überreichlich ausgestatteten biblischen Personen und ihre legen¬ 
dären Taten seit Jahrtausenden auf das menschliche Gemüt auszuüben vermögen, 
wirkt besonders stark auf di^e affektübererregbaren, oft klausnerisch zurück¬ 
gezogenen, grüblerischer Betrachtung zuneigenden, zu allem Übernatürlichen 
hingezogenen, phantasiereichen Individuen, so daß der Wahn, Prophet, der 
erwählte Bußprediger, der Sohn Gottes, der andere Messias zu sein, ein recht 
häufiger bei dieser Art von Kranken ist. Gerade diese Häufigkeit des religiösen 
Größenwahnes mit seinem ausgesprochen altruistischen Gepräge (wenn daneben 
auch egoistische Triebe stets eine Rolle spielen), wo häufig ein armseliges Leben 
der Büßpredigt dieser trotzdem Größenwahnsinnigen entspricht, ist typisch für 
den Größenwahn und das Krankheitsbild der Paranoia. 

Ein anderer Teil der Größenwahnsinnigen sucht seinem geheimen Streben 
nach Überlegenheit in mehr äußerUcher Weise zu genügen durch den Wahn 
hoher Abstammung oder durch wahnhafte Liebesbeziehungen oder eheliche 
Verbindungen mit hochgestellten Persönlichkeiten, wobei die Haupttriebfeder 
menschUcher Handlungen, die Sexualität, daneben zu ihrem Rechte kommt. 
Gerade diese wahnhaften AbkömmUnge alter Adels- imd Fürstengeschlechter 
sehen sich gezwungen, zwischen der armseligen Wirkhchkeit und ihren Wahn¬ 
ideen auf dem Wege der Erinnerungsfälschung oder der Sinnestäuschung einen 
Zusammenhang herzustellen, während bei den erotischen Größenwahnsinnigen 
die wahnhafte Ausdeutung von allerlei Zufälligkeiten oder ebenfalls von Sinnes¬ 
täuschungen zur Begründung des Wahnes und seiner Konsequenzen herhalten muß. 

Die Einzelheiten des Paranoikerwahnes sind innerhalb der angedeuteten 
Gruppen sehr verschieden. Kein Wahnsystem gleicht völlig dem anderen ; nur 
die Grandideen kehren wieder, die Art der Ausgestaltung und Ausschmückung 
des Wahnes hängt einmal ab von der individuellen Charakteranlage, der Er¬ 
ziehung und dem Bildungsgrade, der gesellschaftlichen Stellung und sozialen 
Lage des Kranken, andererseits von zufälligen Begebenheiten, Konflikten mit 
der Umgebung, Begegnungen, Lektüre, endhch von den Sinnestäuschungen, die 
wohl jeden Paranoiker vereinzelt im Laufe der Erkrankung heimsuchen. Die 
Schilderung der Verfolgungs- und Größenwahnsysteme, der Wahnausgestaltung 
und des Wahnverlaufes, wie sie im folgenden gegeben wird, ist nur als eine sche¬ 
matische zu betrachten, die in ihrem Rahmen so zahlreiche Einzeltypen umfaßt, 
als es Paranoiker gibt. 



30 


Die Krankheitserscheinungen. 


Zu Anfang des Verfolgungswahnes sind die Beeinträohtigungsvorstellungen 
unbestimmt, wechseln auch an Stärke und Lebhaftigkeit der Gefühlsbetonung. 
Der Kranke hat ein Gefühl allgemeiner Zurücksetzung und Bedrückung. Er 
fühlt sich über Gebühr beachtet, sucht und findet in allem imd jedem Beziehungen 
zu seiner Person. Man will ihm nicht wohl, ist nicht mehr so freundlich wie 
früher gegen ihn, ändert sein Benehmen, zieht sich von ihm zurück, will nichts 
mehr mit ihm zu tun haben, geht ihm aus dem Wege. Der Kranke hat das pein¬ 
liche, dabei sichere Gefühl, daß um ihn henun etwas vorgeht, „daß ein Gewitter 
im Anzuge ist“, daß „ein Geheimnis ihn umwebt“, hinter das er nicht kommen 
kann. „Ich fühlte es mehr, als ich es beweisen konnte.“ Ihm droht Gefahr^ 
Prüfungen stehen ihm bevor, es besteht „eine unheimliche Spannung“, deren 
Entladung der ICranke erwartet und fürchtet, ohne daß er Art und Richtung 
kennt, sich davor schützen oder sie ab wenden kann. 

Allmählich „lichtet sich das Dunkel“, „schließt sich der Ring enger“, 
kommt es ihm klar zum Bewußtsein“, daß man ihm planmäßig entgegenarbeitet,, 
daß „das Spiel abgekartet“ ist. Man geht darauf aus, ihn zu kränken, ihn unmög¬ 
lich zu machen, an Gesundheit und Ehre zu schädigen, seine ehelichen, seine Ver¬ 
mögensverhältnisse zu zerrütten, seine Stellung zu untergraben. Überall wird 
er schikaniert, wird auf ihn gescholten, wird er hinausgebissen. Man überwacht 
ihn, belauert ihn, spioniert ihn aus. Man steckt die Köpfe hinter ihm imd über 
ihn zusammen. Man sieht ihm höhnisch und verächtlich nach, betrachtet ihn 
von oben bis imten. Wildfremde Menschen speien vor ihm aus, lachen hinter ihm her, 
stoßen ihn an, treten ihn, pfeifen ihm grinsend ins Gesicht, wenn er vorbeigeht, 
suchen ihn zu ärgern. Selbst die Kinder haben keine Achtung mehr vor ihm, schneiden 
ihm Grimassen, stecken ihm di^ Zunge aus, höhnen lachend hinter ihm her. Über¬ 
all sucht man ihn durch offene oder versteckte Bosheiten zur Wut zu reizen. 

Der Kranke sieht sich seine Umgebung immer genauer an. Er bemerkt, 
daß seine Nachbarn ihn beobachten, sich viel vor seiner Wohnungstür aufhalten, 
wahrscheinlich, um durch das Schlüsselloch zu sehen; tritt er dann plötzlich 
aus seiner Türe, so sind sie verlegen und gehen mit scheuen Seitenblicken in 
ihre Wohnungen. Die Wände haben Ohren. Die Kameraden und Freunde 
zischeln über ihn, sehen sich bedeutungsvoll an, brechen ihr Gespräch ab, fcmgen 
ein Gelächter an, sobald er ins Zimmer tritt. Der Pfarrer, der sich sonst nie 
um ihn gekümmert hat, besucht ihn, um herumzuschnüffeln und ihn auszufragen. 
Polizeibeamte verfolgen ihn auf Schritt und Tritt, lassen ihn nicht aus den Augen, 
fragen nach ihm in seiner Wohnung unter irgendeinem Vorwände, man be¬ 
stellt ihn aus nichtigen Gründen auf das Polizeirevier. Spitzel, Detektivs folgen 
ihm in allen möglichen Verkleidungen, beobachten ihn, wahrscheinlich, um Mate- 
rial gegen ihn zu sammeln. „Es ist, als ob man unter Polizeiaufsicht stände“; 
„der gemeinste Verbrecher kann nicht mehr beobachtet werden“. Selbst die 
eigene Familie beteiligt sich an dem Treiben, die Verwandten besuchen ihn unter 
Vorwänden, lassen ihn nicht aus den Augen, wiegen bedauernd den Kopf oder 
sehen ihn spöttisch und verächtlich an; der eigene Ehegatte ist in seinem Wesen 
verändert und steckt anscheinend mit den übrigen unter einer Decke; die Kinder 
sind weniger zärtlich, ziehen sich scheu zurück, werden still und verlegen, sehen 
ihn mit großen Augen an. „Alles war verändert“, „ich wurde ganz ratlos“, „so 
konnte es nicht mehr lange weiter gehen, oder ich wäre verrückt geworden“. 



Die Paranoia combinatoria. 


31 


Endlich, früher oder später, plötzlich oder langsamer, wird es ihm klar, 
was man von ihm will, warum alle diese Quälereien, diese Nachstellungen in¬ 
szeniert sind. Man will seine Stellung untergraben, sein blühendes Geschäft 
vernichten, seine Ehe stören, seine Existenz ruinieren. Man will ihm die Ge¬ 
schlechtsehre rauben, ihn .um Hab und Gut bringen, will ihn mit seiner Familie 
entzweien, seine Frau, seine Kinder verderben; man will ihn ins Gefängnis bringen, 
dem Wahnsinn in die Arme treiben, man trachtet ihm nach Gesundheit und 
Leben. 

Auch die Gründe all dieser Nachstellungen werden ihm klar. Man will 
ihn aus seiner Stellung verdrängen, um seinen Posten einem anderen, dem Sohne 
oder Schwiegersöhne des Vorgesetzten, einem guten Freunde zu geben; „die 
Vetterschaft ist zu mächtig“. Seinem Geschäfte will der Konkurrent Abbruch 
tun, weil er es im ernsten Wettbewerb nicht mit ihm aufnehmen kann. Man 
beneidet ihm sein glückliches Familienleben, seine wohlerzogenen Kinder. Man 
will ihn vernichten, weil er vor Jahren seine Stimme bei einer Wahl für den 
Sozialdemokraten abgegeben hat, ihn verführen oder an seiner Geschlechtsehre 
schädigen, um nachher über ihn red^n, ihn verspotten zu können, um die eigenen 
Fehler zu verdecken, oder, weil er einst einen derartigen Antrag zurückgewiesen 
hat. Man will ihm endlich an Leib und Leben, um seinen Platz einzunehmen, 
um ihn nicht mehr fürchten zu müssen, um ihn zu beerben, um seine Frau ehe¬ 
lichen zu können, um sich zu rächen. 

Schließlich weiß der Kranke auch, von wem alle diese Verfolgungen aus¬ 
gehen, wer dahintersteckt, wem er sie zu danken hat. Der Bürgermeister, die 
Voi^esetzten, die Kollegen, der Reichskanzler, der ungetreue Geliebte, die ver¬ 
lassene Braut, die geschiedene Ehefrau suchen ihn zu verderben. Die Polizei, 
die Beamten, Richter, Geistliche, Ärzte stecken hinter den Nachstellungen. 
Er hat es mit den Sozialdemokraten, den Welfen, Juden, Antisemiten, Katho¬ 
liken, Jesuiten, den Freimaurern, Spiritisten, Anarchisten, Nihilisten, den Elek¬ 
trikern verdorben. Der Frauen-, der Krieger verein, der Klub wollen ihn ruinieren. 
Ein „Fanatiker“ stellt dem Kranken nach, „5 Dirnen und 5 Männer, deren Zu¬ 
hälter“ quälen ihn auf Anstiften des ,,Dr. Ostermann“. Die Verwandten trachten 
nach seinem Gelde, die „Familie Rüter und Stecher“ wollen sich rächen, „Fürst 
Bismarck mit einem von den niedrigsten bis in die höchsten K^ise reichenden Kom¬ 
plott“ will ihn aus dem Wege schaffen. 

Der Eireis seiner Verfolger wird immer größer. Alle Welt steht mit ihnen 
im Bunde. Die Ärzte werden bestochen, das Pflegepersonal, die Mitkranken 
werden auf gehetzt, die Hausgenossen, die Angestellten, die Freunde, oft selbst 
die eigene Familie möchten ihn los sein. Von der Kanzel herab predigt der Geist¬ 
liche über ihn, hält ihm öffentlich seine Sünden vor, sucht ihn anzuschwärzen; 
in Volksversammlungen, im Reichstage wird über seine Angelegenheiten gespro¬ 
chen. Jedermann weiß von ihm, kennt ihn, ist über ihn unterrichtet; er wird 
bei Ortswechsel vorher angemeldet, Gerüchte werden über ihn ausgestreut, 
man erwartet ihn am neuen Orte bereits, belauert ihn schon auf dem Bahnhofe, 
folgt ihm auf Schritt und Tritt. In den Tageszeitungen, in den Witzblättern 
wird er verhöhnt; selbst in Büchern, auch solchen, deren Verfasser lange Zeit 
vor ihm gelebt haben, findet er Anspielungen auf sich xmd seine Verfolgungen. 
Niemand meint es gut mit ihm. Die Art der Verfolgungen wird immer heftiger, 



32 


Die Krankheitserscheinungen. 


offener und zahlreicher. Die Nachbarn bohren Löcher in die Wände, um ihn 
beobachten zu können; man legt Telephon durch seine Wohnung, um ihn aus¬ 
zuhorchen. Die Post, die Anstaltsleitung öffnet seine Briefsachen, um belastendes 
Material zu finden, unterschlägt für ihn gesandtes Geld, für ihn ankommende 
Pakete, oder man übergibt sie ihm verspätet, in verdorbenem, zerrissenem, be¬ 
schmutztem Zustande. Man läßt Kohlensäure, schlechte Luft in seine Wohnung, 
wodurch ihm „so sonderbar zu Sinne“ wird, um ihn toll zu machen, oder, um ihn 
einzuschläfem und ihn dann um so sicherer bestehlen, seine Sachen um so un¬ 
gestörter dmchstöbem zu können. Man hypnotisiert ihn, macht ihm Suggestionen, 
versetzt ihn in Somnambule, behext ihn. Man verleumdet ihn, will ihn zum Trin¬ 
ker, Ehebrecher, Onanisten, Päderasten stempeln, gibt ihn für syphilitisch, 
nervenkrank aus. Man vergewaltigt die Tochter, unterzieht die Ehefrau einer 
Oi)eration, an der sie zugrunde geht, bringt die Kinder in eine Erziehungsanstalt, 
wo sie nachher erhängt auf gefunden werden, durch den Verlust der Eltern zum 
Selbstmord getrieben. Durch das Temperaturmessen wird dem Ejranken un¬ 
erträgliches Herzklopfen gemacht, die Volkszählung ist nur dazu da, um ihn zu 
schädigen, eine Borste ist ins Brötchen gebacken, ein Haar in der Suppe, um ihn 
zu ärgern. Kurz, überall stößt der Kranke auf eine planmäßig, angelegte Schä¬ 
digung seiner Ehre und seiner Person, auf eine Bedrohung seiner und seiner Fa¬ 
milie Leben und Gesundheit. 

In einer Gruppe von Fällen kommt es vorzugsweise zu Vorstellungen, die 
man als physikalisch-chemischen Vemichtungswahn bezeichnen kann. Der 
Kranke wird elektrisiert, magnetisiert, mit allen möglichen Maschinen bearbeitet. 
Unter dem Zimmer, im Keller, unter der Erde, auf dem Boden sind Apparate 
aufgestellt, mittels derer er gequält wird. Elektrische Drähte durchziehen das 
ganze Haus, Ströme werden hindurchgeschickt, lun ihn willenlos zu machen. 
Durch das Überspringen von elektrischen Funken entsteht bei ihm eine Augen¬ 
entzündung, Furunkel werden ihm von seinen Verfolgern mittels Brennspiegels 
erzeugt. Der Unterleib, die Gebärmutter, die Geschlechtsteile werden elektrisiert, 
Schmerzen werden ihm mit elektrischen Maschinen gemacht, ein Zucken von 
elektrischen Einwirkungen geht durch den ganzen Körper, Spannung und Angst¬ 
gefühl in der Brust treten danach auf. Die Gedanken des Kranken werden 
durch Apparate enträtselt, mit Röntgenstrahlen werden die Vorgänge in seiner 
Wohnung beobachtet. Der Frauenverein sendet ihm galvanische Ströme zu, 
von denen er zuerst annimmt, daß sie zu seinem Besten dienen sollen, die aber 
dadurch, daß die dazu verwandten Maschinen schlecht, mit Grünspan überzogen 
sind, einen schädigenden Einfluß ausüben. Das Bett wird durch unterirdische 
Maschinen in Vibration, das Haus in Schwankungen versetzt. Besondere Apparate 
dienen dazu, dem Kranken ekel-, schreckenerregende, obszöne Vorkommnisse 
in Wort und Bild vorzuführen, zu „photophonieren“. Man treibt Physik mit 
dem Kranken. Andere Kranke sollen vergiftet, durch Pulver toll gemacht werden, 
damit die Angehörigen, die Ärzte sie beerben können. Die Pflegerin gibt der 
Kranken Pulver ein, um sie geschlechtlich zu reizen, um die eigene Schwanger¬ 
schaft auf sie zu übertragen. Medikamente dienen dazu, um das Zahnfleisch zu 
lockern. Man impft dem Kranken Syphilis, Schwindsucht, den Wahnsinn ein. 

Eine weitere Gruppe ist durch das Hervortreten von Eifersuchtsideen 
neben anderen Beeinträchtigungsvorstellungen charakterisiert. Der Ehemann 



Die Paranoia combinatoria. 


33 


ist verändert, sieht so sonderbar aus, begehrt die Frau nicht mehr, ist weniger 
freundlich zu ihr. Vorübergehende weibliche Personen sehen ihn so eigentümlich 
mit einem höhnischen Seitenblick auf sie an, geben ihm Zeichen, grüßen ihn, 
werden rot. In der Mädchenkammer hört sie ein verdächtiges Klopfen, das 
ihrem Gatten gilt; dieser ölt die Türen, damit alles geräuschlos vor sich gehen 
kann. Er geht öfter als früher aus, kommt erst spät nachts nach Hause, hat 
einen Parfümgeruch an sich, vernachlässigt sie. Er gibt plötzlich viel auf sein 
Äußeres, macht allein Spaziergänge, schilt mit ihr, ist barsch und unfreundlich 
gegen die Kinder. Er gibt sich mit Dirnen, dem Dienstmädchen, der Nachbarin 
ab, betrügt sie mit der Freundin, der Schwägerin, mit ihrer eigenen Mutter, 
treibt Blutschande mit der leiblichen Tochter, vergeht sich an seinen Schülerinnen. 
Die Frau geht viel zu ungewöhnlicher Stunde aus, bleibt lange fort, ist verlegen, 
abgehetzt, zerzaust, müde, wenn sie heimkommt. Sie ist weniger zärtlich, streit¬ 
süchtig, verschwenderisch, gibt viel Geld für ihren Putz aus, um ihn zum Bankerott 
und ins Zuchthaus zu bringen und dann um so ungestörter mit dem Liebhaber 
betrügen zu können. Männliche Personen fragen nach ihr, die Bekannten er¬ 
kundigen sich in so auffälliger Weise bei ihm nach seiner Frau, machen Anspie¬ 
lungen, geben ihm zum verstehen, „daß sie ihm ein Geweih aufsetzt“. Die Frau 
bricht ihm die Treue, treibt sich mit all und jedem herum, hält sich einen Lieb¬ 
haber, verkehrt mit dem Schlafburschen, dem Zimmerherrn, dem Freunde, 
dem Bruder, dem eigenen Sohne. Die Kinder sind Bastarde, denen man am Ge¬ 
sichte ansieht, daß sie nicht von ihm stammen. Die Frau trachtet ihm nach 
dem Leben zusammen mit dem Geliebten. Die Polizei ist mit der Frau im Bunde, 
wahrscheinlich, weil sie sich auch mit den Beamten eingelassen hat. Sie hat es 
schon von jeher so getrieben; bereits während der Brautzeit hat sie ihn betrogen, 
sie war bei der Verheiratung nicht mehr Jungfer, hat bereits vor der Ehe geboren, 
die Frucht beseitigt; ein uneheliches Kind von ihr begegnet ihm auf der Straße. 

Selten und gegen die übrigen Beeinträchtigungsvorstellungen zurück¬ 
tretend sind h 3 rpochondrische Ideen. Sie dienen nur zur Illustration der durch 
die Nachstellungen gesetzten körperlichen und seelischen Qualen. Der Kranke 
leidet unerträgliche Schmerzen, kann die Beine kaum noch bewegen, das Blut 
stockt, der Herzschlag setzt aus; er muß Blut spucken, die Nahrung geht un¬ 
verdaut wieder ab. Die Rückenmarksschwindsucht, die Gehirnerweichung, der 
Wahnsinn beginnt; er merkt es am Ziehen im Rücken, der Abnahme des Ge¬ 
dächtnisses, dem Kopfschmerz. Der ganze Körper ist durch Gift ruiniert. 

Nach kürzerem oder längerem Bestehen der Beeinträchtigungsvorstellungen 
treten meistens Ideen der Selbstüberschätzung hervor, Ideen, die in gleicher Form 
auch primär oder zugleich neben den Beeinträchtigungsideen auftauchen. Man. 
will den Kranken vernichten, weil man ihn fürchtet: seine Konkurrenz, seine 
hervorragende Begabung, seine Fähigkeiten, seine rechtliche Gesinnung, seine 
hohen Verbindungen, durch die er im Wege ist, weil man ihm seinen Reichtum 
und seine Aussichten neidet. Die Kranken rühmen ihre Geisteskraft, ihr feines 
Betragen, das sie in den höchsten Kreisen gern gesehen macht, ihre Sprachfertig¬ 
keiten, die allgemeines Aufsehen erregen, die Kraft ihrer Stimme, die Größe 
ihrer Überzeugungskraft. Sie machen große Ansprüche, geben über ihre Ver¬ 
mögensverhältnisse Geld aus, leben in Saus und Braus, haben hochfliegende 
Heiratspläne. 

Kraeger, Die Paranoia. 


3 



34 


Die Kranklieitserscheinutigen. 


Allmählich entwickelt sich auch das Größenwahnsystem mehr und mehr 
in einer Richtung. Je nach der vorpsychotischen Persönlichkeit und nach äußeren 
gestaltenden Einflüssen werden die verschiedenen Richtungen menschlicher 
Wünsche und menschlichen Strebens in krankhafter Weise kopiert, sei es, daß 
die Kranken sich intellektuell auf überragender Höhe fühlen (Weltverbesserer, 
Volksbeglücker, Erfinder), sei es, daß sie sich berufen fühlen, in religiöser Be¬ 
ziehung die Menschen zu bessern, sie auf den rechten Weg zu führen und ihnen 
die ewige Seligkeit zu verschaffen, sei es, daß sie infolge ihrer Abstammung aaf 
den Höhen der Menschlichkeit zu wandeln glauben. Eine letzte Gruppe der 
Selbstüberschätzungsideen entspricht wieder der Erotik; sie ist häufig mit den 
übrigen Formen verknüpft. 

Die Kranken arbeiten Pläne aus, die die soziale Lage der Menschheit von 
Grund auf bessern sollen. Das Sparsystem, die Verteilung der Abgaben, die Art 
der Ackerbebauung, die Ausbeutung der Bodenschätze muß nach völlig anderen 
Prinzipien geregelt werden. Bei allgemeiner Gleichheit hat jeder Mensch nur 
ein Minimum von Arbeit zu leisten; Pläne zu Lotterien, bei denen jedes Los 
gewinnt, werden ausgearbeitet. Eine gleichmäßige Verteilung des Besitzes liegt 
anderen Ideen zugrunde. Für die Ernährung der Säuglinge, die Erziehung der 
Kinder, eine Reform des Schulunterrichtes, die Kräftigung des Volksstammes 
werden allgemein gültige Methoden und Regeln aufgestellt. Alle diese Probleme 
werden in umfangreichen, schwülstigen Schriftstücken ausgearbeitet, die ent¬ 
weder als Flugschriften und Bücher herausgegeben oder aber der Regierung, dem 
Reichstage, dem Kaiser zur Erprobung und Ausführung übersandt werden. 

Andere derartige Kranke werden mit einem Schlage berühmt werden und 
ungemessene Reichtümer erwerben durch die Ausbeutung von Erfindungen, die 
sie gemacht haben oder zu machen im Begriffe sind, an denen ihnen oft nur 
eine winzige Kleinigkeit fehlt. Ohne die geringsten Vorkenntnisse machen sie 
sich an die schwierigsten Probleme heran, wollen das Perpetuum mobile, das 
lenkbare Luftschiff, das Unterseeboot erfinden, elektrisch vom Lande aus zu 
leitende Schiffe, Torpedos, Kriegsmaschinen aller Art konstruieren, Metalle ver¬ 
edeln, Gold machen. Pläne, die Kräfte des Niagara, des Rheins, der Gebirgs¬ 
bäche auszunutzen, die Sonnenwärme durch Spiegel aufzufangen und nutzbar 
zu machen, die Elektrizität der Luft zur Straßenbeleuchtung zu verwerten, 
werden mit durch keinerlei Sachkenntnis getrübtem Vorurteil ausgearbeitet. 
Mit durchaus unzulänglichen Mitteln gehen sie an die Verwirklichung ihrer Pläne; 
ihre Zeichnungen, ihre schriftlichen Ausarbeitungen werden immer abenteuerücher, 
ihre Modelle immer verwickelter, ungeheuerlicher und unverständlicher. Aus 
allen möglichen Abfällen von Holz und Metallteilen setzen sie mit großem Auf¬ 
wand von Draht und Bindfaden Maschinen zusammen, die das Prinzip ihrer 
Erfindungen auch dem Ungläubigen sofort klar machen sollen, Zeit tmd Geld 
opfern sie für ihre hochfliegenden Pläne, bemühen sich um Patente, suchen für 
die Verwertnng ihrer Erfindungen, die ganz zweifellos berufen sind, eine Um¬ 
wälzung auf allen Gebieten menschlichen Könnens herbeizuführen, Geldleute 
zu interessieren. Sehen sie dann, daß ihre vermeintlichen Erfindungen bereits 
von anderen seit Jahren gemacht und vervollkommnet sind, so hat man ihnen 
ihre Pläne abgelauscht, ihre Zeichnungen, ihre Modelle entwendet, ihre Patente, 
oft auch ihre Gedanken entzogen. Maßlos sind ihre Hoffnungen, die sie an un- 



Die Paranoia combinatoria. 


35 


bedeutende wirkliche Erfindungen knüpfen, die sie für epochemachend halten, 
von denen sie Millionenerwerb erhoffen und sei es auch die Erfindung eines Patent¬ 
hosenknopfes. Unerschütterlich glauben sie an ihre Erfindungen und deren 
Zukunft, unverzagt arbeiten sie Jahrzehnte hindurch weiter an deren Vervoll¬ 
kommnung, opfern jeden Pfennig ihres Besitzes dafür, bis sie schließlich am Bettel¬ 
stab sind. Aber auch dann ist ihr Mut noch nicht gebrochen: ihre Erfindung 
wird ihnen in kurzer Zeit alles wieder einbringen, die Ausbeutung ihrer Patente 
wird Millionen abwerfen, man bemüht sich schon darum. Sie werden in ihren 
Ansprüchen um so maßloser, je unbegründeter dieselben sind und fordern von 
der Allgemeinheit, vom Staate Unterstützung ihrer Bestrebungen. 

Den Weltverbesserern nahe stehen die Religions- und Sektenstifter, die 
Propheten und Bußprediger. Der Kranke ist der Auserwählte Gottes, der andere 
Messias, Gottes Sohn, sein Prophet, der Papst der Päpste, der verheißene Erlöser. 
Mit ausgedehnter Bibelkenntnis, reichlichen Zitaten aus religiösen Schriften, 
den Resultaten religiöser Grübeleien, den Erzählungen traumhafter ekstatischer 
Erlebnisse weiß er seine „Lehre“ auszuschmücken und eindringlich zu machen. 
Allwissend, von Gott selbst mit der Gewalt über Leben und Tod ausgestattet, 
als Erlöser der Menschheit, die tief im Sündenpfuhl steckt, geweiht, gereinigt 
durch den heiligen Geist, der in Gestalt einer Taube zu ihm herabgekommen ist, 
verkündet er den rechten Glauben, sucht er die Menschheit zu bekehren, kommt 
er als Vorbote des jüngsten Gerichtes, um die Schafe von den Böcken zu sondern. 
Er allein weiß die heilige Schrift richtig auszulegen, er hat die Kraft der Wunder¬ 
heilung, sein Gebet vermag Blinde sehend und Lahme gehend zu machen, der 
Tod hat ihm gegenüber keine Macht. Er hat Kämpfe mit dem Teufel zu bestehen, 
der leibhaftig zu ihm kommt, den er durch sein Gebet überwindet, so daß er durch 
den Schornstein entweicht; er steht mit Gott im Bunde und bewirkt, daß Krieg, 
Not und Tod aus der Welt verschwinden, daß die Irrenhäuser leer werden. Er 
hat im nächsten Weltkrieg eine entscheidende Rolle zu spielen, wie Gott sie 
ihm bestimmt hat, dem deutschen Kaiser zum Siege zu verhelfen, England vom 
Erdboden verschwinden zu lassen. Er muß gegen den schlechten, den lutherischen 
Glauben kämpfen, hat seine Mission von Gott selbst erhalten, will aUe Welt 
in den Schoß dej katholischen Kirche zmückführen. Die Internierung in der 
Anstalt ist eine Prüfung, Gottesschickung, dient zu seiner Läuterung, damit 
er das Elend dieser Welt besser kennenlemt und den Kelch .des Leidens ganz 
leert. Gott wird ihn, wenn seine Zeit erfüllt ist, selbst wieder herausführen. 
Wie Christus 40 Jahre alt war, als er gekreuzigt wurde, so wird auch seine Zeit 
in 40 Jahren erfüllt sein; er wird als König der Ehren in Neu-Jerusalem einziehen 
und die Menschheit glücklich machen. 

Nach längerer Zeit der Vorbereitung erhält der Kranke dann von Gott 
den Befehl, seine Sendung zu erfüllen. Er beginnt, Buße zu predigen, dabei meist 
die berufenen staatlichen Diener der Kirche anzugreifen, seine göttliche Sendung 
zu verkündigen. Gelingt es solch einem Propheten, eine kleine Gemeinde Gläu¬ 
biger um sich zu scharen, die seinen Worten vertraut, seinen Geboten folgt, 
— und das ist häufig der Fall — so greift sein Größenwahn auf alles Weltliche 
über; er fühlt sich als der Beherrscher der wahrhaft Gläubigen, erkennt keine 
weltliche Autorität mehr an, kommt in ständigen Konflikt mit den weltlichen 
Machthabern, setzt Könige und Kaiser ab, entthront den Papst, spricht öffentlich 

3* 



36 


Die Krankheitserscheinungen. 


gegen den Bischof, glaubt die Welt regieren zu können unter Hinweis auf die 
zahlreiche, über die ganze Erde verbreitete Gemeinde seiner Anhänger, die in 
Wirklichkeit aus einigen schwachsinnigen Alten, hysterischen Prauenzimmem, 
von der Arbeit zermürbten, stark suggestiblen Individuen besteht. Gerade 
diese Art von Wahnvorstellungen geht mit zahlreichen Erinnerungsfälschungen, 
traumhaft-ekstatischen Erlebnissen und Sinnestäuschungen einher. 

Eine noch größere Bedeutung haben die wahnhaften Erinnerungsver¬ 
fälschungen bei der nächsten Gruppe von Größenwahnsinnigen, wo die Idee 
hoher Abstammung in den Vordergrund des Wahnes tritt, den „Genealogen“ der 
französischen Autoren. Der Kranke hat zu Anfang das Gefühl, daß seine Über¬ 
legenheit von der Umgebung mehr und mehr anerkannt wird. Die Leute drehen 
sich auf der Straße nach ihm um, stoßen sich an, sobald er vorbeigeht, tuscheln, 
sehen ihn bedeutungsvoll an, machen ihm ehrerbietig Platz. Er fängt im Vorüber¬ 
gehen Bemerkungen auf, daß er adelig, gefürstet, aus königlichem Blute sei; 
fremde Menschen grüßen ihn respektvoll. In seiner Gegenwart unterhält man 
sich von einem Prinzen. Angehörige des Fürstenhauses begegnen ihm auffallend 
oft auf seinen Spaziergängen, danken ihm immer sehr höflich für seinen Gruß, 
sehen sich nach ihm um. Der Herzog erkundigt sich im Vorüberfahren nach 
ihm, er hört zufällig seinen Namen aussprechen und den Herzog fragen: Ist er 
denn auch würdig ? Ein Lakei des Fürsten X. folgt ihm längere Zeit in geringem 
Abstande. Hochgestellte Damen können den Blick nicht von ihm wenden, 
seufzen, wenn sie ihn sehen, ziehen in bedeutungsvoller Weise das Taschentuch. 
Er hört, wie die Umstehenden von ihm sagen: er ist aus altem Adel, ein unehe¬ 
licher Sohn des Königs. Der König erhebt ihn im Vorbeifahren in den höheren 
Adelsstand. Sein Bild wird als das des Prinzen Y. in allen illustrierten Zeit¬ 
schriften gebracht. Er merkt, wie seine Eltern, die eigentlich ja nur seine Pflcge- 
eltem sind, im Nebenzimmer flüstern, ihn bei seinem Eintreten besonders ernst¬ 
haft grüßen oder verlegen anschauen. Beim Besichtigen der Bilder in der Kunst¬ 
ausstellung, im Königlichen Schlosse wird ihm mit einem Male aus der Familien¬ 
ähnlichkeit klar, daß er aus einer alten Adelsfamilie, aus dem Königshause stammt, 
daß er der außereheliche Sohn eines Prinzen, der rechtmäßige Thronerbe ist. 
Er hat gehört, wie seine Pflegeeltem sich im Nebenzimmer unterhielten, daß 
er als Kind aus dem wunderschönen Garten seiner Eltern von Zigeunern geraubt 
wurde, oder, daß seine Pflegeeltern ihn im Walde verirrt gefunden und als ihr 
eigenes Kind erzogen haben; er wird von ihnen zurückgehalten, um ein großes 
Lösegeld zu erpressen, weil er um die ihm zustehende Erbschaft betrogen werden 
soll, auf Anordnung des Bruders, der ihm den Thron rauben will. Seine eigent¬ 
lichen Eltern sind ohne Nachricht von ihm, sie inserieren nach ihm in den Zei¬ 
tungen, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren, haben die Polizei, Scharen von 
Detektivs mit Nachforschungen beauftragt; doch die Pflegeeltem haben ihn 
geschickt verborgen gehalten, haben schließlich, als ihnen das Messer an der 
Kehle stand, seine Aufnahme in die Irrenanstalt durchgesetzt, um ihr Verbrechen 
zu verdecken. Der Kranke tut endlich Schritte, um zu seinen Gütern, seinem 
Gelde, seiner gesellschaftlichen Stellung zu gelangen: er wendet sich schriftlich 
an seine vermeintlichen wahren Eltern, droht seinen Vergewaltigern, versucht 
Liebesbeziehungen mit hochgesteUten Persönlichkeiten anzuknüpfen, unter¬ 
schreibt sich als adelig, als Fürst, als Prinzessin, belästigt schließUch seine ver- 



Die Paranoia combinatoria. 


37 


meintlichen Eltern und Verwandten auf der Straße, wird tätlich gegen seine 
Pflegeeltem, ruft die Hilfe der Behörden an. Andere derartige Kranke verüben 
Hochstapeleien, bis sie endlich in der Irrenanstalt stets anspruchsvoll und an¬ 
maßend, in stetem Kampfe mit ihren Mitkranken, die sie nach Möglichkeit zu 
tyrannisieren suchen, in stetem Kampfe mit den Ärzten, oft in teilweiser illusio¬ 
närer Verfälschung ihrer Umgebung ihr Dasein beschließen. 

Der Wahn hoher Abstammung leitet hinüber in den erotischen Größen¬ 
wahn. Ein feingekleideter, anscheinend hochgestellter Herr sieht die Kranke 
auf der Straße so eigentümlich an, schaut sich nach ihr um, folgt ihr, um zu sehen, 
wo sie wohnt. Wenige Tage später trifft sie ihn wieder, eine rote Rose im Knopf¬ 
loch; er lächelt sie an, winkt ihr zu, deutet auf seine Rose. Er lädt sie durch 
Zeitungsannoncen zum Stelldichein, erklärt ihr durch die Zeitung seine Liebe, 
gibt ihr zu verstehen, daß er ohne sie nicht leben kann. Sie geht zum Stelldichein 
und findet niemand, der sie erwartet. Aber schon am nächsten Tage trifft sie 
ihn wieder; er gibt ihr zu verstehen, daß seine Verwandten gegen seine Liebe 
sind und seine Pläne zu durchkreuzen suchen. Sie merkt, daß alle Welt von 
ihrer liebe weiß, daß es ein sehr hochgestellter Herr sein muß, der um sie wirbt. 
Man spricht davon in Andeutungen, wenn sie vorübergeht; die Zeitungen bringen 
Gerüchte über eine in Aussicht stehende Verlobung eines Prinzen, des verwit¬ 
weten Landesfürsten: da merkt sie, daß er es ist, der ihr in Verkleidung folgt, 
daß sie die Auserkorene ist, daß sie dem Fürsten zur linken Hand angetraut 
werden soll. Am anderen Tage steht es auch schon in der Zeitung, unter der 
Chiffre der Anfangsbuchstaben ihres Namens findet sie die Aufforderung zur 
Verlobung. Sie beeilt sich, entweder auf dem gleichen Wege oder schriftlich 
oder gar mündlich ihre Zustimmung zu geben. Doch die Gegnerschaft der Ver¬ 
wandten, der Hofgesellschaft, der Mätresse des Fürsten ist zu mächtig; sie wird 
ins Irrenhaus gesperrt. Aber auch hier liest sie täglich aus den Inseraten der 
Zeitung, wie tief der Geliebte sie bedauert, wie er kein Mittel unversucht läßt, sie 
zu erlösen und heimzuführen. Täglich liest sie, daß sie sich nur noch kurze Zeit 
gedulden solle, daß ihr bald die gebührende Genugtuung für ihre Leiden werden 
solle; um sie wenigstens zu sehen, besucht der angebliche Liebhaber sie verkleidet 
in der Anstalt. 

In ganz ähnlicher Weise fühlt der männliche Kranke die Blicke einer hoch¬ 
stehenden Dame, einer Gräfin, der Prinzessin auf sich ruhen. Auch er findet 
täglich in der Zeitung, an der Litfaßsäule Auffordenmgen zu einem Zusammen¬ 
treffen, zu Fensterpromenaden, aus seiner Zurückhaltung herauszutreten, bis 
er sich schließlich zu weiteren Schritten entschließt, wirklich Fensterpromenaden 
macht, die Dame auf der Straße belästigt, sie anspricht, ihr liebeglühende Briefe 
schreibt. Aus dem Gespräche Fremder, aus der Zeitung entnimmt er endlich, 
daß sie ihn in ihrer Wohnung erwartet; er läßt sich bei ihr melden, gesteht ihr 
seine liebe, erfährt die verdiente Abweisung, läßt sich aber dadurch nicht be¬ 
irren, wird zudringlich und endet ebenfalls im Irrenhause, wo er sefne erotischen 
Ideen weiter pflegt, alles Mißgeschick als Prüfung seiner Liebe auffaßt und den 
Tag zu erkämpfen sucht, der ihm die Freiheit und die Erfüllung seiner liebes- 
hoffnungen bringen soll. Zur Erreichung ihrer ehrgeizigen Pläne wenden der¬ 
artige ICranke ihr ganzes Vermögen auf; für Zeitungsinserate geben sie Un¬ 
summen aus, ebenso für Geschenke, für einen weit über ihre Verhältnisse hinaus- 



38 


Die Krankheitserscheinungen. 


gehenden Kleiderluxus, um standesgemäß gekleidet zu sein. Sie reisen den ge¬ 
liebten Personen nach, vernachlässigen ihren Beruf, kommen schließlich zu 
keiner geordneten Beschäftigung mehr, müssen in der Anstalt auf Armenkosten 
verpflegt werden. 

Die in der obigen schematischen Beschreibung in bunter Reihe aufgezählten, 
teilweise lose aneinandergereihten Vorstellungen der Beeinträchtigung und der 
Größe kombinieren sich in der mannigfaltigsten Weise. Gerade die formal logische 
Verknüpfung der Ideen untereinander, wie sie oft nur angedeutet werden konnte, 
die langsame Entstehung von Verfolgungs- und Größenideen auseinander auf 
dem Wege des logischen Schlusses ist eines der Kennzeichen des paranoischen 
Wahnes. Der Erfinder schließt, da er seinen pekuniären Ruin vor Augen hat, 
daß feindliche Mächte ihn um die Früchte seiner Arbeit bringen, die Geliebte 
des Herzogs schließt, weil sie ihr Ziel, die Vereinigung mit der geliebten Person, 
nicht zu erreichen vermag, daß die Hofkamarilla ihr entgegenarbeitet, der Messias 
ist sich über die Verfolgungen von seiten der ungläubigen Mitmenschen im 
klaren, hält sie für Gottesschickung, der entführte Prinz glaubt an unlautere 
Motive, die seine Pflegeeltem bestimmen, ihn seinen wirklichen Eltern vorzu¬ 
enthalten. Der Kranke verarbeitet sowohl die äußeren Eindrücke wie seine 
eigenen Überlegungen im Sinne seiner krankhaften Grund Vorstellungen, er läßt 
sich nicht als Spielball augenblicklich auftauchender Vorstellungen und nor¬ 
maler oder krankhafter Sinneseindrücke bald in diese bald in jene Wahngruppe 
drängen. 

Der Paranoiker baut sich eben ein Wahnsystem auf, d. h. aus der all¬ 
gemeinen Grundrichtung seiner wahnhaften Vorstellungen heraus entwickelt er 
in der skizzierten Weise aus äußeren oder inneren Gründen eine spezielle Wahn¬ 
form, mit der alle weiter entstehenden Einzelheiten logisch verknüpft werden, 
in deren Sinne alle Wahrnehmungen gedeutet, der alle Vorstellungen unter¬ 
geordnet werden, die derart langsam vervollständigt wird. Dieses Wahnsystem 
ist fixiert, d. h. in seiner Ideenrichtung unverrückbar; dagegen kann es durch 
die Art des Ausbaues zu einer großen Verschiedenheit der im Grunde gleichen 
Systeme kommen. Der Entwicklungsreihen, die der gleiche Grund wahn nehmen 
kann, gibt es so viele als Paranoiker. Im Sinne des Individualcharakters, der 
durch die Erziehung eingeimpften Voraussetzungen, der durch die Schulbildung 
erworbenen Kenntnisse, besonders der im Kampfe ums Dasein gewonnenen 
Lebenserfahrungen entwickelt sich in der durch die paranoische Veranlagung 
gegebenen allgemeinen Richtung das Wahnsystem zu einer individuellen Ein¬ 
heit, deren Einzelheiten äußere Momente wohl auslösen können, ohne daß es 
ihnen aber möglich wäre, einen wesentlichen Einfluß auf ihre Art, Richtung 
und Stärke zu gewännen. Der Ausbau des Wahnsystems erfolgt logisch, soweit 
es möglich ist. Sobald dem Paranoiker in der Kette wahnhafter Vorstellimgen, 
die sein individuelles System bilden, eine Lücke erscheint, seine Befürchtungen, 
Wünsche und'Hoffnungen den bisherigen wahjjhaften Verfolgungs- oder Größen¬ 
ideen zu weit vorausgeeilt sind, ergänzt er dieselben auf dem Wege der Kom¬ 
bination, wonach diese Unterform der Paranoia ja auch ihren Namen führt. 
Wird diese Lücke jedoch zu groß, um auf dem Wege rein kombinatorischer Vor¬ 
stellungsreihen überbrückt zu werden, so sucht er die logische Verknüpfung 
seiner Vorstellungen, die Einheit seines Wahnsystems dadurch zu erhalten. 



Die Paranoia combinatoria. 


39 


daß er Erinnenmgsfälschungen einschiebt, soweit ihm nicht Trugwahmehmungen 
zu Hilfe kommen. Der Nachweis einer individuell bedingten Einheit des Wahn¬ 
systems bzw. des unausgesetzten Strebens danach ist unerläßlich für die An¬ 
nahme einer Paranoia combinatoria. 

Die Wahnideen des Paranoikers behalten meist bis in die letzten Stadien 
der Erkrankung ein erträgliches Maß von Möglichkeit, in den früheren Zeiten 
pflegen sie auch dem Geistesgesunden in ihren Gedankengängen stets verständ¬ 
lich zu sein, weswegen es dem Kranken häufig gelingt, seine Umgebung von der 
Richtigkeit seiner Wahnideen zu überzeugen und selbst femerstehenden kri¬ 
tischen Naturen, häufig selbst dein Irrenarzte ist es im Anfänge des Beeinträch- 
tigungs-, des Eifersuchtswahnes, ebenso des Wahnes krankhafter Erfinder, 
erotischer Größenideen, vor allem aber im Anfänge des Querulantenwahnes, 
schwer oder unmöglich zu erkennen, ob es sich um ein paranoisches Wahngebilde 
handelt, ob hinter den Erzählungen wenigstens ein wahrer Kern steckt, ob end¬ 
lich die Erzählungen völlig der Wahrheit entsprechen. Die Wahnideen des Para¬ 
noikers fallen lange Zeit aus dem Rahmen des wirklichen Geschehens und nor¬ 
maler Möglichkeiten nicht heraus. 

Eines dürfte aus der Skizzierung paranoischer Wahnformen noch hervor¬ 
gehen: die völlig divergierende Auslegung, die dieselben Simieseindrücke, die¬ 
selben Geschehnisse in der Außenwelt durch den Paranoiker erfahren können 
je nach der beherrschenden Vorstellungsrichtung oder, nach den früheren Aus¬ 
führungen, besser noch nach der vorpsychotischen Denkrichtung. Das geheimnis¬ 
volle Flüstern, die eigentümlichen Blicke der Umgebung, eine gewisse Verlegen¬ 
heit Nahestehender bei plötzhchen Begegnungen bedeuten dem verfolgungs¬ 
wahnsinnigen Paranoiker, daß die Personen mit seinen Verfolgern unter einer 
Decke stecken, daß sie von den Nachstellungen, denen er ausgesetzt ist, wissen, 
eventuell sogar, daß sie ihn wegen der Untreue seiner Frau, wegen der ihm noch 
drohenden Verfolgungen bedauern, dem Größenwahnsinnigen, daß sie in ihm 
etwas Höheres sehen. Was dem einen Ausdruck höchster Mißachtung oder größten 
Bedauerns ist, erscheint dem anderen als Zeichen der Ehrerbietung und des 
Neides. Dabei kann die tatsächliche Grundlage der falschen Vorstellungen 
eine durchaus richtig aufgefaßte sein; die Leute werden häufig dem Kranken 
ein erhöhtes Interesse, eine größere Aufmerksamkeit schenken, eben weil sie 
merken, daß sie einen Geisteskranken vor sich haben, den sein scheues Betragen, 
sein mißtrauisches Gesicht, vielleicht seine eigenartige Tracht, andererseits 
seine erhabene, hochmütige Miene, sein erotisches Gebahren, seine stutzerhafte 
Kleidung als solchen auch für den Laien erkennen lassen. 

Die Sinneswahmehmungen des Paranoikers sind zum größten Teile völlig 
richtige, sie werden nur falsch gewertet und zwar im Sinne des herrschenden 
Wahnes. Daß dabei arge Verzerrungen der tatsächhchen Bedeutung der wahr¬ 
genommenen Vorgänge gewöhnlich sind, daß vor allem bedeutungslosen Wahr¬ 
nehmungen größte Wichtigkeit beigemessen wird, ist bei der Überwertigkeit 
der Vorstellungen und der Stärke der Affekte des Paranoikers erklärlich. Von 
manchen Seiten ist deshalb eine Art Hypervigilität, eine Steigerung der Beobach- 
tungsga^, ja direkt eine Schärfung des Verstandes, vor allem der Aufmerksam¬ 
keit und des Gedächtnisses während des Verlaufes der paranoischen Erkrankung 
angenommen worden unter Hinweis auf die häufige Beobachtung, daß die Kranken 



40 


Die Krankheiteerscheinungen. 


weit zurückliegende Situationen mit allen Einzelheiten reproduzieren, daß sie 
in jedem Augenblicke logisch zusammenhängend, sinnlich lebhaft und mit an¬ 
scheinend großer Treue fern liegende Ereignisse schildern, Gespräche usw. wört¬ 
lich wiederholen können.' Wenn auch nicht zu bestreiten ist, daß das Gedächtnis 
der Paranoiker für Situationen, denen sie für sich und ihren Wahn Wichtigkeit 
beimessen, tatsächlich oft staunenswert ist, erklärlich durch die intensive Kon¬ 
zentration des gesamten Denkens auf den Wahn und die mit ihm in Zusammen¬ 
hang tretenden Vorgänge, so ist doch derartigen Hypermnesien gegenüber größte 
Vorsicht am Platze, da in fast allen Fällen bald häufiger, bald seltener Erinnerungs- 
fälflchungen die Reproduktionstreue zu vermindern pflegen. Die Häufigkeit 
solcher Konfabulationen ist gelegentlich eine so große, daß man mit Neisser 
von einer „konfabulierenden Paranoia“ sprechen könnte. Oft ist es schwer zu 
entscheiden, was an den Erzählungen der Blanken Wahrheit, was hinzugedichtet 
ist, was endlich auf wirklichen Sinnestäuschungen beruht, da Wahrheit und 
Dichtung sich innig durchflechten, die Kranken beides logisch verknüpfen, wie 
die Erdichtungen überhaupt meistens dem unbewußten Verlangen der Banken 
nach Logik entspringen, um Lücken in der Beobachtungs- und Vorstellungs¬ 
reihe auszufüllen. Aus diesem Gnmde ist es sicherlich falsch, das Bestehen von 
Konfabulationen an sich schon als den Ausdruck einer (Jeistesschwäche des 
Paranoikers zu betrachten, wie es von einigen Autoren geschehen ist; die Ent¬ 
stehung von Konfabulationen zeigt vielmehr, daß die logische Verknüpfung, 
die bei den Geistesgesunden alle Wahrnehmungen und Geschehnisse finden müssen, 
auch für den Paranoiker Naturnotwendigkeit bleibt, da eine Abnahme der Merk¬ 
fähigkeit leicht auszuschließen ist. In der Mehrzahl der Fälle von Verfolgungs¬ 
wahn handelt es sich um nachträgliche Verfälschung wirklicher Erlebnisse; 
seltener ist die freie Erfindung angeblicher Erinnerungsbilder. Letztere Art 
von Konfabulationen ist zahlreicher im Zusammenhänge mit Größenideen. Der 
Wahn hoher Abstammung vor allem zwingt zu derartigen Verfälschungen des 
gesamten Vorlebens bis in die Kindheit hinein, aber auch der religiöse, der ero¬ 
tische Größenwahn, wie von den Beeinträchtigungsideen besonders der Eifer¬ 
suchtswahn geht vielfach mit frei erfundenen Erinnerungsfälschungen neben 
nachträglich umgewerteten einher. Der in der frühesten Kindheit erfolgte Raub 
aus dem Eltemhause durch Zigeuner oder gedungene Banditen, das Verirren 
im Walde und Auffinden durch die vermeintlichen Pflegeeltern, das unsere 
Opemliteratur in so hervorragendem Maße befruchtete, einerseits, konfabulierte 
Kämpfe mit dem Teufel, Erscheinungen Gottes und seiner Heiligen, konfabulierte 
Begegnungen mit der geliebten Person andererseits müssen den Zusammenhang 
im Wahngebäude herstellen. Nachträglich wird ein Zusammenhang zwischen 
den Handlungen der angeblich ungetreuen Ehefrau hergestellt, wird der Be¬ 
weis für die Verfolgungen aus angeblichen Äußerungen Angehöriger oder Fremder 
geschmiedet. Oft läßt in derartigen Fällen das völlig passive Verhalten des 
Kranken sowie das blinde Fünvahrhalten derartiger Situationserinnerungs¬ 
fälschungen diese als solche erkennen. 

Noch schwieriger als die Entscheidung, ob es sich um wirkliche oder er¬ 
dichtete Erlebnisse handelt, ist häufig die, ob eine Konfabulation oder eine 
Sinnestäuschung vorliegt. Es gibt sicher nur wenige Fälle kombinatorischer 
Paranoia, deren Geschichte nicht zu irgendeinem Zeitpunkte vereinzelte Sinnes- 



Die Paranoia combinatoria. 


41 


täuschungen auffinden läßt. Besonders treten dieselben in den Stadien be¬ 
schleunigten Vorstellungsablaufes verbunden mit allgemeinen Unruheerschei¬ 
nungen und stärkerer affektiver Betonung der intensiver hervortretenden Wahn¬ 
ideen hervor, wie sie als interkurrente Erregungszustände das einförmige Bild der 
Paranoia gelegentlich zu unterbrechen pflegen. Es handelt sich in der Mehrzahl 
der Fälle um vereinzelte Gehörstäuschungen von der Art der Illusionen, seltener 
um Täuschungen auf einem der übrigen Sinnesgebiete. Gelegentlich kommen 
aber auch kürzere oder längere Perioden lebhafter bis massenhafter Trugwahr¬ 
nehmungen vor, die mit Erregungszuständen lebhafterer Art einhergehen; die¬ 
selben sind jedoch wohl nie so stark, daß sich psychische Zustände entwickeln, 
die man als halluzinatorische Verwirrtheit bezeichnen könnte. Vereinzelte 
Sinnestäuschungen werden häufig von den ICranken dissimuliert, weil dieselben 
einmal ihre Trugwahmehmungen von den normalen Wahrnehmungen zu unter¬ 
scheiden wissen, wenngleich sie ihnen dieselbe Realität beimessen, weil sie sich 
andererseits sagen, daß derartige, ihnen selbst eigenartige Wahrnehmungen 
von ihrer Umgebung, das heißt ihren Feinden, noch weniger verstanden, dem¬ 
gemäß als Zeichen geistiger Störung ausgelegt werden, was sie zu vermeiden 
suchen. In Zuständen interkurrenter Erregung enthüllt sich dann oft, daß der 
Kranke bereits seit Jahren halluziniert hat, wie der infolge seiner Veranlagung 
verschlossene, mißtrauische Paranoiker, worauf Gerlach hinweist, überhaupt 
häufig erst in einem Zustande gesteigerter Affektivität mit ihrer verminderten 
Hemmung sein Innenleben preisgibt. Es ist deshalb anzunehmen, daß die Para¬ 
noiker, die während ihrer Erkrankung anscheinend keine Trugwahmehmungen 
aufweisen, diese, die vielleicht sehr selten bei ihnen auftreten, nur geschickt 
zu dissimulieren verstehen; dabei scheinen diejenigen Fälle, die die geringsten 
Intensitätsschwankungen zeigen, auch am seltensten von Sinnestäuschungen 
heimgesucht zu werden, was aus der Häufigkeit einer affektiven Genese der 
letzteren erklärlich ist, andererseits zur Erklärung des viel schwankenderen und 
lebhafteren Verlaufes der halluzinatorischen Paranoiaformen herangezogen wer¬ 
den muß. 

Die Sinnestäuschungen sind häufig mit den Erinnerungsfälschungen innig 
verbunden, so daß der wirklich illusionäre und der erdichtete Anteil an ihnen 
nicht sicher zu trennen ist. Wesentliche Bedeutung erhält dieser Umstand bei 
der halluzinatorischen Form der Paranoia, wo näher darauf eingegangen werden 
soll. Illusionen und Erinnerungsfälschung haben ja auch in ihrer psychologischen 
Genese nahe Berührungspunkte. 

Der Besprechung der ErinnerungsVerfälschungen und der Trugwahrneh¬ 
mungen ist der Hinweis auf die vor allem bei der religiösen, aber auch der eroti- 
tischen Form des Größenwahnes häufigen ekstatischen Zustände anzuschließen, 
das heißt der Zustände über das Maß der Norm hinausgehender Ergriffenheit, 
die sich bis zur Verzückung mit Absperrung gegen jede äußere Wahrnehmung 
und jede vernünftige Überlegung steigern kann. Von altersher hat die religiöse 
Betrachtung am meisten zu derartigen ekstatischen Zuständen disponiert, wes¬ 
halb auch der religiöse Größenwahn unter den Wahnformen der Paranoia am 
häufigsten derartige Zustände hervorruft. Ihr Vorkommen geht in den meisten 
Fällen mit entsprechenden Sinnestäuschungen einher oder wird durch solche 
gekrönt, beides aus dem gemeinsamen Boden der krankhaften Affektivität ent 



42 


Die Krankheitserscheinungen. 


springend, wobei die Tnigwahmehmung des die Ekstase beherrschenden Vor- 
stellungskomplexes durch die Steigerung der Gefühlsbetonung infolge des krank¬ 
haften Zustandes selbst in letzter Linie ausgelöst wird. Derartige Kranke sehen 
den Himmel offen, Gott inmitten seiner Heerscharen; die Sonne neigt sich vor 
ihnen, Gottes Stimme, der Engel Jubilieren, die Sphärenmusik wird ihnen ver¬ 
ständlich. 

Die Affekterregbarkeit des Paranoikers pflegt entsprechend der großen 
Bedeutung, die die wahnhaften Vorstellungen für den Kranken haben, eine 
krankhaft erhöhte zu sein, auch nachdem der primäre pathologische Affekt 
durch die erste Wahnbildung, mit der der Kranke den Grund für seine mi߬ 
trauische Gemütsverfassung, für die ihm unheimliche Verändenmg der gesamten 
Umgebung, für seine innere Unruhe und Spannung gefunden, die Bestätigung 
seiner inneren Gehobenheit erhalten zu haben vermeint, abreagiert ist. Wie 
die Vorstellungen der Paranoiker, vor allem in den späteren Stadien der Krank¬ 
heit, über das Maß der Norm mehr weniger hinausschießen, so zeigen auch die 
sie begleitenden Gefühlstöne je nach der Art des Wahnes in positiver oder nega¬ 
tiver Richtung größere Ansprechbarkeit, als sie die gewöhnlichen Vorstellungen 
des Geistesgesunden begleitet. Diese gesteigerte Lebhaftigkeit pflegt sich einmal 
darin kundzugeben, daß die Kranken ihren Vorstellungen ein erheblich größeres 
Interesse widmen, als d^er Geistesgesunde auch für ihn nahe berührende Vor¬ 
stellungskomplexe übrig hat, andererseits besonders darin, daß selbst leichte 
äußere Affektstöße über das Maß der Norm weit hinausgehende Erregungen 
hervorrufen können, die ihrerseits wieder die entsprechenden Handlungen aus- 
lösen. Schon der geringste Zweifel an der Richtigkeit der geäußerten Beeinträch¬ 
tigungsideen, der leiseste Widerstand gegen die aus den Größenideen entspringen¬ 
den Handlungen, ein unbedachtes Wort aus dem Munde des Arztes kann zu 
Zornesausbrüchen lebhaftester Art führen, gelegentlich schwere Verbrechen 
auslösen. Die Höhe der Affekterregbarkeit gibt bei der Paranoia combinatoria den 
wichtigsten Impuls für die Handlungen des Kranken ab. 

Diese Handlungen entsprechen den die Paranoiker beherrschenden Vor¬ 
stellungsreihen. Während der Paralytiker die schwersten Verfolgungs- oder 
Versündigungsideen lächelnden Angesichts zu äußern vermag, die wildesten 
Größenvorstellungen mit völlig uninteressierter Miene äußert, während der 
paranoid Demente teilweise in völliger Gleichmütigkeit seinen wahnhaften Vor¬ 
stellungen gegenübersteht, zur Realisierung derselben nichts unternimmt, stellt 
das Leben des Paranoikers einen steten Kampf um seinen Wahn dar, da er in 
allen Einflüssen des Lebens ihm entgegenstrebende Mächte erkennt, gegen die 
er sich in Abwehrzustand setzt. Mit äußerster Konsequenz, unbekümmert um 
Fehlschläge, die ihm im Gegenteil nur zum Ansporn zu noch weiterer, mit zähester 
Energie geführter Verteidigung gegen seine Verfolger, weiteren Versuchen, seine 
Selbstüberschätzungsideen zu verwirklichen, dient, strebt er, seine Ziele zu er¬ 
reichen. Seinen Verfolgern sucht er zuerst durch häufigen Wechsel seiner Stellung, 
seines Wohnortes, durch Reisen zu entgehen; er verbarrikadiert sich in seiner 
Behausung, schließt sich von der Außenwelt nach Möglichkeit ab, erfindet alle 
möglichen, zum Teil mehr oder minder komischen Schutzmaßregeln, läßt sein Haus 
von Hunden bewachen, verläßt nie unbewaffnet seine Wohnung. Allmählich 
geht dieser Zustand des passiven Schutzes gegen seine Widersacher in den des aktiven 



Die Paranoia combinatoria. 


43 


Angriffs über. Er verlangt Hilfe bei der Polizei, erhebt Anklage vor Gericht, 
es kommt zu Beschimpfungen seiner vermeintlichen Gegner, öffentlichen Be¬ 
leidigungen, ernsthaften Drohungen, endlich unter Umständen zu einer Gewalt¬ 
tat. Der Eifersuchtswahnsinnige sucht ebenso wie der geistesgesunde Eifer¬ 
süchtige zuerst den ungetreuen Gatten zu überraschen, ihn zu entlarven; später 
kommt es auch hier zu wörtlichen und tätlichen Beleidigungen schlimmster Art, 
der Gattenmord bzw. sein Versuch pflegt der nicht seltene Ausgang zu sein, 
sofern der Kranke nicht vorher in der Irrenanstalt Aufnahme gefunden hat. 
Die Konsequenz, mit der der Größenwahnsinnige in langsamer Steigerung der 
angewandten Mittel seine Ziele zu erreichen sucht, ist bereits oben geschildert 
worden. Diese Konsequenz pflegt stets den Stempel der Verbohrtheit zu tragen, 
die im Verlaufe der ICrankheit mehr und mehr zunimmt. Unbekümmert um 
die Folgen verläßt die vermeintlich betrogene Ehefrau den Gatten; ohne an die 
Zukunft zu denken, weist die Geschäftsfrau Kunden, von denen sie annimmt, 
daß sie ihr zur Schikane von der Konkurrenz gesandt sind, aus ihrem Laden; 
um den Verfolgern zu entgehen, geben die Kranken Lebensstellungen auf, wenn 
sie danach auch dem Nichts gegenüber stehen. Im Beginne der Erkrankung 
hält sich die Reaktion auf die Wahnvorstellungen noch in leidlichen Grenzen, 
entspricht im großen und ganzen den von Geistesgesunden unter ähnlichen tat¬ 
sächlichen Verhältnissen einzuschlagenden Wegen, so daß sie nur deshalb als 
pathologisch zu bezeichnen ist, weil sie auf dem Boden krankhafter Ideen er¬ 
wächst; nicht selten findet der Paranoiker dazu die Unterstützung seiner Um¬ 
gebung oder der Behörden. Im weiteren Verlaufe wird sie ständig maßloser, 
bis es schUeßhch auch zu Handlungen kommen kann, die dem Geistesgesunden 
auf den ersten Anblick völlig unverständlich erscheinen, die sich aber bei Ver¬ 
folg des paranoischen Gredankenganges doch bis zu einem gewissen Grade ver¬ 
stehen lassen. Nie kommt es zu wirklich unsinnigen Handlungen, wenngleich 
die Kranken nach jahrelangem Bestehen der Erkrankung oft auf eigenartige, 
schief und komisch wirkende Mittel, um dem für sie unerträglichen Zustande 
ein Ende zu machen, verfallen. Die normalen Hemmungen pflegen auch in den 
letzten Stadien dem Paranoiker nicht vollkommen verloren zu gehen; zu Kapital¬ 
verbrechen kommt es viel seltener als bei Geistesstörungen, die mit den gleichen 
Wahnideen eine Abschwächung der intellektuellen Funktionen verbinden, z. B. 
ist der Gattenmord im Eifersuchtswahne der Paranoia viel seltener als bei dem 
auf dem Boden des alkoholischen Schwachsinns entstandenen gleichen Zustande. 
Ein allgemeiner Bruch mit der Welt, ein gänzliches Zurückziehen in den eigenen 
Wahn pflegt im Endstadium der Paranoia einzutreten. 

Neben diesen dem Wahne an sich entspringenden Handlungen pflegt die 
allgemeine Arbeitsfähigkeit des Paranoikers nur insoweit zu leiden, als er von 
seinen krankhaften Ideen in Anspruch genommen wird. Er vermag lange Jahre, 
selbst bis zum Tode umfangreichen Geschäften vorzustehen, klar zu disponieren, 
Ämter zu verwalten, vor allem auch seine persönlichen Angelegenheiten ohne 
Schwierigkeit zu versehen, seinen Lebensunterhalt zu erwerben, wenn auch die 
Ausdauer häufig zu wünschen übrig läßt. In der Irrenanstalt gehören die Para¬ 
noiker mit vorherrschenden BeeinträchtigungsVorstellungen zu den arbeit¬ 
samsten Insassen. Etwas anders verhält es sich mit den Größenwahnsinnigen, 
von denen stets eine gewisse Auswahl der ihnen zugemuteten Beschäftigung 



44 


Die Krankheitsersclieinungen. 


ausgeübt oder aber jede Arbeit außer der für die eigene Person abgelehnt wird. 
Diese Paranoiker sind jedoch mit der Bearbeitung der sie selbst und ihre Wahn¬ 
vorstellungen betreffenden Dinge vollkommen beschäftigt, so daß man ein be¬ 
schäftigungsloses Herumstehen, eine dauernde Untätigkeit auch bei ihnen kannn 
findet. Dem normalen Drange nach Beschäftigung pfl^en nicht nur die Ver¬ 
folgungswahnsinnigen, sondern auch die Kranken mit Selbstüberschätzungs¬ 
ideen nicht zu widerstehen. Bei der ersteren Gruppe ist das nicht weiter ver¬ 
wunderlich, zumal die Kranken bald merken, daß eine intensive Beschäftigung 
ihre beängstigenden Wahnideen zurücktreten läßt; eigenartiger berührt es, wenn 
der vermeintliche Millionär sich als fleißiger Bureauarbeiter, der neue Mfessias 
als Gärtner, die Fürstentochter als Näherin betätigt. Stets wird von den Kranken 
aber auch eine derartige Beschäftigung motiviert, bzw. läßt die Art, wie sie 
ihre Tätigkeit ausüben, oder die aus derselben entspringende Vergünstigung 
dieselbe verstehen. Wenn der zukünftige Millionär bei seiner Tätigkeit Grelegen- 
heit findet, seine umfangreichen Schriftstücke, die seine Ansprüche beweisen 
sollen, zu schreiben und hinauszuschmuggeln, die Fürstentocher in der Näh¬ 
stube über andere Einfluß zu gewinnen und auszuüben vermag, so ist das eine 
verständliche Erklärung für die Tatsache ihrer Betätigung; der vermeintliche 
Messias erklärt sie daraus, daß der erste Christus ebenfalls einfache Arbeit getan 
habe, daß in der Bibel geschrieben stehe, daß man dem Nächsten dienen solle, 
daß seine Gartenarbeit die Vorbereitung auf die Bebauung des himmlischen Gar¬ 
tens sei. Es versteht sich von selbst, daß derartige Kranke meist nicht imstande 
sind, ihren Lebensunterhalt zu erwerben, sobald sie auf eigene Füße gestellt sind, 
daß sie nach Aufzehren etwaigen Vermögens, sofern nicht vorher die Entmün¬ 
digung bzw. die Anstaltsaufnahme erfolgt ist, der Armenpflege anheimfallen. 

Es ist oft merkwürdig, wie wenig im Verlaufe der Paranoia trotz der starken 
egozentrischen Einengung des Gesichtskreises die altruistischen Gefühle leiden. 
Das Gefühl für die Familie, selbst für die Mitmenschen pflegt in den meisten 
Fällen durchaus erhalten zu bleiben, eher werden die Familienangehörigen als 
die unschuldig unter den Verfolgungen Mitleidenden angesehen als in den Kreis 
der Verfolger einbezogen, wenn es auch vorübergehend infolge des Widerstandes, 
den die Angehörigen dem Kranken in manchen Dingen zu leisten gezwungen 
sind, zu einem Bruche mit ihnen kommt. Auch in späteren Stadien des Leidens 
pflegen weibliche Kranke sich um ihre Mitpatienten hilfreich zu bekümmern 
und sich dabei oft mit feinem Gefühl gerade die bedauernswertesten und hilf¬ 
losesten unter denselben auszuwählen. Auch die übrigen ethischen Gefühle 
bleiben in den ruhigen Zeiten stets erhalten; wo sich in Wort oder Tat in er¬ 
regteren Stunden leichte Lockerungen der ethischen Gefühle erv'eisen, sind 
dieselben aus der Stärke der einstürmenden Verfolgungen, der Massenhaftigkeit 
der Sinnestäuschungen, der Intensität der begleitenden Affekte immerhin noch 
erklärlich; nie kommt es zu wirklich schamlosen unmotivierten Worten, noch 
weniger zu derartigen Handlungen. 

Äußerlich kann man die Wahnrichtung des Paranoikers in vielen Fällen 
bereits aus seiner Haltung, seinem Gange, seiner Kleidung, seinem Wesen schlie¬ 
ßen, kurz ihm seinen Wahn vom Gesichte ablesen. Die einen sind verschlossen, 
mürrisch, lehnen jede Unterhaltung, besonders jedes Eindringen in ihre wahn¬ 
haften Gedankenkreise ab, wittern in jedem Eindringling einen neuen Feind; 


/ 



Die Paranoia combinatoria. 


45 


clie anderen sind lebhaft, prahlen mit ihren Erfindungen, ihrem Reichtum, ihren 
hochfliegenden Plänen, ihrer Zukunft, suchen ihrer Umgebung zu imponieren; 
wieder andere sind unnahbar, herablassend gegen jedermann; noch andere schrei¬ 
ten ernst einher, den Blick in die Feme gerichtet, gemessen in ihrer Haltung 
wie in ihren Bewegungen. Doch auch bei den verschlossenen, ablehnenden 
Kranken kommt es nie zu einem völligen Abschluß, einem kritiklosen Zurück¬ 
ziehen in sich selbst, wie es in der Schizophrenie häufig ist; sie haben trotz allem 
den normalen Drang, sich irgend jemand anzuschließen, sich gelegentlich aus¬ 
zusprechen, sich wenigstens schriftlich in Konnex mit ihrer Umgebung zu setzen. 

Die Ausdrucksmittel, Sprache wie Schrift, haben für den Paranoiker eine 
große Bedeutung. Mit rednerischer Gewandtheit, ohne zu stocken, da er die¬ 
selben Gedankengänge, dieselben Wahrnehmungen, dieselbe logische Verknüpfung 
beider bereits ungezählte Male sich selbst und anderen widerholt hat, verblüfft 
er durch die Sicherheit und Lückenlosigkeit, mit der er sein Wahnsystem ent¬ 
hüllt und scheinbar begründet. Ebenso weiß er seine schriftlichen Auslassungen 
stilgerecht abzufassen, auch wenn die Orthographie wegen geringer Schulbildung 
zu wünschen übrig läßt. In den späteren Stadien des Leidens pflegt die Freude 
am Niederschreiben der Wahnideen zuzunehmen, das letztere zum Zweck an 
sich zu werden; man kann beobachten, daß es dem Kranken Befriedigung bereitet, 
daß eine Verringerung seiner Affektspannung w^enigstens für kurze Zeit eintritt, 
sobald er sich seine Leiden oder seine Pläne von der Seele heruntergeschrieben 
hat, ebenso wie ihm eine ruhige Aussprache w^ohltut, wenn es natürlich auch 
dadurch nicht gelingt, seine krankhaften Vorstellungen zu korrigieren oder ihm 
auch nur zweifelhaft zu machen. Sprachlicher Ausdruck wie Schrift erfahren 
dabei allmählich eine Neigung zu gezierter Ausdrucksw eise, zu größerer Sch wülstig- 
keit, Langatmigkeit, zu schnörkelhaften Umschreibungen, sie werden bilder¬ 
reicher, pathetischer, eigenartig betont, was sich in der Schrift durch veränderte 
Buchstaben, häufige Unterstreichungen, Gebrauch der Anführungs-, Ausrufungs¬ 
und Fragezeichen äußert, schließlich in selteneren Fällen auch zur Bildung eigener 
Worte für die eigenartigen Quälereien und Sensationen, die ihnen selbst etwas 
Rätselhaftes sind, das sich mit keinem der gebräuchlichen Ausdrücke einiger¬ 
maßen treffend bezeichnen ließe, führt. Derartige Wortneubildungen sind 
meistens auch dem Geistesgesunden ohne weiteres verständlich, oder sie werden 
es durch die Erklärungen der Kranken; nie findet sich Sprachverwirrtheit. Es 
gibt Paranoiker, die sich nur schriftlich über ihre Wahnideen auslassen, dem¬ 
gemäß bei jedem ärztlichen Besuche ein Schriftstück überreichen ; es ist nicht 
festzusteUen, ob es sich immer nur um eine Marotte der Kranken handelt, oder 
ob nicht auch, wie es wahrscheinlich ist, der Wunsch, dem Nächsten die Vor¬ 
stellungen und Wahrnehmungen klarer und lückenloser zu erklären, mündlichen 
Erörtenmgen über peinliche, ihren ethischen Begriffen widerstrebende Dinge 
aus dem Wege zu gehen, mitspielt. 

Wie das Handeln zeigt auch der formale Ablauf der Denkvorgänge keine 
wesentlichen Abweichungen von der Norm. Bei dauernder völliger zeitlicher 
und örtlicher Orientierung bis in die letzten Stadien der Ejrankheit hinein, bei 
ungestörtem Gedächtnisse und ungeschwächter Merkfähigkeit zeigt die Urteils¬ 
kraft eine zunehmende Einbuße entsprechend den vorherrschenden Wahnideen, 
während sie auf außerhalb derselben liegenden Gebieten keine Störimgen zeigt. 



46 


Die Krankheitserscheinungen. 


Auf die Ansichten mancher Autoren, die die Entwicklung eines Schwachsinns 
bei der Paranoia annehmen, wird gelegentlich der Besprechung des Krankheits- 
ausganges noch zurückzukommen sein. 

Besondere Störungen des Willens, soweit solche nicht der Ausfluß der 
überwertigen Wahnvorstellungen sind, bestehen bei der Paranoia nicht. Schon 
aus der Besprechung der Handlungen des Paranoikers geht hervor, daß die Willens- 
strebimgen formal von denen des geistesgesunden Menschen im Grunde nicht 
abweichen, wenn sie auch ein verzerrtes Bild der normalen darstellen. Was die 
allgemeine Willensfreiheit betrifft, so erscheint dieselbe nach den Äußerungen 
der Kranken in einer Reihe von Fällen eingeschränkt, insofern sie aus der Un¬ 
fähigkeit, ihrem Selbstbewußtsein entsprechende Leistungen zu vollbringen, 
schließen, daß ein anderer ihnen die Aktionsfreiheit behindere, oder aber insofern 
sie den Einfluß, den andere auf ihren Körper und Geist haben, aus den krank¬ 
haften Wahrnehmungen abstrahieren, die gerade in den Fällen mit ,,Beein¬ 
flussungswahn“ die Kranken heimzusuchen pflegen; das Symptom ist deshalb 
auch bei der halluzinatorischen Form der Paranoia häufiger als bei der hier 
besprochenen. Nie handelt es sich bei dem Kranken um die Überzeugung, daß 
er „der unfreie Spielball unmittelbarer Einwirkungen durch andere (Kraepelin)“ 
sei, sondern durch logische Überlegung, durch Abwägen der ihn treffenden Ver¬ 
folgungen, der ihn belästigenden (Trug-) Wahrnehmungen, diueh das Forschen 
nach den Gründen der Unfähigkeit, seine Pläne zu verwirklichen, kommt er 
zu dem Schlüsse, daß ihm feindliche Gewalten sein Wollen imd Handeln lähmen, 
daß ein Zwang auf ihn ausgeübt wird, gegen den er als seiner unwürdig mit allen 
Mitteln sich wehrt, dem er auf alle Weise zu entgehen sucht. Nie bildet der Be¬ 
einflussungswahn den Hauptbestandteil des Systems, sondern er ist stets nur 
eine vorübergehend geäußerte Vorstellung, die meist nur undeutlich auftaucht, 
oft nur als ein Ausdrucksmittel für das peinigende Gefühl innerer Ratlosigkeit 
dient, ohne daß der Kranke an eine wirkliche geheimnisvolle Macht, die andere 
Menschen über ihn auszuüben vermöchten, glaubt. 

Der Verlauf der Paranoia combinatoria ist ein ausgesprochen chronischer. 
Fälle, in denen die Erkrankung 20 oder 30 Jahre besteht, sind keine Seltenheiten^). 
Bei einem Teile der Paranoiafälle mehren sich die krankhaften Vorstellungen 
in langsamer, doch stetiger Progression, nimmt die einseitige psychische Um¬ 
wandlung des Individuums unaufhaltsam seinen Fortgang, ohne daß stärkere 
Schwankungen im Denken und Fühlen sich einstellen. In der Mehrzahl der Fälle 
jedoch wird die Ruhe der Krankheitsentwicklung gestört durch interkurrent 
eintretende Zustände von mehr minder langer Dauer, in denen eine plötzlich 
oder langsamer eintretende Verstärkung der Beschwerden die Eintönigkeit des 
Krankheitsverlaufes unterbricht. Anlaß zu derartigen akuteren Krankheits¬ 
vorgängen, die ein mehr schubweises Fortschreiten des Prozesses verursachen, 
geben meist äußere Anlässe, die die Affekterregbarkeit steigern, wie gemütliche 
Erregungen infolge widriger Ereignisse, ungeeignete Behandlung durch Ange¬ 
hörige, Pfleger oder Mitkranke, die zu Zusammenstößen mit der Umgebung 

^) Unter 43 Fällen von Paranoia verschiedener Formen fand sich eine Krankheiis- 
dauer von 

über 5 10 lö 20 25 30 35 40 Jahren 

in 8 10 8 3 3 5 1 2 Fällen. 



Die Paranoia combinatoria. 


47 


führen, getäuschte Hoffnungen, versagte Wünsche, kurz alles, was geeignet ist, 
das mühsam erhaltene gemütliche Gleichgewicht des Kranken zu stören. Die 
Art, wie der Paranoiker auf derartige gemütliche Eindrücke reagiert, braucht 
sich nur wenig über das Maß der beim Geistesgesunden natürlichen Reaktion 
zu erheben, kann aber auch eine zu der auslösenden Ursache in keinem Verhält¬ 
nisse stehende sein. In den gemäßigten Erregungszuständen kommt es zu stärkerer 
Betonung der Wahnideen, zur Produktion neuer ausschmückender Vorstellungen, 
zur Ausdehnung des Kreises der Verfolger, zum Ausspinnen der megalomanen 
Hoffnungen. Äußerlich entspricht dem eine mehr minder starke motorische 
Unruhe, Vielgeschäftigkeit und Geschwätzigkeit. Die sonst zurückhaltenden 
Kranken schließen sich an andere, oft nicht die besten Elemente an, laufen rastlos 
umher, erzählen jedermann von ihren Verfolgungen, ihren hohen Positionen, 
ihrem Reichtum, ihren Fähigkeiten, vertrauen ihnen ihre Wünsche, Hoffnungen 
und Befürchtungen an, die sie sonst ängstlich hüteten; sie schreiben gegen ihre 
Gewohnheit viel, alles in eigentümlich überschwenglicher Weise. Je nach der 
Art ihres Wahnes kommt es zu einer Verstärkung der Affekte, ohne daß unter 
der ganzen Veränderung der innere Zusammenhang der Persönlichkeit wesentlich 
leidet. Während derartiger Zustände kommt es besonders häufig auch im Ver¬ 
laufe rein kombinatorischer Paranoiafälle zu vereinzelten Sinnestäuschungen, 
vor allem solchen des Gehörs, seltener des Gesichtssinnes. Nach Stunden, meist 
nach wenigen Tagen, seltener nach einigen Wochen khngt der Erregungszustand 
ab, um dem vorherigen Zustande wieder Platz zu machen, der aber meist um 
einige ausschmückende neue Wahnideen oder um Variationen der schon be¬ 
stehenden bereichert wird. 

Die Zustände stärkerer Erregung, wie sie sich gelegentlich bei Fällen von 
Paranoia combinatoria finden, entwickeln sich in der Regel ziemlich schnell, 
nachdem einige Tage oder Wochen eine leichtere seelische Verstimmung der 
eben beschriebenen Art vorausgegangen ist. Die Kranken werden unruhiger, 
der Schlaf wird schlechter, zahlreichere Sinnestäuschungen treten auf, um das 
ursprüngliche Wahnsystem schießen in üppiger Blüte weitere Ideen maßloserer 
Art auf, besonders komplementäre Größenideen treten stärker hervor, werden 
gegebenenfalls in einem derartigen Zustande auch erst gebildet; unter Ver¬ 
stärkung der Lebhaftigkeit der entsprechenden Affekte kommt es zu häufigen 
Zusammenstößen mit der Umgebung, lebhaftem Querulieren, Schimpfereien, 
Durchstechereien, Ausbruchsversuchen. Nach Tagen, häufiger nach einer oder 
mehreren Wochen klingt der Zustand langsam ab, der Schlaf bessert sich, das 
etwas zurückgegangene Körpergewicht wird wieder normal, die Sinnestäuschungen 
nehmen an Lebhaftigkeit und Zahl ab, um endlich ganz aufzuhören, die akzes¬ 
sorischen Wahnvorstellungen verblassen, soweit sie nicht dem Grundwahne sehr 
eng verwandt waren und ihm angegliedert werden. Der Kranke nimmt seine 
gewohnte Beschäftigung, zu der er während des Erregungszustandes nicht zu 
bringen war, wieder auf und geht ohne intellektuelle Einbuße, doch mit etwas 
ausgebautem Wahnsystem wieder in das ruhige Fahrwasser paranoischer Welt¬ 
veränderung ein. 

In einem kleinen Teile soll es auch bei Paranoikern zu Zuständen kommen 
können, in denen unter massenhaftem Einstürmen von Sinnestäuschungen und 
entsprechend lebhafter Bildung oft nm* wenig oder gar nicht zusammenhängender, 



48 


Die Krankheitserscheinungen. 


maßloser wahnhafter Vorstellungen eine mäßige Verworrenheit eintritt. Der¬ 
artige hochgradige Erregungszustände müssen immer zu einer strengen Revision 
der Diagnose veranlassen, sie sind an sich so wenig mit dem sonstigen Krankheits¬ 
bild der Paranoia im beschriebenen Sinne vereinbar, daß in den Fällen, in denen 
sie nicht nur episodenhaft ein oder wenige Male auftreten, ohne daß durch sie 
der bestehende Grundwahn an Bedeutung einbüßt, die Annahme einer sehr 
schleichend verlaufenden paranoiden Erkrankung sichergestellt ist. Besonders 
sind derartige schwerere Erregungszustände als Einleitung der eigentlichen 
paranoischen Erkrankung beobachtet worden in Fällen, in denen das auslösende 
affektive Erlebnis sehr stark und im Verhältnisse zur Stärke der paranoischen 
Veranlagung von überlegener Bedeutung zu sein schien. Aus der plötzlichen 
Einwirkung überwältigender psychischer Verstimmungen auf ein paranoisch 
veranlagtes Individuum wäre ein derartiger Verworrenheitszustand allenfalls 
noch verständlich. Eine andere Frage ist, ob derselbe dann noch zur Paranoia 
an sich zu rechnen ist, oder ob man nicht vielmehr annehmen soll, daß es sich 
um einen Amentiafall bei einem Menschen handelt, der sich gerade auf dem Wc^e 
zur Paranoia befand, die nach dem Abklingen der akuten Geistesstörung 
ausgebildet hervortritt. Jedenfalls ist Fällen mit derartigem akutestem 
Beginne, noch mehr aber solchen mit interkurrenten Verworrenheitszuständen 
gegenüber stets größte Skepsis betreffs ihrer Zugehörigkeit zur Paranoia 
am Platze. 

Die Häufigkeit des Eintrittes derartiger interkurrenter Erregungszustände 
im Verlaufe der Paranoia combinatoria ist außerordentlich verschieden. Von 
Individuen, die ein Menschenalter hindurch ihr Wahnsystem langsam und stetig 
ohne merkliche Schwankungen entwickeln, gibt es alle Übergänge zu solchen, 
die mehrmals jährlich Zustände der beschriebenen Art durchmachen. Ja, es 
gibt sicher Fälle, in denen eine gewisse Periodizität im Auftreten akuterer Krank¬ 
heitserscheinungen zu herrschen scheint; vor allem pflegt sich bei manchen 
weiblichen Kranken zur Zeit der Menstruation eine leichte Steigerung der Er¬ 
scheinungen regelmäßig nachweisen zu lassen. Die Erregbarkeitssteigenmg, die 
auch das geistesgesunde Weib in diesen Zeiten befällt, führt eben beim para¬ 
noischen Weibe zu einer vorübergehenden Steigerung der krankhaften Symptome. 
Aus derartigen Fällen mit ihrem scheinbar periodischen An- und Abschwellen 
schließen zu wollen, daß die Paranoia mit dem manisch-depressiven Irresein 
eins wäre, ist nicht berechtigt. 

Die Paranoia hallucinatoria. 

Die halluzinatorische Form der Paranoia ist charakterisiert durch das 
dauernde Auftreten zahlreicher sinnlich lebhafter Trugwahrnehmungen, die in 
engster Verknüpfung mit den Wahnideen, von absolutem Realitätswert für den 
Patienten, das Krankheitsbild beherrschen, von ausschlaggebender Bedeutung 
für die Ausgestaltung des Wahnes und die ihn begleitenden Affekte sind, in ein¬ 
zelnen Fällen auch für die Wahnentstehung verantwortlich gemacht werden 
müssen. Daneben finden sich stets noch Züge, die auf eine kombinatorische 
Weiterentvdcklung, oft auch Entstehung des Wahnsystemes deuten, damit auf 
die nahe Verwandtschaft der halluzinatorischen mit der rein kombinatorischen 
Form der Paranoia hinweisen, die durch die zahlreichen übergangsfälle, in denen 



Die Paranoia hallucinatoria. 


49 


eine Zuweisung zu einer der genannten Untergruppen schwierig oder unmöglich 
ist, gesichert wird. 

Die halluzinatorische Paranoia beginnt fast ausnahmslos im späteren Alter. 
Vor dem 40. Lebensjahre ist die Erkrankung überaus selten, seltener als die 
Paranoia combinatoria; der Lebensabschnitt während und nach der Involution 
stellt den größten Prozentsatz (etwa 75%) an Erkrankungen. Von den Ge¬ 
schlechtern ist, wie bereits oben ausgeführt, das weibliche erheblich stärker 
beteiligt (3 weibliche auf 1 männlichen Kranken). In der paranoischen Ver¬ 
anlagung weichen die an halluzinatorischer Paranoia Leidenden nicht von den 
Konstitutionen ab, w ie sie allgemein als der Paranoia zugrunde liegend gefunden 
wurden, nur scheinen die Kranken auch in der vorpsychotischen Lebensperiode 
sehr lebhaft erregbar zu sein und eine üppige Phantasie zu besitzen. 

Was die Art des Beginnes anlangt, so läßt sich in einem recht erheblichen 
Prozentsätze der Fälle von Paranoia hallucinatoria eine akute oder subakute 
Entstehung des Wahnes imd damit der eigentlichen Erkrankung nachweisen. 
Während bei der kombinatorischen Verrücktheit der Übergang aus der kon¬ 
stitutionell paranoischen Geistesverfassung zur ausgebildeten Krankheit meist 
langsam sich vollzieht, eine schleichende Wahngenese gewöhnlich, der Zeitpunkt 
des Beginnes der Erkrankimg demgemäß häufig nur schwer oder gar nicht fest¬ 
zustellen ist, läßt sich der Riß, den der Ausbruch der Paranoia hallucinatoria 
im psychischen Leben des Individuums schafft, meist deutlich nachweisen, 
vor allem in den Fällen, in denen den Sinnestäuschungen nicht nur die Weiter¬ 
entwicklung des Wahnsystems und die Unterhaltung seiner lebhaften Affekt¬ 
betonung zugeschrieben werden muß, sondern in denen der Anstoß zur Erhebung 
der Wahnideen in das Bewußtseinsfeld auf Sinnestäuschungen zurückgeht. Es 
sind das Fälle, in denen im Anschlüsse an eine Gemütserschütterung, an ein 
stark affektbetontes Erlebnis mit einem Schlage oder doch in wenigen Tagen 
odpr Wochen unter massenhaften, lebhaften Trugwahrnehmungen ein weit¬ 
verzweigtes, festgelegtes, unerschütterliches Wahnsystem bei einem Individuum 
erwächst, das früher wohl schon die Zeichen seiner paranoischen Veranlagung 
aufwies, bei dem aber Züge wiiklicher Wahnbildung nicht nachweisbar waren. 
Derartige Fälle sind auch in der Paranoia hallucinatoria nicht übermäßig häufig, 
auch ist bei der oft vorhandenen Mangelhaftigkeit der Anamnese die Entscheidung 
darüber, ob vor Auftreten der Sinnestäuschungen das Vorstellungsvermögen sicher 
keine pathologischen Erscheinungen außer etwa der Tendenz Zu Beziehungs¬ 
ideen darbot, oft ebensowenig möglich wie die Entscheidung darüber, ob nicht 
der Paranoiker seine Wahnideen bereits jahrelang dissimuliert hat und erst 
das Einstürmen massenhafter Trugwahrnehmungen seine Selbstbeherrschung 
soweit herabsetzte, daß er seine wahnhaften Vorstellungen preisgab, so daß 
der Satz von 33%, den eigene Erfahrungen für den Beginn der Paranoia hallu¬ 
cinatoria mit Sinnestäuschungen ergeben, nicht als feststehend anzusehen ist^). 
Als sicher ist aber zu betrachten, daß die halluzinatorische Verrücktheit auf 
äußere psychogene Anreize hin unter massenhaftem Auftauchen von Sinnes- 

Von Bergers 18 Fällen schienen in 5 Sinnestäuschungen und Wahnideen* an¬ 
nähernd gleichzeitig aufgetreten zu sein, in 2 Fällen bestanden die Sinnestäuschungen 
sohon vor dem Auftauchen von Wahnideen, in 11 Fällen gesellten sich die Sinnes¬ 
täuschungen zu dem schon bestehenden Wahnsystem hinzu. 

Erueger, Die Paranoia. 


4 



50 


Die ELrankheitserscheinungen. 


t&uschungen und in kurzer Zeit erfolgender Bildung eines ausgedehnten Wahn- 
Systems entstehen kann, worauf die Weiterentwicklung in langsamem Fort¬ 
schritt oder öfter schubweise teils unter der Einwirkung vonTrugA/^^ahrnehmungen, 
teils rein kombinatorisch erfolgt. 

In einer anderen Gruppe von halluzinatorischen Paranoiafällen pflegt die 
erste Wahnentstehung nicht von dem bei der Paranoia combinatoria beschriebenen 
Modus abzuweichen. Allmählich treten jedoch Sinnestäuschungen auf, immer 
häufiger und sinnlich lebhafter stürmen die Trugwahrnehmungen auf den Kranken 
ein, bis schließlich die letzteren das Krankheitsbild beherrschen, auch den Pa¬ 
tienten selbst seine krankhaften Wahrnehmungen weit mehr belästigen als seine 
wahnhaften Vorstellungen; in diesen Fällen führen die Sinnestäuschungen dem 
Kranken seine Hoffnungen und Befürchtungen „gleichsam dramatisch“ vor. 
Die weitere Entwicklung des Krankheitsbildes kann entweder unter einer dauern¬ 
den Fülle von Trugwahrnehmungen ihren Fortgang nehmen, oder es tritt auch 
hier nach kürzerer oder längerer Zeit eine mehr kombinatorische Weiterent¬ 
wicklung des Leidens ein, die von Trugwahrnehmungen dauernd begleitet, 
modifiziert oder bestätigt wird. Da die Priorität in der Entstehung der einzelnen 
Symptome naturgemäß bei einem schleichend und langsam verlaufenden Leiden 
wie der Paranoia oft nicht zu entscheiden ist, so imponiert eine Anzahl von Fällen 
als eine innige Verbindung von zugleich entstandenen und im gleichen Schritte 
vermehrten und lebhafter gewordenen Wahnideen und Sinnestäuschungen. Auch 
in diesen Fällen wird die weitere Entwicklung des Wahnes, seine Ausschmückimg 
und Fixierung von Trugwahrnehmungen unterhalten beziehungsweise begleitet. 

Die Sinnestäuschungen gehören den verschiedensten Arten an; nicht immer 
ist sicher zu entscheiden, welche derselben vorliegt. Die Mehrzahl der Trug- 
wahmehmungen gehört in die Klasse der Illusionen im weitesten Sinne, die 
auch Kleist in allen seinen Fällen fand und die er treffend als Zwischenglied 
zwischen Mißdeutungen und Halluzinationen betrachtet. Es handelt sich um 
illusionäre Wahrnehmungen bzw. nachträgliche illusionäre Verfälschung an 
sich richtig wahrgenommener und entsprechend aufgefaßter Dinge. Im vorigen 
Abschnitte ist bereits an entsprechender Stelle auf die großen Schwierigkeiten 
hingewiesen worden, derartige Illusionen von Erinnerungsfälschungen an sich 
zu scheiden. Sicherlich werden in einer Reihe von Fällen anscheinende Sinnes¬ 
täuschungen, vor allem solche, deren Eintritt schon weiter zurückliegt, vor¬ 
getäuscht durch die mangelhafte Reproduktionstreue bzw. durch nachträgliche 
wahnhafte Auslegung wirklicher Wahrnehmungen. Zwischen diesen Vorgängen 
bestehen auch keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich ihrer psychologischen 
Entstehung. In beiden Fällen findet eine Umwertung tatsächlicher Sinnesem- 
pfindungenim Geiste desherrschenden Wahnesstatt; nur daß diese Umwertung und 
damit die Umbildung der Empfindung bei den eigentlichen Illusionen im Augen¬ 
blicke der sinnlichen Wahrnehmung selbst erfolgt, während sie bei den illusionären 
Erinnerungsverfälschungen erst später, oft nach langer Zeit stattfindet. In 
gleicher Weise sind auch die wirklichen Halluzinationen zu bewerten, die wesent¬ 
lich, seltener (etwa in der Hälfte der Fälle) bei der Paranoia hallucinatoria auf- 
treten, bei denen die wahnhafteh Vorstellungen so starke sinnliche Eindrucks¬ 
kraft auf den Kranken selbst haben, daß sie die entsprechenden Sinnesempfin¬ 
dungen auslösen können, die eine bildliche Wiedergabe der herrschenden Denk- 



Die Paranoia hallucinatoria. 


51 


richtung mit allen ihren Strebungen darstellen. Hierher gehören auch diejenigen 
Fälle, in denen ein Lautwerden der eigenen Gedanken eintritt, eine Erscheinung, 
die besonders klar die Entstehung derartiger Wahmehmungsfälschungen aus dem 
eigenen Denken beweist. Die Sinnestäuschungen sind eben der Inbegriff der das 
Individuum beherrschenden Vorstellungen, ihrerseits aber, wie Jelgersma 
ausführt, in hohem Grade dazu geeignet, den pathologischen Geisteszustand 
dadurch zu verstärken, daß der Kranke seine Halluzinationen als Bestätigung 
der Richtigkeit seines psychischen Zustandes hinnimmt. 

Ebensowenig zweifelhaft wie die Entstehung von Sinnestäuschungen aus 
Wahnvorstellungen ist deshalb die Auslösung der letzteren durch Trugwahr¬ 
nehmungen. Daß infolge dauernder Belästigungen durch beschimpfende Gehörs¬ 
täuschungen, imangenehme szenenhafte Gesichtshalluzinationen, haptische Miß- 
empfindungen, Geschmacks- und (Jeruchsstörungen Vorstellungen der Beein¬ 
trächtigung im Kranken aufkommen müssen, ist durchaus erklärlich; die Ver¬ 
folgungsideen pflegen deshalb häufiger ihren Ursprung in Trugwahmehmungen 
zu haben als die Größenideen. Aber auch den letzteren können Sinnestäuschungen 
zugrunde liegen, vor allem des Gesichts- und Gehörssinnes, wenngleich diese 
Art der Entstehung des Größenwahnes aus Störungen der Sinnesempfindungen 
heraus erheblich seltener ist und eher die wahnhaften Größenvorstellungen ihrer¬ 
seits zu entsprechenden Halluzinationen führen. Die Wichtigkeit der Sinnes¬ 
täuschungen für die Entstehung von Wahnideen erhellt sich besonders aus anders¬ 
artigen Krankheitszuständen, die viele Berührungspunkte mit der Paranoia 
hallucinatoria haben, in vielen Fällen ihr angehören, den Psychosen bei Schwer¬ 
hörigen, bei denen aus einfachen Ohrgeräuschen allmählich unangenehme Gehörs¬ 
illusionen werden und sich im Zusammenhänge mit diesen Verfolgungsideen 
ausbilden können, wenngleich auch hier sicher rein kombinatorische Momente 
mitspielen. 

Die Trugwahmehmungen können sich auf alle Sinne erstrecken, pflegen 
aber bestimmte Gebiete zu bevorzugen. Nach eigenen Erfahrungen, die dmch 
Berger bestätigt wurden, betreffen sie in allen Fällen den Gehörssinn, in der 
Mehrzahl der Fälle übertreffen die (Jehörstäuschungen an Häufigkeit und Leb¬ 
haftigkeit die aller anderen Siniie. Aus allgemeinen Geräuschen, wie Sausen und 
Klingen in den Ohren, Pfeifen, Glockenläuten, Mißtönen entwickelt sich all¬ 
mählich ein Flüstern, das der Kranke aber noch nicht versteht, dann werden 
abfällige Redensarten, Scheltreden, Drohungen, unflätige Beschimpfungen 
dfiu'aus. Die Leute auf der Straße, die Nachbarn, Kollegen, Mitkranke rufen 
dem Kranken Verwünschungen zu, enthüllen öffentlich seine Geheimnisse; aus 
der Zimmerecke werden Mitteilungen aus seinen Familienpapieren gemacht, 
seine geschäftlichen Beziehungen verraten. Man nennt ihn verrückt, impotent, 
Onanist, Ehebrecher, Mörder. Vom Boden herab, aus dem Keller, im Neben¬ 
zimmer hört er die Stimmen seiner Gegner, die sich über ihn unterhalten, auf 
ihn schelten, über neue Peinigungen beraten, die Stimmen seiner Angehörigen, 
die in dör Anstalt gefangen gehalten werden. Er hört Kinder imter dem Hause 
wimmern, die in die „Blutloge“ verschleppten Angehörigen klagen, seine Feinde 
hohnlachen. Er erkennt seine einzelnen Verfolger an der Stimme, den einen an 
seinem Tenor, den anderen an seinem Baß. Er hört die leibliche Schwester 
vor sich hinmurmeln, daß sie ihn vergiften, „unter die Decke bringen“ wolle; 

4* 



Die Krankheitserscheinungen. 


">2 

aus dem Schlafzimmer des Bruders hört er, daß derselbe ihn umzubringen ge¬ 
denkt. Das Pflegepersonal höhnt, daß die Wirtschafterin des Kranken von ihm 
schwanger sei, überall sprechen die Leute über ihn Schlechtes; häßliche Worte 
werden ihm von Mitkranken zugerufen. Die Kinder höhnen hinter der Kranken 
her, daß sie auf offener Straße einen Mann geküßt habe, die Venii^andten wün¬ 
schen ihr, daß ihr die Glieder abfaulen möchten. Ein eigentümliches Klopfen 
belästigt sie des Nachts, von einem ,,Mordinstrument“ herrührend, sie hört das 
Arbeiten der Elektrisiermaschine, mittels derer sie gequält wird; Unterschla¬ 
gungen werden ihr vorgehalten, es wird ihr mitgeteilt, daß ein Gerichtsverfahren 
gegen sie schwebe, man munkelt, daß sie ihre Eltern unter die Erde gebracht, 
ihre Kinder vergiftet habe. Unsittliche, schmutzige Geschichten werden dem 
Kranken durch unsichtbare Telephone zugetragen, Schweinereien über seine 
Frau werden ihm zugerufen, die Hilferufe seiner gemarterten und entehrten 
Angehörigen dringen aus dem Garten zu ihm herauf. 

Durch ein unsichtbares Sprachrohr werden den Kranken große Schenkungen, 
wird ihnen die Ankunft von Geld und Paketen gemeldet; bei der Arbeit sagt 
man ihnen: Sie brauchen überhaupt nicht mehr zu arbeiten. Sie sind in den 
höheren Adelsstand erhoben. Der Minister, der Papst, der Kaiser spricht mit 
ihnen „durch Flug“, sie können sich mit den Angehörigen, dem Richter, dem 
Staatsminister durch drahtlose Telephone unterhalten. Ihr feines G^hör schützt 
sie vor ihren Verfolgern und macht ihnen deren Pläne offenbar, schafft ihnen 
über Personen, die sie am neuen Orte verfolgen, sofort Aufklärung. Sie hören, 
wie der Landesfürst sich nach ihnen im Vorüberfahren erkundigt, sie als Kinder 
anerkennt, ihnen Millionen schenkt, ihnen Orden und Ehrenstellen verleiht. 
Sie hören die Stimme Gottes, des Herrn Jesus Christus, der Jungfrau Maria, der 
Heiligen, erhalten Befehle, zu beten, zu fasten, eine Gemeinde um sich zu sammeln, 
Buße zu predigen, die Menschheit zur Seligkeit zu führen. Feine kleine Stimmen, 
wie Mädchenstimmen, sprechen zumICranken, wenn er mit Gott „denkt“; spricht 
jemand zu ihm, so hört er Beistimmen aus der Luft, „das sind die Gedanken, 
die andere oben gedacht haben imd die sich in der Luft bilden.“ Er hört den 
Schall der himmlischen Posaunen, das Jammern der in der Hölle Schmachtenden, 
der Engel Gesang, der Sonne Tönen, die Sphärenmusik. 

Erheblich seltener schon sind im Krankheitsbilde der Paranoia hallu- 
cinatoria die Gesichtstäuschungen, unter denen wieder die Personenverkennungen 
einen großen Raum einnehmen. Die Kranken sehen ihre längst verstorbenen 
Eltern und Geschwister am Fenster vorübergehen, auf dem Hofe, im Garten 
stehen, sie verfälschen ihre ganze Umgebung illusionär, sehen in Mitkranken 
ihre Verwandten, im Arzte den längst verstorbenen Bräutigam, in den Abbil¬ 
dungen illustrierter Zeitschriften erkennen sie ihre Angehörigen oder Bekannten 
wieder. Während eines Spazierganges sieht der Kranke drei Personen von denen, 
die ihn belästigen, auf einer Bank sitzen; bei dem Scheinbegräbnis des Ehemannes 
sieht die Eifersuchtswahnsinnige den angeblich Toten mit ihren Söhnen im Ge¬ 
folge eines anderen Leiohenzuges. „Unanständige Bilder, die sich bewegen“, 
werden der Kranken vorgezeigt, Bilder nackter männlicher Körper, steifer 
Geschlechtsteile belästigen sie; nackte Frauengestalten, die sich ihm verführerisch 
nahen, die neben ihm im Bette liegen, suchen den männlichen Kranken geschlecht¬ 
lich zu reizen. Gestohlene Sachen werden ih m im Klde vorgeführt, er sieht die 



Die Paranoia hallucinatüria. 


53 


Mitkranke morgens in schwarzem, mittags in rotem, abends in grauem Haare. 
Die Menschen auf der Straße erscheinen dem Paranoiker plötzlich in scheußlichen 
Veränderungen, haben lange, unförmliche^Nasen, das Blut fließt ihnen in Strömen 
aus Mund und Nase, andere erscheinen ihm kahlköpfig, so daß er gar nicht mehr 
hinschauen mag; alle möglichen Tiere, Schlangen, Kröten, Schweine sieht der 
Kranke in seinem Zimmer, auf den Speisen sieht er ein gelbes Gift. 

Wesentliche Bedeutung haben die Gesichtstäuschungen im Bilde des reli¬ 
giösen Größenwahnes, wo sie besonders als die Krönung ekstatischer Zustände 
auftreten. Der Teufel kommt leibhaftig zum Kranken, um ihn zu versuchen, 
in der Stubenecke hockt er mit großen Hörnern; um die eben angeztindete Lampe 
fliegen kleine glühende Männer. Ein Engel erscheint ihm im weißen Gewände; 
er sieht Gott im langen gelben Barte, die Jungfrau Maria im Fenster stehend. 
Die Heiligenbilder lächeln ihn an, neigen ihr Haupt, strecken die Hand aus, 
um ihn zu segnen; der Heilige Geist kommt in Gestalt einer weißen Taube zu ihm 
herab. Sonne und Sterne kommen auf sein Geheiß zu ihm, bleiben fünfzig Schritte 
vor ihm stehen, um sich dann wieder zmückzuziehen. 

Seltener sind szenenhafte Gesichtstäuschungen, in denen die halluzinierten 
Personen zugleich sprechen. Als „Phothophonieren“ bezeichnete ein derartiger 
Kranker seine Trugwahmehmungen, in denen ihm nihilistische Verbrechen, die 
gegen hohe Persönlichkeiten geplant waren, ekel- und schreckenerregende Er¬ 
eignisse, besonders aber viele geschlechtliche Vorkommnisse in Wort und Bild 
„vorgeführt“ wurden. Sie trugen sämtlich szenenhaften Charakter und wurden 
mit den nötigen Erklärungen versehen; zu Hunderten schrieb er derartige 
Sinnestäuschungen nieder. 

Häufig an Zahl, lebhaft gefühlsbetont, demgemäß von stärkstem Einfluß 
aiif die Wahnbildung imd vor allem auf die Handlungen des Individuums sind 
die haptischen Täuschungen. Körperhche Leiden, besonders, wenn sie als un¬ 
gerechtfertigte Eingriffe in das eigene Wohlbefinden empfunden werden, pflegen 
den Menschen auf das höchste zu erregen, dementsprechend ist die gefühlsmäßige 
Betonung haptischer Trugwahrnehmungen eine außerordentlich intensive. Die 
Kranken suchen für ihre Schmerzen und Mißempfindungen, die zum Teil tat¬ 
sächliche Unterlagen haben, Erklärungen und verfallen gerade bei dieser Art 
von Trugwahmehmungen auf die Heranziehung der ihnen nur halb verständlichen 
Einflüsse geheimnisvoller Kräfte. Sie fühlen sich mit elektrischen Maschinen 
bearbeitet und empfinden quälende Sensationen dabei. Sie fühlen, daß man 
ihnen mittels elektrischer Ströme im Magen, Kopf, Rücken, in den Gliedern 
Schmerzen macht; sie können die Stelle der Elektrisationen genau angeben. Der 
Strom fließt durch ihren Körper, der Boden schwankt unter ihren Füßen, das 
Bett wird durch elektrische Ströme in Vibration versetzt, elektrisch wird ihnen 
ein Hitzegefühl erzeugt. Überall empfinden sie die heftigsten Schmerzen, sie 
fühlen sich am ganzen Körper gezwickt, ein Zucken und Reißen von elektrischen 
Einwirkungen geht durch ihre Glieder, Angst und Spannung auf der Brust treten 
darnach auf. Geheimnisvolles Herzklopfen befällt sie, ein eigentümliches, mit 
Angstgefühl verbundenes Zittern des ganzen Körpers tritt ein. In gleicher Weise 
werden magnetische Einflüsse gespürt, so daß die Kranken blaue Flecke davon 
bekommen. Durch unterirdische Maschinen werden ihnen Schmerzen bereitet, 
wird ihnen Kopfschmerz gemacht. Die Nachbarn suchen den Kranken mit 



54 


Die Krankheitsersclieinungen. 


„Stich-, Knuff- und Schneidegiften“ zu verderben, die ihm Schmerzen in den 
Gliedern bereiten; er fühlt, wie die „Zieler“, die auf ihn gerichtet sind, ihm das 
Blut aus dem Körper treiben. Durch „Suggestionen“ wird ihnen ein Ziehen 
und Sichblähen im Unterleib, in den Beinen gemacht. Spinnen kriechen ihnen 
über den Röcken, Juckpulver verspüren sie im Bett, sie fühlen einen „moos¬ 
grünen“ Belag auf der Zunge. Sexuelle Belästigungen finden durch die Pflegerin, 
die ihr Hurenpulver eingibt, dmch den Arzt, den sie mit anderen Männern im 
Keller wähnt, statt, der auf ihre Gebärmutter drückt, der bewirkt, daß sie eine 
Zeitlang ohne zu atmen auf dem Stuhle sitzen muß. Die Kranken fühlen ge¬ 
schlechtliche Angriffe, geschlechtlichen Mißbrauch des Nachts, eine Hand f€^t 
plötzlich unter ihre Bettdecke, an ihre Genitalien. 

Geschmacks- und Geruchstäuschungen sind häufig, entsprechend der 
Häufigkeit, mit der Ideen der Vergiftung in Begleitung des Beeinträchtigungs¬ 
wahnes auftreten. Das Essen schmeckt nach Gift; Arsenik, ungelöschter Kalk, 
Quecksilber, Strychnin sollen dem Kranken beigebracht werden, was „seine 
gute Zunge“ ihm verrät. Eine schädliche Substanz, die einen Zuckergeschmack 
hat, ist in die Speisen gemengt. Der Kaffee schmeckt nach Petroleum. „Huren¬ 
pulver“ schmeckt die Kranke aus den Speisen heraus. Die Butter schmeckt 
nach Hundefett. Das Essen wird „präpariert“, „Katzen- und Hundefleisch“ 
wird ihr angeboten, was sie deuthch herausschmeckt; das Bier hat „Fett¬ 
geschmack“, der Käse ist „Katzenmilchkäse“, die Suppe, der Kaffee schmecken 
nach dem hineingetanen Schlafpulver. Im Munde tritt ein bitterer, brennender 
Geschmack infolge der durch den Körper geschickten elektrischen Ströme auf, 
vergiftete Speisen werden dem. Kranken gereicht. Das Essen schmeckt ,,nach 
gekochten Rattenfellen“. Heftiges Brennen in Kehle und Magen, Anschwellen 
des Zahnfleisches, Lockerwerden der Zähne nach dem Genuß beweisen ihm, daß 
er recht hatte, als er Gift im Brote schmeckte; nach dem Genüsse der Sx)eiBen 
spürt der Kranke ,,eine Wirkung auf das Gemüt“. 

Das Essen stinkt aber auch, Giftdünste steigen von ihm auf. Üble Gerüche, 
Schweiß, Branntwein, Tabaksqualm, Arsenik, Bleizucker, Chlorkalk, Schwefel, 
Salmiak, Essig, Giftkräuter, Urin, Menstrualblut, Kot verpesten die Luft. Durch 
die Wand werden Löcher gebohrt, durch die Kohlensäure hindurchgeblasen 
wird, selbst im Theater wird der Kranke diueh den Gteruch der Kohlensäure 
belästigt. Ein betäubender Dunst ist im Zimmer, so daß die Kranke fortwährend 
das Taschentuch vor den Mund halten muß. Die Zimmergenossinnen haben 
„einen unangenehmen Geruch“ an sich, von der Kleidung geht ein „eigentüm¬ 
licher Schwefelgeruch“ aus, der ganze Körper dünstet eigenartige Riechstoffe 
aus, im Zimmer ist ein sonderbarer Dunst. Der durch das Gebet des Kranken 
überwundene Teufel hinterläßt einen Schwefelgeruch in der Wohnung. 

Aus der Skizzierung der Sinnestäuschungen geht bereits hervor, daß die¬ 
selben sich nur in sehr seltenen Fällen auf ein Sinnesgebiet beschränken, daß 
sie meistens auf mehreren oder allen zugleich auftreten, sich miteinander ver¬ 
knüpfen, einander bestätigen oder ergänzen. Der Kranke hört, wie seine szenen- 
haften Gesichtstäuschungen ihm erklärt werden, er hört, wie die „Zieler“, die 
gegen ihn entsandt wurden, die ihm Schmerzen bereiten, mit dumpfem Getöse 
herankommen, er hört das Arbeiten der Elektrisiermaschine, des Mordinstrumen¬ 
tes, mit dem er gequält wird. Er sieht das Gift auf den Speisen, das sich ihm auch 



Die Paranoia hallucinatoria. 


55 


durch den Geschmack verrät, er sieht Gott, dessen Stimme ihm Aufträge erteilt, 
er sieht den Teufel zum Schornstein entweichen und riecht zugleich den Schwefel¬ 
geruch, den jener hinterläßt. Er hört, daß er vergiftet werden soll, sieht das 
Gift im Brote, schmeckt es deutlich heraus, fühlt nach dem Genuß das Brennen 
im Munde und Magen, das die erste Giftwirkung darstellt. Besonders innig 
sind Geschmacks- und Geruchstäuschungen verbunden, wie ja beide Sinnes- 
gebiete überhaupt ineinander übergehen. Unter den Trugwahmehmungen sind 
jedoch in der Regel solche eines Sinnesgebietes überwiegend. Meist haben die 
Gehörstäuschungen diese überragende Bedeutung, doch können auch die Ge- 
sichtstäuschimgen, vor allem aber die krankhaften Gefühlswahrnehmungen die 
größere Intensität zeigen. Ein Wechsel der Sinnesgebiete, auf denen die Trug¬ 
wahmehmungen hervortreten, findet meist nicht statt. Bei dem halluzinierenden 
Paranoiker, der von Anfang an vorwiegend unter Gehörstäuschungen leidet, 
pflegen dieselben auch weiterhin lebhaft zu sein, während bei besonderem Hervor¬ 
treten der haptischen Täuschungen diese das fernere Krankheitsbild beherrschen. 
Bis zu einem gewissen Grade ist dieses vorwiegend betroffene Sinnesgebiet ab¬ 
hängig von der Art des Wahnes, bzw. richtet sich die spezielle Wahnfabel nach 
dem vomehnJich von den Trugwahrnehmungen betroffenen Sinnesgebiete. 
Der Vergiftungswahn wird vor allem mit Geschmacks- und Greruchstäuschungen 
einhergehen, der Wahn ehelicher Untreue durch Gehörstäuschungen, seltener 
durch Gesichtshalluzinationen unterhalten werden, während letztere bei dem 
religiösen Größenwahn mit seinen ekstatischen Zuständen prädominieren. 

Dieses Hervortreten der Trugwahmehmungen auf einem bestimmten 
Sinnesgebiete durch längere Zeit, oft ein Menschenalter läßt die Rolle, die tat¬ 
sächlich bestehende Erkrankungen der betroffenen Organe spielen, im rechten 
Lichte erscheinen. Es ist bereits auf die Häufigkeit der Gehörstäuschungen im 
Bilde des Verfolgungswahnes der Schwerhörigen hingewiesen worden, die aus 
den subjektiven Ohrgeräuschen sich langsam entwickeln. Othosklerotische 
Prozesse, die derartige Geräusche verursachen können und damit Gehörstäu¬ 
schungen begünstigen, sind bei den an halluzinatorischer Paranoia Leidenden 
nicht selten. Aber auch auf anderen Sinnesgebieten läßt sich oft eine derartige 
Entstehung aus tatsächUchen Erkrankungen bzw. tatsächlichen Wahrnehmungen 
schließen. So ist es sehr wahrscheinlich, daß der Kranke, der um die eben ent¬ 
zündete Lampe kleine glühende Männer schweben sieht, das auch dem Geistes¬ 
gesunden erscheinende Scotoma scintillans illusionär verfälscht hat, worauf das 
Atiftreten der Erscheinung im Augenblicke des Anzündens des Lichtes mit 
Sicherheit deutet. Rheumatische Beschwerden, Magen-, Darmstömngen, häufige 
Herzerkrankungen mit stenokardischen Erscheinungen, Parästhesien in den 
Genitalien während der Involution, Abstumpfung des Gemchs- und Geschmacks¬ 
sinnes sind ebenso bei derartigen Patienten, die sämtlich in vorgerückterem 
Lebensalter stehen, häufig und geben die Grundlage für die besonders zahl¬ 
reichen haptischen Illusionen in ihrer mannigfachen Lokalisation, für Geschmacks¬ 
und Gerachstäuschungen ab. Wie schon ausgeführt, handelt es sich bei der 
Paranoia hallucinatoria weit seltener um wirkliche Halluzinationen, die vor 
allem beim religiösen Größenwahn Bedeutung haben, als um früher oder später 
illusionär verfälschte wirkliche Wahrnehmungen. 

Weiter geht aus der Beschreibung des Inhaltes der Sinnestäuschungen 



56 


Die Kranklleitserscheinungen. 


hervor, daß die nachträglichen Erklärungen, die die Kranken aus dem bestehenden 
Wahnsystem heraus ihren (Trug-) Wahrnehmungen geben, von den eigentlichen 
Sinnestäuschungen oft nicht zu trennen sind als Bestätigung der früher bespro¬ 
chenen Ansicht von den engen Beziehungen, die zwischen Illusionen und Er¬ 
innerungsfälschungen bei der Paranoia bestehen. Im späteren Verlaufe ist die 
Priorität zwischen Wahnvorstellungen und Trugwahmehmungen, deren Be¬ 
stimmung bereits im Beginne der Paranoia hallucinatoria oft Schwierigkeiten 
bereitet, überhaupt nicht mehr zu entscheiden; es ist höchstens aus dem Ver¬ 
hältnisse der sinnlichen Lebhaftigkeit und der Anzahl der Halluzinationen 
einerseits, dem Hervortreten der Wahnideen andererseits auf die das Krank¬ 
heitsbild beherrschende Bedeutung der einen oder der anderen Erscheinung zu 
schließen. Die sinnliche Lebhaftigkeit der Trugwahrnehmungen pflegt die der 
wahnhaften Vorstellungen zum mindesten zu erreichen, meist um ein erhebliches 
zu übertreffen. Unsere Empfindungen sind ja als das wesentlich konkretere 
auch in der geistigen Gesundheit stets stärker gefühlsbetont als die weit ab¬ 
straktere Vorstellungstätigkeit. Es läßt sich nun zwar denken, daß beim Para¬ 
noiker eine Verschiebung derart einträte, daß entsprechend der krankhaften 
Erregbarkeit des VorstellungsVermögens die damit verbundenen Gefühlstöne 
krankhaft erhöht werden und dadurch die die Empfindungen begleitenden über¬ 
wiegen, wie das für die Paranoia combinatoria sicher der Fall ist und die Berichti¬ 
gung der krankhaften Vorstellungen durch Sinnesempfindungen verhindert. 
Aus der ihrerseits krankhaft erhöhten Gefühlsbetonung der Trugwahrnehmungen 
des halluzinierenden Paranoikers ist andererseits wohl zu schließen, daß das 
normale Verhältnis in der Gefühlsbetonung der Sinnesempfindiingen und Vor¬ 
stellungen in den meisten dieser Krankheitsfälle nicht wesentlich verschoben 
ist, daß demgemäß die Affektbetonung der Trugwahmehmungen bei der Para¬ 
noia hallucinatoria überwiegt. Dieser Schluß w’ird durch den viel lebhafteren 
Verlauf, den diese Form der Paranoia gegenüber der rein kombinatorischen 
zeigt, bestätigt. 

Die Häufigkeit der Trugwahrnehmungen schwankt von Fall zu Fall in 
weiten Grenzen. Von Fällen, in denen stets vereinzelte Sinnestäuschungen auf- 
treten, Fälle, die ihrerseits vdeder gegen die Paranoia combinatoria fließende 
Übergänge zeigen, gibt es alle Übergangsstufen zu solchen, die dauernd in aus¬ 
gedehntestem Maße auf den verschiedensten Sinnesgebieten halluzinieren. Sehr 
häufig schwankt die Zahl der Trugwahmehmungen auch im Einzelfalle, abhängig 
von dem Gemütszustände, in dem die Kranken sich befinden bzw. ihrerseits 
das psychische Gleichgewicht mehr w^eniger störend. Massenhaft pflegen die 
Sinnestäuschungen in den interkurrenten Erregungszuständen zu sein, in denen 
sie, wie oben ausgeführt, auch im Verlaufe sonst rein kombinatorischer Paranoia¬ 
fälle gehäuft auftreten können. 

Die Sinnestäuschungen besitzen für den Kranken vollkommenen Realitäts¬ 
wert. Sie w^erden in demselben Grade als wirkliche SinnesAvahrnehmungen be¬ 
trachtet wie normale Sinneseindrücke, wenn sie auch gelegentlich von den letz¬ 
teren deutlich unterschieden werden; ihnen wird in den meisten Fällen sogar 
noch eine größere Bedeutung als letzteren beigemessen. Den Kranken können 
seine Gehörstäuschungen weit mehr fesseln als das wirkliche Gespräch, das er 
bei Einsetzen der Trugwahrnehmungen plötzlich abbricht, um jenen unabgelenkt 



Die Paranoia hallucinatoria. 


57 


zu lauschen. Entsprechend dieser großen Bedeutung, die der Kranke seinen 
Sinnestäuschungen beilegt, haben dieselben auf sein Denken, Wollen und Handeln, 
vor allem aber auf seine Affektrichtung und -Höhe den allergrößten Einfluß. 
Sie beherrschen sein Denken und demgemäß seine wahnhaften Vorstellungen 
völlig, soweit sie nicht der Ausfluß jener sind; jedenfalls sind sie auch dann ge¬ 
eignet, ihrerseits den Wahn zu verstärken, zu beleben, zu erweitern, zu festigen. 
Die Fälle von halluzinatorischer Paranoia sind daher viel reicher an ausschmücken¬ 
den Wahnideen, die viel üppiger sprießen, viel stärker nuanciert sind, viel größere 
Lebhaftigkeit zeigen. Damit ist allerdings auch ein etwas häufigerer Wechsel 
der den Grundwahn umgebenden Ideen verbunden, da eine große Neigung be¬ 
steht, neue Beziehungsideen aus den Trugwahrnehmungen abzuleiten. Bei der 
Paranoia hallucinatoria kommt es so auch viel eher zu befremdlichen wahnhaften 
Vorstellimgen, zu Ideen, die keinerlei Verbindung mit dem Grundwahne auf¬ 
zuweisen scheinen, die der Kranke selbst nicht seiner Wahnfabel einzuordnen 
weiß, die deshalb in kurzem in Vergessenheit geraten bzw. umgeformt werden. 
Gerade diese schnell entstehenden, ebenso schnell wieder verschwindenden Wahn¬ 
vorstellungen sind aus den Sinnestäuschungen zu erklären, die, durch irgend¬ 
einen zufälligen äußeren Eindruck angeregt, auf tauchen, im Augenblick wahn¬ 
haft ausgedeutet, dann aber wieder verdrängt werden, weil das Individuum 
nichts mit ihnen im Hinblick auf seine bisherige krankhafte Denkrichtung an¬ 
zufangen weiß. Die Zahl derartiger ausschmückender, lose untereinander und 
mit dem Grundwahne zusammenhängender Ideen ist in etwa abhängig von der 
Zahl und Stärke der Trugwahrnehmungen. 

Für die Störungen, die Wollen und Handeln des halluzinierenden Para¬ 
noikers zeigen, gelten im wesentlichen dieselben Gesichtspunkte, die gelegentlich 
der Besprechung der Paranoia combinatoria aufgestellt wurden. Des Kranken 
Haltung, Wesen und Handlungen entsprechen den ihn beherrschenden Wahn¬ 
ideen und Trugwahmehmungen. Entsprechend der größeren Mannigfaltigkeit 
beider im Bilde der halluzinatorischen Paranoia kommt es jedoch auch zu einem 
größeren Wechsel der Strebungen, entsprechend der Eigenart der halluzina¬ 
torischen Belästigungen zu wesentlich eigenartigeren Ausdrucksmitteln für die 
demselben Grunde entspringenden Vorstellungen. Dabei ist der Sinn der Mehr¬ 
zahl der Handlungen ohne weiteres verständlich; um den elektrischen Ein¬ 
wirkungen zu entgehen, wechseln die Kranken allnächtlich den Standort des 
Bettes, zum Schutze gegen das Gift verlangen sie ihre besondere Küche, Fil¬ 
tration des Trinkwassers, um die giftigen Dünste zu vermeiden, sperren sie dauernd 
die Fenster auf, halten sie das Taschentuch vor, anscheinend vergiftete Speisen 
lassen sie chemisch untersuchen. Ein Teil der Willensäußerungen des hallu¬ 
zinierenden Paranoikers macht einen etwas grotesken Eindruck. Die Ma߬ 
regeln, die er zum Schutze gegen die Belästigungen anwendet, die eigenartigen 
Rüstungen, durch die er sich gegen die feindlichen Angriffe zu schützen sucht, 
die Schutzkappen, mit denen er ekel- und schreckenerregende Visionen abzu¬ 
halten sucht, die Apparate, die ihm die dauernden Drohungen und Beschimpfun¬ 
gen fern halten sollen, pflegen oft reichlich komisch zu sein; ihren Zweck zu 
verstehen, bedarf es des sich Hineinversetzens in die Lage derartiger Kranker, 
denen ihre Sinnestäuschungen weit mehr als ihre wahnhaften Beeinträchtigungs- 
ideen, von den Größenvorstellungen nicht zu reden, die Lebensfreude rauben. 



58 


Die Krankheitsersclieinungen. 


die sie den Selbstmord gelegentlich wenigstens ins Auge fassen lassen. Daß der¬ 
artige schwer verständliche Handlangen kein Zeichen geistiger Schwäche dar- 
stellen, beweist das ganze sonstige Verhalten der Kranken. Stets geordnet, 
zeitlich und örthch orientiert, mit ungeschwächtem Gedächtnis haben auch sie, 
ebenso we es bei den Fällen kombinatorischer Paranoia beschrieben wurde, 
nur das eine Bestreben, ihren Gegnern zu schaden, sich aus den Banden 
ihrer Feinde zu befreien, ihren Gehörs- imd Gesichtstäuschungen entsprechend 
sich vor den angedrohten Verfolgungen zu schützen, durch ihre Geschmacks¬ 
und Geruchstäuschungen gewarnt ihre Gesundheit zu erhalten, die in 
den haptischen Täuschungen liegenden Belästigungen abzuwehren. Jedes 
Mittel, das zur Erreichung ihres Zweckes dienen kann, ist ihnen recht; 
auch hier pflegt einer Periode passiven Schutzes eine solche aktiven An¬ 
griffes zu folgen. Entsprechend dem lebhaften Unbehagen, das die Erduldung 
von Schmerzen, die durch fremde Gewalt verursacht sind, mit sich bringt, in¬ 
folge der Angstgefühle, die die sinnlich lebhaft gehörte Androhung der ärgsten 
Peinigungen hervorruft, infolge der höchsten Anspannung der Aufmerksamkeit, 
die die intensive Abwehr der vermeintlichen, ihm durch entsprechende Sinnes- 
wahmehmungen dauernd ins Bewußtsein gerufenen Vergiftungsversuche er¬ 
fordert, kommt es viel häufiger als bei der kombinatorischen Paranoia zu Angriffs¬ 
versuchen auf die Gegner von elementarer Gewalt; Schimpfereien, Drohungen, 
tätliche Beleidigungen, auch Gewalttaten sind vor allem in den Zeiten vorüber¬ 
gehender Erregungszustände an der Tagesordnung. Die Affektivität des hallu¬ 
zinierenden Paranoikers ist stets viel labiler, viel stärker als in Fällen von Para¬ 
noia combinatoria, wo der mehr gleichmäßige Verlauf auch eine viel gleichmäßigere 
Gefühlsbetonung mit sich bringt. Gerade die Fälle von Paranoia hallucinatoria 
weisen aber auch darauf hin, daß während des ganzen Krankheitsverlaufes die 
Ansprechbarkeit der Affekte, ihre innige Verbindung mit den Vorstellungen keine 
Einbuße erfährt. Bis zum letzten Atemzug zeigen die Kranken eine äußerst 
lebhafte, infolge des beunruhigenden Einflusses der Sinnestäuschungen krankhaft 
erhöhte, dabei diesen und ihren Vorstellungen adäquate Affektivität, die zu kon¬ 
sequenter Handlungsweise anregt. 

Die Art der Wahnvorstellungen des halluzinierenden Paranoikers weicht 
im wesentlichen nicht von der der kombinatorischen Paranoia ab, wie das bei 
ihrer Entstehung aus derselben psychopathischen Grundlage durch gleichartige 
oder doch gleichwertige Mechanismen natürlich ist. Unter den Beeinträchtigungs¬ 
ideen nimmt der physikalisch-chemische Vernichtungswahn die erste Stelle ein, 
da die Häufigkeit haptischer, Geschmacks- und Geruchstäuschungen gerade 
dieser Art von wahnhaften Vorstellungen am meisten Vorschub leistet. Daneben 
finden sich außerordentlich oft hypochondrische Einzelzüge, die aber auch hier 
nie zu einem ausgesprochenen hypochondrischen Wahnsystem führen, die sich 
vielmehr dem allgemeinen Schädigungswahn anfügen, ohne je eine beherrschende 
Stellung einzunehmen. Nach den eigenen Erfahrungen scheint bei der Paranoia 
hallucinatoria viel häufiger als bei der kombinatorischen Form der Erkrankung 
der sekundäre Größenwahn auszubleiben. Während sich bei den früher beschrie¬ 
benen Fällen den primären Beeinträchtigungsvorstellungen auf dem Wege des 
logischen Schlusses nach kürzerer oder längerer Zeit fast ausnahmslos Größen¬ 
ideen anzuschließen pflegen, sieht man unter den halluzinierenden Paranoikern 



Die Paranoia hallucinatoria. 


59 


nicht allzu selten solche, bei denen nach jahrzehntelangem Bestehen der Er¬ 
krankung trotz massenhafter Beeinträchtigungsideen, trotz lebhafter Affektivität, 
trotz im wesentlichen ungeschwächter Intelligenz Selbstüberschätzungsvor¬ 
stellungen gar nicht vorhanden sind oder doch nur verschwommen angedeutet, 
wenig betont sich vorfinden. Diese eigenartige Tatsache ist wohl darauf zurück¬ 
zuführen, daß die Kranken durch die Menge der Sinnestäuschungen, die ihnen 
kaum einen Augenblick Ruhe lassen, nicht die genügende Zeit zur Überlegung, 
zur Ausbildung des Größenwahnes haben; die Verarbeitung der auf sie ein¬ 
stürmenden Trugwahrnehmungen, deren Einfügung in ihren Vorstellungskreis 
ihnen oft große Schwierigkeiten bereitet, nimmt ihr ganzes Denken in Anspruch. 
Unter den primären Größenideen überwiegen weitaus die aus dem religiösen 
Grebiete entnommenen, unterstützt durch häufige Visionen und Gehörs¬ 
täuschungen, 

Häufiger als bei den Fällen kombinatorischer Paranoia findet man bei den 
halluzinierenden Paranoikern den Wahn der Beeinflussung durch fremde, ihm 
übelwollende Mächte. Die Unfähigkeit des Kranken, sich selbst durch die ver¬ 
zwicktesten Maßnahmen gegen die tatsächlichen Eingriffe in sein Wohl¬ 
befinden, die seine haptischen, Geschmacks- und Geruchstäuschungen ihm 
vorspiegeln, zu schützen, die Unmöglichkeit, seinen Gedankengängen frei 
von den ihn störenden Gehörstäuschungen, die ihm häufig seine Pläne 
durchkreuzen, nachzuhängen, die Unfähigkeit, sich dem Eindruck be¬ 
lästigender, ekelhafter, schreckenerregender, sexuell reizender Gesichtstäu¬ 
schungen zu entziehen, endlich die gelegentliche Erscheinung des Gedanken¬ 
lautwerdens muß viel eher als bei dem kombinatorisch sein Wahnsystem 
entwickelnden Verrückten in ihm den Verdacht aufsteigen lassen, daß 
er unfrei ist, daß ihm unbekannten Gewalten, fremden Menschen ein Einfluß 
auf ihn, seinen Körper wie seine psychischen Funktionen möglich ist. Im wesent¬ 
lichen erstreckt sich dieses Gefühl der Beeinflussung auf die sensitiven Funktionen, 
wie Banse beigestiramt werden kann, der deshalb die Bezeichnung „Schädigungs¬ 
wahn“ zur Abgrenzung gegen die echten Beeinflussungsideen, bei denen ein 
wirkliches Eingreifen fremder Gewalten in die eigene psychische Persönlichkeit 
vom Kranken angenommen wird, vorschlägt; aber in manchen Fällen wird doch 
auch ein tiefer gehender Einfluß von außerhalb ihrer Person befindlichen Mächten 
von derartigen Kranken angenommen. Diese Beeinflussung wird vom hallu¬ 
zinierenden Paranoiker stets aus seinen Trugwahmehmungen, die ihm sinnlich 
lebhaft sind, gegen die er sich nicht zu schützen vermag, logisch geschlossen; 
nie tritt das Gefühl psychischer Lähmung ein, wie es den paranoid Dementen, 
den Schizophrenen überhaupt auf die Idee telepathischer Beeinflussung durch 
transzendentale Mächte bringt. Die Beeinflussung hat bei dem halluzinierenden 
Paranoiker stets noch ein Bindeglied, die Elektrizität, den Magnetismus, die 
Hypnose, die Suggestion, das ihm die feindlichen Einflüsse übermittelt, aus dessen 
Wirkung er die Beeinflussung erst erschließt, während bei dem Beeinflussungs¬ 
wahn des Schizophrenen (auch da nicht immer!) ohne alle Halluzinationen nur 
aus der Unfähigkeit, sein Wollen und Handeln seinem Denken und Fühlen unter¬ 
zuordnen, das schädigende Eingreifen fremder Gewalten in das Getriebe der 
eigenen Psyche erschlossen wird. Der Beeinflussungswahn des halluzinierenden 
Paranoikers hat deshalb stets ein Subjekt, von dem er hergeleitet wird, Personen, 



60 


Die Krankheitserecheinungen. 


die der Kranke beschreiben, oft mit Namen nennen kann, während der Schizo¬ 
phrene eine ihm unerklärliche, oft überirdische Gewalt für die Beeinflussungen 
verantwortlich macht. Das Vorhandensein eines Beeinflussungswahnes an sich 
kann deshalb nicht als unbedingtes differentialdiagnostisehes Moment angesehen 
werden; sein Vorkommen im Bilde der halluzinatorischen Paranoia erklärt sich 
aus der Summe unerhörter Belästigungen und Angriffe, die dem Kranken sinnlich 
lebhaft zum Bewußtsein kommen, ihn nach seiner Meinung unverdient treffen, 
gegen die er sich durch keine Maßnahme zu schützen vermag. 

Der Verlauf der Paranoia hallucinatoria zeichnet sich gegenüber dem der 
kombinatorischen Form durch viel erheblichere Schwankimgen aus. Eine ruhige, 
langsame, aber stetige Weiterentwicklung des Wahnes, wie sie bei der Paranoia 
combinatoria noch häufig ist, kommt wohl überhaupt nicht vor, der Verlauf 
in mehr minder akuten Schüben ist der gewöhnliche. Die Sinnfälligkeit der ver¬ 
meintlichen Belästigimgen wirkt im Verein mit der durch sie mitbedingten leb¬ 
hafteren Affektivität erregend auf die Kranken, so daß leichter Schwankungen 
der Intensität der Erscheinungen eintreten, die ihrerseits als Anreiz für die Ent¬ 
stehung neuer vermehrter Trugwahmehmungen dienen, die Affekterregbarkeit 
verstärken und so Symptome erzeugen, die nun wieder die Entstehung von Er¬ 
regungszuständen begünstigen. Die Kranken pflegen auch schon außerhalb 
derartiger interkurrenter Erregungszustände ein viel lebhafteres Gebahren an 
den Tag zu legen als die einfachen Paranoiker. Lebhaft sprechen sie von ihren 
Quälereien, klagen ihre Peiniger an, flehen um Schutz gegen ihre Belästigungen, 
denen sie trotz aller Mühe, trotz alles aufgewendeten Scharfsinnes nicht zu ent¬ 
gehen vermögen. Entsprechend sind die oben beschriebenen stärkeren Störungen 
des psychischen Gleichgewichtes bei der Paranoia hallucinatoria ungleich häufiger 
und ausgeprägter als bei der kombinatorischen Verrücktheit, sie werden 
auch durch das viel stärkere Hervortreten der Trugwahmehmungen viel bunter 
und lebhafter affektbetont, führen zur Entstehung massenhafter ausschmücken¬ 
der Wahnideen, können auch mit Verworrenheit einhergehen, die der Unfähigkeit 
des Kranken, seinen vielen Trugwahrnehmungen gegenüber sich das Persönlich¬ 
keitsbewußtsein zu erhalten, entspringt. Nicht imstande, in dem Chaos auf ihn 
einstürmender, ihn peinigender und erregender Sinnestäuschungen sich zu orien¬ 
tieren, unfähig, die aus ihnen resultierenden krankhaften Ideen zu ordnen und 
den Überblick über seine Vorstellungen und seine Willensstrebungen sich zu 
bewahren, verwirrt sich dem Kranken sein Denken, seine Willensäußemngen 
und demgemäß seine Handlungen werden zusammenhangsloser und ein mäßiger 
Grad von Verworrenheit kann die Folge sein, der mit dem Nachlassen der Sinnes¬ 
täuschungen an Zahl, dem Schwächerwerden der Affektbetonung, der allmäh¬ 
lichen Ordnung der Gedankengänge und Vorstellungen schwindet, um das alte 
Wahnsystem wieder in den Vordergrund treten zu lassen, in dem die wahnhafte 
Ausbeutung des Verwirrtheitszustandes an sich schon eine Bereicherung dar¬ 
stellt. Derartig hochgradige Erregungszustände sind jedoch auch im Krankheits¬ 
bilde der halluzinatorischen Paranoia nicht häufig; dagegen sind solche mittleren 
Grades, wie sie bei der Besprechung der kombinatorischen Form der Erkrankung 
skizziert wurden, ein ziemlich häufiges Begleitmoment im Ablaufe der hallu¬ 
zinatorischen Verrücktheit. 

Nach langjährigem Bestehen der Erkrankung, oft erst nach Jahrzehnten, 



Die Paranoia querulatoria. 


61 


beginnen die Trugwahrnehmungen fast ausnahmslos mehr weniger zurückzutreten 
oder doch an sinnlicher Lebhaftigkeit und damit an affektiver Stärke zu ver¬ 
lieren. Mit dem allgemeinen Nachlaß der psychischen Funktionen, den das 
Alter, das bei diesen Kranken verhältnismäßig früh und intensiv einzutreten 
pflegt, mit sich bringt, läßt die intrazerebrale Erregbarkeit der Sinneszentren 
nach und unter unverändertem Fortbestehen des Wahnsystems, unter Nach¬ 
laß der Zahl und Stärke der Trugwahrnehmungen, demgemäß unter Verringerung 
der Zahl der ausschmückenden Wahnideen tritt die Erkrankung in ein Stadium, 
in dem das Erworbene unverrückt festgehalten wird, die Neuproduktion sowohl 
von krankhaften Sinnesempfindungen wie krankhaften Auswüchsen des Vor¬ 
stellungsvermögens aber mehr weniger aufgehört hat. 

Die Paranoia querulatoria. 

Durch das Hervortreten von Ideen der Beeinträchtigung auf rechtlichem 
Gebiete und den leidenschaftlichen Kampf gegen diese Rechtsirrungen, aus denen 
bald vermeintliche Rechtsbeugungen werden, unterscheidet sich die querulato¬ 
rische von den übrigen Unterformen der Paranoia. Es sind freilich auch diesen 
in einer großen Anzahl von Fällen querulierende Züge beigemischt, sei es, daß 
sie der durch die Art des Wahnes oder äußere Umstände notwendig gewordenen 
Internierung in einer Irrenanstalt oder der Einleitung und Dmchführung des 
Entmündigungsverfahrens entsprungen sind, sei es, daß tatsächliche strafrecht¬ 
liche Verfolgungen, die die aus der Eigenart der Beeinträchtigungs- und Größen¬ 
vorstellungen resultierenden Handlungen dem paranoischen Individuum zu¬ 
gezogen haben, die Basis für sie schufen. Es ist in diesen Fällen oft unmöglich, 
sie einer der besprochenen Unterformen zuzuteilen, bzw. kann die Einordnung 
nur nach dem augenblicklichen Zustandsbilde geschehen, was auch hier wieder 
die Zusammengehörigkeit der abgeteilten Unterformen der Paranoia beweist. 
Daß im Bilde der vornehmlich querulatorischen Paranoia andersartige Beein¬ 
trächtigungsideen sowie vor . allem Selbstüberschätzungsvorstellungen einen 
großen Raum einnehmen, bestätigt, wie die unkorrigierbare, verbohrte, eben 
krankhaften Vorstellungen entspringende Art der querulatorischen Denk- und 
Handlungsweise die obigen Ausführungen, dient andererseits zur Abgrenzung 
der Paranoia querulatoria von andersartigen, querulierende Züge aufweisenden 
psychopathischen Zuständen. 

Die vorpsychotische Geistesverfassung, die zur Paranoia querulatoria 
disponiert, zeigt bereits Züge, die beweisen, daß dem Individuum schon in jungen 
Jahren unmöglich ist, rechtliche Begriffe ohne egozentrische Gefühlsbetonung 
zu erfassen, sie auseinander zu halten, vor allem aber der eigenen Persönlichkeit 
gegenüber in rechtlicher Beziehung die nötige Unparteilichkeit zu bewahren. 
Ein Teil ist, wie Koe p pe n beizustimmen ist, von Jugend auf mit verbrecherischen 
Neigungen behaftet; die ethischen Vorstellungen überhaupt, vor allem diejenigen, 
die sich auf rechtliche Begriffe erstrecken, sind verkümmert, bereits früh macht 
sich eine Lust am Skandalieren, am Denunzieren und Hetzen bemerkbar. Überall 
tritt dabei die hohe Einschätzung hervor, die die Individuen ihren eigenen Fähig¬ 
keiten zuteil werden lassen, zugleich mit dem Gefühl absoluter Überlegenheit, 
aus dem sie die Erlaubnis herleiten, sich über Rechtsansprüche ihrer Gegner, 
ihrer Mitmenschen einfach hinwegzusetzen, sofern das ihrem Vorteile dient. 



62 


Die Krankheitsersclieinungen. 


Aus den übel beleumundeten Kindern, die schon ihren Mitschülern durch Denun- 
2 deren und Intrigieren verhaßt sind, die ihre Kameraden zu tyrannisieren suchen, 
eigensinnig verlangen, daß sich alles ihnen fügt, werden Menschen, die durch ihr 
hochmütiges, selbstgefälliges, überlegenes Wesen sich nie Freunde erwerben 
können, die abstoßend, stets verletzt sich dauernd schlecht behandelt, übergangen 
wähnen, dabei ihrerseits anderer Rechte nicht achten, oft gerade sich auf die 
Seite derjenigen Individuen schlagen, denen das anerkannte Recht nicht zur 
Seite steht, soweit nicht eigene Verfehlungen gegen die rechtlichen Bestimmungen 
ihrem Drange nach Opposition Nahrung geben. Wenn Wer nie ke an der Wurzel 
des Querulantenwahnes die irrige Vorstellxmg findet, daß es ein absolutes Recht 
gäbe, das sich im einzelnen Falle unbedingt bewähren müsse, so ist das mit dem 
Zusatze anzuerkennen, daß als dieses natürliche Recht von dergleichen Indi¬ 
viduen stets nur die den eigenen Strebungen entsprechenden Rechtsbegriffe 
anerkannt werden, die dem meist vorhandenen Mangel an Konsequenz in der 
Denkrichtung gemäß gelegentlichem Wechsel unterworfen sind. Es handelt sich 
um starre, wenig schmiegsame Charaktere, deren geringe Einfügungsfähigkeit 
in die bestehenden Rechts- und Gesellschaftsverhältnisse vielleicht noch durch 
die Erstarrung, die die psychische Persönlichkeit im Alter erfährt, in vielen Fällen 
gesteigert wird, um Leute, die durch die Fehlschläge, die ihnen ihre eigenartige, stets 
mißvergnügte, von sich selbst überzeugte Art im Leben verursacht, die sie eine 
feste Lebensposition sich zu erhalten unfähig macht, verbittert, zu verbohrtem 
Festhalten der selbst gebildeten, mit den Gesetzesbestimmungen nicht überein¬ 
stimmenden Rechtsbegriffe kommen und diesen entsprechend zu Prozeßkrämem 
werden, wodurch ihren falschen Auffassungen in rechtlicher Beziehung weiterer 
Vorschub geleistet wird. 

Die Vorgeschichte der in querulierende Paranoia verfallenden Individuen 
weist also in der Regel bereits in der vorpsychotischen Periode ein streitsüchtiges, 
rechthaberisches, anmaßendes, dabei leicht verletzliches Wesen auf, das die 
Vorstellung eines ungewöhnlich entwickelten Gerechtigkeitssinnes widerspiegelt, 
der ihnen das Hinwegsehen selbst über geringfügige ihnen widerfahrende Un¬ 
gerechtigkeiten als mit ihrer Natur nicht vereinbar unmöglich macht, ihnen 
infolgedessen zahlreiche Streitigkeiten und Prozesse einträgt, die sie wiederum 
zu immer intensiverer Beschäftigung mit den Gesetzesbüchern veranlassen, die 
Einseitigkeit der Denkweise fördern, sie ihren ganzen Scharfsinn auf die peinliche 
Ausführung der Gesetzesparagraphen, auf die Aufdeckung der geringsten Ver¬ 
fehlung dagegen, soweit sie anderen Personen zur Last gelegt werden kaim, 
aufwenden lassen, während eigene Verstöße dagegen als unerheblich übergangen, 
abgestritten oder’ doch beschönigt werden. Derartige Individuen verwickeln 
sich nacheinander in eine Unzahl von Prozessen, die zum Teil einer aus dem anderen 
folgen, die aber, sobald sie bis zur letzten Instanz durchgefochten sind, für ge¬ 
wöhnlich als erledigt aus dem Vorstellungsleben schwinden, um anderen ähn¬ 
lichen, vielleicht aus den ersteren resultierenden Platz zu machen. 

Bei einem kleineren Teile der späteren querulierenden Paranoiker ist außer 
einem verschrobenen, schrullenhaften, häufig in jeder Beziehung pedantischen 
Wesen mit mehr minder starker Überschätzung der eigenen Geisteskräfte, der 
Überlegenheit der eigenen ethischen Gefühle, unter meist starker Betonung der 
altruistischen Empfindungen kein auf die sjÄtere Form der Erkrankung hinweisen- 



Die Paranoia querulatoria. 


63 


des Moment aufzufinden, so daß der erste wirkliche Rechtsstreit den Kranken zum 
paranoischen Querulanten zu machen scheint. Häufig mag das wohl daran liegen, 
daß die Streitsucht und Rechthaberei des Individuums dank seiner sozialen 
Stellung und der Gunst der Umstände vorher keinen Angriffspunkt für ihre 
querulierende Tendenz findet, der sich unter besonders günstigen Verhältnissen 
trotz stark ausgeprägter Veranlagung dazu das ganze Leben hindurch nicht zu 
bieten braucht, so daß es auch nicht zur Auslösung der Erkrankung kommt. 

Die querulierenden Paranoiker gehören fast ausschließlich zu den in¬ 
telligenteren Individuen. Die Beschäftigung mit den Rechts- und Strafbestim¬ 
mungen erfordert eine Summe von Gedächtnisleistungen, eine gewisse Urteils¬ 
kraft, vor allem aber eine derartige Konzentrationsfähigkeit und Intensität 
der Willensleistungen, daß Individuen mit Schwachsinnszuständen sie nicht zu 
leisten vermögen. Wo eine anscheinend querulatorische Paranoia auf dem Boden 
eines leichten angeborenen Schwachsinns entsteht, handelt es sich meistens um 
Fälle, in denen die querulatorischen Züge den Kranken induziert sind, der gleich¬ 
artig veranlagte, wenn auch vielleicht nicht paranoische Ehegatte oder sonst 
eine einflußreiche Persönlichkeit den Kranken zum Querulieren aufhetzt, unter 
Umständen für ihn die Schriftstücke usw. abfaßt, die jener nur unterschreibt. 

Aus der zum Querulieren neigenden Geistesverfassung bildet sich die Para¬ 
noia querulatoria entsprechend den allgemeinen für die Entstehung der Paranoia 
aus der paranoischen Konstitution angegebenen Gründen unter dem Einflüsse 
eines äußeren psychogenen Momentes heraus. Dieses Moment wird stets durch 
einen Konflikt mit einer gesetzlich eingeführten Behörde bezw. durch 
einen gerichtlich anhängigen Rechtsstreit irgendwelcher Art gebildet. Während 
es in einem verschwindend kleinen Teile der Fälle der erste \^drkliche Prozeß 
ist, der diese Wirkung hat, ist es in der weitaus überwiegenden Mehrzahl eine 
beliebige aus der Kette aufeinanderfolgender Rechtsstreitigkeiten, vor allem 
eine solche, die dadurch eine besonders lebhafte Affektbetonung erhält, daß dem 
Individuum in ihrem Verlaufe irgendein wirkliches Unrecht nicht nur nach seinen 
eigenen Rechtsanschauungen, sondern auch nach dem bestehenden Gesetze 
geschieht, sei es, daß tatsächlich ein Rechtsirrtum vorliegt, sei es, daß in irgend¬ 
einer Form ein Verstoß gegen die Strafprozeßordnung statthat, der später auch 
als solcher anerkannt wird, dem der querulierenden Form der Paranoia zuneigen¬ 
den Individuum damit zur Quelle immer weiter ausgesponnener Beeinträchtigungs¬ 
vorstellungen auf rechtlichem Gebiete wird, auch wenn das tatsächliche Un¬ 
recht längst ausgeglichen oder aber bedeutungslos geworden ist, und damit unter 
Irradiation der Beeinträchtigungsideen auf immer weitere Behördenkreise zur 
Paranoia querulatoria sich auswächst. Dieses erste vermeintliche oder häufiger 
tatsächliche Versehen der Behörden kann an sich für die rechtliche Beurteilung 
des Streitfalles bzw. für die Bemt^ilung der an die Behörden gerichteten Ein¬ 
gabe völlig belanglos sein; die Ablehnung oder Unterlassung der Ladung eines 
Zeugen, der vielleicht nichts Wesentliches zur Sache auszusagen vermag, ver¬ 
spätete Zustellung einer Anordnung oder Vorladung kann genügen, um die schlum¬ 
mernde Paranoia entstehen zu lassen. In einem Falle war es eine am Rande 
eines Antrages gemachte Bleistiftnotiz, daß der Antragsteller eine Invaliden¬ 
rente bezöge, die den Anlaß zu endlosen Beschwerden und zum Ausbruche einer 
querulatorischen Paranoia gab; ebenso genügt oft eine Bemerkung des Richters, 



64 


Die Krankheitserscheinungen. 


des Vertreters der Anklage während der Verhandlung, die Erwähnung einer 
Vorstrafe dazu, ja, die versehentliche Fortlassung des Wortes „Herr“ auf einem 
Schreiben hat den Anlaß zum Ausbruche einer Paranoia querulatoria gegeben. 
Häufig bedarf es aber nicht einmal eines wirklich erlittenen Unrechtes oder 
wenigstens der Möglichkeit eines solchen, um paranoische Ideen entsprechender 
Art aufkommen zu lassen; ein mit gutem Grunde zurückgewiesener Antrag ver¬ 
mag sie ebenso auszulösen wie ein nach den bestehenden Gesetzen verlorener 
Prozeß. Selbst im Verlaufe eines tatsächlich zu seinen Gunsten ausge¬ 
gangenen Rechtsstreites gibt ein nach Ansicht des Individuums vorgekommener 
Verstoß gegen irgendeine rechtliche Bestimmimg diesem den Anlaß zu stete 
wachsenden Beschwerden und damit unter Umständen zm* querulatorischen 
Paranoia. 

Auch bei dieser Unterform der Verrücktheit ergibt sich wie bei den übrigen, 
daß zu noch in den Bereich der Gesundheitsbreite faUenden psychischen Zu¬ 
ständen Übergänge insofern bestehen, als die Veranlagung, auf der die Krankheit 
sich entwickelt, auf jedem Punkte haltmachen, der Ausbruch des eigentlichen 
Krankeitsprozesses ausbleiben kann. Die Prozeßkrämer, die „Prozeßhansel“, 
wie sie vor allem unter halbgebildeten Leuten mit engem Gesichtskreise, starkem 
Überlegenheitsgefühl, herrischem, zornmütigem Wesen, stark erregbarer Affekti¬ 
vität sich finden, die ewigen Nörgler, die mit keiner Verordnung, keinem Gesetze, 
keiner Autorität zufrieden sind, aus Prinzip opponieren, gehören zum Teil hierher. 
Oft hält sich diese Neigung zum Querulieren solange in Grenzen, als das Indivi¬ 
duum selbst nicht direkt betroffen wird; durch die erste gesetzliche Bestimmung, 
die es selbst in Mitleidenschaft zieht, kann die Ausbildung wahnhafter Beein¬ 
trächtigungsideen ausgelöst werden, doch braucht das nicht zu geschehen. Auch 
bei der Paranoia querulatoria bedeutet der Ausbruch der Krankheit einen Riß 
im psychischen Geschehen, der im wesentlichen gekennzeichnet ist durch die 
Verbohrtheit, mit der die eigenen Ansichten festgehalten werden, die Unfähigkeit, 
die vorliegenden Rechtsverhältnisse objektiv zu betrachten \md den gegnerischen 
Standpunkt zu beurteilen, die Konzentration des ganzen Denkens auf den einen 
Vorstellungskreis, der alle anderen, auch vitale Interessen in den Hintergnmd 
drängt, die Unfähigkeit, von dem überwertigen Komplex loszukommen, Kenn¬ 
zeichen, die im Verein mit andersartigen späteren Symptomen zugleich die Son¬ 
derung gegen anderen psychischen Zuständen entwachsene Querulanten vorzu¬ 
nehmen gestatten. 

Die Art des Wahnes, seine Weiterentwicklung, Ausbreitung, die ihm ent¬ 
springenden Handlungen, die ihn begleitenden Affekte pflegen sich meist täu¬ 
schend ähnlich zu sehen, nur, daß die Personen, gegen die er sich richtet, andere 
sind. Die querulatorischen Vorstellungen haben ebenso wie die sonstigen Beein¬ 
trächtigungsideen die Tendenz, sich zuerst aus allgemeinen heraus zu speziali¬ 
sieren, später aber immer weitere Kreise zu ziehen. Aus der allgemeinen Be¬ 
kümmernis, daß ihm, obgleich er im Rechte ist, zahlreiche Prozesse verloren 
gehen, daß er sein Recht nicht finden kann, steigen im Kranken Vermutungen 
auf, daß das nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Bei der Rekapitulation 
der mit den Rechtsstreitigkeiten verknüpften Einzelheiten findet er oft unter 
Zuhilfenahme von Erinnerungsfälschungen vieles ihm Rätselhafte. Mit der Zeit 
wird ihm klar, daß bei der Vernehmung dieses Zeugen, bei den Nachforschungen 



Die Paranoia querulatoria. 


G5 


über jene Einzelheit ein Rechtsirrtum unterlaufen ist. Er sucht denselben in 
einem umfangreichen Schreiben an das Gericht aufzuklären, wird aber von dort 
eines Besseren belehrt oder es wird ihm kurz mitgeteilt, daß die Nachprüfung 
seiner Angaben deren Unrichtigkeit ergeben habe. Die Ablehnung, die seine bei 
ihm inzwischen immer tiefer eingewurzelten Ansichten finden, kann ihm nicht 
genügen, ihn nicht beruhigen. Er verfolgt die Angelegenheit, seine Vorstellungen 
rechtlicher Beeinträchtigung nehmen immer festere Gestalt an, er beschwert 
sich über den ihm gewordenen Bescheid bei der höheren Instanz, sucht die Wieder¬ 
aufnahme des Verfahrens durchzudrücken. Oft kommt es schon in dieser Zeit 
zu Vorwürfen gegen den Richter, daß er unfähig sei, daß er das Gesetzbuch nicht 
zu lesen verstände, endlich, daß er voreingenommen, bestochen sei, nur für seine 
Freunde sorge, daß er das Recht beuge. Seine Schreibereien und Beleidigungen 
tragen dem Kranken neue Klagen und Bestrafungen ein, mit dem Erfolge, daß 
er immer neue Zeugen zum Beweise seiner früheren Anschuldigungen beibringt, 
daneben aber auch gegen das durch die neuen Strafen ihm angetane Unrecht 
ankämpft. Da er mit seiner Ansicht nicht durchdringt, so beginnt er, die Zeugen 
zu verdächtigen, die falsch aussagen, die bestochen sind, oder aber er wähnt, 
daß die Protokolle über ihre Aussagen, ihre Unterschriften, die ganzen Akten 
gefälscht oder vernichtet wurden. Immer weiter gehen seine Verdächtigungen, 
vom einzelnen Richter gegen den Gerichtshof und schließlich den ganzen Richter¬ 
stand. Seine Anwälte stehen mit jenen im Bunde, wollen sie nicht bloßstellen, 
verfechten seine Sache schlecht, wollen ihn nur aussaugen, ohne ihm zu helfen. 
Gegen die Ungerechtigkeit des Richterstandes führt er Beschwerde bei den 
Staatsbehörden, denunziert, intrigiert gegen ihn, sucht entsprechende Artikel 
in die Tageszeitungen zu bringen, läßt Flugschriften drucken und verteilen, um 
die Öffentlichkeit auf seine Angelegenheit aufmerksam zu machen, schreibt an 
die Volksvertretung, das Ministerium, den Reichskanzler. Neue Strafen oder 
doch die Abweisung neuer Eingaben erbittern ihn immer mehr, es kommt zu 
maßlosen Beleidigungen des Juristen-, des Beamtenstandes. In diesem Stadium 
trägt das Gebahren des Kranken meist so sehr den Stempel der Geistesstörung, 
ist andererseits seine Lästigkeit so groß geworden, daß er der Irrenanstalt über¬ 
wiesen bzw. die Untersuchung seines Greisteszustandes angeordnet wird. Der Arzt, 
der ihn ruhig anhört, wird zuerst als Freund, als der einzige mitfühlende Mensch 
betrachtet, von ihm wird die Wendung der ganzen Angelegenheit erwartet. 
Sobald derselbe aber die geringsten Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen 
des Kranken, an der Berechtigung der maßlosen Angriffe, die derselbe ausspricht, 
äußert, oder gar seine geistige Gesundheit in Frage stellt, sobald er überhaupt 
nicht vorurteilslos auf seine Seite tritt, ist er sein ausgesprochener Feind, mit 
seinen Gegnern im Bunde, nichtswürdig, ein bestochener Schurke. In der Irren¬ 
anstalt schreibt er ungeachtet aller Schwierigkeiten und Enttäuschungen weiter 
seine Angriffe, seine Klageschriften nieder; unter zahllosen Eingaben an den 
König, die oberste Staatsbehörde, das Parlament, in denen er immer und immer 
wieder seine Darstellung von dem Rechtsirrtum, dem Justizmorde gibt, seine 
ungeheuerlichen Verdächtigungen, die immer maßloser werden, ausspricht, sich 
als den unschuldig Verurteilten, den unschuldig ins Irrenhaus gesperrten Märtyrer 
seiner hervorragenden rechtlichen Überzeugung hinstellt, beschließt er sein 
Dasein, wenn er nicht gar, wie ein Kranker Caspers, an den höchsten Richter 

Kr n eg er, Die Paranoia. 


5 



66 


Die Krankheitserscheiniingen. 


im Himmel schreibt, und, nachdem ihm auch von dort her das Recht, das er 
erwartete, versagt blieb, Gotteslästerungen ausstößt. 

Im weiteren Verlaufe der Erkrankung kommt es stets zu stärkerem Hervor¬ 
treten von Selbstüberschätzungsideen und anderen in das Gebiet des Größen¬ 
wahnes gehörigen Vorstellungen. Prahlereien mit der Schärfe des eigenen Ver¬ 
standes, den eigenen Kenntnissen der Gesetzesbestimmungen, die er nur durch 
sich selbst gewonnen habe, die dabei denen studierter Juristen weit überlegen 
seien, verbinden sich meistens mit der Stellung immer größer werdender Ersatz¬ 
ansprüche, die er aus der vermeintlichen ungerechten Behandlung herleitet. 
Nicht nur als Entschädigung für ungerecht verbüßte Strafen, sondern auch zur 
Sühne des ungerechtfertigten Verdachtes, als Entschädigung für die erlittenen 
Nachstellungen, den Ärger, die mit der Abwehr der Ungesetzlichkeiten zugebrachte 
Zeit verlangen die Kranken Summen, die sich oft in angemessenen Grenzen halten, 
oft aber auch unter allmählicher Steigerung schließlich in die Millionen gehen, 
deren Geltendmachung und gerichtliche Einforderung ihrerseits das queru¬ 
latorische Gebahren des Kranken weiter unterhalten. In seltenen Fällen end¬ 
lich treten noch weitere Größenideen, daß der Kranke wegen seiner umfassenden 
Rechtskenntnisse zu hohen Stellungen ausersehen sei, daß ihm für seine scharf¬ 
sinnigen Schriften der Titel eines Doktors der Rechtswissenschaften in Aus¬ 
sicht stände und ähnliche hinzu, haben aber in der Regel nur episodenhaftes 
Gepräge. 

Mag die Behörde, gegen die zu Anfang queruliert wird und demgemäß 
der weitere Instanzenweg von dem eben skizzierten verschieden sein, der Gang 
und Inhalt der Beschwerden, die Ausbreitung des Kreises der Gegner bleibt 
dieselbe. Von allgemeinen, mehr unpersönlichen BeeinträchtigungsVorstellungen 
gepeinigt, knüpft der Kranke seine wahnhafte Vorstellungstätigkeit an die 
nächsten, mit dem den Wahn auslösenden Erlebnis eng zusammenhängenden 
Persönlichkeiten an, dann wird die betreffende gesamte Beamtenkaste in die 
Zahl der Gegner aufgenommen, hierauf alles, was Autorität heißt, zu ihnen ge¬ 
zählt, endlich die ganze Welt in den Kreis der Verfolger einbezogen, bis schließlich 
gelegentlich auch das dem Kranken zur Herleitung seiner Verfolgungsideen 
nicht mehr genügt. Dabei findet sich meistens, daß nicht jeder Angehörige 
des einen oder des anderen Standes kritiklos zu den Feinden gezählt wird, sondern 
daß in jedem Menschen zuerst nur das Beste gesucht A\ird, daß jedes neue, in 
den Gesichtskreis des Kranken tretende Individuum als Freund, als Retter 
angesprochen wird, dem er seine Lebens- und Leidensgeschichte anvertraut, 
den er zu seiner Rettung ermuntert, den er aber in demselben Augenblicke, 
in dem er sein Vertrauen nicht voll befriedigt findet, oft schon bei dem geringsten 
Einwand gegen seine Ausführungen als seinen ärgsten Feind betrachtet; wer 
nicht unbedingt für den Kranken ist, der ist wider ihn. So wird die Polizei, an 
die er sich zuerst um Hilfe wendet, in kurzem zu einem Heer von Spionen und 
Henkersknechten; die Zeugen, die durch Beeidigung der Wahrheit seiner Angaben 
die erwartete Wendung in seiner Angelegenheit herbeiführen sollen, werden, 
sobald sie seine Hoffnungen durch ihre Aussage enttäuschen, zu bestochenen, 
meineidigen Schurken; der Verteidiger wird, sobald der Kranke bei ihm die 
erwartete Hilfe nicht findet, zum unfähigen Strohkopf, der mit seinen Gegnern 
im Bunde steht, seinen Amtsgenossen in die Hände arbeitet, dieser Bande von 



Die Paranoia querulatoria. 


67 


Verbrechern, die ihre eigenen Fehltritte dadurch verschleiern wollen, daß sie 
einen Unschuldigen bestrafen, oder die einen Justizmord vertuschen helfen, 
um den Richterstand nicht zu blamieren; der Arzt endlich, von dem er die Be¬ 
scheinigung seiner geistigen Gesundheit sicher erwartet hat, wird zum Folter¬ 
knecht, zum bestochenen oder betrogenen Helfershelfer seiner Gegner bei dem 
geringsten Zweifel an seiner geistigen Gesundheit. Hand in Hand mit großem 
Mißtrauen geht so auf der anderen Seite wieder eine übergroße Vertrauens¬ 
seligkeit, die noch durch die Leichtgläubigkeit unterstützt wird, die derartige 
Kranke meist an den Tag legen. Jedes Gerücht, das von ihren Gegnern Schlechtes 
sagt, jeder Klatsch wird als lautere Wahrheit hingenommen, auf unbewiesene 
Erzählungen werden schwerwiegende Schlüsse und Beweise aufgebaut, jedes 
ihre Feinde kompromittierende Gerede wird ohne Prüfung geglaubt und, oft 
noch in ihren Interessen angepaßter, veränderter Form, weiter verbreitet, auch 
zum Gegenstände von Klagen und Beschwerden gemacht. Wissentlich falsche 
Anschuldigungen sind deshalb ein häufiges Delikt beim unerkannt gebliebenen 
querulierenden Paranoiker. 

Im einzelnen werden die krankhaften Vorstellungen immer maßloser. 
Unterschriften unter Protokolle werden verweigert, weil dieselben gefälscht 
sind, Vorladungen werden nicht angenommen, weil der Kranke das Gericht, 
von dem sie ausgehen, nicht anerkennt, jeder Gerichtshof wird wegen Befangen¬ 
heit abgelehnt. Akten werden von den Gegnern, von den Richtern unterschlagen, 
Seiten daraus entfernt, heimliche Verhandlungen abgehalten, von denen er nichts 
weiß, nur, um ihn mundtot zu machen und das Recht zu unterdrücken. Doku¬ 
mente werden unterschlagen, Urteile gefällt, ohne daß dem Kranken Gelegen¬ 
heit geboten wurde, sich zu verteidigen. Immer neue Zeugen werden beigebracht; 
sagen auch sie nicht nach Wunsch aus, so erscheinen wieder andere, deren Aus¬ 
sage nun ganz bestimmt ihm zu seinem Rechte verhelfen wird, Sachverständige 
über Sachverständige werden vorgeschlagen. Schließlich kommt der Kranke 
zu Vorstellungen, daß das Gericht seine Zeugen, seine Sachverständigen über¬ 
haupt nicht lade oder ihre Aussagen bzw. die Protokolle darüber fälsche oder 
vernichte. 

Neben den spezifisch querulatorischen wahnhaften Vorstellungen finden 
sich bei der Paranoia querulatoria stets noch andere Beeinträchtigungsideen. 
Beide Arten sind meist so eng miteinander verbunden, daß sich nur eine künstliche 
Scheidung herbeiführen läßt. Es handelt sich häufig um allgemeine Ideen der 
Verfolgung, die sich an die querulatorischen Gedankengänge eng anschließen, 
gelegentlich sind aber auch entferntere Vorstellungsgebiete betroffen. So ist 
der Wahn ehelicher Untreue bei querulierenden Paranoikern neben ihren Ideen 
rechtlicher Benachteiligung gefunden worden, hypochondrische Vorstellungen 
sind nicht selten, Vergiftungsideen können dem Kranken als die letzte Möglich¬ 
keit erscheinen, ihn mundtot zu machen. Fast ausnahmslos werden auch diese 
Ideen rein kombinatorisch gebildet, ebenso wie die mannigfachen Selbstüber¬ 
schätzungsvorstellungen, die stets die querulierende Paranoia zu begleiten pflegen. 
Sie gehen aus von dem Gefühl eines erhöhten Gerechtigkeitssinnes, realisieren 
das dem Kranken innewohnende Überlegenheitsgefühl über seine Gegner; nur 
er hat die richtige Ansicht von Recht und Gesetz; er kann die Gesetzesparagraphen 
viel besser ausdeuten als sämtliche Juristen; er weiß, wie man es machen muß. 



68 


Die Krankheitserscheinungen. 


um das Recht ans Tageslicht zu bringen; nur er ist imstande, den Bedrängten 
das Recht zu bringen, das ihnen von den treulosen Beamten genommen worden 
ist. Diese Selbstüberschätzungsvorstellungen treten besonders bei einer Gruppe 
von querulierenden Paranoikern hervor, deren Wahn einen stark altruistischen 
Zug trägt, insofern sich seine querulierende Tendenz wenigstens zu Anfang in 
der Hauptsache auf die Aufdeckung des fremden Personen zugefügten Un¬ 
rechtes erstreckt. Derartige Gedankengänge finden sich besonders häufig auch 
im politischen Leben; sie verbinden sich wieder mit den Ideen der krankhaften 
Weltverbesserer und Volksbeglücker, die bei Besprechung der Paranoia com- 
binatoria geschildert wurden. 

Die krankhaften Ideen des querulierenden Paranoikers sind im Gegensätze 
zu den Vorstellungen des gewöhnlichen Querulanten von Anfang an unkorrigierbar. 
Unzugänglich für Einwände weist er alle Belehrungen und Gegenbeweise meist 
ohne Prüfung zurück, tut sie unter Umständen mit dem Hinweise auf die eigene 
Glaubwürdigkeit ab. Alles seiner Ansicht Entgegenstehende wird für frech er¬ 
logen, für unsinnig erklärt. Es besteht völlige Unfähigkeit, die eigenen Ansichten 
gegenüber den gegnerischen Gedankengängen abzuwägen, fremde, den eigenen 
entgegengesetzte Ausführungen zu bewerten sowie die Größe des etwa erlittenen 
Unrechtes abzuschätzen. Selbst das kleinste Unrecht wird über Gebühr auf¬ 
gebauscht, der leiseste Zwang als unerhörte Vergewaltigimg aufgefaßt, während 
andererseits die übermäßige Entwicklung des eigenen Selbstgefühls ihm Jedes 
Mittel in seiner Hand als gut und angemessen erscheinen läßt. Dabei fehlt jedes 
Verständnis für die Nützlichkeit oder Nutzlosigkeit eines der angewandten 
Mittel. Jeder Prozeß wird ohne Rücksicht auf die entstehenden Kosten oder 
die Möglichkeit eines Erfolges bis zur letzten Instanz durchgefochten, jede An¬ 
gelegenheit bis zum Äußersten verfolgt. Stellung und Vermögen werden aufs 
Spiel gesetzt und verschleudert. Einsichtslos setzt der querulierende Paranoiker 
den Kampf um sein vermeintliches Recht fort, bis er am Bettelstab ist. 

Abgesehen von dieser Verbohrtheit in seine Wahnvorstellungen bleibt der 
Kranke während des ganzen Krankheitsverlaufes besonnen, im Denken ge¬ 
ordnet; Merkfähigkeit und Gedächtnis sind ungetrübt, die Urteilskraft zeigt 
außerhalb des Wahnsystems keine Störung, in bezug auf die eigenen Wahnideen 
jedoch stärkste Einschränkung. Die Sinneswahmehmungen sind kaum jemals 
krankhaft verändert, Sinnestäuschungen kommen im Verlaufe reiner queru¬ 
latorischer Wahnsysteme wohl nicht vor, nur aus der Verbindung mit anders¬ 
artigen Beeinträchtigungs- oder den seltenen ausgeprägten Größenideen können 
sie gelegentlich entstehen, ohne jedoch besondere Bedeutung zu erlangen. Die 
Wertung an sich richtig aufgefaßter Sinneseindrücke ist häufig schwer im Sinne 
der wahnhaften Vorstellungen verändert. Die Kranken vermögen oft keinen 
Schriftsatz des Gegners oder des Gerichtes richtig zu verstehen; sie lesen gerade 
das Gegenteil aus ihm heraus, sofern sich das mit ihren Ideen deckt. 

Häufig handelt es sich dabei allerdings um Erinnerungsfälschungen, die 
im Verlaufe der querulatorischen Paranoia eine große Rolle spielen. Die Kranken 
sind nicht imstande, eigene Erlebnisse, die Geschichte ihres Rechtsstreites, die 
Vorgänge während eines gerichtlichen Termines nach einiger Zeit vollkommen 
wahrheitsgetreu zu reproduzieren. Umdichtungen aller Art, seltener frei er¬ 
fundene Vorstellungen, wie es sein oder werden könnte, werdeli für wahr gehalten, 



Die Paranoia querulatoria. 


69 


dem Wahnsystem eingeordnet und als bewiesene Tatsachen weiter verwertet. 
Dieselbe Bedeutung können plötzliche Einfälle haben, die erwünschte Vorgänge 
dem Kranken vor Augen führen. Oft läßt sich nicht entscheiden, ob es sich um 
wirkliche nachträgliche Erinnerungsfälschungen oder um Mißverständnisse 
handelt, doch ist an der Häufigkeit der ersteren Vorgänge, besonders in den 
vorgeschritteneren Stadien des Leidens nicht zu zweifeln. Die Begebenheiten, 
die dem Kranken zu Anfang seiner wahnhaften Vorstellungstätigkeit noch frag¬ 
lich erschienen, werden immer mehr im Sinne der entstandenen Wahnideen um- 
gedeutet und verfälscht, immer neue Einzelheiten tauchen in ihrer Verbindung 
auf, so daß allmählich alle Vorgänge in logischer Weise auseinander folgen, 
völlige Edarheit des querulatorischen Wahnsystems besteht, das der Kranke 
eintönig in derselben Weise und entsprechender Reihenfolge vorbringt, an das 
er selbst unerschütterlich glaubt. In das Gebiet der Erinnerungsfälschungen 
gehört wohl auch der „Traum“ eines Patienten Hoppes, dem in seinem sieb¬ 
zehnten Lebensjahre im Schlafe ein Engel erschien, der ihm sein Schicksal, viele 
Prozesse zu führen und dafür Gefängnisstrafen zu verbüßen, voraussagte. 

Die Affekterregbarkeit des querulierenden Paranoikers ist auf das höchste 
gesteigert. Die Vorstellung unschuldig erlittenen Unrechtes pflegt schon den 
Geistesgesunden stark zu erregen, vielmehr noch den mit krankhaften Vorstel¬ 
lungen arbeitenden Paranoiker. Aus der Steigerung der gemütlichen Erregbar¬ 
keit ist sicher zum größten Teile der gänzliche Mangel an Objektivität, das Un¬ 
vermögen zu unvoreingenommener, sachlicher Beurteilung der Rechtslage, der 
Mangel jeder Einsicht, die Unbelehrbarkeit, die Unfähigkeit zu ruhiger Über¬ 
legung, sobald das stark affektbetonte Gebiet der Rechtssätze angeschnitten 
wird, zurückzuführen. Recht und damit im Zusammenhänge die Strafe gehören 
zu denjenigen Begriffen, die mit ihrem ausgesprochenen Gleichheitsprinzip in¬ 
folge unserer Erziehung uns am lebhaftesten gemütlich erregen, in ihrer affektiven 
Wirkung den bei Besprechung der Paranoia hallucinatoria hervorgehobenen 
Eingriffen in das körperliche Wohlbefinden, die mit dem Strafbegriff eng ver¬ 
wandt sind, nahestehen. Stets sind es ausgesprochene Mischaffekte, die den 
Kranken beherrschen, hergeleitet einmal aus dem Gefühle rechtlicher Beein¬ 
trächtigung, andererseits aus dem inneren Überlegenheitsgefühl, das die Kranken 
beherrscht; zu Anfang überwiegt dabei die Unlustkomponente, während die¬ 
selbe in den späteren Stadien mit dem Stärkerwerden der Selbstüberschätzungs¬ 
vorstellungen, der Steigerung der Lust am Querulieren, zurückzutreten pflegt. 

Das äußere Verhalten des Querulanten und seine Handlungen haben ihm 
seinen Namen gegeben. Der Kampf um sein vermeintliches Recht, unbekümmert 
um die Folgen, mit zäher Verbissenheit, ohne die geringste Nachgiebigkeit, ohne 
die im menschlichen Verkehr gebotene Rücksichtnahme auf fremde Interessen 
ist der Kern der Handlungen, um den sich das ganze Verhalten des Kranken 
auf baut. Er kennt nur ein Gebiet, das ihn wirklich interessiert, er kennt nur 
ein Thema, bei dessen Besprechung er mit ganzer Seele dabei ist, bei dessen Er¬ 
zählung er nicht müde wird, das die Bedürfnisse des Tages völlig zurücktreten 
läßt: seine Rechtsstreitigkeiten. Diese intensive Hingabe an einen einzigen 
Gedankenkreis, noch dazu von so überragender Bedeutung und lebhafter Affekt¬ 
betonung, dabei andererseits doch von enger Begrenzung muß im Laufe der 
Jahre zu Eigentümlichkeiten führen, die den querulierenden Paranoiker aus 



70 


Die Krankheitserächeinungen. 

seinem Wesen, vor allem aus dem Gebrauche der Äusdrucksmittel für seine 
Vorstellungen, aus Sprache und Schrift, erkennen lassen. Schon rein äußerlich 
zeigen die Kranken ein überlegenes, gemessenes, meist gewandtes Wesen, geben 
viel auf ihr Äußeres und ihre Haltung. Sie sitzen über ihre umfangreichen Schrift¬ 
stücke gebeugt, sind häufig mit zahlreichen Gesetzbüchern beschäftigt, tragen 
stets Aktenbündel mit sich herum, in die sie eifrig vertieft sind, Notizen machen. 
Sie erscheinen im Verkehr zuerst lebhaft, schlagfertig, geben sich sichtlich Mühe, 
jedem neuen Bekannten, vor allem auch dem Arzte zu imponieren. Sie sind 
unermüdlich mit ihren Schreibereien, der Ausarbeitung ihrer Beschwerden, Ein¬ 
sprüche oder Klageschriften beschäftigt, verbrauchen eine Unmenge von Papier 
und Tinte, deren Verweigerung zu den lebhaftesten Zomesausbrüchen führen 
kann. Im Gespräch kommen sie meist in kürzester Zeit auf sich, ihre Lage, vor 
allem auf ihre Rechtsstreitigkeiten. Unermüdlich, in nicht zu dämmendem Rede¬ 
fluß erklären sie haarklein auch dem fernstehenden Besucher den Verlauf ihrer 
Prozesse, die Geschichte ihres Erbschaftsstreites, ihrer Pensionierung, sofern 
die letztere wie häufig den Anlaß zur querulatorischen Paranoia gegeben hat, 
ihre Ansprüche, die sich aus ihrer ungesetzlichen Behandlung ergeben haben, 
meist durchsetzt mit ironisierenden Bemerkungen, beißendem Spott, daraus ab¬ 
geleiteten Lebensregeln. Die kleinsten, nebensächlichsten Einzelheiten werden 
ausgekramt, Zeugenaussagen, die mit dem eigentlichen Thema gar keine Be¬ 
ziehungen aufweisen, wörtlich wiederholt, langatmige Beweisbeschlüsse, die Aus¬ 
führungen des Verteidigers, Sachverständigengutachten ausführlich erörtert. 
Wo den Kranken sein anscheinend phänomenales Gedächtnis zu verlassen droht, 
sucht er aus seinen umfangreichen Aktenbündeln, seiner Brieftasche die ent¬ 
sprechenden für ihn unersetzlichen Dokumente heraus, um aus ihnen und seinen 
Abschriften die betreffenden Stellen vorzulesen, sucht er aus den Gesetzbüchern 
die bezüglichen Paragraphen auf. Dabei kommt er vom Hundertsten ins Tau¬ 
sendste, verliert häufig den Faden, um so öfter, je mehr er sich in Affekt redet, 
bringt mit der eigentlichen Rechtssache gar nicht oder nur lose in Zusammen¬ 
hang stehende Dinge vor, beachtet keine Unterbrechung, keine Zwischenfrage, 
die ihn aus dem Konzept zu bringen droht, keinen Einwand, tut meist alles mit 
dem Hinweis ab, daß das später noch komme, weiß auch nach stundenlanger 
Besprechung kein Ende seiner Ausführungen zu finden. Dieselben Redewen¬ 
dungen, dieselben Beweisgründe werden oft wörtlich wiederholt, die Ausfüh¬ 
rungen weisen dadurch eine große Eintönigkeit auf; der Eindruck des Ein- 
gelemten ist besonders in den späteren Stadien des Leidens unverkennbar. Da¬ 
bei beherrscht den Kranken das peinigende Gefühl, etwas vergessen zu haben; 
immer wieder kommen sie, um an der Hand ihrer Aufzeichnungen noch etwas 
besonders Wichtiges zu berichten. Die Ausdrucksweise ist weitschweifig, ge¬ 
künstelt, mit bombastischen Phrasen, Schlagworten, Zitaten, Sprichwörtern, 
juristischen Ausdrücken reichlich durchsetzt. Die Redewendungen wieder¬ 
holen sich ständig; seine Gegner werden dauernd mit den gleichen Ehrentiteln, 
denselben beleidigenden Ausdrücken belegt. 

Eine noch größere Bedeutung als die Sprache hat die Schrift für den queru¬ 
lierenden Paranoiker. Ganze Aktenstöße, Berge von Papierfetzen werden mit 
den schriftlichen Ausarbeitungen über seine Angelegenheiten gefüllt, jedes 
Stückchen wird bekritzelt. Endlos, schließlich ohne rechten Zusammenhang 



Die Paranoia querulatoria. 


71 


werden die Verdachtsgründe, die Beweismomente aneinander gereiht, durch¬ 
setzt mit Schmähungen gegen seine Gegner, den Gerichtshof, den Richterstand, 
die Beamtenschaft, die Staatsordnung. Immer wieder kehren dieselben Aus¬ 
drücke, dieselben Floskeln, dieselben Unterstreichungen, dieselben Interpunk¬ 
tionszeichen. Die Schriftstücke wimmeln von Ausrufungszeichen, von Heraus¬ 
hebungen von Worten oder Sätzen durch lateinische Buchstaben oder Rund¬ 
schrift. Dichtgedrängt, mit winzigen Buchstaben werden die Seiten flüchtig 
gefüllt, als ob die Fülle der Gedanken dem Kranken keine Zeit zu ruhiger Nieder¬ 
schrift ließe; auch der Inhalt bekundet meistens ein Überstürzen der Gedanken¬ 
gänge. Überall finden sich Verbesserungen, Zeichen, die auf nachträgliche Zu¬ 
sätze deuten, mit denen der freie Rand bekritzelt ist. Tagtäglich überreichen 
derartige Kranke dem Arzte irgendeine 4—8 Seiten lange oder noch längere 
Eingabe an die Anstaltsleitung, das Staatsministerium, den Herrscher, in der 
sie in schwülstiger, weitschweifig^ Form ihre Anklagen, ihre Forderungen nieder¬ 
legen, oft am Schlüsse des Schreibens vergessen haben, weswegen sie es begannen. 
Alle Schriftstücke werden durch Hinweise auf ihre Dringlichkeit („eilt sehr“, 
„Gefahr im Verzüge“, „dringend“, ,,schleunigst“) gekennzeichnet. 

Man hat den Eindruck, daß, besonders in den späteren Stadien der Er¬ 
krankung, der querulierende Paranoiker oft gar keine Antwort auf seine Schrift¬ 
stücke erwartet. Er erkundigt sich wohl gelegentlich, ob seine Eingabe auch 
wirklich abgesandt, ob bereits eine Antwort darauf eingelaufen ist, beruhigt 
sich aber bei entsprechender ausweichender Auskunft oder beschwert sich in 
einem neuen Schriftsätze über die Zurückhaltung des vorhergehenden bzw. 
seine langsame Erledigung. Auch diesen Kranken wird das Schreiben noch viel¬ 
mehr als den übrigen Paranoikern zum Zwecke an sich. Bei den querulierenden 
Paranoikern findet sich auch häufiger als bei den übrigen Paranoiaformen die 
Marotte, sich nur schriftlich zu äußern oder doch ihre mündlichen Auseinander¬ 
setzungen durch schriftliche zu unterstützen, sicherlich vor allem in der Absicht, 
Auslassungen in ihren Beweisführungen zu vermeiden, und aus dem Grcfühl 
der Unfähigkeit heraus, die tausenderlei Einzelheiten mündlich lückenlos zu 
reproduzieren. 

Abgesehen von dem ausgedehnten Gebrauche, den der querulierende Para¬ 
noiker von den Ausdrucksmitteln seiner krankhaften Vorstellungen macht, 
gleicht sein Verhalten dem der übrigen Paranoiker. Wie schon oben beschrieben, 
kennzeichnet sein Wollen und Handeln eine unkorrigierbare Verbohrtheit in 
die eigenen Ansichten und die Unfähigkeit, andere, von den eigenen abweichende 
Gedankengänge kritisch zu beurteilen oder auch nur dgn Versuch dazu zu machen. 
Mit äußerster Konsequenz wird versucht, den eigenen Ansichten von Recht 
und Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen, jede Angelegenheit bis ins kleinste 
auszufechten, jeden Rechtsstreit bis in die höchste Instanz zu verfolgen; es 
ist ihm nicht möglich, sich bei einem sich mit seinen Ansichten nicht deckenden 
Bescheide zu beruhigen, er queruliert auch nach Erschöpfung aller Rechts¬ 
mittel weiter, vermag nicht, aus seinem Vorstellungskreise derartige unfrucht¬ 
bare Vorstellungen zugunsten anderer wichtigerer zu verdrängen. Durch seine 
Handlungsweise geht ein Zug von äußerstem krankhaftem Egoismus. Alle Mittel, 
auch die unsittlichsten, sind in seiner Hand gut und erlaubt; die anständigsten 
Mittel in der Hand des Gegners dienen zu rohen Vergewaltigungen seiner Person. 



72 


Die Krankheitserscheinungen. 


Nicht immer bleibt der querulierende Paranoiker bei seinen immerhin noch 
harmlosen Schreibereien, Beleidigungen, Drohungen und Anklagen stehen; 
öffentliche Schmähimgen, tätliche Angriffe, die Mordwaffe stellen nicht selten 
das letzte Mittel dar, durch das er seinen Rechtsbegriffen Geltung zu verschaffen 
sucht. Nach seiner Verwahrung in der Irrenanstalt ist es meist der Kampf 
gegen diese, ihm ungesetzlich erscheinende Internierung, dem ein großer Teil 
seines Denkens und Wollens gilt, im Gegensätze zu den übrigen Paranoikern 
mit Beeinträchtigungsideen, bei denen gegenüber den sonstigen Verfolgungen, 
deren Vorstellungen mit ihren Konsequenzen zu der Anstaltsaufnahme geführt 
haben, die Beeinträchtigung durch die Freiheitsbeschränkung selbst wenigstens 
in der Regel zurücktritt; er nähert sich auch hierin dem Größenwahnsinnigen. 
Einen gleichen, ebenso stark affektbetonten Anknüpfungspunkt bietet dem 
Querulanten die Einleitung und Durchführung des Entmündigungsverfahrens, 
ohne daß aber durch diese späteren Rechtsangelegenheiten die die Paranoia 
querulatoria auslösende Streitsache völlig verdrängt wird. Bereits früh pflegt 
der querulierende Paranoiker unfähig zu werden, für seinen Lebensunterhalt 
zu ^rgen. Er vermag weder ein öffentliches Amt zu bekleiden noch einen pri¬ 
vaten Beruf auszuüben, da er in dem einen mit seinen krankhaften Rechts¬ 
anschauungen Anstoß erregt, zu privater Tätigkeit aber durch die Ablenkung, 
die die Verfolgung seiner Rechtsstreitigkeiten bewirkt, unbrauchbar wird. Nie 
kommt es jedoch zu einem untätigen Herumsitzen der Kranken, die meist sehr 
beweglich mit der Ausarbeitung ihrer querulierenden Schriftsätze ihre Zeit voll¬ 
ständig auszufüllen vermögen. 

Der Verlauf der querulatorischen Form der Paranoia ist im wesentlichen 
ein langsamer, aber stetiger, ähnlich dem der kombinatorischen Verrücktheit 
mit allmählicher Steigerung der Symptome der Quantität und Intensität nach. 
Immer weitere Beamtenklassen werden in den Kreis der Gegner gezogen, immer 
intensiver wird der Widerstand gegen die staatlichen Autoritäten, immer klarer 
wird dem Kranken, daß ihm Unrecht geschehen ist und noch geschieht, auch, 
warum es geschieht, immer verbohrter wird seine Ansicht von Recht und Ge¬ 
rechtigkeit. Immer weniger vermag der Kranke den Ansprüchen des Lebens zu 
genügen, immer weniger außerhalb seiner Rechtsbegriffe liegenden Interessen 
die nötige Beachtung zu schenken. Er vermag seinen Beruf nicht mehr zu ver¬ 
sehen, Ehe und Familie, Wohlstand und Ehre treten hinter dem seiner krank¬ 
haften Vorstellungstätigkeit entspringenden Zwange zum Querulieren zurück, 
ohne daß die ethischen, besonders die altruistischen Begriffe gänzlich verloren 
gehen, bis schließlich nach Erschöpfung der vorhandenen Rechtsmittel, nach 
Durchlaufen aller Instanzen der Kranke zur Selbsthilfe greift, die ihn sicher 
der Irrenanstalt zuführt, sofern er nicht bereits vorher dort Aufnahme und 
Schutz gefunden hat. 

So gleichmäßig der allgemeine Ablauf der Paranoia querulatoria ist, so 
mannigfache Wellenbewegungen zeigt die Intensität der augenblicklich hervor¬ 
tretenden Erscheinungen. Jedes gemütserregende Moment bedingt bei diesen 
äußerst affektlabilen Individuen eine Verstärkung der querulierenden Willens¬ 
strebungen. Vor allem die mit ihren Rechtsstreitigkeiten selbst in Verbindung 
stehenden Dinge, gerichtliche Termine, Vernehmungen und Verurteilungen, 
Abweisung von Eingaben, Zurückweisung von Schadenersatzforderungen, be- 



Die Paranoia querulatoria. 


73 


sonders natürlich die Vollstreckung der Strafe schaffen Erregungszustände, in 
denen neben vermehrtem Hervortreten der querulatorischen Handlungen, leb¬ 
hafteren mündlichen, reichlicheren schriftlichen Auslassungen, meist auch ver¬ 
mehrtem Auftreten von Erinnerungsfälschungen zahlreiche neue Beeinträchti¬ 
gungsideen sowohl auf rechtlichem wie auch auf ferner liegenden Gebieten ent¬ 
stehen, deren Verarbeitung ihrerseits zu vermehrter AHektspannung und Locke¬ 
rung der Haltung des Kranken führt, eine Vermehrung der Angriffe und Be¬ 
leidigungen gegen die alten, eine Hinzuziehung neuer Gegner, damit ein schnelleres 
Fortschreiten des Krankheitsprozesses bedingt. 

Während derartige leichtere Erregungszustände häufig eintreten, oft 
dauernd vorhanden sind, sind stärkere Erregungen, wie sie besonders im Ver¬ 
laufe der Paranoia hallucinatoria geschildert wurden, seltener. Auch in dieser 
Beziehung steht die Paranoia querulatoria der kombinatorischen Form dieser 
Krankheit näher. In den seltenen höhergradigen Erregungszuständen kommt 
es zu lebhaftem Hervortreten der querulatorischen Wahnideen neben anderen 
Beeinträchtigungs- und Größenideen, deren lebhafte Affektbetonung wüste 
Schimpfereien, Drohungen, Gewalttaten, kurz ein entschiedener aggressives 
Verhalten der Kranken hervorruft, Schlaflosigkeit, mangelhafte Nahrungs¬ 
aufnahme, größere Sprunghaftigkeit, geringere Klarheit der schriftlichen und 
besonders der mündlichen Auslassungen bedingt, bis nach kurzer Zeit, meist 
nach wenigen Tagen, die frühere Ruhe wieder eintritt. 

Die Paranoia querulatoria ist im ganzen eine seltene Krankheit. Der Satz 
von ^/a% der Anstaltsaufnahmen, der von anderer Seite (Yennaropoulos) 
angegeben ist, erscheint noch zu hoch gegriffen, sobald man gemäß der hier 
vertretenen Ansicht eine scharfe Scheidung der paranoischen von den aus 
andersartigen psychopathischen Zuständen entstandenen Querulanten vor¬ 
nimmt und zu den ersteren nur die Fälle rechnet, in denen Beeinträchtigungsideen 
auf rechtlichem Gebiete, die eine querulatorische Tendenz in sich schließen, 
auf dem Boden einer angeborenen psychopathischen (paranoischen) Konsti¬ 
tution im Anschlüsse an ein psychogenes Moment, meist einen Konflikt mit 
einer gesetzlich anerkannten Behörde bzw. einen Rechtsstreit, oft ein tatsächlich 
erlittenes, mehr weniger geringfügiges Unrecht entstehen, daneben auch andere 
Beeinträchtigungs- sowie Selbstüberschätzungsvorstellungen auftauchen und 
dieses unerschütterlich festgehaltene Wahnsystem unter Fortdauer der queru¬ 
lierenden Komponente mit äußerster Konsequenz bis zur Verbohrtheit aus¬ 
gebeutet wird, dabei Wollen und Handeln logisch, den Vorstellungen entsprechend 
sind, die Affekte ansprechbar bleiben, die Intelligenz außer einer langsam zu¬ 
nehmenden Einschränkung der Urteilskraft gemäß der durch die Überwertigkeit 
der Wahnideen bedingten, fortschreitenden Einengung des Gesichtskreises 
normal bleibt. Von den Geschlechtern ist das männliche erheblich häufiger 
von dieser Form der Paranoia betroffen. Kraepelin führt diesen Umstand 
darauf zurück, daß die Männer mit ihrer verantwortlichen Lebensstellung und 
ihrem stärkeren Selbständigkeitsgefühl wesentlich häufiger als die geschützteren 
imd nachgiebigeren Frauen in die Lage zu Zusammenstößen auf rechtlichem Ge¬ 
biete kommen. Die Verschiedenheit der Erziehung der Geschlechter mit ihrer 
grundverschiedenen Ausbildung des Persönlichkeitsbewußtseins, wie sie bis in 
die Neuzeit Mode war, dürfte daneben von Einfluß sein. Auch die Paranoia 



74 


Der Kranklieitsaiiscanti. 

querulatoria beginnt meist im späteren Alter. Vor dem 30. Lebensjahre sind 
sichere Fälle dieser Krankheit extrem selten, auch bis zum 40. Jahre nichthäufig. 
Die Zeit der Abnahme der Geisteskräfte, der Erstarrung des Charakters, des 
Verlustes der Schmiegsamkeit der psychischen Persönlichkeit läßt den bereits 
in der Veranlagung begründeten Mangel an Anpassungsfähigkeit und Unter¬ 
ordnung unter die bestehenden Rechtssätze intensiver hervortreten, verstärkt 
andererseits die den zur querulatorischen Paranoia Veranlagten innewohnende 
Tendenz zum Kampfe gegen jeden Zwang durch autoritative Bestimmungen 
gemäß der im Alter eintretenden egozentrischen Einengung der Interessen und 
Gefühlstöne. Beides gibt auch dem weiteren Verlaufe und dem Endzustands¬ 
bilde sein Gepräge. 


Der Krankheitsaasgang. 

Die Beschreibung der Unterformen der Paranoia lehrt bereits, daß d^en 
Erscheinungen nach langjährigem Bestehen der Erkrankmig einander immer 
ähnlicher werden. Die kombinatorische Wahnentwicklung läßt nach, die Trug- 
wahmehmungen nehmen an Zahl und sinnlicher Lebhaftigkeit ab, querulierende 
Züge treten, soweit sie nicht schon von Anfang an dem ICrankheitsbilde bei¬ 
gemischt waren, auch im Verlaufe kombinatorischer oder halluzinatorischer 
Fälle auf, der Querulantenwahn hingegen geht häufig unter mehr minder deut¬ 
lichem Nachlaß der querulierenden Tendenzen in den Wahn mäßiger Selbst¬ 
überschätzung über. Bei allen Formen wird das alt eingewurzelte Wahnsystem 
unverrückbar festgehalten, die Weiterbildung geht aber immer langsamer vor 
sich, um in vielen Fällen endlich scheinbar zu sistieren, der Schmuck der den 
Grundwahn umgebenden krankhaften Vorstellungen wird immer seltener und 
eintöniger. Die Sinnestäuschungen lassen die frühere Buntheit vermissen; sie 
belästigen noch den Kranken, ohne die überragende Bedeutung für ihn zu haben 
wie in den früheren Krankheitsstadien. Der Kranke queruliert zwar noch, aber 
auch hier läßt die Neuentwicklung von Vorstellungen nach; nur selten werden 
neue Prozesse eingeleitet, werden neue Instanzen, die allerdings meist schon 
sämtlich erschöpft sind, angerufen, nur die alten Streitigkeiten werden innerlich 
verarbeitet und äußerlich weiter verfolgt. 

Wann dieses Stadium der gleichmäßigen Pflege der fest wurzelnden Wahn¬ 
vorstellungen ohne bemerklichen Fortschritt im einzelnen Falle erreicht wird, 
ist sehr verschieden; es dauert aber in der Regel Jahrzehnte, bis dieser Zustand 
eintritt und der Krankheitsprozeß sich damit seinem Ausgange zuneigt. So 
sehr jedoch die früher bis zum äußersten krankhaft erhöhte Vorstellungstätigkeit 
nachläßt, nur in ganz seltenen Fällen hört sie anscheinend vollständig auf. Die 
Kranken überraschen immer wieder durch einzelne neue wahnhafte Ideen oder 
doch Veränderungen der alten, vor allem werden häufig auch noch in diesem 
Stadium die Größenideen ausgebaut bzw. erst konzipiert. Immer wieder be¬ 
richten die Kranken auch von neuen krankhaften Sinneswahmehmimgen oder 
suchen durch Erinnerungsfälschungen Bestätigimgen ihres Wahnsystems zu er¬ 
halten. Ansprechbar bleibt die Affektivität, dieser Maßstab für die Lebhaftigkeit 
des psychischen Geschehens. Stets rege ist die Hoffnung auf Abwehr der Ver¬ 
folgungen, auf Erfüllung der krankhaften Größenvorstellungen, die Hoffnung, 
durch die querulatorischen Handlungen doch noch das erstrebte Ziel, den ge- 



Der Krankheitsausgang. 


75 


wünschten Entscheid zu erreichen. Daß dennoch eine Abnahme der Affekt¬ 
erregbarkeit stattgefunden hat, zeigt der Umstand, daß das Leiden in diesem Sta¬ 
dium viel gleichmäßiger und ruhiger verläuft, daß Affektstürme schwerer ausgelöst 
werden, wenngleich sie nicht völlig schwinden, daß sie, einmal hervorgerufen,weit 
geringere Intensität zeigen. Der Größenwahnsinnige geht überlegen lächelnd oder, 
ohne ein Wort zu sagen, über die Nichtanerkennung seiner Rechte, seiner Stellung 
hinweg, der Verfolgungswahnsinnige läßt Zweifel an der Richtigkeit seiner 
krankhaften Vorstellungen oder Wahrnehmungen ohne Zornesausbruch hin¬ 
gehen, der Querulant hört gleichmütiger Einwände an, ohne allerdings ihren 
Sinn zu erfassen. Dementsprechend nimmt auch der Kampfesmut des Para¬ 
noikers ab, die Angriffsfreudigkeit weicht der Duldermiene. Zermürbt durch 
den steten Kampf mit seinen Gegnern, die ihm in jeder nur möglichen Weise 
Schaden zugefügt haben und noch zuzufügen suchen, die ihn mit den raffinier¬ 
testen Mitteln peinigen, ihm Glück und Ehre geraubt, ihn um Vermögen und 
Stellung gebracht haben, die ihm sogar sein Menschenrecht nehmen wollen, 
die es erreicht haben, daß er trotz seiner hohen Abstammung, seiner hervor¬ 
ragenden Geisteskräfte, seiner hohen Berufung armselig im Irrenhause ein Leben 
des Leidens beschließen muß, läßt der Paranoiker in der Stetigkeit, der Hart¬ 
näckigkeit seiner Handlungen nach, ohne indes von seiner Verbohrtheit zu 
lassen, ohne die Hoffnung auf einen Umschwung in seiner Lage aufzugeben; 
er läßt die Dinge gehen, wie sie eben gehen wollen, hofft auf einen Glückszufall, 
der ihm zu seiner Zeit sein Recht bringen wird oder tut seinem Überlegenheits¬ 
bewußtsein in der Rolle des gepeinigten, verkannten Märtyrers, dem die ver¬ 
diente Anerkennung erst spät, vielleicht erst nach seinem Tode sicher zuteil 
werden wird. Genüge. Irgendein Zweifel an der Richtigkeit seiner krankhaften 
Ideen, der Realität seiner Trugwahrnehmungen läßt sich auch dann nicht auf¬ 
finden oder erwecken, nie besteht eine Andeutung wirklicher Krankheitsein¬ 
sicht. Nicht zu verwechseln ist mit der letzteren, daß die Kranken in manchen 
Fällen auf Grund ihrer hypochondrischen Beschwerden zugeben, krank zu sein, 
daß sie angeben, der Ärger, den ihnen der Kampf um ihre Größenvorstellungen, 
die Aufregungen, die ihnen die Vertretung ihrer Rechtsansichten verursacht 
habe, hätte sie nervenkrank gemacht oder dergleichen, Angaben, die Mercklin 
wohl im Auge hat, wenn er von einer gewissen Krankheitseinsicht bei der Para¬ 
noia im Beginne und während akuter Exazerbationen der Erkrankung spricht. 

Wenn der ICrankheitsprozeß auch in diesem Stadium erheblich gleich¬ 
mäßiger als in früheren Krankheitszeiten abläuft, so ist man doch nie sicher, 
daß nicht auch noch nach längerer Zeit wieder lebhaftere Erscheinungen, ein 
schubweises Fortschreiten eintritt. Zu jeder Zeit kann ein stärkeres Hervor¬ 
treten der Wahnideen, vor allem in den halluzinatorischen Fällen eine Vermehrung 
und Verstärkung der Sinnestäuschungen stattfinden, die zu entsprechenden 
Handlungen, zum mindesten zu stärkerem Querulieren gegen die Zurückhaltung 
in der Irrenanstalt, die Entmündigung führt. Derartige Erregungszustände sind 
nicht einmal in den selteneren Fällen sicher auszuschließen, in denen es nach 
Jahrzehnten zu einer erheblichen Einförmigkeit der Erscheintmgen kommt. 
Eintönig sind in diesen Fällen die Vorstellungen, die die Kranken, ohne ihr 
System zu korrigieren, ohne auch nur einen Zweifel an seiner Realität zu hegen, 
in alter Weise produzieren, eintönig sind die Sinnestäuschungen, deren sinnliche 



76 


Der Krankheitsausgang. 


Lebhaftigkeit nachläßt, die die Kranken auch seltener belästigen; der Teufel, 
der dem Kranken in früheren Zeiten drohte und die ärgsten Peinigungen ver¬ 
hieß, wird nur noch in der Ferne gehört, „als ob ein Hund ein bißchen bellt.“ 
Eintönig ist die Ausdrucksweise; in derselben Form, oft mit den gleichen Worten, 
berichtet der Kranke Tag für Tag von seinen Wahnvorstellungen, in demselben 
Klageton werden die Verfolgungen beschrieben, mit denselben Wendungen die 
krankhaften Ideen zu beweisen gesucht. Es macht oft den Eindruck, als ob der 
Kranke sich zu dem absoluten Bewußtsein durchgerungen hat, daß seine wahn¬ 
haften Vorstellungen unumstößlich richtig sind, so daß er sich nicht mehr die 
Mühe zu geben braucht, darüber nachzudenken, daß jedes Wort zu ihrem Be¬ 
weise überflüssig ist. Den gleichen Mangel an Veränderung beweisen die schrift¬ 
lichen Auslassungen, die gelegentlich zum einfachen Abschreiben früherer Nieder¬ 
schriften werden; auch hier spiegelt sich das gleichförmige Bild einer auf der 
Stelle tretenden Vorstellungstätigkeit wieder. Einförmig wird vor allem die 
Handlungsweise. Von der Lebhaftigkeit der Affekte, die die Berührung der 
überwertigen Vorstellungen in den früheren Stadien beim Paranoiker auslöst, 
ist bei diesen langjährigen Kranken nichts mehr zu bemerken. Sie bringen ihre 
Vorstellungen und Pläne nur noch auf Wunsch vor, verrichten sonst als fleißige 
Arbeitstiere still ihre Tätigkeit, ohne das Symptom zu zeigen, das den Paranoiker 
an sich kennzeichnet, den Mut und Willen zum Kampfe um seine Ideen. 

Die Intelligenz zeigt bei den erstgenannten Endformen der Paranoia sicher 
keine wesentliche Einbuße. Die Kranken sind in jeder Weise orientiert, Ge¬ 
dächtnis und Merkfähigkeit bleiben durchaus normal, was sowohl der Verkehr 
mit den Kranken wie eine darauf gerichtete Prüfung einwandfrei feststellen lassen, 
die ethischen Begriffe bleiben erhalten. Eine schwere Veränderung, die in den 
Endstadien ihre höchste Entwicklung erreicht, zeigt schon im ganzen Verlaufe 
der Erkrankung die Urteilskraft. Diese Störung wird hervorgerufen durch eine 
fortschreitende Einschränkung der Interessensphäre im Sinne des den Kranken 
beherrschenden Wahnes. Die stete Beschäftigung mit derart überwertigen Ideen, 
wie sie die Wahnvorstellungen des Paranoikers darstellen, hindert die Verar¬ 
beitung aller oder doch nur eines großen Teiles der das Individuum treffenden 
Sinneseindrücke, deren Aufnahme häufig noch an sich oder durch die Trugwahr¬ 
nehmungen gestört ist. Dieser Ausfall von das Denken, Fühlen und Wollen des 
Geistesgesunden regulierenden Eindrücken und daraus ihre Anregung und Rich¬ 
tung erhaltenden normalen Vorstellungen muß einmal die Überwertigkeit der 
wahnhaften Ideen steigern, andererseits aber auch das Individuum unfähiger 
machen, sich über seine Umgebung, die ihn treffenden Eindrücke ein richtiges 
Urteil zu bilden, soweit eine solche Urteilsbildung überhaupt statthat. Die 
Einschränkung der Urteilskraft wird entsprechend der hohen Bedeutung, die 
die Wahnvorstellungen des Paranoikers für seine Person haben, eine ausgesprochen 
egozentrische sein, überall Beziehungen zur eigenen Person, vor allem zu den 
eigenen wahnhaften Ideen schließen lassen, mithin in diesem Punkte eine Urteils¬ 
trübung, eine Unfähigkeit, mit den krankhaften Vorstellungen zusammen¬ 
hängende Tatsachen in ihrer Wertigkeit abzuschätzen, herbeiführen. Natur¬ 
gemäß gibt es nur verhältnismäßig wenige Dinge, die im Verlaufe der paranoischen 
Erkrankung nicht mit dem Wahne in irgendeine Beziehung treten. Demgemäß 
wird in den ersten Stadien der Paranoia die Urteilskraft eine relativ geringfügige 



Der Krankheitsausgang. 


77 


Einbuße erleiden, mit der Ausbreitung der wahnhaften Vorstellungen stärker 
eingeschränkt werden, in den Endstadien, in denen oft die ganze Umgebung 
des Kranken in den Wahnkreis einbezogen ist, die schwersten Störungen zeigen. 
Aber auch in diesen letzten Stadien tritt auf dem Wahne ferner liegenden Ge¬ 
bieten nie ein Versagen der Urteilskraft ein. Die Kranken vermögen in Dingen, 
die ausgesprochene Beziehungen zu anderen Individuen haben, noch durchaus 
zu sachgemäßer Prüfung und Abwägung fähig zu sein und selbst in Dingen, die 
sie selbst imd ihren Wahn auf das engste berühren, kommt es nicht zu einem 
Aufhören, einem gänzlichen Versagen der Urteilskraft an sich. Vom Standpunkte 
seines Wahnes aus vermag der Paranoiker noch logisch zu urteilen und Schlüsse 
zu ziehen. Er vermag nur nicht den Deduktionen Geistesgesunder in seinen 
wahnhaften Angelegenheiten zu folgen, ebenso wenig wie wir es vermögen, von 
unserem Standpunkte und unserer Auffassung der Dinge aus seine Urteile zu 
verstehen. Die Welt, in der der Paranoiker lebt, sieht eben anders aus als die 
des geistesgesunden Menschen, demgemäß sind auch seine Urteile anders. Es 
ist also nicht ein Versagen der Urteilskraft schuld an den Falschurteilen des 
Kranken, sondern ein Abirren seiner Urteile infolge der durch den Wahn be¬ 
wirkten Veränderung des Vorstellungsinhaltes, ebenso wie das Denken des Para¬ 
noikers nicht nachläßt und versagt, im Gregenteile zeitweise gegenüber der Lei¬ 
stungsfähigkeit in geistesgesunden Tagen eine wesentliche Steigerung erkennen 
läßt, sondern nur in die durch den Wahn ausgefahrenen Geleise abgelenkt wird. 

In den Fällen, in denen die beschriebene große Einförmigkeit alles psychi¬ 
schen Geschehens, der Vorstellungstätigkeit, des Denkens und Fühlens, des 
Handelns eintritt, dürfte die Urteilsfähigkeit den höchsten Grad der Einschrän¬ 
kung aus dem Mangel an Aufnahmefähigkeit und Fähigkeit, die aufgenommenen 
Eindrücke sinngemäß zu verarbeiten, erfahren haben, so daß der Paranoiker 
sein System abschließt und nur ihm lebt, während er in den früheren Zeiten 
stets eine Verbindung zwischen seinem Wahnsystem und der Außenwelt her¬ 
stellte oder doch nach Möglichkeit herzustellen versuchte, aus der er die ihn 
treffenden Verfolgungen herleitete, in der er die Realisation seiner Größenideen 
erhoffte. 

Diese letzteren Fälle regen besonders zur Erörterung der Frage an, ob 
es im Verlaufe der Paranoia immer oder doch in einzelnen Fällen zu einem Zu¬ 
stande kommt, den man als Schwachsinn bezeichnen kann bzw. ob der para¬ 
noische Krankheitsprozeß als solcher bereits einen Schwachsinnszustand dar¬ 
stellt ? 

Die Frage ist von den verschiedenen Autoren in recht verschiedenem 
Sinne beantwortet worden. Häufig, besonders bei den älteren Psychiatern mögen 
daran die Unterschiede in der Begriffsumschreibung der Paranoia schuld sein, 
auch die Verschiedenheit der Auffassung des Begriffes ,,Schwachsinn“ kann 
die abweichenden Ansichten zum Teil erklären. So meinte Jung, der alle Ver¬ 
rückten himschwach oder himsiech nannte, zweifellos von den hier beschriebenen 
ganz verschiedene psychische Erkrankungen, Flügge, der geistige Schwach¬ 
sinnszustände eigentümlicher Art als Ausgangspunkt der Paranoia ansah, be¬ 
schreibt anscheinend faselig verblödete Schizophreniefälle. Während West- 
phal intellektuelle Schwäche, die er als Grundlage mancher Fälle von Paranoia 
zugab, nicht als wesentliches Symptom der Krankheit anerkannte, v. Kr afft- 



78 


Der Krankheitsausgang. 


Ebing einen Ausgang in Demenz abstritt, bezeicbnete Jastrowitz die von 
ihm im Endstadium der Paranoia gefundene Intelligenzschwäche als Blödsinn, 
als eine erworbene Geistesschwäche, bei welcher ein entstandener geistiger 
Defekt durch einen qualitativ veränderten, fremdartigen Bestandteil ersetzt 
wird, so daß dem inneren Wesen nach eine Inkongruenz mit dem übrigen Geistes- 
rest entsteht. Sa Igo fand eine langsam ansteigende dauernde Verarmung des 
Bewußtseinsinhaltes, einen Zustand, den er als Schwachsinn bezeichnen zu müssen 
glaubte, als wesentlichen Bestandteil der Paranoia, über den auch die Erhaltung 
der Denkform, die im übrigen auch gelegentlich gestört sei, nicht hinwegtäuschen 
könne. Von einer „Vorstellungsschwäche“, besonders in den vorgeschritteneren 
Stadien der Erkrankung, spricht Moeli, eine fortschreitende Schwäche auf dem 
Gebiete des Wollens und Fühlens suchte Koch zu erweisen. Hitzig glaubte, 
daß das Handeln der Paranoiker große Lücken in der Assoziationsbildung er¬ 
kennen lasse und daß im Terminalstadium eine wirkliche Demenz einträte. 
Die derartigen Fällen beiwohnende Intelligenzstörung, die Kritiklosigkeit der 
Kranken bedeutete ihm in klinischer Beziehung bestimmt, in anatomischer 
Beziehung mit größter WahrscheinUchkeit ein dauerndes Ausfallssymptom: die 
Ausschaltung einzelner oder vieler Hirnterritorien, von wenigen oder vielen 
Leitungsbahnen, die darauf beruhende größere oder geringere Herabminderung 
in der Zahl und Art der überhaupt möglichen Vorstellungen, mit einem Wort 
einen mehr oder minder offenbaren Zustand geistiger Schwäche. Ziehen be- 
zeichnete diesen Endzustand der Paranoia dagegen als Pseudodemenz. Neisser 
konnte eine eigentliche Demenz ebenfalls nicht nachweisen, wenn er auch einen 
psychischen Schwächezustand, dessen quantitative und qualitative Ausprägung 
von der Symptomatologie und dem Verlaufe des Krankheitsprozesses sowie 
von der individuellen Konstitution abhängig sei, oft, aber nicht immer als end¬ 
gültigen Ausgang der Paranoia sah. Während Sandberg an eine Intelligenz¬ 
schwäche des Paranoikers glaubt, nimmt Falkenberg an, daß man zur Er¬ 
klärung des Wahnes dieser Kranken der Annahme einer geistigen Schwäche 
nicht bedürfe und denselben allein aus der Veränderung der Vorstellungen und 
der damit zusammenhängenden Verfälschung des Urteils erklären könne. Für 
den Querulantenwahn nahm Siemerling an, daß derselbe stets auf einem 
geistigen Schwächezustande beruhe, Meschede widersprach dem; Koeppen 
nahm eine vermittelnde Stellung ein, indem er abgesehen von den auf angeborener 
geistiger Schwäche entstandenen Paranoiafällen der Ansicht ist, daß diese Er- 
^ankung keine vollwertigen Menschen befalle, zuweilen auch törichte Wahn- 
bildimgen hervorbringe, aus denen heraus man auf eine gewisse Intelligenz¬ 
schwäche schließen könne. Kraepelin sieht in der Existenz imd Unkorrigier- 
barkeit der paranoischen Wahnideen an sich bereits einen Beweis psychischer 
Schwäche; Kleist andererseits fand wohl, daß die mangelnde Produktivität des 
Paranoikers gelegentlich den Eindruck von Demenz machen könne, da dadiuch 
die Verstandesleistungen vermindert würden, daß aber ein Ausfall bestimmter 
Leistungen sich nicht erweisen lasse, daß es nur zu einer Abartung der vorhandenen 
komme. Auch Hübner beobachtete nie eine Demenz als Ausgang der Paranoia. 

Unter Schwachsinn darf man nur den Ausfall von Leistungen auf einem 
oder auf allen Gebieten unseres Intellektes verstehen, der entweder dadurch 
hervorgerufen ist, daß Teile des Erfahrungsschatzes, mit denen er zu arbeiten 



Der Krankheitsausgang. 


79 


gewohnt ist, verloren gehen (Gedächtnisschwäche), oder dadurch, daß er un¬ 
fähig wird, neue Erfahrungen anzusarameln (Merkfähigkeitsstörung), oder endlich 
dadurch, daß er die Fäl^keit verliert, sie zu Schlüssen und Urteilen, demgemäß 
zur Richtschnur für das Wollen und Handeln zu verwenden (Urteilsschwäche); 
ferner muß ziun Bestehen einer Geistesschwäche gefordert werden, daß nicht 
ein Ersatz für die eine verminderte intellektuelle Funktion durch eine andere 
zustande kommt, die durch ihre Überwertigkeit die gesunde Entfaltung der 
ersteren hindert und sie in die durch die falsch gewerteten Prämissen geschaffenen 
Bahnen ablenkt. Nach der Beschreibung des die Paranoia charakterisierenden 
Krankheitsverlaufes kann für uns kein Zweifel bestehen, daß ein solcher Defekt 
auf keinem der verschiedenen Gebiete der menschlichen Intelligenz sich findet. 
Auf den meisten Gebieten tritt uns beim Paranoiker in den frühen Stadien der 
Erkrankung im Gegenteile eher eine gesteigerte Regsamkeit entgegen, in den 
späteren dagegen findet eine Uberwucherung eines Teiles der psychischen Funk¬ 
tionen durch andere statt. Der Kranke sammelt eine Unzahl von Erfahrungen, 
die allerdings mit denen Geistesgesunder nicht übereinstimmen, die er zum Teil 
aus ganz anderen Sinneseindrücken schöpft, als sie dem Geistesgesunden zur 
Verfügung stehen. Der Paranoiker behält ferner seinen Erfahrungsschatz un¬ 
geschmälert, derselbe erleidet nur in seiner Psyche eine Umwertung gegen früher 
gemäß den krankhaften Vorstellungen; er bildet endlich aus seinen falsch ge¬ 
werteten Erfahrungen und Vorstellungen durchaus logisch folgerichtige Schlüsse, 
nur daß dieselben, wie oben ausgeführt, entsprechend den wahnhaften Grund¬ 
lagen von denen geistesgesunder Individuen abweichen. Keine dieser Tätigkeiten 
des Intellektes ist somit wirklich erheblich vermindert, manche derselben sicherlich 
verstärkt; es handelt sich also nicht um einen Ausfall an Denktätigkeit, sondern 
um eine Änderung ihrer Richtung, eine Ablenkung gemäß den beherrschenden 
wahnhaften Eindrücken und Vorstellungen, Von einem Defekt ist nicht zu 
sprechen, folglich auch nicht von einem Schwachsinn im gewöhnlichen, oben 
definierten Sinne. Die Ersetzung des Ausdruckes Schwachsinn durch „Urteils- 
schwäche“ gibt der krankhaften Seelentätigkeit des Paranoikers ebenfalls nicht 
den richtigen Namen. Die Urteile an sich zeigen keine Schwäche; immer wieder 
konnte in der Krankheitsbeschreibung die Logik des Paranoikers in seinen Ur¬ 
teilen, seinen Entschlüssen, seinen Handlungen betont werden. Formal sind 
seine Urteile durchaus ähnlich oder gleich denen des geistesgesunden Menschen, 
nur dadurch, daß die Vorstellungen wahnhaft, die Erfahrungen, mit denen der 
Paranoiker arbeitet, falsch gewertet sind, kommt es zu einem Abgleiten der 
Urteilsfähigkeit, die als solche keine sichtbare formale Störung zeigt. Dieselbe 
Ablehnung gilt dem synonymen Begriffe der ,,Kritiklosigkeit“. Man hat auch 
von „Vorstellimgsschwäche“ gesprochen, ein Ausdruck, der keinen präzisen 
Begriff in sich schließt. „Schwach“ ist die wahnhafte Vorstellungstätigkeit des 
Paranoikers keineswegs; im Gegenteil zeigt sie eine derartige Lebhaftigkeit und 
Überwertigkeit, daß sie die denen des Geistesgesunden ähnlichen Vorstellungen 
verdrängt und dadurch eine Korrektur ihrer selbst verhindert. 

Unter der Einschränkung des ganzen Interessenkreises im Sinne des herr¬ 
schenden Wahnsystems, wie sie in den späteren Stadien der paranoischen Er¬ 
krankung sich fortschreitend findet, leidet naturgemäß die Sammlung neuer 
Erfahrungen, die denen des geistesgesunden Individuums gleichen, erheblich. 



80 


Der Krankheitsausgang. 


Eine Lücke dürfte aber dadurch nicht entstehen, da entsprechend der Abnahme 
der allgemeinen Aufnahmefähigkeit für neue Erfahrungen eine immer stärkere 
wahnhafte Vorstellungstätigkeit einsetzt. Als Schwachsinn dürfte aber immer 
nur der unersetzte Ausfall von Verstandesleistungen zu betrachten sein, während 
bei der Paranoia nur eine Einschränkung der großen Masse der Verstandes¬ 
leistungen zugunsten einer einzigen, auf dem Gebiete der Vorstellungstätigkeit 
liegenden Leistung, die überwertig wird, stattfindet. Die Urteilsfähigkeit er¬ 
leidet auch in den späteren Stadien der Erkrankung nur eine naturgemäß immer 
mehr ausgesprochene Einschränkung im oben angedeuteten Sinne. Es wäre 
nun denkbar, daß in den Fällen, die sich im Endstadium durch die beschriebene 
Einförmigkeit des ganzen psychischen Geschehens herausheben, diese Einschrän¬ 
kung aller psychischen Funktionen außer einer einzigen ihren höchsten Grad 
erreichte, daß also auch hier kein unersetzter Ausfall der intellektuellen Tätig¬ 
keiten, sondern nur eine Verdrängung einzelner Gebiete durch ein einzige, 
enorm überwertiges statthätte. Auch auf diese Fälle würde damit die Bezeichnung 
„Schwachsinn“ nicht passen. Daß in einer Anzahl von Paranoiafällen wohl doch 
eine tatsächliche Abnahme der intellektuellen Punktionen auf einer von dem 
Krankheitsprozeß der Paranoia verschiedenen Basis eintritt, wird weiter imten 
besprochen werden. 

Es hat sich somit aus der Analysierung der psychischen Tätigkeit des 
Paranoikers kein Anlaß ergeben, das Vorliegen oder Entstehen eines Schwach¬ 
sinnszustandes, erwachsen auf der Basis des Krankheitsprozesses an sich anzu¬ 
nehmen. In Übereinstimmung mit Kleist kann auch in einer mangelhaften 
Produktivität in den späteren Stadien der Paranoia kein Zustand von Demenz 
gesehen werden, sondern nur eine Abartung der psychischen Leistungen, deren 
Einengung auf ein bestimmtes Gebiet. 

Die Dauer der paranoischen Erkrankung ist, wie schon gelegentlich der 
Besprechung der Paranoia combinatoria ausgeführt wurde, eine unbegrenzte. 
Fälle, deren Ablauf 20, 30, ja 40 Jahre beobachtet wurde, sind nicht selten. Das 
Leiden an sich verkürzt die Lebensdauer nicht, ebensowenig führt es an sich 
zum Tode. Wie schon der Beschreibung des Krankheitsverlaufes zu entnehmen 
ist, ist die Paranoia im Sinne der angegebenen Begriffsbestimmung als eine 
unheilbare Erkrankung zu betrachten. Schon Schüle nannte die Paranoia 
ein unheilbares, höchstens remittierendes Leiden, v. Krafft - Ebing und 
Koch betonten die Seltenheit von Heilungen, die Kirchhoff nur für scheinbare 
hielt. Auch Werner, Scholz, S nell bezeichneten den Ausgang der (chronischen) 
Paranoia in Heilung als zum mindesten sehr selten, betonen aber zum Teil die 
Häufigkeit von Besserungen und kurzen Remissionen. Zwar sind in der Literatur 
Fälle von chronischer Verrücktheit mit dem Ausgange in Genesung beschrieben 
worden, doch handelt es sich wohl in allen Fällen, wie z. B. in denen Kreusers 
nicht mn einwandfreie Fälle von Paranoia im oben umgrenzten Sinne, sondern 
meist um langgestreckte Degenerationspsychosen, manisch-depressive Wahn¬ 
bildungen usw. Auch die Fälle von Bartels und Freyberg sind nicht ein¬ 
wandfrei. Man kann deshalb mit Hübner feststellen, daß die Heilung eines 
klassischen Falles von Paranoia noch nicht beobachtet wurde und muß eine 
Unheilbarkeit der Erkrankung annehmen, wie es auch Kraepelin tut. Während 
aber der Ablauf der Paranoia im wesentlichen ein progressiv dem Ende zu- 



Der Krankheitsausgang. 


81 


eilender ist, kommen nicht allzu selten zeitweise Stillstände der Erkrankung oder 
gar Remissionen der Krankheitsintensität vor. Es ist allerdings schwer, einen 
derartigen wirklichen Nachlaß der Krankheitserscheinungen, vor aUem in den 
Fällen kombinatorischer Paranoia von den Dissimulationsversuchen zu scheiden, 
die diese Kranken zur Erreichung irgendeines Zweckes, der Aufhebung der 
Entmündigung, der Wiedererlangung der Freiheit oder dergleichen unternehmen, 
die sie besonders in den ersten Stadien des Leidens mit äußerster Gewandtheit 
durchführen. Die Fälle kombinatorischer Verrücktheit pflegen wohl aus diesem 
Grunde derartige Remissionen viel häufiger zu zeigen als die halluzinatorischen 
Formen, bei denen Remissionen sehr selten sind. Stets pflegen diese Besserungen 
nur von kurzer Dauer zu sein, die meist irgendein psychogenes Moment beschränkt. 
Auf die Frage der milden und abortiv verlaufenden Wahnformen von paranoi¬ 
schem Gepräge ist zusammen mit der Frage nach einer akuten Paranoia unten 
näher einzugehen. 

Die Todesursachen der Paranoiker sind, wie schon gesagt, nicht in dem 
Leiden selbst zu suchen, sondern in zufälligen Komplikationen, wie sie auch das 
psychisch gesunde Individuum in dem Alter, in dem der größte Teil derartiger 
Kranker stirbt, treffen, soweit nicht der aUgemeine senile Marasmus das Ende 
herbeiführt. Schon während des Lebens weist nach eigenen Erfahrungen, denen 
die Kleists und Bergers im wesentlichen entsprechen, ein großer Prozent¬ 
satz der paranoisch Erkrankten in den späteren Stadien des Leidens die Er¬ 
scheinungen komplizierender chronischer körperlicher Krankheiten auf. So 
•werden Herzerkrankungen, sowohl solche des Herzmuskels wie Herzklappen¬ 
fehler nicht selten bei Paranoikern gefunden, ebenso chronische Nierenentzün¬ 
dungen; auch die Zuckerkrankheit kann eine Komplikation bilden. Vor allem 
aber läßt sich in den meisten Fällen bereits während des Lebens eine Arterio¬ 
sklerose, die häufig recht erhebliche Grade erreicht, nachweisen, die zweifellos 
in manchen Fällen -v^ieder für die Herzerschfeinungen, die Nierenerkrankungen 
verantwortlich zu machen ist, ebenso wie sie die Grundlage für mannigfache 
Erkrankungen der Sinnesorgane, vor allem in den Fällen halluzinatorischer 
Paranoia abgibt; die otosklerotischen Prozesse, die keine Seltenheit bei Para¬ 
noikern sind, die Kataraktbildungen hängen jedenfalls meist mit den arterio¬ 
sklerotischen Veränderungen und ihren Folgeerscheinungen in anderen Organen 
zusammen. Daß die überaus häufigen Residuen von Hirnblutungen bzw. throm- 
bosen fast ausschließlich auf arteriosklerotischer Basis beruhen, ist selbstver¬ 
ständlich. 

Dieser Häufigkeit der Vereinigung des paranoischen Sympt omenkomplexes 
mit stärkerer Arteriosklerose sind wahrscheinlich diejenigen Endformen der 
Paranoia schuld zu geben, bei denen sich eine so erhebliche Einschränkung des 
psychischen Greschehens nachweisen läßt, daß ihre Erklärung nur aus der Über¬ 
wertigkeit der Vorstellungstätigkeit und der damit verbundenen Absperrung 
der anderen intellektuellen Vorgänge eine gezwungene erscheint. Ein Teil der 
in diesen Fällen nachweisbaren Symptome, so eine gewisse mehr minder große 
Sprunghaftigkeit und Zusammenhangslosigkeit der zum Teil wirklichkeitsfremden 
Wahnideen in diesen spätesten Stadien der Erkrankung, ein Teil der mangelnden 
Produktivität, gelegentlich nachweisbare leichte Störungen der Merkfähigkeit, 
die Verbindung von Denkerschwerung gemäß bestimmten Denkaufgaben mit 

Krue er, Die Paranoia. 6 



82 


Der Krankheit^ausgang. 


ideenflüchtiger Mehrleistung, auf die Kleist besonders hinweist, dürften der 
die psychische Erkrankung komplizierenden Sklerose der Hirnarterien zur Last 
zu legen sein. In diesen Fällen ist es berechtigt, von dem Bestehen eines Schwach- 
ßinnszustandes zu sprechen, der aber, worauf bereits oben hingewiesen wurde, 
nicht durch den paranoischen Krankheitsprozeß an sich, sondern als dessen 
Komplikation durch die Arteriosklerose verursacht wd. Daß in ähnlicher 
Weise die Erscheinungen der senilen Demenz komplizierend das Bild der Paranoia 
in den Endstadien stören kann, ist bei dem Alter, in dem sich die Kranken häufig 
befinden, ebenfalls erklärlich, doch scheint diese Komplikation in ausgesprochenem 
Grade äußerst selten zu sein. 

Von selteneren ^Komplikationen sei noch eine erwähnt, weil sie immerhin 
einiges Interesse bietet und wiederholt beschrieben worden ist, nämlich die mit 
Tabes dorsalis und progressiver Paralyse. Dem großen Teile derartiger Ver- 
bindimgen beider Krankheiten gegenüber ist größte Skepsis am Platze, so in dem 
Falle Richters, dessen Wahnideen phantastisch und unbestimmt waren, dessen 
System recht verwaschene Grenzen zeigte, wo zu den Wahnideen bald die ersten 
körperlichen Erscheinungen der Paralyse traten und etwa elf Jahre nach Beginn 
der wahnbildenden Psychose unter apoplektiformen Anfällen der Exitus erfolgte. 
Auch ein ähnlicher Fall Hougbergs, bei dem die Dementia paral^^ica nach 
neunjährigem Bestehen einer mit Wahnbildung und Sinnestäuschungen einher¬ 
gehenden Erkrankung, die als Paranoia hallucinatoria angesprochen wurde, 
diagnostiziert werden mußte, ist nicht einwandfrei. Der Fall Sommers, in 
dem sich zu einer mehrere Jahre bestehenden wahnbildenden Psychose vom 
Charakter der Paranoia eine Tabes und ii^ den letzten Lebensmonaten nach 
mehrjährigem Bestehen dieser Verbindung auch paralytische Erscheinungen 
hinzugesellten, ist schon eher für ein Nebeneinandervorkommen der genannten 
Krankheiten zu verwerten. Als beweisend für die Komplikation der Paranoia 
mit metasyphilitischen Erkrankungen sind vielleicht die nicht ganz seltenen 
Fälle anzusehen, in denen eine Tabes allein die Wahnpsychose vom Charakter 
der Paranoia begleitet oder eine paranoische Geistesstörung zu einer Tabes 
dorsalis sich hinzugesellt, ohne daß bis zum Exitus ein paralytisches Symptom 
sich zeigt. Ob in diesen Fällen die neuro- bzw. pyschopathische Konstitution 
den Boden für die spezifische und die paranoische Erkrankung abgibt, sei da¬ 
hingestellt. 

Der Tod erfolgt in den Fällen von Paranoia durch Versagen der meist 
schon lange Zeit hindurch krankhaft veränderten Organe bzw. durch interkurrente 
Krankheiten, wie sie auch dem geistesgesunden senilen Individuum gefährlich 
werden. In einem Teile der Fälle macht die Hirnblutung oder ihre Folge dem 
Leben des Paranoikers ein Ende, was durch die Häufigkeit arteriosklerotischer 
Veränderungen bei diesen Kranken sich erklärt. 

Der positiven Obduktionsbefunde, soweit sie anatomische Gehimver- 
änderungen als die mutmaßliche Grundlage des paranoischen Krankheitsprozesses 
aufweisen, sind nur sehr wenige. Außer in den Fällen Meynerts, der die Para¬ 
noia von einer Atrophie des Hirnstammes und des Kleinhirns abhängig machen 
wollte, und Benedicts, der bestimmte Windungsanomalien des Gehirns mit 
dem paranoischen Symptomenkomplex in ursächliche Verbindung brachte, 
sind die Ergebnisse der makroskopischen wie mikroskopischen (z. B. Berger) 



Der Krankheitsausgang. 


83 


Himimtersuchung bei dieser Erkrankung, die demgemäß zu den funktionellen 
(Jeistesstörungen zu rechnen ist, negativ gewesen. Auch das Himgewicht in 
Paranoia verstorbener Individuen bzw. sein Verhältnis zum Schädelrauminhalt 
hält sich, wie eigene Untersuchungen ergaben, durchaus in den Grenzen der für 
Geistesgesunde desselben Lebensalters gefundenen Größen. Die Ergebnisse der 
Untersuchung mittels der Abderhalden sehen Methode waren, soweit solche 
gemacht und veröffentlicht wurden, sämtlich negativ (z. B. Berger, Mayer). 
Ein Fall von „akuter Paranoia“, in dem Gramer krankhafte Veränderungen 
des Gehirnes fand, gehört nicht zur Verrücktheit im oben umgrenzten Sinne. 
Allgemein wird deshalb die Ansicht ausgesprochen, daß spezielle anatomische 
Veränderungen des Gehirns bei der Paranoia nicht bestehen. Abgesehen ist dabei 
von einer Gruppe von Befunden, die fast immer erhoben werden können, den 
Veränderungen arteriosklerotischer Natur. Starke Sklerose der Himgefäße, 
Wandveränderungen bis zu den kleinsten Ästen, Erweichungsherde im Gehirn 
oder doch die Residuen solcher, frische Hirnblutungen, die den Exitus herbei¬ 
führten, sind außerordentlich häufige anatomische Veränderungen, weit häufiger, 
auch viel stärker und früher vorhanden, als sie bei anderen in psychischen Er¬ 
krankungen Verstorbenen oder gar bei Geistesgesunden sich finden. Anschließen 
sich ihnen die mannigfachsten pathologischen Veränderungen in den übrigen 
Körperorganen, die zum Teil ebenfalls arteriosklerotischen Ursprunges sind: 
Herzmuskelentartung, Klappenfehler, starke periphere Arteriosklerose, Schrumpf¬ 
niere, Niereninfarkte usw. 

Diese Erscheinungen sind so ausgesprochen, daß sie bereits von Seelert 
zur Erklärung des paranoischen Krankheitsprozesses herangezogen worden sind. 
Seelert schließt, daß im Hinblick auf die bei fast allen dieser Kranken in Er¬ 
scheinung tretenden zerebralen Symptome organischer Genese und unter Berück¬ 
sichtigung der bei vielen dieser Kranken nachgewiesenen abnormen psychischen 
Konstitution mit Äußerungen auf affektivem Gebiete, sowie unter Berücksich¬ 
tigung der engen symptomatologischen Beziehungen zwischen dem Krankheits¬ 
bilde der Psychose und den abnormen Wesenszügen der endogenen Veranlagung 
daran zu denken ist, daß die Symptomatologie dieser paranoiden Psychosen des 
höheren Lebensalters eine endogen bedingte individuelle Reaktionsform auf 
einen langsam verlaufenden zerebralen Prozeß darstellt, wobei er in erster Linie 
an die Arteriosklerose denkt. 

Es ist bereits an anderer Stelle auf die vielen gemeinsamen Züge hingewiesen 
worden, die das Denken und Fühlen des Paranoikers mit dem des alternden Men¬ 
schen hat. Es wurde dort die Parallele gezogen zwischen der starken egozentri¬ 
schen Einengung des Interessenkreises und den daraus folgenden Veränderungen 
der gesamten Persönlichkeit, wie sie sich im normalen Senium findet, und dem 
gleichen Vorgänge in der Paranoia. Die Neigung zu Unbelehrbarkeit und Recht¬ 
haberei, die mangelnde Fähigkeit zur Korrektur einmal haftender Vorstellungen 
durch neue Eindrücke, das Mißtrauen, das häufig durch die Abnahme der Funk¬ 
tionen der Sinnesorgane unterstützt wird, das Kleben an den alt erworbenen 
Vorstellungskomplexen mit der damit zusammenhängenden Überschätzung 
früherer Erfahrungen und vergangener Zeiten, kurz die langsam fortschreitende 
allgemeine Erstarrung alles psychischen Geschehens, die die Unfähigkeit, neue 
Eindrücke aufzunehmen, mit den alten zu verbinden und damit neue Erfah- 

6 * 



84 


Der Krankheit^ausgang. 


rungen dem Wissensschatze einzuverleiben, mit der Neigung zu dem Gefühl 
der Ziuücksetzung, entsprungen aus einer gewissen Einsicht in die Abnahme 
der psychischen Funktionen bei leicht gehobenem Selbstgefühl verbindet, gibt 
dem alternden Individuum zu einer Zeit, wo bereits die psychische Lebendigkeit 
nachläßt, die Stärke der Affekte abnimmt, das Gefühl des Schwdndens der kör¬ 
perlichen Kräfte den Menschen lähmt, Wesenszüge, die in ganz ähnlicher Form 
dem Paranoiker noch auf der Höhe seiner intellektuellen Fähigkeiten und körper¬ 
lichen Kräfte, besonders im Vollbesitze der Ansprechbarkeit seiner Affektivität 
eigen sind. Dem Festklammern an den alteingewurzelten Erfahrungen und 
Vorstellungen des Seniums entspricht im Bilde der Paranoia die einseitige Ver¬ 
bohrtheit in die wahnhaften Ideen, die Neigung zum Gefühle der Ziuücksetzung 
wird zum Verfolgungswahn, das Mißtrauen des Senilen führt beim Paranoiker 
zu Beziehungsideen, die Rechthaberei wird zu Selbstüberschätzungsvorstellungen 
und querulatorischen Tendenzen. Alle Erscheinungen entstehen in beiden Zu¬ 
ständen auf dem Boden einer starken Einschränkung des geistigen Horizontes, 
die im egozentrischen Sinne vor sich geht. 

Es scheint deshalb nicht, wie Kraepelin u. a. annehmen, ein krankhaftes 
Verharren der Psyche auf der Stufe kindlicher Denkgewohnheiten, eine man¬ 
gelnde Reifung der geistigen Persönlichkeit, mit anderen Worten eine psychische 
Mißbildung, die unter dem Einflüsse der Lebensreize bestimmte Umwandlungen 
erfährt, dem paranoischen Eirankheitsprozeß zugrunde zu liegen, sondern im 
Gegenteil ist die Paranoia als eine frühzeitige oder doch übermäßig stark ent¬ 
wickelte Alterserscheinung anzusehen, die der vorzeitige Aufbruch der Lebens¬ 
kräfte, die mangelhafte Regenerationsfahigkeit des Organismus zustande bringt. 
Diese vorzeitige Abnutzung wieder ist nicht die Folge gesteigerter Lebensvor¬ 
gänge, wie sie wohl zum Teil für die pathologisch starke Ausprägung der senilen 
psychischen wie körperlichen Erscheinungen verantwortlich gemacht werden 
kann, sondern eine Folge der mangelhaften Anlage des Organes unserer Psyche, 
wie sie bereits in jungen Jahren in der psychopathischen, speziell paranoischen 
Konstitution sich kundgibt, die schon unter dem Einfluß normaler psychischer 
Insulte, die der Kampf ums Dasein mit sich bringt, je nach der Stärke der i)sycho- 
pathischen Veranlagung früher oder später eintreten kann. Eine solche Ab¬ 
nutzung ist bei diesen Individuen aber nicht nur auf dem Gebiete der psychischen 
Funktionen, deren Sitz man in der Hirnrinde zu vermuten berechtigt ist, zu 
konstatieren, sondern auf dem Gebiete aller oder der Mehrzahl der Körperorgane 
deutlich, vor allem auch an den Gefäßen, deren sklerotische Veränderungen 
wdeder aus einer kongenitalen mangelhaften Anlage des ganzen Systems zu er¬ 
klären ist, so daß die häufige, oft prämature Arteriosklerose und die paranoische 
Erkrankung als einander parallel verlaufende Äußerungen der gleichen 
angeborenen Mangelhaftigkeit der Anlage zu betrachten sind, nicht etwa die Arterio¬ 
sklerose die Grundlage für die Paranoia abgibt, wofür auch die Unterschiede, die das 
psychische Bjankheitsbild, wie es reinen arteriosklerotischen Hirnveränderungen 
entspricht, von der Paranoia aufweist, sprechen. Daß andererseits die heftigen Ge¬ 
mütsschwankungen, die den Verlauf der Paranoia kennzeichnen, ihrerseits ein ur¬ 
sächliches Moment für die Entstehung der Atherosklerose mit abgeben, ist nach 
unserer Kenntnis von der Abhängigkeit stärkerer Gefäßdruckschwankungen von 
psychischen Prozessen wohl möglich, genügt aber allein nicht zu ihrer Erklärung. 



Die Behandlung. 


85 


Die Paranoia in der hier angenommenen Umgrenzung ist demnach als 
eine prämature Alterserscheinung zu betrachten, entstanden durch eine mangel¬ 
hafte Fähigkeit des Organismus, den durch die gewöhnlichen Lebensvorgänge 
entstandenen Aufbruch an Gehirnsubstanz durch regenerative Prozesse auszu¬ 
gleichen, die ihrerseits wieder auf einer angeborenen fehlerhaften Anlage des 
Zentralnervensystems (wie sämtlicher Körperorgane), die eine geringere Wider¬ 
standskraft im Kampfe ums Dasein mit sich bringt, beruht. 

Die Behandlung. 

Die ausgebildete Paranoia muß, wie bereits oben gesagt, als ein unheil¬ 
bares Leiden betrachtet werden. Gemäß der angenommenen Ätiologie und der 
Art des Krankheitsprozesses kann von einer medikamentösen usw. Behandlung 
nichts erwartet werden. Neben der symptomatischen Behandlung und der Frage 
nach der Zweckmäßigkeit der Unterbringung in einer offenen oder geschlossenen 
Pflegeanstalt ist an dieser Stelle vor allem die Möglichkeit vorbeugender Ma߬ 
nahmen ins Auge zu fassen. 

Die Forderungen einer Hygiene des Nervensystems können sich natur¬ 
gemäß nur auf Maßregeln erstrecken, die einmal eine psychische Abhärtung, 
eine langsame Vorbereitung und Gewöhnung an die Einbrüche, die unserer 
Psyche im Lebenskämpfe drohen, erstreben, andererseits eine Schonung der 
psychischen Leistungsfähigkeit zum Zwecke haben. Für beide Punkte, besonders 
den ersteren ist die Jugend des Individuums, die Lehrzeit im weitesten Sinne, 
vor allem bereits die Kindheit, in der es noch im Schutze und unter der Aufsicht 
des Elternhauses steht, am geeignetsten, in ihr muß es an das Gemeinschafts¬ 
leben, das später von ihm gefordert wird, gewöhnt, muß seinem Denken eine 
Richtung gegeben werden, die ihm die Einfügung in das Getriebe des staatlichen 
Gemeinwesens ermöglicht, muß es lernen, asoziale bzw. antisoziale Eigenschaften 
zu unterdrücken und sich den sittlichen Anschauungen seiner Umgebung anzu- 
passen. Die Wege, die dem Erzieher zur Erreichung dieses Endzweckes zur 
Verfügung stehen, die Möglichkeiten, die Psyche des Kindes und Jugendlichen 
zu stählen, decken sich mit den Lehren der psychischen Hygiene für die Erziehung 
psychopathischer bzw. neuropathischer Individuen überhaupt, wie sie von be¬ 
rufenerer Seite aufgestellt wurden. Als für die Unterdrückung und Eindämmung 
der paranoischen Konstitution an sich wichtig seien aber doch einige (Sesichts- 
punkte im folgenden besonders hervorgehoben. 

Der erste Punkt betrifft die Notwendigkeit, schon das Kind von der eigenen 
Person abzulenken. Die egozentrische Einengung der Interessensphäre 'fanden 
wir als vor allem die paranoische Konstitution kennzeichnend, ihre krankhafte 
Ausbildung besonders die Erscheinungen der Paranoia als solcher vermittelnd. 
Dieses Hervortreten des eigenen Ich unter teilweiser Verdrängung altruistischer 
Gedankengänge ist nicht nur bei den hochmütigen, herrischen Naturen, den 
empfindlichen, leicht verletzten, mißtrauischen, den grüblerischen, frömmelnden, 
ebenso den verschlossenen, einsamen Menschen grundlegend, sondern es bildet 
sich auch bei den schüchternen, bescheidenen Individuen heraus, bei denen der 
Hang zur Träumerei und zum ungezügelten Walten der Phantasie der Beschäfti¬ 
gung mit dem eigenen Ich Vorschub leistet. (Jerade diese letzteren Wesenszüge 
sind zweifellos vielen derartigen Individuen äußerst verderblich; sie müssen in 



86 


Die Behandlung. 


späterer Zeit zu Konflikten mit der Umgebung, zu unangenehmen Lebenslagen 
führen, sobald die soziale Position dem Individuum nicht eine dauernde Be¬ 
schäftigung nach seinem Sinne ohne den Zwang, für den eigenen Lebensunter¬ 
halt zu sorgen, gestattet. Die Bevorzugung einer egozentrische Gedankengänge 
fördernden Beschäftigung, von Spielen, die die eigene Person zum Mittelpunkte 
des Denkens und auch des äußeren ICreises machen, die zum Teil ja als physio¬ 
logischer Bestandteil der psychischen Leistungen des Kindes anzunehmen ist, 
muß demnach mit allen Mitteln hintangehalten werden. Dazu gehört nicht zum 
wenigsten, daß dem Kinde ausreichende Gelegenheit geboten wird, sich durch 
den Verkehr mit Altersgenossen andere, von den eigenen abweichende Denk¬ 
richtungen zugänglich zu machen, daß unter Umständen auch durch Anwendung 
eines gewissen Zwanges die dauernde Beschäftigung, das dauernde Spiel nur 
mit sich selbst verhindert wird. Das Band, das mit Altersgenossen herumtollt, 
sich auch einmal an weniger passende Elemente anschließt, hat viel mehr Gelegen¬ 
heit, sich für das Gemeinschaftsleben, das seiner wartet, vorzubereiten, ihm wird 
die Anpassung an andere, oft unter Hintansetzung der eigenen Wünsche und 
Strebungen, wesentlich erleichtert, es wird weniger egoistisch denken lernen, 
ohne daß es darum seine Individualität gänzlich zu verlieren braucht. Vor allem 
aber werden soviel Eindrücke aus den verschiedenen Gebieten, auch unange¬ 
nehmer Art auf sein Gemüt einstürmen, daß es zu einem träumerischen Sichein¬ 
spinnen in die eigenen Lieblingsgedanken, in die Produkte der eigenen Phantasie 
nicht kommt, und, wenn ihm auch das Gefühl, das den Menschen zu seinesgleichen 
treibt, nicht eingeimpft werden kann, so wird es doch die Sperrungen, die es 
dem ihm innewohnenden dunklen Drange nach Geselligkeit entgegensetzt, über¬ 
winden, das Gemeinschaftsleben als ein unvermeidliches Übel betrachten und 
ertragen lernen. Falsch ist es sicher, vom Kinde, vor allem auch vom Psycho¬ 
pathen alle peinlichen und unangenehmen Eindrücke femzuhalten, womit 
immer eine Einseitigkeit des Urteils gezüchtet wird, die wieder einseitige Vor¬ 
stellungen von Gut und Böse, von der Umwelt hervorruft; durch die nach und 
nach gesammelten Erfahrungen auch unangenehmerer Art in der Kindheit ab¬ 
gehärtet, werden die Individuen befähigt, die Summe der im späteren Leben 
sicher eintretenden Konflikte mit der Umgebung zu verarbeiten und nicht da¬ 
durch erschreckt und verbittert in paranoische Denkrichtungen flüchten. 

Die gleichen Gesichtspunkte haben natürlich in noch verstärktem Maße 
für die spätere Kindheit, die Lernzeit, Geltung, für die Zeit, in der die ersten 
Stürme des Lebens das der dauernden Obhut der Eltern entwachsende Indivi¬ 
duum treffen, in denen es gezwungen ist, mehr und mehr auf eigenen Füßen 
zu stehen. Zugleich gibt während dieses Lebensabschnittes die Schule Gelegen¬ 
heit zu einseitiger Gedankenkonzentration, vor allem in einer Zeit, wo die Gefahr 
besteht, daß halb- oder mißverstandene Begriffe auf die Denkvorgänge des 
jugendlichen Psychopathen einen über Gebühr großen Einfluß gewinnen. Die 
Ablenkung von zu intensiver Beschäftigung mit einem bestimmten Fache, aus 
dem später das paranoische Lieblingsstudium, die paranoische Sammelwut 
entsteht, aus dem die paranoischen Größenideen genommen werden, ist dringend er¬ 
forderlich, wobei ein Einblick auch in ferner liegende Gebiete menschlicher Tätigkeit, 
Handwerke, Künste und dergleichen ein geeignetes Ablenkungsmittel und damit 
einen Schutz gegen alle Einseitigkeit, die derartigen Individuen schadet, darstellt. 



Die Behandlung. 


87 


Zu den wichtigsten Aufgaben der psychischen Hygiene gehört bei diesen 
paranoischen Konstitutionen ferner die bereits frühzeitige Beeinflussung der 
Affektivität, entsprechend der hohen Bedeutung, die der Gefühlsbetonung in 
der Paranoia zuerkannt werden mußte. Ein mildernder Einfluß auf die Affekt¬ 
ausbrüche des Blindes in Güte oder auch mit Strenge am rechten Orte, die Er¬ 
ziehung zur Selbstbeherrschung, ohne dabei die affektive Spannung ganz zu unter¬ 
drücken, vor allem die Verminderung der affektiven Komponenten, soweit sie 
mit dem eigenen Ich in Verbindung stehen, ist als das erstrebenswerte Ziel zu 
betrachten. Auch hierbei hat die Erziehung schon in der frühesten Kindheit 
zu beginnen, auch hier wird der Verkehr mit Altersgenossen vor allem mildernden 
Einfluß ausüben, werden auch die das Individuum treffenden unangenehmen 
Erfahrungen besonders wohltätig einwirken. Anzuschließen ist der Einwirkung 
auf die Affektivität die Erziehung zur Selbständigkeit, mit der ein erhebliches 
Maß von affektiver Gleichmäßigkeit notwendig verbunden ist. 

Von größter Bedeutung ist für den Psychopathen überhaupt, die para¬ 
noischen Konstitutionen im besonderen schon in jungen Jahren die Regelung 
der Lektüre. Alles, was geeignet ist, einmal Affektstürme im Kinde zu erregen, 
andererseits die an sich lebhafte Einbildungskraft zu verstärken, zu Träumereien 
und phantastischen Gedankengängen zu führen, endlich jede einseitige Lektüre 
ist für derartige Individuen ungeeignet. Die Auswahl, die unsere Jugendschriften 
bieten, ist eine so reichhaltige, daß es Eltern und Erziehern ein leichtes ist, gerade 
das für das spezielle kindliche Gemüt Passende herauszufinden. Dieses Passende 
liegt aber häufig nicht in dem, was das Kind sich wünscht, wonach es strebt; 
eine einseitige Lektüre, wie sie derartige Kinder erstreben, kann nur berufen 
sein, der angeborenen einseitigen Denkrichtung Stoff zu neuen Gedankengängen 
zu geben und damit die Anlage zu verstärken. Das gilt sowohl von den auf 
Märchenerzählungen, später auf Räuber- und Indianergeschichten erpichten 
Kindern, wie den einseitig andere Gebiete unserer Literatur verschlingenden 
Individuen. Hier sollte die Erziehung eingreifen, nicht blind den Wünschen 
des Kindes folgen, sondern in verständiger Auswahl aus dem reichen Materiale 
richtunggebend in den Geschmack des Kindes eingreifen, vor allem durch eine 
größere Mannigfaltigkeit und größeren Wechsel der Art der Lektüre, die die 
Geschichte und die verschiedenen Gebiete der Naturwissenschaft bereits früh 
in den Gesichtskreis des Kindes einzuführen hat, der Einseitigkeit der Neigimgen 
und Geschmacksrichtung Vorbeugen und so verhindern, daß gewisse Gebiete 
im Vorstellungsleben, die durch die Anlage bereits zur Überwertigkeit neigen, 
dauernd neue Nahrung erhalten, damit weiter ausgebildet und mit besonders 
starken Affekten versehen werden. Daß dem Anschauungsunterricht mit seiner 
lebhaften Anregung zur Sammlung der verschiedenartigsten Erfahrungen ein 
hervorragender Platz im Unterrichte derartiger Individuen gebührt, ist leicht 
erklärlich. 

Die Erziehung solcher psychopathischen Kinder hat demnach im wesent¬ 
lichen eine ausgleichende Wirkung auszuüben, den in der Anlage begründeten 
Strebungen andere entgegenzusetzen, die jene mildern und unschädlich machen. 
Die größte Gefahr, der Paranoia zuzutreiben, liegt aber in der Zeit nach der 
Kindheit, wo die Individuen in die Lage kommen, auf eigenen Füßen stehen, 
ihren Lebensunterhalt erwerben, den Daseinskampf führen zu müssen. Für diese 



88 


Die Behandlung. 


Zeit wird man ihnen in vielen Fällen noch einen Halt durch die Wahl eines ge¬ 
eigneten Berufes mitgeben können. Auch hierfür gelten die gleichen Gesichts¬ 
punkte, wie sie als für die Erziehung des Kindes maßgebend erörtert wurden. 
Jeder Beruf, der die Neigung zur Einseitigkeit, zu grüblerischer Beschäftigung, 
zur Anspannung des gesamten Denkvermögens in einer einzigen Richtung in 
sich trägt, ist für diese Individuen unangebracht. Dahin gehört jede Tätigkeit, 
die nicht ausgesprochen praktische Tendenzen verfolgt, in gewissem Grade 
schon das Studium, mehr noch die gelehrten Berufe, rein wissenschaftliche Be¬ 
schäftigung, die zudem den Hang zur Einsamkeit mancher paranoischer Psycho¬ 
pathen unterstützt. Berufe, die das Individuum in einem dauernden Verkehr 
mit der Mitwelt erhalten, dabei keine allzu große Verantwortlichkeit in sich 
bergen, dürften die geeignetsten sein; vor allem kommen dabei die praktischen 
Berufe in Frage. Andererseits ist die Anleitung zu einer regelmäßigen beruflichen 
Beschäftigung mit einem bestimmten Kreise von Pflichten von größtem Nutzen, 
wichtig auch für den weiblichen Teil derartiger Psychopathen, die, ungeeignet 
zur Ehe, besonders in den besseren Ständen schon aus Mangel an der Ablenkung, 
die die Berufsarbeit gewährt, zum grüblerischen Nachdenken über ihre Lage 
und zum paranoischen Ausspinnen ihrer Verhältnisse kommen. Hierin, im Verein 
mit der früheren eigenartigen Erziehungsform der weiblichen Jugend, die die 
Unselbständigkeit direkt großzog, und in dem Falle, daß das Ziel dieser Erziehung, 
die Ehe, derartigen Individuen versagt blieb, sie unbefriedigt, verbittert durch 
das Mißgeschick der Ehelosigkeit einem altjüngferlichen, zimperlichen Wesen 
mit Neigung zu Beziehungsideen und wirklichkeitsfremden Träumereien über¬ 
lieferte, ist auch der Grimd für das starke Überwiegen des Ledigenstandes unter 
den weiblichen Paranoikern zu suchen. 

Die Wahl des Berufes regt zur Besprechung der Forderung möglichster 
psychischer Schonung derartiger Individuen an. Es ist für sie viel besser, wenn 
ihr Wissen und Können mehr an der Oberfläche bleibt, die Intensität der Be¬ 
schäftigung mit den einzelnen Disziplinen nicht zu hohe Grade erreicht. Da¬ 
neben ist jede geistige Überanstrengung ebenso wie jede gemütliche Erschütterung 
von Nachteil, da gemäß der gegebenen Theorie des Krankheitsprozesses als 
vorzeitiger Alterserscheinung dem allzu raschen Auf brauch der psychischen 
Kräfte nach Möglichkeit vorgebeugt werden muß. 

Mit den skizzierten psychischen Vorbeugungsmaßregeln ist sicher nicht 
in allen Fällen das Entstehen der paranoischen Erkrankung zu verhindern, 
aber es ist doch anzunehmen, daß mit einer sachgemäßen Erziehung der großen 
Masse unserer psychopathischen Kinder auch die ausgebildete Paranoia seltener 
wird; es dürfte häufig doch gelingen, der paranoischen Konstitution soviel von 
ihrer Eigenart zu nehmen, den Haushalt der psychischen Kräfte derart zu regeln, 
daß das Individuum sich zum mindesten sein ganzes Leben hindurch auf einer 
erträglichen Stufe paranoischer Eigenheiten hält, die ihm erlaubt, noch ein brauch¬ 
bares Glied der menschlichen Gesellschaft abzugeben. 

Einer symptomatologischen Behandlung bedürfen im Krankheitsverlaufe 
der Paranoia im wesentlichen nur die interkurrenten Erregungszustände. Meist 
wird es gelingen, durch Bettruhe und größere Dosen Brom, die sich außerordent¬ 
lich zu bewähren pflegen, diese Zustände abzukürzen bzw. ihnen vorzubeugen. 
Von den Brompräparaten hat das Sedobrol neben der prompten Bromwirkung 



Die Behandlung. 


89 


den Vorzug, daß es dem Eiranken beigebracht werden kann, ohne daß durch den 
Widerstand gegen das Einnehmen einer Medizin, die meistens mit der Begründung 
der völligen Gesundheit abgelehnt wird, die Erregung hoch verstärkt wird, 
bzw. zu den schon vorhandenen Beeinträchtigungsideen noch solche der Ver¬ 
giftung kommen, soweit nicht die schon bestehenden Vergiftungsvorstellungen 
vermehrt werden. In den höhergradigen Erregungszuständen muß man Veronal 
oder ein ähnliches Mittel geben, daneben Strenge Bettruhe, wenn möglich im 
Einzelzimmer, die namentlich bei halluzinierenden Kranken durch den Mangel 
äußerer Sinneseindrücke sehr günstig wirkt, anordnen. Auf die Bestrebungen 
der Psychanalytiker, die Paranoia durch psychische Beeinflussung, durch die 
Überredungskunst zu heilen, braucht unter Hinweis auf frühere Ausführungen 
nicht eingegangen zu werden. 

Nur in einem Teile der Paranoiafälle ist die Behandlung und Pflege in einer 
Irrenanstalt notwendig. Ganz allgemein muß gesagt werden, daß die Unterbrin¬ 
gung in der geschlossenen Anstalt und die Zurückhaltung in ihr auf den Paranoiker 
durchaus ungünstig einwirkt. Er erhält durch die Tatsache der Anstaltsinter¬ 
nierung selbst in den allermeisten Fällen den Grund zur Ausbildung neuer Be¬ 
einträchtigungsideen, die gemäß der einschneidenden Wirkung, die die Anstalts¬ 
aufnahme mit ihren gesetzlichen Folgen, vor allem der großen Beschränkung 
des Selbstbestimmungsrechtes, die diesen Kranken völlig klar sind, bedeutet, 
meist lebhafte Erregungszustände hervorrufen bzw. die Erregung, derentwegen 
die Internierung erfolgen mußte, noch zu verstärken pflegen. Aber auch später 
wirkt der Anstaltsaufenthalt absolut schädlich auf derartige Individuen ein; 
es ist unvermeidlich, daß sie mit ihren Verfolgungs-, besonders aber mit ihren 
Größenideen ihrer Umgebung lästig fallen, bei ihr Anstoß erregen oder ihren 
Spott herausfordern, daß daraus mannigfache Konflikte resultieren, die geeignet 
sind, das an sich schon stets sehr labile Gleichgewicht der Kranken zu stören. 
Daß der notgedrungen enge Verkehr mit einer größeren Anzahl von Menschen 
ebenfalls schädlich auf den Paranoiker einwirkt, ist verständlich. Die Beruhigung, 
die der nivellierende Einfluß des gleichmäßigen Gretriebes einer Pflegeanstalt 
auf die Kranken ausüben kann, vermag den Grund zu dauernder Erregung, der 
in der wider den Willen des Individuums erfolgenden Zurückhaltung in ihr, 
die wahnhaft ausgebeutet wird, liegt, nicht aufzuwiegen. Derartige Kranke stellen 
deshalb meist die schwierigsten Elemente unserer Anstalten dar mit ihrem dauern¬ 
den Querulieren, ihrer Neigung zum Hetzen, ihren raffinierten Ausbruchsversuchen. 

Die Anstaltsaufnahme wird je nach der Art des Wahnes früher oder später 
in Frage gezogen werden müssen. Je nach dem Hervortreten, der Lebhaftigkeit 
Tind der Affektstärke der Beeinträchtigungsvorstellungen wird das Individuum 
kürzere oder längere Zeit sich in der Freiheit zu halten vermögen. Auch die 
Wahnrichtung und -form ist oft ausschlaggebend. Der eifersuchtswahnsinnige 
Ehegatte wird für seine Familie viel eher unerträglich werden als die allein¬ 
stehende Paranoikerin mit allgemeinen Verfolgungsideen für ihre Umgebung; 
der Größenwahnsinnige wird im allgemeinen viel länger in der Freiheit zu er¬ 
tragen sein als der angriffsfreudige Verfolgungswahnsinnige, der persöcute 
pera6cuteur Magnans. Der Querulant endlich wird mit seiner oft gegen die 
Staatsgesetze und die staatliche Ordnung verstoßenden Handlungsweise weit 
eher der polizeilichen Einweisung in die geschlossene Anstalt anheimfallen als 



90 


Die Behandlung. 


der harmlose Verfolgungs- oder Größenwahnsinnige ohne querulierende Ten¬ 
denzen. Es ist deshalb in hohem Grade von der Art und Richtung des Wahnes 
abhängig, ob sich das paranoische Individuum dauernd in der Freiheit zu halten 
vermag, ob erst nach jahrelangem Fortschreiten der Erkrankung die Einweisung 
in die Anstalt notwendig wird, ob endlich dieselbe bereits nach kurzem Bestehe 
des Wahnes erfolgen muß. Ein weiteres Moment, das die Frage nach der Not¬ 
wendigkeit der Anstaltsinternierung oft entscheidet, ist die soziale Lage des 
Kranken. Individuen, die gezwungen sind, sich trotz ihrer paranoischen Er¬ 
krankung ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, werden mit der Unfähigkeit 
dazu, die ihrerseits wieder eine Summe von Wahnideen zu bedingen vermag, 
der Armenpflege imd damit der Irrenanstalt verfallen, während andererseits 
Individuen mit derselben Wahnform in entsprechender Vermögenslage, soweit 
durch einsichtige Verwandte oder Pfleger die nötige Aufsicht und Sorge für sie 
ausgeübt wird, bis an ihr Lebensende in der Freiheit *bzw. im offenen Sanatorium 
gehalten werden können. Endlich wird die Notwendigkeit des Anstaltsaufent¬ 
haltes in etwa abhängig sein von dem Verlaufe der Erkrankung, besonders von 
dem Auftreten oder Ausbleiben stärkerer Erregungszustände oder doch der 
Häufigkeit derselben. Die größere Lebhaftigkeit, mit der die Wahnvorstellungen 
sich in diesen interkurrenten Zuständen in den Vordergrund drängen, vor allem 
die Neigung zu Affekthandlungen in ihnen, die bis zur Gewalttat gehen können, 
geben in den meisten Fällen den letzten Anstoß zur Einweisung in die Pflegeanstalt. 
Der letztere Umstand ist wohl auch der Grund dafür, daß die Kranken mit rein 
kombinatorischem Wahnsystem sich durchschnittlich länger in der Freiheit zu 
halten vermögen als diejenigen mit Halluzinationen oder auch die Querulanten, weil 
in den beiden letzteren Gruppen, wie bei der Besprechung der Krankheitserschei¬ 
nungen ausführlicher geschildert wurde, weit eher Erregungszustände das ein¬ 
tönige Krankheitsbild zu imterbrechen pflegen, überhaupt die Affektivität eine 
viel lebhaftere ist als bei den kombinatorischen Paranoikern. Diese Tatsache, 
besonders daß halluzinierende Paranoiker weit früher der Irrenanstalt zugeführt 
werden müssen als solche mit rein kombinatorischer Wahnbildimg dürfte auch 
den Unterschied erklären, den die nachfolgende eigene Zusammenstellung über 
die Dauer der Erkrankung bis zur Notwendigkeit der erstmaligen Anstaltsauf¬ 
nahme gegenüber der Kraepelins zeigt: 

Kraepelin: Dauer 3 4 5 6 7 8 9 10 12 14 17 21 26 41 44 Jahre 
"Fälle 61111123111111 
Eigene Beobachtungen: Dauer 1 2 3 4 5 6 8 9 10 12 18 21 28 34 Jahref 

Fälle 67522341 51 1 1 1 1 

Wenn Kraepelin fand, daß die Hälfte der Kranken mehr als 9 Jahre 
trotz ihrer Paranoia ungestört in der Freiheit leben konnte, so ergibt die eigene 
Beobachtungsreihe, daß doch ein recht erheblicher Teil (fast die Hälfte) in den 
ersten 3 Jahren nach dem feststellbaren Ausbruch der Erkrankung der Pflege 
der geschlossenen Anstalt bedurfte. Daß Daten über den eigentlichen Krank¬ 
heitsausbruch oft schwer sicherzustellen sind, ist bereits oben wiederholt betont 
worden. Immerhin ergibt sich aus beiden Zusammenstellungen, daß eine recht 
erhebliche Anzahl von Paranoikern der Anstaltspflege erst nach langjähriger 



Die Behandlung. 


91 


Erkrankung bedarf, wobei noch hervorzuheben ist, daß oft nicht die Unerträglich¬ 
keit des Wahnes bzw. der ihm entspringenden Handlungsweise für die Umgebung 
den letzten Grund zur Einweisung in die Anstalt abgibt, sondern die sozialen 
Momente, die Unfähigkeit zum selbständigen Broterwerb, der Mangel an Obhut 
in der Familie usw. sie erzwingen. 

Ein Teil der Paranoiker ist in beiden Beziehungen so gut gestellt, daß er 
sich bis an sein Lebensende in der Freiheit zu halten vermag. Es gehört dazu 
einmal eine günstige soziale Lage, andererseits ist es außer von der Wahnform 
oft auch von äußeren Umständen, dem Verständnisse, das die Behörden, die 
Richter dem Querulanten entgegenbringen, der Nachsicht, die die Polizeiorgane 
üben, dem guten Willen mitleidsvoller Anwohner, vor allem dem Verständnisse 
und der Sorgfalt der Angehörigen abhängig, daß ortsbekannte Verrückte vor 
dem Irrenhause bewahrt werden. Diese Möglichkeit, derartige Kranke in sehr 
vielen Pallen in Freiheit zu halten, sie oft auch in nutzbringender Tätigkeit zu 
erhalten, allem Anscheine nach bei gleichmäßigerer Affektivität als es in der 
geschlossenen Anstalt möglich kt, die vielen Reibungsflächen, die die letztere 
bietet, zu vermeiden, gibt uns immer wieder für die Behandlung den Hinwek, 
derartigen Kranken die Internierung nach Möglichkeit zu ersparen, bzw. wenn 
sie aus irgendeinem Grimde unvermeidlich war, bei einigermaßen günstigen 
Bedingungen zu versuchen, sie der Freiheit zurückzugeben und in ihr zu erhalten. 
In vielen Fällen braucht der Anstaltsaufenthalt nur als eine Zeit der Erziehimg 
angesehen zu werden, in der der Paranoiker, gewarnt und gewitzigt durch die 
ihm äußerst peinliche Erfahrung, lernt, die Herrschaft über seine wahnhaften 
Gedankengänge, die ihm verloren gegangen war oder verloren zu gehen drohte, 
wiederzugewinnen imd sich unter mißlicheren und unangenehmeren Verhältnissen, 
als die Freiheit sie ihm bot, zu erhalten. Daß der Paranoiker den Anstaltsaufent¬ 
halt häufig auch selbst so auffaßt, beweisen die vielfachen Dissimidationsversuche, 
die er zur Wiedergewinnung seiner Freiheit in außerordentlich geschickter Weise 
durchzuführen versteht. Die Wahnideen wird man auch durch einen längeren 
Aufenthalt in der Anstalt keinem Paranoiker nehmen oder auch nur vermindern 
und mildern können, nur die Beherrschung seiner krankhaften Vorstellungen 
kann man ihm dadurch in vielen Fällen erleichtern. 

Aus diesem Grunde ist es auch die Regel, daß halluzinierende und queru¬ 
lierende Paranoiker weit häufiger, weit eher und meist dauernd der Irrenanstalts¬ 
pflege anheimfallen. Bei ihnen kt durch die im Vergleiche mit der kombinatori¬ 
schen Form der Erkrankung viel größere Lebhaftigkeit der Affektivität, die bei 
den einen durch die Trugwahmehmungen, bei den anderen durch die spezielle 
querulierende Tendenz unterhalten wird, eine derartige Herrschaft des Indivi¬ 
duums über seinen Wahn viel seltener und später zu erwarten. Man wird ihnen 
deshalb die Internierung in einer Anstalt weit seltener ersparen können, wird 
auch viel seltener zu einer versuchsweisen Entlassung aus derselben und Zu¬ 
rücknahme in die Freiheit raten dürfen als bei den Fällen rein kombinatorkcher 
Wahnentwicklung. Trotzdem kt auch hier ak Leitsatz für den Irrenarzt hinzu¬ 
stellen, daß die Einwekung in die geschlossene Anstalt und der Aufenthalt in 
ihr auf den Paranoiker in jüngerem Stadium stets ungünstig einwirkt, daß man 
alles versuchen soU, ihm die Einlieferung zu ersparen oder ihn doch nach mehr 
minder langem Aufenthalt in der Anstalt der Freiheit zurückzugeben. 



92 


Gerichtliches. 

Gerichtliches. 

Konflikte mit dem Strafgesetz sind bei Paranoikern auch abgesehen von 
der querulatorischen Form nicht selten. Einmal geben die wahnhaften Ver¬ 
folgungen gelegentlich Anlaß zu Beleidigungen, Verleumdungen der Gegner, 
tätlichen Angriffen und Gewalttaten gegen sie, andererseits erwachsen auf der 
Grundlage der Größenideen die mannigfachsten Delikte, Widerstand gegen die 
Staatsgewalt, Majestätsbeleidigung, Religionsfrevel bis herab zur Hochstapelei 
und zum Betrüge. Die Frage der Anwendbarkeit des § 51 RStGB. liegt sehr 
einfach in den Fällen, in denen das Delikt eine Äußerung des Wahnes selbst 
ist, im Wahne seine Begründung hat: der Paranoiker ist in diesem Falle als 
geisteskrank im Sinne des Gesetzes zu erachten. Schwierigkeiten können unter 
Umständen bei Straftaten entstehen, bei denen eine direkte Verbindung mit 
dem Wahne nicht konstruierbar erscheint, gemäß des logischen, dem des Geistes¬ 
gesunden gleichen oder ähnlichen Urteils, das der Paranoiker in seinem Wahne 
ferner liegenden Dingen in den früheren Krankheitsstadien aufzuweisen pflegt. 
Der einwandfreie Nachweis, daß eine Paranoia in oben definierter Umgrenzung 
vorliegt, dürfte auch dann genügen, die Anwendung des § 51 dem Gerichte zu 
empfehlen, da die paranoische Veränderung der Vorstellungen eine Summe von 
krankhaften psychischen Eindrücken dem Individuum zuführt, andererseits 
eine Summe von normalen Erfahrungen verhindert, so daß ein wirkliches genaues 
Abschätzen des verbliebenen, in die Gesundheitsbreite fallenden Geistesrestes 
nicht mit Sicherheit möglich ist. Der Paranoiker im oben umgrenzten Sinne 
ist deshalb für in die Zeit der offenbaren Krankheit fallende Straftaten stets 
als geisteskrank im Sinne des § 51 RStGB. zu betrachten. 

Schwieriger liegt die Frage nach der Anwendbarkeit des Paragraphen in 
den Fällen, in denen die Frage gestellt ist, ob sein Schutz einem derartigen 
Kranken nachträglich für Jahre zurückliegende Vergehen zuzubilligen ist, vor 
allem in den Fällen, in denen wesentliche vermögensrechtliche Folgen diesen 
Delikten anhängen. Die Schwierigkeit, den Zeitpunkt des sicheren Beginnes 
der Paranoia, vor allem in den meist eine besonders schleichende Wahngenese 
zeigenden kombinatorischen Fällen zu bestimmen, ist wiederholt betont worden. 
Sofern nun in diesen Fällen die strafbare Handlung als ein Ausfluß des später 
und besonders zur Zeit der psychiatrischen Beobachtung zweifelsfrei bestehenden 
Wahnsystemes angesehen werden kann, ist die Frage noch verhältnismäßig 
klar und bei Vorliegen einiger Anhaltspunkte für das Bestehen einer psychischen 
Alteration zur Zeit der Straftat der Schutz des § 51 zuzubilligen. In den Fällen 
aber, in denen die frühere Straftat mit dem späteren Wahne gar keine oder keine 
genügenden Beziehungen hat, ist, sofern nicht aus anderen Gründen das Bestehen 
einer ausgebildeten Geisteskrankheit zu damaliger Zeit sicher gestellt werden 
kann, die Nichtanwendbarkeit des Paragraphen auszusprechen, beziehungs¬ 
weise die Entscheidung darüber offen zu lassen. 

Der Beweis des Vorliegens einer Geisteskrankheit ist dem Richter durch 
die Feststellung des Bestehens eines Systemen untereinander zusammenhängender, 
unkorrigierbarer Vorstellungen der Beeinträchtigung oder der Größe zu führen ; 
daneben ist deren Maßlosigkeit und die krankhafte Einschränkung des Interessen¬ 
kreises mit ihren Folgen zu betonen. In den Fällen halluzinierender Paranoia 



Gerichtliches. 


93 


wird der Nachweis von Trugwahmehmungen den einleuchtendsten Beweis für 
das Bestehen des Krankheitszustandes abgeben. Recht schwierig kann es sein, 
dem Richter das Vorliegen einer querulierenden Paranoia in den früheren Stadien 
zu beweisen. Die Kranken machen auf den psychiatrischen Laien einen derart 
überzeugenden Eindruck geistiger Gesundheit, sie wissen sich so gewandt zu 
verteidigen, sprachlicher und schriftlicher Ausdruck zeigen abgesehen von ge¬ 
legentlichen Übertreibungen, Beleidigungen der Gegner und einer gewissen Ein¬ 
tönigkeit des Inhaltes eine solche Summe intellektueller Fähigkeiten, daß die 
Krankheit darunter völlig verschwindet, daß der Wahn sich dem Auge verbirgt. 
Es ist deshalb die Regel, daß der Querulantenwahnsinn meist verhältnismäßig 
spät erkannt und das Individuum erst spät dem Irrenarzte statt des Richters, 
der Pflegeanstalt anstatt des Gefängnisses zugeführt wird. Die Scheidung des 
querulierenden Paranoikers vom Geistesgesunden bzw. Psychopathen mit queru¬ 
lierenden Tendenzen ist vor dem Forum deshalb in den frühen Stadien des 
Leidens eine recht undankbare Aufgabe. Koeppen meint, daß der Beweis 
des Querulantenwahnes vor Gericht häufig nur durch die Feststellung zu führen 
sei, daß die Deduktionen des Kranken der Begründung entbehren und daß un- 
korrigierbare Irrtümer demnach Wahnideen geworden sind. Mittenzweig 
legt das größte Gewicht auf die Entstehung des Wahnes und die quantitativen 
Abweichungen, die die Vorstellungen des Paranoikers von denen des geistes¬ 
gesunden Individuums aufweisen, namentlich auf die wachsende Ausbreitung 
des Verfolgungswahnes, durch die das Krankhafte der Beeinträchtigungsvor¬ 
stellungen gekennzeichnet w'erde. Neben dieser zweifellos sehr wichtigen Fest¬ 
stellung dürfte es aber wohl am dankbarsten sein, dem Gerichte die Verbohrtheit 
in die eigenen Anschauungen, die Einseitigkeit des Urteils, die Unmöglichkeit, 
von den eigenen abweichende Gedankengänge zu bewerten, die Unfähigkeit, 
ergangene Entscheide und Urteile ihrer Tragweite nach, ohne egozentrische 
Affekteinschränkung zu verstehen, vor Augen zu stellen, ihm den Nachweis 
zu führen, daß meist seit Jahren alles Denken und Fühlen nur dem einen Kreise 
von Rechtsangelegenheiten gilt, der das Individuum mehr und mehr unter seine 
Herrschaft gebracht hat. Gelingt es daneben, andersartige Beeinträchtigungs¬ 
oder Größenideen aufzudecken, so ist das eine wertvolle Bereicherung der zum 
Beweise der geistigen Störung zur Verfügung stehenden Mittel. Ist das Zu¬ 
standsbild einer querulatorischen Paranoia im oben umschriebenen Sinne zu 
erweisen, so sind die Bedingungen des § 51 RStGB. selbstverständlich als gegeben 
anzuerkennen. 

Weit schwieriger als die rechtlichen Verhältnisse, soweit sie die Kriminalität 
des Paranoikers zum Gegenstände haben, liegen diejenigen, die die Notwendigkeit 
seiner Entmündigung betreffen, eine Schwierigkeit, die sich aus der wiederholt 
erwähnten Tatsache ergibt, daß viele Paranoiker lange Jahre hindurch, oft 
bis an ihr Lebensende auf Gebieten, die außerhalb ihres Wahnkreises liegen, 
logisch zu urteilen, klar zu disponieren, in durchaus normaler Weise zu handeln 
vermögen. Andererseits ist verständlich, daß unter der zunehmenden allgemeinen 
Einschränkung des Interessenkreises, die die Überwertigkeit der paranoischen 
Vorstellungen bedingt, die Fähigkeit, die eigenen Interessen sachgemäß zu ver¬ 
treten, oft schwer leiden muß. Im allgemeinen ist zu sagen, daß der Paranoiker 
in den jüngeren Stadien in den allermeisten Fällen geschäftsfähig im Sinne des 



94 


Differentialdiagnose. 


Gesetzes bleibt, besonders der mit vorherrschenden Beeinträchtigungsideen, die 
ihn wohl oft vorsichtiger machen, seine Entschlußfähigkeit verzögern, aber die 
letztere nicht völlig lähmen. Primäre Größenvorstellungen pflegen viel eher 
das Individuum geschäftsunfähig zu machen, da sie sich weit schneller ausbreiten 
und das Urteil in geschäftlichen, vor allem in pekuniären Dingen naturgemäß 
weit mehr trüben. Abhängig ist die Entscheidung über Geschäftsfähigkeit oder 
-Unfähigkeit in erheblichem Grade von der speziellen Form des Wahnes; nur 
deren genaue Analyse im Einzelfalle läßt eine Beurteilung des Einflusses zu, den 
die krankhaften Vorstellungen mit ihren in Liebe und Haß abirrenden Strebungen 
auf die gesamte intellektuelle Tätigkeit, die Beurteilung der Lebens- und Rechts¬ 
lagen ausüben. Den Nachweis, daß die vorliegende Wahnrichtung und -form 
im einzelnen Falle tatsächlich die Beurteilung der gegebenen Verhältnisse und 
Geschäfte tiefergehend beeinflussen muß, wird der Richter in jedem Falle vom 
psychiatrischen Gutachter fordern; allein der Beweis, daß eine unheilbare Geistes¬ 
krankheit vorliegt, genügt für die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit des Paranoikers 
noch weniger als für viele andere Geisteskranke. Häufig wird man, besonders 
in den früheren Krankheitsstadien der Paranoia, mit der Anordnung einer Pfleg¬ 
schaft auskommen, doch scheitert dieser Versuch, dem ICranken die eigentliche 
Entmündigimg zu ersparen, oft an der Unmöglichkeit, das gesetzlich verlangte 
Einverständnis des Kranken mit dieser Maßnahme, gegen die oft unter Hinweis 
auf die völlige geistige Gesundheit der heftigste Widerstand von seiten des 
Individuums geleistet wird, zu erlangen. Von den einzelnen Formen der Para¬ 
noia wird man bei den kombinatorischen Fällen weit häufiger von der Ent¬ 
mündigung Abstand nehmen können als bei den mit Halluzinationen einher¬ 
gehenden, wo der Einfluß der krankhaften Ideen auf die gesamte Persönlichkeit 
weit eher größeren Umfang erreicht. In den späteren Stadien des Leidens sind 
Größenwahnsinnige wohl stets als geschäftsunfähig im Sinne des § 6 BGB. zu 
etachten und auch Kranke mit Beeinträchtigungsideen zum mindesten der 
Pflegschaft bedürftig. Am schwrierigsten gestaltet sich wieder die Beurteilimg 
der querulierenden Paranoiker. Obgleich die Urteilskraft über dem Wahne 
fernerliegende Dinge bei dieser Form der Paranoia lange Zeit hindurch verhältnis¬ 
mäßig am wenigsten zu leiden pflegt, bedingt die querulierende Tendenz einmal 
in vielen Fällen eine so weitgehende Einschränkung der Arbeitsfähigkeit, anderer¬ 
seits eine derartig große Gefahr der Verschleuderung vorhandenen Vermögens, 
daß schon aus diesen Gründen die Entmündigung notwendig ist, ganz abgesehen 
davon, daß der Schutz der staatlichen Autoritäten dieselbe oft zusammen mit 
der Einweisung in eine Irrenanstalt als ratsam erscheinen läßt. Auch die Gefahr 
der Wiederholung der gleichen kriminellen Handlungen, die bei den querulierenden 
Paranoikern mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dürfte in zahl¬ 
reichen Fällen die Entmündigung der Freisprechung auf Grund des § 51 auf dem 
Fuße folgen lassen, worauf Hitzig besonders hinweist. 

Differentialdiagnose. 

„Akute Paranoia‘‘ und milde und abortiy yerlaufende Paranoiafälle. 

Seitdem Westphal den Begriff der akuten Paranoia in die psychiatrische 
Systematik einführte, ist der Streit um die Anerkennung derselben als selbstän- 



95 


„Akute Paranoia“ und milde und abortiv verlaufende Paranoiafälle. 

diger Krankheit nicht verstummt. Gemäß der immer weiteren Fassung des 
Pfitranoiabegriffes überhaupt galt sie den meisten der älteren Psychiater als eine 
Wiederholung der chronischen Paranoia in abgekürzter Form. Auch nachdem 
die akuten Verwirrtheitszustände von ihr abgezweigt waren, blieb die akute 
Paranoia doch noch, wenn auch an Umfang wesentlich eingeschränkt, bestehen, 
wobei sie von einem Teile der Autoren, so Schüle, allerdings als die Umwandlung 
einer ursprünglich affektiven Psychose in eine paranoische betrachtet wurde. 
Allmählich mehrten sich die Stimmen, die in der akuten Paranoia keine Krank¬ 
heit an sich, sondern nur Äußerungen anderer psychotischer Prozesse sahen; 
80 rechneten Schultze und vor allem Specht sie zum manisch-depressiven 
Irresein, andere sahen in ihr gemäß dem D61ire d’emblee Mag na ns den Aus¬ 
druck einer degenerativen Anlage, den Ausfluß einer gewissen geistigen und 
Gemütsschwäche (Jastro witz). Koeppen, der die Frage eingehend behandelte, 
nahm ebenfalls das Bestehen einer akuten Paranoia als erwiesen an, fand dieselbe 
aber am allerhäufigsten als Zustandsbild auf einer pathologisch veränderten 
konstitutionellen Grundlage, so der Imbezillität, degenerativer Konstitutionen, 
der Hysterie, Epilepsie, auch der Paralyse und des Senilismus. Er fand weiter, 
daß das Krankheitsbild dem der chronischen Paranoia täuschend gleichen kann, 
dann aber plötzlich abbricht. Es fehlt die strenge Systematisierung der Wahn¬ 
ideen, es besteht häufig eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber den eigenen krank¬ 
haften Vorstellungen. Akute Verwirrtheitszustände sind besonders zu Anfang 
des Zustandes häufig, nach der Genesung besteht unter Umständen Erinnerungs¬ 
verlust für einzelne Pha^n des Leidens; hervorgerufen wird dasselbe durch 
psychogene Momente. Zwischen akuter und chronischer Paranoia scheint Koep- 
pen keine anderen Beziehungen anzunehmen, als daß das letztere Leiden häufiger 
in akuten Schüben verläuft. Die Verbindung beider Krankheiten ist demnach 
recht lose; die akute Paranoia ist ihm nichts anderes als ein Zustandsbild ver¬ 
schiedener psychischer Erkrankungen — unter Umständen auch der chronischen 
Paranoia —, in dem sich mit lebhaften allgemeinen psychotischen Erscheinungen 
Wahnvorstellungen, die für kurze Zeit im wesentlichen festgehalten werden, 
verbinden. 

In neuerer Zeit hat Thomson das Vorkommen einer akuten Paranoia 
zu erweisen versucht. An der Hand einer größeren Reihe von E^ankengeschichten 
glaubte er akute systematisierte, nach mehr minder langem Bestehen verblassende 
und in Heilung ausgehende wahnbildende Psychosen absondern zu können, 
die nicht bloße Teilerscheinungen oder ZustandsbUder anderer Psychosenformen 
oder der chronischen Paranoia darstellen, sondern als selbständige, in sich ge¬ 
schlossene Geistesstörungen angesehen werden müssen. Kleist, der die Thom¬ 
son sehen 24 Fälle einer Kritik unterzog, konnte nur zwei davon als paranoische 
Zustände gelten lassen, die er als Äußerungen des manisch-depressiven Irreseins 
auffaßte. Er kommt weiter zu dem Schlüsse, daß eine Krankheitsart „akute 
Paranoia“ durch Thomson nicht nachgewiesen sei; abgesehen von akut para¬ 
noischen Zustandsbildern als Erscheinungsformen verschiedener wohlcharakteri- 
gierter Krankheitsarten (Paralyse, senile Gehirnerkrankungen, chronischer Alko¬ 
holismus und andere Gehimvergiftungen, Dementia praecox) könnten akute 
paranoische Erkrankungen als Äußerungen zweier verschiedener abnormer Kon- 
. stitutionen beobachtet werden, einmal als Reaktion der reaktiv-labilen Voran- 



96 Differentialdiagnose. 

lagung auf affektvolle Erlebnisse, andererseits als Äußerung der autochthor 
labilen ‘Disposition. 

Nach der Beschreibung der Krankheitserscheinungen und des Krankheit^ 
Verlaufes der (chronischen) Paranoia, wie sie oben skizziert wurde, stellt di 
Erkrankung eine Einheit dar, die durch die fortschreitende Verrückung der ganze: 
Persönlichkeit zur Umwelt, hervorgerufen durch ein im Grunde unwandelbare 
System von Wahnvorstellungen, ihre Unheilbarkeit und das Ausbleiben eine 
eigentlichen Verblödung, demgemäß das Erhaltenbleiben logischer Denkmeohanis 
men und lebhafter Affekterregbarkeit, charakterisiert ist. Demnach versteht © 
sich schon von selbst, daß es unmöglich eine akute, schnell verlaufende unc 
heilbare Form der Erkrankung geben kann, bzw. daß es ausgeschlossen ist 
daß zAiidschen selbständigen akuten wahnbildenden Psychosen und der hier ah 
Paranoia beschriebenen wohl umgrenzten Krankheit nähere Beziehungen, Über¬ 
gänge und dergleichen bestehen. Der Ausdruck: akute „Paranoia“ ist dem¬ 
gemäß, solange man die letztere durchaus passende Bezeichnung für das ur¬ 
sprüngliche Krankheitsbild, wie es auch hier gefaßt wurde, beibehalten will, 
abzulehnen, und es ist Kraepelin durchaus beizustimmen, wenn er gegen das 
Zusammenwerfen akuter Wahnsinnszustände und der Paranoia entschieden 
Front macht. 

Es gibt zweifellos Zustandsbilder geistiger Störungen, die in akuter oder 
subakuter Weise entstehen, Wahnvorstellungen, die für kürzere oder längere 
Zeit beibehalten werden, zeigen, bei denen ein gewisser Fortschritt ähnlich 
dem bei der Paranoia beobachteten, wenn auch meist erheblich schneller und 
fast immer unter lebhaften Sinnestäuschungen nicht zu verkennen ist, bei denen 
keine oder doch nur vorübergehende Verwirrtheit und Bewußtseinstrübung be¬ 
steht, die nach kürzerer oder längerer Zeit langsam verblassen und anscheinend 
unter allmählicher Korrektur der krankhaften Ideen in Heilung ausgehen. Der¬ 
artige psychische Krankheitsbilder sind einmal, wie allgemein anerkannt ist, 
als vorübergehende Erscheinungen chronischer Geisteskrankheiten nicht selten. 
Fast alle Psychosen können einmal für kurze Zeit unter ihrer Form verlaufen. 
Die Dementia praecox zeigt sie, die Intoxikationspsychosen, vor allem der Alko¬ 
holismus verlaufen gelegentlich unter ihrer Maske, die senilen Psychosen, selbst 
die Paralyse können einige Zeit hinter einer derartigen wahnbildenden Psychose 
ihr wahres Gesicht verbergen. Besonders hervorzuheben ist natürlich, daß die 
Paranoia, wie bereits oben auseinandergesetzt, akut oder subakut b^innen 
und in der für die „akute“ Paranoia angegebenen Weise längere Zeit verlaufen 
kann. Einzelne Beobachtungen machen es sogar wahrscheinlich, daß gerade 
dem akuten Beginne eine teilweise, vielleicht auch gelegentlich eine völlige 
Remission folgen kann, daß jedenfalls das Abflauen der akuten Erscheinungen 
und die Erholung davon dem Individuum den eigentlichen Wahn weniger ins 
Bewußtsein drängen. Weiter beobachtet man derartige akute wahnbildende 
Psychosen mit raschem Ablauf und Ausgang in Heilung in einzelnen Fällen im 
Beginne oder Verlaufe von Verwirrtheitszuständen, die unter den Begriff der 
Amentia (Meynert) fallen, in denen die Verwirrtheit nur auf der Höhe der 
Krankheitserscheinungen in mehr minder hohem Grade auftritt. Derartige Zu¬ 
stände erwachsen außer auf der Grundlage der Erschöpfung besonders auf dem 
Boden der bereits erwähnten Gehimintoxikationen. Endlich kommen ganz ähn- 



„Akute Paranoia“ und milde und abortiv verlaufende Paranoiafälle. 


97 


liehe Zustände in seltenen Fällen sicher auch alleinstehend vor, so daß man sie 
zuerst als selbständige Krankheiten anzusprechen gezwungen ist. Die längere 
Beobachtung derartiger Fälle ergibt jedoch, daß, sofern es sich nicht um den 
akuten Ausbruch chronischer Psychosen (Paranoia, Dementia praecox) handelt» 
diese Krankheitszustände zu einem Teile zu periodischer Wiederholung neigen, 
oft so, daß die einzelnen Anfälle einander fast völlig gleichen; da in diesen Fällen 
fidfektive Komponenten sich in den Vordergrund des Krankheitsbildes drängen, 
rein affektive Zustände manischer oder melancholischer Färbung gelegentlich 
mit ihnen abwechseln, so sind sie dem manisch-depressiven Irresein zuzuweisen. 
Zu einem anderen Teile gehören diese Fälle in die Gruppe der degenerativen 
wahnbildenden Psychosen. Auf die Differentialdiagnose aller dieser Zustände, 
besonders, soweit es sich um langgestreckte Verlaufsformen handelt, und der 
Paranoia im hier umgrenzten Sinne wird weiter unten näher einzugehen sein. 
Wenn auch manche der erwähnten psychotischen Zustandsbilder zu der Paranoia 
Beziehungen aufweisen, vor allem die Wahnbildungen auf dem Boden der De¬ 
generation, so sind doch die Chronizität des Prozesses, wie die Paranoia sie be¬ 
dingt, zusammen mit der Unverrückbarkeit des Wahnsystemes, dem Fort¬ 
schreiten des Prozesses und der Forderung der Unheilbarkeit der Krankheit 
bei unberührter Intelligenz, vor allem aber die verbohrte Reaktion auf die krank¬ 
haften Ideen Symptome, die sie scharf von den akut und subakut verlaufenden 
Wahnsinnszuständen scheiden, während die Art des Wahnes an sich kein differen¬ 
tialdiagnostisches Kriterium abgibt. 

Eng zusammen mit der Frage nach akuten Formen der Paranoia hängt die 
nach der Zugehörigkeit der milde und abortiv verlaufenden wahnbildenden. 
Psychosen zu ihr. Friedmann sah in ihnen ein Aufflackern des Prozesses 
aus relativ kleinen Anlässen bei subsistierender Veranlagimg, etwa so, wie das 
bei der Hysterie und bei den hereditär Degenerierten schon länger bekannt sei. 
Gau pp beschreibt eine abortive Paranoia auf der Grundlage eigenartiger de¬ 
pressiv-paranoischer Konstitutionen, bei der langsam schleichend der Wahn 
krankhafter Eigenbeziehung entsteht. Zeitlich in engem Anschluß an affektvolle 
Erlebnisse und bei einem gewissen psychischen lö:ankheitsgefühl entwickeln 
sich Vorstellungen der Verfolgung, die sich gegen ganz bestimmte Personen oder 
Berufe richten, die später immer präziser werden und deren Realität durch ge¬ 
legentliche Sinnestäuschungen verstärkt wird. Der Verlauf ist ein langjähriger, 
remittierend-exazerbierender. Meist besteht ängstliche Verzagtheit, nur vorüber¬ 
gehend Empörung über die Verfolgungen und Neigung zur Abwehr derselben; 
Größenideen fehlen stets, die Entwicklung eines Schwachsinns bleibt aus. Es 
fehlt den abortiven Fällen besonders die kontinuierliche Progression des Wahn¬ 
bildungsprozesses, die mit Notwendigkeit zum starren Wahnsystem führt. Eine 
Generalisation des Beziehungswahnes tritt nicht ein. Stransky kennt milde, 
abortive Formen paranoischer Geistesstörung, die aus der Latenz des disponierten 
Charakters herauswachsen, dazu neigen, sich nicht nur einmal im Leben zu zeigen 
und dadurch das Aussehen einer rezidivierenden Psychose erhalten. Der Ver¬ 
lauf ist ein remittierend-exazerbierender; temporäre Heilbarkeit dieser Psychose 
von pcuranoischem Zuschnitt ist möglich. Er betrachtet sie aber nicht als der 
eigentlichen Paranoia zugehörig, sondern hält sie von den paranoiden Episoden 
auf degenerativer Grundlage nicht für abtrennbar. Mit der Frage der periodischen 

Ern eg er, Die Paranoia. 7 



98 


DifEerentialdiagnose. 


Paranoia hat Boege sich besonders beschäftigt. Unter 26 bis 1908 in der Literatur 
niedergelegten derartigen Beobachtungen sind seiner Ansicht nach nur 4 bisher 
nicht zu bestreiten, während die übrigen zwanglos anderen bekannten klinischen 
Krankheitsbildern (Degenerationen, Alkoholismus, manisch-depressivem Irre¬ 
sein usw.) eingefügt werden könnten. Obgleich er bestreitet, daß eine Krankheit 
nur einen chronischen oder nur einen akuten Verlauf nehmen müsse, nimmt er 
vermutungsweise doch an, daß es eine periodische oder akute Paranoia nicht 
gebe, ohne daß er der apodiktischen Gewißheit, mit der Kraepelin das aus¬ 
spricht, beizustimmen vermag. 

Es ist bereits bei der Schilderung der paranoischen Konstitution und des 
Herauswachsens der Paranoia aus ihr betont worden, daß einmal die paranoische 
Veranlagung eine recht hohe Stufe der Ausbildung von Eigenbeziehungen und 
egozentrischer Einengung der Interessensphäre zeigen kann, bis mit der ersten 
offenbaren Wahnidee die Paranoia beginnt. Es wurde dort der für das Gemein¬ 
schaftswesen unbrauchbaren Individuen gedacht, die, ohne mit der Umwelt 
in Verkehr zu treten, in ihrer Tätigkeit versimpeln, zu Sonderlingen werden, 
und, stets beschäftigt mit ihren Lieblingsideen, die sich in irgendeiner bestimmten 
Bichtung imverrückbar zu konzentrieren pflegen, einseitig und schief in ihren 
Ansichten und Urteilen, eigenartig in ihren Gefühlen, deshalb absonderlich in 
ihren Handlungen werden und sich so ein Leben lang an der Grenze zwischen 
psychischer Eigenart und geistiger Erkrankung befinden. Es ist natürlich reine 
Formsache, ob man derartige Grenzzustände noch als psychopathische para¬ 
noische Konstitutionen in ihrer höchsten Ausbildung oder schon als milde ver¬ 
laufende Paranoiafälle ansprechen will. Gemäß der hier vertretenen Ansicht, 
daß die Paranoia nicht als kontinuierliche Weiterbildung der ihr zugrunde Ulen¬ 
den Veranlagung, sondern als ein auf dieser erwachsener Krankheitszustand an¬ 
gesehen werden muß, der mit der ersten wirklichen Wahnvorstellung etwas 
Neues in das psychische Geschehen bringt, was von da an unverrückbar fest¬ 
gehalten, weiterentwickelt wird und überragende Bedeutung für die Gesamt¬ 
persönlichkeit erlangt, muß die erstere Ansicht, daß diese Grenzzustände noch 
der paranoischen Konstitution zuzuzählen sind, als die richtigere Auffassung 
betrachtet werden. 

Eine derartige Deutung ist aber schon schwieriger bei der Gruppe von 
Fällen, wie sie Gaupp besonders hervorhebt, die Stransky mit Recht als 
Formen der 


Psychosen bei Degenerierten 

angesprochen hat. Gemäß dem Umstande, daß wir als Grundlage der Paranoia 
stets eine degenerative Konstitution fanden, .gemäß der psychogenen Auslösung 
der Erkrankung als solcher ist es natürlich, daß bei dem Irresein der Degenerierten, 
wie äußere Momente sie als interkurrente, mehr minder lange andauernde Epi¬ 
soden das Leben derartiger Individuen ein oder mehrere Male unterbrechen lassen, 
viele der Paranoia ähnliche oder gleiche Züge sich finden. Dahin gehört abgesehen 
von den auslösenden Ursachen die Neigung zu wahnhafter Veränderung der 
eigenen Verhältnisse und der mit ihnen in Berührung tretenden Umwelt, häufig 
begleitet von zahlreichen Sinnestäuschungen, die Ausspinnung dieser krank¬ 
haften Vorstellungen, die Verknüpfung miteinander bis zu einem gewissen Grade, 



Psychosen bei Degenerierten. 


99 


mit anderen Worten die Bildung eines mehr minder ausgebauten Wahngebäudes; 
es gehört dahin die Reaktion auf unangenehme Situationen mit Ideen, die das 
erhoffte und erwünschte Gegenteil verkörpern, die illusionäre Verfälschung der 
Wirklichkeit im Sinne der Wunschkomplexe. 

Die Wahnideen derartiger Degenerierter zeigen jedoch ein Moment, das 
sie von denen der Paranoia scheidet, eine mehr minder große Unstetigkeit und 
Veränderlichkeit. Die Paranoia charakterisiert sich diesen Zuständen gegen¬ 
über durch das Symptom der Unerschütterlichkeit des Wahnsystems und der 
Verbohrtheit in dasselbe. Auch Birnbaum sieht den Unterschied zwischen 
den Wahnvorstellungen der Degenerierten und denen der echten Paranoia in 
der Unzulänglichkeit und dem wechselnden Realitätswert, der Veränderlichkeit, 
der Beeinflußbarkeit durch äußere Einwirkungen und der Unbeständigkeit der 
ersteren. Es fehlt der konsequente Aufbau selbst in den Fällen, in denen die 
Wahnideen bis zu einem gewissen Grade geordnet werden. Der Beginn der Er¬ 
krankung ist häufig ein akuter mit Bewußtseinstrübung, die Erkrankung dauert 
meist nicht lange und ist weitgehend von den Einflüssen der Umgebung abhängig. 
Nach dem Abklingen des Syndroms kommt es meistens zur Wiederherstellung 
des vor der interkurrenten Erkrankung bestehenden Zustandes. Birnbaum 
hat deshalb diese Wahnsinnszustände, die sich durch geringeren Realitätswert 
und die Veränderlichkeit der Erscheinungen charakterisieren, die häufig durch 
Hineindenken in phantastisch selbstgebildete Situationen entstehen, im grund¬ 
sätzlichen Unterschied zur Paranoia als „wahnhafte Einbildungen“ bezeichnet. 
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal dieser degenerativen Wahnbildungen 
von der Paranoia ist daneben sicher einmal die den ersteren fehlende unkorrigier¬ 
bare Verbohrtheit in die Wahnideen und der Wechsel der Affektbetonung, der 
sich in diesen degenerativen Wahnsinnsformen im Gegensätze zu der einseitig 
fixierten Gefühlsbetonung bei der Paranoia nachweisen läßt, der auch seinen 
Teil zu den Schwankungen in der Intensität der Erkrankung, zu dem Auftauchen 
zahlreicher mit den vorhergehenden in keiner Beziehung stehender wahnhafter 
Einfälle abgibt. 

Wenn auch die Zugehörigkeit derartiger Fälle zu den Formen des dege¬ 
nerativen Irreseins als sicher anzunehmen ist, so wäre immerhin möglich, daß 
es fließende Übergänge zwischen diesen Zuständen und der Paranoia gibt. Die 
Gauppschen Fälle scheinen darauf hinzudeuten, ebenso ein Hübnerscher 
Fall, in dem eine rasch entstandene, bald wieder verblaßte Wahnbildung auf 
degenerativer Grundlage anscheinend abheilte, nach l^/g Jahren aber eine Ver¬ 
schlechterung des Zustandes eintrat, bis schließlich ein richtiges unerschütter¬ 
liches chronisches Wahnsystem vorhanden war. Nach früheren Ausführungen 
muß aber angenommen werden, daß es sich bei der ausgebildeten Paranoia um 
einen besonderen, nicht der Rückbildung fähigen Krankheitsprozeß handelt, 
der damit seine Eigenart dokumentiert. Da die Individuen, die von dieser eigen¬ 
artigen Erkrankung befallen werden, sämtlich Degenerierte sind, so wäre es 
nicht verwunderlich, wenn ein Individuum in früherem Lebensalter bereits 
eine akute degenerative Psychose durchmachte, in späteren Jahren aber an der 
Paranoia erkrankte. In dem Hübnerschen Falle scheint es aber gar nicht zu 
einer völligen Rückbildung aller Erscheinungen, zu einer völligen Korrektion 
der wahnhaften Ideen und damit zur Heilung gekommen zu sein, sondern es 



100 


Differentialdiagnose. 


scheint sich nur um eine weitgehende Remission gehandelt zu haben, wie wir 
sie gerade bei den anscheinend akut entstehenden echten Paranoiafällen dem 
stürmischen Beginne nicht allzuselten folgen sehen, so daß das Ganze als eine 
akut beginnende echte Paranoia angesprochen werden kann. Die Paranoia, 
wie sie hier umgrenzt wurde, mit ihrem unerschütterlichen, unveränderlichen, 
stets weiter ausgebauten Wahnsystem, ihrer Intaktheit der affektiven und in¬ 
tellektuellen Geistesfunktionen und ihrer Unheilbarkeit ist eine derart häufige, 
in fast gleicher Form wiederkehrende Erkrankung, daß an ihrer inneren Ein¬ 
heit auch gegenüber den langgestreckt verlaufenden wahnbildenden Psychosen 
der Degenerierten festgehalten werden muß. Die Irreparabilität, die wir bei 
ihr als erwiesen annehmen müssen, unterscheidet sie neben den angeführten 
Momenten von diesen degenerativen Wahnsinnsformen. Daß andererseits die 
als „akute Paranoiafälle“ beschriebenen Psychosen zum großen Teile zu dieser 
KJasse geistiger Störungen gehören, wie schon v. Krafft - Ebing, der sie unter 
den Psycho-Neurosen beschreibt, und Mendel und Laquer, die sie dem Zwangs¬ 
irresein zurechneten, meinten, ist ebenfalls sicher. Zu ihnen dürften auch die 
von Thomson als „Hypoparanoia“ beschriebenen leichten, abortiven Wahn¬ 
sinnsfälle gehören, die auf emotiver Basis, im Anschluß an ein eingreifendes 
seelisches Erlebnis sich akut entwickeln, Fälle, die keine Tendenz zu weiterer 
Ausbreitung zeigen, entweder stabil bleiben oder (wohl fast immer) verblassen 
und heilen. 

Einer besonderen kurzen Besprechung bedürfen unter den der Paranoia 
ähnlichen psychotischen Erscheinungen, wie sie auf dem Boden der degenerativen 
Konstitution sich ausbilden, die als 

Pseudoquerulanten 

bezeichneten Individuen. Das vorpsychotische Gebahren, die querulierende 
Tendenz, gleichen den Erscheinungen der querulatorischen Paranoia, ebenso das 
Forttreiben der Prozesse von Instanz zu Instanz, die Unfähigkeit, die Gründe 
der Gegner zu verstehen und zu würdigen. Aber andererseits fehlt dem Pseudo¬ 
querulanten „das subjektive Band, das alle die einzelnen Ereignisse zu einer 
zusammenhängenden Kette aneinander schließt“ (Kraepelin). Die einzelnen 
Geschehnisse, die zum Hervorkehren der querulierenden Tendenz führen, stehen 
für sich da; sie verblassen, sobald alle Rechtsmittel erschöpft sind, werden ver¬ 
gessen und andere, vielfach mit den ersteren in irgendeinem Zusammenhänge 
stehende Ereignisse treten an ihre Stelle und werden zu neuem Querulieren axis- 
gebeutet. Auch hier fehlt das unerschütterliche Leitmotiv, das sich wie ein rotes 
Band durch alle Vorstellungen und Handlungen des Paranoikers hindurchzieht, 
das alle ihm widerfahrenden Geschehnisse miteinander in Beziehung bringt, 
das einen inneren Zusammenhang zwischen ihnen konstruiert, den er als erwiesene 
Tatsache annimmt. Es fehlt ferner die Neigung, den Kreis der Widersacher ins 
Ungemessene fortschreitend zu erweitern, wie sie für die querulatorische Paranoia 
als pathognomonisch gefunden wurde, es fehlt endlich die rücksichtslose Ver- 
bortheit des Paranoikers in die eigenen Ansichten von Recht und Gesetz, der 
stete Gedanke, daß ihm in jedem Augenblick, in jeder BKnsicht Unrecht geschieht, 
kurz der spezifische Charakter der wahnhaften Beeinträchtigungsideen, der für 
den querulierenden Paranoiker kennzeichnend ist. 



Manisch-depressives Irresein, 


101 


Da die auslösenden Momente für Degenerationspsychosen das Individuum, 
das die Disposition sein Leben hindurch mit sich herumträgt, mehrmals treffen 
kann, so ist es natürlich, daß die Geistesstörung sich wiederholen und gelegentlich 
den Eindruck einer rezidivierenden Wahnpsychose machen kann. Es ist auch 
denkbar, daß ein überwertiger Gedankengang, wie er die degenerierte Psyche 
häufig beherrscht, den einzelnen Attacken dieser Irreseinszustände ein gleiches 
oder ähnliches Gepräge gibt, so daß der Eindruck einer periodischen Geistes¬ 
störung entsteht. Viel häufiger werden derartige periodische Wahnsinnszustände, 
die zum Teil als periodische Paranoia beschrieben sind, sich als Äußerungen des 

manisch-depressiven Irreseins 

entlarven lassen. Auf seiner Grundlage kommt es nicht so selten zur Bildung 
von Wahnvorstellungen, die der Richtung des Affektes entsprechend die ein¬ 
zelnen Anfälle der Erkrankung begleiten, sich oft mit photographischer Treue 
bei gleicher Phase wiederholen und so den Eindruck eines akuten periodischen 
Wahnsinnszustandes machen, dessen richtige Deutung jedoch durch das starke 
Hervortreten der Affektstörung, durch dazwischenhegende oder aber vorange¬ 
gangene echte manische oder melanchohsche Episoden ermögUcht wird. 

Seit der Erkenntnis, daß affektiven Einflüssen in der Genese der Wahn¬ 
ideen überhaupt, vor allem auch bei der Paranoia, eine wesenthche Bedeutung 
zukommt, ist auch die Frage der Beziehungen der affektiven Psychosen und der 
(chronischen) Paranoia erörtert worden. S pecht hielt eine prinzipielle Scheidung 
zwischen Paranoia und chronischer Manie für unmöglich, weil gerade die manisch- 
depressive Gteistesverfassung, die leichte Lockerung des assoziativen Gefüges 
und die assoziative Plusleistung, wie sie der hypomanischen Veränderung eigen 
ist, die Ergänzung, deren die pathologische Affektivität zur krankhaften Fixierung 
des Paranoikerwahnes bedarf, abgibt. Er unterscheidet chronisch-manische 
Formen, die der exaltativen Spielart der Verrücktheit entsprechen, periodisch¬ 
zyklische Formen und die typische Grundform mit einem allmählich anwachsen¬ 
den Verfolgungswahn. Ennen bestätigte auf Grund eigener Beobachtungen 
diese Anschauungen. Es sind das Fälle, die zu einem Teile dem manischen und 
melancholischen Wahnsinn Thalbitzers entsprechen, die vor allem auch 
Brassert als „sekundäre (postmelancholische und postmanische) Paranoia“ 
beschreibt. Er will damit eine seltene Krankheit bezeichnen, zu der hereditär 
belastete, wiederholt psychisch erkrankte, gemütlich nicht besonders starke, 
körperlich reduzierte Personen prädisponiert sind, die gewöhnlich allmählich, 
ausnahmsweise plötzlich beginnt, bei der nach längerem Bestehen der primären 
Affektpsychose die sekundäre, durch Wahnvorstellungen gekennzeichnete Er¬ 
krankung zum Ausbruche gelangt. Die postmelancholischen Formen, die etwas 
häufiger als die postmanischen sind, befallen vorzüglich das weibliche Geschlecht, 
während die letzteren, die öfter akut einsetzen und schneller verlaufen, beide 
Geschlechter gleich häufig befallen. Heilungen sind sehr selten, Ausgang in 
Demenz muß nach Brassert fast als Regel angesehen werden. 

Auf Grund eigener Beobachtungen konnten wir an anderem Orte Krank¬ 
heitsfälle beschreiben, die jahrelang unter dem Bilde einer typischen periodischen 
Manie oder Melancholie verliefen, aus denen sich aber allmählich unter immer 
stärkerem Hervortreten von Wahnvorstellungen Krankheitsbilder entwickelten. 



102 


Diff erentia Idi agnose. 


die ohne Kenntnis der Vorgeschichte als Paranoiafälie imponieren konnten, 
wenn auch einzelne abweichende Erscheinungen sich fanden. Es handelt sich 
um Fälle, in denen unter langsamer Abnahme der Intensität und Dauer der 
Affektstörungen in den späteren Anfällen d^ Leidens systematisierte Größen- 
und Verfolgungsvorstellungen hervortreten, die Jahre hindurch unerschütterlich 
und unverändert bestehen bleiben, die Ordnung im Denken, Fühlen und Handeln 
im wesentlichen intakt lassen, wie es für die Paranoia verlangt wird. Es kam 
dabei zum Teil sogar zu einer Änderung der krankhaften Affektlage, die in den 
früheren Wiederholungen des Leidens in einer bestimmten Richtung bestand, 
später aber einem Mischaffekte Platz machte, der leichte komplementäre Vor- 
steUungen der entgegengesetzten Wahnrichtung ermöglichte. Andererseits kann, 
worauf Stransky hinweist, eine beginnende oder zunächst unter dem Bilde 
einer akuten Geistesstörung in die Erscheinung tretende Paranoia das Symptom der 
gemütlichen Verstimmung stärker hervortreten lassen, so daß die Verwechslung 
mit dem manisch-depressiven Irresein auch nach dieser Richtung hin möglich 
ist. Endlich kann das querulatorische Gebahren mancher Maniaci zur vorüber¬ 
gehenden Verwechslung mit querulatorischer Paranoia führen. 

Die Differentialdiagnose ist jedoch meist nicht allzu schwer zu stellen. 
Vor allem ist das weit stärkere Hervortreten der affektiven Verstimmung in 
jedem Augenblick auf jedem Gebiete der Psyche bei dem manisch-depressiven 
Irresein als differentialdiagnostisches Kriterium gegenüber der Paranoia, bei 
der der krankhafte Affekt nur ein eng umschriebenes Gebiet zu betreffen pflegt, 
zu verwerten. Das gleiche gilt von den viel größeren Affektschwankungen, die 
das manisch-depressive Irresein aufweist. An anderer Steile ist bereits ausgeführt, 
daß bei der Paranoia, obwohl für die Wahngenese eine krankhaft erhöhte Affek¬ 
tivität ausschlaggebend ist, die dauernde primäre Störung der AHektlage, wie 
sie das manisch-melancholische Irresein charakterisiert, überhaupt vermißt wird. 
Ob die Art der Affektstörung eine Scheidimg beider Krankheiten zuläßt, sei 
dahingestellt. Meyer hat ihre Verschiedenheit zu erweisen versucht, insofern 
er fand, daß bei dem manisch-depressiven Irresein Affekte der Lust und Unlust 
den gesamten Vorstellungsinhalt beherrschen, während bei der Paranoia eine 
allgemein gesteigerte Affektivität besteht, aus der heraus die gerade in jener 
Zeit auftauchenden oder schon vorhandenen, aber jetzt irgendwie hervortretenden 
Vorstellungen, mit einem besonders lebhaften Affekt verbunden, zu überwertigen 
Ideen ausgestaltet werden. Neben dem Wechsel in der Affektrichtung und den 
Intensitätsschwankungen der Affektbetonung werden die manisch-melancho¬ 
lischen Wahnbildungen durch die Eigenart der krankhaften Vorstellungen, die 
von den bei der Paranoia beobachteten mehr minder abweichen, gekennzeichnet. 
Vor allem die an Melancholie sich anschließenden Wahnpsychosen zeigen wohl 
ausnahmslos Gedankenreihen, die entweder hypochondrischer Natur sind, oder 
aber in die Gruppe der Versündigungsideen gehören. Während der Paranoiker 
stets gegen die vermeintliche Beeinträchtigimg und Verfolgung und gegen die 
Personen, von denen er beides herleitet, mit äußerster Entschiedenheit und 
Erbitterung sich zur Wehr setzt, die Anfeindungen stets als verbrecherisch und 
unverdient betrachtet und danach mit äußerster Konsequenz handelt, beugt 
sich der Melancholiker unter das ihm angetane Leid im Bewußtsein seiner Minder¬ 
wertigkeit, seiner Unwürdigkeit oder seiner Sündhaftigkeit und hofft nur, durch 



Dementia praecox. 


103 


das demütige Ertragen der ihm auferlegten Strafe geläutert zu werden, woran 
imter Umständen jene leichten komplementären Größenideen, die man bei der¬ 
artigen Kranken findet, anknüpfen. Das Fehlen von ausgesprochenem hypo¬ 
chondrischen und Versündigungswahn und der stete lebhafte Drang, sich gegen 
die als ungerecht empfundenen Verfolgungen zu wehren, charakterisiert den 
paranoischen Wahn gegenüber dem melancholischen neben dem Hervortreten 
der depressiven Affektlage im ELrankheitsbilde des letzteren. Immerhin kann 
bei Fehlen einer exakten Vorgeschichte die Differentialdiagnose beider Zustände 
für den Augenblick schwierig sein. 

Besonders schwer kann es sein, allein nach dem Zustandsbilde die DiKe- 
rentialdiagnose zwischen chronischer Manie und querulatorischer Paranoia zu 
stellen. Die Beziehungen zwischen beiden Zuständen sind in mancher Beziehung 
sehr nahe, so daß Bumke glaubte, daß das manisch-depressive Irresein und die 
Paranoia querulatoria nicht scharf voneinander zu trennen seien; beide Krank¬ 
heiten rechnete er im Verein mit der Hysterie und den Degenerationspsychosen 
zur Gruppe der endogenen Erkrankungen. Eine Scheidung beider Zustände ist 
jedoch trotz der bei beiden vorhandenen querulatorischen Tendenzen meistens 
möglich. Es fehlt dem manischen Pseudoquerulanten das wahnhafte Moment 
der Beeinträchtigungsideen auf rechtlichem Gebiete. Der Maniacus queruliert 
aus Prinzip bei jeder sich bietenden Gelegenheit, während der Paranoiker im 
wesentlichen nur einen bestimmten Kreis vermeintlicher rechtlicher Benach¬ 
teiligungen und mit ihnen in Verbindung tretender Ereignisse, Personen, Berufe 
in langsam zunehmender Ausbreitung zum Gegenstände seiner querulatorischen 
Angriffe meu^ht. Der Maniacus bleibt weit weniger konsequent in der Auswahl seiner 
Feinde, gegen die er queruliert als der Paranoiker. Man merkt dem letzteren an, daß 
es ihm mit seinem Kampfe um Recht und Gesetz heiliger Emst ist, während derselbe 
für den chronisch Manischen eine augenblickliche Kaprize, eine Spielerei darstellt. 

Dementia praecox. 

Recht schwierig ist die Unterscheidung der Paranoia von manchen Fällen 
wahnbildender Psychose, die nach unserer heutigen Auffassung als der Gruppe 
der Schizophrenien zugehörig betrachtet werden müssen. Von der Dementia 
praecox her ist die Paranoia auch am meisten eingeschränkt worden, soweit 
sie sich nicht gefallen lassen mußte, ganz in ihr aufzugehen. So hält es Bleuler 
für möglich, daß die Paranoia eine ganz chronisch fortschreitende Schizophrenie 
sei, die so milde verläuft, daß sie gerade noch zur Wahnbilduug ausreicht, da 
der Mechanismus derselben bei beiden Krankheiten der gleiche sei. Schneider 
sieht in der Paranoid* keine Krankheit an sich, sondern nur einen S 3 rmptomen- 
komplex, der teilweise auf psychopathischer Grundlage entsteht, zum Teil 
aber auch das Produkt einer abgelaufenen oder pausierenden Krankheit, meist 
der Dementia praecox ist. Klipstein endlich, der zahlreiche Sinnestäuschungen 
und langdauernde Wahnbildungen, die für die Dementia praecox beweisend 
sein sollen, bei langjährigen Kranken ohne erhebliche Einbuße der allgemeinen 
Geistesfähigkeiten und ohne katatonische Erscheinungen gesehen hat, während 
andere Fälle ohne jene eigentümlichen Willensstörungen rasch in deutliche geistige 
Schwäche übergingen, schließt, daß die Paranoia stets eine Verlaufsform der 
Dementia praecox darstelle. 



104 


Differentialdiagnose. 


Die Frage der Umgrenzung der Dementia praecox zu besprechen, ist hier 
nicht der Ort. Es genügt, auf die Hauptpunkte, die unseres Erachtens die Sonder^ 
Stellung der Paranoia beweisen und sie von der paranoid-dementen Form der 
Schizophrenie unterscheiden, hinzuweisen. Wohl kommt es bei der Dementia 
paranoides zur Bildung zahlreicher Wahnideen, wohl ist dabei der Mechanismus 
der Wahnbildung im Grunde der gleiche als bei der Paranoia, insofern bei beiden 
Erkrankungen psychogenen Momenten in der Wahngenese eine große Bedeutung 
zukommt, wohl werden die wahnhaften Vorstellungen zum Teil geordnet und 
wird so ein im Augenblick mehr minder stabiles Wahngebäude errichtet, doch 
trennen die eigentlichen schizophrenen Symptome neben der Verschiedenheit 
des Verlaufes und Ausgangs diese Krankheitszustände von der Paranoia wesent¬ 
lich. Neben den negativistischen Erscheinungen, den Manieren, kurz den kata¬ 
tonischen Symptomen, die die Fälle von Dementia paranoides meist schon im 
Beginne der Erkrankung zeigen, geben die Störungen des Willens, die unabhängig 
von den beherrschenden Vorstellungen und Affekten bestehen, die w'ertvollsten 
differentialdiagnostischen Momente ab. Während bei der Paranoia das Handeln 
der Kranken stets dem Wahne logisch entsprechend die an sich geistesgesunden 
Motive der Abwehr der Beeinträchtigungen, der Realisation der Größenvor- 
steUungen, des Kampfes um Recht und Gerechtigkeit leicht nachweisen läßt, die 
zur Erreichung ihrer Zwecke getroffenen Maßnahmen Abbilder der dem Geistes¬ 
gesunden in ähnlichen wirklichen Lebenslagen zu Gebote stehenden Mittel dar¬ 
stellen, steht das Handeln des Paranoid-dementen mit den nachw^eisbaren augen¬ 
blicklichen Wahnvorstellungen meist nur zum kleinen Teile in Zusammenhang. 
Der größere Teil der Willensstrebungen bleibt absonderlich, dem Geistesgesunden 
unverständlich; undurchsichtig, wie ein großer Teil der Wahnideen sind auch 
die Beweggründe für die Handlungen. Es fehlt die Kon.sequenz der Willens¬ 
strebungen. Während die Reaktionen des Paranoikers auf seinen Wahn die 
Zeichen des ausgereiften Individuums an sich zu tragen pflegen, entsprechen 
die des Paranoid-dementen häufig denen des Kindes. Man hat den Eindruck, 
daß die Kranken selbst nicht an ihre wahnhaften Vorstellungen glauben; sie 
sind nicht mit ganzer Seele dabei, die Affektbetonung ihrer Ideen ist entweder 
wenig stark oder hat nicht die Richtung, die die Gefühlsbetonung ähnlicher nor¬ 
maler Vorstellungen des Geistesgesunden zeigt, schon früh entsteht meist eine 
große Gleichgültigkeit gegen die Beeinträchtigungsideen. Weiter verursacht 
das bei der Dementia paranoides stets vorhandene mehr minder starke Über¬ 
wiegen des Innenlebens über die äußeren Empfindungen, die autistische Denk¬ 
weise, schon frühzeitig eine Abnahme der geistigen Regsamkeit auf allen Gebieten, 
von der die allmählich sich ausbildende Einengung der Interessensphäre bei der 
Paranoia, die ein bestimmtes Gebiet überw^ertig werden läßt und nur dadurch 
auf anderen Gebieten eine Minderleistung verursacht, scharf zu trennen ist. 
Das Vorkommen wirklichkeitsfremder wahnhafter Vorstellungen, die im Er¬ 
fahrungsschätze des Individuums keine Begründung haben, das sich bei der 
Dementia paranoides w^ohl stets nachweisen läßt, ist endlich ein besonders 
wichtiges Unterscheidungssymptom. Die Mangelhaftigkeit der Aufnahme 
neuer Erfahrungen, die die Vorstellungen regulieren, ist beiden Erkrankungen 
eigen; während aber bei der Paranoia die entstehenden Wahnvorstellungen an 
die vorhandenen Erfahrungen anknüpfen und durch weitere Erfahrungen kon- 



Dementia praecox. 


105 

trolliert, bestätigt und weiter ausgebaut werden, stehen die wahnhaften Einfälle 
des Paranoid-dementen zum großen Teile in keinerlei Beziehung zu tatsächlichen 
Unterlagen, sind „kaum noch oder nicht mehr zu enträtseln“ (Kraepelin), 
was besonders die häufigen grotesken hypochondrischen und Versündigungs¬ 
ideen, ebenso aber auch die überspannten Größenvorstellungen deutlich erkennen 
lassen. Aber auch die in der ersten Zeit noch geordneten Wahnvorstellungs¬ 
reihen werden in kurzem zerfahrener, wechselnder und abenteuerlicher und 
tragen den die Schizophrenie stempelnden Zerfall der psychischen Persönlichkeit 
deutlich an sich. Es löst eben bei der paranoiden Demenz eine Wahngruppe die 
andere in buntem Wechsel ab, bis schließlich dieser Wechsel ein derartig schneller 
wird, daß nur noch rätselhafte, abrupte, oft unsinnige wahnähnliche Vorstellungen 
von kurzer Dauer geäußert werden im (Jegensatze zu dem auch in späteren Stadien 
von einem Leitmotiv beherrschten, lebenslang dauernden, im innersten Kern 
sich gleichbleibenden, meist auch dem geistesgesunden Menschen verständlichen, 
nie direkt unsinnigen Wahnsystem des Paranoikers. Ähnlich dem Fehlen logischer 
Beziehungen zwischen Vorstellen und Handeln ist der Unterschied, den die sprach¬ 
lichen und schriftlichen Auslassungen des Paranoikers und des Paranoid-dementen 
aufweisen. Die Zerfahrenheit und Faseligkeit der sprachlichen Äußerungen des 
letzteren, die bis zur Sinnlosigkeit gehen können, seine karrikaturenhafte, ver¬ 
schrobene Schreibweise, die zudem häufig wechselt, unterscheidet ihn von dem 
sich einer gewandten, wenn auch oft etwas gezierten Ausdrucksweise bedienenden 
Paranoiker. Die sinnlosen Wortneubildungen, die Wortverstümmelimgen, die 
die Paranoid-dementen oft mit den übrigen Schizophrenen gemein haben, für 
die die Kranken meist nur einen noch größeren Wortsalat oder aber ein verlegenes 
Lächeln als Erklärung haben, oder deren Erklärung die krausesten Wahnvor¬ 
stellungen nebeneinander enthüllt, sind auch von eigenartigen, zum Teil neu¬ 
gebildeten Ausdrücken, die der Paranoiker für seine eigenartigen Sensationen, 
für die eine geläufige Bezeichnung nicht besteht, stets zu unterscheiden. 

Daß zwischen beiden Erkrankungen tiefgehende Unterschiede bestehen, 
beweist endlich der Ausgang. Während der Paranoiker noch nach Jahrzehnten 
intellektuell auf der Höhe bleibt, wenn er auch infolge der Einschränkung des 
geistigen Horizontes und der Verbohrtheit in sein Wahnsystem eigenartig im 
Denken, Fühlen und Handeln wird, endet die Dementia paranoides, um Krae- 
pelins Angaben zu folgen: am häufigsten in manierierte, etwas seltener in nega- 
tivistische oder faselige Verblödung, in 12% der Fälle kommt es zu einem ein¬ 
fachen Schwachsinn, ebenso oft zu stumpfer Verblödung. Der Ausgang der 
Erkrankung muß so die Richtigkeit der differentialdiagnostischen Momente 
bestätigen, die nie in dem Auftreten gehäufter Sinnestäuschungen allein erblickt 
werden dürfen, die nur selten in der Verschiedenheit der Wahnideen an sich 
(hypochondrische, Versündigungsideen, überspannte, auf den ersten Blick 
schwachsinnige Größenideen, allgemeiner, nicht von bestimmten Personen 
hergeleiteter Beeinflussungswahn bei der Dementia paranoides) bestehen, da¬ 
gegen stets in den neben dem Wahnsystem selbständig vorhandenen Störungen 
der Willensstrebungen, den gehäuften katatonischen Symptomen, dem Autismus, 
endlich in der Abspaltung der affektiven und der intellektuellen Komponenten 
und der dadurch bedingten Inkonsequenz der Handlungsweise zu erkennen sind. 
Alle diese spezifisch schizophrenen Symptome fehlen der Paranoia. 



106 


Differentialdiagnose. 


In der Groppe der Dementia paranoides ist unseres Erachtens ein großer 
Teil der Krankheitsfälle enthalten, die Kraepelin neuerdings als 

Paraphrenien 

zusammengefaßt hat. Diese neueste E^nkheitsgruppe der Kraepelinsdien 
Systematik, die v. Hoesslin und Moravcsik anerkannten, die er als der De* 
mentia praecox nahestehend schildert und mit dem gemeinsamen Namen der 
endogenen Verblödungen überschreibt, enthält wahnbildende Psychosen, die 
sich zum Teil durch langsame kombinatorische, spater halluzinatorische Ent¬ 
wicklung eines fixierten Verfolgungs- und Größenwahnes ohne wesentliche 
selbständige Störungen des Willens, ohne wesentliche Abnahme der gemütlichen 
Ansprechbarkeit, ohne Entwicklung eines Intelligenzdefektes charakterisieren, 
bis herab zu solchen, die mit massenhaften unsinnigen Verfolgungs- und Größen¬ 
vorstellungen, zahlreichen Sinnestäuschungen und Konfabulationen einhergehen, 
zu Grimmassieren, überhandnehmenden Wortneubildungen und Verschroben¬ 
heiten und Abstumpfung des gemütlichen Verhaltens führen und nach mehr 
minder langem Verlaufe eine deutliche geistige Schwäche zeigen. Während 
Krambach die Ergebnisse seiner Untersuchungen dahin zusammenfaßt, 
daß die Fälle, die der Paraphrenie Kraepelins entsprachen, kein Merkmal 
im Verhalten des Intellektes aufwiesen, das sie grundsätzlich von den paranoiden 
Formen der Dementia praecox unterschiede, daß sich in allen Fällen dieser Art 
Symptome fänden, die für die Dementia praecox als spezifisch gelten, er nnit.hin 
die Paraphrenien als Zustandsbilder protrahierter schizophrener Erkrankungen 
ansieht, brachten uns eigene Untersuchungen zu dem Schlüsse, daß die Para- 
phrenia systematica und expansiva oder doch der größte Teil dieser Fälle aus 
dem Verbände mit der phantastischen und sicher auch der großen Masse der 
konfabulatorischen Paraphrenie auszuscheiden seien. Letztere Formen sind 
nach unseren heutigen Kenntnissen der Gruppe der Dementia paranoides zu¬ 
zuteilen, worauf die abenteuerlichen, zusammenhangslosen, einem dauernden 
Wechsel unterworfenen, eben phantastischen Wahnideen, andererseits eine 
ausgedehnte primäre konfabulatorische Umdeutung des ganzen Vorlebens, die 
bei Fehlen einer hochgradigen Bewußtseinstrübung einen ausgedehnten Be- 
wrußtseinszerfaU voraussetzt, ferner die zerfahrene, ziellose, in Maß und Art 
stets wechselnde Reaktionsweise des Kranken auf seine Vorstellungen, die vielen 
katatonen Symptome, der Ausgang des Leidens in meist hochgradige gemütliche 
Stumpfheit, Sprachverwirrtheit, ethischen Niedergang und häufig auch mehr 
minder starke intellektuelle Verblödung in Verbindung mit der Häufigkeit des 
Beginnes im Pubertätsalter hinweisen. Die Paraphrenia systematica und expan- 
fliva oder wenigstens ein sehr großer Teil der imter diesen Bezeichnungen zu¬ 
sammengefaßten Fälle gehören der Paranoia im hier umgrenzten Sinne an, so daß 
für die Gruppe der Paraphrenien in Kraepelinscher Fassung nichts übrig bleibt. 

Recht schwierig ist in manchen Fällen die Unterscheidung der Paranoia 
von den wahnbildenden Psychosen, die auf dem Boden des 

Chronischen Alkoholismus 

erwachsen. Die Ähnlichkeit beider Zustände ist gelegentlich so groß, daß man 
von einer Alkoholparanoia gesprochen hat. Vor allem gilt das für den Eifersuchts- 



Chronischer Alkoholismus. 


107 


wahn der Trinker. Wie bereits oben ausgeführt wurde, entsteht der Wahn beim 
chronischen Alkohnliamus und bei der Paranoia im wesentlichen aus dem gleichen 
gemütlichen Zustande heraus, nur, daß die krankhafte Erhöhung der Affektivität, 
die den ersten Wahn auslöst, beim Alkoholismus der Intoxikation zuzuschreiben 
ist, während sie bei der Paranoia aus der paranoischen Konstitution schleichend 
sich entwickelt, daß beim Alkoholismus die Intoxikation die Grundlage der 
Psychose darstellt, die bei der Paranoia die spezielle degenerative Konstitution 
abgibt, wenngleich degenerative Momente auch bei dem ersteren in vielen, 
wohl in den meisten Fällen, wenn auch in geringerem Grade wirksam sind. Aus¬ 
schlaggebend müssen zu Anfang der Psychose die Erscheinungen sein, die der 
Alkoholmißbrauch sonst im psychischen Geschehen und auf körperlichem Ge¬ 
biete mit sich bringt, wobei unter den ersteren S)nnptomen die moralische Ab¬ 
stumpfung, die sittliche Depravation vor allem den Gegensatz zu den 
streng reflektierenden und hohe ethische Anforderungen an sich selbst und an 
andere stellenden Paranoikern darstellt. Im weiteren Verlaufe prägt sich beim 
chronischen Alkoholismus stets die emotive Schwäche und die Hemmungslosigkeit, 
in den späteren Stadien auch die Einbuße des Trinkers an Urteilskraft aus. Der 
eifersüchtige Paranoiker haßt das Objekt seiner Eifersucht schließlich von ganzer 
Seele und nur die Furcht vor der gesetzlichen Strafe, die ihm wohlbekannt ist, 
vermag ihn von einer Gewalttat zurückzuhalten und hält ihn auch meistens 
davon zurück. Der eifersüchtige Trinker dagegen schreitet viel leichter zur 
Gewalttat, weil bei ihm die normalen sittlichen Hemmungen, die dem Verbrechen 
entgegentreten, gelockert sind, weil seine Urteilskraft soweit herabgesetzt ist, 
daß er die Folgen seiner Tat für sich selbst nicht mehr abzuschätzen vermag. 
Andererseits betont der Alkoholiker kurz nach der Tat, wie lieb er das Opfer 
seiner Eifersucht hatte, wie weh es ihm tat, daß man ihn hinterging, daß er 
deshalb dem Treiben habe ein Ende machen müssen, ja, er sucht gelegentlich 
sich selbst und sein Opfer während der Tat von dem ethischen Werte derselben 
zu überzeugen, die stets einen theatralischen Anstrich hat, die eben, wie die 
ganze Handlungsweise des pcu^anoiden Trinkers mehr in der durch den Alkohol 
bedingten sittlichen Verkommenheit und dem darin begründeten Verluste ethisch 
begründeter Hemmungen ihren Ursprung hat, als in einem logisch aus den 
erotischen Beeinträchtigungsideen erwachsenen Haß und der ins Extrem ge¬ 
steigerten Abwehr der vermeintlichen Beeinträchtigungen. Der Paranoiker, 
der zur Gewalttat schritt, verteidigt dieselbe nachher mit aller Schärfe seines 
Verstandes; er gibt zu, sich gegen das Gesetz vergangen zu haben, sucht sein 
Verbrechen aber mit der Größe der ihm zu gefügten vermeintlichen Beeinträch¬ 
tigung zu erklären imd zu rechtfertigen. Der Trinker sucht schwachsinnig seine 
Handlung als eine Wohltat für sein Opfer hinzustellen, er gefällt sich in der Maske 
der verkörperten Gerechtigkeit. Die Vorgeschichte und die körperlichen Er¬ 
scheinungen des Alkoholismus müssen in manchen Fällen den differentialdiagnosti¬ 
schen Ausschlag geben, ebenso gelegentlich, besonders in jüngeren Fällen der 
Erfolg einer Entziehungskur, die häufig, wenn auch nicht immer ein Abblassen, 
nur selten ein völliges Verschwinden der wahnhaften VorsteUungen bei chro¬ 
nischem Alkoholismus zur Folge hat. 



108 


Differentialdiagnose. 


Syphilitische wahnbildende Psychosen. 

Die syphilitischen wahnbildenden Psychosen, die in seltenen Fällen, meist 
nur vorübergehend an das Bild der Paranoia erinnern, unterscheiden sich von 
der letzteren durch das Vorhandensein spezifischer organischer Krankheits- 
erscheinungen von seiten des Gehirns oder Rückenmarks. Es fehlt bei den 
meisten auf dem Boden der Lues entstehenden paranoiden Zuständen die dauernde 
fortschreitende Systematisierung des Wahnes, es handelt sich bei ihnen in der 
Regel um paranoide Zustände, die akut oder subakut entstehen und etwa dem, 
was von manchen Autoren als „akute Paranoia“, wie oben besprochen, bezeichnet 
wurde, entsprechen. Das Augenblicksbild kann unter Umständen dem der 
Paranoia ähnlich sein, doch werden die körperlichen Symptome wie auch der 
Wechsel der Wahnvorstellungen, ihre Unklarheit, deutlich schwachsinnige Züge 
sowie die Inkonsequenz der Handlungsweise sie leicht von der Paranoia in der 
hier gefaßten Umgrenzung unterscheiden lassen. 

In seltenen Fällen kommen aber auch, wie bereits gelegentlich der Be¬ 
sprechung der Komplikationen der Paranoia erwähnt wurde, Verbindungen an¬ 
scheinend echt paranoischer psychotischer Syndrome, vor allem mit der Tabes 
dorsalis vor, die zum Teil, soweit sich nach mehr minder langer Zeit sichere Er¬ 
scheinungen einer Dementia paralytica entwickeln, nur ein paranoides Vor- 
staulium der letzteren bilden, in den Fällen jedoch, in denen die paralytischen 
Erscheinungen bei jahrzehntelangem Bestehen der wahnbildenden Psychose bis 
zum Lebensende ausbleiben, als echte Komplikationen der S 3 q)hilitischen Rücken¬ 
markserkrankung mit einer Paranoia, vielleicht beides auf der gemeinsamen 
Grundlage der mangelhaften Anlage und des pathologischen Aufbrauchs des 
Zentralnervensystems entstanden, aufgefaßt werden müssen. 

Mit den in Anlehnung an Meynert als 

Amentia 

bezeichneten akuten Psychosen hat die Paranoia eigentlich außer dem allgemeinen 
Symptom des Bestehens von Wahnvorstellungen nichts gemein. Eine Verwechs¬ 
lung beider Zustände ist weniger in der Hinsicht möglich, daß Amentiaformen 
für eine Paranoia gehalten werden, als dadurch, daß eine akut entstehende Para¬ 
noia oder aber akute Schübe dieser Erkrankung irrtümlich als Amentia ange¬ 
sprochen werden, vor allem bei der Paranoia hallucinatoria, da auch bei ihren 
akuten interkiurenten Episoden neben häufiger wechselnden ausschmückenden 
Wahnideen, der stärkeren Störung der Affektivität, lebhafteren und vermehrten 
Sinnestäuschungen eine, wenn auch wohl nie höhere Grade erreichende Ver¬ 
worrenheit eintreten kann, die zusammen mit den übrigen akuten Erscheinungen 
den Gnmdwahn, das eigentliche Wahnsystem der Paranoia vorübergehend zu 
verbergen vermag. Eine Verwechslung ist, wie schon daraus hervorgeht, einmal 
in den Fällen möglich, in denen die Paranoia in akutester Weise beginnt, anderer¬ 
seits, soweit es sich um interkurrente Erregungszustände handelt, in den Fällen, 
in denen jede Vorgeschichte fehlt. Die Fälle, die so der Stellung dieser Differential¬ 
diagnose Schwierigkeiten bereiten, sind sehr selten. Der weitere Verlauf nach 
Abklingen der Erregung beseitigt bald jeden Zweifel. Wie bereits oben hervor¬ 
gehoben, ist aber derartigen Fällen von anscheinender Paranoia mit akutestem 



Senile Wahnsinnsformen. 


109 


Beginne, noch mehr aber solchen mit akutesten, imter Verworrenheit verlaufenden 
interkurrenten Erregungszuständen gegenüber größte Skepsis am Platze, da es 
sich, auch wenn eine chronische Psychose vorliegt, weit häufiger um paranoide, 
in die Gruppe der Schizophrenie fallende psychotische Zustände handelt als 
um eine Paranoia. 


SenUe Wahnsinnsformen. 

Gemäß der theoretischen Erklärung der Paranoia als einer vorzeitigen 
Alterserscheinung ist es erklärlich, daß häufig die Frage zu entscheiden ist, ob 
eine Paranoia im hier umgrenzten Sinne oder aber eine wahnbildende Psychose 
im Beginne der Dementia senilis vorliegt, vor allem der langgestreckten, schlei¬ 
chend verlaufenden, präsenil beginnenden Form, die Kraepelin wegen ihres 
von der gewöhnlichen senilen Demenz abweichenden Beginnes und einzelner 
Abweichungen in der Symptomatologie zur Aufstellung eines besonderen „prä- 
senilen Beeinträchtigungswahnes“ veranlaßte. Die Gedankengänge, die die 
Kranken beherrschen, sind bei beiden Psychosen gleicher Natur. Es ist bereits 
an anderer Stelle der egozentrischen Einengung der Interessensphäre mit ihrer 
Neigung zur Unbelehrbarkeit und Rechthaberei, des Klebens an den altein¬ 
gewurzelten Vorstellungen und der Neigung zu mißtrauischer Beargwöhnung 
der Umgebung gedacht worden, die sich im Senium überhaupt und, krankhaft 
übertrieben und verzerrt im Krankheitsbilde der senilen wahnbildenden Psychosen 
wie auch in dem der Paranoia finden. Außer der allmählich eintretenden und 
fortschreitenden Entwicklung einer höhergradigen Urteils- und Merkfähigkeits¬ 
schwäche läßt jedoch auch das senile Wahnsystem wesentliche Abweichungen 
von dem der Paranoia erkennen. Vor allem tritt bei dem ersteren stets in frühen 
Krankheitsstadien eine gewisse, sich progressiv steigernde Abenteuerlichkeit der 
Beeinträchtigungsvorstellungen und das Überwiegen hypochondrischer Ideen 
hervor. Es fehlt dagegen die Verbohrtheit in das eigene Wahnsystem, das weniger 
streng konsolidiert ist als das der Paranoia, es kommt zur Preisgabe einzelner 
Vorstellungen für kürzere Zeit oder für immer, zu einem Wechsel der Wahn¬ 
fabel. Endlich fehlt den senilen Wahnsinnsformen die Konsequenz der Hand¬ 
lungsweise und der Angriffsgeist der Paranoia. Der Paranoiker sucht sich gegen 
die wahnhaften Beeinträchtigungen und Verfolgungen mit ganzer Kraft zu wehren 
und wird dadurch bald mehr zum Angreifer als zum Verfolgten; der senile Wahn¬ 
sinnige fühlt sich als unschuldiges Opfer seiner Widersacher, ohne in seinem 
Gefühle körperlicher und geistiger Ohnmacht seine Lage ändern zu könhen; 
der melancholische Wahnsinnige erträgt die Beeinträchtigungen und Verfolgungen 
geduldig im Bewußtsein seiner Schuld; der schizophrene Paranoid-demente 
endlich betrachtet sie im wesentlichen als uninteressierter Zuschauer, ohne den 
dem Greistesgesunden entsprechenden Anteil an den Eingriffen in sein Wohl¬ 
ergehen zu nehmen, ohne das Schuldgefühl des Melancholikers, ohne das Gefühl 
der Ohnmacht des Senil-dementen und doch ohne den Willen, sie zu vermeiden 
oder abzuwehren, der für den Paranoiker kennzeichnend ist. 



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Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig.